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German Pages 208 Year 2019
Florian Feuser, Carmen Ramos Méndez-Sahlender, Christiane Stroh (Hg.) Diversität an Hochschulen
Kultur und soziale Praxis
Florian Feuser (Dr. phil.) ist Professor für Interkulturelle Kommunikation an der Hochschule für Angewandte Sprachen des SDI München. Seine Forschungsschwerpunkte sind interkulturelle Kompetenz, Kollaboration und kulturelle Identität. Carmen Ramos Méndez-Sahlender (Dr.) ist Professorin für Spanisch an der Hochschule für Angewandte Sprachen des SDI München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Fremdsprachen- und Hochschuldidaktik sowie Spanisch als Herkunftssprache. Christiane Stroh (Dr. phil.) ist Professorin für Italienisch an der Hochschule für Angewandte Sprachen des SDI München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kompetenzorientierung, selbstgesteuertes Lernen und Studiengangsentwicklung.
Florian Feuser, Carmen Ramos Méndez-Sahlender, Christiane Stroh (Hg.)
Diversität an Hochschulen Unterschiedlichkeit als Herausforderung und Chance
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4367-1 PDF-ISBN 978-3-8394-4367-5 https://doi.org/10.14361/9783839443675 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Vorwort
Carmen Ramos Méndez-Sahlender | 7 Chancen von Generationenvielfalt im Lernfeld Hochschule
Bettina Lörcher, Elke Heublein | 11 »Der Eindruck ist natürlich schon, dass wir jetzt ’ne viel heterogenere Studierendenschaft haben« Deutungsmuster von Diversität in verschiedenen Fachkulturen
Halyna Leontiy | 33 Kulturelle Vielfalt in Unterrichtssituationen Zur wechselseitigen Wahrnehmung chinesischer Studierender und Dozenten. Zwischenbericht zu den Ergebnissen explorativer Studien an einer deutschen Hochschule
Florian Feuser | 59 Collaborative Intelligence Chance kognitiver Diversität an Hochschulen
Sabine Flores | 73 Diversitätsbezogene Kompetenz entwickeln durch reflexives Schreiben in Lehre, Lernen und Beratung
Margret Mundorf | 81 Bottom up! Wege zu einem offenen und konstruktiven Umgang mit Vielfalt in Lernkontexten an der Hochschule
Antonia Happ | 109 Identitätslernen durch Erfahrungen mit Diversität an Hochschulen Vorschlag eines Tools zum Anstoß von Selbstreflexionsprozessen
Christiane Stroh | 127
Zur Diversität von Textsorten: Ein Fremdsprachencurriculum für die internationale Wirtschaftskommunikation
Regina Freudenfeld | 151 Von kultureller Diversität profitieren »SDIversity« – ein Praxisbeispiel aus der Hochschule für Angewandte Sprachen in München
Ursula Leitzmann, Karin Schwesig | 171 Diversität in virtuellen Umgebungen im Projekt »Ask a leader!« Studienanfänger im Gespräch mit internationalen Führungskräften
Pilar Salamanca Fernández | 189 Autorinnen und Autoren | 205
Vorwort Carmen Ramos Méndez-Sahlender
Diversität ist längst an den Hochschulen angekommen. Sie ist im Alltag von Forschung und Lehre präsent. Davon zeugen unterschiedliche Herkunftskulturen bei Studierenden und Lehrenden, verschiedene Lern- und Arbeitsstile oder diverse Grundannahmen darüber, was es bedeutet zu studieren, zu forschen und zu lehren. Nicht zuletzt haben sich Hochschulen die oft zitierte Internationalisierung als wesentliche Strategie auf die Fahnen geschrieben und versuchen, mit mehr oder weniger Erfolg, internationale Studierende und Lehrende zu akquirieren und ihnen den Einstieg in die neue Hochschule sprachlich und organisatorisch zu erleichtern. Das Hauptziel ist dabei ihre Integration in die täglichen Abläufe. Noch selten geht es in eine andere Richtung, nämlich Diversität als konstituierendes Element einer Hochschule zu sehen, aus dem sicherlich Herausforderungen entstehen, das aber auch große Chancen bietet. Das setzt eine ganzheitliche Sicht auf Unterschiedlichkeit voraus, die nicht nur »Neuankömmlinge« fokussiert, sondern die Gesamtheit der Studierenden und Lehrenden berücksichtigt. Diversität ist demnach nicht mit Internationalität gleichzusetzen, sondern bezieht sich auch auf unterschiedliche Persönlichkeiten, Weltanschauungen und Einstellungen, unabhängig von den Herkunftskulturen der Menschen. Oft taucht Diversität im öffentlichen Diskurs im Rahmen der Genderdebatte auf. Diese Diskussion aus wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Sicht ist notwendig und wird an vielen Hochschulen bereits geführt. Gender ist zweifelsohne ein Aspekt der Diversität, aber eben nicht der einzige. Das Verständnis von Diversität ist im vorliegenden Band vielfältiger, passend zum Thema. Es geht natürlich um Interkulturalität, aber auch um persönliche Entwicklung, Lernen in verschiedenen Lebensphasen, »Collaborative Intelligence« oder die Sicht auf Diversität aus unterschiedlichen Fachkulturen.
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In ihrem Beitrag stellen BETTINA LÖRCHER und ELKE HEUBLEIN anhand konkreter Beispiele intergeneratives Lernen an der Hochschule als Chance der Bereicherung vor. Auf der Grundlage einer quantitativen Untersuchung, bei der Studierende innerhalb einer großen Altersspanne (zwischen 40 und 90 Jahren) befragt wurden, zeigen sie überzeugend auf, dass das Miteinander unterschiedlicher Generationen viele Facetten hat, die weit über den Begriff »Alter« hinausgehen. Mit einer weiteren Perspektive der Diversität bei den Studierenden setzt sich HALYNA LEONTIY auseinander, nämlich mit der Frage, wie Diversität aus verschiedenen Fachkulturen heraus gedeutet wird. Mit ihrer empirischen Studie zeigt sie große Unterschiede in der Auffassung von Heterogenität auf, die davon abhängen, ob sie Teil des Habitus und des wissenschaftlichen Diskurses im jeweiligen Fach sind. Hier zeigt sich die Notwendigkeit interkultureller Kompetenz bei den Lehrenden. Zu diesem Schluss kommt auch FLORIAN FEUSER in seiner explorativen Studie über die wechselseitige Wahrnehmung chinesischer Studierender und Dozenten und plädiert für eine kritische Hinterfragung gängiger Lern- und Kompetenzziele, die den Anschein von Internationalität und Interkulturalität haben, aber die Lehrenden im Umgang mit unterschiedlichen Kulturen – auch Lernkulturen – im Seminarraum alleine lassen. Einen Weg, gängige hochschuldidaktische Konzepte zu durchbrechen, um bestehende Potenziale bei den Studierenden zu fördern und sie weiterzuentwickeln, schlägt SABINE FLORES vor. In ihrem Beitrag plädiert sie für die Einrichtung von »Innovation Hubs« an Hochschulen, um Raum für kognitive Diversität zu schaffen. Wie kann das Denken über Diversität durch konkrete Kompetenzen an der Hochschule gefördert werden? MARGRET MUNDORF schlägt eine Triade aus Schreiben, Reflektieren und diversitätsbezogener Kompetenz als komplementäre Dimensionen vor. Dabei zeigt sie auf, wie Schreibprozesse genutzt werden können, um Diversitätskompetenz zu entwickeln. Ein relativ neuer Weg in der Didaktik, Kompetenzen zu aktivieren und zu bündeln, sind aktivierende und die Selbstorganisation fördernde Lernszenarien für Studierende. In ihrem Beitrag plädiert ANTONIA HAPP für eine andere Form von Szenarien, nämlich solche, in denen Lehrende und Lernende zusammen Selbstlernbausteine konzipieren. Sie verfolgt dabei einen Bottom-up-Ansatz, der einem diversitätssensiblen Klima an der Hochschule förderlich ist, weil bestehende Machtstrukturen (LehrendeLernende) aufgehoben werden. Hierbei ist eine Begleitung zur Förderung von Reflexion hilfreich. Mit Reflexionsprozessen beschäftigt sich auch CHRISTIANE STROH in ihrem Beitrag. Ihre Perspektive richtet sich auf das Identitätslernen auf Grund von Erfahrungen mit Diversität. Sie hat ein Tool erarbeitet, das Selbstreflexionsprozesse über die eigene Identität in Situationen mit erlebter Diversität aktiviert und somit der Persönlichkeitsentwicklung dient. Zudem wird die Refle-
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xionskompetenz gestärkt. Eine weitere wichtige Kompetenz für die Kommunikation ist die Textkompetenz. In diesem Zusammenhang legt REGINA FREUDENFELD den Fokus auf die Textkompetenz in der internationalen Wirtschaftskommunikation. Sie bezieht sich dabei auf die sprachliche Studierfähigkeit internationaler Studierender und stellt Teile eines Gesamtsprachencurriculums als Textsortenportfolio vor, das textuelle Anforderungen abbildet und als Grundlage für studienvorbereitende bzw. -begleitende Maßnahmen dienen kann. Die letzten zwei Beiträge in diesem Sammelband stellen Projekte mit Studierenden vor, bei denen der Umgang mit Diversität eine wesentliche Rolle spielt. URSULA LEITZMANN und KARIN SCHWESIG zeigen, wie Studierende für den Umgang mit Diversität sensibilisiert werden können. Sie berichten über eine Workshop-Reihe für Studierende und Lehrende, in der sich die Teilnehmer bewusst mit kultureller Vielfalt auseinander gesetzt haben und dabei nach der Methode der »Appreciative Inquiry« in ihren Reflexionsprozessen begleitet wurden. Das von PILAR SALAMANCA FERNÁNDEZ durchgeführte Projekt »Ask a Leader« fügt zur Diversität noch ein wichtiges Element hinzu: Kommunikation in virtuellen Umgebungen. Dabei kommen Studienanfänger der internationalen Wirtschaftskommunikation mit internationalen Führungskräften ins Gespräch. Hauptziel des Projekts ist die Erlangung berufsrelevanter Kompetenzen. Auch hier war die Reflexion über die erfolgten Kommunikationsprozesse ein wichtiges Bestandselement. Die Beiträge in diesem Band werden von folgenden Grundgedanken geleitet: Diversität ist als komplexes und multiperspektivisches Konstrukt zu betrachten, sie ist eng mit kommunikativer Kompetenz verbunden und kann mit Hilfe von Reflexion begreifbar gemacht werden. Diese Ideen passen gut zu einer Hochschule als Ort, an dem Studierende und auch Lehrende sich ständig im Lernprozess befinden. Wir danken den Autoren und Autorinnen für ihre wertvollen Beiträge aus Forschung und Lehre, für ihre theoretischen Überlegungen und ihre Beispiele aus der Praxis. An dieser Stelle danken wir auch URSULA GROSS-DINTER, die uns in den Anfängen von diesem Band tatkräftig unterstützt hat. Möge diese Lektüre uns allen Diversität als Chance (be)greifbarer machen.
Chancen von Generationenvielfalt im Lernfeld Hochschule Bettina Lörcher, Elke Heublein
THEMATISCHE HINFÜHRUNG Durch den demografischen Wandel nimmt die Altersdiversität in der Arbeitswelt zu. Hucke (2017: 46) geht davon aus, dass in den nächsten Jahren vier bzw. potentiell fünf verschiedene Generationen beschäftigt sein werden und somit junge Arbeitnehmer*innen zunehmend gefordert sind, in generationenübergreifenden Teams zu arbeiten. Gleichzeitig haben junge Menschen generell immer weniger Kontakt zur älteren Generation. Jüngere und Ältere bleiben in funktional getrennten Lebensräumen zunehmend unter sich, die gemeinsamen Schnittmengen werden kleiner und spontane Lernprozesse zwischen den Generationen finden kaum noch statt (vgl. Steinhoff 2008: 131), so dass eine »zunehmende Sprach- und Beziehungslosigkeit zwischen Jung und Alt« (Eichhorn 2016: 71) zu beobachten ist. Das Lernumfeld Universität1 bietet die Chance der intergenerativen Begegnung und des Lernens voneinander. Allerdings lässt sich im universitären Alltag nach Erfahrung der Verfasserinnen eher ein Nebeneinander der unterschiedlichen Studierendengenerationen beobachten und die vorhandenen Potentiale werden nicht genutzt: »Die Altersheterogenität bei Studierenden spielt (bislang) kaum eine Rolle in der hochschulischen Diskussion« (Czock et al. 2012: 21)2.
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Die Ausführungen im Folgenden beziehen sich allgemein auf Hochschulen, d.h. sowohl auf Universitäten als auch auf Fachhochschulen.
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Werden im Folgenden verschiedene Studierendengenerationen gegenübergestellt, so wird ausschließlich auf die Unterscheidung zwischen Regel- und Seniorenstudieren-
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Wie aber können die Chancen jenseits von »Verwertungskriterien« (van Dyk 2016: 73) und »passivierenden Defizitperspektiven auf das Alter« (ebd.) genutzt und die »positive Andersartigkeit« (ebd.) als Lernchance für alle Beteiligten (im Hochschulkontext) gestaltet werden? Welchen Herausforderungen begegnen Lehrende dabei? Und wie gestalten sich Best-Practice-Beispiele? Diese und weitere Fragen möchte vorliegender Artikel beantworten.
GEGENSTANDSBEREICH Bei der Beschäftigung mit den Chancen von Generationenvielfalt im Lernfeld Hochschule werden Themenbereiche angesprochen, die einer genaueren Betrachtung und Abgrenzung bedürfen. So ist zuerst zu klären, von welchen Generationenformen im Lehr-/Lernkontext gesprochen werden kann. Der Generationenbegriff, der das Lernen im Alltag und in der landläufigen Vorstellung am häufigsten widerspiegelt, basiert auf Überlegungen Friedrich Schleiermachers und lässt sich als pädagogischer Generationenbegriff bezeichnen. Kennzeichnend für diese Vorstellung ist die unidirektionale Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden. Für Schleiermacher stand fest, dass die Wissensvermittlung und kulturelle Weitergabe von der älteren zur jüngeren Generation stattfindet (vgl. Schleiermacher 1965: 8). Im Bildungskontext, also auch in der Hochschullehre, wird basierend auf diesen Überlegungen von einer dyadischen Unterscheidung der Generationen gesprochen. Die Mitglieder der Generationen müssen sich dabei jedoch nicht aufgrund ihres Alters unterscheiden – auch wenn dies in den meisten Bildungsinstitutionen aktuell noch der Fall ist (vgl. Schmidt/Schnurr/Tippelt 2009: 146) –, sondern anhand des vorhandenen Wissens (vgl. Franz 2010: 14f.). Das bedeutet, dass »sowohl Ältere als auch Jüngere als Wissensvermittler fungieren können« (Eichhorn 2016: 68).
den zurückgegriffen, da diese im Kontext der Altersdifferenzierung an Hochschulen die größten Gruppen widerspiegeln. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass dies eine vereinfachte Darstellung ist und beide Gruppen in sich nicht homogen sind. Diversität, verstanden als Kombination von Unterschieden und Gemeinsamkeiten (vgl. Thomas 1996: 5), impliziert, dass bei den betrachteten Gruppen jenseits des kalendarischen Alters beispielsweise Geschlecht, Herkunft, Muttersprache, sozialer Status, Behinderung, sexuelle Orientierung und Identität in unterschiedlicher Ausprägung vorliegen. Welches Potential der Begegnung sich aus den vielfältigen Unterschieden und Gemeinsamkeiten ergibt, wird unter dem Punkt »Empfehlungen« betrachtet.
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Neben dem pädagogischen Generationenbegriff existiert eine genealogische Betrachtungsweise, die den Schwerpunkt auf das Aufeinanderfolgen verschiedener Generationen legt, wie sie am natürlichsten im familiären Rahmen auftreten. Diese Sichtweise ist ebenfalls hierarchisch geprägt. So wird als zentral angesehen, die nachfolgenden Generationen in die Gemeinschaft einzuführen und sie für Aufgaben und Funktionen von gesellschaftlicher Relevanz zu befähigen. Nach Franz und Schmidt-Hertha (2018: 165) basieren viele Bildungsprogramme auf diesem Generationenbegriff, der sich eher an dem Konzept ›Jung lernt von Alt‹ orientiert und bei dem ein wechselseitiger Austausch selten bis nie Betrachtung findet. Im Gegensatz dazu und im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung von Generationen steht der historisch-soziologische Generationenbegriff, der untrennbar mit Karl Mannheim (1928) verbunden ist. Für Mannheim stellen Generationen soziokulturelle Ordnungskategorien dar. So werden diejenigen Menschen zu einer Generation zusammengeschlossen, die denselben historischen Hintergrund bzw. dieselben Erfahrungen zur selben Zeit gesammelt haben. Diese generationenbildenden Erfahrungen führen demnach auch zu gesellschaftlich relevanten Handlungen und prägen die jeweilige Generation. Dabei können die entscheidenden Ereignisse politischer Natur sein, aber auch technologische, kulturelle oder demografische Entwicklungen können für die Herausbildung neuer Generationen grundlegend sein (vgl. Eckert et al. 2011: 13). Der historisch-soziologische Generationenbegriff bietet für den Austausch zwischen den Studierendengenerationen3 die Chance, die bekannten unidirektionalen Lehr-/Lernabläufe aufzubrechen, da er »den gleichberechtigten Dialog von Generationen mit ihren jeweils spezifischen Deutungsmustern und Weltsichten in den Mittelpunkt« (Franz/Schmidt-Hertha 2018: 166) rückt. Bezugnehmend auf dieses Generationenverständnis wird nachfolgend der Begriff »Alter« genauer betrachtet, wobei dessen Kontextabhängigkeit im Vordergrund stellen soll. Denn auch wenn das kalendarische Lebensalter mit den damit verbundenen Altersphasen bzw. Altersgrenzen eine erste Annäherung ermöglicht, greift dies für die Überlegungen zur vorliegenden Thematik nicht weit genug. Alter und Alterungsprozesse sind vielfältig, »das Alter« gibt es nicht. Gesellschaftliche sowie historische oder kulturelle Einflüsse prägen die unter-
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Im vorliegenden Artikel liegt der Fokus auf unterschiedlichen Studierendengenerationen. Die Generation(en) der Lehrpersonen sowie weiterer Mitglieder der Hochschulen und deren Interaktionen mit den Studierenden werden nicht weiter betrachtet, auch wenn diese bspw. im Kontext von Fremd- und Selbstbildern durchaus wirkmächtig werden können.
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schiedlichen Lebensphasen, wodurch die vermeintlich festen Altersgrenzen verschwimmen (vgl. Backes/Clemens 2013: 22). Auch führen eben jene Einflüsse dazu, dass entweder Personen, die im selben Jahr geboren wurden, in verschiedenen Kontexten bezogen auf ihr Alter anders eingestuft werden können oder ein und dieselbe Person in unterschiedlichen Situationen als »zu alt« oder »zu jung« für ein bestimmtes Amt, eine bestimmte Aufgabe etc. klassifiziert wird. Der Gedanke »Ich bin zu alt« spielt in der Selbstwahrnehmung gerade auch im Kontext der Bildungsbeteiligung und des Generationenaustauschs eine entscheidende Rolle. Die bildungspolitische Diskussion über das Lebenslange Lernen – spätestens seit dem im März 2000 von der Europäischen Kommission veröffentlichten »Memorandum on Lifelong Learning« – und die gesellschaftlichen bzw. demografischen Veränderungen geben dem Lernen, aber auch den Ressourcen Älterer neue Relevanz. Im Bildungsbereich spiegelt beispielsweise die kontinuierlich steigende Zahl der Gaststudierenden über 65 Jahren an Hochschulen die Folgen der Bildungsexpansion der 1970er Jahre mit der gestiegenen Anzahl an hohen Bildungsabschlüssen wider (vgl. Statistisches Bundesamt 2018). Der Terminus »Alter« wird im Lernfeld Hochschule meistens mit dem Gaststudium/Seniorenstudium und entsprechenden Angeboten in Verbindung gebracht.
STUDIUM IM ALTER Bei der wissenschaftlichen Weiterbildung Älterer an Hochschulen und Universitäten handelt es sich noch um ein verhältnismäßig junges Angebot. Die erste Institution in Europa, die Studienangebote speziell für Ältere entwickelte, war 1973 die »université du troisième âge« (U3A) in Toulouse, deren Konzept in den folgenden Jahren an zahlreichen Universitätsstandorten, auch in Deutschland, umgesetzt wurde. Tiefgreifende soziale und gesellschaftliche Veränderungen der 1970er Jahre, verbunden mit einer Suche nach differenzierten Antworten auf drängende politische Fragen, erzeugten einen Handlungsbedarf für Hochschulen, Wissenschaft und Forschung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Damit verbunden war die steigende Nachfrage nach akademischer Bildung für eine Generation, in der aufgrund der Bedingungen zu ihrer Jugendzeit viele keine Möglichkeit hatten, ein Studium zu absolvieren. Darüber hinaus änderte sich zu dieser Zeit das Bild von älteren Menschen in der Öffentlichkeit: Die psychologischen Defizitmodelle – wenn auch bereits kritisch diskutiert – hatten mit ihren Aussagen zum abnehmenden Leistungspotenti-
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al mit fortschreitendem Alter die gesellschaftliche Sicht auf ältere Menschen geprägt. In den 1970er Jahren setzten sich immer mehr Forschungsergebnisse durch, die Potentiale, Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten über die Lebensspanne in den Fokus nahmen (vgl. Dabo-Cruz/Pauls 2018: 175 f.). Neben anderen Bildungseinrichtungen reagierten auch Hochschulen mit der Öffnung für »neue« Zielgruppen auf diese gesellschaftlichen Veränderungen. Doch wie kann nun im Alter studiert werden? Unabhängig von speziellen Programmen und spezifischen Angeboten besteht für Ältere die Möglichkeit – mit allen Rechten und Pflichten –, als ordentliche Studierende ein reguläres Studium aufzugreifen und Abschlüsse zu erwerben, wenn die nötigen, altersunabhängigen Voraussetzungen erfüllt werden.4 Die Möglichkeit, ohne Prüfungsdruck oder modularisierte Studienpläne zu studieren, besteht durch die speziellen Angebote des Gast- oder Seniorenstudiums. Hier muss unterschieden werden: Das Gasthörendenstudium ermöglicht den Besuch ausgewählter Lehrveranstaltungen ohne Ziel eines Studienabschlusses; zusätzliche spezielle, altersorientierte Angebote existieren – anders als beim Seniorenstudium – nicht; ein Gaststudium kann bspw. auch von hochbegabten Schüler*innen besucht werden. Für das Seniorenstudium lassen sich in Deutschland je nach Standort unterschiedliche Formen identifizieren, wobei zu erwähnen ist, dass bundesweit keine einheitlichen Bezeichnungen für das Studium im Alter gebräuchlich sind. So verwenden manche Standorte konkrete kalendarische Altersangaben in ihren Titeln (bspw. Studieren 50 Plus, Mainz), orientieren sich am Konzept der U3A (Universität des 3. Lebensalters, Frankfurt am Main) oder nutzen den Terminus des Seniorenstudiums (Zentrum Seniorenstudium, München). Betrachtet man nun die verschiedenen Formen der Studienangebote, so lässt sich konstatieren, dass an einigen Standorten Zertifikatsstudiengänge für ehrenamtliche oder nachberufliche Tätigkeiten existieren, beispielhaft sei hier das Berliner Modell: Ausbildung für nachberufliche Aktivitäten (BANA) der Technischen Universität Berlin genannt. Andere Standorte bieten ergänzend strukturierte Studienmöglichkeiten an, die zur Erleichterung eines »sinnvoll fortschreitende[n] Kennenlernen[s] einer wissenschaftlichen Disziplin« (PhilipsUniversität Marburg 2018: 8) dienen. Die dritte Form stellen Angebote dar, die
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So bestehen beispielsweise generelle Altersbegrenzungen nur im Zusammenhang mit der Bewerbung für zulassungsbeschränkte Studiengänge, bei denen die/der Bewerber*in zum Bewerbungsstichtag nicht älter als 55 Jahre sein darf, es sei denn, es liegen »unter Berücksichtigung der persönlichen Situation schwerwiegende wissenschaftliche oder berufliche Gründe« (Art. 1 Abs. 3 Bayerisches Hochschulzulassungsgesetz 2007) vor.
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aus einer Mischung von Veranstaltungen aus dem allgemeinen Lehrbetrieb der Hochschule und speziellen Zusatzangeboten bestehen. Diese Angebote sind vor allem unter dem Aspekt der Generationenvielfalt interessant, da hier (meist jüngere) Regelstudierende und Seniorenstudierende relativ einfach miteinander in Kontakt kommen und lernen können – Hochschulen sind im Kontext der formalen Bildung die einzigen Institutionen, die dieses Potential bieten! Eine Universität, an der diese Mischform zu finden ist, ist die LudwigMaximilians-Universität München (LMU), die aufgrund ihrer Fächervielfalt zu den Volluniversitäten gezählt werden kann. Aus dem breiten Lehrangebot von 17 Fakultäten können Gaststudierende des Seniorenstudiums5 geöffnete Vorlesungen besuchen. Ergänzt wird das Programm durch ein spezielles Lehrangebot mit eigenen Dozierenden des Zentrums Seniorenstudium. Hier werden Vorlesungen und Seminare, aber auch Arbeits- und Gesprächskreise sowie Kunstführungen und Kunst- und Musikpraxis angeboten. Die Anzahl der möglichen Lehrveranstaltungen, die besucht werden können, orientiert sich an der Höhe der gezahlten Semestergebühr. Gemäß dem Bayerischen Hochschulgesetz vom 23. Mai 2006 gilt auch für Seniorenstudierende der Besitz einer Hochschulzugangsberechtigung als Voraussetzung für die Immatrikulation. Damit bildet die LMU eine Ausnahme, denn generell bestehen für ein Seniorenstudium keine Qualifikationsvoraussetzungen6 (vgl. Dabo-Cruz/Pauls 2018: 179). Trotz dieser Einschränkung waren im Wintersemester 2017/18 knapp 2000 Personen in das Seniorenstudium in München eingeschrieben. Im Hinblick auf die Generationenvielfalt im Lernfeld Hochschule wird nachfolgend präsentiert, wie sich der Kontakt zur jüngeren Generation für die Seniorenstudierenden der LMU darstellt. Als Grundlage dient eine 2015 durchgeführte quantitative Fragebogenerhebung von 778 eingeschriebenen Studierenden (Rücklaufquote 66 %) mit einer Spannweite der Altersverteilung von 40-90 Jahren. Ziel der Befragung war eine umfassende Programmevaluation, bei der darüber hinaus auch intergenerative Aspekte im Hochschulkontext thematisiert wurden. Gefragt nach der Art des Kontakts (fachlich oder persönlich) zu jüngeren oder gleichaltrigen Studierenden fällt auf, dass 69 % angeben, Kontakte zu Gleichaltrigen zu haben (37 % auf persönlicher Ebene, 32 % im fachlichen Aus-
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Im Folgenden wird von »Seniorenstudierenden« gesprochen. Der Zusatz verdeutlicht nur den besonderen Status und wurde deshalb der Vollständigkeit halber mit aufgeführt.
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Das Zentrum Seniorenstudium der LMU bietet regelmäßig Vortragszyklen und Sonderveranstaltungen an, für die keine Einschreibung nötig ist.
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tausch), wohingegen lediglich 14 % von generellen Kontakten zu jüngeren Studierenden berichten. Anders als zu den Gleichaltrigen besteht der Kontakt zu Jüngeren eher im fachlichen als im persönlichen Austausch (9 % zu 5 %). 17% der Befragten gaben an, gar keinen Kontakt zu anderen Studierenden zu haben. Die Möglichkeit, mit jüngeren Studierenden in Kontakt zu kommen, stellt für 57 % der befragten Seniorenstudierenden eine Bereicherung dar. 20 % geben an, vom Wissen der Jüngeren profitieren zu können, 12 % sehen den Kontakt als Chance, ihr eigenes Wissen an die Jüngeren weiterzugeben.7 Eine Voraussetzung für ein gutes und ertragreiches Miteinander im Sinne des intergenerativen Lernens ist das Fremdbild bzw. die Wahrnehmung der anderen Generation. Die Seniorenstudierenden an der LMU wurden 2015 daher auch nach dem wahrgenommenen Klima zwischen ihnen und anderen Studierenden befragt. Die eindeutige Tendenz der Antworten liegt hier auf einem guten bis neutral eingeschätzten Klima, wobei das Klima im Kontakt zu Gleichaltrigen etwas besser eingeschätzt wird; den Jüngeren gegenüber ist die Wahrnehmung überwiegend positiv-neutral. Keine*r der Befragten empfindet das Klima als »eher schlecht« bzw. »schlecht« (vgl. Lörcher 2017).
INTERGENERATIVES LERNEN – CHANCEN UND HERAUSFORDERUNGEN Bei intergenerativem Lernen steht der Austausch verschiedener Generationenperspektiven im Mittelpunkt – hier sei speziell an die Ausführungen zu Mannheims Generationenverständnis erinnert (siehe oben), jedoch finden auch die anderen Generationenbegriffe Anwendung – und nicht der Dialog von Lernenden in unterschiedlichen Lebensphasen, wie es bei rein altersgemischten Lerngruppen der Fall ist (vgl. Franz/Schmidt-Hertha 2018: 166). Der Fokus liegt also nicht auf dem Unterscheidungskriterium des kalendarischen Alters, sondern auf generationentypischen Denkweisen. So zeigt Steinhoff (2008: 134) auf, dass »in Abgrenzung zu Imitations- und Anpassungslernen und entgegen Harmonisierungsbestrebungen […] das Generationengespräch an der Hochschule als kritischer Dialog verstanden [wird], in dem Jüngere und Ältere lernen, sich über ihre unterschiedlichen Standpunkte und Sichtweisen zu verständigen. Das Lernen ist durch Wechselseitigkeit gekennzeichnet. Es soll Ausgangspunkt und Anreiz zu einer reflexiven Verständigung im Gene-
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Vorgegebene Antwortauswahl, Mehrfachnennung möglich.
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rationendialog sein und zielt auf eine produktive Auseinandersetzung ohne persönliche Kränkung, auf Kritikfähigkeit und ›Streitkultur‹.«
Die gängige Unterteilung der intergenerativen Lernformen basiert interessanterweise auf einer Untersuchung aus dem Hochschulkontext, genauer dem Seniorenstudium der Universität Hannover von Seidel und Siebert 1990. Beide Wissenschaftler differenzierten vom klassischen »Voneinander lernen« das »Miteinander lernen« und das »Übereinander lernen«, auch wenn diese drei Begriffe nicht völlig trennscharf voneinander verwendet werden: »Voneinander lernen« setzt den Expert*innenstatus einer Generation gegenüber der anderen voraus, die diesen durch Wissenszuwachs noch erreichen möchte. Die Generationeneinteilung ist hier nicht an ein bestimmtes Alter gebunden, auch wenn in dieser »natürlichsten Form des Lernens« (Franz et al. 2008: 38) die Lernenden meistens der (kalendarisch) jüngeren Generation angehören. Ein Beispiel für diese Lernform bei einem pädagogischen Generationenverständnis sind Mentoringprozesse: Im Lernfeld Hochschule können ältere Studierende, die (noch) im Berufsleben stehen oder erst seit kurzem im Ruhestand sind, jüngeren Studierenden Hilfestellungen bei Bewerbungen oder Tipps für den Berufseinstieg geben. »Miteinander lernen« legt den Fokus auf ein gemeinsames Thema, welches von den verschiedenen Generationen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Sichtweisen und Deutungsmuster bearbeitet wird. Expertenstatus kommt keiner Generation zu, jedoch sind die unterschiedlichen Prägungen der beteiligten Generationen relevant. In Veranstaltungen der Erwachsenenbildung kann bei diesen Lernformen die Lehrperson unterstützend wirken. Als Beispiele für ein miteinander Lernen im Hochschulkontext kann eine gemeinsame Exkursion in eine (vorher unbekannte) Stadt oder die Wissenserarbeitung zu einem technischen Thema genannt werden. Im »Übereinander lernen« finden sich Züge der Oral History. Die Erfahrungen und Erlebnisse der jeweiligen Generationen werden Bestandteil des Lernarrangements; der historische Kontext, in dem die Generationen eingebunden waren und sind, spielt eine entscheidende Rolle. Museumspädagogische Konzepte können beispielhaft für diese Lernform genannt werden (Franz et al., 2008). An Hochschulen liegt hierfür die Einbeziehung speziell der Älteren als Zeitzeugen nahe. Ziel und gleichzeitig Methode des intergenerativen Lernens ist die Förderung des Verständnisses für die den Einstellungen und Handlungen der jeweils anderen Generationen zugrundeliegenden Deutungsmuster (vgl. Schmidt et al. 2009: 146), aber auch die Reflexion der eigenen Denkweisen. Dadurch tragen interge-
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nerative Lernarrangements auch zum Auf- und Ausbau des sozialen Kapitals der Lernenden bei (vgl. Franz/Schmidt-Herta 2018: 171). Chancen intergenerativen Lernens Eine Chance der Generationenvielfalt an Hochschulen liegt also in der Möglichkeit des intergenerativen Austauschs. Hier führte von Rosenstiel bereits 1998 an, dass Jüngere durch den Kontakt mit der älteren Generation eine Schlüsselkompetenz erwerben können, zu der sie andernfalls aufgrund geänderter Familienkonstellationen immer seltener Zugang haben: die Fähigkeit, mit der anderen Generation umzugehen und dadurch menschlich zu gewinnen: »Universitäten […] könnten dieses Gespräch zwischen den Generationen lehren« (von Rosenstiel, 1998: 565). Durch den direkten Kontakt der verschiedenen Generationen können darüber hinaus bestehende Altersbilder8 (genauso wie Jugendbilder) beeinflusst werden, da ein Verständnis für die jeweils andere Generation entwickelt werden kann. So zeigt sich, dass sich der Austausch und das gegenseitige Kennenlernen positiv auf die bestehenden Altersbilder auswirken. Dies ist vor allem deshalb relevant, da negative Vorstellungen von der anderen Generation den intergenerativen Austausch erschweren bzw. verhindern, wohingegen eine positive Einstellung gegenüber den Jüngeren respektive Älteren diesen begünstigen (vgl. BMFSFJ 2010: 152). Gerade im Bereich der Hochschulbildung haben Ältere durch ihren Studierendenstatus und die gemeinsamen Lerngelegenheiten die Möglichkeit, den Jüngeren ein positives, handlungs- und ressourcenorientiertes Bild von Älteren und dem Prozess des Alterns (vgl. Kolland 1998: 87) zu vermitteln. Den Älteren ermöglichen die Begegnungen eine Selbstüberprüfung bezogen auf zeitgemäßes Denken (vgl. Kaiser 1998: 92) sowie die Chance, »etwas über Vorstellungen, Interessen und Nöte [der Jüngeren] zu erfahren«9 Da die Hochschulen durch Studienprogramme für Ältere eine leicht zugängliche Plattform für intergenerativen Austausch bieten, wundert es wenig, dass speziell empirische Untersuchungen zur Planung und Umsetzung generationenübergreifender Lehrveranstaltungen im Bereich der akademischen Seniorenbil-
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Unter Altersbildern können »individuelle und gesellschaftliche Vorstellungen vom Alter (Zustand des Altseins), vom Altern (Prozess des Älterwerdens) oder von älteren Menschen (die soziale Gruppe älterer Personen)« (BMFSFJ 2010: 36) verstanden werden.
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Angabe einer 73-jährigen Seniorenstudentin im Rahmen der Befragung des Zentrums Seniorenstudium der LMU München 2015, interner Bericht.
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dung vorliegen. Hinzu kommt, dass das Interesse an und die Offenheit für intergeneratives Lernen mit der Bildungsaktivität steigt (vgl. Schmidt et al 2009: 155) und dass ein ähnlicher sozialer Status der Beteiligten eine Voraussetzung für gelingendes generationenübergreifendes Lernen darstellt (vgl. Kolland 1998: 88). Wirkliches generationenübergreifendes Lernen entsteht nicht allein durch das Besuchen derselben Lehrveranstaltung; hierfür ist direkte themenbezogene Kommunikation nötig (vgl. Kaiser 1998: 99, Veelken 1998: 133). Die unten aufgeführten Praxisbeispiele geben einen kleinen Einblick in die Vielfalt intergenerativer Lehr-Lernmöglichkeiten im Hochschulkontext. Aber selbst wenn die themenbezogene Kommunikation vorhanden ist, verläuft das »Nebeneinander von Jung und Alt im Hörsaal […] nicht immer konfliktfrei« (Klammer/Ganseuer 2015: 52). Dabei gibt es verschiedene Herausforderungen, die eine Begegnung von Senioren- und Regelstudierenden erschweren, deren theoretischer Hintergrund vorab dargestellt wird. Herausforderungen intergenerativen Lernens Zunächst sei das Phänomen der sozialen Homophilie angeführt, welches sich definieren lässt, als die »Tendenz, Menschen zu schätzen, die einem ̶ z.B. in Bezug auf Herkunft, Bildung oder gesellschaftlichen Status – ähnlich sind, und sich bevorzugt mit ihnen zu umgeben« (Hucke 2017: 255). Kontakt zwischen Individuen, die sich ähnlich sind, tritt also häufiger auf als Kontakt zwischen Individuen, die sich unähnlich sind. Dabei kann zwischen Status- und Werte-Homophilie unterschieden werden. Die Status-Homophilie basiert beispielsweise auf Alter, Geschlecht und Beruf. Die Werte-Homophilie umfasst Einstellungen, Verhaltensweisen und Präferenzen. Individuen tendieren dazu, sich mit anderen Individuen im selben Alter zu vernetzen, da sie auf gleiche Erfahrungen zurückgreifen können. Dieses Phänomen tritt sowohl in freundschaftlichen als auch in kollegialen Beziehungen auf. Des Weiteren interagieren Menschen häufiger mit anderen, wenn diese ähnliche Verhaltensweisen wie sie selbst haben und ihnen in sozial wichtigen Attributen ähnlich sind. Damit besteht aufgrund der Homophilie die Gefahr, dass sich Regelstudierende und Seniorenstudierende jeweils mit Mitgliedern ihrer eigenen Gruppe vernetzen und stärker in Interaktionen treten und das »Ähnlichkeits-Anziehungskraft-Paradigma« die Begegnung und damit das intergenerative Lernen behindert (vgl. Frieling/Fröhlich 2018: 180ff.). Eine weitere Herausforderung für die Begegnung und das intergenerative Lernen stellt die soziale Kategorisierung von Menschen in Ingroup/Eigengruppe
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und Outgroup/Fremdgruppe dar. Die Eigengruppe ist die Gruppe, mit der sich ein Individuum identifiziert und der es aufgrund persönlicher Beziehungen und demografischer Merkmale angehört. Die Fremdgruppe hingegen setzt sich aus den Menschen zusammen, mit denen man weniger Gemeinsamkeiten wahrnimmt und eine geringere Verbundenheit empfindet. Im Hochschulkontext ist also davon auszugehen, dass Regel- und Seniorenstudierende schon allein aufgrund demografischer Merkmale eine Unterscheidung in Eigen- und Fremdgruppe vornehmen. Die Gruppenzugehörigkeit hat Einfluss auf das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Wahrnehmung der Fremdgruppenmitglieder (vgl. Hucke 2017: 255, Aronson et al. 2004: 491). Dabei besteht die Tendenz, die Mitglieder der Fremdgruppe kritischer zu sehen als die Mitglieder der Eigengruppe. Besonders deutlich zeigt sich die Abwertung einer Fremdgruppe, wenn Menschen den Eindruck haben, dass ihre Interessen bedroht sind, oder sie sich in Konkurrenz um knappe Ressourcen befinden (vgl. Hucke 2017: 99). Im Hochschulkontext und hier bei der Begegnung bzw. Interaktion von Regel- und Seniorenstudierenden kann dies ein negatives Klima erklären, wenn Ressourcen wie bspw. Plätze im Hörsaal begrenzt sind. Gegenüber Mitgliedern der Eigengruppe gibt es positivere Gefühle und eine bessere Behandlung bzw. Bevorzugung als gegenüber den Mitgliedern der Fremdgruppe. Hinzu kommt ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber der anderen Gruppe (vgl. Aronson et al. 2004: 492). Hinsichtlich der Eigen- und Fremdgruppenwahrnehmung sind unter intergenerativen Aspekten die Forschungsergebnisse von Levy und Banaji (2004) zu berücksichtigen. Die Wissenschaftlerinnen stellen fest, dass Ältere aufgrund negativer Altersstereotype dazu neigen, sich – zumindest auf einem unbewussten Level – nicht mit der eigenen Ingroup zu identifizieren: »older individuals tend to identify with the young as strongly as the young themselves do« (Levy/Banaji 2004: 66). Dies bedeutet, dass die Kategorisierung in Eigen- und Fremdgruppe von Seiten der Seniorenstudierenden tendenziell ein geringeres Risiko darstellt ̶ identifizieren diese sich doch weniger stark über die Altersgruppe. Von Seiten der Regelstudierenden lässt sich jedoch vermuten, dass die Unterscheidung vorgenommen wird und ein Hindernis für die Begegnung und das Lernen darstellt. In engem Zusammenhang mit sozialen Kategorisierungen stehen Stereotype und Vorurteile10. Die Mitglieder der Eigengruppe werden differenzierter wahr-
10 »Ein Stereotyp ist ein Bündel von Annahmen über die Eigenschaften der Mitglieder einer Gruppe und bildet die Basis für Vorurteile. [...] Die vorgefasste Meinung beein-
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genommen als die der Fremdgruppe. Merkmale und Verhaltensweisen von Fremdgruppenmitgliedern werden als »typisch« eingeordnet und auf alle Gruppenmitglieder übertragen. Durch den sogenannten »Confirmation Bias« werden Situationen, die dem bereits vorhandenen Bild entsprechen, stärker wahrgenommen. Dies führt zu einer Verfestigung von Stereotypen (vgl. Hucke 2017). In der intergenerativen Begegnung beider Gruppen können sowohl Regelstudierende mit Stereotypen konfrontiert sein, z.B. in Form von Zuschreibungen der Naivität und Unerfahrenheit, als auch Seniorenstudierende, z.B. in Form von Vorbehalten hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit (vgl. Czock et al. 2012: 20). Von verschiedenen Autoren werden aber vor allem die Stereotype und Vorurteile betont, die gegenüber Älteren vorherrschen (vgl. z.B. Levy/Banaji 2002, Brauer/Clemens 2010, Vogel et al. 2017). »Die Begriffe ›Alter‹ und ›alt‹ [sind] nach wie vor häufig negativ konnotiert. Sie werden etwa in Medienbeiträgen stereotyp und unreflektiert als Synonyme für Gebrechlichkeit und Vergesslichkeit verwendet. Zudem wird Alter medial häufig mit einer positiven Vorstellung von Jugendlichkeit kontrastiert, die unter anderem für eine als anstrebenswert dargestellte Aktivität und Leistungsfähigkeit stehen soll.« (Vogel et al. 2017: 49)
Wichtig ist hierbei, dass Altersvorurteile unbewusst sein und sogar unkontrollierbar wirken können ̶ auf kognitiver, affektiver und behavioraler Ebene (vgl. Levy/Banaji 2004: 50). Negative implizite Altersvorurteile konnten Levy und Banaji jedoch nicht nur bei jüngeren Befragten feststellen: »To our knowledge, the elderly is the only group that shows as strong negative implicit attitudes toward their own group as does the out-group (the young).« (Levy/Banaji 2004: 67) Die Gefahr der Stereotype liegt zum einen darin, dass durch negative Selbstbilder das eigene Verhalten und die Leistungsfähigkeit negativ beeinflusst werden. Sie können aber auch von Seiten der Jüngeren ein (unbewusstes) diskriminierendes Verhalten oder eine Vermeidung des Kontakts zu Älteren zur Folge haben (vgl. Levy/Banajii 2004: 59ff.). Die vorliegende Auswahl von Phänomenen aus der Sozialpsychologie verdeutlicht beispielhaft zentrale Herausforderungen für die Begegnung und somit das Lernen von Regel- und Seniorenstudierenden. Damit lassen sich Hinweise darauf finden, warum im universitären Kontext die Kontakte zwischen altershomogenen Gruppen wahrscheinlicher und die Begegnung zwischen Studieren-
flusst die Sichtweise auf alle Gruppenmitglieder und behindert uns dabei, mehr über den oder die einzelne zu erfahren.« (Hucke 2017: 87)
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den unterschiedlicher Generationen weniger häufig sind, wenn nicht bewusst versucht wird, diesen Phänomenen zu begegnen.
PRAXISBEISPIELE Wie können nun intergenerative Begegnungen in universitären Lernkontexten konkret gestaltet werden? Im Folgenden wird eine Auswahl11 intergenerativer Lehrveranstaltungen verschiedener Hochschulen vorgestellt. Dabei soll exemplarisch herausgearbeitet werden, welche der genannten Erfolgsfaktoren für gelungenen intergenerativen Kontakt sich in den Praxisbeispielen wiederfinden lassen und wie den Herausforderungen der Vielfalt begegnet wird. Münster: »flurgespräche« 12 In diesem Projekt an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erarbeiteten 15 ältere Teilnehmer*innen des Programms »Studium im Alter« und 34 jüngere Regelstudierende des Fachbereichs Geschichte ein Gedenkkonzept für Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Münster. Insgesamt wurden in vier Semestern 110 Biografien von ehemaligen Angehörigen der Universität erstellt mit dem Ziel, die »Verfolgten aus der Anonymität des Vergessens [zu] holen und eine angemessene Form des universitären Gedenkens an sie zu finden« (Jüttemann/Happ 2018: 15). Die Herausforderungen des intergenerativen Arbeitens lagen dabei in den Unterschieden bezogen auf die Studienmotivation, die Studienanforderungen und die Studienfreiheiten (Modularisiertes Studieren auf Seiten der Regelstudierenden und freie Studiengestaltung auf Seiten der älteren Studierenden). Ohne klare Problemstellung, vergleichbare Aufgaben und Zuständigkeiten aller Beteiligten besteht die Gefahr des Auftretens von Konflikten, welche das generationenübergreifende »voneinander« und »miteinander Lernen« verhindern. In Münster wurde der Ansatz des forschenden Lernens gewählt, wobei die Sinnhaftigkeit des Projektziels von allen Beteiligten empfunden wurde und mit ausschlaggebend für den Austausch auf Augenhöhe war. Bei organisatorischen An-
11 Die genannten Beispiele stellen selbstverständlich nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielzahl an intergenerativen Projekten an Hochschulen dar, können aber die Vielfältigkeit der Angebote bereits gut aufzeigen. 12 Ergebnisse des Projekts und weitere Informationen unter http://www.flurge spraeche.de/.
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liegen oder Interessenskonflikten wurden die Regelstudierenden bevorzugt behandelt. Auf die unterschiedlichen Zeitkapazitäten der Studierenden wurde zum Vorteil für das Projekt dahingehend reagiert, dass die Dauer der Teilnahme nicht vorgegeben war. Da einige ältere Studierende in mehreren Semestern teilnahmen, blieb ein Erfahrungsschatz vorhanden, der mit »frischen« Ideen der neu hinzugekommenen Studierenden ergänzt wurde. Über das Recherchieren der Lebensgeschichten im Archiv und deren Verschriftlichung hinaus kam einigen älteren Studierenden die Sonderaufgabe zu, Beiträge, die in nicht publikationsfähiger Form vorlagen, zu korrigieren und eine Co-Autorenschaft dafür zu übernehmen. (vgl. Jüttemann, 2018) München: »Intergeneratives Bachelorkolloquium« 13 Diese Lehrveranstaltung im Sommersemester 2018 wurde für Seniorenstudierende der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München unter dem Titel »Aktuelle seniorenbezogene Forschung an der LMU« angeboten und war in das Begleitkolloquium zur Abschlussarbeit im Bachelorstudiengang Pädagogik/Bildungswissenschaft integriert. Diese Kombination wurde möglich, da sich alle Bachelorarbeiten bei der Dozentin mit dem Themenkomplex »Alter« befassten. In der Veranstaltung wurden Zwischenergebnisse aktueller Bachelorarbeiten präsentiert und inhaltliche wie forschungsmethodische Aspekte diskutiert. Durch die Begleitung der fünf Regelstudierenden bei der Erstellung ihrer Abschlussarbeit konnten die fünf bis acht teilnehmenden Seniorenstudierenden aktuelles forschungsmethodisches Vorgehen im sozialwissenschaftlichen Kontext kennenlernen. Darüber hinaus war es möglich, auch inhaltlich zum Thema Anmerkungen zu machen und die Forschungsideen der Absolventinnen mit dem Blick »von außen« zu kommentieren. Von den beschriebenen intergenerativen Lernformen konnten bei dieser Veranstaltung also das »voneinander« sowie ein »übereinander Lernen« beobachtet werden. Die Herausforderung lag hier darin, den Absolventinnen die nötige fokussierte Unterstützung beim Erstellen der Abschlussarbeit zu ermöglichen und gleichzeitig die Lehrveranstaltung für die Seniorenstudierenden interessant und lehrreich zu gestalten. Da den Seniorenstudierenden viel daran lag, die Absolventinnen zu unterstützen, gestalteten sich manche Anregungen als sehr ausschweifend, so dass hier durch die Kolloquiumsleitung moderierend eingegriffen wurde. Die Bachelorkandidatinnen bewerteten jedoch die Anmerkungen und Rückfragen der Seniorenstudierenden dahingehend durchweg positiv, dass ihnen
13 Die Ausführungen beziehen sich auf eine interne Evaluation.
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neue Perspektiven eröffnet wurden, die hilfreich für das Erstellen der Abschlussarbeiten waren. Die abschließende Veranstaltungsevaluation zeigte, dass die Veranstaltung von allen beteiligten Generationen positiv aufgenommen wurde. Hannover: »Projektarbeit in altersgemischten Teams« Das folgende Praxisbeispiel unterscheidet sich von den beiden vorangegangenen darin, dass in dieser Lehrveranstaltung alle beteiligten Generationen Leistungspunkte erworben haben und die Studierenden unter dem Fokusthema »Diversität« zusammengeführt wurden. Im Sommersemester 2015 wurde erstmals für Studierende des (berufsbegleitenden) Weiterbildungsstudiengangs Interdisziplinäre Arbeitswissenschaft sowie in Seminaren zu Schlüsselkompetenzen für jüngere Regelstudierende der Leibniz Universität Hannover eine gemeinsame intergenerative Lehrveranstaltung zum »Diversity-Merkmal Alter« (Eichhorn 2016: 74) angeboten. Sechs jüngere Studierende und acht Fach- und Führungskräfte des Weiterbildungsstudiengangs bearbeiteten Methoden des Projektmanagements speziell unter dem Gesichtspunkt altersgemischter Teams. Eichhorn beschreibt Chancen und Herausforderungen, die sich mit den bisherigen Ausführungen decken. Erleichtert wurde der generationenübergreifende Kontakt – mehr noch als in den beiden anderen Beispielen – dadurch, dass die Teilnehmenden aufgrund des gemeinsamen akademischen Hintergrunds eine sehr homogene Gruppe bildeten (siehe auch die Ausführungen zum intergenerativen Lernen oben). Die hohe Motivation der Teilnehmenden war einerseits eine Voraussetzung für das Gelingen des Projekts und begünstigt andererseits die Wahrscheinlichkeit, »Ergebnisse des intergenerationellen Lernprozesses tatsächlich in […] [der] zukünftige[n] Arbeitssituation nutzen und einbringen zu können« (Eichhorn 2016: 78). München: »Das Lebenserhaltende ist die Vielfalt« Im Wintersemester 2018/19 führten die Autorinnen dieses Artikels ein Seminar zum Thema »Vielfalt und Diversität« für Regelstudierende im fünften Fachsemester des Bachelorstudiengangs Pädagogik/Bildungswissenschaft und Seniorenstudierende durch. Um Diversität ganz praktisch auch im Seminarraum erlebbar zu machen, wurde das Seminar in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Seniorenstudium der LMU München konzipiert und durchgeführt. So konnten Interessen der Regelstudierenden im Hinblick auf mögliche spätere Berufsfelder mit
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(Berufs- und Studien-)Erfahrungen der Seniorenstudierenden kombiniert werden. An dem Seminar nahmen acht Regelstudierende und zwischen zehn und 14 Seniorenstudierende teil. Die Regelstudierenden verfügten im Schnitt bereits über ein großes Vorwissen zu aktuellen Themen der Diversitätsthematik. Viele der Seniorenstudierenden verfügten über Praxiswissen dazu, beispielsweise durch berufliche Tätigkeiten im Personalwesen oder als Führungskräfte. Organisatorisch wurde auf die verschiedenen Bedürfnisse der Teilnehmenden eingegangen, auch wurden die Vorgaben der Studien- und Prüfungsordnung berücksichtigt: Nach einem gemeinsamen Kennenlerntermin zu Beginn der Vorlesungszeit besuchten die Seniorenstudierenden in den folgenden drei Monaten ein eher theoretisches, inhaltsfokussiertes wöchentliches Seminar, die Regelstudierenden erarbeiteten sich den gleichen Wissensstand in einem Blockseminar. Weitere Voraussetzung für die Regelstudierenden zum Erwerb der ECTS-Punkte war die Durchführung einer Forschungsarbeit mit Diversitätsschwerpunkt (z.B. zu Familienbildern in Kinderbüchern oder zur Zusammenarbeit in heterogenen Teams in der Kita). Hier hatten die Regelstudierenden sehr große Freiheit, selbstbestimmt ein Thema mit pädagogischer Relevanz auszuwählen. Die letzten fünf Termine des wöchentlichen Seminars dienten (nach einem praxisnahen Einstieg in die Chancen und Herausforderungen intergenerativen Lernens in der ersten gemeinsamen Sitzung) zur Präsentation der Forschungsergebnisse, die dann gemeinsam mit den Seniorenstudierenden diskutiert wurden. Die aus dieser Unterrichtsform gewonnenen Erfahrungen sowie Hinweise zur methodisch-didaktischen Gestaltung des Seminars werden im Folgenden präsentiert.
CHANCEN VON GENERATIONENVIELFALT – HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Welche Empfehlungen lassen sich also aus den vorliegenden Erläuterungen ableiten, um einen Dialog der Generationen zu ermöglichen und intergeneratives Lernen im Seminarraum zu fördern? Wie bereits erwähnt, können die Potentiale der Generationenvielfalt nicht allein durch das gemeinsame Besuchen von Lehrveranstaltungen genutzt werden. Vielmehr sind die Lehrenden gefordert, die Begegnung und Interaktionen im Seminarraum didaktisch fundiert und professionell zu initiieren und zu begleiten. Die Grundkonzeption sollte daher ein gemeinsames Arbeiten an einer Aufgabe vorsehen, bei der die Beteiligten ein sachliches Ziel verfolgen. Idealerweise sind
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zur Zielerreichung die Kompetenzen aller Beteiligter hilfreich bzw. vonnöten. Wenn es gelingt, das Erfahrungs-, Fach- und Praxiswissen aller Studierendengenerationen als sich komplementär ergänzend zu nutzen und gleichzeitig durch die Expertise der Dozent*innen zu vervollständigen, kann »Voneinander und Miteinander lernen« begleitet von »Übereinander lernen« optimal stattfinden. Bei der Veranstaltungsplanung ist darüber hinaus zu beachten, dass das Erleben von Konkurrenz um Ressourcen zwischen den Studierendengruppen so gering wie möglich gehalten wird, da diese ein Störfaktor im intergenerativen Lernen bedeuten kann (siehe oben). Ziel sollte es sein, einen bewussten Umgang mit diesem Phänomen zu etablieren und bei Konkurrenzsituationen ggf. diejenigen Studierenden zu bevorzugen, die Leistungsnachweise erbringen müssen. Die transparente Kommunikation mit den Teilnehmenden hierüber ist wichtig. Die Betonung der Unterschiede der Studierenden (hinsichtlich des Alters) kann zu einer Verfestigung der Eigen- und Fremdgruppen-Wahrnehmung und -Bildung führen. Die Differenzkategorie »Alter« muss angesprochen und damit verbundene Herausforderungen durch Phänomene, wie bspw. die soziale Homophilie, Gruppenbildung etc., müssen reflektiert werden – jedoch darf keine einseitige Fokussierung auf die Unterschiede erfolgen. Wichtig bei der Arbeit in (alters-)heterogenen Gruppen ist über alle Unterschiede hinweg das Bewusstmachen von Gemeinsamkeiten der Beteiligten. Hierzu kann beispielsweise das »Diversity-Rad«14 hilfreich sein, das dabei unterstützen kann, zu erkunden, welche anderen Diversitätskategorien die Beteiligten ggf. verbinden bzw. wo Übereinstimmungen vorliegen. Dazu müssen auf didaktischer Ebene immer wieder Austauschmöglichkeiten zwischen den einzelnen Studierenden jenseits der Gruppenebene erfolgen. Diese Erfahrungen können dazu beitragen, bestehende Stereotype, die auf beiden Seiten zu finden sind, abzubauen. Aus didaktischer Sicht ist des Weiteren eine bewusste, diversitätsgerechte Gestaltung der Lehrveranstaltung wichtig, z.B. durch: • diskriminierungsfreien Sprachgebrauch und Reflexion über unbewusste all-
tagssprachliche Diskriminierung, • die Verwendung von diversitätsgerechten Arbeitsmaterialien (vgl. Working
Between Cultures, in Vorbereitung) und • die Verhinderung von Ausschluss durch Nicht-Barrierefreiheit.
14 Vgl. https://www.charta-der-vielfalt.de/
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Neben einer nicht-barrierefreien Umgebung können auch verschiedene, in der Lehrveranstaltungskonzeption nicht bekannte Bedürfnisse der Zielgruppe möglicherweise ein unsichtbares und nicht-intendiertes Ausschlusskriterium sein. So stellten die Autorinnen bei der ersten Durchführung ihres Seminars in einem früheren Semester fest, dass von Seiten der Regelstudierenden ein Blockseminar als Organisationsform gewünscht wurde, die Seniorenstudierenden aber regelmäßige Termine bevorzugten. Eine Lösung wurde in der oben beschriebenen Mischform gefunden. Um etwas über die unterschiedlichen Bedürfnisse der Teilnehmenden zu erfahren und diese berücksichtigen zu können, ist ein enger Dialog zwischen Lehrenden und Teilnehmenden nötig. So sollte der Zielgruppe partizipativ die Möglichkeit gegeben werden, Einfluss auf das Seminar (auf Inhalte, aber auch auf die Organisationsstruktur) zu nehmen, um einen (unbewussten) Ausschluss der Zielgruppe zu verhindern (vgl. hierzu Gawinek-Dagargulia et al. 2016: 10f., Klammerer/Ganseuer 2015: 136ff.). Dabei ist jedoch der Handlungs- und Gestaltungsspielraum des/der einzelnen Lehrenden beschränkt. Deshalb ist es wichtig, auch auf Organisationsebene das intergenerative Lernen an der Hochschule als Ziel zu formulieren und auf Organisationsentwicklungsebene unter Einbeziehung aller Beteiligten voranzutreiben. Die Ansätze des Diversity Managements ermöglichen hierbei Teilhabe und bauen Zugangsbarrieren ab (vgl. Klammerer/Ganseuer 2015: 136). Somit können Hochschulen, »gesellschaftliche Veränderungen befördern, spiegeln und in ihren eigenen Organisationsformen vorleben« (ebd).
FAZIT UND AUSBLICK In diesem Artikel wurden erfolgreiche Beispiele vorgestellt, die zeigen, dass intergeneratives Lernen an Hochschulen gelingen und eine Bereicherung für alle Beteiligten darstellen kann. Durch eine fundierte methodisch-didaktische Konzeption und Umsetzung steigen die Chancen auf eine erfolgreiche Durchführung. Somit haben Hochschulen die Möglichkeit, auf die Herausforderungen des demografischen Wandels zu reagieren: Sie können durch intergenerative Lernarrangements eine »vorgelagerte Personalentwicklung« realisieren und einen Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander der Generationen schaffen (vgl. Eichhorn 2016: 78). Intergeneratives Lernen kann dabei nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss sinnvollerweise in umfassende Diversitätskonzepte eingebunden werden, sowohl auf methodisch-didaktischer Ebene als auch auf Ebene der Organisatio-
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nen und Institutionen. Die Dimension »Alter« muss beachtet, aber nicht als alleinige Diversitätskategorie betrachtet werden, da sonst die Gefahr einer »Schubladisierung« (Klammerer/Ganseuer 2015: 54) gegeben ist. Hier können Intersektionalitätsansätze, die das Verhältnis und das Zusammenspiel verschiedener Diversitätskategorien untersuchen, herangezogen werden und dabei helfen, intergeneratives Lernen unter dem Erleben von Unterschieden und Gemeinsamkeiten umfassend zu realisieren.
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»Der Eindruck ist natürlich schon, dass wir jetzt ’ne viel heterogenere Studierendenschaft haben« Deutungsmuster von Diversität in verschiedenen Fachkulturen Halyna Leontiy
1. EINLEITUNG Der Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist die Wahrnehmung von Diversität aus der Perspektive der Vertreter/innen natur-, sozial- und geisteswissenschaftlicher Fächer an einer Universität in Deutschland. Nach der Diskussion des Forschungsstandes, der Vorstellung des Forschungsgegenstands und der methodischen Reflexion der Mikrostudie werden ausgewählte Sequenzen aus den Expert/inneninterviews analysiert. Die Fragestellung fokussiert die Analyse der Relevanzsetzung und Deutungsmuster (sowie ihrer Effekte) von Diversität und den damit assoziierten Kategorien im Hochschulalltag. 1.1 Begriffe und Stand der Forschung Der Begriff Diversität, oft auch in seiner englischen Version »Diversity« verwendet, »gilt mittlerweile nahezu unbestreitbar weltweit als normatives Leitkonzept für die Beobachtung von und den Umgang mit menschlichen Unterschieden« (Müller/Zifonun 2016: 100). Aus dem Bereich der Antidiskriminierungsarbeit stammend, hat der Begriff Diversity im Rahmen von verschiedenen Vorkehrungen wie Diversity Management und Diversity Policies ganz im Sinne der Leistungs- und Utilitarismuskonzepte moderner Gesellschaften sowie Heterogenität fördernder Globalisierungs- und Internationalisierungsprozesse Eingang in
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Unternehmen und Institutionen gefunden (vgl. Müller/Zifonun 2016, Salzbrunn 2014: 8). Bisher fehlt in den Sozialwissenschaften sowohl eine begriffliche Schärfung als auch eine klare Definition von Diversität (vgl. Müller i.E.), wobei diese begriffliche Kontingenz m.E. in manchen Fällen gewollt ist, um in Handlungs- und Forschungsfeldern flexibel vorgehen zu können. Begriffe wie Vielfalt, Heterogenität, Diversifizierung, (kulturelle) Differenzen etc. werden zumeist synonym verwendet, wobei eine semantische Färbung zu beobachten ist: Vielfalt scheint positiver konnotiert zu sein als Heterogenität oder Differenz (vgl. z.B. Becker u.a. 2015: 1). Diversität wird in verschiedenen Kategorien und Dimensionen gedacht, wobei zu den gängigsten und für diesen Beitrag relevanten die soziale Schicht, kultureller/ethnischer oder sog. Migrationshintergrund, Religion und Behinderung gehören1. Die Funktionalität von Diversität/Vielfalt/Heterogenität als weit auszuschöpfendes Potential wird inzwischen auch von Hochschulen aufgegriffen. Beobachtet wird sogar eine »teilweise Verschiebung von der Gleichstellungspolitik (zwischen Mann und Frau) hin zum Diversity Management« (Salzbrunn 2014: 121). An deutschen Hochschulen werden unter diesem Stichwort Programme zu Internationalisierungsstrategien2 und zur Verbesserung der Familienfreundlichkeit3 konzipiert, Dual-Career-Programme eingeführt, interreligiöse Räume oder Räu-
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In Arbeiten zu Diversity Management werden drei verschiedene Dimensionen der Vielfalt unterschieden, wobei suggeriert wird, dass die erste Dimension unveränderlich, die zweite dagegen veränderlich, da erlernt ist: 1) Zu den inneren Dimensionen gehören: Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, geistige/körperliche Fähigkeiten, nationale Herkunft/Ethnie und soziale Herkunft. 2) Die äußeren Dimensionen verbinden Wohnort, Einkommen, Gewohnheiten, Freizeitverhalten, Religion/Weltanschauung, Ausbildung, Berufserfahrung, Auftreten, Elternschaft und Familienstand. 3) Zu den organisationalen Dimensionen gehören Funktion/Einstufung, Arbeitsinhalt und -feld, Fakultät/Institut/Studienrichtung/Dienstleistungseinrichtung, Dauer der Beschäftigung/Dauer des Studiums, Arbeits- und Studienort und Art des Arbeitsverhältnisses (vgl. Salzbrunn 2014: 122f., Shore 2013, Gardenswartz/Rowe 2003).
2
An der Universität Stuttgart gibt es z.B. ein Welcome-Center für international Forschende. Die Universitäten Bochum, Bonn und Marburg wurden 2009 sogar als Sieger der ersten Runde im Wettbewerb »Welcome Centres« ausgezeichnet, siehe https://www.humboldt-foundation.de/web/welcome-centres-runde-1.html (letzter Zugriff am 26.02.2019).
3
Die Universität Konstanz hat 2011 für Studierende oder Universitätsbeschäftigte ein Kinderhaus Knirps & Co. eingerichtet.
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me der Stille geschaffen4 und weitere konkrete Maßnahmen der Umsetzung des Diversity Managements5 implementiert. Universitäten werden dazu angehalten, ein Diversity-Audit durchzuführen. Dadurch soll die Kategorie Diversität in universitären Struktur- und Entwicklungsplänen oder in Handbüchern zur Qualitätssicherung verankert und Antidiskriminierung, Gerechtigkeit und Chancengleichheit an Hochschulen gefördert werden. Alles in allem liegt der Diversitätspolitik an Hochschulen zunehmend eine ähnliche Prämisse zugrunde wie der in Unternehmen: Vielfalt im Sinne von Potential und Reichtum führe zu besseren Gesamtleistungen und müsse aus diesem Grund von Hochschulen genutzt werden, worin »eine markante Verschiebung von Antidiskriminierungspolitik auf der Grundlage von Social Justice zugunsten einer Management-Perspektive zur Optimierung von Output zu beobachten« ist (Salzbrunn 2014: 122). Gerade dies macht die Gleichstellungs- und Diversitätspolitik an Universitäten als Vehikel für deren Managerialisierung angreifbar (vgl. Nentwich/Offenberger 2018). Unweigerlich stellt sich die Frage nach der Implementierung von Diversitätspolitiken im universitären Alltag. Es gibt z.B. Versuche, Differenz weniger als Problem oder Benachteiligung, die aufgrund von Unterschieden des sozialen und kulturellen Habitus entstehen können, zu sehen (Fine/Handelsman 2010), sondern Inklusion und Zusammengehörigkeit fördernde Lerngruppen und Lernformen zu schaffen (Kardia/Saunders 2013). Dass Diversity Policies an Hochschulen nicht nur einen Möglichkeitsraum eröffnen, sondern auch Paradoxien, Dilemmata und Grenzen aufdecken und somit einer kritischen Reflexion bedürfen, zeigen z.B. Beiträge im Band von Bender u. a. (2013). Kritisiert wird – mit Blick auf den deutschen Diversitätsdiskurs – generell, dass es »mehrheitlich weiße Frauen« seien, die »die Auseinandersetzung bestimmten« (Bender/Wolde 2013: 129), was darauf zurückzuführen ist, »dass sich die Diversity-Aktivitäten oftmals aus der institutionalisierten Gleichstellungspolitik heraus entwickelt haben« (ebd.). Zudem liege allgemein eine starke Abgrenzung der Antirassismusund Migrant/innenbewegungen gegenüber Diversity-Ansätzen vor, »die viele als Affirmation bestehender Ungleichheitsverhältnisse lesen« (ebd.). Häufig wird
4
Vgl. Forschungsprojekt von Volker Heins und Linda Supik »Umgang mit religiöser Diversität an deutschen Hochschulen« (Stiftung Mercator, 2015-2016). Die Ergebnisse des Projekts wurden in der Deutschen Universitätszeitschrift (duz) veröffentlicht: https://www.kwi-nrw.de/images/text_material-3549.img
(letzter
Zugriff
am
26.02.2019). 5
Wie z.B. an der Universität Duisburg-Essen. Siehe URL: https://www.uni-due.de/ diversity/ (letzter Zugriff am 26.02.2019).
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auf die kritische Haltung von Sara Ahmed verwiesen, die Diversitätspolitik als »Image-Management« (Ahmed 2011: 132) bezeichnet, das nicht dazu diene, Organisationsstrukturen zu verändern. Unter der Betrachtung der Unterschiede als inkorporiert und von Personen von außen in die Organisation gebracht kommt Diversität lediglich »in der visuellen Darstellung verschiedener Organisationen zum Tragen: Bilder von farbenfrohen glücklichen Gesichtern, welche die Vielfältigkeit der Universität als etwas zeigen, was sie willkommen heißt« (ebd.). Ellen Berrey (2015) fragt in ihrer neuesten Publikation anhand von drei Fallstudien, darunter auch an einer amerikanischen Universität, nach Effekten und Nutzen von Diversität im heutigen Amerika und kommt zum Schluss, dass Diversität die Inklusivität von Minderheiten zunächst bestärkt. Allerdings widersetzt sich Diversität dem fundamentalen Wandel in Praktiken und Kulturen, die der sozialen Ungleichheit zugrunde liegen und tiefgreifenden strukturellen Wandel verhindern. Des Weiteren werden im Sammelband von Bender u.a. (2013) drei Studien zu Maßnahmen für Studierende mit Migrationshintergrund an den Universitäten Frankfurt am Main (Ruokonen-Engler 2013), Bremen (Satilmis u.a. 2013) und Toronto (Permanand 2013) diskutiert, die sich bei der eingegrenzten Personenkategorie sowohl kompetenzstärkend auswirkten als auch exkludierende institutionelle Problemlagen und Lücken sichtbar machten. In diesem Zusammenhang bieten sich theoretische Diskussionen an. Klein (2013) argumentiert, dass Diversity Management allein nicht ausreicht, den Chancengleichheitsauftrag der Hochschulen zu realisieren; hierzu würden dezidierte Diversitäts- und Antidiskriminierungspolitiken benötigt. Kritisiert werden allerdings auch ideologiekritische Ansätze, die die Möglichkeiten der Verbesserung der Arbeits- und Lebenssituation der Beschäftigten und Studierenden mithilfe der Diversity Policies unter-, die Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen dagegen überschätzen (vgl. Krell 2013). Andere Autor/innen 6 wiederum distanzieren sich von Befürworter/innen bzw. Kritiker/innen und schlagen vielmehr »ein[en] Mechanismus der Kommunikation, der Reflexion« vor, der ermöglicht, die Fragen, »was Heterogenität konkret ausmacht« und »was das bedeutet für eine inklusive Hochschullehre oder eine inklusive Forschungsperspektive« (Bereswill/Schulte 2013: 118) dauerhaft, tagtäglich zu stellen. Zudem sollen Klassifikationen hinterfragt werden, die vorausgesetzt werden, wenn von »Differenz, Ungleichheit, Verschiedenheit, Benachteiligung, Privilegierung« gesprochen wird (ebd.).
6
Vgl. Interview von Mechthild Bereswill mit Birgitta M. Schulte (Bereswill/Schulte 2013: 118).
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In Anbetracht dieser exemplarischen Beiträge und Studien stellt sich nun die Frage, wie der Begriff Diversität sowie Konzepte des Diversity Management als Organisationsmodelle von Repräsentant/innen der Hochschule und der einzelnen Fächer gedeutet werden. Konkreter formuliert geht es um ihr Verständnis und ihre Deutungsmuster von Diversität (und damit assoziierten Kategorien) im Hochschulalltag bezogen auf Studierende unter den Prämissen der Optimierung des Studienerfolgs. Hierzu fehlen mikrosoziologische Studien. Der vorliegende Beitrag ist, zumindest im Bereich der Einzelfallanalysen, ein Versuch, dieses Forschungsdesiderat zu beheben. 1.2 Gegenstand des Beitrags Diese Mikroanalyse ist Teil einer Studie zu Fach- und Wissenskulturen, die zwischen April und September 2017 an einer Universität in Deutschland durchgeführt wurde. Interviewt wurden Lehrende und Amtsträger/innen aus zehn verschiedenen Fächern der Mathematik- und Naturwissenschaften (Interviews MINT 1-4), der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Interviews WiSo 1-3) und der Geisteswissenschaften (Interviews GW 1-7). Mit der Annahme, zu einer Fachkultur gehören Bestandteile wie kulturelle Muster im Denken und Handeln der Fachangehörigen, die Tradition des Faches, Wissens- und Forschungsgebiete, Methoden, Vorgehensweisen und Fragestellungen, Darstellungsformen der Ergebnisse und Interpretationen, also die fachspezifische Ausbildung an den Hochschulen7, sollte im ersten Schritt herausgearbeitet werden, 1) welche Vorstellungen von und Anforderungen an das jeweilige Fach vorherrschen und 2) vor welchen Herausforderungen Studierende zum Studienbeginn aus der Sicht der Lehrenden stehen, ob ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten ausreichen und ob bzw. wie sie gegebenenfalls nachgeholt werden sollen/können. Eine Vorannahme ist die im Bologna-Prozess begründete Idee der Kalkulierbarkeit der Wissens- und Kompetenzaneignung im Rahmen der Modularisierung der Studiengänge: dass sich universitäres Wissen je nach Fach klar beschreiben, auflisten und vermitteln lässt. Vor diesem Hintergrund werden Probleme in den Studienfächern formuliert, die mithilfe von Studienverbesserungsmaßnahmen behoben werden sollten, wie z.B. durch die Senkung der Studienabbrecherquoten. Der Versuch, eine solch komplexe menschliche Handlung wie ein wissen-
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Diese Bestandteile einer Fachkultur wurden vom Institut für Kompetenzentwicklung der Hochschule Ostwestfalen-Lippe im Mentoring Guide vom 02/2015 herausgearbeitet. URL: https://www.hs-owl.de/kom/fileadmin/download/studierende/MentoringGuide_Fachidentitaet03.pdf (letzter Zugriff am 26.02.2019).
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schaftlich orientiertes Studium zwecks Standardisierung und Überprüfbarkeit letztlich in beliebig viele Teilhandlungen zu zerlegen, wird inzwischen stark kritisiert, da dadurch individuelle Lernprozesse, unterschiedliche Lerneffekte und die Relevanz »der Interessen, die jenseits der formal vorgegebenen Kompetenzerwerbspflichten entwickelt« werden, nicht berücksichtigt und Studierende »zu Trivialmaschinen reduziert« würden (siehe Kühl 2012: 3 f., Kühl 2016). Des Weiteren stellt Kühl das Auseinanderklaffen der Modulbeschreibungen mit »dem faktischen Ablauf des Studiums, der Vorlesungen und Seminare sowie den realen Prozessen beim Verfassen von Klausuren und Hausarbeiten« fest (Kühl 2012: 4) und spricht von »doppelter Wirklichkeit« an den Hochschulen: Die Erstellung der Kompetenzprofile wird als »notwendige Pflichtaufgabe im Zuge der Akkreditierung von Studiengängen angesehen […], deren Erledigung dazu dient, externe Vorgaben zu erfüllen« (ebd.). Dies habe »mit der Realität dessen, was in den Lehrveranstaltungen stattfindet« (ebd.), nichts zu tun. In einem zweiten Schritt wurden sowohl Erstsemesterveranstaltungen ethnographiert als auch Gruppengespräche mit Studierenden durchgeführt, die für den vorliegenden Beitrag als Hintergrundinformation dienen, aber nicht detailliert in die Analyse eingeflossen sind. Eine der Leitfragen in den Interviews fokussierte die Sicht der Interviewten auf Geschlecht und Diversität/Heterogenität der Studierenden in ihrem jeweiligen Fach. Diese Fragestellung nimmt im Rahmen der Fachkulturenstudie weder eine zentrale Position ein noch wurden in den Interviews all die oben beschriebenen Diversitätsdimensionen systematisch abgefragt. Vielmehr geht es um eine erste Annäherung an das Verständnis und die Deutungsmuster von Diversität. Sowohl methodisch als auch theoretisch richtet sich das Projekt an den Prämissen einer hermeneutischen Wissenssoziologie aus, die ein rekonstruktives Vorgehen bei der Erforschung sozialer Wirklichkeit ermöglicht (vgl. Soeffner 2004, Hitzler/Reichertz/Schröer 1999). Die zentralen Fragestellungen lauten: • Was verstehen Interviewte als Repräsentant/innen ihrer jeweiligen Fächer
unter Diversität? • Welche Differenzkategorien werden fächerrelevant gemacht und wie werden
sie (bezogen auf den Hochschulalltag, unter der übergeordneten Fragestellung der Studie nach Kriterien des Studienerfolgs) gedeutet? Welche Effekte haben die jeweiligen Deutungsmuster? • Zeichnen sich unter Berücksichtigung der kleinen Anzahl an Interviews in einzelnen Fächern dennoch gewisse Tendenzen ab und wenn ja, welche sind es?
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• Angesichts der oben dargestellten Kritik an der Kalkulierbarkeit der Wissens-
und Kompetenzaneignung im Rahmen der Modularisierung der Studiengänge und Effekten einer »doppelten Wirklichkeit« stellt sich nicht zuletzt die Frage, ob sich diese Doppelbödigkeit auch anhand der Kategorie Diversität äußert.
2. METHODOLOGIE UND METHODISCHE REFLEXION Für die Datenerhebung wurden sog. Expertiseinterviews durchgeführt, die sich von offenen Interviewformen dadurch abgrenzen, dass hier »nicht die Gesamtperson, d.h. die Person mit ihren Orientierungen und Einstellungen im Kontext des individuellen oder kollektiven Lebenszusammenhangs« (Meuser/Nagel 2005: 442 [Herv. i.O.]) den Gegenstand der Analyse darstellt, sondern diese Person im Kontext eines organisatorischen oder institutionellen Zusammenhangs angesiedelt ist (ebd.). Die Interviewten sind Expert/innen, »die selbst Teil des Handlungsfeldes sind, das den Forschungsgegenstand ausmacht« (Meuser/Nagel 2005: 73). Sie sind Funktionsträger/innen der Institution Universität und Expert/innen ihres Fachs, verfügen also »über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse« (ebd.: 443). Da die Interviewerin ebenso dem wissenschaftlichen Team der Hochschule angehört, kann auch von Gesprächen zwischen Expert/innen und Quasi-Expert/innen gesprochen werden (vgl. Pfadenhauer 2005), was v.a. die Art der Gesprächsführung beeinflusst. Die Involvierung der Interviewerin »von innen« spielte für den Interviewverlauf und die Generierung der Datensorten insofern eine Rolle, als sie unweigerlich Diskussionen und Anreize zur Argumentation und Begründung lieferte und Referenzen zu den eigenen Erfahrungen zog; eine völlige Zurückhaltung und Ausblendung des eigenen Wissens hätte eher künstlich gewirkt. Allerdings überraschte dieses Verhalten manche Interviewte, da sie sich durch Nachfragen mit »Insiderwissen« mit eigenen Argumentationsbrüchen und Widersprüchen konfrontiert sahen. Dies wiederum ist als Qualitätsmerkmal der Interviews zu sehen: Die aktive Rolle der Interviewerin, die darin besteht, »in das Interview steuernd ein[...]greifen« zu wollen, ermöglicht es, »die extrem einseitige und künstliche Situation des narrativen Interviews von einem offeneren Dialog« abzulösen (Flick 2002: 165). Der Sinn von explorativen Expertiseinterviews in der vorliegenden Studie bestand darin, besondere explizierbare Wissensbestände, Handlungspraktiken und Deutungsmuster zu rekonstruieren. Im Fokus standen somit nicht so sehr die Kompetenz oder das Faktenwissen der Befragten, sondern ihre Wahrnehmungen, Deutungen und ihr Bewusstsein bezüglich des oben definierten Gegenstands.
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Hierzu wurde ein kurzer Leitfaden aus fünf Leitfragen konzipiert, die auf das Erzählen angelegt waren und den Interviewten viel Darstellungsfreiraum gaben/gewährten. Alles in allem ereignete sich jede Interviewsituation als eine Interaktion zwischen der Interviewerin und den Interviewten, die auch eine Diskussion ermöglichte. Im Zuge dieser Interaktion wurden in einigen Fällen Heterogenität und Diversität im Kontext einer anderen Frage thematisiert, was eine Explizierung erübrigte. In den meisten Fällen jedoch wurde Diversität explizit behandelt. Sie erfolgte generell im Kontext der Verbesserung der Studieneingangsphase und damit einhergehenden Fragen, was Studierende – je nach Fach – an Fähigkeiten und Kenntnissen mitbringen sollen und tatsächlich mitbringen, nach fehlenden Fähigkeiten und Kenntnissen sowie der Möglichkeit ihres Ausgleichs, und nicht zuletzt im Kontext von Hindernissen für Studierende des jeweiligen Faches. Die Analyse erfolgte zunächst deduktiv als theorie- und fragengeleitete Inhaltsanalyse. Alle Transkripte wurden nach den oben dargestellten diversitätsrelevanten Kategorien kodiert. In einem zweiten Schritt wurden ein Überblick über die Kodierung erstellt und die einzelnen Kategorien in Relation zueinander gesetzt (Vergleich und Kontrast). Erst in einem dritten Schritt wurden einzelne Sequenzen selektiert und feinanalytisch hermeneutisch interpretiert (vgl. Soeffner 2004, Kurt 2004). Die Selektion erfolgte nach den Kriterien Sinnbrüche, Relevanzzuschreibung und Herausforderung. Zum Schluss wurden Thesen gebildet und diskutiert. Alle Audioaufnahmen wurden möglichst genau transkribiert und anonymisiert. Aus Datenschutzgründen wurde auf die Benennung der einzelnen Fächer und der sie repräsentierenden Personen/Positionen verzichtet. Das Fach Mathematik bildet eine Ausnahme, da es Kategorien gibt, die nur für dieses Fach relevant sind. Bei der Transkription wurden Basistranskripte in Anlehnung an die Methode der Gesprächsanalytischen Transkription (vgl. Selting et al. 2009) erstellt. Die Transkriptionskonventionen finden sich im Anhang zum Beitrag.
3. ÜBERBLICK ÜBER DIE REPRÄSENTATION DER KATEGORIE DIVERSITÄT SOWIE DER ASSOZIIERTEN KATEGORIEN IN DEN INTERVIEWS Die in der Einleitung erwähnte Kontingenz und Ambivalenz des Begriffs Diversität findet sich im gesamten Datenkorpus wieder. Lediglich ein Interviewter kontextualisierte Diversität als ein Geständnis für nicht ausreichende Aktivität: »da muss ich glaube ich gestehen, da machen wir bisher […] zu wenig«
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(MINT2). Er zeigt außerdem Wissen über das Diversity Audit, an dem sich seine Hochschule beteiligt hat. Nun stellt sich die Frage, womit die Kategorie Diversität gefüllt ist. Zum einen wurden assoziierte Kategorien vorgegeben, zum anderen kamen sie von den Interviewten selbst. Im gesamten Datenmaterial finden sich die Diversitätskategorien soziale Schicht, kultureller oder Migrationshintergrund, ausländische Studierende, Religion und Behinderung. Bis auf die Kategorien Religion und Behinderung wurden die ersteren allerdings bereits durch Interviewfragen intendiert. Dies war notwendig, um die Interviewten zur Narration zu bewegen, was allein die Frage nach der Relevanz von Diversität im Studium nicht ermöglicht hätte. In den Interviews der vorliegenden Studie sind Studierende mit Migrationshintergrund Objekte der Narration, die die meisten Hürden zum Hochschulbildungserwerb bereits überwunden haben und vor der letzten Stufe »erfolgreicher Hochschulabschluss« stehen. Warum ihr erfolgreicher Hochschulabschluss als gefährdet betrachtet wird und wie damit umgegangen wird, wird Kap. 4.2 zeigen. Auch wenn keine Einheitlichkeit vorherrscht, zeichnen sich dennoch Tendenzen ab, die gewissen Diversitätskategorien für bestimmte Fächer eine höhere Relevanz zuschreiben. Trotz der herangezogenen bundesweiten Statistiken, die von über 50 % der Studierenden aus akademischen Familien sprechen, wird der Kategorie soziale Herkunft/Schicht in MINT-Fächern eine geringe Relevanz zugeschrieben, wobei diese Behauptungen auf fehlende universitäre Statistiken in Verbindung mit fehlender Wahrnehmung gestützt werden, wie die folgende Sequenz verdeutlicht: »Wir haben ja keine Möglichkeit zu erfassen, aus welchen sozialen Schichten unsere Studierenden kommen. Wissen wir ja nicht. […] hat man aber nicht so:: spürt man:::nicht so deutlich. Würde ich annehmen« (MINT4). Man kann daher in Anlehnung an Heintz (2000) eine These aufstellen, dass epistemische Fachkulturen mit einem hohen Formalisierungsgrad wie die MINT-Fächer und insbesondere die Mathematik die oben genannten Kategorien ausklammern. Als Distinktionsmerkmale werden die absolvierte Schulform und die Begabung genannt, worauf in Kap. 4.1 näher eingegangen wird. In den Geisteswissenschaften scheint die Kategorie soziale Herkunft dagegen eine größere Rolle zu spielen, da der Habitus (z.B. das sprachliche Ausdrucksvermögen) für Fächer mit einem geringen Formalisierungsgrad generell relevant ist. Dabei zeichnen sich hier auch keine einheitlichen Tendenzen ab, da grundsätzlich ein Rückgang der für den akademischen Habitus relevanten Fähigkeiten wie Theorieaffinität, wissenschaftliches Schreiben oder Umgang mit Texten festgestellt wird. Während einige darin den Einfluss der Heterogenität aufgrund der höheren Studierendenzahlen aus nichtakademischen Schichten und Migran-
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tenfamilien sehen, beziehen sich andere in ihren Erklärungstheorien unter anderem auf einen generationellen Wandel oder den negativen Einfluss des Internetkonsums. Mit wenigen Ausnahmen (in WiSo und in zwei Interviews in Geisteswissenschaften) wird der Kategorie Migrationshintergrund erhebliche Relevanz für den Studienerfolg zugeschrieben, wobei diese ausschließlich als Hindernis und Problem aufgefasst wird. Korrespondierend dazu wird die Notwendigkeit eines Nachteilsausgleichs gesehen, den eine Universität nicht zu leisten vermag. In einem Interview wird Heterogenität als Defizit gedeutet, bestehend aus »Migrationshintergrund« und einem »nicht akademischen familiären Hintergrund« (GW3). Diese Korrelation konstruiert auch die interviewte Person MINT4, was im Kap. 4.2 verdeutlicht wird. Eine weitere Diversitätskategorie stellen ausländische Studierende dar, die vor allem in Master-Studiengängen angesiedelt sind, wofür es an Hochschulen Statistiken gibt. Eine Herausforderung stellen sie lediglich in administrativer Hinsicht dar: So wird in WiSo von »Asiaten« und »Franzosen« gesprochen, denen wegen ihrer Herkunft aus »autoritären Kulturen« eine starke Zurückhaltung in Seminaren zugeschrieben wird. Aus diesem Grund wird ihnen als Prüfungsform eine schriftliche Klausur anstatt einer mündlichen Prüfung angeboten. Dabei stellen weniger Erasmusstudierende mit Studium auf Zeit eine Herausforderung dar als vielmehr die Studierenden aus dem Ausland, die in Deutschland ihren Hochschulabschluss anstreben. Die Herausforderungen ergeben sich aus unterschiedlichen Voraussetzungen, die Studierende aus dem Ausland mitbringen, da sie kein deutsches Abitur vorweisen können und die Noten oft nicht vergleichbar sind: »Im Master haben wir sehr heterogene Gruppen. und sehr viele äh Studierende, wir ham teilweise bis zu 80 % ausländische Studierende […] also viele Probleme die entstehen, äh sind dann sprachliche auch, also das ist eine Sache und das andere ist der Standard in Mathematik. der ah dann oft nicht gegeben ist und das ist für uns auch sehr schwierig« (WiSo2). Wie die wissenschaftliche Literatur und Statistiken zeigen, bleiben soziale Herkunft sowie Migrationshintergrund nach wie vor Distinktionskategorien beim Bildungserwerb. Trotz der Bildungsexpansion seit den 1950er/60er Jahren, die sich auf die Bildungsbeteiligung von jungen Frauen positiv auswirkte, konnte eine umfassende Angleichung sozialer Ungleichheit von Bildungschancen zwischen den Sozialschichten nicht erreicht werden (Krake u.a. 2018: 2, Becker 2006; Schimpl-Neimanns 2000; Müller 1998). Statistiken belegen, dass Kinder aus akademischen Haushalten in Gymnasien überwiegen. Ihr Anteil an Studienanfänger/innen ist dreimal so hoch wie der Anteil von Kindern aus nichtakademischen Familien (vgl. Krake u.a. 2018, Abb. 2, 3 und 4). Bei Kindern mit Mig-
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rationshintergrund zeigen die Statistiken noch stärkere Disparitäten auf: 82 % eines Jahrgangs aller 18-24-Jährigen mit Migrationshintergrund in Deutschland hatten 2016 Eltern ohne Hochschulabschluss. Unter den Studienanfänger/innen waren es gar 50 % (Krake u.a. 2018: 7, Abb. 5). Außerdem wird festgestellt, dass der Einfluss der Bildungsherkunft auf die Studienaufnahme bei Familien mit Migrationshintergrund stärker ausgeprägt ist als bei Familien ohne Migrationshintergrund (ebd.). Einigkeit herrscht auch darüber, dass beide Disparitäten ein Resultat von primären und sekundären Selektionsprozessen sind. Des Weiteren fällt bei der ersten Kodierung auf, dass das Wissen zur Kategorien Gender im Unterschied zu Migrationshintergrund/soziale Schicht sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr unterschiedlich repräsentiert ist. Zu Gender scheinen alle Interviewten sehr konkretes Wissen zu haben, was sie auch mit genauen und weniger genauen statistischen Zahlen belegen. Dieses Wissen umfasst zum einen die zahlenmäßige Repräsentation der Studierenden in ihrem Fach: Gesprochen wird von 1/3 Frauen und 2/3 Männern als Studierende der Mathematik. Es wird eine umgekehrte Tendenz in Biologie und Geisteswissenschaften von Vertreter/innen dieser Fächer festgestellt. In den lehramts- und anwendungsorientierten Studiengängen gibt es mehr Frauen und weniger im Bachelor of Science. In WiSo wird eine »starke Korrelation zwischen Quali und Frau« 8 (WiSo1) festgestellt. Zum anderen wird Wissen über Maßnahmen zur Unterstützung von Frauen in der Wissenschaft gezeigt. Es wird in zwei Interviews (WiSo und MINT) von genderspezifischen Problemen in Verbindung mit Schwangerschaft gesprochen, die jedoch strukturell (zeitliche Verschiebung des Praktikums) in konkreten Fällen gelöst werden. Während die Kategorie Migrationshintergrund ausschließlich defizitorientiert gedeutet wird, wird in Bezug auf die übergeordnete Kategorie Diversität jedoch eine Ausnahme gemacht: In einem geisteswissenschaftlichen Interview wird von Quereinsteiger/innen, insb. Studierenden, die nach einer Lehre und langjähriger Berufserfahrung eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben und dann studieren, gesprochen. Positiv wird ihnen eine höhere Motivation und Reife zugeschrieben. Im gesamten Datenkorpus vollkommen unerwähnt bleiben dagegen positive Aspekte von Mehrsprachigkeit oder Bilingualismus, von kulturellem Kapital und Reflexionsvermögen, die den in mehrkulturellen Kontexten sozialisierten Studierenden üblicherweise zugeschrieben und die in den Sprachwissenschaften in Deutschland seit langem thematisiert werden. Andererseits wird auch das Fehlen
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Gemeint ist damit die den Frauen zugeschriebene Affinität für die qualitativen Methoden der Sozialforschung.
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dieser Fähigkeiten in den Interviews nicht thematisiert, was auf ihre geringe Relevanz im Studienalltag hindeutet. Zudem fällt eine institutionsbezogene Differenzierung auf: In vielen Interviews wird zwischen den Studiengängen Bachelor of Science und Bachelor of Education unterschieden. Die personelle Kategorisierung von Studierenden nach dieser Differenzierung wird stets mit Bewertungen gefüllt. Dabei erhalten Lehramtsstudierende eine deutlich niedrigere Bewertung.
4. HERMENEUTISCHE AUSWERTUNG DES DATENMATERIALS Im Folgenden werden einige Sequenzen aus dem Datenkorpus, die zuvor feinanalytisch interpretiert wurden, mit Bezug auf die oben formulierten Fragestellungen in verdichteter Form dargestellt. Diese Sequenzen betreffen die Kategorien Begabung und Migrationshintergrund. Die Auswahl der Sequenzen und Kategorien erfolgt aufgrund der ihnen in den Interviews zugeschriebenen besonderen Relevanz für das jeweilige Studienfach. Zudem stellt die Kategorie Migrationshintergrund aus der Perspektive der Interviewten eine Herausforderung (im Sinne eines Problems ohne erfolgreiche Lösung) dar. Aus Anonymisierungsgründen und auch, weil für die folgenden Sequenzanalysen irrelevant, wird bei den Interviewten auf die Nennung ihres Geschlechts verzichtet. Stattdessen werden Interviewte als »die interviewte Person« und entsprechend als Personalpronomen »sie« bezeichnet, was jedoch nicht das Geschlecht, sondern den Genus Femininum des Substantivs »Person« markiert. 4.1 »Einfach weil die begabt sind« Die folgende Sequenz stammt aus einem Interview im Fach Mathematik, das als einziges Fach aufgrund seiner ihm zugeschriebenen Besonderheiten nicht anonymisiert wurde9. Zunächst äußert die interviewte Person ein Geständnis, dass ihre Universität auf diesem Gebiet »zu wenig tut« und »in gewisser Weise alle gleich« macht (Zitate aus dem Interview). Dies rechtfertigt sie mit fehlenden Informationen zum Hintergrund der Studierenden. Der Studienbeginn »von Null
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Wie Heintz (2000) und Knorr Cetina (1999) festgestellt haben, kommt der Mathematik »als einer beweisenden Wissenschaft besondere Bedeutung zu[…]« (Heintz 2000: 9), so dass wissenschaftssoziologische Kategorien, die für eine naturwissenschaftliche Disziplin entwickelt wurden, nur bedingt für andere Disziplinen tauglich sind.
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an«, der einen Bruch zwischen dem schulischen Mathematikunterricht und dem universitären Studium markiert, schaffe eine Grundlage für Chancengleichheit, sodass Diversitätsmerkmale wie Herkunft, Habitus etc. keinen Einfluss hätten. In der weiteren Narration bringt MINT2 jedoch zwei Differenzkategorien zur Sprache: die Schulform und die Begabung. Die Schulform spiele insofern eine Rolle, als Studierenden aus einem beruflichen Gymnasium aufgrund des anwendungsorientierten Unterrichts ein »gründlicher« Unterricht und eine abstrakte Denkweise fehlten und sie deswegen gegenüber den Studierenden aus einem »klassischen Gymnasium« (Zitate aus dem Interview) benachteiligt seien. Auf die Nachfrage der Interviewerin, wie diese aufgrund der Schulform entstehende Benachteiligung denn beseitigt wird, nennt MINT2 verschiedene Lernarten wie eine Art individualisiertes Tutorium und die selbständige Arbeit zu Hause. Im Kontext »selbständiges Arbeiten« wird die Kategorie Begabung eingebracht. Beides zusammen fungiert als Relativierung und Ausgleich zur Benachteiligung aufgrund der Schulform. Die Analyse der folgenden Sequenz soll dies verdeutlichen: (...) oder einfach auch mehr (3.0) mehr Zeit für sich selber reinstecken um das dann zu lernen, ne? (I: ja, ja) (2.0) °wenn sie begabt is, (--) kriecht (--) kriecht sie das auch (-) hin. also weil die Mathematik ist glaube ich schon (3.0) also man kann dann schon relativ viel ausgleichen, wenn man (3.0) wenn man da jetzt Freude an dem Fach hat und so:: und so ne, so ne natürliche Begabung mitbringt, °das gibts halt ko- das gibts in der Mathematik° vielleicht mehr als in den anderen Fächern, wir haben auch immer (-) haben auch immer so zwei oder drei Schülerstudenten da drin, die sitzen da, sind in der Schule erst in der 10. Klasse oder so. die können noch nicht mal in die Vorlesung kommen, weil die ja zu der Zeit in der Schule sind, die kriegen nur diese Übungsaufgaben, machen die Übungsaufgaben, kommen am Ende in die Klausur, und schreiben die (I: unglaublich) und schreiben die beste Klausur einfach weil die (--) (I: begabt sind) weil die begabt sind. Während das selbstständige Arbeiten (auch »Selbststudium« genannt) eine der sechs Lehrformen darstellt, die im Interview MINT1 ausführlich beschrieben werden10 und von allen Studierenden in gleicher Weise zu leisten ist, erscheint
10 MINT1 nennt folgende sechs Lehrformen des Studiums der Mathematik: 1) die Vorlesung und das Skript, 2) die Übung und die Übungsaufgaben als Hausaufgaben, 3) das Selbststudium, 4) die »klassische Tafel« als Medium, 5) die Lehrbücher und 6) die Math Hour als ein freiwilliges individualisiertes Tutorium. Zudem erstellen manche
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die Begabung als eine Differenzkategorie im mehrfachen Sinne. Zum einen kategorisiert sie die Fächer (Zitat: »das gibt es in der Mathematik vielleicht mehr als in den anderen Fächern«), sodass ihr in der Mathematik dadurch die höchste Relevanz zugeschrieben wird. Zum anderen fungiert sie als Differenzkategorie zwischen den Studierenden der Mathematik: Wer diese »natürliche Begabung« mitbringt, ist im Studium erfolgreich. Expliziert wird dies am Beispiel von »so zwei oder drei Schülerstudenten«, die ohne Vorlesungsbesuch als Input und nur durch die Lösung der Übungsaufgaben die beste Prüfungsleistung erbringen. Zu einem späteren Zeitpunkt expliziert MINT2 die Rolle der Begabung als Erfolgs- und Differenzkategorie sehr ausführlich und performativ (mit viel emotionalem Einsatz, der Bewunderung und Erstaunen signalisiert, mit Lachsignalen etc.) am Beispiel eines konkreten Schülerstudenten. Dieser habe »in kürzester Zeit schwierigste Bücher gelesen«, die für Studierende höherer Semester gedacht waren. Die Überprüfung des Lehrbuchinhalts sei erfolgreich gewesen; mehr als das: Dieser Schüler habe im Anhang des Buchs sogar einen nicht leicht zu lösenden Fehler entdeckt. Er habe dem Autor aus den USA sogar eine E-Mail geschrieben und eine diesen Fehler bestätigende Antwort erhalten. Der Autor habe versprochen, diesen Fehler bei der nächsten Auflage des Lehrbuchs zu beheben. Dieser Schülerstudent mache jetzt eine Karriere an einer anderen Universität in Deutschland. Die erfolgreiche Leistung korreliert demnach mit dem Selbststudium und der Begabung, der die höchste Relevanzstufe zugeordnet wird. Jedoch wird sie an herausragenden Einzelfällen illustriert. Das Scheitern von Studierenden der Mathematik wird ebenfalls mittels der Kategorie Begabung erklärt. An einer anderen Stelle im Interview heißt es: »Selbst wenn die noch so viel Fleiß da reinstecken, dass die das nicht schaffen, weil ihnen da irgendwie dieses vielleicht die Begabung oder so was fehlt.« Damit entsteht ein Bruch zwischen der Argumentation entlang der Kategorie der Begabung, die an außerordentlichen Einzelfällen expliziert wird, und den sechs genannten Lehrformen (siehe Fußnote 10) sowie universitären Studienverbesserungsmaßnahmen wie der Verbesserung der Didaktik in den Übungsveranstaltungen, die darauf abzielen, auf die Bedürfnisse jeder/jedes einzelnen Studierenden einzugehen. Auch wird Begabung von durch die Schulform benachteiligten Studierenden mit der Begabung von außerordentlich begabten Studierenden aufgerechnet, womit eine Ungleichwertigkeit entsteht. Zudem erscheint die Begabung als eine naturalistische Kategorie, die weder durch das soziale Umfeld noch die biologische Vererbung beeinflusst wird, was
Lehrende sogar 10minütige YouTube-Videos, in denen sie eine Aufgabe vorrechnen, was das Selbststudium zu Hause erleichtert.
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MINT2 daran expliziert, dass Nachkommen berühmter Mathematiker keine Begabung hatten und umgekehrt: »Mathematikferne« oder gar bildungsferne Familien hatten mathematisch begabte Nachkommen. Die Begabung wird somit als angeboren und nicht steuerbar, also durch institutionelle Maßnahmen nicht ausgleichbar, angesehen. Unter anderem die wissenschaftssoziologische Forschung hat die epistemischen Besonderheiten des Fachs Mathematik klar beschrieben: So wird Mathematik als eine hoch formalisierte Wissenschaft beschrieben, die sich durch Kohärenz und Konsens auszeichnet, die trotz starker interner Differenzierung einen mathematischen Wissenskorpus als kohärentes Ganzes bildet, kulturüberspannend ist und durch Trennung von Syntax und Semantik keine interpretative Flexibilität zulässt (vgl. Heintz 2000: 11 ff.). Dies ist im Lehrbetrieb an der klaren Benennung, Konzeption und großen Vielfalt der Lehrformen, also Maßnahmen, die von der Institution zu leisten sind, ablesbar. Wenn jedoch der Erfolg des Mathematikstudiums lediglich an der Kategorie Begabung als Differenz- und damit Diversitätskategorie festgemacht wird, so hat dies auch für die Institution selbst Konsequenzen: Diverse weitere Ungleichheitskategorien (entlang des Habitus, der Schulform etc.) werden relativiert und die Institution wird von der Verpflichtung befreit, weitere Zusatzangebote zu schaffen, um die Chancengleichheit der Studierenden zu steigern. Anzumerken zu diesem Interview als Einzelfall ist jedoch, dass sich im Lehrbetrieb der Mathematik an der untersuchten Universität eine Art DidaktikParadigma abzuzeichnen scheint: Lehrende jüngerer Generation teilen die Auffassung, Begabung als einzige Differenz- und Erfolgskategorie zu sehen, nicht und entwickeln stattdessen didaktische Programme mit dem Ziel, einen individuellen Umgang mit Studierenden zu etablieren und allen Studierenden, unabhängig von Begabung, Muttersprache, Herkunft und Habitus Mathematik zu vermitteln. 4.2 »Heterogen heißt mit Migrationshintergrund z.B.« In diesem Kapitel wird eine Sequenz zur Kategorie Migrationshintergrund vorgestellt, die aus einem geisteswissenschaftlichen Fach (GW3) stammt. Diese Kategorie wurde im Rahmen der Interaktion von der interviewten Person intendiert und nicht explizit erfragt. Die Sequenz ist im Kontext der Studienverbesserungsmaßnahmen in mehreren geisteswissenschaftlichen Fächern angesiedelt. Es ging um die Bemühungen des Lehrpersonals, das implizite Wissen gerade in der Studieneingangsphase zu formalisieren und systematisch umzusetzen, um die den Studienanfänger/innen zugeschriebenen Defizite zu beheben und Studienleistungen zu verbessern.
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GW3: es funktioniert schon, aber (--) der Eindruck ist natürlich schon, äh:: dass wir jetzt ne viel heterogenere (-) also heterogenere Studierendenschaft haben, ja? (I: o.k.) das=s:: ne Beobachtung, die ich jetzt nicht quantifizieren kann, ja? 00:15:41-1 I: was heißt heterogen? [inwiefern? 00:15:41-9 GW3: [heterogen heißt mit Migrationshintergrund z.B., ja? (2.0) die dann eben (--) womöglich nicht vertraut sind mit ganz allgemeinen Fragestellungen, und (-) die vielleicht nicht ihre Eltern fragen könne auch (I: ja, ja) ja, oder auch mit nicht akademischem Hintergrund, familiärem Hintergrund, ich kann=s nicht quantifizieren, ich kann nicht sagen, ob das jetzt häufiger geworden ist oder ob das zugenommen hat, ich kann jetzt nur (--) Univergleich sagen o.k. äh: (2.0) bei den [[nennt eine Region Deutschlands]] Unis is=es natürlich ein Thema das (2.0) relativ tra- relativ starke Tradition hat, ja. also wo wir einfach durch die durch den starken Zuzug und die Migration einfach stärker ist. da sowieso schon bunteres Publikum hat. ja? und darauf reagieren müssen. (--) und hier scheint es eher, aber das ist was was ich nur impressionistisch ihnen sagen kann, also ein bisschen gespiegelt von den Kollegen, Kolleginnen auch, dass (--) die Tendenz jetzt hier auch da ist, dass es heterogener wird, ja? 00:16:35-3 I: und das war bisher nicht so, in dieser Region? ja 00:16:39-8 GW3: vermutlich. vermutlich. ja. genau. also das jetzt im Prinzip offener wird, was eine schöne Sache ist, aber wo wir halt reagieren müssen. andererseits denke ich mir aus dem eigenen Studium, ich hab ja hier studiert, äh:: das sind (? ?) halt, die eigentlich früher auch schon da waren. ja? die bemängelt wurden. (I: mh: o.k.) ja? also dass Dinge eben nicht explizit gemacht wurden, oder dass ma, dass dass dass Studierende gerne konkrete Leitfäden hätten oder einfach mal konkret gesagt kriegen würden, was wird da eigentlich erwartet. ja? was ist der Erwartungshorizont? (--) 00:17:08-0 I: mhm, mhm, (3.0) ja, das ist (-) ne generelle hehe 00:17:11-1 GW3: oder das is ne e also es=is=jetzt nicht nur äh d- dem geschuldet, dass wir jetzt äh: ne veränderte Studierendenschaft haben, vielleicht ist doch das Bewusstsein stärker, auch durch solche Projekte, ja? dadurch dass solche Projekte auch gefördert werden, und vielleicht stärker g- politisch auch gewünscht werden, dass so was in Mittelpunkt rückt. also der Bedarf ist vielleicht (--) vielleicht ist er stärker weil Studierendenschaft heterogener wird, aber vielleicht is es einfach so, dass uns diese Probleme eher bewusstwerden (I: jaja, ja) klar 00:17:34-6
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Die interviewte Person gesteht, dass es um Wissen geht, das bisher implizit gefordert, aber nie explizit vermittelt wurde. An dieser Stelle hakt die Interviewerin ein, indem sie nach dem Anlass dieser Explizierungsmaßnahmen gerade zu diesem Zeitpunkt fragt, da es bisher auch ohne diese Maßnahmen funktioniert hat. Eine erwartbare Antwort wäre z.B. die Forderung von Studierenden, die sich dadurch mehr Transparenz, Gleichbehandlung und soziale Gerechtigkeit, oder von Universitäten und von der Politik, die sich dadurch Vergleichbarkeit und Rankings von Hochschulen erhoffen, womit auch die Verteilung der Mittel zusammenhängt. Die Formalisierung des Lehrbetriebs gehört mittlerweile zum politischen Standard. Jedoch nennt GW3 Heterogenität als Grund für die Formalisierungsmaßnahmen, wobei sie dies an vielen Stellen relativiert. Zunächst ist es eine Relativierung quantitativer Art: Da ihr keine Belege für die Zunahme von Heterogenität vorliegen, limitiert sie die Gültigkeit ihrer Aussage auf ihre subjektive Beobachtung, unterstützt jedoch durch die »Spiegelung im Kollegium« als Legitimationsinstanz. Auf Nachfrage hin expliziert sie den Ausdruck »heterogen«, den sie als Migrationshintergrund, gekoppelt an den »nichtakademischen familiären Hintergrund«, und damit an den Habitus, definiert. Dadurch konstruiert GW3 1) eine Verbindung zwischen Migrationserfahrung/Ethnizität und Habitus und verfestigt damit die Vorstellung eines verbreiteten Typus von bildungsfernen Migrant/innen und 2) impliziert zugleich, dass Personen ohne Migrationshintergrund diese Probleme nicht hätten, da sie aus bildungsnahen Familien kämen und über ein Basiswissen verfügten bzw. dieses bei ihren bildungsnahen Eltern erfragen könnten. So entsteht eine Skala von zwei extremen Polen, auf der Zwischenkategorien ausgelassen werden. Auch die Tatsache, dass Studierende mit Migrationshintergrund im Unterschied zu ausländischen Studierenden zu den Bildungsinländern gehören und über ein deutsches Abitur und somit über dieselben basalen Wissensbestände verfügen wie autochthone Studierenden, erscheint hier als irrelevant11.
11 Die Rolle der Schule wird allerdings dadurch geschwächt, dass seitens der Lehrenden ein radikaler Bruch zwischen Schule und Hochschule gemacht wird. Dazu gehören Aussagen aus den Interviews in den Fächern Mathematik und drei geisteswissenschaftlichen Fächern. Wenn die Schule somit keine ausreichende Vorbereitung auf das Studium darstellt, muss dieser Nachteil anderweitig ausgeglichen werden. Hierbei fungiert der Habitus (im Sinne des familiären Hintergrunds) als relevanter Faktor. Was an der Universität neu gefordert wird, ist außerhalb des Fachwissens zudem die Fähigkeit, sich in Theorien einzuarbeiten, das analytische Denken und die Fähigkeit zur Selbstorganisation.
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Des Weiteren macht GW3 einen interregionalen Vergleich, der an die Orte ihres Studiums bzw. ihrer akademischen Tätigkeit gekoppelt ist. Den Universitäten einer bestimmten Region in Deutschland schreibt sie bei diesem Thema eine »relativ starke Tradition« zu, die im »starken Zuzug« von Migranten begründet liegt. Das Ergebnis wäre »das bunte Publikum«. An der jetzigen Universität bzw. Region kann sich die Interviewte bezüglich der Heterogenität weder auf Tradition noch auf Statistiken berufen, versucht aber ihre subjektiven Beobachtungen, gestützt auf die Legitimation durch das Fachkollegium, zu einer Tendenz der graduellen Steigerung von Heterogenität zu formulieren. Heterogenität wird bisher einerseits tendenziell als ein Problem dargestellt, auf das mit Formalisierung und Standardisierung »reagiert« werden muss. Andererseits bezeichnet GW3 an einer Stelle die Offenheit der Universitäten für das nichtakademische Publikum als »eine schöne Sache«. Die »prinzipielle« Offenheit gehört zur politischen Agenda und stellt sozusagen den theoretischen Stand dar, erweist sich in der Praxis jedoch als ein Problem (Wissensdefizite), das mithilfe von Formalisierung angegangen wird. Der kommunikative Umgang der interviewten Person mit dem Thema »Migrationshintergrund« zeichnet sich durch eine extreme Vorsicht aus; hier bieten sich in der Tat Rassismusfallen12. Dass sich GW3 dennoch von sich aus, ohne explizites Nachfragen, auf dieses Thema einlässt, könnte darauf hindeuten, dass sich Heterogenität als eine offizielle Begründung und Legitimationsstrategie für Standardisierungsursachen an den deutschen Universitäten durchzusetzen scheint. Dabei reicht es nicht mehr aus, Fachinhalte zu vermitteln, sondern es muss zusätzlich noch die Fachkultur
12 Dabei muss beachtet werden, dass das Sprechen über Migrant/innen und Ausländer/innen generell problematisch ist, da dies mit sozialer Unerwünschtheit und Rassismusverdacht zusammenhängt. Auch gehört es zum Nebeneffekt der Institutionalisierung von Gleichstellungspolitik, dass Ungleichheiten tabuisiert werden. Aus diesem Grund verwenden Sprecher/innen oft sog. Disclaimer (Distanzierungsmarker) wie z.B. »ich bin kein Rassist, aber«, was die Sagbarkeit wiederum ermöglicht (den Rassismusverdacht m.E. aber nicht aufhebt). Im gesamten Datenkorpus (14 Interviews) findet sich lediglich an einer Stelle so ein Disclaimer. Anstelle dieser berufen sich Interviewte auf Statistiken, hohe Instanzen (z.B. das Prüfungsamt), Langzeitbeobachtungen und Ähnliches als rhetorische Strategien der Legitimation, um ihre Wahrnehmungen im Kontext Studierende mit Migrationshintergrund zu verbalisieren und ihre Deutungsmuster zu begründen. Der Konstruktion der »problematischen« Personenkategorie »Studierende mit Migrationshintergrund« im vorliegenden Datenkorpus der Mikrostudie soll mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, als es der Rahmen des vorliegenden Beitrags ermöglicht; hierzu ist ein gesonderter Beitrag geplant.
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(das implizite Wissen) gelehrt werden. Diese Vermittlung wird nicht mehr klassisch über die Sozialisation in dieses Fach- und Studierendenmilieu transportiert, sondern muss in curricularen Vorgaben erlernt werden. Interessant ist dabei, dass das Beklagen über das nichtexplizierte, aber geforderte Wissen in jeder Generation der Studierenden, auch zu Studienzeiten der interviewten Person, formuliert wurde. Vor 30-40 Jahren gab es noch keine Veranstaltungen zum Erlernen der Fachkultur; der Wissenserwerb erfolgte über die Erfahrungsaneignung.
5. DISKUSSION DER ERGEBNISSE UND MÖGLICHER KONSEQUENZEN FÜR DAS DIVERSITÄTSMANAGEMENT AN HOCHSCHULEN Anhand der oben dargestellten Sequenzanalysen sowie des bisherigen Forschungsstandes können, bezogen auf die Fragestellung, folgende Thesen aufgestellt werden: Differenz in der Einheit: Diversität wird in den Interviews unterschiedlich ausgestaltet und gedeutet. Die Unterschiede in der Deutung und Relevanz von Diversität hängen von den jeweiligen Fachkulturen ab und werden aus der Logik der jeweiligen Wissenschaft begründet. So scheinen Geisteswissenschaften habitusabhängig zu sein (Sprache, Rhetorik, Umgang mit wissenschaftlicher Literatur, Theorieaffinität, analytisches Denken), während die Mathematik durch ihre epistemischen Besonderheiten wie einem hohen Grad an Formalisierung, Kohärenz und Konsens eher habitusunabhängig ist. Einheit in der Differenz: Trotz dieser Unterschiede wird Diversität mehrheitlich im Kontext eines Defizits und eines notwendigen bzw. möglichen Nachteilsausgleichs kontextualisiert. Im Unterschied zu Diversity Management in Unternehmen wird z.B. Cultural Diversity (Migrationshintergrund) an Hochschulen nicht als Ressource und Potential betrachtet. Wird Quereinsteiger/innen auf dem zweiten Bildungsweg eine herausragende Motivation zugeschrieben, so werden Studierende mit Migrationshintergrund kein einziges Mal positiv erwähnt. Migration wird einer tiefsitzenden Problematik zugeordnet. Da Diversitätskonzepte aus der Logik einer Organisation angelegt werden, die Deutungsmuster aber aus der Wissenschafts- und Fachkulturperspektive konstruiert werden, wie die beiden analysierten Sequenzen zeigen, ergibt sich hierbei ein scheinbarer Widerspruch: Diversität und Heterogenität werden im Habitus der Studierenden (gleich ob soziale Herkunft, Migration, Religion oder Begabung) angesiedelt, was mit den jeweiligen Fächern als kompatibel oder inkompatibel betrachtet wird. Da die Habitusfaktoren in den voruniversitären (Schule) und
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privaten (Familie) Lebensphasen der Studierenden platziert werden, stellen sie für die Universität eine nicht zu bewältigende Herausforderung dar und die damit verbundenen Nachteile gelten als »nicht nachzuholen«, weil der Ausgleich an der Universität »zu spät« sei. Daraus ergeben sich Effekte der Deutungsmuster: In der Analyse der Deutungsmuster von Diversität zeichnet sich ein Effekt für die Institution Universität (und das jeweilige Fach) deutlich ab, nämlich der der Entlastung: In der Mathematik wird Begabung schlussendlich als angeboren dargestellt. In geisteswissenschaftlichen Fächern wiederum wird Heterogenität, die für das Fach eine Herausforderung darstellt, allgemein dem Habitus zugeschrieben. Die Etablierung von Standardisierungsmaßnahmen ist, wie die Analyse der zweiten Sequenz zeigt, vielmehr eine Reaktion auf die Forderungen der Politik und weniger auf die Bedürfnisse einer heterogen gewordenen Studierendenschaft. Die Entlastung kann bedeuten, dass 1) die Standards der jeweiligen Fächer beibehalten werden können13 und 2) die Universität/Fakultät keine Zusatzangebote konzipieren muss (das Problem wird auf die Seite der Studierenden verlagert), es sei denn, es ist politisch gewollt und für die Universität als Organisation profitabel. Gestützt auf die in diesem Beitrag diskutierten theoretischen und empirischen Vorannahmen sowie die Ergebnisse des empirischen Datenmaterials möchte ich für die Hochschulpraxis folgende Empfehlungen formulieren: 1) Über den Fokus der Diversität auf die Chancengleichheit (Nachteilsausgleich von Defiziten) hinaus sollte die Potential- und Ressourcenorientierung von Diversität in den Blick genommen werden, was das dieser Mikrostudie zugrundeliegende Datenkorpus beinahe vollkommen vermissen lässt. 2) Darüber hinaus ist (ganz im Sinne der im Kap. 1.1 vorgestellten theoretischen Diskussion) die Sensibilisierung der Hochschulmitarbeitenden und insbesondere der Lehrkräfte für Antidiskriminierungs- bzw. Antirassismuspolitik sowie die Reflexion von Herrschaftsdiskursen unter Lehrkräften zu empfehlen. 3) Wie die ausgewählten Sequenzanalysen zeigen, sollten die in der Hochschulpraxis gängigen Klassifikationen im jeweiligen Praxisbereich (in der Lehre/Fortbildung genauso wie am Arbeitsplatz) reflektiert werden, um die Reproduktion von Ungleichheit und Benachteiligung zu verhindern.
13 In vielen Interviews wird mit großer Besorgnis thematisiert, ob die jeweiligen Fächer die bis dahin konzipierten und tradierten Standards im Rahmen der Bologna-Reform noch halten können oder ob sie die Anforderungen an das Studium senken müssen.
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TRANSKRIPTIONSKONVENTIONEN (-) (--) (1.0) (?wahr?) (? ?) ..[.... ..[.... ja=ja (hehe) s(h)a:g >>Text