Die polizeilichen Vorfeldbefugnisse als Herausforderung für Dogmatik und Gesetzgebung des Polizeirechts: Begriff, Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen [1 ed.] 9783428537907, 9783428137909

Polizeirecht im hergebrachten Sinn bedeutet Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Seine Dogmat

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German Pages 243 Year 2012

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Die polizeilichen Vorfeldbefugnisse als Herausforderung für Dogmatik und Gesetzgebung des Polizeirechts: Begriff, Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen [1 ed.]
 9783428537907, 9783428137909

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1214

Die polizeilichen Vorfeldbefugnisse als Herausforderung für Dogmatik und Gesetzgebung des Polizeirechts Begriff, Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen Von Sebastian Kral

Duncker & Humblot · Berlin

SEBASTIAN KRAL

Die polizeilichen Vorfeldbefugnisse als Herausforderung für Dogmatik und Gesetzgebung des Polizeirechts

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1214

Die polizeilichen Vorfeldbefugnisse als Herausforderung für Dogmatik und Gesetzgebung des Polizeirechts Begriff, Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen

Von Sebastian Kral

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13790-9 (Print) ISBN 978-3-428-53790-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-83790-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinem Piachen

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2011 / 2012 von der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Mein Dank gebührt an erster Stelle meinem hochgeschätzten Doktorvater Herrn Professor Dr. Martin Burgi, der mir während des gesamten Schaffungsprozesses der Arbeit stets mit großer Sorgfalt und Engagement unterstützend zur Seite stand. Weiter gilt mein Dank Herrn Professor Dr. Wolfram Cremer für die zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens und die mir von ihm zuteil gewordene Unterstützung. Daneben möchte ich in diesem ­Zusammenhang auch Herrn Professor Dr. Stefan Magen, Herrn Professor Dr. Oliver Ricken und Herrn Professor Dr. Peter A. Windel dankend erwähnen. Ferner gebührt mein Dank aber auch den zahlreichen Kollegen und Freunden, die ich während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät gewonnen habe und die mir über so manche Krise im Laufe der Promotion hinweggeholfen haben. Stellvertretend möchte ich an dieser Stelle Frau Anne-Kathrin Bauer, Frau Verena Wester, Herrn Julian Fennhahn und Herrn Arnim Kolat nennen. Abschließend möchte ich mich bei meinen Eltern Andreas und Eleonore Kral dafür bedanken, dass sie mir während meiner gesamten Ausbildungszeit und auf allen Lebenswegen stets zur Seite standen und mir dabei jede erdenkliche Unterstützung haben zukommen lassen. Die vorliegende Arbeit wurde im Wesentlichen im Februar 2011 abgeschlossen. Für die Veröffentlichung wurde sie anschließend aktualisiert. Gesetzesänderungen, Rechtsprechung und Literatur wurden dabei bis zum 1. Oktober 2011 berücksichtigt. Bochum, den 8. November 2011

Sebastian Kral

Inhaltsverzeichnis 1. Teil

Einführung in das Problemfeld 19

A. Die heit I. II.

Herausforderungen des Polizeirechts im Spiegel zwischen Vergangenund Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Begriffshistorischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Die Herausforderungen des Polizeirechts in der Gegenwart . . . . . . . . . 21 1. Neue Bedrohungspotenziale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Neue polizeiliche Rahmenbedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 III. Reaktionsmuster des Polizeigesetzgebers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 IV. Verfassungsgerichtliche Bewertung der neuen Polizeirechtsdogmatik. . 24 V. Polizeirechtliche Aufgabenstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Methodik der Problembehandlung und Ziele der Untersuchung. . . . . . . . . . 27 I. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Fallbeispiele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Fall: „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Fall: „Die Sauerlandgruppe II“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Fall: „Der künftige Amokläufer“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Teil

Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik34

A. Eingriffsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Bedrohungspotenzial: Der Schaden an einem polizeilichen Schutzgut . 35 II. Der tatsächliche Eingriffsanlass. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Der Eingriffsanlass in der Dogmatik der Eingriffsschwelle. . . . . . . . 36 2. Der Eingriffsanlass zur Annahme einer konkreten Gefahr . . . . . . . . 37 III. Das Prognoseurteil: Die hinreichende Wahrscheinlichkeit. . . . . . . . . . . 38 1. Statistisch abgesicherte Erkenntnissätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Praktische Erfahrungssätze und Alltagswissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Die Abwägungskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Abgrenzung zur mathema tischen Wahrscheinlichkeitsberechnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

10 Inhaltsverzeichnis c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Abgrenzung zum polizei­ lichen Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4. Perspektivischer Bewertungshorizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Objektiver versus subjektiver Gefahrenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Die Scheingefahr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 c) Die Anscheinsgefahr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 d) Der Gefahrenverdacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Der Gefahrenverdacht im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 bb) Der Gefahrenverdacht als Institut des Gefahrenabwehrrechts . 53 cc) Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 B. Maßnahmenadressaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Verantwortlichkeit für die Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Verantwortlichkeit für das Verhalten von Personen. . . . . . . . . . . . . . 58 a) Zurechnungsebenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Verantwortlichkeit für eine von einer Sache ausgehende Gefahr . . . 62 3. Der Anscheins- und Verdachtsstörer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Die Nichtstörerhaftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 C. Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 I. Gefahrbeseitigungsbefugnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 II. Gefahraufklärungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 D. Zu den Fallbeispielen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 II. „Die Sauerlandgruppe II“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 III. „Der künftige Amokläufer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Teil

System und Kritik des gegenwärtigen Umgangs mit den Eingriffsbefugnissen im Gefahrenvorfeld70

A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Das polizeiliche Vorfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Vorfeldverständnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 a) Rechtsfolgenorientiertes Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 aa) Dogmatische Divergenzen zwischen dem klassischen Gefah renabwehr- und dem Vorfeldrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Insbesondere die polizeiliche Rasterfahndung . . . . . . . . . . . . 74 cc) Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b) Tatbestandsorientiertes Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Vorfeld als Abkehr von der konkreten Gefahr. . . . . . . . . . . . 76 bb) Die konkrete Gefahr im Gefahrenvorfeld. . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Inhaltsverzeichnis11 II. Die „Befugnis“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Gesteigerte Eingriffssensibilität im Gefahrenvorfeld . . . . . . . . . . . . . 79 a) Die indirekte Verhaltenssteuerung am Beispiel der Videoüber wachung öffentlicher Straßen und Plätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Funktion der präventiv-polizeilichen Videoüberwachung. . . . 81 bb) Die Eingriffsqualität der präventiv-polizeilichen Videoüber wachung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 cc) Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Weitere Maßnahmen der indirekten Verhaltenssteuerung. . . . . . . 89 aa) Die automatisierte Kennzeichenerfassung. . . . . . . . . . . . . . . . 91 bb) Die Schleierfahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 cc) Die Rasterfahndung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Zusammenfassung und Anwendung auf das Fallbeispiel „Die Innen stadt im polizeilichen Visier“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 B. Die Vorfeldbefugnisse im polizeilichen Aufgabengefüge. . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Gefahrenabwehrmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Quadrat-Modell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 III. Dreigliedriges Aufgabenverständnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Die Eingriffsschwellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Die Rechtfertigung einer bestimmten Annahme. . . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) „Tatsachen, die eine bestimmte Annahme rechtfertigen“. . . . . . . 106 aa) Bedrohungspotenzial: Die zu rechtfertigende Annahme. . . . . 107 (1) Dogmatische Bedeutung der zu rechtfertigenden An nahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (2) Gegenstand der Annahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 bb) Der tatsächliche Eingriffsanlass: Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . 110 cc) Prognoseentscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (1) Geforderter Wahrscheinlichkeitsgrad. . . . . . . . . . . . . . . . 111 (a) Reduzierter Wahrscheinlichkeitsgrad. . . . . . . . . . . . . 111 (b) Hinreichende Wahrscheinlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . 113 (c) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (2) Ermittlung des Wahrscheinlichkeitsgrades. . . . . . . . . . . . 114 (a) Die Ermittlung in der Gegenüberstellung zur herge brachten Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr. . . 114 (b) Gegenständliche Bezugnahme des Wahrscheinlich keitsurteils im Gefahrenvorfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (c) Zeitliche Begrenzung des Einschreitens im Gefah renvorfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (3) Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) „Tatsächliche Anhaltspunkte, die eine bestimmte Annahme recht fertigen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

12 Inhaltsverzeichnis c) Personenbezogene oder entindividualisierte Tatbestände . . . . . . . 120 aa) Personenbezogene Tatbestände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Entindividualisierte Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (1) Die Untergruppen und ihre Eingriffsintensität . . . . . . . . 121 (2) Spezifische Defizite im Rahmen der Annahme der Ein griffsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (3) Sonderfall Strukturermittlungen nach dem thüringischen Polizeigesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (4) Zusammenfassende Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 d) Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Anlassunabhängige Tatbestände. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Die Schleierfahndung – Funktion und Tatbestand . . . . . . . . . . . . 126 b) Der anlassunabhängige Eingriffstatbestand in der Polizeirechts dogmatik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Die entindividualisierte Gefahr im Gefahrenvorfeld . . . . . . . . . . . . . 133 a) Der Vorfeldtatbestand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Rückblick auf die Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts. . . . 134 bb) Abgrenzung zum Störererforschungseingriff . . . . . . . . . . . . . 135 cc) Die Gefahrenschwelle im Vorfeldtatbestand. . . . . . . . . . . . . . 136 b) Die entindividualisierte Gefahr in der Polizeigesetzgebung. . . . . 138 aa) Die präventive Rasterfahndung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 bb) Die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze . . . . 139 (1) Der Tatbestand nach der gegenwärtigen Gesetzeslage. . 140 (a) Überblick über die einzelnen Tatbestandsvorausset zungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (b) Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (2) Die entindividualisierte Gefahr als Eingriffsschwelle der Videoüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 cc) Die automatisierte Kennzeichenerfassung. . . . . . . . . . . . . . . . 144 (1) Funktions- und Wirkungsweise der automatisierten Kenn zeichenerfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (2) Überblick über die Tatbestandsvoraussetzungen nach der gegenwärtigen Gesetzeslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (3) Kritische Würdigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (a) Individuelle Wirkungsweise der Kennzeichenerfas sung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (b) Die indirekte Verhaltenssteuerung der Kennzeichen erfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (c) Abschließende Betrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Maßnahmenadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Die Regelungen über die Maßnahmenadressaten in den gegenwärti gen Vorfeldtatbeständen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

Inhaltsverzeichnis13 2. Beschreibung und Systematisierung der Maßnahmenadressaten in den gegenwärtigen Vorfeldtatbeständen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Individualisierte Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 aa) Maßnahmenadressaten erster Ordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Maßnahmenadressaten zweiter Ordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . 158 cc) Sonstige Betroffene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Entindividualisierte Eingriffsermächtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 III. Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 D. Die Vorfeldbefugnisse in der polizeigesetzlichen Systematik. . . . . . . . . . . . 164 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

4. Teil Rechtsgüterschutzmodell169 A. Rahmenvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Zusammenfassung der Kritikpunkte an der gegenwärtigen Vorfelddog matik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Verfassungsrechtlicher Legitimationsgrund der Vorfeldbefugnisse. . . . . 171 1. Überblick über die Staatsaufgabe Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerungen . . . . . . . . . . 172 b) Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Grundrechtliche Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Vorfeldspezifische Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit. . . . . . . 178 a) Grundlagen der Vorverlagerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Grenzen der Vorverlagerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Perspektivischer Ausgangspunkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Die präventiv-polizeilichen Befugnisstufen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Maßnahmen der ersten Stufe – die Abwehr einer konkreten Gefahr . 184 a) Eingriffsschwelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Maßnahmenadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 d) Abschließende Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Maßnahmen der zweiten Stufe – die Aufklärung einer individuali sierten konkreten Gefahr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Eingriffsschwelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 aa) Die zeitliche Nähe zum Schadenseintritt . . . . . . . . . . . . . . . . 186 bb) Der Gefahrenverdacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

14 Inhaltsverzeichnis cc) Die Schutzgüter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Maßnahmenadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 c) Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 d) Abschließende Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3. Maßnahmen der dritten Stufe – die Aufklärung einer entindividuali sierten konkreten Gefahr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Eingriffsschwelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Das Gefahrenurteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb) Die Schutzgüter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Die gegenwärtigen polizeilichen Maßnahmen dieser Stufe. . 192 dd) Einordnungsschwierigkeiten betreffend die automatisierte Kennzeichenerfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Maßnahmenadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 d) Abschließende Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4. Maßnahmen der vierten Stufe – die Aufklärung und der Ausschluss von Bedrohungspotenzialen zum Schutze eines gewichtigen Rechts gutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Eingriffsschwelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 aa) Bestandserfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 bb) Gesetzgeberische Umsetzung des Rechtsgüterschutzmodells . 197 (1) Die Schutzgüter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (2) Der Eingriffsanlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Maßnahmenadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 d) Abschließende Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5. Maßnahmen der fünften Stufe – die Aufklärung entindividualisierter Bedrohungspotenziale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Eingriffsschwelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Maßnahmenadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 c) Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 d) Abschließende Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 6. Maßnahmen der sechsten Stufe – Prognoseunabhängige Aufklä rungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Zu den Fallbeispielen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. „Die Sauerlandgruppe II“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. „Der künftige Amokläufer“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 C. Allgemeiner Teil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I. Aufgabenzuweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 II. Personale Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 III. Kernbereichsschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 IV. Kompensationsmöglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Inhaltsverzeichnis15 1. Verfahrensrechtliche Kompensation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Sekundärrechtliche Kompensationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 D. Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 5. Teil

Ergebnisse und Zusammenfassung224

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

Abkürzungsverzeichnis der verwendeten Gesetze ALR

Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten vom 5. Februar 1794

ASOG Bln Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin, in der Fassung vom 11. Oktober 2006, zuletzt geändert durch Artikel I Elftes ÄndG vom 18. September 2011 (GVBl. S. 482) AWG

Außenwirtschaftsgesetz, in der Fassung vom 28. Februar 1992, geändert durch das Zollfahndungsneuregelungsgesetz vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202)

Bay. PAG

Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei, in der Fassung vom 14. September 1990, zuletzt geändert durch § 2 des Gesetzes vom 22. April 2010 (GVBl. S. 190)

Bbg PolG

Gesetz über die Aufgaben, Befugnisse, Organisation und Zuständigkeit der Polizei im Land Brandenburg, in der Fassung vom 19. März 1996, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. Juni 2011 (GVBl. I Nr. 10)

Brem PolG Bremisches Polizeigesetz, in der Fassung vom 6. Dezember 2001, zuletzt geändert durch Artikel 14 des Gesetzes vom 22. Dezember 2009 (GBl. S. 17) GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Juli 2010 ­(BGBl. I S. 944)

HSOG

Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, in der Fassung vom 14. Januar 2005, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 14. Dezember 2009 (GVBl. I S. 635)

LVwG S-H Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein, in der Fassung vom 2. Juni 1992, zuletzt geändert durch Artikel 23 des Gesetzes vom 17. Dezember 2010 (GVOBl. S. 789) ME PolG

Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder in der Fassung des Vorentwurfs zur Änderung des MEPolG

Nds. SOG

Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, in der Fassung vom 19. Januar 2005, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Oktober 2011 (Nds. GVBl. S. 353)

NGefAG

Niedersächsisches Gefahrenabwehrgesetz (a. F.), in der Fassung vom 20. Februar 1998

POG R-P

Abkürzungsverzeichnis der verwendeten Gesetze 17 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz in Rheinland-Pfalz, in der Fassung vom 10. November 1993, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. Februar 2011 (GVBl. S. 26)

PolDVG HA Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei in Hamburg, in der Fassung vom 2. Mai 1991, zuletzt geändert durch Artikel 11 des Gesetzes vom 17. Februar 2009 (HmbGVBl. S. 29, 34) PolG BW

Polizeigesetz Baden-Württemberg, in der Fassung vom 13. Januar 1992, zuletzt geändert durch Artikel 11 des Gesetzes vom 4. Mai 2009 (GBl. S. 195, 199)

PolG NRW Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, in der Fassung vom 25. Juli 2003, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 9. Februar 2010 (GV. S. 132) Pr. PVG

Preußische Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931

Sächs. PolG Polizeigesetz des Freistaates Sachsen, in der Fassung vom 13. August 1999, zuletzt geändert durch Artikel 14 des Gesetzes vom 15. Dezember 2010 (GVBl. S. 387, 397) SDÜ

Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19. Juni 1990 (BGBl. 1993 II S. 1010) (Schengener Durchführungsübereinkommen)

SOG HA

Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Hamburg, in der Fassung vom 14. März 1966, zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 15. Dezember 2009 (GVBl. S. 405, 433)

SOG LSA Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt, in der Fassung vom 23. September 2003, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 18. Mai 2010 (GVBl. S. 340) SOG M-V

Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in MecklenburgVorpommern, in der Fassung vom 9. Mai 2011 (GVOBl. S. 246)

SPolG

Saarländisches Polizeigesetz, in der Fassung vom 26. März 2001, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 26. Oktober 2010 (Amtsbl. I S. 1406)

StGB

Strafgesetzbuch, in der Fassung vom 13. November 1998, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 23. Juni 2011 (BGBl. I S. 1266)

StPO

Strafprozessordnung, in der Fassung vom 7. April 1987, zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 23. Juni 2011 (BGBl. I S. 1266)

StVO

Straßenverkehrs-Ordnung, in der Fassung vom 16. November 1970, zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 1. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1737)

18 Thü. PAG

Thüringer Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei, in der Fassung vom 4. Juni 1992, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 9. September 2010 (GVBl. S. 291)

VSG NRW Gesetz über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen, in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen vom 20. Dezember 2006 (GVBl. S. 620) ZfdG

Gesetz über das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter, in der Fassung vom 16. August 2002, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 12. April 2011 (BGBl. I S. 617)

1. Teil

Einführung in das Problemfeld A. Die Herausforderungen des Polizeirechts im Spiegel zwischen Vergangenheit und Gegenwart I. Begriffshistorischer Überblick Das gegenwärtige Polizeirecht weist eine weit zurückgehende Tradition auf. Doch seit dem ersten Auftreten des Polizeibegriffs in der deutschen Rechtsgeschichte ist dieses Rechtsgebiet in Abhängigkeit von dem jeweils vorherrschenden Staatsverständnis einem kontinuierlichen Wandel unterlegen.1 Ursprünglich geht der Begriff der „Polizei“ auf die aristotelische Staatslehre zurück. Er umschrieb hier generell das Verwaltungshandeln des Staates.2 In Deutschland findet er erstmals im 15. Jahrhundert Verwendung.3 Unter der Terminologie „Policey“ wurde ein Zustand „der guten Ordnung des Gemeinwesens“ für nahezu alle Lebensbereiche verstanden.4 Im Absolutismus umschrieb der Begriff dann die den Fürsten zukommende Staatsgewalt, in allen Lebensbereichen zur Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt, zu welcher auch die Sicherheit und Ordnung im Inneren des Staates zählten, reglementierend eingreifen zu können.5 Doch bereits während der Aufklärung wurden Tendenzen deutlich, den Polizeibegriff auf die Gefahrenabwehr zu beschränken.6 Ähnlich normierte dann auch § 10 Teil II 1  Dazu insgesamt etwa Wolzendorff, „Der Polizeigedanke des modernen Staates“, 1918. 2  Wolzendorff, S. 9. Der Begriff „Polizei“ geht auf den griechischen Ausdruck „politeia“ zurück, was so viel wie „Staat“, „Staatsverfassung“, „Staatswesen“, „Staatsverwaltung“ oder noch allgemeiner das „öffentliche Leben“ oder „Politik“ bedeutet. Dazu und zur Begriffsentwicklung Nitschke, ZfhF 19 (1992), 1 (2). 3  Wolzendorff, S. 12. Die älteste Fundstelle des Begriffs lässt sich in einer bischöflichen Vorschrift der Stadt Würzbug von 1476 nachweisen, siehe dazu etwa Knemeyer, AöR 92 (1967), 153 (156). Zu den weiteren bekannteren Quellen dieser Zeit zählen die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577. Dazu weiterführend Preu, S. 15 ff. 4  Knemeyer, AöR 92 (1967), 153 (155 ff.); Nitschke, ZfhF 19 (1992), 1 (12). 5  Pieroth / Schlink / Kniesel, § 1 Rn. 4. 6  Besondere Aufmerksamkeit errang in diesem Zusammenhang die Polizeidefinition Johann Stephan Pütters in § 321 seiner „Institutiones Juris Publici Germanici“

20

1. Teil: Einführung in das Problemfeld

Titel 17 des Allgemeinen Landrechts der preußischen Staaten von 1794 ­ (ALR), dass „die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahren zu treffen, das Amt der Polizey [ist]“.7 In der Praxis führte diese Regelung indes zu keiner Änderung.8 Erst im liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts, namentlich mit dem Kreuzbergurteil von 1882,9 erhielt das Polizeirecht seinen bis heute vorherrschenden Charakter als Gefahrenabwehrrecht. Dabei berief sich das Berliner OVG auf § 10 II. 17 ALR als einzig mögliche Rechtsgrundlage der damals in Frage stehenden Berliner Polizeiverordnung. Die Fürsorge für die öffentliche Wohlfahrt sowie die Förderung und Erhöhung des Gemeinwohls seien demnach nicht Aufgabe der Polizei.10 Die Begriffe „konkrete Gefahr“ und „Störer“ wurden im Folgenden zu Kennzeichen des Polizeirechts.11 Endgültig normierte schließlich § 14 Pr. PVG von 1931 dieses Polizeiverständnis.12 Auch unter der Herrschaft des Grundgesetzes wurde an diesem (1. Aufl. Göttingen 1770): „Ea supremae potestatis pars, qua exercetur cura avertendi mala futura in statu reipublicae interno in commune metuenda, dicitur ius politiae.“; vgl. Boldt / Stolleis in Lisken / Denninger, A Rn. 21; kritisch zu diesem Verständnis Preu, S. 167 ff. 7  Bei der Auslegung und dem Verständnis von § 10 II. 17 ALR muss jedoch berücksichtigt werden, dass diese Norm an sich keine Definition des Polizeibegriffs enthielt, sondern nur der Abgrenzung zwischen Polizei- und Kriminaljustiz diente, vgl. etwa Kroeschell, VBlBW 1993, 268 (269); Preu, S. 291 ff.; Schoch, Der Staat 43 (2004), 347 (348). 8  Nitschke, ZfhF 19 (1992), 1 (20 ff.). So wurde in Preußen etwa am 26.12.1808 eine Verordnung erlassen, welche in ihrem § 3 ausführt: „Als Landes-Polizeibehörde haben die Regierungen die Fürsorge wegen des Gemeinwohls unserer getreuen Unterthanen, sowohl in negativer als auch in positiver Hinsicht. Sie sind daher so berechtigt als verpflichtet, nicht allein allem vorzubeugen, und solches zu entfernen, was dem Staate und seinen Bürgern Gefahr oder Nachteil bringen kann, mithin die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu treffen, sondern auch dafür zu sorgen, daß das allgemeine Wohl befördert und erhöhet werde, und jeder Staatsbürger Gelegenheit habe, seine Fähigkeiten und Kräfte in moralischer, sowohl als physischer Hinsicht auszubilden, und innerhalb der gesetzlichen Grenzen auf die ihm zuträglichste Weise anzuwenden. Die Regierungen haben daher auch die Aufsicht über Volksbildung, den öffentlichen Unterricht und Kultus.“ Pr. GS 1806 / 18 10. S. 465 f. 9  Pr. OVGE 9, 353 ff. Seine endgültige Anerkennung erhielt die klassische Polizeirechtsdogmatik mit der Entscheidung des Gerichts vom 8.04.1885, Pr. OVGE 12, 397 (403). 10  Pr. OVGE 9, 353 (374 ff.). 11  Möstl, DVBl. 2007, 581. 12  § 14 Abs. 1 Pr. PVG lautete: „Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigen Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht wird.“



A. Die Herausforderungen des Polizeirechts21

Begriffsverständnis festgehalten, wobei dem hergebrachten Polizeirecht ein verfassungsgemäßer Ausgleich zwischen den Gütern Sicherheit und Freiheit attestiert wurde.13

II. Die Herausforderungen des Polizeirechts in der Gegenwart In den letzten Jahrzehnten sieht sich dieses „klassische“ Polizeirecht jedoch auf mehreren Ebenen mit neuen Herausforderungen konfrontiert, welche die hergebrachte Polizeirechtsdogmatik an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit führen.14 1. Neue Bedrohungspotenziale Zunächst ist eine Veränderung der Bedrohungslage auszumachen. Das Polizeirecht wird heute zunehmend als ein Mittel im Kampf gegen die organisierte Kriminalität und den internationalen Terrorismus verstanden.15 Neben den staatenübergreifenden Vernetzungen und dem hohen Organisa­ tionsgrad unterscheiden sich diese Bedrohungspotenziale insbesondere durch die von ihnen herbeigeführten Schäden in einer im Vergleich zu den Verhältnissen des 19. Jahrhunderts wesentlich komplexeren und damit zugleich verletzlicheren Gesellschaft.16 Es sei hier nur auf die Folgen des 11. September 2001 mit rund 3.000 Toten sowie auf die durch die organisierte Kriminalität hervorgerufenen materiellen Schäden verwiesen.17 Die von diesen Erscheinungsformen ausgehenden Bedrohungen lösen sich damit von dem überkommenen Bild eines einzelnen Täters, der sich gegen individuel13  BVerfGE 120, 274 (331); Möstl, Staatliche Garantie, S. 187 f.; Schoch, Der Staat 43 (2004), 347 (349 f.). 14  Siehe dazu ausführlich Thiel, S. 5 ff. 15  Etwa Drs.-LT Bay. 14  / 12261 S. 7 f.; Drs.-LT Nds. 15 / 240 S. 8; Drs.-LT R-P 14 / 2287 S.  30; Albers, S. 100 ff. Grundsätzlich zu den Herausforderungen an die Sicherheitsgewährleistung infolge der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus Gusy, Verw.Arch 101 (2010), 309 ff.; Hoffmann-Riem, ZRP 2002, 497 ff.; Huster / Rudolph, in Huster / Rudolph, S. 9 (14 ff.); Möstl, DVBl. 2007, 581 (582); Trute, GS Jeand’Heur, S. 403 (404). Zur organisierten Kriminalität siehe etwa Brenneisen, DuD 2004, 711 (712 f.) oder Koch, S. 31 ff. 16  Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser, S. 407 (411). 17  Da bis heute keine abschließende Begriffsdefinition für die organisierte Kriminalität entwickelt werden konnte, lässt sich die durch sie hervorgerufene Schadenshöhe nicht exakt bestimmen. Zusätzlich erschwert ein großes Dunkelfeld in diesem Bereich die Ermittlung. Das Bundeskriminalamt ordnete in seinem Bundeslagebild „Organisierte Kriminalität“ im Jahr 2007 (http: /  / www.bka.de / lageberichte / ok / 2007kf /  lage bild_ok_2007_kurzlage.pdf) insgesamt 602 Ermittlungsverfahren in den hier interessierenden Kontext ein, deren Schadenshöhe sich auf 457,5 Mio. Euro belief.

22

1. Teil: Einführung in das Problemfeld

le Rechtsgüter richtet.18 Effektive Abwehrmaßnahmen, welche erst an die unmittelbar bevorstehende, konkrete Bedrohungslage anknüpfen, scheinen aufgrund der Komplexität von Bedrohungs- und Schadenspotenzial kaum mehr möglich.19 Beide Bedrohungsformen, der internationale Terrorismus wie die organisierte Kriminalität, bedienen sich im Rahmen ihrer Vorbereitungshandlungen eines Deckmantels der Unauffälligkeit bzw. Undurchschaubarkeit ihres Vorgehens.20 Stärker den je, verlagert sich damit der Schwerpunkt der polizeilichen Arbeit auf die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen. Die Abwehrhandlungen des klassischen Polizeirechts selbst treten demgegenüber vermehrt in den Hintergrund. 2. Neue polizeiliche Rahmenbedingungen Auf der nächsten Ebene haben sich die Rahmenbedingungen polizeilichen Handelns gravierend verändert. Mit der Öffnung der Binnengrenzen nach 18  Chiu, S. 1; Denninger, KJ Bd. 35 (2002), 467 (469); am Beispiel des Terrorismus, der die Geltung der Rechtsordnung als solche in Frage stellt Gusy, Verw.Arch 101 (2010), 315 f. 19  Möstl, DVBl. 2007, 581 (582). Es sei an dieser Stelle beispielsweise an die vielfältigen Diskussionen über den Umgang mit einem von Terroristen entführten Verkehrsflugzeug erinnert, welche sich auch nach der Entscheidung des Bundes­ verfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz (BVerfGE 115, 118 ff.) weiter fortsetzten. 20  Vgl. etwa auch Drs.-LT R-P 14 / 2287 S. 30. Dieses Problem wird bei der Erstellung eines „Rasters“ für den Einsatz der präventiven Rasterfahndung zur Ermittlung so genannter „Schläfer“ innerhalb der Terroristenszene besonders deutlich. Diese „Schläfer“ zeichnen sich durch eine unauffällige und angepasste Lebensführung aus. Sie sind darauf bedacht, im Vorfeld terroristischer Anschläge nicht durch ein normwidriges Verhalten in Erscheinung zu treten. Die Eignung der Rasterfahndung zur Ermittlung solcher Tätergruppen kann daher bezweifelt werden. Dazu ausführlich Middel, S. 170 ff. Für die organisierte Kriminalität muss daneben eine sehr große Ambivalenz ihrer Erscheinungsformen konstatiert werden. Allgemein wird dem Begriff die auf eine gemeinsame Richtlinie der Justiz- und Innenminister bzw. -senatoren aus dem Jahr 1990 (RiStBV Anlage E Nr. 2) beruhende Arbeitsdefinition zugrunde gelegt, wonach die organisierte Kriminalität als eine von Gewinnoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten verstanden wird, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken. So auch § 1 Abs. 7 PolDVG HA. Dazu insgesamt Koch, S. 33 f.; Weber, S. 20 ff.; aber auch Kniesel, Die Polizei 1991, 185 (187).



A. Die Herausforderungen des Polizeirechts23

dem Übereinkommen von Schengen fällt der Polizei mit die Aufgabe zu, durch Maßnahmen im Inneren den Wegfall der Grenzkontrollen nach außen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität zu kompensieren.21 Zu diesen Ausgleichsmaßnahmen gehört etwa der speziell geregelte Aufbau des Schengen-Informationssystems (Art. 92–Art. 119 SDÜ).22 Darüber hinaus stehen sowohl Kriminellen als auch der Polizei infolge des Fortschritts in der Informationstechnologie heute eine Vielzahl neuartiger Instrumente zur Verfügung.23 Verwiesen sei hier nur auf die modernen Kommunikationsmedien wie das Internet und dessen vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. Diese technische Weiterentwicklung macht einen parallelen Ausbau der gesetzlichen Eingriffsbefugnisse erforderlich, um der Polizei einerseits selbst deren Einsatz zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu gestatten, und andererseits in die Nutzung dieser Mittel durch die Maßnahmenadressaten eingreifen zu dürfen.24 Zugleich bleibt das Polizeirecht trotz dieser veränderten Rahmenbedingungen an die verfassungsrechtlichen Vorgaben und hier namentlich an die Grundrechte gebunden. Jedoch unterliegt auch dieser konstitutionelle Rahmen insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer kontinuierlichen Fortentwicklung, die sowohl in der Gesetzgebung als auch im Gesetzesvollzug Geltung und Beachtung beansprucht.25 Zu den herausragenden Meilensteinen dieser Entwicklung zählen etwa die „Schöpfung“ des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung im Volkszählungsurteil von 1983 und dem sich daraus ergebenden Erfordernis einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe personenbezogener Daten,26 die Anerkennung des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung im Urteil zum großen Lauschangriff27 und die Kreation des Grundrechts auf Vertraulich21  Sog. „Ausgleichsmaßnahmen“, insbesondere in Titel III des Schengen Durchführungsabkommens geregelt. 22  Zur Umsetzungsproblematik siehe Roprecht, NJ 2008, 9. 23  Drs.-LT Bay. 14 / 12261 S. 7 f.; Drs.-LT Hes. 18 / 861 S. 10; Chiu, S. 2; Poscher, Die Verwaltung 41 (2008), 345 (347); Rux in Huster / Rudolph, S. 208 (216 f.). 24  Rux, in Huster  / Rudolph, S. 208 (217 f.); Thiel, S. 8 f. Entsprechende Rechtsgrundlagen finden sich etwa für die automatisierte Kennzeichenerfassung in § 14a HSOG, für die Onlinedurchsuchung in Art. 34d Bay. PAG, für die Telekommunikationsüberwachung in § 33a Nds. SOG oder für die Geräte- und Standortermittlungen in § 33b Nds. SOG. Siehe insgesamt zu den Hintergründen der polizeilichen Vorfeldbefugnisse Shirvani, Verw.Arch 101 (2010), 86 f. 25  Im Hinblick auf die polizeiliche Informationsgewinnung etwa Horn, FS Schmitt Glaeser, S. 435 (458). 26  BVerfGE 65, 1 ff. 27  BVerfGE 109, 279 ff.

24

1. Teil: Einführung in das Problemfeld

keit und Integrität informationstechnischer Systeme in dem Urteil zur ­Onlinedurchsuchung nach dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz­ gesetz28.

III. Reaktionsmuster des Polizeigesetzgebers Zur Bewältigung der gegenwärtigen Aufgaben und Herausforderungen hat sich die polizeigesetzliche Wirklichkeit von dem tradierten Leitbild der Gefahrenabwehr entfernt. Der polizeiliche Tätigkeitsbereich konzentriert sich zunehmend auf durch Straftaten herbeigeführte Schadenspotenziale im Vorfeld einer konkreten Gefährdung.29 In Konsequenz daraus genügt die klassische Polizeirechtsdogmatik, geprägt durch die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr und der personalen Verantwortlichkeit des Störers, nicht mehr den modernen Aufgabenstellungen.30 Eine Lösung versucht der Gesetzgeber durch die Normierung neuer polizeilicher Handlungsermächtigungen zu erreichen, welche zum einen auf eine frühzeitige Aufklärung und Erfassung der Bedrohungspotenziale gerichtet sind und zum anderen die überkommenen dogmatischen Grenzen überwinden. Beispielsweise können in diesem Zusammenhang etwa die Telekommunikations- oder die ortsgebundene Videoüberwachung sowie die verdachts- und ereignisunabhängigen Personenkontrollen genannt werden.

IV. Verfassungsgerichtliche Bewertung der neuen Polizeirechtsdogmatik Die Vorverlagerung der Handlungsermächtigungen auf dem Gebiet des ­Sicherheitsrechts31 durch die Gesetzgeber war in den vergangenen Jahren 28  BVerfGE

120, 274 ff. Nds. 15 / 240 S. 16; Gusy, StV 1993, 269; Kniesel / Vahle, DÖV 1987, 955; Koch, S. 32 f.; Masing, JZ 2011, 753 (756); Möstl, Staatliche Garantie, S. 19; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 1 Rn. 32; Pitschas, Speyerer Arbeitsheft Nr. 121, 44 f.; Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 21; Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser S. 407 (410 ff.); Thiel, S. 12 f.,  67; Vollmar, S. 34 f. mit Verweis auf die Gesetzesbegründungen in verschiedenen Bundesländern; Zöller, S. 77 ff. 30  Kugelmann, DÖV 2003, 781 f.; Möstl, DVBl. 2010, 808; Weber, S. 17. Pieroth /  Schlink / Kniesel konstatieren in ihrem Vorwort, dass „die alte dogmatische Gestalt nicht mehr recht [stimmt], ohne dass schon eine neue an ihre Stelle treten könnte.“. Nach Thiel, S. 75, ist die Aufgabe der Sicherheitsgewährleistung aus den Stukturen des klassischen Gefahrenabwehrrechts „heraus gewachsen“. 31  Neben dem in dieser Arbeit allein zu behandelnden Polizeirecht betrafen weitere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts etwa die Eingriffsermächtigungen des Bundesnachrichtendienstes zur Fernmeldeüberwachung, die Einführung des „großen Lauschangriffs“ in der StPO, die Überwachung und Aufzeichnung des 29  Drs.-LT



A. Die Herausforderungen des Polizeirechts25

mehrfach Gegenstand verfassungsgerichtlicher Entscheidungen. Auf Ebene der Landesverfassungsgerichte sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Urteile zu den jeweiligen polizeigesetzlichen Regelungen in Bayern,32 Brandenburg,33 Mecklenburg-Vorpommern34 und Sachsen35 zu nennen, denen über ihre konkreten Gegenstände hinaus eine grundlegende Bedeutung für die Polizeirechtsdogmatik zukommt. Gleiches gilt für die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zur Fernmeldeüberwachung durch den Bundes­ nachrichtendienst,36 zum sog. Großen Lauschangriff,37 zur Zollfahndung nach dem Außenwirtschaftsgesetz,38 zur Telekommunikationsüberwachung nach dem niedersächsischen SOG,39 zur polizeilichen Rasterfahndung nach dem PolG NRW,40 zur automatisierten Kennzeichenerfassung nach dem hessischen und schleswig-holsteinischen Polizeirecht,41 zur sog. Onlinedurchsuchung nach dem VSG NRW42 sowie zuletzt zur Vorratsdatenspeicherung43. In den meisten der genannten Entscheidungen genügten die jeweiligen Eingriffsermächtigungen insgesamt oder zumindest teilweise nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.44 Die Defizite der Normen betrafen insbesondere deren hinreichende Bestimmtheit sowie die Wahrung der Angemessenheit im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.45

Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs durch das Zollkriminalamt sowie den Zugriff auf informationstechnische Systeme (sog. Onlinedurchsuchung) durch den Verfassungsschutz in NRW. Die in diesen Zusammenhängen getroffenen materiell verfassungsrechtlichen Aussagen beanspruchen indes auch für das Polizeirecht Geltung. 32  Bay. VerfGH, DVBl. 1995, 347 ff.; ders., NVwZ 2003, 1375 ff. 33  LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 ff. 34  LVerfG M-V, DÖV 2000, 71 ff. 35  Sächs. VerfGH, DVBl. 1996, 1423 (1431); ders., LVerfGE 14, 333 ff. 36  BVerfG, NJW 2000, 55 ff. 37  BVerfGE 109, 279 ff. 38  BVerfGE 110, 33 ff. 39  BVerfGE 113, 348 ff. 40  BVerfGE 115, 320 ff. 41  BVerfGE 120, 378 ff. 42  BVerfGE 120, 274 ff. 43  BVerfGE 125, 260 ff. 44  Lediglich die Eingriffsermächtigung zur Rasterfahndung nach § 31 Abs. 1 PolG NRW (a. F.) wurde im Gegensatz zu deren Anwendung von dem Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäß erachtet. Die landesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen betrafen indes jeweils eine Vielzahl von Normen, deren Verfassungskonformität im Einzelnen unterschiedlich bewertet werden musste. 45  Siehe auch die Rechtsprechungsanalyse von Trute, Die Verwaltung 2009, 85 ff.

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1. Teil: Einführung in das Problemfeld

V. Polizeirechtliche Aufgabenstellung Es ist dem Gesetzgeber also bislang nicht gelungen, den sich gegenwärtig stellenden Herausforderungen des Polizeirechts ein entsprechendes polizeiliches Reglement an Handlungsermächtigungen gegenüberzustellen, das sowohl zu deren Bewältigung geeignet ist sowie zugleich den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Auch das Schrifttum begleitet das derzeitige gesetzgeberische Reaktionsmuster überwiegend kritisch.46 So wird etwa eine „Erosion der Gefahrenschwelle und des Störerbegriffs“47 oder ein „Abschied von der konkreten Gefahr“48 bzw. ein „Abschied vom Polizeirecht des liberalen Rechtsstaats“49 bemängelt. Hilfreich sind diese Unkenrufe allerdings nicht. Das Polizeirecht und seine Dogmatik waren nie Selbstzweck, sondern nur ein Mittel zur Bewahrung oder Herstellung der Sicherheit im gerechten Ausgleich mit den grundrechtlichen Freiheitsrechten.50 Der kontinuierliche Wandel, dem der Polizeibegriff und das Polizeirecht von Beginn an unterlagen, muss auch im 21. Jahrhundert unvoreingenommen fortgeführt werden. Auch den genannten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen kann keine grundsätzliche Missbilligung der gesetzlichen Ausweitung des polizeilichen Eingriffsrepertoires entnommen werden, sofern dabei die von Verfassungs wegen bestehenden Rahmenvorgaben gewahrt bleiben.51 Zur Bewältigung dieser Herausforderung für die Dogmatik und die Gesetzgebung des Polizeirechts soll diese Arbeit einen Beitrag leisten.

46  Vgl. Denninger, in Bäumler, S. 13 (20 f.); Di Fabio, Jura 1996, 566 (568 ff.); Gusy, StV 1993, 269 ff.; Hoffmann-Riem, JZ 1978, 335 ff.; Kugelmann, DÖV 2003, 781; Lisken in Bäumler, S. 32 ff.; Möstl, DVBl. 2007, 581 ff.; Müller, StV 1995, 602; Riegel, DÖV 1994, 814 ff.; Roggan in Roggan / Kutscha, S. 184 ff.; Schoch, Der Staat 43 (2004) 347 ff.; Schoreit, DRiZ 1991, 320 ff.; Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser, S. 407 (414); Trute, GS Jeand’Heur, S. 403; ders., Die Verwaltung 2003, 501 ff. Demgegenüber etwa Käß, BayVBl. 2008, 225 ff. 47  Di Fabio, Jura 1996, 566 (568); Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser, S. 407 (414); Trute, in GS Jeand’Heur, S. 406 (410). 48  Müller, StV 1995, 602 ff.; Pitschas, Speyerer Arbeitsheft Nr. 121, 43, 56. 49  Schoch, Der Staat 43 (2004) 347 ff. Möstl, Staatliche Garantie, S. 31 f. spricht gar von einem Paradigmenwechsel von der traditionellen, singulären und retrospektiven Gefahrenabwehr zu einer modernen, umfassenden prospektiven Risikosteuerung. Ebenso Weber, S. 18; dagegen Thiel, S. 13. 50  Kugelmann, DÖV 2003, 781 (782); Weber, S. 38. 51  Vgl. in diesem Zusammenhang auch Volkmann, Jura 2007, 132 (135).



B. Methodik und Ziele der Untersuchung 27

B.B. Methodik Methodik und derZiele Problembehandlung der Untersuchung und Ziele der Untersuchung I. Gang der Untersuchung Die Fortentwicklung des Polizeirechts zur Bewältigung der Herausforderungen, die ihm die modernen Bedrohungslagen und die veränderten Rahmenbedingungen stellen, setzt zunächst eine Erfassung der überkommenen dogmatischen Strukturen und Mechanismen voraus, die bis heute nicht bis in ihre „feinsten Verästelungen“ hinein abschließend ergründet werden konnten. Schon von der Aufgabenstellung der Arbeit her können innerhalb dieser Behandlung nicht die einzelnen Standardbefugnisse im Vordergrund stehen oder gar jeweils dargestellt werden. Das klassische Gefahrenabwehrrecht dient im vorliegenden Zusammenhang der strukturellen Gegenüberstellung zu denjenigen Maßnahmen, welche dem Vorfeldrecht zugeordnet werden müssen, um dessen Defizite sowie die Diskrepanzen zwischen beiden Normenkomplexen aufzuzeigen. Daher wird sich die Betrachtung der dogmatischen Struktur auf die polizeiliche Generalklausel konzentrieren und hier ihr Augenmerk neben den Maßnahmenadressaten und der sich jeweils anschließenden Rechtsfolgen im ganz besonderen Maße auf die Struktur und die Ermittlung der konkreten Gefahr als Eingriffsschwelle und damit Basis des polizeilichen Eingriffs richten. Auf Grundlage dieser Analyse kann der Blick anschließend auf die in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehenden Vorfeldbefugnisse gerichtet werden. Die klassische Polizeirechtsdogmatik fungiert in diesem Zusammenhang als Maßstab einer verfassungsmäßigen Umsetzung des dem Polizeirecht zugrunde liegenden Ausgleichs zwischen Sicherheit und Freiheit,52 so dass nunmehr Parallelen und Defizite des Vorfeldrechts gegenüber der tradierten Dogmatik ausgemacht werden können. Bis zu diesem zweiten Abschnitt der Arbeit erfolgt die Verwendung des Begriffs des Vorfeldrechts ohne dessen Inhalt im Einzelnen näher zu hinterfragen, er dient vielmehr schlicht der Abgrenzung von der bekannten Gefahrenabwehrdogmatik. Wie aber im Folgenden noch zu zeigen sein wird, handelt es sich bei den dem klassischen Gefahrenabwehrrecht gegenüberstehenden Eingriffsbefugnissen keineswegs um eine homogene Einheit. Selbst die Grenzziehung zwischen den den beiden Normenbereichen jeweils zuzuordnenden Eingriffsbefugnissen ist keineswegs so eindeutig, wie sie auf dem ersten Blick zu sein scheint. Ohne vorherige Bestimmung und Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes ist aber eine zumal maßnahmenüber52  Kugelmann,

DÖV 2003, 781 (782).

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1. Teil: Einführung in das Problemfeld

greifende, dogmatische Arbeit zum Scheitern verurteilt. Daher wird sich der dritte Textabschnitt zunächst mit der Begrifflichkeit der Vorfeldbefugnis als solcher befassen. Hierbei ist von einem funktionalen Verständnis auszu­ gehen, welches schlicht dazu geeignet sein soll, die Betrachtung dieses Rechtsgebiets abschließend und umfänglich zu ermöglichen. Zunächst überraschend wird an dieser Stelle die ausführliche Behandlung des Eingriffsbegriffs neben dem des Vorfeldes erscheinen. Selbstverständlich sind die hier aufgeworfenen Rechtsfragen nicht von solcher Exklusivität, dass sie eine neue grundrechtliche Dogmatik erfordern würden. Allerdings werden mit der Ausdehnung des polizeilichen Eingriffsrechts über dessen klassisches Anwendungsfeld hinaus auch in grundrechtlicher Dimension neue Fragen aufgeworfen, denen über das einzelne Rechtsgebiet hinaus eine Bedeutung zukommt. Bereits im vorherigen Textabschnitt wurde das gewandelte Grundrechtsverständnis, insbesondere beruhend auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, genannt. Neuartige eingreifende Handlungsformen machen eine Modifikation des verfassungsrechtlichen Maßstabs oder zumindest dessen Erörterung unumgänglich. Letztlich will diese Arbeit aufzeigen, dass das tradierte Eingriffsverständnis in seiner engen Auslegung zur Bewältigung der sich aus den Vorfeldmaßnahmen ergebenden Gefahren für die Grundrechtsausübung nicht geeignet ist und daher diese betreffende Anpassungen erfordert. Auf Grundlage der so vorgenommenen Abgrenzung kann eine Systematisierung des derzeitigen Vorfeldrechts erfolgen. Die Arbeit erhebt dabei nicht den Anspruch, die Besonderheiten und Probleme einzelner Maßnahmen erschöpfend zu beschreiben. Ziel ist es vielmehr, Gemeinsamkeiten und Unterschiede des aktuellen Normenbestandes maßnahmenübergreifend darzustellen, um die übereinstimmenden Grundstrukturen herausarbeiten zu können. Die Abgrenzung der Maßnahmenarten erfolgt anhand ihrer Eingriffsschwellen. Schon im vorherigen Textabschnitt wurde auf die verfassungsrechtlichen Defizite der neuartigen Eingriffsermächtigungen in ihrer gegenwärtigen Fassung hingewiesen, weshalb sie bereits mehrfach Gegenstand verfassungsgerichtlicher Entscheidungen waren. Daher soll mit der Beschreibung dieses Normenbestandes zugleich eine kritische verfassungsrechtliche Würdigung seiner Eingriffsschwellen einhergehen. Gleiches gilt für die Maßnahmen­ adressaten und die sich anschließenden Rechtsfolgen. In diesem Zusammenhang werden die Strukturen und Voraussetzungen nach der derzeitigen Vorfelddogmatik näher beleuchtet und ihre Schwachstellen aufgezeigt. Zur Kompensation dieser Defizite werden Änderungen der vorhandenen Eingriffsgrundlagen für die Gesetzgeber unausweichlich sein. Insgesamt wird sich aus dieser Betrachtung eher ein ernüchterndes Fazit hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit des derzeitigen Vorfeld­ rechts mit den grundgesetzlichen Vorgaben ziehen lassen. Daher ist es von



B. Methodik und Ziele der Untersuchung 29

Nöten, sich in einem vierten Teil der Arbeit grundsätzlich der verfassungsrechtlichen Legitimation der Vorverlagerung polizeilicher Eingriffsbefugnisse zuzuwenden. Der Blick des Betrachters wird an dieser Stelle von einem eher negativ besetzten Verständnis des Vorfeldrechts als Freiheitsbeschränkung auf dessen Kehrseite als Gewährleistung oder gar erst Ermöglichung der staatlichen Sicherheitsgarantie gelenkt. Abschließend wird auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse ein Rechtsgüterschutzmodell entwickelt. Das Rechtsgüterschutzmodell besteht aus sechs Maßnahmenstufen und schließt sowohl das traditionelle Gefahrenabwehrrecht wie auch das Vorfeldrecht ein. Die Maßnahmenstufen differenzieren sich anhand ihrer Eingriffsschwellen. Das Lösungsmodell berücksichtigt die im dritten Teil der Arbeit gewonnenen verfassungsrechtlichen Erkenntnisse und bildet hierauf aufbauend zum Teil neue Eingriffsschwellen heraus. Besondere Bedeutung kommt in diesem Rahmen der Gewichtung der Maßnahmenarten und deren Eingriffsintensität zu, die letztlich für die Einordnung in die jeweiligen Maßnahmenstufen und damit für die Eingriffsschwelle maßgeblich sind. Neben der in dieser Weise vorzunehmenden Systematisierung sind allgemeine Aussagen zur Aufgabenzuweisung, den Maßnahmenadressaten, dem Kernbereichsschutz sowie den Kompensationsmöglichkeiten stufenübergreifend vorzunehmen.

II. Ziel der Untersuchung Der Anspruch der Arbeit wurde bereits eingangs genannt. Sie möchte einen Beitrag dazu leisten, die sich dem modernen Polizeirecht stellenden Herausforderungen zu bewältigen, und dadurch den kontinuierlichen Wandel, dem das Polizeirecht seit jeher unterlag, im 21. Jahrhundert fortführen. Seine Dogmatik muss hierzu funktional innerhalb der ihr auferlegten Rahmenvorgaben zwischen der polizeilichen Aufgabenstellung und den verfassungsrechtlichen Grenzen begriffen werden.53 Den Gegenstand der Dogmatik bildet das geltende Recht. Sie umschreibt dessen durch Wissenschaft und Rechtsprechung herausgebildete Systematik, Grundsätze wie auch Ableitungszusammenhänge und ermöglicht erst dadurch eine kohärente Lösung konkreter Rechtsfragen unterschiedlicher Sachverhalte.54 Erst die Rechtsdogmatik schafft damit die unerlässlichen 53  Zum Verhältnis zwischen Verfassungsrechtsdogmatik und Rechtspolitik in ­ nbetracht des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums Wahl in Stürner, S. 121 A (131 f.). 54  Dazu ausführlich Würtenberger in Stürner, S. 3 (5 ff.). Siehe auch Roellecke, JZ 2011, 645 (646); Wahl in Stürner, S. 121 (124).

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1. Teil: Einführung in das Problemfeld

Voraussetzungen der rechtsstaatlich geforderten Rechtssicherheit.55 Sie bildet keinen Selbstzweck, sondern besitzt eine dienende Funktion zur sachund praxisgerechten Aufbereitung des Rechts, und muss sich dementsprechend bei gewandelten Verhältnissen einer Revision unterziehen, sofern die bisherige dogmatische Gestalt den neuen Bedingungen nicht mehr genügen kann.56 Bietet das geltende Recht der Dogmatik in Anbetracht der gewandelten Aufgaben jedoch keinen geeigneten Rahmen zur Bewältigung dieser Herausforderungen, schließen sich Forderungen nach einem gesetzgeberischen Tätigwerden an. Konkret bedeutet das für diese Arbeit, dass sie zunächst eine Bestandserfassung der aktuellen Vorfeldbefugnisse vornehmen muss. Ein Blick in die Landespolizeigesetze zeigt, dass mit der Normierung der Vorfeldbefugnisse nicht nur inhaltlich, sondern auch systematisch höchst unterschiedlich verfahren wird.57 Strukturelle Übereinstimmungen und Divergenzen werden teils völlig übersehen oder ignoriert. Allein durch eine in sich stimmige Systematisierung der vorhandenen Eingriffsermächtigungen kann jedoch schon ein hohes Maß an Klarheit gewonnen werden und die anschließende Diskussion maßnahmenübergreifend und von einem gemeinsamen Horizont her geführt werden. Weiteres Ziel der Arbeit muss es sein, die vorhandenen Defizite unvoreingenommen aufzuzeigen und zu belegen. Zur besseren Veranschaulichung ist daher eine Gegenüberstellung mit dem klassischen Gefahrenabwehrrecht unausweichlich. Den aufgezeigten Defiziten ist im Anschluss ein Lösungsansatz gegenüberzustellen. Dabei wird diese Arbeit sich jedoch nicht auf eine einzelne Maßnahme und deren Spezifika konzentrieren, sondern übergreifende Darstellungen und Problemlösungen behandeln und darstellen. Aus dem Anspruch der Arbeit, die bisherige polizeirechtliche Dogmatik zur Bewältigung der gegenwärtigen Diskrepanzen fortzuschreiben, ergibt sich die selbst auferlegte Bindung an die Aussagen und Begrenzungen, die durch die oben aufgezeigte Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt wurden.58 Die Arbeit wird aufzeigen, wie sich der 55  Wahl

in Stürner, S. 121 (127 f.); Würtenberger in Stürner, S. 3 (5). VVDStRL 30 (1972), 245 (249); Cremer, S. 20; Selb, FS Larenz, S. 605 (607); Wahl in Stürner, S. 121 (129 ff.) m. w. N.; Würtenberger in Stürner, S. 3 (15 f.). Zu einem entsprechenden Revisionsbedarf im Polizeirecht Aulehner, S. 476; Pieroth / Schlink / Kniesel, in ihrem Vorwort (bereits Fn. 30); Volkmann, NVwZ 1999, 225 (228 f.). Am Beispiel des Bauplanungs- und Umweltrechts Wahl in Stürner, S. 121 (126 f.). 57  Zum Vergleich der polizeigesetzlichen Systematik siehe 3. Teil B. sowie D. 58  Dazu kritisch Möstl, DVBl. 2010, 808 ff. 56  Brohm,



B. Methodik und Ziele der Untersuchung 31

gesetzgeberische Wille zur Erweiterung des polizeilichen Eingriffsfeldes über die Grenzen der klassischen Polizeirechtsdogmatik hinaus in den namentlich von dem Bundesverfassungsgericht begrenzten Handlungsrahmen einfügen lässt. Eine materielle Bewertung der Vorverlagerung und Erweiterung der polizeilichen Eingriffsermächtigungen auf ihre Tauglichkeit und Sinnhaftigkeit zur Bewältigung der modernen Aufgabenstellungen wird bewusst nicht vorgenommen. Ziel der Bearbeitung ist es, dem Gesetzgeber, sofern er, wie gegenwärtig übereinstimmend auszumachen ist, eine Ausdehnung des polizeilichen Handlungsfeldes als notwendig erachtet, eine abschließend definierte Dogmatik zur Verfügung zu stellen, welche seine Zielsetzungen unter Berücksichtigung der Sicherheits- wie Freiheitsinteressen in ein verfassungskonformes polizeirechtliches Gesamtkonzept setzt. Diese Zielsetzung führt auf der anderen Seite zugleich zu einer Begrenzung der Untersuchung, als sie sich auf die mit diesen Herausforderungen konfrontierten Eingriffsermächtigungen und deren verfassungsgerichtlich beanstandeten Defizite beschränkt. Keinen Gegenstand dieser Arbeit bilden demzufolge die Verordnungsermächtigungen auf Grundlage eines abstrakten Gefahrenurteils in den Polizei- und Ordnungsgesetzen, auch sofern mittels solcher gegebenenfalls bereits im Vorfeld von konkreten Gefahren liegende Beeinträchtigungspotenziale bekämpft oder ausgeschlossen werden sollen. Ebenso können in diesem Rahmen europarechtliche Bezüge des modernen Sicherheitsrechts sowie das Verhältnis zwischen Polizei und Nachrichtendiensten ausgeklammert werden. Von einer grundsätzlichen, über das Polizeirecht hinausgehenden Betrachtung und Untersuchung einer Risiko- und Vorsorgedogmatik soll ebenfalls abgesehen werden. Gleiches gilt für die datenschutzrechtlichen Vorgaben und Voraussetzungen, welche auch über das Polizeirecht hinaus allgemein Geltung beanspruchen.

III. Fallbeispiele Eine so umfassende und abstrakte Darstellung läuft Gefahr, an praktischer Anschaulichkeit zu verlieren. Um dem entgegenzuwirken und die Anwendbarkeit der hier getroffenen Aussagen nachzuweisen, sollen drei Fallbeispiele den Gang der Arbeit begleiten. Sie werden an den entsprechenden Stellen der Bearbeitung aufzugreifen sein. 1. Fall: „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“ In der Vergangenheit ist es in der Innenstadt der Bergischen Stadt W wiederholt zu zahlreichen Straftaten gekommen. Betroffen war vor allem die Fußgängerzone zwischen dem Johannes-Rau-Platz und dem etwa 500 m

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1. Teil: Einführung in das Problemfeld

entfernten Alten Markt. Dieser erst in den letzten Jahren mit zahlreichen Bänken und Tischen sowie kleinen Grünflächen und einem Brunnen renovierte Bereich hat sich zum Ärger der Stadtverwaltung zu einem beliebten Treffpunkt der lokalen Drogenszene entwickelt. Obwohl dort kein nach außen hin erkennbarer Handel oder Konsum von Drogen stattfinde, würden nach Erkenntnissen der Polizei an diesem Ort gemeinschaftliche Diebstahlsgelegenheiten und Absatzmöglichkeiten für gestohlene Waren sowie Drogenkäufe organisiert. Gesicherte Erhebungen belegen daneben, dass sich rund 10 % aller in W erfassten Straftaten auf den fraglichen innerstädtischen Bereich lokalisieren lassen. Berücksichtigt man indes lediglich die Straßenkriminalität und rechnet Diebstähle in und aus Kraftfahrzeugen, denen in der genannten Fußgängerzone keine Bedeutung zukommen kann, aus der Statistik heraus, so liegt die Quote gar bei über 20 %. Im Januar 2011 installiert die zuständige Polizeibehörde daher 8 Videokameras, die sowohl eine Bildaufzeichnung als auch eine bloße Bildübertragung ermöglichen. Die Einsatzleitung beschließt, es grundsätzlich bei der Einsatzform der bloßen Videobildübertragung zu einem Monitor im Polizeipräsidium zu belassen und eine Aufzeichnung lediglich in den besonders stark frequentierten Zeiten (Wochenenden, bei Festen und Märkten oder sonstigen vergleichbaren Anlässen) durchzuführen. Daneben soll die Anlage jedoch infolge von dringenden Sparzwängen zeitweise auch ganz außer Betrieb genommen werden. Wann dies geschieht, wird aus Sicherheitsgründen nicht bekannt gegeben. Man erhofft sich aber auch von den abgeschalteten Kameras eine gewisse Abschreckungs- und Lenkungswirkung. Zusätzlich wird durch mehrere Hinweisschilder vor Ort auf die „Videoüberwachung des Zentrums der Innenstadt von W“ hingewiesen. Im Mai 2011 beabsichtigt ein loser Zusammenschluss, der sich „Freundeskreis des Dialogs zwischen den Kulturen und Religionen“ nennt und aus den Studenten A, B und C besteht, in der Innenstadt von W an mehreren Samstagen einen kleinen Informationsstand zu errichten. Auf einem Banner soll das Thema „Freiheit am Hindukusch – Solidarität mit dem Islam“ groß angekündigt werden. Wie schon bei ähnlichen Veranstaltungen in den letzten Jahren bestehen keine straßenrechtlichen Probleme. Die Initiatoren fühlen sich von der neu installierten Technik jedoch eingeschüchtert, A und B haben soeben erfolgreich ihr juristisches Staatsexamen absolviert und hoffen auf eine baldige Einstellung in den Staatsdienst. Sie fürchten, dass ihnen durch ihre Erfassung bei der Durchführung des Standes Nachteile entstehen könnten. Es wird daher erwogen, die Veranstaltung abzusagen oder zu verlegen.



B. Methodik und Ziele der Untersuchung 33

Abwandlung: Die Polizei hat Ende April 2011 in der Innenstadt von W einige Identitätsfeststellungen durchgeführt. Dabei wurden mehrere jugendliche Personen osteuropäischer Herkunft ermittelt, von denen teilweise bekannt ist, dass sie einer ausländischen Bande angehören, welche sich professionell auf so genannte Blitzeinbrüche in Juweliergeschäften spezialisiert hat, bei denen selbst auf Menschenleben keine Rücksicht genommen wird. Die Polizei möchte daher die Innenstadt von W, in welcher insgesamt acht Juweliere ihre Geschäfte betreiben, zunächst für die nächsten 14 Tage mittels Videokameras überwachen. 2. Fall: „Die Sauerlandgruppe II“ Nach der Veröffentlichung der 92.000 brisanten Militärakten über den Afghanistan-Einsatz durch Wikileaks Ende Juli 2010 ist eine erhöhte Bedrohungslage für militärische Einrichtungen der verbündeten NATO-Staaten zu verzeichnen. Der Unmut richtet sich im besonderen Maße gegen die USA. Mitte August 2010 stellt die Polizei vor der US Air Base in Ramstein im Rahmen einer Streifenfahrt zum Schutz des Objekts die Identität von drei sich dort in einem PKW aufhaltenden jungen Männern, Fritz G., Adem Y. und Daniel S., fest. Nachfolgende Datenabgleiche weisen darauf hin, dass sich die entsprechenden Personen im Sommer 2008 gemeinsam im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aufgehalten haben. Die Polizei möchte daher die Telefonkommunikationsverbindungen zwischen den Betroffenen überwachen. 3. Fall: „Der künftige Amokläufer“ Der 18 jährige Schüler A ist Mitglied eines Schützenvereins und besucht die 12. Klasse des städtischen Gymnasiums in B. Auch sein Vater ist Hobbyschütze und verwahrt zu Hause mehrere Waffen, die auch von A regelmäßig genutzt werden. Mangels ausreichender Leistungen wird er nicht in die 13. Klasse versetzt. Am Abend zu Beginn der Sommerferien nimmt er „Abschied“ von einigen Freunden aus seiner bisherigen Jahrgangsstufe. Der Alkohol fließt aus diesem Anlass in größeren Mengen. Im Rausch erklärt A, „dass die Wiederholung der 12. Klasse ohnehin keinen Sinn mache, da ihm die Lehrer X und Y erneut seine Zukunft verbauen würden. Man müsse in der Schule mal ordentlich wie in Erfurt und Winnenden aufräumen.“ Eine Mitschülerin ist wegen dieser Äußerungen äußerst besorgt und sucht daher am ersten Ferientag gleich die nächste Polizeibehörde auf. Die Polizei möchte zunächst eine Onlineüberwachung vornehmen, um in diesem Rahmen Hinweise auf die Tatentschlossenheit des A zu erhalten.

2. Teil

Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik Als Fundament einer Analyse und Systematisierung der polizeilichen Vorfeldbefugnisse muss zunächst eine eingehende Betrachtung der sie nicht adäquat erfassenden, hergebrachten Polizeirechtsdogmatik vorgenommen werden. Diese Untersuchung beschränkt sich indes auf eine generelle und grundsätzliche Analyse der klassischen polizeilichen Eingriffsbefugnisse. Auf einzelne Standardmaßnahmen und deren spezifischen Besonderheiten kann und muss in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden. Ziel ist es, das übereinstimmende Grundmuster und die maßnahmenübergreifenden Strukturen der hinter diesen Normen stehenden Dogmatik darzustellen, soweit diese für die Gegenüberstellung mit den Vorfeldbefugnissen relevant sind. Den Gegenstand der Untersuchung bildet daher die polizeirechtliche Generalklausel. Dabei empfiehlt sich eine Untergliederung der Behandlung in Eingriffsschwelle, Maßnahmenadressat und Rechtsfolge.

A. Eingriffsschwelle Traditionell setzen die polizeilichen Eingriffsbefugnisse das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus.1 Diese Eingriffsschwelle markiert die Grenze zwischen der zulässigen Ausübung der bürgerlichen Freiheitsrechte und der dem Staat zukommenden Eingriffssphäre aufgrund der Gefährdung 1  So schon § 14 Abs. 1 Pr. PVG (1. Teil, Fn. 12), dem die Generalermächtigungen der heutigen Polizeigesetze nachempfunden sind; siehe auch Poscher, Die Verwaltung 41 (2008), 345 (363). In den Standardbefugnissen erfährt der Gefahrenbegriff mitunter Modifikationen. In Abhängigkeit von der Eingriffsintensität der jeweiligen Maßnahme wird etwa eine besondere zeitliche Nähe, bspw. eine unmittelbar bevorstehende Gefahr bzw. die Begehung oder Fortsetzung einer Straftat (z. B. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW) oder auch eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (z. B. eine „dringende Gefahr“ in Art. 34d Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Bay. PAG) oder eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit und eine besondere zeitliche Nähebeziehung (bspw. eine „gegenwärtige Gefahr“ in § 41 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW), sowie auch die Bedrohung qualifizierter Schutzgüter (z. B. wiederum § 41 Abs. 1 Nr. 4 PolG NRW) vorausgesetzt. Weiter­ gehend zu den qualifizierten Gefahrbegriffen Denninger in Lisken / Denninger, E  Rn. 52 ff.



A. Eingriffsschwelle35

­polizeilicher Schutzgüter.2 Schadensträchtige Umstände im Vorfeld dieser Stufe werden um der grundrechtlich geschützten Freiheit Willen im demokratisch verfassten Rechtsstaat hingenommen.3 Allgemein wird die konkrete Gefahr als eine Sachlage definiert, die bei ungehindertem Fortgang des Geschehens im einzelnen Fall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zum Eintritt eines Schadens an einem polizeilichen Schutzgut führt.4 Nach dieser Definition setzt sich der konkrete Gefahrenbegriff aus drei auf den Einzelfall bezogenen Grundelementen – dem in der jeweiligen Situation befürchteten Schaden an einem der Schutzgüter, der den Eingriffsanlass bildenden Sachlage sowie dem diese Elemente verknüpfenden Wahrscheinlichkeitsurteil – zusammen. Diese drei Grundelemente der Eingriffsschwelle werden im Folgenden näher beleuchtet.

I. Bedrohungspotenzial: Der Schaden an einem polizeilichen Schutzgut Der Schaden wird als eine objektive Minderung des in der konkreten Situation betroffenen Schutzgutes definiert.5 Ist ein Schadenseintritt nicht erst zu erwarten, sondern hat sich ein solcher bereits realisiert, wird von einer Störung gesprochen, deren Beseitigung ebenfalls gestützt auf die polizeilichen Gefahrenabwehrbefugnisse erfolgen kann.6 Schutzgut ist nach sämtlichen Polizeigesetzen die öffentliche Sicherheit, die selbst wiederum auf die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, die subjektiven Rechte des Einzelnen7 sowie den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen und 2  Denninger in Huster  /  Rudolph, S. 85 (90); Murswiek, S. 140 f.; Trute, GS Jeand’Heur, 403 (406 f.); Weber, S. 37 f. Möstl, Staatliche Garantie, S. 180 ff. bezeichnet die Gefahrenschwelle als eine „Scheidelinie“. 3  Roggan, NVwZ 2001, 134 (141). 4  Eine entsprechende Legaldefinition der konkreten Gefahr enthalten beispielsweise § 2 Nr. 3 lit. a) Brem. PolG; § 2 Nr. 1 lit. a) Nds. SOG; § 3 Nr. 3 lit. a) SOG LSA. Siehe außerdem statt vieler anderer Albers, S. 33; Denninger in Lisken / Denninger, E Rn. 39; Gusy, Polizeirecht, Rn. 108; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 4 Rn. 6; Schenke, Polizeirecht, Rn. 69. 5  Gusy, Polizeirecht, Rn. 105; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 4 Rn. 3; Schenke, Polizeirecht, Rn. 73. 6  Schenke, Polizeirecht, Rn. 92. 7  Die Gefahrenabwehrbefugnisse zugunsten der Individualrechte werden jedoch durch das Subsidiaritätsprinzip eingeschränkt, sofern der Begünstigte die Möglichkeit besitzt, seine Rechte im Wege des gerichtlichen Rechtsschutzes zu verwirk­ lichen, vgl. etwa § 1 Abs. 2 PolG NRW.

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

Veranstaltungen sowie deren sonstige Hoheitsträger verweist.8 Die Polizeigesetze in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Saarland und Thüringen sehen daneben die öffentliche Ordnung als weiteres Schutzgut vor. § 3 Nr. 2 SOG LSA definiert diesen Begriff als „die Gesamtheit der im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung liegenden ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens betrachtet wird“.9 Die öffentliche Ordnung sieht sich vor allem aufgrund ihrer schweren Abgrenzbarkeit und ihrer Bestimmtheitsdefizite starker Kritik ausgesetzt. Da sich die inhaltliche Konkretisierung dieses Schutzgutes nicht auf eine gesetzgeberische Willensentschließung und einen in diesem Rahmen vorgenommenen Ausgleich der widerstreitenden Rechtspositionen zurückführen lässt, wird ihr teilweise die demokratische Legitimation zur Verkürzung der Ausübung grundrechtlicher Freiheitsrechte abgesprochen.10

II. Der tatsächliche Eingriffsanlass 1. Der Eingriffsanlass in der Dogmatik der Eingriffsschwelle Als zweites Grundelement des Gefahrenbegriffs muss die den Eingriffsanlass bildende Sachlage behandelt werden. Albers, die sich ebenfalls mit der Struktur des Gefahrenbegriffs befasst hat,11 qualifiziert diesen Aspekt nicht als eigenständiges Element, sondern versteht ihn als eine Komponente der Prognoserelation.12 Dem kann insoweit zugestimmt werden, als die 8  Legaldefinitionen finden sich etwa in § 2 Nr. 2 Brem. PolG; § 3 Nr. 1 SOG LSA. Siehe auch Albers, S. 30; Denninger in Lisken / Denninger, E Rn. 16 ff.; Gusy, Polizeirecht, Rn. 79; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 8 Rn. 3; Schenke, Polizeirecht, Rn. 53. 9  Dieses Begriffsverständnis findet erstmals in der Entscheidung Pr. OVGE 91, 139 (140) seine Anerkennung in der Rechtsprechung; im Übrigen etwa Denninger, in Lisken / Denninger, E Rn. 35; Gusy, Polizeirecht, Rn. 96; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 8 Rn. 46; Schenke, Polizeirecht, Rn 63. 10  Vgl. zum Meinungsstand m. w. N. Denninger, in Lisken / Denninger, E Rn. 35 ff. sowie Thiel, S. 56 ff. Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Problematik und dem Schadensbegriff als solchem bedarf es im Rahmen dieser Arbeit nicht, da, wie noch unter 3. Teil C. I. 1. a) aa) zu zeigen sein wird, Gegenstand der Vorfeldbefugnisse weder die öffentliche Sicherheit noch die öffentliche Ordnung, sondern vielmehr die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ist. 11  Albers, S. 33 ff. 12  Dies., S. 34 f.



A. Eingriffsschwelle37

Tatsachengrundlage gerade das Fundament des Wahrscheinlichkeitsurteils bildet und sie damit als eine mit diesem in einem untrennbaren Zusammenhang stehende Komponente interpretiert werden kann. Allerdings könnte mit der gleichen Argumentation auch die von Albers selbst vorgenommene Differenzierung zwischen diesem Prognose- und dem Schadenselement13 als bloßer Gegenstand der Prognose nivelliert werden. Zumindest vor dem Hintergrund dieser Arbeit bietet sich eine entsprechend weitergehende Untergliederung an, da gerade im Hinblick auf den noch zu behandelnden Vorfeldbereich fragwürdig ist, wieweit eine Vorverlagerung der Eingriffsschwelle erfolgen darf und wie der ihr vorausgehende Eingriffsanlass tatbestandlich verfasst sein muss. Erst eine dergestalt dreigliedrige Betrachtung gestattet es, dass Zusammenspiel dieser Elemente zu veranschaulichen und in dessen Folge Probleme und Lösungsansätze aufzuzeigen.14 Auch das Bundesverfassungsgericht geht in diesem Zusammenhang in ständiger Rechtsprechung von einer eigenständigen Bedeutung der Tatsachengrundlage aus, als es etwa fordert, dass sowohl die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad als auch an die Tatsachenbasis der Prognose in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung stehen müssen und, wie es anschließend weiter ausführt, gewährleistet bleiben muss, „dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen besitzen“.15 Da dem Tatsachenelement als letztlich einzigem objektiv fassbaren Ausgangspunkt der Maßnahme eine herausragende Bedeutung zukommt, muss dieses auch schon im Rahmen des Gefahrenbegriffs einer näheren und eigenständigen Betrachtung unterzogen werden.16 2. Der Eingriffsanlass zur Annahme einer konkreten Gefahr Die Annahme einer konkreten Gefahr setzt zunächst eine Diagnose der vorhandenen Ausgangslage voraus.17 Diese Diagnose kann sich nur auf gesicherte Tatsachen beziehen.18 Unter Tatsachen können nur objektiv feststehende Vorgänge der Vergangenheit oder Gegenwart verstanden werden. Selbstverständlich kann sich die Tatsachenbasis auch, wie Albers etwas 13  Dies.,

S. 33 f. das Vorfeldrecht 3. Teil C. I. 1. 15  BVerfGE 113, 348 (386); 115, 320 (360 f.); 120, 274 (327). 16  Auch Schoch, Schmidt-Aßmann / Schoch, 2. Kap., Rn. 87 betont die gegenüber der Prognose oftmals unterschätzte Bedeutung der Tatsachenbasis im Rahmen des Gefahrenbegriffs. 17  Schoch, Schmidt-Aßmann / Schoch, 2. Kap., Rn. 87. 18  Gusy, Polizeirecht, Rn. 111 f.; Lepsius, Jura 2006, 929 (935). 14  Für

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

unglücklich formuliert, auf angenommene Tatsachen stützen, sofern auf diese wiederum aus feststehenden, tatsächlichen Anhaltspunkten heraus geschlossen werden kann.19 Bloß angenommene Tatsachen sind damit ihrerseits auf eine objektive Tatsachenbasis angewiesen. Vage Anhaltspunkte oder gar Vermutungen ohne greifbaren, auf den Einzelfall bezogenen Anlass können keine ausreichende Grundlage für das zu fällende Wahrscheinlichkeitsurteil zur Annahme einer konkreten Gefahr bilden.20 Dass aufgrund festgestellter Tatsachen wiederum auf andere, nicht wahrgenommene Tatsachen geschlossen werden kann, welche ihrerseits erst die Annahme eines bevorstehenden Schadens rechtfertigen, ist dann aber erst eine Frage der auf der Diagnose beruhenden Prognose.21 Eine darüber hinausgehende Eingrenzung oder Qualifikation der Tatsachengrundlage wird von dem Gefahrenbegriff nicht vorausgesetzt. Im Gegenteil gewinnt er durch die lediglich durch das Erfordernis eines objektiv bestehenden Eingriffsanlasses eingeschränkte Offenheit gerade seine vielseits gerühmte Flexibilität22 und weist dem Staat andererseits insofern Grenzen auf, als dass den Bürger belastende Maßnahmen „ins Blaue hinein“ ausscheiden.23

III. Das Prognoseurteil: Die hinreichende Wahrscheinlichkeit Die Verknüpfung der beiden zuvor beschriebenen Elemente erfolgt durch das nun näher zu betrachtende Wahrscheinlichkeitsurteil. Im Rahmen dieser Prognoseentscheidung muss festgestellt werden, ob die vorhandene Tatsachenbasis die Annahme eines hinreichend wahrscheinlichen Schadenseintritts rechtfertigt.24 Anders als die zuvor geschilderte Diagnose, die ihren Bezugspunkt in der gegenwärtigen Sachlage findet, ist die Prognose auf die Vorhersage erst künftig eintretender Entwicklungen gerichtet. Da sich die 19  Albers,

S. 34. Siehe hierzu grundsätzlich Raabe, S. 120 f. 115, 320 (364) m. w. N. 21  Hofmann-Riem, FS Wacke, S. 327 (328), spricht von einem „diagnostizierten Wahrscheinlichkeitsurteil“. An dieser Stelle tun sich bereits Berührungspunkte mit dem sog. Gefahrenverdacht auf, dessen dogmatischen Besonderheiten sich richtigerweise auf das Grundelement des Eingriffsanlasses zurückführen lassen. Dazu 2. Teil A. III. 4. d). 22  Z. B. Möllers, NVwZ 2000, 383 f. 23  Damit genügt der Gefahrenbegriff auch der wiederholt vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Forderung, wonach Eingriffe „ins Blaue hinein“ von Verfassungs wegen von vornherein ausscheiden, BVerfGE 112, 284 (297); 115, 320 (361); 120, 378 (429). 24  Albers, S. 34 f. 20  BVerfGE



A. Eingriffsschwelle39

Zukunft nicht vorhersagen lässt, ist jeder Prognose eine gewisse Unsicherheit immanent.25 Um dieses Fehlerrisiko auf ein rechtstaatlich noch tolerierbares Maß zu begrenzen, verlangt der Gefahrbegriff die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Dabei stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien diese Beurteilung, zumal für den konkret handelnden Polizeibeamten, vorzunehmen ist. 1. Statistisch abgesicherte Erkenntnissätze Als auf den ersten Blick sehr griffigen Maßstab bietet sich der Rückgriff auf wissenschaftliche, insbesondere statistisch abgesicherte Erkenntnisse an. Die konkret vorliegende Tatsachengrundlage muss danach auf ihre Schadensanfälligkeit mit empirischen Daten abgeglichen werden. Darauf aufbauend können Kausalitätsbehauptungen über den weiteren Geschehensverlauf angestellt werden. Die Schadenswahrscheinlichkeit ließe sich anschließend quotenmäßig bestimmen. Bei eingehender Betrachtung stößt dieser Ansatz allerdings mehrfach auf Bedenken. Zunächst sei der rein tatsächliche, praktisch aber umso bedeutsamere Einwand gestattet, dass keineswegs für alle potentiell schadensstiftenden Kausalverläufe wissenschaftliche Statistiken und Erhebungen vorliegen, geschweige denn, dass diese dem handelnden Amtswalter in der konkreten Situation zugänglich wären.26 Im Bereich des auf spezielle Gefahrenpotenziale beschränkten Sonderordnungsrechts, wie beispielsweise dem Boden- oder Wasserschutz, kann von einer besonderen Sachkunde der handelnden Personen noch ausgegangen werden. Die spezialgesetzliche Normierung dieser Gefahrenabwehrbefugnisse geht zudem doch darauf zurück, dass sich der jeweils geregelte Sachbereich als besonders schadensanfällig erwiesen hat. Die drohenden Schäden basieren in aller Regel auf biologischen, chemischen oder physikalischen und somit naturwissenschaftlich nachweisbaren Ursachenzusammenhängen, die demzufolge bei feststehender Tatsachenbasis vorhersehbar und berechenbar sind. Für die hier betrachteten Polizeibehörden ist hingegen die Abwehr allgemeiner und insbesondere durch Straftaten und somit vom menschlichen Willen und Verhalten getragenen Schäden verblieben. Empirische Untersuchungen, welche es gestatten würden, aus einer vorausgehenden Handlung auf die weiteren Absichten und Verhaltensweisen eines Menschen zu schließen, sind nur begrenzt vorhanden und werden sich nur schwer auf eine individuelle Fallsituation übertragen lassen. 25  Raabe, S. 120. Die bloße Prognoseunsicherheit steht einer staatlichen Eingriffsermächtigung jedoch nicht grundsätzlich entgegen, ders., S. 79 f. 26  Leisner, DÖV 2002, 326 (329).

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

Hinzu kommt die von der Polizei erwartete Effektivität der Gefahrenabwehr, welche in den allermeisten Fällen einen Abgleich mit statistisch erhobenen Daten und Studien schon zeitlich nicht gestattet.27 Der bloße Rückgriff auf Statistiken muss darüber hinaus, selbst wenn er tatsächlich möglich wäre, auch aus Rechtsgründen verworfen werden. Die Abwehrbefugnisse setzen eine konkrete, mithin auf den Einzelfall bezogene Gefahrenprognose voraus, bei der sämtliche in der konkreten Situation als schadensrelevant zu beurteilende Kriterien einzubeziehen sind.28 Statistiken sind allenfalls dazu geeignet, die Annahme einer abstrakten Gefahr zu rechtfertigen.29 Von ihnen ausgehend kann aber nicht auf die Handlungsabsicht einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation geschlossen werden.30 2. Praktische Erfahrungssätze und Alltagswissen Als Alternative wird oftmals der Rückgriff auf so genannte praktische Erfahrungssätze oder Alltagswissen genannt.31 Dieser Maßstab hat sich allerdings als sehr fehlerhaft und insbesondere von subjektiven Einschätzungen geprägt erwiesen.32 Die Begriffe „praktische Erfahrungssätze“ und „Alltagswissen“ sind aus rechtlicher Sicht nichts anderes als inhaltsleere 27  Auch Gusy verweist in diesem Zusammenhang auf den Zeitdruck, dem die Polizei oftmals unterliegt und ihr dadurch nur einen geringen Raum zur Sachaufklärung belässt, Gusy, Polizeirecht, Rn. 115. 28  BVerfGE 103, 21 (39). In diesem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum genetischen Fingerabdruck betont das Gericht, dass bei der im Rahmen von § 81g Abs. 1 StPO zu treffenden Prognose eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Entscheidung erforderlich ist, so dass bloße Verweisungen auf Rückfallstatistiken diesen Anforderungen nicht genügen. Diese Grundsätze beanspruchen ebenfalls für das Polizeirecht Geltung. Poscher, Die Verwaltung 41 (2008), 345 (363); Trurnit, Die Polizei 2010, 341 (343). 29  Poscher, Die Verwaltung 41 (2008), 345 (363). 30  Gusy, Polizeirecht, Rn. 117. Gusy illustriert dieses Defizit dadurch, dass es zwar statistisch belegbar sei, dass, wenn jemand nachts mit dunkler Kleidung in dunklen Straßen in einem Villenvorort unterwegs ist, er dies in 1 % aller Fälle mit Einbruchsabsicht tut, über die Absicht der konkret betroffenen Person, die diese entweder aufweist oder eben nicht, dies jedoch keine Aussage trifft. Noch einleuchtender erscheint der Hinweis, dass aus einer Statistik über Würfelwürfe nicht auf den Wurf einer bestimmten Zahl mit dem nächsten Wurf geschlossen werden kann, dazu Darnstädt, S. 40. Vgl. auch Jaeckel, S.  94  m. w. N. 31  Chiu, S. 42. Dies dürfte in der praktischen Polizeiarbeit, in welcher zeitnahe Entscheidungen nötig sind, den Regelfall darstellen, so Gusy, Polizeirecht, Rn. 113. Weber, S. 29 nennt die Erfahrungssätze kumulativ neben wissenschaftlichen Erkenntnissen. 32  Poscher, Die Verwaltung 41 (2008), 345 (354). Siehe dazu auch die Schilderung der polizeilichen Praxis von Hoffmann-Riem, FS Wacke, S. 327 (340 f.).



A. Eingriffsschwelle41

und juristisch kaum überprüfbare Hülsen, die sich allein an dem praktischen Bedürfnis orientieren, dem handelnden Polizeibeamten in der konkreten Situation eine effektive Handhabe zur Verfügung zu stellen, ohne dabei auszusprechen, dass allein sein vernünftiges, aber eben subjektives Empfinden maßgeblich sei.33 Pointiert gesagt entscheidet allein das Bauchgefühl eines verständnisvollen Polizisten. Für ein an den rechtsstaatlichen Kriterien der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns ausgerichtetes Polizeirecht taugt dieser Ansätze daher nicht als Maßstab. 3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit a) Die Abwägungskriterien Scheiden empirische Untersuchungen und Alltagsannahmen als Basis der Wahrscheinlichkeitsaussage aus, stellt sich die Frage nach den alternativen Maßstäben zur Bemessung des Wahrscheinlichkeitsgrades. Dieser kann seinen Ausgangspunkt allein in dem dem Gefahrenbegriff normativ zugrunde liegenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit finden.34 Die Schadenswahrscheinlichkeit bemisst sich danach in einer Relation zwischen dem erwarteten Schadensausmaß, der Eingriffsintensität und der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Abwehrmittels sowie der Art und Beschaffenheit der den Eingriffsanlass bildenden Tatsachen.35 Mit zunehmendem Stellenwert und Gewicht des im konkreten Fall gefährdeten Rechtsguts reduzieren sich die 33  Besondere Bedeutung gewinnt dieser Ansatz für den subjektiven Polizeibegriff, dazu 2 Teil A. III. 4. a). 34  Denninger in Huster / Rudolph, S. 85 (92); Huster / Rudolph in Huster / Rudolph, S. 9 (18); Knemeyer / Keller, Sächs.VBl. 1996, 197 (201); Möstl, Staatliche Garantie, S. 187 f.; Volkmann, Jura 2007, 132 (136); Welsing, S. 191. 35  Auch das Bundesverfassungsgericht geht in seiner ständigen Rechtsprechung von einer auf dieser Basis beruhenden Wahrscheinlichkeitsaussage aus: BVerfGE 113, 348 (386): „Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut ist und je weitreichender es durch die jeweiligen Handlungen beeinträchtigt würde oder beeinträchtigt worden ist, desto geringere Anforderungen dürfen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger fundierend dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die auf die Gefährdung oder Verletzung des Rechtsguts schließen lassen.“ Ebenso oder ähnlich BVerfGE 100, 313 (392); 110, 33 (60); BVerfGE 115, 320 (360 f.): „Je gewichtiger die drohende oder erfolgte Rechtsgutbeeinträchtigung und je weniger gewichtig der Grundrechtseingriff ist, um den es sich handelt, desto geringer darf die Wahrscheinlichkeit sein, mit der auf eine drohende oder erfolgte Verletzung des Rechtsguts geschlossen werden kann, und desto weniger fundierend dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die dem Verdacht zugrunde liegen. Siehe daneben Trute, GS Jeand’Heur, S. 403 (407).

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

Anforderungen an die Prognosesicherheit, um eine hinreichende Schadenswahrscheinlichkeit annehmen zu können. Beispielsweise genügt dann bereits eine Tatsachenbasis mit einem proportional verringerten Aussagewert.36 Schon die vorherigen Aussagen belegen die außerordentliche Komplexität der vorzunehmenden Prognoseentscheidung, die auf der hohen Anzahl der ihr zugrunde liegenden Entscheidungskriterien beruht.37 Allerdings kann erst durch deren umfängliche Berücksichtigung eine Balance zwischen den widerstreitenden Interessen gefunden werden. Eine sich auf die Aspekte Eingriffsanlass und gefährdetes Rechtsgut beschränkende Abwägungsentscheidung würde einseitig zulasten der Interessen des Eingriffsadressaten ausfallen. In zahlreichen Fallkonstellationen, insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus, ließe sich ohne größere Schwierigkeiten ein immenses Schadenspotenzial annehmen. In der Konsequenz könnten schon die geringsten Anhaltspunkte und Verdachtsmomente nach diesem Maßstab eine hinreichende Wahrscheinlichkeit und damit einen Eingriff rechtfertigen.38 Von daher ist in die Abwägung ein Gegengewicht einzubeziehen, um den ebenfalls von dem Polizeirecht geschützten und gewährten bürgerlichen Freiheitsanspruch39 abzusichern. Von besonderem Gewicht ist hier die von der Abwehrmaßnahme ausgehende Eingriffslast. Eine besonders eingriffsintensive Maßnahme kann die Anforderungen an die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit „höher schrauben“. Die festgestellte Tatsachenbasis muss beispielsweise wesentlich fundierter sein bzw. deren Bewertung hat kritischer zu erfolgen. Ihre vollkommene Ausgewogenheit gewinnt die Abwägung aber erst durch die Einbeziehung der Erfolgsaussichten des polizeilichen Einschreitens. Dass die Abwägung für ein Eingreifen negativ ausfällt, sofern dadurch ein Schaden nicht verhindert werden kann, ist einleuchtend. Ihre eigentliche Relevanz gewinnt dieses Kriterium in der Fallkonstellation, in welcher der Schaden zwar durch ein gegenwärtiges Handeln der Polizei abgewehrt werden könnte, ein Zuwarten aber ebenfalls keine negative Auswirkung auf das bedrohte Rechtsgut bzw. eine spätere Gefahrenabwehrchance hätte. Die entscheidende Frage lautet folglich, ob eine Abwehr allein durch ein aktuelles Eingreifen in den angesetzten Kausalverlauf möglich ist.40 36  Gusy,

Polizeirecht, Rn. 119 f. Fabio, Jura 1996, 566 (568) spricht von einem mixtum compositum aus alltagsweltlicher Erfahrung und normativer Abwägung. 38  Vollmar, S. 140 f. 39  Di Fabio, Jura 1996, 566 (567). 40  Dabei ist zu beachten, dass allein auf das polizeiliche Tätigwerden als solchem und nicht auf die konkret beabsichtigte Maßnahme abgestellt wird. Die Frage, welche von mehreren möglichen Maßnahmen in der konkreten Situation den größten Gefahrenabwehrerfolg verspricht, wird erst im Rahmen des sog. Mittelauswahler37  Di



A. Eingriffsschwelle43

Fundament einer nach diesen Maßstäben getroffenen Wahrscheinlichkeitsaussage ist, dass alle für den konkreten Fall relevanten Tatsachen und ­Anhaltspunkte, sei es, dass sie eine Annahme stützen oder widerlegen, in diese Entscheidung einfließen. In diesem Zusammenhang können dann selbstverständlich auch wieder Erfahrungssätze verwendet werden.41 Bei ihnen handelt es sich aber nur um einen von mehreren abwägungsrelevanten Belangen, die entsprechend ihres Erwiesenheitsgrades als von dem Fall abstrakte und nur bedingt nachprüfbare, in aller Regel subjektiv beeinflusste42 Gesichtspunkte zu gewichten sind. Ermittlungsdefizite und Fehlbewertungen verfälschen die Wahrscheinlichkeitsaussage und begründen nur eine so genannte Putativ- oder Scheingefahr. Lassen sich einzelne Fragestellungen nicht abschließend beurteilen, so ist dies im Rahmen der Abwägung entsprechend eingriffserschwerend zu berücksichtigen. Jedoch nicht nur die der beabsichtigten Maßnahme vorausgehende Sachverhaltslage, sondern auch die übrigen Abwägungskomponenten wie insbesondere das durch den Schaden konkret betroffene Rechtsgut, sind exakt zu definieren, um einen gerechten Ausgleich und damit eine zutreffende Wahrscheinlichkeitsaussage zu treffen.43 Ohne eine solche Konkretheit muss die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit scheitern.44 b) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Abgrenzung zur mathematischen Wahrscheinlichkeitsberechnung Die so beschriebene Struktur des Wahrscheinlichkeitsurteils mag auf den ersten Blick überraschend wirken, da sie nicht, wie es der Begriff „Wahrmessens geprüft und darf nicht mit dem hiesigen Prüfungspunkt gleich gesetzt werden. Näher zur Abgrenzung Teil 2 A. III. 3. c). Grundlage dieser Abgrenzung ist das von Darnstädt, S. 75 ff. entwickelte Kriterium der letzten Abwehrchance. Siehe auch Chiu, S. 45, allerdings ohne Integration dieses Kriteriums in die Verhältnismäßigkeitsprüfung; Trute, GS Jeand’Heur, S. 403 (407); Weber, S. 37. 41  Trurnit, Die Polizei 2010, 341 (343). In seiner sehr umfassenden Arbeit über die Struktur und Bedeutung der Prognosetatbestände spricht Darnstädt, S. 49 ff. mit Bezugnahme auf die den vorliegenden Rahmen sprengende Arbeit von Hempel, Aspekte wissenschaftlicher Erklärungen, Berlin 1977 von der „Regel der maximalen Bestimmtheit“. Danach sind in das Explanans der (induktiven) Wahrscheinlichkeitsrelation sämtliche für die Beurteilung als relevant zu erachtenden Umstände der konkreten Situation einzubeziehen. 42  Dazu schon Teil 2 A. III. 2. 43  Gusy, Polizeirecht, Rn. 120; Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser, S. 407 (420). Vgl. auch Huster / Rudolph, in Huster / Rudolph, S. 9 (18 f.). 44  Lepsius, Jura 2006, 929 (935); Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser, S. 407 (423 f.).

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

scheinlichkeit“ nahelegt, versucht, eine von mathematischen Werten ausgehende Abgrenzung zwischen dem Grad der bloßen Möglichkeit einer Schadensrealisierung und deren Wahrscheinlichkeit bis zu deren hinreichenden Wahrscheinlichkeit vorzunehmen, sondern sich allein auf die Festlegung von Abwägungskriterien beschränkt. Eine für den juristischen Alltag gebräuchliche abstrakt-generelle Beschreibung der Abgrenzung zwischen Sicherheit und Freiheit, wie es der Gefahrenbegriff für sich in Anspruch nimmt,45 wird sich jedoch wegen der Vielzahl von Unbekannten innerhalb realer Lebenssachverhalte nie in einer Formel ausdrücken lassen.46 Jede Prognoseaussage beruht auf einer Relation zwischen einer mehr oder minder bekannten Ausgangslage und einem bestimmten Erfolg. Die ihr zugrunde liegende Tatsachenbasis, wie beispielsweise dem Wurf eines Würfels, ist isoliert betrachtet neutral, erst indem sie zu einem ganz bestimmten Erfolg in Beziehung gesetzt wird, etwa dem Wurf einer sechs, kann eine Aussage über den weiteren tatsächlichen Geschehensverlauf getroffen werden. Was für das Würfelbeispiel gilt, beansprucht umso mehr für die polizeiliche Arbeit Geltung. Die Beobachtung, dass drei vermummte Personen eine Bank betreten, sagt zunächst nichts über den weiteren Geschehensverlauf aus, sondern ist nur eine Feststellung der gegenwärtigen Lage. Es sind im Folgenden mehrer Szenarien denkbar, wie dass sich diese Personen ob der Witterung lediglich warm gekleidet haben, sich lediglich „auf einem Tripp“ mit ihren Motorrädern in entsprechender Kluft befinden und für den Ausflug noch etwas Geld benötigen oder die Bank überfallen möchten. Diese Entwicklungsmöglichkeiten müssen zu den Beobachtungen in tatsächlicher Hinsicht in Beziehung gesetzt und dabei sämtliches, verfügbares Wissen, wie etwa im Beispiel, dass es sich um einen heißen Sommertag handelt und weit und breit kein Motorrad zu sehen ist, in die Bewertung eingestellt werden.47 An dieser Stelle tun sich Parallelen zu der aus dem Straf- oder Deliktsrecht bekannten Kausalitätsprüfung auf. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass dort abgeschlossene Lebenssachverhalte einer Bewertung unterzogen werden, was auch für die Rechtswissenschaft einen Rückgriff auf naturwissenschaftliche Erkenntnissätze gestattet, während hier eine zukunftsbezogene Bewertung erfolgt. In der Mathematik wird das Verhältnis zwischen einer Ausgangslage und einem Erfolgseintritt mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung beschrieben. Im Rahmen des Rechts wird eine 45  Horn,

FS Schmitt Glaeser, S. 435 (453). FS Wacke, 327 (338). 47  Diese Bewertung wird ohne Rückgriff auf Erfahrungen und sog. Alltagswissen nicht auskommen. Wichtig ist aber, dass zwischen den objektiv feststehenden Tatsachen und den bloß unterstellten und erwarteten weiteren Verläufen unterschieden wird und diese Erkenntnisse auch entsprechend in der Abwägung gewichtet werden. 46  Hoffmann-Riem,



A. Eingriffsschwelle45

Relation typischerweise nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebildet. Allein eine an dem soeben beschriebenen Maßstab ausgerichtete Wahrscheinlichkeitsaussage verleiht dem Gefahrenbegriff zum einen die rechtstaatlich geforderte Bestimmtheit und zugleich die für das Polizeirecht unerlässliche Flexibilität, um für eine unbestimmte Vielzahl unvorhersehbarer Fallkonstellationen eine effektive Handhabe zur Verfügung zu stellen. Wie sehr diese mathematisch nicht definierbare Flexibilität für das Polizeirecht notwendig ist, veranschaulicht schon eine schlichte Gegenüberstellung zweier denkbarer Sachverhaltsgestaltungen. So ist es klar, dass etwa der rechnerische Wahrscheinlichkeitsgrad eines Schadenseintritts an personenbezogenen Rechtsgütern durch ein falsch parkendes Auto und der durch das Bersten eines Atomkraftwerkes angesichts der gänzlich unterschiedlichen Bedrohungspotentiale nicht übereinstimmen kann. Es wäre sachfremd, in beiden Fällen entsprechende Abwehrmaßnahmen an denselben rechnerischen Wahrscheinlichkeitswert zu knüpfen, zumal sich abgesehen von den drohenden Szenarien auch diese in ihren Charakteren gänzlich unterscheiden würden.48 c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Abgrenzung zum polizeilichen Ermessen Mit dem so gefundenen Maßstab der Prognoseentscheidung drängt sich aber im Folgenden die Frage auf, wie sich die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit innerhalb der Beurteilung der Gefahrenlage von jener im Rahmen des Mittelauswahlermessens unterscheidet. In beiden Fällen sind die gleichen Kriterien in die Abwägungsentscheidung einzustellen. Sollte es sich tatsächlich so verhalten, dass beide Abwägungsentscheidungen inhaltlich übereinstimmen, würde der Gefahrenbegriff seiner eigenständigen Bedeutung beraubt.49 Eine tiefergehende Betrachtung der an den verschiedenen Standorten im Prüfungsaufbau vorzunehmenden Rechtmäßigkeitsuntersuchungen zeigt allerdings, dass Prognose- und Ermessensentscheidung zu jeweils unterschiedlichen Bezugspunkten angestellt werden und sich danach inhaltlich nicht decken können. Im Rahmen der Prüfung der konkreten Gefahr steht die Frage im Raum, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen ist. Die konkrete Gefahr ist die Eingriffsschwelle, die jede polizeiliche Gefahrenabwehrmaßnahme „nehmen“ muss. Die Prüfung bezieht sich hier also auf die grundsätzliche Zulässigkeit 48  Beispiel nach Gusy, Polizeirecht, Rn. 119. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Raabe, S. 416; Ring, StV 1990, 372 (376). 49  Darnstädt, S. 76 spricht in diesem Zusammenhang von einem Zirkelschluss und erblickt das entscheidende Kriterium in der Einbeziehung des Zeitfaktors, also der letzten Abwehrchance innerhalb der Prognoseentscheidung.

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

eines polizeilichen Einschreitens. Im Fall des Mittelauswahlermessens werden, bei bereits grundsätzlich angenommenem Eingriffsanlass, mehrere zur Auswahl stehende und in ihre Eingriffsintensität und Effektivität sich unterscheidende Mittel bezogen auf die konkrete Gefahrensituation gegeneinander abgewogen. Dies wird bei dem Prüfungspunkt der Erforderlichkeit besonders deutlich. Bei der Prüfung des Vorliegens der Eingriffsschwelle steht dem Eingreifen nur die Alternative des Nichteingreifens gegenüber. Es wäre schon von der Fragestellung ausgehend verfehlt, hier mehrere Maßnahmen gegen­ einander abzuwägen. Der eindeutige Schwerpunkt dieses Prüfungsabschnitts liegt bei der Angemessenheit. Um eine aus dem Öffentlichen Recht bekannte Einteilung zu übernehmen, kann dieser Unterschied dadurch verdeutlicht werden, dass es bei der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsaussage um das „Ob“, während es bei dem Mittelauswahlermessen um das „Wie“ geht.50 Diese Entscheidung über das „Ob“ darf jedoch nicht mit dem der Polizei ebenfalls zustehenden Entschließungsermessen verwechselt werden. Auch dessen Ausübung setzt bereits die Annahme einer konkreten Gefahr voraus. Im Falle des Entschließungsermessens soll daher nicht über eine potenzielle Gefahrenlage, sondern über eine Reaktion auf ebendiese entschieden werden. Es stehen etwa die Alternativen zur Verfügung, mit Maßnahmen ohne Eingriffscharakter oder zunächst gar nicht auf die Gefahrenlage zu reagieren. An dieser Stelle fließen auch polizeitaktische Überlegungen mit ein.51 Die hier zu prüfende Verhältnismäßigkeit bezieht sich damit wie im Fall des Mittelauswahlermessens nur auf die Rechtsfolgenseite. Die eigenständige Bedeutung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Fall der hinreichenden Schadenswahrscheinlichkeit kommt insbesondere durch das dort zu prüfende Kriterium der letzten Abwehrchance zum Ausdruck.52 Dieser Gesichtspunkt findet bei dem Mittelauswahlermessen keine Berücksichtigung, er ist hier schon von der Fragestellung aus irrelevant. In diesem Zusammenhang könnte allenfalls innerhalb der Erforderlichkeit ein weiteres Zuwarten als milderes Mittel in Betracht gezogen werden, was aber angesichts der geforderten gleichen Eignung zur Zweckverfolgung in aller Regel zu verneinen sein wird. Zur Wahl steht daher an dieser Stelle nur noch der Rückgriff auf ein milderes Mittel, es wird aber nicht mehr über die Frage eines grundsätzlichen Einschreitens entschieden. Dem von Darnstädt53 auf50  Schon Schenke, FS Friauf, S. 455 (461) wies auf die ansonsten eintretende Relativierung des Gefahrenbegriffs hin, sollte jener in Abhängigkeit der jeweiligen Eingriffsmaßnahme zu treffen sein. 51  Rachor, in Lisken / Denninger, F. Rn. 120 ff. 52  Dazu Darnstädt, S. 75 ff. 53  Darnstädt, S. 81.



A. Eingriffsschwelle47

gestellten Kriterium der letzten Abwehrchance kommt damit bei der Annahme einer hinreichenden Schadenswahrscheinlichkeit eine entscheidende Bedeutung zu.54 4. Perspektivischer Bewertungshorizont Bisher ist die Perspektive, von der aus das Prognoseurteil gebildet wird, nicht näher hinterfragt worden. Diese Streitfrage, die an den Gegenbegriffen des objektiven und des subjektiven Gefahrenbegriffs festzumachen ist, ist dogmatisch für die Behandlung und Einordnung der Fallgruppen der sog. Anscheins- und Putativgefahr sowie des Gefahrenverdachts von elementarer Bedeutung.55 Übergreifende Gemeinsamkeit dieser „traditionellen“ Problemfälle ist, dass die Polizei zur Gefahrenabwehr eingeschritten ist, obwohl tatsächlich kein Schaden einzutreten drohte.56

a) Objektiver versus subjektiver Gefahrenbegriff Im Rahmen des objektiven Gefahrenbegriffs57 wird das Prognoseurteil von dem Wissensstand eines objektiv-idealen Polizeibeamten aus gebildet.58 Dieser fiktive Polizeibeamte zeichnet sich dadurch aus, dass er von allen situativen Erkenntnisbeschränkungen befreit ist und über sämtliches Wissen verfügt, das idealer Weise ex ante erreichbar ist.59 So sind ihm auch die Tatsachen und Erfahrungssätze bekannt, die der konkret handelnde Beamte aufgrund der situationsbedingten Begrenztheit seiner Erkenntnismöglichkeiten ex ante schuldlos nicht kennen konnte.60 54  Dazu

auch Pils, DÖV 2008, 941 (946). der praktischen Anwendung sind die Unterschiede letztlich marginal, Gusy, Polizeirecht, Rn. 114. 56  Betreffend die Gefahrenverdachtssituation, auf die sogleich noch näher eingegangen wird, sind selbstverständlich auch Fallvarianten denkbar, in denen tatsächlich der Eintritt eines Schadens droht. Diese Fallkonstellation ist aber völlig unproblematisch und ein Einschreiten wird einhellig als rechtmäßig erachtet. Vgl. auch Schenke, Polizeirecht, Rn. 91; Schwabe, DVBl. 1982, 653 (655). 57  Etwa Götz, § 6 Rn. 16; Gusy, Polizeirecht, Rn. 114; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 4 Rn. 31 ff. 58  Pils, DÖV 2008, 941 (946). 59  Dass das Prognoseurteil aus der ex ante Perspektive zu treffen ist, wird insbesondere daran deutlich, dass das spätere Ausbleiben des befürchteten Schadens die Richtigkeit der Prognose selbst nicht berührt. Jedem Prognoseurteil ist eine Ungewissheit immanent. Der Eintritt des Schadens ist keine Voraussetzung der Gefahr, siehe Gusy, Polizeirecht, Rn. 121; Poscher, Gefahrenabwehr, S. 114 ff.; Schneider, DVBl. 1980, 406 (407). 55  In

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

Demgegenüber liegt dem subjektiven Gefahrenbegriff das Urteil eines idealtypischen, verständigen, besonnenen und sachkundigen Polizeibeamten zugrunde.61 Nicht entscheidend ist demnach auch hier das Urteil der konkret handelnden Person, vielmehr wird auf einen normativ-subjektiven Wissenshorizont62 abgestellt.63 Der maßgebliche Unterschied zwischen den Gefahrbegriffen ist damit der, dass bei dem subjektiven Verständnis lediglich eine pflichtgemäße Sachverhaltsaufklärung und Abwägungsentscheidung vorausgesetzt wird, wohingegen der objektiven Perspektive alle vorhandenen Erkenntnisquellen zugrunde gelegt werden, auch wenn sie in der Entscheidungssituation vorwurfsfrei nicht erreichbar sind. Die zahlreichen, inzwischen traditionellen Diskussionen und Begriffsbildungen zu diesem Komplex64 versperren jedoch den Blick auf den dahinter stehenden Kern der 60

60  Ausführliche Darstellung des objektiven Gefahrenbegriffs bei Poscher, Gefahrenabwehr, S. 118 ff. An dieser Stelle sei auch auf die legendäre Grudekoks-Entscheidung des Pr. OVG, PrVBl. 38, 360 ff. verwiesen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sah ein Amtsvorsteher, wie rauchender Grudekoks in eine Scheune verbracht wurde und erkundigte sich anschließend bei der LandFeuersozietät, welche ihm dazu riet, den Koks aus der Scheune zu entfernen. Tatsächlich konnte sich der Koks aber nicht selbst entzünden, so dass auch keine Brandgefahr bestand. In Konsequenz des von dem Gericht vertretenen objektiven Gefahrenbegriffs wurde die anschließende Verfügung aufgehoben. Siehe auch BGH, DVBl. 1954, 813. 61  Hoffmann-Riem, FS Wacke, S. 327 (339); Ossenbühl, DÖV 1976, 463 (466); Poscher, Gefahrenabwehr, S. 118, der auf einen pflichtgemäß handelnden Polizeibeamten abstellt. Trotz der Grudekoks-Entscheidung des Pr. OVG, in der das Gericht konsequent einen objektiven Gefahrenbegriff anwandte, finden sich auch in der Rechtsprechung Tendenzen eines subjektiven Begriffsverständnisses vgl. Pr. OVGE 77, 333; BGHZ 5, 144 (148 f.). 62  Denninger schlägt vor, stattdessen von einem intersubjektivierten Wissensstand auszugehen, also auf eine von mehreren Betrachtern gleichermaßen angestellte Bewertung zurückzugreifen, Denninger in Lisken / Denninger, E. Rn. 46. 63  Hoffmann-Riem, FS Wacke, S. 327 (339). 64  Statt vieler anderer siehe Ossenbühl, DÖV 1976, 463 ff.; Pils, DÖV 2008, 941 ff.; Poscher, Gefahrenabwehr, S. 118 ff.; Schlink, Jura 1999, 169 ff.; Schneider, DVBl. 1980, 406 ff. Problematisch ist darüber hinaus, dass, wie auch Schenke, Polizeirecht, Rn. 83, beklagt, die Begriffe keineswegs einheitlich verwandt werden. So beschreibt Hoffmann-Riem, FS Wacke, S. 327 (328), eine Fallkonstellation als Anscheinsgefahr, die Poscher, NVwZ 2001, 141 (142), mit geringfügigen, aber für die rechtliche Beurteilung unwesentlichen Abweichungen als Gefahrenverdacht begreift. Bis heute ist es nicht gelungen, sich auf übereinstimmende Abgrenzungskriterien zwischen den Fallgruppen zu verständigen. So schlägt Poscher, Gefahrenabwehr, S. 120 vor, die Gefahrenverdachtssituation gegenüber der Anscheinsgefahr dadurch zu kennzeichnen, dass sich die Behörde bei ihrer Entscheidung der Unsicherheit ihrer Gefah­ renannahme bewusst ist. Diesem Ansatz erteilt Schenke in seinem Lehrbuch zum Polizeirecht, Rn. 81, 83, eine klare Absage, da jeder Amtswalter vernünftigerweise damit rechnen müsse, dass der prognostizierte Schaden ausbleibe und das vorge-



A. Eingriffsschwelle49

Problematik, inwiefern Umstände, die der Polizei zum Zeitpunkt ihres Einschreitens nicht bekannt sein konnten, objektiv jedoch vorlagen, sich auf das Rechtmäßigkeitsurteil über die jeweils getroffene Maßnahme auswirken. b) Die Scheingefahr Eine bloße Schein- oder Putativgefahr scheidet demnach unproblematisch nach beiden Ansätzen aus.65 Die Annahme einer Gefahr beruht in diesem Fall auf einem pflichtwidrigen Fehlurteil des konkret handelnden Polizeibeamten etwa aufgrund einer fehlerhaften oder unzureichenden Sachverhaltsermittlung oder der anschließenden Gefahrenbewertung. Die Annahme ist damit ausschließlich in der Person des die Maßnahme anordnenden Beamten begründet, dessen Wissens- und Erwartungshorizont unumstritten keine Maßgeblichkeit für die Beurteilung besitzt. c) Die Anscheinsgefahr Schwierigkeiten werfen hingegen die Fälle der sog. Anscheinsgefahr auf. Nach zutreffendem Begriffsverständnis werden hierunter Fallkonstellationen zusammengefasst, in denen die Polizei bei pflichtgemäßer Amtsausübung zu einem Gefahrenurteil gelangte, obwohl objektiv von Beginn an feststand, dass eine Schadensrealisierung nicht bevorsteht.66 Der subjektive Gefahrenbegriff kann hier unproblematisch eine Gefahr annehmen, da jeder besonnene und verständige Beamte zu demselben Urteil gelangt wäre.67 Dogmatisch nicht begründbar ist hingegen, wie bei Zugrundelegung eines rein objektiven Gefahrenbegriffs eine Gefahr angenommen werden kann.68 Der idealtypische Polizeibeamte verfügt über sämtliche Erkenntnisse den konkreten Fall betreffend. Er würde demnach in diesen Fällen nie zur Annahme einer Gefahr gelangen. Dennoch ist die Anscheinsgefahr heute allgemein als schlagene Unterscheidungskriterium damit jedem Wahrscheinlichkeitsurteil immanent sei. 65  Denninger, in Lisken  /  Denninger, E Rn.  49; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 4 Rn. 63 f. 66  Von dieser Fallkonstellation nicht erfasst sind solche Sachverhaltsgestaltungen, in denen sich ein prognostizierter Schaden lediglich nicht realisiert hat, obwohl sein Eintritt objektiv möglich gewesen wäre. So verhält es sich etwa, wenn eine Lawinenwarnung ausgerufen wird, sich tatsächlich jedoch kein Schneebrett löst. Die spätere Realisierung des Schadens ist keine Voraussetzung der Gefahr, Gusy, Polizeirecht, Rn. 122. 67  Pieroth / Schlink / Kniesel, § 4 Rn. 48. 68  Pils, DÖV 2008, 941 (946) spricht in diesem Zusammenhang von einer „gewissen Hinfälligkeit“ des objektiven Gefahrenbegriffs.

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

echte Gefahr anerkannt.69 Sofern dieser Systembruch offen ausgesprochen wird, lassen sich mehrere Gründe zu dessen Rechtfertigung finden.70 Letztlich scheint es wohl schlicht nicht zu behagen, eine pflichtgemäß getroffene Maßnahme mit dem Edikt der Rechtswidrigkeit zu versehen.71 Die damit einhergehende Subjektivierung des Polizeirechts und die sich daraus ergebenden Folgeprobleme sind hingegen nicht von der Hand zu weisen.72 Es sei an dieser Stelle noch einmal pointiert auf die Widersprüchlichkeit der Subjektivierung hingewiesen, dass der bloße, im Ergebnis unbegründete Anschein einer objektiven Tatbestandsvoraussetzung die Schwelle des Eingriffsrechts par excellence bilden können soll.73 Sofern daher an der Anscheinsgefahr festgehalten werden soll, wird man nicht umhinkommen, von einem subjektiven Gefahrenverständnis auszugehen. Dieser Perspektivwechsel würde in zahlreichen Fällen zu sachgerechten Ergebnissen führen. Deutlich wird dieses Bedürfnis etwa in den von Schneider74 gebildeten „Russisch-Roulette-Fällen“. In dem Ausgangsfall beschreibt Schneider die Fallkonstellation, dass A eine Patrone in eine der sechs Kammern eines Revolvers steckt und die Trommel anschließend so schnell dreht, dass es ausgeschlossen ist, die gefüllte Kammer im Auge zu behalten. Danach richtet er die Waffe auf den Fußgänger F. Tatsächlich befindet sich die Patrone nicht in der Schusskammer, was aber objektiv nicht einseh- und erkennbar ist. In dieser Fallvariante würden sowohl Objektivisten als auch Subjektivisten eine konkrete Gefahr annehmen. Umgekehrt würden beide 69  Gusy, Polizeirecht, Rn. 122; Pils, DÖV 2008, 941 (946); Schenke, Polizeirecht, Rn. 81. 70  Schlink, Jura 1999, 169 (171) führt für die mit der Anerkennung der Anscheinsgefahr verbundene Erweiterung des polizeilichen Handlungsspektrums insbesondere deren gegenüber den Anfängen des klassischen Polizeirechts gewachsene demokratische Legitimation an. 71  Jaeckel, S. 93; Schlink, Jura 1999, 169 (170). 72  Insbesondere müssen die auf das objektive Verständnis angelegten Entschädigungsregeln entsprechend modifiziert werden, vgl. Jaeckel, S. 97 ff.; Ossenbühl, S. 401 ff. In diesem Zusammenhang ergeben sich weitere Fragen betreffend die Maßnahmenadressaten. Bis heute ist die Bedeutung des sog. Anscheinsstörers nicht abschließend geklärt. Als solche können etwa die Personen angesehen werden, welche für den Anschein einer Gefahr (im Fall der Anscheinsgefahr) bzw. bei einem tatsächlich drohenden Schaden diejenigen, welche durch ihr Verhalten zurechenbar den Anschein erwecken, diese „echte“ Gefahr verursacht zu haben, so Schenke, ­Polizeirecht, Rn. 258 ff. Alternativ dazu versteht die h. M. unter dem Anscheinsstörer angelehnt an die Anscheinsgefahr denjenigen, welcher bei einem in Wirklichkeit bestehenden Schadenspotenzial für dieses verantwortlich wäre, so Rachor, in Lisken / Denninger, L Rn.  42. 73  Siehe auch die scharfe Kritik an der Gleichstellung der Anscheinsgefahr mit einer „echten“ Gefahr von Schwabe, DVBl. 1982, 653 (655). 74  Schneider, DVBl. 1980, 406 ff.



A. Eingriffsschwelle51

Ansätze in der Fallabwandlung, in welcher der Revolver eine Konstruktion aufweist, die einen Einblick in die Schusskammern gestattet, übereinstimmend eine Gefahr ablehnen, obwohl sich die objektive, auf die Gefahr bezogene Sachverhaltslage in keiner Weise verändert hat. Verändert hat sich lediglich ihre Wahrnehmbarkeit. Diese Fallkonstellation belegt, dass das Gefahrenurteil eben nicht nur in Abhängigkeit von der rein objektiv bestehenden Gefahrenträchtigkeit des Sachverhalts abhängt, sondern darüber hinaus weitere Elemente wie insbesondere ihre Erkennbarkeit der Entscheidung zugrunde zu legen sind.75 Die Berücksichtigung der Erkennbarkeit der Gefahrenlage kann auch bei einem objektiven Gefahrenverständnis nur als eine subjektive Komponente des Gefahrenbegriffs verstanden werden. Dass nicht das subjektive Urteil des konkreten Beamten maßgeblich sein kann, ist unumstritten, es wird daher auch nach dem subjektiven Begriff auf einen objektivierten Empfängerhorizont abgestellt. Ein „echtes“ objektives Gefahrenurteil wäre indes von jeglichem Kenntnisstand, auch dem eines bloß gedachten, idealisierten Beamten unabhängig, es käme einzig auf die objektiv bestehende Gefahrenlage an. Die Anerkennung der Anscheinsgefahr belegt damit, dass dem Gefahrenbegriff ein subjektiviertes Verständnis zugrunde liegt. Objektiver und subjektiver Gefahrenbegriff unterscheiden sich nur in einzelnen Nuancen, stimmen in ihrem Grundsatz und in der Fall­ anwendung aber in aller Regel überein.76 d) Der Gefahrenverdacht aa) Der Gefahrenverdacht im Überblick Gegenüber der Anscheinsgefahr weitaus streitiger ist die Behandlung und auch schon das Verständnis des so genannten Gefahrenverdachts.77 Allgemein werden diese Fallkonstellationen dadurch gekennzeichnet, dass 75  Diese Beobachtung kann darüber hinaus als weitere Stütze dafür hinzugezogen werden, dass das Wahrscheinlichkeitsurteil keine objektiv mathematisch berechenbare Größe ist, sondern von einer Vielzahl unterschiedlicher Komponenten abhängt und daher richtigerweise nur im Rahmen einer Abwägung der relevanten Belange gebildet werden kann, dazu schon 2. Teil A. III. 3. 76  Gusy, Polizeirecht, Rn. 114. 77  Siehe etwa Albers, S. 52 ff.; Schenke, Polizeirecht, Rn. 83. Meinungsverschiedenheiten bestehen insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit der getroffenen Schadensprognose. So wird der Gefahrenverdacht teilweise als eine Gefahr mit geringerer Eintrittswahrscheinlichkeit begriffen, etwa Darnstädt, S. 96; Knemeyer, ­ Polizeirecht, Rn. 96, dagegen Schenke, FS Friauf, S. 455 (459). Zusätzliche Irrita­ tionen schafft, dass der Gefahrenverdacht im Bereich des Umweltrechts überwiegend so verstanden wird, dass darunter Sachverhalte zusammengefasst werden, deren naturwissenschaftliche Zusammenhänge bisher noch nicht hinreichend erforscht sind

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

der Polizei Tatsachen bekannt sind, die auf die Möglichkeit eines bevorstehenden Schadenseintritts und damit einer Gefahr hindeuten, dieser Schadenseintritt aber noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann.78 Die Polizei ist vielmehr zunächst auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung angewiesen, um ein abschließendes Urteil treffen zu können. Nach h. M. ermächtigen die polizeilichen Eingriffsgrundlagen im Fall des bloßen Gefahrenverdachts zu einem sog. Gefahrerforschungseingriff.79 Auch an dem Gefahrenverdacht zeigen sich die Subjektivierungstendenzen des Gefahrenabwehrrechts auf. Ein rein objektives Verständnis kann auf eine weitere Sachverhaltserforschung nicht angewiesen sein. Die polizeigesetzlichen Tatbestände setzen eine konkrete Gefahr voraus. Diese ist entweder objektiv gegeben oder nicht. Kenntnisdefizite sind nur auf der subjektiven Seite der Handelnden relevant, sei es auch, dass an ihnen ein objektivierter Maßstab angelegt wird.80 Wie schon eingangs angedeutet, sieht sich wohl kaum eine andere polizeiliche Rechtsfigur derartigen Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten ausgesetzt wie der Gefahrenverdacht. Diese näher darzustellen und zu behandeln, würde den Untersuchungsauftrag sowie den Rahmen dieser Arbeit bei weitem überschreiten.81 Für den vorliegenden Zusammenhang von besonderem Interesse ist indes die Einordnung des Gefahrenverdachts innerhalb der polizeilichen Eingriffsbefugnisse. Zum Teil finden sich Stellungnahmen, die ihn weniger dem klassischen Gefahrenabwehrrecht als vielmehr den Vorfeldbefugnissen zuordnen möchten.82 Diese Qualifikation erscheint überraschend, ist der Gefahrenverdacht doch nicht das Resultat modernerer Entwicklungen, sondern seit jeher mit der klassischen Polizeirechtsdogmatik verbunden. und die sich daher einer Beurteilung über ihr Schadenspotenzial entziehen, Jaeckel, S. 286; Middel, S. 331 f.; Poscher, Gefahrenabwehr, S. 93 f. 78  Schenke, Polizeirecht, Rn. 83. 79  Denninger, in Lisken  /  Denninger, E Rn.  48; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 4 Rn. 59; Schenke, Polizeirecht, Rn. 87. Dogmatisch wird dies überwiegend mit dem argumentum maiore ad minus begründet, wonach die Abwehrbefugnisse erst recht eine Gefahraufklärung gestatten. 80  Siehe zur Behandlung der Gefahrenverdachtskonstellationen bei einem objektiven Gefahrenverständnis insgesamt Poscher, Gefahrenabwehr, S. 147 ff., 184 ff. 81  Siehe etwa die ausführliche Behandlung von Poscher, Gefahrenabwehr, S. 29 ff., 112 ff. 82  Etwa VGH BW, VBlBW 2010, 29 (30 f.); LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 (454); Kniesel / Vahle, DÖV 1987, 955; Möstl, DVBl. 2010, 808 (810 f.); Pieroth / Schlink / Kniesel, § 4 Rn. 52; Poscher, Die Verwaltung 2008, 345 (366 ff.). Siehe auch Ring, StV 1990, 372 (379), der den den Vorfeldbefugnissen zugrunde liegenden Herausforderungen mit Hilfe des Gefahrenverdachts begegnen möchte.



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Auch wenn sich die Behandlung und Beschreibung des Vorfeldrechts als solchem erst diesem Textabschnitt anschließen wird, soll dennoch schon in diesem Zusammenhang der Nachweis erbracht werden, dass es sich bei dem Gefahrenverdacht um eine besondere Form der konkreten Gefahr handelt, welche demzufolge Bestandteil der klassischen polizeirechtlichen Dogmatik ist. bb) Der Gefahrenverdacht als Institut des Gefahrenabwehrrechts Die zutreffende Einordnung des Gefahrenverdachts in die polizeilichen Befugnisschichten setzt zunächst eine exakte begriffliche Definition dieser Rechtsfigur voraus. Die charakteristischen Merkmale des Gefahrenverdachts lassen sich am ehesten in einer Gegenüberstellung mit den verwandten Instituten der Anscheinsgefahr und der konkreten Gefahr im eigentlichen Sinne herausarbeiten. Von der Anscheinsgefahr unterscheidet sich der Gefahrenverdacht schlicht durch die Bewertung des handelnden Polizeibeamten. Bei der Anscheinsgefahr ist er (nach pflichtgemäßer Prüfung) von der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts überzeugt. Hegt er indessen Zweifel an dem Bevorstehen eines Schadenseintritts, so kann bloß von einem Gefahrenverdacht gesprochen werden.83 Die Grenzen verlaufen fließend und lassen sich im Einzelfall nicht stets bestimmen. Teilweise werden sie daher insbesondere von „Objektivisten“ auch gänzlich nivelliert.84 Schwieriger noch ist das Verhältnis zwischen Gefahrenverdacht und der konkreten Gefahr im eigentlichen Sinne zu beschreiben. Verbreitet findet sich die Formulierung, dass der Gefahrenverdacht eine Gefahr mit geringerer Wahrscheinlichkeit sei.85 Diese Beschreibung liegt zunächst auch nahe, da in dessen Fällen, wie schon geschildert, die handelnde Polizei selbst Zweifel an dem Bevorstehen des Schadenseintritts hegt und damit die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu sein scheint. Bei näherer Betrachtung der dieser Qualifikation zugrunde liegenden Unsicherheiten zeigt sich indes, dass sich die Defizite aus Wissenslücken hinsichtlich des angenommenen Eingriffsanlasses ergeben und sich damit schlicht auf die Tatsachenbasis der Eingriffsschwelle beziehen.86 83  Poscher,

Gefahrenabwehr, S. 119 f.; Weber, S. 30 f. Differenzierung zwischen diesen Fallkonstellationen nimmt etwa Hoffmann-Riem, in seiner grundlegenden Auseinandersetzung mit dem subjektiven Gefahrenbegriff vor, Hoffmann-Riem, FS Wacke, S. 327 (328). 85  Darnstädt, S. 94 ff.; Hoppe, S. 89; Neumann, S. 57 f.; Ring, StV 1990, 372 (376). 86  Albers, S. 54; Jaeckel, S. 132 ff.; Vollmar, S. 49. 84  Keine

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

Deutlich wird dies in dem berühmten Beispiel des lautstarken Krimiabends einer älteren Dame.87 Die Polizei ist sich darüber unsicher, ob die vernommenen Hilfeschreie nur aus dem Fernseher stammen oder ob es sich tatsächlich um ein Verbrechen handelt. Die Zweifel beziehen sich nur auf diese Tatsachenbasis. Rühren die Schreie lediglich aus einem Film, kann nicht von einem bevorstehenden Schadenseintritt ausgegangen werden, eine andere Prognose ergibt sich, wenn die Dame tatsächlich selbst die Schreie äußert. In diesem Fall wäre die geforderte hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts unproblematisch anzunehmen. Sofern also die denkbaren Fallvarianten für sich isoliert betrachtet werden, wird offenkundig, dass die Gefahrbewertung sich in keiner Weise von der zuvor beschrieben, üblichen konkreten Gefahr unterscheidet. Insbesondere zeigt sich, dass die Prognose selbst keine Modifikationen aufweist. Die Besonderheit dieser Fallkonstellation besteht nur in der Ungewissheit über die Bewertung der tatsächlichen Ausgangslage. Die Ausräumung dieser Defizite erfolgt mittels des sich dem Gefahrenverdacht anschließenden Gefahrerforschungseingriffs.88 Diese Rechtsfolge ist damit nicht lediglich als milderes Mittel gegenüber einer auf bloßer Verdachtslage erfolgenden Abwehrmaßnahme anzusehen, sondern vielmehr auch die geeignete und sachgemäße Reaktion zur notwendigen weiteren Sachaufklärung. Damit zeigt sich jedoch zugleich, dass sich konkrete Gefahr und Gefahrenverdacht nur auf der Ebene der Diagnose unterscheiden.89 Mittels der Sachverhaltsaufklärung können immer nur Tatsachen, nie aber zukünftige Ereignisse ermittelt werden. Der Gefahrerforschungseingriff wäre also völlig ungeeignet, um diesbezügliche Defizite zu beseitigen. Zutreffender wäre es daher bei dem Gefahrenverdacht von einer Gefahr auf unsicherer Tatsachenbasis zu sprechen.90 Nun stehen Diagnose und Prognose natürlich nicht isoliert nebeneinander, sondern die Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht fließen über die dem Prognoseurteil zugrunde liegende Relation in die Entscheidung ein. Sie sind allerdings nur einer der Gesichtspunkte, die keinen Anlass dafür bieten, die 87  Etwa

Poscher, Gefahrenabwehr, S. 120, 152. schon 2. Teil, Fn. 79. 89  Albers, S. 54. Der Problematik des Gefahrenverdachts werden auch die Fälle zugeordnet, in welchen der Sachverhalt als solcher zwar bekannt scheint, Ungewissheiten aber über die Ursachen- und Wirkungszusammenhänge bestehen, so dass aus diesem Grunde nicht beurteilt werden kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich der befürchtete Schaden realisiert. Es fehlt in diesen Fällen an Erfahrungswerten, um die möglichen Zusammenhänge abzuschätzen, vgl. Di Fabio, Jura 1996, 566, (568 f.). Bei der Ermittlung derartiger Ursachenzusammenhänge handelt es sich allerdings ebenfalls um Maßnahmen der Diagnose, da diese Erkenntnisse Grundlage für die anzustellende Prognose sind. 90  Ähnlich Zöller, S. 99. 88  Dazu



A. Eingriffsschwelle55

generellen Anforderungen an das im Polizeirecht geforderte Wahrscheinlichkeitsurteil herabzusenken. Diese Wissensdefizite müssen durch andere Faktoren innerhalb der Abwägung kompensiert werden, um die für einen Eingriff notwendige Schwelle der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadens zu erreichen.91 In diesem Rahmen kann etwa auch eine mit der bloßen Gefahrerforschung verbundene, vergleichsweise geringere Eingriffslast eingestellt werden. Die Umschreibung als eine Gefahr mit geringerer Wahrscheinlichkeit ist demnach nicht zutreffend.92 Lediglich bei einer mathematischen Berechnung der Wahrscheinlichkeitswerte könnten sich zwischen den Fällen des Gefahrenverdachts und denen einer gewöhnlichen Gefahr im eigentlichen Sinne Abweichungen ergeben,93 im Polizeirecht kommt es aber nicht auf eine mathematisch verstandene Wahrscheinlichkeit, sondern auf eine im Rahmen der bereits oben eingehend beschriebenen Abwägungsentscheidung an. Die typische Gefahrenverdachtssituation zeichnet sich also dadurch aus, dass die Polizei Tatsachen für gegeben hält, bei deren tatsächlichen Vorliegen eine hinreichende Schadenswahrscheinlichkeit anzunehmen wäre,94 die Tatsachen selbst aber fraglich sind, wie etwa, ob es sich bei dem Spielzeug der Kinder am Wegesrand wirklich um eine Handgranate aus dem Zweiten Weltkrieg handelt.95 Die Polizei trifft hier also eine zwar auf unsicherer Tatsachengrundlage basierende, im Übrigen aber den allgemeinen Regeln entsprechende Prognoseentscheidung. Sofern in Anbetracht dieser Unsicherheiten sowie der weiteren, in die Relation einzustellenden Kriterien eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht angenommen werden kann, scheidet selbst der Rückgriff auf den bloßen Gefahrerforschungseingriff aus. Die Schwelle der konkreten Gefahr ist unabdingbare Eingriffsvoraussetzung polizeilichen Einschreitens. Demgegenüber kann, selbst sofern die Annahmen der Polizei in tatsächlicher Hinsicht nicht voll91  Vgl.

auch Jaeckel, S. 136 f. auch Albers, S. 54. Zutreffend differenziert Jaeckel, S. 132 ff. zwischen der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aufgrund der angenommenen Tatsachenbasis sowie der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der angenommenen Tatsachengrundlage selbst. 93  Poscher, Gefahrenabwehr, S. 153. Es ist vollkommen klar, dass die Schadenswahrscheinlichkeit „hinreichender“ ist, wenn die Polizei mit eigenen Augen die Ausführung einer Straftat wahrnimmt, als wenn sie nur mittelbare Hinweise für deren Vorliegen besitzt. Dennoch kann auch im letzteren Fall die Schwelle zu dem für ein polizeiliches Einschreiten erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad überschritten sein. Wie bereits oben (2. Teil A. III. 3. a)) beschrieben, wird das Prognoseurteil in einer Relation verschiedener Aspekte getroffen, von denen die Tatsachenbasis nur einer ist. 94  Weber, S. 30. 95  Poscher, NVwZ 2001, 141 (142). 92  So

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

ständig aufgeklärt sind, bereits trotz bloßer Gefahrenverdachtslage ein endgültiges, abwehrendes Einschreiten gerechtfertigt werden, etwa wenn, wie im letzten Beispielsfall, die Bedrohung besonders gewichtiger Rechtsgüter im Raume steht. In den dazwischen liegenden Fällen kann eine hinreichende Schadenswahrscheinlichkeit nur zugunsten einer weiteren Gefahraufklärung angenommen werden.96 Der Gefahrenverdacht ist damit lediglich eine besondere Fallkonstellation der konkreten Gefahr,97 die im Ergebnis nur dadurch gekennzeichnet ist, dass die handelnde Polizei die vorgefundene oder angenommene Sachverhaltslage in Zweifel zieht. Das eigentliche Problem dieser Fälle besteht also in der nur geringeren Aussagekraft bzw. Deutungsvielfalt der tatsächlichen Ausgangslage und dem Bewusstsein über diese Verhältnisse. Jedoch wurde bereits oben innerhalb der allgemeinen Beschreibung des der konkreten Gefahr vorausgehenden Eingriffsanlasses darauf verwiesen, dass auch bloß angenommene Tatsachen, auf welche sich aus feststehenden anderen Tatsachen schließen lässt, die Grundlage der Wahrscheinlichkeitsaussage bilden können. In den hier beschriebenen Beispielsfällen sind die feststehenden Tatsachen etwa der vernommene Hilfeschrei aus einer Wohnung oder das Spielen der Kinder mit einem Gegenstand, der nach seinem äußeren Erscheinungsbild aus der Distanz einer Handgranate entspricht. Nur diese Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht können in die Entscheidungsfindung eingestellt werden. Daneben folgen die üblichen weiteren Kriterien wie das erwarteten Schadensausmaß, die Eingriffsintensität und die Erfolgsaussicht des beabsichtigten Abwehrmittels. In dem Handgranatenfall wird diese Güterrelation angesichts des hohen Gefährdungspotenzials und der nur geringen Eingriffslast eines Einschreitens bereits bei dieser unsicheren Tatsachenlage eine hinreichende Wahrscheinlichkeit begründen. Hierbei ist insbesondere auch die zeitliche Nähe des Schadenseintritts, sofern die Annahme zutreffend ist, in die Abwägung einzustellen. Nur ein in diesem Sinne verstandener Gefahrenverdachtsbegriff kann dogmatisch schlüssig erklären, weshalb nach dem herrschenden Verständnis unstreitig in Sachverhaltslagen, in denen insbesondere aufgrund der Art und Schwere der angenommenen Rechtsgutbedrohung das Risiko des Eintritts eines irreparablen Schadens als unannehmbar erscheint, ausnahmsweise auch aufgrund bloßer Verdachtslagen unmittelbare Abwehrmaßnahmen ergriffen werden können.98 Diese Erkenntnis kann daher als die Gegenprobe zu dem zuvor beschriebenen Gefahrenverdachtsbegriff angesehen werden 96  Dazu

auch Zöller, S. 98 f. S. 91; a. A. BVerwG, DVBl. 2002, 1562 (1563 f.); Götz, § 6 Rn. 29; Schenke, FS Friauf, S. 455 (458). 98  Denninger, in Lisken / Denninger, E Rn. 48. 97  Hoppe,



B. Maßnahmenadressaten57

und bestätigt die getroffene Einschätzung und die Zuordnung zum klassischen Gefahrenabwehrrecht. cc) Zusammenfassung Bei dem Gefahrenverdacht handelt es sich also nicht um ein außerhalb des Gesetzes stehenden Institut.99 Die ihm zugeschriebenen Fallkonstella­ tionen lassen sich mit der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr sachgemäß behandeln. Sein dogmatisches Grundmuster weist keine Abweichungen gegenüber der konkreten Gefahr auf. Das Kennzeichen dieser Fallgruppen besteht lediglich darin, dass der der Maßnahme vorausgehende Eingriffsanlass nur über eine vergleichsweise geringe Aussagekraft verfügt und dieser Umstand den handelnden Polizeibeamten bewusst ist. Daran wird zugleich deutlich, dass sich diese Fallkonstellation überhaupt nur bei einem subjektiv geprägten Polizeibegriff herausheben kann, da der Sachverhalt objektiv niemals ungewiss ist. Der Gefahrenverdacht und seine Dogmatik resultieren aus der klassischen Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr.100 Er ist damit Bestandteil des klassischen Gefahrenabwehrrechts und daher strikt von dem modernen Vorfeldrecht zu trennen.101

B. Maßnahmenadressaten Neben der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr bildet die Verantwortlichkeit des Störers das zweite, personale Strukturelement der hergebrachten Polizeirechtsdogmatik.102 Die Gefahrenabwehrmaßnahmen sind grundsätzlich gegen die für die Gefahr verantwortliche Person, den Störer, zu richten. Der Störer kann auf eigene Kosten zur Beseitigung der Gefahr bzw. der Störung verpflichtet werden. Soweit ihm das allgemeine Staatshaftungsrecht, etwa aufgrund der rechtswidrigen Inanspruchnahme, keinen Ausgleich gewährt, stehen ihm Entschädigungsansprüche nicht zu.103 Nur ausnahmsweise 99  Demgegenüber

kritisch Schwabe, DVBl. 1982, 655 f. im Ergebnis auch Albers, S. 126; Aulehner, S. 473; Neumann, S. 59; Petri, DÖV 1996, 443 (445 f.); Zöller, S. 95 f. 101  Albers, S. 126; Aulehner, S. 95, 473; Middel, S. 331; Weber, S. 39. Ebenso Hoppe, S. 90 f., die allerdings dem tradierten (konkreten) Gefahrenverdacht auch einen abstrakten Gefahrenverdacht als Äquivalent zu der abstrakten Gefahr gegenüberstellt, dem die Vorfeldbefugnisse zuzuordnen wären, S. 166 ff. Siehe auch Thiel, S. 299 f. 102  Siehe schon Pr. OVGE 12, 397 (403); vgl. auch Möstl, DVBl. 2007, 581. 103  Lindner, S. 2. 100  So

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

ist unter den Bedingungen des polizeilichen Notstandes104 ein Einschreiten gegenüber dem nicht für die Gefahr verantwortlichen Nichtstörer zulässig. Die Störerdogmatik findet damit ihren Ausgangspunkt bei der konkreten Gefahr. Ihre Funktion liegt darin, eine Zurechnungsbeziehung zwischen jener und einer individuellen Person herzustellen. Nach der Konzeption der Polizeirechtsdogmatik wird diese Zurechnung grundsätzlich über das Kriterium der Verantwortlichkeit hergestellt. Lediglich soweit dieses Kriterium zur Aufgabenerfüllung nicht als geeignet erscheint, erfolgt eine Zurechnung über die subsidiären Kriterien des polizeilichen Notstandes. Die strukturellen, gesetzlichen Anforderungen an die Beschaffenheiten dieser Zurechnungsmodelle sollen im Folgenden näher beschrieben werden. Wie schon bei der Behandlung der konkreten Gefahr konzentriert sich die Arbeit hierbei auf die wesentlichen dogmatischen Grundstrukturen der personalen Verantwortlichkeit105 mithin der Abgrenzung dieses Kreises von der Allgemeinheit.

I. Verantwortlichkeit für die Gefahr Der gesetzliche Regelfall ist die polizeiliche Inanspruchnahme des für die Gefahr verantwortlichen Störers. Das Gesetz unterscheidet zwischen dem Verhaltens-106 und dem Zustandsstörer107. Die Störereigenschaft grenzt die von der Allgemeinheit zu tragenden Gefahren und Störungen von den individuellen Pflichten des Einzelnen ab.108 Anders als dem Nichtstörer stehen ihm daher Ausgleichs- und Entschädigungsansprüche für seine Inanspruchnahme nicht zu, er wird vielmehr durch die Gefahrenabwehrmaßnahme in die ihm zustehende Rechtssphäre zurückgewiesen.109

1. Verantwortlichkeit für das Verhalten von Personen Die Eigenschaft als Verhaltensstörer setzt nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen voraus, dass der Betroffene die Gefahr verursacht 104  Beispielsweise

§ 6 PolG NRW. der klassischen Standardbefugnisse bestehen neben der Störerhaftung weitere spezielle Regelungen der personalen Inanspruchnahme (z. B. bei der Ingewahrsamnahme nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW oder auch der Nachrichtenmittler nach Art. 34d Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Bay. PAG; § 34 Abs. 3 Nr. 3 Thü. PAG), allerdings knüpfen auch diese in jedem Fall an eine individuelle Zuordnung an. 106  Beispielsweise § 4 PolG NRW. 107  Beispielsweise § 5 PolG NRW. 108  Trute, GS Jeand’Heur, 403 (410); ders., Die Verwaltung 2003, 501(517). 109  Götz, § 15 Rn. 2; Isensee, S. 44 ff. 105  Innerhalb



B. Maßnahmenadressaten59

hat.110 Schon aus diesem Wortlaut ergibt sich ein struktureller Unterschied zwischen der Störer- und Gefahrendogmatik. Während die konkrete Gefahr durch ihre Bezugnahme auf ein erst künftig eintretendes Schadensereignis durch ein Prognoseurteil gekennzeichnet ist, betrifft die Störerfigur, da sie die Zurechnung einer zum Eingriffszeitpunkt bereits bestehenden Gefahr vornimmt, einen abgeschlossenen Lebenssachverhalt.111 Erst zukünftige, noch zu prognostizierende Ereignisse tauchen in diesem Zusammenhang nicht auf, so dass die Störerfigur nicht die spezifischen Probleme der Gefahrendogmatik aufweist. Zur Ermittlung der Verhaltensverantwortlichkeit kann demzufolge grundsätzlich an die aus dem Straf- und Zivilrecht bekannten Zurechnungskriterien angeknüpft werden. Diese Verweisung kann jedoch nicht unbesehen eins zu eins übertragen werden, sondern muss sich an den unterschiedlichen Zielrichtungen der Rechtsgebiete ausrichten, was entsprechende Modifikationen unumgänglich macht. Während für das Strafrecht die persönliche Verantwortlichkeit für ein tatbestandsmäßiges Tun oder Unterlassen und für das Zivilrecht der Ausgleich widerstreitender Interessen maßgeblich ist, wird das Polizeirecht von dem Leitmotiv der effektiven Gefahrenabwehr bestimmt.112 a) Zurechnungsebenen Wie jede Zurechnung erfolgt auch die Ermittlung des Verhaltensstörers in zwei Schritten. Auf der ersten Ebene muss zunächst ein naturwissenschaft­ licher Ursachenzusammenhang zwischen einer von der Person gesetzten Bedingung und dem späteren Gefahrerfolg hergestellt werden. Diese schlichte Kausalitätsprüfung dürfte in aller Regel nur geringe Schwierigkeiten auf­ weisen.113 Wie auch in den übrigen Rechtsgebieten kann eine rein naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung allerdings für den Rechtsanwender keine handhabbaren Ergebnisse liefern. Die Kausalkette lässt sich beliebig weit zurückverfolgen, da jede Bedingung ihre eigenen Vorbedingungen aufweist, welche letztlich ebenfalls kausal für den abschließenden Erfolg waren. Da110  Daneben bestehen Verhaltenszurechnungen für Aufsichtspflichtige, Sorgeberechtigte oder Geschäftsherrn, vgl. etwa § 4 Abs. 2 und 3 PolG NRW. 111  Middel, S. 338. 112  Lindner, S. 108 ff. 113  Durch diese Kausalitätsprüfung grenzt sich die Störer- von der Gefahrendogmatik ab. Erst künftig eintretende Ereignisse können nur prognostiziert werden. Jeder Prognoseentscheidung ist ein Fehlerrisiko jedoch immanent, so dass ein späteres Ausbleiben des Erfolges die Prognose nicht widerlegt. Mit einem derartigen Risiko ist die Kausalität nicht behaftet. Ohne vergleichbare Schwierigkeiten lassen sich die Ursachen eines eingetretenen Erfolges zurückverfolgen.

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

her muss auch im Polizeirecht ein weiteres normatives Korrektiv hinzugezogen werden. Ganz überwiegend wird zu diesem Zweck auf die Theorie der unmittelbaren Verursachung114 zurückgegriffen, wonach der Störer eine Gefahrenschwelle überschritten und damit die unmittelbare Ursache für den Eintritt der Gefahr gesetzt haben muss. Unmittelbarkeit in diesem Zusammenhang ist selbstverständlich nicht als die physikalisch letzte dem Gefahreintritt vorausgehende Bedingung zu verstehen,115 vielmehr soll der Verursachungsbegriff durch das Überschreiten der Gefahrenschwelle um ein Wertungselement angereichert werden. Die Gefahrenschwelle kennzeichnet die Grenze zwischen der Setzung eines von der freiheitlich verfassten Gesellschaft hinzunehmenden Risikos zu einem aufgrund seiner Gefahrenträchtigkeit nicht mehr tolerierbaren Verhalten. Für die praktische Fallanwendung ist diese Abgrenzung jedoch auf eine weitere Konkretisierung dessen, was unter dem Begriff der Gefahrenschwelle zu verstehen ist, angewiesen. Diese Konkretisierung ist bis heute nur in ihren Ansätzen erfolgt und daher nach wie vor von großen Unsicherheiten geprägt.116 Einen der wichtigsten Orientierungsmaßstäbe der Gefahrenschwelle bietet dabei die Rechtsordnung. Da an das Polizeirecht aber die Erwartung einer besonderen Flexibilität gestellt wird, die auch ein Einschreiten in Fällen bisher unbekannter und neuartiger Gefahren ermöglicht, kann die Gefahrenschwelle nicht schlicht mit der Rechtswidrigkeit des schadensträchtigen Verhaltens gleichgesetzt werden.117 Grundsätzlich ist allerdings davon auszugehen, dass ein von der Rechtsordnung gebilligtes Verhalten wie insbesondere die Ausübung subjektiver Rechte nicht geeignet ist, die Gefahrenschwelle zu überschreiten.118 Doch selbst dieser zunächst plausibel erscheinende Ansatz erfährt durch die Figur des so genannten Zweckveranlassers eine Relativierung. So fällt 114  Die Herausbildung eigenständiger Abgrenzungstheorien liegt maßgeblich in den unterschiedlichen Zwecken der Rechtsgebiete begründet. Beispielweise kann auf die Adäquanztheorie des Privatrechts im vorliegenden Zusammenhang nicht zurückgegriffen werden, da um der effektiven Gefahrenabwehr Willen auch in atypischen und unvorhersehbaren Lebenssachverhalten ein Einschreiten möglich sein muss. Siehe dazu insgesamt m. w. N. Aulehner, S. 470 f.; Denninger, in Lisken / Denninger, E Rn. 76; Weber, S. 33 f. 115  Gusy, Polizeirecht, Rn. 335. 116  Siehe dazu kritisch m. w. N. Muckel, DÖV 1998, 18 (21). 117  So aber die Theorie der rechtswidrigen Verursachung, Denninger, in Lisken / Denninger, E Rn.  76  ff.; Pieroth / Schlink / Kniesel, § 9 Rn. 19. Daneben wird des Weiteren eine Theorie, welche an die soziale Inadäquanz der Verursachung anknüpft, vertreten, der aber gegenüber der Gefahrenschwelle kein Mehrgewinn an Abgrenzbarkeit für die konkrete Fallanwendung entnommen werden kann, Schenke, Polizeirecht, Rn. 243. 118  Schenke, Polizeirecht, Rn. 243.



B. Maßnahmenadressaten61

danach etwa einem Gastwirt die Verantwortung für den durch die Gäste nach dem Verlassen des Lokals verursachten Lärm, der die Nachtruhe der Anwohner stört, zu,119 obwohl er durch den Betrieb der Gaststätte lediglich von seiner Berufsausübungsfreiheit Gebrauch macht. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn er den möglichen späteren Gefahrenerfolg vorab gebilligt hat (sog. subjektive Theorie) oder wenn dieser zumindest aus der Warte eines unbeteiligten Dritten heraus vorhersehbar war (objektive Theorie)120. Zur Begründung wird vorgebracht, dass zwischen der Veranlassung und dem die Gefahr eigentlich erst begründenden Verhalten ein derart enger innerer Zusammenhang bestehe, der eine Zurechnung des späteren Verhaltens an den Zweckveranlasser rechtfertige.121 Allerdings zeichnet sich diese Begründung durch ebenso wenig Substanz aus wie schon die Gefahrenschwelle.122 Weshalb soll die Kapelle in dem berühmten Borkum-LiedFall nach Schenke Störer sein,123 während er dies für die Veranstalter von Sportgroßveranstaltungen, die üblicherweise mit Ausschreitungen verbunden sind, ablehnt.124 Gerade für sie sind die Folgen solcher Veranstaltungen eher absehbar als das Einstimmen der Kurgäste. b) Zusammenfassung Die Verhaltensstörerdogmatik zeichnet sich damit gegenüber der konkreten Gefahr durch vergleichsweise geringe strukturelle Schwierigkeiten aus, was im wesentlich auf deren retrospektiven Ausrichtung beruht. Allein problematisch ist die Herausbildung polizeirechtsspezifischer Zurechnungskriterien. Der Grundcharakter sowie die Grundstruktur der Verantwortlichkeitsregeln werfen hingegen keine dogmatischen Fragen auf.

119  BVerwG,

DVBl. 1965, 603 f. Vgl. auch schon Pr. OVGE 40, 216 ff. etwa Schenke, Polizeirecht, Rn. 244. 121  Vgl. m. w. N. Muckel, DÖV 1998, 18 f.; Schenke, Polizeirecht, Rn. 244. 122  Daher grundsätzlich für einen neuen Ansatz zur Bestimmung der Verantwortlichkeit auf Basis des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Muckel, DÖV 1998, 18 (21 ff.). 123  Schenke, Polizeirecht, Rn. 246. 124  Schenke, Polizeirecht Rn. 246. Zur Abgrenzung kritisch Gusy, Polizeirecht, Rn. 336. Siehe auch die differenzierende Fallbehandlung von Knemeyer, Polizeirecht, Rn. 329. 120  Dazu

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

2. Verantwortlichkeit für eine von einer Sache ausgehende Gefahr Neben dem Verhaltensstörer kennen die Polizeigesetze die Verantwortlichkeit des Zustandsstörers, soweit die Gefahr von einer Sache ausgeht.125 Zustandsstörer ist grundsätzlich der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über die Gefahrenquelle, wobei Maßnahmen grundsätzlich auch gegen den Eigentümer ergriffen werden können. Basis dieser Zurechnung ist das „Ausgehen“ der Gefahr von der Sache. Die dogmatische Struktur stimmt demnach sinngemäß mit der des Verhaltensstörers überein, weshalb auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann.126 3. Der Anscheins- und Verdachtsstörer In diesem Zusammenhang kann zumindest auf einen Überblick über die Fallgruppen der sog. Anscheins- und Verdachtsstörer nicht verzichtet werden. Auch wenn die Begriffspaare sprachliche Parallelen zur Anscheinsgefahr und zum Gefahrenverdacht aufweisen, so betreffen sie dennoch nicht die gleichen Sachverhalte bzw., um es noch deutlicher auszudrücken, ist der Anscheinsstörer nicht auf die Fälle einer Anscheinsgefahr und der Verdachtsstörer nicht auf Gefahrenverdachtskonstellationen beschränkt.127 Unter dem Anscheinsstörer werden überwiegend solche Fallkonstellationen zusammengefasst, in denen der handelnde Polizeibeamte (vorwurfsfrei) davon ausgeht, jemand habe durch sein Verhalten eine Gefahr (inklusive der Anscheinsgefahr) verursacht, obwohl ihn tatsächlich keine entsprechende Verantwortung trifft.128 Auf der so genannten Primärebene wird die betreffende Person zwar aus Effektivitätsgründen dennoch als Störer in Anspruch genommen, jedoch erfährt sie auf Sekundärebene eine dem Nichtstörer entsprechende Behandlung und erhält, sofern sie nicht vorwerfbar den Anschein ihrer Verantwortung gesetzt hat, einen Entschädigungsanspruch.129 Schenke indes verwirft die von der h. M. vorgenommene Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärebene und versucht vielmehr, 125  Diese Regelungen umfassen selbstverständlich auch die Verantwortlichkeit des Tierhalters bzw. dessen Eigentümers, was einige Polizeigesetze ausdrücklich klarstellen, so z. B. § 5 Abs. 1 PolG NRW. 126  Auf das Verhältnis zwischen Verhaltens- und Zustandsstörer sowie eine mögliche Begrenzung der Zustandsstörerhaftung in den Fällen der sog. gestörten Privatnützigkeit soll in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Siehe dazu m. w. N. Schenke, Polizeirecht, Rn. 273 ff. 127  Siehe etwa Schenke, Polizeirecht Rn. 255. 128  Pieroth / Schlink / Kniesel, § 9 Rn. 20; Schenke, Polizeirecht, Rn. 253 m. w. N. 129  Pieroth / Schlink / Kniesel, § 9 Rn. 20; Rachor, in Lisken / Denninger, L Rn. 42 ff.



B. Maßnahmenadressaten63

die entsprechenden Fallkonstellationen mittels der hergebrachten Störerdogmatik zu bewältigen.130 Bloßer Verdachtsstörer kann aufbauend auf die vorherigen Ausführungen nur derjenige sein, dessen Störereigenschaft zwar angenommen wird, welche aber zugleich von der handelnden Polizei in Frage gestellt wird.131 Inwiefern die entsprechenden Personen überhaupt als Störer in Anspruch genommen werden können, ist äußerst fraglich und streitig.132 Indes steht außer Frage, dass die den Anscheinsstörer betreffenden Ausführungen erst recht auch für den Verdachtsstörer gelten müssen. Erkennbar können sich die mit dem Anscheins- und dem Verdachtsstörer stellenden Probleme einzig bei Annahme eines subjektiven Störerbegriffs entsprechend einem subjektiven Gefahrenbegriff stellen. Damit ist zumindest die dogmatische Ursache dieses Problemfeldes ausgemacht.

II. Die Nichtstörerhaftung Neben der Inanspruchnahme des Verhaltens- und Zustandsverantwort­ lichen gestattet das Polizeirecht unter den engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes belastende Maßnahmen gegen den so genannten ­ Nichtstörer.133 Nach den einschlägigen Bestimmungen kann es sich bei dem Nichtstörer nur um eine andere Person als den Störer handeln. Der Ausschluss der Störereigenschaft ist also eine zusätzliche Voraussetzung zu den weiteren, kumulativen Anforderungen der Normen, nach denen die Inanspruchnahme nur zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr zulässig ist, deren Beseitigung nicht durch Maßnahmen gegen die für diese Gefahr verantwortlichen Personen oder durch die Polizei selbst möglich ist. Darüber hinaus darf der Nichtstörer durch die Abwehr nicht selbst einer erheblichen eigenen Gefährdung ausgesetzt oder an der Wahrnehmung höherwertiger Pflichten gehindert werden. Der polizeiliche Notstand rechtfertigt daher nur eine subsidiäre Inanspruchnahme, deren Voraussetzungen als Ausnahmefall restriktiv auszulegen und anzuwenden sind.134 Im Übrigen bedürfen die einzelnen Voraussetzungen hier keiner weiteren Erörterung. Trotz der begrifflichen Gegenüberstellung zwischen Störer und Nichtstörer ist letzterer von der Allgemeinheit abzugrenzen, deren Inanspruchnahme nach den einschlägigen Vorschriften nicht zulässig ist. Neben den limi130  Schenke,

Polizeirecht, Rn. 255 ff. Polizeirecht, Rn. 263. 132  Pieroth / Schlink / Kniesel, § 9 Rn. 24 f.; Schenke, Polizeirecht, Rn. 263. 133  Siehe z. B. § 6 PolG NRW. 134  Denninger, in Lisken / Denninger, E Rn. 138. 131  Schenke,

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

tierenden Eingriffsvoraussetzungen muss der Nichtstörer eine überlegene Eignung zur konkreten Gefahrenabwehr aufweisen. Diese Anforderung ergibt sich im Umkehrschluss daraus, dass eine Aufgabenerfüllung durch den Störer oder die Polizei (gegebenenfalls auch durch privatrechtliche Beauftragung eines Dritten) ausgeschlossen sein muss. Nur der Nichtstörer darf danach in der Lage sein, die Gefahr selbst zu beseitigen.135 Auch der Nichtstörer zeichnet sich somit durch eine besondere Gefahrnähe aus, die jedoch nicht auf deren Verursachung, sondern auf deren Abwehrfähigkeit beruht. Weist eine Person diese Überlegenheit nicht vor, so ist sie weder Störer noch Nichtstörer, sondern Unbeteiligter und der Allgemeinheit angehörend. Dem Nichtstörer gewähren die Polizeigesetze als Konkretisierung des allgemeinen Aufopferungsanspruchs einen Entschädigungsanspruch.136

C. Rechtsfolgen I. Gefahrbeseitigungsbefugnisse Das klassische Gefahrenabwehrrecht ist entsprechend seiner Bezeichnung primär auf die Abwehr einer konkreten Gefahr gerichtet.137 Unter einer „Abwehr“ können vorrangig solche Maßnahmen verstanden werden, welche in einen bereits angesetzten, schadensstiftenden Kausalverlauf eingreifen, indem sie eine neue Gegenbedingung setzen, die das Ausbleiben oder zumindest die Reduzierung des angenommenen Schadens bewirkt.

II. Gefahraufklärungsbefugnisse Neben der unmittelbaren Gefahrbeseitigung ist die Polizei jedoch auch auf eine möglichst vollständige Gefahraufklärung angewiesen, um überhaupt eine ausreichende Tatsachenkenntnis zur anschließenden Gefahrenabwehr zu gewinnen.138 Dieses Bedürfnis bestand selbstverständlich bereits bei der Entstehung des klassischen Polizeirechts gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Da jedoch entsprechenden Datenerhebungen, auch soweit sie personenbezo135  Denninger, in Lisken  / Denninger, E Rn. 142; Lindner, S. 43 ff., 119 spricht von der jeder personelle Inanspruchnahme vorausgehenden Inhaberschaft des Gegenmittels. 136  Der Unbeteiligte als Repräsentant der Allgemeinheit kann einen derartigen Anspruch mangels Sonderopferrolle nicht geltend machen, Ossenbühl, S. 400. 137  Gleiches gilt für eine noch fortdauernde Störung, siehe bereits 2. Teil A. I. 138  Heckmann, VBlBW 1992, 164 (166); Poscher, Gefahrenabwehr, S. 134, 137; Vollmar, S. 17.



C. Rechtsfolgen65

gene Daten betrafen, keine Eingriffsqualität beigemessen wurde, warfen diese Handlungsformen seinerzeit keine dogmatischen oder grundrechtlichen Problemstellungen auf, so dass ihnen in der hergebrachten Polizeirechtsdogmatik keine herausragende Bedeutung zukam.139 Doch gerade eine der traditionsreichsten Eingriffsmaßnahmen ist sowohl den klassischen polizei­ lichen Eingriffsbefugnissen als auch den Gefahraufklärungsbefugnissen zuzuordnen. Die Wohnungsdurchsuchung stellt schon begrifflich eine Datenerhebungsmaßnahme par exellence dar. Die Notwendigkeit ihrer frühzeitigen Normierung resultierte jedoch nicht aus der mittels ihr erfolgenden Datenerhebung, Ursache war vielmehr der mit ihr einhergehende Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung.140 Ebenso betrifft der schon mehrfach behandelte Gefahrerforschungseingriff als Institut des klassischen Polizeirechts lediglich die Gefahraufklärung. Bereits die hergebrachte Polizeirechtsdogmatik kennt daher den eigentlichen Abwehrbefugnissen vorausgehende Aufklärungsbefugnisse. Da diese Befugnisse aber ihrerseits das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraussetzen müssen, stellt sich die Frage, wie diese Eingriffsschwelle angenommen werden kann, wenn jene zugleich eine derartige zeitliche Nähe des Schadenseintritts erfordert, dass eine Abwehr allein noch durch ein aktuelles Einschreiten möglich wäre.141 Danach dürfte ein Zeitfenster für eine der Abwehr vorausgehende Aufklärung gar mehr nicht bestehen können. Verschärfend wirkt sich in diesem Zusammenhang weiter aus, dass mit der zunehmenden Spezialisierung und Ausgliederung einzelner Gefahrenpotenziale an Sonderordnungsbehörden sowie generell durch die Einrichtung allgemeiner Ordnungsbehörden die polizeiliche Gefahrenabwehr im klassischen Sinne zunehmend auf die so genannte Eilkompetenz reduziert wird. 139  Bei der Gefahraufklärung handelt es sich in der Sache also um keine neue Erscheinung, vielmehr besteht die Aufgabe der Polizei traditionell gerade darin, bereits vor dem Vorliegen einer konkreten Gefahr Informationen einzuholen, um, wenn sich die Gefahr realisiert, schnell und effektiv reagieren zu können. Siehe dazu Heckmann, VBlBW 1992, 164 (165); Kugelmann, DÖV 2003, 781 (783); Stephan, VBlBW 2005, 410. 140  Möstl, DVBl. 2007, 581 (583). 141  Siehe bereits Teil 2 A. III. 3. a). Bay. VerfGH, DVBl. 1995, 347 (349); Möstl, DVBl. 1999, 1394 (1399); Strack, NdsVBl. 2008, 145 (150). Zur gegenwär/  Kutscha, S. 129 f., 187. tigen Gefahr bereits die Kritik von Roggan, in Roggan  Überraschend wirkt daher der Vorschlag von Vollmar, S. 136 ff., die präventivpolizeiliche Telefonüberwachung zur Gefahrenabwehr gar an die Eingriffsschwelle einer gegenwärtigen Gefahr zu knüpfen. Dem folgend der neue § 15b Abs. 1 HSOG und § 33a Abs. 1 Nds. SOG. Dazu kritisch Hornmann, NVwZ 2010, 291 (294). Bemerkenswert erscheinen an dieser Stelle jedoch die Befugnisse zur Unterbrechung bzw. Unterbindung der Telekommunikationsverbindung, vgl. etwa Art. 34a Abs. 4 Bay. PAG.

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2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

Der Umgang mit diesem möglichen Widerspruch soll an späterer Stelle dieser Arbeit erneut aufgegriffen werden.142 In diesem Rahmen genügt die Feststellung, dass die hergebrachte Polizeirechtsdogmatik sowohl Maßnahmen zur Abwehr wie auch zur bloßen Aufklärung von Gefahren vorsieht.

D. Zu den Fallbeispielen Nach dieser abstrakten Darstellung soll abschließend zur besseren Veranschaulichung eine Anwendung der klassischen Polizeirechtsdogmatik auf die eingangs geschilderten Fallbeispiele erfolgen. Dabei wird sich zeigen, dass auf dieser Grundlage der in diesen Fallgestaltungen von der Polizei jeweils erstrebte Mitteleinsatz ausscheidet.

I. „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“ Besonders deutlich wird dies in dem Ausgangsfall des ersten Fallbeispiels „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“. Der Einsatz der Videoüberwachung kann in dieser Fallkonstellation nicht mit dem Vorliegen einer konkreten Gefahr im Sinne der klassischen polizeilichen Eingriffsschwelle begründet werden. Die Annahme dieser Schwelle setzt zunächst einen Schaden an einem polizeilichen Schutzgut als Bedrohungspotenzial voraus. Insoweit kann vorliegend zunächst auf die Erwartung weiterer Straftatbegehungen verwiesen werden, die eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit darstellen würden.143 Im Hinblick auf den tatsächlichen Eingriffsanlass kann indes lediglich auf die Nutzung des Innenstadtbereichs durch die lokale Drogenszene verwiesen werden. Ein darüber hinaus bestehender Tatsachenbefund, wie etwa objektiv feststehende Vorbereitungshandlungen zur Schadensherbeiführung, können nicht ausgemacht werden. Auf solche lässt sich lediglich durch die Eigenart und den Charakter des betreffenden Milieus schließen. Bloß angenommene Tatsachen sind allerdings ihrerseits auf eine objektiv feststehende Tatsachengrundlage angewiesen. Eine diesbezüglich hinreichende Aussagekraft durch die schlichte Szenenangehörigkeit entbehrt jedoch einer dafür ausreichenden, konkreten Grundlage. Entscheidend ist damit, ob die Erwartung der weiteren Straftatbegehung auf Basis der Nutzung der Innenstadt als Treffpunkt der Drogenszene ausreicht, um im Rahmen der Prognoserelation von der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Schadens­ 142  4. Teil

B. II. 2. a) aa). mögliche Verletzung der öffentlichen Ordnung allein durch die Nutzung der Innenstadt durch die lokale Drogenszene kann indes nicht angenommen werden, vgl. dazu näher Finger, S. 190 ff. 143  Eine



D. Zu den Fallbeispielen67

eintritts ausgehen zu können. Neben Schadensausmaß und Eingriffsanlass sind in diese Relation die Eingriffsintensität und die Erfolgsaussichten des beabsichtigten Abwehrmittels einzustellen. Um nicht bereits in diesem Rahmen der ausführlichen Untersuchung der Eingriffsintensität und Wirkungsweise der präventiven Videoüberwachung vorwegzugreifen,144 kann die hinreichende Wahrscheinlichkeit an dieser Stelle bereits mit der fehlenden Konkretheit der dem Urteil zugrunde liegenden Abwägungskomponenten abgelehnt werden. Die vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Positionen ist auf eine konkrete Bestimmung der der Maßnahme vorausgehenden Sachverhaltslage sowie des durch die Bedrohung betroffenen Rechtsguts angewiesen. An einer dem entsprechenden Konkretheit mangelt es jedoch in der vorliegenden Fallkonstellation. Weder lässt sich der befürchtete Schaden etwa im Hinblick auf das betroffene Rechtsgut oder der Art und Weise der angenommenen Verletzung desselben bestimmen, noch können dem Eingriffsanlass konkrete, auf eine bestimmte Schadensherbeiführung hinweisende Tatsachen entnommen werden. Diese Abstraktheit dokumentiert sich durchschlagend in der fehlenden Individualisierung des Schadenspotenzials. Hierin zeigt sich letztlich auch das zweite strukturelle Defizit in der dem Ausgangsfall zugrunde liegenden Fallkonstellation, als die hergebrachte Polizeirechtsdogmatik auf eine individuelle Verantwortlichkeit für die vorausgesetzte Gefahr angewiesen ist. Die Inanspruchnahme eines nicht individualisierten, unbegrenzten Personenkreises, also letztlich der Allgemeinheit, durch die Videoüberwachung eines gesamten Innenstadtbereichs ist auch im Wege der subsidiären Nichtstörerhaftung ausgeschlossen und scheitert an den entsprechenden tatbestandlichen Voraussetzungen. In der Fallabwandlung weist das Bedrohungspotenzial zunächst einen insofern größeren Konkretisierungsgrad auf, als sich die Art der Begehungsweise der erwarteten Straftaten sowie die von ihnen betroffenen Rechtsgüter zumindest bereits der Gattung nach spezifizieren lassen. Ähnliches gilt für die zugrunde liegende Tatsachengrundlage. Wurde im Ausgangsfall lediglich auf die regelmäßige Anwesenheit von Angehörigen der lokalen Drogenszene verwiesen, wurden in dieser Fallkonstellation mehrere Personen ermittelt, welche einer Bande, die sich auf sog. Blitzeinbrüche spezialisiert hat, angehören. Der Eingriffsanlass bezieht sich danach in beiden Fällen zwar auf einen Personenkreis, die Angehörigkeit zu der entsprechenden Bande ist jedoch gegenüber der bloßen Drogenszene näher bestimmt und von der Allgemeinheit abgrenzbar. Die Mitgliedschaft in einem auf Blitzeinbrüche spezialisierten Zusammenschluss besitzt überdies eine ungleich größere Aussagekraft im Hinblick auf die künftigen Straftatbegehungen als etwa der bloße Drogenkonsum. 144  Dazu

3. Teil A. II. 1. a).

68

2. Teil: Die traditionelle Polizeirechtsdogmatik

Auf der anderen Seite zeigt sich darin, dass der erwartete Schaden nur seiner Gattung nach bestimmt werden kann, ein auch in dieser Fallkonstellation noch bestehender, hoher Abstraktionsgrad. Überdies lässt sich auch die Annahme einer zeitlichen Nähe des Schadenseintritts in Gestalt der letzten Abwehrchance aufgrund des aktuellen Entwicklungsstandes nur schwer begründen. Letztlich steht der von der Polizei benötigten Eingriffsermächtigung auf Grundlage der klassischen Polizeirechtsdogmatik jedoch auch hier entscheidend die fehlende individuelle Zuordnung des Einsatzes entgegen.

II. „Die Sauerlandgruppe II“ Das zweite Fallbeispiel zeichnet sich gegenüber den ersten beiden Sachverhalten zwar bereits durch eine individuelle Zuordnung aus, so dass die beabsichtigte Maßnahme in Gestalt der Telekommunikationsüberwachung konkret gegen G, Y und S gerichtet werden kann, fraglich ist jedoch, ob diese bereits als Störer in Anspruch genommen werden können. Dies würde deren Verantwortung für eine konkrete Gefahr voraussetzen. Vorliegend kann jedoch zunächst lediglich von einer allgemeinen Bedrohungslage gegenüber sämtlichen NATO-Einrichtungen ausgegangen werden, was zunächst den Abstraktionsgrad gegenüber den Fallbeispielen zur Videoüberwachung noch übertrifft. Durch den lokalen Bezug zu dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein sowie dem früheren Auslandsaufenthalt der Betroffenen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet liegen als Tatsachenbasis zwar bereits konkrete Verdachtsmomente vor, diese lassen sich indes noch keinem konkreten, in der Zukunft liegenden Schaden zuordnen. Dies dokumentiert sich in der Wahl des beabsichtigten Einsatzes der Telefonüberwachung. Dieses durch die erforderliche Erhebung und Auswertung der Daten eher langwierige Einsatzmittel dient gerade dazu, den bloß abstrakt vorhandenen Verdacht zu erhärten und zu konkretisieren, um erst in diesem Fall konkrete Abwehrmittel zu ergreifen. Trotz des zwar abstrakt befürchteten überaus hohen Schadenspotenzials kann mangels einer sich abzeichnenden zeitlichen Nähe des Eintritts sowie jeglicher Anhaltspunkte im Hinblick auf die Art und Weise der Begehungsform eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadens noch nicht angenommen werden.

III. „Der künftige Amokläufer“ Inwieweit in dem dritten Fallbeispiel von einer konkreten Gefahr ausgegangen werden kann, erscheint überaus problematisch. Gegenüber den vorherigen Fallvarianten weist dieses den höchsten Konkretisierungsgrad auf. Das Schadenspotenzial lässt sich sowohl in örtlicher wie in personaler



D. Zu den Fallbeispielen69

Hinsicht als auch im Hinblick auf die Art und Weise der Begehungsform bestimmen. Aufgrund der betroffenen Schutzgüter kommt dem angenommenen Schadenspotenzial im Rahmen der Abwägung ein besonderes Gewicht zu. Auf der Tatsachenbasis muss in jedem Fall die Zugriffsmöglichkeit des A auf die geeigneten Tatmittel in Rechnung gestellt werden. Auf der anderen Seite den Wahrscheinlichkeitsgrad reduzierend wirkt sich die Aussagekraft der von A getroffenen Äußerungen unter starkem Alkoholeinfluss aus. Darüber hinaus muss die zeitliche Distanz zur möglichen Schadensrealisierung gleich in zweifacher Hinsicht in die Bewertung eingestellt werden. Zunächst erscheint es als durchaus möglich, dass A seine Absicht lediglich aus seiner aktuellen, niedergeschlagenen Stimmung heraus gefasst hat und er sich bis zum Ende der Sommerferien neuer Perspektiven und Chancen bewusst wird. Daneben besteht aber die dogmatische Problematik, dass die Annahme der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eine besondere zeitliche Nähe das Schadenseintritts in Gestalt der letzten Abwehrchance erfordert. Abgesehen davon, dass bis zu dem nächsten Schultag als frühest möglichen Schadenseintritt noch über sechs Wochen Zeit vergehen, ist die anvisierte Onlinedurchsuchung ebenso wie die Telefonüberwachung in dem vorherigen Beispiel auf einen eher langfristigen Einsatz angelegt. Ihr Einsatz erfolgt auch in diesem Fall vorwiegend dazu, den Verdacht einer Gefahr aufgrund der unsicheren Tatsachengrundlage erst zu erhärten. Es kann daher auch in diesem letzten Fall keine Gefahr im klassischen Sinne angenommen werden.

3. Teil

System und Kritik des gegenwärtigen Umgangs mit den Eingriffsbefugnissen im Gefahrenvorfeld In unzähligen Abhandlungen und Gerichtsurteilen erfolgt eine zumeist sehr kritische Auseinandersetzung mit der gesetzgeberischen Praxis, polizeiliche Eingriffe zunehmend in das so genannte Vorfeld der klassischen Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr zu verlagern.1 Diese Vorfeldbefugnisse werden in einer pauschalierten Form dem Gefahrenabwehrrecht gegenübergestellt, ohne dass dabei dieses Rechtsgebiet zunächst selbst in sich strukturiert und definiert wird. Diese Auseinandersetzung erscheint wohl auf dem ersten Blick als wenig ergiebig, erklärt sich doch von selbst, was unter dem Vorfeldrecht zu verstehen ist. Wer sich jedoch tiefer gehend mit diesem Thema befasst, erkennt die Vielfältigkeit und Diskrepanzen der diesem Normenkomplex zugeordneten Eingriffsermächtigungen. Auch wird ziemlich schnell deutlich, dass in zahlreichen Auseinandersetzungen Befugnisse wie zur polizeilichen Observation, zum verdeckten Einsatz von Ermittlern und Techniken oder zur Rasterfahndung selbstverständlich dem Vorfeldrecht zugeschrieben werden, ohne dabei zu berücksichtigen, dass diese Normen in ihren Tatbeständen teilweise das Vorliegen einer konkreten Gefahr und mitunter sogar die Störereigenschaft des Maßnahmenadressaten voraussetzen,2 so dass sich bei diesen die eingangs genannten dogmatischen Schwierigkeiten und Herausforderungen gar nicht stellen dürften.3 Darüber hinaus wird mit diesen Eingriffsermächtigungen bereits die vor wenigen Sätzen so ein1  Z. B. Denninger, in Bäumler, S. 13 (20 f.); Di Fabio, Jura 1996, 566 (568 ff.); Gusy, StV 1993, 269 ff.; Hoffmann-Riem, JZ 1978, 335 ff.; Kugelmann, DÖV 2003, 781; Lisken, in Bäumler, S. 32 ff.; Möstl, DVBl. 2007, 581 ff.; Müller, StV 1995, 602; Riegel, DÖV 1994, 814 ff.; Roggan, in Roggan / Kutscha, S. 184 ff.; Schoch, Der Staat 43 (2004) 347 ff.; Schoreit, DRiZ 1991, 320 ff.; Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser, S. 407 (414); Trute, GS Jeand’Heur, S. 403; ders., Die Verwaltung 2003, 501 ff. Möstl, Staatliche Garantie, S. 31 f. spricht gar von einem Paradigmenwechsel von der traditionellen, singulären und retrospektiven Gefahrenabwehr zu modernen, umfassenden prospektiven Risikosteuerung. 2  Siehe etwa für die polizeiliche Observation § 16a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 PolG NRW. 3  So etwa Horn, FS Schmitt Glaeser, S. 435 (454 f.).



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“71

leuchtend erscheinende Umschreibung, nach der sich das Vorfeldrecht durch einen gegenüber der konkreten Gefahr vorverlagerten Eingriffsanlass definiert, wieder in Frage gestellt. Daher sollen die Vorfeldbefugnisse oder das, was allgemein unter ihnen verstanden wird, im Folgenden einer kritischen Analyse unterzogen werden. In einem ersten Abschnitt erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Vorfeldbefugnis als solchem, bevor anschließend deren Einordnung in das polizeiliche Aufgabengefüge und deren Systematisierung nach der bereits im vorherigen Textabschnitt vorgenommenen Untergliederung in ­ Eingriffsschwellen, Maßnahmenadressaten und Rechtsfolgen vorgenommen wird. In diesem Rahmen sollen die einzelnen Maßnahmenvoraussetzungen beschrieben und der zuvor geschilderten klassischen Gefahrenabwehrdogmatik gegenüber gestellt werden. Diese Untersuchung wird deutlich machen, dass sich dogmatische und verfassungsrechtliche Probleme innerhalb des Vorfeldrechts in unterschiedlicher Art und Intensität stellen. Andererseits werfen die Befugnisse innerhalb dieser einzelnen Gruppen ähnliche oder gleiche Fragestellungen auf, weshalb sich schon aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Vereinfachung eine systematisierte Betrachtung dieser Befugnisschichten anbietet.

A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“ I. Das polizeiliche Vorfeld 1. Vorfeldverständnisse In zahlreichen Abhandlungen, Urteilen und anderen rechtswissenschaft­ lichen Auseinandersetzungen finden sich Begriffe wie „Vorfeldbefugnisse“4, „informationelle Vorfeldbefugnisse“5, „Vorfeld-Konzept“6 oder „Vorfeld­ arbeit“7. Was aber gerade unter dem „Vorfeld“ zu verstehen ist, wird überwiegend nicht näher erläutert.8 Das Vorfeld wird schlicht dem klassischen Gefahrenabwehrrecht gegenüber gestellt. Davon ausgehend können dem Begriff allerdings zwei unterschiedliche Bedeutungsgehalte zugemessen werden. Zum einen könnte sich der Vorfeldbegriff aus der Perspektive der 4  Schoch,

Der Staat 43 (2004), 347 (351). DVBl. 2007, 581. 6  Gusy, StV 1993, 269. 7  Weßlau, S. 26. 8  Chiu, S. 58. Anders jedoch Aulehner, S. 48 ff.; Koch, S. 80 ff. Siehe auch die gegensätzlichen Darstellungen und Behandlungen von Käß, BayVBl. 2008, 225 (229) und Roggan, NJW 2009, 257 (262). 5  Möstl,

72

3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Rechtsfolge definieren. Danach würden unter dem „Vorfeld“ die Eingriffshandlungen zusammengefasst, welche der eigentlichen Gefahrenabwehr noch vorausgingen. Auf der anderen Seite liegt eine Begriffsbestimmung aus der Tatbestandsperspektive nahe, wonach das „Vorfeld“ als ein der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr vorausgehendes Entwicklungsstadium zu verstehen wäre. Beide Ansätze sollen daher näher erläutert und in ihrer Konsequenz gegenüber gestellt werden. a) Rechtsfolgenorientiertes Verständnis Unter der Terminologie „Vorfeldbefugnisse“ könnten diejenigen Ermächtigungsgrundlagen zusammengefasst werden, welche die Polizei nicht schon zur unmittelbaren Abwehr im Sinne der Beseitigung einer Gefahr oder gegebenenfalls einem dieser noch vorausgehenden Bedrohungspotenzial ermächtigen, sondern lediglich Eingriffe zur Vorbereitung und Vorbeugung für ebensolche Maßnahmen gestatten. Vorfeldbefugnisse in diesem Sinne wären damit insbesondere sämtliche Datenerhebungstatbestände, da diese selbst nie in einen Kausalverlauf eingreifen, jedoch die Grundlage für sich anschließende Beseitigungstatbestände bilden.9 In diesem Sinn können insbesondere die Darstellungen und Diskussionen in den Medien und der allgemeinen Öffentlichkeit verstanden werden. Dort werden Maßnahmen wie beispielsweise die sog. Onlinedurchsuchung, die Telefonüberwachung, die Rasterfahndung, die automatisierte Kennzeichenerfassung sowie die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze wie selbstverständlich den Vorfeldbefugnissen zugeordnet, ohne dass dabei berücksichtigt wird, dass sich die Tatbestände und Voraussetzungen dieser Maßnahmen erheblich voneinander unterscheiden und sich dementsprechend verfassungsrechtliche und dogmatische Probleme in gänzlich unterschied­ licher Weise stellen.10 Die übereinstimmende, vorfeldbezogene Gemeinsamkeit dieser Maßnahmen liegt tatsächlich darin, dass sie nicht auf eine unmittelbare Bedrohungsbeseitigung gerichtet sind, sondern im Wege der Datenerhebung bzw. Datenverarbeitung als Grundlage für sich anschließende Abwehrbefugnisse dienen und ihnen insofern vorausgehen. Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird zum Teil von einer solchen Sichtweise ausgegangen. So stellt beispielsweise Möstl in einem 9  Möstl, Staatliche Garantie, S. 182 f.; ders., DVBl. 2007, 581 ff. orientiert sich bei der Charakterisierung des Vorfeldrechts an der Rechtsfolge und spricht in dessen Folge konsequent von dem „informationellen Vorfeldrecht“. Die Vorfeldbefugnisse würden nie unmittelbar der Beseitigung eines Bedrohungspotenzials dienen, sondern seien nur zu deren Vorbereitung bestimmt. Vgl. auch Ring, StV 1990, 372 (373 f.) 10  Zu den Voraussetzungen selbst siehe 3. Teil C. I.



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“73

Aufsatz über „Die neue dogmatische Gestalt des Polizeirechts“ dem klassischen Polizeirecht die „informationellen Vorfeldbefugnisse“ gegenüber.11 Inhaltlich unterscheiden sich nach seiner Darstellung diese beiden Bereiche dadurch, dass lediglich der erstgenannte durch die Gefahr-Störer-Dogmatik gekennzeichnet sei, wohingegen innerhalb der neuen „informationellen“ Befugnisschicht auf diese Figuren nicht zurückgegriffen werden könne.12 Diese Charakterisierung greift indes sowohl im Hinblick auf die Beschränkung auf den bloßen Informationseingriff als auch auf die diesem als solchen wiederum zugrunde liegende Tatbestandsstruktur zu kurz und berücksichtigt nicht die zahlreichen Divergenzen innerhalb der Vorfeldbefugnisschicht.13 aa) Dogmatische Divergenzen zwischen dem klassischen Gefahrenabwehr- und dem Vorfeldrecht Eine an der Rechtsfolge ausgerichtete Einteilung der polizeilichen Befugnisnormen ist nicht dazu geeignet, gerade die sich im Vorfeldrecht gegenüber dem hergebrachten Gefahrenabwehrrecht stellenden dogmatischen Herausforderungen widerzuspiegeln. Auch zahlreiche, moderne Datenerhebungstatbestände lassen sich in die klassische Polizeirechtsdogmatik einordnen. Beispielweise können hier die Tatbestandsalternativen der längerfristigen Observation,14 des verdeckten Einsatzes technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen sowie zum Abhören und zur Aufzeichnung des gesprochenen Wortes,15 des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern16 und V-Leuten17 sowie auch der Telekommunikationsüberwachung18 genannt werden, die allesamt das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraussetzen und die entsprechenden Maßnahmen auf die verantwortlichen Störer beschränken. Auch wenn deren Geeignetheit als Instrumente auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr insbesondere aufgrund der in der Regel gebotenen Eilbedürftigkeit polizeilichen Handelns zum Teil durchaus bezweifelt werden 11  Möstl, DVBl. 2007, 581 ff.; ders., DVBl. 2010, 808 (810). Ähnlich auch schon Aulehner, insbes. S. 52 ff., der neben der inhaltlich wenig konturierten „Gefahrenvorsorge“ den Begriff der „polizeilichen Informationsvorsorge“ verwendet, an späterer Stelle (S. 479) jedoch auch eine Gefahrvermeidungsfunktion der Maßnahmen hervorhebt. 12  Möstl, DVBl. 2007, 581 (584 ff.). 13  Siehe dazu auch schon Denninger, in Huster / Rudolph, S. 85 (99). 14  Z. B. § 16a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 PolG NRW. 15  Z. B. § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 PolG NRW. 16  Z. B. § 20 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW. 17  Z. B. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 PolG NRW. 18  Z. B. § 33a Abs. 1 Nds. SOG.

74

3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

kann und für zahlreiche Maßnahmen in der Praxis nur ein geringer Anwendungsbereich verbleiben dürfte, zeigen diese dennoch, dass eine an der Rechtsfolge ausgerichtete Differenzierung für die Abgrenzung zwischen Vorfeld- und klassischen Gefahrenabwehrbefugnissen nicht tauglich ist, die sich auf diesem Felde stellenden dogmatischen und verfassungsrechtlichen He­ rausforderungen zutreffend zusammenzufassen. Des Weiteren sei an dieser Stelle an den Gefahrerforschungseingriff als Bestandteil der hergebrachten Polizeirechtsdogmatik erinnert, der ebenfalls lediglich auf eine weitere Sachaufklärung gerichtet ist und nicht selbst der Abwehr eines Besorgnispotenzials dient. bb) Insbesondere die polizeiliche Rasterfahndung Neben den dogmatischen Divergenzen zwischen der klassischen Gefahrenabwehrdogmatik und dem Vorfeldrecht, welche unter einem rechtsfolgenorientierten Vorfeldverständnis keine Berücksichtigung fänden, zeigt sich die Unzulänglichkeit einer an diesem Kriterium erfolgten Abgrenzung im besonderen Maße an der Einordnung der präventiv-polizeilichen Rasterfahndung in die betroffenen Befugnisschichten.19 Die Maßnahme dient der individuellen Zuordnung eines bekannten Bedrohungspotenzials an einem zumindest überschaubaren Personenkreis mittels eines Datenabgleichs. In kaum einem Fall wird es allerdings gelingen, das Fahndungsraster derart eng zu beschreiben, dass nach Beendigung der Maßnahme die für das Beeinträchtigungspotenzial verantwortliche Person individuell feststeht. Die Rasterfahndung ist vielmehr so zu verstehen, dass durch sie aus der Allgemeinheit ein möglichst großer Teil der Unverdächtigen ausgesondert werden soll, um mittels weiterer, dann individueller, polizeirechtlicher Instrumente den verbleibenden Personenkreis auf Störer oder potenzielle Störer hin zu untersuchen, was ohne das Vorausgehen der Rasterfahndung ausgeschlossen wäre.20 Die Rasterfahndung ist folglich selbst nicht unmittelbar auf die Vermeidung einer Schadensrealisierung gerichtet und wäre zur Abwehr einer Gefahr schon aufgrund des doch sehr aufwendigen und vergleichsweise langwierigen Verfahrens völlig ungeeignet, da eine konkrete Gefahr letztlich eine Schadensrealisierung innerhalb einer absehbaren Zeitspanne voraussetzt.21 Aus diesem Grund wäre es nur konsequent, diese Maßnahme bei 19  Beispielsweise

§ 31 PolG NRW. KritV 2002, 474 (484 f.); Sokol, in Bäumler, S. 188 (196); Zschoch, S. 4 f., 107; ausführlich zum Vorgang der Rasterfahndung als solchem ders., S. 42 ff. 21  Die Annahme der hinreichenden Wahrscheinlichkeit im Rahmen einer konkreten Gefahr setzt voraus, dass der angenommene Schaden lediglich noch durch ein Einschreiten zum gegenwärtigen Zeitpunkt abgewandt werden kann, vgl. 2. Teil A. 20  Gusy,



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“75

einem an der Rechtsfolge ausgerichteten Verständnis als Vorfeldbefugnis zu qualifizieren.22 Zweifel an dieser Einordnung wirft indes die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. April 2006 auf, in der das Gericht ausdrücklich bestimmt, dass die Rasterfahndung von Verfassungs wegen erst bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für die dort genannten Rechtsgüter zulässig ist und im Vorfeld der Gefahrenabwehr ausscheide.23 Der Urteilstenor macht deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht nicht von einem an der Rechtsfolge orientierten Vorfeldbegriff ausgeht, sondern dem Vorfeld der Gefahrenabwehr gerade die tatbestandliche Forderung nach einer konkreten Gefahr gegenüberstellt. cc) Zusammenfassung Eine Systematisierung der polizeilichen Eingriffsbefugnisse am Maßstab ihrer Rechtsfolge kann durchaus angemessen sein, um etwa übereinstimmende Problemstellungen aller Datenerhebungstatbestände, insbesondere im Hinblick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und dessen speziellen Verbürgungen, aufzuzeigen und überschaubar zu behandeln.24 Diese Differenzierung spiegelt allerdings nicht die Abgrenzung zwischen der klassischen Polizeirechtsdogmatik und einer deren Strukturen und Grenzen überwindenden Befugnisschicht wider.

III. 3. a). Gusy stellt daher grundsätzlich die Frage, wieweit es angesichts des langwierigen Verfahrens der Rasterfahndung überhaupt praktisch möglich ist, in deren Rahmen eine konkrete Gefahr vorauszusetzen, Gusy, KritV 2002, 474 (489 f.), jedoch bezogen auf die seinerzeitige nordrhein-westfälische Gesetzesfassung, die sogar eine gegenwärtige Gefahr verlangte. Vgl. auch Hornmann, NVwZ 2010, 291 (295); Möstl, DVBl. 2010, 808 (809); Schewe, NVwZ 2007, 174 (176); Sokol, in Bäumler, S. 188 (192 f.); Welsing, S. 354 ff.; Zschoch, S. 9. 22  So auch Welsing, S. 306 f. 23  BVerfGE 115, 320 (362); dazu kritisch Weber, S. 159 ff. Überraschend erscheint vor diesem Hintergrund die Neufassung des Art. 44 Abs. 1 Nr. 2 Bay. PAG sowie dessen Rechtfertigung durch Käß, BayVBl. 2009, 360 (362), der die Vereinbarkeit der Norm mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schlicht damit begründet, dass die Vorfeldvariante nach dem Bay. PAG einen Unterfall der Gefahrenabwehr darstelle. Siehe auch Drs.-LT Hes. 18 / 861 S. 17 f. Hierzu und zum originären Anwendungsbereich der Regelung kritisch Welsing, S. 186 f. Zu den Einordnungsschwierigkeiten der Rasterfahndung dies., S. 307 f. 24  Eine entsprechende Untergliederung wird etwa von Gusy, Polizeirecht, S. VIII f. in seinem Lehrbuch vorgenommen, wo er den Gefahraufklärungs- die Gefahrbeseitigungsbefugnisse gegenüber stellt.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

b) Tatbestandsorientiertes Verständnis Alternativ bietet sich daher eine tatbestandsorientierte Abgrenzung zwischen den Vorfeld- und Gefahrenabwehrbefugnissen an. Die spezifischen Probleme des Vorfeldrechts stellen sich gerade aufgrund der Abkehr von der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr und der grundsätzlichen Begrenzung der Maßnahmen auf die für diese Gefahr verantwortlichen Personen. Die Vorfelddefinition kann daher nur an diesen tatbestandlichen Divergenzen ihren Ausgangspunkt finden. aa) Vorfeld als Abkehr von der konkreten Gefahr Die Vorfeldbefugnisse sind danach in jedem Fall durch ihre tatbestand­ liche Abkehr von der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr gekennzeichnet.25 Diese Eingriffsschwelle bildet den Kernbegriff des klassischen Polizeirechts. Erst durch die von ihm erfolgte Lösung entstehen die ver­ fassungsrechtlichen und dogmatischen Zerwürfnisse innerhalb des „neuen Polizeirechts“. Auf die den Kreis der Maßnahmenempfänger limitierende Störerdogmatik kann ohne eine ihr vorausgehende konkrete Gefahr ebenfalls nicht zurückgegriffen werden. Das Polizeihandeln im Vorfeldbereich soll diese tradierten Schranken überwinden, was es in einem rechtsstaatlichen Polizeirecht unerlässlich macht, durch Substitute äquivalente Begrenzungen der staatlichen Eingriffssphäre zu errichten.26 bb) Die konkrete Gefahr im Gefahrenvorfeld Erscheint die bisher vorgenommene Abgrenzung zwischen dem Vorfeldund dem Gefahrenabwehrrecht als wenig „spektakulär“ und mehr als eine Art Klarstellung,27 zeigt sich die hinter diesem Gliederungsabschnitt steckende Problematik in der zunächst widersprüchlich wirkenden Überschrift. Den Anlass für diesen Prüfungspunkt bildet die bereits angesprochene Einordnung der präventiv-polizeilichen Rasterfahndung. In ihrem Tatbestand setzt diese Maßnahme von Verfassungs wegen das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus.28 Sie würde daher bis hierhin nicht die Voraussetzungen einer Vorfeldbefugnis erfüllen. Auf der anderen Seite umfassen die dogma25  Krane, S. 66. Ebenso bezogen auf die „polizeiliche Informationsvorsorge“ Aulehner, S. 54; Maximini, S. 7. 26  Dazu 4. Teil B. 27  Soweit bereits Büllesfeld, S. 81, ohne dass dieser Einteilung eine nähere Untersuchung vorausginge. 28  So BVerfGE 115, 320 (362). A. A. Welsing, S. 379 ff., 440 ff.



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“77

tischen Strukturelemente des klassischen Gefahrenabwehrrechts jedoch neben der konkreten Gefahr auch deren individuelle Zurechenbarkeit an einen bestimmten Störer als Maßnahmenadressaten.29 Nur ausnahmsweise kann eine Maßnahme auf diesem Gebiet unter den strengen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes auch an den (individuellen) Nichtstörer gerichtet werden.30 Im Fall der Rasterfahndung jedoch ist trotz des Erfordernisses einer konkreten Gefahr ein Rückgriff auf die Störerdogmatik ausgeschlossen, so dass auch eine Einordnung in das klassische Gefahrenabwehrrecht als nicht möglich erscheint. Die Rasterfahndung steht dabei lediglich exemplarisch für diese Befugnisart. Maßnahmenübergreifend muss eine Einordnung derjenigen Befugnisse vorgenommen werden, welche sich zwar der tradierten Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr bedienen, ohne dabei jedoch diesen Eingriffsanlass einer individuell bestimmten Person zuzurechnen. Das übereinstimmende Merkmal dieser Befugnisse bildet daher deren besondere Streubreite, welche dem herkömmlichen Polizeirecht völlig fremd ist. Adressaten der Maßnahmen sind zum ganz überwiegenden Teil unbeteiligte und sogar unverdächtige Personen. Der Reichweite einer derartigen Inanspruchnahme müssen selbstverständlich schon von Verfassungs wegen einfachgesetzlich Grenzen gezogen werden. Die Schutzmechanismen der klassischen Polizeirechtsdogmatik bieten dafür jedoch keine hinreichende Handhabe. Ihr sind lediglich die Figuren des Störers und des Nichtstörers bekannt, denen in beiden Fällen eine individuelle personale Zuordnung zugrunde liegt, die sich entweder aus der Verantwortung für die Gefahr oder aus der überlegenen Eignung zu deren Abwehr ergibt.31 Beide personalen Anknüpfungspunkte scheiden im Rahmen der vorliegenden Maßnahmen aus, so dass eine Qualifikation als klassische Gefahrenabwehrbefugnis nicht erfolgen kann.32 Demnach könnte nur erwogen werden, diese Befugnisschicht entweder dem Vorfeldrecht oder einem eigenen, dritten präventiv-polizeilichen Teilrechtsgebiet zuzuordnen. Letzterer Ansatz wurde bisher nicht vorgeschlagen oder gar vertreten. Es sind jedoch auch keine dogmatischen Gründe ersichtlich, welche einen solchen Schritt als erforderlich erachten ließen. Im Gegenteil zeigt sich, ohne an dieser Stelle bereits die Voraussetzungen der 29  Siehe dazu die bereits eingangs genannte Grundentscheidung Pr. OVGE 12, 397 (403) sowie Groh, NdsVBl. 2011, 10 (12); Middel, S. 335; Möstl, Jura 2005, 48 (52); Riegel, DÖV 1994, 814 (818); Welsing, S. 291 f. 30  Dazu schon 2. Teil B. II. 31  Siehe auch Seel, Die Polizei 2002, 192. 32  Siehe auch Welsing, S. 307. Darüber hinaus ergeben sich auch im Hinblick auf die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr durch den fehlenden Individualbezug strukturelle Unterschiede gegenüber der Gefahr im klassischen Sinne, welche aber erst an späterer Stelle aufgegriffen werden sollen, siehe 3. Teil C. I. 3.

78

3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Eingriffsermächtigungen im Einzelnen behandeln zu wollen, dass entindividualisierte Maßnahmen mit einer der Rasterfahndung entsprechenden Streuwirkung dem übrigen Vorfeldrecht, das durch den Verzicht auf die konkrete Gefahr eindeutig als solches gekennzeichnet ist, keineswegs fremd sind. Bereits an dieser Stelle kann ohne weitere Ausführungen im Einzelnen etwa auf die Videoüberwachungen öffentlicher Straßen und Plätze verwiesen werden, welche schon aufgrund ihrer technischen Einsatzform keine personale Begrenzung ermöglicht. Letztlich erscheint es danach überzeugend, die Differenzierung zwischen Vorfeld- und Gefahrenabwehrrecht nicht schlicht an der Verwendung der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr zu markieren, sondern die Abgrenzung anhand der dogmatischen Strukturelemente insgesamt vorzunehmen. Dem „neuen Polizeirecht“ sind danach diejenigen Befugnisse zuzuordnen, welchen die tradierte Polizeirechtsdogmatik nicht mehr zugrunde gelegt werden kann. Die Vorverlagerung darf danach nicht schlicht in zeitlicher Hinsicht bezogen auf den schadensstiftenden Kausalverlauf verstanden werden, vielmehr ist zutreffend von einer Erweiterung des bisherigen präventivpolizeilichen Handlungsfeldes zu sprechen. Die Erweiterung bezieht sich an dieser Stelle auf die Überwindung der Grenzen der bisherigen Dogmatik, welche durch die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr und eines individuell verantwortlichen Adressatenkreises gekennzeichnet ist.33 Sofern zumindest eines dieser Strukturelemente nicht mehr erfüllt wird, ist eine Qualifikation als Vorfeldmaßnahme gerechtfertigt. 2. Zusammenfassung Da auf Rechtsfolgenseite weder für die Vorfeld- noch für die Gefahrenabwehrbefugnisse ein Ausschließlichkeitsmerkmal auszumachen ist, hat deren Abgrenzung auf Tatbestandsebene zu erfolgen. Eine Befugnisnorm ist auf das polizeiliche Vorfeld bezogen, wenn sie die Polizei entweder schon vor der Entstehung einer konkreten Gefahr zu einem Einschreiten berechtigt oder wenn zwar eine konkrete Gefahr tatbestandlich vorausgesetzt wird, die Maßnahme aber auf keinen individualisierbaren Adressatenkreis beschränkt ist.

II. Die „Befugnis“ Unter einer „Befugnis“ wird eine Rechtsgrundlage verstanden, welche die Verwaltung zu Eingriffen in die Grundrechte ermächtigt. Solche Normen 33  Pitschas,

Speyerer Arbeitsheft Nr. 121, S. 50.



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“79

sind von bloßen Aufgabenzuweisungen abzugrenzen, auf welche jedoch bei der Auslegung der Befugnisse zurückgegriffen werden kann.34 1. Gesteigerte Eingriffssensibilität im Gefahrenvorfeld Dieses allgemeine Begriffsverständnis der Eingriffsbefugnis gilt selbstverständlich auch im Vorfeldrecht uneingeschränkt fort. Jedoch muss gerade für diese Befugnisschicht eine besondere Sensibilität in der Beurteilung des Eingriffscharakters konstatiert werden.35 Vorfeldarbeit erstreckt sich in ganz besonderem Maße auf die Erhebung und Verarbeitung von Informationen.36 Nur die wenigsten Maßnahmen in diesem Bereich sind direkt auf die Abwehr und Beseitigung von Bedrohungspotenzialen gerichtet und besitzen ein dementsprechend willensbrechendes oder zumindest -beugendes Element, das den Maßnahmenadressaten eine bestimmte Verhaltensweise vorgibt. Vorrangig betrifft dieses Handlungsfeld die Aufdeckung etwaiger Gefahrenpotenziale.37 In der Ermangelung eines von diesen Befugnissen ausgehenden finalen, unmittelbaren Rechtsakts, der mit Befehl und Zwang durchgesetzt werden kann, scheiden bei ihnen Eingriffe im klassischen Sinne in aller Regel aus.38 Die von den Vorfeldbefugnissen ausgehenden Belastungen könnten daher gegenüber denen des klassischen Polizeirechts zunächst als milder gewertet werden, da sie die von ihnen betroffene Person selbst in ihrem Verhalten und ihren Absichten nicht unmittelbar beeinflussen. Jedoch steht diesen modernen Eingriffsbefugnissen grundrechtsdogmatisch ein modernes Besorgnispotenzial gegenüber. Angesichts der heutigen Informationstechnologie, die in sekundenschnelle die Übermittlung, Verknüpfung und Abgleichung von personenbezogenen Daten ermöglicht, wohnt jeder Datenerhebung für den Betroffenen die Gefahr inne, dass auf deren Grundlage ein Persönlichkeitsprofil erstellt wird, vermöge dessen er in einem anderen Zusammenhang Nachteile erfahren kann. Der Betroffene muss daher wissen, wer was bei welcher Gelegenheit über ihn weiß.39 Andernfalls ginge von den 34  Albers,

S. 21 ff. an dieser Stelle undifferenziert einzelne Stimmen aus dem juristischen Schrifttum zu benennen, sei in diesem Zusammenhang allgemein auf die Berichterstattung in den Medien verwiesen, die gesetzgeberische Diskussionen und Initiativen auf dem sicherheitspolitischem Felde scheinbar stets mit der Sorge über die Errichtung eines „Orwell’schen Überwachungsstaates“, vgl. etwa Ring, StV 1990, 372, begleiten und darin von den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder regelmäßig bekräftigt werden. 36  Insofern ist Möstl, Recht zu geben, vgl. 3. Teil A. I. 1. a). 37  Siehe dazu auch Möstl, Staatliche Garantie, S. 180. 38  Zum klassischen Eingriffsbegriff siehe etwa Zöller, S. 33. 39  So schon die grundlegenden Aussagen in BVerfGE 65, 1 (43). 35  Ohne

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

für den Vorfeldbereich gerade typischen Instrumenten der Datenerhebung und Datenverarbeitung ein derartiger Konformitätsdruck aus, der die unbeschwerte Ausübung der Freiheitsrechte ausschließen würde.40 Es zeigt sich also, dass auch diese vermeintlich milderen Maßnahmen mit einem erheb­ lichen grundrechtlichen Beeinträchtigungspotenzial verbunden sind. Die gerade im Vorfeldbereich darüber hinaus besonders ausgeprägte Befürchtung, die grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre könnte in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise verkürzt werden, dürfte jedoch einem weiteren, spezifischen Umstand geschuldet sein, der sogleich am Beispiel der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze ausführlicher dargestellt werden soll. Neben der direkten Aufklärung und Abwehr von Bedrohungspotenzialen bedient sich die Polizei im Vorfeldrecht bewusst einer besonderen Vermeidungsstrategie zur indirekten Verhaltensteuerung.41 Träger dieser Vorgehensweise sind die schon im vorherigen Abschnitt herausragend vorgestellten entindividualisierten Maßnahmen.42 Diese Maßnahmen lassen sich keinem individuell bestimmbaren Adressatenkreis zuordnen, was umgekehrt bedeutet, dass auch der einzelne Bürger nicht beurteilen kann, inwiefern er von diesen erfasst wird. Dadurch kann auf seiner Seite ein „Gefühl des Überwachtwerdens“43 entstehen, welches zugleich die zuvor beschriebene Gefahr für die unbefangene Grundrechtsausübung in sich trägt.44 Pointiert bedeutet dies, dass sich die Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben gerade den Effekt zunutze macht, der die besondere Eingriffsqualität personenbezogener Informationsverarbeitungen überhaupt erst begründet.45

40  BVerfGE 65, 1 (43); zuletzt BVerfGE 122, 342 (369). Zur psychologischen Wirkungsweise dieses Anpassungsdrucks Büllesfeld, S.  75 m. w. N.; Gusy, KritV 2010, 111 (119). Kritisch Thiel, S. 249 ff. 41  Siehe auch Finger, S. 211, der jedoch letztlich von einer bloßen „Nebenwirkung“ ausgeht, S. 212; Guckelberger, VBlBW 2011, 209 (212); Rux, in Huster / Rudolph, S. 208 (212). 42  Siehe 3. Teil A. I. 1. b) bb). Zur Bedeutung der Streubreite dieser Maßnahmen Söllner, DVBl. 2010, 1248. 43  BVerfGE 115, 320 (354 f.); 120, 378 (402, 430). 44  Siehe auch BVerfG, NJW 2000, 55 (63). Bezogen auf die polizeiliche Rasterfahndung kritisch Welsing, S. 419 ff., 427 ff. 45  Schon Möstl, Staatliche Garantie, S. 245 ff., weist auf das grundrechtliche Problem der mittelbaren Verhaltenssteuerung als eigenständiges Instrument einer vorsorgenden Risikovermeidungsstrategie hin. Ferner Waechter, DÖV 1999, 138 ff.



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“81

a) Die indirekte Verhaltenssteuerung am Beispiel der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze aa) Funktion der präventiv-polizeilichen Videoüberwachung Für die exemplarische Betrachtung der indirekten Verhaltenssteuerung ist die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze geradezu prädestiniert.46 Die präventiv-polizeiliche Videoüberwachung dient vorwiegend dazu, bereits das Entstehen einer Gefahr bzw. konkreter einer Straftat zu verhindern. Der Aufzeichnungsvorgang selbst ist an sich nicht geeignet, in einen angesetzten Kausalverlauf einzugreifen.47 Lediglich in den praktisch nur vergleichsweise wenigen Fällen, in denen eine bereits begonnene aber noch nicht abgeschlossene Störung aufgezeichnet und die Aufnahme zeitgleich ausgewertet wird, kann dieses Mittel überhaupt dazu beitragen, der Polizei den Einsatz weiterer, den Schaden abwendender oder zumindest reduzierender Maßnahmen zu ermöglichen, sofern die Störung bis zu diesem Einsatz nicht bereits abgeschlossen ist.48 Darüber hinaus kann eine unmittelbare Tauglichkeit des Instruments im Rahmen der polizeilichen Aufgabenerfüllung allenfalls in Vorbereitung einer späteren Strafverfolgung angenommen werden, was allerdings die Kompetenz des Polizeigesetzgebers in Frage stellen würde.49 Maßgebliche, präventiv-polizeiliche Intention dieses Mitteleinsatzes kann daher nur sein, eine erhöhte Aufklärungswahrscheinlichkeit und damit ein größeres Verfolgungsrisiko zu begründen oder zumindest einen entsprechenden Eindruck bei potenziellen Störern bzw. Straftätern zu suggerieren, wodurch die Hemmschwelle einer Straftatbegehung erhöht wird.50 Ihre poli46  Möstl, Staatliche Garantie, S. 247 f. geht ebenfalls davon aus, dass die mit dieser Maßnahme verbundene Abschreckung sogar deren eigentlicher Hauptzweck sei. Daneben Brenneisen, DuD 2004, 711 (716); Müller, Die Polizei 1997, 77 (80 f.); Volkmann, NVwZ 2000, 361 (364 f.). 47  Roggan, in Roggan / Kutscha, S. 215 f. 48  So auch Götz, FS Schreiber, 103 (107); Koch, S. 209; Roggan, NVwZ 2001, 134 (138); ders., in Roggan / Kutscha, S. 216; Schewe, NWVBl. 2004, 415; Zöller, NVwZ 2005, 1235 (1239). 49  Vgl. Vahle, NVwZ 2001, 165 (166 f.). Die sog. Verfolgungsvorsorge unterliegt als Unterfall des gerichtlichen Verfahrens der konkurrierenden Bundeskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, vgl. BVerfGE 113, 348 (369 ff.), von welcher der Bundesgesetzgeber hinsichtlich der Videoüberwachung mit § 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO abschließend Gebrauch gemacht hat, vgl. Schewe, NWVBl. 2004, 415 (419 f.) [jedoch bezogen auf die Vorgängerregelung des § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit. a) StPO]. 50  Drs.-LT BW 12 / 5706 S. 7, 11; siehe auch Drs.-LT R-P 14 / 2287 S. 42; Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (409); Bornewasser / Schulz, Die Polizei 2005, 39 (40); Büllesfeld, S. 34, 88 ff. m. w. N.; Götz, FS Schreiber, 103 (107); Gusy, NWVBl.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

zeiliche Wirkungsweise beschränkt sich damit vorwiegend auf eine derartige indirekte Verhaltenssteuerung.51 Die Maßnahme bestimmt schlicht durch einen mittelbaren Druck das Verhalten der von ihr Betroffenen und wirkt dadurch auf die Kausalverläufe ein, ohne jedoch eine neue, naturwissenschaftliche Kausalitätskette selbst in Gang zu setzen. Ihrer unmittelbaren Wirkungsweise in Gestalt der Bildübertragung oder gar der Datenerhebung kommt in präventiver Hinsicht hingegen nur eine sehr untergeordnete Bedeutung zu.52 bb) Die Eingriffsqualität der präventiv-polizeilichen Videoüberwachung Die primär mittelbare Wirkungsweise der polizeilichen Videoüberwachung als Beispiel einer entindividualisierten Eingriffsbefugnis wirft unweigerlich die Frage auf, wie dieser Effekt in der grundrechtlichen Eingriffsdogmatik zu beurteilen ist. Bevor diese Betrachtung jedoch vorgenommen werden kann, müssen zunächst die Einsatzvarianten dieser Maßnahme kurz beschrieben werden. Sämtliche Polizeigesetze sehen inzwischen die Videoüberwachung in grundsätzlich zwei verschiedenen Formen vor. Auf der einen Seite kann mittels dieser Technik eine Aufzeichnung der aufgenommenen Bilder erfolgen, die anschließend für eine bestimmte Zeitspanne gespeichert und bei Bedarf ausgewertet werden kann. Auf der anderen Seite ist jedoch auch eine bloße Bildübertragung möglich, wobei ein Polizeibeamter per Monitor die Aufnahmen unmittelbar auf polizeirelevante Sachverhalte 2004, 1; Henrichs, BayVBl. 2005, 289 f.; Maximini, S. 14; Möstl, Staatliche Garantie, S. 247 f.; Schewe, NWVBl. 2004, 415 f.; ders., Sicherheitsgefühl, S. 25; /  Kutscha, S. 216 f.; Schmitt Glaeser, BayVBl. 2002, 584 f.; Roggan, in Roggan  Waechter, DÖV 1999, 138 ff. Grundsätzlich zur Abschreckungswirkung Horn, FS Schmidt-Glaeser, S. 435 (462 f.); Zöller, S. 84 f. Siehe auch die Ausführungen des Landes NRW in der beantragten Klageabweisung in VG Münster, Urt. v. 21.8.2009 – 1 K 1403 / 08, BeckRS 2009, 37985 sowie Waechter, JZ 2002, 854 (855). Zöller, NVwZ 2005, 1235 (1239 f.) begreift die Videoüberwachung zur Abschreckung ­potenzieller Täter als ein repressives Mittel und ordnet sie daher der Strafverfolgung zu. 51  BVerfG NVwZ 2007, 688 (690); Finger, S. 194 f., 206 f. Daneben ist die mit dieser Maßnahme bezweckte Steigerung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung, welche sich ebenfalls durch eine lediglich subjektive Wirkungsweise auszeichnet, nicht zu unterschätzen. Dazu ausführlich Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 24 ff. Siehe daneben auch Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 733 f.; Büllesfeld, S. 34; Nürnberger, Die Polizei 2000, 230 (231 f.), dort auch abgedruckt die entsprechenden Aussagen der Innenministerkonferenz v. 4. / 5. Mai 2000; Vahle, NVwZ 2001, 165 f. Vgl. auch Drs.-LT BW 12 / 5706 S. 7, 11; Drs.-LT R-P 14 / 2287 S. 42. 52  Dazu schon Dolderer, NVwZ 2001, 130 (132); Roggan in Roggan / Kutscha, S. 216 f.; Schmitt Glaeser, BayVBl. 2002, 584 (588).



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“83

hin überprüft und bei Vorliegen ebendieser die entsprechenden Abwehrmaßnahmen anordnet.53 Die Kamera ist in dieser Variante ein Instrument zur verlängerten Wahrnehmung des Beamten, ohne dass über die bloße Bildübertragung hinaus eine Aufzeichnung der Vorgänge erfolgt. Zusätzlich kann noch danach differenziert werden, ob Nahaufnahmen oder so genannte Übersichtsaufnahmen angefertigt werden. Inwiefern durch den Einsatz dieser Technik in die Grundrechte der von ihr Betroffenen eingegriffen wird, ist nach wie vor sehr umstritten. Teilweise wird die Eingriffsqualität der Videoüberwachung ohne Bildaufzeichnung54 gänzlich abgelehnt.55 Die Videokamera sei hier von ihre Funktion her mit einer Sehhilfe wie einem Fernglas vergleichbar.56 Der Polizeibeamte muss nicht unmittelbar am Ort des Geschehens anwesend sein, sondern kann von einer zentralen Stelle aus mittels Bildübertragung zeitgleich die verschiedensten Plätze beobachten und bei Entstehen einer Gefahr oder sonstiger Bedrohungen entsprechende Maßnahmen ergreifen oder veranlassen. Es erfolgt weder eine Datenerhebung oder eine sonstige Datenverarbeitung, geschweige denn ginge sonst ein direkter Zwang von dieser Maßnahme aus. Es bestehe kein Unterschied zu der direkten Wahrnehmung eines vor Ort anwesenden Polizisten.57 Dieser Ansatz verkennt jedoch die zuvor beschriebene Wirkungsweise einer Videoüberwachung, welche von der Art ihres Einsatzes vollkommen 53  Siehe differenzierend etwa § 15a Abs. 1 PolG NRW; sogar im Hinblick auf die Eingriffsvoraussetzungen unterscheidend § 27 Abs. 1 POG R-P. 54  Ist die Videoüberwachung darüber hinaus auch mit einer Aufzeichnung des erfassten Bildes verknüpft, wird deren Eingriffsqualität als Datenerhebungsmaßnahme uneingeschränkt bejaht, vgl. nur BVerfGE 122, 342 (368); VGH Mannheim, NVwZ 2004, 498 (500); OVG HA, NordÖR 2010, 498 (499 f.); Götz, FS Schreiber, 103 (109); Henrichs, BayVBl. 2005, 289 (295 f.); Riegel, NVwZ 1990, 745 f.; Roggan, in Roggan / Kutscha, S. 211; Schmitt Glaeser, BayVBl. 2002, 584 (585); Schnabel, NVwZ 2010, 1457; Zöller, NVwZ 2005, 1235 (1238). Teilweise wurde früher weiter danach differenziert, ob es sich um eine Nah- oder um eine Übersichtsaufnahme ohne Identifizierungsmöglichkeit handelte, vgl. etwa VG Karlsruhe, NVwZ 2002, 117 (118); Dolderer, NVwZ 2001, 130 (131), Gusy, Polizeirecht, Rn. 188. Schon aufgrund des heutigen Standes der Technik, welche auch in Übersichtsaufnahmen die Einzelpersonen in der Regel individualisierbar erfasst, kann an dieser Differenzierung aber nicht mehr festgehalten werden, so BVerfGE 122, 342 (368 f.); bereits früher Robrecht, NJ 2000, 348 (349). 55  Drs.-LT BW 12 / 5706 S. 11; Drs.-LT R-P 14 / 2287 S. 42; Drs.-LT Thü. 3 / 2128 S. 28; VG Halle, LKV 2000, 164; VG Karlsruhe, NVwZ 2002, 117 (118); Henrichs, BayVBl. 2005, 289 (295). 56  Drs.-LT BW 12 / 5706 S. 11. 57  VG Karlsruhe, NVwZ 2002, 117 (118); Henrichs, BayVBl. 2005, 289 (296); Pitschas, DÖV 2002, 221; Söllner, DVBl. 2010, 1248; ders., Die Polizei 2010, 311 (313); Waechter, DÖV 1999, 138 (144); Zöller, NVwZ 2005, 1235 (1238).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

unabhängig ist und sich nicht mit der körperlichen Anwesenheit eines Polizeibeamten vergleichen lässt.58 Anders als in diesem Fall kann der von der Kamera erfasste Bürger den dahinter stehenden technischen Vorgang nicht durchblicken.59 Es macht aus seiner Perspektive heraus daher keinen Unterschied, ob es sich um eine bloße Bildübertragung oder um eine Aufzeichnung, um eine Nah- oder eine Übersichtsaufnahme handelt. Anders als bei einer „körperlichen“ polizeilichen Beobachtung bleibt es für den sich auf dem Platz befindlichen Bürger verborgen, ob nun gerade er in das „polizeiliche Visier“ gerät.60 Der maßgebliche qualitative Unterschied zur „realen“ Polizeibeobachtung besteht allerdings in der zumindest potenziellen Fixierung und Konservierung des Moments, deren weitere Verwendung für den betroffenen Bürger nicht ersichtlich ist.61 Er weiß nicht, ob er aufgrund seines von einer Kamera erfassten Verhaltens zu einem späteren Zeitpunkt einen Nachteil erfahren könnte. Gerade diese Verunsicherung macht sich die Polizei mit der Videoüberwachung zur indirekten Verhaltenssteuerung zunutze.62 Um es noch stärker zu betonen, kommt es ihr aus präventiver Sicht auf die Beobachtung und die Aufzeichnung durch die Kameras gar nicht an, entscheidend ist für sie deren Lenkungswirkung. Auch wenn die so beschriebenen belastenden Folgen der Videoüberwachung nicht zu leugnen sind, sehen sich zahlreiche rechtswissenschaftliche Autoren und Gerichte daran gehindert, auf bloßer Grundlage der indirekten Verhaltenssteuerung die Eingriffsqualität dieser Maßnahme anzunehmen, vielmehr erfolgt eine Fokussierung auf die reine Datenerhebung und damit 58  Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (407); VGH Mannheim, NVwZ 2004, 498 (500); OVG HA, NordÖR 2010, 498 (500); Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 731 f.; Koranyi / Singelnstein, NJW 2011, 124 (126, 128); Kutscha, KJ Bd. 44 (2011), 223 (224); Maximini, S. 84 ff.; Riegel, NVwZ 1990, 745 f.; Robrecht, NJ 2000, 348 (350); ders., NJ 2008, 9 (11); Röger / Stephan, NWVBl. 2001, 201 (206 f.); Roggan in Roggan / Kutscha, S.  212; ders., NVwZ 2010, 1402 (1403); Schnabel, NVwZ 2010, 1457; Siegel, Verw.Arch 102 (2011), 159 (163). 59  Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (407); VG Münster, Urt. v. 21.8.2009 – 1 K 1403 / 08, BeckRS 2009, 37985; VG Berlin, NVwZ 2010, 1442 f.; Koch, S. 123; Kutscha, KJ Bd. 44 (2011), 223 (224). 60  Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (407); OVG Münster, Urt. v. 23.11.2010 – 5 A 2288  /  09, BeckRS 2010, 56316; VG Berlin, NVwZ 2010, 1442; Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 732; Büllesfeld, S. 143 f.; Röger / Stephan, NWVBl. 2001, 201, (206 f.); Roggan in Roggan / Kutscha, S. 212; ders., NVwZ 2010, 1402 (1404); Zschoch, S. 200. 61  So auch BVerfGE 122, 342 (370); Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (407); OVG HA, NordÖR 2010, 498 (500); Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 732; Roggan, in Roggan / Kutscha, S. 212; Schmitt Glaeser, BayVBl. 2002, 584 (587). 62  Gusy, NWVBl. 2004, 1 (2); Henrichs, BayVBl. 2005, 289  f.; Maximini, S. 84 f.; Siegel, Verw.Arch 102 (2011), 159 (163 f.). Siehe auch Koreng, LKV 2009, 198 (199).



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“85

den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung,63 obwohl es sich hierbei doch nur um einen Nebeneffekt der Videoüberwachung handelt.64 Bestimmende Ursache dafür dürfte sein, dass sich die beeinträchtigende Wirkung aus einer rein subjektiv empfundenen Belastung des Grundrechtsträgers ergibt.65 Rein subjektive Empfindungen genügen aber nach bisherigem Verständnis nicht zur Annahme eines Eingriffs.66 Daran ist auch grundsätzlich festzuhalten. Jedoch dürfen dabei Sinn und Zweck dieser Restriktion nicht vernachlässigt werden. Der Ausschluss bloß subjektiv empfundener Belastungen soll einer Abgrenzung zwischen grundrechtlich relevanten Beeinträchtigungen und bloßen Bagatellen dienen.67 Auf dieses Abgrenzungskriterium kann jedoch nicht mehr zurückgegriffen werden, wenn die nur subjektiv empfundene Beeinträchtigung zum Zweck staatlichen Handelns erhoben wird und damit den Status einer übertriebenen, unvorhersehbaren, individuellen Empfindlichkeit übersteigt.68 Der Staat 63  So etwa Henrichs, BayVBl. 2005, 289 (292 ff.); Schewe, NWVBl. 2004, 415 (417), der aber daneben durchaus einen Eingriff in ein benanntes Freiheitsrecht bei entsprechenden Bezugspunkten für möglich hält; Thiel, S. 255 f.; siehe dazu auch BVerfGE 120, 348 (406), das von einer „funktionalen Eingriffsäquivalenz“ im Hinblick auf ein benanntes Freiheitsrecht spricht. Inwieweit der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung tatsächlich zwingend an eine Datenerhebung gebunden ist, soll in dieser Arbeit nicht entschieden werden. Siehe dazu aber /  Kutscha, S. 212. Vgl. auch OVG Münster, Urt. v. kritisch Roggan, in Roggan  23.11.2010 – 5 A 2288 / 09, BeckRS 2010, 56316; VG Münster, Urt. v. 21.8.2009 – 1 K 1403 / 08, BeckRS 2009, 37985; VG Berlin, NVwZ 2010, 1442 (1443). Demgegenüber zwingend eine Datenerhebung voraussetzend Koreng, LKV 2009, 198 (199); Schmitt Glaeser, BayVBl. 2002, 584 (585). In diesem Zusammenhang zeichnen sich Parallelen zu den Diskussionen um die so genannte konfiskatorische Besteuerung ab, durch welche nicht lediglich das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG, sondern auch diejenigen Freiheitsrechte betroffen sind, welche das von der „Erdrosselung“ betroffene Verhalten schützen, siehe Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1173). 64  Etwa Götz, FS Schreiber, 103 (110); Gusy, NWVBl. 2004, 1 (2); Schmitt ­Glaeser, BayVBl. 2002, 584 (588). 65  Gusy, KritV 2010, 111 (119). Siehe dazu auch die kritische Rechtsprechungsanalyse von Söllner, Die Polizei, 2010, 311 ff. 66  Siehe dazu Heckmann, JZ 1996, 880 (883  f.); Robrecht, NJ 2000, 348 (349)  m. w. N.; Vahle, VR 1986, 258 (261); Zschoch, S. 32. Für den vorliegenden Zusammenhang ablehnend Roggan, NVwZ 2010, 1402, der darauf abstellt, was der Grundrechtsträger angesichts der wahrgenommenen Umstände denken bzw. vernünftigerweise annehmen durfte. Für die polizeiliche Videoüberwachung bereits offen haltend VGH Mannheim, NVwZ 2004, 498 (500). 67  So auch Zschoch, S. 39. Siehe dazu auch Henrichs, BayVBl. 2005, 289 (292); Zöller, S. 33 ff. 68  Das VG Berlin nimmt eine Eingriffsqualität selbst in den Fällen an, in denen die Verhaltensbeeinflussung nur ungewollt eintritt, siehe VG Berlin, NVwZ 2010, 1442 f.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

kann sich dann nicht hinter bloß funktional aufgestellten, dogmatischen Begriffen und Kriterien verstecken.69 Verständlicher wird dieser Ansatz, wenn die beschriebene Problematik auf einen konkreten Fall eines benannten Freiheitsrechts wie der Versammlungsfreiheit bezogen wird.70 Unterstellt, die Polizei würde eine (rechtmäßige) Versammlung auf einem öffentlichen Platz erkennbar mittels Videokameras überwachen,71 so würden sich sicher eine Vielzahl von Personen eingeschüchtert fühlen und ihre Teilnahme nochmals überdenken oder auf jeden Fall versuchen, nicht individuell, etwa durch besondere Transparente, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.72 Dass diese Art der staatlichen Druckausübung keiner an den Grundrechten gemessenen Rechtfertigung bedürfte, kann mit der in Art. 1 Abs. 3 GG statuierten, umfassenden Grundrechtsbindung nicht vereinbar sein.73 Entsprechendes gilt auch für die Beeinträchtigung der übrigen Freiheitsrechte.74 Indes ist es zur Bewältigung dieser Problemlage nicht erforderlich, ein neues, subjektiviertes Eingriffsverständnis zu begründen.75 Der moderne Eingriffsbegriff ist hinreichend flexibel, um auch gegenüber dieser neuen staatlichen Handlungsform eine angemessene Handhabe zu bieten.76 Er ge69  Für das Steuerrecht wird indes eine mittelbare Eingriffsqualität der so genannten „Gestaltungswirkung“ angenommen, sofern die von ihr ausgehende Lenkungswirkung eine bestimmte Intensität aufweist, die der eines klassischen Eingriffs zumindest nahe kommt, vgl. m. w. N. Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1171 f.). 70  Vgl. dazu auch BVerfGE 122, 342 (368 ff.); OVG HA, NordÖR 2010, 498 (505); OVG Münster, Urt. v. 23.11.2010 – 5 A 2288 / 09, BeckRS 2010, 56316; VG Münster, Urt. v. 21.8.2009 – 1 K 1403 / 08, BeckRS 2009, 37985; VG Berlin, NVwZ 2010, 1442 f.; Koranyi / Singelnstein, NJW 2011, 124 ff. 71  Das Beispiel dient dazu, die Wirkung einer Videoüberwachung zu erläutern. Ob dieser Maßnahme das Polizei- oder das Versammlungsrecht zugrunde zu legen ist, ist daher vorliegend ohne Belang. 72  Dazu schon ausführlich Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 732; Dolderer, NVwZ 2001, 130 (132). Söllner, DVBl. 2010, 1248; ders., Die Polizei 2010, 311 (313) differenziert im Hinblick auf die Eingriffsqualität durch einen erzeugten Einschüchterungseffekt im Zusammenhang von Versammlungen nach deren Größe. In diese Richtung schon BVerfGE 122, 342 (372 f.). Zur Abschreckungswirkung vorbeugender Kontrollen bei Versammlungen Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (387), grundsätzlich zum Anpassungsdruck durch die Videoüberwachung, S. 407. Siehe ferner Roggan, NVwZ 2011, 590 (592). 73  Siehe hierzu auch Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (407); Kloepfer, § 63 Rn. 46; Kutscha, KJ Bd. 44 (2011), 223 (226 f.); Maximini, S. 90 f. 74  Vgl. Maximini, S. 91 ff. Finger, S. 210, spricht in diesem Zusammenhang jedoch lediglich von einem „Nebeneffekt“ der Maßnahme; ähnlich Bethge, in HGR III, § 58 Rn. 39. 75  Siehe aber Büllesfeld, S. 142 ff.; Robrecht, NJ 2000, 348 (349) m. w. N.; ders., NJ 2008, 9 (10 f.). Dazu Henrichs, BayVBl. 2005, 289 (293).



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“87

winnt seine Flexibilität durch die ihm zugrunde liegenden Merkmale der Intensität und Vorhersehbarkeit der Folgen staatlichen Handelns. Für gewöhnlich werden subjektive Belastungen diese Schwellen nicht erfüllen, nutzt die Polizei aber gerade die Belastung für ihre Zwecke aus, so sind sie von vornherein vorhersehbar und weisen auch eine ausreichende Intensität auf, wenn sie eben objektiv nachvollziehbar eine Verhaltensbeeinflussung hervorrufen.77 Maßgeblich für die Annahme der Eingriffsqualität ist daher nicht die Form des staatlichen Handelns, wie etwa durch ein imperatives Mittel, sondern dessen Auswirkungen.78 Dabei ist stets ins Bewusstsein zu rufen, dass die Kreation des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1983 eine Reaktion auf die Gefahr war, dass durch die zunehmende Informationstechnologie und den Datenaustausch für den Einzelnen nicht mehr erkennbar sein kann, bei welchen Gelegenheiten Daten über ihn erhoben und zu welchen Zweck diese im Weiteren verwendet werden. Das Gericht sieht darin eine Bedrohung der unbefangenen Ausübung der Freiheitsrechte.79 Diese Freiheitsbeeinträchtigung würde daraus resultieren, dass der Einzelne stets mit einer staatlichen Datenerhebung oder Datenverarbeitung rechnen müsse, was ihn letztlich dazu veranlassen könnte, ein unauffälliges Verhalten zutage zu legen. Funktional dient das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Bewältigung dieser Problemlage. Die Lage kann aber nicht anders beurteilt werden, wenn der Staat zwar objektiv auf eine Datenerhebung verzichtet, den Konformitätsdruck aber dennoch erzeugt, um das Verhalten des Einzelnen zu steuern.80 Dies übersieht etwa Möstl, wenn er die indirekte Verhaltenssteuerung als mit der Abschreckungswirkung des Strafrechts für identisch erklärt und damit die für einen Grundrechtseingriff erforderliche 76

76  VG Münster, Urt. v. 21.8.2009 – 1 K 1403  / 08, BeckRS 2009, 37985; VG Berlin, NVwZ 2010, 1442 f.; Kutscha, KJ Bd. 44 (2011), 223 (226 f.). 77  Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 731 f.; Gusy, NWVBl. 2004, 1 (2); Koch, S. 123. Entsprechend verhält es sich etwa auch in den inzwischen allgemein als Grundrechtseingriff anerkannten Fällen der staatlichen Warnungen. Auch hier wirkt die staatliche Aufklärung als ein Instrument zur indirekten Verhaltenssteuerung, das keinen direkten Zwang aufweist und damit letztlich nur psychologisch wirkt, siehe Cremer, S. 79. 78  Bethge, in HGR III, § 58 Rn. 37 ff.; Cremer, S.  151  m. w. N.; Henrichs, Bay­ VBl. 2005, 289 (292); Roggan, NVwZ 2010, 1402 (1404), rechtlich maßgeblich sei danach nicht die Aufzeichnung, sondern die Wahrnehmung der Kameras. Siehe auch Vahle, VR 1986, 258 (259). Ähnlich auch OVG Münster, Urt. v. 23.11.2010 – 5 A 2288 / 09, BeckRS 2010, 56316. 79  BVerfGE 65, 1 (43); zuletzt erneut BVerfGE 122, 342 (369). 80  OVG HA, NordÖR 2010, 498 (500); Kloepfer / Breitkreutz, DVBl. 1998, 1149 (1152); Robrecht, NJ 2000, 348 (349). Vgl. hierzu auch Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (407); Büllesfelds, S. 122 f.; Maximini, S. 84 ff. Dagegen Götz, FS Schreiber, 103 (110); Henrichs, BayVBl. 2005, 289 (293 ff.).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Erheblichkeit der Beeinträchtigung ablehnt.81 Der Einsatz der polizeilichen Videoüberwachung geht in seiner Wirkung weit über die der bloßen Existenz eines Straftatbestandes hinaus, als sich dessen Wirkung zum einen lediglich an potenzielle Delinquenten richtet und zum anderen seine Bedeutung als Grundlage einer möglichen Strafverfolgung im Falle des Normenverstoßes vollkommen überschaubar ist. Die Videoüberwachung stellt hingegen bereits einen Fall der direkten Gesetzesanwendung dar. Der Betroffene muss individuell keinen Anlass setzen, um von ihr erfasst zu werden und kann selbst diesen Umstand aufgrund der technischen Distanz nicht überblicken.82 Diese Verunsicherung ist der Abschreckungswirkung des Strafrechts hingegen nicht zu eigen. Die so auch tatsächlich beabsichtigte Verunsicherung dokumentiert eindringlich der Einsatz bloßer Kamera­ attrappen.83 Vor diesem Hintergrund kann die zur Annahme eines Grundrechtseingriffs erforderliche Intensität der indirekten Verhaltenssteuerung nicht in Frage gestellt werden. Darüber hinaus zeigt diese Betrachtung auf, dass der Offenheit der Videoüberwachung keine die Eingriffsintensität reduzierende Bedeutung zukommen kann. Es wird zwar zutreffend grundsätzlich davon ausgegangen, dass für den Betroffenen offene Maßnahmen gegenüber ihrem verdeckten Einsatz eine geringere Eingriffsintensität aufweisen, dies kann jedoch nur gelten, sofern zwischen diesen Maßnahmen ein Stufenverhältnis besteht. Hinsichtlich der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze ist es indes so, dass entsprechende verdeckte, entindividualisierte Maßnahmen gar nicht bestehen und sie auch aufgrund der ihnen damit nicht mehr zukommenden indirekten Verhaltenssteuerung zu präventiv-polizeilichen Zwecken völlig ungeeignet wären. Sie können lediglich zum Zwecke einer „echten“ Datenerhebung eingesetzt werden, auf welche es im vorliegenden Zusammenhang gar nicht ankommt. Die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze ist daher gerade auf ihre Offenheit angewiesen, um die mit ihr beabsichtigte Wirkung zu entfalten.84

81  Möstl, Staatliche Garantie, S. 249 ff.; im Ergebnis ebenso Roggan, in Roggan / Kutscha, S. 218 f. Sofern jedoch tatsächlich eine Gefahrenabwehr durch repressive Strafverfolgungsmaßnahmen erfolgen soll, fällt diese Befugnis in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes und kann damit nicht der polizeilichen Gefahrenabwehr i. e. S.  zugeordnet werden, Roggan, in Roggan / Kutscha, S. 217 f. 82  Büllesfeld, S.  75  m. w. N. 83  Auch wenn Henrichs, zwar die mit dieser Maßnahme verfolgte Wirkung anerkennt, lehnt er jedoch eine ihr zukommende Eingriffsqualität ab, BayVBl. 2005, 289 (296 f.). 84  Drs.-LT BW 12 / 5706 S. 9; Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (409); Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 733; Deger, VBlBW 2004, 96 (98); Maximini, S. 14, 103; Schewe, NWVBl. 2004, 415 (416); Siegel, Verw.Arch 102 (2011), 159 (163 f.).



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“89

cc) Zusammenfassung Die präventiv-polizeiliche Videoüberwachung dient damit vornehmlich der indirekten Verhaltenssteuerung, indem sie durch die technische Distanz des Mittels eine Unüberschaubarkeit ihrer Einsatzform hervorruft, die den Bürger infolge seiner Verunsicherung zur Bildung einer Vermeidungsstrategie veranlasst, die schließlich in einem normangepassten Verhalten mündet. Dieser Wirkungsweise ist nicht Nebeneffekt, sondern gerade primäres Ziel dieser Maßnahme. Umgekehrt muss der indirekten Verhaltenssteuerung, auch soweit sie an sich nicht imperativ wirkt, eine Eingriffsqualität in die das jeweilige Verhalten schützenden Grundrechte attestiert werden. Diese ist, das sei nochmals betont, unabhängig von einer möglichen Datenerhebung und damit nicht auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung begrenzt. b) Weitere Maßnahmen der indirekten Verhaltenssteuerung Die polizeiliche Videoüberwachung bildet die prägnanteste Maßnahme der indirekten Verhaltenssteuerung. Allerdings zeichnen sich darüber hinaus weitere Befugnisse durch die dieser Wirkungsweise strukturell zugrunde liegende Entindividualisierung des Adressatenkreises aus. Hierzu zählen etwa die Rasterfahndung, die automatisierte Kennzeichenerfassung sowie die Schleierfahndung.85 Die fehlende Begrenzung des Adressatenkreises verursacht für den Einzelnen prinzipiell eine Unvorhersehbarkeit des Mittel­ einsatzes und damit eine Verunsicherung, weshalb diese Maßnahmen stets zumindest auch Träger der beschriebenen Abschreckungsstrategie sind. Damit ist aber noch nicht entschieden, dass dieser Verhaltenssteuerung in jedem Fall die Qualität eines Grundrechtseingriffs zukommt. Außer Frage steht dieser selbstverständlich, sofern die Daten von einer bestimmten Person tatsächlich individuell erfasst werden. So etwa bei den tatsächlich kontrollierten Personen im Rahmen der Schleierfahndung oder bei den so genannten Trefferfällen im Rahmen des automatisierten Datenabgleichs der automatisierten Kennzeichenerfassung86 oder der polizeilichen RasterfahnSiehe zur Wirkung der offenen Observation Hoppe, S. 33. Siehe hierzu auch im Bezug auf die längerfristige Observation Guckelberger, VBlBW 2011, 209 (212). 85  Letztere Maßnahme wird etwa auch von Möstl als Trägerin der indirekten Verhaltenssteuerung begriffen, Möstl, Staatliche Garantie, S. 247 f. 86  Bei dieser Maßnahme erfassen stationär oder mobil aufgestellte Kameras die sie passierenden Fahrzeuge und lesen dabei automatisiert deren Kennzeichen aus. Anschließend wird das so erfasste Kennzeichen mit Hilfe einer Software mit einem Fahndungsbestand abgeglichen. Sofern eine Übereinstimmung vorliegt (sog. Treffer-

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

dung87. Jenseits dieser Datenverarbeitung hat das Bundesverfassungsgericht die Eingriffsqualität jedoch bisher stets abgelehnt, sofern Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst wurden, aber zugleich sichergestellt war, dass sie unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder anonym, spurenlos und ohne die Möglichkeit, einen Personenbezug herzustellen, gelöscht werden.88 Ersichtlich geht diese Betrachtung wiederum allein von einem objektiven Eingriffsverständnis gebunden an die Datenerhebung und Datenverarbeitung aus, ohne subjektive Eindrücke in Gestalt der Verhaltenssteuerung in die Beurteilung mit einzubeziehen. Diese Beobachtung überrascht insofern, als das Bundesverfassungsgericht den sich in subjektiver Hinsicht auswirkenden Belastungen innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung durchaus eine die Eingriffsintensität steigernde Bedeutung beimisst. So verweist das Gericht in der Entscheidung zur Rasterfahndung nach § 31 PolG NRW a. F. auf einen mit der Maßnahme verbundenen „Einschüchterungseffekt“. Maßnahmen, die in ihrem Tatbestand keinen einer individuellen Person zurechenbaren Eingriffsanlass voraussetzen und folglich mit einer großen Streubreite verbunden sind, würden eine besonders hohe Eingriffsintensität aufweisen,89 da von ihnen Einschüchterungseffekte ausgehen, die die unbefangene Ausübung der Grundrechte beeinträchtigen können. Durch das „Gefühl des Überwachtwerdens“ (!) seien nicht lediglich die subjektiven Rechte des Einzelnen betroffen, sondern auch die auf freier Selbstbestimmung basierende Funktionsfähigkeit des freiheitlich demokratischen Staatswesens berührt.90 Ebendiese Ausführungen finden sich auch in dem späteren Urteil zur automatisierten Kennzeichenerfassung.91 fall), werden das Kennzeichen sowie weitere Informationen wie Ort und Zeitpunkt gespeichert. Andernfalls (sog. Nichttrefferfall) werden die Daten umgehend automatisch wieder gelöscht und lediglich technisch bedingt erfasst, ohne dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt der Polizei zur Verfügung gestanden hätten. 87  Auch bei der Rasterfahndung lässt sich ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung derjenigen Personen ohne Schwierigkeiten annehmen, deren Daten nach einem ersten Datenabgleich noch Gegenstand nachfolgender Maßnahmen sind. Diese Datenverarbeitung erfüllt die Voraussetzungen des modernen Eingriffsbegriffs. Lediglich soweit Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, aber unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder anonym, spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Behörden ausgesondert werden, ist ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der hiervon betroffenen Personen abzulehnen, BVerfGE 115, 320 (343). 88  BVerfGE 115, 320 (343); 120, 378 (399). Dagegen aber aufgrund der fehlenden Vorhersehbarkeit des „Trefferfalles“ Brenneisen / Rogosch / Martins, Die Polizei 2008, 245 (250). 89  BVerfG, NVwZ 2007, 688 (691). 90  BVerfGE 115, 320 (354 f.). 91  BVerfGE 120, 378 (430).



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“91

Das Bundesverfassungsgericht anerkennt somit eine die Eingriffsintensität steigernde Wirkung von bloß subjektiv empfundenen Belastungen. Innerhalb der Eingriffsbegründung wird diesem Aspekt jedoch keine Beachtung geschenkt.92 Es ist aber kein Grund ersichtlich, weshalb ein Umstand, welcher die Eingriffsintensität in ganz besonderem Maße beeinflusst und die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme dementsprechend erhöht, innerhalb der Eingriffsbegründung selbst nicht hinzugezogen werden könnte. In seiner bisherigen Rechtsprechung hat das Gericht vielmehr keinen Anlass gehabt, sich mit dieser Frage näher auseinanderzusetzen. In beiden Entscheidungen wurde lediglich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als diesbezüglicher verfassungsrechtlicher Maßstab zugrunde gelegt, so dass sich die Eingriffsqualität durch die in den Trefferfällen vorzunehmende Datenerhebung bzw. -verarbeitung annehmen ließ.93 Inwiefern den hier genannten Maßnahmen aufgrund deren subjektiver Wirkung im Rahmen der indirekten Verhaltenssteuerung eine über den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hinausgehende Eingriffsqualität attestiert werden kann, soll im Folgenden für jede einzelne Befugnis untersucht werden. Abschließend können nach dieser Betrachtung die zur Begründung der Eingriffsqualität im Fall der indirekten Verhaltenssteuerung erforderlichen Kriterien abstrakt zusammengefasst werden. aa) Die automatisierte Kennzeichenerfassung Im Fall der automatisierten Kennzeichenerfassung stellt sich die Problematik gegenüber der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze nicht wesentlich anders dar. Schon der äußere Einsatz dieser Technik weist große Übereinstimmungen auf, als die Kennzeichenerfassung ebenfalls auf einen mobilen oder stationären Kameraeinsatz zurückgreift. Zwar erfolgt die Auswertung der Bilder mit einem Fahndungsbestand automatisiert, der äußere Eindruck und die Undurchschaubarkeit des Mitteleinsatzes stimmen jedoch überein.94 Ein erfasster Fahrzeugführer kann mithin nicht unterscheiden, ob seine Aufnahme automatisiert oder manuell ausgewertet und gegebenenfalls abgespeichert wird.95 Aus seiner subjektiven Warte heraus erge92  Dazu auch Siegel, Verw.Arch 102 (2011), 159 (163); Trute, Die Verwaltung 2009, 85 (99). 93  BVerfGE 115, 320 (343 f.); 120, 378 (397 ff.). 94  Siehe auch Schieder, NVwZ 2004, 778 (782). 95  Da der Datenabgleich sowohl in der Variante erfolgen kann, dass nach einem bestimmten Kennzeichen gefahndet wird, als auch dass nur Fragmente eines gesuchten Kennzeichens bekannt sind und dementsprechend alle insoweit bestehenden Übereinstimmungen einen Datenabgleich auslösen, zeichnet sich die Maßnahme im Hinblick auf den objektiven Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbst-

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

ben sich in der jeweiligen Situation daher zunächst keine Unterschiede zur bekannten Videobildübertragung und -aufzeichnung. Die vergleichbare Wirkungsweise dokumentiert sich darüber hinaus auch in der Funktion der automatisierten Kennzeichenerfassung. In den Gesetzesbegründungen wurde eine Vielzahl von Einsatzzwecken dieses Mittels genannt. Danach soll die Kennzeichenerfassung etwa der Wiederbeschaffung gestohlener Fahrzeuge, welche häufig zur Begehung weiterer Straftaten Verwendung finden sollen, dem Ausschluss der Weiterfahrt von Fahrzeugen ohne ausreichenden Versicherungsschutz sowie der Vorfeldkontrolle bei Großveranstaltungen dienen.96 Wie die Videoüberwachung liegt die Kennzeichenerfassung damit auf der Nahtstelle zwischen Prävention und Repression. Diesen Zwittercharakter belegt bereits die Terminologie des „Fahndungs(!)-bestands“. In der Tat knüpfen die beispielsweise diskutierten Einsatzvarianten ganz überwiegend an eine bereits begangene Straftat an, inwieweit die Verhinderung weiterer Anschlusstaten zur Begründung des präventiven Charakters ausreicht, mag an dieser Stelle dahin stehen.97 In jedem Fall bedient sich der Staat auch hier des bereits beschriebenen Einschüchterungseffekts, indem er seine Gegenwärtigkeit und Wachsamkeit demonstriert und so ein erhöhtes Entdeckungsrisiko suggeriert.98 Trotz dieser Parallelen zur Videoüberwachung unterscheiden sich jedoch beide Maßnahmen durch die ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Einsatzsituationen insofern, als die automatisierte Kennzeichenerfassung funktionsbedingt örtlich auf den Straßenverkehr begrenzt ist. Anders als öffentliche Straßen und Plätze, die zum einen durch ihre für das demokratische Gemeinwesen essentielle Bedeutung für den kommunikativen Verkehr gekennzeichnet sind, daneben aber auch denkbare Räume für die Ausübung weiterer Grundrechte wie der Religions- oder der Kunstfreiheit bieten, weist der reine Straßenverkehr schon aufgrund seiner praktischen Möglichkeiten nur eine äußerst geringe Grundrechtsrelevanz auf. Ist die faktische Ausübung individueller Freiheitsrechte allerdings von vornherein auf das Engste begrenzt, kann die hier behandelte Maßnahme zugleich nur eine geringe Steuerungswirkung aufweisen. Der Einzelne besitzt schon gar nicht die Möglichkeit, sich im Straßenverkehr gestützt auf seine Individualrechte von der Allgemeinheit abzugrenzen und hierdurch in das staatliche Blickfeld zu bestimmung zumindest in der zweiten Einsatzvariante durch eine erhebliche Streubreite mit überwiegend an dem Einsatzanlass unbeteiligten Adressaten aus. 96  Drs.-LT Bay. 14  /  12261 S. 9; Drs.-LT Hes. 16  /  2352, S. 15; Drs.-LT Thü. 4 / 2941 S. 34; vgl. auch BVerfGE 120, 378 (411) m. w. N. sowie Braun, BayVBl. 2011, 549 (550); Schieder, NVwZ 2004, 778 (779). 97  Siehe dazu Braun, BayVBl. 2011, 549 (550); Hornmann, NVwZ 2007, 669. 98  Drs.-LT Bay. 14 / 12261 S. 9; Braun, BayVBl. 2011, 549 (553).



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“93

geraten. Dadurch ist aber zugleich die argumentative Grundlage, welche die besondere Eingriffsintensität der Videoüberwachung begründete, für den vorliegenden Bereich widerlegt. Nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen wird hier eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein, sofern der Maßnahmeneinsatz im Zusammenhang mit einem außerhalb des Straßenverkehrs liegenden Ereignis wie einer Sportveranstaltung oder gar einer Versammlung steht. Um in dem bereits oben genannten Versammlungsbeispiel zu bleiben, lässt sich auch bei dem Einsatz einer Kamera im Rahmen der automatisierten Kennzeichenerfassung auf dem unmittelbaren Wege zu dem Versammlungsort eine von der Teilnahme abschreckende Wirkung nicht leugnen.99 Selbst das Bundesverfassungsgericht spricht in seinem diese Maßnahme betreffenden Urteil von einer „eingriffsgleichen Maßnahme“ in die entsprechenden Freiheitsrechte und anerkennt die verhaltenssteuernde Wirkung des Mittels.100 Sofern der konkreten Maßnahme also ein über den reinen Straßenverkehr hinausgehender, grundrechtlich relevanter Bezugspunkt zukommt, kann der von ihr ausgehenden indirekten Verhaltenssteuerung eine eigene Eingriffsqualität beigemessen werden.

bb) Die Schleierfahndung Die Schleierfahndung soll den Wegfall der Außengrenzen durch das Schengen-Abkommen kompensieren und ermächtigt zusammengefasst zu anlasslosen Identitätsfeststellungen in Grenzregionen und an bedeutsamen Verkehrspunkten.101 Sofern es tatsächlich zu einem konkreten Einsatz dieses Mittels kommt, steht dessen Eingriffsqualität im Hinblick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung außer Frage. Darüber hinaus jedoch fehlt es an der bei dem Kameraeinsatz beschriebenen Distanzüberschreitung und der Undurchschaubarkeit des technischen Vorgehens. Der Bürger nimmt zwar gegebenenfalls die Anwesenheit eines Polizeibeamten wahr oder muss mit einer solchen rechnen, dieser Effekt unterscheidet sich aber in der Tat nicht von der traditionellen Polizeistreife oder anderen Lebenslagen, bei denen dem Bürger Repräsentanten des Staates begegnen können.102 Der Gesetzgeber erhofft sich zwar, durch die Existenz der Maßnahme das Verhalten potenzieller Delinquenten zu beeinflussen und sie durch ein möglichst hohes Aufklärungsrisiko von der Tatbegehung abzu­ 99  So

explizit BVerfGE 120, 378 (405 f.); auch Arzt, in Roggan / Kutscha, S.  232. 120, 378 (405 f.). 101  Näheres dazu siehe 3. Teil C. I. 2. a). 102  Auch Möstl geht davon aus, dass die bloße Polizeistreife trotz ihrer mittelbar verhaltenssteuernden Wirkung keine Eingriffsqualität besitzt, Staatliche Garantie, S. 203; im Ergebnis ebenso Vahle, VR 1986, 258 (261). 100  BVerfGE

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

schrecken,103 allein dieser Effekt stimmt jedoch mit der Abschreckungswirkung sämtlicher Ermittlungsmaßnahmen und materieller Straftatbestände überein.104 Die bloße Existenz staatlicher Eingriffsbefugnisse und die dadurch veranlassten Vermeidungsstrategien begründen selbst noch nicht deren Eingriffsqualität.105 Vielmehr ist entscheidend, ob in diesen Maßnahmen die von dem Bundesverfassungsgericht in dem Volkszählungsurteil beschriebene Gefahr für die unbeschwerte Ausübung der Freiheitsrechte gerade infolge der modernen Datenverarbeitung zum Ausdruck kommt oder sich der Staat dieser Besorgnis auch ohne tatsächlich erfolgender Datenerhebung gerade für seine Zwecke bedient. Dies wird im Fall der bloßen Schleierfahndung mangels Rückgriff auf ein technisiertes Datenerhebungsverfahren abzulehnen sein.106 Darüber hinaus wirkt sich auch hier der ausschließliche Einsatz im Rahmen des Straßenverkehrs mit seiner geringen Grundrechts­ relevanz die Eingriffsintensität reduzierend aus.107 cc) Die Rasterfahndung Als im Ergebnis ebenso zu beurteilen, stellt sich die Sachlage im Rahmen der Rasterfahndung dar. Der Staat tritt innerhalb dieses Datenabgleichs dem Bürger in keiner Weise offen gegenüber. Der Einsatz erfolgt vielmehr „im Verborgenem“ zwischen der Polizei und den ersuchten Stellen, welche über die jeweiligen Daten verfügen. Der Anordnung und Durchführung der Maßnahme kann somit jenseits des Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in den jeweiligen Trefferfällen keine Eingriffsqualität infolge einer Verhaltensbeeinflussung zugeschrieben werden. Als Grundlage eines solchen verbliebe letztlich nur die reine Existenz der Maßnahme und die Möglichkeit ihres Einsatzes, welche den Bürger zu einem normangepassten Verhalten bewegen könnte, „um nicht in das Suchraster zu fallen“. Dem wird mit ähnlichen Argumenten wie im Fall der Schleierfahndung entgegenzutreten sein. Zwar kann eine Undurchschaubarkeit und 103  Siehe etwa die Stellungnahme der sächs. Staatsregierung in Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (350 f.); daneben Groh, NdsVBl. 2011, 10 (12 f.). 104  Zur Abschreckungskonzeption der Schleierfahndung Waechter, DÖV 1999, 138 (145). 105  Vgl. auch Henrichs, BayVBl. 2005, 289 (294). 106  Vgl. hierzu auch Weber, S. 171 f. 107  Eine andere Beurteilung kann indes auch hier gerechtfertigt sein, sofern der Mitteleinsatz einen über den reinen Straßenverkehr hinausgehenden grundrechtlich relevanten Bezugspunkt aufweist. Allerdings fehlt es auch in diesem Fall an einem die Durchschaubarkeit des Vorgangs ausschließenden distanzüberschreitenden Technikeinsatz. Zur Einrichtung von Kontrollbereichen in Zusammenhängen mit Versammlungen Kutscha, NJ 2003, 623 (624 f.) oder mit der Ausübung der Religionsfreiheit Groh, NdsVBl. 2011, 10 (11 f.).



A. Die polizeiliche „Vorfeldbefugnis“95

Unvorhersehbarkeit des technischen Vorgangs hier nicht geleugnet werden, es fehlt aber an einem konkret-individuellen Bezug zu einer Verhaltensbeeinflussung. Die Rasterfahndung ist gänzlich entindividualisiert und gleicht lediglich bereits vorhandene Datenbestände ab.108 Selbstverständlich veranlasst diese Polizeibefugnis potenzielle Straftäter zu einem unauffälligen Verhalten,109 dies ist aber keine spezifische Folge der Rasterfahndung, sondern jeder Ermittlungsbefugnis und jedem materiellen Straftatbestand immanent.110 Von der Rasterfahndung strikt zu unterscheiden, ist die Erhebung der ihr zugrunde liegenden Daten, welche nach den allgemeinen Regeln an dem Maßstab von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG zu messen ist. Nur wenn der Bürger tatsächlich in das „Blickfeld“ des Staates gerät, kann von einer Eingriffsqualität der Rasterfahndung ausgegangen werden.111 2. Zusammenfassung und Anwendung auf das Fallbeispiel „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“ Sofern der Staat also gezielt Instrumente einsetzt, die ihre verhaltenssteuernde Wirkung dadurch erreichen, dass der Bürger den ihnen zugrunde liegenden Vorgang nicht erfassen kann, und in dessen Folge objektiv nachvollziehbar dazu veranlasst wird, eine Vermeidungsstrategie an den Tag zu legen, genügt diese auch nur subjektiv herbeigeführte Beeinträchtigung bereits zur Annahme eines Grundrechtseingriffs in ein Freiheitsrecht, sofern dessen Schutzbereich eröffnet ist. Nicht ausreichend für diesen auf subjektiven Eindrücken beruhenden Eingriff ist allerdings die bloß abstrakte Verfügbarkeit eines Mittels. Der Bürger muss vielmehr konkret in den Wirkbereich der Maßnahme geraten. Ein Instrument pflegt regelmäßig dann eine eingriffsrelevante, verhaltenslenkende Verunsicherung zu begründen, wenn der Staat eine distanzüberschreitende Technik gebraucht oder auf sonstige Weise eine Individualisierbarkeit und Berechenbarkeit seines Vorgehens ausgeschlossen wird. Darauf, dass der Staat direkt das Verhalten der Bürger steuert bzw. Daten über sie erhebt, kommt es hingegen nicht an. Erfolgt jedoch zugleich eine Datenverarbeitung, steht die Eingriffsqualität der Maß108  Natürlich ist dieser Abgleich aus der Perspektive der Polizei insoweit mit einer Datenerhebung verbunden, als ihr die Daten der ersuchten Stellen übermittelt werden. 109  Dies zeigt sich etwa daran, dass die Rasterfahndung in den 70er Jahren große Erfolge aufwies, diese aber mit dem Bekanntwerden des Einsatzes ausblieben. 110  So auch im Ergebnis Horn, DÖV 2003, 746 (748 f.); Middel, S. 193 ff.; ­Weber, S. 160 f.; Zschoch, S. 51. 111  Ebenfalls gegen einen Konformitätsdruck durch die Rasterfahndung Horn, DÖV 2003, 746 (748).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

nahme in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. dessen speziellen Verbürgungen außer Frage. Typischerweise bedient sich der Staat solcher Mittel gerade im Gefahrenvorfeld, um durch eine gezielte Einschüchterung die Herbeiführung einer konkreten Gefahr zu verhindern. Damit macht er sich den Effekt zunutze, der einstmals die Rechtfertigung der Kreation des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung bildete. Die indirekte Verhaltenssteuerung der Videoüberwachungsmaßnahme dokumentiert sich auch in dem eingangs geschilderten Ausgangsfall „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“. Die Kameras sollen zwar aufgrund der Sparzwänge gelegentlich abgeschaltet werden, dennoch erhofft sich die Polizei auch innerhalb dieser Zeit eine Lenkungswirkung von dem eingesetzten Instrument. Dabei stützt sie sich gerade darauf, dass der konkrete Einsatz des Mittels für den Betroffenen nicht erkennbar ist. Auf die Datenerhebung selbst kommt es ihr dabei nicht an. Vielmehr geht es ihr darum, unerwünschte und normabweichende Verhaltensweisen insbesondere der Drogenszene schon durch die Überwachungstechnik selbst auszuschließen. Die Personen sollen sich beobachtet und erfasst „fühlen“. Aufgrund der vermeintlich kontinuierlichen Überwachung müssen sie stets mit einem Eintreffen der Polizei in dem erfassten Bereich rechnen, so dass sie sich dort vor staatlichen Eingriffen nicht mehr „sicher“ fühlen können. Die möglichen Aufzeichnungen könnten überdies bei etwaigen, künftigen Straftätern zu deren Überführung in einem Strafprozess, also repressiv, genutzt werden. Diese gewollte Lenkungswirkung trifft jedoch keine Differenzierungen zwischen den abweichenden Verhaltensweisen und bewirkt damit zugleich auch auf Seiten von A, B und C eine Verunsicherung. Ihr Handeln bewegt sich zwar innerhalb des Rechts sowie in Ausübung ihrer Grundrechte (insbesondere Art. 5 Abs. 1 GG), dennoch ist die Annahme, sie würden durch ihr von der Allgemeinheit in diesem Bereich abweichendes Verhalten in das ­polizeiliche Visier geraten, objektiv nachvollziehbar. Ebenso wie ein vor Ort anwesender Polizeibeamter seine Aufmerksamkeit in der geschilderten Situation auf den Aufbau und die Durchführung des Informationsstandes als eine Auffälligkeit richten würde, geschieht dies auch mittels der Videotechnik. Hier besteht jedoch der Unterschied, dass diese Form der Beobachtung für A, B und C nicht erfassbar ist. Sie wissen nicht, in welcher Situation sie in das Blickfeld geraten, ihr Handeln eventuell durch ein Heranzoomen näher betrachtet oder gar zur späteren Auswertung aufgezeichnet wird. Sie können zusammengefasst ihr Gegenüber nicht erfassen, so dass sich die Polizei (gewollt) in einer überlegenen Situation befindet. Ein derartiger Konformitätsdruck tritt unweigerlich in einen Konflikt mit der individuellen Freiheitsverbürgung der Grundrechte und ist daher rechtfertigungsbedürftig.



B. Die Vorfeldbefugnisse im polizeilichen Aufgabengefüge 97

B. Die Vorfeldbefugnisse im polizeilichen Aufgabengefüge Ausgehend von einem in dieser Weise verstandenen Vorfeldbegriff, soll im Folgenden eine Einordnung der Vorfeldbefugnisse in das polizeiliche Aufgabenfeld erfolgen. Zwar geht das Polizeirecht von einer Dichotomie zwischen Aufgaben- und Befugnisnormen aus, dennoch können beide Normenkomplexe nicht isoliert von einander betrachtet werden, vielmehr beeinflusst insbesondere die Aufgabenzuweisung Auslegung und Inhalt der polizeilichen Eingriffsbefugnisse, weshalb für die vorliegende Fragestellung eine entsprechende Behandlung unerlässlich ist. Die Ausweitung der polizeilichen Eingriffsbefugnisse in ein dem klassischen Gefahrenabwehrrecht vorgelagertes Entwicklungsstadium potenziell schadensstiftender Ereignisse geht mit einer auf den Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes aus dem Jahre 1986 zurückgehenden Modifikation der polizeilichen Aufgabenbeschreibung einher, welche sich, zwar zum Teil mit Abweichung, in den meisten heutigen Polizeigesetzen wiederfinden lässt. Eine diesem Musterentwurf entsprechende gesetzliche Regelung findet sich etwa in § 2 Abs. 1 Thü. PAG. Die traditionelle Zuweisung der Aufgabe der Gefahrenabwehr in Satz 1 wird im zweiten Satz um die Bestimmung ergänzt, wonach die Polizei im Rahmen dieser Aufgabe (der Gefahrenabwehr) auch für die Verfolgung von Straftaten vorzusorgen und Straftaten zu verhüten sowie Vorbereitungen zu treffen hat, um künftige Gefahren abwehren zu können. Die im Zusammenhang dieser Arbeit stärker interessierenden ersten beiden Varianten, welche sich auch als Zweckbestimmungen in den später noch eingehend zu behandelnden Vorfeldtatbeständen wiederfinden, werden als vorbeugende Bekämpfung von Straftaten legaldefiniert.112 Den die Vorfeldbefugnisse betreffenden Aufgabenbereich sieht der Gesetzgeber daher als von der Gefahrenabwehr umfasst an.113 Soweit andere Bundesländer diesem Aufgabenmodell nicht folgen, wird eine Einordnung unter den Gefahrenabwehrbegriff vorausgesetzt, ohne diesen Umstand explizit im Normentext zu erwähnen.114 112  So daneben in § 1 Abs. 3 ASOG Bln; § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 PolDVG HA; § 2 Abs. 1 SOG LSA; § 7 Abs. 1 Nr. 4 SOG M-V. Im § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW wurde diese Legaldefinition zum 24.02.2010 wieder aufgehoben. Demgegenüber hat § 1 Abs. 1 HSOG sie zwar beibehalten, er verzichtet aber inzwischen auf eine entsprechende Zuordnung in den „Rahmen der Gefahrenabwehr“, vgl. dazu Drs.-LT Hes. 18 / 861 S. 10 f. Nach § 1 Abs. 1 S. 2 Bbg PolG definiert sich die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ausschließlich durch die Straftatenverhütung. 113  Siehe etwa Drs.- LT M-V 2 / 2468, S. 15, 22. 114  So etwa in Bayern Art. 2 Abs. 1 Bay. PAG. Käß, BayVBl. 2008, 225 (229) gelangt aufgrund der darausfolgenden Zuordnung der Verhütung und Unterbindung

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Trotz der in dieser Form erfolgten gesetzgeberischen Einordnung wirft das den Vorfeldbereich betreffende Aufgabenverständnis bis heute Fragen auf.115 Da, wie bereits eingangs geschildert, das Verhältnis zwischen der Aufgabe der Gefahrenabwehr und der vorbeugenden Straftatenbekämpfung bzw. deren Abgrenzungen für die Auslegung der polizeilichen Befugnisse von grundlegender Bedeutung ist, muss an dieser Stelle eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Problematik erfolgen und die unterschiedlichen Ansätze einander gegenüber gestellt werden.

I. Gefahrenabwehrmodell Der Polizeigesetzgeber ordnet, wie bereits gesehen, die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten dem „Rahmen der Gefahrenabwehr“ zu. Ruft man sich die gravierenden dogmatischen Probleme und Auseinandersetzungen, welche mit diesem neuen Handlungsfeld verbunden sind, ins Gedächtnis, erscheint diese Qualifikation äußerst verwunderlich. Die Ursache wird vornehmlich in der Entstehungsgeschichte der neuen Aufgabenzuweisung zu erblicken sein. Die Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder aus dem Jahre 1986 war in erster Linie eine Reaktion auf das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983. In Konsequenz dieses Urteils mussten insbesondere im Vorfeldbereich zahlreiche Befugnisse zur Datenerhebung normiert werden. Insgesamt ist der Entwurf von dem Bestreben geprägt, längst etablierte Vorgehensweisen und Handlungsformen der Polizei nicht als rechtswidrig zu kennzeichnen.116 Dementsprechend war er bemüht, die Vorfeldbefugnisse in das hergebrachte Polizeirecht soweit wie möglich zu integrieren.117 Inhaltlich begründet der Gesetzgeber die Einordnung der Verhütung von Straftaten unter dem Gefahrenabwehrbegriff mit deren Funktion, Straftaten von Straftaten zur Aufgabe der Gefahrenabwehr zu der Überzeugung, dass die diesem Aufgabenfeld dienenden Befugnisse ebenfalls solche der Gefahrenabwehr und nicht des Gefahrenvorfeldes sind. Ebenfalls in dieser Konsequenz etwa Drs.-LT M-V 2 / 2468, S.  27. 115  Siehe nur die jüngste Auseinandersetzung zwischen Roggan, NJW 2009, 257 und Käß, BayVBl. 2010, 1 (8). Siehe dazu insgesamt die Darstellung von Graf, S. 224 ff. 116  Albers, S. 118 f. 117  Der Gesetzgeber sieht die Erweiterung der Aufgabenzuweisung nur als eine Klarstellung des Bisherigen, ohne dass eine Erweiterung des Handlungsfeldes damit verbunden wäre, Drs.-LT NRW 10 / 3997 S. 31. Dazu kritisch Albers, S. 120; Aulehner, S. 49; ferner Kniesel / Vahle, DÖV 1987, 955; Ring, StV 1990, 372 (376 f.). Siehe auch die Ausführungen des lt. Ministerialrat Heise Drs.-LT NRW 10 / 5071 S. 72.



B. Die Vorfeldbefugnisse im polizeilichen Aufgabengefüge 99

zu verhindern. Damit besitze diese Polizeiaufgabe ebenfalls einen präventiven Charakter, welcher der Gefahrenabwehr entspreche.118 Diesem Gedanken kann zunächst grundsätzlich zugestimmt werden. Problematisch erscheint aber, dass der Gefahrenabwehrbegriff bei diesem Verständnis denkbar weit gefasst werden muss und damit letztlich jegliche staatliche Handlungsform erfasst, die auf eine Schadensvermeidung gerichtet ist, wodurch die Grenzen zu dem repressiven Strafrecht, das bekanntermaßen ebenfalls spezial- und generalpräventive Zwecke verfolgt, verwischt werden können.119 Allerdings kann die Abgrenzung dieser Rechtsgebiete auch bei einem weiten Präventionsverständnis danach erfolgen, dass im Rahmen des Polizeirechts ausschließlich präventiv wirkende Ziele verfolgt werden. Dieser Ansatz kann sich auch an die Abgrenzung zwischen der Verwaltungs- und der ordentlichen Gerichtsbarkeit bei sog. doppeltfunktionalen Polizeimaßnahmen anlehnen, wobei nach der herrschenden Auffassung auf den jeweiligen Schwerpunkt der Maßnahmen abzustellen ist.120 Da sich das Bedrohungspotenzial im Rahmen der Straftatenverhütung gerade noch nicht zu einer Gefahr und damit zugleich keineswegs zu einer strafbaren Handlung, welche selbst eine Störung hervorrufen würde, konkretisiert haben kann,121 scheidet eine Konkurrenz zu den repressiv-strafprozessualen Ermittlungsbefugnissen von vornherein aus. Schwer wiegt jedoch der inhaltliche Widerspruch zu dieser Einordnung, welcher auf das von dem Gesetzgeber erklärte Ziel der Ausweitung des bisherigen polizeilichen Handlungs- und Ermächtigungsspielraums zurückgeht. Die Aufgabenstellung der Gefahrenabwehr dient entsprechend der Terminologie und dem hergebrachten Verständnis dazu, Schäden für die polizeilichen Schutzgüter abzuwehren, wobei den gegenständlichen Ausgangspunkt der Eingriffsbefugnisse stets die Schwelle der konkreten Gefahr bildete.122 Mittels der Vorfeldbefugnisse möchte der Gesetzgeber demgegen118  Dieser Einordnung folgend: Bay. VerfGH, DVBl. 1995, 347 (349); LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 ff. (insbes. S. 454); Chiu, S.  71  m. w. N.; Käß, BayVBl. 2008, 360 (362 f.); ders., BayVBl. 2010, 1 ff. (8); Koch, S. 50; Krane, S. 69; Maximini, S. 7 f.; Thiel, S. 101; Vollmar, S. 19, 68; Zöller, S. 79 ff. Vgl. auch BVerfGE 113, 348 (368). 119  Die Präventionswirkung im Rahmen der Strafverfolgung stellt jedoch eher einen Neben- oder Begleiteffekt der Durchsetzung des Strafanspruchs dar, Hoppe, S. 70. Siehe in diesem Zusammenhang auch Roggan, NVwZ 2011, 590 (592). 120  Vgl. m. w. N. Roggan, Die Polizei 2008, 112 (115 f.). 121  Nach Shirvani, Verw.Arch 101 (2010), 86 (92) befindet sich die Bedrohung erst in einer Phase vor Beginn konkreter Straftaten. 122  Nach Denninger, in Bäumler, S. 13 (15) legt die Aufgabenzuweisung der Gefahrenabwehr die Schlussfolgerung nahe, dass Maßnahmen unterhalb der Gefahrenschwelle nicht zulässig seien. Dabei bezieht er sich zwar auf die Aufgabenzuweisung nach dem Bay. PAG, da jedoch auch diejenigen Polizeigesetze, welche die vorbeu-

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

über bereits das Entstehen einer konkreten Gefahr verhindern.123 Von einer rein semantischen Betrachtung ausgehend wird sich diese Zielsetzung unter dem Wortlaut der Gefahrenabwehr zwar subsumieren lassen, zumal die Vermeidung von Straftaten den relevantesten Teilaspekt der öffentlichen Sicherheit, die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, betrifft.124 Auf der anderen Seite hat sich der Inhalt dieser Aufgabenstellung durch jahrzehntelange Rechtsprechung und Lehre gefestigt und konkretisiert, wonach die konkrete Gefahr gegenständlich die Schwelle des Einfallstores des präventiv-polizeilichen Zuständigkeits- und Handlungsfeldes bildet.125 Stärker verdeutlicht sich die Diskrepanz dieser beiden Aufgabenfelder indes bei einem Blick in die polizeilichen Eingriffsbefugnisse selbst. In verschiedenen Polizeigesetzen finden sich Eingriffsermächtigungen zu sog. besonderen Mitteln der Datenerhebung, welche in ihren Tatbeständen unterschiedliche Alternativen aufweisen, von denen die eine an die Schwelle der konkreten Gefahr und die andere an einer dieser schon vorgelagerten Eingriffshürde anknüpfen.126 Für die vorliegende Fragestellung relevanter erscheinen jedoch die in diesen Varianten festgeschrieben Zweckbestim­ mungen, welche in beiden Alternativen strikt zwischen dem Zweck der Gefahrenabwehr und dem der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten unterscheiden. Es ist zwar an sich denkbar, dass einzelne gesetzliche Eingriffsbefugnisse nur einen Teilaspekt des mit dem jeweiligen Gesetzes verbundenen Aufgabenfeldes verfolgen, dennoch legt die durchgehend strikte Gegenüberstellung der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr verbunden mit dem Zwecke der Gefahrenabwehr gegenüber der vorgelagerten Hürde gende Bekämpfung von Straftaten explizit in ihren Aufgabenzuweisungen aufführen, diese dem Rahmen der Gefahrenabwehr zuordnen, lässt sich seine Aussage entsprechend auch auf diese übertragen. 123  Gusy, StV 1993, 269 (270); Roggan, NJW 2009, 257; Welsing, S. 292. 124  Büllesfeld, S. 100 auch die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten verfolge letztlich das Ziel, Gefahren abzuwehren. 125  Gegen eine Erfassung des Vorfeldbereichs durch die Aufgabe der Gefahrenabwehr auch Ring, StV 1990, 372 (376). Siehe hierzu auch Hoppe, S. 133 f., 159 ff., die aber von einem erweiterten Gefahrenbegriff für die Aufgabenzuweisung ausgeht, dem alle Tätigkeiten der Polizei, die im Zusammenhang mit der Schadensabwehr stehen, zugeordnet werden können. Zur Integration der Vorfeldbefugnisse in diesen Gefahrenbegriff „kreiert“ sie für diese einen abstrakten Gefahrenverdacht. Siehe zum erweiterten Gefahrenbegriff der Aufgabenzuweisung auch Behrendes, Die Polizei 1988, 220 (222 ff.); Knemeyer, Polizeirecht, Rn. 141; Krane, S. 67 f. HoffmannRiem, JZ 1978, 335 (336), wies bereits in der seinerzeitigen Kritik zu dem Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes darauf hin, dass eine Erweiterung der polizeilichen Eingriffsbefugnisse zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung im Vorfeld bestimmter Gefährdungen zwangsläufig eine Anpassung der polizeilichen Aufgabenzuweisung über die bloße Gefahrenabwehr hinaus zur Folge haben müsste. 126  Z. B. §§ 16a Abs. 1 S. 1; 17 Abs. 1 S. 1; 19 Abs. 1 S. 1; 20 Abs. 1 PolG NRW.



B. Die Vorfeldbefugnisse im polizeilichen Aufgabengefüge 101

mit dem Ziel der vorbeugenden Straftatenbekämpfung eine Unterscheidung beider Handlungsfelder nahe.127 Eine darüber hinaus gehende Stütze dieses getrennten Aufgabenverständnisse lässt sich in § 23 SOG LSA ausmachen, wonach die Polizei grundsätzlich Daten „zur Abwehr einer Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ speichern, verändern oder nutzen darf. Handelte es sich bei der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten tatsächlich um einen Unterfall der Gefahrenabwehr, wovon auch § 2 Abs. 1 SOG LSA ausgeht, so wäre die alternative Benennung beider Aufgabenfelder überflüssig, da das zweite Maßnahmenziel bereits unter das erste fiele.128 Des Weiteren offenbart der Wortlaut dieser Normen die gegenständ­ liche Diskrepanz zwischen beiden Aufgabenstellungen. Während die Gefahrenabwehralternative ihren Bezugspunkt in der Abwehr einer (!) Gefahr findet, dokumentiert sich in der Vorfeldalternative deren Unbestimmtheit, indem lediglich in generalisierender Form von der Verhütung von Straftaten gesprochen wird.129 Vor diesem Hintergrund erscheint eine Zugehörigkeit der Verhütung von Straftaten zu der Aufgabe der Gefahrenabwehr als äußerst fraglich.130 Die erfolgte Einordnung durch den Gesetzgeber ist vielmehr von rein pragmatischen Bestrebungen beeinflusst. Wenn demnach die Einordnung der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten im Sinne der Straftatenverhütung unter der Gefahrenabwehr zumindest noch diskutiert werden kann, muss der entsprechenden Qualifikation im Falle der daneben genannten Verfolgungsvorsorge entschieden widersprochen werden. In der Entscheidung zur polizeilichen Telefonüberwachung nach dem niedersächsischen SOG führte das Bundesverfassungsgericht innerhalb der Prüfung der Gesetzgebungskompetenz aus, dass die Verfolgungsvorsorge, also die Verfolgung noch gar nicht begangener, sondern in ungewisser Zukunft bevorstehender Straftaten, Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG sei.131 Sich auf diese Aufgabe 127  Auch Shirvani, unterscheidet zwischen beiden Aufgabenzwecken, Verw.Arch 101 (2010), 86 (92). 128  Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 38 Abs. 1 S. 1 PolG BW. Das baden-württembergische Polizeigesetz benennt demgegenüber die vorbeugende Straftatenbekämpfung nicht selbst innerhalb der polizeilichen Aufgabenzuweisung; vgl. auch § 34 Abs. 5 Thü. PAG. 129  Siehe zu dieser Beurteilung auch Roggan, NJW 2009, 257 (258), der ähnlich den Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a  GG auslegt. 130  Ebenso Denninger, in Huster / Rudolph, S. 85 (96 f.). 131  BVerfGE 113, 348 (369 ff.). So auch die gründliche Untersuchung von Vollmar, S. 58 ff.; Welsing, S. 202 ff.; Zöller, S. 86 ff.; kritisch Thiel, S. 102 ff. Siehe auch Hoppe, S. 163 ff. und schon Ring, StV 1990, 372 (373). Bereits vor dieser Entscheidung nur zurückhaltend der gesetzgeberischen Einordnung folgend LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 (451). Zur Umsetzung des Urteils in § 1 Abs. 1 S. 3 Nds. SOG OVG Lüneburg, NVwZ 2010, 69 ff.; Strack, NdsVBl. 2008, 145 (151 f.). Siehe auch

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

stützende Befugnisse sind nicht darauf gerichtet, die spätere Straftatbegehung zu verhindern, sondern dazu bestimmt, für das sich dieser erst anschließende Ermittlungsverfahren bereits Beweismittel zu erheben und zu sichern. Gegenständlich scheidet aus diesem Grunde eine Qualifikation als Unterfall der Gefahrenabwehr aus.132 Eine mit der Verfolgungsvorsorge verbundene Abschreckungswirkung infolge der sich aus ihr ergebenden erhöhten Aufklärungswahrscheinlichkeit ist indes nicht geeignet, das gefundene Urteil in Frage zu stellen, da diese letztlich mit der dem repressiven Straf- und Strafverfahrensrecht immanenten Präventionswirkung übereinstimmt.133 In mehreren Polizeigesetzen wurde die dem entsprechende Konsequenz gezogen und auf eine dem ME PolG folgende Qualifikation der Verfolgungsvorsorge verzichtet.134

II. Quadrat-Modell Marion Albers stellt das polizeiliche Aufgabengefüge aus Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, Straftatenverhütung und Verfolgungsvorsorge als ein „vernetztes Quadrat“ dar.135 Die Straftatenverhütung und die Verfolgungsvorsorge als vorbeugende Bekämpfung von Straftaten sind danach keine Unterfälle der Gefahrenabwehr, sondern ebenfalls eigenständige Polizeiaufgaben. Mit der polizeigesetzlichen Einordnung der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten als Unterfall der Gefahrenabwehr übersehe der Gesetzgeber, dass deren Befugnisse tatsächlich weit über den Rahmen der Gefahrenabwehr im klassischen Sinne hinausgehen.136 Albers gelingt es, die vier Aufgaben nach ihrem Gegenstand und ihrer Zielrichtung voneinander abzugrenzen. Die Gefahrenabwehr dient danach der Abwehr von unmittelbar bevorstehenden Schäden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und gegebenenfalls der öffentlichen Ordnung und ist stets eine Reaktion auf eine gegebene Gefahrenlage, in der sich der Eintritt eines Schadens in bestimmter Weise abzeichnet.137 Diese Polizeiaufgabe umschreibt zugleich die Drs.-LT Hes. 18 / 861 S. 10 f. zur Änderung des § 1 Abs. 4 HSOG; vgl. weiter etwa § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW (n. F.); § 1 Abs. 1 S. 3 POG R-P (n. F.). 132  Diese Qualifikation ist davon unabhängig, ob der Bundesgesetzgeber für den jeweiligen Gegenstand abschließend von seiner Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Gebrauch gemacht hat. 133  So bereits Behrendes, Die Polizei 1988, 220 (224); Koch, S. 50. In diese Richtung jedoch Krane, S. 70 f.; Vollmar, S. 20 f. 134  Siehe § 1 Abs. 1 S. 2 Bbg PolG; § 1 Abs. 1 S. 3 Brem. PolG; § 1 Abs. 1 Nds. SOG n. F.; § 1 Abs. 1 S. 2 PolG NRW; § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Sächs. PolG. 135  Albers, S. 368. 136  Albers, S. 120; Gusy, StV 1993, 269 (270). 137  Albers, S. 121; Weber, S. 28 f.



B. Die Vorfeldbefugnisse im polizeilichen Aufgabengefüge 103

Grenze gegenüber der Straftatenverhütung, welche proaktiv, d. h. ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr oder einer konkreten Straftat, ausgestaltet ist.138 Sie verpflichtet die Polizei zur Verhinderung von Rechtsgutverletzungen, beschränkt auf solche, die durch Straftaten hervorgerufen werden, wobei damit im Umkehrschluss nicht die Abwehr unmittelbar bevorstehender Straftatbegehungen erfasst sein kann und zumindest eine abstrakte Straftatenprognose gefordert wird.139 Die Straftatenverhütung soll damit bevorstehende Gefahren und die Gefahrenabwehr bevorstehende Schäden verhindern. Beide Anwendungsbereiche stehen sich gegenüber. Die Verfolgungsvorsorge hingegen bezieht sich gegenständlich auf die künftige Straftatenverfolgung oder die Verfolgung künftiger Straftaten. In beiden Fällen zielen die Maßnahmen auf die Vorbereitung einer späteren Strafverfolgung ab. Die Verfolgungsvorsorge ist demnach ebenso wie die Strafverfolgung im klassischen Sinne repressiv ausgestaltet, dieser aber zeitlich vorausgehend. Ein präventives Aufgabenverständnis kann weder mit der Abschreckungswirkung noch mit der Bezugnahme auf eine erst künftige Strafverfolgung oder Straftat angenommen werden. Die Abschreckung potenzieller Straftäter von der Straftatenbegehung durch eine verbesserte Aufklärbarkeit entspricht der der Strafverfolgung generell immanenten Präventionswirkung. Dies ändert aber nichts an dem vorwiegend repressiven Charakter dieser Maßnahmen.140 Ferner kann die Präventionswirkung nicht mit dem gegenständlichen Aufgabenverständnis begründet werden, dass die Maßnahmen sich auf Taten beziehen, welche zum Zeitpunkt ihres Ergreifens noch nicht begangen oder als solche erkannt wurden. Maßgeblich ist ein funktionales Verständnis, wonach sie der Strafverfolgung dienen.141 Eine Vermischung beider Aufgabenbereiche wäre mit der verfassungsrechtlich vorgegebenen Dichotomie von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, die sich insbesondere in den unterschiedlichen Gesetzgebungskompetenzen widerspiegelt, unvereinbar.142 Die dem klassischen Polizeirecht immanente Unterscheidung zwischen Repression und Prävention findet sich somit auch im Vorfeldbereich wieder. Insgesamt stehen sich die vier Aufgabenfelder der Gefahrenabwehr, der Strafverfolgung, der Straftatenverhütung sowie der Verfolgungsvorsorge selbständig mit jeweils eigenen Inhalten und Gegenständen gegenüber und bilden das besagte vernetzte Quadrat. 138  Die Unterscheidung zwischen Re- und Proaktivität ist auch für Shirvani, Verw.Arch 101 (2010), 86 ff. von essentieller Bedeutung für die Abgrenzung beider Aufgabenfelder. Ebenso schon Weßlau, S. 26. Siehe auch Denninger, in Lisken / Denninger, E Rn. 6 f. und Gusy, StV 1993, 269 (273). 139  Albers, S. 258. 140  Siehe dazu schon im vorherigen Textabschnitt. 141  BVerfGE 113, 348 (370). 142  Albers, S. 128.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

III. Dreigliedriges Aufgabenverständnis Ähnlich wie Albers lehnte bereits Weßlau den Versuch, die operative Vorfeldarbeit als Unterfall in die Gefahrenabwehr zu integrieren, zutreffend ab.143 Im Ergebnis lasse sich die Vorfeldtätigkeit der Polizei daher auch nach diesem Aufgabenmodell keinem der beiden traditionellen Aufgaben­ gebiete der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung zuordnen, sie bildet daher ein eigenständiges, drittes Gebiet polizeilicher Tätigkeit.144 Seine maßgeblichen Konturen gegenüber der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung gewinnt dieses Gebiet durch seine Proaktivität, indem es auf die hergebrachten Eingriffsanlässe der konkreten Gefahr bzw. des hinreichenden Tatverdachts verzichtet. Da dieses Kriterium sowohl auf die Verfolgungsvorsorge als auch auf die Straftatenverhütung zutrifft, nimmt Weßlau keine weitergehende Differenzierung vor.145

IV. Zusammenfassung Die Ausführungen in diesem Abschnitt haben nachgewiesen, dass sich die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten deutlich von der tradierten Aufgabe der Gefahrenabwehr unterscheidet und sie entgegen der gesetzgeberischen Qualifikation nicht als ein Unterfall der Gefahrenabwehr begriffen werden kann. Wie das Verhältnis zwischen der Verfolgungsvorsorge und der Strafverfolgung beschaffen ist, kann im Rahmen dieser Arbeit letztlich dahinstehen. Die Verfolgungsvorsorge ist in jedem Fall, wie vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt, nicht dem präventiv-polizeilichen Aufgabenfeld, sondern dem gerichtlichen Verfahren nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuzuordnen und damit nicht Gegenstand des Polizeirechts im eigentlichen Sinne und damit auch nicht dieser Arbeit. Aus den unterschiedlichen sachlichen Funktionen und gegenständlichen Bezugspunkten ergibt sich jedoch zugleich, dass Verfolgungsvorsorge und Straftatenverhütung ebenfalls derart grundlegende Differenzen aufweisen, die eine von einander losgelöste Betrachtung unumgänglich macht. Diese Arbeit schließt sich daher der von Albers vertretenen Betrachtungsweise an. 143  Weßlau, S. 158 ff. Zu den Argumenten siehe bereits die vorherigen Textabschnitte. 144  Pitschas, DÖV 2002, 221 ff.; Ring, StV 1990, 372 (376 f.); Roggan, NJW 2009, 257; Weßlau, S. 159. Knemeyer, Polizeirecht, Rn. 15; ders., DVBl. 2007, 785 (786 f.) sieht zwar den Ansatz für eine dritte Aufgabe, dogmatisch sei aber auch diese der Gefahrenabwehr zuzuordnen. Ähnlich auch Denninger, in Huster / Rudolph, S. 85 (96), der die Verfolgungsvorsorge sowie die Straftatenverhütung als „Prävention II“ kennzeichnet. 145  Dem folgend Roggan, NJW 2009, 257; dagegen Käß, BayVBl. 2010, 1 (8).



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 105

Zugleich soll aber schon an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht dringend erforderlich ist, die polizei­ lichen Aufgabenzuweisungen diesen Erkenntnissen anzupassen. Die Aufgabennorm ist nicht nur aus formeller Sicht, wie etwa für die Eröffnung des polizeilichen Zuständigkeitsbereichs, relevant, sondern auch für die Auslegung der darauf gestützten Eingriffsbefugnisse von besonderer Bedeutung. Gerade die im Vorfeld oftmals bestehenden Bestimmtheitsdefizite146 ließen sich mit einer klaren Aufgabenbestimmung leichter eindämmen. Darüber hinaus müssen auch Maßnahmen ohne Eingriffsqualität, wenn auch nicht auf einer Eingriffsbefugnis, so doch auf einer gesetzlichen Aufgabenzuweisung beruhen.

C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse Im bisherigen Gang der Arbeit ist bereits in verschiedenen Zusammenhängen deutlich geworden, dass die Vorfeldbefugnisse nicht als eine in sich homogene Einheit begriffen werden können, sondern dass sie in ihrer Systematik und Tatbestandsstruktur zum Teil wesentliche Unterschiede aufweisen. Es kann hier daher nicht von dem „Vorfeldtatbestand“ und schon gar nicht von der „Eingriffsschwelle“ schlechthin gesprochen werden. Vielmehr müssen die Vorfeldbefugnisse ihrerseits in verschiedene Typen unterteilt werden, je nachdem in welchem Vorfeldstadium und zu welchem Zweck sie ein Eingreifen gestatten. Fundament der jeweiligen Tatbestandsdogmatik ist wie schon im Gefahrenabwehrrecht die den jeweiligen Befugnissen zugrunde liegende Eingriffsschwelle, in deren Abhängigkeit sich die weiteren Voraussetzungen der personalen Inanspruchnahme ergeben. Die gegenwärtige Dogmatik des Vorfeldrechts soll im Folgenden dargestellt und analysiert werden. Dabei wird sich die bereits im Gefahrenabwehrrecht bewährte Gliederung nach Eingriffsschwelle, Maßnahmenadressat und Rechtsfolge wiederfinden. Innerhalb dieser Gliederungspunkte wird jedoch zwischen den einzelnen Befugnisschichten zu differenzieren sein. Selbstverständlich erhebt die Arbeit auch in diesem Zusammenhang nicht den Anspruch, die Voraussetzungen einzelner Maßnahmen im Detail zu behandeln, vielmehr stehen die jeweilige Grundstruktur des Tatbestandes und dessen Rechtsfolgen im Fokus.

146  Dazu

insgesamt im 3. Teil C.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

I. Die Eingriffsschwellen Die Vorfeldbefugnisse ermächtigen die Polizei bereits im Vorfeld der traditionellen Gefahrenschwelle zu einem Eingreifen. Ihren Tatbeständen muss demzufolge eine der klassischen Gefahr vorausgehende Eingriffsschwelle zugrunde liegen. In den gegenwärtig normierten Polizeigesetzen können bislang, wenn auch mit einzelnen terminologischen Abweichungen, drei Grundtypen von Eingriffsschwellen ausgemacht werden. Am häufigsten findet sich eine ebenfalls prognosegestützte Eingriffsschwelle, wonach Tatsachen eine bestimmte Annahme zu rechtfertigen haben. Diese Annahme darf sich aber eben noch nicht zu einer Gefahr konkretisiert haben.147 Daneben finden sich vereinzelt gänzlich anlasslose bzw. personenunabhängige Tatbestände sowie die schon im Rahmen der Begriffsdefinition vorgestellte entindividualisierte Gefahr im Gefahrenvorfeld. Diese Eingriffsschwellen werden nacheinander zu behandeln sein, wobei die jeweiligen Strukturen in Relation zu denen der klassischen Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr zu erläutern sind. 1. Die Rechtfertigung einer bestimmten Annahme Sofern der Polizeigesetzgeber die Polizei zu einem Handeln ermächtigt, ohne jedoch eine konkrete Gefahr vorauszusetzen, findet sich in den Ermächtigungsgrundlagen überwiegend die Terminologie, wonach Tatsachen eine bestimmte Annahme rechtfertigen müssen. Abweichend hiervon werden in anderen Normen statt „Tatsachen“ „tatsächliche Anhaltspunkte“ gefordert. Darüber hinaus finden sich Differenzierungen bezogen auf den Gegenstand der Annahme, die sich entweder auf Absichten oder Eigenschaften bestimmter Personen oder auf die Eigenschaft einer bestimmten Örtlichkeit beziehen muss. a) „Tatsachen, die eine bestimmte Annahme rechtfertigen“ Bei den meisten Vorfeldbefugnissen hat sich in der Gesetzgebung die Eingriffsschwelle durchgesetzt, nach der Tatsachen eine bestimmte Annahme rechtfertigen müssen. So gestattet etwa § 16a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 PolG NRW die längerfristige Observation von Personen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wollen. Ebenso oder ähnlich148 benennt der Gesetzgeber die Vor147  Anders

Käß, BayVBl. 2008, 225 (230). verlangt etwa § 21 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW für die polizeiliche Beobachtung, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird. 148  So



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 107

aussetzungen weiterer besonderer Mittel der Datenerhebung in § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 20 Abs. 1 Nr. 2 und § 21 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW. Auch für die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze folgt der Gesetzgeber in § 15a Abs. 1 PolG NRW bezogen auf die Beschaffenheit der Lokalität dieser Eingriffsschwelle. Wie bereits diesem Wortlaut zu entnehmen ist, handelt es sich bei dieser Tatbestandsvoraussetzung um eine auf einer Prognose beruhenden Eingriffsschwelle. Sie weist mithin eine mit der konkreten Gefahr durchaus vergleichbare Grundstruktur auf, so dass ebenfalls die drei (sinngemäßen) Grundelemente – die zu rechtfertigende Annahme als Bedrohungspotenzial, die Tatsachenbasis als Eingriffsanlass sowie die Prognose als Relation der zuvor genannten Elemente – ausgemacht werden können. aa) Bedrohungspotenzial: Die zu rechtfertigende Annahme (1) Dogmatische Bedeutung der zu rechtfertigenden Annahme Nach den einschlägigen Bestimmungen muss aufgrund der Tatsachengrundlage eine näher bestimmte Annahme gerechtfertigt werden können. Dogmatisch entspricht dieses Erfordernis dem im Falle der konkreten Gefahr erwarteten Schaden als Gegenstand der anzustellenden Prognose.149 Ebenso wie dieser betrifft die Annahme den erwarteten, künftigen Abschluss eines bereits in Gang gesetzten Kausalverlaufs. Dieser Umstand kommt im Wortlaut der Gesetze nicht stets eindeutig zum Ausdruck. So formuliert etwa § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SPolG die Annahme, dass „eine solche Straftat begangen werden soll“. Demgegenüber verlangt beispielsweise § 16a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 PolG NRW die Annahme, dass „diese Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wollen“. Im ersten Beispiel kommt der prognostische Charakter der Eingriffsschwelle deutlich zum Ausdruck, wohingegen in der zweiten, durchaus gängigeren Variante der Wortlaut auch in der Weise verstanden werden kann, dass die Tatsachen lediglich auf eine aktuelle, innere Eigenschaft, den Willen zu einer bestimmten Handlung bzw. einen bestimmten Erfolg, hinweisen müssen, ohne dass es dabei auf deren Realisierung ankäme. Sollte diesem zweiten Verständnis gefolgt werden, so würde es sich bei der geforderten Annahme mangels Zukunftsgerichtetheit nicht um eine Prognose, sondern um eine Ungewissheit in der aktuellen Tatsachendiagnose handeln. In der Konsequenz hieße dies, dass die entsprechenden Befugnisse die Polizei bereits bei dem bloßen (tatsachengestützten) Verdacht auf eine aktuelle Motivationslage zu einem Eingreifen ermächtigen würden. Sie würden damit gegenüber der Alternative, dass die Tatsachen auf eine künftige, 149  Drs.-LT

Bay. 15 / 4097, S. 3.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

rechtsgutbeeinträchtigende Entwicklung hinweisen müssen, rein dogmatisch ein Weniger voraussetzen, wobei sich die Unterschiede in der praktischen Anwendung sicherlich in Grenzen halten dürften.150 Auch für die Sicherheitsbehörden ist nicht das Vorliegen eines bloßen Willens oder einer Absicht maßgeblich, sondern das Risiko deren Realisierung. Daher ist unabhängig von den terminologischen Unterschieden im Einzelnen151 stets die Prognose eines künftig eintretenden Bedrohungspotenzials erforderlich. (2) Gegenstand der Annahme Die Polizeigesetze sehen als zu rechtfertigende Annahme ganz überwiegend die Erwartung bzw. den Willen152 zur Begehung einer Straftat von erheblicher Bedeutung vor.153 Teilweise finden sich daneben insbesondere in Abhängigkeit von der Eingriffsintensität der jeweiligen Maßnahme in einzelnen Tatbeständen Modifikationen, wonach etwa lediglich zu fordern ist, dass „eine Person sachdienliche Angaben zur Erfüllung einer Polizeiaufgabe machen kann“154 oder auch schlicht die Begehung von Straftaten und zum Teil auch nur Ordnungswidrigkeiten erwartet wird155. Diese Modifikationen sollen hier jedoch nicht weiter betrachtet werden, vielmehr ist der Analyse der Grundtypus dieser Eingriffsschwelle zugrunde zu legen. Die im Regelfall erwarteten „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ werden in den meisten Polizeigesetzen näher umschrieben und legaldefiniert.156 150  Rachor, in Lisken  /  Denninger, F Rn. 177. Siehe auch VG Aachen, Urt. v. 24.01.2011 – 6 K 140 / 10. 151  Weitere Formulierungen in den einzelnen Landesgesetzen sind etwa, dass die Personen „künftig Straftaten begehen“ (§ 20 Abs. 3 Nr. 1 PolG BW) oder die Person „Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird“ (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW). Vgl. weiter Rachor, in Lisken / Denninger, F Rn. 177. 152  Zur Bedeutung der unterschiedlichen Terminologie siehe schon zuvor. 153  Beispielsweise in NRW: § 12 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) (aber bezogen auf eine Örtlichkeit); § 16a Abs. 1 Nr. 2; § 17 Abs. 1 Nr. 2; § 19 Abs. 1 Nr. 2; § 20 Abs. 1 Nr. 2; § 21 Abs. 1 Nr. 2. Ein neues Regelungskonzept verfolgt nunmehr § 32 Abs. 3 S. 1 SOG M-V betreffend die Videobildübertragung, wonach die Rechtfertigung der Annahme, dass an den entsprechenden Orten ein die öffentliche Sicherheit schädigendes Ereignis in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten wird, gefordert wird. 154  Etwa in NRW: § 9 Abs. 1 S. 1; § 10 Abs. 1 Nr. 1. 155  Wiederum in NRW: § 15 Abs. 1; § 15a Abs. 1. 156  Beispielsweise § 8 Abs. 3 PolG NRW. Dabei zählen die Legaldefinitionen in Art. 30 Abs. 5 S. 2 Bay. PAG; § 8 Abs. 3 PolG NRW und § 3 Nr. 4 SOG LSA die betroffenen Straftatbestände nicht abschließend auf. § 13 Abs. 3 HSOG; § 28 Abs. 3 POG R-P; § 22 Abs. 5 PolG BW und § 36 Abs. 1 Sächs. PolG fassen Vergehen nur anhand einer wertenden Einzelfallbetrachtung unter den Begriff. Eine sehr detail-



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 109

Übereinstimmend erfassen sie sämtliche Verbrechen und darüber hinaus insbesondere Straftaten die banden-, gewerbs-, gewohnheits- oder serienmäßig begangen werden.157 Der Begriff der Straftaten von erheblicher Bedeutung scheint damit für sich zwar über eine ausreichende Bestimmtheit zu verfügen, indes ergeben sich aufgrund der vorfeldspezifischen Situation besondere Abgrenzungsschwierigkeiten, welche sich in einer Gegenüberstellung zu dem im Fall der konkreten Gefahr geforderten Schaden eindringlich aufzeigen lassen. Die Annahme einer Schadenssituation setzt eine bereits zeitlich und örtlich abgegrenzte Beeinträchtigung der polizeilichen Schutzgüter voraus. Das hier geforderte Bedrohungspotenzial hingegen soll dem Entwicklungssta­ dium einer konkreten Gefahr noch vorausgehen und darf sich daher noch nicht zu einem konkret eingrenzbaren Schadensereignis konkretisiert haben.158 Es bedarf daher noch keiner Verdichtung der künftigen Straftat etwa nach Ort, Zeit und Begehungsweise.159 Diese Anforderung ist zwar nicht dem Wortlaut selbst zu entnehmen, folgt allerdings aus einer systematischen Auslegung. Insbesondere bei den so genannten besonderen Mitteln der Datenerhebung, welche sich durch ein distanzüberschreitendes oder täuschendes Element auszeichnen, sieht der Gesetzgeber neben dem Vorfeldtatbestand auch eine dem klassischen Muster folgende Gefahrenabwehralternative vor.160 Mittels der Vorfeldvariante soll die Polizei aber zu einem früheren, der Gefahr schon vorausgehenden Entwicklungszeitpunkt ermächtigt werden, eingreifend tätig zu werden. Sofern sich ein Schaden aber bereits konkret abzeichnet, hat dessen Entwicklungsverlauf ein Stadium erreicht, in welchem nach allgemeinen Regeln das Recht der hergebrachten Gefahrenabwehr einschlägig ist, so dass sich die Rechtmäßigkeit des Eingriffs nach der entsprechenden Tatbestandsalternative beurteilen muss.161 Die Vorfeldvariante steht dem alternativ gegenüber.162 Durch die Abgrenzbarkeit des jeweiligen Beeinträchtigungspotenzials grenzen sich die Tatbestände voneinander ab. Die größere Unbestimmtheit und Varianz des an dieser Stelle zu lierte Regelung enthält § 31 Abs. 5 Thü. PAG (bezogen auf besonderes schwere Straftaten). 157  Dazu näher Denninger, in Lisken  /  Denninger, E Rn. 61 f.; kritisch Koch, S. 59 ff. 158  BVerfGE 113, 348 (377); Gusy, StV 1993, 269 (273); Shirvani, Verw.Arch 2010, 86 (92, 98); Vollmar, S. 188. 159  Knape, Die Polizei 2008, 157 (159); Trute, GS Jeand’Heur, 403 (407); ders., Die Verwaltung 2003, 501 (516). 160  Siehe etwa §§ 16a Abs. 1 S. 1; 17 Abs. 1 S. 1; 19 Abs. 1 S. 1; 20 Abs. 1 PolG NRW. 161  Albers, S. 123 f.; Krane, S. 69; Vollmar, S. 19. 162  Aulehner, S. 479.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

betrachtenden Beeinträchtigungspotenzials findet darüber hinaus im Wortlaut insofern eine Bestätigung, als die Gefahrenabwehralternativen die Abwehr „einer“ Gefahr, während die Vorfeldvariante schlicht die generelle Absicht oder den Willen der Straftatenbegehung betrifft. Lassen sich zwar die Gefahrenabwehr- und die Vorfeldvariante anhand des Konkretisierungsgrades dogmatisch leicht voneinander abgrenzen, erwächst daraus jedoch das Folgeproblem der Konturlosigkeit des Bedrohungspotenzials. Zusammengefasst fordert das Vorfeldrecht eine weder örtlich, noch zeitlich oder gar hinsichtlich ihrer Begehungsweise konkretisierte Straftat von erheblicher Bedeutung. Der gesetzlich zunächst so klar gefasste Prognosegegenstand verliert damit in der Vorfeldsituation die ihm qua Definition zukommende Bestimmtheit. Polizeirelevante und -irrelevante Sachverhalte lassen sich in diesen „diffusen“ Risikolagen nicht mehr voneinander abgrenzen, sodass sich die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit auf diese Grundlage gestützter Eingriffe stellt.163 Dieser Punkt wird innerhalb des in diesem Rahmen zu erstellenden Prognoseurteils erneut aufzugreifen sein. bb) Der tatsächliche Eingriffsanlass: Tatsachen Die Annahme muss auf Tatsachen beruhen. Mit dem Tatsachenerfordernis setzt diese Eingriffsschwelle demnach ebenso wie die konkrete Gefahr eine fallbezogene, objektive Sachlage voraus, die den Anlass für das Ergreifen der Maßnahme bildet. Inhaltlich bestehen gegenüber dem entsprechenden Erfordernis im Rahmen der konkreten Gefahr164 keine Unterschiede. Die Tatsache wird als ein objektiv feststehender Vorgang begriffen. Innere Tatsachen wie Gesinnungen oder Pläne und Absichten reichen ohne nach außen tretende Manifestation im vorliegenden Zusammenhang nicht aus.165 Gleiches gilt für bloße Vermutungen oder allgemeine Erfahrungssätze.166 Erforderlich ist demgegenüber vielmehr ein konkreter, objektiv fassbarer Ausgangspunkt im Tatsächlichen.167 Weitergehende Anforderungen an die Tat163  Im Fall der präventiven Telefonüberwachung hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise entschieden, dass die Erfassung von Straftaten von erheblicher Bedeutung im Sinne der Legaldefinition des § 2 Nr. 10 Nds. SOG (a. F.) dem Bestimmtheitserfordernis in Anbetracht der Eingriffsintensität nicht genügte, BVerfGE 113, 348 (379 f.). 164  Siehe dazu 2. Teil A. II. 2. 165  So auch VG Aachen, Urt. v. 24.01.2011 – 6 K 140 / 10. 166  Alberts, S. 155; Rachor, in Lisken  / Denninger, F Rn. 172, 335. Siehe etwa auch BVerfG, NJW 2001, 1121; LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 (452). 167  Rachor, in Lisken / Denninger, F Rn. 173. So auch die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, wonach „als Voraussetzung eines schweren Grundrechtseingriffs



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 111

sachenbasis werden grundsätzlich nicht gestellt.168 Jeglicher objektiv feststehender, zunächst auch neutraler Befund kann als Grundlage der Maßnahmen herhalten. Die Frage, inwieweit daraus auf das angenommene Bedrohungspotenzial geschlossen werden kann, stellt sich erst innerhalb der anzustellenden Prognoseentscheidung. cc) Prognoseentscheidung Ebenso wie im Rahmen der konkreten Gefahr müssen die beiden Elemente – Bedrohungspotenzial und tatsächlicher Eingriffsanlass – durch die zukunftsgerichtete Prognoseentscheidung in Relation zueinander gesetzt werden. Dieses Erfordernis findet sich im Gesetz in der verlangten Rechtfertigung wieder. Zum grundsätzlichen Wesen und der Struktur der Prognoseentscheidung kann auf die entsprechenden Ausführungen innerhalb des Gefahrenbegriffs verwiesen werden.169 Dort musste der angenommene Schaden mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden. Der an dieser Stelle geforderte Wahrscheinlichkeitsgrad (1) und dessen Ermittlung (2) werfen demgegenüber größere Schwierigkeiten auf und müssen daher einer umfassenden Analyse unterzogen werden. (1) Geforderter Wahrscheinlichkeitsgrad Bereits über den von dieser Eingriffsschwelle geforderten Wahrscheinlichkeitsgrad besteht keine Einigkeit. In Anbetracht der Offenheit und Konturlosigkeit der Vorfeldsituation könnte ein gegenüber der konkreten Gefahr reduzierter Wahrscheinlichkeitsgrad gefordert werden. (a) Reduzierter Wahrscheinlichkeitsgrad Im Rahmen der konkreten Gefahr wird die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts verlangt, die sich durch eine Relation zwischen dem erwarteten Schadensausmaß, der Eingriffsintensität und der Erfolgsaussichten des beabsichtigten Abwehrmittels sowie der Art und Beschaffenheit der den Eingriffsanlass bildenden Tatsachenlage bemisst. Die Vorfeldbefugnisse knüpfen demgegenüber an ein der konkreten Gefahr vorausgehendes gewährleistet bleiben [muss], dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen besitzen“, BVerfGE 113, 348 ff. (386); 115, 320 ff. (360 f.); 120, 274 ff. (327). 168  Sehr detaillierte Vorgaben für den Eingriffsanlass auf Basis einer Regelbeispielmethode enthält jedoch § 34a Abs. 3 Nr. 2 Thü. PAG. 169  Siehe 2. Teil A. III.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Entwicklungsstadium an, welches naturgemäß mit einem ungleich höheren Maß an Ungewissheiten hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Geschehens verbunden ist.170 Es erscheint damit ausgeschlossen, einen der konkreten Gefahr entsprechenden Wahrscheinlichkeitsgrad zu fordern.171 Entwicklungen von Handlungen, Bedingungen und sonstigen Umständen weisen zu einem derart frühen Zeitpunkt eine höhere Ambivalenz auf und können somit nur mit einer größeren Unsicherheit einem zukünftigen Ereignis zugeordnet werden. Die gesetzlich geforderte Prognosesicherheit müsste demzufolge niedriger als im klassischen Polizeirecht angesetzt werden.172 Vor diesem Hintergrund wird anstelle einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit verlangt, dass die Wahrscheinlichkeit der Annahmerealisierung gegenüber der ihres Ausbleibens überwiegt.173 Die bloße Möglichkeit der Realisierung indes ist wegen ihrer Indifferenz nicht geeignet, bereits Vorfeldeingriffe zu rechtfertigen.174 Dass die Polizei Datenerhebungsmaßnahmen und Abwehreingriffe nicht vornimmt, sofern ein Schadenseintritt als unwahrscheinlich zu beurteilen ist, liegt auf der Hand und kann bereits mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begründet werden. Die schlichte Ausklammerung dieser Fälle kann somit nicht mit dem von dem Gesetzgeber geforderten Prognoseurteil bezweckt worden sein. Diesem Tatbestandserfordernis kann nur dann ein eigenes Gewicht zukommen, sofern damit ausgedrückt werden soll, dass die alleinige Möglichkeit der Bedrohung noch nicht als ausreichend erachtet wird.175 Je weiter eine Verlagerung der Eingriffsschwelle in das Gefahrenvorfeld erfolgt, umso undifferenzierter bzw. neutraler werden die dem jeweils handelnden Beamten gegenüberstehenden tatsächlichen Ausgangslagen und umso konturloser stellen sich die angenommenen Beeinträchtigungspoten­ ziale dar. Dadurch, dass der Gesetzgeber aber weiterhin ein Prognoseurteil 170  Vollmar,

S. 50. StV 1990, 372 (376). 172  In diese Richtung Drs.-LT R-P 14 / 2287 S. 41, 44. Siehe etwa Albers, S. 156; Rachor, in Lisken / Denninger, F Rn. 169 f.; Thiel, S. 82, 91 ff.; Volkmann, Jura 2007, 132 (135); Waechter, NordÖR 2005, 393 (396); Weber, S. 52, 77; Welsing, S. 220 ff. Grundsätzlich für die Verhütung von Straftaten Behrendes, Die Polizei 1988, 220 (223); vgl. auch bezogen auf die Gefahrenvorsorge Aulehner, S. 477. 173  Rachor, in Lisken / Denninger, F Rn. 338. Dem folgend Vollmar, S. 139. Das LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 spricht zunächst lediglich von einer „gewissen Wahrscheinlichkeit“ (S. 454), geht aber an späterer Stelle (S. 462 f.) im Zusammenhang mit der präventiven Wohnraumüberwachung, sofern Tatsachen die Annahme einer der dort bestimmten Straftaten rechtfertigen, von dem Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit aus. 174  Drs.-LT M-V 2  /  2468, S. 27. Siehe aber Rachor in Lisken  /  Denninger, F Rn. 173; ihm folgend Volmar, S. 50. 175  BVerfGE 113, 348 (378). 171  Ring,



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 113

für die näher beschriebene Annahme verlangt, macht er zugleich deutlich, dass die Vorverlagerung nicht beliebig vorgenommen werden kann. Auch verfassungsrechtlich bestehen insofern Grenzen, als Ermittlungen ins Blaue hinein, also ohne einen objektiven Anlass, nicht hingenommen werden können.176 Demnach würde nur das Erfordernis nach einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit den im Vorfeldbereich erforderlichen Bogen zwischen den hier aufgrund der Offenheit des Sachverhalts notwendigen Konzessionen und dem sich aus der Verfassung ergebenen Bedürfnis nach der Limitierung staatlicher Eingriffsverwaltung schlagen. (b) Hinreichende Wahrscheinlichkeit So überzeugend das Erfordernis nach einem eingeschränkten Wahrscheinlichkeitsgrad im Vorfeld der konkreten Gefahr zunächst auch erscheinen mag, das Grundgesetz setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer Herabsetzung des geforderten Wahrscheinlichkeitsgrades Grenzen. Mehrfach hat das Gericht formuliert, dass der Gesetzgeber die Anforderungen an die Tatsachen, die auf die künftige Straftatenbegehung hindeuten, so bestimmt zu umschreiben hat, dass das im Bereich der Vorfeldermittlung besonders hohe Risiko einer Fehlprognose gleichwohl verfassungsrechtlich noch hinnehmbar ist. Die Normen müssen handlungsbegrenzende Tatbestandselemente enthalten, die einen Standard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit vergleichbar dem schaffen, der für die überkommenen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung rechtsstaatlich geboten ist.177 In den von dem Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen genügten die gesetzlichen Regelungen jeweils nicht diesen Anforderungen. Vielmehr hat es entschieden, dass „selbst bei höchstem Gewicht der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung […] auf das Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht verzichtet werden [kann]“.178 Die hinreichende Wahrscheinlichkeit bildet somit bei jeglichem prognosegestützten Handeln von Verfassungs wegen eine absolute Grenze. Die besondere Problematik, welcher sich dieses Erfordernis im Vorfeld polizeilicher Gefahren ausgesetzt sieht, rechtfertigt ausdrücklich keine Konzessionen an die Prognosesicherheit.179 Soweit sich diese Voraussetzung nach den Vorfeldtatbeständen nicht erfüllen lässt, sind diese Regelungen dem Gesetzgeber verwehrt.180 176  BVerfGE

115, 320 (360 f.); 120, 378 (429). 110, 33 (56); 113, 348 (377 f.). 178  BVerfGE 115, 320 (360 f.); 120, 274 (327); 120, 378 (428 f.). Vgl. hierzu Drs.-LT M-V 5 / 3735 S. 24. 179  So auch Gusy, NdsVBl. 2006, 65 (70). 177  BVerfGE

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

(c) Zwischenergebnis

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Die hinreichende Wahrscheinlichkeit wird allgemein als fester Bestandteil und Voraussetzung der Annahme einer konkreten Gefahr verstanden. Es erscheint daher zunächst paradox, das gleiche Erfordernis auch innerhalb des Gefahrenvorfeldes aufzustellen.181 Die für die Praxis und daher auch für diese Arbeit maßgebliche Auslegung des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht lässt indes keine Reduzierung des Wahrscheinlichkeitsgrades zu. Ruft man sich jedoch die anfangs beschriebene Natur des Wahrscheinlichkeitsurteils als Resultat einer Güterabwägung in Erinnerung,182 so löst sich der vermeintliche Widerspruch insofern auf, als diese Regelungstechnik nicht auf die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr beschränkt ist. Es sind zwar auf die Vorfeldsituation zugeschnittene Modifikationen erforderlich, die Grundstruktur des Prognoseurteils ist allerdings grundsätzlich auf weitere Eingriffsschwellen übertragbar. Mit dem Wesen und dem Charakter der geforderten Güterabwägung wäre es jedoch auch auf diesen Schwellen unvereinbar, einen weniger ausgewogenen Ausgleich der widerstreitenden Positionen zu fordern. Etwaige Abstufungen könnten allenfalls theoretisch denkbar sein. (2) Ermittlung des Wahrscheinlichkeitsgrades (a) Die Ermittlung in der Gegenüberstellung zur hergebrachten Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr Die Ermittlung des Wahrscheinlichkeitsgrades im Gefahrenvorfeld erfolgt nach den gleichen Grundsätzen wie bei der konkreten Gefahr.183 Im Rahmen der anzustellenden Abwägung kommt der Eingriffsintensität der beabsichtigten Maßnahme eine herausragende Bedeutung zu. Das Integritätsinteresse des Bürgers ist umso höher zu gewichten, je tiefer in seine Rechtssphäre eingegriffen werden müsste. Hinzu tritt die den Eingriffsanlass bildende Sachlage. Entscheidende Bedeutung besitzt die Aussagekraft der 180  BVerfGE 120, 274 (330 f.). Siehe auch schon die Ausführungsbestimmungen zum NGefAG, wonach der aus den Tatsachen zu ziehende Schluss „hinreichend wahrscheinlich“ sein müsse, abgedruckt in Koch, S. 80. 181  So jedoch ausdrücklich auch § 35 Abs. 1 Nr. 2 Thü. PAG (a. F.); zurückhaltender Drs.-LT Thü. 4 / 2941 S. 39. Siehe i.Ü. auch Drs.-LT R-P 14 / 2287 S. 37; Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (383, 386, 394); VG Göttingen, NVwZ-RR 1999, 169; VG Leipzig, NVwZ 2001, 1317 (1319 f.); Finger, DVP 2004, 367 (371); ders., S. 140. 182  Siehe 2. Teil A. III. 3. 183  Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (394).



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 115

zugrunde liegenden Tatsachen. Handlungen und sonstige Umstände im Frühstadium schadensstiftender Kausalverläufe sind wesentlich undifferenzierter und offener.184 Normativ neutrale Handlungen dürften in diesem Bereich eher die Regel sein, da durch den Verstoß gegen eine Rechtsnorm oder schon durch den entsprechenden, in aller Regel strafbewehrten Versuch,185 eine konkrete Gefahr begründet wird, so dass damit der Anwendungsbereich des Vorfeldrechts überschritten wäre.186 Die Sicherheitsbehörden sind daher noch stärker als im Gefahrenabwehrrecht auf eine vorherige, selbständige Sachverhaltsermittlung, gegebenenfalls ohne dass dadurch in die Rechte des Betroffenen eingegriffen wird, angewiesen, um eine zutreffende Bewertung der ihnen bekannten Verdachtsmomente durchführen zu können. Der Übertragung der Abwägungskriterien der Eingriffsintensität und der Aussagekraft des Eingriffsanlasses stehen bei Berücksichtigung der schon geschilderten Anpassungen im Gefahrenvorfeld keine Gründe entgegen. Demgegenüber frappierend sind jedoch die Unterschiede bei den übrigen für die Annahme im Rahmen der konkreten Gefahr essentiellen Beurteilungskriterien. Sowohl die innerhalb dieser Entscheidung zu berücksichtigende Erwartung eines bestimmten Schadensausmaßes als auch die Erfolgsaussichten des beabsichtigten Abwehrmittels müssen im Gefahrenvorfeld grundsätzlich hinterfragt und letztlich zur Anpassung auf die entsprechende Einsatzsituation grundlegende Abweichungen über sich ergehen lassen. (b) G  egenständliche Bezugnahme des Wahrscheinlichkeitsurteils im Gefahrenvorfeld Schon aus der Begriffsdefinition der konkreten Gefahr folgt die gegenständliche Bezugnahme auf einen Schaden an einem der polizeilichen Schutzgüter. Die Konkretheit des Schadens und des von ihm betroffenen Rechtsguts sind für die Beurteilung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit von elementarer Bedeutung. Nur sie ermöglichen eine einzelfallbezogene und mithin konkrete Prognoseentscheidung.187 184  Vollmar,

S. 118. die öffentliche Sicherheit die Unverletzlichkeit der Rechtordnung beinhaltet, läge in diesen Fällen schon eine Störung vor. 186  Zöller, S. 82. 187  Dazu 2. Teil A. III. 3. Vgl. auch Lepsius, VVDStRL 63 (2003), 266 (293 f.). Middel, S. 323 f. weist darauf hin, dass mit fehlender Bestimmtheit des Schutzgutes die Ausgewogenheit zwischen den kollidierenden Gütern Freiheit und Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden kann, da der Freiheitsverkürzung auf Seiten des Eingriffsadressaten kein bestimmter Freiheitszugewinn auf Seiten des Schutzobjektes gegenüber gestellt werden kann. 185  Da

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Die Eingriffsschwelle im Gefahrenvorfeld bezieht sich demgegenüber nicht auf einen Schaden, sondern auf die Erwartung bzw. den Willen der künftigen Begehung von gegebenenfalls näher qualifizierten Straftaten. Vergegenwärtigt man sich, dass das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit als praktisch wichtigsten Unterfall die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung beinhaltet, scheinen die Unterschiede zwischen den beiden Regelungsbereichen zunächst eher gering, als ja durch die Begehung einer Straftat ebenfalls ein entsprechender Schaden herbeigeführt würde. Indes wurde bereits oben nachgewiesen, dass die künftige Straftatbegehung im vorliegenden Zusammenhang gerade noch keinen derartigen Konkretisierungsgrad erlangt haben darf, dass sie nach Ort, Zeit und Begehungsweise bestimmt wäre. In sinngemäßer Anlehnung an die Strafrechtsdogmatik zum Versuch darf in jedem Fall noch kein unmittelbares Ansetzen zur Straftat erfolgt sein, vielmehr darf sich die Tat lediglich auf der Ebene der Planung und der Vorbereitung befinden,188 wobei selbst die im Strafrecht nicht exakt definierbare Schwelle zwischen der Vorbereitung und dem Versuch nicht eins zu eins in das Polizeirecht übertragen werden darf189 und die entsprechende Hürde zwischen der Abwehr einer Gefahr in Gestalt einer Straftat und dem Stadium ihrer vorbeugenden Bekämpfung eher jener noch vorausgeht.190 Der Herausarbeitung des Unterschieds in der gegenständlichen Bezugnahme muss höchste Aufmerksamkeit geschenkt werden. Er bildet eines der beiden entscheidenden Differenzierungskriterien zwischen dem klassischen Gefahrenabwehr- und dem Vorfeldtatbestand in der ebenso prognosegestützten Variante der Rechtfertigung einer bestimmten Annahme heraus. Gerade an diesem Kriterium manifestieren sich überdies die dogmatischen Zerwürfnisse zwischen den beiden Befugnisarten, welche letztlich für die Infragestellung der Verfassungsmäßigkeit der Vorfeldtatbestände ursächlich ist.191 Erforderlich im Rahmen der Eingriffsschwelle ist eine einzelfallbezogene Prognoseentscheidung, die letztlich im Rahmen einer Abwägung divergierender Entscheidungskriterien zu treffen ist. Ihre Aussagekraft gewinnt diese Beurteilung durch die Konkretheit der hier zugrunde gelegten Kriterien. Sofern die Vorfeldtatbestände allerdings lediglich eine Vielzahl abstrak188  Drs.-LT

Bay. 14 / 12261 S. 10. Polizei- und das Strafrecht beurteilen die Sachlage jeweils aus unterschiedlichen Perspektiven. Während dem strafrechtlichen Urteil ein abgeschlossener Lebenssachverhalt zugrunde liegt, muss sich die Polizei aus der ex-ante-Sicht den Herausforderungen stellen. 190  Darüber hinaus verliert die vorbeugende Straftatenbekämpfung durch die ebenfalls vorgenommene Vorverlagerung der Strafbarkeitsgrenze etwa in Gestalt abstrakter Gefährdungs- oder Unternehmensdelikten weiter an Konturen, vgl. dazu Hund, ZRP 1991, 463 (464). 191  Groh, NdsVBl. 2011, 10 (11). 189  Das



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 117

ter Straftatbestände in Bezug nehmen, deren konkrete Verletzungen sich gerade noch nicht im Einzelfall absehen lassen, ist eine dem Gefahrenabwehrrecht in ihrer Aussagekraft entsprechende Wahrscheinlichkeitsaussage ausgeschlossen.192 Den im Vorfeldbereich naturgemäß bestehenden großen Unsicherheiten auf Seiten der zugrunde liegenden Tatsachenbasis stehen also notwendig ebenso große Unsicherheiten betreffend das angenommene Bedrohungspotenzial gegenüber. Damit tritt an dieser Stelle die den gesamten Vorfeldbereich durchziehende Problematik zutage, wie in Anbetracht der Ungewissheit hinsichtlich der aktuellen und noch vielmehr der erst in der Zukunft liegenden Geschehnisse eine einzelfallbezogene Güterabwägung vorgenommen werden kann, bei der sich das Risiko eine Fehlprognose in einem mit dem klassischen Polizeirecht übereinstimmenden Rahmen hält. Diese Herausforderung wird ohne eine Beschränkung auf bestimmte und abgegrenzte Rechtsgutbedrohungen nicht zu bewältigen sein.193 (c) Zeitliche Begrenzung des Einschreitens im Gefahrenvorfeld Ein besonderes, eingriffshinderndes Gewicht kommt bei der Feststellung der hinreichenden Schadenswahrscheinlichkeit im Rahmen der konkreten Gefahr dem Kriterium der letzten Abwehrchance zu, nach dem zu prüfen ist, ob eine Abwehr des Schadens allein durch ein aktuelles Eingreifen in den angesetzten Kausalverlauf möglich ist oder ein weiteres Zuwarten keine nachteiligen Auswirkungen auf die Abwehrchance aufweist.194 Im Gefahrenvorfeld stößt dieses Abwägungskriterium aus zweierlei Gründen auf Anwendungshindernisse. Zum einen sind die Vorfeldbefugnisse überwiegend nicht schon auf die Abwehr, sondern erst auf die Aufklärung etwaiger Bedrohungspotenziale gerichtet, so dass das Erfordernis der letzten Abwehrchance diesen Maßnahmen nicht zugrunde gelegt werden kann. Die Aufklärung hat stets der Abwehr vorauszugehen, so dass zu deren Zeitpunkt notwendig noch nicht die letzte Abwehrchance erreicht sein darf. Dieser Umstand wirkt sich zwar insbesondere im Gefahrenvorfeld aus, betrifft aber gleichermaßen die Aufklärungsbefugnisse im Gefahrenabwehrrecht. Eine 192  Groh, NdsVBl. 2011, 10 (11); Stephan, VBlBW 2005, 410 (412); Vollmar, S. 120 f.; vgl. auch Huster / Rudolph, in Huster  /  Rudolph, S. 9 (18 f.). A. A. Kne­ meyer / Keller, Sächs.VBl. 1996, 197 (201), der letztlich eine Verdichtung zu einer Gefahr für möglich hält. 193  So bereits §§ 184 Abs. 2, 185 Abs. 2 S. 1, 187 Abs. 1, 201 Abs. 2 S. 1 LVwG S-H. Zur Berücksichtigung der konkret bedrohten Rechtsgüter schon Vollmar, S. 142; Welsing, S. 215 f. Siehe auch Shirvani, Verw.Arch 2010, 86 (101). 194  Siehe dazu 2. Teil A. III. 3. a).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Verschärfung dieser Problematik tritt aber durch die gegenständliche Bezugnahme der Vorfeldbefugnisse auf ein künftiges, noch nicht näher abgegrenztes Ereignis ein. Die Forderung noch einem engen zeitlichen Zusammenhang der Maßnahme mit dem Beeinträchtigungspotenzial weist daher in ihrer dogmatischen Umsetzung erhebliche Schwierigkeiten auf.195 Dennoch kann auf eine dem Kriterium der letzten Abwehrchance entsprechende Eingriffshürde auch im Vorfeldbereich nicht verzichtet werden. Gerade diese Voraussetzung begrenzt ein polizeiliches Einschreiten in zeitlicher Hinsicht, als die Gefahrenabwehr dem Schaden nicht beliebig weit vorgelagert werden kann. Das Vorfeldrecht indes versucht gerade diese Restriktion zu überwinden, so dass hier eine andere Beschaffenheit der Eingriffsschwelle formuliert werden muss, wobei selbstverständlich ist, dass die nach dem Bundesverfassungsgericht auch für diese Befugnisschicht verfassungsrechtlich geforderte hinreichende Wahrscheinlichkeit keine unbegrenzte Vorverlagerung gestatten kann. Es muss daher eine adäquate Kompensation dieses Abwägungsdefizits gefunden werden, welche die Grenze der Vorverlagerung polizeilicher Eingriffe auch für das Vorfeldrecht definiert. Dabei sind die ursprünglichen Gründe des Bedürfnisses der Vorverlagerung in Erinnerung zu rufen, wonach insbesondere eine effektive polizeiliche Handhabe gegen neue Bedrohungspotenziale wie der organisierten Kriminalität und dem internationalen Terrorismus zur Verfügung gestellt werden sollte. Diese Erscheinungsformen zeichnen sich durch einen besonders hohen Organisationsgrad bzw. einer besonderen Verdecktheit der Tatvorbereitung aus, wodurch das tatsächliche Schadensausmaß oftmals erst zu einem Zeitpunkt zum Vorschein tritt, zu welchem es kaum oder gar nicht mehr abzuwenden ist. Das klassische Polizeirecht wurde daher als nicht mehr geeignet angesehen, diesen Bedrohungen begegnen zu können.196 Um sowohl diesem Bedürfnis gerecht werden zu können, als auch der Vorverlagerung Grenzen zu ziehen, bietet sich die Forderung an, dass lediglich durch eine Aufklärungsmaßnahme zum gegenwärtigen Entwicklungszeitpunkt die Möglichkeit einer späteren effektiven Gefahrenabwehr geschaffen werden kann. Sofern ein Einschreiten zu einem späteren Zeitpunkt des Entwicklungsverlaufs ebenso geeignet erscheint, den Schaden noch abzuwehren bzw. dafür eine ausreichende Grundlage zu schaffen, ist das Bedürfnis der Vorverlagerung widerlegt und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit damit abzulehnen.

195  Hoppe, 196  Vgl.

S. 85 f.; Weber, S. 39. Drs.-LT M-V 2 / 2468, S. 26.



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 119

(3) Zusammenfassung Auch soweit der Polizeigesetzgeber ein polizeiliches Einschreiten im Vorfeld der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr zulässt, sofern Tatsachen eine bestimmte Annahme rechtfertigen, setzt das anzustellende Prognoseurteil die hinreichende Wahrscheinlichkeit der entsprechenden Annahme voraus. Mit zunehmender Verlagerung ins das Vorfeld erschwert sich das Fällen dieses Urteils, was angesichts der mit der Vorverlagerung proportional ansteigenden Ungewissheit aber nicht verwunderlich, sondern im Gegenteil Resultat eines rechtsstaatlichen Polizeirechts ist. Ebenso wie bei der konkreten Gefahr muss das Wahrscheinlichkeitsurteil im Rahmen einer normativen Abwägung ermittelt werden. Neben der von der Maßnahme ausgehenden Eingriffsintensität und der den Eingriffsanlass bildenden Sachlage muss das angenommene Beeinträchtigungspotenzial sowie die Erfolgsaussicht späterer Abwehrmaßnahmen bei Ausbleiben eines sofortigen Einschreitens im Gefahrenvorfeld in die Abwägung eingestellt werden. Alle Kriterien sind im Gefahrenvorfeld durch eine erhöhte Unbestimmtheit geprägt, welche eine konkrete Prognoseentscheidung erschwert, sie aber nicht grundsätzlich unmöglich macht. Die gegenwärtigen Vorfeldtatbestände zeichnen sich durch eine derartige Weite und Offenheit insbesondere bezüglich des vorzubeugenden Beeinträchtigungspotenzials aus, dass sie keinen zuverlässigen Maßstab zur Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit bieten können. Abhilfe kann hier nur eine Konkretisierung und Begrenzung der Tatbestandsvoraussetzungen schaffen,197 wie noch an späterer Stelle ausführlich zu behandeln sein wird.198 Die für das Polizeirecht geforderte Flexibilität darf nicht mit einer Überlagerung der Verantwortung an die Exekutive oder gar mit einer Beliebigkeit gleichgesetzt werden. Der Gesetzgeber muss sich auf seine Motive besinnen, aus denen er das klassische Polizeirecht zur Gewährleistung der Sicherheit als nicht mehr ausreichend empfindet. Diese Motivation muss sich in den Tatbestandsmerkmalen wiederfinden, so dass der Polizei ein konkreter Handlungsrahmen vorgegeben wird, in welchem sie dann auch ein Prognoseurteil zuverlässig bilden kann.199 Mit dieser tatbestandlichen 197  So schon Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser, S. 407 (427 f.); bezogen auf die Telekommunikationsüberwachung Puschke / Singelnstein, NJW 2005, 3534 (3538). 198  Dazu 4. Teil B. 199  In diesem Sinn ist auch die von dem Bundesverfassungsgericht mehrfach aufgestellte Forderung nach handlungsbegrenzenden Tatbestandselementen zu verstehen, vgl. BVerfGE 110, 33 (55 f.); 113, 348 (377 f.). Diese Forderung geht mit der zugleich von dem Gericht erhobenen unverzichtbaren Hürde der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einher, vgl. BVerfGE 115, 320 (361); 120, 274 (327); 120, 378 (429).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Begrenzung geht keineswegs ein Defizit an Sicherheit einher, denn soweit das bisherige Polizeirecht zur Risikobewältigung ausreichend ist, bedarf es schlicht keiner Vorverlagerung des polizeilichen Aktionsfeldes. b) „Tatsächliche Anhaltspunkte, die eine bestimmte Annahme rechtfertigen“ In einigen Befugnisnormen verwenden die Polizeigesetzgeber anstelle des Ausdrucks „Tatsachen“ den Begriff „tatsächliche Anhaltspunkte“.200 Inhaltliche Unterschiede im Hinblick auf den Eingriffsanlass können dieser Terminologie jedoch nicht entnommen werden.201 Der Tatsachenbegriff erscheint zwar enger,202 da er allein auf eine objektiv vorliegende Sachlage abstellt, während die tatsächlichen Anhaltspunkte bereits auf der Ebene des Eingriffsanlasses eine diagnostische Wertung hinzuziehen, weshalb diese Terminologie in der Rechtsprechung teilweise kritisch betrachtet wurde.203 Nach wortgetreuer Auslegung werden lediglich Tatsachen gefordert, welche (nur) einen Anhaltspunkt für das befürchtete Bedrohungspotenzial bieten. Hinter diesem Begriff verbirgt sich aber im Ergebnis die gleiche Problematik, wie sie sich schon im Rahmen der konkreten Gefahr stellte, wonach als Eingriffsgrundlage auch angenommene Tatsachen ausreichen können, sofern diese wiederum ihre Grundlage in einer objektiven Tatsachenbasis finden.204 Die anschließend zu stellende Prognose fußt daher quasi auf einer mittelbaren Tatsachengrundlage, was innerhalb der Abwägung eingriffshindernd zu gewichten ist. Die gleiche Fallkonstellation kann jedoch ebenso unter den zuvor behandelten Tatsachenbegriff subsumiert werden. Zwischen den beiden Fallkonstellationen sind daher keine (praktischen) Unterschiede auszumachen.205 Für das auch in diesem Rahmen vorzunehmende Prognoseurteil sowie dessen Gegenstand gilt das bereits vorher Gesagte. c) Personenbezogene oder entindividualisierte Tatbestände Die Vorfeldtatbestände, welche die Rechtfertigung einer bestimmten Annahme voraussetzen, müssen einer weiteren Differenzierung danach unter200  Etwa

Art. 32 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Bay. PAG. S. 65; Rachor, in Lisken / Denninger, F Rn. 171; Welsing, S. 304. 202  Vgl. Sächs. VerfGH, LKV 1996, 273 (284). 203  BVerfGE 93, 181 (193); BVerfG, NJW 2000, 55 (61). Siehe auch bspw. Drs.-LT M-V 2 / 2468, S. 17, 26 f. 204  Siehe 2. Teil A. II. 2. 205  Chiu, S. 61 ff.; Koch, S. 83 f.; a. A. Hecker, in Roggan / Kutscha, S. 351. 201  Chiu,



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 121

zogen werden, ob sie einen konkreten Personenbezug aufweisen oder sich auf einen nicht näher individualisierten Empfängerkreis beziehen. An dieser Stelle soll nicht die Gliederung dieser Arbeit – Eingriffsschwelle, Maßnahmenadressat, Rechtsfolge – durchbrochen werden, allerdings beeinflusst die Frage der Individualisierbarkeit den Konkretisierungsgrad der der jeweiligen Maßnahme vorausgehenden Eingriffsschwelle, so dass deren Betrachtung nicht davon losgelöst erfolgen kann. aa) Personenbezogene Tatbestände Eine Vielzahl von polizeilichen Eingriffsbefugnissen, welche die Rechtfertigung einer bestimmten Annahme voraussetzen, beziehen diese Erwartung auf eine individuelle Person, die zugleich auch Adressat dieser Maßnahme ist.206 Insbesondere die sog. besonderen Mittel der Datenerhebung im Gefahrenvorfeld, welche sich durch den Einsatz einer distanzüberschreitenden Technik oder einem täuschenden Element, welches die polizeiliche Maßnahme für den Betroffenen als solche nicht erkennen lassen, auszeichnen, folgen grundsätzlich dieser Tatbestandsstruktur. Diese Tatbestände verfügen demzufolge über eine prognoseabhängige Eingriffsschwelle, die ihren tatsachengestützten Ausgangspunkt, also ihren Eingriffsanlass, bei einer bestimmten Person findet. Von daher wäre es zutreffend, auch diese Normen als reaktive Tatbestände zu begreifen, eine Einordnung die dem Vorfeldrecht bislang überwiegend vorenthalten wurde.207 In der Sache jedoch unterscheidet sich dieses Tatbestandsmuster keineswegs von dem des klassischen Gefahrenabwehrrechts mit Ausnahme der zeitlichen Ausdehnung des polizeilichen Aktionsrahmens in das Vorfeld der konkreten Gefahr, weshalb insoweit auf ein Substitut zurückgegriffen werden muss. Aus der Vorverlagerung resultiert zwar eine grundsätzlich größere Unbestimmtheit und Ungewissheit über die Eingriffsvoraussetzungen, aber die Dogmatik des Regelungsmechanismus dahinter besteht unverändert. bb) Entindividualisierte Tatbestände (1) Die Untergruppen und ihre Eingriffsintensität Wesentlich größere dogmatische Fragestellungen werfen hingegen solche Tatbestände auf, die ihre Eingriffsschwelle auf keine bestimmte Person, 206  Inwiefern sich diese Maßnahmen daneben auch gegen weitere Personen richten können siehe 3. Teil D. 207  Siehe dazu die Nachweise im 3. Teil B.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

sondern auf eine Örtlichkeit beziehen. Innerhalb dieser Gruppe von Eingriffsgrundlagen muss vorweg weiter danach differenziert werden, ob sich die Entindividualisierung des Tatbestandes bis auf die Ebene der Rechtsfolge durchschlägt oder letzterer eine personale Selektion im Rahmen der Ermessensausübung vorausgeht. Veranschaulichen lässt sich dieser Unterschied durch eine Gegenüberstellung der Identitätsfeststellungen etwa nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) PolG NRW und der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze nach § 15a Abs. 1 des gleichen Gesetzes. Die Identitätsfeststellung einer Personen nach der eben genannten Norm ist zulässig, sofern sie sich an einem Ort aufhält, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben.208 Die Videoüberwachung nach § 15a Abs. 1 PolG NRW ist hingegen an einzelnen öffentlich zugänglichen Orten, an denen wiederholt Straftaten begangen wurden und deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt, zulässig, solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an diesen Orten weitere Straftaten begangen werden.209 In beiden Fällen werden die Maßnahmen nicht durch das Verhalten einer einzelnen Person oder gar ihrer Adressaten veranlasst, sie finden ihre Rechtfertigung vielmehr in den Gegebenheiten der konkreten Örtlichkeit. Auf Rechtsfolgenseite indes konzentriert sich die Identitätsfeststellung stets auf eine bestimmte Person, welche im Rahmen des polizeilichen Ermessens fehlerfrei auszuwählen ist.210 Die Rechtsfolge wirkt hier daher trotz fehlender individueller Veranlassung punktuell-individuell. Im Fall der Videoüberwachung kann zwar hinsichtlich der Datenerhebung und -verarbeitung ebenfalls eine personale Konkretisierung erfolgen, jedoch bleibt davon die mit dieser Maßnahme wegen der fehlenden Durchschaubarkeit des technischen Vorgangs verbundene indirekte Verhaltenssteuerung in jedem Fall unberührt.211 Diese Maßnahmen lösen sich damit von einem konkreten, von einer individuellen Person gesetzten Eingriffsanlass und können daher, anders als die zuvor dargestellten personenbezogenen Befugnisse, durchaus als proaktiv bezeichnet werden.212 Eine derart entindividualisierte Tatbestandsstruktur grenzt sich in grundlegender Form von der auf einer individuellen Zurech-

208  Dazu

Möllers, NVwZ 2000, 382 (383). ausführliche, vergleichende Darstellung der Eingriffsermächtigungen in den einzelnen Polizeigesetzen der Länder enthalten Büllesfeld, S. 176 ff. und Götz, FS Schreiber, 103 (106). 210  Siehe auch OVG Lüneburg, NordÖR 2010, 211 (212); Groh, NdsVBl. 2011, 10 (15 f.); Möllers, NVwZ 2000, 382 (386 f.). 211  Siehe dazu schon ausführlich 3. Teil A. II. 1. a). 212  Vgl. auch Götz, FS Schreiber, 103 (107). 209  Eine



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 123

nung basierenden hergebrachten Polizeirechtsdogmatik ab.213 Durch die fehlende personale Zuordnung besitzen die Maßnahmen insofern eine enorme Streuwirkung, als ihr Adressatenkreis keinerlei Beschränkungen aufweist und sie sich damit prinzipiell an die Allgemeinheit richten. In mehreren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht durch solche Merkmale charakterisierte Maßnahmen eine besonders hohe Eingriffsintensität attestiert, da die Betroffenheit in der individuellen Freiheitssphäre umso höher ist, je weniger der Einzelne selbst einen Anlass für die Maßnahme gesetzt hat.214 Die ganz überwiegende Anzahl der Betroffenen weist gerade keine Beziehung zu einem polizeilich relevanten Beeinträchtigungspotenzial auf, so dass sich der Adressatenkreis größtenteils aus vollkommen unbeteiligten Personen zusammensetzt.215 Dabei wirkt sich im besonderen Maße die Eingriffsintensität steigernd aus, wenn diese bereits tatbestandlich unbegrenzten Befugnisse über eine Undurchschaubarkeit des ihnen zugrunde liegenden Vorgangs verfügen, so dass der Einzelne nicht erfassen kann, ob und inwiefern er von ihnen betroffen wurde.216 (2) Spezifische Defizite im Rahmen der Annahme der Eingriffsschwelle Neben diesem besonderen Eingriffsgewicht verfügen die an dieser Stelle behandelten Befugnisse aufgrund der Ortsbezogenheit ihres Einsatzes über einen wesentlich weiter gefassten Prognosegegenstand, der durch seine Unbestimmtheit die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit ungleich erschwert. Angenommenes Beeinträchtigungspotenzial ist im vorliegenden Zusammenhang zwar ebenso wie schon beschrieben die künftige Straftatbegehung, jedoch wird diese Besorgnis nunmehr gar von dem individuellen Straftäter gelöst, so dass es sich letztlich um eine weder nach Ort, Zeit oder Art der Begehungsweise, noch nach einem einzelnen Täter bestimmte Straftat handelt. Außer durch den Ortsbezug, für den mitunter, wie die Befugnis zur Identitätsfeststellung zeigt, auch bloße Vorbereitungshandlungen ausreichend sind, ist die künftige Straftat daher in keiner Weise konkretisiert. Ruft man sich ins Gedächtnis, dass die Abwägung zur Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeitsaussage auf fundierte und einzelfallbezogene Abwägungskriterien angewiesen ist, dokumentiert die schier unbegrenzte Reich213  Büllesfeld, S. 101 f.; Schewe, NWVBl. 2004, 415 (417). Siehe auch Vahle, VR 1986, 258 (262). 214  BVerfG, NVwZ 2007, 688 (691). 215  Schnabel, NVwZ 2010, 1460. Vgl. insgesamt BVerfGE 115, 320 (354 f.). 216  Gerade diesen Umstand macht sich die Polizei zur bereits ausführlich beschriebenen indirekten Verhaltenssteuerung zu nutze, vgl. dazu 3. Teil A. II. 1.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

weite an möglichen Bedrohungspotenzialen die fehlende Bestimmbarkeit der hier anzuwendenden Eingriffsschwelle. Wird das Erfordernis der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ernst genommen, so wird sie angesichts dieser defizitären Maßnahmengrundlage in aller Regel nicht angenommen werden können. Andernfalls wird die vermeintliche Eingriffsschwelle oftmals überhaupt ins Leere laufen, da sie letztlich etwa jede Fußgängerzone erfasst.217 (3) Sonderfall Strukturermittlungen nach dem thüringischen Polizeigesetz Gesondert muss an dieser Stelle kurz eine Polizeibefugnis angesprochen werden, die im Hinblick auf ihre Tatbestandsstruktur in sämtlichen deutschen Polizeigesetzen einmalig war. § 34 Abs. 3 S. 2 Thü. PAG gewährte der Polizei den Einsatz verdeckter Ermittler bzw. sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter, also sog. besondere Mittel der Datenerhebung, auch wenn zwar tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung in organisierter Form vorlagen, diese aber noch keiner bestimmten Person zugerechnet werden konnten. Auf Grundlage dieser Eingriffsschwelle waren daher gegen eine unbestimmte Anzahl von Personen individuell anlasslose (proaktive) Ermittlungsmaßnahmen zulässig, welche die Betroffenen aufgrund ihrer Verdecktheit nicht wahrnehmen konnten. Die Kombination aus der Verdecktheit der Maßnahme mit der fehlenden Nähebeziehung zwischen Eingriffsanlass und Maßnahmenempfänger verlieh dieser Befugnis eine besondere Eingriffsintensität, weshalb die verfassungsrechtliche Zulässigkeit insbesondere in Anbetracht der Unbestimmtheit des Bedrohungspotenzials äußerst fraglich war.218 Diese Befugnisse wurden mit dem Gesetz zur Änderung sicherheits- und verfassungsschutzrechtlicher Vorschriften vom 16. Juli 2008 gestrichen. (4) Zusammenfassende Anmerkungen Auch wenn die entindividualisierten Tatbestände augenscheinlich zunächst über die gleiche Eingriffsschwelle verfügen wie die personenbezogenen Vorfeldbefugnisse, die die Rechtfertigung einer bestimmten Annahme voraussetzen, so wirkt sich die unterschiedliche personale Ausrichtungen der Maßnahmen strukturell auf die sachlichen Eingriffsvoraussetzungen aus. Die Eingriffsschwelle zeichnet sich durch einen frappierenden Mangel an konkreten Vorgaben aus, der einer auf den Einzelfall bezogenen Limitierung 217  Siehe Achelpöhler / Niehaus, DuD 2002, 732 f.; Schewe, NWVBl 2004, 415 (419); Schnabel, NVwZ 2010, 1458. 218  Vgl. etwa Rachor, in Lisken / Denninger, F Rn. 350.



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 125

der Maßnahmen durch die Begründung einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des angenommenen Bedrohungspotenzials entgegensteht. Wird darüber hinaus die besondere Eingriffsintensität der Maßnahmen, zumindest soweit sie zugleich Träger der indirekten Verhaltenssteuerung und damit Lenkungsinstrument für eine unbestimmte Vielzahl von Personen sind, berücksichtigt, muss attestiert werden, dass sie den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen nicht genügen. d) Zusammenfassung Der erste Grundtyp der polizeilichen Eingriffsschwellen im Gefahrenvorfeld basiert ebenso wie die klassische konkrete Gefahr auf einem Prognoseurteil und weist daher zu dieser strukturelle Parallelen auf. Problematisch ist indes im ganz besonderem Maße, dass Gegenstand des Wahrscheinlichkeitsurteils nicht ein konkreter und abgegrenzter Schaden an einem bestimmten polizeilichen Schutzgut ist, sondern mit der bloßen künftigen Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung ein im Vergleich dazu wesentlich weniger konturierteres Bedrohungspotenzial in Bezug genommen wird. Der zunehmende Verlust an Konkretheit der erwarteten Rechtsgutbeeinträchtigung bewirkt proportional eine Reduzierung der auf den Einzelfall bezogenen Aussagekraft des Prognoseurteils. Verzichtet der Tatbestand überdies auf eine individuelle Zuordnung dieses Prognosegegenstandes, beschränkt er sich letztlich schlicht auf die abstrakte Straftatbegehung. Die auch für diese Befugnisschicht von Verfassungs wegen geforderte hinreichende Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Prognose lässt sich in dieser Folge nur schwer oder im Fall der vollkommen entindividualisierten Tatbestände gar nicht annehmen. Dabei stehen diesem Erfordernis keine grundsätzlichen Hindernisse entgegen. Das Wahrscheinlichkeitsurteil basiert stets auf einer konkreten Abwägung, welche auch bei einer zeitlichen Vorverlagerung des polizeilichen Eingriffs möglich ist, sofern die in dieser Situation naturgemäß gegenüber der konkreten Gefahr noch bestehenden Wissensdefizite durch andere Faktoren, wie etwa der Begrenzung auf benannte und äußerst gewichtige Schutzgüter oder dem Erfordernis nach einer näher qualifizierten Tatsachenbasis, kompensiert werden. Gerade hierin spiegelt sich die von dem Bundesverfassungsgericht aufgestellte Forderung nach handlungsbegrenzenden Tatbestandsmerkmalen wider. Die Beschaffenheit einer derartigen Tatbestandstruktur soll insgesamt erst Gegenstand eines späteren Abschnitts dieser Arbeit sein.219 Bereits hier sei 219  4. Teil B.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

aber schon angemerkt, dass, wenn der Polizeigesetzgeber der Auffassung ist, dass das klassische Polizeirecht gegenüber modernen Bedrohungspotenzialen keine effektive Handhabe mehr bietet und er deshalb eine Vorverlagerung des polizeilichen Aktionsfeldes als notwendig erachtet, sich in den Eingriffsvoraussetzungen gerade eine Begrenzung auf diese Sachverhaltskonstellationen wiederfinden muss.

2. Anlassunabhängige Tatbestände Während zwischen den prognosegestützten Eingriffsschwellen im Gefahrenvorfeld und der klassischen Eingriffsvoraussetzung der konkreten Gefahr zumindest vergleichbare Strukturen ausgemacht werden können, stellen polizeirechtliche Tatbestände, welche keinen konkreten Eingriffsanlass voraussetzen, sondern vielmehr zu einem voraussetzungslosen und jederzeitigen Einschreiten ermächtigen, in rechtsdogmatischer Hinsicht ein echtes Novum dar. Durchsucht man die Polizeigesetze nach entsprechenden Befugnissen, so stößt man jedoch letztlich nur auf die Befugnisse zur Identitätsfeststellung bzw. Befragung im Rahmen der Schleierfahndung.220 Daher soll diese Maßnahme in der folgenden Betrachtung im Vordergrund stehen, wobei sich die Darstellung auf die wesentlichen Grundzüge beschränkt.221 a) Die Schleierfahndung – Funktion und Tatbestand Auch wenn sich die Schleierfahndung als solche zahlreichen Diskussionen und „Angriffen“ ausgesetzt sieht, handelt es sich bei ihr in der Sache nur um eine besondere Form der Identitätsfeststellung.222 Normiert wurde 220  Eine weitere anlasslose Eingriffsbefugnis der Polizei findet sich in § 36 Abs. 5  StVO. 221  Eine ausführliche Untersuchung der Schleierfahndung findet sich bei Graf, Verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrollen, sowie bei Krane, „Schleierfahndung“. 222  Zur Nivellierung der Unterschiede zwischen der Schleierfahndung und der Identitätsfeststellung an gefährlichen Orten Roggan, in Roggan / Kutsch, S. 275 f. In einigen Polizeigesetzen ermächtigt die Schleierfahndung statt zu einer Identitätsfeststellung lediglich zu einer Befragung. Während eine Identitätsfeststellung ausschließlich auf die Individualisierung einer bestimmten Person gerichtet ist und daher nur dementsprechende Maßnahmen gestattet, ist eine Befragung als ein Auskunftsverlangen hinsichtlich der Personalien oder zu einer bestimmten Sache zu verstehen, wobei den Betroffenen keine grundsätzliche Auskunftspflicht trifft. Daneben ist die Polizei in diesem Zusammenhang generell befugt, den Empfänger der Maßnahme anzuhalten und die Aushändigung der mitgeführten Ausweispapiere zu verlangen. Siehe dazu Graf, S. 133 ff., 63.



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 127

sie lediglich in Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Bay. PAG, § 12 Abs. 1 Nr. 6 Bbg PolG, § 18 Abs. 2 Nr. 6 HSOG, § 180 Abs. 3 Nr. 2 LVwG S-H, § 9a Abs. 4 POG R-P, § 4 Abs. 2 PolDVG HA, § 26 Abs. 1 Nr. 6 PolG BW, § 19 Abs. 1 Nr. 5 Sächs. PolG, § 27a SOG M-V, § 14 Abs. 3 SOG LSA, § 9a Abs. 1 SPolG und § 14 Abs. 1 Nr. 5 Thü. PAG. Die fehlende Anlassbezogenheit bewirkt eine gänzlich andersartige Tatbestandsstruktur dieser Identitätsfeststellung, die sich dadurch auszeichnet, dass kein auch noch so weit gefasstes, bestimmtes Besorgnispotenzial vorausgesetzt wird. Die Tatbestände beschränken sich indes vielmehr auf bestimmte Örtlichkeiten, bei denen von einer abstrakten Gefährlichkeit oder Gefährdung aufgrund ihrer Relevanz für die grenzüberschreitende Kriminalität ausgegangen wird.223 Darin spiegelt sich der Regelungszweck der Schleierfahndung als Kompensation für den Wegfall der Grenzkontrollen durch das Schengen Durchführungsübereinkommen wider.224 Dementsprechend weisen sämtliche nun kurz vorzustellenden Tatbestandsalternativen einen Bezug zum grenzüberschreitenden Verkehr auf. Der Tatbestand findet seinen konkreten Anknüpfungspunkt in einer näher beschriebenen Örtlichkeit. Danach ist eine jederzeitige Identitätsfeststellung bzw. Befragung zunächst im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km zulässig, wobei schon aufgrund des Regelungsgrundes die Außengrenzen des Bundesgebietes gemeint sind. Als weitere Kontrollörtlichkeit sehen die polizeigesetzlichen Normen öffentliche Einrichtungen des internationalen Verkehrs, worunter insbesondere Flughäfen und Bahnhöfe zu subsumieren sind, sowie Durchgangsstraßen vor.225 Der Gesetzgeber in Bayern umschreibt die genannten Straßen in einer Legaldefinition näher und fasst danach Bundesautobahnen, Europastraßen und andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr unter diesen Begriff. In Eine Verschärfung dieser Polizeibefugnis in Gestalt des Festhaltens und des Durchsuchens bis zu einer Sistierung kann allerdings dann zulässig sein, wenn sich die Identität auf die soeben beschriebene Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten feststellen lässt. Diese weitergehenden Maßnahmen sind zwar ihrerseits an keine über den bisher beschriebenen Tatbestand hinausgehenden Voraussetzungen geknüpft, verlangen aber nach einer besonderen Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, siehe Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (374 ff.); Graf, S. 170 ff. 223  Eine Sonderstellung nimmt insofern § 4 Abs. 2 PolDVG HA ein, als diese Ermächtigungsgrundlage insgesamt der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten dient. 224  Krane, S. 38 ff. 225  Siehe etwa Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Bay. PAG. § 4 Abs. 2 PolDVG HA beschränkt den Einsatz der Maßnahme hingegen lediglich auf den öffentlichen Raum und fordert, dass aufgrund konkreter Lageerkenntnissen anzunehmen ist, dass in diesem Gebiet Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

einigen Polizeigesetzen wird zusätzlich in den Tatbeständen das Vorliegen entsprechender Lageerkenntnisse sowie deren Dokumentation gefordert.226 Neben diesen bestimmten Örtlichkeiten enthalten die einschlägigen Normen ein weiteres Korrektiv in Gestalt der Zielvorgabe der Identitätsfeststellungen, welche ausschließlich zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze oder des unerlaubten Aufenthalts sowie zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität zulässig sind. Durch die Zweckvorgabe gewinnen die Tatbestände eine finale Struktur. Sie finden ihren Bezugspunkt daher nicht wie die übrigen polizeilichen Eingriffsbefugnisse in einem gegenständlichen Anlass. Bedingt kann in dieser Zielsetzung ein Surrogat für das ansonsten übliche Prognoseurteil erblickt werden.227 Die Identitätsfeststellung darf nur unter dieser Zielsetzung erfolgen, dementsprechend werden die sie ausführenden Polizeibeamten sich insbesondere gegen solche Personen wenden, bei denen sie aufgrund äußerer Anzeichen den Verdacht hegen, dass sie in irgendeiner Form mit einer grenzüberschreitenden Kriminalität in Verbindung stehen.228 Es erfolgt also auch bei der Identitätsfeststellung im Rahmen der Schleierfahndung ebenso wie bei deren Einsatzform auf Grundlage der zuvor beschriebenen Eingriffsschwelle eine Konkretisierung und vor allem Individualisierung auf der Ebene der Ermessensausübung. Problematisch ist dabei, dass der Gesetzgeber dieses Vorgehen und die dabei anzuwendenden und zu berücksichtigenden Kriterien nicht selbst kodifiziert hat, sondern die Konkretisierung der Exekutive überlässt und sich somit seiner parlamentarischen Verantwortung entzieht.229 Eine darüber hinausgehende, eingriffsbegründende, indirekte Verhaltenssteuerung kann dieser Maßnahme indes wegen der fehlenden Undurchschaubarkeit des ihr zugrunde liegenden Vorgangs und der geringen Grundrechtsrelevanz ihres Einsatzfeldes nicht beigemessen werden.230 Zwar war mit der Einführung der Schleierfahndung keinesfalls die Erwartung verbunden, durch eine punktuelle Befragung oder Identitätsfeststellung ohne jeglichen konkreten und personenbezogenen Anlass Gefahren und Risikopotenziale gezielt 226  §  12 Abs. 1 Nr. 6 Bbg PolG; vergleichender Gesamtüberblick bei Graf, S. 49 ff. Siehe auch LVerfG M-V, DÖV 2000, 71 (75 f.); Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (357, 367 ff.). Zur Bedeutung der geforderten Lageerkenntnisse Groh, NdsVBl. 2011, 10 (12 f.). 227  Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (361 f.); Groh, NdsVBl. 2011, 10 (11); Middel, S. 337; Roggan spricht von einer „Motivbindung“ der Polizei, in Roggan / Kutscha, S. 266. Ablehnend Waechter, DÖV 1999, 138 (142). 228  Vgl. Krane, S. 34, 127 ff. 229  Dazu kritisch Roggan in Roggan  / Kutscha, S. 272 f.; Waechter, DÖV 1999, 138 (141). 230  Dazu schon 3. Teil A. II. 1. b) bb). Demgegenüber Krane, S.  34  m. w. N.; Waechter, DÖV 1999, 138 ff.



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 129

und unmittelbar zu bekämpfen,231 hinter der Maßnahme stand vielmehr die Intention, bereits durch die Schaffung dieses Instruments bei potenziellen Straftätern bzw. Störern ein Gefühl der Verunsicherung hervorzurufen, wonach sie jederzeit mit Aufdeckung ihrer Absichten und Pläne rechnen müssten und sie dadurch letztlich von ihrer Tatbegehung abgeschreckt werden.232 Jedoch weist die im Wege dieser Strategie erzeugte Streuwirkung eine andere Beschaffenheit als etwa jene der polizeilichen Videoüberwachung öffentlicher Plätze auf. Die Schleierfahndung konkretisiert sich erst durch ein manuelles und für den Betroffenen erfassbares Vorgehen, während die Wirkungsweise der Videoüberwachung für ihn aufgrund der Art der Technik nicht durchschaubar ist. Die Belastung durch die Streuwirkung wird im vorliegenden Zusammenhang darüber hinaus insofern weiter relativiert, als sich die Schleierfahndung örtlich auf weniger grundrechtsrelevante Bereiche wie insbesondere den Straßenverkehr, in dem ohnehin jederzeit mit einer allgemeinen Verkehrskontrolle gerechnet werden muss, erstreckt.233 b) Der anlassunabhängige Eingriffstatbestand in der Polizeirechtsdogmatik In Anbetracht der einzigartigen Struktur des Tatbestandes der Schleierfahndung in den Polizeigesetzen überrascht es nicht, dass deren Verfassungsmäßigkeit oftmals in Frage gestellt wird.234 Augenfälligstes und im Mittelpunkt 231  Dazu auch die kritische Anmerkung von Lisken, in Bäumler, S. 32 (36); Waechter, DÖV 1999, 138 (140). 232  Siehe etwa die Stellungnahme der sächs. Staatsregierung in Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (350 f.), dies durch das Gericht billigend, S. 369, 378. Zur Abschreckungskonzeption Graf, S. 232 f.; Groh, NdsVBl. 2011, 10 (12 f.); Krane, S. 34; Waechter, DÖV 1999, 138 ff.; Zöller, S. 272. Kritisch Roggan, in Roggan / Kutscha, S.  275. 233  A. A. Krane, S.  34  m. w. N. 234  Bereits die Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers wird nicht einhellig bejaht, siehe dazu die kritische Darstellung von Graf, S. 222. Schon der Begriff der Schleier-„fahndung“ weckt Assoziationen mit der Strafverfolgung. Im Rahmen einer anlasslosen Personenkontrolle wird es regelmäßig zur Ermittlung gesuchter Straftäter kommen. Dieses Maßnahmenresultat erscheint sogar realitätsnäher als eine unmittelbare Gefahren- oder Schadensvermeidung. Zum anderen dient die Schleierfahndung erklärtermaßen dazu, potenzielle Straftäter durch den Eindruck einer erhöhten Aufklärungswahrscheinlichkeit zu verunsichern und dadurch von ihrem Vorhaben letztlich abzuschrecken. In dieser Konzeption spiegelt sich die typischerweise dem Strafrecht immanente Generalprävention wider. Im Einzelnen soll der Problematik in dieser Arbeit nicht weiter nachgegangen werden. Zu dem Verhältnis zur ausschließlichen Bundesgesetzgebungskompetenz zum Grenzschutz nach Art. 73 Nr. 5 GG siehe Graf, S. 238 ff. Vgl. ferner Bay. VerfGH, NVwZ 2003, 1375 (1376).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

der Auseinandersetzung stehendes Merkmal ist der vollkommene Verzicht auf einen einzelfallbezogenen Eingriffsanlass. Auch wenn sich das Bundesverfassungsgericht selbst bisher nicht zur Schleierfahndung geäußert hat, kann doch der Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung die grundsätzliche Billigung des Gerichts zu einer derartigen Tatbestandsstruktur entnommen werden.235 Für die Vorratsdatenspeicherung, deren Streubreite weit über die jeder anderen Maßnahme in der deutschen Rechtsordnung hinausgeht,236 forderte das Gericht insbesondere eine hinreichend bestimmte Zweckvorgabe der Datenerhebung, um der entsprechenden Eingriffsqualität der Maßnahme gerecht zu werden.237 In diese Richtung argumentierte bereits das Landesverfassungsgericht von Mecklenburg-Vorpommern in seiner Entscheidung zur Schleierfahndung nach § 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SOG M-V (a. F.).238 Das Gericht billigte zwar aufgrund der hinreichenden Begrenztheit und Bestimmtheit die anlasslose Identitätsfeststellung im Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von bis zu 30 Kilometern239 sowie in öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs und im Küstenmeer,240 erklärte aber die Personenkontrolle auf Durchgangsstraßen außerhalb der genannten Bereiche mangels hinreichendem Zurechnungszusammenhang zwischen der jeweils betroffenen Person und der Gefährdung eines geschützten Rechtsgutes oder einer entsprechenden Gefahrennähe für nicht mit der Verfassung vereinbar.241 Der Gesetzgeber hätte zum einen das Erfordernis eines konkreten Lagebildes aufstellen müssen, nach dem diejenigen Betroffenen zur Identitätsfeststellung bzw. Befragung ausgewählt werden, von denen sich die Polizei in der jeweiligen Situation den meisten Ertrag erhofft. Daneben fordert das Gericht für diese Einsatzvariante weiter die Beschränkung der Maßnahme auf die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten der grenzüberschreitenden Kriminalität in quali235  BVerfGE

125, 260 (320 f.). ausdrücklich das BVerfGE 125, 260 (318 f.). 237  BVerfGE 125, 260 (320 f.); daneben setzt das Gericht in dieser Entscheidung eine strikte Trennung zwischen der anlasslosen Speicherung und dem zwingend notwendigen anlassbezogenen Abruf der Daten sowie weitere verfahrensrechtliche Absicherungen voraus. 238  LVerfG M-V, DÖV 2000, 71 ff. 239  Der Bayerische Verfassungsgerichtshof sieht in seiner Entscheidung ebenfalls einen Unterschied zwischen der Kontrolle im Grenzgebiet und jener auf Durchgangsstraßen, als erstere mit einem abstrakten Gefahrenpotenzial verbunden seien, billigt im Ergebnis jedoch die Regelung in beiderlei Hinsicht, da auch außerhalb dieses örtlich bestimmten Bereiches eine willkürliche Personenkontrolle ausscheide und der Polizei mit der von dem Gesetzgeber vorgegebenen Zweckbestimmung ein hinreichender Maßstab für die konkrete Anwendung ihrer Befugnis und für die Ausarbeitung ortsbezogener Lageerkenntnisse vorgegeben wurde, Bay. VerfGH, NVwZ 2003, 1375 (1378); BayVBl. 2011, 206 (207). 240  LVerfG M-V, DÖV 2000, 71 ff. 241  LVerfG M-V, DÖV 2000, 71 (72). 236  So



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 131

fizierter Form, deren Begehungsweise es rechtfertige, nicht erst bei Vorliegen eines Anfangsverdachts oder einer konkreten Gefahr, sondern schon vorbeugend gegen sie vorzugehen.242 Um welche Straftaten es sich dabei handeln darf, hat der Gesetzgeber in einem eigenen Katalog festzulegen.243 Die Verfassungsgerichte in Bayern und Sachsen billigten hingegen die jeweiligen Regelungen innerhalb des betreffenden Bundeslandes.244 Inwiefern auf eine konkrete Eingriffsschwelle in verfassungsrechtlich zulässiger Weise verzichtet werden kann, bemisst sich nach dem auch der klassischen Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr letztlich zugrunde liegenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Mit der vorbeugenden Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität sowie der Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze oder des unerlaubten Aufenthalts wird etwa mit der Schleierfahndung ein legitimer Zweck verfolgt, deren Eignung und Erforderlichkeit brauchen nicht weiter hinterfragt zu werden. Bedenken bestehen jedoch betreffend die Angemessenheit dieser Maßnahme. In diesem Rahmen muss der Gesetzgeber wie bei den sonstigen Eingriffsschwellen einen gerechten Ausgleich zwischen den Allgemein- und den Individualinteressen schaffen. Hierbei ist die jeweilige Ausgestaltung der Eingriffsschwelle mit der Zahl der von der Maßnahme betroffenen Adressaten, der Intensität der Beeinträchtigung sowie, auf Seiten des Allgemeininteresses, das Gewicht der verfolgten Belange in einen gerechten Ausgleich zu bringen.245 Eine praktische Konkordanz zwischen diesen kollidierenden Abwägungsgesichtspunkten lässt sich herstellen, sofern der jeweiligen Maßnahme nur eine vergleichsweise geringe Eingriffsintensität zukommt, wie sie der Schleierfahndung bei einer nüchternen Betrachtung zu bescheinigen ist.246 Die Maßnahme ermächtigt letztlich lediglich zu einer Befragung bzw. Identitätsfeststellung.247 Der Einzelne wird zwar, was von der Maßnahme auch gerade beabsichtigt ist, seiner Anonymität beraubt, darin erschöpft sich dieser Eingriff jedoch letztlich bereits.248 242  LVerfG

M-V, DÖV 2000, 71 (73). M-V, DÖV 2000, 71 (74). 244  Bay. VerfGH, NVwZ 2003, 1375 (1377); Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (364 ff.). 245  LVerfG M-V, DÖV 2000, 71 (72); Bay. VerfGH, NVwZ 2003, 1375 (1378). 246  Weber, S. 177 ff. 247  Sofern sich der Schleierfahndung weitere Folgeeingriffe anschließen, bedürfen diese selbst einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung und berühren das Gewicht der vorausgehenden Identitätsfeststellung selbst nicht, so auch bezogen auf die Rasterfahndung Trute, Die Verwaltung 2009, 85 (99); Weber, S. 159 f. A. A. LVerfG M-V, DÖV 2000, 71 (72); ebenso bezogen auf die automatisierte Kennzeichenerfassung BVerfGE 120, 378 (403). 243  LVerfG

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Daneben stehen insbesondere zwei weitere Aspekte der Annahme einer besonderen Grundrechtssensibilität entgegen. Zum einen erfolgt die Erfassung in offener und manueller Weise, so dass der Vorgang für jeden Betroffenen wahrnehmbar und durchschaubar ist. In dieser Folge kann der Befugnis keine für einen Grundrechtseingriff relevante Verhaltenssteuerung attestiert werden, ihre Steuerungswirkung erschöpft sich schlicht in der Abschreckungswirkung aufgrund der abstrakten Existenz des Einsatzmittels. Zum anderen wirkt sich weiter eingriffsmindernd aus, dass diese Maßnahme in grundrechtlich weniger relevanten örtlichen Zusammenhängen, wie etwa im Straßenverkehr, erfolgt.249 248

Dennoch rechtfertigt nicht schon schlicht die geringe Eingriffsintensität einer Identitätsfeststellung als solcher deren jederzeitigen Einsatz. Vielmehr kann das Gewicht der Maßnahme erst in einer Relation mit den verfolgten Schutzinteressen ermittelt werden. Verzichtet der Gesetzgeber bei einer Eingriffsermächtigung auf die Normierung einer Eingriffsschwelle, so kommt deren Zweckbestimmung eine besondere Bedeutung zu.250 Sie steuert und begrenzt den Einsatz des jeweiligen Mittels. Auf deren hinreichenden Bestimmtheit ist daher an dieser Stelle ein gesteigerter Wert zu legen. Mit der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität steht der Belastung im Fall der Schleierfahndung ein ausreichendes Gegengewicht von gewichtigen Gemeinschaftsinteressen gegenüber. Anders als auf der Ebene der zuvor beschriebenen Befugnisschicht kann im Rahmen der Zweckbestimmung durchaus die künftige, nicht näher qualifizierte Begehung von Straftaten in Bezug gesetzt werden, da die Zweckbestimmung gerade nicht der Ermittlung eines konkreten Eingriffsanlasses dient. Ihre maßgebliche, über den bloßen Datenschutz hinausgehende Bedeutung gewinnt sie über die Steuerung der Ermessensausübung, in welcher auch ein abstraktes Ziel berücksichtigt werden kann, solange dieses selbst über ein hinreichendes Maß an Bestimmtheit verfügt, bei dessen Beurteilung die Eingriffsintensität der anvisierten Maßnahme wiederum den Maßstab bildet. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Schleierfahndung ist danach mit dem bayerischen und dem sächsischen Landesverfassungsgericht anzunehmen.

248  Ebenso zur Identitätsfeststellung an einem „verrufenen“ Ort OVG Lüneburg, NordÖR 2010, 211 (212). 249  So im Ergebnis auch der Bay. VerfGH, NVwZ 2003, 1375 (1378). 250  Ein Überblick über die einzelnen Zweckbestimmungen im Rahmen der Schleierfahndung bietet Graf, S. 45 ff. Zwecke sind danach die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, die Verhütung und Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenzen oder des unerlaubten Aufenthalts, teilweise auch die vorbeugende Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität sowie die Verhütung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung.



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 133

c) Zusammenfassung Der Gesetzgeber kann durchaus Eingriffsermächtigungen vorsehen, die keinen konkreten Eingriffsanlass voraussetzen. Diese Regelungen bedürfen allerdings eines gerechten Ausgleichs zwischen der jeweiligen Ausgestaltung der Eingriffsschwelle mit der Zahl der von der Maßnahme betroffenen Adressaten, der Intensität der Beeinträchtigung sowie dem Gewicht der verfolgten Belange. Herausragende und begrenzende Funktion kommt in diesem Rahmen insbesondere der Zweckvorgabe der Maßnahme zu. Die Anforderung an deren Bestimmtheit korrespondiert mit der Eingriffsintensität der jeweiligen Maßnahme. Insgesamt werden besonders eingriffsintensive Befugnisse, also insbesondere solche, welche eine distanzüberschreitende Technik bzw. eine den Betroffenen täuschende Einsatzweise verwenden oder aus anderweitigen Gründen durch eine Undurchschaubarkeit der Maßnahme gekennzeichnet sind, den Verzicht auf einen konkreten Eingriffsanlass nicht rechtfertigen können. 3. Die entindividualisierte Gefahr im Gefahrenvorfeld Die dritte Gruppe polizeilicher Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld bilden die bereits im Rahmen der Begriffsbildung des polizeilichen Vorfelds überblickmäßig vorgestellten Tatbestände der entindividualisierten Gefahr.251 Diese Befugnisse, zu denen insbesondere die präventiv-polizeiliche Rasterfahndung252 zu zählen ist, zeichnen sich durch eine besondere „Zwitterstellung“ aus, als sie sich in ihren Tatbeständen zwar der klassischen Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr bedienen, diese aber keiner individuell bestimmten Person oder auch nur einem individualisierbaren Kreis von Personen zuordnen und somit durch eine erheblich Streuwirkung gekennzeichnet sind. Da das klassische Gefahrenabwehrrecht aber kumulativ über die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr und der individuellen Verantwortlichkeit des Maßnahmenadressaten definiert wird und sich der Inhalt des Vorfeldrechts nach dem Verständnis dieser Arbeit aus der Gegenüberstellung zu der so beschriebenen dogmatischen Struktur ergibt, gehören auch die diesem Tatbestandsschema folgenden Eingriffsermächtigungen dem Vorfeldrecht an. Im Folgenden wird zusätzlich zu zeigen sein, dass sich die konkrete Gefahr in diesem Sinn strukturell von jener bekannten Figur der polizeilichen Generalklausel unterscheidet und dadurch auch inhaltlich eine Einordnung in das Vorfeldrecht als gerechtfertigt erscheint. 251  3. Teil 252  Vgl.

A. I. 1. b) bb). BVerfGE 115, 320 (362).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

a) Der Vorfeldtatbestand aa) Rückblick auf die Dogmatik des Gefahrenabwehrrechts Bevor die Strukturmerkmale der entindividualisierten Gefahr im Gefahrenvorfeld einer Analyse und Beschreibung unterzogen werden können, soll der Blick zunächst noch einmal auf die konkrete Gefahr im klassischen Sinne gelenkt werden, um in dieser Figur die dogmatischen Anknüpfungspunkte für eine Vorverlagerung des polizeilichen Handlungsfeldes aufzuzeigen. Poscher hat kurz und eindringlich erläutert, dass die Konkretheit des Gefahrenurteils auf zwei Determinanten beruht. Sie werden von den beiden ersten Strukturelementen dieser Eingriffsschwelle – dem Eingriffsanlass und dem erwarteten Beeinträchtigungspotenzial – gebildet. Zunächst muss das Wahrscheinlichkeitsurteil auf Basis aller Umstände und Merkmale der konkret vorhandenen Sachlage gebildet werden. Eine zutreffende Wahrscheinlichkeitsaussage setzt eine Relation voraus, in welcher sämtliche die vorgefundene Ausgangslage betreffenden Tatsachen, Erfahrungen und sonstige Erkenntnisse über den in Fällen vergleichbarer Art eingetretenen weiteren Geschehensverlauf einbezogen werden.253 Darüber hinaus ist die Konkretheit aber zugleich auf eine Bestimmtheit des erwarteten Schadensereignisses angewiesen, welches in eine zeitliche, örtliche, personelle und sachliche Dimension unterteilt werden kann.254 Die Konkretisierung des Schadensereignisses selbst ist damit eine flexible Größe, die keineswegs notwendig auf die vollständige Ermittlung des Schadenspotenzials in jeglicher Hinsicht angewiesen ist. Im Gegenteil werden partielle Erkenntnisdefizite eher den Regelfall bilden. So können Defizite in jener Hinsicht durch Erkenntnisse betreffend anderer Schadensdimensionen innerhalb der Abwägung kompensiert werden, wobei etwa dem Gewicht des bedrohten Rechtsguts besondere Bedeutung zukommt.255 Ein auf konkrete Tatsachen gestütztes, besonders großes Schadensausmaß an höchstrangigen Rechtsgütern beispielsweise reduziert auf der anderen Seite die Anforderungen, welche an das vorausgehende Tatsachenfundament zu stellen sind. Wichtig ist damit die Einsicht, dass alle eben beschriebenen Entscheidungshintergründe keineswegs in der konkreten Fallanwendung bekannt sein müssen, um ein hinreichend wahrscheinliches Gefahrenurteil zu rechtfertigen. 253  2. Teil

A. II. 2. Die Verwaltung 41 (2008), 345 (363 ff.). 255  In diese Richtung kann auch BVerfGE 120, 274 (326) verstanden werden, wenn dort lediglich ein nach seiner Art und zeitlichen Absehbarkeit bestimmtes Schadensereignis verlangt wird, ein Schadenseintritt in nächster Zukunft jedoch als entbehrlich erachtet wird. 254  Poscher,



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 135

Die Einsatzsituationen, in denen die Polizei nun etwa auf das Instrument der Rasterfahndung als Paradebeispiel der vorliegenden Befugnisschicht zurückgreifen möchte, werden grundsätzlich durch die fehlende Konkretisierbarkeit des Schadenspotenzials in personaler Hinsicht gekennzeichnet sein. Fehlende Erkenntnisse betreffend diese Dimension des Schadens schließen die Annahme einer konkreten Gefahr als solcher zunächst nicht aus und sind im Rahmen der Prognoseentscheidung, wie auch die übrigen Gefahrenaussagen, kompensationsfähig. Indes definiert sich die hergebrachte Polizeirechtsdogmatik nicht ausschließlich über die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr, sondern setzt daneben deren individuelle Zuordnung an einen bestimmten Maßnahmenadressaten voraus. Eingriffe gegen einen nicht abgegrenzten, unüberschaubaren Empfängerkreis stehen dieser Dogmatik entgegen. Die strukturelle Angewiesenheit des klassischen Polizeirechts auf eine individuelle Zuordnung seiner Maßnahmen gestatten daher in den soeben beschriebenen Sachverhaltskonstellationen keine abwehrenden oder auch nur aufklärenden Eingriffe. Erst die Lösung von der Individualität des Eingriffs ermöglicht es der Polizei sich dieses Handlungsfeld zu erschließen. An der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr kann indes aufgrund deren Flexibilität auch in diesem Bereich festgehalten werden, sofern sie auf dieser Ebene als ein entindividualisiertes Bedrohungspotenzial begriffen wird. bb) Abgrenzung zum Störererforschungseingriff Die strukturelle Anbindung des Gefahrenabwehrrechts an eine individuelle Zuordnung seiner Maßnahmen wird auch nicht durch die Rechtsfigur des so genannten Störererforschungseingriffs widerlegt. Der Störererforschungseingriff weist große Parallelen zu dem schon beschriebenen Gefahrenverdacht auf und ist ebenso wie dieser der klassischen Polizeirechtsdogmatik zuzuordnen. Seine Anwendung setzt zwar zunächst ebenfalls eine partielle Ungewissheit in personaler Hinsicht voraus, der Unterschied zu der soeben beschriebenen Fallgruppe besteht jedoch darin, dass die Gefahr durchaus noch einer bestimmten Person oder zumindest einem bestimmten Kreis von Personen zugeordnet werden kann,256 die Polizei jedoch an dieser Zuordnung Zweifel hegt. Wie auch in den vergleichbaren Fällen des Gefahrenverdachts werden auf der Grundlage der Gefahrenabwehrbefugnisse Ermittlungsmaßnahmen in Gestalt des Störererforschungseingriffs erlassen, welche der Ausräumung gerade dieses Defizits dienen. Dennoch verbleibt es ent256  Ein klassischer Anwendungsbereich des Störererforschungseingriffs ist beim Ablassen von Chemikalien in einen Fluss in einem bestimmten Uferbereich, an dem mehrere Industrieanlagen angesiedelt sind, gegeben, vgl. Poscher, Die Verwaltung 41 (2008), 345 (365). Siehe daneben etwa Götz, § 6 Rn. 31, 33 f.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

sprechend der Grundsätze der klassischen Polizeirechtsdogmatik bei der Individualisierbarkeit der getroffenen Maßnahmen und deren Begrenzung auf einen bestimmten Adressatenkreis. cc) Die Gefahrenschwelle im Vorfeldtatbestand Die Ermittlung des konkreten Gefahrenurteils folgt in seinen Grundsätzen auch im vorliegenden Zusammenhang den allgemeinen und schon ausführlich dargestellten Regeln, wie sie aus dem klassischen Polizeirecht bekannt sind.257 Seine fehlende Individualisierbarkeit bewirkt jedoch innerhalb dieser Grundregeln eine strukturelle Diskrepanz zum Gefahrenabwehrrecht, welche den Charakter der konkreten Gefahr modifiziert. Der polizeiliche Wissenshorizont in den Fällen der entindividualisierten Gefahr ist notwendig ein anderer als jener, welcher dem Gefahrenurteil gewöhnlich zugrunde gelegt wird. Die Polizei besitzt zwar Erkenntnisse über ein Bedrohungspotenzial, kann diese Annahme jedoch nicht zu einer konkreten Person oder auch nur einem überschaubaren Kreis von Personen in Beziehung setzen. Trotz dieses an sich eklatanten Aufklärungsmangels, der doch immerhin den Rückgriff auf das hergebrachte Handlungsinstrumentarium ausschließt, ist die Annahme einer konkreten Gefahr als solcher nicht von vorneherein ausgeschlossen. Auch vor diesem Horizont stehen einer Anknüpfung an einen tatsachengestützten Eingriffsanlass sowie einem angenommenen, künftigen Schaden keine Hindernisse entgegen. Der Problemkreis konzentriert sich vielmehr auf die Verknüpfung beider Strukturelemente durch die geforderte hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadens. Es stellt sich daher zusammengefasst die Frage, inwiefern der Eintritt eines nach seiner Begehungsweise und in örtlicher wie zeitlicher Hinsicht abgegrenzten Schadensereignisses mit dem geforderten Prognosegrad anzunehmen ist, wenn es auf der anderen Seite noch vollkommen an einer individuellen Zuordnung dieses Ereignisses fehlt. Eine derart defizitäre Erkenntnislage wirkt sich zunächst im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung eingriffshindernd aus und erhöht damit die Schwelle einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Soll gestützt auf diese Tatbestandsvoraussetzung dennoch eine Ermittlungsmaßnahme erfolgen, so muss das beschriebene Defizit durch andere, den Eingriff wiederum legitimierende Aspekte ausgeglichen werden, indem etwa ein Schaden für ein qualifiziertes Rechtsgut gefordert wird. Dies geschieht insbesondere dadurch, dass tatbestandlich, wie auch vom Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, eine Gefahr für besonders hochrangige Rechtsgüter wie den Be257  Siehe

2. Teil A.



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 137

stand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes sowie für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gefordert wird.258 Durch eine entsprechende Limitierung des Schadenspotenzials erfolgt gleich in zweierlei Hinsicht insoweit eine Kompensation, als die Eingriffsschwelle durch die Betroffenheit derartig hochwertiger Rechtsgüter zum einen abgesenkt wird, und zum anderen eine solche Annahme qualifizierte Anforderungen an die Aussagekraft der vorausgehenden Tatsachengrundlage stellt, welche geeignet sein muss, gerade auf ein entsprechend beschaffenes, konkretes Schadensereignis schließen zu können. Darüber hinaus wird die Annahme der Gefahr nach den bekannten Regeln dadurch erschwert, dass Ermittlungsmaßnahmen, die an eine entindividualisierte Gefahr anknüpfen, in den überwiegenden Fällen ein vergleichsweise langwieriges Verfahren erfordern. Immerhin müssen die Daten von einer unbestimmten Vielzahl von Personen erhoben und ausgewertet werden. Nur selten wird anschließend die für die Gefahr verantwortliche Person feststehen, vielmehr begrenzen die hier beschriebenen Maßnahmen lediglich die Zahl potenzieller Störer auf einen überschaubaren Kreis, welcher mit weiteren, individuellen Maßnahmen aufgeklärt werden kann, bevor letztlich erst die eigentlichen Abwehrhandlung ergriffen wird.259 Bei Anwendung des traditionellen Gefahrenmaßstabes wird in derartigen Fallkonstellationen daher in aller Regel zu konstatieren sein, dass angesichts dieses enormen Zeitfensters eine konkrete Gefahr noch gar nicht vorliegen kann.260 Die sich daraus notwendig ergebende zeitliche Distanz zum Schadenseintritt erschwert ebenfalls die Annahme der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Einen Hinweis darauf, wie sich dieses Defizit bewältigen lässt, findet sich in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Onlinedurchsuchung nach dem VSG NRW, der sich durchaus auf die vorliegende Problematik übertragen lässt. Im dortigen Zusammenhang entschied das Gericht, dass es der Gefahrenprognose nicht abträglich ist, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr schon in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen.261 In diesen Ausführungen kann auch kein Widerspruch zu jener der Entscheidung zur Rasterfahndung zugrunde liegenden Problematik gesehen werden, in welcher die vorausgehenden Gerichtsentscheidungen die gesetzlich vorausgesetzte konkrete Gefahr für die im Anschluss an die Anschläge vom 11. September durchgeführte Rasterfahndung als begründet ansahen, obwohl kei258  BVerfGE

115, 320. Jura 2007, 132 (137); Zschoch, S. 107. 260  Gusy, KritV 2002, 474 (489 f.); Weber, S. 39. 261  BVerfGE 120, 274 (326). 259  Volkmann,

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

nerlei Anzeichen für einen bevorstehenden terroristischen Anschlag vorlagen.262 Mit Verweis auf das enorme Bedrohungs- und Schadenspotenzial terroristischer Anschläge wurde auch bei fehlenden näheren Erkenntnissen über den genauen Zeitpunkt, den Ort, die Täter sowie der Art und Weise der Ausübung schließlich allein aufgrund der allgemeinen Bedrohungslage eine konkrete Gefahr angenommen.263 Dieser Beurteilung fehlte es an der auch im Fall der Rasterfahndung geforderten „Konkretheit“ der entindividualisierten Gefahr. Eine zeitliche Distanz zu dem bevorstehenden Ereignis allein schließt diese jedoch nicht aus, sofern der Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen eine auf einer fundierten Tatsachengrundlage basierende Schadensprognose des konkreten Einzelfalls zugrunde gelegt wird. Es bleibt also für diese Befugnisse festzuhalten, dass der Schaden nur in der Weise zeitlich absehbar sein muss, dass nur durch eine Aufklärungsmaßnahme zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Grundlagen einer späteren, effektiven Gefahrenabwehrmaßnahme geschaffen werden können. b) Die entindividualisierte Gefahr in der Polizeigesetzgebung Als Beispiel für eine Maßnahme, die eine entindividualisierte Gefahr voraussetzt, wurde schon mehrfach die präventiv-polizeiliche Rasterfahndung angeführt. Indes kann es verfassungsrechtlich geboten sein, auch im Rahmen anderer Befugnisse an diese Eingriffsschwelle anzuknüpfen. Im folgenden Abschnitt sollen nach einem kurzen, abschließenden Überblick über die Rasterfahndung die übrigen in Betracht kommenden Befugnisse darauf hin untersucht werden. aa) Die präventive Rasterfahndung Die Rasterfahndung als Trägerin der entindividualisierten Gefahr ermächtigt zum Abgleich von einer bestimmten Person oder einer Personengruppe zugeschriebenen Eigenschaften mit bereits bei einer öffentlichen Stelle oder auch einer Stelle außerhalb des öffentlichen Bereichs erfassten Daten. Aus der Kombination von Eigenschaften lässt sich ein „Raster“ für die gesuchten Personen erstellen, so dass sich nach Durchführung des Abgleichs 262  Siehe die entsprechende Stellungnahme der Bundesregierung, Verweis in Gusy, KritV 2002, 474 (480). 263  OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629. Kugelmann, DÖV 2003, 781 (786 f.) weist in diesem Zusammenhang kritisch auf die fehlende rechtsstaatliche Sicherungsfunktion des Gefahrenbegriffs hin, wenn dieser durch eine extensive Auslegung zur Erweiterung der polizeilichen Eingriffsbefugnisse genutzt werde.



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 139

aus der Allgemeinheit ein überschaubarer Personenkreis aussondern lässt, auf den die gewählten Eigenschaften zutreffen. Funktional kann diese Maßnahme als ein Verdachtsgewinnungsinstrument bezeichnet werden.264 Durch sie sollen individuelle Personen ermittelt werden, von denen möglicherweise ein Bedrohungspotenzial für eines der näher normierten polizeilichen Schutzgüter ausgeht. Keinesfalls gelingt es mit dieser Methode jedoch, ausschließlich Personen mit einer entsprechenden Verantwortlichkeit zu identifizieren. Die Rasterfahndung ist vielmehr so zu verstehen, dass durch sie ein möglichst großer Teil der Unverdächtigen aus der Allgemeinheit ausgesondert werden soll, um mittels weiterer polizei­ licher Instrumente den verbleibenden Personenkreis auf potenzielle Störer hin zu untersuchen.265 Ohne eine vorausgehende Rasterfahndung wäre der Einsatz dieser Mittel wegen des unüberschaubar großen Personenkreises schon aus Kapazitätsgründen ausgeschlossen.266 Von Verfassungs wegen setzen die Tatbestände der Rasterfahndung das Vorliegen einer konkreten Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person voraus.267 Durch ihre Entindividualisierung grenzt sich die konkrete Gefahr in diesem Sinne von jener Eingriffsschwelle des klassischen Gefahrenabwehrrechts ab.268 Soweit daneben einzelne Regelungen eine dieser Schwelle vorausgehende Tatbestandsalternative voraussetzen,269 sind diese mit dem Grundgesetz nach der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht270 nicht vereinbar.271 bb) Die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze An dieser Stelle soll der Blick erneut auf die polizeiliche Befugnis zur präventiven Videoüberwachung gerichtet werden. Als Trägerin der indirekten Verhaltenssteuerung weist diese Maßnahme eine besonders hohe Eingriffsintensität auf. Dennoch liegt ihrem Tatbestand nach der gegenwärtigen Polizeigesetzgebung lediglich die bereits oben behandelte Eingriffsschwelle der 264  Gusy,

KritV 2002, 474 (485); Volkmann, Jura 2007, 132 (133). S. 322 ff. rückt daher die „Aussonderungsfunktion“ gegenüber der Verdachtsgewinnung in den Vordergrund. 266  Gusy, KritV 2002, 474 (484 f.); Middel, S. 106 f.; Welsing, S. 418 f. 267  Vgl. etwa § 31 Abs. 1 S. 1 PolG NRW. 268  Dazu schon 3. Teil C. I. 3. a). 269  So etwa Art. 44 Abs. 1 Nr. 2 Bay. PAG oder § 36i Abs. 1 S. 1 Brem. PolG. 270  BVerfGE 115, 320 (362). 271  Ebenso Weber, S. 158 f.; a.  A. im Bezug auf die bayerische Regelung Käß, BayVBl. 2009, 360 (362). 265  Welsing,

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Rechtfertigung einer bestimmten Annahme zugrunde, welche insbesondere im vorliegenden Zusammenhang wegen der fehlenden Individualisierbarkeit des Empfängerkreises kaum in der Lage ist, das polizeiliche Handlungsfeld effektiv zu begrenzen.272 Daher soll im Folgenden nach einer kurzen maßnahmenbezogenen Bewertung der gegenwärtigen Gesetzeslage geprüft werden, inwieweit auch für diese Maßnahme auf die Eingriffsschwelle einer entindividualisierten Gefahr zurückgegriffen werden kann oder gar muss. (1) Der Tatbestand nach der gegenwärtigen Gesetzeslage (a) Überblick über die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen Die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze ist inzwischen in sämtlichen Polizeigesetzen normiert. Im Einzelnen weichen die Normen in ihren Tatbeständen zum Teil erheblich von einander ab. Durchweg wird die Polizei aber zumindest auch jenseits der konkreten Gefahr, sofern Tatsachen die Annahme bevorstehender Straftatenbegehungen rechtfertigen, zum Einsatz dieser Maßnahme ermächtigt. Weiteres übereinstimmendes Merkmal ist die aus der fehlenden Individualisierung der Maßnahme resultierende Ortsbezogenheit der jeweiligen Prognosen, wonach gerade die Beschaffenheit der Örtlichkeit, an welcher diese Technik zum Einsatz gelangen soll, einen so genannten Kriminalitätsschwerpunkt bilden muss. Verwunderlich mutet vor diesem Hintergrund § 16 Abs. 2 SOG LSA an, wonach sich die Videoaufzeichnung gegen die für eine Gefahr Verantwortlichen richten solle. Daneben finden sich zum Teil tatbestandliche Differenzierungen zwischen der bloßen Bildübertragung und der Bildaufzeichnung, wonach erstere bereits im Rahmen einer polizeilichen Aufgabenerfüllung zulässig ist, wohingegen die Aufzeichnung die tatsachengestützte Rechtfertigung einer bestimmten Annahme voraussetzt.273 Diese Regelungen anerkennen zwar die auch der bloßen Videobeobachtung zukommende Eingriffsqualität, unterschätzen allerdings das auch diesen Maßnahmen zukommende Eingriffsgewicht infolge der sich aus der Undurchschaubarkeit des Vorgangs ergebenden Lenkungswirkung.274 Die Umschreibung der örtlichen Kriminalitätsschwerpunkte folgt zwei unterschiedlichen Regelungsmodellen, welche teilweise auch nebeneinander zur Anwendung gelangen. Ein Teil der Bundesländer setzt ausschließlich einzelne öffentlich zugängliche Orte voraus, an denen wiederholt Straftaten 272  Vgl.

3. Teil C. I. 1. c) bb) (2). § 184 Abs. 2 LVwG S-H. Siehe aber auch die Differenzierung in der Neufassung des § 32 Abs. 3 SOG M-V. 274  Dazu bereits 3. Teil A. II. 1. a). 273  Etwa



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 141

begangen wurden und deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt sowie dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an diesem Ort weitere Straftaten begangen werden.275 § 31 Abs. 2 S. 1 Bbg PolG setzt zusätzlich das Vorliegen entsprechender Lageerkenntnisse voraus. Die Neufassung des § 32 Abs. 3 S. 1 SOG M-V vom 9. Mai 2011 knüpft demgegenüber nicht mehr an die Erwartung der künftigen Straftatbegehung an, sondern verlangt die Annahme, dass an den betreffenden Örtlichkeiten ein die öffentliche Sicherheit schädigendes Ereignis in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Daneben finden sich andere Regelungen, welche auf diejenigen Orte verweisen, an welchen aufgrund deren abstrakter Gefährdung oder Gefährlichkeit eine jederzeitige Identitätsfeststellung zulässig ist und Tatsachen die Annahme von Straftatenbegehungen rechtfertigen.276 (b) Kritische Würdigung Bereits im Rahmen der Ausführungen zur Eingriffsschwelle der tatsachengestützten Rechtfertigung einer bestimmten Annahme wurde die Tauglichkeit dieser Eingriffsvoraussetzung für nicht auf einen bestimmten Adressatenkreis beschränkte Maßnahmen hinterfragt.277 Diese Problematik muss an dieser Stelle erneut aufgegriffen werden. Mit der örtlichen Bezugnahme löst sich diese Technik von der einzelnen, individuellen Gefahr oder auch nur Bedrohung und grenzt sich damit eindeutig von dem üblichen Muster polizeilicher Eingriffsgrundlagen ab. Anders als jene sind diese Polizeibefugnisse gerade in der Folge dieses Umstandes mit einer enormen Streubreite verbunden, als durch den Verzicht auf einen singulären Eingriffsanlass auch keine Reduktion auf irgendwie näher qualifizierte Adressaten erfolgen kann. Dem einzelnen Betroffenen kann der Einsatz der Videoüberwachung in keiner Form zugeordnet werden, vielmehr richtet sie sich nahezu ausschließlich an Unbeteiligte und begründet ihre präventive Wirkung gerade durch die suggerierte und im Detail nicht erfassbare Überwachung der Allgemeinheit.278 Die damit einhergehende Verunsicherung führt letztlich zu einer besonderen Bedrohung der unbefangenen Ausübung der Grundrechte und weist somit eine besonders hohe Eingriffsintensität auf.279

275  Etwa

§ 15a Abs. 1 PolG NRW. Art. 32 Abs. 2 und 3 Bay. PAG. 277  Siehe 3. Teil C. I. 1. c) bb) (2). 278  Der VGH Mannheim sieht in der Beschränkung auf sog. Kriminalitätsbrennpunkte einen ausreichenden Zurechnungszusammenhang zwischen der zu verhindernden Gefahr und den betroffenen Personen, NVwZ 2004, 498 (503). 279  Dazu im Einzelnen schon 3. Teil A. II. 1. a). 276  Vgl.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

In Anbetracht dieses besonderen Gewichts der polizeilichen Videoüberwachung ist ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit insbesondere vor dem Aspekt der Gefährdung der grundrechtlichen Freiheitsausübung auf eine ihren Einsatz limitierende Eingriffsschwelle angewiesen. Die Erwartung der künftigen Straftatbegehung kann indes diese Begrenzung nicht liefern, da es diesem Ereignis selbst an einer Eingrenzung fehlt, die in einer konkreten Risikobewertung eingestellt werden könnte.280 (2) Die entindividualisierte Gefahr als Eingriffsschwelle der Videoüberwachung Ruft man sich an dieser Stelle die Problematik um die Eingriffsschwelle der polizeilichen Rasterfahndung ins Gedächtnis, so mag die der polizeilichen Videoüberwachung entgegen gebrachte Gelassenheit in Bezug auf ihre Verfassungsmäßigkeit überraschen, muss ihr doch aufgrund ihrer besonderen Grundrechtssensibilität zumindest eine ebenso hohe Belastung der Freiheitsrechte attestiert werden. Ebenso wie die Videoüberwachung gewinnt die Rasterfahndung ihre hohe Eingriffsintensität gerade dadurch, dass in ihren Einwirkungsbereich ganz überwiegend solche Personen geraten, welche selbst keinen Anlass für die Maßnahme gesetzt haben.281 Der Rasterfahndung wird aufgrund ihrer hohen Streubreite von dem Bundesverfassungsgericht ein „Einschüchterungseffekt“ attestiert, welcher die unbefangene Ausübung der Grundrechte beeinträchtigen kann. Das aus dieser Maßnahme resultierende „Gefühl des Überwachtwerdens“ stelle eine Bedrohung für die auf freier Selbstbestimmung basierende Funktionsfähigkeit des freiheitlich demokratischen Staatswesens dar.282 In der Konsequenz stellt das Gericht fest, dass von Verfassungs wegen eine Rasterfahndung erst bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für qualifizierte Rechtsgüter zulässig sei.283 Da sich die grundrechtliche Gefährdungslage im Falle der Videoüberwachung und deren Wirkungsweise nicht wesentlich anders darstellt, müssen für diese die gleichen Anforderungen erhoben werden.284 280  Vgl.

3. Teil C. I. 1. c). 115, 320 (354 f.). 282  BVerfGE 115, 320 (354 f.). Gegen diese Einschätzung Welsing, S. 419 ff., 427 ff. 283  BVerfGE 115, 320 (357). 284  Die von der Videoüberwachung ausgehende Eingriffsintensität übertrifft nach dem Verständnis dieser Arbeit aufgrund deren Lenkungswirkung sogar jene der Rasterfahndung, siehe dazu 3. Teil A. II. Darüber hinaus kann die mittels ihr erfolgte Erfassung nicht nach Treffer- und Nichttrefferfällen differenziert werden, sondern betrifft jedermann gleichermaßen. Darin unterscheidet sie sich von der Rasterfahndung und auch von der automatisierten Kennzeichenerfassung, vgl. BVerfGE 115, 320 (343); 120, 378 (399). 281  BVerfGE



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 143

Darüber hinaus wurde auch inhaltlich die Konturlosigkeit ihrer bisherigen Eingriffsvoraussetzungen nachgewiesen, die der Annahme eines auf den Einzelfall bezogenen, hinreichenden Wahrscheinlichkeitsurteils entgegensteht, da dieses Urteil auf konkrete Aussagen zu dem zu prognostizierenden Bedrohungsereignis angewiesen ist. Erkenntnisdefizite können zwar partiell kompensiert werden, allerdings stößt dieser Regelungsmechanismus auf seine Grenzen, wenn das erwartete Ereignis sich weder personell, noch örtlich285 oder zeitlich und auch nicht nach der Form seiner Begehungsweise konkretisieren lässt. Der Eingriffsermächtigung selbst müssen limitierende Tatbestandsvoraussetzungen zu entnehmen sein. Es ist damit verfassungsrechtlich nicht zulässig, für den Tatbestand schlicht abstrakte Besorgnispotenziale ausreichen zu lassen. Die beschriebene entindividualisierte Gefahr ist in der Lage, die Defizite der bisherigen Regelungspraxis auszugleichen und auf der anderen Seite den mit dieser Befugnis beabsichtigten Zweck zu erfüllen.286 Sie ermöglicht den Einsatz dieser Technik, ohne zugleich nicht erfüllbare Hürden in personaler Hinsicht aufzustellen. Auf der anderen Seite verbietet sie die schlichte vorsorgliche Überwachung so genannter Kriminalitätsschwerpunkte, sofern der Polizei keine konkreten Hinweise auf die Bedrohung eines näher qualifizierten Schutzgutes vorliegen. Der Polizei verbleibt mit dieser Eingriffsschwelle die Möglichkeit, Rechtsgutbedrohungen mithilfe der von der Videoüberwachung ausgehenden Verhaltenssteuerung entgegenzuwirken und etwaige sich anbahnende Bedrohungen zu erfassen, um ihnen zeitnah zu begegnen. Sowohl die Steuerungs- als auch die Abwehrwirkung müssen aber auf ein eingrenzbares Schadensereignis bezogen sein, wobei, wie schon beschrieben wurde, dieses Ereignis zeitlich nicht notwendigerweise bereits unmittelbar bevorstehen muss. An dieser Stelle ist es erforderlich, sich ins Bewusstsein zu rufen, dass inhaltliche Rechtfertigung der Vorverlagerung des polizei­ lichen Handlungsfeldes die neuen, durch den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität hervorgerufenen Bedrohungslagen waren, denen mittels des vermeintlich zu engen Korsetts des klassischen Polizeirechts nicht mehr begegnet werden konnte. Keineswegs ergibt sich aus dieser Zweckvorgabe damit aber das Bedürfnis, generell zur Vermeidung von Straftaten jeg­ licher Art bereits im Vorfeld der tradierten Grenzen tätig zu werden, wie es die gegenwärtigen Tatbestandsfassungen suggerieren.

285  Der Überwachungsort muss nach den gesetzlichen Regelungen nicht mit dem Tatort identisch sein, es genügt, wenn an diesem lediglich Vorbereitungshandlungen vorgenommen werden. 286  So auch bezogen auf die Videoüberwachung von Versammlungen Trurnit, Die Polizei 2010, 341 (345), der in diesem Fall sogar eine erhebliche Gefahr fordert.

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

cc) Die automatisierte Kennzeichenerfassung In diesem Kontext muss schließlich auch die automatisierte Kennzeichenerfassung einer Analyse unterzogen werden. Entsprechende gesetzliche Eingriffsermächtigungen finden sich derzeit in neun Polizeigesetzen.287 Die in diesen Normen enthaltenen Eingriffsvoraussetzungen weichen wiederum zum Teil erheblich voneinander ab. Richtungsweisende Impulse und Vorgaben gingen jedoch von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelungen in Hessen und Schleswig-Holstein aus,288 die auf die Regelungen in den anderen Bundesländern zu übertragen sind. (1) Funktions- und Wirkungsweise der automatisierten Kennzeichenerfassung Der Einsatz der automatisierten Kennzeichenerfassung entspricht nach seinem äußeren Eindruck einer Videoüberwachung im öffentlichen Straßenverkehr. Die Rechtsgrundlagen gestatten den stationären oder mobilen Einsatz von Videokameras, welche die passierenden Kraftfahrzeuge zunächst optisch erfassen. Mittels einer Software wird in einem weiteren, automatisierten Arbeitsvorgang das Kennzeichen aus dieser Aufnahme herausgelesen und diese Daten mit einer Fahndungsdatei abgeglichen. Sofern innerhalb dieses Verfahrens eine Übereinstimmung auszumachen ist (Trefferfall), wird sowohl dieses Kennzeichen als auch Ort und Zeitpunkt der Aufnahme festgehalten. Die Kennzeichenerfassung selbst ist damit abgeschlossen. Andere polizeigesetzliche Maßnahmen können nun aufbauend auf diese Daten ergriffen werden. Soweit keine Übereinstimmung auszumachen ist, werden die erfassten Daten wiederum automatisch umgehend gelöscht. Dieser kurze Maßnahmenüberblick deckt zugleich deutlich Parallelen zur Rasterfahndung auf.289 Bei beiden Maßnahmen handelt es sich im Ergebnis um einen Datenabgleich, wobei im Falle der Kennzeichenerfassung die abzugleichenden Daten selbst erfasst werden. Beide Maßnahmen sind daher auf einen vorherigen Informationspool angewiesen. Auch sind sie nicht in der Lage, in einen bereits angesetzten, schadensstiftenden Kausalverlauf einzugreifen, vielmehr bietet die Kennzeichenerfassung ebenso wie die Rasterfahndung nur eine konkretisierte Grundlage für den Einsatz weiterer, individueller Eingriffsmaßnahmen, die in der Lage sind, das angenommene 287  Art. 33 Abs. 2 Bay. PAG; § 36a Bbg PolG; § 14a HSOG; § 32 Abs. 5 Nds. SOG; § 8 Abs. 6 PolDVG HA; § 22a PolG BW; § 43a SOG M-V; § 27 Abs. 3 SPolG; § 33 Abs. 7 Thü. PAG. 288  BVerfGE 120, 378 ff. 289  Robrecht, NJ 2008, 9 (10, 12).



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 145

Bedrohungspotenzial aufzuklären und gegebenenfalls abzuwehren. Darüber hinaus ist auch die Kennzeichenerfassung mit einer enormen Streubreite ihres Eingriffs verbunden.290 (2) Überblick über die Tatbestandsvoraussetzungen nach der gegenwärtigen Gesetzeslage Die gegenwärtige Gesetzeslage im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzungen der automatisierten Kennzeichenerfassung ist keineswegs homogen. § 8 Abs. 6 PolDVG HA knüpft an die automatisierte Kennzeichenerfassung keine besonderen Voraussetzungen, sondern gestatten sie schlicht im Zusammenhang mit einer Kontrolle im öffentlichen Verkehrsraum.291 § 27 Abs. 3 SPolG fügt dem ansonsten mit den vorher beschriebenen Normen identischen Tatbestand noch die Zweckvorgabe zur Abwehr einer Gefahr hinzu. Art. 33 Abs. 2 Bay. PAG gestattet die Kennzeichenerfassung unter den gleichen Voraussetzungen wie die Identitätsfeststellung, sofern nicht lediglich der Schutz privater Rechte verfolgt wird.292 Eine ähnliche Verweisung enthalten auch der neue § 14a Abs. 1 HSOG, § 32 Abs. 5 Nds. SOG,293 § 22a Abs. 1 PolG BW sowie § 33 Abs. 7 Thü. PAG.294 Einen anderen Weg beschreiten die Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, indem sie die Kennzeichenerfassung nach § 36a Abs. 1 Bbg PolG bzw. § 43a Abs. 1 S. 1 SOG M-V nur zulassen, wenn dies erstens zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben einer Person oder zweitens zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr erforderlich ist und die Voraussetzungen für eine Identitätsfeststellung vorliegen oder eine Person oder ein Fahrzeug polizeilich ausgeschrieben wurde und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die für die Ausschreibung relevante Begehung von Straftaten unmittelbar bevorsteht. § 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und 5 SOG M-V enthalten zudem noch eine an die Befugnis zur Schleierfahndung angelehnte Tatbestandsvariante. 290  BVerfGE

120, 378 (431). vergleichbare Regelung fand sich in § 27 Abs. 5 POG R-P (a. F.). Mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht wurde diese Befugnis zum 23.02.2011 aufgehoben, vgl. Drs.-LT R-P 15 / 4879 S. 29. 292  Zu dieser Regelung kritisch Braun, BayVBl. 2011, 549 (553 f.). Dagegen Kempfler / Käß, BayVBl. 2011, 556 ff. 293  Darüber hinaus enthält diese Norm in der Nr. 1 eine Gefahrenabwehralternative und gestattet die Maßnahme in der Nr. 2 auch auf der Grundlage polizeilicher Lageerkenntnisse zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung mit internationalem Bezug. 294  Siehe zur Nähe zwischen der automatisierten Kennzeichenerfassung und der Identitätsfeststellung Drs.-LT Thü. 4 / 2941 S. 34. 291  Eine

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Die dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts295 seinerzeit zugrunde liegende Regelung aus Schleswig-Holstein gestattete die Kennzeichenerfassung im Zusammenhang mit Kontrollen im öffentlichen Verkehr und entsprach in ihrem Tatbestand den eben genannten Normen. In Hessen, dessen Regelung ebenfalls Gegenstand der Einscheidung war, war die Maßnahme nach der alten Gesetzesfassung sogar an keine Voraussetzungen geknüpft. (3) Kritische Würdigung Das Bundesverfassungsgericht hat eine anlasslose oder flächendeckende Kennzeichenerfassung für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar erklärt.296 Die bloße Kontrolle im öffentlichen Verkehrsraum kann nicht als Anlass in diesem Sinne verstanden werden.297 Zwar ergibt sich aus dieser Forderung ein in Bezug genommener äußerer Gegenstand für die Maßnahme, er bietet aber keine Gewähr dafür, dass die konkrete Situation gerade den Einsatz dieses Mittels rechtfertige.298 Es lässt sich diesem Anlass kein sachlicher Zusammenhang zu der Maßnahme entnehmen, der eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Abwägung der widerstreitenden Freiheits- und Sicherheitsinteressen ermöglicht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn gebietet es nach dem Bundesverfassungsgericht, den Einsatz der automatisierten Kennzeichenerfassung etwa auf die Abwehr einer konkreten Gefahr zu beschränken.299 „Gefahr“ in diesem Sinne könnte schon aufgrund der Streuwirkung lediglich eine entindividualisierte Gefahr im Sinne des Vorfeldrechts sein. Trotz ihrer mit der Rasterfahndung vergleichbaren Wirkungsweise fordert das Gericht für die hier behandelte Maßnahme danach nicht zwingend diese Eingriffsschwelle und begrenzt das Gefahrenurteil nicht etwa auf besonders qualifizierte Rechtsgüter. Dieser Aussage kann jedoch entnommen werden, dass eine dieser Regelungsmethode folgende Abfassung der Eingriffsvoraussetzungen in jedem Fall den Vorgaben des Grundgesetzes genügen würde. Der Kennzeichenerfassung scheint danach im Vergleich zu den beiden übrigen in diesem Abschnitt behandelten Maßnahmen eine weniger belastende Wirkung zuzukommen, wofür sich zwei Ursachen finden lassen.

295  BVerfGE

120, 378 ff. 120, 378 (430). 297  BVerfGE 120, 378 (419). 298  BVerfGE 120, 378 (419). 299  BVerfGE 120, 378 (430). Robrecht, NJ 2008, 9 (12) hält die Übertragung dieser Eingriffsschwelle für „naheliegend“. 296  BVerfGE



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 147

(a) Individuelle Wirkungsweise der Kennzeichenerfassung Zunächst steht der Wirkungskreis der Kennzeichenerfassung weit hinter dem der Rasterfahndung zurück. Die Rasterfahndung wurde als ein Verdachtsgewinnungseingriff charakterisiert. Aufgrund des hohen Abstraktionsgrades der mittels ihr abzugleichenden Daten wird sie in aller Regel lediglich dazu geeignet sein, aus der Allgemeinheit einen überschaubaren Kreis von Personen auszusondern, gegen welche im Anschluss mit individuellen Maßnahmen zu weiteren Sachaufklärung vorgegangen werden kann, um die angenommene Gefahr erst mit deren Hilfe einer bestimmten Person zuzuordnen. Die Rasterfahndung findet damit sowohl ihren Ausgangspunkt als auch ihren Abschluss bei für die Gefahr nicht verantwortlichen bzw. nicht nachweisbar verantwortlichen Personen. Das Raster der Kennzeichenerfassung ist demgegenüber, zumindest soweit nicht lediglich Fragmente eines Kennzeichens bekannt sind, wesentlich enger gefasst, als in den Trefferfällen ein individuelles Kraftfahrzeug bzw. dessen Führer ermittelt wird. Bei der Maßnahme handelt es sich in dieser Einsatzvariante demnach nicht bloß um ein Verdachtsgewinnungs-, sondern um ein Ergreifungsinstrument. Sofern ihr eine derart „engmaschige“, also individualbezogene, Suchvorlage zugrunde liegt, beschränkt sich die unmittelbare Belastung der Kennzeichenerfassung auf diejenigen Personen, welche zu dem Bedrohungspoten­ zial in einer Nähebeziehung stehen, was letztlich die unmittelbare Eingriffsintensität reduziert.300 (b) Die indirekte Verhaltenssteuerung der Kennzeichenerfassung Unabhängig davon, ob nach einem bestimmten Kennzeichen gefahndet wird und sich die Maßnahme damit auf einen individuellen Empfänger reduziert oder sich ihr Einsatz an einen mehr oder minder abgrenzbaren Kreis von Adressaten richtet, verbleibt die der Kennzeichenerfassung nach ihrer äußeren Wahrnehmung zukommende Streuwirkung. Für den einzelnen Fahrzeugführer ist es aufgrund der technischen Wirkungsweise nicht erkennbar, ob nun gerade er in das polizeiliche Visier geraten ist. Die Undurchschaubarkeit der Einsatzform und ihre zumindest potenzielle Breitenwirkung gestatten es, die Kennzeichenerfassung als ein Instrument zur Lenkung und Verhaltenssteuerung einzusetzen.301 Allein die Möglichkeit seiner Erfassung 300  Eine andere Beurteilung ergibt sich dann, wenn nicht nach einem bestimmten Kennzeichen gefahndet wird, sondern lediglich Fragmente desselben bekannt sind. In diesem Fall entspricht die Wirkungsweise der Maßnahme jener der Rasterfahndung. 301  Siehe dazu auch BVerfGE 120, 378 (405, 430).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

und vor allem die darüber bestehende Verunsicherung, welche sich die ­Polizei gezielt zunutze machen kann, begründen aus dieser Perspektive eine auch der Kennzeichenerfassung zukommende besondere Eingriffsintensität, welche insoweit jener der Rasterfahndung und der Videoüberwachung entspricht. Allerdings ergibt sich für die Kennzeichenerfassung die weitere Besonderheit, dass sich ihr Einsatz auf den Straßenverkehr beschränkt. Wegen seiner geringen Grundrechtsrelevanz eröffnet dieser selbst nur bedingt die Möglichkeit zu einer Verhaltensbeeinflussung, sofern der Einsatz dieser Technik nicht zu einem außerhalb des Verkehrs stehenden Ereignisses in Bezug steht.302 Fehlt also diese Beziehung kann der automatisierten Kennzeichenerfassung keine eingriffsrelevante Steuerungswirkung attestiert werden. (c) Abschließende Betrachtung Die automatisierte Kennzeichenerfassung ist von einem durchwachsenen Befund gekennzeichnet. Sie kann sowohl auf eine individuelle Person bzw. ein einzelnes Fahrzeug bezogen sein, sich aber gleichermaßen, ohne dass dies nach außen erkennbar wäre, an eine unbeschränkte Vielzahl von Personen richten. Durch ihren Einsatz im Straßenverkehr reduziert sich auf der einen Seite die von der Maßnahme ausgehende Eingriffsintensität, sie eröffnet aber zugleich die Möglichkeit ihres Gebrauchs als Lenkungsmittel bezogen auf bestimmte, außerhalb des Verkehrs stehende Ereignisse. Als zusammenfassende Beurteilung muss daher festgestellt werden, dass die automatisierte Kennzeichenerfassung in gänzlich unterschiedlichen Zusammenhängen und Formen zu einem Einschreiten ermächtigt und sie daher dringend auf eine diese Varianten berücksichtigende Tatbestandsfassung angewiesen ist. Dieses Bedürfnis spiegelt sich in den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Forderungen wider, als das Gericht zwar auf der einen Seite zutreffend nicht zwingend die Beschränkung auf eine entindividualisierte Gefahr als Eingriffsschwelle fordert, jedoch auf der anderen Seite eine Bezugnahme auf ein konkretes Beeinträchtigungspotenzial für unerlässlich erklärt. Dazu gibt das Gericht dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten an die Hand, wie etwa die stichprobenhafte Durchführung der Maßnahme beispielsweise zur Ermittlung gestohlener Fahrzeuge, was aber zugleich eine Beschränkung des Datenbestandes auf diese konkreten Ereignisse erfordert.303 Daneben billigt das Gericht dem Gesetzgeber auch die Option zu, eine der entindividualisierten Gefahr vorgelagerte Eingriffs302  Siehe dazu ausführlich schon 3. Teil A. II. 1. b) aa). Vgl. auch BVerfGE 120, 378 (405 f.). 303  BVerfGE 120, 378 (430 f.).



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 149

schwelle zu wählen,304 welche aber konkret ortsbezogene Anknüpfungspunkte fordern muss, die die Annahme eines gesteigerten Risikos der Rechtsgutgefährdung oder -verletzung rechtfertigen und denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit Hilfe der Kennzeichenerfassung begegnet werden kann.305 c) Zusammenfassung Die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr hat damit auch Eingang in das Vorfeldrecht gefunden. Hierin dokumentiert sich die Flexibilität dieser Eingriffsschwelle, was sich auf die ihr zugrunde liegenden Strukturmerkmale zurückführen lässt. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit ist kein fester, mathematischer Wert, sondern als Resultat widerstreitender, ausgleichender Positionen zu verstehen.306 Dieser Ausgleich gelingt indes auch, sofern auf eine individuelle Zurechnung des angenommenen Schadens verzichtet wird und damit die dogmatischen Grenzen des klassischen Gefahrenabwehrrechts überwunden werden. Die fehlende Individualität des Prognoseurteils im Hinblick auf die Annahme eines konkreten Schadens erfordert jedoch diesen betreffende Kompensationen. So muss der Schadenseintritt etwa an einem qualifizierten Schutzgut erwartet werden, was zugleich eine diese Erwartung rechtfertigende Tatsachengrundlage erfordert. Darüber hinaus muss eine weitere Modifikation in zeitlicher Hinsicht erfolgen. Anstelle der geforderten letzten Abwehrchance tritt das Erfordernis nach einer aktuellen, ultimativen Aufklärungsmöglichkeit. Maßnahmen, denen diese Eingriffsschwelle zugrunde liegt, zeichnen sich durch eine erhebliche Streuwirkung aus. Der damit einhergehenden Verhaltenssteuerung kann, wie im Fall der Videoüberwachung, sogar eine eigene Eingriffsqualität zukommen. Neben der Videoüberwachung muss die Eingriffsschwelle der entindividualisierten Gefahr auch der präventiv-polizeilichen Rasterfahndung zugrunde gelegt werden. Sofern die automatisierte Kennzeichenerfassung sich indes auf den reinen Straßenverkehr beschränkt, besteht bei ihr dieses Erfordernis nicht.

II. Maßnahmenadressaten Der Kreis der Maßnahmenadressaten im Bereich des Vorfelds der Gefahrenabwehr weist gegenüber dem traditionellen Polizeirecht eine außerordent304  Damit wäre auch der Rückgriff auf die Rechtfertigung einer bestimmten Annahme ohne Individualbezug ein denkbares Reglement für die vorliegende Polizeibefugnis. 305  BVerfGE 120, 378 (430 f.). 306  Vgl. Ring, StV 1990, 372 (376).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

lich große Ambivalenz auf. Während das klassische Polizeirecht über die ausgereifte, auf dem Gefahrenurteil basierende Störerdogmatik verfügt und den Kreis der möglichen Maßnahmenempfänger auf den Verhaltens-, Zustands- und Nichtstörer beschränkt, zeigt sich im Vorfeldrecht auch auf dieser Ebene keine Homogenität. Auf die Störerfigur kann im Vorfeldbereich ausnahmslos nicht zurückgegriffen werden, da diese auf einer dem Gefahrenabwehrrecht vorbehaltenen individuellen Gefahrenverantwortung basiert.307 Maßnahmenübergreifende Systematisierungsversuche und Beschreibungen der Adressaten des Vorfeldrechts finden sich nur vereinzelt.308 Dies erscheint insofern überraschend, als sich die Dogmatik des hergebrachten Polizeirechts erst durch das Zusammenspiel von der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr mit der individuellen Verantwortlichkeit des Störers auszeichnet. Auf die konkrete Gefahr als solcher kann, wie schon ausführlich gezeigt wurde, auch im Vorfeldrecht zurückgegriffen werden. Gemessen an der der Störerverantwortlichkeit damit zukommenden strukturellen Bedeutung für die Abgrenzung beider Befugnisschichten fällt deren eher zurückhaltende Behandlung in den einschlägigen Abhandlungen auf.309 Während die rechtsstaatliche Bedeutung der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr als Balance zwischen Sicherheit und Freiheit vielfach hervorgehoben wird,310 beschränken sich die Aussagen zur personalen Inanspruchnahme meistenteils auf die Feststellung, dass ein Rückgriff auf die bekannten Störerregeln ausgeschlossen sei, ohne dabei jedoch das polizeigesetzliche Reglement im Vorfeldrecht einer näheren Betrachtung zu unterziehen oder es gar der Störerfigur alternativ gegenüberzustellen. Auch in der Rechtsprechung wurde dem Eingriffsanlass bzw. der Eingriffsschwelle zunächst die größere Beachtung geschenkt, bis sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur präventiv-polizeilichen Telefonüberwachung grundlegend kritisch mit den inzwischen in sämtlichen Polizeigesetzen geregelten sog. Kontakt- und Begleitpersonen auseinander307  Eine besondere Stellung nimmt in diesem Rahmen der bereits oben angesprochene § 16 Abs. 2 S. 2 SOG LSA ein, nach dem die Videoüberwachung auf die für eine Gefahr verantwortlichen Personen zu begrenzen ist, sofern tatsächlich Anhaltspunkte die Annahme objektsbezogener Straftaten rechtfertigen, durch welche Personen, das Objekt oder sich in ihm befindliche Sachen gefährdet wären. In der Sache läuft diese personale Restriktion wegen der Objektsbezogenheit der Maßnahme notwendig ins Leere. 308  Aus der jüngeren Vergangenheit etwa Shirvani, Verw.Arch 101 (2010), 86 ff. 309  So verwendet Schenke in seinem Lehrbuch zum Polizeirecht lediglich einen Satz in der Rn. 257 auf die Adressatendogmatik jenseits der konkreten Gefahrenschwelle. Auch Pieroth / Schlink / Kniesel verweisen in § 9 Rn. 2 lediglich auf die einzelnen Datenerhebungstatbestände. 310  Siehe etwa Möstl, Staatliche Garantie, S. 193 ff.



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 151

setzte und die entsprechende niedersächsische Regelung mangels ausreichender Bestimmtheit als mit der Verfassung unvereinbar erklärte.311 Aus diesem Grunde erscheint zunächst eine Bestandserfassung der gegenwärtigen, gesetzlichen Regelungen über die personale Inanspruchnahme im Gefahrenvorfeld als angebracht, bevor anschließend eine maßnahmenübergreifende Beschreibung der verschiedenen Adressatenregelungen erfolgt. Im Rahmen der inhaltlichen Auseinandersetzungen muss eine grundsätzliche Differenzierung zwischen den individualisierten und den entindividualisierten Tatbeständen vorgenommen werden. Beide Normenkomplexe weisen notwendig grundlegend verschiedene dogmatische Strukturen in personaler Hinsicht auf und sind daher strikt voneinander abzugrenzen. 1. Die Regelungen über die Maßnahmenadressaten in den gegenwärtigen Vorfeldtatbeständen im Überblick Die dogmatische Unausgereiftheit der personalen Inanspruchnahme im Gefahrenvorfeld dokumentiert sich bereits bei einer oberflächlichen Betrachtung. Durchweg verfügen sämtliche Polizeigesetze der einzelnen Bundesländer über einen Allgemeinen Teil, in dem nach bewährtem Muster die Regelungen und Voraussetzungen über die polizeiliche Inanspruchnahme maßnahmenübergreifend „vor die Klammer“ gezogen werden. Allerdings betreffen diese Regelungen nach wie vor lediglich die traditionelle, auf dem Gefahrenurteil basierende Störerdogmatik und ignorieren damit vollkommen die inzwischen eingetretene Ausweitung des polizeilichen Handlungsfeldes. Die Voraussetzungen der Adressateneigenschaft im Vorfeldrecht finden sich erst im Zusammenhang mit den jeweiligen speziellen Eingriffsbefugnissen. Auch wenn das polizeiliche Vorfeldrecht nicht über eine bestimmte Eingriffsschwelle als Korrelat zur konkreten Gefahr verfügt, so lassen sich die Eingriffsvoraussetzungen in den verschiedenen Polizeigesetzen doch auf drei in ihren Grundsätzen übereinstimmenden Typen reduzieren. Der Befund der Tatbestandsvoraussetzungen in personaler Hinsicht ist demgegenüber durch eine ungleich größere Bandbreite gekennzeichnet. So kann die Polizei etwa eine Befragung bei all denjenigen Personen durchführen, bei denen die Annahme gerechtfertigt erscheint, sie könnten sachdienliche Angaben zur Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe machen.312 311  BVerfGE

113, 348 (380 f.). etwa Art. 12 Abs. 1 S. 1 Bay. PAG; § 9 Abs. 1 S. 1 PolG NRW. Einen Überblick und Vergleich der gesetzlichen Regelungen im Einzelnen bietet Koch, S. 98 ff. 312  So

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Eine über die Mitteilung der bloßen Personalien hinausgehende Auskunftspflicht besteht indes lediglich, soweit eine solche für diese Personen gesetzlich angeordnet ist.313 Andere Polizeigesetze statuieren alternativ dazu für Störer und Nichtstörer im klassischen Sinne eine selbständige Auskunftspflicht.314 Die Ermächtigungsgrundlagen zur Identitätsfeststellung hingegen begründen eine Art „Ortshaftung“315 für diejenigen Personen, welche sich an näher beschriebenen Örtlichkeiten aufhalten, von denen entweder ein besonderes Bedrohungspotenzial ausgeht oder die sich selbst einem erhöhten Risiko ausgesetzt sehen.316 Die Identitätsfeststellung im Rahmen der Schleierfahndung oder auch nach der Errichtung einer Kontrollstelle indes verlangen letztlich aus ihrer Natur heraus nur noch, dass die Personen die entsprechenden Örtlichkeiten passieren.317 Daneben verfügen diese Ermächtigungsgrundlagen durchgehend auch über eine Gefahrenabwehralternative, welche ihrerseits keine speziellen Beschreibungen des Adressatenkreises enthalten.318 Auch in den Eingriffsermächtigungen zur präventiv-polizeilichen Rasterfahndung finden sich keinerlei Beschränkungen des Adressatenkreises, was sich bereits mit der schon beschriebenen Wirkungsweise der Maßnahme 313  Siehe

wieder Art. 12 Abs. 1 S. 2 Bay. PAG; § 9 Abs. 2 PolG NRW. § 12 Abs. 2 S. 1 HSOG. 315  Zu diesem Begriff Büllesfeld, S. 94 m.  w. N. Die Lastenzurechnung erfolgt aufgrund der örtlichen und zeitlichen Sondersituation, Waechter, DÖV 1999, 138 (146). 316  Siehe beispielweise § 12 Abs. 1 Nr. 2 und 3 PolG NRW. Zur Abgrenzung zwischen dem „Aufhalten“ und dem „Verweilen“ Pieroth / Schlink / Kniesel, § 14 Rn. 45. Siehe auch OVG Hamburg, NVwZ-RR 2003, 276 ff. 317  Etwa Art. 13 Abs. 1 Nr. 4, 5 Bay. PAG. Dieser Zurechnung zustimmend auch das LVerfG M-V, DÖV 2000, 71 (72); Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (371). Der VGH Mannheim nahm bezogen auf die Videoüberwachung einen sich aus dieser „Ortshaftung“ ergebenden, ausreichenden Zurechnungszusammenhang an, NVwZ 2004, 498 (503). Bei restriktiver Auslegung zustimmend Lisken, NVwZ 1998, 22 (24). 318  In diesem Zusammenhang müssen auch die Ermächtigungen zur Erhebung von Personaldaten zur Vorbereitung für die Hilfeleistung und das Handeln in Gefahrenfällen genannt werden, welche nach der polizeigesetzlichen Systematik ebenso wie die Identitätsfeststellung unter dem Oberbegriff der Datenerhebung in bestimmten Fällen zusammengefasst werden. Diese Befugnisse gestatten die Erhebung von Personaldaten über Personen, deren Kenntnisse oder Fähigkeiten zur Gefahren­ abwehr benötigt werden, über Verantwortliche für Anlagen oder Einrichtungen, von denen eine erhebliche Gefahr ausgehen kann bzw. welche selbst einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, vgl. § 11 PolG NRW. Maßnahmenadressaten sind demnach zum Teil auch an potenziellen Gefahren vollkommen Unbeteiligte bzw. sogar die Gefährdeten selbst. 314  Z. B.



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 153

erklären lässt. Ebenso verhält es sich grundsätzlich im Falle der automatisierten Kennzeichenerfassung und der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze. Lediglich § 16 Abs. 2 SOG LSA enthält die bereits vorgestellte319 Regelung, wonach sich die Aufzeichnung ausschließlich gegen die für eine Gefahr verantwortlichen Personen richten darf. Am unübersichtlichsten stellt sich indes die Lage bei den Tatbeständen der besonderen Mittel der Datenerhebungen dar. Dies betrifft zunächst bereits die Systematik dieser Ermächtigungsgrundlagen. Während in einigen Bundesländern die Voraussetzungen der personalen Inanspruchnahme im jeweiligen Zusammenhang mit den einzelnen Eingriffsgrundlagen geregelt werden,320 finden sich in anderen Gesetzen bezogen auf diesen Befugnisabschnitt zusammenfassende Regelungen.321 Aber auch inhaltlich treten im Vergleich zwischen den Polizeigesetzen deutliche Unterschiede zutage. Zunächst gestatten die Befugnisse im Grunde übereinstimmend Eingriffe gegenüber den potenziellen Straftätern, also diejenigen Personen, bei denen Tatsachen bzw. tatsächliche Anhaltspunkt die Annahme rechtfertigen, dass sie zum Teil näher qualifizierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden bzw. begehen wollen. Gravierender sind hingegen die Unterschiede im Hinblick auf die so genannten Kontakt- und Begleitpersonen. Bereits diese Begrifflichkeiten werden nicht durchgehend in sämtlichen Polizeigesetzen verwendet.322 Sofern sich diese Terminologie jedoch wiederfindet, wird sie nur vereinzelt im Rahmen einer Legaldefinition näher bestimmt.323 Doch selbst diese Beschreibungen weisen zum Teil große inhaltliche Unterschiede auf. So enthält § 32 Abs. 1 S. 3 bis 5 des Brandenburgischen Polizeigesetzes eine überaus ausführliche Regelung, nach welcher der von den betreffenden Personen geforderte objektive Tatbezug anhand von Regelbeispielen näher konkretisiert wird. Zahlreiche andere Gesetze setzen hingegen lediglich eine derart gestaltete Verbindung zwischen den potenziellen Straftätern und den Kontakt- und Begleitpersonen voraus, die eine diese betreffende Datenerhebung zur entsprechenden Aufgabenwahrnehmung erforderlich macht.324 Sachsen und Thüringen qualifizieren 319  Siehe

3. Teil C. I. 3. b) bb) (1) (a). etwa in §§ 16a ff. PolG NRW. 321  Etwa Art. 33 Abs. 3 Bay. PAG, wobei im Zusammenhang mit einzelnen Maßnahmen qualifizierte Anforderungen erhoben werden, vgl. etwa Art. 34a Abs. 1 S. 1 Bay. PAG. 322  So wird im ASOG Bln, HSOG, SOG LSA, LVwG S-H vollkommen auf die Verwendung dieser Terminologie verzichtet. Im Thü. PAG wurde sie mit dem Gesetz zur Änderung sicherheits- und verfassungsschutzrechtlicher Vorschriften vom 16. Juli 2008 aufgegeben. 323  Z. B. § 32 Abs. 1 S. 3 Bbg PolG; § 2 Nr. 12 Nds. SOG. 324  So etwa § 1 Abs. 6 PolDVG HA. 320  So

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

diese Verbindung näher, indem sie eine nähere persönliche oder geschäft­ liche Beziehung oder die Herstellung der Verbindung unter konspirativen Umständen verlangen. Eine Kombination der verschiedenen Definitionsmodelle findet sich schließlich in § 26 Abs. 3 S. 2 POG R-P, wonach die Kontakt- und Begleitpersonen zu den potenziellen Straftätern in einer Weise in Verbindung stehen müssen, dass auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte für ihren objektiven Tatbezug bestehen. Eine Bewertung und inhaltliche Aus­ einandersetzung mit den genannten Begriffsdefinitionen soll im Folgenden in einem eigenen Abschnitt erfolgen. An dieser Stelle sollten jedoch bereits die großen Unsicherheiten gerade im Umgang mit den sog. Kontakt- und Begleitpersonen aufgezeigt worden sein. 2. Beschreibung und Systematisierung der Maßnahmenadressaten in den gegenwärtigen Vorfeldtatbeständen Die Systematik der inhaltlichen Auseinandersetzung soll sich an der bereits getroffenen Einteilung der sachlichen Eingriffsschwellen orientieren. Allerdings kann diese Einteilung nicht eins zu eins auf die personale Ebene übertragen werden, soll das Spektrum der Regelungen über die Inanspruchnahme abschließend und ohne überflüssige Wiederholungen bzw. Überschneidungen erfolgen. Angemessen erscheint daher zunächst eine bloß zweigeteilte Untergliederung in individualisierten und entindividualisierten Tatbestände, deren strukturelle Verschiedenheit im Hinblick auf den an dieser Stelle aufgeworfenen Untersuchungsgegenstand auf der Hand liegt. a) Individualisierte Tatbestände Die prognoseabhängigen, individualisierten Eingriffstatbestände im Gefahrenvorfeld zeichnen sich zunächst durch ihre grundsätzlichen Parallelen zum klassischen Gefahrenabwehrrecht aus.325 Durch ihre Bezugnahme auf einen konkret-individuellen Eingriffsanlass verfügen sie über einen reaktiven Maßnahmencharakter. Ist die Struktur der sachlichen Eingriffsschwelle demnach mit derjenigen des konkreten Gefahrenurteils zwar zunächst vergleichbar, treten im Zusammenhang mit der personalen Inanspruchnahme jedoch deutliche dogmatische Zerwürfnisse zu Tage. Im Rahmen der Behandlung der Störerdogmatik wurde aufgezeigt, dass sie mit der personalen Zuordnung der bereits bestehenden Gefahrenlage einen abgeschlossenen Lebenssachverhalt betrifft und es sich bei ihr daher letztlich lediglich um 325  Siehe

3. Teil C. I. 1. a).



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 155

eine spezielle, auf das Polizeirecht zugeschnittene Ausprägung der allgemeinen Zurechnungskriterien handelt. Auf diesen Ansatz kann im Vorfeldrecht in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung jedoch nicht zurückgegriffen werden. Die einschlägigen Tatbestände etwa der besonderen Mittel der Datenerhebung knüpfen die Adressatenstellung an die Absicht bzw. die Erwartung der künftigen Straftatbegehung, also dem angenommenen, erst zukünftigen Ereignis an. Anders als im Gefahrenabwehrrecht erfolgt die Bestimmung und Begrenzung des Adressatenkreises daher nicht anhand der Verursachung und Zurechnung der getroffenen Annahme, vielmehr wird die Annahme selbst auf die personale Verantwortlichkeit ausgedehnt, sodass diese von der bloßen Zurechnung zum Gegenstand der Prognose avanciert.326 Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses können im Folgenden die jeweiligen gesetzgeberischen Ausgestaltungen der Inanspruchnahme einer tiefer gehenden Betrachtung unterzogen werden. Schon einleitend wurde auf die unterschiedlichen Adressatenkreise, wie insbesondere den potenziellen Straftätern oder dessen Kontakt- und Begleitpersonen, eingegangen. Die Darstellung wählt hierauf aufbauend daher eine Differenzierung zwischen den Maßnahmenadressaten erster und zweiter Ordnung sowie sonstigen Betroffenen. Adressaten der ersten Ordnung sind diejenigen Personen, welche primär zu dem angenommenen Bedrohungspotenzial in Beziehung gesetzt werden. Der zweiten Ordnung gehören hingegen diejenigen Personen an, deren Inanspruchnahme sich erst auf der Grundlage einer Zuordnung zu den Adressaten der ersten Ordnung ergibt, also insbesondere deren Kontaktund Begleitpersonen. Es wäre allerdings verfehlt, in diesem Zusammenhang lediglich von sekundären Adressaten zu sprechen, da gerade mögliche Hintermänner diesem Kreise zuzuordnen sind, auf deren Erfassung es der Polizei zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität oder des internationalen Terrorismus besonders ankommt.327 Soweit Personen hingegen eher reflexartig in den Wirkbereich der Maßnahmen geraten, sind sie einem dritten Betroffenenkreis zuzuordnen. aa) Maßnahmenadressaten erster Ordnung Den Maßnahmenadressaten erster Ordnung sind diejenigen Personen zuzuweisen, welche zu dem Eingriffsanlass in einer unmittelbaren Beziehung stehen. Der Eingriffsanlass muss in diesem Zusammenhang im weitesten Sinne verstanden werden, so genügt etwa im Rahmen einer Befragung be326  Wenn

auch noch nicht so pointiert, schon Schenke, Polizeirecht, Rn. 257. Verw.Arch 101 (2010), 86 (93). Dazu kritisch Schoreit, DRiZ 1991, 320 (323). Siehe zu dieser Unterteilung auch LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 (454, 459). 327  Shirvani,

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

reits die Erwartung, dass die betroffenen Personen durch sachdienliche Angaben zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können. Eine individuelle Verantwortlichkeit für den konkreten Grund der einzelnen Befragung ist indes nicht erforderlich. Ebenso verhält es sich im Fall der schon genannten „Ortshaftung“ im Rahmen der Ermächtigungen zur Identitätsfeststellung, in welcher sich die „Zurechnung“ aus dem schlichten Aufhalten bzw. gar Passieren der von dem Gesetz genannten Örtlichkeiten ergibt.328 Entscheidend für die Qualifizierung in diese Adressatenstufe ist, dass zur Herstellung ­einer Beziehung zu dem Eingriffsanlass auf keine weitere Person als Mittler zurückgegriffen werden muss. Im Gegensatz zur Störerhaftung wird daher im Vorfeldbereich nicht die Verantwortlichkeit im Sinne der Überschreitung einer Gefahrenschwelle bzw. eines dieser entsprechenden Korrelats vorausgesetzt. Auf der anderen Seite wird allerdings auch nicht an die qualifizierten Voraussetzungen der Nichtstörerhaftung angeknüpft. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer derartigen „Jedermannshaftung“ bemisst sich letztlich auf der Basis der Gemeinschaftsgebundenheit des Einzelnen329 in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, welcher die staatlich verfolgten Schutzinteressen mit den Abwehrinteressen des Einzelnen in einen gerechten Ausgleich zu bringen hat.330 Ohne in diesem Zusammenhang bereits den Ausführungen zu dem verfassungsrechtlichen Legitimationsgrund der Sicherheitsgewährleistung vorweggreifen zu wollen,331 kann die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der mit nur vergleichsweise geringfügigen Belastungen verbundenen Befragung oder Identitätsfeststellung in Anbetracht der verfolgten Schutzinteressen als solche nicht bezweifelt werden.332 328  „Zurechnung“ ist an dieser Stelle im Sinne einer individuellen Konkretisierung der Maßnahme zu verstehen. Den Betroffenen muss gerade keine Verantwortlichkeit für das angenommene Besorgnispotenzial treffen. Selbstverständlich erfolgt jedoch über die Ausübung des Ermessens eine weitergehende Konkretisierung der Adressatenauswahl nach deren Nähebeziehung zu dem im Einzelfall angenommenen Beeinträchtigungspotenzial. 329  Z. B. BVerfGE 65, 1 (44); siehe auch Baumann, DVBl. 1984, 612 (614); Masing, JZ 2011, 753 (757). 330  Shirvani, Verw.Arch 101 (2010), 86 (95). Siehe auch BVerfG, NJW 2000, 55 (61). 331  Dazu 4. Teil A. II. 332  Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (374  ff., 385 f.); vgl. auch Büllesfeld, S. 105 ff., der zwar an einem Zurechnungserfordernis festhält, dieses aber nicht notwendig mit der tradierten Störerhaftung gleichsetzt. Siehe auch LVerfG M-V, DÖV 2000, 71, (72), wonach auf einen Zurechnungszusammenhang nicht verzichtet werden könne, da der Freiheitsanspruch des Einzelnen verlange, dass dieser von polizeilichen Maßnahmen verschont bleibt, die nicht durch eine hinreichende Beziehung zwischen ihm und der Gefährdung eines geschützten Rechtsguts oder einer entsprechenden Gefahrennähe legitimiert sind. Anderenfalls würde gegen das aus dem



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 157

Jenseits einer solchen „Jedermannshaftung“ stehen indes die auch dieser Adressatenstufe zuzuordnenden potenziellen Straftäter, denen durchaus eine Verantwortlichkeit für das angenommene Bedrohungspotenzial zukommt.333 Von der tradierten Störerhaftung unterscheidet sich die Dogmatik dieses Adressatenkreises durch den Prognosecharakter ihrer Zuordnung. Es handelt sich in diesem Fall nicht um die individuelle Zuordnung eines abgeschlossenen Lebenssachverhalts, sondern lediglich um die Annahme der späteren Verwirklichung eines Straftatbestandes.334 Dieser Unterschied kommt in der schon oben erläuterten gesetzlichen Terminologie der Erwartung oder des Willens zur Straftatbegehung zum Ausdruck. Die Überschreitung einer Gefahrenschwelle bzw. eines dieser im Vorfeldbereich sinngemäß entsprechenden Substituts kann mangels fehlender Konkretisierung des künftigen Beeinträchtigungspotenzials nicht als objektive Grundlage der Bestimmung des Adressatenkreises gewählt werden. Die Tatsachenbasis ist ja gerade durch überwiegend normativ neutrale Handlungen gekennzeichnet.335 Der im Gefahrenabwehrrecht schon strukturell vorgegebene tatbestandliche Dualismus zwischen der Eingriffsschwelle und der individuellen Verantwortlichkeit kann daher im Vorfeldrecht nicht aufrecht erhalten werden, es kommt vielmehr bereits auf der Ebene der Eingriffsschwelle zu einer Vermischung beider Elemente. Auf der anderen Seite ergibt sich aus dieser Vermengung allerdings zugleich eine inhaltlich Anforderung an den der jeweiligen Maßnahme zugrunde liegenden Eingriffsanlass, als die Straftat zwar noch nicht nach Ort, Zeit und Begehungsweise konkretisiert sein darf,336 sich aber in jedem Fall schon einer bestimmten Person zuordnen lassen muss. Lediglich ein individualisierbares Bedrohungspotenzial kann demnach im Rahmen dieser Maßnahmen einen tauglichen Eingriffsanlass bieten. Auch für diese (bloß prognosegestützte) personelle Zuordnung gilt als Bestandteil der sachlichen Eingriffsschwelle das Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit.337

Rechtsstaatsprinzip folgende Verbot unnötiger Eingriffe verstoßen. Ebenso Groh, NdsVBl. 2011, 10 (14 f.); Waechter, DÖV 1999, 138 (145 f.); ders., LKV 2000, 388 ff. A. A. Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (372 f.); Engelken, DVBl. 2000, 269 (270). 333  So auch Vollmar, S. 155. 334  Siehe dazu schon die Gegenüberstellung von Albers, S.  284. Vgl. auch Drs.-LT R-P 14 / 2287 S. 41; Weber, S. 77; Welsing, S. 310 f. 335  Siehe 3. Teil C. I. 1. a) cc) (2) (a). 336  Vgl. 3. Teil C. I. 1. a) aa) (2). 337  Zur Erforderlichkeit dieses Wahrscheinlichkeitsgrades bereits 3. Teil C. I. 1. a) cc) (2).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

bb) Maßnahmenadressaten zweiter Ordnung Den Maßnahmenadressaten der zweiten Ordnung gehören diejenigen Personen an, die nur mittelbar zu dem Eingriffsanlass in einer Beziehung stehen, die ihnen über die Adressaten erster Ordnung vermittelt wird. Nach der gegenwärtigen Polizeigesetzgebung erfasst diese Adressatenstufe zum einen die so genannten Kontakt- und Begleitpersonen und zum anderen den Nachrichtenmittler. Der die Kontakt- und Begleitpersonen betreffende, gegenwärtige Normenbestand weist sowohl systematisch als auch inhaltlich gravierende Unterschiede auf.338 Übereinstimmende Intention dieser Ausweitung des polizeilichen Adressatenkreises ist es allerdings, auch die Hintermänner und Drahtzieher insbesondere im Hinblick auf die organisierte Kriminalität und den internationalen Terrorismus in die Aufklärung der angenommenen Bedrohungspotenziale mit einzubeziehen.339 Gerade an dieser Stelle spiegelt sich das hinter der Vorfeldnormierung stehende Bedürfnis nach der Überwindung der überkommenen dogmatischen Grenzen des hergebrachten ­Polizeirechts wider. Übereinstimmender Ausgangspunkt der Qualifikation als Kontakt- oder Begleitperson, sofern die jeweiligen Polizeigesetze überhaupt diese Titulierung verwenden, ist eine besondere Nähebeziehung zu den potenziellen Straftätern. Die Beschaffenheit dieser Nähebeziehung wird in den Polizeigesetzen jedoch wie gesehen höchst unterschiedlich beschrieben. Besonders auffallend in diesem Zusammenhang sind die überaus großen Diskrepanzen im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrad der jeweiligen tatbestandlichen ­Abfassungen.340 So ermächtigen die Polizeigesetze in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen zwar in ihren Tat­ beständen zu den besonderen Mitteln der Datenerhebung auch zu Eingriffen gegenüber den Kontakt- und Begleitpersonen, besitzen aber mit Ausnahme der Bezugnahme auf die potenziellen Straftäter keinerlei Konkretisierungen dieser Begrifflichkeiten.341 Sofern die Polizeigesetze nähere Beschreibungen des an dieser Stelle behandelten Adressatenkreises enthalten, kann zunächst überwiegend das 338  Vgl.

dazu schon 3. Teil D I. S. 291; Rachor, in Lisken / Denninger, F Rn. 344. 340  Siehe dazu die Aussagen in Sächs. VerfGH, DVBl. 1996, 1423 (1431); LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 (457 f.). 341  In der nordrhein-westfälischen Gesetzesbegründung werden Begleitpersonen als solche definiert, welche den potenziellen Straftäter tatsächlich begleiten. Für die Kontaktperson wird eine enge persönliche oder geschäftliche Beziehung zu dem entsprechenden Täter vorausgesetzt, vgl. Drs.-LT NRW 10 / 3997, S. 36. 339  Albers,



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 159

Erfordernis nach einer auf Tatsachen gestützten Annahme für eine zwischen den Kontakt- und Begleitpersonen und den potenziellen Straftätern bestehende Beziehung ausgemacht werden. Erforderlich ist danach ein objektiver Tatbezug und damit eine Einbeziehung in den Handlungskomplex der Straftatenbegehung.342 Eine Ausnahme hiervon sieht lediglich die Regelung in Sachsen vor, wonach objektiv das Bestehen einer näheren persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu den potenziellen Straftätern oder das Unterhalten einer Verbindung zu ihnen über einen längeren Zeitraum oder die Herstellung derselben unter konspirativen Umständen vorausgesetzt wird.343 Das Erfordernis der Rechtfertigung einer tatsachengestützten Annahme mutet bei einem unbefangenen Blick zunächst als eine auch auf dieser Stufe vorzunehmende, prognosegestützte personale Zuordnung an. Indes dokumentiert sich bei näherer Betrachtung ein gravierender, struktureller Unterschied dieser Rechtsfigur gegenüber allen anderen bisher beschriebenen Erscheinungen im Vorfeldbereich, als sich die Annahme und damit zugleich deren Fehlrisiko nicht auf ein künftiges Geschehen, sondern auf die gegenwärtigen Verhältnisse bezieht. Die Qualifikation als Kontakt- und Begleitperson erfolgt nicht durch eine angenommene Beteiligung an der erwarteten, künftigen Straftat, andernfalls ließen sich die betreffende Maßnahmen bereits über die Eingriffsermächtigungen gegen die potenziellen Straftäter rechtfertigen.344 Vielmehr zeichnen sich diese Personen durch ein aktuell bestehendes Verhältnis zu den künftigen Straftätern aus, welches, weit gefasst, aber in jedem Fall in einem Zusammenhang zu dem Beeinträchtigungspotenzial stehen muss.345 Die Weite dieser Beziehung kommt in der vergleichsweise wortreichen Tatbestandsfassung des brandenburgischen Polizeigesetzes insofern besonders deutlich zum Ausdruck, als danach sämt­ liche Personen, die bei Planung, Durchführung oder Verwertung der Tatvorteile „eine Rolle spielen können“, unabhängig davon ob sie sich dieser „Rolle“ bewusst sind, erfasst werden.346 Diese Undifferenziertheit findet sich darüber hinaus auch in den bereits beschriebenen objektiven Verbindungsverlangen nach der sächsischen Regelung sowie in den daneben tatbestandlich geforderten Verbindungen zu den potenziellen Straftätern, die die Erhebung ihrer personenbezogenen Daten zur vorbeugenden Bekämpfung 342  BVerfG, NVwZ 2001, 1261 (1262); LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 (458). Der bayerische Gesetzgeber fordert einen „gefahrenabwehrrechtlich relevanten Kontakt“, Drs.-LT Bay. 14 / 12261 S. 10. 343  § 39 Abs. 1 Nr. 3 Sächs. PolG. Die Fassung dieser Tatbestände geht auf das Urteil des Sächs.VerfGH, DVBl. 1996, 1423 (1431) zurück. 344  Vgl. Drs.-LT Bay. 14 / 12261 S. 10. 345  LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 (457 f.). 346  § 32 Abs. 1 S. 3 Bbg PolG; siehe auch LVerfG Bbg, LKV 1999, 450 (457 f.).

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

dieser Straftaten rechtfertigen.347 Allein in Rheinland-Pfalz wird das Bestehen eines objektiven Tatbezuges vorausgesetzt, wobei eine angenommene Beteiligung an der erwarteten Straftat im Umkehrschluss zu der Tatbestandsalternative betreffend die potenziellen Straftäter ausscheidet.348 Effektive handlungsbegrenzende Tatbestandsbeschränkungen können diesen denkbar offenen, auf einer größtenteils unsicheren Tatsachendiagnose beruhenden Beschreibungen nicht entnommen werden. Dies verstärkt sich darüber hinaus durch die den Kontakt- und Begleitpersonen zugrunde liegende Voraussetzungskette, wonach das minder bestimmte Verbindungsverhältnis seinen Anknüpfungspunkt bei den bloß potenziellen Straftätern nimmt, die ihrerseits mit einem zum Eingriffszeitpunkt noch nicht konkretisierbaren Beeinträchtigungspotenzial in Verbindung gesetzt werden.349 Die Intention des Gesetzgebers, zur Effektivität der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten auch deren Hintergründe zu durchleuchten, trifft als solche zunächst auf keine Bedenken. Gerade die mit der Vorverlagerung verfolgte Absicht, das polizeiliche Handlungsfeld zur Bewältigung der neuen Bedrohungsformen, wie sie der internationale Terrorismus oder die organisierte Kriminalität darstellen, auszuweiten, erscheint dazu als unerlässlich. Eine Reduktion der verfassungsrechtlich geforderten hinreichenden Bestimmtheit kann allerdings durch diese Aufgabenstellung nicht hingenommen werden.350 Der Gesetzgeber wird dadurch jedoch nicht vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Die Bestimmtheitsdefizite lassen sich insofern ausgleichen, als er sich in den einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen auf die für diese Herausforderungen spezifischen Beeinträchtigungspotenziale beschränkt.351 Neben den Kontakt- und Begleitpersonen gehört weiter der so genannte Nachrichtenmittler den Maßnahmenadressaten der zweiten Ordnung an. 347  Siehe etwa § 32 Abs. 1 Nr. 3 Brem. PolG; § 26 Abs. 2 Nr. 2 SPolG. Diesem Regelungsmodell zustimmend Albers, S. 291. 348  § 26 Abs. 3 S. 2 POG R-P. 349  Zu diesem Phänomen auch Roggan, NVwZ 2007, 1238 (1240); Shirvani, Verw.Arch 101 (2010), 86 (102); Vollmar, S. 122 f.; Weber, S. 53. 350  BVerfGE 113, 348 (377 f.). 351  Wie sehr der Begriff der Kontakt- und Begleitpersonen mit inhaltlichen Unsicherheiten verbunden ist, belegt etwa die Äußerung von Schulze-Fielitz, in FS Schmitt Glaeser, S. 407 (413), wonach beim Abhören des Telefons auch „bloße Kontakt- und Begleitpersonen“ betroffen sind. Im Folgenden setzt er diese entgegen der gesetzgeberischen Intention, die Hintermänner möglicher Straftaten zu erreichen, mit „normalen Bürgern“ gleich. In diese Richtung auch Koch, S. 137. Ursache dürfte die fehlende tatbestandliche Abgrenzung der entsprechenden Adressatenvoraussetzungen sein, die letztlich keine hinreichende Umschreibung des Verhältnisses zu den Adressaten 1. Ordnung enthalten, vgl. Roggan, in Roggan / Kutscha, S. 190 f. Kritisch auch Gusy, NdsVBl. 2006, 65 (70).



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 161

Eine Legaldefinition findet sich in § 34 Abs. 3 Nr. 3 Thü. PAG. Danach sind unter dem Begriff diejenigen Personen zu verstehen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie für die Maßnahmenadressaten erster Ordnung (in diesem Fall § 34 Abs. 3 Nr. 1 und 2 Thü. PAG) bestimmte oder von diesen herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben. Die Datenerhebung ist insoweit auf die Gewinnung von Hinweisen bezüglich der angenommenen Straftaten beschränkt und muss zu deren vorbeugender Bekämpfung zwingend erforderlich sein. Die Kodifizierung dieser Adressatenkategorie ergibt sich zwingend aus der Gefahr der Umgehung der einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen durch das Dazwischenschalten eines Dritten. Anders als die Kontakt- und Begleitperson muss der Nachrichtenmittler nicht selbst in den Tatkomplex einbezogen sein. Von den sonstigen Betroffenen unterscheidet er sich jedoch dadurch, dass die Maßnahme gezielt an ihn gerichtet wird. cc) Sonstige Betroffene Durch die polizeilichen Maßnahmen im Gefahrenvorfeld können über die zuvor beschriebenen Maßnahmenadressaten auch weitere Personen betroffen sein.352 Die Ermächtigungsgrundlagen berechtigen die Polizei zum einen zu Eingriffen gegenüber Dritten, die sich dadurch von dem zuvor beschriebenen Personenkreis abgrenzen, als sich die Maßnahmen nicht gezielt gegen sie richten, sondern sie vielmehr reflexartig in deren Wirkbereich geraten. Sie stehen in keiner Beziehung zu dem jeweiligen Bedrohungspotenzial.353 Eine diese Personen betreffende Datenerhebung ist lediglich zulässig, soweit dies unvermeidbar ist.354 Mangels Erforderlichkeit ihrer Daten für die polizeiliche Aufgabenerfüllung sind diese umgehend zu vernichten.355 Daneben finden sich teilweise weitere Ermächtigungen zur Datenerhebung gegenüber solchen Personen, deren Schutz durch die Polizei bezweckt wird,356 sowie zu Personen aus deren Umfeld.357 Im Übrigen können zum Teil sogar die Daten potenzieller Zeugen erfasst werden.358 Diese letzten 352  Gesamtüberblick

bei Koch, S. 87 ff. in Lisken / Denninger, F Rn. 346; eine Zurechnung ließe sich lediglich über die Kommunikation mit den Maßnahmenadressaten der ersten oder zweiten Ordnung begründen, dazu kritisch Vollmar, S. 157. 354  So etwa auch Art. 33 Abs. 4 Bay. PAG. 355  Rachor, in Lisken / Denninger, F Rn. 346. 356  Z. B. § 20 Abs. 3 Nr. 3 PolG BW; § 26 Abs. 1 Nr. 2 SPolG. 357  Z. B. § 20 Abs. 3 Nr. 4 PolG BW. 358  Z. B. § 22 Abs. 3 Nr. 5 PolG BW (Zeugen, Hinweisgeber und sonstige Auskunftspersonen). 353  Rachor,

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Personengruppen zeichnen sich durch eine Zwischenstellung aus. Ihre Betroffenheit erfolgt zwar gezielt und nicht bloß unvermeidbar, allerdings werden sie keiner, über die bloße Datenerhebung hinausgehenden Belastung ausgesetzt und profitieren zum Teil sogar von dem polizeilichen Einschreiten. Sie stehen daher ebenso in keiner Beziehung zu der Begründung des Bedrohungspotenzials selbst. b) Entindividualisierte Eingriffsermächtigungen Während im vorherigen Textabschnitt die tatbestandlich individualisierten Maßnahmenadressaten den Gegenstand der Betrachtung gebildet haben, soll der Blick nunmehr dem gesetzlich nicht abgegrenzten Adressatenkreis zugewandt werden. Durch eine fehlende personale Begrenzung sind zum einen die Tatbestände gekennzeichnet, welche als Eingriffsschwelle über die oben ausführlich vorgestellte entindividualisierte Gefahr verfügen. Zum anderen lassen sich aber auch innerhalb der Gruppe der prognosegestützten Eingriffsermächtigungen im Gefahrenvorfeld nach der gegenwärtigen Gesetzeslage Maßnahmen ausmachen, die sich an einen unbestimmten Empfängerkreis richten. Die Entindividualisierung im vorliegenden Sinne darf jedoch nicht mit der fehlenden tatbestandlichen Beziehung des Eingriffsadressaten zu dem konkret angenommenen Beeinträchtigungspotenzial gleichgesetzt werden, wie sie sich etwa im Fall der „Ortshaftung“ im Rahmen der Identitätsfeststellung wieder findet, zu welcher an dieser Stelle auch die Schleierfahndung zu zählen ist. Bereits oben wurden diese Eingriffsermächtigungen von jenen abgegrenzt, bei denen sich die fehlende Individualität auch auf der Rechtsfolgenseite niederschlägt.359 Nur letztere Maßnahmen richten sich an einen unbestimmten Kreis der Allgemeinheit, wohingegen etwa bei der Identitätsfeststellung stets nur einzelne, bestimmte Personen betroffen sind, welche über den ortsgebundenen Eingriffsanlass in Verbindung mit einer an dem konkret angenommenen Beeinträchtigungspotenzial ausgerichteten Ermessensausübung individualisiert werden.360 Schon begrifflich zeichnen sich die entindividualisierten Tatbestände im eigentlichen Sinne durch eine enorme Streubreite aus und richten sich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen. Es handelt sich um eine echte Jedermannshaftung, die zugleich die Grundlage der mit diesen Befugnissen oftmals primär verbundenen indirekten Verhaltenssteuerung bildet. Ihre Dogmatik grenzt sich damit grundlegend von dem auf einer individuellen 359  Siehe dazu schon 3. Teil C. I. 1. c) bb) (1). So verfügt etwa die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze über einen entindividualisierten Tatbestand in diesem Sinne. 360  Dazu 3. Teil D. II. 1. a).



C. Die gegenwärtige Dogmatik der Vorfeldbefugnisse 163

Verantwortlichkeit basierenden klassischen Polizeirecht ab und weist diesem gegenüber einen proaktiven Charakter auf.361 Der Einzelne (Unbeteiligte) wird in diesem Rahmen insbesondere vor dem Hintergrund der Abschreckungsstrategie zur Erfüllung der polizeilichen Aufgaben in die Pflicht genommen, ohne dass von ihm selbst ein direkter Beitrag zum Rechtsgüterschutz erbracht werden müsste. Verfassungsrechtlich ist diese Verein­nahmung nicht von vornherein ausgeschlossen, sondern kann im Wege praktischer Konkordanz gerechtfertigt werden.362 Zur Begründung der Indienstnahme des Einzelnen kann insoweit auf die Gemeinschaftsgebundenheit des Einzelnen in der auf Schutz vor Unrecht und Not verfassten Gesellschaft verwiesen werden.363 Jeder einzelne unterliegt in seiner Handlungsfreiheit den Schranken, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des allgemein Zumutbaren vorsieht. Auf der anderen Seite muss aber die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleiben.364 Die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme bemisst sich somit durch einen Ausgleich zwischen der Autonomie des Einzelnen und der Förderung des sozialen Zusammenlebens. Diese allgemeine Solidarpflicht kommt etwa in § 323c StGB zum Ausdruck. Daneben kann sich der Staat zur Rechtfertigung des Eingriffs auf die ihm obliegenden Schutzpflichten berufen, welche mit den Abwehrinteressen der Maßnahmenempfänger in Ausgleich zu bringen sind.365 3. Zusammenfassung Die Bestimmung des Maßnahmenadressaten im Vorfeldrecht weist nach den gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen erhebliche Defizite auf. Hierin setzen sich die Abgrenzungsschwierigkeiten der Eingriffsschwellen fort. Dies gilt insbesondere für die Adressaten von Maßnahmen, welche lediglich die Rechtfertigung der Annahme der künftigen Straftatbegehung voraussetzen. Eine Zurechnung basierend auf den allgemeinen Kausalitätsregeln kann in diesen diffusen Tatbeständen nicht ihren Ausgangspunkt finden, vielmehr 361  Maximini,

S. 151; Schewe, NWVBl. 2004, 415 (417). NVwZ 2000, 382 (385 f.); Möstl, Staatliche Garantie, S. 248 m. Verw. auf BVerfG, NJW 2000, 55 (63). Ablehnend LVerfG M-V, DÖV 2000, 71 (73). 363  BVerfGE 4, 7 (15 f.); 8, 274 (329); 27, 1 (7); 27, 344 (351); 33, 303 (334); 50, 290 (353 f.); 56, 37 (49); 65, 1 (43 f.). Lisken, in Bäumler, S. 31 (39 f.) spricht von einer „sozialen Nähe“ zur Gefahrenlage, welche aber auf Ausnahmesituationen begrenzt sei. Eine darüber hinausgehende Inanspruchnahme sei mit der Redlichkeitsvermutung nach dem Grundgesetz unvereinbar; siehe auch Welsing, S. 318 f. 364  BVerfGE 33, 303 (334); 56, 37 (49). 365  Shirvani, Verw.Arch 101 (2010), 86 (95). 362  Möllers,

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3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

beruht auch die personale Inanspruchnahme auf der Prognose selbst. Die wiederum hieran erst anknüpfenden Bestimmungen über die Maßnahmen­ adressaten zweiter Ordnung weisen in der Konsequenz noch darüber hinaus gehende Abgrenzungsschwierigkeiten auf. Sofern im Übrigen lediglich an eine „Ortshaftung“ angeknüpft wird, stoßen die Regelungen in Anbetracht der geringen Eingriffsintensität der jeweiligen Maßnahmen noch auf keine durchschlagenden Bedenken. Gleiches gilt, soweit sonstige Personen bloß reflexartig und unvermeidbar von den Maßnahmen betroffen werden. Die von den (echten) entindividualisierten Tatbeständen kodifizierte Jedermannshaftung stößt, sofern sie auf eine die Streubreite kompensierende Eingriffsschwelle zurückgreifen, auf keine durchschlagende Bedenken.

III. Rechtsfolgen Die Vorfeldbefugnisse sind, wie schon an vorheriger Stelle beschrieben, ganz überwiegend auf die Erhebung personenbezogener Daten und sonstiger Informationen zur weiteren Sachverhaltsaufklärung oder gar zur bloßen Verdachtsgewinnung gerichtet. Allerdings ist dieses Merkmal weder exklusiv dieser Maßnahmenkategorie vorbehalten, noch werden dadurch sämtliche der in diesem Bereich existierenden Ermächtigungsgrundlagen erfasst. Wie das Beispiel des präventiven Aufenthaltsverbots zeigt,366 finden sich im Vorfeldbereich mitunter auch unmittelbare Beseitigungsbefugnisse. Auch ist gezeigt worden, dass, wie etwa im Fall der bloßen Videobildübertragung, weder ein direkter Eingriff in einen angesetzten Kausalverlauf, noch eine Datenerhebung erfolgen muss, sondern gerade im Vorfeldbereich zur Vermeidung etwaiger Gefahren auf Instrumente zur indirekten Verhaltenssteuerung zurückgegriffen werden kann.

D. Die Vorfeldbefugnisse in der polizeigesetzlichen Systematik Im Anschluss an diese inhaltliche Differenzierung und Betrachtung der Vorfeldbefugnisse soll die gesetzgeberische Systematisierung dieser Normen beschrieben werden. Dabei weisen die einzelnen Polizeigesetze ein unterschiedliches aber in keinem Fall stimmiges Konzept auf. Ursache dieses Phänomens ist ein rechtsfolgenorientierter Ausgangspunkt der Einteilung. Hiervon ausgehend lassen sich die Polizeigesetze in drei Gruppen unterscheiden. 366  Z. B.

§ 34 Abs. 2 PolG NRW.



D. Die Vorfeldbefugnisse in der polizeigesetzlichen Systematik 165

Einige Polizeigesetze nehmen eine systematische Unterscheidung nach den allgemeinen Vorschriften, den klassischen Standardbefugnissen sowie den Tatbeständen der Datenerhebung und -verarbeitung vor.367 Entgegen dem Anschein dieser Gliederung finden sich aber auch in den Abschnitten über die Befugnisse der Polizei Datenerhebungstatbestände wie etwa die Befragung,368 die Identitätsfeststellung,369 die erkennungsdienstliche Behandlung370 sowie die Durchsuchung371. Von der Maßnahme der Durchsuchung abgesehen, setzt allein das Land Mecklenburg-Vorpommern diese Systematik schlüssig um. Auf die Ursache dieses besonderen Status der Durchsuchung ist bereits oben eingegangen worden.372 Weiter hebt sich das SOG M-V dadurch hervor, dass der Abschnitt über die Datenerhebung dem der Polizeibefugnisse im klassischen Sinn vorausgeht. Dies entspricht auch der Reihenfolge des behördlichen Vorgehens im konkreten Einzelfall, während die Darstellung im bayerischen und im sächsischen Gesetz den Eindruck der Loslösung aus dem polizeigesetzlichen Handlungsrahmen durch die bloße Anhängung eines separaten Abschnitts vermittelt. Hamburg nimmt mit einem eigenen Polizeidatenverarbeitungsgesetz einen besonderen Status ein. Aus dogmatischer Sicht hat dies zur Konsequenz, dass übergreifende Merkmale aller Polizeibefugnisse verloren gehen oder zumindest schwer erkennbar werden. Die Datenerhebungstatbestände erscheinen als ein Fremdkörper in dem jeweiligen Polizeigesetz. Es entsteht der Eindruck, sie wären eine Art Normen sui generis neben den Aufgabenund Befugnisnormen. Ein anderer Teil der Bundesländer nimmt keinerlei systematische Untergliederungen zwischen den einzelnen Befugnisnormen vor.373 Jedoch muss festgehalten werden, dass das ASOG Bln, das HSOG sowie das SOG LSA innerhalb des Gliederungsabschnitts der Befugnisnormen sämtliche Datenerhebungstatbestände mit Ausnahme der Durchsuchung zu Beginn des Befugnisabschnitts setzt. Lediglich das POG Rh-Pf führt zu Abschnittsbeginn die Befragung, Identitätsfeststellung sowie die erkennungsdienstliche Behandlung und die medizinische und molekulargenetische Untersuchung auf, wendet sich aber dann den klassischen Gefahrbeseitigungsbefugnissen zu, 367  So im Bay. PAG; SOG M-V; Sächs. PolG, wobei die Terminologie und die Reihenfolge ohne inhaltliche Unterschiede voneinander abweichen. Hamburg nimmt insofern eine besondere Stellung ein, als es über ein eigenes Gesetz für die polizeiliche Datenverarbeitung (PolDVG HA) verfügt. 368  Etwa Art. 12 Bay. PAG; § 18 Sächs. PolG. 369  Etwa Art. 13 Bay. PAG; § 19 Sächs. PolG. 370  Etwa Art. 14 Bay. PAG; § 20 Sächs. PolG. 371  So Art. 21 ff. Bay. PAG; §§ 53, 57 ff. SOG M-V; §§ 23 ff. Sächs. PolG. 372  Siehe 2. Teil C. II. 373  ASOG Bln; HSOG; POG R-P; SOG LSA.

166

3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

um anschließend den Abschnitt mit den weiteren, modernen Datenerhebungstatbeständen abzuschließen. Ferner wird die besondere Bedeutung des Aufenthaltsverbots als Beseitigungsbefugnis des Gefahrenvorfeldes systematisch nicht herausgestellt.374 Vor dem Hintergrund, dass die Polizeigesetzgeber sämtliche Befugnisnormen als von der Aufgabenzuweisung der Gefahrenabwehr umfasst ansehen,375 ist es systematisch stimmig, die Befugnisnormen insgesamt in einem Gliederungsabschnitt zu behandeln. Problematisch ist daran jedoch, dass diese Systematisierung zwar die Gemeinsamkeiten der Befugnisse betont, die bestehenden Unterschiede hinsichtlich der Rechtsfolge, der Tatbestandsvoraussetzungen sowie des Zwecks unberücksichtigt lässt. Als dritte und letzte Gruppe lassen sich die Länder zusammenfassen, welche alle Polizeibefugnisse in einen Gliederungsabschnitt zusammenfassen und diesen weiter je nach Befugnisgruppe unterteilen.376. Als Beispiel soll hier das PolG NRW herangezogen werden. Der Polizeigesetzgeber versucht den Unterschied der hier behandelten Befugnisarten systematisch derart darzustellen, dass er den Abschnitt der Befugnisse der Polizei in sechs Unterabschnitte teilt. Der erste beinhaltet die Generalklausel, der zweite die Datenerhebungs- sowie Datenverarbeitungstatbestände, die übrigen vier Unterabschnitte betreffen die verschiedenen traditionellen Polizeibefugnisse wie den Platzverweis, den Gewahrsam, die Durchsuchung und die Sicherstellung. Teilweise gliedert der Gesetzgeber innerhalb dieser Gruppen weiter auf. So auch innerhalb des Abschnitts der Datenverarbeitungstatbestände. Zunächst werden hier verschiedenen Titel eingeführt, welche die Datenerhebung, die Datenspeicherung, Veränderung und Nutzung, die Datenübermittlung, die Berichtigung, Löschung und Sperrung sowie die Sicherung des Datenschutzes betreffen. Anschließend erfolgen weitere Differenzierungen etwa im Rahmen der Datenerhebung in die Befragung und den allgemeinen Vorschriften, die Datenerhebung in bestimmten Fällen und den besonderen Mitteln der Datenerhebung. Damit ordnet der Gesetzgeber die Informationserhebungstatbestände als eigenen Normenkomplex in das System der Polizeibefugnisse ein. Er zeigt damit systematisch den Zusammenhang zu den übrigen Befugnissen auf und betont daneben die Unterschiede. Allerdings setzt auch der nordrhein-westfälische Gesetzgeber die insoweit grundsätzlich stimmige, rechtsfolgenorientierte Systematik nicht bis in die letzte Konsequenz um. Die Durchsuchung wird weiterhin nicht in eine Beziehung zu den anderen Datenerhebungstatbestän374  Siehe

§ 31 Abs. 3 HSOG; § 36 Abs. 2 SOG LSA. dazu 3. Teil B. I. 376  Bbg PolG; Brem. PolG; Nds. SOG; PolG BW; PolG NRW; SPolG; LVwG S-H; Thü. PAG. 375  Siehe



E. Zusammenfassung167

den gesetzt.377 Die Inkonsequenz dieses Vorgehens wird überdies daran deutlich, dass der Gesetzgeber in § 18 Abs. 2 PolG NRW, also innerhalb der besonderen Mittel der Datenerhebung, den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in oder aus Wohnungen regelt. Auch diese Maßnahme greift in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ein, welches eine spezielle Ausprägung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ist. Die Maßnahme kann als ein nicht physisches Betreten der Wohnung mithilfe moderner technischer Hilfsmittel bezeichnet werden. Dieser Eingriff weist somit eine enge Beziehung zu den Befugnissen über die Wohnungsdurchsuchung und deren Betreten auf, welche aber in einem völlig anderen Zusammenhang geregelt wird. Diese Inkonsequenz setzt etwa das Nds. SOG bezogen auf die Telekommunikationsüberwachung nach §§ 33 ff. fort. Diese Maßnahme weist ebenfalls einen Eingriff in das speziell grundrechtlich verbürgte Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG auf. Dennoch wird diese Befugnis nicht, entsprechend der Durchsuchung, in einem eigenen Gliederungsabschnitt geregelt, sondern in dem Abschnitt über die Befugnisse zur Datenerhebung normiert. Dies zeigt, dass auch diese letzte Gruppe der Bundesländer keine zufriedenstellende Systematik im Hinblick auf die Datenerhebungstatbestände oder gar den Vorfeldbefugnissen aufweist. Die Gesetzgeber haben also keine systematisch stimmige Einordnung der polizeilichen Befugnisse vorgenommen. Die differenzierte Tatbestandsdogmatik der gegenwärtigen Vorfeldbefugnisse wird in der Gesetzessystematik nicht umgesetzt. Bemerkenswert ist überdies, dass sich mit Ausnahme in den Aufgabenzuweisungen in den allgemeinen Teilen der Polizeigesetze keine Vorgaben und Aussagen zur Vorverlagerung des polizeilichen Handlungsfeldes finden lassen.

E. Zusammenfassung In diesem Abschnitt sollte es gelungen sein, die den Untersuchungsgegenstand bildenden Vorfeldbefugnisse von den klassischen Gefahrenabwehrbefugnissen abzugrenzen und zu systematisieren. Dabei ist deutlich geworden, dass das Vorfeldrecht eine außerordentliche Komplexität und Vielschichtigkeit aufweist. Es ließen sich drei Grundtypen von Eingriffsermächtigungen jenseits der hergebrachten Dogmatik ausmachen, die jedoch zum großen Teil mit erheblichen verfassungsrechtlichen und strukturellen Defiziten behaftet sind. Diese Defizite setzen sich auf der Ebene der personalen Inanspruchnahme fort. 377  Dazu

kritisch Möstl, DVBl. 2007, 581 (583).

168

3. Teil: Die Eingriffsbefugnisse im Gefahrenvorfeld

Auf Rechtsfolgenseite ist indes hervorzuheben, dass das Vorfeldrecht zwar überwiegend zu Ermittlungsmaßnahmen ermächtigt, darauf aber nicht beschränkt ist. In der polizeigesetzlichen Systematik findet, aufbauend auf der gesetzgeberischen Aufgabenzuweisung, der besondere Status des Vorfeldrechts keine Berücksichtigung. Vielmehr ignoriert der Gesetzgeber schlicht die dogmatischen und strukturellen Unterschiede der verschiedenen Regelungsbereiche und fügt sie in ein sie nicht erfassendes System ein. Eine abschließende Betrachtung der eingangs genannten Fallbeispiele auf der Grundlage des Vorfeldrechts soll erst im Anschluss an die Behandlung des Rechtsgüterschutzmodells erfolgen, um darin deren Beurteilung nach der gegenwärtigen Gesetzeslage unmittelbar jener nach diesem neuen Ansatz gegenüberzustellen.

4. Teil

Rechtsgüterschutzmodell Während in den vorherigen Abschnitten das Polizeirecht in seiner gegenwärtigen gesetzgeberischen Ausgestaltung beschrieben, systematisiert und einer Kritik unterzogen wurde, soll im folgenden Teil der Arbeit der Versuch unternommen werden, den zahlreichen ungeklärten Fragen und Problemen, die sich nicht zuletzt aufgrund der in diesem Sachzusammenhang getroffenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts stellen, ein vorfeldbezogenes Rechtsgüterschutzmodell entgegenzusetzen. Bevor dieses Rechtsgüterschutzmodell selbst behandelt und beschrieben wird, sollen zunächst noch einmal die bereits herausgearbeiteten Kritikpunkte und Ziele der derzeitigen Vorfeldbefugnissen zusammengefasst und der verfassungsrechtliche Rahmen dieser Befugnisschicht abgesteckt werden.

A. Rahmenvorgaben I. Zusammenfassung der Kritikpunkte an der gegenwärtigen Vorfelddogmatik Betrachtet man die in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit den Vorfeldbefugnissen gefallenen Urteile des Bundesverfassungsgerichts, beginnend mit der Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichten­ dienst,1 über die Zollfahndung nach dem Außenwirtschaftsgesetz,2 die Telekommunikationsüberwachung nach dem niedersächsischen SOG,3 die Entscheidung zur polizeilichen Rasterfahndung,4 die automatisierte Kenn­ zeichenerfassung,5 die Onlinedurchsuchung nach dem VSG NRW6 sowie zuletzt die Vorratsdatenspeicherung7, fällt auf, dass nahezu durchgehend die 1  BVerfG,

NJW 110, 3  BVerfGE 113, 4  BVerfGE 115, 5  BVerfGE 120, 6  BVerfGE 120, 7  BVerfGE 125, 2  BVerfGE

2000, 55 ff. 33 ff. 348 ff. 320 ff. 378 ff. 274 ff. 260 ff.

170

4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

Abfassung der gesetzlich vorgesehenen Eingriffsschwellen den Anforderungen der Angemessenheit im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht entsprachen und die Befugnisse, damit eng zusammenhängend, dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht hinreichend Rechnung trugen.8 Lediglich in der Entscheidung zur Rasterfahndung nach dem nordrhein-westfälischen Polizeigesetz wurde die Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Ermächtigungsgrundlage im Gegensatz zur konkreten Gesetzesanwendung bestätigt. Über den konkreten Gegenstand hinaus sind diese Entscheidungen von Bedeutung und werden teilweise als Wendepunkt in der Vorfelddogmatik bezeichnet9. Als die Einzelurteile übergreifender, gemeinsamer Grundtenor findet sich die Aussage des Gerichts, dass der Gesetzgeber keineswegs an die überkommenen Eingriffsschwellen der konkreten Gefahr und des hinreichenden Tatverdachts gebunden ist. Ihm steht eine Vorverlagerung der Grundrechtseingriffe grundsätzlich offen, sofern er die Anforderungen an die Tatsachen, die auf die künftige Begehung hindeuten, so bestimmt umschreibt, dass das im Bereich der Vorfeldermittlungen besonders hohe Risiko einer Fehlprognose gleichwohl verfassungsrechtlich noch hinnehmbar ist. Dazu muss er in den Normen handlungsbegrenzende Tatbestandselemente vorsehen, die einen Standard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit vergleichbar dem schaffen, der für die überkommenen Aufgaben der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung rechtsstaatlich geboten ist.10 Hieran mangelte es in den angesprochenen Entscheidungen durchweg. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen in der Weise beschaffen, dass sie ein entsprechend hinreichend wahrscheinliches Prognoseurteil nicht gewährleisten, fehlt es ihnen gleichermaßen an der erforderlichen Bestimmtheit. Nahezu gebetsmühlenartig wiederholt das Gericht die Forderung, dass eingreifende Ermittlungen „ins Blaue hinein“ von Verfassungs wegen ausgeschlossen sind. Selbst bei höchstem Gewicht der drohenden Rechtsgutbeeinträchtigung kann allerdings auf das Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht verzichtet werden.11 Der besonderen Herausforderung, mit der das Gericht den Gesetzgeber in dem durch zahlreiche Ambivalenzen geprägten Vorfeldbereich konfrontiert, ist sich das Bundesverfassungsgericht selbst bewusst, dennoch verbietet die Verfassung auch vor diesem Hintergrund jegliche Abstriche an den besagten Grundsätzen.12 Die von den Vorfeldbefugnissen ausgehende Eingriffsintensität darf 8  Siehe auch die Rechtsprechungsanalyse von Trute, Die Verwaltung 2009, 85 ff. 9  Siehe Stephan, VBlBW 2005, 410; Waechter, NordÖR 2005, 393. Denninger, in Huster / Rudolph, S. 85 (100) spricht ihnen einen „Grundlagencharakter“ zu. 10  BVerfGE 110, 33 (56); 113, 348 (377 f.). 11  BVerfGE 115, 320 (360 f.); 120, 274 (327); 120, 378 (428 f.). 12  BVerfGE 120, 274 (330 f.).



A. Rahmenvorgaben171

insbesondere im Hinblick auf die mit zahlreichen Maßnahmen verbundene Streuwirkung und indirekte Verhaltenssteuerung nicht unterschätzt werden. Die Eingriffsvoraussetzungen müssen dem hinreichend Rechnung tragen. So muss etwa eine präventiv-polizeiliche Rasterfahndung eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person in ihrem Tatbestand voraussetzen.13 Mit diesen restriktiven Vorgaben verfolgt das Bundesverfassungsgericht im Gegensatz zur Innenpolitik einen verfassungsrechtlich sehr sensiblen Umgang mit den Vorfeldbefugnissen.14 Eine grundsätzliche Missbilligung dieses gesetzgeberischen Vorhabens ist damit indes nicht verbunden, sofern nur die beschriebenen, sich aus der Verfassung ergebenen Grenzen gewahrt werden.

II. Verfassungsrechtlicher Legitimationsgrund der Vorfeldbefugnisse Nachdem damit die den Vorfeldbefugnissen von Verfassungs wegen auferlegten Grenzen in einem kurzen Überblick beschrieben wurden, ist der Blick nun auf den verfassungsrechtlichen Legitimationsgrund der polizeilichen Eingriffsbefugnisse zu richten. Dabei ist insbesondere zu hinterfragen, inwieweit das Grundgesetz den Gesetzgeber zu einer polizeilichen Vorfeldaktivität berechtigt oder gar verpflichtet. Dem Vorfeldrecht muss es darauf aufbauend ebenso wie der klassischen Polizeirechtsdogmatik gelingen, Sicherheit und Freiheit in einen ausgewogenen Ausgleich zu bringen, indem die Freiheit der Bürger durch die polizeilichen Maßnahmen nicht stärker beschränkt werden, als dies zur Gewährleistung der Sicherheit erforderlich ist. Im Folgenden soll daher aus der Perspektive des Vorfeldrechts das verfassungsrechtliche Gebot der Sicherheitsgewährleistung betrachtet werden, von dem aus eine Rechtfertigung der Vorverlagerung des polizeilichen Aktionsradius hergeleitet werden könnte, die den freiheitswahrenden Eingriffsbeschränkungen gegenübergestellt werden muss. 1. Überblick über die Staatsaufgabe Sicherheit Das Grundgesetz enthält keine ausdrückliche Bestimmung darüber, nach welcher der Staat für die Gewährleistung von Sicherheit verantwortlich 13  BVerfGE

115, 320; vgl. auch BVerfGE 125, 260 (330 f.). Jura 2007, 135.

14  Volkmann,

172

4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

wäre, wohingegen es in anderen Fällen ihm ausdrücklich Aufgaben zuweist.15 Allerdings kann hieraus nicht gefolgert werden, dass das Grundgesetz mangels entsprechender Aufgabenzuweisung dem Staat ein diesbezügliches Verbot ausspreche. Das Grundgesetz geht vielmehr von einer Allzuständigkeit des Staates aus, soweit es ihm nicht eine bestimmte Tätigkeit ausdrücklich untersagt.16 Damit ist an dieser Stelle jedoch nur festgestellt, dass das Grundgesetz die Wahrnehmung der Aufgabe Sicherheitsgewährleistung nicht versagt. Relevanter für den vorliegenden Zusammenhang ist indes die Frage, ob die Verfassung den Staat des Grundgesetzes sogar zur Wahrnehmung dieser Aufgabe verpflichtet. Diese Frage wird einhellig bejaht17 und verfassungstheoretisch damit begründet, dass die Gewährleistung von Sicherheit als eine oder gar die grundlegende Rechtfertigung der neuzeitlichen Staatlichkeit anzusehen sei.18 Diesem zutreffenden rechtshistorischen und rechtstheo­ retischen Begründungsansatz können allerdings keine konkreten Aussagen zur Reichweite und zum Umfang dieser Verpflichtung entnommen werden. Eine normative und zumal verfassungsrechtliche Verpflichtung kann auf diese Weise nicht hergeleitet werden, sondern muss vielmehr dem Grund­ gesetz selbst zu entnehmen sein. a) Ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerungen Rückschlüsse auf eine entsprechende Verpflichtung lassen sich etwa aus Art. 87 Abs. 1 S. 2 und Art. 73 Nr. 10 GG ziehen. Daneben weisen auch die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte auf diese Staatsaufgabe hin. Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG lässt die Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu. Auch Art. 13 GG enthält Gesetzesvorbehalte zugunsten der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung. In dieser Reihe kann auch Art. 11 Abs. 2 GG aufgeführt werden. 15  Beispielsweise

die Verpflichtung zum Umweltschutz nach Art. 20a GG. das Zensurverbot nach Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG. Siehe dazu auch BVerfG, DVBl. 1998, 955 (956); Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 53 m. w. N. 17  Cremer, S. 259; Di Fabio, Jura 1996, 566 (567); Knape, Die Polizei 2008, 157 (158); Kutscha, LKV 2003, 114; Middel, S. 25; Möstl, Staatliche Garantie, S. 49; Pitschas, Speyerer Arbeitsheft Nr. 121, 105 f.; Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 57; Thiel, S. 149 f.; Welsing, S. 89 f.; Zschoch, S. 76. 18  So auch BVerfGE 49, 24 (56 f.); Cremer, S. 258 f.; Denninger, KJ Bd. 35 (2002), 467 (469); Di Fabio, Jura 1996, 566 (567); Gusy, DÖV 1996, 573; Hoffmann-Riem, ZRP 2002, 497; Isensee, S. 3; Kugelmann, DÖV 2003, 781 (782); Kutscha, in Roggan / Kutscha, S. 26; Thiel, S. 143; Trute, GS Jeand’Heur, 403 (412); siehe auch die ausführlichen Darstellungen von Aulehner, S. 310 ff. und Zschoch, S. 66 ff. 16  Beispielsweise



A. Rahmenvorgaben173

An dieser Norm ist für den vorliegenden Zusammenhang besonders auffallend, dass sie Freizügigkeitsbeschränkungen sogar zugunsten der Vorbeugung strafbarer Handlungen zulässt, was gerade an die Vorverlagerung in den (modernen) einfachen Polizeigesetzen erinnern lässt.19 An dieser Stelle kann schließlich auch die Ordnungsgewalt als Annexkompetenz des Bundes im jeweiligen Bereich seiner Zuständigkeit angeführt werden. Diese verfassungsrechtlichen Teilaussagen können allerdings nicht zur generellen Begründung der Staatsaufgabe Sicherheit herangezogen werden. Es handelt sich vielmehr um partielle Einzelaussagen, die die generelle Existenz einer solchen Aufgabe ihrerseits voraussetzen. Als Ursache der in dieser Hinsicht spärlichen Aussagen des Grundgesetzes mag dessen historischer Entstehungshintergrund als Reaktion auf den Nationalsozialismus genannt werden, in Folge dessen die „Bändigung“ der Staatsgewalt und die Freiheit des Einzelnen gegenüber der Sicherheitsgewährleistung textlich stärker hervorgehoben wurden.20 Im Folgenden muss der Blick daher auf die grundsätzlicheren verfassungsrechtlichen Aussagen zum Rechtsstaatsprinzip und ganz besonders auf die grundrechtlichen Schutzpflichten gelenkt werden. b) Rechtsstaatsprinzip Als Fundament der Staatsaufgabe Sicherheit lässt sich zunächst das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip anführen.21 In den meisten Fällen wird dieses Prinzip in polizeirechtlichen Auseinandersetzungen, zumal mit den Vorfeldbefugnissen, eher als ein „System von Vorkehrungen zur Abwehr staatlichen Handelns“22 denn als Grundlage zur Beseitigung etwaiger Bedrohungspotenziale begriffen. Jedoch wird auch der allgemeine Justizgewährungsanspruch als in diesem Strukturprinzip verortet angesehen.23 Der Justizgewährungsanspruch bzw. die Justizgewährleistungspflicht bilden das Korrelat zur Friedenspflicht der Bürger und damit die Grund­ 19  Auch wenn Art. 11 Abs. 2 GG die Beschränkung der Freizügigkeit zur Vorbeugung strafbarer Handlungen zulässt, so stimmt diese Begrifflichkeit nicht mit der einfachgesetzlichen vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten überein. Die Fassung dieser Norm ist seit 1949 unverändert geblieben und kann daher nicht die erst seit den 1980er Jahren eingesetzte polizeiliche Vorverlagerung in Bezug nehmen. 20  Isensee, S. 27; Middel, S. 25; Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 16, 52; Schoch, Der Staat 43 (2004), 347 (363); Waechter, JZ 2002, 854. 21  Götz, HStR IV, § 85 Rn. 20. 22  So schon Isensee, S. 1. 23  Horn, FS Schmitt Glaeser, S. 435 (442). Daneben wird zwar auch Art. 19 Abs. 4 GG genannt, allerdings beschränkt sich diese Norm auf den Verwaltungsrechtsweg.

174

4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

voraussetzung des Gewaltmonopols des modernen Staates.24 Die Friedenspflicht ihrerseits setzt im Rahmen einer do-ut-des-Beziehung voraus, dass der Staat seinen Bürgern einen ausreichenden, effektiven Schutz vor Übergriffen bietet.25 Die einfachgesetzliche Umsetzung des Justizgewährungs­ anspruchs selbst erfolgt durch die Bereitstellung effektiver Rechtsschutzmöglichkeiten. Da der Rechtsschutz jedoch grundsätzlich nur repressiv ausgerichtet ist, lässt sich darüber hinaus aus dieser Wechselbeziehung auch die Verpflichtung zu einem unmittelbar rechtsgüterschützenden, also präventiven Regelungsmechanismus ableiten, die dem Staat die Aufgabe der Sicherheitsherstellung zuweist. Eine weitere rechtsstaatliche Säule der Sicherheitsgewährleistung, die mit der soeben beschriebenen Aussage nahezu übereinstimmt, ist die Verpflichtung des Staates zur Durchsetzung seiner Rechtsordnung und damit die Schaffung des Rechtsfriedens.26 Ein Staat, der von seinen Angehörigen die Wahrung der Friedenspflicht erwartet, muss, schon um eine Akzeptanz bei seinen Normunterworfenen finden zu können, in der Lage sein, die von ihm selbst gesetzten Regeln durchzusetzen. Andernfalls würde ein Zerfall seiner Ordnung und damit seiner Grundlagen drohen. Gerade der Staat des Grundgesetzes ist aufgrund seiner historischen Vorläufer auf eine wehrhafte Demokratie angelegt, was sich etwa in den Regelungen der Art. 18, Art. 21 Abs. 2 GG widerspiegelt.27 Gleichsam dem Justizgewährungsanspruch kann dieser Durchsetzungsanspruch nicht lediglich repressiv ausgestaltet sein, sondern muss gerade darauf gerichtet sein, etwaige Normverstöße von vornherein auszuschließen. In der Sache handelt es hierbei um nichts Geringeres, als um die aus der Lehre der Strafzwecktheorien bekannte positive Generalprävention, wonach die Allgemeinheit durch die Durchsetzung der Rechtsordnung in ihrer Rechtstreue bestätigt bzw. bestärkt wird. Dem Rechtsstaatsprinzip lässt sich somit die verfassungsrechtliche Aufgabenzuweisung der Sicherheitsgewährleistung an den Staat entnehmen. Sicher ist darüber hinaus, dass dieser Rechtsgüterschutz auch präventiv ausgestaltet werden muss.28 Jenseits dieser bloßen Aufgabenexistenz lassen sich diesem Strukturprinzip indes keine näheren Aussagen zu Art und Umfang der Pflicht entnehmen. 24  Isensee,

S. 36; Möstl, Staatliche Garantie, S. 66 f. m. w. N. Aulehner, S. 438 f.; Cremer, S. 259; Isensee, S. 3. Vgl. zum rechtsstaatlichen Schutzauftrag auch Rux, in Huster / Rudolph, S. 208 (210 f.). 26  Horn, FS Schmitt Glaeser, S. 435 (442); Möstl, Staatliche Garantie, S. 65 f. Dieser verfassungsrechtliche Auftrag findet in der hergebrachten Polizeirechtsdogmatik gerade in der Unversehrtheit der Rechtsordnung als Bestandteil des Verweisungsbegriffs der „Öffentlichen Sicherheit“ seine Umsetzung. 27  Vgl. auch Möstl, Staatliche Garantie, S. 80; Welsing, S. 106. 28  Aulehner, S. 439; Rux, in Huster / Rudolph, S. 208 (211). 25  Siehe



A. Rahmenvorgaben175

c) Grundrechtliche Schutzpflicht Die zweite Säule der Staatsaufgabe Sicherheit neben dem Rechtsstaatsprinzip bilden die aus den Grundrechten entnommenen Schutzpflichten.29 Im modernen Staat des Grundgesetzes erschöpfen sich die Grundrechte nicht in ihrer liberalen Funktion als Eingriffsabwehrrechte, sie zeichnen sich vielmehr durch eine besondere Mehrdimensionalität ihre Schutzwirkungen und Aussagegehalte aus. Die hier im Blickpunkt stehenden Schutzpflichten fanden ihre Anerkennung durch das Bundesverfassungsgericht erstmals in seinen Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch.30 Dieser status positivus wurde als Ausfluss einer in den Grundrechten zum Tragen kommenden objektiven Werteordnung begriffen,31 ohne dass auf die dogmatische Begründung dieser Werteordnung selbst näher eingegangen wurde.32 Neben diesem rein objektiv-rechtlichen Verständnis tritt heute zunehmend auch eine subjektiv-rechtliche Deutungsalternative der grundrechtlichen Schutzpflichten, welche unter der Terminologie des „Grundrechts auf Sicherheit“33 ihren Niederschlag gefunden hat.34 Das Grundrecht auf Sicherheit wird als eine Komplementierung der Abwehrfunktion der Grundrechte aus der Gesamtheit der Schutzpflichten gewertet,35 da die Ausübung der 29  Möstl, DVBl. 1999, 1394 (1999); Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 70 ff. m. w. N.; Vollmar, S. 166. 30  BVerfGE 39, 1 (41). 31  Isensee, S. 28. In dieser objektiven Werteordnung finden sämtliche grundrechtlichen Schutzdimensionen neben der klassischen Eingriffsabwehrfunktion ihre Grundlage, Cremer, S.  193  m. w. N. 32  Cremer, S. 217. Trotz dieses Defizits ist die Existenz dieser Grundrechtsdimension heute nahezu unumstritten, Cremer, S. 228. 33  Hierzu insbesondere Isensee, S. 1 ff.,  34. 34  Aulehner, S.  465  m. w. N.; Middel, S. 37 ff.; Thiel, S. 150 ff. Möstl, Staatliche Garantie, S. 85 f., macht entsprechende Tendenzen auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus, indem das Gericht dem jeweils betroffenen Bürger bei Verletzung der dem Staat obliegenden Schutzpflicht einen eigenen Anspruch auf Durchsetzung dieser Pflicht zubilligt, noch offenhaltend BVerfG, NJW 1998, 3264 (3265), jedoch BVerfGE 77, 179 (214); Welsing, S. 95 f. Ungeachtet dessen liegt die Schwelle zur Annahme einer derartigen Verletzung sehr hoch. Dem Gesetzgeber ist eine weite Einschätzungsprärogative zuzubilligen, welche erst dann überschritten ist, wenn er gar nicht oder völlig unzureichend tätig geworden ist, BVerfGE 77, 170 (214 f.); 88, 203 (254 ff.); 92, 26 (46). 35  In der Sache ist mit der Kreation des Grundrechts auf Sicherheit keine Änderung gegenüber der hergebrachten objektiv-rechtlichen Deutungsalternative ver­ bunden, es handelt sich vielmehr um einen Perspektivwechsel gerichtet auf die Interessen des Bürgers, vgl. insgesamt kritisch oder gar ablehnend Baum, in Huster /  Rudolph, 181 f.; Kniesel, Die Polizei 1991, 185 (186); Kutscha, in Roggan / Kutscha, S. 31 ff.; Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 142 ff.; Thiel, S. 154 ff.; Vollmar, S. 168 f.; Zschoch, S. 100 f. Nach Stern gewähren die Schutzpflichten kein subjektives Recht

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

durch sie gewährten Freiheiten in der Realität nicht nur auf Abstinenz des Staates als eingreifende und damit rechtsverkürzende Institution, sondern auch auf dessen Schutz vor Verletzungen durch Dritte angewiesen ist.36 Freiheit und Sicherheit stehen sich demnach nicht alternativ gegenüber, sondern bilden vielmehr zwei Seiten derselben Medaille.37 Beide Interessen müssen zu ihrer jeweils optimalen Wirksamkeit in einen gerechten Ausgleich zwischen dem geschützten Rechtsgut und den durch diesen Schutz herbeigeführten Beeinträchtigungen für die Rechtsgüter Dritter gebracht werden. Explizit anerkannt wurde eine grundrechtliche Schutzpflicht bislang für die Rechtsgüter der Art. 2 Abs. 2 S. 1,38 Art. 12 Abs. 1,39 Art. 14 Abs. 140 sowie für das allgemeine Persönlichkeitsrecht.41 Inwiefern darüber hinaus auch gegenüber den übrigen grundrechtlich geschützten Rechtsgütern eine staatliche Schutzpflicht besteht,42 kann im Rahmen dieser Arbeit dahinstehen, da jedenfalls, soweit eine solche bereits anerkannt wurde, zugleich die von den polizeilichen Vorfeldbefugnissen betroffenen Schutzgüter erfasst sind. Soweit demnach den jeweiligen Grundrechten eine Schutzpflicht zukommt, fordert diese, dass sich der Staat schützend und fördernd vor das betroffene Rechtsgut stellt und es insbesondere vor rechtswidrigen Angriffen Dritter bewahrt.43 Diesem Schutz dienende Eingriffe können allerdings nicht unmittelbar auf die betroffenen Grundrechte selbst gestützt werden, sondern

auf eine bestimmte gesetzgeberische Maßnahme, wohl aber dass dieser überhaupt tätig wird, DÖV 2010, 241 (248 f.). 36  Baldus, in Huster / Rudolph, S. 107 (110); Finger, S. 68 f.; Kniesel, Die Polizei 1991, 185 (186); Middel, S. 35; Möstl, Staatliche Garantie, S. 52, 88; Rux, in Huster / Rudolph, S.  208 (210  f.); Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 16; Thiel, S. 183; Vollmar, S. 167. 37  Isensee, S. 21; Kutscha, in Roggan / Kutscha, S. 30; Thiel, S. 180 f. 38  BVerfGE 39, 1 (41); 46, 160 (164); 49, 89 (142); 53, 30 (57); 56, 54 (73); 88, 203 (251 f.); 90, 145 (195); 115, 118 (152); 115, 320 (346). 39  BVerfGE 92, 26 (46); 97, 169 (175). 40  BVerfGE 42, 64 (76 f.); 49, 220 (226); 114, 1 (37 f.); hinsichtlich des Umfangs offen BVerfG, NJW 1998, 3264 (3265). 41  BVerfGE 73, 118 (201); 96, 56 (64); 97, 125 (146); 99, 185 (194 f.). 42  Darüber hinaus geht das Bundesverfassungsgericht schon aufgrund des text­ lichen Befundes für eine besondere Schutzpflicht für Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG aus, BVerfGE 6, 55 (71 ff.); 99, 145 (157); 99, 216 (234). Ausdrücklich offen gelassen wurde indes, wieweit dem Staat auch gegenüber der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) eine Schutzpflicht obliegt, BVerfGE 69, 315 (355); siehe aber Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (388). Im Überblick Cremer, S. 229; Stern, DÖV 2010, 241 ff. 43  BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 53, 30 (57); 56, 54 (73); 88, 203 (251); 90, 145 (195); 115, 118 (152); 115, 320 (346).



A. Rahmenvorgaben177

bedürfen nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes einer einfach­ gesetzlichen Grundlage.44 Mithin findet die Staatsaufgabe Sicherheit ihre zweite Grundlage in den grundrechtlichen Schutzpflichten. Wie bereits angesprochen verlangt diese Grundrechtsdimension eine optimale und damit effektive Umsetzung des Schutzauftrages.45 Diese umfasst im besonderen Maße ein präventives Handeln des Staates.46 Der Schutzauftrag ist in einen gerechten Ausgleich mit der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte, also der Freiheit, zu stellen. Eine verfassungsrechtliche Bindung der Schutzgewährleistung an die Schwelle der konkreten Gefahr kann hiernach jedenfalls nicht angenommen werden.47 d) Zwischenergebnis Die überblickmäßigen Ausführungen48 zu dem grundgesetzlichen Befund haben verdeutlicht, dass die Gewährleistung von Sicherheit zu den Aufgaben des Staates des Grundgesetzes zählt. Ihre sich aus dem objektiven Wertegehalt der Grundrechte ergebende Bindungskraft entspricht der einer Staatszielbestimmung.49 Auch wenn dem Gesetzgeber danach eine weite Einschätzungsprärogative im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung zukommt, begründet eine Vernachlässigung der Sicherheitsgewährleistung einen Verfassungsverstoß. Inwiefern sich daraus eine Berechtigung oder gar eine Verpflichtung zur Vorfeldnormierung ergibt, soll im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

44  Isensee, S. 43, Möstl, Staatliche Garantie, S. 64. An dieser Stelle wirken sich das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrecht wieder in ihrer abwehrrechtlichen Dimension aus. 45  Den entsprechenden Rechtsgütern muss ein tatsächlicher Schutz gewährleistet werden, BVerfGE 39, 1 (46); Isensee, S. 40. 46  Schoch, Der Staat 43 (2004), 347 (364); Volkmann, NVwZ 1999, 225 (229); Welsing, S. 93 f. Die Notwendigkeit eines entsprechenden Schutzes verdeutlicht sich insbesondere an dem Schutzgut des menschlichen Lebens, gilt jedoch auch für nicht irreversible Schäden. 47  Ebenso Aulehner, S. 443. 48  Eine ausführliche Behandlung findet sich bei Möstl, Staatliche Garantie, S. 37 ff., der als zusätzliche Grundlagen neben den grundrechtlichen Schutzpflichten und dem Rechtsstaatsprinzip insbesondere die Schutzaufträge zugunsten verfassungsrechtlicher Gemeinschaftsgüter (S. 55 ff.) und den Grundauftrag zur Sorge für den inneren Frieden (S. 68 f.) nennt. 49  Möstl, Staatliche Garantie, S. 73 ff.

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

2. Vorfeldspezifische Reichweite der Staatsaufgabe Sicherheit a) Grundlagen der Vorverlagerung Die Umsetzung der Sicherheitsgewährleistung obliegt an erster Stelle dem Gesetzgeber,50 der, da diese Aufgabenerfüllung kaum ohne Grundrechts­ eingriffe zu bewältigen ist, den zuständigen Behörden ein hinreichendes Repertoire an gesetzlichen Eingriffsermächtigungen zur Verfügung stellen muss. Soweit das Grundgesetz dem Staat eine Aufgabe zuweist, hat dieser sie effektiv wahrzunehmen, so dass in diesem Fall den betroffenen Rechtsgütern ein tatsächlicher Schutz zukommen muss.51 Hierbei ist allerdings stets die auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung basierende Eigenverantwortlichkeit des Gesetzgebers in Rechnung zu stellen, die ihm auch hinsichtlich der Schutzintensität einen erheblichen Gestaltungsspielraum belässt.52 Eine Missachtung des Schutzauftrages kann demnach erst bei Ergreifen offensichtlich und gänzlich ungeeigneter oder völlig unzulänglicher Regelungen und Maßnahmen angenommen werden.53 Die traditionelle Schwelle der konkreten Gefahr als Markgrenze zwischen den Gütern Sicherheit und Freiheit kann vor diesem Hintergrund nicht in Frage gestellt werden und bietet grundsätzlich einen idealen Ausgleich zwischen den Schutz- und Abwehrinteressen.54 Es besteht von Verfassungs wegen und insbesondere durch die Grundrechte allerdings keine Bindung an ebendiese Schwelle.55 Bereits im bisherigen Abschnitt wurde bewusst von der Gewährleistung und Herstellung von Sicherheit gesprochen. Sicherheit als Rechtsgüterschutz ist keine final-punktuelle Aufgabe, sondern dauerhaft angelegt. Es treten kontinuierlich neue Herausforderungen auf, auf welche reagiert werden muss. So hat schon Isensee erkannt, dass eine Verletzung des Schutzauftrages auch in der Weise geschehen kann, dass sich aus nachträglich einge­ tretenen Tatsachen oder Entwicklungen die Unzulänglichkeit der bisher getroffenen Regelungen ergibt. Der Gesetzgeber ist also stets gefordert, sein Sicherheitskonzept zu hinterfragen und es gegebenenfalls den neuen Be­ 50  Vollmar,

S. 129. S. 279; Knape, Die Polizei 2008, 157 (158); Middel, S. 38; Pitschas, Speyerer Arbeitsheft Nr. 121, 106. 52  Cremer, S. 279; Raabe, S. 356 f. 53  BVerfGE 77, 170 (214 f.); 88, 203 (254 ff.); 92, 26 (46). 54  Möstl, DVBl. 1999, 1394 (1398); ders., Staatliche Garantie, S. 194 ff. 55  Horn, FS Schmitt Glaeser, S. 435 (457); ders., DÖV 2003, 746 (751); Möstl, DVBl. 1999, 1394 (1399); ders., Staatliche Garantie, S. 26; Weber, S. 81 ff.; Welsing, S. 93 f. 51  Cremer,



A. Rahmenvorgaben179

drohungslagen anzupassen.56 Sofern sich demnach aufgrund der neu eingetretenen Bedrohungslagen, namentlich durch den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität, oder aufgrund des informationstechnologischen Fortschritts die Unzulänglichkeit des bisherigen Sicherheitsmechanismus ergibt, ist der Gesetzgeber nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die gegenwärtigen Regelungen entsprechend zu modifizieren.57 Auch bei dieser Einschätzung ist ihm ein weiter Spielraum zu gewähren.58 Soweit der Gesetzgeber danach zu der Überzeugung gelangt, dass den neuen Herausforderungen lediglich durch eine Vorverlagerung des polizeilichen Handlungsfeldes begegnet werden kann, trifft ihn eine entsprechende Verpflichtung.59 Schon die Dynamik dieser verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung weist Parallelen zu dem Strukturprinzip der Sozialstaatlichkeit auf, welches ebenfalls keine feste Größe besitzt, sondern den Staat als Staatszielbestimmung zu einem kontinuierlichen Streben nach Ausgleich sozialer Gegensätze und Benachteiligungen verpflichtet. Und in der Tat wirkt sich die verfassungsrechtliche Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat im Gegensatz zu dem bloß liberalen Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts auch wertungsmäßig auf die Vorverlagerung polizeilicher Eingriffsbefugnisse aus. Der Staat begreift sich nicht als Nachtwächterstaat, er sieht sich vielmehr dazu verpflichtet, vorsorgend und proaktiv tätig zu werden. Durch dieses Selbstverständnis eröffnet sich auch für das Polizeirecht ein neuer Blickwinkel, welcher grundsätzlich geeignet ist, die Vorverlagerungstendenz unter der Herrschaft des Grundgesetzes zu legitimieren.60 b) Grenzen der Vorverlagerung Die Grenzen dieser zunächst prinzipiell unbeschränkten Vorverlagerung bzw. die Unzutrefflichkeit des entsprechend eingeschätzten Bedürfnisses können nur dem Grundgesetz selbst entnommen werden, als die so verstandene Aufgabenbewältigung mit anderen verfassungsrechtlichen Aufgaben oder Pflichten und hierbei im besonderen Maße mit den Grundrechten Dritter in ihrer Funktion als Eingriffsabwehrrechte nicht in Einklang zu 56  Isensee,

S. 40, 51; Welsing, S. 92 f. DVBl. 1999, 1399; ders., Staatliche Garantie, S. 26, 198; Volkmann, NVwZ 1999, 225 (229); Weber, S. 81 ff. Vgl. auch Baldus, in Huster / Rudolph, S. 107 (115). 58  Grundsätzlich zum Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers Raabe, S. 15 ff., zum normativen Gehalt insbes. S. 51, 59 f. 59  Aulehner, S. 264; Middel, S. 25; 38 f.; Möstl, Staatliche Garantie, S. 226 ff. m. w. N., S.  274; Zschoch, S. 130. 60  Möstl, Staatliche Garantie, S. 21 f., 44, 160. 57  Möstl,

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

bringen ist. Die Abstimmung mit diesen verfassungsrechtlichen Determinationen erfolgt anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, in dessen Rahmen vorliegend in aller Regel die Angemessenheit größere Fragen aufwerfen wird.61 Als Ursache dieser Abwägungsschwierigkeiten lassen sich zwei im Folgenden zu behandelnde vorfeldspezifische Besonderheiten ausmachen. Die gegenüber dem klassischen Polizeirecht besonders hohe Hürde der Rechtfertigung lässt sich zunächst darauf zurückführen, dass bei einer Lösung von der Schwelle der konkreten Gefahr und damit auch von der Verantwortlichkeit des Störers, sich der Eingriff der Schutzmaßnahmen personal nicht gegen einen Maßnahmenadressaten richtet, der seinerseits die ihm zustehende grundrechtliche Freiheitssphäre bereits überschritten hat und lediglich in seine Grenzen zurückverwiesen wird,62 sondern dessen Handeln selbst noch grundrechtlich geschützt ist.63 Pauschalisierungen sind an dieser Stelle natürlich fehl am Platze, es muss vielmehr zwischen den verschiedenen Vorfeldtypen differenziert werden, wobei deren jeweiligem Individualisierungsgrad die entscheidende Bedeutung zukommt. Je weniger bestimmt der von der Maßnahme erfasste Personenkreis ist, umso mehr zeichnet sie sich durch eine besondere Streuwirkung aus und greift damit umso tiefer in die grundrechtlichen Schutzbereiche Dritter ein. Demgegenüber stellen sich vor diesem Hintergrund die individualisierten Tatbestände zur Rechtfertigung einer bestimmten Annahme als weniger einschneidend dar, wobei auch hier in Erinnerung gerufen werden muss, dass das von diesen angenommene Bedrohungspotenzial noch kein derartiges Ausmaß erreicht haben darf, dass es sich zu einer bevorstehenden objektiven Wertminderung geschützter Rechtspositionen konkretisiert hat. Vielmehr lassen sich zum Eingriffszeitpunkt in aller Regel erst wertneutrale oder allenfalls diffuse Risikolagen feststellen, welche nicht von vornherein die aktuelle Versagung des grundrechtlichen Schutzes begründen. Das klassische Polizeirecht, welches mit der konkreten Gefahr auf eine individuelle Ver­ antwortlichkeit aufbaute, musste sich mit dieser grundrechtsdogmatischen Herausforderung nicht näher auseinandersetzen, da derjenige, gegen den ein Eingriff vorzunehmen war, durch seine unmittelbare Gefährdung der Rechte Dritter sich nicht selbst auf seine grundrechtliche Freiheit berufen konnte. 61  So hat das Bundesverfassungsgericht in seinen den Vorfeldbereich betreffenden Entscheidungen (BVerfG NJW 2000, 55 ff.; BVerfGE 110, 33 ff.; 113, 348 ff.; 120, 378 ff.; 120, 274 ff.; 125, 260 ff.) stets die fehlende Angemessenheit der gesetzlichen Grundlage bemängelt, anders BVerfGE 115, 320 ff. Vgl. auch Raabe, S. 360. 62  So verhält es sich bei einem Störer, da die Zufügung von Schäden an den Rechtsgütern Dritter grundrechtlich nicht geschützt ist, vgl. Isensee, S. 44 ff. 63  Isensee, S. 44 f.



A. Rahmenvorgaben181

Neben dem Grad der Individualisierbarkeit kommt dem Gewicht des von den Polizeibefugnissen erfassten Schutzgutes im Rahmen des verfassungsmäßigen Ausgleichs mit den Grundrechten Dritter eine hohe Bedeutung zu. Die öffentliche Sicherheit als Schutzgut des klassischen Polizeirechts untergliedert sich in drei Bestandteile, die subjektiven Rechte des Einzelnen, die Unversehrtheit der Rechtsordnung und den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen. Diese Bestandteile lassen sich unmittelbar auf das Rechtsstaatsprinzip zurückführen, wonach den Staat als Korrelat zur Friedenspflicht seiner Bürger die Verpflichtung zu einem präventiven Rechtsgüterschutz sowie zur Durchsetzung seiner Rechtsordnung trifft. Letztere stellt an die staatliche Ordnung den Anspruch, dass diese befähigt ist, die von ihr gesetzten Regeln durchzusetzen, um eine Akzeptanz bei den ihr unterworfenen Bürgern finden zu können. Dies umfasst zugleich den wehrhaften Schutz ihrer eigenen Einrichtungen.64 Daneben verstärkt sich der Schutz der Individualrechtsgüter durch deren zusätzliche Absicherung durch die grundrechtlichen Schutzpflichten. Betont werden muss an dieser Stelle, dass das für die Praxis relevanteste dieser Schutzgüter, die Unversehrtheit der Rechtsordnung, insofern eine Besonderheit auszeichnet, als es sich hierbei lediglich um einen Verweisungsbegriff handelt. Die Durchsetzung der Rechtsordnung als solcher ist daher zwar ein mit Verfassungsrang ausgestatteter Auftrag, kann aufgrund seiner Offenheit jedoch nur schwer in eine Relation zu einem bestimmten Eingriffsgut gestellt werden. Diese Konturlosigkeit verstärkt sich umso mehr mit der Vorver­ lagerung des Eingriffs. Hierbei muss in Erinnerung gerufen werden, dass etwa das Überschreiten der Schwelle zu einem strafbaren Versuch bereits die Annahme einer konkreten Gefahr begründet, sich die Vorverlagerung demzufolge auf ein diesem noch vorausgehendes Entwicklungsstadium bezieht. Handlungen und Bedrohungen in diesem Entwicklungsstand werden sich mitunter schwerlich einem bestimmten gesetzlichen Tatbestand zuordnen lassen. Die Qualifikation eines den grundrechtlichen Abwehransprüchen entgegenzustellenden Schutzgutes weist demnach umso größere Defizite auf. Grundlage und Schutz der Rechtsordnung als solcher sind überdies vorwiegend objektiv-rechtlich zu bewerten. Der Staat demonstriert seine Durchsetzungskraft und unterstreicht damit seine Autorität sowie das ihm zukommende Gewaltmonopol. Vergegenwärtigt man sich diese Funktion des Verweisungsbegriffs der Unversehrtheit der Rechtsordnung, zeigt sich, dass neben der fehlenden Bestimmbarkeit auch funktionale Gründe gegen eine diesbezügliche Vorverlagerung sprechen. Von der verfolgten Zielsetzung her ist es weniger entscheidend, ob deren Durchsetzung präventiv oder repressiv 64  Siehe

4. Teil A. II. 1. b).

182

4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

erfolgt. In jedem Fall erscheint es dazu nicht erforderlich, diesen Durchsetzungsanspruch bereits im Gefahrenvorfeld umzusetzen.65 Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich hingegen bei den gegenständ­ lichen Schutzgütern, also den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen und in ganz besonderem Maß bei den Individualrechtsgütern. Zunächst bestehen insoweit nicht die sich aus der Offenheit des Verweisungsbegriffs der Unversehrtheit der Rechtsordnung ergebenden rechtsdogmatischen Probleme, welche dort einer Abwägung entgegenstehen. Die Rechtsgüter sind konkret benannt und daher gegenüber bestimmten Eingriffsgütern in eine Relation zu setzen. Darüber hinaus rechtfertigt sich die Vorverlagerung an dieser Stelle gerade aus dem grundgesetzlichen Schutzgebot dieser Güter.66 Soweit die Mittel des bisherigen Polizeirechts angesichts neuer Bedrohungslagen nicht im Stande sind, einen effektiven Schutz zu bieten, ist ein Vorziehen der Eingriffsschwelle gerade verfassungsrechtlich erforderlich. Aus diesem Grunde wird das den Vorfeldbefugnissen zugrunde liegende Rechtssystem auch als Rechtsgüterschutzmodell begrifflich zutreffend gekennzeichnet.67 Ein auf diese Grundlagen zurückgeführtes Polizeirecht rückt dessen Doppelcharakter, zum einen als klassisches Eingriffsrecht und zum anderen aber auch als ein leistendes und den Bürger geradezu existenziell schützendes Rechtsgebiet, in das Bewusstsein zurück.68 Das Polizeirecht muss sich daher nicht nur an den Grundrechten in ihrer abwehrrechtlichen Funktion, sondern insbesondere auch an den sich aus diesen ergebenden Schutzpflichten und sonstigen Verfassungsaufträgen messen lassen. c) Ergebnis Das Grundgesetz steht einer Vorverlagerung der polizeilichen Eingriffsschwellen somit nicht grundsätzlich entgegen.69 Soweit sich ohne sie der dem Staat obliegende Schutzauftrag nicht erfüllen lässt, kann diese Methode verfassungsrechtlich gar geboten sein. Die Verfassung ist somit keineswegs von den Herausforderungen der Gegenwart überfordert70 und stellt dem Gesetzgeber auch für die Problemlösungen des 21. Jahrhunderts einen 65  Vgl.

hierzu insgesamt auch Möstl, Staatliche Garantie, S. 119 ff. zur Differenzierung der Güter der öffentlichen Sicherheit im Gefahrenvorfeld Möstl, Staatliche Garantie, S. 119 ff. 67  Dazu 4. Teil B. 68  Möstl, Staatliche Garantie, S. 17 f. m. w. N. Vgl. auch schon die grundsätzliche Betrachtung der Gefahrenvorsorge von Aulehner, S. 132 ff. 69  Chiu, S. 59. 70  Ebenso Baldus, in Huster / Rudolph, S. 107 ff. 66  Vgl.



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 183

ausreichenden Handlungsfreiraum zur Verfügung.71 Soweit allerdings ein hinreichender Rechtsgüterschutz auch bei Beibehaltung der tradierten Eingriffsschwellen gewährleistet ist, resultiert bereits aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Unzulässigkeit einer weitergehenden Vorverlagerung des polizeilichen Handlungsinstrumentariums. Dieses Umstandes muss sich der Polizeigesetzgeber bei der Normsetzung bewusst sein und die Tatbestände entsprechend begrenzt abfassen. Er wird dabei nicht umhinkommen, ein gestuftes System von Eingriffsermächtigungen in Abhängigkeit von dem Bedrohungsgrad und der Eingriffsintensität abzufassen.

B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells I. Perspektivischer Ausgangspunkt Das „Rechtsgüterschutzmodell“ ist als ein präventiv-polizeiliches Gesamtkonzept zu verstehen, das sowohl die hergebrachte Polizeirechtsdogmatik wie auch das moderne Vorfeldrecht in sich vereinigt.72 Es gewährleistet die Umsetzung des verfassungsrechtlichen Auftrags der Sicherheitsgewährleistung auf der einen sowie einen Ausgleich mit den bürgerlichen Freiheitsrechten auf der anderen Seite. Dabei setzt es auf ein sechsstufiges Maßnahmenkonzept. Die Einordnung einzelner Eingriffsbefugnisse in dieses Konzept erfolgt in Abhängigkeit von deren Eingriffsintensität und dem jeweiligen Bedrohungsgrad. Auf der ersten Stufe wird das hergebrachte Gefahrenabwehrrecht anzusiedeln sein, welches an das höchste Bedrohungspotenzial im präventiv-polizeilichen Sicherheitsrecht, der konkreten Gefahr, angeknüpft. Am Ende der Skala finden sich die prognoseunabhängigen Aufklärungsbefugnisse. Zur Bewältigung der eingangs genannten Aufgabenstellungen erfolgt mit der Lösung von der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr auf der vierten Stufe in der Dogmatik der Eingriffstatbestände ein Perspektivwechsel von dem angenommenen Beeinträchtigungspotenzial zu dem betroffenen Schutzgut.73 Dieser Übergang markiert dabei zugleich den Wendepunkt von einem eher offensiven zu einem defensiven Handlungsfeld. Der defensive Charakter des Vorfeldrechts ist dabei dem Umstand geschuldet, dass die Bedrohungspotenziale mit zunehmender Vorverlagerung zwangs71  Volkmann,

Jura 2007, 132 (136). bereits Kugelmann, DÖV 2003, 781, der den Gefahrenbegriff ebenfalls in einem Gesamtkonzept sieht. 73  Schon Waechter, JZ 2002, 854 erblickte in den aktuellen Vorfeldtatbeständen einen mit der Strafrechtsdogmatik vergleichbaren Übergang von der Störer- zur Op­ ferperspektive. 72  Vgl.

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

läufig ihre Substantiiertheit verlieren und sich letztlich mit nur noch „diffusen“ Risikoannahmen vermischen, welche ein Eingreifen in Grundrechte nicht mehr zu rechtfertigen vermögen.74 Kann demnach ab einem gewissen Bedrohungsgrad nicht mehr an die Annahme einer hinreichenden Schadenswahrscheinlichkeit angeknüpft werden, muss die Maßnahme ihren Ausgangspunkt bei dem konkret zu schützenden Rechtsgut finden.75 Lediglich die betroffenen Rechtsgüter lassen sich in einem derart frühen Entwicklungsstadium konkret erfassen und in eine Abwägung mit den Eingriffsgütern stellen. Die Details zu den einzelnen Stufen sollen im Folgenden behandelt werden.

II. Die präventiv-polizeilichen Befugnisstufen 1. Maßnahmen der ersten Stufe – die Abwehr einer konkreten Gefahr Auf der ersten Stufe finden sich die Abwehrbefugnisse des klassischen Gefahrenabwehrrechts wieder. Sämtliche auf dieser Stufe befindlichen Maßnahmen sind reaktiv ausgestaltet und durch eine konkrete und individualisierbare Gefahr als Eingriffsschwelle gekennzeichnet. Diesem Normenkomplex gehören sowohl die polizeiliche Generalklausel sowie die hieran anknüpfenden Standardbefugnisse an. Hinsichtlich der Grundsätze kann daher auf die oben bereits getroffene Charakterisierung des klassischen Polizeirechts verwiesen werden.76 Dennoch soll vor dem Hintergrund der anschließenden Gegenüberstellung mit den weiteren Maßnahmenstufen an dieser Stelle eine erneute, aber dementsprechend kurze Betrachtung der Eingriffsschwelle, der Maßnahmenadressaten und der Rechtsfolgen dieser Befugnisse vorgenommen werden. a) Eingriffsschwelle In ihren Tatbeständen setzen die dieser Stufe angehörenden Befugnisse durchweg eine konkrete Gefahr voraus. In den Standardbefugnissen wird diese Gefahr mitunter insbesondere in Abhängigkeit von der Eingriffsintensität der Maßnahme näher qualifiziert. Die konkrete Gefahr wird als eine Sachlage definiert, die bei ungehindertem Fortgang des Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu einem Schaden an 74  BVerfGE

113, 348 (377). auch das BVerfGE 125, 260 (329 f.). 76  Siehe 2. Teil. 75  So



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 185

einem polizeilichen Schutzgut führt. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit wird mittels einer Güterabwägung ermittelt. Eine herausragende und den Eingriff begrenzende Funktion kommt dabei der zeitlichen Nähe des angenommenen Schadens zu. Maßnahmen auf dieser Stufe gestatten ein aktuelles Einschreiten lediglich als letzte Abwehrchance. Schutzgüter sind die öffentliche Sicherheit und je nach Ausgestaltung durch den Polizeigesetzgeber zum Teil auch die öffentliche Ordnung. Befugt bereits eine konkrete Gefahr zu einem Einschreiten, so gilt dies erst recht, sofern sich die Gefahr bereits zu einer Störung gesteigert hat und die Schädigung noch nicht abgeschlossen ist. Auch die Anscheinsgefahr ist eine Gefahr in diesem Sinne.77 b) Maßnahmenadressaten Adressaten dieser Eingriffsbefugnisse sind der Verhaltens- und der Zustandsstörer sowie bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes der Nichtstörer. Hierin spiegelt sich ein charakterisierendes Wesensmerkmal dieser Befugnisse wider. Diese klassischen Abwehrbefugnisse sind auf eine individuelle Verantwortlichkeit für das angenommene Bedrohungspotenzial angewiesen. c) Rechtsfolgen Die Maßnahmen der ersten Stufe stehen in nächster Beziehung zu dem erwarteten Schaden. Sie sind daher auf die unmittelbare Abwehr der Gefahr gerichtet. Die Maßnahmen, obgleich sie auf die Generalklausel oder die entsprechenden Standardbefugnisse gestützt sind, greifen selbst in einen bereits angesetzten Kausalverlauf ein. Sie setzen selbst Gegenbedingungen und verhindern dadurch unmittelbar die Realisierung oder das Fortdauern einer Schädigung der polizeilichen Schutzgüter. d) Abschließende Anmerkungen Grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragestellungen wirft diese Befugnisschicht nicht auf. Die Dogmatik dieses klassischen Polizeirechts ist hinreichend gefestigt. Sie darf lediglich nicht verabsolutiert werden, sondern ist als bloßer Bestandteil im Gefüge der präventiv-polizeilichen Befugnisschichten zu verstehen.

77  Siehe

schon insgesamt 2. Teil A.

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

2. Maßnahmen der zweiten Stufe – die Aufklärung einer individualisierten konkreten Gefahr Die zweite Stufe präventiv-polizeilicher Befugnisse unterscheidet sich von der ersten Stufe augenscheinlich zunächst in ihrer Rechtsfolge, indem sie die Polizei nicht zu einem unmittelbaren Eingreifen in einen bereits angesetzten Kausalverlauf ermächtigt, sondern vielmehr erst der Vorbe­ reitung solcher Eingriffe durch Aufklärungsmaßnahmen dient. Eine tiefer gehende Auslegung der entsprechenden Tatbestände dokumentiert allerdings sich aus dieser unterschiedlichen Zielsetzung heraus ergebende Modifikationen der Eingriffsvoraussetzungen. Dieser Stufe gehören höchst unterschiedliche Polizeimaßnahmen wie etwa die Wohnungsdurchsuchung78 als eine der traditionsreichsten Standardbefugnisse, aber auch neue Erscheinungsformen wie die Onlinedurchsuchung79, an. Darüber hinaus ­ sind auch der Gefahr- und Störererforschungseingriff an dieser Stelle zu verorten. a) Eingriffsschwelle Der Tatbestand der Ermächtigungen setzt zunächst wiederum eine konkrete Gefahr voraus. Die konkrete Gefahr i. d. S. weist indes strukturelle Unterschiede gegenüber jener der vorherigen Stufe auf. aa) Die zeitliche Nähe zum Schadenseintritt Diese Modifikation betrifft in ganz besonderem Maße die zeitliche Nähe zur Schadensrealisierung. Die Polizei wird zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung ermächtigt, was voraussetzen muss, dass ihr überhaupt noch ein ausreichendes Zeitfenster verbleibt, um die der unmittelbaren Abwehr noch entgegenstehenden Wissensdefizite zu ermitteln, ohne dadurch den Abwehrerfolg auf der anderen Seite zu vereiteln. Die zeitliche Nähe kann demnach nicht als die letzte Abwehrchance beschrieben werden, sondern muss so gefasst sein, dass eine effektive Abwehr (zu einem späteren Zeitpunkt) ohne in der Gegenwart anzustellende Ermittlungen nicht mehr gewährleistet werden kann. Die konkrete Gefahr innerhalb dieser Befugnisse wird damit „aufgeweicht“ und erfährt bereits eine Tendenz der Vorverlagerung.80 78  Art. 23

Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Bay. PAG. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Bay. PAG. 80  Käß, BayVBl. 2010, 1 ff. (3); Kutscha, NJW 2008, 1042 (1044); dazu schon Koch, S. 81. Siehe auch bereits 2. Teil C. II. 79  Art. 34d



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 187

Partikular hat dieses Phänomen in der Rechtsprechung bereits Anerkennung gefunden. Sowohl in der Entscheidung zur Onlinedurchsuchung nach dem nordrhein-westfälischen VSG als auch zur Vorratsdatenspeicherung hat das Bundesverfassungsgericht dem Gefahrenbegriff eine neue Definition zugrunde gelegt. Grundsätzlich sei die konkrete Gefahr nach dem Gericht durch drei Kriterien bestimmt, den Einzelfall, die zeitliche Nähe des Umschlagens einer Gefahr in einen Schaden und den Bezug auf eine individuelle Person als Verursacher.81 In dem folgenden Satz jedoch erklärt das Gericht eine Modifikation dieser Definition, indem es von dem Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts in näherer Zukunft absieht.82 Dies erscheint auch verständlich und nachvollziehbar, ist doch eine Datenermittlung und Auswertung etwa im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung83 in aller Regel mit einem erheblichen weiteren Arbeits- und Auswertungsaufwand verbunden.84 Die Daten dürften in aller Regel erst die Grundlage für sich noch anschließende, weitere Ermittlungen sein. Sofern es sich bei diesen Normen also nicht um reine „Symbolermächtigungen“ handeln soll, die etwas voraussetzen, auf dessen Ermittlung sie erst gerichtet sind, sind Modifikationen der zeitlichen Nähe im Rahmen der Auslegung dieses Gefahrenbegriffs unablässig. Löst man sich nun von der isolierten Betrachtung einzelner Maßnahmen, wird deutlich, dass sämtlichen Aufklärungsmaßnahmen gegenüber den Abwehrbefugnissen eine derart „aufgeweichte“ Gefahr zugrunde gelegt werden muss. Einleuchtend erscheint dies insbesondere bei den besonderen Mitteln der Datenerhebung wie der längerfristigen Observation, dem verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen bzw. zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes sowie dem Einsatz von Vertrauensleuten und verdeckten Ermittlern. bb) Der Gefahrenverdacht Neben den zuvor beschriebenen Befugnissen ist es ebenfalls gerechtfertigt, die Fälle des so genannten Gefahrenverdachts in diese Maßnahmenka81  BVerfGE

120, 274 (328 f.); 125, 269 (330 f.). 120, 274 (328 f.); 125, 269 (330 f.). Zutreffender wäre es jedoch, von der Realisierung der Gefahr und nicht von deren Eintritt zu sprechen, da die Gefahr selbst ja bereits Tatbestandsvoraussetzung der Maßnahmen ist. Zu dieser Rechtsprechung kritisch Welsing, S. 136 f. 83  § 33a Abs. 1 Nds. SOG. Kritisch zu dem Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr Hornmann, NVwZ 2010, 291 (294). 84  Hierauf wies bereits Roggan, in Roggan  / Kutscha, S. 129 f., 187 im Zusammenhang mit der polizeilichen Wohnraumüberwachung und dem Einsatz verdeckter Ermittler hin. 82  BVerfGE

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

tegorie einzuordnen.85 Der Gefahrenverdacht wird als eine Sachlage definiert, in welcher die Polizei Tatsachen für gegeben hält, bei deren tatsächlichem Vorliegen eine konkrete Gefahr angenommen werden könnte. Die Polizei ist sich der Ungewissheit hinsichtlich der von ihr angestellten Diag­ nose bewusst. Gefahrenverdachtssituationen ermächtigen grundsätzlich zu so genannten Gefahrerforschungseingriffen zur weiteren Sachverhaltsaufklärung.86 Schon darin zeichnen sich die Parallelen zu den soeben beschriebenen Befugnissen ab. Teilweise werden die besonderen Mittel der Datenerhebung in ihrer jeweiligen Gefahrenabwehralternative sogar direkt als gesetzliche Kodifikation des Gefahrenverdachts gewertet.87 Die Unzutreffendheit dieses Verständnisses wurde bereits erläutert. Das Defizit des Gefahrenverdachts gegenüber der herkömmlichen Gefahr ist schlicht in dem aktuellen Wissenshorizont begründet, der der Polizei noch kein abschließendes Urteil über den vorliegenden Sachverhalt gestattet. Aus diesem Grunde verbieten sich grundsätzlich bereits endgültige, in den Kausalverlauf selbst eingreifende Abwehrmaßnahmen. Das Bestehen von Erkenntnisdefiziten ist allerdings ein charakterisierendes Merkmal der auf dieser Stufe angesiedelten Maßnahmen. Die mit ihnen erstrebte Aufklärung setzt von ihrer Natur her einen weiteren Aufklärungsbedarf voraus. Die Qualifikation des Gefahrenverdachts als Instrument des klassischen Gefahrenabwehrrechts ergibt sich hierbei aus dessen Bezugnahme auf eine konkrete Gefahr und der indivi­duell begrenzten Inanspruchnahme des verantwortlichen Störers. cc) Die Schutzgüter Die Schutzgüter dieser Maßnahmenstufe stimmen in ihrem Grundsatz mit denen der Gefahrenabwehrbefugnisse überein. Die Aufklärung bezieht sich demnach zunächst auf Gefahren für die öffentliche Sicherheit und ggfs. auch Ordnung. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann gerade hier jedoch eine Beschränkung auf qualifizierte Rechtsgüter erfordern. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die durch die Maßnahmen zu schützenden Rechtsgüter mit der von ihnen ausgehenden Eingriffslast in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Insbesondere verdeckten Ermittlungsmaßnahmen kommt dabei ein die Eingriffslast erhöhendes Gewicht zu. Aber auch die zeitliche Distanz zur Schadensrealisierung und die vorausgehenden Erkenntnisdefizite sind prinzipiell geeignet, die 85  Sofern die Gefahrenverdachtslage jedoch ausnahmsweise zu einer unmittelbaren Gefahrenabwehr berechtigt (vgl. 2. Teil A. III. 4. d) bb)), ist diese Fallkonstellation der ersten Stufe zuzuordnen. 86  Siehe zum Gefahrenverdacht eingehend bereits 2. Teil A. III. 4. d). 87  Pieroth / Schlink / Kniesel, § 4 Rn. 52.



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 189

Hürden zulässiger Ermittlungsmaßnahmen zu erhöhen. In dessen Folge setzen bereits die gegenwärtig normierten besonderen Mittel der Datenerhebung in ihrer Gefahrenabwehralternative durchweg eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person voraus.88 Das teilweise Erfordernis von Gefahren für qualifizierte Schutzgüter zur Rechtfertigung der einschlägigen Eingriffe sichert daneben einen entsprechenden Erkenntnisstand zur Annahme einer solchen Gefahr ab. Darüber hinaus dokumentiert sich an dieser Stelle die Notwendigkeit, mit zunehmender Vorverlagerung des Eingriffs die jeweiligen Schutzgüter enger zu charakterisieren. b) Maßnahmenadressaten Die Gefahraufklärungsmaßnahmen sind auf eine individuelle Verantwortlichkeit angewiesen und daher grundsätzlich an Verhaltens- und Zustandsstörer zu richten. Nur ausnahmsweise kommt eine Inanspruchnahme des Nichtstörers in Betracht. Allerdings kann sich das Aufklärungserfordernis in einigen Fallkonstellationen gerade auf die Ermittlung des Verantwortlichen beziehen, wenn das Vorliegen einer Gefahr zwar bekannt ist, die Polizei aber etwaige Abwehrmaßnahmen keiner bestimmten Person zuordnen kann. Der in diesem Fall zulässige Störererforschungseingriff89 entspricht in seinen Grundsätzen dem Gefahrerforschungseingriff im Rahmen des Gefahrenverdachts. Ebenso wie dieser nimmt er Bezug auf die hergebrachte Polizeirechtsdogmatik. Damit sind auch in dessen Rahmen lediglich individuell zuzuordnende Eingriffe zulässig. Der Störererforschungseingriff besitzt daher keine, erst den Maßnahmen auf den folgenden Stufen zukommende Streubreite, sondern richtet sich stets an einen objektiv feststehenden und individuell bestimmten Adressatenkreis. c) Rechtsfolgen Das die Maßnahmen dieser Stufe prägende Merkmal findet sich in der Rechtsfolge, wonach sie keineswegs den direkten Eingriff in einen bereits angesetzten, potenziell schadensstiftenden Kausalverlauf gestatten. Sie sind vielmehr ausschließlich auf die Sachverhaltsaufklärung und Datenerhebung 88  Vgl. § 16a ff. PolG NRW. Weitere Schutzgüter daneben sind etwa der Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, vgl. Art. 34d Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) Bay. PAG. 89  Dazu schon 3. Teil C. I. 3. a) bb).

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

gerichtet. Diese Zielsetzung beeinflusst und bestimmt Eingriffsschwelle und Maßnahmenadressaten und konnte daher schon in deren Rahmen nicht ausgeblendet werden. Andererseits qualifizieren sie die tatbestandliche Struktur dieser Befugnisse als Bestandteil der hergebrachten Polizeirechtsdogmatik, wobei bei ihnen bereits in diesem Rahmen eine gewisse Vorverlagerung des Gefahrenabwehrrechts erfolgt. d) Abschließende Anmerkungen Auch im Rahmen dieser Maßnahmenstufe stellen sich keine grundsätz­ lichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Allein berücksichtigt werden muss, dass mit der bereits eingetretenen Vorverlagerung und der damit einhergehenden größeren Distanz zum Schadenseintritt ein erhöhtes Maß an Ungewissheiten verbunden ist, welches in Abhängigkeit von der jeweiligen Eingriffsintensität der Maßnahme gegebenenfalls durch qualifizierte Anforderungen an die anzunehmende Gefahr zu kompensieren ist. 3. Maßnahmen der dritten Stufe – die Aufklärung einer entindividualisierten konkreten Gefahr Die bereits in der vorherigen Maßnahmenstufe behandelte Vorverlagerung setzt sich auf dieser Ebene weiter fort. Durch den Verzicht auf einen einer individuell bestimmten Person zurechenbaren Eingriffsanlass vollzieht sich an dieser Stelle endgültig die Abkehr von der hergebrachten Polizeirechtsdogmatik zum Vorfeldbereich, wobei diese Maßnahmenstufe durch die Beibehaltung der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr quasi auf der Nahtstelle zwischen Gefahrenabwehr- und Vorfeldrecht steht. Die fehlende individuelle Bezugnahme auf einen bestimmten Adressaten oder auch nur einen überschaubaren Adressatenkreis begründet ein besonders hohes Eingriffsgewicht dieser Maßnahmen, zu denen etwa die Rasterfahndung und die Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze zu zählen sind.90 Die dieser Stufe zuzuordnenden Befugnisse richten sich unmittelbar an die Allgemeinheit selbst und beeinträchtigen dadurch ganz überwiegend vollkommen Unbeteiligte, die keinen Anlass für das polizeiliche Einschreiten gesetzt haben, in ihren Rechtsstellungen.91 Nochmals das Eingriffsgewicht erhöhend bewirkt die mit diesen „Jedermannseingriffen“ oftmals verbun­dene Abschreckungswirkung zur indirekten Verhaltenssteuerung.92 Diese Maßnahmen 90  Siehe zur Wirkungsweise und Eingriffsschwelle dieser Maßnahmen bereits 3. Teil A. II. 1. a), b) bb) sowie 3. Teil C. I. 3. b) aa) und bb). 91  Vgl. BVerfG, NVwZ 2007, 688 (691). 92  Siehe dazu 3. Teil A. II. 1.



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 191

stellen damit ein echtes Novum im Polizeirecht dar und müssen in Folge ihrer personalen Breitenwirkung tatbestandlich auf bestimmte und umgrenzte Gefahrensituationen beschränkt werden. a) Eingriffsschwelle Maßnahmen auf dieser Stufe setzen stets das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus und unterscheiden sich damit zunächst nicht von dem klassischen Polizeirecht. Ihre völlige Entindividualisierung verändert allerdings die dogmatische Struktur dieser Eingriffsschwelle und damit die des gesamten Tatbestandes. aa) Das Gefahrenurteil In seinen Grundsätzen stimmt das hier zu fällende Gefahrenurteil mit denen der individualisierten Gefahr überein. Die zunächst nur partiell vorhandenen Erkenntnisdefizite bewirken jedoch eine strukturell relevante Veränderung dieser Eingriffsschwelle, die eine eigenständige Einstufung dieser Maßnahmen gegenüber denen der zweiten Stufe erforderlich macht. Sofern sich der Polizei Erkenntnisdefizite über die Verantwortlichkeit für eine Gefahr stellen, werden damit notwendig weitere Unkenntnisse verbunden sein. Oftmals wird sich das schädigende Ereignis etwa zeitlich und / oder örtlich nur begrenzt einordnen lassen, wodurch auch die Abgrenzung des konkret zu erwartenden Schadensereignisses selbst erschwert wird. Um dennoch angesichts der sich aus der Streuwirkung ergebenden Eingriffslast die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu rechtfertigen, muss die Gefahr auf qualifizierte Rechtsgüter begrenzt werden. Aus diesem Grunde verlangt das Bundesverfassungsgericht für die Rasterfahndung eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person.93 Im Rahmen des Wahrscheinlichkeitsurteils lässt sich das besondere Gewicht dieser Rechtsgüter und deren Schutz, zu welchem der Staat verfassungsrechtlich verpflichtet ist, der hohen Eingriffslast entgegensetzen. Auf der anderen Seite nötigt eine derart verfasste Eingriffsschwelle die konkret handelnde Polizei dazu, durch entsprechende Vorermittlungen die Annahme einer entsprechenden Gefahr erst zu begründen. Ermittlungen ins Blaue hinein oder aufgrund vager Anhaltspunkte scheiden damit aus. Das Erfordernis einer Bedrohung qualifizierter Rechtsgüter sichert damit indirekt auch die Ermittlung einer den Eingriff rechtfertigenden und ausreichenden Tatsachenbasis ab.94 93  BVerfGE 94  Vgl.

115, 320 (362). dazu insgesamt bereits 3. Teil C. I. 3.

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

bb) Die Schutzgüter Wie bereits beschrieben, setzt die Verfassungsmäßigkeit der Maßnahmen dieser Stufe eine tatbestandliche Begrenzung der Gefahr auf qualifizierte Rechtsgüter voraus. In dieser Konkretisierung auf bestimmte und abgegrenzte Schutzgüter zeichnet sich bereits die mit der Vorverlagerung einhergehende perspektivische Ausrichtung auf die betroffenen Schutzgüter ab. Personale Erkenntnisdefizite hinsichtlich des Bedrohungspotenzials, welche ein derartiges Gewicht besitzen, dass sie niemals einen Eingriff im Rahmen des tradierten Polizeirechts gestatten würden, werden durch einen Perspektivwechsel von dem Bedrohungspotenzial hin zu dem bedrohten Rechtsgut kompensiert. Die kompensatorische Begrenzung und Hervorhebung bestimmter und gewichtiger Schutzgüter ist an dieser Stelle strukturell und nicht bloß partiell, wie etwa in der vorherigen Maßnahmenstufe in Abhängigkeit von dem Eingriffsgewicht des einzelnen polizeilichen Handlungsinstruments, bedingt. Maßnahmen, welche auf eine individuelle Bezugnahme ihres Eingriffsanlasses verzichten und sich in der Folge an die Allgemeinheit richten, müssen von Verfassungs wegen auf bestimmte und gewichtige Schutzgüter beschränkt bleiben. cc) Die gegenwärtigen polizeilichen Maßnahmen dieser Stufe Neben der diesem Regelungsmodell insbesondere in Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits folgenden Rasterfahndung ist auch die präventiv-polizeiliche Videoüberwachung dieser Stufe zuzuordnen. Auch wenn die gegenwärtigen Polizeigesetze diese Einordnung noch nicht vornehmen, so sind die Parallelen zwischen den beiden genannten Maßnahmen frappierend. Ebenso wie die Rasterfahndung weist auch diese Maßnahme eine erhebliche Streuwirkung auf und richtet sich ganz überwiegend an nicht verantwortliche Personen. Wenn das Bundesverfassungsgericht der Rasterfahndung eine indirekte Verhaltenssteuerung zuerkennt, so gilt dies umso mehr für die Videoüberwachung. Wie bei kaum einer anderen Maßnahme rückt bei ihr die Abschreckungs- und Verhaltenssteuerungsfunktion gegenüber der Datenerhebung derart in den Vordergrund.95 Die Videoüberwachung bedarf daher ebenso wie die Rasterfahndung von Verfassungs wegen eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter. Es müssen konkrete Hinweise für eine bevorstehende Schadensrealisierung an einer bestimmten Örtlichkeit vorhanden sein, die die Annahme einer nicht individualisierten Gefahr rechtfertigen. Ihr Einsatz zum Zwecke einer „generellen Abschreckung“ im Vorfeld der konkreten Gefahr ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. 95  Siehe

bereits 3. Teil A. II. 1. a), C. I. 3. b) bb).



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 193

dd) Einordnungsschwierigkeiten betreffend die automatisierte Kennzeichenerfassung Problematisch erscheint hingegen die Einordnung der automatisierten Kennzeichenerfassung. Zwar weist auch diese Maßnahme zunächst überaus große Parallelen zu der präventiven Rasterfahndung und Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze auf, allerdings liegt ein die Eingriffsintensität reduzierender Unterschied in der Beschränkung ihres Einsatzes auf den bloßen Straßenverkehr. Anders als öffentliche Straßen und Plätze, die durch ihre für das demokratische Gemeinwesen essentielle Bedeutung für den kommunikativen Verkehr gekennzeichnet sind, daneben aber auch Räume für die Ausübung anderer Grundrechte wie der Religions- oder der Kunstfreiheit bieten, weist der reine Straßenverkehr diese Grundrechtssensibilität gerade nicht auf.96 Zutreffend legt das Bundesverfassungsgericht der Kennzeichenerfassung damit auch einen anderen verfassungsrechtlichen Maßstab als der Rasterfahndung zugrunde. Neben der Abwehr einer konkreten Gefahr käme danach als Eingriffsschwelle auch eine Begrenzung auf Situationen in Betracht, in denen die konkrete Örtlichkeit oder dokumentierte Lageerkenntnisse Anknüpfungspunkte für gesteigerte Risiken bieten und zugleich auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit hinweisen, dass diesen Risiken mit Hilfe der automatisierten Kennzeichenerfassung begegnet werden könne.97 Erscheint danach die Normierung einer der entindividualisierten Gefahr vorausgehenden Eingriffsschwelle in dem zuvor genannten Sinne als zulässiges Reglement, berücksichtigt dies nicht eine mit dieser Maßnahme verbundene Gefahr der Pervertierung ihres Einsatzes, nach der sie gezielt im Vorfeld bestimmter Veranstaltungen, wie etwa von Versammlungen oder religiös motivierten Zusammenkünften, zur Anwendung gelangen könnte. Veranstaltungsteilnehmer könnten durch den Einsatz schon durch die Besorgnis um ihre individuelle Erfassung von dem Besuch abgeschreckt werden, so dass sich hierin die beschriebene Gefährdung für die unbefangene Grundrechtsausübung auch im bloßen Straßenverkehr realisieren würde.98 Sofern die automatisierte Kennzeichenerfassung daher zu einem außerhalb des Straßenverkehrs liegenden Ereignis in Beziehung gesetzt wird, stimmt sie in ihrer Wirkung und Eingriffsintensität mit den beiden übrigen auf dieser Stufe diskutierten Maßnahmen überein, weshalb es danach auch erforderlich wäre, ihr als Eingriffsschwelle die entindividualisierte Gefahr zugrunde zu legen. 96  Dazu

bereits 3. Teil C. I. 3. b) cc) (3). 120, 378 (430 f.). 98  Siehe dazu ausführlich schon 3. Teil A. II. 1. b) aa). Vgl. auch BVerfGE 120, 378 (405 f.). 97  BVerfGE

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

Zur Bewältigung dieser Einordnungsschwierigkeiten kommen grundsätzlich zwei Lösungsmöglichkeiten in Betracht. Zunächst könnte die Kennzeichenerfassung trotz ihrer grundsätzlich geringeren Eingriffsintensität aufgrund der mit ihr verbundenen Missbrauchsgefahr zur indirekten Verhaltenssteuerung dem strengen Reglement dieser Stufe unterworfen werden. Der Tatbestand müsste demnach eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter voraussetzen. Eine derartige Normierung hätte zwar für sich, dass sie im besonderen Maße die sich aus den Grundrechten in ihrer Funktion als Eingriffsabwehrrechten ergebenden Eingriffsgrenzen berücksichtigen würde, nähme aber dafür verfassungsrechtlich nicht geforderte Schutzlücken in Kauf. Damit würde der gleichgewichtige Verfassungsauftrag der Sicherheitsgewährleistung zurückgestellt. Daher sollten für die Kennzeichenerfassung durchaus die auch von dem Bundesverfassungsgericht anerkannten, niedrigeren Eingriffsschwellen beibehalten werden, wobei in den Tatbeständen darüber hinaus begrenzende Merkmale aufzunehmen sind, die einen solchen Missbrauch als Instrument der Verhaltenssteuerung ausschließen oder ihn zumindest einer qualifizierten Eingriffsschwelle in dem hier behandelten Sinne unterwerfen.99 b) Maßnahmenadressaten Die maßgebliche Abgrenzung der dieser Stufe angehörenden Maßnahmen zu jenen des klassischen Polizeirechts vollzieht sich anhand ihrer fehlenden Begrenzung auf einen bestimmten Adressatenkreis, welcher in ihm zurechenbarer Weise einen Eingriffsanlass gesetzt hat. Es handelt sich durchweg um entindividualisierte „Jedermannseingriffe“, die keinen Rückgriff auf die hergebrachte Störerdogmatik gestatten. Erst diese personale Unbegrenztheit der Mittel ermöglicht überhaupt deren Einsatz zur indirekten Verhaltensteuerung, in dessen Folge gerade ganz überwiegend Personen in den Wirkbereich der Maßnahme geraten, die mit der vorausgehenden konkreten Gefahr in keiner Beziehung stehen. Gerade aus dieser Streubreite resultieren die qualifizierten Anforderungen an die Eingriffsschwelle dieser Befugnisse. c) Rechtsfolgen Auch hinsichtlich ihrer Rechtsfolge weist diese Befugnisschicht weitere Besonderheiten auf. Da es bei den Maßnahmen an jeglichem individuellen Bezug fehlt, scheiden unmittelbare Abwehrbefugnisse von vornherein aus. Abwehrbefugnisse, welche die Maßnahmenadressaten zu einem auf die 99  Zu

dieser Einordnung siehe im Folgenden 4. Teil B. II. 5.



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 195

Unterbindung einer Gefahrenursache gerichteten Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichten, können begrifflich nur an einen individuell bestimmten Personenkreis gerichtet werden. Diese Maßnahmen zielen also zunächst nur auf die weitere Aufklärung einer bereits angenommenen Gefahr ab, um sie entweder einer individuellen Person zurechnen zu können, gegen welche anschließend Abwehrmaßnahmen der ersten Stufe gerichtet werden, oder zumindest den Kreis der Verdächtigen insofern einzugrenzen, dass im Anschluss der Einsatz von individualbezogenen Maßnahmen der zweiten Stufe möglich ist. Weiteres Maßnahmenziel neben der Gefahrenaufklärung ist bei den dieser Stufe zugehörenden Befugnissen ihr Einsatz als Mittel zur indirekten Verhaltenssteuerung, die nicht bloß ein Nebeneffekt ist.100 Insofern kann also auch für diese Eingriffsbefugnisse von einer zumindest mittelbaren Abwehrwirkung gesprochen werden. d) Abschließende Anmerkungen Die der dritten Maßnahmenstufe zugehörenden Befugnisse zeichnen sich sowohl auf Tatbestands- wie auf Rechtsfolgenseite durch eine außerordentliche Komplexität aus. Erst auf dem zweiten Blick erschließt sich die ihnen zukommende besondere Eingriffsintensität. In der praktischen Anwendung wird ihnen in der Rechtsfolgenvariante der indirekten Verhaltenssteuerung die größere Bedeutung zukommen. Fälle, in welchen etwa durch die Aufzeichnung einer Örtlichkeit oder dem Datenabgleich im Rahmen der Rasterfahndung eine sich anbahnende Bedrohung erkannt und noch verhindert wird, dürften die Ausnahme bilden. Die maßgebliche Präventionswirkung gewinnen die Maßnahmen durch den von ihnen ausgehenden Anpassungsdruck und die sich daraus ergebende Verhaltenssteuerung zur Vermeidung der Realisierung einer Gefahr. 4. Maßnahmen der vierten Stufe – die Aufklärung und der Ausschluss von Bedrohungspotenzialen zum Schutze eines gewichtigen Rechtsgutes Die vierte Maßnahmenstufe bildet das Herzstück des Vorfeldrechts. In ihr finden sich ganz überwiegend diejenigen Befugnisse, welche nach der bisherigen Vorfelddogmatik die Rechtfertigung einer bestimmten Annahme voraussetzen.101 In diesem Zusammenhang sind insbesondere die besonde100  Siehe 101  Dazu

dazu 3. Teil A. II. 1. schon ausführlich 3. Teil C. I. 1.

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

ren Mittel der Datenerhebung wie die längerfristige Observation oder der verdeckte Einsatz technischer Mittel, der verdeckter Ermittler oder von Vertrauenspersonen zu nennen.102 Für diesen Maßnahmenbereich ergeben sich aus der Zugrundelegung des Rechtsgüterschutzmodells die größten tatbestandlichen Umwälzungen. In der Sache handelt es sich in diesem Rahmen durchweg um solche Befugnisse, die in ihrem Tatbestand eine Eingriffsschwelle voraussetzen, welche einer individuell bestimmten Person bzw. einem bestimmten Personenkreis zugerechnet werden kann. Der Eingriffsanlass darf allerdings noch nicht das Stadium einer konkreten Gefahr erreicht haben. Hinsichtlich der Rechtsfolge handelt es sich wiederum ganz überwiegend um Aufklärungsbefugnisse, es finden sich teilweise jedoch auch Abwehr- bzw. Ausschlussbefugnisse. a) Eingriffsschwelle aa) Bestandserfassung Die dieser Maßnahmenstufe bisher zuzuordnenden Tatbestände setzen in der Regel voraus, dass aufgrund von Tatsachen oder tatsächlichen Anhaltspunkten die Annahme gerechtfertigt ist, dass eine bestimmte Person oder ein bestimmter Personenkreis in den meisten Fällen Straftaten von erheb­ licher Bedeutung begehen wird.103 Damit unterscheidet sich das nach diesen Normen vorausgesetzte Beeinträchtigungspotenzial von dem Schaden der konkreten Gefahr durch seine fehlende Verdichtung der erwarteten Straftaten nach Ort, Zeit und Begehungsweise.104 Die künftig eintretende Bedrohung wird sich daher zum Eingriffszeitpunkt nur schwer konkret fassen lassen. Es erscheint daher überhaupt fraglich, inwiefern bereits eine Zuordnung zu einem gesetzlichen Straftatbestand möglich ist, dessen künftige Erfüllung doch gerade prognostiziert werden soll. Hiermit potenziert sich die Problematik, als nach dem Bundesverfassungsgericht generell an der Schwelle der hinreichenden Wahrscheinlichkeit festzuhalten ist. Die schlicht geforderten, in der Zukunft zu begehenden Straftaten, die weder nach der Art und Weise ihrer Begehung noch in räumlicher oder zeitlicher Hinsicht 102  Die Polizeigesetze normieren für die genannten Eingriffsbefugnisse jedoch zwei Tatbestandsalternativen, vgl. § 16a Abs. 1 S. 1; § 17 Abs. 1 S. 1; § 19 Abs. 1 S. 1 und § 20 Abs. 1 PolG NRW. Die erste Variante setzt eine konkrete Gefahr voraus und ist danach der zweiten Maßnahmenstufe zuzuordnen, während vorliegend der jeweils zweite Fall betroffen ist. 103  Vgl. 3. Teil C. I. 1. 104  Trute, Die Verwaltung 2003, 501 (516); oben 3. Teil C. I. 1. a) aa) (2).



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 197

in der aktuellen Situation bestimmt werden können, lassen sich aufgrund der hohen Ambivalenz des gegenwärtigen Eingriffsanlasses nur begrenzt in eine im Rahmen der Ermittlung des Wahrscheinlichkeitsurteils vorzu­ nehmende Relation einstellen, da eine gerechte und konkrete Abwägung ihrerseits konkrete Entscheidungskriterien voraussetzt, die aber gerade in einem von „diffusen“ Verdachtsmomenten und kaum vorhersehbaren Schadensereignissen geprägten Entwicklungsstadium fehlen.105 De lege lata werden die die Rechtfertigung einer bestimmten Annahme voraussetzenden Vorfeldbefugnisse in aller Regel dem verfassungsrechtlichen Erfordernis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des prognostizierten Schadenseintritts nicht genügen.106 bb) Gesetzgeberische Umsetzung des Rechtsgüterschutzmodells (1) Die Schutzgüter Um den Polizeibehörden dieses Handlungsfeld in effektiver und zugleich verfassungsrechtlich zulässiger Weise zu eröffnen, ist diesen Eingriffsbefugnissen ein Perspektivwechsel von den erwarteten, aber eben in diesem Entwicklungsstadium noch nicht abgrenzbaren Beeinträchtigungspotenzialen in Gestalt der Straftaten von erheblicher Bedeutung hin zu gerade denjenigen Schutzgütern erforderlich, welche schon durch Maßnahmen jenseits der Entstehung einer konkreten Gefahr geschützt werden sollen.107 Wie bereits behandelt, ergibt sich ein diese Güter betreffender Legitimationsgrund im besonderen Maße aus den grundrechtlichen Schutzpflichten.108 Im Gegensatz zu den weniger bestimmbaren und überdies unüberschaubaren109, in der Zukunft liegenden Straftatbeständen können die von der zu treffenden Maßnahme erfassten Schutzgüter bereits zu einem so frühen Eingriffszeitpunkt benannt und ihnen ein konkret zukommendes Gewicht zugeschrieben werden.110 Dem Gesetzgeber kommt dabei abstrakt die Verpflichtung zu, vorab 105  Siehe

auch Möstl, Staatliche Garantie, S. 226; 3. Teil C. I. 1. a) cc) (2) (b). schon 3. Teil C. I. 1. a) cc) (3). 107  Vgl. auch §§ 184 Abs. 2; 185 Abs. 2 S. 1; 187 Abs. 1; 201 Abs. 2 S. 1 LVwG S-H. A. A. Weber, S. 145 f. 108  4. Teil A. II. 1. c), 2. a). 109  So verweist Koch, S. 62 darauf, dass rund 1 / 3 aller Straftatbestände des StGB von den entsprechenden Legaldefinitionen der Straftaten von erheblicher Bedeutung nach den Polizeigesetzen erfasst werden und die übrigen Tatbestände ohnehin überwiegend solche sind, denen bei der polizeilichen Arbeit nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. 110  Vgl. auch Roggan, in Roggan / Kutscha, S. 135. 106  So

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

festzulegen, welche Rechtsgüter derart gewichtig sind, dass zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Sicherheitsauftrags bereits ein der konkreten Gefahr vorgelagertes Schutzkonzept zu treffen ist.111 Da die Vorverlagerung der polizeilichen Eingriffsbefugnisse damit gerechtfertigt wird, dass die Polizei andernfalls den gewandelten Bedrohungspotenzialen nicht mehr effektiv begegnen könne, müssen gerade die von dieser Bedrohung betroffenen Rechtsgüter benannt werden. Entscheidend ist darüber hinaus die Irreparabilität eines andernfalls nicht mehr abwendbaren Schadens, da, soweit das hergebrachte Gefahrenabwehrrecht ein ausreichendes Schutzniveau bietet, eine Lösung von demselben nicht erforderlich und damit nicht zu rechtfertigen ist. Die Vorverlagerung kann demnach nur einen abgeschlossenen Kreis besonders gewichtiger Schutzgüter betreffen, zu denen die Individualgüter Leben, Freiheit und Unversehrtheit der Person sowie darüber hinaus als Grundlage der Staatlichkeit der Bestand des Bundes und der Länder zu zählen sind. Nur durch eine derart begrenzte und selektive Vorverlagerung ist es möglich, den verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen des Vorfeldrechts zu wahren,112 wobei in Abhängigkeit von der jeweiligen Eingriffsintensität der einzelnen Maßnahmen weitere Abstufungen denkbar sind. (2) Der Eingriffsanlass Die bisherigen Tatbestände fordern lediglich eine schlicht auf Tatsachen gestützte Prognose der Annahme. Durch die Bezugnahme dieses sehr weit gefassten Tatbestandsmerkmals auf das für sich genommen bereits wenig abgegrenzte, künftige Bedrohungspotenzial weist auch der tatsächliche Eingriffsanlass nur unzureichende Konturen auf, um im Rahmen der Abwägung zur Ermittlung des Prognoseurteils die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit rechtfertigen zu können. Allerdings ergibt sich bereits aus der im Rahmen des Rechtsgüterschutzmodells geforderten Begrenzung auf die Beeinträchtigung bestimmter Rechtsgüter auf dieser Maßnahmenstufe auch eine damit einhergehende Eingrenzung der der Maßnahmen vorausgehenden Tatsachengrundlage, als diese geeignet sein muss, gerade die Prognose einer eben diese Rechtsgüter betreffenden Bedrohung zu rechtfertigen. Der Eingriffsanlass reduziert sich damit bereits auf rechtsgutbezogene Tatsachen. Die Tatsachen müssen zumindest geeignet sein, die Annahme der Bedrohung dieser bestimmten Schutzgüter zu begründen. 111  Zur Verantwortung des Gesetzgebers in diesem Zusammenhang Trute, Die Verwaltung 2009, 85 (88 f.). 112  Schon Puschke / Singelnstein, NJW 2005, 3534 (3538) stellen mit zunehmenden Vorverlagerungen der Eingriffsbefugnisse proportional ansteigende Anforderungen an die Bestimmtheit der Tatbestandsmerkmale auf. Ähnlich auch Hoppe, S. 196 ff.



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Allerdings zeichnet sich auch ein derart verfasster Eingriffsanlass durch eine überaus große Mannigfaltigkeit aus, da er seine Bezugnahme in einem noch nicht konkret vorhersehbaren und abgrenzbaren Schadensbild findet, wodurch eine unbegrenzte Vielzahl von Sachverhaltsgestaltungen die Tauglichkeit eines Eingriffsanlasses aufweist. Der Reichweite der Vorverlagerung und der Distanz zum Schadenseintritt werden durch einen derartig abgefassten Tatbestand prinzipiell keine Grenzen gesetzt. Daher ist an dieser Stelle ein weiteres Korrektiv von Nöten, welches die vom Bundesverfassungsgericht schon mehrfach geforderten handlungsbegrenzenden Tatbestandsmerkmale enthält. Auch anhand des Eingriffsanlasses muss eine tatbestandliche Begrenzung auf diejenigen Sachverhalte und Bedrohungen erfolgen, welche zum effektiven Rechtsgüterschutz bereits ein Einschreiten im Vorfeld der konkreten Gefahr rechtfertigen.113 Der Gesetzgeber muss daher die Tatbestände abstrakt auf solche Sachlagen begrenzen, welchen mit den Mitteln des klassischen Polizeirechts nicht mehr begegnet werden kann. Sofern dieses Defizit nicht besteht, ist weiterhin ein optimaler Ausgleich von Sicherheit und Freiheit mittels des Gefahrenabwehrrechts gewährleistet, so dass eine Ausdehnung in deren Vorfeld verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist. Dem Gesetzgeber muss der Ausnahmecharakter dieser Vorverlagerung bewusst sein, nicht weil die konkrete Gefahr als solche verfassungsrechtlich für das Polizeirecht determiniert wäre, sondern weil sie in den überwiegenden Fällen weiterhin ein adäquates Mittel zum Ausgleich des Freiheitsschutzes mit der gebotenen Sicherheitsgewährleistung bietet.114 Der mögliche Einwand, dass eine tatbestandliche Einengung auf bestimmte, abstrakt vorgegebene Sachverhaltslagen dem das Polizeirecht prägenden Effektivitätsgebot entgegenläuft,115 überzeugt bei einer näheren Betrachtung nicht. Das Polizeirecht muss in der Lage sein, auf neue, vom Gesetzgeber nicht vorhergesehene Bedrohungslagen reagieren zu können. Auf einzelne Bedrohungen zugeschnittene Tatbestände gewähren diese Flexibilität nicht. Dieses Rechtsgebiet ist damit notwendig auf eine Generalklausel angewiesen. Diese notwendige Flexibilität wird ihm jedoch bereits durch die dem klassischen Gefahrenabwehrrecht zugehörenden Befugnisse der Maßnahmenstufe eins und zwei vermittelt, denen auch die polizeiliche Generalklausel angehört. Eine Lösung von dieser Dogmatik kann lediglich für besondere Fälle der Rechtsgutbedrohungen erfolgen, welche entsprechend den Standardbefugnissen für besondere Gefahrenlagen bzw. für besondere Mittel eine spezielle Normierung erfordern. 113  In diese Richtung auch Vollmar, S. 136 ff. mit seiner Forderung nach „Indiztatsachen“. 114  Zur weiterhin bestehenden erheblichen Bedeutung des traditionellen präventiv-polizeilichen Tätigkeitsbereich siehe Thiel, S. 13 f. 115  So Weber, S. 184 ff.

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Wie eine derartige Tatbestandsfassung de lege ferenda erfolgen kann, dokumentiert das Beispiel des § 23a Abs. 1 ZfdG, der vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligt wurde116 und auf den das Gericht auch in seiner Entscheidung zur präventiven Telefonüberwachung nach dem niedersächsischen SOG verwiesen hat.117 Zwar folgt § 23a Abs. 1 ZfdG in seiner dogmatischen Struktur der bisherigen Regelungspraxis zur Rechtfertigung einer bestimmten Annahme, allerdings findet sich in diesem Tatbestand bereits eine objektivierende und gegenwärtige Begrenzung, indem nicht schlicht die künftige Absicht bzw. der Wille zur Straftatbegehung, sondern die aktuelle Vorbereitung abschließend und überschaubar genannter Straftaten vorausgesetzt wird. Der Begriff der „Vorbereitung“ wird in dem folgenden Absatz 2 näher definiert und mittels Regelbeispiele typisiert. Diese Methode lässt sich auf die vorliegenden Befugnisse übertragen. Ausgehend von denjenigen Rechtsgütern, die schon durch Vorfeldmaßnahmen geschützt werden sollen, müssen in die Tatbestände Eingriffsanlässe aufgenommen werden, welche auf Sachverhalte hinweisen, in denen typischerweise durch ein Einschreiten erst bei Entstehung einer konkreten Gefahr der Schaden nicht mehr abgewandt werden kann. Mittels der so gefassten Tatbestände lassen sich derzeit noch bestehende Bestimmtheitsdefizite beseitigen und ausreichende Entscheidungskriterien vorgeben bzw. ermitteln, die die Annahme eines hinreichend wahrscheinlichen Prognoseurteils gestatten. In diese Richtung geht nunmehr auch § 34a Abs. 3 Nr. 2 Thü. PAG. Der Gesetzgeber konkretisiert an dieser Stelle mit Hilfe von mehreren Regelbeispielen die als Eingriffsanlass geforderten konkreten Planungs- und Vorbereitungshandlungen.118 b) Maßnahmenadressaten Mangels tatbestandlichem Erfordernis einer konkreten Gefahr kann an die Gefahrverantwortung des Störers nicht angeknüpft werden. Allerdings bietet diese Maßnahmenstufe eine substitutive, individualbezogene Eingriffsschwelle, indem sie eine bestimmte und begrenzte Tatsachengrundlage fordert, welche die Annahme der Bedrohung einzelner Rechtsgüter rechtfertigt. Auf dieser hinreichend differenzierten Basis bereitet es keine grundsätz­ lichen Schwierigkeiten, die entsprechende Rechtsgutbedrohung einer bestimmten Person oder zumindest einem bestimmten Personenkreis indivi­ duell zuzuordnen. So genannte Kontakt- und Begleitpersonen lassen sich 116  BVerfG, Beschl. v. 14.2.2007 – 1 BvR 2721 / 05, BeckRS 2007, 22766 – Vorgängerentscheidung: BVerfGE 110, 33 ff. [zu §§ 39 ff. AWG]. 117  BVerfGE 113, 348 (378). 118  Siehe dazu Drs.-LT Thü. 4 / 2941 S. 39; Weber, S. 144 f.



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 201

ebenfalls auf dieser Basis in verfassungsrechtlich zulässiger Weise von den Tatbeständen erfassen, sofern auch die zwischen ihnen und den Maßnah­ men­adressaten erster Ordnung bestehende Verbindung durch bestimmte und begrenzte Vorraussetzungen, in denen sich gerade das spezifische Bedürfnis nach ihrer Inanspruchnahme wiederfindet, abstrakt definiert wird. Soweit es insbesondere im Rahmen von Datenerhebungsmaßnahmen unvermeidlich ist, Dritte in den Wirkbereich dieser Befugnisse mit einzubeziehen, wirft dies keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen auf. c) Rechtsfolgen Eingriffsermächtigungen der Maßnahmenstufe vier berechtigen die Polizei sowohl zu Aufklärungshandlungen, als auch zu solchen Maßnahmen, die ein unmittelbares Eingreifen in einen angesetzten Kausalverlauf gestatten. Terminologisch bietet es sich aufgrund der Distanz zu dem künftigen Schadenseintritt an, letztere Maßnahmen als Ausschlussbefugnisse zu bezeichnen, da der Begriff der Abwehr seinen Bezugspunkt in einer bereits bestehenden konkreten Gefahr findet, um deren Realisierung zu verhindern. Im vorliegenden Zusammenhang soll allerdings bereits das Entstehen dieser Gefahr selbst ausgeschlossen werden. Die insbesondere zeitliche Distanz zum Schadenseintritt bewirkt weiterhin, dass entsprechende Ausschlussbefugnisse mangels eines Bedürfnisses eher die Ausnahme darstellen. Ein Beispiel aus der gegenwärtigen Regelungspraxis bildet das präventive Aufenthaltsverbot.119 Schon der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird es in aller Regel gebieten, soweit ein ausreichendes Zeitfenster besteht, zunächst die Bedrohungslage aufzuklären, um bei Bevorstehen ihrer Realisierung ein effektives Einschreiten zu ermöglichen. Lediglich dann, wenn ein Einschreiten zum Zeitpunkt der Gefahrentstehung aufgrund der Art der Bedrohung oder des bedrohten Schutzgutes keine erfolgreiche oder zumindest effektive Abwehraussicht verspricht, kann bereits im Vorfeld der Gefahr ein Ausschluss der Gefahrentstehung selbst gerechtfertigt werden. Besonderes Gewicht kommt hierbei den geschützten Rechtsgütern zu. Der direkte Eingriff in Kausalverläufe im Vorfeld der konkreten Gefahr wird danach die Ausnahme bleiben, auch wenn dies keine notwendige Eigenschaft des Vorfeldrechts ist. Die in diesem Entwicklungsstadium der Rechtsgutbedrohung noch vorhandene Distanz zum Schadenseintritt ist darüber hinaus zugleich die dogmatische Begründung, weshalb sowohl Aufklärungs- als auch Ausschlussbefugnisse einer gemeinsamen Maßnahmenstufe zugeordnet werden können 119  Z. B.

§ 34 Abs. 2 PolG NRW.

202

4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

und keine parallele Differenzierung entsprechend dem klassischen Gefahrenabwehrrecht in den ersten beiden Stufen vorgenommen werden muss. Die dortige Aufspaltung beruhte auf der Notwendigkeit, die für die konkrete Gefahr im Rahmen der Gefahrenabwehr i. e. S. geforderte Restriktion in zeitlicher Hinsicht durch das Erfordernis der letzten Abwehrchance zur Ermöglichung einer vorausgehenden Gefahraufklärung zu limitieren. Dieses Erfordernis besteht im vorliegenden Zusammenhang gerade nicht, so dass kein Bedarf für eine tatbestandliche Differenzierung beider Maßnahmen­ ziele besteht. d) Abschließende Anmerkungen Wie bereits zu Beginn der Beschreibung dieser Maßnahmenstufe eingeleitet, bildet sie das „Herzstück des Vorfeldrechts“. Ihr gehören diejenigen Befugnisse an, welche sich von der Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr und der individuellen Verantwortlichkeit des Störers gelöst haben und an diesen Schwellen jeweils vorgelagerten Eingriffsvoraussetzungen anknüpfen. In den bisherigen Polizeigesetzen legt der Gesetzgeber diesen Eingriffsermächtigungen die Rechtfertigung der tatsachengestützten Annahme der künftigen Straftatbegehung zugrunde120 und beschränkt den Eingriff primär auf die potenziellen Straftäter und deren Kontakt- und Begleitpersonen.121 Eine diesem Modell folgende Regelung lag auch dem vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten § 33a Abs. 1 Nr. 2 und 3 Nds. SOG (a. F.) zur präventiven Telefonüberwachung122 zugrunde. Diese Regelungsmodelle konnten jedoch, wie schon an den angegebenen Untersuchungsstandorten gezeigt, einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen dem grundrecht­ lichen Freiheitsanspruch auf der einen und dem verfassungsrechtlichen Sicherungsauftrag auf der anderen Seite nicht herstellen. Die unzureichende Bestimmtheit und Begrenztheit ihrer Tatbestände begründen ein strukturelles Defizit, welches einem ausgewogenen Ausgleich in der konkreten Fallanwendung entgegensteht.123 Dieses Defizit sucht die hier vorgestellte Maßnahmenstufe dadurch zu bewältigen, als sie sich in ihrer Perspektive von dem angenommenen Bedrohungspotenzial mangels ausreichender Konturiertheit löst und sich stattdessen auf das betroffene Schutzgut fokussiert. Damit gewinnt die Maßnahme einen abgegrenzten Ausgangspunkt in dem schadensstiftenden Entwicklungsverlauf. Von diesem Schutzgut ausgehend können anschließend diejenigen Beeinträchtigungspotenziale, die aufgrund 120  Dazu

schon ausführlich 3. Teil C. I. 1. zur personalen Inanspruchnahme 3. Teil C. II. 2. 122  BVerfGE 113, 348 ff. 123  Dazu insbesondere schon 3. Teil C. I. 1. a) cc) (2). 121  Siehe



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 203

ihrer besonderen Gefährlichkeit ein Zuwarten bis zur Annahme einer konkreten Gefahr nicht gestatten, gesetzlich typisiert werden. In der Konsequenz setzen die Tatbestände damit auf Seiten der Sicherheitsinteressen ein konkret benanntes und umrissenes Schutzgut sowie die im Einzelfall getroffene Feststellung eines vom Gesetzgeber definierten Bedrohungspotenzials voraus, welches gerade schon im Vorfeld der Gefahrentstehung ein polizeiliches Eingreifen verlangt. Durch die Begrenzung auf diese Bedrohungen sind über das erforderliche Maß hinausgehende Freiheitsverkürzungen zur Erfüllung des Sicherheitsauftrags ausgeschlossen, wodurch zugleich der grundrechtliche Freiheitsanspruch in den Eingriffsgrundlagen ausreichend Berücksichtigung findet. Diese Strukturelemente bewirken indes keineswegs notwendig eine Zurückdrängung der polizeilichen Vorfeldaktivität. Eine Vorverlagerung gegenüber der bisher diesen Ausgleich bringenden konkreten Gefahr ist zulässig und erforderlich, soweit diese Schwelle angesichts neuer Bedrohungslagen zur Sicherheitsgewährleistung versagt. In diesen Fällen gewährt sie gerade nicht mehr den besagten Ausgleich der widerstreitenden Positionen. Die Kehrseite der Vorverlagerung ist jedoch, dass sich der Gesetzgeber auf die Bedrohungslagen beschränken muss, denen die klassische Gefahrenabwehr nicht mehr effektiv begegnen kann. Erst dadurch gewinnen diese Befugnisse auch das erforderliche Maß an Bestimmtheit. Dem Gesetzgeber muss bewusst werden, dass die Schwelle der konkreten Gefahr keineswegs ausgedient hat. In der überwiegenden Zahl der Fälle bietet sie weiterhin ein ausreichendes Schutzniveau.124 Nur soweit dies nicht der Fall ist, muss ein neuer Ausgleich zwischen den Aufgabenstellungen gefunden werden. Der Gesetzgeber ist damit in seiner ureigensten Aufgabe der Rechtsgestaltung gefordert, um Verwaltung und Gerichten einen anwendbaren Handlungsrahmen vorzugeben. 5. Maßnahmen der fünften Stufe – die Aufklärung entindividualisierter Bedrohungspotenziale Auch jenseits der konkreten Gefahr kann der Gesetzgeber Aufklärungsbefugnisse vorsehen, deren Eingriffsanlässe auf eine individuelle Zurechnung verzichten. Dabei ist insbesondere an die automatisierte Kennzeichenerfassung zu denken, welche von Verfassungs wegen nicht notwendig eine konkrete Gefahr voraussetzen muss.125 Diese Maßnahmen verfügen zwar ebenso wie jene der dritten Stufe über eine gewisse Streubreite, zeichnen sich 124  Hoffmann-Riem, ZRP 2002, 497 (499) bezeichnet das an die konkrete Gefahr anknüpfende Polizeirecht als „Prototypen“ des rechtsstaatlichen Schutzrechts. 125  Vgl. 3. Teil C. I. 3. b) cc) sowie auch schon 4. Teil B. II. 3. a) dd).

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

aber gegenüber diesen durch das Fehlen einer von ihnen ausgehenden Eignung zur indirekten Verhaltenssteuerung aus. Den Befugnissen kommt damit eine geringere Eingriffsintensität zu. Die fehlende Eignung zur Verhaltenssteuerung findet ihre Ursache darin, dass die hier eingesetzten Mittel entweder einen nur gering grundrechtsrelevanten Raum betreffen126 oder die Maßnahmen auf den Einsatz eines distanzüberschreitenden oder „täuschenden“ Mittels, dessen Arbeits- und Wirkungsweise für den Betroffen unüberschaubar ist, verzichten.127 Ziel dieser Maßnahmen ist durchweg die Individualisierung einer Person. a) Eingriffsschwelle Die Tatbestände dieser Befugnisse verlangen durchweg einen der konkreten Gefahr vorausgehenden Eingriffsanlass. Auf die Besonderheiten der automatisierten Kennzeichenerfassung wurde bereits oben im Rahmen der dritten Maßnahmenstufe eingegangen,128 so dass eine diese betreffende besondere Behandlung hier nicht mehr erfolgen muss. Weitere bereits heute normierte Befugnisse dieser Art stellen die Ermächtigungen zur Identitätsfeststellung an (übergreifend formuliert) gefährlichen bzw. gefährdeten Orten dar. Im Hinblick auf die Abfassung dieser Tatbestände kann grundsätzlich auf die Ausführungen zu der vorherigen Maßnahmenstufe verwiesen werden. Der maßgebliche dogmatische Unterschied zwischen diesen Stufen beruht auf der Bezugnahme auf eine bestimmte Örtlichkeit bzw. eine abgegrenzte Situation129 gegenüber der personalen Zuordnung eines individuellen Eingriffsanlasses. Inhaltlich steht dies aber bei entsprechender Modifikation der Tatbestände einer Anwendung der Grundsätze des Rechtsgüterschutzmodells nicht entgegen. Die Örtlichkeiten müssen aber hinreichend bestimmt umschrieben sein, um einen Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Lokalität, von welcher gesteigerte Risiken der Rechtsgutgefährdungen oder -verletzungen ausgehen,130 bieten zu können. Der Eingriffsanlass muss ebenso aufgrund der Bezugnahme zu konkreten Entscheidungskriterien die Annahme eines hinreichenden Wahrscheinlichkeitsurteils ermöglichen. An 126  Siehe dazu schon die Ausführungen zur automatisierten Kennzeichenerfassung und zur Schleierfahndung, 3. Teil A. II. 1. b) aa), bb). 127  Insofern kann beispielsweise auf die Befugnis zur Identitätsfeststellung an sog. gefährlichen Orten (etwa § 12 Abs. 1 Nr. 2 lit. a PolG NRW) verwiesen werden. 128  4. Teil B. II. 3. a) dd). Beachte aber die dort gemachten Ausführungen zu den erforderlichen Restriktionen der Maßnahme, sofern sie zu einem außerhalb des Straßenverkehrs stehenden Ereignisses in Beziehung steht. 129  Siehe hierzu bereits die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 120, 378 (431). 130  So BVerfGE 120, 378 (431).



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 205

dieser Stelle ist jedoch die Relativität des Prognoseurteils, für dessen Ermittlung auch in diesem Zusammenhang keine Besonderheiten gelten, in Erinnerung zu rufen. Durch die Begrenzung auf einen nur durch eine geringe Grundrechtsrelevanz gekennzeichneten Einsatzraum bzw. durch den Verzicht des Einsatzes distanzüberschreitender oder „täuschender“ Techniken weisen die dieser Maßnahmenstufe zugehörenden Eingriffsbefugnisse nur eine vergleichsweise geringe Eingriffsintensität auf, wodurch sich umgekehrt die Anforderungen an das Gewicht des betroffenen Schutzgutes sowie an die Tatsachenbasis entsprechend reduzieren. Vor diesem Hintergrund werfen die derzeitigen Ermächtigungen zur Identitätsfeststellung keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken auf, zumal auch die Rechtsfolge der bloß individuell erfolgenden Identitätsfeststellung nur mit äußerst geringen grundrechtlichen Beeinträchtigungen verbunden ist, so dass kein Rechtsgut ersichtlich wäre, dessen Schutz ihr gegenüber außer Verhältnis stünde. Durch einen tatbestandlichen Perspektivwechsel auf diese Schutzgüter wäre damit verfassungsrechtlich und dogmatisch kein Mehrgewinn verbunden, so dass der Anknüpfung an die zukünftige Begehung von Straftaten keine Bedenken entgegenstehen. Als Tatsachenbasis setzen die derzeitigen Tatbestände für die Identitätsfeststellung an einem „gefähr­ lichen“ Ort lediglich eine auf Tatsachen gestützte Annahme voraus. In ähnlicher Weise folgen die Ermächtigungen an den „gefährdeten“ Orten, wobei oftmals bestimmte Objekte konkret genannt werden.131 Da die Maßnahmen ihren Bezugspunkt gerade in der in Frage stehenden Örtlichkeit finden, müssen sich die dem Prognoseurteil zugrunde liegenden Tatsachen gerade aus deren konkreten Beschaffenheit ergeben. Eine darüber hinausgehende Konkretisierung der Tatsachenbasis von Seiten des Gesetzgebers ist von Verfassungs wegen und auch dogmatisch angesichts des geringen Eingriffsgewichts nicht erforderlich. Die Eingriffsschwelle der Rechtfertigung einer bestimmten Annahme kann demnach für die vorliegende Maßnahmenstufe beibehalten werden. b) Maßnahmenadressaten Aus dem Ortsbezug resultiert eine diesen Maßnahmen prinzipiell zukommende Streuwirkung, da notwendig auf eine individuelle Verantwortlichkeit bzw. Zurechnung des Eingriffsanlasses verzichtet werden muss. Diese Streuwirkung bewirkt jedoch keine relevante Verhaltenssteuerung, da entweder von vornherein aus tatsächlichen Gründen kein Raum zur Freiheitsausübung besteht oder das Mittel, wie im Fall der Identitätsfeststellung, nur manuell zum Einsatz gelangt. An sich erfüllt zwar jede an der Örtlichkeit 131  Beispielsweise

in § 12 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW.

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

anwesende Person die Eingriffsvoraussetzungen, dadurch wird allerdings die Schwelle zur Annahme eines Grundrechtseingriffs noch nicht genommen.132 Es muss zunächst eine Konzentration auf eine bestimmte Person erfolgen. Bei dieser Auswahl handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die demzufolge keine Ermessensfehler aufweisen darf. Ebenso ist die automatisierte Kennzeichenerfassung zu beurteilen. Nur soweit im Rahmen des Abgleichs ein so genannter Trefferfall, also eine individuelle Erfassung, erfolgt, kann der Maßnahme eine Eingriffsqualität attestiert werden.133 c) Rechtsfolgen Auf dieser Maßnahmenstufe sind lediglich Aufklärungsbefugnisse statthaft. Bereits das Vorliegen einer konkreten, aber entindividualisierten Gefahr konnte keine unmittelbar in bereits angesetzte Kausalverläufe eingreifenden Maßnahmen rechtfertigen. Aufgrund der in den Fällen der vorliegenden Art darüber hinausgehenden zeitlichen Distanz zur Schadensrealisierung gilt hier nichts anderes. Daneben scheidet in diesem Stadium auch der Rückgriff auf eine indirekte Verhaltenssteuerung aus. Diese kann aufgrund der mit ihr verbundenen Eingriffsintensität lediglich bei Vorliegen einer konkreten ­Gefahr ergriffen werden. Mithin verbleiben lediglich Maßnahmen der Datenerhebung bzw. des Datenabgleichs. Ziel ist die Individualisierung einer bestimmten Person, sei es im Rahmen einer klassischen Identitätsfeststellung oder mittels der mit deren Wirkungsweise grundsätzlich übereinstimmenden automatisierten Kennzeichenerfassung. d) Abschließende Anmerkungen Die bisher gängige Eingriffsschwelle im Vorfeld der konkreten Gefahr, wonach Tatsachen eine bestimmte Annahme rechtfertigen müssen, hat damit nicht vollends ausgedient. Maßnahmen, welche ihren Bezugspunkt an einer konkreten Örtlichkeit finden und darüber hinaus nur eine äußerst geringe Eingriffsintensität aufweisen, können weiterhin an diese Schwelle anknüpfen. Letztlich erfüllen allerdings bloß Maßnahmen der manuellen Identitätsfeststellung sowie technische Einsatzmittel im Rahmen eines nicht grundrechtsrelevanten Raumes diese Voraussetzungen.

132  Die bloße Anwesenheit und Beobachtung entsprechen in ihrer Wirkung dem polizeilichen Streifgang. 133  BVerfGE 120, 378 (399 f.).



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 207

6. Maßnahmen der sechsten Stufe – Prognoseunabhängige Aufklärungsbefugnisse Auf der letzten Maßnahmenstufe finden sich Eingriffsermächtigungen eines gänzlich anderen Typs. Anders als bei den bisherigen Befugnissen wird hier auf einen Eingriffsanlass und damit auf ein Prognoseurteil vollends verzichtet. Der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit solcher Befugnisse sind naturgemäß enge Grenzen gesetzt.134 In der Sache fällt von den derzeit normierten Maßnahmen jedoch lediglich die Schleierfahndung unter diese Stufe.135 Ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit und ihre dogmatische Struktur wurden bereits oben eingehend behandelt, so dass an dieser Stelle insgesamt auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen werden kann.136

III. Zu den Fallbeispielen Nach der abstrakten Beschreibung der Stufenfolge des Rechtsgüterschutzmodells soll eine abschließende Behandlung der zu Beginn der Arbeit eingeführten Fallbeispiele erfolgen. Dabei soll jeweils zunächst kurz auf die bereits oben dargestellten Defizite der hergebrachten Polizeirechtsdogmatik Bezug genommen werden,137 während anschließend deren Betrachtung anhand der gegenwärtigen Vorfelddogmatik und des Rechtsgüterschutzmodells vorgenommen wird. 1. „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“ Im Ausgangsfall „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“ beabsichtigt die Polizei den Einsatz der Überwachungstechnik zur Bekämpfung der signifikant erhöhten Straftatbegehung im Innenstadtbereich, der sich als Treffpunkt der lokalen Drogenszene etabliert hat und wo nach Erkenntnissen der Polizei gemeinschaftliche Diebstahlsgelegenheiten und Absatzmöglichkeiten für gestohlene Waren und Drogenverkäufe organisiert werden. Mangels ausrei134  Sie sind jedoch verfassungsrechtlich nicht grundsätzlich ausgeschlossen, vgl. BVerfGE 125, 260 (316). 135  Zwar erfolgt auch die Vorratsdatenspeicherung anlasslos, die Speicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten wird jedoch von dem jeweiligen Dienstanbieter vorgenommen. Der Abruf dieser Daten durch die Polizei setzt von Verfassungs wegen eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder eine gemeine Gefahr voraus und ist damit der zweiten Maßnahmenstufe zuzuordnen, vgl. BVerfGE 125, 260 (330 f.). Siehe auch Art. 34d Abs. 1 Bay. PAG. 136  3. Teil C. I. 2. 137  Vgl. schon 2. Teil D.

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

chendem Konkretisierungsgrad des Beeinträchtigungspotenzials konnte vorliegend die Annahme einer konkreten Gefahr nicht gerechtfertigt werden. Überdies ist die hergebrachte Polizeirechtsdogmatik auf eine individuelle Zurechnung der auf ihrer Grundlage vorgenommenen Eingriffe angewiesen. Der offene Einsatz der Videoüberwachung im innerstädtischen Bereich verfügt demgegenüber über keine personale Begrenzung. Die Polizei kann diese Maßnahme daher nicht auf der Grundlage des klassischen Polizeirechts durchführen.138 Eine Eingriffsermächtigung zur Bekämpfung des Bedrohungspotenzials mittels der beabsichtigten Videoüberwachung könnte die Polizei jedoch im Vorfeldrecht finden. Nach § 15a Abs. 1 PolG NRW kann sie einzelne öffentlich zugängliche Orte, an denen wiederholt Straftaten begangen wurden und deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt, zur Verhütung von Straftaten mittels Bildübertragung beobachten und die übertragenen Bilder aufzeichnen, solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an diesem Ort weitere Straftaten begangen werden. Die geforderten Voraussetzungen scheinen im vorliegenden Fall zunächst gegeben zu sein. Es ist davon auszugehen, dass die Kriminalitätsrate in dem besagten Bereich von W auch in Zukunft eine Überproportionalität aufweist. Die Tatbegünstigung der Örtlichkeit lässt sich mit dem hohen Besucheraufkommen im Innenstadtbereich annehmen, welches potenziellen Delinquenten zum einen günstige Tatgelegenheiten sowie das anschließende „Untertauchen“ in der anonymen Masse gestattet.139 Problematisch ist indes, inwiefern dieser Tatbestand sowie der vorliegende Sachverhalt die auch im Gefahrenvorfeld von Verfassungs wegen verlangte hinreichende Wahrscheinlichkeit der geforderten Annahme140 rechtfertigen kann. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit wird nicht als eine mathematische Größe, sondern als eine Relation der entgegenstehenden Interessen wie des erwarteten Schadensausmaßes, der Eingriffsintensität und der Erfolgsaussicht des beabsichtigten Abwehrmittels sowie der Art und Beschaffenheit der den Eingriffsanlass bildenden Tatsachen verstanden. Zur Begrenzung der Vorverlagerung ist dabei die Forderung aufzustellen, dass lediglich durch ein Einschreiten zum gegenwärtigen Entwicklungszeitpunkt die Möglichkeit einer späteren effektiven Abwehrmaßnahme geschaffen werden kann.141 Andernfalls kann ein entsprechendes Eingriffsbedürfnis nicht angenommen werden. Die Ausgewogenheit der Relation ist dabei auf die konkrete Bestimmung der Abwägungskomponenten im Einzelfall ange138  Soweit

bereits 2. Teil D. I. Kritik an dieser Tatbestandsweite bereits 3. Teil C. I. 1. c) bb) (2). 140  Siehe 3. Teil C. I. 1. a) cc) (1). 141  Vgl. 3. Teil C. I. 1. a) cc) (2) (c). 139  Zur



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 209

wiesen. Die sowohl tatbestandlich als auch im Sachverhalt erfolgte schlichte Bezugnahme auf die künftigen Begehungen von Straftaten, welche weder nach Ort, Zeit oder Art der Begehungsweise noch nach dem jeweiligen Straftäter oder dem betroffenen Schutzgut bestimmt sind, steht der Annahme der hinreichenden Wahrscheinlichkeit schon strukturell entgegen.142 Unter Anwendung dieser von Verfassungs wegen bestehenden Grundsätze kann daher auch das Vorfeldrecht in seiner gegenwärtigen Dogmatik den im vorliegenden Fall beabsichtigten Einsatz nicht rechtfertigen. Kein anderes Ergebnis begründet auch das Rechtsgüterschutzmodell. Aufgrund der besonderen Eingriffsintensität der präventiv-polizeilichen Videoüberwachung, die sich maßgeblich auf die von ihr ausgehende indirekte Verhaltenssteuerung zurückführen lässt,143 ist diese Maßnahme der dritten Stufe zuzuordnen. Sie darf daher erst bei Vorliegen einer entindividualisierten Gefahr ergriffen werden,144 welcher die unzureichende Bestimmung des Beeinträchtigungspotenzials entgegensteht. In der Fallabwandlung betrifft der Einsatz der Videoüberwachung demgegenüber ein enger begrenztes Beeinträchtigungspotenzial, als aufgrund der Identitätsfeststellungen Angehörige einer auf Juweliergeschäfte „spezialisierten“ Blitzeinbrecherbande, die auch auf Menschenleben keine Rücksicht nimmt, ermittelt wurden und die Polizei entsprechende Straftaten erwartet. Trotz dieses im Vergleich zum Ausgangsfall erhöhten Konkretisierungsgrads konnte auch in dieser Konstellation die beabsichtigte Maßnahme nicht auf die klassische Polizeirechtsdogmatik gestützt werden, da es zum einen im Rahmen der Annahme der konkreten Gefahr an der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts in Gestalt der letzten Abwehrchance fehlt sowie sich die Videoüberwachung nicht auf einen individuellen Personenkreis beschränken lässt.145 Inwiefern sich diese Maßnahme allerdings auf die gesetzlichen Vorfeldtatbestände stützen kann, erscheint wiederum fraglich. Der Tatbestand des § 15a PolG NRW setzt einzelne öffentlich zugängliche Orte voraus, an denen wiederholt Straftaten begangen wurden und deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt sowie die tatsachengestützte Rechtfertigung der Annahme, dass an diesem Ort weitere Straftaten begangen werden. In der Fallabwandlung kann sich die Polizei zwar aufgrund der ermittelten Bandenmitglieder auf eine fundierte Tatsachengrundlage für die Annahme der künftigen Straftatbegehung stützen, die Örtlichkeit weist hier jedoch, anders als im Ausgangsfall, keine im Vergleich erhöhte Kriminalitätsrate auf. Bezogen 142  Vgl.

3. Teil C. I. 1. c) bb) (2). 3. Teil A. II. 1. a). 144  Siehe 3. Teil C. I. 3. b) bb). 145  Vgl. 2. Teil D. I. 143  Dazu

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

auf die in diesem Fall erwarteten Straftaten kann auch nicht von einer besonderen Tatbegünstigung durch die Beschaffenheit der konkreten Örtlichkeit ausgegangen werden. Die Innenstadt von W kann danach nicht als eine Örtlichkeit im Sinne der Norm qualifiziert werden, so dass auch in diesem Fall der Einsatz der Videoüberwachung ausscheiden würde. In diesem Beispiel bewährt sich die Konzeption des Rechtsgüterschutzmodells. Die Videoüberwachung ist als entindividualisierte Maßnahme zu qualifizieren, der wegen der mit ihr verbundenen indirekten Verhaltenssteuerung eine besondere Eingriffsintensität zukommt. Sie ist daher auf der dritten Maßnahmenstufe anzusiedeln. Die fehlende Individualisierbarkeit des Mittels steht daher seinem Einsatz, anders als auf der Ebene des klassischen Gefahrenabwehrrechts, nicht entgegen. Der Tatbestand der Befugnis muss jedoch eine entindividualisierte Gefahr voraussetzen. Die entindividualisierte Gefahr stimmt in ihrer Struktur mit dem hergebrachten Gefahrenurteil überein, verzichtet allerdings zum einen auf eine personenbezogene Zuordnung ihres Schadenspotenzials und modifiziert dessen zeitliche Nähebeziehung insofern, als nur durch eine Aufklärungsmaßnahme zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Grundlagen einer anschließenden, effektiven Gefahrenabwehr geschaffen werden können. Im Rahmen der Prognoserelation werden die personalen Erkenntnisdefizite durch das qualifizierte Gewicht der konkret betroffenen Rechtsgüter kompensiert. Danach ist etwa eine Gefahr für den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes sowie für Leib, Leben oder Freiheit einer Person zu fordern. Durch die Betroffenheit dieser Rechtsgüter wird zum einen die Hürde zur Annahme einer hinreichenden Schadenswahrscheinlichkeit abgesenkt sowie zugleich qualifizierte Anforderungen an die Aussagekraft der vorausgehenden Tatsachengrundlage gestellt, welche gerade den Schluss auf ein entsprechendes Schadensereignis zulassen muss.146 Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann in der Abwandlung des Beispielsfalls eine konkrete Gefahr i. d. S. angenommen werden. Die der Gefahr im klassischen Sinne entgegenstehenden Defizite in zeitlicher und personeller Hinsicht können an dieser Stelle überwunden werden. Der erwartete Schaden erstreckt sich mit der Bedrohung des menschlichen Lebens auf ein außerordentlich gewichtiges Schutzgut. Die Annahme dieses Schadenspotenzials kann sich mit der Ermittlung der Angehörigen der einschlägigen Blitzeinbrecherbande auf eine gesicherte Erkenntnisgrundlage stützen. Auf dieser Grundlage lässt sich schließlich auch die fehlende Konkretisierung des Schadens auf exakt individuell bestimmte Rechtsgutträger überwinden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt sich zwar weder voraussagen, welcher Juwelier, geschweige denn welche Personen in ihrem Leben durch 146  Siehe

dazu ausführlich 3. Teil C. I. 3. a) cc).



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 211

die Bedrohung betroffen sind, allerdings kann die zumindest gattungsmäßig erfasste Bedrohung auf einen engen lokalen Bereich begrenzt werden. Dabei ist es letztlich aus der Perspektive des Schutzauftrages gleichgültig, wessen Leben konkret durch die Maßnahme geschützt wird. Das Rechtsgüterschutzmodell hat sich damit in dem ersten Fallbeispiel „Die Innenstadt im polizeilichen Visier“ bewährt. Werden die beiden Fallkonstellationen dieses Beispiels aus einem distanzierten Blickwinkel heraus betrachtet, so wird man sich der Erkenntnis nicht verschließen können, dass die Rechtsordnung in der Fallabwandlung der Polizei eine effektive Handhabe zur Verfügung stellen muss, um die sich abzeichnende Bedrohung bewältigen zu können. Dabei ist es überzeugend, den Ausgangspunkt der Videoüberwachung nicht in der Beschaffenheit der Örtlichkeit ihres Einsatzes, sondern bei den betroffenen Rechtsgütern fest zu machen. Auch die fehlende Legitimation des Einsatzes im Ausgangsfall kann auf dieser Basis sachlich begründet werden. In dieser Fallkonstellation kann ausschließlich eine abstrakte Bedrohung durch nicht näher spezifizierte Straftaten ausgemacht werden. Der in dieser Situation erstrebte Einsatz der Videoüberwachung der Polizei kommt dabei „einem Stochern im Dunkeln“ gleich, um dadurch überhaupt erst konkrete Verdachtsmomente zu gewinnen bzw. durch Abschreckung und Verunsicherung mögliche Bedrohungspotenziale auszuschließen. Das Rechtsgüterschutzmodell verwehrt der Polizei eine solche Einsatzstrategie und beschränkt sie in dieser Fallkonstellationen auf ein nicht eingreifendes Einsatzverhalten. 2. „Die Sauerlandgruppe II“ In dem Fallbeispiel „Die Sauerlandgruppe II“ beabsichtigt die Polizei aufgrund der vorliegenden Verdachtsmomente wie dem Auslandsaufenthalt im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet sowie deren Antreffen vor der US Air Base in Ramstein die Durchführung einer Telefonüberwachung bei den Betroffenen. Das klassische Gefahrenabwehrrecht bot diesem Einsatz keine ausreichende Grundlage, da die Verdachtsmomente nicht die begründete Annahme eines zeitlich unmittelbar bevorstehenden, konkreten Schadens rechtfertigten.147 Eine Ermächtigung zur Durchführung dieser Maßnahme könnte demnach lediglich dem Vorfeldrecht entnommen werden. § 33a Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG (a. F.) gestattete die präventive Telefonüberwachung über Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden, wenn die Vorsorge für die Verfol147  Vgl.

schon 2. Teil D. II.

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4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

gung oder die Verhütung dieser Straftaten auf andere Weise nicht möglich erscheint. Die Norm folgte damit dem derzeit am meisten verbreiteten Regelungsmodell im Vorfeldrecht.148 Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Regelung jedoch in seinem Urteil vom 27. Juli 2005 insbesondere wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für verfassungswidrig.149 Die Tatbestandsstruktur dieser Norm ist aufgrund ihrer unzureichenden Konturen nicht geeignet, einen angemessenen Ausgleich zwischen Sicherheits- und Freiheitsinteressen zu gewährleisten.150 Die im Folgenden erlassenen gesetzlichen Regelungen setzen demgegenüber etwa eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person voraus.151 Als Gefahraufklärungsmaßnahmen sind diese Befugnisse nach dem Rechtsgüterschutzmodell zwar der zweiten Maßnahmenstufe zuzuordnen. Das geforderte Gefahrenurteil wird an dieser Stelle insofern modifiziert, als auf die zeitliche Nähe des Schadenseintritts i. S. d. letzten Abwehrchance verzichtet und stattdessen lediglich verlangt wird, dass eine effektive Gefahrenabwehr ohne gegenwärtige Ermittlungsmaßnahmen nicht mehr gewährleistet werden kann. Neben der zeitlichen Distanz des Schadenseintritts weist dieser jedoch auch einen für das Gefahrenurteil unzureichenden Konkretisierungsgrad auf. Der Schaden kann weder nach dem von ihm betroffenen Rechtsgut, noch nach Art und Weise seiner Begehungsform bestimmt werden. Hierin unterscheidet sich das Fallbeispiel im Übrigen von der Abwandlung des ersten Falles. Das gegenwärtige Polizeirecht stellt der Polizei daher auch in dieser Fallkonstellation keine geeignete Rechtsgrundlage zur Verfügung. Eine Lösung bietet demgegenüber die vierte Maßnahmenstufe des Rechtsgüterschutzmodells. Da sich das Bedrohungspotenzial noch nicht näher erfassen lässt wird an dessen Stelle an das Schutzgut des menschlichen Lebens der Angehörigen des Luftwaffenstützpunktes angeknüpft. Die Hochwertigkeit des qualifizierten Schutzguts reduziert zunächst die Schwelle zur Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Auf der anderen Seite stellt der Tatbestand auf dieser Stufe auch an den Eingriffsanlass qualifizierte Anforderungen. Zunächst muss der Eingriffsanlass einen Rechtsgutbezug aufweisen, 148  Vgl.

3. Teil C I. 1. 113, 348 ff. 150  Siehe ausführlich 3. Teil C I. 1. a). 151  Beispielsweise § 15a Abs. 1 HSOG; § 33a Abs. 1 Nds. SOG. Art. 34a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Bay. PAG gestattet die Telefonüberwachung, soweit dies zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen, soweit eine gemeine Gefahr besteht, erforderlich ist. Zur Kritik daran siehe bereits 2. Teil, Fn. 141. Mit § 34a Abs. 3 Nr. 2 enthält das Thü. PAG demgegenüber eine detaillierte Vorfeld­variante. 149  BVerfGE



B. Lösungsansatz des Rechtsgüterschutzmodells 213

der auf die Betroffenheit der qualifizierten Schutzgüter schließen lässt. Darüber hinaus verfügt er allerdings über so genannte handlungsbegrenzende Tatbestandsmerkmale, welche eine solche Beschaffenheit der Tatsachenbasis voraussetzen, dass sie die Grundlage einer Bedrohung darstellt, derer mittels des Gefahrenabwehrrechts nicht mehr begegnet werden kann. Die Vorverlagerung des polizeilichen Eingriffsrechts lässt sich insbesondere auf die Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität zurückführen. Die Tatbestände müssen daher spezifisch auf diese Risikopotenziale hinweisende Tatsachengrundlagen etwa in der Gestalt konkreter Vorbereitungshandlungen voraussetzen. Eine entsprechende Regelung findet sich derzeit in § 32a Abs. 3 Nr. 2 Thü. PAG. Die Norm nennt für die tatbestandlich geforderten Tatsachen sieben Regelbeispiele. Für die vorliegende Fallkonstellation relevant erscheinen danach § 32a Abs. 3 Nr. 2 lit. e) und f) Thü. PAG. Danach können die Tatsachen insbesondere darin bestehen, dass ein mögliches Tatobjekt der geforderten Straftat ausgekundschaftet wird oder sich die Person zur Begehung einer solchen Tat schulen ließ oder lässt. Insofern kann im vorliegenden Fall zum einen auf den Auslandsaufenthalt von G, Y und S im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet sowie auf deren Antreffen vor dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein verwiesen werden. Auch wenn zwar nicht bekannt ist, inwieweit sie sich während ihres Aufenthalts einer „Schulung“ unterzogen haben, kann auf eine solche doch durch den einschlägigen Auslandsaufenthalt in Verbindung mit dem gemeinsamen Antreffen vor dem Luftwaffenstützpunkt zulässig geschlossen werden. In der Prognoserelation ist dieser Umstand jedoch entsprechend zu gewichten. Durch die Qualifizierung des betroffenen Schutzgutes sowie der Tatsachenbasis lässt sich im Rahmen der vierten Maßnahmenstufe die unzureichend bestimmte Schadensannahme kompensieren und letztlich die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit rechtfertigen. 3. „Der künftige Amokläufer“ Das letzte Fallbeispiel des Schülers mit den „Amokphantasien“ weist im Vergleich zu den anderen Fallgestaltungen den höchsten Konkretisierungsgrad auf. Die Annahme einer konkreten Gefahr im überkommenen Sinne für die Durchführung der Onlinedurchsuchung scheiterte indes letztlich an der zeitlichen Distanz des angenommenen Schadenseintritts, da diese im klassischen Sinne ein Einschreiten als letzte Abwehrchance voraussetzt.152 Eine Lösung könnten indes die Gefahraufklärungsbefugnisse in Verbindung mit der zweiten Stufe des Rechtsgüterschutzmodells bieten. Nach Art. 34d Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. c) Bay PAG kann die Polizei Daten von Personen, die 152  Vgl.

2. Teil D. III.

214

4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

für eine Gefahr verantwortlich sind, mittels technischer Mittel zum verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme erheben, soweit dies zur Abwehr einer dringenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist. Das Erfordernis der dringenden Gefahr wirft zunächst die gleichen Schwierigkeiten wie in der klassischen Gefahrenabwehrdogmatik auf. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend nicht um eine Abwehr-, sondern um eine Aufklärungsmaßnahme handelt, welche notwendig zur Ermöglichung weiterer Ermittlungen eine zeitliche Distanz des Schadenseintritts voraussetzt. Dies berücksichtigt das Rechtsgüterschutzmodell auf seiner zweiten Stufe, indem es die temporale Beziehung insoweit modifiziert. An die Stelle der letzten Abwehrchance tritt das Erfordernis, wonach eine spätere effektive Gefahrenabwehr zwingend auf eine aktuelle Aufklärungsmaßnahme angewiesen ist. Bei der Bewertung der Tatsachenbasis ist zwar die aktuelle Stimmungslage des A sowie der Alkoholeinfluss mit einzustellen, die Verfügbarkeit der Waffen als Einsatzmittel sowie das besondere Gewicht der betroffenen Rechtsgüter kompensieren jedoch dieses Defizit, so dass die geforderte Eingriffsschwelle erfüllt wird.

C. Allgemeiner Teil Der Integration der polizeilichen Eingriffsermächtigungen in das Stufenverhältnis des Rechtsgüterschutzmodells schließen sich unweigerlich gesetzgeberische Anpassungen des allgemeinen Teils der Polizeigesetze an. Bislang ist dieser Gesetzesabschnitt ganz überwiegend auf das hergebrachte Polizeirecht zugeschnitten. Gerade durch einen den einzelnen Befugnissen vorausgehenden allgemeinen Teil gewinnt ein Gesetz jedoch an Bestimmtheit und Überschaubarkeit, also Eigenschaften, durch die das bisherige Vorfeldrecht gerade nicht gekennzeichnet war.153

I. Aufgabenzuweisung Die bisherige Aufgabenzuweisung der Gefahrenabwehr, welche von dem Bemühen bestimmt ist, das Vorfeldrecht formal in das klassische Polizeirecht einzuordnen und die Eigenständigkeit des Vorfeldrechts zu leugnen, sollte nicht beibehalten werden.154 Da der Inhalt der Aufgabenzuweisung im 153  Vgl. Bull, ZRP 1998, 310 (313); Zschoch, S. 29. Denninger, in Bäumler, S. 13 (16) führt dazu das Beispiel an, dass ein hessischer Polizeibeamter insgesamt neun Verweisungen nachgehen und 21 Absätze lesen muss, um sich Klarheit über die Zulässigkeit einer polizeilichen Beobachtung und der damit verbundenen Unterrichtungspflicht nach dem HSOG zu verschaffen. 154  Siehe zur Kritik schon oben.



C. Allgemeiner Teil215

Rahmen der Auslegung der Eingriffsermächtigungen zu berücksichtigen ist, kommt dieser Norm eine besondere Bedeutung zu. Sie bestimmt den Rahmen und die Zwecksetzung der Befugnisse. Ihre Ausweitung über den bisherigen Raum hinaus muss daher notwendig mit einer entsprechenden Anpassung der Aufgabenstellung einhergehen. Die neue Aufgabenzuweisung sollte sich über die Gefahrenabwehr hinaus auf den die klassische Polizeiaufgabe mit umfassenden Rechtsgüterschutz insgesamt beziehen. Allerdings hat diese Erweiterung nicht bloß Klarstellungsgründe. Die Polizei kann im Rahmen der Aufgabenzuweisung auch jenseits der Eingriffsermächtigungen tätig werden, sofern durch diese Tätigkeit nicht in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen wird. Aus dem fehlenden Eingriffscharakter solcher Maßnahmen kann nicht auf deren Wirkungslosigkeit geschlossen werden, im Gegenteil lassen sich gerade im Vorfeldrecht, welches durch eine ausreichende zeitliche Distanz zum Schadenseintritt gekennzeichnet ist, verschiedene, effektive Handlungsinstrumentarien denken, um den Aufgabenzweck des Rechtsgüterschutzes zu erfüllen.155

II. Personale Verantwortlichkeit Änderungsbedarf besteht darüber hinaus im besonderen Maße betreffend die personale Verantwortlichkeit. Die einschlägigen Vorschriften sind nach wie vor auf die herkömmliche Gefahrenabwehrdogmatik zugeschnitten, obwohl sie sich als allgemeine Vorgaben sowohl auf das Gefahrenabwehr- als auch auf das Vorfeldrecht beziehen. So formuliert exemplarisch § 4 Abs. 1 PolG NRW, dass Maßnahmen gegen die Personen zu richten sind, welche eine Gefahr verursacht haben. Weitere Maßnahmenadressaten können da­ neben der Zustandsstörer sowie der Nichtstörer sein, wobei in beiden Fällen wiederum an eine Gefahr angeknüpft und eine solche vorausgesetzt wird. Danach bilden diese allgemeinen Vorschriften an sich ein abgeschlossenes System der Maßnahmenempfänger. Dass dieses Konzept inhaltlich überholt ist, bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erörterung mehr. Neben den Verursachern einer Gefahr, sind auch die Personen als Maßnahmenadressaten zu qualifizieren, denen ein dieser Schwelle vorgelagerter Eingriffsanlass zuzuordnen ist. Das Vorfeldrecht beschränkt sich indes nicht auf die Inanspruchnahme entsprechend verantwortlicher Personen, sondern erfasst auch solche, welche nicht in einer unmittelbaren Beziehung zu dem angenommenen Beeinträchtigungspotenzial stehen. Da für deren Inanspruchnahme jedoch nicht die qualifizierten Voraussetzungen des ohnehin an eine Gefahr gebundenen polizeilichen Notstandes zur Anwendung gelangen sollen und müssen, bildet dieser Personenkreis eine eigenständige, neue Adressatenkategorie. 155  Im

Überblick 4. Teil IV.

216

4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

Mittels einer entsprechend differenzierenden Regelungstechnik im allgemeinen Teil der Polizeigesetze kann ein höheres Maß an Normbestimmtheit und Übersichtlichkeit gewonnen werden, indem für alle Befugnisse gleichermaßen geltende Vorgaben in personaler Hinsicht geregelt werden.156

III. Kernbereichsschutz Die Ermächtigungen zur polizeilichen Datenerhebung, insbesondere die Rechtsgrundlagen der besonderen Mittel der Datenerhebungen, bergen latent die Gefahr einer Verletzung des absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung in sich.157 In seiner Entscheidung zur Onlinedurchsuchung hat das Bundesverfassungsgericht dazu ein zweistufiges Schutzkonzept entwickelt. Danach hat der Gesetzgeber in den Eingriffsermächtigungen so weitgehend wie möglich sicher zu stellen, dass die Erhebung von Daten mit Kernbereichsbezug ausgeschlossen ist.158 In der Praxis wird sich indes oftmals das Problem stellen, dass erst nach Abschluss der Datenerhebung festgestellt werden kann, inwiefern dieser absolut geschützte Kernbereich betroffen ist.159 Daher fordert das Bundesverfassungsgericht zusätzlich einen hinreichenden Schutz in der Auswertungsphase, wonach kernbereichsrelevante Daten unmittelbar nach deren Auffinden gelöscht werden müssen. Ihre Verwertung ist gänzlich ausgeschlossen.160 Maßnahmen, bei denen aufgrund ihrer Einsatzweise eine Verletzung des absolut geschützten Kernbereichs droht, stellen etwa der Einsatz technischer Mittel in Wohnungen, die Telekommunikationsüberwachung oder der verdeckte Zugriff auf informationstechnische Systeme dar. Aber auch darüber hinaus kann eine Betroffenheit dieses Bereichs nicht von vornherein ausgeschlossen werden, wodurch entsprechende Schutzvorkehrungen unerlässlich sind.161 Um daher Lücken im Kernbereichsschutz auszuschließen, sollte der 156  Siehe

bereits die Kritik von Hoffmann-Riem, JZ 1978, 335 (336 f.). Kernbereichsschutz grundlegend BVerfGE 109, 279 ff. 158  Soweit bereits BVerfGE 109, 279 (318 ff.); 113, 348 (390 ff.). 159  Dazu schon das Sondervotum der Richterinnen Jaeger und Hohmann-Dennhardt, BVerfGE 109, 279 (383); siehe auch Kutscha, NJW 2005, 20 (21). 160  BVerfGE 120, 274 (328 f.). Dazu kritisch Thiel, S. 198 ff. 161  So lassen sich beispielsweise auch bei dem Einsatz der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze Fallgestaltungen denken, in denen durch die Erfassung von Privatwohnungen im Einzugsbereich der Aufzeichnung Verletzungen des absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltungen entstehen können. Siehe in diesem Zusammenhang auch OVG HA, NordÖR 2010, 498 ff. (insbes. S. 507). Zum Schutz des während des Schwenkens der Kamera erfassten Privatbereichs wurde nach den einschlägigen Dienstanweisungen eine sog. Schwarzschaltung programmiert. 157  Zum



C. Allgemeiner Teil217

Gesetzgeber bereits im Allgemeinen Teil maßnahmenübergreifende Schutzvorkehrungen vorsehen.162 Zumindest bezogen auf die besonderen Mittel der Datenerhebung hat der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen bereits zum 24. Februar 2010 mit § 16 PolG NRW eine Regelung erlassen, welche für diese Maßnahmen einen umfassenden Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltungen gewährleisten soll.163

IV. Kompensationsmöglichkeiten Durch seine größere Distanz zu dem schadensträchtigen Ereignis wird das Vorfeldrecht stets mit einer im Vergleich zur klassischen Gefahrenabwehrdogmatik größeren Unsicherheit und Rechtfertigungsbedürftigkeit verbunden sein. Diese Defizite lassen sich zum einen durch qualifizierte inhaltliche Anforderungen wie die Begrenzung auf Bedrohungen für qualifizierte Rechtsgüter ausgleichen, daneben bestehen jedoch zusätzlich die Möglichkeit und das Erfordernis nach verfahrensrechtlichen oder auch sekundärrechtlichen Kompensationen. Auch das Umweltrecht als besonderes Gefahrenabwehrrecht ist durch eine Vorfeldaktivität und den Verzicht auf eine individuelle Zurechnung charakterisiert.164 Das Bundesverwaltungsgericht hat dies grundsätzlich gebilligt, fordert aber als Voraussetzung ein normativ verbindliches Schutzkonzept. Erst diese verbindlichen Vorgaben eröffnen eine gerichtliche Kontrolle für die auf dieser Basis erfolgten Einzelmaßnahmen.165 Das Schutzkonzept verhindert willkürliche Entscheidungen und führt zu deren Versachlichung. Im konkreten Fall müssen die Beamten anhand einer Dokumentation nachweisen, im Rahmen des Schutzkonzepts gehandelt zu haben. Bereits die heutigen Polizeigesetze sehen zahlreiche verfahrensrechtliche Absicherungsmechanismen vor, welche im Zusammenhang mit den jeweiligen Eingriffsermächtigungen geregelt sind.166 Gerade diese Regelungstechnik ist jedoch mit für die Komplexität oder besser den teilweise unüberschaubaren Wortreichtum der entsprechenden Eingriffsgrundlagen verant162  Dazu

kritisch Möstl, DVBl. 2010, 808 (813 f.). Bayern hingegen finden sich die entsprechenden Regelungen noch in den einzelnen Eingriffsbefugnissen (siehe Art. 34 Abs. 2; Abs. 5 S. 3 Nr. 3; Art. 34a Abs. 1 S. 4; Art. 34c Abs. 4 S. 3 Nr. 3; Art. 34d Abs. 1 S. 5  u.  6, Abs. 4 Nr. 1 Bay. PAG), wodurch zum einen Schutzlücken beim Einsatz anderer Maßnahmen entstehen und die betroffenen Regelungen an Übersichtlichkeit verlieren. 164  Vgl. Trute, GS Jeand’Heur, S. 403 (414). 165  BVerwGE 69, 37 (44 f.). Hieran für das Polizeirecht anknüpfend Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (368); Möllers, NVwZ 2000, 382 (387); Weber, S. 219 ff. Siehe grundsätzlich zum Konzept als „Handlungsform“ Aulehner, S. 525 ff. 166  Dazu im Folgenden. 163  In

218

4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

wortlich, in deren Folge diese Normen an Verständlichkeit verlieren.167 Durch eine Normierung der Grundsätze dieser Kompensationsmittel innerhalb der allgemeinen Vorschriften gewinnen daher sowohl diese Verfahrensregelungen als auch die Eingriffsermächtigungen an Übersichtlichkeit und Verständlichkeit. 1. Verfahrensrechtliche Kompensation Materiellrechtliche Defizite des Grundrechtsschutzes können insbesondere in solchen Fallkonstellationen, in denen eine Rechtmäßigkeitskontrolle erst zu einem Zeitpunkt stattfinden würde, in welchem die Verletzung des Grundrechts nicht mehr ausgeräumt werden kann, bis zu einem gewissen Umfang durch verfahrensrechtliche Bestimmungen zur Absicherung des von dem Eingriff Betroffenen kompensiert werden.168 In Betracht kommen dabei insbesondere Beteiligtenrechte wie die Anhörung, Richter- und Behördenleitervorbehalte, Dokumentations-, Begründungs- und Benachrichtigungspflichten sowie die Androhung besonderer dienstrechtlicher Sanktionen bei Nichtbeachtung der gesetzlichen Voraussetzungen der Befugnisnormen. Die mit den Vorfeldbefugnissen verbundenen Aufgabenstellungen setzen allerdings einer unmittelbaren Beteiligung der Betroffenen Grenzen, insbesondere soweit es sich um die besonders eingriffsintensiven besonderen Mittel der Datenerhebung handelt, welche durch die fehlende Offenheit ihres Einsatzes gekennzeichnet sind. Ebenso scheiden Beteiligtenrechte schon rein praktisch bei entindividualisierten Maßnahmen aus. Richter- und Behördenleitervorbehalte finden sich bereits in zahlreichen Befugnisnormen.169 Für einzelne Maßnahmen hat das Bundesverfassungsgericht explizit die Normierung eines Richtervorbehalts vorgeschrieben.170 Die Mitwirkungsvorbehalte dienen vorwiegend der Versachlichung der Maßnahmenanordnung. Eine unabhängige Instanz mit der erforderlichen Sachkom167  Siehe beispielsweise die bayerische Ermächtigung über den technischen Mitteleinsatz in Wohnungen nach Art. 34 Bay. PAG, der immerhin über zehn Absätze verfügt, siehe ferner auch § 18 PolG NRW, einen Gesamtüberblick bietet Koch, S. 192 ff. Insgesamt fallen die einschlägigen Eingriffsgrundlagen durch ihren Textumfang bereits bei einem bloßen Durchblättern des Gesetzestextes ins Auge. 168  BVerfGE 53, 30 (65); 90, 60 (96); Sächs.VerfGH, JZ 96, 957 (963 ff.); Sächs. VerfGH, LVerfGE 14, 333 (366 f.); Koch, S. 28 f.; Kugelmann, DÖV 2003, 781 (787); Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser S. 407 (428); Weber, S. 83 ff., 191; Welsing, S. 301. 169  Z. B. § 15a Abs. 3; § 17 Abs. 2 PolG NRW. 170  BVerfGE 120, 274 (331 f.).



C. Allgemeiner Teil219

petenz überprüft vor deren Ergreifen das Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen und kann in diesem Rahmen die Rechte des Betroffenen, zumal gerade bei verdeckten Eingriffen, berücksichtigen.171 Die den Antrag stellende Behörde wird dadurch konkludent verpflichtet, die Maßnahme zu rechtfertigen und zu begründen. Damit ist auch eine Selbstkontroll- und Warnfunktion für die Verwaltung verbunden. Allerdings stößt die Reichweite dieser Kompensationsmöglichkeiten auf Grenzen. Die Effektivität dieser Mitwirkungsvorbehalte setzt einen hinreichend bestimmten Tatbestand voraus. Soweit dieser jedoch keinen Prüfungsmaßstab für die Entscheidung vorgibt, kann sie eine Kontrollfunktion nicht bieten.172 Ein weiteres verfahrensrechtliches Sicherungsinstrument ist die Dokumentations- und Begründungspflicht.173 Auch sie dient der Versachlichung der Maßnahmenanordnung, indem der Beamte angehalten wird, sich die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage bewusst zu machen. Diese Vorzüge sind aber auch nur dann gewährleistet, wenn die Normen einen brauchbaren, im konkreten Fall prüfbaren Maßstab für die Anordnungsentscheidung enthalten. Defizite der Bestimmtheit können daher nicht ausgeglichen werden. Die Polizeigesetze sehen insbesondere für verdeckte Maßnahmen nahezu durchgängig eine nachträgliche Benachrichtigungspflicht des Betroffenen vor174 und stellen damit die Gewährung eines effektiven, wenn auch erst repressiven, Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sicher. Allerdings statuieren die gesetzlichen Regelungen hiervon zahlreiche Ausnahmen.175 Eine gewisse Begrenzung der Reichweite der Benachrichtigungspflichten rechtfertigt sich jedoch schon aus praktischen Erwägungen. Bisher hat der Gesetzgeber einem weiteren möglichen Regelungsmechanismus zur Sicherung der Rechte insbesondere von durch verdeckte Polizeimaßnahmen Betroffenen keine Beachtung geschenkt. Jedoch versprechen besondere dienstrechtliche Sanktionen bei rechtswidrigen Anordnungen von belastenden Maßnahmen einen effektiven Schutz der Betroffenenrechte. 171  Kugelmann, DÖV 2003, 781 (788); Weber, S. 86 ff., 194. Da dem Betroffenen jedoch gerade bei verdeckten Maßnahmen kein rechtliches Gehör gewährt wird, vermag diese Kompensation ihm keinen äquivalenten Schutz bieten, da der Entscheidung ausschließlich die Sachverhaltsdarstellung der Behörde zugrunde gelegt wird, Kutscha, NVwZ 2003, 1296 (1298). 172  BVerfGE 113, 348 (381); Kutscha, NVwZ 2003, 1296 (1300); Vollmar, S. 145.; kritische Würdigung des Richtervorbehalts in der Praxis, ders., S. 146 ff.; Weber, S. 87 f., 92 f., 121, siehe aber auch ihren Lösungsvorschlag zur effektivierten Ausgestaltung des Richtervorbehalts, S. 195 ff. 173  So auch LVerfG M-V, DÖV 2000, 71 (75 f.). Siehe etwa § 15a Abs. 4 S. 1 PolG NRW; Art. 34c Abs. 3 S. 1 Bay. PAG. 174  Etwa § 16a Abs. 3 PolG NRW. 175  Etwa Art. 34 Abs. 6 Bay. PAG.

220

4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

Gerade verdeckte Datenerhebungsbefugnisse begründen die Besorgnis über die Nichtbeachtung der Tatbestandsvoraussetzungen. Die fehlende Kenntnis und Mitwirkung des Maßnahmenadressaten kann den handelnden Beamten zur Nachlässigkeit verleiten. Aus diesem Grund trägt er eine über das übliche Maß hinausgehende Verantwortung bei der Maßnahmenanordnung. Jedoch wird auf diesen Schutzmechanismus auch erst dann zurückgegriffen werden können, wenn die Befugnistatbestände dem Beamten einen überprüfbaren Maßstab vorgeben. Die verfahrensrechtlichen Kompensationen können somit zwar zum Teil im Vorfeldbereich bestehende Defizite ausgleichen bzw. abfedern, jedoch setzen sie stets einen bestimmten und damit überprüfbaren Befugnistatbestand voraus, der einen hinreichenden Maßstab für das Verwaltungshandeln bietet. 2. Sekundärrechtliche Kompensationen Eine zumindest bedingte Kompensation materiellrechtlicher Defizite der Befugnisnormen könnte daneben durch einen sekundärrechtlichen Ausgleichsmechanismus erfolgen.176 Aufgrund der gerade im Vorfeldbereich bestehenden Streubreite der Maßnahmen drängen sich gewisse Ähnlichkeiten mit der Nichtstörerdogmatik auf. Die Polizeigesetze gewähren dem Nichtstörer bei dessen Inanspruchnahme stets einen Entschädigungsanspruch für den ihm daraus entstandenen Schaden.177 Diese Regelungen gelten nach herrschender Meinung entsprechend für die Inanspruchnahme des Anscheins- und Verdachtsstörers.178 Bei dem polizeirechtlichen Entschädigungsanspruch des Nichtstörers handelt es sich um eine Konkretisierung des allgemeinen Aufopferungsanspruchs.179 Das geforderte Sonderopfer des Anspruchsstellers resultiert aus den strengen, nur ausnahmsweise vorliegenden Voraussetzungen seiner Inanspruchnahme. Zwar ist das Vorfeldrecht überwiegend durch eine Streuwirkung oder die fehlende Verantwortlichkeit des Maßnahmenempfängers gekennzeichnet, so dass im Rahmen dieser Inanspruchnahme kein mit der Nichtstörerdogmatik vergleichbares Sonderopfer ausgemacht werden kann, die fehlende Notwendigkeit eines kompensatorischen Ausgleichs steht deren fakultativer Normierung jedoch nicht entgegen. Trotz des bestehenden Vorrangs des Primärrechtsschutzes lässt sich durch eine entsprechende Normierung die Intensität 176  Vgl.

Trute, GS Jeand’Heur, 403 (422 f.). § 67 PolG NRW i. V. m. § 39 Abs. 1 lit. a) OBG NRW. 178  Pieroth / Schlink / Kniesel, § 26 Rn. 15 ff. 179  Pieroth / Schlink / Kniesel, § 26 Rn. 1 f. 177  Z. B.



D. Ausblick221

des Grundrechtseingriffs reduzieren. Selbstverständlich können diese Regelungen wie schon die verfahrensrechtlichen Kompensationen lediglich einen zusätzlichen Baustein bilden.180

D. Ausblick Zum Abschluss der Betrachtung soll der Blick auf einige weitere der Polizei zur Verfügung stehende Einsatzmöglichkeiten gelenkt werden, welche mangels Eingriffscharakters keiner gesetzlichen Ermächtigungsgrund­ lage bedürfen und damit schon auf die polizeiliche Aufgabenzuweisung gestützt zulässig sind. Insbesondere im Vorfeld der Gefahrenabwehr, also jenseits einer bereits akuten Bedrohung, erscheint ein kooperatives und bürgernahes Handeln als geeignet und effektiv, um dem Entstehen künftiger Rechtsgutverletzungen vorzubeugen. Die Darstellung beschränkt sich auf einen groben Überblick und sieht ihre Rechtfertigung vorwiegend darin, Alternativen zu den die bürgerlichen Freiheitsrechte verkürzenden Mitteln aufzuzeigen. Erst die Berücksichtigung und Ausschöpfung auch dieser Instrumente kann die Vollendung des Ausgleichs zwischen Sicherheits- und Freiheitsinteressen gewährleisten. Der polizeiliche Sicherheitsgewährleistungsauftrag sieht sich gegenwärtig mit neuen Herausforderungen konfrontiert, welche eine kritische Auseinandersetzung mit den bisherigen Reaktionsmustern und Handlungsstrategien der Polizei erfordern. Dabei bilden die Erweiterungen und Modifikationen der Eingriffsermächtigungen, wie auch in dieser Arbeit, den Schwerpunkt der Betrachtung. Allerdings sind schon heute auch über diesen engen Bereich der überkommenen Eingriffsverwaltung hinausgehende Aktivitäten auf dem Gebiet des polizeilichen Sicherheitsrechts auszumachen, in denen insbesondere die Erkenntnisse der kriminologischen Forschung genutzt werden.181 Die Gewährleistung von Sicherheit ist danach nicht ausschließlich auf ein eingreifendes Staatshandeln beschränkt oder angewiesen. Bereits die bloße Stadtteilpflege ist geeignet, einen Zugewinn an Sicherheit herbeizuführen. Die Verwahrlosung ganzer Stadtviertel und damit die Etablierung so genannter „verrufener Orte“ erschüttert das Vertrauen bzw. die Erwartung in eine effektive Wahrnehmung des staatlichen Sicherheitsauftrags. Bewährt haben sich daher etwa die Beleuchtung „dunkler Ecken“, die Pflege von Stadtteilen („Broken-windows“)182 oder auch schon eine größere Polizeiprä180  Dazu

kritisch Weber, S. 221 ff. JZ 2002, 854 (855 ff.). 182  Dazu etwa Maximini, S. 9; Schewe, Sicherheitsgefühl, S.  37; Volkmann, NVwZ 1999, 225 ff. 181  Waechter,

222

4. Teil: Rechtsgüterschutzmodell

senz.183 Diese Methoden dienen zum einen der Beseitigung von Tatgelegenheiten bzw. Tatanreizen und tragen auf der anderen Seite zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls bei.184 Daneben wird durch die polizeiliche Präsenz ihr Verhältnis zu den Bürgern ausgebaut und verbessert.185 Gegenüber einer teilweise als reine „Symbolgesetzgebung“ deklarierten Kodifikation polizeilicher Eingriffsermächtigungen,186 denen etwa aufgrund ihrer Voraussetzungen und Einsatzweise auf dem Felde der Gefahrenabwehr keine praktische Relevanz zukommen kann,187 erscheinen solche Maßnahmen, die zum einen auf einen Eingriff in die Freiheitsrechte verzichten und zum anderen als Steigerung der Lebensqualität für die Bürger unmittelbar wahrnehmbar sind, mehr geeignet. Wie allerdings das Beispiel der Stadtteilpflege zeigt, beschränkt sich eine solche Handlungsstrategie nicht mehr ausschließlich auf das Polizeirecht.188 Die Polizei muss vielmehr in eine entsprechende Gesamtstrategie eingebunden werden. Eine herausragende Rolle kommt in diesem Zusammenhang den Städten und Gemeinden zu.189 So werden schon heute verstärkt unifor183  Hierzu ist insbesondere der klassische polizeiliche Streifgang zu zählen, wodurch die Polizei auch schon im Vorfeld einer konkreten Bedrohungslage Präsenz zeigt. Vgl. Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 32 f., 274 ff., der aber zugleich auf die damit verbundenen Defizite hinweist. Siehe auch die Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei im Rahmen der Einführung der präventiven Videoüberwachung in Baden-Württemberg, Drs.-LT BW 12 / 5706 S. 8 sowie Finger, S. 74 f. 184  Grundsätzlich zur Steigerung des Sicherheitsgefühls als Rechtfertigung staatlicher Eingriffe Chiu, S. 96 ff.; Finger, S. 73 f.; Schewe, Sicherheitsgefühl, S. 22 ff. insbes. S. 38 ff.; Thiel, S. 188 f. 185  Im Übrigen verweist Roggan darauf, dass zumindest bei kleineren Versammlungen vor Ort anwesende Polizeibeamte ein grundsätzlich ebenso wirksames Mittel wie eine Videoüberwachung seien, so dass es insofern an deren Erforderlichkeit fehlen würde, Roggan, NVwZ 2010, 1402 (1405); vgl. überdies auch Finger, S. 75; Volkmann, NVwZ 1999, 225 (232). 186  Gusy, KritV 2002, 474 (490); ders., Verw.Arch 101 (2010), 309 (312). Düx, ZRP 2003, 189 (191 f.) weist darauf hin, dass keines der Teilgesetze des deutschen Antiterrorismusgesetzes, welches im Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001 erlassen wurde, diese hätte verhindern können. 187  Siehe etwa bereits zur polizeilichen Telefonüberwachung als langwierige Aufklärungsmaßnahme unter der Voraussetzung einer gegenwärtigen Gefahr 2. Teil C. II. (insbes. 2. Teil, Fn. 141) sowie 4. Teil B. II. 2. a) aa). 188  Vgl. auch Knemeyer, DVBl. 2007, 785 (787). 189  Knemeyer, DVBl. 2007, 785. Grundsätzlich zur Kompetenz der Kommunen im Gefahrenabwehrrecht Lange, FS Götz, S. 437 ff. Vgl. etwa zu der 1997 ins Leben gerufenen „Aktion Sicherheitsnetz“ sowie weiteren sicherheits- und kommunalpolitischen Konzepten m. w. N. Finger, S. 61 f. Zur Zusammenarbeit von Kommunen und privaten Sicherheitskräften Leonhardt, in Stober / Olschok, J VI Rn. 1 ff. Vgl. insbesondere das sog. Düsseldorfer Modell, dazu Jungk, in Stober  /  Olschok, J I Rn. 5 ff. sowie Leonhardt, in Stober / Olschok, J VI Rn. 34.



D. Ausblick223

mierte Außendienstmitarbeiter der Ordnungsämter auf Stadtpatrouillen eingesetzt. Diese Einsätze führen zu einer Entlastung der Polizei und gewähren zugleich einen engen und für den Bürger wahrnehmbaren Kontakt mit den staatlichen Sicherheitskräften. Einer zunehmenden Anonymisierung insbesondere in den Großstädten kann dadurch entgegengewirkt und Bürgerengagement geweckt werden. Durch eine enge Zusammenarbeit mit der Polizei können schon im Vorfeld von Gefahrentstehungen Beobachtungen und Informationen entgegen genommen und ausgetauscht werden.190 Der Polizei eröffnet sich dadurch eine gerade für die Vorfeldarbeit wichtige Informa­ tionsquelle, die ohne eine Einschränkung der Freiheitsrechte auskommt. Eine Einbindung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in die polizeiliche Sicherheitsstrategie gewährleisten darüber hinaus die bereits heute existierenden, zahlreichen Präventionsgremien insbesondere auf kommunaler Ebene.191 Durch die entsprechende Kooperation wird das vorherrschende Polizeiverständnis als ausschließliches Mittel der klassischen Eingriffsverwaltung zu einem modernen Leistungsrecht zur Gewährung der persönlichen Sicherheit und individuellen Unverletzlichkeit192 hin überwunden. Die gesamtgesellschaftliche Einbindung ermöglicht es, bereits abstrakte Bedrohungslagen zu erfassen und unter Einbindung aller Beteiligten in einer Gesamtstrategie zu bewältigen.193

190  Zum Einsatz patrouillierender Außendienstmitarbeiter der Ordnungsämter Finger, S. 65; am Beispiel des Ordnungs- und Servicedienstes in Düsseldorf Leonhardt, in Stober / Olschok, J VI Rn. 26 ff. 191  Dazu im Überblick Braun, in Stober / Olschok, J VIII Rn. 15 ff. Beachte auch § 1 Abs. 9 POG  R-P. 192  Knemeyer, DVBl. 2007, 785 (786 f.). 193  Siehe hierzu auch das sog. community policing. Dazu m. w. N. etwa Finger, S. 58 f.

5. Teil

Ergebnisse und Zusammenfassung Ziel dieser Untersuchung war es, eine polizeirechtliche Antwort auf die sich diesem Rechtsgebiet gegenwärtig stellenden Herausforderungen zu finden, die sowohl zur Bewältigung der modernen Bedrohungspotenziale und Handlungsbedingungen geeignet ist, als auch die namentlich durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten verfassungsrechtlichen Determina­ tionen wahrt.  5. Teil: Ergebnisse und Zusammenfassung Den Ausgangspunkt dazu bildete die bewährte Gefahrenabwehrdogmatik des klassischen Polizeirechts, welche in sich einen optimalen Ausgleich zwischen Sicherheit und Freiheit vereinigt. Diese Dogmatik ist an erster Stelle durch die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr definiert. Dieses Tatbestandsmerkmal setzt sich aus drei Strukturelementen – dem Schaden als Bedrohungspotenzial, dem tatsächlichen Eingriffsanlass sowie dem relativen Prognoseurteil – zusammen. Herausragende Bedeutung kommt dabei dem Prognoseurteil zu. Die Annahme der konkreten Gefahr setzt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus. Die Ermittlung dieses Wahrscheinlichkeitsgrades erfolgt in einer konkreten Abwägung der widerstreitenden Freiheits- und Sicherheitsinteressen. In diese Relation sind das erwartete Schadensausmaß, die Eingriffsintensität, die Erfolgsaussichten des beabsichtigten Abwehrmittels sowie die Art und Beschaffenheit der den Eingriffsanlass bildenden Tatsachen einzustellen. Eine eingriffsbegrenzende Funktion kommt dabei insbesondere dem Erfordernis des Einsatzes der Gefahrenabwehrmaßnahme als letzter Abwehrchance zu. Anscheinsgefahr und Gefahrenverdacht stellen besondere Fallgestaltungen dieser Eingriffsschwelle dar. Zweites Strukturelement der hergebrachten Polizeirechtsdogmatik bildet die individuelle Verantwortlichkeit des Maßnahmenadressaten. Die Gefahrenabwehrbefugnisse sind in jedem Fall auf eine individuelle Zuordnung ihres Einsatzes angewiesen. Auf Rechtsfolgenseite gestatten sie sowohl unmittelbare Abwehr- als auch Aufklärungsmaßnahmen. Dabei erweist sich das Erfordernis der letzten Abwehrchance im Rahmen der Annahme einer konkreten Gefahr als Grundlage der Aufklärungsbefugnisse als problematisch. Das Vorfeldrecht grenzt sich gegenüber dem klassischen Polizeirecht durch seine kumulative Lösung von den tatbestandlichen Voraussetzungen



5. Teil: Ergebnisse und Zusammenfassung225

der konkreten Gefahr und der individuellen Verantwortlichkeit des Maßnahmenempfängers ab. Entindividualisierte Tatbestände, die, wie die der polizeilichen Rasterfahndung, eine konkrete Gefahr voraussetzen, ohne jedoch einen Rückgriff auf die Störerdogmatik zu gestatten, gehören damit ebenfalls dem Vorfeldrecht an. Insbesondere die Lösung von der individuellen Verantwortlichkeit des Maßnahmenadressaten begründet eine gesteigerte Sensibilität in der Wahrnehmung des Eingriffscharakters dieser Befugnisse. Sie sind durch eine besondere Streubreite gekennzeichnet, welcher sich die Polizei zum Teil, wie im Falle der präventiven Videoüberwachung, bewusst und gewollt zur indirekten Verhaltenssteuerung bedient. Über die bloße Datenerhebung bzw. den Datenabgleich hinaus kann dieser indirekten Verhaltenssteuerung trotz ihrer rein subjektiven Wirkungsweise sogar eine Eingriffsqualität auf Grundlage des modernen Eingriffsbegriffs zukommen. Dazu muss der Staat gezielt ein Instrument in einem grundrechtsrelevanten Raum einsetzen, dessen individuelle Wirkungsweise der Bürger nicht erfassen und berechnen kann und in dessen Folge er objektiv nachvollziehbar dazu veranlasst wird, eine Vermeidungsstrategie an den Tag zu legen. Nicht ausreichend ist allerdings die bloß abstrakte Verfügbarkeit eines Mittels. Der Bürger muss vielmehr konkret in den Wirkbereich der Maßnahme geraten. Die polizeilichen Vorfeldbefugnisse lassen sich entgegen der gesetzgeberischen Einordnung nicht als ein Unterfall der Gefahrenabwehr qualifizieren. Die so genannte Verfolgungsvorsorge ist auch entsprechend dem Bundesverfassungsgericht dem gerichtlichen Verfahren nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuzuordnen. Die Straftatenverhütung gehört indes einem weiteren, über die Gefahrenabwehr hinausgehenden, präventiven Aufgabenbereich an. In der gegenwärtigen Vorfelddogmatik lassen sich drei Grundtypen von Eingriffsbefugnissen ausmachen. Im ersten Fall verlangt der Gesetzgeber die auf Tatsachen gestützte Rechtfertigung einer bestimmten Annahme. Diese Eingriffsschwelle entspricht in ihrer Struktur der konkreten Gefahr des klassischen Polizeirechts. Die Annahme bezieht sich in der Regel auf die künftige Straftatbegehung. Diese Straftaten dürfen in Abgrenzung zur Annahme eines Schadens im Rahmen der konkreten Gefahr noch nicht nach Ort, Zeit und Begehungsweise bestimmt sein. Auf Seiten des Eingriffsanlasses ist ein objektives Tatsachenfundament erforderlich. Auch im Rahmen dieser Prognose wird eine hinreichende Wahrscheinlichkeit gefordert. Aufgrund der Unbestimmtheit des Beeinträchtigungspotenzials und des entsprechenden Eingriffsanlasses wird dieser Wahrscheinlichkeitsgrad jedoch schon aus strukturellen Gründen nur schwer anzunehmen sein. Die Normen gewähren aus diesem Grunde keinen gerechten Ausgleich zwischen Sicherheits- und Freiheitsinteressen. Dies gilt erst recht, sofern sich der Gesetz­

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5. Teil: Ergebnisse und Zusammenfassung

geber auf dieser Ebene gar von einem Individualbezug des Beeinträchtigungspotenzials löst. Sofern in den Gesetzen an Stelle der Tatsachen tatsächliche Anhaltspunkte als Grundlage der Annahme verlangt werden, ergeben sich daraus keine Unterschiede. Daneben greift der Gesetzgeber namentlich im Rahmen der Schleierfahndung auf vollkommen anlasslose Tatbestände zurück. Eine derartige Regelung ist nicht von vornherein verfassungswidrig, sofern die Eingriffsintensität der Maßnahme gegenüber der Anlasslosigkeit nicht außer Verhältnis steht. Eine besondere, kompensatorische Bedeutung kommt auf dieser Ebene der Zweckvorgabe der Befugnis zu. Bemerkenswert erscheint, dass im dritten Fall auch im Gefahrenvorfeld auf die Eingriffsschwelle der konkreten Gefahr zurückgegriffen werden kann. Gegenüber der überkommenen Polizeirechtsdogmatik ist diese Eingriffsschwelle jedoch durch ihre Entindividualisierung gekennzeichnet. In seiner Struktur stimmt das Gefahrenurteil mit der hergebrachten Rechtsfigur überein, die fehlende Individualisierung setzt allerdings eine Kompensation durch die Beschränkung auf Schäden an besonders qualifizierten Schutzgütern und eine dementsprechende Tatsachenbasis voraus. Neben der Rasterfahndung, für welche die Polizeigesetze bereits heute aufgrund der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts diese Schwelle voraussetzen, muss diese aufgrund der Eingriffsqualität der indirekten Verhaltenssteuerung der Videoüberwachung öffentlicher Straßen und Plätze auch dem Einsatz dieser Befugnis vorausgehen. Auf der Ebene der Maßnahmenadressaten weist die gegenwärtige Vorfelddogmatik ein uneinheitliches Bild auf. Sofern auf eine Individualisierung der Maßnahme nicht von vornherein verzichtet wird, muss zwischen den Maßnahmenadressaten der ersten und der zweiten Ordnung unterschieden werden. Die Adressaten der ersten Ordnung sind durch ihre unmittelbare Beziehung zu dem Eingriffsanlass gekennzeichnet. Anders als im klassischen Gefahrenabwehrrecht erfolgt ihre Inanspruchnahme jedoch nicht aufgrund einer ihnen zufallenden Verantwortlichkeit, vielmehr stützt sie sich auf eine von der Eingriffsschwelle aus angestellten Prognose. Den Maßnahmenadressaten der zweiten Ordnung wird die Beziehung zu dem Eingriffsanlass erst über die Adressaten der ersten Ordnung vermittelt. Durch diese Vermittlungskette können den gegenwärtigen Polizeigesetzen keine die Inanspruchnahme effektiv begrenzenden Tatbestandsmerkmale entnommen werden. Neben diesen direkten Adressaten geraten weitere Personen reflexartig in den Wirkbereich der Maßnahmen. Die Eingriffsbefugnisse im Vorfeldrecht sind zwar überwiegend auf die Erhebung von Daten gerichtet, dies ist jedoch kein Ausschließlichkeitsmerk-



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mal des Vorfeldrechts. Mit dem präventiven Aufenthaltsverbot kennt es etwa auch eine unmittelbare Beseitigungsbefugnis. Abschließend wurde als Lösungsvorschlag zur Bewältigung der polizeigesetzlichen Herausforderungen durch die modernen Bedrohungspotenziale und den dogmatischen Problemstellungen ein Rechtsgüterschutzmodell vorgeschlagen. Das Rechtsgüterschutzmodell kann sich zu seiner Rechtfertigung auf den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Sicherheitsgewährleistung stützen. Um jedoch zugleich den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Freiheitsinteressen gerecht werden zu können, sieht es ein sechsstufiges System von Eingriffsermächtigungen in Abhängigkeit von der Eingriffsintensität der Maßnahmen und den ihnen vorausgehenden Bedrohungspotenzialen vor. Auf der ersten Stufe werden die klassischen Gefahrenabwehrbefugnisse in das System integriert. Ihnen schließen sich auf der nächsten Ebene die Befugnisse zur Aufklärung einer individualisierten Gefahr an. Dabei sind gegenüber der hergebrachten Polizeirechtsdogmatik insbesondere Modifikationen im Hinblick auf die zeitliche Nähebeziehung des angenommenen Schadenseintritts erforderlich, um dadurch erst ein ausreichendes Zeitfenster für den Mitteleinsatz zu konstituieren. Die Stufenfolge setzt sich im Weiteren mit der Aufklärung von entindividualisierten Gefahren fort. Diesen schließen sich die Befugnisse zur Aufklärung und zum Ausschluss von der Gefahr vorausgehenden Bedrohungspotenzialen zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter, über jene zur Aufklärung von entindividualisierten Bedrohungspotenzialen bis schließlich zu den prognoseunabhängigen Aufklärungsbefugnissen an. Zum Teil genügt die bisherige gesetzliche Polizeirechtsdogmatik bereits diesem Lösungsmodell, überwiegend sind jedoch zur Herstellung eines verfassungsgemäßen Ausgleichs zwischen Sicherheitsund Freiheitsinteressen gesetzliche Konkretisierungen oder Änderungen erforderlich. Dabei lässt sich als Kernaussage festhalten, dass eine Vorverlagerung des polizeilichen Handlungsfeldes über den traditionellen Bereich hinaus zulässig und erforderlich ist, soweit dessen Dogmatik zur Bewältigung der modernen Herausforderungen an die Sicherheitsgewährleistung nicht geeignet ist. Die entsprechenden Eingriffsbefugnisse sind jedoch auf diese Bedrohungslagen durch die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen zu begrenzen. Erst dadurch gewinnen sie das erforderliche Maß an Bestimmtheit und statuieren einen ausgewogenen Ausgleich zwischen Sicherheits- und Freiheitsinteressen. Über die Stufenfolge der Eingriffsbefugnisse hinaus schlägt das Rechtsgüterschutzmodell insbesondere zur besseren Verständlichkeit und Übersichtlichkeit und damit letztlich Bestimmtheit der Polizeigesetze gesetz­ liche Änderungen bzw. Konzentrationen maßnahmenübergreifender Vorgaben im allgemeinen Teil der Polizeigesetze vor. Diese betreffen vor allem

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5. Teil: Ergebnisse und Zusammenfassung

die Aufgabenzuweisung, die Regeln über die personale Verantwortlichkeit, den Kernbereichsschutz sowie die verfahrensrechtlichen Vorgaben. In einem kurzen Ausblick wurde schließlich darauf hingewiesen, dass die Polizei und der Staat insgesamt bei der Sicherheitsgewährleistung nicht ausschließlich auf eine eingreifende Tätigkeit beschränkt sind, sondern auch darüber hinaus über erfolgversprechende Handlungsmöglichkeiten verfügen.

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Sachwortregister Abgrenzung Repression – Prävention  92, 96, 99, 102 f. Abschreckungsstrategie siehe Verhaltenssteuerung, indirekte Anhörung  218 Anlassunabhängige Tatbestände   126  ff. Anscheinsgefahr  49 ff., 185 Anscheinsstörer  62 f. Aufenthaltsverbot  164, 166, 201 Aufgabengefüge –– dreigliedriges Aufgabenverständnis  104 –– präventiv-polizeilich  97 ff., 214 f. –– Quadratmodell  102 f. –– Verfolgungsvorsorge  101 f. –– Verhütung von Straftaten  98 ff. –– vorbeugende Bekämpfung von Straftaten  97 f. Automatisierte Kennzeichenerfassung  91 ff., 144 ff., 153, 193 f., 203 Befragung  151, 156 Begleitperson  153, 158 ff. Begründungspflicht  219 Behördenleitervorbehalt  218 Benachrichtigungspflicht  219 Bestimmtheitsgrundsatz  45, 109, 116, 170 Beteiligtenrechte  218 Borkum-Lied-Fall  61 Broken-window  221 Datenerhebung, besondere Mittel der  109, 153, 196 Dienstrechtliche Sanktionen  219 Dokumentationspflicht  219

Drittbetroffene  161 Durchsuchung  65, 165 ff. Eingriffsabwehrrechte  179 ff. Eingriffsbefugnis  78 Eingriffsschwelle  34 ff., 106 ff., 184, 186 ff., 191 ff., 196 ff., 204 f. Einschätzungsprärogative  178 f. Ermessen  45 ff., 122, 128, 162, 206 Fallbeispiele  31 ff., 66 ff., 96, 207 ff. Gefahr, konkrete  34 ff., 184 ff. –– Aufklärung  64 ff., 189 f., 194 f. –– Bedrohungspotenzial  35 f. –– Beseitigung  64, 185 –– Eingriffsanlass  36 ff. –– entindividualisiert  76 ff., 133 ff., 191 ff. –– objektiv  47 –– Prognoseurteil  38 ff., 134 ff., 149, 170, 184, 186 f. –– Qualifikation  34, 184 –– subjektiv  48 Gefahrenverdacht  51 ff., 187 f. Gefahrerforschungseingriff  54 Gemeinschaftsgebundenheit  163 Generalklausel, polizeiliche  20, 34, 184, 199 Grundrecht auf Sicherheit  175 Grundrechtseingriff –– im klassischen Sinne  79 –– im modernen Sinne  86 –– subjektiv  86 Identitätsfeststellung  122, 152, 156, 204

Sachwortregister241 Informationelle Selbstbestimmung  23, 79, 85, 87, 91, 93, 167 Jedermannshaftung  156, 162 f., 190, 194 Justizgewährungsanspruch  173 Kameraattrappe  88 Kernbereich privater Lebensgestaltung  216 Kontaktperson  153, 158 ff. Kreuzbergurteil  20 Kriminalität, organisierte  21 f. Lageerkenntnisse  128, 141 Maßnahmenadressat  57 ff., 149 ff., 185, 189, 194, 200, 205, 215 Maßnahmenstufen  184 ff. Musterentwurf eines einheitl. Polizei­ gesetzes  97 Nachrichtenmittler  160 Nichtstörer  63 f., 185 Ordnung, öffentliche  36 Polizeibegriff  19 ff. Polizeirechtsdogmatik, klassische  24, 27, 34 ff., 77, 150, 180, 185, 190 Präventionsgremien  223 Rasterfahndung  74 f., 94 f., 133 ff., 147, 152, 192 Rechtsdogmatik  29 f. Rechtsfolge  64 ff., 164, 185, 189, 194, 201, 206 Rechtsgüterschutz  35, 174, 178, 181, 183, 188 Rechtsgüterschutzmodell  183 ff. Rechtsstaatsprinzip  173 f. Rechtsweggarantie  219 Richtervorbehalt  218

Schaden  35 Scheingefahr  49 Schengen Abkommen  23 Schleierfahndung  93, 126 ff., 207 Schutzpflichten, grundrechtliche  175 ff. Schwerpunkttheorie  99 Sekundärrechtliche Kompensation  220 f. Sicherheit als Staatsaufgabe  171 ff. Sicherheit, öffentliche  35, 181 f. Sicherheitsstrategie  221 ff. Standardbefugnisse  34, 165, 184 Störer  57 ff., 149 ff. Störererforschungseingriff  135, 189 Störung  35 Straftäter, potenzielle  153, 155 ff. Straftaten von erheblicher Bedeutung  108 ff. Streubreite  77, 90, 130, 139, 142, 145, 180, 190, 192, 205 Strukturermittlungen  124 Tatsachen, die eine Annahme recht­ fertigen  106 ff., 196 –– Bedrohungspotenzial  107 ff., 180 –– Eingriffsanlass  109 f., 170 –– Entindividualisierte Tatbestände  121, 140 –– Personenbezogene Tatbestände  121 –– Prognoseurteil  111 ff., 123, 143, 170 –– Straftaten, künftige  115 f. –– Wahrscheinlichkeitsgrad  111 ff. –– zu rechtfertigende Annahme siehe Bedrohungspotenzial Tatsächliche Anhaltspunkte, die eine Annahme rechtfertigen  120 Terrorismus  21 f. Verdachtsgewinnung siehe Raster­ fahndung Verdachtsstörer  62 f. Verfahrensrechtliche Kompensation  218 ff.

242 Sachwortregister Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  41 ff., 114 ff., 131, 146, 179 ff. Verhaltenssteuerung, indirekte  79 ff., 142 f., 147 ff., 162, 190, 192, 193, 195 Verhaltensstörer  58 ff., 185 Vermeidungsstrategie siehe Verhaltenssteuerung, indirekte Versammlungsfreiheit  86, 93, 193 Videoüberwachung  81 ff., 122, 139 ff., 153, 192 –– Eingriffsqualität  82 ff. –– Einsatzformen  82 f. –– Funktionsweise  81 f. –– konkrete Gefahr  142 f., 192 –– Tatbestände  140 ff. Volkszählungsurteil  23, 79, 87, 90 Vorfeldbefugnisse –– Aufklärung  164, 201, 206

–– Beseitigung  164, 201 –– Eingriffsanlass  109 f., 198 ff., 204 ff. –– Gesetzessystematik  164 ff. –– informationelle  73 –– Schutzgüter  188 f., 197 f. –– verfassungsrechtliche Voraus­ setzungen  169 ff., 178 ff. Vorfeldbegriff  71 ff. –– rechtsfolgenorientiert  72 ff. –– tatbestandsorientiert  76 ff. Zurechnung –– einer konkreten Gefahr  59 ff. –– im Gefahrenvorfeld  155 ff. –– Kausalität  59 –– Prognose  155 ff. Zustandsstörer  62, 185 Zweckveranlasser  60