Die »Night Sky«-Gemälde von Vija Celmins: Malerei zwischen Repräsentationskritik und Sichtbarkeitsereignis [1. Aufl.] 9783839419076

Vija Celmins zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Künstlerinnen der Gegenwart. Ihr Schaffen aber entzieht sich gäng

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German Pages 258 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
I. EINLEITUNG
1. Die Night Sky-Paintings in Pittsburgh
2. Literaturlage
3. Fragestellung und Entwurf eines Horizonts
3.1 Die Frage nach dem Stellenwert des Motivs
3.2 Prozesse der Modernisierung und der Emanzipation des Sehens
3.3 Das Gemälde als Ort der Sichtbarkeit
3.4 Die Wahrnehmung als geprägt und beeinflussbar
4. Methodische Überlegungen
5. Struktur der Untersuchung
II. KONTINUITÄT UND ZÄSUR ZUR ENTSTEHUNG DER BILD- UND WERKFORM
1. Voraussetzungen der Bildform im Frühwerk
1.1 Konzentrationsprozesse: Gegenstandsdarstellung und Reduktion der Ausdrucksmittel
1.2 Der Stellenwert des Motivs und der Umgang mit Vorlagen im Frühwerk
2. Bild- und Werkform des reifen OEuvres
2.1 Das Motivrepertoire des reifen OEuvres. Vorlagen-Auswahl und motivische Spezifik
2.2 Eingrenzung der Motivwelt als Movens der Werkentwicklung
2.3 Das Verhältnis von Motiv und Oberfläche
III. INTENSIVIERTE OBERFLÄCHEN DIE PHASE DER GRAPHITBILDER AM BEISPIEL VON OCEAN WITH CROSS
1. Ocean with Cross #1
1.1 Das Motiv im Bildgefüge der Graphitarbeiten
1.2 Material und Prozessualität der Herstellung
1.3 Die Werkoberfläche als Evokationsebene
2. Die Graphitbilder. Diskursives Niemandsland?
2.1 Motiv und Oberfläche als antagonistische Prinzipien
2.2 Repetition und Individualität, zeitliche Verfasstheit und Wahrnehmungsorientierung
2.3 Konzeptuelle Aspekte auf dem Weg aus dem Modernismus
IV. „MAKING AND SEEING“ ZWEI WERKKONSTANTEN AM BEISPIEL VON TO FIX THE IMAGE IN MEMORY
1. To Fix the Image in Memory
1.1 Natur und Kunst in Relation? Die Steine als „Vorlagen“
1.2 Das Paradoxon der Kunstlosigkeit
1.3 Die Präsentationsform als visuelle Herausforderung
V. DIE NIGHT SKY-GEMÄLDE
1. Motiv – Vorlage – Gemälde. Eine Frage der Sichtbarkeit
1.1 Die Night Sky-Paintings in Pittsburgh
1.2 Die Fotografie im Werkprozess
1.3 Das Verhältnis der Sichtbarkeits- und Reflexionsebenen der Night Skies
1.4 Verhaltenheit und Unentscheidbarkeit: Die Visualität der Night Skies
2. Wahrnehmung und Betrachtersubjekt
2.1 Unentscheidbarkeit als Raum der Reflexion
2.2 Das Verhältnis von Werk und Betrachter: Zwischen Entzug und Partizipation
2.3 Entgrenzung der Oberfläche und ein Sehen ohne externen Referent
2.4 Das Motiv im Werkzusammenhang: Ein fragwürdig gewordener Naturbezug
3. Sehen als Kritik? Kritik des Sehens?
3.1 Das kritische Potenzial eines Sehens, das nicht „wiedererkennt“
3.2 Annäherungen an einen Erfahrungsbegriff
VI. VIJA CELMINS SICHTBARKEITSEREIGNISSE IN MALEREI
1. „It’s still something human beings do“
2. Repräsentationskritische Momente in Motiv und Wahrnehmung
3. Zwischen perception und conception
Nachwort
Literatur- und Abbildungsverzeichnis
Ein Gespräch mit Vija Celmins I-XIX
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Die »Night Sky«-Gemälde von Vija Celmins: Malerei zwischen Repräsentationskritik und Sichtbarkeitsereignis [1. Aufl.]
 9783839419076

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Eva Reifert Die »Night Sky«-Gemälde von Vija Celmins

Image | Band 31

Eva Reifert (Dr. phil.), Kunsthistorikerin, ist wissenschaftliche Volontärin bei der Pinakothek der Moderne, München/Bayerische Staatsgemäldesammlungen.

Eva Reifert

Die »Night Sky«-Gemälde von Vija Celmins Malerei zwischen Repräsentationskritik und Sichtbarkeitsereignis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Nicht in jedem Fall ließen sich Ansprüche an den Abbildungen zweifelsfrei klären. Wir bitten gegebenenfalls um Mitteilung an den Verlag. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Vija Celmins 2011, »Night Sky #6«, 1993, Ölfarbe auf Leinwand auf Holz, 48,58 x 56,83 x 3,02 cm Walker Art Center, Minneapolis, Purchased with the aid of funds from Harriet and Edson W. Spencer and the T.B. Walker Acquisition Fund, 1995. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Lektorat & Satz: Eva Reifert Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1907-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

I.

E INLEITUNG

| 11

1. Die Night Sky-Paintings in Pittsburgh | 11 2. Literaturlage | 13 3. 3.1 3.2 3.3 3.4

Fragestellung und Entwurf eines Horizonts | 23 Die Frage nach dem Stellenwert des Motivs | 25

Prozesse der Modernisierung und der Emanzipation des Sehens | 26 Das Gemälde als Ort der Sichtbarkeit | 28 Die Wahrnehmung als geprägt und beeinflussbar | 30

4. Methodische Überlegungen | 32 5. Struktur der Untersuchung | 38

II. KONTINUITÄT UND ZÄSUR ZUR ENTSTEHUNG DER B ILD- UND W ERKFORM

| 41

1. Voraussetzungen der Bildform im Frühwerk | 41 1.1 Konzentrationsprozesse: Gegenstandsdarstellung und Reduktion der Ausdrucksmittel | 42 1.2 Der Stellenwert des Motivs und der Umgang mit Vorlagen im Frühwerk | 47 2. Bild- und Werkform des reifen Œuvres | 51

2.1 Das Motivrepertoire des reifen Œuvres. Vorlagen-Auswahl und motivische Spezifik | 53 2.2 Eingrenzung der Motivwelt als Movens der Werkentwicklung | 55 2.3 Das Verhältnis von Motiv und Oberfläche | 58

III. I NTENSIVIERTE O BERFLÄCHEN DIE P HASE DER GRAPHITBILDER AM B EISPIEL VON O CEAN WITH CROSS | 61 1. Ocean with Cross #1 | 61

1.1 Das Motiv im Bildgefüge der Graphitarbeiten | 63 1.2 Material und Prozessualität der Herstellung | 70 1.3 Die Werkoberfläche als Evokationsebene | 79 2. Die Graphitbilder. Diskursives Niemandsland? | 88

2.1 Motiv und Oberfläche als antagonistische Prinzipien | 89 2.2 Repetition und Individualität, zeitliche Verfasstheit und Wahrnehmungsorientierung | 90 2.3 Konzeptuelle Aspekte auf dem Weg aus dem Modernismus | 92

IV. „MAKING AND SEEING“ ZWEI W ERKKONSTANTEN AM BEISPIEL VON TO FIX THE I MAGE IN MEMORY | 95 1. To Fix the Image in Memory | 95

1.1 Natur und Kunst in Relation? Die Steine als „Vorlagen“ | 97 1.2 Das Paradoxon der Kunstlosigkeit | 99 1.3 Die Präsentationsform als visuelle Herausforderung | 107

V. DIE NIGHT SKY-GEMÄLDE

| 115

1. Motiv – Vorlage – Gemälde. Eine Frage der Sichtbarkeit | 115 1.1 Die Night Sky-Paintings in Pittsburgh | 118 1.2 Die Fotografie im Werkprozess | 129

1.3 Das Verhältnis der Sichtbarkeits- und Reflexionsebenen der Night Skies | 144 1.4 Verhaltenheit und Unentscheidbarkeit: Die Visualität der Night Skies | 161

2.

Wahrnehmung und Betrachtersubjekt | 174

2. 1 Unentscheidbarkeit als Raum der Reflexion | 175 2.2 Das Verhältnis von Werk und Betrachter: Zwischen Entzug und Partizipation | 178 2.3 Entgrenzung der Oberfläche und ein Sehen ohne externen Referent | 183 2.4 Das Motiv im Werkzusammenhang: Ein fragwürdig gewordener Naturbezug | 187 3. Sehen als Kritik? Kritik des Sehens? | 191

3.1 Das kritische Potenzial eines Sehens, das nicht „wiedererkennt“ | 194 3.2 Annäherungen an einen Erfahrungsbegriff | 196

VI. V IJA C ELMINS S ICHTBARKEITSEREIGNISSE IN MALEREI

| 203

1. „It’s still something human beings do“ | 203 2. Repräsentationskritische Momente in Motiv und Wahrnehmung | 205 3. Zwischen perception und conception | 207

Nachwort | 211 Literatur- und Abbildungsverzeichnis | 213 Ein Gespräch mit Vija Celmins | I-XIX

Danksagung

Während der knapp drei Jahre, in denen diese Dissertation entstand, habe ich Unterstützung und Förderung von vielen unterschiedlichen Seiten erhalten. An dieser Stelle möchte ich mich dafür bedanken. Mein Doktorvater, Prof. Gregor Stemmrich an der FU Berlin, hat meine Arbeit mit wertvollen Anregungen begleitet. Über seine fachliche Expertise hinaus ist mir die Transparenz, die seine Sprache auch bei komplexen Themen immer bewahrt, zum Vorbild geworden. Auch meinem Zweitgutachter, Prof. Gregor Wedekind von der Universität Mainz, danke ich für seine Hinweise. Die Idee zur vorliegenden Dissertation entstand bei einem Gespräch mit Dr. Mario Kramer vom Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, dem ich für die Vermittlung des Kontakts zu Vija Celmins und für das wohlwollende Interesse danke, mit dem er die Fortschritte der Arbeit verfolgte. Dr. Jörn Schafaff gilt mein Dank für die hilfreichen Impulse in der Anfangszeit und für seine Anmerkungen zum Manuskript. Das Promotionsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung hat mir ein zügiges und konzentriertes Arbeiten sowie zwei Forschungsaufenthalte in New York ermöglicht. Ich habe den gewährten Vertrauensvorschuss als Ansporn und die Seminare und Zusammenkünfte als Bereicherung empfunden. Meinen Freunden, die das Wechselspiel von Hochphasen und Tiefpunkten beim Schreiben aufgefangen haben, danke ich ebenso wie meinen Eltern für ihre liebevolle Unterstützung.

I. Einleitung

1. D IE N IGHT S KY -P AINTINGS

IN

P ITTSBURGH 1

Den Raum mit sieben Gemälden der Night Sky-Reihe von Vija Celmins betritt der Besucher der Carnegie International 2008/2009, nachdem er im Kontext der Ausstellung bereits eine Vielzahl raumgreifender Installationen, schnelltaktiger Videokunst und eindrucksvolle Sound- und Farbeffekte erlebt hat.1 In diesem Umfeld sorgen die kleinformatig-querrechteckigen, ungerahmten und vorwiegend dunklen Gemälde auf weißer Wand für einen Moment der Irritation. Unwillkürlich wird das Verhaltene und Unaufdringliche in der Art der Ansprache als ungewöhnlich registriert. Während einige Besucher im Vorübergehen „nur Punkte“ oder „Fotos“ identifizieren, stellen andere beim Herantreten fest, dass es sich um Malerei handelt, und beginnen die Gemälde eingehend zu betrachten.2 Das einheitliche Motiv der Werke, so zeigt ein erster Überblick, sind gleichmäßig ausgedehnte Sternenfelder in grauen oder schwarzen Nachthimmeln. Fünf schwarze Versionen von Night Skies sind zu sehen, außerdem zwei in lichtem Grau. Das kleine Format der Werke fordert zum Herantreten auf. In der Betrachtung von Night Sky #6 etwa, einem der tiefschwarzen Gemälde der Reihe, sucht der Blick in Erwartung eines Nachthimmels die von den Sternen bezeichnete Tiefendimension des Bildes zu erschließen – doch die Oberfläche des Werks wirkt wie eine Barriere. Dem spürbaren Wechsel im Wahrnehmungsmodus des Auges, der sich daraufhin vollzieht, entspricht eine veränderte Art und Weise der Betrachtung: Ein deutlich verlangsamtes, fokussiertes Sehen

1

Vgl. Life on Mars. 55th Carnegie International, Fogle, Douglas (Hrsg.), Kat. Ausst., Pittsburgh Carnegie Museum of Art 2008/2009, Pittsburgh, Pennsylvania 2008

2

Die Werke sind in folgender Reihenfolge von rechts nach links auf drei Wänden montiert: Untitled (Comet), 1988 (auf der Abbildung nicht zu sehen); Night Sky #6, 1993; Night Sky #10, 1994/1995; Night Sky #17, 2000/2001; Night Sky #12, 1995/1996; Night Sky #1, 1990/1991; Night Sky #14, 1996/1997; Night Sky #16, 2000/2001.

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registriert beim Nähertreten die vielfältigen Spuren der Herstellung. Das Schwarz besitzt eigenständige Präsenz auf der Fläche, auf der es wie eine verdichtete, abweisende Farbmaterie aufzuliegen scheint. Auch die präzise aufgebrachten weißen und grauen Markierungen unterschiedlicher Helligkeit werden nun nicht als „Sterne“ in einer Tiefendimension aufgefasst, sondern als Teil der Fläche untersucht. Ein prüfender und differenzierender Blick erkennt dabei das Weiß als in die Ebene der schwarzen Farbschicht „eingelassen“ – und nicht etwa als aufgesetzt. Abbildung 1: Night Sky #6, 1993

© Vija Celmins 2011

Bei der Erweiterung des Blickfeldes wird die gegebene kleinteilige und ausgedehnte Struktur vom Auge als eine nicht zu überschauende Anzahl von hellen Markierungen in dunklem Grund über die Fläche nachvollzogen. Die Verteilung wirkt regellos und disparat, dabei jedoch eher gefügt als intuitiv. Trotz einer leichten Konzentration in der oberen Bildhälfte bietet die Struktur dem Blick keinen Anhaltspunkt zum Verweilen. Im Prozess dieses visuellen Wanderns und des optischen Abtastens wird die außergewöhnliche Qualität der Gemäldeoberfläche bewusst: ihre Glätte, ihr zuweilen schwarz-bläulicher Schimmer, die Geschlossenheit. Diese vage mit Foto-

E INLEITUNG

| 13

grafien assoziierten Eigenschaften erklären die anfängliche Unsicherheit hinsichtlich des Mediums. An den Begrenzungen von Night Sky #6 hebt sich gegen die auffallende Glätte der Gemäldeoberfläche einige Millimeter breit ein Randbereich ab, in dem sich die typische Gewebestruktur der Leinwand abzeichnet. Die Fläche erscheint damit einerseits als Resultat eines abtragenden Verfahrens, lässt jedoch in der Präsenz der geschlossenen Farbschicht auf der Gemäldeoberfläche zudem einen hohen Bearbeitungsgrad in der Farbauflage und einen ebenso rigorosen wie kontrollierten Arbeitsprozess vermuten. Ob die Strukturen des Gemäldes erneut zum Anlass für den Blick werden, sich „in die Tiefe zu denken“, ob die Oberflächenbeschaffenheit präzise nachvollzogen wird oder ob der Eindruck des Fotografischen mit dem des Gemäldes widerstreitet, hängt wesentlich vom räumlichen Betrachter-Standpunkt ab. Im Herantreten aber wird ein Punkt erreicht, an dem die sensibilisierte Wahrnehmung in langsamen Pulsen zwischen dem Sehen des Motivs und dem Sehen des Gemachten des Gemäldes oszilliert, ohne sich in einer Form der Sichtbarkeit zu beruhigen. Der Effekt ist in seinem Charakter weder aufdringlich noch aggressiv; vielmehr erscheint hier ein Moment der „Semantiklosigkeit“ gegeben, das verwundert und Aufmerksamkeit weckt, so dass das Phänomen eine Zeitlang erprobt und befragt wird. Was aber geben die Night Skies zu sehen? Das Motiv des Sternenhimmels? Wenn das Motiv jedoch nicht in der Repräsentation eines unmittelbaren Natureindrucks aufgeht, welche Form des Erkennens ist dann in den Werken angesprochen? Wie erklären sich die beobachteten Wahrnehmungseffekte und wofür stehen sie? Und schließlich werfen die Gemälde auch Fragen an die Verwendung von Malerei auf: an die Art der Ansprache und das Materialbewusstsein. In der Begegnung mit den Night Sky-Paintings deutet sich an, dass gerade nicht die Wiedergabe des Motivs das Thema der Werke darstellt, sondern das Sehen selbst, genauer: das Ereignis des Sehens zwischen Motiv und Faktur.

2. L ITERATURLAGE Celmins selbst bringt bereits in ihrem ersten größeren Interview 1978 ein Interesse an wahrnehmungsbezogenen Aspekten zum Ausdruck3: Symbolismus,

3

Vgl. Larsen, Susan C.: A Conversation with Vija Celmins, in: Journal, Los Angeles Institute of Contemporary Art, No. 20 (Oktober-November 1978), S. 36-39. Das In-

14 | VIJA C ELMINS

Psychologie oder politische Themen, so die Künstlerin, spielten für ihr Werk keine Rolle: „I am interested in seeing and ordering things and structuring things, perception with nuances.“4

Auch in den qualitätvollen Katalogpublikationen und Artikeln in internationalen Kunstzeitschriften, die sich seit der ersten Einzelausstellung Celmins’ 19735 mit dem Œuvre auseinandergesetzt haben, wird die besondere Bedeutung des Sehens angesprochen, etwa im Katalog der europäischen Retrospektive 1996/19976: Für Lingwood stellen sich die „Bilder des Nachthimmels“ und ihr Spiel zwischen Oberfläche und Abbild als Höhepunkt einer „unaufhörliche[n] Dialektik von Nähe und Ferne“ dar, die das gesamte Œuvre präge.7 Der Autor charakterisiert das Werk vage als „Meditation über die Natur des Sehens, über das Problem, aber auch das Vergnügen des Betrachtens.“8 Rhodes versteht Celmins’ Thematisierung des Sehens als Gegensatz zu „anderen postmodernen Konzeptionen der Visualität, die mit Passivität und Opferbereitschaft verbunden“9 seien. Das Werk durchlaufe ein „Wunder des Sehens, gleich wie die Gemälde der Vergangenheit“.10 Ein gewisses Befremden gegenüber der Abbildlichkeit der Werke ist zu

terview, das im Folgenden „Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978“ zitiert wird, ist nach wie vor einer der wesentlichen Referenzpunkte für die Auseinandersetzung mit dem Œuvre. 4

Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 39. Das Interview bietet außerdem eine Fülle von aufschlussreichen Details, wie etwa Celmins’ Blick auf Giottos Beweinung in der Arena Kapelle. Vgl. S. 36

5

1973 zeigt das Whitney Museum of American Art Graphitarbeiten.

6

Die europäische Werkschau wurde 1996 vom Institute of Contemporary Arts organisiert und nach London auch in Madrid, Winterthur und Frankfurt am Main gezeigt.

7

Vgl. Lingwood, James: Tatsachenbilder. Vija Celmins' Werk seit den sechziger Jahren, in: Vija Celmins. Werke 1964-96, Lingwood, James/Schwarz, Dieter (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunstmuseum Winterthur/Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main 1997, Winterthur 1996, S. 22-43, hier: S. 25

8

Lingwood 1996, S. 27

9

Rhodes, Richard: Vija Celmins, Malerin, in: Vija Celmins. Werke 1964-96, Lingwood, James/Schwarz, Dieter (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunstmuseum Winterthur/Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main 1997, Winterthur 1996, S. 98-103, hier: S. 100

10 Rhodes 1996, S. 101

E INLEITUNG

| 15

Beginn des Essays spürbar, wo von „altmeisterlichen“ Qualitäten des Œuvres die Rede ist: „Klein, konzentriert, vielschichtig und technisch vollendet nehmen Vija Celmins’ Gemälde gelegentlich das Aussehen vormoderner Werke an. Die Bilder sind Fenster, die einer konzentrierten Wiedergabe dienen. In herkömmlicher Weise bieten sie etwas an, das sich betrachten lässt und durch das man hindurchschauen kann. Hochgemut verteidigen sie eine Kunst der Illusion […].“11

Beide Aspekte, die Art der Auseinandersetzung mit dem Sehen sowie die Frage nach dem Stellenwert und dem Umgang mit dem Motiv, bilden in der Literatur wiederkehrende Ansatzpunkte der Beschäftigung mit dem Œuvre. Weitaus größeren Einfluss entwickeln jedoch biografiebezogene Annäherungen, die die Kriegs- und Fluchterlebnisse Celmins’ vor der Immigration in die USA 1948 zum Anlass nehmen, um zum Beispiel Verbindungen zu Diskursen des Displacement herzustellen.12 Ausgangspunkt dieser Sichtweisen ist das Gespräch mit dem Künstlerkollegen Chuck Close, das 1991 in der A.R.T. Press-Reihe erschien.13 Zwar gibt das Interview wertvolle Einblicke in Celmins’ künstlerische Haltung, jedoch finden insbesondere die hier angesprochenen biografischen Aspekte Beachtung: Aussagen der Künstlerin wie „Maybe I feel somewhat displaced“ oder das MiloszZitat „Imagination can fashion a homeland“14 werden für viele der nachfolgenden Auseinandersetzungen mit dem Œuvre zu Leitgedanken. Dave Hickey, dessen Essay 1993 im Katalog der Retrospektive des Institute of Contemporary Art der University of Pennsylvania15 durch seine unakademische Sprache und die

11 Rhodes 1996, S. 98 12 1938 in Riga, Lettland, geboren, floh Celmins 1944 mit ihrer Familie vor der vorrückenden Sowjetarmee nach Deutschland, wo sie die letzten Kriegsmonate und die Zerrüttungen der unmittelbaren Nachkriegszeit erlebte. Nach der Immigration in die USA 1948 ließ sich die Familie in Indianapolis nieder. 13 Vija Celmins interviewed by Chuck Close, in: Bartman, William S. (Hrsg.): Vija Celmins, Los Angeles 1992. Das Interview wird im Folgenden als „Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992“ zitiert. 14 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 23 15 Vija Celmins, University of Pennsylvania (Hrsg.), Kat. Ausst., Philadelphia Institute of Contemporary Art University of Pennsylvania 1992, Philadelphia, Pennsylvania 1992. Die Ausstellung macht unter anderem auch im Walker Art Center, Minneapolis,

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ebenso unorthodoxe Herangehensweise inspiriert, stellt seinen literarisch und geschichtsphilosophisch geprägten Überlegungen ein Zitat aus Mille Plateaus von Deleuze/Guattari voran; zur Ergänzung einer Geschichtsschreibung, die immer dem Blickwinkel des Sesshaften folge, wird hier eine „Nomadologie“ eingefordert.16 Den Wandel im Œuvre Celmins’ um 1968, dem das besondere Interesse Hickeys gilt, beurteilt der Autor entsprechend der von Deleuze/Guattari entlehnten Perspektive wie folgt: „In this context, I think, the transmutation that takes place in Celmins’ work can be characterized as a turning outward—as a moral recalibration of interiority and exteriority—a shift of dimension out of ‘history’ and into its opposite—which Deleuze calls ‘nomadic flux’ and Celmins calls ‘real time’—an awakening, as Joyce would have it, out of the ‘nightmare of history’ and the dreamscape of its political geography.“17

Aufschlussreich für die Wahrnehmung der Kunst Celmins’ sind die Kontexte, in die das reife Œuvre innerhalb des vergangenen und aktuellen Ausstellungsgeschehens gestellt wird.18 Welchen Einfluss dabei Hickeys Essay entfaltet, zeigt sich daran, dass die Werke Celmins’ bald nach dem Erscheinen des Philadelphia-Katalogs in Ausstellungen eingebunden werden, die den Exil- und Territorialitätsdiskursen zugerechnet werden können. Die Einführung zur Ausstellung About Place: Recent Art of the Americas19 des Art Institute of Chicago (1995) versteht den Herstellungsprozess der Arbeiten in Analogie zu anorganischen Formationsprozessen der Natur:

im Whitney Museum of American Art in New York und im Museum of Contemporary Art, Los Angeles, Station. 16 Hickey, Dave: Vija Celmins: The Path Itself, in: Vija Celmins, University of Pennsylvania (Hrsg.), Kat. Ausst., Philadelphia Institute of Contemporary Art University of Pennsylvania 1992, Philadelphia, Pennsylvania 1992, S. 24-35, hier: S. 24. Seine ersten Gedanken beim Anblick einer Ozean-Zeichnung Celmins’ beschreibt der Autor mit den Worten: „Cézanne meets Shelley“, vgl. Hickey 1992, S. 30 17 Hickey 1992, S. 29 18 Für eine ausführliche Auflistung der Ausstellungsbeteiligungen, wie auch für eine Zusammenstellung der zu Celmins erschienenen Publikationen und Artikel, sei auf die Chronologie und Bibliographie im Anhang des Phaidon-Bandes verwiesen: Relyea, Lane/Gober, Robert/ Fer, Briony: Vija Celmins, London 2004, S. 144-158 19 About Place: Recent Art of the Americas, Grynsztein, Madeleine (Hrsg.), Kat. Ausst., The Art Institute of Chicago 1995, Chicago 1995

E INLEITUNG

| 17

„This method of construction or generation seems imitative of nature: as though Celmins would have her work to be every bit as marvellous exacting, comprehensive, and thus finally durable as the process blindly employed by nature for the making of its geological, astrological, or inorganic products.“20

Celmins schaffe einen „alternativen Kosmos“, der eine Verortung des Selbst erlaube, aber auch eine Entsprechung innerer Zustände sei, die als „the most detached and wide-roaming meditation“21 umschrieben werden. Auch die Analysen im Zusammenhang der Terra Incognita-Ausstellung von 1998 folgen im weitesten Sinne geschichtsphilosophischen Versuchen, wenn in Anlehnung an Deleuze/Guattari mit den Begriffen des Außen und des Anderen, der Horizontlosigkeit, Kartografie, Geschichtlichkeit, des Exils und Nomadentums ein Feld der Auseinandersetzung abgesteckt wird. Die fünf präsentierten Positionen, darunter Teile der Ozean- und Kino-Fotoserien Hiroshi Sugimotos, werden darin als Weltbilder, „unabhängig von Strömungen des Zeitgeists“, vorgestellt, als „[…] Ordnungen, die weder mit denen der Naturwissenschaft noch der Politik oder Gesellschaft übereinstimmen“, die einen „Stoffwechsel mit der Wirklichkeit“ betreiben und damit eine „Terra Incognita“, eine neue Wirklichkeit schafften.22 Entsprechend erfolgt die Besprechung Celmins’ unter Rückbezug auf die Einschätzungen Hickeys. In enger Verbindung mit diesen biografiebezogenen Auseinandersetzungen hat sich ein Topos der Andersartigkeit etabliert. Beispielhaft dafür ist der kenntnisreiche und sensible Katalogtext zur Retrospektive des Newport Harbour Art Museums, in dem Susan Larsen 1979 zu der Einschätzung kommt: „Her work is of this time, this place, this generation, yet somehow out of the continuous flux of style and the imperatives of change. […] The sense of timelessness in Celmins’ work, her processes of growth, in her imagery, is the ultimate source of its authenticity and power.”23

20 About Place 1995, S. 27/28 21 Vgl. About Place 1995, S. 28 22 Vgl. Zech, Hanne/Deecke, Thomas: Vorwort, in: Terra Incognita. Alighiero e Boetti, Vija Celmins, Neil Jenney, Jean-Luc Mylayne, Hiroshi Sugimoto, Cooke, Lynne (Hrsg.), Kat. Ausst., Neues Museum Weserburg Bremen 1998, Heidelberg 1998, S. 712, hier: S. 9 23 Larsen, Susan C.: Vija Celmins, in: Vija Celmins. A Survey Exhibition, Turnbull, Betty (Hrsg.), Kat. Ausst., Newport Harbour Art Museum, Newport Beach, Pasadena 1979, S. 19-33, hier: S. 33. Die Ausstellung reist nach Chicago, New York und Wash-

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Die Ambivalenz, die Larsen aufzeigt, spiegelt Celmins’ uneindeutige Stellung innerhalb des zeitgenössischen Kunstgeschehens wider, die auch in Roberta Smiths Einleitung einer Ausstellungsbesprechung in der New York Times 1993 anklingt. „Vija Celmins has never been one of the guys. Her emphasis on painting process might link her to Chuck Close, her meticulous re-creations of photographs in paint and graphite to Gerhard Richter, and the soft, gray backgrounds of her works from the 1960’s to Brice Marden.“24

Zwar habe Celmins wohl dazu beigetragen, dem artifiziellen Realismus der 80er Jahre den Weg zu bereiten, und dabei Einfluss auf Künstler wie Jack Goldstein oder Ross Bleckner ausgeübt, so Smith. Dennoch sei sie jenseits dieser Verbindungen „für sich“ geblieben, – „[…] an artist’s artist who has quietly pursued her almost obsessive vision without benefit of stardom.“25 Für Adams steht diese „Eigenständigkeit und Integrität des Œuvres“ in Verbindung mit der Autorität und dem Einfluss, den Celmins auf Künstler an Ost- und Westküste ausübe.26 Bei einem öffentlichen Künstlergespräch, das 1997 anlässlich der ersten europäischen Retrospektive in Frankfurt am Main stattfand, bringt der damalige Leiter des Museums für Moderne Kunst, Jean-Christophe Ammann, Celmins’ Stellung innerhalb der zeitgenössischen Kunstszene zur Sprache und kontrastiert die hohe Beachtung Celmins’ in Künstlerkreisen mit ihrer verhältnismäßig geringen Bekanntheit bei Fachleuten des Museumsbetriebes. Celmins, die Eigenarten ihrer Arbeitsweise als Ursache anführt, bestätigt darin indirekt den Eindruck einer Sonderstellung: „Ich denke, ich habe meine Arbeit immer sehr bei mir gehalten. Ich hatte keine sehr kommerzielle Einstellung dazu. Ich habe nie in Mengen produziert. Und ich habe nicht sehr

ington weiter, der Text Larsens stellt nach wie vor eine der wichtigsten Referenzen für die Beschäftigung mit den Arbeiten Celmins’ dar. 24 Smith, Roberta: The Act of Seeing the Act of Creation, in: The New York Times, 17. September 1993 25 Ebd. 26 Vgl. Adams, Brooks: Visionary Realist, in: Art in America (October 1993), S. 102109, hier: S. 108: „Finally we are left with a sense of the artist's authority, her power of influence on two coasts, and her relentless quest for meaning and integrity.“

E INLEITUNG

| 19

viel ausgestellt, so dass es lange dauerte, bis das Werk bekannter wurde. Im Grunde denke ich nicht zu viel darüber nach.“27

Die Birth of the Cool-Ausstellung, die 1997 in Hamburg und Zürich gezeigt wurde, ordnet Celmins entsprechend einer Malerei zu, „die in sanfter Abweichung zu den bekannten Bewegungen des amerikanischen 20. Jahrhunderts entstanden ist, die aber deren Hauptcharakteristika als Referenzpunkte in sich trägt.“28 Programmatisch zeigt der Titel, dass die hier ausgestellten Positionen, darunter auch Georgia O’Keeffe und Alex Katz, als „kühle“ Kunst aufgefasst werden. Dorothée Deyries widmet sich in ihrer Mémoire de recherche an der École du Louvre 2004 einerseits dem historischen Umfeld nach dem Zuendegehen des Abstrakten Expressionismus, sie unternimmt es aber auch, Celmins’ Status als artists’ artist in Bezug auf eine jüngere Generation näher zu beleuchten.29 Erst Lane Relyea hinterfragt im ebenfalls 2004 erschienenen Phaidon-Band die problematische Rezeptionsgeschichte des Werks, in der die Effekte der Kunst allzu oft mit Mutmaßungen über die Persönlichkeit der Künstlerin einhergingen.30 Der Autor bindet das Werk in eine Vielzahl künstlerischer Bezüge ein und spricht erstmals auch ausführlicher die Rolle der Fotografie und das Verhältnis von Motiv und Material an. Der Horizonte-Ausstellung, die 2003 ein Umfeld für Arbeiten Franz Gertschs seit den späten 80er Jahren schaffen will, dient ein Ozean-Holzschnitt Celmins’ als Beispiel für eine meditative Dimension des Naturbezugs und der Her-

27 Vija Celmins im Gespräch mit Jean-Christophe Ammann, Mitschrift des Gesprächs mit der Künstlerin am 29. Juni 1997, Archiv des Museums für Moderne Kunst Frankfurt am Main, S. 24 28 Birth of the Cool. Amerikanische Malerei von Georgia O’Keefe bis Christopher Wool, Curiger, Bice (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 1997, Ostfildern-Ruit 1997, S. 11 29 Die Arbeit unter dem Titel Vija Celmins et les avant-gardes américaines: influences et singularité ist nicht publiziert. Ein Exemplar liegt vor. Außerdem liegt eine an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn eingereichte Magisterarbeit von Cornelia Ramme vor. Vgl. zur Beurteilung Celmins’ als artists’ artist Saltz, Jerry: Let Us Now Praise Artist’s Artists, in: Art & Auction, April 1993, S. 74-79 30 Relyea, Lane: Vija Celmins’ Twilight Zone, in: Relyea, Lane/Gober, Robert/Fer, Briony: Vija Celmins, London 2004, S. 46-99, hier: S. 55: „The effects she so vividly produces in her work are all too often projected back on to her very person, read as part of her innate disposition: she, along with her art, is described as isolated, alone, staring off into the distance, lost in her own world.“

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stellungsweise.31 Eine Ausstellung des Metropolitan Museum of Art in New York reflektiert 2002 die bedeutende Stellung der Druckgraphik in Celmins’ Schaffen, wobei der begleitende Katalog Charakteristiken in Celmins’ Gebrauch unterschiedlicher Medien augenscheinlich werden lässt32: Im Gespräch mit Samantha Rippner zeigt sich, dass Celmins’ Motivation nicht in einem speziellen drucktechnischen Interesse oder technischer Innovation begründet ist, sondern dass die Künstlerin auch in den Graphiken einem allgemeineren künstlerischen Anliegen nachgeht: der Untersuchung von „process and mark“ und der Herausforderung durch technisch und konzeptuell schwierige Situationen.33 Entsprechend nutzt Celmins die traditionellen druckgraphischen Techniken des Intaglio, der Lithographie und des Reliefdrucks – in ihrer Zusammenarbeit mit Gemini34 entstanden dort erstmals auch Mezzotinto-Drucke.35 Jonas Storsve erkennt in der scheinbaren Mühelosigkeit der Arbeitsweise und der Einfachheit der Mittel eine besondere Stärke der Kunst Celmins’. Im Katalog des Centre Pompidou, das 2006 ausschließlich Graphitarbeiten zeigt, spricht der Autor von einer Zusammenführung eines persönlichen Zugangs zur Konzeptkunst mit Motiven aus alter europäischer Tradition.36 In der umfangreichen Ausstellung Beauty Now im Jahr 2000 wird Celmins’ Position wiederum als Teil einer Standortbestimmung des Ästhetischen in der Gegenwartskunst verstanden. Gassner geht in seiner Einführung auf die gegensätzlichen Ansichten der Kunstkritik zum Thema der Ausstellung ein und verweist unter anderem auf die October-Autoren, die seit den 80er Jahren in Schön-

31 Horizonte. Franz Gertsch im Dialog mit Vija Celmins, Thomas Demand, On Kawara, Yves Klein, Wolfgang Laib, Roman Opalka, Gerhard Richter, Thomas Ruff, Piero Steinle, Robert Zünd. Spieler, Reinhard (Hrsg.), Kat. Ausst., Museum Franz Gertsch Burgdorf 2003, Bern 2003 32 The Prints of Vija Celmins, Rippner, Samantha (Hrsg.), Kat. Ausst., The Metropolitan Museum of Art New York, New Haven/London 2002 33 Vgl. Rippner 2002, S. 9 34 Gemini G.E.L (Graphic Editions Limited), Los Angeles 35 A Delicate Balance. An Interview with Vija Celmins, in: The Prints of Vija Celmins, Rippner, Samantha (Hrsg.), Kat. Ausst., The Metropolitan Museum of Art New York, New Haven/London 2002, S. 12-47, hier: S. 23 36 Vgl. Storsve, Jonas: Going from one place to another, in: Vija Celmins. Dessins. Drawings, Storsve, Jonas/Blanchon, Claire/Pérez, Annie (Hrsg.), Kat. Ausst., Centre Pompidou Paris 2006, Paris 2006, S. 17-26, hier: S. 25

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heit und Autonomie der Kunst das „Banner des Konservatismus“ sähen.37 Schönheit, so der Autor, sei als Qualitätsmaßstab durch die Begriffe des „Schwierigen“, des „Provozierenden“ und „Kompromisslosen“ ersetzt worden und erst seit Hickeys 1993 erschienenem „Essays on Beauty“38 wieder ein Thema der Kunstkritik. Celmins’ Bilder von „Himmeln und Ozeanen“ werden mit den Meeresansichten Sugimotos zwischen Abstraktion und Darstellung verortet39 und im Katalogteil zusammen mit Turrell und Sugimoto abgebildet. Die Auseinandersetzung mit Celmins im Katalog der Carnegie International schließt inhaltlich einerseits an ein Verständnis innerhalb des Beauty-Diskurses an, andererseits werden die Motive als Darstellung unspezifischer Orte angesprochen.40 Mit Blick auf die Night Sky-Paintings heißt es: „They openly invite myriad connotations, from philosophical meditations on humanity’s place in the cosmos to starry allusions to the ‘final frontier’ in television and cinema.“ 41

Die Spannweite an Kontextualisierungsmöglichkeiten zeigt sich schon in Bezug auf das Frühwerk Celmins’, das Lingwood einerseits einem künstlerischen Umfeld zurechnet, in dem „die ausdruckslose Malerei […] in der Luft“ gelegen habe42, für

37 Vgl. Gassner, Hubertus: Einführung, in: Beauty Now. Die Schönheit der Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden (Hrsg.), Kat. Ausst., Haus der Kunst München 2000, Ostfildern-Ruit 1999, S. 12-38, hier: S. 35 38 Hickey, Dave: The Invisible Dragon. Four Essays on Beauty, Los Angeles 1993 39 Viso, Olga M.: Das Elend mit der Schönheit, in: Beauty Now. Die Schönheit in der Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden (Hrsg.), Kat. Ausst., Haus der Kunst München 2000, Ostfildern-Ruit 1999, S. 86-133, hier: S. 125 40 Life on Mars. 55th Carnegie International, Fogle, Douglas (Hrsg.), Kat. Ausst., Pittsburgh Carnegie Museum of Art 2008/2009, Pittsburgh, Pennsylvania 2008. S. 90: „Her art seems to bear witness as well to the very limits of human experience through its predominance of imagery that points toward uninhabitable, desolate, and unbound beauty.“ 41 Life on Mars 2008, S. 91 42 Vgl. Lingwood 1996, S. 23, Der Autor spricht Ausstellungen der frühen 60er Jahre – etwa der Werke Jasper Johns’ oder Morandis oder die New Paintings of Common Objects-Show in Pasadena –, aber auch mögliche surrealistische Einflüsse an.

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das Princenthal andererseits in Parkett 1995 literarische Bezüge zu Robbe-Grillet und Borges herstellt.43 Immer wieder sind es jedoch Interviews, wie die Enrights44 oder Robert Gobers45, die den unmittelbarsten Eindruck von Celmins’ künstlerischen Anliegen entstehen lassen. Das Gespräch mit Gober etwa erlaubt Einblicke in die Persönlichkeit der Künstlerin, die es vermeidet, Texte zu ihrer Kunst zu lesen, die eine komplizierte Beziehung zum eigenen Arbeitsprozess hat und die sich nach der Zusammenarbeit im Team, wie sie die Herstellung der Drucke erfordert, im Atelier „wieder selbst finden“ muss.46 Dieser Überblick über die Literatur zeigt einerseits, dass sich für das Gesamtwerk thematisch und im Hinblick auf künstlerische Kontextualisierungen eine Vielzahl von Anschlussmöglichkeiten herstellen lassen. Andererseits hat sich aufgrund jener Aspekte des Werks, die nicht unmittelbar kategorisierbar erscheinen, ein Topos der Andersartigkeit gebildet, der sich an Begrifflichkeiten des „Altmeisterlichen“ oder „Vormodernen“ festmachen lässt und der die Verwendung der Malerei ebenso einbezieht wie die „Abbildlichkeit“ der Werke. Deutlich wird außerdem, dass sich zwar Thematisierungsstränge gebildet und Betrachtungsweisen herauskristallisiert haben; eine erkennbare diskursive Verortung für das Werk Celmins’ ist jedoch noch nicht ausgeprägt. Das Feld, auf das sich diese wissenschaftliche Arbeit begibt, ist also nicht unbearbeitet, aber doch ein noch recht unsicherer Boden, und Anhaltspunkte, sei es zur Anlehnung oder Abgrenzung, sind rar. Wenn im Folgenden die Vorüberlegungen für die Konzeption dieser Arbeit, ihre Fragestellung und das, was sie in einem realistischen Rahmen zu leisten imstande ist, dargestellt werden, so erfolgt dies bereits mit der Entscheidung zur Konzentration auf künstlerische Anliegen und einen starken Werkbezug: Topoi der Andersartigkeit, die implizit oder explizit als biografisch

43 Vgl. Princenthal, Nancy: Vija Celmins. Materielle Fiktionen, in: Parkett (Jg. 44, 1995), S. 29-32, vgl. S. 30 u. S. 31. Im nouveau roman habe Celmins eine Form antinarrativer Wiederholung, aus der sich ein konkretes und detailliertes Bild ergebe, ausgeprägt gefunden. Für die in der Phaidon-Reihe übliche artist’s choice wählt Celmins Auszüge aus Borges’ Funes el memorioso (1941). 44 Vgl. Enright, Robert: Tender Touches. An Interview with Vija Celmins (Einführung durch Meeka Walsh), in: Border Crossings (87 / 2003), S. 21-35, hier: S. 29 45 Robert Gober in conversation with Vija Celmins, in: Relyea, Lane/Gober, Robert/Fer, Briony: Vija Celmins, London 2004, S. 6-38 46 Robert Gober in conversation with Vija Celmins 2004, S. 31 bzw. S. 8

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bedingt vorausgesetzt werden, sollen hier ebensowenig weiterverfolgt werden wie geschichtsphilosophische Aspekte oder mögliche literarische Bezugnahmen. Mit Blick auf die Literaturlage bemerkt Gober, nachdem er alles gelesen habe, was zu Celmins geschrieben wurde, sei ein fadenscheiniger Eindruck zurück geblieben; ihm fehle die Auseinandersetzung mit der Erfahrung vor den Werken. Celmins spricht daraufhin einen wesentlichen Punkt an: Ihre frühen Werke, so die Künstlerin, ließen sich leichter in Abbildungen vermitteln und beurteilen, während dies bei den späteren Arbeiten kaum möglich sei. „It’s more about experience“.47

3. F RAGESTELLUNG UND E NTWURF

EINES

H ORIZONTS

Die vorliegende Untersuchung widmet sich der spezifischen Phänomenalität der Night Skies. Der Kritik Gobers, die nahelegt, die Wahrnehmungserfahrung vor den Werken als Schlüssel für deren Verständnis zu begreifen, ist zuzustimmen: Eine Auseinandersetzung mit den Sichtbarkeitsereignissen, die die Werke zwischen Motiv und Faktur anbieten, erscheint daher dringend geboten; auf diesem Wege könnte auch die Reflexion auf mögliche künstlerische Intentionen eine festere Grundlage erhalten. Nicht nur die unmittelbare Erfahrung vor den Werken deutet darauf hin, dass die Wahrnehmungsthematik von grundsätzlicher Bedeutung für das Werk ist; auch ein 2008 mit der Künstlerin geführtes Gespräch, dessen Ergebnisse in die Arbeit einfließen, lässt darauf schließen, dass Fragen der Gemäldevisualität, der Wahrnehmungserfahrung des Betrachters und grundsätzlicher: des Sehens an sich, im reifen Œuvre eine bedeutendere Rolle zukommt, als dies in der vorliegenden Literatur bislang widerspiegelt ist. Da der Überblick zur Literaturlage gezeigt hat, dass sich aus der vereinzelten Benennung unterschiedlicher Dimensionen des Sehens, die das Œuvre anspricht, noch kein zusammenhängendes Bild ergibt, soll hier der Versuch unternommen werden, für den Bereich der Wahrnehmungserfahrung eine solche, möglichst umfassende Darstellung zu entwerfen und dafür das Verhältnis der produktionsästhetischen Aspekte, der Visualität des Gemäldes sowie der Wahrnehmungs- und Wirkungsästhetik in die Untersuchung einzubeziehen. Zum einen wird somit anhand der Werkgruppe der Night Skies der Aspekt des Wahrnehmungsbezugs und der Auseinandersetzung mit Weisen des Sehens eingehend in seiner Bedeutung für das Œuvre Celmins’ nachvollziehbar gemacht; zugleich aber soll versucht werden, dem Leser einen Überblick über das

47 Robert Gober in conversation with Vija Celmins, in: Relyea/Gober/Fer 2004, S. 10

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reife Œuvre, also die ab 1968 entwickelte und über weite Strecken des Werks konstante Bildform48, zu geben. Die Ergebnisse der Auseinandersetzung mit den Night Skies sind dabei als Beitrag zu einem vertieften Verständnis dieser Werkphase plausibel zu machen. Diese erste deutschsprachige Dissertation entwickelt ihre Perspektive aus der Betrachtung der Night Sky-Paintings in Pittsburgh und widmet sich mit besonderem Interesse deren spezifischer Phänomenalität. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Form der Auseinandersetzung die Werke dafür einfordern, welche Art der Erörterung also angemessen erscheint. Die Anlage dieser Untersuchung spiegelt die Überzeugung wider, dass bereits die intensive Beschäftigung mit den Werken und der Nachvollzug der Arbeitsweise Aussagen zu den künstlerischen Anliegen ermöglichen. Die Priorität gilt folglich den Sichtbarkeitsereignissen der Gemälde, ihrer Beschreibung und ihrem Zustandekommen, was bewusste Einschränkungen im Argumentationsverlauf notwendig macht. Die Theoretisierungen von Wahrnehmung, sei es in Bezug auf selbstreferenzielle oder auf repräsentationskritische Aspekte, werden als flankierende Diskurse herangezogen, stehen jedoch nicht im Zentrum dieser Untersuchung. Während die Wahrnehmungseffekte in ihrer Entstehung zwischen den Sichtbarkeitsordnungen von Motiv und Faktur durch die hinleitende Frage nach dem Stellenwert des Motivs und die Reflexion auf repräsentationskritische Dimensionen Vorbereitung finden, muss sich diese Untersuchung bei der Befragung des Materialbewusstseins ebenso einschränken wie bei der Behandlung der charakteristischen Wiederholung zwischen Empirie und konzipierter Serie und der insgesamt „konzeptuellen“ Seite des Werks. Eine Vertiefung all dieser Aspekte wäre die Voraussetzung, um das Œuvre Celmins’ nicht allein in seiner repräsentationskritischen Verfasstheit und den wahrnehmungsbezogenen Fragestellungen zu würdigen, wie dies hier in Ansätzen geschehen soll, sondern auch in seinen konzeptuellen oder minimalistischen Bezugnahmen zu untersuchen. Ein Ziel könnte dann sein, den hier nur angedeuteten Zuständen des „Dazwischen“, die das Werk in so charakteristischer Weise bestimmen, die notwendige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und eine theoretische Fundierung zu leisten.

48 Der Begriff des reifen Œuvres wird hier zur Abgrenzung der Werkphasen vor und nach 1968 verwendet, und nicht, um eine Werkentwicklung in der Trias von Frühwerk, Reifezeit und Spätwerk nahezulegen.

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3.1 Die Frage nach dem Stellenwert des Motivs Vor den Gemälden in Pittsburgh stellt sich mit Unmittelbarkeit die Frage nach dem Stellenwert des Motivs, da die Werke zwar Sternenhimmel benannt sind, das Motiv jedoch nicht im eigentlichen Sinne „Thema“ der Werke zu sein scheint. Schon eine „Abbildlichkeit“ der Werke vorauszusetzen erscheint problematisch. Verteidigen die Werke also wirklich „hochgemut eine Kunst der Illusion“49? Sind Celmins’ Motive tatsächlich als „Figuren der Rückkehr zu den früheren, weniger beeinträchtigten Bildvorlagen der figürlichen Malerei“ zu werten?50 Die Erfahrung vor den Werken lässt vermuten, dass das Motiv – dieser Begriff bezeichnet in dieser Arbeit die bildliche Information, die im Gemälde wiedergegeben wird – und die Art und Weise seiner Integration ins Werk wesentlich sind für die Wahrnehmungseffekte und Reflexionsprozesse in der Betrachtung. Daher werden die Fragen nach dem Motiv parallel zur Auseinandersetzung mit der Visualität und Wahrnehmung der Night Skies entwickelt. Die Repräsentationsleistung der Malerei scheint für Celmins von besonderem Interesse zu sein. Als Silverthorne im Parkett-Interview bemerkt, aufgrund ihrer langen Tradition sei der in der Malerei verbleibende Raum augenscheinlich eng, gerade in dieser „gestörten“ Qualität liege jedoch seine Attraktivität, ergänzt Celmins diese historische Sicht auf die Situation der Malerei wie folgt: „[T]here is a pressure on the physical thing to be something other than exactly what it is. There are all kinds of impulses, all kinds of experience but it’s the translation that’s the interesting part.“51

Die Frage nach der „Abbildlichkeit“ der Werke oder deren Art der Repräsentation hat außerdem die Verwendung von Vorlagen, wie sie die fotografische Ästhetik der Night Skies thematisiert, einzubeziehen und ist auf den Stellenwert der Fotografie im Werkprozess und die damit verbundenen Fragen der Übertragung und Medialität auszudehnen. Was zeigen die Gemälde letztlich? Abgemalte Fotos?

49 Rhodes, Richard: Vija Celmins, Malerin, in: Vija Celmins. Werke 1964-96, Lingwood, James/Schwarz, Dieter (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunstmuseum Winterthur/Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main 1997, Winterthur 1996, S. 98-103, hier: S. 98 50 Rhodes 1996, S. 100 51 Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne, in: Parkett (Jg. 44. 1995), S. 40-43, hier: S. 42

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Eine Auseinandersetzung mit dem Stellenwert des Motivs im Gemälde berührt so grundsätzliche Fragen wie „Was ist ein Bild?“. Indem sich hier unabhängig vom Medium der Malerei Diskussionen um die semantische Tragweite bildlicher Information andeuten, sind Erkenntnisinteressen der Bildwissenschaft angesprochen. Dieses verhältnismäßig junge und nach wie vor heterogene Wissenschaftsfeld, das nach der Proklamation des pictorial turn Mitte der 80er Jahre durch Boehm und Mitchell in einer deutschsprachigen und einer amerikanischen Tradition weitergeführt wird, befasst sich mit der Eigengesetzlichkeit von Bildern: „What Is a Picture?“ fragt auch Elkins in The Domain of Images52 und stellt fest: „The concept of a picture, it turns out, is central to our responses to visual artifacts in general—perhaps even more so than art, since its valence is more securely hidden.“53

3.2 Prozesse der Modernisierung und der Emanzipation des Sehens Die Begrifflichkeiten von Visualität und Wahrnehmung stehen in Verbindung mit kaum mehr zu überblickenden Feldern gedanklicher Auseinandersetzung, die bis weit in die Geistes- und Kunstgeschichte zurückreichen und methodisch, etwa zwischen formalen und rezeptionsästhetischen Gesichtspunkten, in unterschiedliche Richtungen weisen können. Das Begriffspaar bezeichnet in dieser Arbeit – um einer genaueren Auseinandersetzung vorzugreifen – das zu Sehen Gegebene und das Gesehene auf der Werk- beziehungsweise der Betrachterseite. Die Entwicklung, die das Sehen als Gegenstand begreifbar und beschreibbar macht, reicht ins 19. Jahrhundert zurück und verbindet sich mit Formen der „Modernisierung“, aber auch der „Emanzipation“ des Sehens.54 Das Sehen wird einerseits durch das immer bessere Verständnis der Physiologie des Auges, durch die Entwicklung optischer Instrumente und die Auseinandersetzung mit den physikalischen Eigenschaften von Licht zu einem Feld der Naturwissenschaft und auch zu einem Gegenstand philosophischer, psycho-

52 Elkins, James: The Domain of Images, Ithaka 1999, S. 52 53 Elkins 1999, S. 54 54 Vgl. Konersmann, Ralf: „Sehen“, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie (1971ff), Bd. 9, Basel 1995, S. 121-162

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Abbildung 2: Night Sky #16, 2000/2001

© Vija Celmins 2011

analytischer und sozial-politischer Betrachtungsweisen.55 Martin Jay umreißt die Vielfalt der sich daraus eröffnenden diskursiven Räume, die das Verständnis der Moderne als visueller Kultur mitbestimmen: „Whether we focus on ‘the mirror of nature’ metaphor in philosophy with Richard Rorty or emphasize the prevalence of surveillance with Michel Foucault or bemoan the society of the spectacle with Guy Debord, we confront again and again the ubiquity of vision as the master sense of the modern era.“56

55 Vgl. Foster, Hal: Preface, in: Foster, Hal (Hrsg.): Vision and Visuality, Seattle 1988, S. ix-xiv, hier: S. xiv: „The critique of perspectivalism, the concern with corporeal vision, the analysis of the gaze—these things are not new. Decades have passed since Panofsky pointed to the conventionality of perspective, and Heidegger to its complicity with a subject willed to mastery; years since Merleau-Ponty stressed the bodiliness of sight, Lacan the psychic cost of the gaze, and Fanon its colonialist import.“ 56 Jay, Martin: Scopic Regimes of Modernity, in: Foster, Hal (Hrsg.): Vision and Visuality, Seattle 1988, S. 3-23, hier: S. 3

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Andererseits zeigt sich eine Emanzipation des Sehens in der Anerkennung des Gesichtssinns als welterschließendes Erkenntnisinstrument und als Organisationsform des Verstandes neben dessen begrifflicher Weise des Wirklichkeitsaufbaus.57 Konersmann verweist für dieses Verständnis des Sehens in seiner „Eigenkraft und Irreduzibilität“ auf den wegbereitenden Einfluss Goethes.58 3.3 Das Gemälde als Ort der Sichtbarkeit Die Auffassung des Kunstwerks als Manifestation der Sehweise einer Zeit, wie sie auch in den aktuellen Diskussionen gegenwärtig ist, lässt sich bis in die Arbeiten Wölfflins und Fiedlers zurückverfolgen.59 Bei Fiedler sieht Wiesing die Wölfflin’sche „Logik der Sichtweisen“ überwunden und in eine Auffassung überführt, der das Werk als genuiner Ausdruck einer als „Sichtbarkeit“ visuell angeeigneten Wirklichkeit gilt. Der Leitgedanke, ein Bild aufgrund seiner Sichtbarkeit – und nicht allein aufgrund seines Gegenstandes oder seiner Sichtweise – zu würdigen, ist nach Wiesing geeignet, um von den Experimenten der Avantgarde bis in die Gegenwart Formen der Sichtbarkeit zu differenzieren.60 Folgt man diesem Werkverständnis, so kann das Gemälde als „äußere Entsprechung der im Bewusstsein durch visuelle Prozesse vollzogenen Wirklichkeitsaneignung“61 eine Sichtbarkeit jenseits des Unmittelbaren, Reproduzierten und Assoziierten herstellen.62 Dieses produktive Sehen des Künstlers63 erschließt sich dem Betrachter durch „Nach-Sehen“ als Sichtweise im Werk.64

57 Vgl. Bischoff, Michael/Struch, Matthias: Kunst, Wahrnehmung und visuelle Erkenntnis, in: Klaus Sachs-Hombach (Hrsg.): Bilder im Geiste. Zur kognitiven und erkenntnistheoretischen Funktion piktorialer Repräsentationen, Amsterdam/Atlanta 1995, 307-320, hier: S. 311 58 Konersmann, Ralf: Kritik des Sehens, Leipzig 1997, S. 37 59 Vgl. Fiedler, Konrad: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit (1887), in: Boehm, Gottfried (Hrsg.): Konrad Fiedler. Schriften zur Kunst, Bd. 1, München 1991, S. 111-220. Vgl. S. 184, wo Fiedler die künstlerische Tätigkeit auch als Möglichkeit versteht, das Bewusstsein der sichtbaren Welt zu erweitern und diese neuen Sichtbarkeiten im Werk vorzustellen. 60 Vgl. Wiesing, Lambert: Die Sichtbarkeit des Bildes. Geschichten und Perspektiven der formalen Ästhetik, Reinbek 1997, S. 19/20 61 Bischoff/Struch 1995, S. 311 62 Vgl. Wiesing 1997, S. 164 63 Vgl. Croce, Benedetto: Die Theorie der Kunst als reiner Sichtbarkeit (1911), in: Schlosser, Julius von (Hrsg.): Benedetto Croce. Kleine Schriften zur Ästhetik, Bd. 2,

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Indem Fiedlers Begriff der Sichtbarkeit, wie Croce konstatiert, die Kategorien traditioneller Ästhetik wie Schönheit, Begriff oder Gefühl ersetzt65, verschieben sich auch die Ideale der Darstellungsleistung des Gemäldes: An die Stelle des mit dem Nachahmungsgebot assoziierten Fensterblicks trete für die Kunst der Avantgarde das „‚Gegenständliche‘ in der Multiperspektivik seiner Ansichten“, so Konersmann.66 „Es ist nicht mehr nur das Medium, das dem Wissen zu einer sichtbaren Wirklichkeit verhilft, sondern es wird nun selbst ein Herstellen und Tun. Ebenso das Sichtbare. Statt, wie ehedem, eine Welt vorzustellen, die sich als sichtbare zeigt, deutet es auf das Sehen selbst zurück.“67

Schon die Kunst der „ersten“ Avantgarde geht mit aufklärerischem Anspruch gegen überkommene Sichtbarkeiten einem „Neuen Sehen“68 nach, wobei die Auseinandersetzung und Abgrenzung von technischem und medialem Fortschritt im Bereich von Fotografie, Film und anderen Medien zu einem wesentlichen Impuls der Entwicklung wird. Bruhn/Hemken konstatieren, die „Durchbrechung und Hinterfragung von Sehweisen und -konventionen [sei] seither Tenor jeder Kunstkritik“.69

Tübingen 1929, S. 191-212, hier: S. 194: Das Organ der Sichtbarkeit sei das Auge, so Croce, und „das im Sehen konzentrierte Künstlerauge“ unterscheide sich nicht etwa durch anderes oder besseres Sehen vom Auge des gewöhnlichen Menschen, „sondern weil es in produktiver Weise sieht […].“ 64 Vgl. Fiedler (1887) 1991, S. 185: Der Künstler nehme an der Unendlichkeit der sichtbaren Welt „Sichtbarkeitsgestaltungen“ vor (vgl. S. 188). 65 Vgl. Croce (1911) 1929, S. 194: „Das Prinzip der Kunst ist mithin weder die Schönheit, noch der Begriff, noch die Nachahmung, nicht einmal das Gefühl, sondern die Sichtbarkeit.“ 66 Vgl. Konersmann 1997, S. 38 67 Konersmann 1997, S. 38 68 Der Begriff wird von Moholy-Nagy geprägt und wird mit avantgardistischen Ansätzen der Bauhaus-Fotografie assoziiert. 69 Bruhn, Matthias/Hemken, Kai-Uwe (Hrsg.): Modernisierung des Sehens. Sehweisen zwischen Künsten und Medien, Bielefeld 2008, S. 21: „Richtungen wie Kubismus, Dadaismus, Pop Art oder elektronische Medien haben je auf ihre Weise die Massenund Neuen Medien zugleich konterkariert und weitergeführt, bis hin zu einem „Ausstieg aus dem Bild“ und seiner Sichtbarkeit in konventioneller Form. Die bildenden Künste entfalten seither als System ihre eigene Logik der Sichtbarkeit.“

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Der hier beschriebene Erkenntnisraum und das darin entwickelte „Kunstverständnis“ sind für die vorliegende Untersuchung zugleich Grundlage und Horizont. Die dargestellten Möglichkeiten über die Sichtbarkeit des Bildes nachzudenken geben wichtige Impulse, wenn in der Auseinandersetzung mit den Night Sky-Paintings Fragen der Visualität (der Begriff wird synonym für Sichtbarkeit verwendet) und der Differenzierung von Sichtbarkeitsebenen angesprochen sind. Dabei ist vorausgesetzt, dass, um eine Formulierung Geimers aufzugreifen, die ‚Sichtbarkeit‘ der Dinge keine fraglos gegebene Qualität ist, „sondern in Ateliers und Laboratorien gestaltet und experimentell ermittelt werden musste.“70 Die innerhalb des Werks eigenständig reflektierbaren, malerisch erzeugten Phänomene werden als „Sichtbarkeitsebenen“ angesprochen. Hierzu zählen die Wiedergabe des Motivs, die fotografische Ästhetik und die sichtbare Präsenz des malerischen Materials. Mit dem Begriff der „Visualität/Sichtbarkeit“ wird bezeichnet, was das Gemälde zu sehen gibt. Der Begriff fasst also die Sichtbarkeitsebenen des Gemäldes und weniger unmittelbar reflektierbare Ebenen, etwa die Ergebnisse der produktionsästhetischen Prozesse, zusammen. 3.4 Die Wahrnehmung als geprägt und beeinflussbar Da diese Untersuchung nicht nur die Seite der Herstellung und damit die Entstehung der Visualität der Gemälde in Betracht ziehen möchte, sondern sich gleichermaßen für deren Implikationen in der Betrachterwahrnehmung interessiert, sollen auch die darin gegebenen Annahmen kurz reflektiert werden. „Wahrnehmung“ meint, etymologisch betrachtet, „einer Sache Aufmerksamkeit schenken“ und wird als „psychophysischer Prozess“ definiert, „in dessen Ablauf die physikalischen und chemischen Reize an den Sinnesorganen zu einer Repräsentation der Umwelt verarbeitet werden.“71 Dass Sehen und Wahrnehmen – „Wahrnehmung“ wird im Rahmen dieser Untersuchung verkürzt für die visuelle Wahrnehmung verwendet und synonym mit Sehen gebraucht – weder natürlich noch spontan, sondern in vielfältiger Weise geprägt sind, zeigt sich auf kunsthistorischer Seite bereits in Wölfflins

70 Geimer, Peter: Einleitung, in: Geimer, Peter (Hrsg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt am Main 2002, S. 7-25, hier: S. 7 71 Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden: Wahrnehmung, Band 29, S. 336, Leipzig/ Mannheim 2006

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Feststellung einer Geschichtlichkeit des Sehens72 und in Panofskys Befragung des in die Renaissance zurückreichenden Modells perspektivischer Wahrnehmung73. Als einflussreich haben sich Positionen erwiesen, die das Sehen aus einer rein ästhetischen Reflexion gelöst und entschieden mit technischen und gesellschaftlichen Bedingungen in Verbindung gebracht haben. Der New Yorker Kunsthistoriker Jonathan Crary sieht in seiner 1990 erschienenen Studie zu den Techniken des Betrachters74 die Formierung des modernen Betrachtersubjekts bereits im frühen 19. Jahrhundert gegeben, eben in jenem Zeitraum, als das Sehen zum Gegenstand der Wissenschaft, technischer Entwicklung, aber auch machtpolitischer Fragen wird, und damit zu einem Feld, auf das sich verändernde Kräfte und Regeln einwirken.75 „Though obviously one who sees, an observer is more importantly one who sees within a prescribed set of possibilities, one who is embedded in a system of conventions and limitations.“76

72 Wölfflin, Heinrich: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, München 1917, Vorwort, S. VII: „Es muß endlich eine Kunstgeschichte kommen, wo man Schritt für Schritt die Entstehung eines modernen Sehens verfolgen kann […].“ 73 Panofsky, Erwin: Die Perspektive als „symbolische Form“, in: Oberer, Hariolf/ Verheyen, Egon: Erwin Panofsky. Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, Berlin 1964, S. 99-167 (Erstabdruck: Vorträge der Bibliothek Warburg 1924-25, Leipzig 1927, S. 158-321). Vgl. S. 99, wo Panofsky darauf verweist, dass es neben der „korrekten“ geometrischen Konstruktion eine Projektion durch den unmittelbaren sinnlichen Eindruck gibt. In Anm. 5, S. 127 definiert Panofsky Perspektive: „Die Fähigkeit, mehrere Gegenstände in einem Teile des Raumes, in welchem sie sich befinden, so darzustellen, daß die Vorstellung des materiellen Bildträgers vollkommen durch die Vorstellung einer durchsichtigen Ebene verdrängt wird, durch die hindurch wir in einen imaginären, die gesamten Gegenstände in einem scheinbaren Hintereinander befassenden und durch die Bildränder nicht begrenzten, sondern nur ausgeschnittenen Raum hinauszublicken glauben.“ 74 Crary, Jonathan: Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in the Nineteenth Century, Cambridge, Massachusetts 1990 75 Vgl. Crary 1990, S. 24 und zusammenfassend Bruhn/Hemken 2008, S. 13f. 76 Crary 1990, S. 6

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Für die Auseinandersetzung mit den Night Sky-Paintings ist damit ein Verhandlungsraum entworfen, in dem Potenziale und Bedingtheiten des Sehens thematisiert werden können. Die Art der Sichtbarkeitsgestaltung im Werk sowie die Wahrnehmungsweisen und Seherfahrungen des Betrachters werden in die Untersuchung einbezogen, um das oben beschriebene Potenzial des Sehens, in gleicher Weise wie die gedankliche Reflexion kritischen Anspruch zu entfalten, nachvollziehbar zu machen. Das übergeordnete Interesse dieser Untersuchung, das der Entstehung und dem Charakter der auftretenden Wahrnehmungsphänomene gilt, schließt unterschiedliche Teilbereiche ein: Die grundsätzliche Frage nach der Relevanz und dem Stellenwert der vor den Night Sky-Paintings beobachteten Phänomene für das Verständnis des Œuvres zieht die Frage nach sich, ob sich Beispiele für eine Thematisierung wahrnehmungsbezogener Aspekte bereits in anderen Werkphasen finden und wenn ja, auf welche Weise sie in Erscheinung treten und mit welchen künstlerischen Anliegen sie korrespondieren. Welche Funktion kommt dem Motiv in diesem Zusammenhang zu? Wie lassen sich die beobachteten Effekte auf der Ebene der Visualität des Gemäldes anbinden? Und schließlich: Wie lässt sich die in den Night Skies gefundene Formulierung im Werkverlauf charakterisieren und einordnen und wofür steht sie? Ziel der Arbeit ist es, eine zusammenhängende Vorstellung der von den Night Skies angesprochenen beziehungsweise von den Werken erst hervorgerufenen Arten des Sehens zu geben und den aus Prozessen der Sensibilisierung erwachsenden kritischen Anspruch zu charakterisieren. Wenn diese Auseinandersetzung zu Ergebnissen oder Einsichten gelangt, so sind diese als Angebote gedacht, nicht aber als endgültige Lösungen zu verstehen. Im Gegenteil lässt das Œuvre eher erwarten, dass die Formulierung neuer Fragen dem Gegenstand gemäßer sein könnte als die Präsentation eindeutiger Antworten.

4. M ETHODISCHE Ü BERLEGUNGEN Die Night Skies sind das Ergebnis komplexer Herstellungsprozesse, und es liegt nahe, diese mit den beim Betrachter evozierten Erfahrungen vor den Werken in Zusammenhang zu bringen: Dem Betrachter steht eine Visualität vor Augen, die er im Rezeptionsprozess „beantwortet“. Der hier angedeutete Perspektivwechsel zwischen Werk- und Betrachterseite wird mit dem aus der Literaturwissenschaft übernommenen, von Kemp für die Kunstgeschichte fruchtbar gemachten Ansatz

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der Rezeptionsästhetik handhabbar77: Neben den Eigenschaften des Kunstwerks und der künstlerischen Intention ist darin die ästhetische Erfahrung des Betrachters in die Auseinandersetzung einbezogen. Diese erweiterte Perspektive trägt dem Wandel im Verhältnis von Werk und Betrachter Rechnung, in dem der weitgehend passive Rezeptionsmodus modernistischer Prägung von einem partizipatorischen Verständnis des Betrachters, für das die Minimal Art wesentliche Impulse lieferte, abgelöst wird. Wie Zschocke zusammenfasst, werden seither „Wahrnehmung allgemein und die Kunstrezeption im Besonderen […] nicht mehr als ein passiver, unmittelbarer Abdruck, sondern als mehrschichtiges, prozessuales Geschehen und als aktiver Vorgang verstanden.“78 Das dieser Arbeit zugrundegelegte Wirkungsmodell fasst den Wahrnehmungsvorgang entsprechend als aktiv auf und kann sich im Verständnis des Sehens als Hervorbringung, nicht nur als Perzeption, auf Arbeiten Merleau-Pontys oder Boehms berufen.79 Die dialektische Annäherung an die Night Skies, die Werk- und Betrachterseite berücksichtigt, begründet sich außerdem in der Annahme einer offenen und dialogischen Verfasstheit, in der das Gemälde seinen Abschluss gleichsam in der Wahrnehmung des Betrachters findet.80 Im Anschluss an Wolfgang Iser benennt Kemp diesen Ort, an dem das Werk den Betrachter einbindet, als „Leerstelle“, der der intendierte Betrachter mit einer Vorstellung oder einer Leistung begegnet.81

77 Kemp, Wolfgang: Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, in: Kemp, Wolfgang (Hrsg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik (1985), Berlin/Hamburg 1992, S. 7-28, S. 7f. 78 Zschocke, Nina: Der irritierte Blick. Kunstrezeption und Aufmerksamkeit, München 2006, S. 18 79 Vgl. etwa Boehm, Gottfried: Sehen. Hermeneutische Reflexionen, (1992), in: Konersmann, Ralf (Hrsg.): Kritik des Sehens, Leipzig 1997, S. 272-298, hier: 276f. Vgl. auch Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung (1945), Übersetzung und Vorwort von Rudolf Boehm, Berlin 1974 80 Vgl. Kemp, Wolfgang: Zeitgenössische Kunst und ihre Betrachter. Positionen und Positionszuschreibungen, in: ders. (Hrsg.): Zeitgenössische Kunst und ihre Betrachter, Köln 1996, S. 13-44, hier: S. 22 81 Kemp, Wolfgang: Verständlichkeit und Spannung. Über Leerstellen in der Malerei des 19. Jahrhunderts, in: ders. (Hrsg.): Der Betrachter ist im Bild (1985), Berlin/Hamburg 1992, S. 307-332. Der Begriff der Leerstelle geht auf Wolfgang Iser zurück: Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens, München 1976. Der implizite Betrachter abstrahiert die Individualität eines wirklichen Betrachters. Damit wird ein Mittelweg

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Die Orientierung auf den Betrachter hin spiegelt sich auch in den Begrifflichkeiten der Arbeit wider: Mit der „Art der Ansprache“ wird die von der Künstlerin gewählte Form des Gemäldes zusammengefasst – Farbton, Format und Technik – und dabei, durch den impliziten Wahrnehmungsbezug den Bedeutungsbereich des Visualitäts-Begriffs erweiternd, auch in ihren allgemeinen Wirkungskomponenten einer emotionalen oder intellektuellen Dimension beschrieben. Über die produktions- und rezeptionsästhetischen Fragen hinaus wird das von den Werken zu Sehen Gegebene zudem historisch und diskursiv reflektiert. Vergleich und Kontextualisierung können das Verständnis der Werke in unterschiedlichen Aspekten konturieren. Eigenschaften, die nicht eindeutig kausalisierbar erscheinen, werden als Offenheit des Werks akzeptiert. Mit den folgenden Überlegungen zum Werkverlauf und zum künstlerischen Selbstverständnis sollen nicht nur einige Charakteristika des Œuvres vorab Erwähnung finden, sondern auch Entscheidungen zum Aufbau der Arbeit begründet werden. Celmins folgt keinem Kunstbegriff, der sich größtmögliche Variation und beständige Originalität zum Ziel setzt; der Werkverlauf gleicht vielmehr einer Entwicklung und Wandlung verwandter künstlerischer Problemstellungen. Close beschreibt diese Befragung und Neuformulierung des eigenen künstlerischen Interesses einmal als die größte Herausforderung von Werkverläufen, die sich über lange Zeiträume hin entwickeln.82 Entsprechend stellt Celmins im Interview nicht das Moment der „Kreativität“ heraus, sondern beschreibt bildhaft eine insistierende Qualität und eine repetitive Struktur ihrer Arbeit:

beschritten zwischen einer essentialistischen Betrachter-Konzeption und einer Vorstellung von Wahrnehmung, die individuelle Vorbedingungen und Prägungen berücksichtigen würde. Eine ausführliche Darstellung der kunsthistorischen Auseinandersetzung mit dem „Anteil des Betrachters“ bietet Zschocke 2006, S. 24-46; für physiologische und neurobiologische Modelle des Sehens: S. 47-59 82 Chuck Close in conversation with Richard Shiff, in: Chuck Close. Paintings 19682006, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia (Hrsg.), Kat. Ausst., Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia Madrid 2007, Madrid 2007, S. 49-61, hier: S. 61: „I think problem creation is much more important than problem solving. If you can ask yourself an interesting or personal enough question, you’ll come up with a personal response. It’s difficult to keep all the balls in the air for thirty-plus years, […] and to keep the search on. It requires an active process.“

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„I don’t even know whether I would be creative. But I’m somebody who takes a hammer and hammers on the same thing until it begins to form how my intuition tells me it should be.“83

Den eigenen Werkverlauf empfindet Celmins als „Flug durch die Dunkelheit“: Die Frage, ob etwa der Umbruch im Œuvre um 1968 planvoll erfolgt sei, verneint die Künstlerin: „I never recognized anything. I always was like flying in the dark.“84 In der Kunstkritik jedoch wird die Auseinandersetzung Celmins’ mit einer überschaubar gehaltenen Folge künstlerischer Fragekomplexe als „innere Logik“ und Stringenz bewertet: „The retrospective revealed an inner logic – chronological, technical an imagistic.”85 Adams etwa nennt die Schau im Whitney Museum of American Art 1993 „ein Ereignis von atemberaubender Konsistenz“, wie es sich bei Retrospektiven zeitgenössischer Künstler selten finde. „Retrospectives of contemporary artists are rarely instances of breathtaking consistency. But in the case of Vija Celmins […] a midcareer survey reveals a hallucinatory calm, a feverish state of wilful serenity.“86

Der Eindruck des Zielgerichteten ist jedoch nicht auf ein konzeptbasiertes Vorantreiben des Werks zurückzuführen, sondern scheint im Zusammenwirken künstlerischer Intuition mit einer außerordentlichen visuellen Sensibilität begründet. Eine weitere Überlegung betrifft das Desinteresse der Künstlerin, ihr Werk in Verbindung mit theoretischen Diskursen zu bringen oder es mit Botschaften zu befrachten. „I find now a lot of people seem to have messages. I’m not a message artist. …Messages about the culture? I don’t know anything about the culture.“87

Die Notwendigkeit, die eigene Arbeit überhaupt auf sprachlicher Ebene zu reflektieren, ergab sich für Celmins erst durch Interviewanfragen und Artist Talks:

83 Interview 2008, S. XI 84 Interview 2008, S. VII 85 Armstrong, Richard: Of Earthly Objects and Stellar Sights – Vija Celmins, in: Art in America (Mai 69.1981 No.5), S. 100-107, hier: S. 100 86 Adams, Brooks: Visionary Realist, in: Art in America (October 1993), S. 102-109, hier: S. 102 87 Interview 2008, S. I

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„And now that I’ve given so many talks about ... – It became the fashion in United States for artists to travel to different art schools and talk about their work. Maybe about 30 years ago. I don’t really do it hardly at all now. It became the thing to do. When I had to try to figure out what to say, I began to see the things that interested me, but it’s still very hard to talk about it, because it’s a visual thing.“88

Wiederkehrende Formulierungen lassen die sprachliche Reflexion Celmins’ daher stellenweise auch als Hilfskonstruktion oder Metapher für ein in kategorienund zuweilen begriffslosen Bereichen angesiedeltes künstlerisches Tun erscheinen. So gering Celmins’ Interesse an einer theoretischen Auseinandersetzung mit Kunst ist, so groß ist ihr kunsthistorisches Bewusstsein: Die Künstlerin zeigt sich im Interview nicht nur über das zeitgenössische Umfeld informiert, sondern nimmt mit einem sehr persönlichen Blick verschiedentlich Bezug auf die Malerei vergangener Jahrhunderte.89 Ein theoriebasierter Zugang erscheint aufgrund dieser Konstellation nicht als die dem Werk angemessene Erkenntnisform. Dort, wo theoretische Überlegungen sich als notwendig oder hilfreich für das Verständnis und die Würdigung des Werks anbieten, soll der Kontakt zu den Werken gewahrt bleiben. Bevor das nächste Kapitel einen Überblick zum Aufbau dieser Dissertation gibt, ist noch die Entscheidung für die intensive Auseinandersetzung mit den auf der Carnegie International gezeigten Night Sky-Gemälden zu reflektieren. Ausschlaggebend für diese Entscheidung ist zuallererst das Interesse an der spezifischen Phänomenalität der Gemälde, die eingangs beschrieben wurde. Die Konsistenz des Werkverlaufs und die Wahl einer späten Werkreihe als Ausgangspunkt und zentrales Interesse der Arbeit eröffnen aber auch die Chance, den angestrebten Überblick über das reife Œuvre in enger Verbindung mit der Darstellung und Herleitung der für die Night Skies relevanten Aspekte zu gestalten. Aus dem Selbstverständnis Celmins’ als Malerin lässt sich für die in Pittsburgh gezeigten Gemälde außerdem ein besonderer Stellenwert im Œuvre ableiten, der hier noch näher zu charakterisieren ist. Zwar weist der Werkverlauf eine auf den ersten Blick recht heterogene Nutzung unterschiedlicher Medien auf: Im Frühwerk entstehen Malerei und Objekte, ab 1968 ausschließlich Arbeiten in Graphit, schließlich das Steinensemble To

88 Interview 2008, S. VII 89 Vgl. Interview 2008, S. XVIII, Piero della Francesca wird dabei zum hard-edgeKünstler: „I do love Piero della Francesca, mostly because he is just one of the best.“

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Fix the Image in Memory, bevor mit dem erneuten Übergang zur Malerei seit Mitte der 80er Jahre Ölfarbe, Graphit, Druckgraphik und Kohle auch parallel zur Anwendung kommen. Dennoch handhabt Celmins jedes Medium in malerischer Weise. Die Arbeiten mit Bleistift, für die im Folgenden die Bezeichnungen als „Graphitarbeit“ oder als „Arbeit auf Papier“ dem Begriff der „Zeichnung“ vorgezogen werden, da jener stärker an einen „linearen“ oder „skizzenhaften“ Einsatz des Mediums denken lässt, bezeichnet sie entsprechend als „Malerei in Graphit“ und bekräftigt Enright gegenüber: „In fact, I always thought these were paintings that were just done with graphite. I expected them to be in with the other paintings.“90

Dass auch die Objekte als „malerische Werke“ zu betrachten sind, betont Celmins beim Zusammentreffen 2008. „I’m not really a sculptor, although I make things sometimes, but they are all painted. I’m primarily a painter.“91

Setzt man für die Graphitarbeiten, für die Bemalung eines Objekts wie To Fix the Image in Memory und für die Gemälde ab Mitte der 80er Jahre ein gemeinsames „malerisches“ Anliegen voraus und zieht zudem die Konsistenz des Werkverlaufs in Betracht, so erscheint es nicht abwegig, in der ab 1991 entstehenden und seither fortgesetzten Werkreihe der Night Sky-Paintings ein künstlerisches „Bei sich selbst Sein“ zu vermuten. Ohne damit eine teleologische Interpretation nahezulegen, können die Night Skies als eine zur Reife gekommene künstlerische Formulierung aufgefasst werden, in der im Medium der Malerei wesentliche Fragestellungen des Werks aufgegriffen und zusammenführt werden. Für die Auseinandersetzung mit der knapp 25 Werke umfassenden Reihe der Night Skies werden die in Pittsburgh gesehenen Gemälde als exemplarisch aufgefasst. Zwar kann eine gewisse Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse hinsichtlich der künstlerischen Intentionen und der Wirkungsebene ebenfalls für andere

90 Enright, Robert: Tender Touches. An Interview with Vija Celmins, in: Border Crossings (87/2003), S. 21-35, hier: S. 35 91 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 11. Die Skulpturen des Frühwerks wertet Celmins als dreidimensionale Versionen der von ihr in Gemälden festgehaltenen Gegenstände: „I think of them as having fallen out of the picture plane. They are not really sculpture.“ Vgl. auch Enright 2003, S. 34

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Werke der Reihe, auch für die darunter befindlichen Kohlezeichnungen, angenommen werden; in spezifischer Form gilt das Gesagte jedoch nur für die in Augenschein genommenen Gemälde der Carnegie International. Von der sicherlich reizvollen Idee der Erstellung eines Werkverzeichnisses wurde zugunsten des hier vorgestellten Werkzugangs über die Night SkyPaintings Abstand genommen.

5. S TRUKTUR

DER

U NTERSUCHUNG

Die bei der Betrachtung der Night Sky-Paintings entwickelten Fragen hinsichtlich des ambivalenten Stellenwerts des Motivs und der Zusammenhänge von Visualität und Wahrnehmung haben eine Befragung des Werkverlaufs sinnvoll erscheinen lassen, um die an den Night Skies beobachteten Phänomene auf ihre Relevanz für das Verständnis des Gesamtwerks zu überprüfen und ihre Stellung im Werkzusammenhang einschätzen zu können. Die Untersuchung konzentriert sich auf die bedeutendsten Motivbereiche, den Ozean und den Sternenhimmel: Die Beispiele von Ocean with Cross, To Fix the Image in Memory und die Night Sky-Gemälde repräsentieren drei wesentliche Arbeitsbereiche und Medien Celmins’ – die Arbeiten in Graphit, in Malerei sowie das wichtigste skulpturale Werk. Kapitel II stellt die zur Behandlung des Themas notwendigen Grundlagen vor: Die Entwicklung der Bild- und Werkform wird aus dem Frühwerk heraus nachvollzogen, wobei den werkbestimmenden Entscheidungen des realistischen Rückbezugs, der Beschränkung hinsichtlich der Ausdrucksmittel und einem objektivierenden Umgang mit dem Motiv, das von Vorlagen übernommen wird, besondere Aufmerksamkeit zukommt; auch den Veränderungen um 1968 und Charakteristika der Werkentwicklung gilt das Interesse. Auf eine Darstellung des Frühwerks in seiner Gesamtheit wird verzichtet, da die Einflüsse künstlerischer Vorbilder der Studienzeit Celmins’ und des zeitgenössischen künstlerischen Umfeldes von Los Angeles – wie etwa die Nähe zu surrealistischen Methoden oder zur Pop Art, die Lucy Lippard in ihrer einflussreichen Anthologie für die Stilleben anspricht – über das Frühwerk hinaus keine signifikante Wirkung entfalten und in der Literatur zudem bereits verhältnismäßig breite Beachtung gefunden haben. Kapitel III widmet sich der Zeichnung Ocean with Cross, die zu Beginn der 70er Jahre entstand und für mehr als eine Dekade des malerischen Umgangs mit dem Graphit exemplarischer Anhaltspunkt sein kann. Anhand dieses Werks werden zentrale künstlerische Interessen des reifen Œuvres eingeführt, wobei die

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besondere Aufmerksamkeit der Umgehensweise mit den Vorlagen und der Relation von Motiv, Oberfläche und künstlerischem Herstellungsprozess gilt. Während das argumentative Interesse der Besprechung von Ocean with Cross in der Verallgemeinerbarkeit des Beispiels liegt, richtet es sich bei der in Kapitel IV folgenden Darstellung von To Fix the Image in Memory auf die herausgehobene, singuläre Stellung des Steinensembles: Mit dem Entstehen dieses Objekts findet die Nutzung des Graphits ihren vorläufigen Abschluss, das Ensemble verdichtet jedoch wesentliche Dimensionen des Gesamtwerks, das intensivierte Sehen und die intensivierte künstlerische Tätigkeit, zu einer extremen Formulierung. Die Konfrontation von natürlichen und mit den Mitteln der Kunst nachgeschaffenen Steinen in To Fix the Image in Memory lenkt den Blick erneut auf das Verhältnis von Vorlage und Artefakt. Die Bezugnahme zum Konzept der Mimesis und die Auseinandersetzung mit der Präsentationsform werden dabei auf Wahrnehmungsfragen perspektiviert. Kapitel V kehrt auf der Grundlage der durch den Werk-Rückblick gewonnenen Erkenntnisse zu den Night Skies zurück. Die eingangs erfolgte Beschreibung der Wahrnehmungserfahrung wird für die in Pittsburgh gesehenen Gemälde differenziert und mit der genauen Untersuchung und Charakterisierung der Visualität der Werke fortgesetzt. Für die Behandlung der Night Skies ist die Reflexion auf die malerisch erzeugte Sichtbarkeitsebene der Fotografie von besonderer Wichtigkeit – da hier, wie zu vermuten steht, der in Ocean with Cross dargestellten eigenständig sichtbaren Materialität eine Form bildlicher „Selbstreflexion“ hinzugefügt wird. Die in der Konfrontation von Motiv und Faktur entstehende Überlagerung von Sichtbarkeitsebenen und deren Auswirkung auf die „Lesbarkeit“ eines Werks werden anhand einer Gegenüberstellung mit Arbeiten Hanne Darbovens untersucht, während das Verhältnis von Fotografie und Malerei Gegenstand des Vergleichs mit Gerhard Richter ist. Der Auseinandersetzung mit der komplexen Visualität der Night Skies und Überlegungen zu deren Art der Ansprache folgt der angekündigte Perspektivenwechsel zur Betrachtererfahrung. Die zuvor herausgearbeitete Spezifik der Visualität wird in Bezug zu den Vorgängen der Rezeption gestellt, um im Anschluss daran die Ergebnisse zum Stellenwert des Motivs im Werkzusammenhang und seiner Funktion in der Wahrnehmung zu reflektieren. Der letzte Abschnitt des Night Sky-Kapitels widmet sich der Darstellung und Charakterisierung der Wahrnehmungserfahrung im Spannungsfeld zwischen einem „Sehen als Kritik“ und einer „Kritik des Sehens“. Kapitel VI fasst die Ergebnisse der Arbeit unter der im Argumentationsverlauf entwickelten theoretischen Perspektive der Repräsentationskritik zusammen

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und verortet die künstlerischen Interessen, die sich in den Night Skies widerspiegeln, in einem Verhandlungsraum zwischen Wahrnehmungsfragen und Konzeptualität. Zuvor noch werden die Night Skies als Formulierungen in einer malerischen Tradition reflektiert, wobei diese Überlegungen inhaltlich an das in dieser Einleitung dargestellte künstlerische Selbstverständnis Celmins’ als Malerin anknüpfen. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick zur weiteren Werkentwicklung: Die Exponate der im Frühjahr 2010 in New York gezeigten Galerie-Ausstellung der Künstlerin machen eine Beurteilung des Stellenwertes der Night Sky-Gemälde im Werkzusammenhang möglich. Die Sichtbarkeiten und Wirkungen, die ein wesentliches Erkenntnisinteresse dieser Dissertation bilden, sind nur vor den Originalen erfahrbar. Über Reproduktionen lässt sich zwar das Motiv transportieren und der unterschiedliche Charakter der Werke erfassen, für die Wahrnehmungserfahrung können jedoch auch die Illustrationen dieser Arbeit nur einen Anhaltspunkt bieten. Die Ausführlichkeit, mit der die Night Skies behandelt werden, und die Konzentration auf wenige Beispiele tragen der Notwendigkeit zur Präzision in der Beschreibung der Visualität und deren Phänomenalität in der Wahrnehmung Rechnung und bilden einen nicht unwesentlichen Teil der Erschließung der Werke.

II. Kontinuität und Zäsur Zur Entstehung der Bild- und Werkform

1. V ORAUSSETZUNGEN

DER

B ILDFORM

IM

F RÜHWERK

Bereits ab 1964 werden durch Entscheidungen des Frühwerks wesentliche Rahmenbedingungen für das reife Œuvre vorbereitet, die um 1968 eine Verdichtung und Konzentration erfahren. Als Zäsur wird das Jahr 1968 im Werk Celmins’ jedoch vor allem aufgrund der Neuausrichtung auf motivischer Ebene und der damit verbundenen Auswirkungen für die Komposition wahrnehmbar. Die Entscheidung für einen realistischen Rückbezug in der Gegenstandsmalerei, die nach den expressionistischen Versuchen der ersten Studienzeit fällt, bildet 1964 nicht nur den Ausgangspunkt der Entwicklung des Frühwerks 1, sondern ist von grundlegender Bedeutung für das gesamte Schaffen. Im Folgenden sollen jene Entwicklungslinien des Frühwerks nachvollzogen werden, die für die um 1968 erfolgte Verdichtung künstlerischer Interessen relevant sind. Die Hinwendung zur Gegenstandsmalerei wird dabei als erste einer am Werkverlauf ablesbaren Reihe von Entscheidungen verstanden, mit denen Celmins eine Konzentration auf die ihr wesentlich erscheinenden Aspekte der Malerei anstrebt. Dieser Prozess äußert sich, ausgehend von der Objektdarstellung, hauptsächlich als eine Tendenz zur Reduktion malerischer Mittel. Um die veränderte Integration des Motivs ins Bildgefüge ab 1968 angemessen beurteilen zu können, wird neben der Reduktion der Ausdrucksmittel außerdem der Umgang mit dem Motiv im Frühwerk nachvollzogen. Von besonderer Bedeutung ist hier die ebenfalls werkbestimmende Entscheidung, zur Motivvermittlung fotografische Vorlagen zu verwenden.

1

Die 1964 entstandenen Werke eröffnen die erste Retrospektive der Künstlerin im Whitney Museum of American Art in New York 1973 und können daher als Einstieg in das Werk erachtet werden.

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1.1 Konzentrationsprozesse: Gegenstandsdarstellung und Reduktion der Ausdrucksmittel Die unmittelbare Gegenstandsdarstellung, die Celmins 1964 in einer Reihe von Stilleben von Haushaltsgegenständen aufnimmt, bedeutet eine radikale Loslösung von den bewunderten Vorbildern des Abstrakten Expressionismus:2 Der Blick auf das Faktische des Gegenstandes wird den subjektiven und gestischen Prinzipien als Akt der Veräußerlichung und Objektivierung des Sehens entgegengesetzt. Abbildung 3: Lamp #1, 1964

© Vija Celmins 2011 „I’m going to do a really old-fashioned thing. I’m going to set an object in threedimensional space on a table. I’m going to take a canvas and I’m going to see what happens when I see something in front of me and translate it onto a two-dimensional plane with a brush and canvas.“3

2

Celmins malt noch 1960/61 während ihrer Studienzeit in Indianapolis in expressionistischer Manier. Die im Zeitraum vor 1964 entstandenen Werke sind zumeist zerstört; zwei Abbildungen in Relyea/Gober/ Fer 2004, S. 60 und S. 61

3

Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 37

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Die unmittelbare Begegnung mit dem Gegenstand und dessen „Übersetzung“ in die Fläche besitzt für Celmins außerdem den Charakter einer „Rückbesinnung auf sich selbst“4: „[…] there’s the surface, there’s me, there’s my hand, there’s my eye, I paint. I don’t embellish anymore, I don’t compose, and I don’t jazz up the color.“5

Die Stillleben lassen sich somit als Ausgangspunkt einer Rückkehr zu grundlegenden Prinzipien der Malerei und als Suche nach künstlerischer Authentizität verstehen.6 Entsprechend zeichnen sich ab 1964 auch im Bereich der malerischen Ausdrucksmittel Prozesse der Selbstbeschränkung ab, die als zeittypisches Bestreben nach Eingrenzung imaginativer und subjektiver Vorgänge aufgefasst werden können: Eine der wenigen programmatischen Aufzeichnungen Celmins’ gibt in der Diktion die Nähe zu den Litaneien der Verneinung Ad Reinhardts zu erkennen.7 „Keine Komposition, keine Gestik, keine Kunstfarbe, keine Verzerrung, keine sichtbare Angst oder Anstrengung, kein Ich (ausdruckslose Bilder).“8

Lamp #1 (1964) zeigt exemplarisch für die Stillleben weit reichende Entscheidungen zur Reduktion – eine in diesem Fall auf Grauabstufungen beschränkte Palette, die Darstellung des Gegenstandes im Maßstab 1:1 und die Positionierung des Objekts in der spannungsarmen Bildmitte. Die in den Stillleben erkennbare Vermeidung expliziter Farbigkeit setzt sich in den 1965 und 1966 geschaffenen Bildern mit Desaster- und Weltkriegsthematik fort. In diesen Werken tritt das Grau der Umsetzung in kalkulierten Gegen-

4

Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 5: „I started pulling back

5

Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 8

6

Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 8: „So then I went back to

into myself and painting what I was seeing.“

some basic thing, like looking at simple objects and painting them straight, trying to rediscover if there was anything there that might be more authentic.“ 7

Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 8, wo Celmins ihre Lektüre des Reinhardt-Artikels in Art News erwähnt: Reinhardt, Ad: Twelve Rules for a New Academy, (1953), in: Art News, Vol. 56, no. 3, May 1957, S. 37-38 und S. 56. Wiederabdruck in Rose, Barbara (Hrsg.): Art-as-Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, New York 1975, S. 203-208

8

Zitiert in: Lingwood 1996, S. 22 (Zeilenumbrüche aufgehoben, Interpunktion ergänzt)

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satz zur motivischen Eigendynamik der verwendeten Vorlagen, wie Flying Fortress (1966) nachvollziehbar werden lässt: Der motivischen Dynamik eines Militärflugzeugs, das fliegend im Moment seines Auseinanderbrechens gezeigt wird, stehen eine den Stilleben vergleichbare spannungsarme Positionierung leicht unterhalb der Bildmitte und die Umsetzung in Grautönen ohne dramatischen Effekt entgegen.9 Abbildung 4: Flying Fortress, 1966

© Vija Celmins/The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

Die Farbvermeidung, wie sie sich hier zeigt, wird im letzten der Desasterbilder überprüft – ein Beispiel für das visuell-reflektierende Vorgehen der Künstlerin, dem dogmatische Entscheidungen und Setzungen fremd sind: Burning Man (1966) gibt in Farbe und kaum gefilterter Drastik das Motiv eines brennend aus einem Auto fliehenden Mannes wieder. Das Werk, das im Kontext der GrisailleBilder von abstürzenden Kriegsflugzeugen oder kugeldurchsiebten Autos wie die Versuchsanordnung für eine innerbildliche Eskalationsstrategie erscheint, da

9

Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 38: „I think I picked up these objects because there were things happening to them. But I was working on a very still surface. So there is a tension between those two things.“ Vgl. auch Vogel, Sabine B.: Die Oberfläche der Sterne. Ein Gespräch mit Vija Celmins, in: Das Kunstbulletin (5 / 1997), S. 18-23, hier: S. 18

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Bildgegenstand und künstlerische Umsetzung nicht länger als Antagonismen eingesetzt sind10, findet im Œuvre keine Nachfolge. „I came to the conclusion that color was really gross, it was too spatial, too violent, too expressive of itself. Besides it was so indiscriminately joyful.“11

Abbildung 5: Burning Man, 1966

© Vija Celmins 2011

Mit der Beschränkung auf die Grauskalen des Graphits ab 1968 bleibt die Entscheidung zur Farbvermeidung für nahezu ein Jahrzehnt unhinterfragt. Die Tendenz zur Reduktion künstlerischer Ausdrucksmittel zeigt sich im Frühwerk au-

10 Vgl. zu dem Werk auch Larsen 1979, S. 25: „In its terror and high color it is the most explicit of her paintings up to this time, a work in which the energy of the image is unleashed and allowed free rein in the painting.“ 11 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 37. Im Interview mit Close spricht Celmins von Farbe außerdem als einem dekorativen Effekt, vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 12/14: „[…] I wanted a more sober note and I thought that color was an extra, as if I were decorating something.“ Ein vergleichbares Bild eines brennenden Flugzeugs bleibt unvollendet, vgl. Enright 2003, S. 33

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ßerdem in der Verkleinerung der Formate12: Celmins stellt diese Entscheidung einerseits als Akt der Opposition gegen die großdimensionierten Leinwände des Abstrakten Expressionismus dar, andererseits tragen die von ihr bewunderten Werke Morandis zu der Einschätzung bei, dass nicht die Größe des Formats ausschlaggebend für die „Kraft“ eines Gemäldes sei.13 Armstrong fasst die Reduktionsprozesse des Frühwerks als Befreiung von Überflüssigem auf: „[Celmins] has gradually eliminated everything she feels to be extraneous: color, gesture, finally painting itself. Likewise, the scale of her work has been gradually reduced […].“14

Diese Einschätzung bestätigt sich, wenn Celmins im Gespräch mit Close die Frage nach dem, was Kunst letztlich ausmacht, in Verbindung mit Formen der Selbstbeschränkung bringt: Die Reduktion der Bildmittel erscheint hier als Voraussetzung, um einer „entzogenen“, schwer fassbaren Qualität innerhalb eines Kunstwerks nachgehen zu können, der Celmins den eigentlichen „Kunstcharakter“ zuschreibt. „What was left was a kind of poetic reminder of how little a work of art really is art, and how elusive it is to chase the part that really excites you and turns one thing into something else. And how tiny that part is, and how hard it is to define. So I was inspired to throw away as much as I could.“15

Die Prozesse der Reduktion von Ausdrucksmitteln bilden bei Celmins daher einerseits ein bedeutungsgenerierendes Element16; zugleich zeichnet sich durch diese im Frühwerk getroffenen Entscheidungen für die Werkentwicklung des reifen Œuvres bereits das Prinzip der Variation innerhalb vorgegebener Rahmenbedingungen ab.

12 Lamp #1 etwa misst 120 x 165 cm, Flying Fortress 41 x 66 cm. 13 Interview 2008, S. IV und S. XVI. Der Einfluss der Kunst Morandis auf das Frühwerk findet sich in nahezu jedem Artikel erwähnt. Im Interview verweist Celmins außerdem auf einen Text, den sie für den Katalog der Morandi-Ausstellung der Tate Gallery beiträgt. Vgl. Celmins, Vija, in: Giorgio Morandi, Salvo, Donna de/Gale, Matthew (Hrsg.), Kat. Ausst., Tate London 2001, London 2001, S. 36 14 Armstrong, Richard: Of Earthly Objects and Stellar Sights – Vija Celmins, in: Art in America (Mai 69.1981 No. 5), S. 100-107, hier: S. 100 15 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 8 16 Vgl. Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne 1995, S. 41

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1.2 Der Stellenwert des Motivs und der Umgang mit Vorlagen im Frühwerk Die Abbildungen, Zeitungsausrisse und Fotografien, die nach dem direkten Zugriff auf die Gegenstandswelt in den Stilleben Träger und Vermittler des Realitätsbezuges der zweidimensionalen Werke werden, sind Fundstücke von Streifzügen durch Antiquariate und Buchläden, die Celmins ab 1965 als Vorlagen ihrer Arbeiten zu nutzen beginnt. Dabei scheint ein Impuls des „VorzeigenWollens“ wesentlich für die Integration der gefundenen Bilder in den Kunstkontext zu sein.17 Diese Vor-Bilder gewinnen im Werkverlauf in unterschiedlicher Weise Einfluss auf die Motivdarstellung. Mitte der 60er Jahre werden die Vorlagen zunächst hauptsächlich als motivvermittelnde Instanzen verwendet, besitzen jedoch, indem sie das Motiv aus dem Status des Unmittelbaren in den des Vermittelten versetzen, auch eine prinzipiell distanzierende Funktion als „Zwischenschicht“ im Werkprozess.18 Larsen sieht jedoch in der Behandlung der Bildgegenstände während der teils biografisch motivierten Auseinandersetzung mit der Kriegs- und Desasterthematik „projizierende“ und „imaginative“ Elemente vorherrschen: „Hers was not to be a detached, analytical attitude toward an object as an element in a formal arrangement but a projective, imaginative one which would add to, interpret, and relocate the object in a broader, psychological and physical context.“ 19

Stärker als eine distanzierende Wirkung der Vorlagen erscheint hier die Grisaille der Umsetzung, die sich an den Halbtönen der verwendeten Abbildungen orientieren kann, als Mittel, die potenziell narrative Dimension und hohe emotionale Eigendynamik der Vorlagen in kontrollierbare Bildverhältnisse zu überführen. Neben dem verhaltenen Einsatz künstlerischer Mittel in der Umsetzung der Vorlagen trägt, wie Storr bemerkt, auch die neutrale, beinahe abstrakte Behandlung der Formen zu einer „unpersönlichen Qualität“ der Werke der Desaster-

17 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Samantha Rippner 2002, S. 31, wo Celmins diesen Impuls schildert: „The falling plane image was so moving to me, so I drew [a clipping] of it right after I found it […]; I just plopped it down, sort of showing what I had found.“ 18 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 12 19 Larsen 1979, S. 22

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phase bei.20 Damit wird der Motivik jenseits eines narrativen oder deskriptiven Gehalts eine rein formale Qualität im Bildgefüge zugesprochen, die Larsen mit den Darstellungsprinzipien und dem formalisierten Einsatz von Motiven im Werk Jasper Johns’ in Zusammenhang bringt. „These intense, strange gray-toned paintings with their centered images and ambiguous backgrounds parallel the presentational attitude of Jasper Johns, who placed the viewer in a problematic but compelling confrontation with familiar objects seen in a new context.“21

Celmins selbst schätzt das Werk Johns’ einerseits aufgrund der zeichenhaften Qualität seiner Motive, die jedes „Design“ vermeide; andererseits reagiert sie auf eine Spannung zwischen Motiv und Oberfläche: „I also liked the surface tension he had in relation to the object, it felt right to me.“22

Nach den zuweilen drastischen Motiven der Desasterphase kann die Verwendung selbst aufgenommener Fotografien mit Armstrong als Bemühen um eine thematische Beruhigung aufgefasst werden.23 Freeway (1966) übernimmt die verhaltene Farbigkeit und den subjektiven Blickwinkel einer aus dem Auto heraus fotografierten Straße24, wobei Celmins den „Perspektivenwechsel“ hervorhebt, den der Blick durch die Linse ermöglicht habe: „The thing I liked best about that was looking through the lens and inspecting things from a different perspective.“25

20 Storr, Robert: Le cosmos immobile. The Stop-Action Cosmos, in: Vija Celmins, Fondation Cartier (Hrsg.), Fondation Cartier 1995, S. 7-19, hier: S. 11 21 Larsen 1979, S. 21. Vgl. auch Relyea 2004, S. 61, 64 und 67, wo Aspekte von Johns’ Einfluss an der Westküste und auf das Frühwerk Celmins’ angesprochen werden. 22 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 37 23 Vgl. Armstrong, S. 103: „Making her own photographs provided a less topical, less newsworthy image.“ 24 Larsen 1979, S. 27: „Unusually sensitive to spatial experiences, [Celmins] had attempted to evoke her kinesthetic perception of freeway driving within a static frame in ‘Freeway’ of 1967.“ Die Autorin sieht darin ebenfalls ein Interesse an einer spezifischen Sicht von Räumlichkeit durch das mechanische Auge des Fotoapparates, vgl. Larsen 1978, S. 38 25 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 38

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Abbildung 6: Freeway, 1966

© Vija Celmins 2011

In seiner glättend vermalten Oberfläche zitiert das Werk zudem einen spezifisch fotografischen Glanz. Die Beschäftigung mit den „subjektiven“ Eigenschaften der Fotografie – dem fotografischen Blickwinkel, der Momenthaftigkeit der Aufnahme und den damit verbundenen Implikationen von zeitlicher Bestimmtheit – bleibt jedoch von ebenso episodischem Charakter wie die Anwendung eigenwertiger Farbigkeit in Burning Man. Die Auseinandersetzung mit den Objektqualitäten der Vorlagen, wie sie in Freeway gegeben ist, lässt deren ambivalenten Status deutlich werden: Im Zentrum der künstlerischen Wahrnehmung und Umgehensweise stehen hier weniger das vermittelte Motiv als vielmehr der durch das Kameraauge ermöglichte neue Blickwinkel und die fotografische Oberflächenqualität der Vorlage. Dass sich Celmins der Problematik bewusst ist, zeigt sich an ihrer Bezeichnung der Fotografie als „alternate subject“26, deren ambivalente Stellung im Werkprozess sie im Gespräch mit Larsen reflektiert. „I was somewhere between painting the object as an object and painting the whole surface itself as a photograph, using the photograph as the subject. This is different than using the subject of the photograph.“27

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Graphitarbeiten auf Papier von 1968, die die Vorlagen als „gefundene“ Objekte kenntlich machen und in der Bildmitte 26 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 12 27 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 37

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präsentieren, als Versuch, eine Klärung dieser Ambivalenz herbeizuführen, indem die Vorlagen als Voraussetzungen des Arbeitsprozesses thematisiert werden. Abbildung 7: Bikini, 1968

© Vija Celmins/The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

Bikini (1968) zeigt in der Mitte des Bildes einen Zeitungsausriss mit einer Abbildung der amerikanischen Atombombentests im Bikini-Atoll 1946. Mit hoher Präzision und Sensibilität in der Handhabung des Graphits werden in illusionistischer Manier spezifische Eigenschaften der Vorlage wie Knicke, Risskanten und Textfragmente wiedergegeben – wobei die Wiedergabe der Bildunterschrift die Drucktype eher nachempfindet als sie vollständig zu imitieren. Die Graphitarbeiten reflektieren somit einerseits die Objekthaftigkeit und die Medialität der Clippings, andererseits steht das Material des Graphits, trotz seiner „malerischen“ Anwendung, einer plastischen Wirkung des Trompe-l’oeil-Effekts entgegen. Die auf die Desasterthematik von 1965/66 rekurrierende motivische Ebene erscheint daher in den Clipping-Zeichnungen zweifach „gebrochen“: Zum einen wird sie durch die Kenntlichmachung der Objektqualitäten der Vorlagen zitatartig

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distanziert28, zum anderen steht die Materialität des Graphits einer unmittelbareren Wirkung entgegen. Damit wird deutlich, dass die Clippings ebenso wenig wie die anderen Beispiele des Frühwerks einen ungebrochenen Illusionismus anstreben, sondern dass die Eigenschaften der Vorlagen, aber auch der Materialität, zunehmend als Mittel der Distanzierung eingesetzt sind.

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DES REIFEN

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Noch 1968 entstehen die ersten Graphitbilder nach Fotografien der Ozeanoberfläche bei Venice Beach, 1969 werden außerdem Ansichten der Mond- und Marsoberfläche zu Bildvorlagen, die Celmins beim NASA Jet Propulsion Laboratory in Pasadena erhält, die aber Ende der 60er Jahre im zeitlichen Umfeld der Mondlandung auch in Illustrierten und Magazinen allgegenwärtig sind. Die Komposition entwickelt sich durch Verdopplungen von Bildelementen und Parzellierung in zunehmend flächenbezogener Weise. Moon Surface Luna 9 #1 (1969) zeigt beispielhaft für diese Übergangsphase, wie durch die passepartoutartige Verdopplung des Motivs ein Kompromiss zwischen den mittig gewählten Bildschwerpunkten des Frühwerks und einer flächigen Ausdehnung, die das Motiv nahe legt, gesucht wird.29 Diese Abkehr vom Bildschema der objektgebundenen Form und das durch die Nutzung landschaftlich ausgedehnter Motive bedingte veränderte Kompositionsprinzip erscheinen als die eigentlichen Zäsuren des Jahres 1968. Die formale Neuausrichtung findet ihre Entsprechung auf semantischer Ebene im Bruch der landschaftlichen Motive des reifen Œuvres mit potenziell narrativen oder deskriptiven Gehalten: Wakefields Unterscheidung zwischen „narrativen Mitteilungen“ des Frühwerks und „intensivierte[n] Oberflächendarstellun-

28 Armstrong 1981, S. 103 bezeichnet die in den Clipping-Zeichnungen erkennbare Tendenz distanzierenden Zeigens als „exorcisms of Celmins's attraction to the overtly calamitous.“ 29 Whiting, Cécile: „It’s Only a Paper Moon“. The Cyborg Eye of Vija Celmins, in: American Art, Vol. 23, No. 1, 2009, S. 36-55, hier: S. 48 verweist darauf, dass die Zeichnungen auch die Fehlleistungen der Hochtechnologie wiedergeben, wie die Signalausfälle, die sich in senkrechten weißen Linien bemerkbar machen.

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gen“30 ab Ende der 60er Jahre deutet auf das Potenzial für ein abstraktes, strukturbezogenes Verständnis der veränderten Motivwelt hin. Armstrong beschreibt die erstmalige Verwendung des Ozeanmotivs 1968 als bedeutenden Einschnitt für das Gesamtwerk: „The beginning of Celmins’s mature work, the oceans represent one of those fortuitous moments in an artist’s career when intention, intuition and skill synchronize.“31

Abbildung 8: Moon Surface (Luna 9) #1, 1969

© Vija Celmins/The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

Die Bildform des reifen Œuvres – also die von gemeinsamen Eigenschaften geprägte Erscheinungsweise der meisten Werke ab 1968 – ist daher einerseits das Ergebnis einer einschneidenden Veränderung in der Motivwahl ab 1968, die Auswirkungen auf das Kompositionsprinzip und die Aussagequalität der Werke besitzt. Andererseits stellen die Verwendung des Graphits und die Arbeit mit Vorlagen Elemente der Kontinuität dar, und auch die erneute Kondensierung des

30 Vgl. Wakefield, Neville: ‚Temps Morts‘, in: Vija Celmins. Werke 1964-96, Lingwood, James/Schwarz, Dieter (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunstmuseum Winterthur/Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main 1997, Winterthur 1996, S. 44-47, hier: S. 46 31 Armstrong 1981, S. 104

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ohnehin schon moderaten Formats kann als Weiterführung der Entwicklungslinien des Frühwerks verstanden werden. Wesentlich für die Bildform ab 1968 ist außerdem der Verzicht auf die Reflexion des Objektstatus’ der Vorlagen, so dass die Verkomplizierung von Bildebenen, wie sie die Clippings kennzeichnet, wieder aufgehoben wird.32 Die willentliche Beschränkung bei den Ausdrucksmitteln wird durch die Grauskalen des Graphits und der Kohle zu einer zunächst durch die verwendeten Medien mit bedingten Voraussetzung der Werke; nach der Rückkehr zur Malerei Mitte der 80er Jahre wird der Vorsatz der Farbvermeidung weiterhin aufrecht erhalten. Die aus diesen Entscheidungen resultierende Bildform – kleine, rechteckige Querformate, verhalten durch die Nutzung von Grauskalen in der Wiedergabe eines landschaftlichen Motivs, das ohne explizite Reflexion auf den Objektcharakter der Vorlage über die Oberfläche ausgedehnt wird – erweist sich trotz der Infragestellungen und Überprüfungen im Verlauf der folgenden anderthalb Jahrzehnte für das reife Œuvre als prägend und bestimmt auch das Erscheinungsbild der Night Skies. 2.1 Das Motivrepertoire des reifen Œuvres. Vorlagen-Auswahl und motivische Spezifik Schon im Frühwerk bietet sich durch die Verwendung von Vorlagen die Möglichkeit, Entscheidungen zur Bildkomposition entsprechend den programmatischen Vorsätzen33 gering zu halten, indem die Bildanlage der ausgewählten Motive als „inventionslose Komposition“ übernommen wird. Im reifen Œuvre aber tritt durch die Kontinuität des Motivrepertoires stärker als im Frühwerk die Bedeutung der Vorlagen für Variationsmöglichkeiten innerhalb des jeweiligen Motivbereichs hervor: Da sich der Wille zur Vermeidung von subjektiver Invention auch in einer Maßgabe hoher Genauigkeit bei der Übertragung der Strukturen ins Werk niederschlägt, trifft Celmins mit der Auswahl einer Vorlage zugleich die Entscheidung für die spezifische Strukturierung einer Ozeanoberfläche oder eines Sternenhimmels. Die für das reife Œuvre charakteristischen, oft nur geringen Unterschiede zwischen einzelnen Werken sind somit weitgehend auf Vorgaben der Vorlagen zurückzuführen, nicht auf Inventionen der Künstlerin.34

32 Vgl. dazu auch Storsve 2006, S. 20 33 Vgl. Kapitel II.1.1 34 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 39, die auf ihre Abneigung hinweist, Strukturen zu „erfinden“. Außerdem vermeide sie eine „Manipulation“ des Motivs.

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Celmins führt 2008 eine „poetische Qualität“ des Bildes als Kriterium bei der Wahl der Vorlagen an35, doch scheint der Auswahlprozess vor allem die künstlerischen Vorstellungen mit der durch die Vorlage vermittelten spezifischen „Komposition“ des Motivs in Übereinstimmung zu bringen. Im Auswahlprozess vollzieht sich also in einem gleichermaßen erfahrungs- wie reflexionsbasierten Vorgang ein reziproker Abgleich: „First of all I choose an image, and I compose by choosing it also. Because I choose it, it’s composed. I choose an image that I feel is already composed. […] I choose the images that are going to look like I want my work to look.“36

Die folgende Beschreibung der Bedingung der Möglichkeiten, unter denen eine Vorlage zum Ausgangspunkt eines Werkes werden kann, kann daher zugleich als eine Beschreibung der konstant wiederkehrenden Anlage der Werke des reifen Œuvres gelten und Auskunft über die künstlerischen Interessen der Motivund Vorlagenwahl geben. Den wenigen Motiven, die Abbildung 9: Vorlage für eine Ozeanarbeit ab Ende der 60er Jahre immer wieder von Celmins verwendet werden, ist die Abwesenheit von Hinweisen auf Ort, Tageszeit oder atmosphärische Informationen gemeinsam. Die Vorlagen vermitteln unspezifische, neutrale Ansichten auf die Naturausschnitte: Aufnahmen aus distanzierten Blickwinkeln, die in der Regel in horizontlosen Aufsichten resultieren. Sie geben die Motive mit einer charakteristischen, kleinteiligen Struktur wieder, deren Elemente sich in Binnenwiederholung nach allen Seiten hin fortsetzen, ohne erkennbaren Gesetzmäßigkeiten zu folgen. Beispiele solcher Strukturen sind Ozeanoberflächen, die gleichmäßig von Wellenkämmen überzogen sind, Wüstenmotive mit regelloser Streuung unterschiedlicher Steingrößen oder die Konstellationen von Sternenfeldern.

35 Vgl. Interview 2008, S. VI: „It’s just a poetic quality. […] I choose it from affection.“ 36 Interview 2008, S. VI

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Obwohl sich auch im reifen Œuvre gelegentlich innerbildliche Schwerpunktsetzungen durch Kometen, Spinnennetze oder Bildhorizonte finden, zieht Celmins dort in der Strukturgebung der Fläche eine gleichmäßig-unregelmäßige Ausdehnung vor. Für diese Qualität wird in der Literatur der Begriff des All-over entlehnt, der auch zur Beschreibung der prinzipiellen Fortsetzbarkeit der kleinteiligen Strukturierungen über die Bildränder hinaus geeignet ist.37 In Bezug auf das Werk Untitled (Comet), das ebenfalls in Pittsburgh ausgestellt wurde und 1988 noch vor Einsetzen der Night Sky-Reihe entstanden ist, stellt Celmins im Gespräch fest, sie habe den dort eingefügten Horizont „selbstverständlich nicht akzeptiert“38. „[The painting] should be the unit. It shouldn’t have a feeling that there’s something beyond the painting or the horizon, I just didn’t want it as a pictorial device.“39

Die Ausschnitthaftigkeit der landschaftlichen Strukturen ist in der Phase der Graphitarbeiten der einzige unmittelbare Anhaltspunkt für die Verwendung von Vorlagen, bevor in den Gemälden ab Mitte der 80er Jahre eine in der Malerei veränderte Behandlung der Oberfläche erneut auf die Objektqualität des fotografischen Glanzes der Vorlage Bezug nimmt. 2.2 Eingrenzung der Motivwelt als Movens der Werkentwicklung Die am Werkverlauf ab 1968 ablesbare Begrenzung des Motivrepertoires auf Meeresoberflächen, Sternkonstellationen, karge Böden oder leere Spinnennetze ist, ebenso wie die selbst gewählten Beschränkungen hinsichtlich der Aus-

37 Der Begriff schließt an Clement Greenbergs Beschreibung eines „dezentralisierten“ und „polyphonen“ Kompositionsprinzips an. Vgl. Greenberg, Clement: The Crisis of the Easel Picture (1948, Partisan Review), in: O’Brien, John (Hrsg.): Clement Greenberg. The Collected Essays and Criticism, Vol. 2 (Arrogant Purpose. 1945-1949), Chicago/London 1986, S. 221-225, hier: S. 222: An „all-over picture which, with a surface knit together of a multiplicity of identical or similar elements, repeats itself without strong variation from one end of the canvas to the other and dispenses, apparently, with beginning, middle and ending.“ Nur in dieser beschreibenden Weise eines flächenbezogenen, gleichmäßig-schwerpunktlosen Kompositionsprinzips findet der Begriff auch hier Anwendung. 38 Vgl. Interview 2008, S. XIV 39 Interview 2008, S. XIV

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drucksmittel, als weitere Setzung innerhalb der Engführung von Fragestellungen zu sehen, die für die Entwicklung des Werks maßgeblich ist. Celmins weist 2008 darauf hin, dass sie bereits in der Entscheidung zur Verwendung von Vorlagen 1965 eine Form zur Eingrenzung von Möglichkeiten versteht und diese als Erleichterung empfindet: „When I first started doing this [working with images] it was a relief, because I thought: I don’t have to worry about the image anymore. I can now do … I was going to say, I can now do the art, but it seems like a pretty stupid thing to say.“40

Abbildung 10: Galaxy #1 - Galaxy #4, 1973/74

© Vija Celmins 2011

Die Beschränkung des motivischen Repertoires ab 1968 „löst“ nicht nur das Problem der Komposition; über die Rahmenbedingungen im Motivischen wird auch die notwendige Konzentration erreicht, um eine weitergehende Verlagerung von Fragestellungen in „entzogene“ Bildbereiche vorzunehmen.

40 Interview 2008, S. VI

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Der stark eingegrenzte Motivbereich führt zu einer Ausweitung von repetitiven Untersuchungen einzelner Bildanlagen, eine Entwicklung, die sich im Frühwerk bereits in der zuweilen mehrfachen Umsetzung eines Motivs angekündigt hatte.41 Der Reihe der Night Skies, die 1990/91 einsetzt, gehen kleinere Serien voraus, etwa eine Folge von vier Versionen der Galaxie Coma Berenices, die nach sehr ähnlichen Vorlagen gezeichnet sind42, oder die beiden Versionen von Ocean: 7 Steps (1973), in deren extremem Querformat dieselbe Vorlage siebenmal nebeneinander, allerdings in graduellen Helligkeitsunterschieden ausgeführt wird. Für Ocean: 7 Steps konstatiert Schwarz einen Doppelcharakter zwischen „serieller Aufreihung“ und „Einzigartigkeit“ der einzelnen Motivwiedergabe. Damit ist ein Spannungsfeld bezeichnet, das das gesamte reife Œuvre prägt.43 Dessen repetitiver Charakter stünde somit, ohne dass dies hier ausführlicher behandelt werden kann, zwischen den eher analytischen Untersuchungsreihen und Experimenten, wie sie die kalifornische Light & Space-Bewegung entwickelt, und stärker konzeptuellen Formen der Serie.44 Abbildung 11: Ocean: 7 Steps #1, 1972-73

© Vija Celmins 2011

Celmins’ Verständnis der wiederholenden Bearbeitung eines Themas gewinnt Kontur, wenn die Künstlerin die repetitiven Aspekte des eigenen Werks, wie schon die Kondensierung der Formate, in Zusammenhang mit ihrer frühen Faszination für die Gemälde Morandis bringt: „I repeat myself all the time: Another thing that I saw in Morandi that I liked. A longing for the perfect combination with the light in Morandi with the light in the bottles and the paint all go together, and then trying to do it again and again and again, which I also tried.

41 Einige der vor 1968 verwendeten Motive, etwa Gun with Hand, Truck oder die Kriegsflugzeuge, waren das Thema mehrerer Werke. 42 Vgl. Adams 1993, S. 106 43 Vgl. Schwarz 1996, S. 78 44 Vgl. Kapitel V.2.3

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…, to repeat the image with very tiny variations to see, if I could make it somehow more… now you say: more what? I’m not sure what the what would be.“45

Celmins’ Weise der Wiederholung weniger Motive lässt sich daher kaum als Ausdruck von deren hoher inhaltlicher Bedeutung verstehen. Da auch ein illusionistisches Anliegen ausgeschlossen wurde, stellt sich die Frage nach den Feldern der Auseinandersetzung, die innerhalb der immer enger gesetzten Rahmenbedingungen des reifen Œuvres und dessen resultierender repetitiver Struktur erschlossen werden. Die Beschränkung auf ein schmales motivisches Repertoire und insbesondere die kontinuierliche Arbeit mit den Motivbereichen der Ozeanoberflächen oder Sterne, ist, so lässt sich hier vorläufig schlussfolgern, nach dem wandelbaren Frühwerk zunächst als Bestätigung einer Eignung der Motive zur Artikulation dieser noch näher zu umreißenden künstlerischen Interessen zu deuten. 2.3 Das Verhältnis von Motiv und Oberfläche Mit der Entscheidung für eine realistische Rückbindung, die mit den Stilleben des Jahres 1964 fällt, wird im Werkzusammenhang, jenseits des vom Abstrakten Expressionismus übernommenen Interesses am Verhältnis von Bildträger und Faktur, eine ebenso charakteristische wie problematische Variable eingeführt. Die Reduktionsprozesse der malerischen Mittel lenken die Aufmerksamkeit der Künstlerin dabei früh auf das spannungsreiche Verhältnis der divergierenden Bildräumlichkeiten von Objekt und Bildebene in der Gegenstandsmalerei: „[O]ne of the things that irritated me was that in painting I had a flat surface and I was sticking an object, like the lamp, in there.“46

Die Stilleben begegnen der Problematik mit der Verringerung der Bildtiefe und einer mit besonderer Aufmerksamkeit behandelten Gemäldeoberfläche, die, obwohl von gestischen Spuren weitgehend befreit und zu einer flächigen, gleichmäßig-ausdruckslosen Qualität gebracht, eigenständige malerische Präsenz besitzt. Celmins’ Interesse für die „Oberflächenspannung“ im Werk Jasper Johns’ deutet schon im Frühwerk auf die beginnende Auseinandersetzung mit der Verhältnishaftigkeit von Motivraum und Oberfläche des Gemäldes hin. Die Ver-

45 Interview 2008, S. VIII 46 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 37

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wendung von Vorlagen erhält hier neben der objektivierenden und distanzierenden Qualität der „Zwischenschichten“ noch eine weitere Funktion: Durch den bereits in der Zweidimensionalität komprimierten Bildraum wirken die Vorlagen katalysierend bei der Übersetzung des Motivs auf die Gemäldeoberfläche: „In a way, the photograph helps unite the object with the two-dimensional plane“47, so Celmins. Die Thematisierung der Vorlagen, ohne deren Objektstatus wie in den Clipping-Arbeiten herauszustellen, bildet bei der Rückkehr in die Malerei Mitte der 80er Jahre ein wichtiges Thema. Für das gesamte reife Œuvre aber stellt sich die Gestaltung des Verhältnisses von Bildoberfläche und Motiv als eines der zentralen Felder künstlerischer Auseinandersetzung dar. Aufbauend auf den in diesem Kapitel vor Augen geführten Aspekten soll im Folgenden die Besprechung des Werks Ocean with Cross #1 (1971), das exemplarisch für künstlerische Interessen der Graphitbilder bis in die frühen 80er Jahre stehen kann, Fragen der Materialität, der Prozessualität und des Verhältnisses von Motiv und Fläche erläutern und vertiefen und darin auch wesentliche Argumentationslinien für die Reflexion der Night Skies vorbereiten.

47 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 12. Vgl. auch Storsve 2006, S. 20: „In her work, these [collected] pictures enabled her to move from the representation of a three-dimensional object, such as a lamp, to that of a two-dimensional photograph or clipping – a step toward the planarity she was seeking.“

III. Intensivierte Oberflächen Die Phase der Graphitbilder am Beispiel von Ocean with Cross

1. O CEAN WITH C ROSS #1 Die Zeichnung Ocean with Cross #1 entstand 1971 bald nach den ersten Ozeanzeichnungen als erste von zwei Versionen, in denen die Wiedergabe des Ozeanmotivs durch ein exaktes, quer liegendes X unterbrochen ist. Das Motiv der Ozeanoberfläche wird mit den Grau-Skalen des Graphits wiedergegeben. Die Darstellung ist nicht bis an die Kanten des Papiers ausgedehnt, sondern lässt ringsum einen etwa 1 cm breiten Bereich unbearbeitet, wobei der Graphitauftrag an den Motiv-Grenzen in eher flüchtiger Weise mit einem Radiergummi etwas ausgedünnt ist. Der in Ocean with Cross gezeigte Ozeanausschnitt ist unspezifisch in mehrfacher Hinsicht. Weder durch Horizont oder Vordergrund noch durch rahmende Elemente begrenzt, setzen sich Wellenkämme in gleichmäßig-unregelmäßiger Abfolge bis an die Begrenzungen der Darstellung fort. Eine optische Verkürzung des Bildraums ist durch Dunkelheit und fokussierte Behandlung im unteren Bildbereich, eine weicher strukturierte Zone am unteren Bildrand rechts und eine hellere, verkleinerte, wie aufgelöste Strukturgebung im oberen Abschluss gegeben. Der erhöhte Blickwinkel kombiniert eine schräge, horizontlose Aufsicht auf die Wasserfläche mit den insgesamt kleinteiligen Wellenstrukturen und vermittelt darin eine erhöhte, distanzierte Perspektive, der kein subjektiver „Betrachterstandort“ zugewiesen werden kann.1 Objektiviert wirkt das Motiv zudem durch

1

Vgl. Armstrong 1981, S. 107, der darauf hinweist, dass diese Abfolge von Vorder-, Mittel- und Hintergrund, wie sie bei den Ozeanzeichnungen noch gegeben ist, insbesondere in den Arbeiten, die steinige Wüstenböden zeigen, zu einer Über-KopfPerspektive weiterentwickelt ist: „[The desert views] enforce a sense of distance

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den Verzicht auf die Wiedergabe atmosphärischer Elemente – etwa Lichtreflexe auf der Wasseroberfläche – und durch die Abwesenheit zeit- oder ortsbezogener Hinweise; auch finden sich keine Anhaltspunkte, die Rückschlüsse auf Größenverhältnisse zuließen. Abbildung 12: Ocean with Cross #1, 1971

© Vija Celmins/The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

Die Position des quergelegten X-Elementes im Bildgefüge ist ambivalent: Die Linien scheinen vor Beginn des Arbeitsprozesses ins Papier vertieft, möglicherweise durch einen Pinselstiel2; sie kreuzen sich in der Mitte der Darstellung, setzen aber seitlich im Bereich der freigelassenen Ränder an, so dass weder eine Verankerung an den Ecken des Papiers noch eine Verbindung mit den Begren-

between the viewer and themselves; Celmins reduces as much as possible the feeling of an editorial point of view by working from overhead, antigravitational perspective.“ 2

Die Vertiefung mittels eines Pinselstiels könnte evtl. auch leichte farbliche Veränderungen der Linie, die auf dem frei belassenen Papierrand erkennbar sind, erklären. Bei einem weiteren Gespräch in New York anlässlich ihrer Galerie-Ausstellung 2010 konnte Celmins zu der Technik keine genauen Angaben machen. Detailaufnahmen dieser und anderer Arbeiten, die die Beschreibung der Technik unterstützen könnten, dürfen aus rechtlichen Gründen nicht abgebildet werden.

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zungen der Darstellung gegeben ist.3 Das Element wird somit nicht in Verbindung mit der motivischen Ebene gebracht und erscheint „unbestimmt“ – zumal die Linien in den Randbereichen an Ansatz und Ende deutlich als Vertiefungen im Papier erkennbar sind, im Bereich der Graphitfläche jedoch weder in eindeutiger Weise ausgespart noch als Bleistiftlinie nachgezogen werden: Die Kontinuität der Oberfläche wird von der linearen Vertiefung hier kaum sichtbar unterbrochen, der Blick folgt entlang der Linien der graduellen Veränderung im Graphitauftrag. Material und Träger stehen in Ocean with Cross nicht im Dienst einer illusionistischen Wiedergabe des Motivs. Die Verwendung des Graphits besitzt trotz der hohen Präzision und der malerischen Handhabung wie bereits in den Clipping-Zeichnungen eine distanzierte Qualität, da das Werk unmittelbar Transparenz auf sein Gemachtsein herstellt. Indem der Betrachterblick die Wellenformationen mit ihren Graten und Senken als Rhythmen einer Hell-Dunkel-Abfolge nachvollzieht, schärft sich das Bewusstsein für die darin erreichten subtilen Nuancen des flächigen Graphitauftrags, der beinahe spurlos im Hinblick auf die Bewegung bleibt, von der er verursacht wurde, der auf der Körnung des Papiers jedoch als „pures Material“ deutlich sichtbare Ablagerungen hinterlassen hat. Im Folgenden kommen produktionsästhetische Aspekte wie die Art der Motivübertragung, das Verhältnis von Motiv und Oberfläche sowie die Verwendung des Graphits zur Sprache. Damit wird das Sehen Celmins’ für die Phase der Graphitbilder nachvollzogen. Indem davon ausgegangen wird, dass sich die Sichtbarkeit der Werke Celmins’ für den Betrachter in besonderem Maße als ein „Nach-Sehen“ gestaltet, wird der genaue Blick auf die Bildverhältnisse ergänzt um Hinweise auf die Implikationen der Visualität für den Betrachter. Abschließend wird die Phase der Graphitbilder knapp in ihrem Verhältnis zum Abstrakten Expressionismus und zu zeitgenössischen Strömungen der 1970er Jahre betrachtet. 1.1 Das Motiv im Bildgefüge der Graphitarbeiten Die Ozeanzeichnungen wertet Storsve nach den Objektdarstellungen des Frühwerks als „radikalen Wechsel“ hin zu größerer Einfachheit und Einheitlichkeit in der Thematik.4 Celmins wählt für die Arbeiten selbst aufgenommene Fotografien als Vorlagen, deren genaue Übertragung ins Werk durch eine Rasterung gewähr-

3

Entgegen der Beschreibung Storsves 2006, S. 22 verbinden die Linien nicht die vier

4

Vgl. Storsve 2006, S. 21

Ecken des Papiers.

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leistet wird; zur Wahl von Ausschnitten werden auf den Vorlagen außerdem Abklebungen angebracht.5 Die Ausschnitthaftigkeit der Wiedergabe der landschaftlich-ausgedehnten Strukturen bleibt, wie angedeutet, als ein Aspekt fotografischer Ästhetik in der Phase der Zeichnungen reflektierbar. Für Hickey ist die fotografische Provenienz des Bildes außerdem im Effekt des „Einfrierens“ präsent: Die Oberfläche erscheine durch dieses Festhalten auf einer Artikulationsebene „denaturiert“.6 Die Übersetzung der Vorlage in den Graphit nennt Hickey ein „beinahe suboptisches Einrichten“7. Das Partikuläre eines fotografischen Ausschnitts und die gegebene Regellosigkeit des Motivischen werden in einen kontrollierten Zustand überführt, in dem die Binnenstrukturen nicht über die Ränder der Darstellung hinaus drängen, sondern zu einem strukturalen Gefüge transformiert sind. Die freigelassenen Ränder der Zeichnung helfen, das Motiv, das sonst auseinanderdriften würde, an seinen Begrenzungen „vorsichtig zu beenden“: „Because my images tend to run on as if they went on forever, they have to be carefully ended. At the edges one breaks the illusion of continuous space and sees the making process […].“8

Celmins beschreibt die Ordnungsprozesse, mit denen sie das Werk im Bereich von Nuancen auf einen Zustand innerbildlichen Ausgleichs hin entwickelt, als „Balance des All-over-Motivs“: „Sometimes it comes out in the work, these little nuances: balances of an all-over image, an image stopping and not going further, an image not making giant holes in the pictorial space.“9

Für die Künstlerin stellt der resultierende Zustand des Gefügten ein Merkmal des Gelungenseins dar: „People do cut out things. Most of my work doesn’t look cut out; it looks when it’s successful like it really stops where it stops.“10

5

Vgl. Abbildung 9

6

Vgl. Hickey 1992, S. 31

7

Vgl. Hickey 1992, S. 31

8

An Interview with Vija Celmins, Rippner 2002, S. 14. Vgl. auch Enright 2003, S. 22,

9

Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 23

der die Ränder außerdem als Mittel versteht, das Motiv „offen und weit“ zu halten.

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Wie die Abfolge der Ozeanzeichnungen Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre erkennen lässt, wählt Celmins zunehmend Ansichten und Bildbereiche des Ozeans, die einen möglichst hohen Grad an Komprimierung der Strukturen aufweisen, und strebt in den Werken zudem eine Verringerung der Bildtiefe an. Abbildung 13: Untitled (Ocean), 1970, und Ocean with Cross, 1971

© Vija Celmins/The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

Diese Entwicklung ist auch im Vergleich der im Abstand von nur einem Jahr entstandenen Werke Untitled (Ocean) (1970) und Ocean with Cross ablesbar: Die Strukturen in Ocean with Cross sind kleinteiliger und „regelmäßiger“, dabei präziser aufgefasst und artikuliert; auch der Tiefenwirkung des Motivs wird leicht entgegengearbeitet.11 Reste von Bewegung, wie sie die früheren Ozeanzeichnungen noch vermittelten, sieht Storsve zu verdichteten Strukturen eingeebnet.12 Die Künstlerin apostrophiert die komplexen Prozesse des Abwägens und Einrichtens bei der Gestaltung der Oberfläche als das „Organisieren des Motivs, um es dort zu halten, wo es hingehört“. Die subtile expressive Qualität, die Celmins diesen Vorgängen zuspricht13, trifft sich mit Larsens Eindruck einer Bild-

10 Interview 2008, S. VII 11 Vgl. auch Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 35, wo die Künstlerin die Graphitarbeiten seit 1968 als Konzentrationsprozesse beschreibt. 12 Vgl. Storsve 2006, S. 21. Vgl. auch Tannenbaum 1992, S. 19: „In general, the patterns of waves become tighter and more detailed as the space gets shallower and the strokes seem to adhere more closely to the surface of the paper.“ 13 Vgl. Interview 2008, S. II: „[…] it has some very subtle expressive qualities, but most of them are kind of about organizing an image, so that it stays where it is supposed to stay, that it doesn’t go off.“

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energie, die in den Werken in einem spannungsreichen Gleichgewicht gehalten werde.14 1.1.1 Motivwiedergabe und Motiveigenschaften Ocean with Cross macht die Verhandlung des Verhältnisses von Motiv, Bildraum und der Materialität des Graphits als eines der zentralen Interessen der Ozean-Zeichnungen nachvollziehbar. Die kleinteilige Struktur der ausgewählten Ozeanmotive, die Celmins als broken surface-Qualität15 bezeichnet, kommt dem Anliegen einer gleichzeitigen Artikulation des Motivs und der Flächigkeit des Werks entgegen. „[...] the surface is broken, it’s fluctuating. Mostly in the drawings, that was the whole thing with the ocean. The figure and the ground are always intertwining with each other.“16

Bei der Übertragung ins Werk wird die Oberfläche, dem Wechsel der Wellenformationen folgend, „aufgebrochen“ und als fluktuierende, „feinkörnige Haut“17 einer Graphittextur artikuliert. Das „doppelte Bewusstsein“, mit dem sie die Ebene des Motivs wie auch die Ebene des Materials und des Bildträgers als eigenständig begreift, führt Celmins auf Cézanne zurück, dessen Werk sie hohen Einfluss auf die eigene Kunst einräumt. „Cézanne I think developed that double awareness that he was painting an image, but he was also painting a painting, and the painting had to win out.“18

Zwar zeigt sich die Umsetzung des landschaftlichen Motivs weder bei Cézanne noch bei Celmins vom Detail oder von atmosphärischen Eindrücken bestimmt, sondern vom Ganzen her gedacht und gestaltet. Wenn bei Cézanne die Oberfläche zum Ort einer Verschränkung der Dimensionen des Motivs und des Gemäldes wird, so spiegelt sich in diesem Zusammenwirken der innerbildlichen Struk-

14 Vgl. Larsen 1979, S. 28: „[...] energy held in a state of tense equilibrium.“ 15 Vgl. u.a. Interview 2008, S. V: „I tend to have images that are very broken. Meaning small elements, so that the surface is broken, it’s fluctuating.“ 16 Interview 2008, S. V 17 Vgl. Larsen 1979, S. 26, die die Oberfläche der Werke treffend als „fine-grained skin of graphite“ bezeichnet. 18 Interview 2008, S. V

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turen jedoch die Vorstellung einer „Harmonie parallel zur Natur“, die seine „Réalisationen“19 zum Ausdruck von Ordnungsprinzipien der Natur machen.20 Die mediale und technische Vermittlung der Motive im Œuvre Celmins’ lässt darauf schließen, dass hier keine Transformation von Natureindrücken intendiert ist. Infrage stehen die Prinzipien und „Realitäten“, die bei Celmins auf der Oberfläche der Werke zusammengeführt werden. 1.1.2 Komplexität des Bildraums Trotz der bereits differenzierten Vorstellungen von einer Zusammenführung und Verschränkung von tiefendimensionaler Lesbarkeit und Artikulation der Bildoberfläche wurden die im Vorfeld von Ocean with Cross entstandenen Ozeanzeichnungen von Betrachtern und Käufern nicht in ihrer Komplexität verstanden, sondern als hoch ästhetische Wiedergaben einer Wasseroberfläche aufgenommen.21 Um ein solches „illusionistisches Missverständnis“ auszuschließen, sucht Celmins zu Beginn der 70er Jahre nach Wegen, die Zweidimensionalität der Oberfläche stärker zu artikulieren. In dem Bestreben, das Motiv „auf der Oberfläche“ zu halten, entwickelt die Künstlerin ein Verfahren, das den Graphit – und damit die motivische Wiedergabe – förmlich auf der Fläche des Trägers aufliegen lässt: Celmins präpariert das Papier vor dem Aufbringen des Graphits mit einer hellgrauen Acryllasur, die bei Ocean with Cross in den weniger intensiv bearbeiteten oberen Bildbereichen sichtbar bleibt. Diese Grundierung mildert die Helligkeitsunterschiede bei der Übertragung des Motivs in den Graphit und wirkt zusammenfassend und ausgleichend auf die Binnenstrukturen. Für Celmins verbindet sich mit der Acryllasur die Vorstellung, dem Papier eine „sensibilisierende Oberfläche“ hinzuzufügen. Indem die Schichten von Papier und Graphit gleichsam getrennt gehalten werden, wird eine

19 Vgl. zum Begriff der Réalisation Benesch, Evelyn: Vom Unfertigen zum Unvollendeten. Zur „réalisation“ bei Paul Cézanne, in: Cézanne. Vollendet – Unvollendet, Felix Baumann u.a. (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 2000, Ostfildern-Ruit 2000, S. 41-61, hier S. 42: „Das Zusammenwirken der einzelnen Teile, der richtige Bezug der Bildelemente zueinander und die Umsetzung in eine bildliche Harmonie ist das, was Cézanne „réalisation“ nennt.“ 20 Cézanne an Joachim Gasquet, 16. September 1897, in: Rewald, John (Hrsg.): Paul Cézanne. Briefe, Zürich 1962, S. 243: „Die Kunst ist eine Harmonie, die parallel zur Natur verläuft“. 21 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 45: „I had so many people that wanted the oceans and they missed the point, they just rushed past them.“

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Verletzung der Integrität der Papieroberfläche durch das „Eingraben“ des Bleistifts vermieden.22 Im Interview erläutert Celmins diesen Punkt näher: „[T]he support is there, it’s always there. I didn’t want to dig in the surface because I wanted to emphasize that it lays on the surface, that the image has depth, because you know it and because it is an image that implies depth, but it’s always also just on the surface.“23

Ocean with Cross zeugt somit einerseits vom Bemühen, auf der abbildlichen Ebene einen dichten, rhythmisierten und doch Tiefendimension definierenden Raum herzustellen; andererseits erweist sich das Ozeanmotiv als geeignet für die Zusammenführung der Motivebene und der als eigenständig aufgefassten, durch den Graphit artikulierten Oberfläche. Anhand von Ocean with Cross zeigt sich allerdings auch, dass der Graphit zu Beginn der 70er Jahre noch nicht den notwendigen Grad verdichteter Präsenz besitzt, der ausreichen würde, um allein aus der „Materialisierung“ des Motivs auf der Oberfläche ein antagonistisches Prinzip zur Suggestionskraft der abbildlichen Ebene zu entwickeln. Das in den beiden Versionen von Ocean with Cross eingebrachte X-Element erscheint daher als Möglichkeit, der Dominanz der motivischen Sichtbarkeitsebene und ihrer Tiefenräumlichkeit entgegenzuwirken. Linear und an die Zweidimensionalität des Papiers gebunden, betont es die Flächigkeit des Trägers. Die inhomogenen Randbereiche der Graphitfläche und die freigelassene Papier-Zone der Werke unterstützen die Reflexion auf den Träger zusätzlich. Die an sich radikale Verweigerungsgeste der Motivdurchkreuzung, ausgeführt als akkurate Figur, intendiert die „Zerstörung“ der pikturalen Qualitäten der Vorlage.24 Celmins bewertet diese Lösung aus einigem zeitlichen Ab-

22 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 38: „The paper has a skin and I put another skin on it. There is a kind of integrity between the tooth of the paper and the graphite. […] To dig into the paper is gross.“ Vgl. außerdem Vija Celmins im Gespräch mit Jean-Christophe Ammann 1997, S. 19 und Storvse 2006, S. 17 (dort auch Anm. 3) versucht, eine Verbindung zu Präparationstechniken des Mittelalters und der Renaissance herzustellen. 23 Interview 2008, S. V 24 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 45. Vgl. dazu auch Larsen 1979, S. 30

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stand allerdings als „kindliche Antwort“ auf die hohe Nachfrage nach Ozeanzeichnungen.25 Die nachfolgenden Graphitarbeiten der 70er Jahre wählen in der Verhandlung des Verhältnisses zwischen Motivraum und Oberfläche unterschiedliche Ansätze. In einer vorübergehenden Abwendung von der Bildanlage des über die Oberfläche ausgedehnten Motivs kommt es zu Flächenaufteilungen durch Juxtapositionen von zwei Motiven unterschiedlicher Größe auf einem Blatt oder auch

Abbildung 14: Long Ocean #5, 1972, und Double Desert, 1974

© Vija Celmins 2011

zur horizontalen Teilung der Oberfläche, wie in den sechs Versionen der Long Oceans: Die Wiedergabe des Motivs ist hier auf einen Streifen im unteren Bildbereich beschränkt, die Zone darüber bleibt unbearbeitet. Entsprechend der veränderten Bildanlage wird das Format der Zeichnungen beinahe verdoppelt und die Strukturierung des Motivs als Gegengewicht zur frei gelassenen Fläche verdichtet.26 Zwar werden die Juxtapositionen, aus denen sich eine wesentliche Bildform in der Druckgraphik entwickelt, von Tannenbaum als Resultate der vergleichenden Arbeit mit einer Vorlage erklärt.27 Nach der kaum wahrnehmba25 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 45: Die Künstlerin bezeichnet hier die Motiv-Durchkreuzung als „childlike answer to that demand for ocean drawings.“ 26 Vgl. Larsen 1979, S. 30 außerdem zu zwei größeren Ozeanarbeiten um 1969. Ocean with Cross misst 45,1 x 57,8 cm; Long Ocean (1972) misst 75,9 x 110,8 cm. 27 Vgl. Tannenbaum 1992, S. 20: „As a result of working for long periods of time with a small source photograph next to her graphite drawing, Celmins did several drawings in 1974 in which two images were juxtaposed on the same sheet.“ Tannenbaum übernimmt für ihren Werküberblick hier eine Einschätzung Celmins‘, die im Interview mit Close eine entsprechende Erklärung für die Juxtapositionen nahelegt. Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 36

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ren, aber doch wirkungsvollen Durchkreuzung des Motivs zu Beginn der 70er Jahre können diese Bildanlagen jedoch ebenfalls als Versuche gedeutet werden, die motivische Information in ein Gleichgewicht mit der flächenbezogenen Organisation zu bringen.28 1.2 Material und Prozessualität der Herstellung Nachdem die Übernahme und Einrichtung des Motivs angesprochen wurde, richtet sich der Blick nun auf die Materialität des Graphits und den seit 1968 zunehmend intensivierten Herstellungsprozess der Werke. Die Verwendung des Graphits ist als weiterer Schritt in der Beschränkung der künstlerischen Mittel plausibel gemacht worden. Ausschlaggebend für die Wahl des Graphits sind jedoch nicht materialhierarchische Erwägungen, sondern die präzisere Anwendbarkeit des Bleistifts, die gestische Elemente ausschließen soll.29 Die wachsende Sensibilität für das Potenzial der Verdichtung und für die formgebenden Eigenschaften des Graphits, die seit den frühen 70er Jahren in der Anwendung des Materials erkennbar ist, hat unmittelbare Auswirkungen auf den Herstellungsprozess, der verlangsamt und intensiviert wird. Im Folgenden richtet sich die Aufmerksamkeit zunächst auf die Eigenschaften des Graphits und die Besonderheiten des Materialauftrags in den Graphitbildern Celmins’; auch Aspekte der Formgebung und die Thematisierung von Zeit kommen hier zur Sprache. Im Anschluss daran wird die Bedeutung der Vorlagen für ein genaues Sehen und verlangsamtes Arbeiten angesprochen, um dabei im Vergleich mit einer Arbeit Franz Gertschs von Anfang der 90er Jahre die künstlerischen Interessen Celmins’ und die Ausrichtung des intensivierten Herstellungsprozesses zu untersuchen. Die abschließende Gegenüberstellung mit der „offenen“ Arbeitsweise John Cages soll den Werkprozess Celmins’ unter den Aspekten der Intensivierung und Kontrolle charakterisieren.

28 In diese Richtung lässt sich auch Larsen 1979, S. 30 verstehen: „In many respects, Celmins' exploration of varying formats appears to have been prompted by her desire to repress the illusionistic qualities of the image, to control it, to remind the viewer of its flatness, its physical presence.“ 29 Vgl. Interview 2008, S. XIII: „I did the drawings for a while, because I was trying to get away from my strokes, from the kind of connoisseurship and my ability, the way that just happens to be how… I thought that the pencil would be more precise and more limited.“

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1.2.1 Graphit als Medium von Zeitlichkeit und Verdichtung Die unmittelbare Einsichtigkeit in das Handgemachte der Werke und die widerständige Qualität des Graphits erzeugen eine Sichtbarkeit des Mediums, die für Celmins entscheidend ist, um das eigene Tun von einem kopierenden oder illusionistischen Interesse abzugrenzen.30 Celmins würdigt das Material des Graphits als elementar, „skelettartiger“, realer und weniger dekorativ als die Malerei31, schätzt aber auch seine Verbundenheit mit geistigen Prozessen: „It’s like definition; you go from one place to another, you make a decision [...]. Drawing is like thinking. It's very basic.“32

Insofern scheint Curigers Charakterisierung der Zeichnung als „ideales Medium der direkten Denkverlängerung beim Sehen und der Wahrnehmungsrecherche“33 auch auf Celmins’ malerischen Umgang mit dem Graphit anwendbar. Das „Neutrale und doch Physische“ des Graphits ergänzt für die Künstlerin die Eigenschaften des „Neutralen und doch Räumlichen“ ihrer Motivwelt34. Eine formgebende und „raumbildende“ Wirkung wird erzielt, indem der Graphit in einzelnen, kaum zu unterscheidenden, ungerichtet nebeneinander und übereinan-

30 Vgl. die Einleitung des Border Crossings-Interviews von Meeka Walsh, S. 22, die zusammenfasst: „As for copying, that doesn't apply. The images, for all their acute evocation of subject, are not mimetic, are not facsimiles, nor are they examples of high realism since, among other things, it's the works' apparent manufacture, their made quality that Celmins assiduously asserts.“ 31 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 35: „I thought it was more skeletal, more real, less embellished, less decorative. I felt I was doing something more elemental.“ 32 Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 35. Die Formulierung findet sich ähnlich schon im Interview mit Close, vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 11 33 Curiger, Bice: The Expanded Eye, in: The Expanded Eye. Sehen – entgrenzt und verflüssigt, Curiger, Bice (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 2006, Ostfildern 2006, S. 11-24, hier: S. 21 34 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 38: „[The image] is neutral but spatial; the graphite is neutral but physical.“

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der gesetzten Bleistiftmarkierungen aufgebracht wird35; dieses Verfahren bindet das Motiv zugleich an die Oberfläche. „Every little mark that I made was a mark that fit with the image and fit with the surface and fit with the space. It just went together.“36

Indem Celmins die präzise und pointierte Art der Aufbringung des Graphits im Prozess der Werkentstehung wiederholt „moments of consciousness“37 oder „records of mindfulness“38 nennt, legt sie eine Interpretation der unverbundenen Markierungen als Protokollierung von Aufmerksamkeitsmomenten nahe. Die im Vergleich zum Frühwerk zunehmend bedeutsame Dimension der Herstellung, die sich hier ankündigt39, wird in ihren Auswirkungen für das reife Œuvre als „Unterströmung von Zeitlichkeit“40 und „Aura der Ruhe“41 beschrieben. Der Graphit kann somit auf der Ebene der Vorstellungskraft und des Materials als Medium der Zeitlichkeit und formbildender Prozesse gelten.

35 Zum Aufbau der Fläche aus kleinteiligen Markierungen, die im fertigen Werk nur noch selten zu unterscheiden sind, vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 14: „[...] I have found it a way of building the space, letting in light, keeping the image close to the surface, moving the eye along. Small strokes keep their integrity.“ 36 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 38: „It seemed very natural for me to have that graphic point touch the paper and be like a point of reality where it touched. No smudging, no making marks, no grading, no manipulating to make sure that it spread out.“ 37 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 53 38 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Larsen 1978, S. 38: „Somewhere in this process I got to the point where everything I did, from getting up in the morning, to facing that plain paper, to keeping that kind of tension, was meaningful. These drawings became a kind of record of mindfulness.“ 39 Vgl. Larsen 1979, S. 30f.: „[Celmins] has called [the drawings] ‘a record of mindfulness’, stressing the importance of the process, the dialogue between change and constancy, those variations of hand and mind which record a moment in time and one's state of awareness of the act of drawing itself.“ 40 Vgl. Relyea, Lane: Earth to Vija Celmins, in: Artforum International (Oktober 1993), S. 55-58 und S. 115: „Time isn't captured but flows through Celmins' art.“ 41 Spieler 2003, S. 39

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Trotz der Präzision des Graphitauftrags hat der Herstellungsprozess bei Celmins keine „mechanischen Qualitäten“42; im Gegenteil setzen die subtilen Nuancierungen der Grauskalen dem technisch produzierten Bild der Vorlage eine besondere Sensibilität entgegen, die Larsen veranlasst, von einer „nahezu seismographischen Berührung“ des Papiers durch den Bleistift zu sprechen.43 Das gewachsene Interesse an den Nuancen und Eigenschaften des Graphits äußert sich in den bereits angesprochenen Werkreihen mit seriellem Charakter: In den vier Werken der Coma Berenice-Serie etwa gilt die besondere Aufmerksamkeit den Ausdrucksqualitäten je einer Bleistiftstärke, deren spezifischem Schimmer, der unterschiedlichen Textur in der Auflage auf dem Papier und der variierenden Reflexionsfähigkeit bei Lichteinfall. In den Sukzessionen von Ocean: 7 Steps hingegen scheint sich Celmins vor allem auf das Schichtungsverhalten zu konzentrieren: Die Graphitflächen werden mit jeder Wiedergabe des Motivs schrittweise verdichtet, wobei auch großflächige Schraffuren zur Anwendung kommen.44 Celmins’ Streben nach Verdichtung des Materials erreicht einen vorläufigen Höhepunkt in den Star Field-Werken der frühen 80er Jahre, deren Oberflächen „so weit wie möglich mit Graphit aufgefüllt“ sind.45 Die eigenständige Sichtbarkeit des Graphits, in der das Material „einfach Material“ sein kann46, schafft ein ausgleichendes Gegengewicht zur Suggestionskraft der motivischen Dimension. Da das „schichtende“ und verdichtende Verfahren im Auftrag und die Auseinandersetzung mit Vorstellungen von Dichte, Form und Materialpräsenz bereits auf die künstlerischen Fragestellungen vorausweisen, die nach der Rückkehr zum

42 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Larsen 1978, S. 38: „It is precisely that I reinvent it [the photograph] in other terms that gives it another quality. It is the opposite of being mechanical.“ 43 Vgl. Larsen 1979, S. 20: „near-seismographic touch of pencil to paper“; auch der Titel des Border Crossings-Interviews Tender Touches spielt auf diese sensible Qualität an, die Celmins selbst benennt: Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 31 44 Vgl. die Abbildungen 10 und 11 45 Vgl. z. B. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 45: „This probably took a year and was drawn maybe four or five times so that the image filled up as much as it could. It got real fat with graphite.“ 46 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 45: „It really went into kind of a rigorous building, and letting the material be the material.“

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Medium der Malerei wenige Jahre später an Relevanz gewinnen, nennt Celmins diese Graphitbilder „Zeichnungen, die versuchen, Malerei zu sein“47. Abbildung 15: Star Field III, 1983

© Vija Celmins/The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

1.2.2 Die Vorlagen: Grundlagen eines verlangsamten Arbeitens und präzisierten Sehens Die zeitintensive Arbeitsweise Celmins’ bildet in der Horizonte-Ausstellung die wesentliche Vergleichsebene für die großformatigen Holzschnitte und Malereien Franz Gertschs, die der Schweizer Künstler zu Beginn der 90er Jahre herstellte.48 Zwar arbeitet Gertsch mit Projektionen der Bildvorlagen, während Celmins die Vorlagen im vergleichenden Nebeneinander überträgt, in beiden Fällen aber zeichnet sich ein Zusammenhang zwischen der Nutzung von Vorlagen und der extremen Verlangsamung des Werkprozesses ab. Gertsch gelangt über die Vorlagen als Arbeitsgrundlagen zu intensivierten Naturdarstellungen. Harald Kunde deutet Gertschs Gemälde Gräser I (1995/96) als „neues Bild der Natur“, in dem „Steine, Wasseroberflächen, Wege und Grä-

47 Vgl. z. B. Interview 2008, S. XIII 48 Vgl. Horizonte. Franz Gertsch im Dialog mit Vija Celmins, Thomas Demand, On Kawara, Yves Klein, Wolfgang Laib, Roman Opalka, Gerhard Richter, Thomas Ruff, Piero Steinle, Robert Zünd. Spieler, Reinhard (Hrsg.), Kat. Ausst., Museum Franz Gertsch Burgdorf 2003, Bern 2003.

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ser“ zum Auslöser einer „bildnerischen Meditation“ werden.49 Die Intensität des Arbeitens ist bei Gertsch somit auf die Motiv-wiedergabe ausgerichtet, die Werke intendieren die Vermittlung einer „stark spirituellen Naturerfahrung“50. Abbildung 16: Franz Gertsch: Gräser I, 1995/96

© Museum Franz Gertsch, Burgdorf

Der Vergleich mit Gertsch macht die distanziertere Haltung Celmins’ zum verwendeten Motiv deutlich und zeugt zudem von einer differenzierteren Funktion der Vorlagen im reifen Œuvre. Celmins spricht bei der Übertragung der Vorlagen auf die Papieroberfläche nicht etwa von „Zeichnungen des Ozeans“, sondern von einem „Übersetzungsvorgang in den gegenwärtigen, realen Raum“, von einer „Re-Invention“ des Motivs in den Mitteln der Kunst, die das Werk gegenüber der Vorlage „spezifisch“ mache.51 49 Kunde, Harald: Ein neues Bild der Natur, in: Franz Gertsch. Retrospektive, Spieler, Reinhard (Hrsg.), Kat. Ausst., Museum Franz Gertsch, Burgdorf und Kunstmuseum Bern 2005/2006, Ostfildern-Ruit 2005, S. 169-171, hier: S. 169: „Steine, Wasseroberflächen, Wege und Gräser werden jetzt zum Auslöser einer bildnerischen Meditation, die mit dem eigenen Foto als Vorlage beginnt und sich über langwährende Zeiträume der Umsetzung in Holzschnitt und Malerei erstreckt.“ 50 Kunde 2005, S. 169 51 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 39: „I hope the work becomes specific when I'm through translating it into the present real space.“

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Die Art der Auseinandersetzung mit den Vorlagen wandelt sich parallel zur Verlangsamung des Arbeitsprozesses in den Graphitbildern: Die Vorlagen werden nicht nur zum eigentlichen „Anlass zeichnerischer Aktivität“52, sondern ermöglichen durch ihre distanzierte Qualität ein verändertes Sehen und Wahrnehmen des Bildes. „[...] distance creates an opportunity to view the work more slowly and to explore your relationship to it. I treat the photograph as an object, an object to scan.“53

Der Begriff des „scannenden“ Wahrnehmens, den Celmins hier gebraucht, umfasst dabei gleichermaßen Aspekte der Verlangsamung, Präzision und des gleichförmig intensiven und flächenbezogenen visuellen Abtastens. Das „Sehen und Beschreiben des Motivs“ dient bei Celmins somit nicht allein der motivischen Wiedergabe, sondern richtet sich auf die Erforschung des Herstellungsprozesses aus.54 Ocean with Cross steht am Beginn dieser Entwicklung, in der die Verlangsamung und Präzisierung des Wahrnehmungsvorgangs wie auch die Aufmerksamkeit für den Materialauftrag kontinuierlich an Bedeutung gewinnen. Damit wird die Auseinandersetzung mit den Vorlagen, die im Frühwerk bereits ein Interesse an formalen Qualitäten des Motivs erkennen ließ, im reifen Œuvre um die neue Aufmerksamkeit für die Tätigkeit der Übertragung und den Arbeitsprozess selbst ergänzt. 1.2.3 Intensivierung und Kontrolle Das zunehmende Interesse an den Prozessen der Übertragung und Einrichtung des Motivs, das präzisierte „Sehen“ und „Untersuchen“ der Vorlagen, die Verlangsamung des Arbeitsvorgangs und die Prozesse der Verdichtung des Graphits

52 Vgl. Baker 1983, S. 65, der die Vorlagen „formats for drawing activity“ nennt. 53 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 12 54 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 38: „I like looking and describing, using the images to explore the process of making.“ Vgl. außerdem: The Contemporary Drawing. Existence, Passage, Dream, Stoops, Susan L. (Hrsg.), Kat. Ausst., Rose Art Museum, Brandeis University 1991, Waltham, Massachusetts 1991, S. 8: „From uninterrupted panoramas of the Pacific based on her own photos taken from the Venice Pier to deep views of distant galaxies and star fields as photographed by NASA’s technology, Celmins’ reconstructed images emphasize the drawing process itself as subject.“

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auf der Oberfläche sind Teilaspekte einer Entwicklung, die sich als Intensivierung des Werkprozesses zusammenfassen lässt. Bei einem Künstlergespräch, in dem Celmins, Katz und Artschwager anlässlich der von Curiger kuratierten Birth of the Cool-Ausstellung aufeinander trafen, stimmen die Anwesenden darin überein, sich gemeinsam am „coolen Ende des Hot-Cool-Spektrums“, also an einem anti-expressionistischen Pol zu befinden.55 Katz unterscheidet jedoch, zu Celmins gewandt: „Als Maler bin ich ‚kühl’, während du ‚heiss’ bist. […] Deine Energie ist obsessiv, Vija. […] Du arbeitest wie Cézanne oder Mondrian, die obsessiv waren. Das ist keine schlechte Gesellschaft.“56

Die von Katz angesprochene „Energie“ kann mit Enright auf den Begriff der Intensität gebracht werden57, berührt jedoch noch einen weiteren, für das Werk Celmins’ wesentlichen Aspekt: Bereits im Frühwerk wird offenkundig, wie durch die Setzung von immer engeren Rahmenbedingungen die Herstellung zunehmend kontrollierbarer Bildverhältnisse erreicht wurde. Auch die ausgesprochen schwer zu bewerkstelligende Motivdurchkreuzung58, die als flächenbezogener Ausgleich zur Suggestionskraft des Motivs bereits angesprochen wurde, stellt zusammen mit den komplexen Oberflächen der Star Field-Drawings59 ein Beispiel für solche selbst auferlegten Beschränkungen und willentlich errichteten Hindernisse im Werkprozess dar.60 Diese Tendenz zur Selbstlimitierung beweist ihren produktiven Charakter im reifen Œuvre durch die Nuanciertheit der Hervorbringungen und ist wesentlich für die Entwicklung des Gesamtwerks.

55 Vgl. Ratcliff, Carter: Künstler im Gespräch II. Richard Artschwager, Vija Celmins, Alex Katz, in: Birth of the cool. Amerikanische Malerei von Georgia O'Keeffe bis Christopher Wool, Curiger, Bice (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 1997, Stuttgart 1997, S. 116-128, hier: S. 127f. 56 Ebd. S. 126 u. S. 127 57 Vgl. Enright 2003, S. 35: „It has to do with intensity. All your work shows that quality.“ 58 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 45: Celmins beschreibt hier die Schwierigkeit der Integration der Durchkreuzung. 59 Deren Sterne sind „durch Nicht-Zeichnen gezeichnet“. Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 46. Vgl. auch Abbildung 15 60 Vgl. Schjeldahl, Peter: Dark Star. The intimate grandeur of Vija Celmins, in: The New Yorker, 4. Juni 2001, S. 85-87, hier: S. 87. Der Autor deutet diese selbsterrichteten Hürden im Arbeitsprozess auch als Strategien zur Überwindung gelegentlich auftretender Arbeitsblockaden.

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Der Weg der Reduktion und Selbstbeschränkung leitet sich bei Celmins aus einem modernistischen Essentialismus her. Die gewählten Rahmenbedingungen geben ein Feld vor, innerhalb dessen die Notwendigkeit zur permanenten künstlerischen Entscheidungsfindung besteht. Die künstlerische Tätigkeit definiert sich bei Celmins daher als bewusster, aufmerksamkeitsintensiver und kontrollierter Prozess. Um die extreme Position Celmins’ in dieser Auffassung des Herstellungsprozesses zu verdeutlichen, ist ein Blick auf einen entgegengesetzten künstlerischen Entwurf hilfreich. In denkbar größten Gegensatz tritt Celmins’ Vorstellung von bewusstem künstlerischen Handeln zu einer Haltung prinzipieller Offenheit dem Unerwarteten gegenüber, wie sie etwa John Cage in seinen Kompositionen, aber auch in seinen Zeichnungen einnimmt. Sowohl in der Werkauffassung wie auch in der Handhabung des Graphits lassen sich Celmins’ voraussetzungsvollen Graphitbildern daher die Ryoanji-Zeichnungen John Cages gegenüberstellen.61 In den Zeichnungen dieser Serie – Abbildung 17 zeigt das Werk Where R = Ryoanji 12 R/6, 6/1987 (1987) – umkreist Cage eine wechselnde Anzahl Steine auf einem Papier mit Bleistiften unterschiedlicher Härtegrade und überlässt dabei wichtige Entscheidungen des Werkprozesses einem aleatorischen Verfahren, bei dem er auf eines der ältesten Bücher der Weisheit und Weissagung, das IChing, zurückgreift.62 Diese Einbeziehung des Zufalls soll das Ich als Kontrollinstanz ausschalten, um ein Vordringen zum Allgemeingültigen zu ermöglichen. Die Zeichnungen Cages und die Graphitarbeiten Celmins’ erscheinen in der Handhabung des Graphits und den Weisen der Entscheidungsfindung als entgegengesetzte Pole einer Skala, die den Grad an Offenheit oder Kontrolliertheit künstlerischer Arbeit beschreibt; ohne diesen Aspekt ausführlich darstellen zu können, begründen sich diese unterschiedlichen Arbeitsprozesse letztlich in den divergierenden Vorstellungen eines „Wesentlichen“ oder „Allgemeingültigen“,

61 Unter dem Titel Where R = Ryoanji, der von dem berühmten Steingarten des japanischen Klosters Ryoanji angeregt ist, entstehen vom Juli 1983 bis zum Tod Cages 1992 etwa 150 Bleistiftzeichnungen. Vgl. dazu auch Thierolf, Corinna: Plötzliche Bilder. Die Ryoanji-Zeichnungen von John Cage, in: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München (Hrsg.): Hanne Darboven. John Cage, Ostfildern-Ruit 1997, S. 41-76 62 Das I-Ching entscheidet etwa, mit wie vielen Bleistiften und welchen Härtegraden die variable Anzahl (höchstens jedoch 15) Steine zu umkreisen sind, die, ebenfalls nach diesem Verfahren, auf einem Blatt Papier positioniert werden.

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Abbildung 17: John Cage: Where R = Ryoanji 12 R/6, 6/1987, 1987

© John Cage Trust 2011

das beide Künstler in ihrer Arbeit anstreben, die bei Cage die Überwindung des Künstlersubjekts und seiner Entscheidungen durch die Einbeziehung des Zufalls voraussetzen, sich bei Celmins jedoch in Reduktionsprozessen und kontrollierten Bildverhältnissen äußern, die geradezu einen Ausschluss des Unerwarteten intendieren. „Everywhere we sense Celmins’ drive to focus the experience, draining the image of color, compressing or expanding its physical and psychological space, opening up a seemingly infinite scale of grays and an intense level of pictorial incident, keeping each aspect of presentation, each successive decision, firmly in hand.“63

Celmins’ Graphitbilder sind somit nicht als Ergebnisse eines Zustandes der Selbstvergessenheit zu verstehen, wie es die häufige Verwendung des Begriffs des „Meditativen“64 zur Beschreibung der Werke nahe legt, sondern als Dokumente konstanter Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle. 1.3 Die Werkoberfläche als Evokationsebene Die anhand von Ocean with Cross dargestellten Prozesse der Herstellung, sowohl das organisierende und ausgleichende Anliegen bei der Integration des Motivs als auch die im Verlauf der 70er Jahre intensivierte Materialauflage, haben 63 Larsen 1979, S. 20 64 Vgl. etwa Rhodes 1996, S. 101: „Die Künstlerin stellt ihre Bilder zur Verfügung, als seien es Meditationshilfen, um die materielle Welt neu zu konstruieren.“

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gezeigt, dass in der Übernahme der Vorlagen kein illusionistisches Anliegen verfolgt wird, sondern die Oberfläche des Werks gleichermaßen zu einem Ort der Darstellung des Motivs wie auch zu einer Evokationsebene für die an der Herstellung beteiligten künstlerischen Prozesse wird. Damit ist eine Qualität bezeichnet, in der die intendierte Kontrolliertheit der innerbildlichen Verhältnisse auf unerwarteter Ebene aufgehoben und in eine überraschende Öffnung überführt scheint. Silverthorne kommentiert diesen Aspekt im Werk Celmins’ als „Schwelleneffekt“: „When I think of your process, I am reminded of the threshold effect, how at a certain point two plus two no longer simply equals four but instead yields some qualitative change: critical mass is achieved.“ 65

Auch Tannenbaum zeigt auf, dass die Bilder in ihrer Zusammenführung eines von der Realität geliehenen Motivs und der modernistischen Auseinandersetzung mit der Fläche mehr als eine Summe ihrer Prozesse darstellen: „In spite of her desire to be cool, contained, and concrete, Celmins achieves even more than she may have intended. Her aim is to draw attention to and hold on to the modernist picture plane—at the same time, creating recognizable images that relate to our direct experience of the world. Yet, she goes beneath and beyond the physical surface.“66

Die von Tannenbaum angesprochenen Effekte „jenseits der Oberfläche“ bilden eine wesentliche Qualität im visuellen Erleben von Ocean with Cross und der Graphitbilder im Allgemeinen. Sie werden im Weiteren als intellektuelle und emotionale Wirkungsebenen des Werks beschrieben und an die Herstellungsweisen zurückgebunden. Im Anschluss daran ist die Werkoberfläche als Sensibilisierungsebene für die Wahrnehmung zu behandeln, um schließlich in der ausführlichen Gegenüberstellung mit Agnes Martin die künstlerischen Anliegen eines „wahrnehmungsorientierten Minimalismus“ zu thematisieren. 1.3.1 „Cosa mentale“ und „Energie der Aufmerksamkeit“ Die Visualität von Ocean with Cross besitzt eine zugleich zerebrale und emotionale Wirkungsebene, deren Ursachen im Zusammenspiel unterschiedlicher Aspekte des Werkprozesses zu vermuten sind.

65 Silverthorne 1995, S. 40 66 Tannenbaum 1992, S. 23

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Die strukturierte Auffassung des Motivs und dessen Umsetzung im traditionell zur Formgebung gedanklicher Prozesse verwendeten Material des Graphits erzeugen eine zerebrale Wirkungsqualität, die von der als kognitive Barriere wirkenden Motivdurchkreuzung in Ocean with Cross um eine weitere dezidiert intellektuelle Dimension ergänzt wird. Schjeldahl charakterisiert die resultierende Qualität der Werke als „sombre, tingling with intelligence, and very pure“67, Storsve findet für die Graphitarbeiten zum Begriff der „cosa mentale“68. Neben dieser „zerebralen“ Dimensionierung von Ocean with Cross entsteht durch die beginnende Verdichtung des Materials und die hohe Sensibilität des Graphitauftrags ein spezifischer, sensueller Charakter der Oberfläche. Die prozessuale „Energie der Aufmerksamkeit“, die die Oberfläche evoziert, stellt Baker emotionaler Energie gleich: „Celmins’ art shows by its strict quiescence that energy of attention is as much a source of value and of surprise as energy of emotion.“69

Celmins bringt die ins Werk investierte Zeit und Aufmerksamkeit mit einem Vorgang des „Augen Öffnens“ in Zusammenhang: Die Visualität eines „verlangsamten“ Bildes gebe die komprimierte Zeit als Qualität der Stille zu spüren. „The paintings that I like to see (like Piero della Francesca) have a stillness, a compacted time that opens your eyes. When you pack a lot of time into a work, something happens that slows the image down, makes it more physical, makes you stay with it....“70

Die Oberflächen der Werke wirken, obwohl sie die Prozesse der Herstellung erahnen lassen, doch mühelos und selbstverständlich, eine Eigenschaft, die Rippner in Bezug auf die Druckgraphik anspricht:

67 Schjeldahl 2001, S. 85 68 Storsve 2006, S. 21: „[…] her ocean drawings are not so much ‘snapshots’ of the water as cosa mentale.“ 69 Baker 1983, S. 65 70 Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne 1995, S. 42. Vgl. zum Thema Zeitlichkeit auch Baker, Kenneth: Vija Celmins. Drawing Without Withdrawing, in: Artforum (November 1983), S. 64-65, hier: S. 65. Die unterschiedlichen Dimensionen, in denen das Werk Zeitlichkeit thematisiert – sei es in den Motiven selbst, in den langen Zeiträumen der Herstellung, oder in der Art und Weise, mit der das Material aufgebracht wird – können hier nicht ausführlich behandelt werden und bedürfen näherer Untersuchung.

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„Any obvious evidence of gesture or physical labour is removed from her compositions, resulting in images that appear, at first glance, to be completely effortless.“71

Auch in Ocean with Cross ist diese Offenheit zwischen dem Wissen um den Prozess als Sukzession von „Momentaufzeichnungen“ und der im fertiggestellten Werk gespeicherten Zeitintensität bemerkbar. Der Doppelcharakter einer zugleich intellektuell-kognitiven und sensuell-emotionalen Wirkungsdimension für den Betrachter, der hier dargestellt worden ist, bildet im reifen Œuvre ein Charakteristikum der Werke, das Larsen im Rückblick auf die Graphitarbeiten 1979 als einen kontinuierlichen Dialog von Emotion und Intellekt im Œuvre anspricht.72 1.3.2 Ocean with Cross in der Wahrnehmung des Betrachters Das bisher Gesagte zeugt von der engen Verbindung von produktions- und rezeptionsästhetischer Erfahrung: Das Graphitbild vermittelt eine Vorstellung von den Prozessen, den Entscheidungen und der Intensität, die zur Herstellung der Ozeanoberfläche notwendig waren. Lingwood zieht daraus Schlüsse auf die Rolle des Betrachters: Indem die „konzentrierte Präsenz“ der Werke eine „konzentrierte Reaktion“ erfordere, sei der Betrachter nicht „kühler Beobachter“, sondern „Teilnehmer“ an der im Werk gegebenen „Welt des Schaffens und Sehens“.73 Dieses Ausgreifen des Werks auf die Wahrnehmungsvorgänge beim Betrachter vollzieht sich auf unterschiedlichen Ebenen und setzt bereits bei der Art und Weise ein, mit der dem Betrachter das bloße „Wiedererkennen“ des Motivs verwehrt wird: Ocean with Cross gibt „zu sehen“, indem sich das lineare Gebilde einer Sehgewohnheit entgegenstellt. Die Motivdurchkreuzung verlangsamt und präzisiert somit nicht nur das Sehen der Künstlerin, sondern auch den Betrachterblick74 und verändert das Graphitbild

71 Rippner 2002, S. 11 72 Vgl. Larsen 1979, S. 20: „Emotion and intellect, amplifying and informing each other, establish a continuing dialogue in her work.“ Vgl. auch Tannenbaum 1992, S. 23, die von einer „nicht zu beschreibenden, aber dennoch wahrnehmbaren emotionalen Ebene, aber auch intellektuellem Gehalt“ spricht und zu dem Schluss kommt: „The physical presence of Celmins' paintings, drawings, and objects is undeniable, but it is their poetic resonance that makes the greater impression—for they remain, ultimately, mysterious.“ 73 Vgl. Lingwood 1996, S. 22 74 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 45: „I liked [the cross] because it slowed the viewer down.“

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im Vorgang der Wahrnehmung von einem Ozeanausschnitt zu einer komplexen Fläche rhythmisierter Strukturen und Abstufungen einer Graphittextur. Mit dem Bewusstwerden der Flächigkeit des Gemäldes wird auch die komplexe Bildräumlichkeit wahrnehmbar. Rhodes sieht die in den verschränkten Sichtbarkeitsebenen der „Bildquelle“ und des „begrenzten und abgeflachten Oberflächenleben[s] des Gegenstandes“ mitgegebenen Räumlichkeiten in einem Wechsel75; es entstehen Fragen an das Graphitbild zwischen Motiv und Gemälderealität. Diese Komplexität des Bildraums aber, die vom fotografischen Vorbild ausgehend die Räumlichkeit des Motivs in Ausgleich mit der zweidimensionalen Gemälderealität zu bringen sucht, wird vom Betrachter je nach Abstand zum Gemälde in unterschiedlicher Weise erfahren: „Her images read as dense, sharp fields from a certain distance; they soften and lose focus at closer range making one conscious of their material reality, of the graphite on paper.“ 76

Auch Baker beschreibt, wie letztlich die präzisierte Wahrnehmung sich ganz auf die Materialität des Werks ausrichtet: „Pass through the focal planes of meaning developed by the tension between process and illusion, and you arrive finally at a mute observation of what’s there: graphite on paper.“77

Aufgrund der All-over-Anlage des Motivs kommt der gesamten Oberfläche des Bildes gleichmäßige Aufmerksamkeit zu; der Blick, so Lingwood, wird nicht mehr von der Bildmitte angezogen, sondern „von irgendeinem Punkt und allen Punkten zugleich.“78 In diesem Modus allmählicher Bildentfaltung entsteht beim Betrachter schließlich eine Sensibilität für die in der Oberfläche „gespeicherten“ Prozesse und ihre Wirkungsqualitäten, eine visuell reflexive Haltung dem Werk gegenüber, die sich für Baker in den Nuancen der Oberfläche begründet: „The surface nuances of her drawings, not their illusionistic depth, signify the sensitivities of human perception by making us aware of the workings of own visual processes.“79

75 Vgl. Rhodes 1996, S. 99 76 Larsen 1979, S. 29 77 Baker 1983, S. 65 78 Vgl. Lingwood 1996, S. 27 79 Baker 1983, S. 65

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1.3.3 Die Werkoberfläche als Sensibilisierungsebene der Wahrnehmung In diesem Aspekt – einer mit zurückhaltenden Mitteln sensibel gestalteten Oberfläche, die die Wahrnehmung des Betrachters kalibriert – sind die Graphitarbeiten Celmins’ manchen Werken Agnes Martins vergleichbar. Celmins bekundet Achtung für das Werk der befreundeten, 2004 verstorbenen Künstlerin, wobei der Blickwinkel, mit dem Celmins das Werk der Kollegin reflektiert, zugleich auch Anliegen der eigenen künstlerischen Arbeit widerspiegelt: „I like the ones of the fifties, very rigorous, the grids, which just say, ‘I’m inspecting the surface, I’ve been everywhere’. And then, I like the bigger ones probably, because I like the way they build up to a really strong thing.“80

Ein Werk wie Wood (1964), in dem die Oberfläche des Gemäldes mit dicht beieinander liegenden, handgezogenen horizontalen und vertikalen Linien artikuliert ist, macht Celmins’ Verständnis der Werke Martins als genaue Untersuchungen von Oberflächen und ihrer Auffassung des Rasters als Mittel zur Transformation der Bildfläche in ein Gefüge nachvollziehbar. Die Konstruktionspunkte vor Ansetzen der Linien geben Einblick in die Systematik der Entstehung, die streng geometrische Vorgabe wird jedoch von den geringen Unregelmäßigkeiten der Hand belebt. Mit Ned Rifkin lässt sich in dieser „handgemachten Geometrie“ die Konfrontation menschlicher Realität und Pythagoreischer Perfektion beobachten.81

80 Interview 2008, S. VIII 81 Vgl. Rifkin, Ned: Agnes Martin. The Music of the Spheres, in: Agnes Martin. The Nineties and Beyond, Koch, Polly (Hrsg.), Kat. Ausst., The Menhil Collection, Houston 2002, Ostfildern-Ruit 2002, S. 25-29, hier: S. 26: „Handmade geometry sets the human reality against Pythagorean perfection [...].“ Vgl. für eine Beschreibung der Herstellungsweise und ihrer Effekte außerdem Rodgers, Timothy Robert: Agnes Martin. Portrait of a Mind, in: In Pursuit of Perfection. The Art of Agnes Martin, Martina Martinez and Florence Pierce, Rodgers, Timothy Robert (Hrsg.), Kat. Ausst., Museum of Fine Arts, Santa Fe 2004/2005, Santa Fe, New Mexico 2004, S. 18-25, hier: S. 22/23

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Abbildung 18: Agnes Martin: Wood, 1964

© VG BildKunst/The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

Die linearen Gefüge der Zeichnungen wie auch die „schwerelosen“ Balkenstrukturen der Ölgemälde Martins sind dem Erscheinungsbild der dichten Oberflächen Celmins’ nicht unmittelbar vergleichbar; dennoch geben die von Martin verwendeten Raster ebenso wie die von Celmins als Vorlagen gewählten Ozeanausschnitte Strukturen für die Behandlung der Oberfläche vor, die in ihrer Allover-Ausdehnung eine prinzipielle Fortsetzbarkeit nach allen Seiten hin besitzen.82 Tannenbaum begründet den Vergleich zwischen Celmins und Martin folgendermaßen: „Martin's work is totally abstract, yet it similarly adheres to a grid structure, uses a minimal formal vocabulary, and reveals the process by which the work is made—and it is deeply rooted in the experience of landscape. Celmins' canvases hone in on the particularities of nature but simultaneously capture its vastness.“83 82 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 45, wo Celmins das Motiv als Gerüst und „Halt gebende“ Rahmenbedingung der künstlerischen Tätigkeit beschreibt: „Letting the image be more and more like an armature. In some of these the image is almost nothing. It just holds you and it articulates the picture all over.“ 83 Tannenbaum 1992, S. 23

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In ihrer Artikulation und Intensivierung der Oberfläche folgen Martin und Celmins gewählten Vorgaben und nähern sich gleichsam von entgegengesetzten Seiten gemeinsamen Fragestellungen an: Martin mit dem minimalistischen Vokabular einer „verlandschaftlichten“ Geometrie84, Celmins mit einem eingegrenzten Repertoire von als Struktur aufgefassten Naturabbildern, die sie von Vorlagen übernimmt. Werke wie Ocean with Cross und Wood besitzen dabei eine vergleichbare Verweiskraft auf die Prozesse ihrer Herstellung und offenbaren ein ebenso subtiles wie spannungsreiches Verhältnis von ordnender Strukturgebung und Oberflächenuntersuchung und den darin sichtbar gemachten Spuren des Handgefertigten. Die Charakteristika des Unsentimentalen und Pragmatischen, die Schjeldahl für die Arbeitsweise Martins heraushebt85, zeigen sich auch in der prozessualen Strenge Celmins’ bei der Übertragung der Vorlagen. Dass Celmins das Œuvre Martins 2008 mit Begrifflichkeiten beschreibt, die sie für die eigenen Graphitarbeiten heranzieht – etwa im Hinblick auf die Rigorosität der Arbeitsweise oder auf ein Verständnis der Oberfläche als „Dokument“ von Bewusstseinsvorgängen – kann als Ausdruck einer empfundenen künstlerischen Verbundenheit gewertet werden.86 Das Werk Agnes Martins lässt sich ebensowenig wie das reife Œuvre Celmins’ durch eindeutige Zuordnungen charakterisieren, sondern zeigt sich zugleich dem Abstrakten Expressionismus und minimalistischen Positionen ver-

84 Vgl. Schjeldahl, Peter: Abstract Meridian. Agnes Martin (7. Juli 2004), in: Let’s See. Writings on Art from The New Yorker, London 2008, S. 178-180, hier: S. 178. „Her rather blowsy theories, invoking nature in strictly heady ways and harping on ‘perfection’, consort oddly with her pragmatic, unsentimental practice.“ Vgl. auch Berggruen, Olivier: The landscape of the mind, in: Agnes Martin, Frei, Georg (Hrsg.), Kat. Ausst., Thomas Ammann Fine Art Gallery Zürich 2008, Zürich 2008. Martin hat ein ambivalentes Verhältnis zur in der Kunstkritik verbreiteten Auffassung ihrer Strukturen als abstrahierte Landschaften. Vgl. Schwarz, Dieter (Hrsg.): Agnes Martin. Writings/Schriften, Ostfildern-Ruit, 3. Auflage 1993, S. 15 und S. 35; vgl. auch Schjeldahl (2004) 2008, S. 178 und Elkins 2008, S. 36 85 Vgl. Schjeldahl (2004) 2008, S. 178 86 Vgl. Interview 2008, S. VIII: „I have not been as consistent as say Agnes Martin, whose work sometimes I love sometimes I get tired of it, but basically I would say she left a beautiful record of her mind, of her rigour.“ Außerdem nennt Celmins das Werk der Kollegin im Interview in Abgrenzung zu Rothko „mindlike“ oder „mindful“ (ebd., S. IX).

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bunden – eine Nähe, die sich durch das spezifische Vokabular ihrer Malerei und durch die Auseinandersetzung mit Fragen der Wahrnehmung ergibt. Sehen reduziert sich für Martin nicht auf den visuellen Akt, sondern bezieht eine mentale Ebene ein. Entsprechend charakterisiert die Künstlerin den Wahrnehmungsvorgang zugleich als Empfangen und als reagierendes Hervorbringen.87 Princenthals eher kursorischer Hinweis auf eine Nähe Celmins’ zum „wahrnehmungsorientierte[n] Minimalismus“88 Agnes Martins setzt für die Verortung der Graphitbilder im Feld minimalistischer Positionen eine solche visuelle Sensibilität voraus. „[S]elbst dort, wo ihr Werk höchst reduktiv und seriell angelegt ist, wie in der Zeichnungsfolge von 1972/73, die das gleiche Ozeanmotiv sieben Mal wiedergibt, steht Celmins der hypnotischen, schmucklosen Harmonik und den gestutzten Klangfiguren von Philip Glass näher als den Reliefs von Donald Judd.“89

Die Unterscheidung, die Princenthal hier implizit trifft, lässt an Rosalind Krauss’ Differenzierung unterschiedlicher „Minimalismen“ denken: Das reduktive Element, wie es sich in der Kunst Celmins’ zeigt, wäre demnach in einer in die Kunstgeschichte zurückreichenden Tradition „bildlicher Askese“ zu verstehen, während Princenthals Vergleich mit Judd die „ins Jahrhundert vorausweisende“ Minimal Art anspricht.90 Die Differenzierung zwischen beiden „Minimalismen“ begründet sich bei Krauss unter anderem in einer Opposition des surfaceInteresses im Minimalismus und der perzeptuellen Orientierung minimalistischer Kunst. Die Werke Celmins’ und Martins aber teilen ein Interesse an der Oberflächenartikulation und stehen zugleich in einem Spannungsfeld von intellektueller und prozessualer Strenge sowie einer die Perzeption sensibilisierenden Wirkung

87 Vgl. Martin: The Still and Silent in Art (1974), in: Schwarz 1993, S. 89: „We perceive – We see. We see with our eyes and we see with our minds. [...] Perceiving is the same as receiving and it is the same as responding. Perception means all of them.“ 88 Princenthal 1995, S. 30 89 Princenthal 1995, S. 30 90 Vgl. Krauss, Rosalind: Overcoming the Limits of Matter. On Revising Minimalism, in: Elderfield, John (Hrsg.): American Art of the 1960s, New York 1991, S. 123-141, hier: S. 123. In der Gegenüberstellung eines schwarzen Werks Frank Stellas und eines „Abstract Paintings“ von Ad Reinhardt kommt Krauss zu der Unterscheidung zweier Minimalismen: „[O]ne bearing the capital M and facing forward into the decade; the second, small-m’d, and joining hands with other, similarly motivated, pictorial asceticisms from the past […].“

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von Variation und Nuancierung, deren zuweilen „poetische“ Qualität vor allem das reife Œuvre Celmins’ von konzeptuellen Formen der Minimal Art unterscheidet. Auch Rippner stellt das Werk in dieses Verhältnis von wahrnehmungssensibilisierenden Effekten und emotionaler Grundierung, die deutlich machen, dass zwar Anbindungsmöglichkeiten der Graphitbilder an das Feld der „Minimalismen“ aufgezeigt werden können, dass die Werke in diesen Kategorien jedoch nicht aufgehen. „But her images reject the quick glance and deny gestalt, a quality inherent in the Minimalist works of many artist of her generation. They require our time and attention, and only then does their fullness unravel before our eyes, only then are we privy to their nuance of line, subtle gradation of tone, and overall emotional tenor.“91

2. D IE G RAPHITBILDER . D ISKURSIVES N IEMANDSLAND ? Die Stellung der Graphitbilder lässt sich aufgrund der dem Werk eigenen hohen Konsistenz der Entwicklung aus dem Frühwerk herleiten. Richtet man den Blick jedoch auf das zeitgenössische Umfeld, so erscheint Relyeas Beobachtung zutreffend, dass gleich mehrere Aspekte die Verortung der Werke Celmins’, insbesondere aber der durch Ocean with Cross vorgestellten Phase der Graphitbilder, erschweren: Als Celmins’ Œuvre um die Mitte der 60er Jahre einsetzte, so Relyea, habe die Kunstwelt jeden Anschein einer kohärenten Entwicklung bereits verloren gehabt, da die Kriterien der Kunstkritik keine sinnvolle Ordnung im raschen Wandel der Stile mehr zu leisteten im Stande waren. „Over ten years would pass before a self-styled postmodernist criticism would attempt to resurrect an authoritative set of evaluative categories and criteria in the visual arts“92, beschreibt Relyea die Situation. Gemeinsam mit Neil Jenny und Malcolm Morley gehöre Celmins einer Gruppe von Malern an, die in eben diesem Zeitraum zu künstlerischer Reife fanden – „and whose work never benefited from being swept up in and magnified by the arguments of modernism, neo-avant-gardism or postmodernism.“93 Auch die Tatsache, dass Los Angeles und nicht New York

91 Rippner 2002, S. 11 92 Relyea 2004, S. 55 93 Relyea 2004, S. 55

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der Ausgangspunkt des Œuvres gewesen sei, habe zu einer Vernachlässigung beigetragen, ebenso wie die nach wie vor problematische Situation als Künstlerin.94 Die von Relyea konstatierten Versäumnisse und die Einseitigkeit in der Bewertung der Graphitarbeiten können an dieser Stelle kaum durch eine in allen Bereichen fundierte Analyse ersetzt werden. Im Folgenden sollen jedoch zusammenfassend die für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit wesentlichen Punkte genannt und in ihren möglichen Bezügen zu künstlerischen Entwicklungen der späten 60er und 70er betrachtet werden. 2.1 Motiv und Oberfläche als antagonistische Prinzipien Beim Blick auf die Integration des Motivs in Ocean with Cross95 hat sich die Frage nach der Vereinbarkeit der motivischen Ebene mit dem Bewusstsein für die Zweidimensionalität der Oberfläche als ein zentrales künstlerisches Interesse erwiesen. Diese Auseinandersetzung führt, parallel zur wachsenden Bedeutung der Prozessualität der Herstellung, zu einer Verdichtung des Materials, die die Oberfläche in ihrer Zweidimensionalität zu immer größerer Präsenz entwickelt. Im Interview erläutert Celmins ihr Verhältnis zur Oberfläche: „I feel, I can see, that the painting is mostly surface. You have to come to terms with it. Some artists totally ignore the surface or they use it like a stage on which they put actors, or, a lot of artists of course especially in the United States have been making the surface extremely flat.“96

Folgt man der Analyse Krauss’, dann zeichnet sich die Kunst der 60er Jahre in Los Angeles durch eine besondere Abneigung gegenüber der physischen Qualität der Oberfläche aus.97

94 Vgl. Relyea 2004, S. 55. Der Gender-Aspekt wird kaum je thematisiert. Tannenbaum 1992, S. 15 spricht in Bezug auf das mit Fell ausgekleidete Haus-Objekt House #1 (1965) von einer Konfrontation männlicher Symbole und weiblicher Identität. Das reife Œuvre bietet keine Anhaltspunkte für eine Betrachtung unter der GenderPerspektive, worin Ann Temkin im persönlichen Gespräch eine bewusste Entscheidung Celmins’ vermutet. 95 Vgl. Abschnitt 1.1.1 in diesem Kapitel 96 Interview 2008, S. III 97 Vgl. Krauss 1991, S. 129: „If Minimalism was characterized through this worry about surface, about the interface formed by materials as they stretched across the frame of either painting or three-dimensional object, aligning the meaning of the work with its

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Bei Celmins hingegen zeigt sich das „doppelte Bewusstsein“ für die motivische Ebene einer Darstellung und für deren Oberfläche bereits vor Einsetzen des reifen Œuvres ausgeprägt. So schildert Celmins im Interview mit Larsen, wie sie während einer Europareise in ihrer Studienzeit die Beweinung Giottos in der Arena Kapelle zu Padua kopierte und von der „Spannung zwischen Fläche und Motiv“ fasziniert gewesen sei: „[…] as if the angels were pushing, not just against the sky, but against the surface of the painting.“98

Vergleichbar liest sich Celmins’ Begründung für die Integration des Motivs im reifen Œuvre: „I use an image because the image strains against the surface, the image wants to be bigger than the surface. But it’s the surface that I have to work with, because that’s where the painting is, so I try to keep in mind always those two things.“99

Die Oberfläche ist daher in der Betrachtung von Ocean with Cross vorläufig als ein Ort der Verschränkung unterschiedlicher „Realitätsebenen“ angesprochen und als Zone der Wahrnehmungssensibilisierung charakterisiert worden. Die Reflexion auf die Mehrdeutigkeit und Differenzierung des Bildraums, die sich hier ankündigt, wird anhand der Night Sky Paintings wieder aufgegriffen, um auch zu einer Einschätzung des Stellenwerts des Motivs im Werkzusammenhang zu kommen. 2.2 Repetition und Individualität, zeitliche Verfasstheit und Wahrnehmungsorientierung Anhand der Besprechung von Ocean with Cross wurde erkennbar, dass das einzelne Werk als eigenständiges Objekt gedacht ist, wenngleich es in einer weiteren Version wiederholt wurde und motivisch verwandte Vorläufer und Nachfolger im Œuvre kennt. Auf die Frage, ob sie selbst eher den seriellen Charakter

physical medium, as that medium „surfaced“, contingently, into the world, the California art of the sixties had an abhorrence of the physicality signaled by surface.“ Beispiele dieser Haltung geben die Werke James Turrells oder Robert Irwins, denen in Kapitel V. 2.3 weitere Aufmerksamkeit zukommt. 98 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 38 99 Interview 2008, S. III

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oder die Individualität ihrer Arbeiten hervorhebe, bezeichnet Celmins ihre Werke 2008 als „Individuen, die zuweilen in Serie auftreten“.100 Diese Offenheit des Einzelwerks, das zugleich individuelle Formulierung und Teilaspekt einer wiederholt behandelten künstlerischen Fragestellung ist101, vereint unterschiedliche Werkauffassungen des zeitgenössischen Umfeldes. Trotz der deutlichen Abgrenzungsmaßnahmen zeigt sich Celmins in der Werkauffassung wie schon im ausgeprägten Bewusstsein für die Oberfläche unmittelbar einer vom Abstrakten Expressionismus beeinflussten Generation von Malern zugehörig. Die zunehmende Reflexion auf Träger und Material, wie sie für die Zeichnungen der 70er Jahre nachvollziehbar gemacht wurde, und die Allover-Strukturen der Motive, zu denen Celmins ab 1968 findet, sind ohne die Kompositionsprinzipien des Modernismus oder die in den Nachkriegsjahren geführte Auseinandersetzung mit formal-ästhetischen Fragen nicht denkbar. Serielle Prinzipien wiederum, die sich in der Kunst Monets, Jawlenskys oder Albers’ vorgeprägt finden, wurden in ihrer Aktualität in der 1968 von Coplans organisierten Ausstellung Serial Imagery in Pasadena erfahrbar gemacht, die von Warhol über Stella und Ad Reinhardt zudem wesentliche zeitgenössische Positionen versammelte.102 Außerdem spiegelt die gestiegene Bedeutung der Herstellungsprozesse bei Celmins ein Bewusstsein für das künstlerische Verfahren und Handeln wider, eine performative Qualität, deren von Fried noch als „theatralisch“ abgelehnte Thematisierung von Zeitlichkeit Crimp als exemplarisch für weite Bereiche der Kunst der 70er Jahre ausmacht: „[I]f temporality was implicit in the way minimal sculpture was experienced, then it would be made thoroughly explicit—in fact the only possible manner of experience—for much of the art that followed.“103

100 Vgl. Interview 2008, S. XIX: „Well, they’re individual works, and not really series, although some of them run in series.“ 101 Vgl. dazu auch die Hinweise in Kapitel II, 2.2. 102 Vgl. Serial Imagery, Coplans, John (Hrsg.), Kat. Ausst., Pasadena Art Museum 1968, Pasadena 1968 103 Crimp, Douglas: Pictures (1979), in: Wallis, Brian (Hrsg.): Art After Modernism. Rethinking Representation, Boston, Massachusetts, 5. Auflage 1991, S. 175-188, hier: S. 176 (Wiederabdruck aus October, no. 8, Spring 1979, S. 75-88). Den Begriff der „Performance“ versteht Crimp dabei in einem erweiterten Sinne als Eigenschaft all jener Werke, „die vom Künstler, vom Betrachter, oder von beiden Seiten

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Crimp spricht hier nicht allein Projekte an, die ihre zeitliche Verfasstheit unmittelbar durch ihre offene Anlage zu erkennen geben – wie etwa die Notationen Roman Opalkas, die in geschriebenen und gesprochenen Ziffernfolgen das Fortschreiten der investierten Zeit geradezu quantifizierbar machen; der Autor bezieht auch solche Werke in seine Betrachtung ein, deren Thematisierung von Zeit indirekter erfolgt: Für einige Künstler, die im Umfeld der Performance Art ausgebildet worden waren, konstatiert Crimp eine Umdeutung der eigentlichen künstlerischen „Performance“ – von deren Situation und Dauer – in ein tableau, „whose presence and temporality are utterly psychologized“.104 In ähnlicher Weise lässt sich die Qualität von Zeitlichkeit und deren Gerinnen in den Graphitbildern Celmins’ charakterisieren: Was die Oberflächen an Intensität der Prozesse speichern – und gerade nicht als Progression einer explizit handschriftlich zu lesenden Spur oder einer offenen Serie zeigen – bildet die Wirkungsdimension, die als zeitliche Unterströmung beschrieben wurde. Die zeitliche Dimensionierung der Graphitbilder betrifft auch den Wahrnehmungsvorgang, dem sich das Werk nicht unmittelbar „enthüllt“, sondern allmählich erschließt. Dieses Anliegen des Minimalismus, in dem sich die Graphitbilder deutlich vom modernistischen Werkbegriff absetzen und Effekte jenseits der Werkebene als Teil der Kunst einbeziehen, beschreibt Ross wie folgt: „The embodiment of perception meant that what lies beyond the picture frame of the art work could be acknowledged as an integral part of art.“105

2.3 Konzeptuelle Aspekte auf dem Weg aus dem Modernismus Celmins’ Weg aus dem Modernismus ist gleichermaßen von Elementen der Kontinuität wie von deutlichen Maßnahmen zur Abgrenzung gekennzeichnet. Der Werkbegriff und das Bewusstsein für die Materialität und Kompositionsprinzipien der Oberfläche des (Graphit-)Gemäldes weisen auf die Prägungen durch die bewunderten Vorbilder des Abstrakten Expressionismus hin. Die Integration des Motivs als antagonistisches Prinzip zur Flächigkeit des Bildes, die

gemeinsam in einer Situation und für einen Zeitraum geschaffen wurden.“ (Vgl. S. 177) 104 Crimp (1979) 1991, S. 177 105 Ross, Christine: The Paradoxical Bodies of Contemporary Art, in: Jones, Amelia (Hrsg.): A Companion to Contemporary Art since 1945, o.O. 2006, S. 378-400, hier: S. 384

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zeitliche Verfasstheit und deren Wirksamkeit im Wahrnehmungsbezug, aber auch die Nähe zu einer seriellen Auffassung zeugen wiederum vom Bemühen um Eigenständigkeit und verbinden die Graphitbilder in mehrfacher Hinsicht dem zeitgenössischen Umfeld der 70er Jahre. Für die konzeptuellen Aspekte des Werks steht eine klare Konturierung und Beschreibung noch aus. Storsves Einschätzung, Celmins entwickle eine eigenständige Annäherung an Prinzipien der Conceptual Art106, ermöglicht es, die Graphitbilder in ihren Berührungspunkten mit der Konzeptkunst zu betrachten, ohne sie als deren exemplarische Formulierung aufzufassen. Zur Beschreibung des Verhältnisses eignet sich das von Harald Szeemann formulierte weitgefasste Verständnis von Konzeptkunst, das seiner 1969 in Bern organisierten When Attitudes Become Form-Ausstellung zugrunde lag, die einer verbreiteten Auffassung nach den Beginn der Ausstellungsgeschichte der Conceptual Art markiert. Entgegen der späteren Verengung der Definitionen dessen, was Conceptual Art sei, gibt Szeemann ein deutliches Interesse an subjektiven Elementen der von ihm präsentierten Kunst zu erkennen. Szeemann spricht in der Einleitung zur Ausstellung von der „Verlagerung des Interesses vom Resultat auf den Vorgang“, von der neuen Thematisierung der Tätigkeit des Künstlers. Diese Kunst entstehe nicht aus vorgefassten bildnerischen Meinungen, sondern aus dem Erlebnis des künstlerischen Vorganges, der auch die Wahl des Materials und die „Form des Werkes als Verlängerungen der Geste“107 diktiere. Green erläutert: „[…] Szeemann suggests that art’s function is to comment on the conditions of making art, he locates the radicalism of that position in each artist’s individual practice. In other words—crucially—Szeemann maintains an interest in subjectivity, and in „primary“ and „natural“ experiences.“108

106 Vgl. Storsve 2006, S. 25 107 Vgl. Szeemann, Harald: Zur Ausstellung, in: Live in your head. When Attitudes Become Form. Works – Concepts – Processes – Situations – Information, Szeemann, Harald (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthalle Bern 1969, Bern 1968, unpaginiert 108 Green, Alison M.: When Attitudes Become Form and the Contest over Conceptual Art’s History, in: Corris, Michael (Hrsg.): Conceptual Art. Theory, Myth, and Practice, Cambridge 2004, S. 123-143, hier: S. 126

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Celmins spricht „konzeptuelle“ Aspekte ihres Werks oft im Sinne einer Verhärtung oder Intellektualität an, die aufzulockern sie bestrebt sei.109 Darin einbezogen ist die zunehmende Rigorosität des Prozessualen, aber auch die Tendenz, die eigene Arbeit unter die Voraussetzung von bereits bestehenden „Ideen“ und Rahmenbedingungen zu stellen, was den repetitiven Charakter des Œuvres befördert. Es sind diese „konzeptuellen“ Eigenschaften, die eine Vorstellung davon vermitteln, welche Aspekte Celmins als Bedingungen ihres Kunstschaffens ansieht und welche Erfahrungen ihr künstlerisches Interesse wecken: das Beharrende, das Reduktive, das innerhalb von selbstgesetzten Bedingungen Sensibilisierte. Im Gespräch mit Close kommen die Chancen und Risiken der restriktiven Kraft selbstgewählter Rahmenbedingungen zur Sprache, die für ein Werk gleichermaßen die unvermutete Öffnung wie die vollständige Unzugänglichkeit bedeuten können.110 Celmins’ grundsätzliche Auffassung von Begrenzungen als Chancen spiegelt sich auch in ihrer Begründung für ihr Festhalten an der Malerei in einer Zeit diversifizierter künstlerischer Ausdrucksformen wider: „I'm always aware of the limits of painting, and have come to think that the limits are what give it more meaning.“111

Die hier nur angedeuteten Anschlussmöglichkeiten an minimalistische oder konzeptuelle Interessen stehen für eine Entwicklungslinie des Werks, die sich nach dem Umzug der Künstlerin nach New York Anfang der 80er Jahre noch verstärkt, im Rahmen dieser Arbeit allerdings kaum mit der nötigen Tiefe weiterverfolgt werden kann. Neben dem „doppelten Bewusstsein“ für Motiv- und Gemälderealität, das für die Wiederaufnahme der Frage nach dem Stellenwert des Motivs von Bedeutung ist, sind die Fragen der Bildorganisation und der Anreicherung der Oberfläche als Aspekte der zeitintensiven Arbeitsweise behandelt worden, die sich bei Celmins nicht im Selbstzweck erschöpft, sondern der Schaffung kontrollierter Bildverhältnisse gilt. Auch der veränderte Umgang mit Vorlagen, die ein intensiviertes Sehen ermöglichen, sowie der Wahrnehmungsbezug der Werke und ihre sensibilisierenden Qualitäten kamen zur Sprache.

109 Vgl. Interview 2008, S. VIII: „Actually, I think my work is a little bit more conceptual than I would like it to be.“ 110 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 29 u. S. 36 111 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 12

IV. „Making and Seeing“ Zwei Werkkonstanten am Beispiel von To Fix the Image in Memory

1. T O F IX

THE I MAGE IN

M EMORY

Das Werk To Fix the Image in Memory, das im Museum of Modern Art aufbewahrt wird, umfasst elf natürliche Steine und deren von Celmins mit dem Ziel größtmöglicher Ähnlichkeit bemalte Bronzeabgüsse. Das Ensemble entstand als bislang einzige dreidimensionale Arbeit nach den Objekten der späten 60er und 70er Jahre zwischen 1977 und 1982. In den letzten Jahren der Schaffenszeit in Los Angeles begonnen, leitet To Fix the Image in Memory nach der jahrelangen ausschließlichen Verwendung von Graphit und bereits vor dem von Celmins als Neuansatz verstandenen Umzug nach New York die Rückkehr in die Malerei ein.1 Die natürlichen Steine in To Fix the Image in Memory weisen hinsichtlich der Form und Farbe, der Maserung und der Oberflächenbeschaffenheit einige Vielfalt auf; auch die Größen variieren, ohne ein Durchschnittsmaß zu überoder unterschreiten. Spezifische Merkmale, wie etwa die kantigen Umrisse der rotbraunen, wie aus geologischen Schichtungen herausgebrochenen „Steine“ – auf der Abbildung oben links – oder die länglichen, glatten Konturen des daneben liegenden Steinpaars, verleihen den Steinen individuellen Charakter. Die kleinsten Exemplare sind annähernd schwarz mit weißen Einsprengseln, die großen, fast kugelförmigen, auf der Abbildung oben rechts, bilden in einer körnigen grauen Struktur einen beige-weißen Ring. Die Mikrostrukturen der meisten Exemplare weisen gepunktete Einlagerungen und ein Hell-Dunkel der Maserung auf, Eigenschaften, die Celmins mit der Motivik der zweidimensionalen

1

Vgl. Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne 1995, S. 41: Celmins spricht von To Fix the Image in Memory hier als „Grundlage zu einem Neubeginn“.

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Werke in Verbindung bringt: Viele der von ihr gesammelten Steine wiesen „Galaxien“ auf, so die Künstlerin.2 Obwohl das Ensemble unscheinbare, rund geschliffene Kiesel neben Steinen von markanter Form und Zeichnung zeigt, wirkt keines der Exemplare dominant. Abbildung 19: To Fix the Image in Memory, 1977-1982

© Vija Celmins 2011

Dem Werk kommt, da es wesentliche Erfahrungen und künstlerische Interessen der vorangegangenen Werkphase konzentriert – sei es hinsichtlich der engen Orientierung an einer gewählten Vorlage oder in Bezug auf die künstlerische Prozessualität – eine Schlüsselstellung im Œuvre zu. To Fix the Image in Memory markiert außerdem den mimetischen Extrempunkt in Celmins’ Schaffen und fordert darin die Wahrnehmung der Künstlerin und des Betrachters in besonderer Weise heraus. In seiner herausgehobenen Stellung wirft das Werk Fragen auf, etwa hinsichtlich des Stellenwertes und der Funktion der Steine im Ensemble oder des Kunstcharakters in einem Projekt vollständiger Nachahmung. Die natürlichen Steine sind daher thematisch und in ihrem Status als „Vorlagen“ in ein Verhältnis zur Motivwelt des reifen Œuvres zu stellen. Das Ziel, größtmögliche Ähnlichkeit zwischen dem gefundenen und dem nachgeschaffenen Stein herzustel-

2

Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 17

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len, macht außerdem einen Seitenblick auf Konzepte der Mimesis notwendig, um unter dieser Perspektive das Projekt und das künstlerische Handeln näher zu charakterisieren. Der abschließende Blick auf die Präsentationsweise würdigt eine der Besonderheiten des Werks: die im Nebeneinander von natürlichem und kunstgeschaffenem Stein sichtbar belassene „Vorlage“ und die spezifische Wahrnehmungserfahrung, die sich daraus für den Betrachter ergibt. 1.1 Natur und Kunst in Relation? Die Steine als „Vorlagen“ Bei einer Fahrt durch die Wüste von New Mexico hatte die Künstlerin zunächst ohne konkrete Absicht eine Anzahl Steine gesammelt. In der Folge, so Celmins, sei der Wunsch nach deren „kunstloser“ Übertragung in den Kunstkontext entstanden.3 Das Präsentationsbedürfnis und die resultierende Anverwandlung der Fundstücke als Vorlagen für die eigene Kunst offenbart Parallelen zum Zusammentragen von Abbildungen aus Illustrierten und Büchern ab 1964 und dem dabei entwickelten Impuls des Vorzeigens, der zum Ausgangspunkt für die Integration der Vorlagen in den Werkprozess geworden war. Die beschriebene Vielfalt des Ensembles, die dennoch nicht ins Disparate abgleitet, lässt bei der Zusammenstellung eine bewusst getroffene Auswahl der Steine vermuten, ein Eindruck, den die Künstlerin im Interview bestätigt. Während bei der Auswahl der zweidimensionalen Vorlagen die künstlerischen Vorstellungen der „Komposition“ des zu schaffenden Werks mit den Strukturen der potentiellen Vor-Bilder in Übereinstimmung gebracht werden, bildet bei der Auswahl der Steine von To Fix the Image in Memory das Verhältnis der einzelnen Exemplare zueinander für Celmins ein wesentliches Kriterium: „It’s […] like a relationship of things, because I had tons of rock.“4

Dabei ist die offene Anlage des Projektes explizit: Aus einer größeren Anzahl gesammelter Steine wurden einige Objekte für Abgüsse ausgewählt; mehrere dieser bereits in Bronze nachgebildeten Steine blieben jedoch aufgrund des enormen Aufwandes an Zeit und Konzentration, den die Nachbildung erforderte,

3

Vgl. in diesem Kapitel Abschnitt 1.2

4

Interview 2008, S. XI; vgl. auch Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 17, wo Celmins beschreibt, wie die Auswahl erfolgte: „I carried them around in the trunk of my car. I put them on window sills. I lined them up. And, finally, they formed a set, a kind of constellation.“

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gänzlich unbemalt oder unvollendet.5 Somit setzt sich das im Museum of Modern Art befindliche Ensemble aus elf fertiggestellten Bronzesteinen, die von der Künstlerin in Relation zu ihren zugehörigen natürlichen Vorbildern gebracht wurden, zusammen. Durch die Einbeziehung natürlicher Steine ist der „Naturbezug“ in To Fix the Image in Memory anders als in den zweidimensionalen Werken des reifen Œuvres nicht medial distanziert. Dennoch stehen die Steine in einem Spannungsfeld, das den Bildwelten seit 1968 vergleichbar ist und eine Auffassung der Motive bzw. der Objekte als prinzipiell neutral und frei von subjektiven Bedeutungsdimensionen ebenso erlaubt wie Assoziationen auf das „Zeitlose“, die Zivilisation Überdauernde der Natur. Shiff befragt das Ensemble entsprechend in Bezug zu den großen Naturpanoramen der amerikanischen Kunstgeschichte, was an Darstellungen der Hudson River School, die Natur als Ehrfurcht gebietend thematisieren, denken lässt. Ein Verwundern des Autors über die Andersartigkeit der Objektwahl Celmins’ ist deutlich spürbar. „Artists have represented Niagara Falls and the Grand Canyon, but can a successful painting be made from stones?“6

Zwar scheint die Wahl von Steinen erstmalig eine Konfrontation von Natur und Kunstwerk herbeizuführen; diese scheinbare Eindeutigkeit bleibt jedoch zu hinterfragen. In der Tat bringt Celmins ein kompetitives Moment der Naturnachahmung zur Sprache. Bezeichnenderweise wird der Gedanke jedoch unmittelbar im Sinne einer Erprobung der Präzision der eigenen Wahrnehmung weiterentwickelt: „Well, part of that was like I was competing with nature. I was in a very depressed time when I made that work and I thought I cannot project anything. I’ll just see if I can open my eyes as much as I can, to be able to see what these natural things … and of course you can’t, because you always fall short [...].“7

Zwar ist eine Diskussion des Ensembles unter dem Gesichtspunkt der Relation von Natur und Kunst denkbar; der Perspektive der Untersuchung entsprechend

5

Vgl. Interview 2008, S. XII. 2003 stand ein weiteres Steinpaar, bezeichnet als To Fix

6

Shiff, Richard: Vija Celmins’s Play of Imitation, in: Parkett (Jg. 44. 1995), S. 48-49,

7

Interview 2008, S. XI

the Image in Memory XII, bei Sotheby’s zur Auktion. hier: S. 48

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konzentriert sich das Interesse jedoch auf den Umgang Celmins’ mit einer außerhalb der Kunst gewählten Vorlage und der Art ihrer Integration in den Kunstkontext. Die folgenden Überlegungen zur Einbindung der Steine in das Werk – die allerdings keine ausführliche Diskussion möglicher Bezüge zum Konzept des Ready-Made leisten wollen – werden der Auseinandersetzung mit dem Kunstcharakter der nachgeschaffenen Steine vorangestellt, um die später notwendige Reflexion auf den Präsentationskontext vorzubereiten. To Fix the Image in Memory bricht offenbar mit dem selbstironischen Prinzip der unveränderten Einbindung eines „vorgefertigten“, prinzipiell beliebig reproduzierbaren, gewöhnlichen Gegenstandes in den Kunstkontext, indem der „Indifferenz“, die Duchamp nach eigener Aussage für Aussehen und Beschaffenheit der von ihm gewählten Objekte empfand8, ein Höchstmaß an wahrnehmender Auseinandersetzung mit einem Naturgegenstand und seinen Eigenarten entgegengesetzt wird. Für Celmins kam es außerdem nie in Frage, den natürlichen Stein durch mehr als eine Entsprechung zu vervielfältigen.9 Dennoch dient die Einbeziehung des einzelnen Steins in To Fix the Image in Memory nicht dazu, eine auratische Einzigartigkeit wiedereinzusetzen oder eine Aufwertung des natürlichen Objekts vorzunehmen: Dem steht zum einen die gewählte Anzahl, die das einzelne Exemplar zwar spezifisch, nicht jedoch „herausgehoben“ erscheinen lässt, entgegen, zum anderen aber auch die Verdopplung des natürlichen Originals durch ein Original der Kunst. Der Kunstcharakter dieser Nachahmung ist ebenso zu hinterfragen wie der „Stellenwert des Steins“ als natürliches Objekt im Werk. 1.2 Das Paradoxon der Kunstlosigkeit Celmins strebt eine möglichst weitgehende Annäherung der nachgeschaffenen Steine an die natürlichen Originale an. Vorläufig ist daher von einem „mimetischen Anliegen“ des Ensembles die Rede – das Funktionieren von Mimesis nämlich setzt „die Produktion von Ähnlichkeit“10 voraus –, bevor die Anwend-

8

Zum Ready-Made bei Marcel Duchamp und seiner ironischen Qualität vgl. Judovitz, Dalia: Unpacking Duchamp. Art in Transit, Berkeley und Los Angeles, CA, 1995, S. 109-119

9

Vgl. Interview 2008, S. XII

10 Costa Lima, Luiz: Versuche des 20. Jahrhunderts, Mimesis neu zu denken (Abschnitt V des Artikels Mimesis/Nachahmung), in: Barck, Karlheinz (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 4, Stuttgart/Weimar

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barkeit und der Deutungsbereich des Mimesis-Begriffs für das Ensemble genauer untersucht werden. Die exakte Nachbildung der Steinformen wird durch Bronzeabgüsse erreicht, die im Wachsausschmelzverfahren hergestellt sind.11 Die Abbildung der Maserungen und mineralischen Strukturen auf der Oberfläche erfolgt mit Acrylfarbe, die unter Zuhilfenahme einer Lupe und in ständigem Abgleich mit dem jeweils nachzubildenden, natürlichen Stein auf dessen Bronzeabguss aufgebracht wird. Das mimetische Projekt in To Fix the Image in Memory beschränkt sich also nicht auf das illusionistische Abbilden des dreidimensionalen Objekts in der Zweidimensionalität, das als Topos bis in die Geschichte des Wettstreits von Parrhasios und Zeuxis zurückzuverfolgen ist, sondern hat ein vollständiges Nachschaffen auch der Objektalität und der Beschaffenheit der Oberfläche des jeweiligen Steins zum Ziel. Wenngleich Chuck Close darauf hinweist, dass auch zur Rekonstruktion von Form, Farbe und Textur der Steine entsprechende Mittel gefunden werden müssten12, so sind doch imaginative Elemente im Herstellungsprozess fast völlig ausgeschlossen. Die Herstellung von „Bronzesteinen“, die ihren natürlichen Vorbildern bis an die Grenze der Ununterscheidbarkeit ähnlich sein sollen, richtet die künstlerische Arbeit ganz auf eine ebenso präzise wie emotionslose Verdopplung des natürlichen Vorbilds aus.13 Entsprechend kann Celmins’ Ansinnen, ein Kunstwerk „ohne Stil, ohne Projektion und ohne Persönlichkeit“14 herzustellen, mit Baker als Zusammenführung der antiexpressionistischen Qualitäten des Œuvres angesehen werden.15 Statt der zunehmenden Reflexion auf das Gemachtsein der Werke, etwa durch Transparenz auf die verwendeten Träger und Materialien, wie sie sich in den Zeichnungen der 70er und beginnenden 80er Jahre zuletzt gezeigt hatte, stehen die Mittel der Re-Invention bei To Fix the Image in Memory im Dienst

2002, S. 110-120, hier: S. 117 (Aus dem Brasilianischen übersetzt von Ellen Spielmann; red. von Martina Kempter) 11 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Jean-Christophe Ammann, Mitschrift des Gesprächs mit der Künstlerin am 29. Juni 1997, Archiv des Museums für Moderne Kunst Frankfurt am Main, S. 21 12 Vgl. Chuck Close 1992, S. 20 13 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 17: „I liked the fact that they were something outside of myself. And I did love the fact that I didn't have to make up anything […].“ 14 Vgl. Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne 1995, S. 41: „It has no style, no projection, no personality.“ 15 Vgl. Baker 1983, S. 65

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der Nachahmung und bilden keine eigenständige Sichtbarkeitsebene des Werks – ein im Werkzusammenhang des reifen Œuvres singuläres Phänomen. Das Kunstwerk verdankt sich hier ebenso wenig wie bei Duchamp inspiriertem Schöpfertum. Während Duchamp den Gegenstand durch Benennung zum Werk erhebt, tritt der nachgeschaffene Stein bei Celmins durch das Konzept vollständiger Nachahmung in Abstand zum Meisterwerkgedanken. 1.2.1 Das abstrakte Potenzial mimetischen Handelns Der Begriff der Mimesis, der zunächst im Sinne einer (Natur-)Nachahmung angewendet wurde, kann auch für die Befragung des Kunstcharakters des nachgeschaffenen Steins fruchtbar sein.16 Metscher, der sich für eine Neubelebung des seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Misskredit geratenen MimesisBegriffs einsetzt, verweist auf die Polyvalenz und Mehrdimensionalität der Termini des gesamten Wortfeldes, dem auch „Abbild“, „Abbildung“, „Nachahmung“, „Imitatio“ und „Widerspiegelung“ zuzurechnen sind. Gemeinsam sei den Konzepten von Widerspiegelung und Mimesis jedoch eine Rückbindung der Kunst an eine „objektiv-reale, also materiell existierende Wirklichkeit“: Mimesis frage somit nach der Wirklichkeitsbeziehung der Künste.17 Shiff hält in seiner Auseinandersetzung mit To Fix the Image in Memory einem Verständnis von Nachahmung als einseitig auf das Objekt ausgerichteter Vorgang die „Wirklichkeit des Künstlers“ entgegen, die im Vollzug der Darstellung der „Wirklichkeit des Gegenstandes“ begegne. Der Autor beruft sich dabei auf den aristotelischen Begriff von Mimesis, der, so der Autor, eher eine von der Phantasie gelenkte Handlung denn einen materiellen Vorgang bezeichne.18 Trotz des fruchtbaren Verweises auf den Handlungsbezug in diesem Verständnis von Mimesis erscheint die Anwendbarkeit des in der Kontroverse zwischen Platon und Aristoteles geprägten Begriffs für To Fix the Image in Memory fraglich, gerade weil hier ein Verhältnis von Realität und Künsten angesprochen ist, in

16 Der Rahmen dieser Arbeit lässt keine vollständige Darstellung der verzweigten Begriffsgeschichte zu. Vgl. Metscher, Thomas: Ästhetik und Mimesis, in: Metscher u.a.: Mimesis und Ausdruck, Köln 1999, S. 9-109, hier: S. 36f. für einen Überblick zur Begriffsgeschichte der Mimesis. 17 Vgl. Metscher 1999, S. 13 18 Vgl. Shiff 1995, S. 48: „Given its classical definition, imitation refers to an action guided by the imagination more than it does to some material procedure. This is why […] classical theorists associated ‘imitation’ (not ‘copying’) with the highest forms of art.“

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dem der Kunst die Aufgabe zukommt, durch mimetische Repräsentation Wesentliches, Ideales zu vergegenwärtigen.19 Metscher erläutert: „Ästhetische Mimesis meint, wie der Blick auf älteste Gebrauchsformen lehrt, die Vergegenwärtigung eines Abwesenden. […] Vergegenwärtigung von Abwesendem bedeutet: dieses wird, als Akt der aisthesis, durch das ästhetische Werk in die sinnliche Erfahrung gehoben. Es wird zur ästhetischen Anschauung gebracht.“20

Auch Shiffs Auffassung, in der „Neugestaltung von etwas in der Natur Vorgefundenem, das im Atelier bearbeitet wird“, erfahre der Gegenstand eine „dem Geist und Körper des Künstlers entsprechende Nuancierung“21, läuft angesichts der fast vollkommenen äußeren Gleichartigkeit der kunstgeschaffenen Steine ins Leere. Infrage steht hier, ob der Akt der Nachahmung in To Fix the Image in Memory und Celmins’ Arbeit mit Vorlagen im Allgemeinen eine repräsentierende Hervorbringung von Idealität intendiert, wie der Autor dies auch mit dem Hinweis nahe legt, die Realität komme erst in der Vermittlung durch Nachahmung zu ihrer eigentlichen Geltung.22 Vorbehalte gegenüber einer Deutung des Ensembles als Würdigung der Schönheit oder der Einzigartigkeit des gewöhnlichen Steins, und damit der Annahme eines Wirklichkeitsbezugs, sind bereits angeklungen.23 Die platonisch-aristotelische Prägung des Mimesisbegriffs und das auf Horaz zurückgehende Verständnis von Mimesis als imitatio, das innerhalb der Rhetorik die Nachahmung eines Vorbildes bezeichnet, überlagern sich in der Zeit der Renaissance. Das daraus resultierende klassische Konzept der Mimesis als imitatio geht nach Darstellung Costa Limas eine enge Verbindung mit einem Verständnis von Sprache – und, so wäre zu verallgemeinern, von Abbildung – ein,

19 Vgl. Stöckmann, Ingo: Nachahmung/Mimesis/Imitatio, in: Trebeß, Achim (Hrsg.): Metzler Lexikon Ästhetik. Kunst, Medien, Design und Alltag, Stuttgart/Weimar 2006, S. 273-275, hier: 274. Der aristotelische Begriff meine „weniger die objektprägnante Kopie der Realität als vielmehr ein Nachahmen durch repräsentierendes Handeln, das etwas Abwesendes, Nicht-Präsentes unter spezifischen Bedingungen als gegenwärtig erscheinen lässt.“ 20 Metscher 1999, S. 67f. 21 Vgl. Shiff 1995, S. 53 (dt. Übersetzung des Parkett-Artikels von Magda Moses und Bram Opstelten) 22 Vgl. Shiff 1995, S. 48 (dt. S. 52) 23 Vgl. Abschnitt 1.1

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das deren Transparenz auf die Wirklichkeit voraussetzt.24 Mit der Infragestellung des Konzepts der Mimesis als imitatio an der Schwelle zur Moderne werde entsprechend auch die Negation von „Sprache als Fenster zur Realität“ eingeleitet25 – eine Entwicklung, die in der Kunstgeschichte ihre Entsprechung im Fragwürdigwerden der Transparenz des Abbildes auf die Realität besitzt. Wenn Greenberg in der Abkehr von mimetischen und repräsentierenden Anliegen geradezu ein Definiens des Modernismus26 erkennt, beschreibt er damit, seiner teleologischen Auffassung entsprechend, auch die größeren Entwicklungslinien moderner Malerei, deren Vorstellung eines autonomen Subjekts als Schöpfer des Werks sich mit dem Gedanken der imitatio als immer weniger vereinbar erwiesen hatte.27 Fasst man To Fix the Image in Memory nun als Formulierung in einer Diskussion um die Wiederaufnahme mimetischer Konzepte auf, so ist der seit den 60er Jahren veränderte historische Rahmen zu berücksichtigen: die Dezentrierung des ästhetischen Subjekts etwa oder ein Bewertungswandel, der in der Reflexion der Relation von Natur und Abbild nicht mehr unbesehen eine Transparenz der Beziehung annimmt, sondern mit deren Opakwerden rechnet. Costa Lima erkennt im mimetischen Handeln ein abstraktes Potenzial und beschreibt dessen problematisches Verhältnis zur Realität unter Verweis auf Überlegungen des brasilianischen Schriftstellers Melo Neto, der außerhalb der theoretischen Diskurse stehend bereits in den 50er Jahren zu der Einschätzung kam, Abstraktion finde sich an beiden Enden von (sprachlicher) Repräsentation:

24 Vgl. Costa Lima 2002, S. 117 zu diesem Gedankengang, der voraussetzt, dass „klassischerweise das lat. imitatio und seine Entsprechungen in den modernen Sprachen als richtige Übersetzung von Mimesis angesehen wurden.“ 25 Vgl. Costa Lima 2002, S. 117 26 Greenberg, Clement: Modernist Painting (1960, Voice of America), in: O’Brien, John (Hrsg.): Clement Greenberg. The Collected Essays and Criticism, Bd. 4 (Modernism with a Vengeance. 1957-1969), Chicago/London 1993, S. 85-93, hier: S. 87: „Modernist painting in its latest phase has not abandoned the representation of recognizable objects in principle. What it has abandoned in principle is the representation of the kind of space that recognizable objects can inhabit.“ 27 Vgl. Costa Lima 2002, S. 119: „[D]er die Nachahmung negierende Autonomieprozess der Kunst verlief […] parallel zur Legitimierung des individuellen psychologischen Subjekts. Seit Descartes setzte diese Legitimierung das Subjekt an zentrale und privilegierte Stelle und machte es zum Herrn über die von ihm hervorgebrachten Repräsentationen.“

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„Gewissermaßen kann man sagen, dass sich das Abstrakte an beiden Polen der Darstellung von Realität findet. Abstrakt ist, was man nur stammelnd sagen kann, dem man keine Form zu geben vermag; abstrakt ist, woran man ohne Ende arbeitet, das man mit solcher Absolutheit hervorbringt, daß die Realität, die es enthalten könnte, […] verschwindet. Im ersten Fall bleibt man hinter der Realität zurück, im zweiten negiert man die Realität.“28

In der Besprechung von Ocean with Cross wurden die Vorlagen unter anderem als Anlass der künstlerischen Aktivität verstanden.29 Das Potenzial zur Verlangsamung und die aus der Handlung Bedeutung beziehenden Aspekte in der Orientierung an einem Vorbild erscheinen in To Fix the Image in Memory noch einmal deutlich gesteigert: Der zeitliche Aufwand von etwa fünf Jahren gibt einen Anhaltspunkt für den Grad an Konzentration und Aufmerksamkeit, Disziplin und Rigorosität im Herstellungsvorgang. Das mimetische Anliegen bei der Übertragung der Vorlagen macht in To Fix the Image in Memory jedoch die herausgehobene Bedeutung des Sehens im Werkprozess offenbar, dessen Charakter für eine Bewertung der Relation von Abbild und Vorbild nun näher zu bestimmen ist. 1.2.2 Memory Imprints: Die Intensität des Sehens11 Da To Fix the Image in Memory in der Auseinandersetzung mit der Vorlage keine Transformationsprozesse anstrebt, konzentriert sich die künstlerische Tätigkeit im Akt eines höchst präzisen vergleichenden Sehens, das Celmins als „brainless looking“ charakterisert, als ein Wahrnehmen in ständiger Referenz auf das natürliche Vorbild. „I was looking without going through the structure of the brain. Brainless looking, my preoccupation and occasionally salvation.“30

Anders als in den Graphitbildern, die Prozesse der Formgebung und Organisation in die künstlerische Tätigkeit einbeziehen, sammeln sich die künstlerische Rigorosität und der Wille zur Konzentration in To Fix the Image in Memory im imaginationslosen Sehen: Das Auge reagiert auf die Nuancen der Oberfläche des natürlichen Steins; dieser präzise Sehakt schafft die Voraussetzung für die Übertragung der Farbigkeit und der Tönung mineralischer Einschlüsse sowie für den

28 Melo Neto, João Cabral de: Joan Miró (1952), in: Melo Neto. Prosa, Rio de Janeiro 1998, S. 48. Zitiert und übersetzt in: Costa Lima 2002, S. 119 29 Vgl. Kapitel III, 1.2.2 30 Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 34

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Nachvollzug geringster Veränderungen in Verlauf von Struktur und Maserung des natürlichen Steins auf den Bronzeabguss. Der Titel des Ensembles, To Fix the Image in Memory, beschreibt mithin die notwendige Bedingung für die exakte Wiedergabe des Vorbildes: die Verankerung des Gesehenen im Gedächtnis – ein Vorgang, den Johns in Rückbezug auf Duchamp 1959 als Unmöglichkeit bezeichnet hatte: „[..] ‚to reach the Impossibility of sufficient visual memory to transfer from one like object to another the memory imprint‘.“31

Die Vorstellung eines im Gedächtnis verankerten Seh-Eindrucks macht die besondere Bedeutung und Intensität des Sehprozesses bei der Herstellung des Ensembles anschaulich. Gober gegenüber beschreibt Celmins, wie sich das Gesehene als „eine Art Erinnerung“ aufgebaut habe.32 Die Intensität des Sehens bringt sie im Gespräch mit Close mit den Grundlagen der Kunst in Verbindung: „It is sort of an exercise in looking, a super-looking as if the meaning of art was only in looking.“33

In der extremen Aufgabenstellung dieses „Übungsstücks für das Sehen“, in dem die kunstgeschaffenen Steine zu Gedächtnisabdrücken des gesehenen Originals werden, ist der Grad des Gelingens des mimetischen Anliegens der Indikator und Prüfstein für die Präzision der Wahrnehmungsfähigkeit und die in der tätigen Umsetzung erreichte Kontrolle.

31 Johns, Jasper: Artist’s statement, in: Miller, Dorothy C. (Hrsg.): Sixteen Americans, Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1959, New York 1959, S. 22. Wiederabdruck in: Varnedoe, Kirk (Hrsg.): Jasper Johns. Writings, Sketchbook Notes, Interviews, New York 1996, S. 19-20, hier: S. 20 32 Robert Gober in conversation with Vija Celmins 2004, S. 26: „I had to remember what it is I saw even though it was only five inches away. And it was like building a sort of memory.“ Zuvor verweist Celmins außerdem auf ihre Borges-Lektüre und deren Protagonist Funes, der alles je von ihm Gesehene erinnert. Vgl. außerdem Vija Celmins im Gespräch mit Jean-Christophe Ammann 1997, S. 22, wo Celmins darauf hinweist, es sei Vorstellungskraft notwendig, um eine Farbe im Gedächtnis zu behalten und sie auf eine andere Oberfläche zu übertragen. 33 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 17

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„I wanted to see how much I could see; not to project any view, but to test my seeing and making, as if there were some secret to be discovered only there.“34

Wenn bereits für die Herstellung der Graphitbilder eine Rigorosität des Prozessualen konstatiert wurde, so erweist sich To Fix the Image in Memory auch in diesem Aspekt als Extrempunkt des Werks. Möglicherweise ließe sich dieser Gedanke in Richtung einer „Expressivität“ abseits der kunsthistorischen Indikatoren von Geste und Farbigkeit entwickeln, wenngleich dafür die Frage des Subjektbegriffs eine andere Reflexion erfahren müsste, als dies die hier gewählte Perspektive zulässt. Eine solche hypothetische Form der Expressivität des Rigorosen, der Kontrolliertheit und Disziplin35 wäre für das gesamte reife Œuvre als charakteristisch anzusehen; To Fix the Image in Memory aber bezeichnet darin eine Grenze des zu Leistenden, an der Celmins das Projekt schließlich abbricht. „It was like sitting, like baby sitting with your activity until you just can’t stand it anymore, and then you quit.“36

1.2.3 Eine Gefahr für die Kunst? Die Intensität des Sehens und Tätigseins, die das mimetische Projekt erfordert, räumt dem Schaffensakt absoluten Vorrang ein und erhebt die Gestaltung zum Selbstzweck. Was als abstraktes Potenzial angesprochen wurde, wird von Melo Neto zugleich als eine Gefahr für die Kunst aufgefasst37, die sich jedoch, anders als bei Hegel, in Unabhängigkeit von der Geschichte des Geistes durch das Verschwinden der Realität im mimetischen Handeln begründet.38 Wie viel Realität enthält der präzise nachgeschaffene Stein, der als Verdopplung des Vorbilds von Schwarz als „Extrempunkt, den die Reihe der Ozeane und

34 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 20 35 Vgl. Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne 1995, S. 42: „You know thoroughness can be expressive, can indicate commitment.“ 36 Interview 2008, S. XII 37 Melo Neto, João Cabral de: Joan Miró (1952), in: Melo Neto. Prosa, Rio de Janeiro 1998, S. 67. Zitiert und übersetzt in: Costa Lima 2002, S. 119: „Das Werk wird zum Vorwand der Arbeit. Alle Mittel werden eingesetzt, damit diese sich in die Länge zieht und schwieriger wird.“ 38 Vgl. Costa Lima 2002, S. 119, der differenziert: „Hatte der Hegelsche Tod der Kunst eine teleologische Sichtweise der Geschichte vorausgesetzt, so kommt der von Melo Neto verkündete dem reinen ‚désastre obscur‘ (Mallarmé) gleich.“

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Wüsten erreichen konnte“39, bezeichnet wird? Trifft die „äußere Gleichartigkeit, die in nichts eine substantielle Gleichartigkeit voraussetzt“40, eine Aussage zum Wesen des natürlichen Objekts? Celmins’ Ziel äußerlicher Identität des künstlichen und des natürlichen Originals, das ebenso widersprüchlich wie konzeptionell einfach erscheint, kann vor diesem Hintergrund tatsächlich als die von der Künstlerin intendierte Infragestellung der Kunst gewertet werden.41 In dieser Hinsicht ließen sich Bezüge zu Formen der Re-Fotografie und Appropriationskunst herstellen, die Ende der 70er Jahre in der Pictures-Ausstellung erstmals in Erscheinung trat42 und tradierte Wertvorstellungen wie Originalität und Innovation infrage stellte. Wesentlicher für den hier verfolgten Leitgedanken des Wahrnehmungsbezugs allerdings ist die Tatsache, dass in To Fix the Image in Memory gerade aufgrund des eigentlich „kunstlosen“ mimetischen Unterfangens die herausgehobene Bedeutung zum Vorschein kommt, die Celmins dem Akt eines besonderen Sehens und disziplinierter, prozessorientierter Tätigkeit beimisst.43 1.3 Die Präsentationsform als visuelle Herausforderung Für die Reflexion auf die künstlerischen Anliegen in To Fix the Image in Memory ist abschließend der gewählte Präsentationskontext näher zu betrachten: Die Perspektive erweitert sich damit von der Integration des „gefundenen Objekts“ und der Problematik des mimetischen Handelns auf die Relation von Vorbild und Abbild. Bislang waren die von Celmins genutzten Vorlagen – Voraussetzungen, aber nicht integraler Bestandteil des Werks – in einem Bereich außerhalb der Kunst verblieben. Zwar findet sich 1964 im Kontext einer Ausstellung, in der auch Stilleben Celmins’ gezeigt werden, ein Beispiel für die Inszenierung der Juxtaposition des Gemäldes Heater (1964) und eines Nachbaus des gemalten

39 Schwarz 1996, S. 79 40 Vgl. Schwarz 1996, S. 79 41 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 17, die das Ensemble als das konzeptuellste ihrer Werke bezeichnet und Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne 1995, S. 41: „I actually thought that the piece questions art making.“ 42 Die Ausstellung Pictures wurde 1977 von Douglas Crimp im Artists Space New York kuratiert. Gezeigt wurden unter anderem Sherrie Levine und Richard Prince. 43 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 17: „Sort of mocking art in a way, but also to affirm the act of making: the act of looking and making as a primal act of art.“

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Gegenstandes44; in den Graphitbildern des reifen Œuvres aber wird, wie anhand von Ocean with Cross deutlich wurde, die Objektqualität der Vorlage höchstens im Ausschnitthaften der Strukturvorgabe reflektiert. Der direkte Vergleich, der in To Fix the Image in Memory zwischen „Vorlage“ und „Kunstwerk“ erfolgt, macht das Steinensemble daher auch in dieser Hinsicht zu einem Sonderfall und versetzt den Betrachter in die Lage, das Sehen Celmins’ unmittelbar nachzuvollziehen. Abbildung 20: Jasper Johns: Painted Bronze, 1960, und To Fix the Image in Memory, Detail, 1977-82

© VG BildKunst und Vija Celmins/The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

Jasper Johns’ 1960 entstandene Painted Bronze45 zeigt zwei bemalte Bronzegüsse von „Ballantine Ale“-Dosen auf einer ebenfalls in Bronze gegossenen rechteckigen Basis.46 Die eher summarische malerische Wiedergabe der Etiketten garantiert im Fall von Johns’ „Bierdosen“ ein Wiedererkennen der Konsumgegenstände, strebt jedoch, ganz anders als Celmins’ Bronzesteine, keine äußerlich identische Wiedergabe an. Der Widerspruch zwischen der Gewöhnlichkeit des dargestellten Gegenstandes und des Materials seiner Reproduktion, das durch kunsthistorische Referenzen in Hoheitszeichen und Großskulpturen als bedeu-

44 Der Band mit dem Interview Closes 1992, S. 8, zeigt eine Installationsansicht der Ausstellung an der UCLA 1964. 45 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 17. Celmins stellt hier selbst den Vergleich mit Painted Bronze her: Sie habe sich entschlossen, die Steine in einem traditionellen Material der Kunst zu gießen, wie Johns dies mit seinen „ale cans“ getan habe. 46 Jasper Johns: The Sculptures, Curtis, Penelope (Hrsg.), Kat. Ausst., The Menil Collection, Houston 1996, Leeds 1996, S. 29-40 bietet eine ausführlichere Beschreibung und Auseinandersetzung mit dem in Philadelphia befindlichen Werk. Siehe außerdem Weitman, Wendy: Jasper Johns. Ale Cans and Art, in: Elderfield 1991, S. 38-63

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tungsvoll konnotiert ist, wird durch die Sichtbarkeit der Bronze offengehalten. Auch die Basis der Skulptur kennzeichnet die Erhebung der bronzegegossenen Konsumgegenstände in einen Kunstkontext. Celmins wählt die Ausführung der Steine in Bronze in direktem Rückbezug auf Johns’ Arbeit47, verzichtet allerdings sowohl auf die Sichtbarkeit der Bronze als Material als auch auf eine spezielle Basis.48 Eine Installationsansicht der New Yorker McKee Gallery von 1983 zeigt die natürlichen Steine und ihre Gegenstücke beispielsweise auf einem quadratischen weißen Tisch abgelegt, um den eine zurückhaltende etwas niedrigere Umzäunung den Besucher auf Abstand hält, ohne ein optisches Hindernis, wie etwa eine Vitrine, zu errichten.49 Präsentationsformen, die eine Unmittelbarkeit des Eindrucks gewährleisten, sind jedoch, wie im Gespräch mit Celmins deutlich wird, aus konservatorischen Erwägungen problematisch, zumal das Ensemble den starken Impuls auslöst, die Steine in die Hände zu nehmen.50 Das In der Hand Wiegen erwies sich bei einigen Exemplaren als die sicherste Möglichkeit, natürliches und bronzenes Original zu unterscheiden. Eine Vitrinen-Installation, wie sie 1996 im Institute of Contemporary Arts London gewählt wurde, schloss zwar den direkten Besucherkontakt aus, betonte jedoch in ähnlicher Weise wie die Bronzebasis der Johns-Skulptur den Kunstkontext.51 Anders als bei identischen Konsumartikeln läuft die Ansicht einander gleichender Steine jeder Erfahrung zuwider. Das Ensemble gewinnt daher gerade in einer Präsentationsweise, die die scheinbare Gewöhnlichkeit der Objekte als hierarchielosen Verweiszusammenhang und ungeordnetes Nebeneinander inszeniert, an Eindrücklichkeit und Irritationskraft.52 Am Paradoxon identischer Stein-

47 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 17 48 Vgl. dazu Baker 1983, S. 65, der daher im Vorgang „Steine zu gießen“ eine humorvolle Qualität ausmacht. 49 Relyea/Gober/Fer 2004, S. 26 zeigt eine Installationsansicht des Ensembles. 50 Vgl. Interview 2008, S. XII: Celmins äußert sich zu der in ihrer New Yorker Galerie gewählten Präsentationsweise: „I had to show it, which was very difficult. I couldn’t figure out how to show them, we just put it on a table; first I made a table that was sort of concrete. I don’t know what I thought [...] it was a little bit artificial. I had to find that people wanted to touch them so then we put a little box on it. So it has never been quite wonderful; I think I’d like to figure out how to show that piece.“ 51 Relyea/Gober/Fer 2004, S. 39 zeigt Installationsansichten der Londoner Ausstellung. 52 Vgl. Shiff 1995, S. 54, der zu einer gegensätzlichen Einschätzung kommt und gerade eine Ausstellung des Ensembles in einer Vitrine als ideal empfindet: als „[…] ein zur

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paare gescheitert, modifiziert und verlangsamt sich der Blick, eine Wirkung, wie sie bereits für die Motivdurchkreuzung in Ocean with Cross konstatiert wurde. Obgleich in diesem Sinne die Verdopplung wie auch die Motivdurchkreuzung als eine Weitergabe der von der Künstlerin gesuchten Herausforderung an den Betrachter verstanden werden können53, ist die präzisierte Art des Sehens im Fall von To Fix the Image in Memory wesentlich relational: Das Ensemble setzt Vorbild und Abbild zugleich ins Werk und macht so die Herausforderung für das Sehen zu einer Herausforderung des Unterscheidens. 1.3.1 Zwischen Magie und Spiel. Der Zeitraum des visuellen Differenzierens Indem der Status als Natur oder Kunst eines „Steins“ im Ensemble nicht unmittelbar erkennbar ist, gleitet die scheinbare Transparenz des Werks für die Dauer des Unterscheidens in einen Zustand des Uneinsichtigen, Unverständlichen hinein. Close und Enright kommen beide zu der Auffassung, in der Ansicht zweier scheinbar identischer Steine, beziehungsweise von elf Steinpaaren, verbänden sich die Dimensionen des „Spielerischen“ und des „Magischen“ miteinander: Enright bezeichnet das Werks als „quantum shift into a different sense of illusion and sense of play“54; Close beschreibt die Wirkung des Ensembles im Gespräch mit der Künstlerin als „magisch“, wobei der Reiz – und damit ein spielerisches Element – gerade in dem Bewusstsein liege, einer Illusion ausgesetzt zu sein. „[...] you always know when you're seeing an illusion created by a magician. It's not real and that's the pleasure in it.“55

Gober erlebt das Werk vor allem in einer humorvollen Dimension, bedingt durch das Unerwartete des Anblicks und die Unklarheit darüber, was man vor sich

Perfektion gesteigertes, in sich geschlossenes Umfeld, in dem Gegenstand und Abbild sich ähneln, ohne dass eines sich über das andere erhebt“. 53 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 17: „Part of the experience of exhibiting them together with the real stones was to create a challenge for your eyes.“ 54 Enright 2003, S. 34 55 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 17: „So you've conjured up an illusion. It's like a magician that does everything necessary to make a successful illusion.“

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habe.56 Schwarz wiederum beschreibt die Momente, in denen das Auge Anhaltspunkte für die Unterscheidung sucht – und etwa in der matteren Oberfläche der nachgeschaffenen Exemplare oder den mineralisch glänzenden Einschlüssen des natürlichen Steins findet – als „eine Art Stillstand“57. Tannenbaum bewertet den Eindruck ähnlich: In seiner „eindringlichen“ Authentizität und Stille unterscheide sich das Ensemble von postmodernen Thematisierungen mechanischer Reproduzierbarkeit, wie sie sich von Warhol bis Allan McCollum finde.58 In Schjeldahls Charakterisierung der Steine scheint das vielschichtige Adjektiv „haunted“ eher im Sinne eines „Verfolgt Seins“ angewendet – auf dem Werk laste das Faktum der Differenz: „No mere trompe-l'oeil stunt, the work seemed haunted by a fact of difference that the artist's skill had pounded down to an almost subliminal wisp.“59

Shiff kommt zu der widersprüchlichen Einschätzung, das Werk schaffe eine Harmonie zwischen Kunst und Natur, was es mit klassischen künstlerischen Idealen verbinde, erschließe aber zugleich eine „unendliche semiotische Tiefe, ein endloses Spiel der Referenzen“, bei dem sich „aus dem Wert des einen jeweils der des anderen“ ergebe.60 Dass das Ensemble zwei so gegensätzliche Deutungsweisen zugleich hervorruft und nebeneinander bestehen lässt, zeugt von einer widerständigen Qualität oder Offenheit, mit der sich das Werk einer Festlegung auf einen historischen und diskursiven Rahmen entzieht. Auch To Fix the Image in Memory ist somit von dem bemerkenswerten Wechselspiel zwischen den weitgehend kontrollierten Bedingungen der Herstellung und einem Resultat der Offenheit bestimmt, wie es sich im Zusammenhang von Ocean with Cross andeutete. Schwarz vertritt mit größerer Eindeutigkeit ein Spiel der Referenzen, das sich zwischen den Steinen und ihren „Doppelgängern“ ergebe, und stellt das Ensemble somit in die Perspektive eines nachmodernistisch-semiotischen Denkens.

56 Vgl. Gober 2004, S. 30 57 Schwarz 1996, S. 79 58 Vgl. Tannenbaum 1992, S. 14: „Rather than emphasizing the impersonality and technical ability to replicate or mass-produce objects (as exemplified by postmodern artists from Andy Warhol to Allan McCollum), Celmins' piece is haunting in its authenticity and stillness.“ 59 Schjeldahl 2001, S. 87 60 Vgl. Shiff 1995, S. 55 (bzw. S. 49 für das englische Original)

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„Die ungeordnet auf dem Tisch herumliegenden Steine repräsentieren nichts ausser ihrem jeweiligen Nachbarn, ohne mit ihm wesensgleich zu sein, noch sich wirklich von ihm als Zeichen ablösen zu können.“61

Abbildung 21: To Fix the Image in Memory, Detail

© The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

Dieser Verweiszusammenhang, der auch nach der visuellen Differenzierung von Stein und bemaltem Abguss erhalten bleibt, lässt sich als eine Art externer Selbstreferentialität beschreiben, die die Wahrnehmung des Betrachters in besonderer Weise involviert hält: Der Wahrnehmungsvorgang des Betrachters ist bestimmt vom Faktum der Differenz und wird im Unterscheiden präzisiert. Auch in diesem Projekt, so sehr es sich von den zweidimensionalen Werken des reifen Œuvres unterscheidet, tritt die Künstlerin darin Seherwartungen entgegen. Baker beschreibt, wie das Ensemble den Blick bannt, wie die Augen immer wieder den Vergleich suchen und wie sich in diesem Prozess die wahrnehmende Aufmerksamkeit stetig erhöht. Der Autor geht so weit, aufgrund des hohen Grades an Ähnlichkeit in der Wahrnehmungserfahrung des Ensembles Bereiche jenseits des visuellen Erfassens involviert zu sehen: „The point of the bronze stones' verisimilitude is not to impress, but to frustrate the eye, forcing us to rely upon less physical intuitions. To decide which is a real stone and which a replica, we must be sensitive to each thing's intensity of being, consult our feeling for the 61 Schwarz 1996, S. 79

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energy of its materialization. When such elusive intuitions become central to our experience, the normal priorities of perception are momentarily reordered, without having been disordered by vehement emotion.“62

1.3.2 Mimesis und Differenzialität Bereits zuvor ist angeklungen, dass eine Wiederaufnahme des Mimetischen Ende der 70er Jahre nicht mehr auf einem klassischen Verständnis von Mimesis/imitatio gründet. Die von Celmins gewählte Juxtaposition von natürlichem und hergestelltem Original hat offenbar werden lassen, dass sich das Projekt von To Fix the Image in Memory nicht im außerordentlichen Aufwand des mimetischen Handelns erschöpft, sondern dass das überzeugende Gelingen der Verdopplung die Voraussetzung bildet, das mimetische Anliegen im Nebeneinander der Steine zu einer Evokation der Differenz umzudeuten: einer Notwendigkeit des Differenziellen, die das Werk „heimsucht“. Mimesis stellt sich bei Celmins in Abgrenzung zu Formen der Reproduktion oder Vervielfältigung als Spannungsverhältnis von Ähnlichkeit und Differenzialität dar. To Fix the Image in Memory thematisiert darin nicht in erster Linie die Kategorie der Ähnlichkeit, auf die sich die klassische und post-klassische, Hegelsche Diskussion von Mimesis berufen hatte, sondern treibt als Resultat des mimetischen Anliegens eine differenzielle Qualität hervor. In dieser Öffnung der Mimesis für das Differenzielle leistet das Werk eine notwendige Befragung des mimetischen Konzepts: „Mimesis findet ihre Kraft und Gegenwart nur noch in Verbindung mit einer Differenz, welche den Hiat zwischen dem Dargestellten und dem Objekt der Darstellung markiert.“63

Die Kategorie der Ähnlichkeit begründet sich nicht mehr in einer „Ordnung des Sichtbaren“ oder als fraglose, transparente Eigenschaft. Der Verweiszusammenhang, der in To Fix the Image in Memory zwischen Abbild und Stein entsteht, führt diese Problematik vor Augen, indem Aussagen darüber, inwieweit das kunstgeschaffene Werk das natürliche Vorbild „enthält“ oder ihm „Präsenz“ verleiht, offen bleiben. Damit aber werden auch Annahmen zu einer unmittelbareren Einsichtigkeit des Gesehenen, eines transparenten Verhältnisses von Referent und Abbild, an eine Grenze geführt. Es wird deutlich, dass To Fix the Image in Memory trotz seiner äußerlich so verschiedenen Form im Kern eine pointierte Formulierung von Fragen bildet, wie sie von Celmins in der Auseinandersetzung mit Vorlagen entwickelt wurden. Die Tendenz zur Selbstbeschränkung und die

62 Baker 1983, S. 65 63 Costa Lima 2002, S. 118

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Wahl von Grenzen, wie sie das Werk bereits seit 1968 kennzeichnen, finden sich in der mimetischen Nachahmung ebenso konzentriert, wie die Vorstellung einer fokussierten Tätigkeit aus reinen „Bewusstseinsmomenten“.64 Ihre Äußerungen zeugen davon, wie sehr sich Celmins selbst im Unklaren über den Status des mimetischen Projekts ist: Charakterisierungen als „philosophische Arbeit“65, als „Kritik realistischer Kunst“66 und die Unsicherheit, ob das „ziemlich rätselhaft“ gewordene Werk überhaupt Kunstcharakter habe67, bestehen nebeneinander. Stärker noch als in den zweidimensionalen Werken scheint Celmins in To Fix the Image in Memory spezifische Aspekte des eigenen Schaffens zu hinterfragen. Wenn bereits seit 1968 erkennbar war, dass Grenzziehungen und Selbstbeschränkung notwendige Voraussetzungen für Celmins darstellten, um ihren Vorstellungen näherzukommen, so erscheint es konsequent, dass in der denkbar weitestgehenden Beschränkung des Nachschaffens charakteristische Eigenschaften des Werks hervorgetrieben werden: „Going back to looking in such a thorough way reaffirmed something about the business of ‚making‘.“68

Larsens Ende der 70er Jahre geäußerter Auffassung, dass die „einzigartigen Qualitäten“ des Œuvres auch in der „obsessiven“ und „abstrakten“ Art des Sehens begründet seien69, ist daher zuzustimmen. Dass mit der fundamentalen Bedeutung des Sehens im Werk und der „Bestätigung“ der künstlerischen Aktivität außerdem zugleich semiotische und performative Aspekte berührt sind, kann hier nur im Sinne eines Ausblicks Erwähnung finden, obwohl auch in dieser Ansprache und Synthese eine charakteristische Konstellation des Œuvres vermutet wird.

64 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 34: „I wanted to make a piece that was as devoid as possible from manipulation, ego, idealization and distortion. Just moments of consciousness.” 65 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 34 66 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Robert Gober 2004, S. 26 67 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Jean-Christophe Ammann 1997, S. 21/22: „Ich würde nicht einmal sagen, dass es Kunst ist. […] höchsten[s] etwas sehr Einfaches über die Beweggründe, Kunst zu machen.“ 68 Vija Celmins im Gespräch mit Robert Gober 2004, S. 26 69 Vgl. Larsen 1979, S. 31: „Celmins’ unique qualities have to do with the manner of her seeing, the obsessiveness of it and also its abstraction.“

V. Die Night Sky-Gemälde

1. M OTIV – V ORLAGE – G EMÄLDE . E INE F RAGE DER S ICHTBARKEIT Mit dem Wissen um wesentliche Entwicklungslinien des Œuvres werden nun die Überlegungen zu den Night Sky-Paintings wieder aufgenommen. Da die Frage nach dem Stellenwert des Motivischen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage steht, was die Werke Celmins’ tatsächlich zu sehen geben, ist es zunächst notwendig, das Zusammenspiel der Ebenen von Motiv, Vorlage und Gemälde näher zu betrachten, um im Anschluss daran Aussagen darüber zu ermöglichen, wie und in welchen Bereichen die Night Skies Bedeutung herstellen. Es finden sich in der Literatur zahlreiche Beispiele, die die Bedeutung der Werke eng an die motivische Semantik binden. Das Motiv des Sternenhimmels etwa wird als Beschreibung unermesslicher Weiten und menschenferner Gegenden verstanden, aber auch in eine Art Ableitungsverhältnis zu romantischen Bildtraditionen beziehungsweise dem Topos des romantischen oder abstraktexpressionistischen Sublimen gestellt. So legt Wakefield das Unspezifische des Motivrepertoires als einen Ausweis von Allgemeingültigkeit aus1, während Storr die Menschenferne der Motive in Vergleich zu Werken der Romantik als Abwesenheit von Stellvertreterfiguren für den Betrachter wie auch von „beseelten“ Bildgegenständen versteht2. Walsh wiederum sieht in ihrer Einführung zum Interview Enrights die Motive des Nachthimmels, des Ozeans oder des Spinnen-

1

Vgl. Wakefield 1996, S. 47: „Obwohl die Meeres- und Wüstenlandschaften nach Photographien gestaltet sind, die Celmins auf dem Pier von Venice Beach oder bei Wanderungen im Death Valley machte, sind sie zugleich Darstellungen sämtlicher Meere und sämtlicher Wüsten.“

2

Vgl. Storr 1995, S. 15: „No figure stands in for us as they do in the work of 19th century masters such as Casper David Friedrich, and nothing inanimate is allowed to assume a surrogate anthropomorphic presence.“

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netzes aufgrund ihrer „Bedeutungsschwere“ und „Düsternis“ „mehr metaphorisch denn in ihrer Faktizität“ wirksam werden: „The things you can’t hold or own, nothing that can be measured or bound off, subjects that are largely ineffable but nonetheless generate endless study and that seem, through their weighty significance, to be so tenebrous as to serve more in metaphor than in their own being [...].“3

Abbildung 22: Night Sky #10, 1994/95

© Vija Celmins 2011

Für die biografiebezogene Auseinandersetzung Hickeys sind die Eigenschaften der Motivwelten von besonderer Wichtigkeit. Der Autor greift in seiner Beschreibung der Themen des reifen Œuvres unter anderem auf die ideengeschichtliche Quelle des romantischen wie des abstrakten Sublimen zurück, die noch vor-kantische Definition des Erhabenen durch Edmund Burke, die das „Schreckliche“ in der Natur und – im Sinne der Argumentation Hickeys – auch deren „Andersartigkeit“ herausstellt: Der Autor bezeichnet die all-over gestalteten Oberflächen entsprechend als „complex fields of incident that from Turner to

3

Walsh, Meeka: Einführung zum Interview von Robert Enright 2003, S. 21

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Pollock have signified the ominous, boundless, proliferating ‚otherness‘ of Edmund Burke’s ‚Terrible Sublime‘“4. Zwar steht außer Frage, dass Motive wie der Ozean oder der Sternenhimmel in der Kunstgeschichte wirkmächtige Vorläufer besitzen – von Ruisdael bis Friedrich, von Elsheimer bis van Gogh –, die einer ikonologischen Betrachtung unterzogen werden könnten. Ebenso wenig wird der Einfluss romantischer Topoi auf die Malerei des 20. Jahrhunderts in Zweifel gezogen, wie er von Rosenblum erhellt wurde.5 Diese Arbeit stellt die Frage nach dem Stellenwert der Motivik im reifen Œuvre Celmins’ jedoch gerade vor dem Hintergrund einer spürbaren Ambivalenz, die sich in der Betrachtung der Night Sky-Paintings zu einem „Moment der Semantiklosigkeit“ verdichten konnte. Ob eine Diskussion der motivischen Bedeutung und Tradition für die Reflexion der Werke Wesentliches erreicht, ist nicht nur deshalb fraglich, weil die Künstlerin „Projektionen romantischer Vorstellungen“ des Betrachters zurückweist6, sondern insbesondere, weil der unmittelbare Zugriff auf die semantische Ebene die Reflexion auf das fotografisch Vermittelte des im Gemälde integrierten Motivs vermissen lässt: Die wiederkehrenden Hinweise auf eine maßstäbliche Konfrontation zwischen der „Unendlichkeit des Universums“ und den verhältnismäßig kleinen Bildformaten bilden dafür ein Beispiel.7 Anstatt also die motivische Gegenüberstellung, etwa mit Künstlern wie Thomas Ruff8 oder Hiroshi Sugimoto9, zu suchen, in deren foto-

4

Hickey 1992, S. 31

5

Vgl. z.B. Rosenblum, Robert: The Abstract Sublime (1961), in: Leggio, James/Burn, Barbara: On Modern American Art. Selected Essays by Robert Rosenblum, New York 1999, S. 72-79 und Rosenblum, Robert/Kaiser, Reinhard: Die moderne Malerei und die Tradition der Romantik. Von C. D. Friedrich zu Mark Rothko, München 1981

6

Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 38: „The meaning for other

7

Schjeldahl 2001, S. 86: „This is a miracle of every successful painting: a world at a

people tends to be a projection of their own romance.“ glance. Celmins's starscapes dramatize it with their intimate treating of the largest possible subject.“ Vgl. auch Tannenbaum 1992, S. 16: Celmins „[...] takes on subjects that are vast and constantly in flux—outer space and the ocean.“ Lingwood 1996, S. 27 sieht die „ständige Bewegung des Meers […] in die feste Ordnung des Bildes“ verwandelt. „Der riesige, unergründliche Weltraum wird in die kompakte Bildfläche gebannt.“ 8

Vgl. Thomas Ruff. Oberflächen, Tiefen, Matt, Gerald (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthalle Wien 2009, Nürnberg 2009, S. 154-160. Die großformatigen Fotografien von Sternen entstehen im Werk Ruffs zwischen 1989 und 1992. Ruff nutzt Negative des European

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grafischem Werk Sternenhimmel beziehungsweise Ozeanansichten prominent vertreten sind, wird für die Auseinandersetzung mit den Night Skies eine Perspektive gestärkt, die das Motiv nicht als unmittelbar Bedeutung gebend, sondern als Teil eines innerbildlichen Verhältnisses im Wechselspiel mit anderen, noch näher zu untersuchenden Sichtbarkeitsebenen des Werks auffasst. Diese Untersuchung kehrt daher, nachdem die Betrachtung von Ocean with Cross und To Fix the Image in Memory wesentliche Felder der künstlerischen Auseinandersetzung vor Augen geführt hat, in den Night Sky-Saal der Carnegie International 2008/2009 zurück, um, gemäß den Zielen dieser Dissertation, aus der Beschreibung der ästhetischen Erfahrung ein vertieftes Verständnis der Dimensionen von Visualität und Wahrnehmung sowie der repräsentationskritischen Aspekte der dort gezeigten Werke zu entwickeln. Die dafür notwendige Analyse des Motivstatus’ beziehungsweise der Funktion der verwendeten Vorlagen erfolgt unter Einbeziehung von produktionsästhetischen wie auch historischen Gesichtspunkten; außerdem werden die Funktion der fotografischen Ästhetik innerhalb der Visualität der Night Sky-Gemälde und ihre Wirkung in der Wahrnehmungssituation näher untersucht. Ein zweiter Analyseschritt behandelt die Frage, was das Werk Celmins’ zu sehen gibt, was die spezifische Visualität der Werke ausmacht und wie die Effekte auf den Betrachter einzuordnen sind. 1.1 Die Night Sky-Paintings in Pittsburgh Das Nebeneinander der Werke in Pittsburgh lädt zum Vergleich der ästhetischen Erfahrung ein. Die beim Betreten des Raums noch als ähnlich empfundenen Bilder offenbaren, indem man die Werke abschreitet oder den Raum zum dialogischen Vergleich durchquert, einen hohen Grad an Individualität: Der auf Nuancen eingestellte Blick unterscheidet in der einheitlichen Bildanlage die jeweils eigene Komposition eines Werks, die mal weichen, mal abstrakten Strukturen und die spezifischen Spuren der Herstellung.

Southern Observatory, die den südlichen Nachthimmel zeigen. Er greift in das Material nicht ein und benennt die entwickelten Fotografien mit den Koordinaten der Ansichten. 9

Vgl. Hiroshi Sugimoto, Brougher, Kerry/Müller-Thamm, Pia (Hrsg.), Kat. Ausst., K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2007/2008, Ostfildern 2007, S. 108: kurze Reflexion des Künstlers auf seine Motivation bei der Aufnahme der „antiken Meere der Welt“, die zwischen 1980 und 2003 entstehen; S. 110-143 (Abbildungen)

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Abbildung 23: Untitled (Comet), 1988

© Vija Celmins 2011

Abbildung 24: Night Sky #12, 1994-96

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Abbildung 25: Night Sky #16, 2000/01

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Abbildung 26: Night Sky #17, 2000/01

© Vija Celmins 2011

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So ist etwa das Schwarz der Oberfläche des fünf Jahre vor Night Sky #6 entstandenen Untitled (Comet) verhältnismäßig matt eingestellt und eignet sich durchaus zur Beschreibung von Hintergrund oder Tiefe; auch im Farbauftrag unterscheidet sich das Werk vom eingangs beschriebenen Night Sky #6: Indem die Farbe deutlich weniger Präsenz entwickelt und sich erkennbar auch in den Senken der Leinwandstruktur sammelt, besitzt das Werk nicht die abgeschlossene und offenbar rigoros bearbeitete Oberfläche der anderen schwarzen Night SkyVersionen. Diese – Night Sky #1, #10 und #12 – sind ähnlich wie Night Sky #6 beschaffen. Night Sky #12 weist dabei eine höhere Sternendichte auf, in Night Sky #1 hat die Oberfläche eine Glätte von geradezu glasartiger Qualität, die Strukturgebung aber wirkt „flacher“. Night Sky #10 hingegen besitzt eine Konzentration der Strukturen im Bereich der Bildmitte, deren unterschiedlich intensive Artikulation den Eindruck großer räumlicher Tiefe entstehen lassen, der in bemerkenswerten Gegensatz zu der mit Night Sky #6 vergleichbaren Abgeschlossenheit der Oberfläche tritt. Weniger streng in seiner Erscheinung ist Night Sky #14 (1996/97), dessen „Sterne“ zuweilen eine subtile blau-graue Färbung besitzen. Die beiden hellgrauen Versionen, die Night Skies #16 und #17 von 2000/2001, sind die zuletzt entstandenen der ausgestellten Werke; die starken innerbildlichen Kontraste der schwarzen Night Skies sind hier durch die weichere Konturierung der Sterne, deren Abtönung und die insgesamt vergrößerten Markierungen der Himmelkörper gedämpft, eine distanzierte Qualität ist jedoch auch hier deutlich zu spüren. Die Flächen sind nicht monochrom gehalten, sondern weisen graduelle Unterschiede auf: bei Night Sky #17 einen Helligkeitsverlauf vom oberen Bildrand nach unten, bei Night Sky #16 eine im Vergleich zum Bildrand deutlich aufgehellte, vom Bereich der Bildmitte diffus ausstrahlende Zone. Die Bildflächen beider Werke geben bei genauer Betrachtung feine Pinselspuren als Fluktuationen einer decalcomanieartigen Struktur zu erkennen, zudem zeugen warm- und kaltgraue Bereiche in den Graumodulationen vom subtilen Einsatz von Farbbeimischungen. Bei der Betrachtung beider Werke entsteht ein optischer Effekt, der die Sternenmarkierungen zu linearen Gebilden zusammenfasst. Indem sich die über das Bild ziehenden netzartigen Linien und amorphen Formen wechselnd bilden und wieder auflösen, erlauben die grauen Gemälde der Night Skies Assoziationen, etwa auch auf Tropfenmuster oder fallenden Schnee. In der Reflexion der Ursachen für die distanzierte Qualität der Werke lässt schon der flüchtige Vergleich mit einer der Serien Monets deutlich werden, dass die vereinheitlichte Bildanlage und die Repetitionen eines Themas im Fall der Night Skies keine atmosphärischen Details oder subjektiven Informationen transportieren: Weder die schwarzen noch die hellgrauen Werke machen den

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Eindruck einer unmittelbaren Wiedergabe von Naturerfahrung. Dem stehen nicht allein die Art der Materialbehandlung und der Faktur der Oberfläche entgegen; die distanzierte Qualität scheint bereits in den Motiven selbst angelegt – in deren komprimierter Form und objektiver Wirkung. Über die Oberflächengestaltung hinaus ist darin die fotografische Ästhetik angesprochen, die auf Charakteristika der verwendeten Abbildungen im Werkprozess zurückzuführen ist. Trotz der distanzierten Qualität, des hohen Bearbeitungsgrads und des eigentümlich „gefügten“ Eindrucks machen auch die Night Skies den Eindruck müheloser Selbstverständlichkeit und berühren zugleich eine zerebral-intellektualisierte Wirkungsebene wie einen verhaltenen, emotionalen Resonanzraum. 1.1.1 Nach der Rückkehr zum Gemälde Celmins’ Umzug nach New York zu Beginn der 80er Jahre bringt die Rückkehr zur Arbeit mit zweidimensionalen Vorlagen und die Wiederaufnahme der Malerei in Ölfarben mit sich. Die ab Mitte der 80er Jahre entstehenden Abbildung 27: Untitled Ölgemälde knüpfen dabei nach (Divided Rectangle), 1986/87 der Unterbrechung durch To Fix the Image in Memory in mehreren Aspekten direkt an Erfahrungen aus der Auseinandersetzung mit dem Graphit an. Um die Mitte des Jahrzehnts findet sich noch einmal eine kurze Phase der Verhandlung der Flächenaufteilung, wie etwa in Untitled (Divided Rectangle) (1986/87).10 Das Werk setzt eine von einem Sternenhimmel strukturierte rechteckige © Vija Celmins 2011 Zone in der rechten Bildhälfte in die monochrome, beige-weiß gestaltete Fläche, deren Belebung durch einen sichtbaren Duktus an die Hintergründe der Stilleben-Darstellungen denken lässt. Eine ähnliche Konfrontation von monochromer und motivisch-strukturierter Fläche zeigt auch Untitled (1988), das eine dunkle Fläche mit einem vertikalen Streifen „Ozean“ im linken Bilddrittel zusammenbringt.11 Nach dem in Pittsburgh ge-

10 Abbildung in: Relyea/Gober/Fer 2004, S. 138/139 11 Abbildung in: Bartman, William S. (Hrsg.): Vija Celmins, Los Angeles, California 1992, S. 48

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zeigten Bild Untitled (Comet), das ebenfalls 1988, noch vor der Night Sky-Reihe, entstand und das den Horizont am oberen Bildabschluss als schmalen Streifen integriert, scheint gegen Ende der 80er Jahre die Entscheidung für die All-overBearbeitung der Oberfläche mittels des ausgedehnten Motivs konsolidiert. Die von Cézanne abgeleitete Verschränkung von Träger und Motiv, wie sie mit dem Graphit erreicht wurde, wird in der Malerei nicht weiterverfolgt. Hingegen setzt sich das bereits in den Graphitbildern ausgeprägte Interesse an einem verdichtenden Materialauftrag, das Celmins in den zu Beginn des Jahrzehnts entstandenen Star Field-Drawings als vorweggenommene Rückkehr zur Malerei mit dem Pinsel angesehen hatte12, nun in modifizierter Form Abbildung 28: Barrier, 1985/86 fort. Das formbarere Material der Ölfarbe verändert die prozessuale Intensität der „Bezeichnung von Aufmerksamkeitsmomenten“ der Graphitbilder medienbedingt in ein Verfahren der Schichtungen. Bereits das erste Ölgemälde des reifen Œuvres, ein Sternenhimmel mit dem Titel Barrier (1985/86), der durch monatelanges mühsames Überarbeiten entsteht, kündigt im Titel die entsprechend „überlastete“ Oberfläche als „Barriere © Vija Celmins 2011 für das Motiv“ an.13 Die Prozesse der Einbindung des Motivs, die für die Night Skies zu beschreiben sind, lassen sich in unmittelbarem Anschluss an die in Ocean with Cross behandelte Umgehensweise zusammenfassen: Das Motiv ist als Resultat ordnender und ausgleichender Vorgänge zu einem hoch reflektierten Bildgefüge transformiert, in dem sich Souveränität, Erfahrung und Kontrolle gleichermaßen wider-

12 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 53: „I think I'd taken that pencil lead as far as it could go. I think all the last drawings were really my wish to paint and I just hadn't switched to the brush yet.“ 13 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 53: „[…] the overworked surface became a barrier to the image.“ Celmins schildert hier auch, wie schwierig sich der Wiedereinstieg in die Malerei gestaltete.

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spiegeln. Obgleich sich die künstlerischen Interessen durch die Rückkehr zur Malerei nicht grundlegend ändern, führen doch die Eigenschaften des Mediums zu einer Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten und einer Erhöhung des Reflexionsgrads, wie sich insbesondere im Verhältnis von Motiv, Vorlage und Gemälderealität zeigt. Bevor also der Stellenwert der Vorlagen in den Night Skies besondere Beachtung finden kann, muss der in der Ölmalerei gewandelte Arbeitsprozess Celmins’ als eine der Voraussetzungen der spezifischen Gemälde-Visualität behandelt werden. 1.1.2 Der in der Malerei gewandelte Herstellungsprozess Die Night Skies nehmen mit ihrer Entstehung ab 1991 sowohl die Ausdehnung des Motivs wie auch das in Barrier erprobte schichtende Verfahren auf. Der Vorgabe der motivischen Vorlage entsprechend wird konventionelle Ölfarbe aufgetragen und nach dem Trocknen durch Schmirgeln in Teilen wieder abgeschliffen. Bei der Beschreibung des Farbauftrags erläutert Celmins, dass beim Abschmirgeln die Farbschicht zwar geglättet, jedoch nicht vollständig abgetragen werde.14 „I paint in little strokes, yes, than I sand it off a little bit, … I paint around… and then sometimes, on the gray ones I spray a ground on, and I blocked out the little stars and then I would repaint the stars. And then I would sand the whole thing down. I had various ways of putting the paint on.“15

Um den gleichmäßigen Aufbau und das einheitliche Anwachsen der Farbschichten zu gewährleisten, werden die „Sterne“ somit vor dem Aufbringen der nächsten Schicht durch winzige Platzhalter besetzt und separat mit Farbe gefüllt.16 Anschaulich kennzeichnet Storr den Herstellungsprozess:

14 Vgl. Interview 2008, S. XIII: Celmins vergleicht das Procedere dem Polieren eines Tischs: „[...] like when you are finishing a table, and it has like a little grain but you want it to be really flat, you put on the paint and then you sand it and you put on another paint… until it’s all like a surface that is very very fine.“ 15 Interview 2008, S. XIV. Auf die Frage, ob sich dieser Effekt auch mit einer anderen Art der Technik erzielen ließe, antwortet Celmins nach einigem Überlegen: „Not so easily. I tell you why. You could do it maybe with little marks until they build a kind of a dense quality… But if you just do one coat it always looks like one coat, and for me it’s too thin.“ 16 Vgl. Celmins’ Aussage im Interview 2008, S. XIV „I blocked out the little stars and then I would repaint the stars”; vgl. auch Hardenberg, Irene von/Guntli, Reto (Hrsg.):

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„Composed of a mind-bending number of specific marks—a tiny dot of this tone for one star […], a larger or smaller one of a slightly different tint for the next and so into the thousands—the ‘empty’ areas surrounding these marks are built up of layer upon sanded layer of oil-color whose sedimentary accumulations remain exposed at the margin of the canvas, right down to the blue or umber-tinged gray underpainting and the pencil grid that were the artist’s starting point.“17

Die angesprochenen Randbereiche, die an den Begrenzungen der abgeschliffenen Fläche die Leinwandstrukturen erkennbar lassen, ebenso wie die unbearbeiteten Seiten der Gemälde, sind wie die Randzonen in Ocean with Cross als Anerkennung des Trägers aufzufassen18, wobei Celmins selbstkritisch eine „Gewöhnlichkeit“ der Lösung konstatiert.19 Die besondere Glätte der Night Skies in Pittsburgh ist der Intensität der Schleifprozesse geschuldet; hier hat nicht nur die Farbschicht eine Glättung und Verdichtung erfahren, auch die Gewebestrukturen der Leinwand wurden in erheblichem Maße abgetragen. Während Night Sky #1 (1990/91) mit achtzehn Schichten20 ein Beispiel für eine Oberfläche mit hohem Bearbeitungsgrad bildet, ist in Untitled (Comet) (1988) die Leinwandstruktur sichtbar belassen und auch die Farbschicht wirkt nicht in besonderer Weise komprimiert. Celmins erläutert, das Werk sei nur „ein paar Mal gemalt“ worden.21 Aus nächster Nähe ist die sich in den Senken der Leinwand sammelnde Farbe erkennbar, wie Berkson beobachtet:

Künstlerinnen. Atelierbesuche in Berlin, Moskau, New York, Hildesheim 2005, S. 35. Celmins verwendet demnach „Radiergummikügelchen“, aufgrund der Kleinteiligkeit der Markierungen scheint jedoch die Verwendung von flüssig aufzutragendem Rubbelkrepp oder Ähnlichem wahrscheinlicher. 17 Storr 1995, S. 15 18 Vgl. Adams 1993, S. 107, der darin eine „alte formalistische Regel der 60er“ befolgt sieht. Nicht unmittelbar einsichtig erscheint allerdings die Verbindung, die Adams zwischen dem darin artikulierten Bewusstsein für die Fläche und einer möglichen Reflexion auf die Vorlagen herstellt: die Anerkennung des supports, so der Autor erinnere daran, dass das Quellenmaterial Ausschnitte von Fotografien sind. 19 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 53: „I like to show the support yet it is harder to do with paint. I've been leaving the canvas showing on the edges, but that's such a common solution.“ 20 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Jean-Christophe Ammann 1997, S. 20 21 Vgl. Interview S. XIV

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„Up close, you can see how she [Celmins] has culled the spread of pigments into and across the weave, sometimes leaving texture as a quality of the image.“22

Abbildung 29: Night Sky #15, 2000/01

© Vija Celmins 2011

Da auch bei dem in Frankfurt befindlichen Night Sky #15 (2000/01) die Leinwandstruktur deutlich sichtbar bleibt, stellt eine geglättete Oberfläche in der Night Sky-Reihe keine Frage des Prinzips dar. Den in Pittsburgh gezeigten Werken der Reihe aber ist die strukturlose Glätte als Ergebnis intensiver Herstellungsprozesse gemeinsam, ebenso wie die daraus zu eigenständiger Präsenz entwickelte Farbbarriere. Die taktile Materialität der Farbschicht in der Malerei, von Storr aufgrund ihres geschichteten Charakters treffend als „sedimentähnlich“23 bezeichnet, wird von Rhodes als auf der Darstellung lastend und ihren Sinn beeinflussend wahrgenommen.24 Das Verfahren von Schichtung, Abschleifen und wiederholender Verdichtung in der Herstellung der Oberfläche konkreti-

22 Berkson, Bill: Spellbound, in: Vija Celmins. McKee Gallery New York, 2001, unpaginiert 23 Storr 1995, S. 15 24 Vgl. Rhodes 1996, S. 99: „Die Bilder sind taktil. Sie haben eine Materialität, die auf der Darstellung lastet und ihren Sinn beeinflusst.“

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siert in der Malerei die bereits im Graphit verfolgte Vorstellung vom „Auffüllen“ eines Werks und vom „Aufbau einer ‚Form’“25. Dass dieses Verfahren für Celmins aus sich selbst heraus Bedeutung entwickelt, wird in einem Halbsatz des Interviews deutlich, in dem die Künstlerin einen Anreicherungsprozess beschreibt: „[…] it was like maybe a childlike or workmen like idea, that if you paint an image on top of itself....“26

Das verdichtende und Präsenz erzeugende Verfahren der wiederholten Bearbeitung der Oberfläche scheint für die Künstlerin zu einer hoch entwickelten, anreichernden Hervorbringung zu werden, die Celmins im Künstlergespräch der Birth of the Cool-Ausstellung als Verschmelzung von Farbe und geistigem Bild umschreibt.27 Auch Silverthorne gegenüber kommt der Aspekt zur Sprache: „My idea of painting a single image over and over on the same canvas is not really what I would call a ‚brilliant‘ idea. It is an act of trying to reach some physical presence beyond ‘idea’.“28

Das affirmative Verhältnis zum Herstellungsprozess, das sich in der Metapher bildlichen Aufbaus vermittelt, bestätigt die Künstlerin auch in Bezug auf den Prozess des Abschleifens, den sie weniger als aggressiven denn als intensivierenden und einprägenden Vorgang versteht.29 Es wird außerdem deutlich, dass der hohe Bearbeitungsgrad auch im Hinblick auf die zu erwartende Intensität des Betrachterblicks ausgelegt ist:

25 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 53: „I went back to painting because I wanted more form, I wanted the work to carry more weight. I have this feeling the work has more meaning when it is fuller and richer and has what I call ‘more form.’“ Vgl. auch Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne 1995, S. 40, wo Celmins das schichtende Verfahren auch „a little despairing“ nennt. 26 Interview 2008, S. XIII 27 Vgl. Künstler im Gespräch II, Curiger 1997, S. 120: „Man fängt etwas an, überarbeitet es, bis man etwas fühlt, das sich dahinter oder darunter befindet. […] ich mache so lange weiter, bis die Farbe und das geistige Bild verschmelzen, dicht und zu dem werden, was ich ‚angedickt‘ nenne!“ 28 Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne 1995, S. 41 29 Vgl. Interview 2008, S. XIII: „It almost like pushes it down“.

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„I want a form that's a very thorough structure. I want the feeling that the image was developed as far as it could go, and that it can stand a lot of inspection.“ 30

Dem Betrachter vermitteln sich die beschriebenen Prozesse des schichtenden Farbauftrags und abschleifender Komprimierung als physische Materialität von zuweilen abweisendem Charakter. 1.1.3 Neue Möglichkeiten der Reflexion auf die Vorlagen Die Wirkungsdimensionen der Vorlagen im Werk Celmins’ beschränken sich, wie wiederholt angedeutet wurde, nicht auf die pragmatischen Aspekte, ein Motiv in seiner Bewegung „festzuhalten“ und einen zeitlich nicht mehr gegenwärtigen oder räumlich entzogenen Gegenstand in fasslichen Ausschnitten wiederzugeben. Vielmehr wurde bereits für das Frühwerk auf den Wandel im Sichtbarkeitsstatus der Vorlagen und seine Bewertung innerhalb des Œuvres hingewiesen: Während die Vorlagen zum Zeitpunkt ihrer Einführung im Frühwerk hauptsächlich als katalysierender Faktor bei der Zusammenführung von Bildobjekt und Gemäldefläche angesprochen wurden und Äußerungen der Künstlerin auf eine Funktion als emotional distanzierende Zwischenschichten in der Umsetzung der Kriegs- und Desasterthematik schließen ließen, ist in den Werken 1966 – Freeway wurde hier als Beispiel genannt – eine Einbeziehung fotografischer Ästhetik feststellbar, die von der Auseinandersetzung mit dem Objektcharakter in den Clippings abgelöst wurde. In beiden Fällen erscheint die Fotografie/Vorlage bereits als eigenständige Sichtbarkeitsebene der Werke, einmal durch den subjektiven fotografischen Blickwinkel, in den Clipping-Zeichnungen als Reflexion auf den noch ungeklärten Status der Vorlagen im Werk. Die Zeichnungen des reifen Œuvres heben diese Komplexität der Bildebenen durch den Verzicht auf eine explizite Thematisierung der Vorlagen äußerlich wieder auf. Stattdessen werden die Vorlagen seit Ende der 60er Jahre in ihrem Potenzial für den Arbeitsprozess und die Visualität der Werke erkannt und genutzt: Die Auseinandersetzung mit den Graphitbildern hat gezeigt, dass ein verlangsamtes und intensiviertes Arbeiten ebenso in Zusammenhang mit den Vorlagen zu denken ist wie die Thematisierung von Wahrnehmungsprozessen in einem präzisen und sensibilisierten Sehen – wobei sich die unterschiedlichen Wirkungsdimensionen der Vorlagen überlagern und ergänzen. Die inhärente Problematik des Stellenwertes der Vorlagen, der semantischen Tragweite des durch sie vermittelten Motivs und die Frage nach dem, was Motiv und Vorlage

30 Enright 2003, S. 25

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im Werkzusammenhang leisten, blieb in den Graphitbildern weitgehend ausgeklammert. Mit der Rückkehr zur Malerei in Ölfarbe wird eine Thematisierung dieser Zwischenschichten in einer neuen Form möglich. Die prozessual verdichtete Farbe evoziert insbesondere in den dunklen Night Sky-Versionen durch den schwarzen Schimmer der Oberflächen eine fotografische Ästhetik, die auch als Ursache für die momentane Unsicherheit bezüglich des Mediums beim Betreten des Ausstellungsraums in Pittsburgh angesehen werden kann: Den beim Betrachter ausgelösten Impuls nach einer Verifikation des Mediums, der sich bei den Night Skies einstellt, nennt Celmins im Gespräch mit Enright sinngemäß ein „Lockmittel“, um den Betrachter in eine nähere Auseinandersetzung mit den Werken zu involvieren.31 Die spezifische fotografische Ästhetik begründet sich zwar in der Ausschnitthaftigkeit des Motivs oder auch der fotografischen Glätte der Oberfläche, geht in anderen Aspekten jedoch auf spezifische Eigenschaften der von Celmins für die Night Skies verwendeten wissenschaftlichen Aufnahmen zurück. Die fotografische Ästhetik der Werke ist somit als Zusammenspiel von Eigenschaften der Vorlagen und der produktionsästhetischen Prozesse bei der Übernahme der Motive ins Gemälde aufzufassen. Für den Umgang mit fotografischen Vorlagen bilden die Wechselbeziehungen von Fotografie und Malerei den historischen Horizont; die genauere Bestimmung der künstlerischen Interessen Celmins’ wird jedoch vor allem in Abgrenzung zum Fotorealismus der frühen 70er Jahre und, in der weiteren Entwicklung, in den differenzierten Bezügen zu repräsentationskritischen Anliegen der späten 70er und frühen 80er Jahre möglich. 1.2 Die Fotografie im Werkprozess Bereits unmittelbar nach ihrer Erfindung gewinnt die Fotografie als Bezugssystem der Malerei stetig an Bedeutung; Beispiele dafür lassen sich bis in die Werke Delacroix’ zurückverfolgen. Neben der Verwendung von Fotografie als „Skizze“ wird das Medium auch zur Inspirationsquelle der Malerei, etwa durch die Chronofotografie Etienne Jules Mareys, die für die Bildfindungen des Futu-

31 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 31: „But when you stepped back it looked like some kind of uninteresting photographic image. It was quite bland. So in a way it was a kind of sabotage to get people to come in.“

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rismus bedeutsam wird, oder erhält, wie seit den Photocollagen der Berliner Dadaisten, direkten Eingang in die Werke.32 Die Austauschbeziehung zwischen Malerei und Fotografie, die seit den 60er Jahren verstärkte Aufmerksamkeit erfährt, bezeichnet Rochlitz aufgrund ihrer besonderen Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit als eines der interessantesten Phänomene in der bildenden Kunst der vergangenen Dekaden. Dabei verweist der Autor auch auf die bedeutende Rolle, die der Fotografie bei der Wiedereinführung von „Repräsentation, Figuration, Motiv und Narration“ in die Malerei zugekommen sei.33 Während Rauschenberg und Warhol zu den ersten Künstlern zählen, die nach der Phase expressionistischer Abstraktion Fotografien in diesem Sinne in ihre Arbeiten einbeziehen, erweist sich Celmins’ Verwendung des Mediums als Vorlage für Malerei ab Mitte der 60er Jahre als ein frühes Beispiel der Nutzung von Fotografie und Abbildung im objektivierenden Verständnis „inventionsloser Kompositionen“, bevor mit dem Fotorealismus die Arbeit mit Fotografie ins allgemeine Bewusstsein rückt und in den unterschiedlichsten Bereichen der Kunst direkt oder als theoretischer Bezugspunkt Einfluss ausübt.34 1.2.1 „Fotorealismus“. Malerei nach Neuen Realitäten Während de Duve die Annäherung beider Medien im Entstehen einer fotografienahen Praxis der Malerei ebenso wie einer malereinahen Praxis der Fotografie konstatiert – vom Autor anhand zweier Protagonisten, Jeff Wall und Gerhard

32 Der Katalog Eine neue Kunst? Eine andere Natur! Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert, Pohlmann, Ulrich/Hohenzollern, Johann Georg Prinz von (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München 2004, München 2004 widmet sich dem Dialog von Fotografie und Malerei und zeigt auch eine der ersten fotografischen Aufnahmen des Sternenhimmels eines fotografischen Teleskops von Henry Frères (1887), vgl. S. 185 33 Rochlitz, Rainer: „Where We Have Got To“, in: Buchloh, Benjamin H.D., u.a. (Hrsg.): Photography and Painting in the Work of Gerhard Richter. Four Essays on Atlas, Barcelona 1999, S. 103-125, hier: S. 103: „It is above all through photography that art has reintegrated representation, figuration, the subject and narration. Conversely, it is certain formal aspects of photography which have kindled the interest of painters.“ 34 Beispiele dafür sind die Nähe der Fotografie zu Konzeptkunst oder Neorealismus seit Anfang der 70er Jahre, bzw. Rosalind Krauss‘ Argumentation mit dem Begriff des Fotografischen, vgl. etwa Krauss, Rosalind: Das Photographische. Eine Theorie der Abstände, München 1998

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Richter veranschaulicht35 – wertet Rochlitz das seit den 70er Jahren als Teil eines malerischen Realismus’ bestehende Bestreben der „Herstellung von Pseudo-Fotografien“ durch Malerei als eine Umkehrung der traditionell hierarchischen Beziehung von Malerei und Fotografie.36 In der Tat ließe sich für jede Malerei, die auf Fotografien und Abbildungen zurückgreift, argumentieren, dass das fotografische Bild die Auseinandersetzung mit der Natur, wie sie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein traditionelles Feld der Malerei bildete, ersetzt. Entsprechend fasst Prendeville die Tendenzen eines „Realismus“ nach der Pop Art als „Neue Realitäten“ zusammen und konstatiert: „The approaches to reality that have been most characteristic of painting in the decades following Pop Art have in fact been decidedly oblique. The painter’s source material has, typically, been itself an image, often photographic.“37

Einen ersten Überblick zu den unterschiedlichen europäischen und amerikanischen Positionen eines malerischen „Realismus“, der sich damit wie schon die Pop Art als transatlantisches Phänomen erweist, konnte die documenta 5 1972 geben.38 Celmins, deren Werke in diesem Rahmen hätten präsentiert werden sollen, ist der Einladung durch den damaligen Szeemann-Assistenten und späte-

35 Vgl. Ein Jahrhundert Malerei der Gegenwart. Ein Gespräch zwischen Bernhard Mendes Bürgi und Thierry de Duve, in: Painting on the Move, Bürgi, Bernhard Mendes/Pakesch, Peter (Hrsg.), Kat. Ausst., Öffentliche Kunstsammlung Basel u.a. 2002, Basel 2002, S. 18-31, hier: S. 20: „Und wenn Wall gewissermaßen Malerei im Medium der Fotografie macht, so macht Richter Fotografie im Medium der Malerei.“ 36 Rochlitz 1999, S. 105: „Producing pseudo-photographs in oil on canvas is based upon an inversion of the relationship between painting and photography which can be explained only by the observation that the photographic image has become the visual reference of our times […].“ 37 Prendeville, Brendan: Realism in 20th Century Painting, London 2000, S. 155 38 Vgl. Wiedervorlage d5. Eine Befragung des Archivs zur documenta 1972, Nachtigäller, Roland/Scharf, Friedhelm/Stengel, Karin (Hrsg.), Kat. Ausst., Kulturdezernat/documenta Archiv im Museum Fridericianum, Kassel 2001, Ostfildern-Ruit 2001; der Katalog bietet Installationsansichten und Einblicke in die Konzeption der Ausstellung, im Anhang außerdem ein Verzeichnis der teilnehmenden Künstler und der ausgestellten Werke.

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ren Leiter des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt, Jean-Christophe Ammann, zur Teilnahme bedauerlicherweise nicht nachgekommen.39 Die gemeinsame Grundlage der in der Ausstellung dokumentierten Auffassungen von „Realismus“ ist die Abkehr von Konzepten, die die Bedeutung an das Künstlersubjekt rückbinden. Während dies für die amerikanischen Künstler, von denen die Arbeiten Malcolm Morleys, Chuck Closes oder Richard Estes’ die Spannweite im Verständnis des „Realismus“-Begriffs und der darunter zusammengefassten Positionen deutlich machen, vor allem eine Abgrenzung zum Abstrakten Expressionismus bedeutet, verbindet sich für Gerhard Richter der Rückgriff auf fotografische Vorlagen mit einer Opposition gegen das Informel seines Lehrers K. O. Götz. Die Werke Celmins’ wären nach Aussage Ammanns gemeinsam mit den Positionen Jasper Johns’, Gerhard Richters und Malcolm Morleys Teil des „Vorspanns“ gewesen, mit dem der Begriff des „Hyperrealismus“ relativiert werden sollte.40 Die Ausstellungsbeteiligung Celmins’ hätte diese frühen Ansätze wesentlich ergänzt. Ohne die Unterschiede zwischen den einzelnen Künstlern des Fotorealismus und vor allem zwischen seinen Erscheinungsweisen an der West- und Ostküste nivellieren zu wollen, zeigen sich Arbeiten wie etwa die von Robert Bechtle, Robert Cottingham oder Richard McLean, aber auch von Richard Estes verwandt in ihrem Interesse an detailreichen Oberflächen41; die hier repräsentierte

39 Vgl. Jean-Christophe Ammann in einem Brief an die Verfasserin, 28. April 2009. Ammann schildert, wie seine wiederholten Anfragen 1970/71 und auch Versuche, über Ed Ruscha einen Kontakt herzustellen, unbeantwortet blieben. Dass Celmins davon Kenntnis nahm, wird 25 Jahre später bei der Retrospektive in Frankfurt deutlich, als sie das Ausbleiben einer Reaktion mit einer für sie schwierigen Zeit und ihrer „Scheu“ erklärt. Vgl. dazu auch Ammann, Jean-Christophe: Begegnungen. Vija Celmins und Cecilia Edefalk, in: Kunstzeitung Nr. 53/Januar 2001 40 Vgl. den Brief Ammanns 2009: „Es ging darum, den Begriff ‚Hyperrealismus‘ (zeitbedingt) zu relativieren.“ Amman war für den Ausstellungsbereich des „Hyperrealismus“ in der Neuen Galerie zuständig. 41 Prendeville 2000, S. 177: „Photorealists are surface-conscious depictors of surfaces. The ‘reality’ their paintings represent is usually itself artificial, both physically (Estes’s shopfronts) and culturally (Morley’s brochure photographs). The West coast Photorealists sometimes focus on the artefacts and artificial worlds of a slightly earlier time, such as 1940s diners or 1930s Los Angeles suburbs, compounding the sense of distance and strangeness.“ Eine neuere Übersicht gibt der Katalog zur Ausstellung Picturing America. Photorealism in the 1970s, Hillings, Valerie L. (Hrsg.), Kat. Ausst., Deutsche Guggenheim, Berlin 2009, New York 2009

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„Realität“ wird von Prendeville im Anschluss an Interessen der Pop Art als eine Auseinandersetzung mit der Fassade des Alltäglichen charakterisiert.42 Die übersteigerte optische Brillanz, die den Werken des kalifornischen Fotorealisten Bechtle ebenso zu eigen ist wie dem von Gertsch auf der documenta 5 präsentierten Werk Medici (1971), findet sich weder in den Werken Richters noch bei Celmins oder Morley.43 Das Interesse am Detail ist hier dem GesamtAbbildung 30: Franz Gertsch: Medici, 1971

© Franz Gertsch 2011

eindruck untergeordnet: Für die Graphitbilder, die zeitgleich zum Fotorealismus an der Westküste entstehen, stellt Larsen fest: „Unlike a photorealist painter who seeks to exploit the surface shine, crispness, and focal variations of the photograph, Celmins seeks primarily to exploit the photograph's ability to fix and hold an entire field of imagery upon a plane.“44

In den Arbeiten Richters, Closes oder Celmins’ zeigt sich zudem ein gemeinsames Bewusstsein für die – für Celmins bereits erläuterten – Potenziale produktiver Grenzziehung durch die Arbeit mit Fotografie, wie sie Storr in seiner Ausei42 Prendeville 2000, S. 175: „There is a certain resemblance to Pop art, but Photorealism pointedly substitutes for the perfected commercial surface of Pop the actual and material façade of the everyday.“ 43 Vgl. Schjeldahl 2001, S. 85, der Celmins mit Close und Richter als „[an] early pioneer of Photo-Realism“ bezeichnet. 44 Larsen 1979, S. 25

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nandersetzung mit den 1972 ebenfalls in Kassel vertretenen monumentalen „Gesichtslandschaften“ Closes zusammenfasst: „As an alternative to intuitive strategies which had become formulaic, these artists posited simple but severe strictures that

Abbildung 31: Chuck Close: Big Self-Portrait, 1967-68

stymied reflex gesture while bringing to light previously unexplored technical, compositional, and conceptual opportunities.“45

Close beschreibt die malerischen Möglichkeiten im Umgang mit der Fotografie als ebenso vielfältig wie die des Malens nach der Natur.46 Ähnlich wie Celmins nutzt Close seit den späten 60er Jahren das konzeptionelle Potenzial der Arbeit mit Vorlagen in einer konzentrierten Auseinandersetzung mit einem eng begrenzten Themenfeld, dem Portrait. Schon das gewählte Sujet setzt sein Werk dabei deutlich von © Chuck Close/The Pace Gallery fotorealistischen Interessen ab. Zusätzlich ist bezeichnend, dass sich etwa das Werk Richard Estes’ aus einer bereits realistischen Malweise heraus entwickelt, während Close und Celmins von einer tiefen Verbundenheit mit abstrakt expressionistischen Vorbildern ausgehend zur Malerei mit fotografischen Vorlagen kommen – ein Einfluss, der im gesamten Œuvre beider Künstler präsent bleibt und das Verhältnis zum verwendeten Motiv nicht unberührt lässt.47

45 Storr, Robert: Chuck Close. Angles of Refraction, in: Chuck Close, Storr, Robert (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1998, New York 1998, S. 31 46 Chase, Linda/Foote, Nancy/McBurnett, Ted/O’Doherty, Brian: The Photo-Realists. 12 Interviews, in: Art in America 60, no. 6 (November-Dezember) 1972, S. 73-89, hier: S. 76: „Just as many different kinds of paintings can be made from a photograph as from life.“ 47 Die Anschlussmöglichkeiten an minimalistische und Prozessorientierte Kunst, wie sie anhand von Ocean with Cross angedeutet wurden, spielen entsprechend auch im Werk Closes eine Rolle.

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Wenn im Folgenden die für das Verständnis der Night Skies notwendige Untersuchung des Stellenwerts der Vorlage im Werkprozess und im Gemälde, der Vorgänge der Übertragung sowie des Verständnisses der Funktion der Malerei in einer Gegenüberstellung zu Gerhard Richter erfolgt, so lassen sich dabei bereits behandelte Aspekte der Arbeit mit Fotografie voraussetzen: eine zeittypische Auffassung der Vorlage als objektiv und distanzierend48, als „Befreiung von persönlicher Erfahrung“, aber auch ein Celmins und Richter gemeinsamer Impuls des Zeigens von Fundstücken.49 Die ersten „Fotobilder“ zeigte Richter in den frühen 60er Jahren, bis in die Gegenwart aber entstehen Werke, die diesem Konzept verpflichtet sind, darunter Arbeiten nach Aufnahmen von Mikrostrukturen chemischer Elemente. Über die Gemeinsamkeit der Generationenzugehörigkeit hinaus kann bei Richter und Celmins ein vergleichbarer historischer Blickwinkel auf die Herausforderungen der Malerei angenommen werden, zumal Richter nicht die Anbindung an deutsche Malereitraditionen sucht, sondern einen stark an amerikanischen Vorbildern wie Rauschenberg oder Warhol orientierten Internationalismus pflegt.50 Die Gegenüberstellung der Night Skies Celmins’ mit Fotobildern Richters kann somit Aussagen zu einer gemeinsamen Auffassung von Malerei als Sichtbarkeit erst erzeugendem, differentiellem Medium treffen, das im Gemälde Bildebenen und Lesbarkeiten zusammenzuführt. Aus diesen Gemeinsamkeiten ergeben sich im Detail Differenzen in der Arbeitsweise und Auffassung, so dass der Vergleich mit Richter insbesondere hinsichtlich der Prozesse der Übertragung des fotografischen Bildes in die Malerei wie auch in der Reflexion des semantischen Gehalts der übertragenen Motivik die Möglichkeiten für eine differenzierte Darstellung der Anliegen Celmins’ bietet.

48 Vgl. Richter, Gerhard: Notizen 1964-65, in: Elger, Dietmar/Obrist, Hans Ulrich (Hrsg.): Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007, Köln 2008, S. 30: „Das Foto ersetzte den Teil der Bilder […], der als Abbildung der Realität über die Realität informierte. Diese Funktion erfüllt das Foto zuverlässiger und glaubhafter als jedes Bild. Es ist das einzige Bild, das absolut wahr berichtet, weil es ‚objektiv‘ sieht; ihm wird vorrangig geglaubt, auch wenn es technisch mangelhaft und das Dargestellte kaum erkennbar ist.“ 49 Vgl. Elger/Obrist: Richter 2008 (Interview mit Rolf Schön 1972), S. 59: „Es hatte keinen Stil, keine Komposition, kein Urteil, es befreite mich vom persönlichen Erleben, es hatte erstmal gar nichts, war reines Bild. Deshalb wollte ich es haben, zeigen […].“ 50 Vgl. Buchloh, Benjamin H.D.: Gerhard Richter’s Atlas. The Anomic Archive, in: Buchloh, Benjamin H.D., u.a. (Hrsg.): Photography and Painting in the Work of Gerhard Richter. Four Essays on Atlas, Barcelona 1999, S. 11-30, hier: S. 29

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1.2.2 Die fotografische Ästhetik der Night Sky-Paintings Die Vergleiche, die die bislang vorliegende Literatur mit dem Werk von Gerhard Richter herstellt, knüpfen für gewöhnlich an einige erstaunliche motivische Parallelen an, die sich Mitte der 60er Jahre im Werk beider Künstler ergeben, etwa die fast zeitgleiche Darstellung von Kriegsflugzeugen.51 Im Interview mit Vogel reflektiert Celmins als Gemeinsamkeit außerdem den „fotografischen Blick“, den sich Richter leihe, den sie aber nur in wenigen Bildern, „z. B. in dem Auto-Bild, vom Blick des Fahrers aus“52 annehme; Richter sei, so Celmins 2008, der „viel konzeptuellere Künstler“.53 Nach Celmins’ Eingrenzung des Motivrepertoires im reifen Œuvre überwiegen die deutlichen Unterschiede in den fotografischen Ästhetiken der Vorlagen beider Künstler. Richter versammelt im Atlas eine Vielfalt an Szenen-, Objekt-, Personenfotografien und Landschaftsmotiven, die, mit signifikanten Ausnahmen, eine Motivwelt des Alltags bilden.54 Der bewusste Umgang mit dezidiert „unkünstlerischen“ Eigenschaften des fotografischen Bildes wie mangelnder Tiefenschärfe und angeschnittenen Motiven ergibt, ins Werk übernommen, eine fotografische Ästhetik des Spontanen und Zufälligen, scheinbar Wahllosen und Neutralen. Eine Vergleichbarkeit mit den Aufnahmen der Nachthimmel Celmins’ ist hier höchstens jenseits der motivischen Inhalte in der „Abwesenheit des punctum“ gegeben – Armin Zweite charakterisiert mit diesem Rückgriff auf Roland Barthes Richters „neutrale Bilder des Alltags“.55

51 Vgl. Enright 2003, S. 27, der Celmins fragt, ob sie von den Kriegsflugzeug-Bildern Richters gewusst habe. Vgl. zu den motivischen Parallelen auch Spieler 2003, S. 38; Richters Werk wird in den USA jedoch erst seit den 80er Jahren bekannt. 52 Vgl. Vogel 1997, S. 19. Gemeint ist Freeway. 53 Vgl. Interview 2008, S. XVI: „He makes a decision and then he does like twenty abstract paintings or 40 gray paintings. But they’re much more kind of commercial techniques, where I tend to be a little more techniqueless. For him the technique is also a kind of a distancing.“ 54 Vgl. Zweite, Armin: Gerhard Richter’s „Album of Photographs, Collages, and Sketches“, in: Buchloh, Benjamin H.D., u.a. (Hrsg.): Photography and Painting in the Work of Gerhard Richter. Four Essays on Atlas, Barcelona 1999, S. 61-101, S. 93. Der Autor verweist als Ausnahmen innerhalb der „neutralen“ Bildwelt Richters auf Aufnahmen aus Konzentrationslagern. Zum Atlas vgl. auch Friedel, Helmut (Hrsg.): Gerhard Richter. Atlas, Köln 2006 55 Vgl. Zweite 1999, S. 93 zu den Kategorien des punctum und studium, wie sie Roland Barthes in camera lucida ausführt, und ihrer möglichen Bedeutung für die Bilder des Atlas’.

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Die Astrofotografien, auf die die Vorlagen der Night Sky-Paintings zurückgehen, sind Resultate einer sich rasch entwickelnden Technologie, in der seit Ende der 70er Jahre etwa die fotografischen Platten in Teleskopen durch extrem lichtempfindliche Chips, sog. CCDs (charged-coupled devices, ladungsgekoppelte Geräte) ersetzt sind, die das einfallende Licht aufzeichnen. Auch die Astrofotografie steht daher für eine Form der Neutralität, indem sie in besonderer Weise ein Paradigma der Objektivität repräsentiert, das sich, wie Daston/Galison deutlich machen, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts für wissenschaftliche Bildgebungen durchsetzte und einem „wissenschaftlichen Ethos der Nicht-Intervention“ folgte.56 Der ästhetische, idealisierende und interpretierende Eingriff, der zuvor selbstverständlicher Bestandteil der Produktion eines wissenschaftlich evidenten Bildes war, wird durch das technische Bild, in dem sich die Natur gewissermaßen selbst aufzeichnet, und damit das Paradigma des Neutralen und Wertfreien, abgelöst.57 Eine vergleichbare fotografische Ästhetik findet sich im Werk Richters in den ab 2003 entstehenden Großformaten der Silikat-Reihe oder im Gemälde Strontium (2004). Die wissenschaftlichen Aufnahmen, die diese Werke zur Vorlage nehmen, kommen wie die Astrofotografien der Night Skies ohne den Moment des Auslösens und

Abbildung 32: Night Sky Arbeitsvorlage

56 Vgl. Daston, Lorraine/Galison, Peter: Das Bild der Objektivität, in: Geimer, Peter (Hrsg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt am Main 2002, S. 29-99 57 Geimer, Peter: Einleitung, in: Geimer, Peter (Hrsg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt am Main 2002, S. 7-25, hier: S. 17 weist darauf hin, „dass die Objektivität, die dem fotografischen Bild seit seinem Aufkommen zugeschrieben wurde, keine fraglos mitgegebene Eigenschaft der Fotografie ist, sondern nur einem Typus von Evidenz entspricht, der seinen Ort innerhalb einer Geschichte der Objektivität hat.“ Pang, Alex Sooyung Kim: Technologie und Ästhetik der Astrofotografie, in: Geimer 2002, S. 100-141 behandeln dieses Verhältnis von ästhetischer, manueller Intervention und Objektivität in der frühen Astrofotografie.

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ohne das imaginierende Eingreifen eines Fotografen aus.58 Die regelmäßigen Kristallstrukturen des Silikats, die auf den Bildern des Rasterelektronenmikroskops sichtbar werden, bilden dabei ein anderes Ordnungsprinzip ab als die chaotisch erscheinenden Streuungen „höherer Ordnung“, wie sie die Astrofotografien von Deep sky-Objekten zu sehen geben; in beiden Fällen werden jedoch mit technologischen Mitteln Bereiche visuell zugänglich gemacht, die für das bloße Auge ansonsten so nicht sichtbar sind. Auch das Mittel maßstäblicher Konfrontation als Effekt der Verfremdung teilen beide Werke, die in Großformate übersetzten mikroskopischen Aufnahmen Richters ebenso wie die der Realitätsebene ihrer Motive entgegenstehenden moderaten Formate Celmins’. 1.2.3 Die fotografischen Vorlagen und ihre Übertragung in Malerei Zwar sind Richters frühe Aussagen, er wolle mit Malerei Fotografie herstellen, von Buchloh in ihrer Zuspitzung wohl zu Recht als juvenile Provokation aufgefasst worden59; es zeigt sich bei Richter jedoch ein dezidiertes Interesse an der Fotografie als Medium, das Konsequenzen auch für den Prozess der Übertragung besitzt. Richter fasst die Fotografie als das Ergebnis eines „nicht erkennenden“ Sehens auf. Daraus leitet sich die für den Arbeitsprozess relevante Vorstellung einer möglichst „mechanischen“ Übertragung der Vorlage ins Werk ab, die der Künstler als das „bloße Machen“ dessen, „was man nicht erkannt hat“, bezeichnet.60

58 Vgl. Zweite, Armin: Sehen, Reflektieren, Erscheinen. Anmerkungen zum Werk von Gerhard Richter, in: Gerhard Richter, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Kat. Ausst., K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2005, Düsseldorf 2005, S. 12-100, der sich auf den S. 86-88 auch mit den Werken der Silikat-Reihe befasst. 59 Benjamin Buchloh bei seinem Vortrag „Gerhard Richter. Verdrängungskultur und Erinnerungsbilder um 1965“ am Institut für Kunstgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, 25. November 2009. 60 Vgl. Elger/Obrist: Richter 2008 (Notizen 1964-65), S. 32: „Das Foto gibt die Gegenstände in anderer Weise wieder als das gemalte Bild, weil der Fotoapparat die Gegenstände nicht erkennt, sondern sieht.“ – Richters Haltung dem Stellenwert seiner Motivik gegenüber verändert sich im Werkverlauf; die Referenz auf bestimmte Ereignisse und Motive erklärt er für relevant.

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Rochlitz beschreibt den engen Zusammenhang, der sich hier zwischen der Auffassung der Vorlage und ihrer Wiedergabe durch die Malerei ergibt, als diskrete Inszenierung des fotografischen Idioms.61 Auch Armin Zweite kommt zu dem Schluss, dass der „Produktionsprozess“ Richters, der die Dazwischenkunft eines beurteilenden Bewusstseins62 auszuschließen versucht und den „umständlichen Erkenntnisprozess“ des ‚Freihandzeichnens’ durch Projektion und Nachziehen der Konturen umgeht, die Übertragung der Neutralität und Banalität der Vorlagen ins Gemälde intendiert.63 Meinhardt bewertet die Werkentstehung bei Richter entsprechend als „gewissermaßen selbsttätig“, als leibliche Tätigkeit, die dem Künstler selbst fremd werde, weil sie nicht auf seine Subjektivität als Ursprung zurück zu projizieren sei.64 Während Richters Werke aus der Auseinandersetzung mit der Fotografie entstehen, ist Celmins’ Verhältnis zu ihren Vorlagen ambivalent: Im Gespräch mit Larsen Ende der 70er Jahre formuliert die Künstlerin einerseits ihr nur geringes Interesse an den medialen oder technischen Eigenschaften der Fotografie und benennt die Vorlagen pragmatisch als Objekte, die außerhalb ihrer Kunst ver-

61 Rochlitz 1999, S. 115: „The painter stages the way in which an image speaks to us and discretely emphasizes his idiom [...].“ 62 Vgl. Meinhardt, Johannes: Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei, Ostfildern 1997, S. 180 für diese Wendung. 63 Vgl. Richters Beschreibung des Übertragungsvorgangs Elger/Obrist: Richter 2008 (Notizen 1964-65), S. 32 und Zweite 1999, S. 94: „Banality, avoidance of the punctum, emphasis on the ‘counter-memory’, that is what Richter sees in the photograph, and he wanted to transfer these principles to painting.“ 64 Vgl. Meinhardt 1997, S. 192

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Abbildung 33: Night Sky #12, 1994-96

© Vija Celmins 2011

Abbildung 34: Gerhard Richter: Silikat, 2003

© Gerhard Richter 2011

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blieben.65 Larsen kommt daher mit Blick auf die ersten selbst aufgenommenen Fotografien zu der Einschätzung, die Vorlagen bildeten den Ausgangspunkt für die Prozesse der Re-Invention, nicht aber deren determinierendes Moment. „The photographs were not ends in themselves but the first stage in fixing an image in order to reconstruct and recalculate it within the format of the painting.“66

Andererseits macht Celmins im Interview 2008 emotionale Komponenten im Auswahlprozess geltend und spricht diese in personifizierender Weise an.67 Ob sich darin eine veränderte Haltung den Vorlagen gegenüber und ein gewachsenes Interesse am Fotografischen ausdrückt, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Von gleichbleibend hoher Bedeutung ist jedoch der Zusammenhang zwischen der Möglichkeit zu genauer Betrachtung der Vorlage und der intensivierten künstlerischen Tätigkeit, der sich in Ocean with Cross als Potenzial der Verlangsamung ankündigte und für To Fix the Image in Memory in ein „Übungsstück für das Sehen“ gesteigert wurde: Die Prozesse der Intensivierung, Formgebung und „Anreicherung“ bei der Herstellung der Night Skies stehen somit in deutlichem Gegensatz zum Arbeitsprozess Richters. Die Oberflächen der Night Skies sind nicht „neutral“, sondern lassen zwei unterschiedliche Formen der Sensibilität und Sichtbarmachung aufeinander treffen, das technischpräzise, als objektivierend verstandene Ergebnis lichtsensibler Chiptechnologie und die zeitintensiven – in dieser Hinsicht mit dem ausführenden Subjekt verbundenen – Prozesse der malerischen Übertragung. Celmins fasst diese Konfrontation im Gespräch mit Vogel zusammen: „Ein Bild aber ist eine kleine messbare Oberfläche mit einer physischen Erfahrungsebene. Graphit oder Farbe haben eine andere Sensibilität als eine Fotografie. Bilder sind nicht so schnell wie Fotografien, sie sind viel konzentrierter, und man kann die Herstellung fast nacherleben.“68

Dem von Celmins als „kalt“ apostrophierten wissenschaftlichen Bild setzt die Künstlerin die Vorstellung einer „Erwärmung durch Materialwerdung“ im Ge-

65 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 38: „I am not too interested in photography myself. I use the photo but it remains outside my art and is reinvented in completely different terms.“ 66 Larsen 1979, S. 25 67 Vgl. Interview 2008, S. VI 68 Vogel 1997, S. 21

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mälde entgegen.69 Dem entspricht ihre Beschreibung der Motiv-Wiedergabe im Interview 2008, wo Celmins die Metapher eines „Wiederaufbaus“ der Fotografie in einem „Kunstraum“ gebraucht.70 Während in Richters Wiedergabe der Fotografie in Malerei der „mechanisierte“ Arbeitsprozess dem Idiom der Vorlage entspricht oder es gar verstärkt und letztlich nicht an den Künstler zurückgebunden wird, versteht Celmins den Akt der malerischen Übernahme als positive, „aufbauende“, hinzufügende und „transformierende“ Leistung. Die Auffassung der Fotografie und der Effekt der Übernahme ins Gemälde verhalten sich somit komplementär zueinander: Die Fotografie erhalte durch das Prozessuale, „Handgemachte“ und „Sensible“ der Übertragung ins Werk eine „andere Qualität“, die sich für Celmins durchaus mit der Körperlichkeit oder „der Hand“ des Künstlers in Zusammenhang bringen lässt: „It is the opposite of being mechanical.“71 Celmins bringt die Malerei durch Materialanreicherungen, durch die verdichteten, rigoros bearbeiteten Oberflächen zu eigenständiger Sichtbarkeit im Gemälde – deren affirmative Qualität lässt deutlich die Verwurzelung im Modernismus spüren; Richter hingegen wählt das Mittel „malerischer Unschärfe“. Das absurde Potenzial72 dieses fotografischen Zitats der Flüchtigkeit zeigt sich auch in Silikat, wo die Präzision der Aufnahme malerisch mit einer die Sichtbarkeit „verwischenden“ oder „auslöschenden“ Geste beantwortet wird. Im Detail zeigen sich somit deutliche Unterschiede in den Auffassungen der spezifischen Eigenschaften von Malerei bei der Übertragung der Fotografie; Celmins und Richter verstehen den Vorgang der Übertragung jedoch beide als Akt der Aneignung und als Herstellung bildlicher Sichtbarkeit – also gleichsam als eine „Aktivierung“ des fotografischen Bildes: Celmins äußert die Überzeu-

69 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 29: „I've been very interested in a cold, scientific image, which tends to transform and warm up as it is remade, the material itself warms it up and puts it in real three-dimensional space.“ 70 Vgl. Interview 2008, S. I: „I like the photographs and then I sort of mimic them and rebuild them in another space, what I would say is an art space.“ 71 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 23: „I thought I could get some sense of form that was more in my body—or from my hand—and that came out of just making.“ Vgl. auch Interview 2008, S. I, wo Celmins diese Eigenschaften auch als Kriterium einer Kunst vorbringt, die sie persönlich schätze: „I usually like people that make things with their hands. So I’m not much of a photography person.“ 72 Vgl. Elger/Obrist: Richter 2008 (Interview mit Rolf Schön 1972), S. 60: „Da Bilder nicht gemacht werden, um sie mit der Wirklichkeit zu vergleichen, können sie nicht unscharf sein oder ungenau oder anders (anders als was?). Wie sollte z. B. Farbe auf Leinwand unscharf sein können?“

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gung, mit der Malerei lasse sich die Re-Aktivierung des „toten“ fotografischen Raums in der „Realität“ und der „Dreidimensionalität“ erreichen73 – Richters Vorstellung einer Bildwerdung der Fotografie in der Malerei scheint dem vergleichbar.74 Rochlitz formuliert dieses Potenzial der Malerei, visuelle Konventionen des Fotografischen sichtbar zu machen, und verweist zudem auf die Konsequenzen für die Sichtbarkeit der bildlichen Information: „Painting is able to attract attention to the technical, plastic and even ideological properties of the photographic image, to the ‘pictorial’ heritage which informs it, to the inferred visual habits it elicits. Here photography ceases to function as the stamp of the real and becomes a sign revealing a way of seeing.“75

Die Night Skies übernehmen demnach bei der Übertragung der Fotografie in Malerei nicht nur das Motiv des Sternenhimmels, sondern machen die tradierte Vorstellung „wissenschaftlicher Distanz“, die der Astrofotografie zu eigen ist, sichtbar und reflektierbar. Darin stehen die in Pittsburgh gesehenen Werke exemplarisch für ein nach der Rückkehr zur Malerei verändertes Bildkonzept im Werk Celmins’, das die Fotografie erneut zu einer eigenständigen Sichtbarkeitsebene des Gemäldes macht. Die Nuanciertheit der Reflexionsweise, zu der Celmins in den Night Skies findet, in der die Vorlagen gleichsam als Subtext präsent sind, ohne dass sie durch fotografische Blickwinkel oder als Objekte explizit gemacht würden, ist ein Beispiel der im reifen Œuvre entwickelten Souveränität und Sensibilität. Das Sichtbarwerden der Fotografie im Gemälde bestätigt die Vorbehalte gegenüber Interpretationen, die Bedeutung unmittelbar an das dargestellte Motiv rückbinden. Die ausgeprägte fotografische Ästhetik insbesondere der schwarzen Night Sky-Paintings lässt die Frage aufkommen, ob nicht die Fotografien von deep skyObjekten hier der eigentliche Gegenstand der Darstellung sind.

73 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 29: „I always think photographic space is dead space.“ 74 Vgl. etwa Elger/Obrist: Richter 2008 (Interview Irmeline Lebeer 1973), S. 81: „[…] ein Foto an sich [ist] schon ein kleines Gemälde, ohne es dennoch ganz zu sein, was irritiert und dazu anregt, es endgültig in ein Gemälde zu verwandeln.“ 75 Rochlitz 1999, S. 105

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1.3 Das Verhältnis der Sichtbarkeits- und Reflexionsebenen der Night Skies Das Aufeinandertreffen von prinzipiell tiefenräumlicher Lesbarkeit des Motivs mit einer seit den 70er Jahren immer stärker zu eigenständiger Sichtbarkeit gebrachten Materialität ist für Ocean with Cross als Verschränkung von Bildebenen charakterisiert worden. Unter den veränderten Bedingungen der Ölmalerei lässt sich das Verhältnis von Motiv und Fläche in den Night Sky-Gemälden als Konfrontation beschreiben. Hinzu kommt, dass die subtile malerische Reflexion auf die zugrundeliegenden Aufnahmen, wie sie im vorangegangenen Kapitel thematisiert wurde, die Komplexität des Bildraums erhöht. Um zu einer Analyse der komplexen Visualität der Night Skies zu gelangen, sind die einander im Gemälde überlagernden Sichtbarkeitsebenen der motivischen Dimension, der fotografischen Ästhetik und der „effektschaffenden materiellen Realität des Gemäldes“ differenziert zu behandeln und auf ihr Verhältnis zueinander zu untersuchen.76 Im Folgenden werden deshalb zunächst die divergierenden Erwartungen an die Gemälde zwischen Oberflächenpräsenz und motivischer Ebene betrachtet und in Relation zu den Effekten der fotografischen Sichtbarkeitsebene der Night Skies gestellt. Daran anschließend wird das Verhältnis von Motiv, Vorlage und Malerei zum einen unter der Perspektive der in den späten 70er Jahren einsetzenden Repräsentationskritik untersucht: Die Night Skies sind hier als „Bilder, die Bilder voraussetzen“ verstanden; zum anderen kommt der Malerei als differenziellem Medium im Verhältnis zum Motiv genauere Aufmerksamkeit zu. Dabei ist der Gedanke Rochlitz’ weiterzuverfolgen, der den Moment, in dem die Malerei eine Seh-Weise der Fotografie als fotografische Ästhetik offenbar werden lässt, mit einer Entfremdung vom motivischen „Inhalt“ in Verbindung gebracht hat.77 Um dann im weiteren Verlauf der Arbeit eine differenzierte Beurteilung des motivischen Stellenwerts zu ermöglichen, werden außerdem die Überlegungen zur Evidenz des Motivs durch Argumente ergänzt, die für eine funktionale Motivauswahl sprechen. Auf dieser Basis kann zum Abschluss des Kapitels die „Überlagerung“ von Sichtbarkeitsebenen als ein Charakteristikum der Visualität der Night Skies näher betrachtet werden.

76 Vgl. Meinhardt 1997, S. 180, der in Bezug auf Richters Fotobilder vier Dimensionen unterscheidet, die Sujet-Ebene, die Flächenorganisation, die „effektschaffende materielle Realität des Gemäldes“ und die „fast mechanische Ausführung der Malerei“. 77 Vgl. das Zitat Rochlitz’ 1999, S. 105, Kapitel V.1.2.4

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1.3.1 Malerei und fotografische Ästhetik: Gegenspieler der motivischen Sichtbarkeit? Die Sichtbarkeitsebene der Fotografie ist der verdichteten Materialpräsenz der Oberfläche in einem Verhältnis der gegenseitigen Überlagerung verbunden. Als malerisch erzeugtes Phänomen ist sie sowohl ein Effekt der Glätte und des Schimmers der Gemäldeoberfläche als auch durch die Präzision der Strukturgebung bestimmt. Die Präsenz der Oberfläche und die Betonung ihrer Materialität lassen für die Gemälde einerseits eine Zugehörigkeit zur modernistischen Tradition vermuten, andererseits sind durch das Motiv des Sternenhimmels kulturell geprägte Schemata berührt: Im Zusammenspiel mit der verhaltenen Art der Ansprache der Werke weckt die Motivebene Erwartungen an subjektive Projektionsmöglichkeiten, etwa an die melancholische Gestimmtheit eines Night SkyGemäldes oder an mit dem Motiv assoziierte Deutungsdimensionen, wie sie in Kapitel V.1 angesprochen wurden. Hickey unternimmt es in seinem Essay, das Aufeinandertreffen dieser komplementären Erwartungen zu beschreiben. Da bei der Betrachtung der Werke sowohl die Annahme einer Zugehörigkeit zum Modernismus als auch die Erwartungshaltung, in den Werken Projektionsflächen der Melancholie vorzufinden, enttäuscht wird, spricht der Autor von einem Effekt schleichender „Frustration“. Aufschlussreich ist nun, dass Hickey das Gewahrwerden dieser Entzugsstrategien, mit denen sich die Werke Erwartungshaltungen und Kategorisierungen verweigern, mit dem „allmählich wachsenden Erkennen der intervenierenden Ebene der Fotografie“ in Verbindung bringt: „The works exist in real time, after all, and their arousal and subsequent frustration of romantic and modernist expectations, I think, parallels our growing cognizance of the intervening photographs—of the frail cultural membrane these photographs seem to impose between the plane of natural imagery and the field of the artist's marks.“78

Obwohl die Werke auf den ersten Blick einen romantischen Natureindruck zu vermitteln scheinen, so Hickey, wehre die „fotografische Oberfläche“ bei genauerem Hinsehen „verhalten, aber bestimmt“ die Versuche subjektiver Projektion und Identifikation ab.79 Die ausdruckslose „Wiedergabe der Fotografien“ ver-

78 Hickey 1992, S. 30 79 Vgl. Hickey 1992, S. 30: „[...] however much the work seems to honor, on first glance, the romantic grail of ‘seeing nature plain,’ on second glance, its subtle evocation of the photographic surface quietly but resolutely deflects any projection of ourselves into it—any tendency to subjectively ‘identify’ with it.“

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weigere Hinweise oder Anhaltspunkte auf eine menschliche Dimension der Melancholie und unterbinde eine theatrale Teilhabe des Betrachters.80 „Consequently, whatever soliloquies the paintings might portend remain, at best, only exquisitely immanent.“81

Die malerische Evokation fotografischer Ästhetik erweist sich somit in den Night Skies nicht als Selbstzweck, nicht als ein Interesse an der Fotografie als visuelle Konvention, wie dies für Richter vorauszusetzen war. Vielmehr erscheint die Sichtbarmachung des fotografischen Vorbildes oder seiner SehWeise – um den treffenden Ausdruck Hickeys zu gebrauchen – als „kulturelle Membran“ in einem „Deflektionspotenzial“82 angewendet, das aufgrund der objektiven und distanzierten Qualität, die dem wissenschaftlichen Bild zugeschrieben wird, den Betrachter in seinen Erwartungen „bremst“.83 Nuancierter als die dokumentarische Ästhetik der Desasterbilder im Frühwerk oder die materialbedingte „Brechung“ einer illusionistischen Wirkung des Bildes in den Graphitbildern bereitet die fotografische Ästhetik der Distanz in den Night Skies einer veränderten Wahrnehmung des Gemäldes den Boden, die eine Bedeutungszuschreibung in unmittelbarem Rückbezug auf das Motiv unterläuft. Hickey gelangt aufgrund des von ihm reflektierten, allmählich entstehenden Bewusstseins für die fotografische Zwischenschicht des Gemäldes und deren Effekte zu dem Schluss, die Fotografie konstituiere den eigentlichen „Inhalt“ von Celmins’ Werken, und nicht der Bildgegenstand, das Bild oder seine Referenten; aus dieser „Erinnerung“ an das Fotografische erwachse Celmins’ nahtlose Zu-

80 Vgl. Hickey 1992, S. 30f.: „Celmins’ deadpan rendition of the photograph denies us any clue, any image or mark that might humanize the ‘character’ of this melancholia and allow our theatrical participation in it.“ 81 Hickey 1992, S. 31 82 Dieser Begriff wird hier vom englischen to deflect abgeleitet, da die deutschen Entsprechungen „abwehren“, „abweisen“ zu stark emotional besetzt scheinen. 83 Vgl. Robert Gober in conversation with Vija Celmins 2004, S. 38. Celmins äußert sich hier kritisch, auf ihre Werke würde viel rascher, als sie es sich wünschen würde, „Bedeutung projiziert“; ginge es nach ihr, würde sie dem Betrachter sagen: „Schau es dir an, schau es dir nochmal an, und sieh nochmal hin.“

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sammenführung „romantischer Ikonographie und modernistischer Atelierpraxis zu einer entschieden postmodernen Feier der Äußerlichkeit des Bildes“.84 Was die intellektuelle „Kühle“ der wissenschaftlichen Aufnahmen in dieser Hinsicht auf kognitiver Ebene leistet, wird auf einer optisch-visuellen Ebene durch die materiale Hermetik der Oberfläche als Unzugänglichkeit des Bildes für den Blick ergänzt, wobei es zwischen den ausgeprägten Effekten der dunklen Night Skies und den zugänglicheren grauen Versionen zu differenzieren gilt. Für die dunklen Werke beschreibt Celmins die Erzeugung einer Sichtbarkeit des Materials als eigenständige Schicht auf der Oberfläche: „I think in the last paintings that I did, which were the really dark skies and star fields, the surface of the painting was getting so dense that you couldn’t quite see what the original surface was and then you tended to be drawn right into it and see that it is a made flat surface, and that the painting space is totally closed off. That's the crucial doubleness.“85

1.3.2 Im Umfeld beginnender Repräsentationskritik Bereits die Auseinandersetzung mit To Fix the Image in Memory warf Fragen zum transparenten Verhältnis von Abbild und Vorbild auf.86 Mit den vom Poststrukturalismus inspirierten Ansätzen der Kunstkritik, die in New York Anfang der 80er Jahre beginnen, der bildlichen Darstellungsleistung zeitgenössischer Kunst und ihren Grenzen einen theoretischen Rahmen zu geben, bieten sich auch für die Einbeziehung des Motivs in den Night Skies, für den Umgang mit Vorlagen und für die Intentionen einer Verfremdungsweise, wie sie mit der malerischen Evokation der „fotografischen Membran“ erläutert wurde, neue Möglichkeiten der Reflexion. In seinem 1980 erschienenen einflussreichen Aufsatz The Allegorical Impulse versteht Craig Owens zeitgenössische Werke, die Bilder durch die Reproduktion anderer Bilder generieren, als kritisch in Bezug auf ihre Repräsentationsfunktion: „The appropriated image may be a film still, a photograph, a drawing; it is often itself already a reproduction. However, the manipulations to which these artists subject such

84 Vgl. Hickey 1992, S. 30: „[…] it is the memory of the photograph that facilitates Celmins' seamless conflation of romantic iconography and modernist studio practice into a distinctly post-modern celebration of the exteriority of the image.“ 85 Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne 1995, S. 40f. 86 Vgl. die Hinweise auf Re-Fotografie und Appropriationskunst in Kapitel IV.1.2.3

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images work to empty them of their resonance, their significance, their authoritative claim to meaning.“87

Die Mechanismen, die eine Transparenz der Bedeutung zwischen einem Zeichen und dem von ihm Bezeichneten ins Opake abgleiten lassen können, beschreibt Owens im Rückgriff auf Barthes Eisenstein-Aufsatz, der drei Arten von Bedeutungsgehalt in Referenzbeziehungen ausführt. Auf der ersten Ebene, die Owens als „literal meaning“ einführt, wird eine Transparenz des Zeichens auf das Bezeichnete angenommen: „It unproblematically assumes the reality of what it denotes […]“88. Die folgende symbolische Ebene, in der Bedeutung durch Emphase und Hinzufügung von ästhetischem Wert nahegelegt wird, identifiziert Owens mit Formen des Rhetorischen. Auf der letzten Ebene schließlich beschreibt Barthes ein Signifikat ohne Signifikant als eine Form „beschränkter“ Bedeutung: „The obtuse meaning is a signifier without a signified, hence the difficulty in naming it. My reading remains suspended between the image and its description, between definition and approximation. If the obtuse meaning cannot be described, that is because, in contrast to the obvious meaning, it does not copy anything—how do you describe something that does not represent anything?“89

Das Bild wird hier von Barthes als „reines“, seiner Referenzialität entkleidetes Bild entworfen, ein Gedanke, den Owens zunächst in seinem Verhältnis zum modernistischen Formalismus darstellt, um dann ein „postmodernes“, kritisches Potenzial im Umgang mit Bildlichkeit aufzuzeigen: „Postmodernism neither brackets nor suspends the referent but works instead to problematize the activity of reference. When the postmodernist work speaks of itself, it is no longer

87 Owens, Craig: The Allegorical Impulse. Toward a Theory of Postmodernism, in: Wallis, Brian (Hrsg.): Art After Modernism. Rethinking Representation, Boston, Massachussetts, 5. Auflage 1991, S. 203-235, hier: S. 205 (Wiederabdruck aus October, no. 12 (Spring 1980), S. 67-86, und no. 13, (Summer 1980), S. 59-80) 88 Owens 1991 (1980), S. 231 89 Barthes, Roland: The Third Meaning. Research Notes on Some Eisenstein Stills (1970), in: Heath, Stephen (Hrsg.): Image-Music-Text, New York 1978, S. 52-68, hier: S. 61

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to proclaim its autonomy, its self-sufficiency, its transcendence; rather, it is to narrate its own contingency, insufficiency, lack of transcendence.“90

Owens sieht in zeitgenössischen Formen der Nachahmung [mimicry] nicht ein „reines Bild“ inszeniert, sondern die Repräsentation zur Dekonstruktion ihrer selbst verwendet. „We thus encounter once again the unavoidable necessity of participating in the very activity that is being denounced precisely in order to denounce it.“91

Als Beispiele nennt der Autor mit Sherman und Levine zwei Künstlerinnen, für deren Werke die von den October-Autoren beschriebenen „Strategien der Appropriation“ ein theoretisches Fundament geschaffen hatten. Dieses Zusammentreffen von Kunstkritik und Kunstwerk, in dem sich zu Beginn der 80er Jahre eine Lesart und ein Verständnis für den beschriebenen Umgang mit Bildlichkeit formt, bezeichnet einen der von Relyea genannten Momente des Wiedereinsetzens von Theoriebildung.92 Ohne die Night Sky-Paintings nun in unmittelbarer Weise als Beispiele postmoderner Repräsentationskritik kategorisieren zu wollen, bietet dieses Denken über Bildlichkeit und Repräsentation mit der Frage und Fraglichkeit von Referenzialität nicht nur Anhaltspunkte für die kritische Auseinandersetzung mit der Annahme einer „metaphorischen Bedeutungsschwere“93 der von Celmins verwendeten Motive; das Umfeld repräsentationskritischer „Strategien“ bietet außerdem neue Reflexionsweisen für die seit 1965 ohne tiefgreifende Brüche erfolgte „Aneignung“ des fotografischen Vorbildes im Werk Celmins’. Allerdings sind die von Celmins vorgenommenen Formen der Verfremdung, die eine „Kritik“ der Repräsentationsleistung des Bildes bedeuten könnten, untrennbar mit dem Medium der Malerei verbunden und weisen somit tiefgreifende Unterschiede im Vergleich zu den zumeist fotografischen Aneignungsstrategien einer nachwachsenden Künstlergeneration auf: Malerei verfremdet die fotografische Vorlage in der Umsetzung und ist zudem kein Appropriationsmedium im Sinne Owens’, da sie mit Authentizität und Originalität assoziiert wird.94

90 Owens 1991 (1980), S. 235 91 Owens 1991 (1980), S. 235 92 Vgl. Kapitel III.2 93 Vgl. die Einführung zum Interview Enrights von Walsh 2003, S. 21 94 Vgl. Foster, Hal: Re: Post, in: Wallis, Brian (Hrsg.): Art After Modernism. Rethinking Representation, Boston, Massachussetts, 5. Auflage 1991, S. 189-202, hier: S. 197

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Zwei Jahre nach den Ausführungen Owens’ befragt Foster den Status der Malerei im Abbildungsvorgang, wenn er neben Formen der Repräsentationskritik auch Möglichkeiten einer Kritik der Repräsentationsweise in Erwägung zieht. „[Are] the given mediums not mediated? That is to say, is a medium such as painting given as static and neutral, or is it in fact re-formed, re-presented, in and by the very forms that it mediates?“95

Dass sich Celmins’ Handhabung des Mediums der Malerei nicht einem „statischen und neutralen“ Verständnis zurechnen lässt, ist bereits deutlich geworden. Ist Malerei bei Celmins aber deswegen als differenzielles, kritische Reflexion ermöglichendes Medium richtig verstanden? Oder wäre die investierte Zeit- und Aufmerksamkeitsintensität nicht vielmehr als Kritik am „Mythos“ der Originalität aufzufassen, die sich aufgrund der Unmöglichkeit, das Kritisierte zu ersetzen, durch seine Anwendung hindurch artikuliert?96 Die Äußerungen der Künstlerin und die affirmative Haltung, die die Werke dem Medium gegenüber spüren lassen, geben hier eine recht eindeutige Antwort und scheinen die – von Foster zwar kritisch betrachtete, aber dennoch für das Œuvre Celmins’ plausible – Anwendung der Malerei als authentisches Medium zu bestätigen.97 Darin setzen sich die Werke auch deutlich von anderen figurativen Malweisen ab, wie sie etwa die von Rose organisierte und von Crimp kritisierte Ausstellung American Painting: The Eighties98 versammelte.

(Reprint mit leichten Veränderungen des Autors aus Parachute 26 (Spring 1982), S. 11-15): „Appropriation, textuality … these tactics seem to preclude mediums whose logic is based on authenticity and originality.“ 95 Foster 1991 (1982), S. 197 96 Vgl. Foster 1991 (1982), S. 197: „Such a critique, however, cannot hope to displace these forms; at best, it indicts them as ‘mythological’ and stresses the need to think and represent otherwise.“ 97 Vgl. Foster 1991 (1982), S. 197: „Recently, of course, we have witnessed a resurgence in painting, not only a revival of old modes as if they were new, but also a retreat to old values as if they were necessary. Much of it is regressive—or rather, defensive. In the midst of society suffused with ‘information,’ many seem to regard painting—its specificity—as critical.“ 98 Vgl. American Painting. The Eighties. A Critical Interpretation, Rose, Barbara (Hrsg.), Kat. Ausst., Grey Art Gallery New York 1979, New York 1979

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1.3.3 Malerei als differenzielles Medium und die Frage nach der Evidenz des Bildes Bereits in der knappen Abgrenzung vom Fotorealismus ist angedeutet worden, dass Celmins und Richter eine Auffassung der Malerei als differenzielles und potenziell reflexives Medium teilen. Die Fragen der Repräsentationskritik und „postmodernen Problematisierung von Referenzialität“, wie sie sich angesichts des ins Gemälde übertragenen Motivs und der malerisch zitierten fotografischen Ästhetik aufdrängen, stellen sich für das Werk Celmins’ wie auch für Richter also unter der Voraussetzung der Malerei als „effektschaffendem Medium“: Zwar wurde die Übertragung von Vorlagen in Malerei als „aktivierend“ im Hinblick auf eine Seh-Weise des Fotografischen beschrieben; im Folgenden aber soll der Frage nachgegangen werden, was der in der Fotografie transportierte Bildinhalt dabei an Evidenz bewahrt. Rochlitz vertritt die Auffassung, im Werk Richters werde die Fotografie – hier ist das gezeigte Motiv angesprochen – durch die Malerei im Gemälde von einem Zeugnis der Realität auf ein „emblematisches Zeichen“ reduziert: „For Warhol and Richter, photography’s indicial contingency has itself become a pictorial sign, and thus at the same time, from being testimony of factual existence, has become an emblematic sign.“99

Aufgrund dieser Veränderung des „naturalistischen, naiven und ‚transparenten’ Charakters“ einer fotografischen „Realität“ im Gemälde sieht Rochlitz eine Verwandtschaft der Fotobilder Richters mit den Werken Warhols, Shermans oder Jeff Walls gegeben.100 Bei Richter wie bei Celmins ist die Problematisierung des Bildes jedoch weniger mit einer Leistung der fotografischen Vorlage als mit deren Behandlung durch die Malerei zu verbinden. Meinhardt sieht bei Richter die „Realität“ der Fotografie durch die Realität der Malerei im Sinne eines Zurückdrängens in Frage gestellt101. Richter selbst formuliert die Funktion der Malerei als ein „Aufsplittern“ des Bildes in seinen fotografischen und seinen „rein bildlichen“ Anteil:

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Rochlitz 1999, S. 104

100 Vgl. Rochlitz 1999, S. 104: „With the work in the field of photography undertaken by Warhol and Richter, Cindy Sherman, Jeff Wall and their successors, photographic ‘reality’ at once acquired an entirely different status and lost its naturalistic, naïve and ‘transparent’ character.“ 101 Vgl. Meinhardt 1997, S. 183

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„Das Bild ist das Abbild, und die Malerei ist die Technik dazu, um es aufzusplittern. Jetzt gibt es die Malerei einerseits und die Fotografie, das ist das Bild an sich, andererseits.“102

Die als vorgefundenes Bild gebrauchte Fotografie habe im Gemälde „fast keine Realität“ mehr, sei „fast nur Bild“, dem „keine eigene oder nur eine sekundäre“ Bedeutung anhafte.103 Nach Richters Vorstellung wird die Fotografie, die als transparent auf ihren Gegenstand vorausgesetzt wird, durch die Übertragung in Malerei zum Objekt; indem sich dabei „der Bericht des Bildes“ verändert, impliziert Richter hier ebenfalls ein Opakwerden der Bildinformation.104 Bei Celmins finden sich vergleichbare Vorstellungen: Wie für Richter geht die Einbeziehung des Motivs ins Werk mit einer Auflösung oder Schwächung von dessen Realitätsbezug einher, die Celmins als Distanzierung der unmittelbaren Erfahrung beschreibt: „The ocean is like a ghost somewhere and what's in front of you is the real thing. I don't want to have the kind of illusionism where you're imagining yourself on the water.“105

An die Stelle der „geisterhaft“ gewordenen Realitätsebene tritt für Celmins die Realität von Bildverhältnissen, des Herstellungsprozesses und der zweidimensionalen Leinwand. Obwohl Larsen in ihrer Einschätzung des motivischen Stellenwertes noch nicht auf entsprechende Diskurse der Repräsentationskritik zurückgreifen kann106, sieht die Autorin bereits in den Graphitbildern Celmins’ eine „Befragung der Identität des Bildes“ gegeben:

102 Elger/Obrist: Richter 2008 (Interview mit Jonas Storsve 1991), S. 278 103 Vgl. Elger/Obrist: Richter 2008 (Interview mit Jonas Storsve 1991), S. 278 104 Vgl. Elger/Obrist: Richter 2008 (Notizen 1964-65), S. 30: „Das Foto kann darüber hinaus als Bild gesehen werden, der Bericht bekommt dabei eine andere Bedeutung.“ Vgl. hier auch S. 33f.: „Als Bericht über die Wirklichkeit ist für mich das Darzustellende unwichtig und ohne Sinn, obwohl ich es so sichtbar mache, als sei es wichtig […], die Darstellung erhält nur einen anderen Sinn, sie wird zum Vorwand für ein Bild.“ 105 Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 25 106 Als ein wesentliches Datum repräsentationskritischen Denkens hat die PicturesAusstellung Crimps 1977 zu gelten, auf die bereits verwiesen wurde.

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„Self-evolving and self-questioning, Celmins probes the identity of the pictured image, its existence within the graphite surface of a drawing, as a work of sculpture in real space, as an object on a painted plane.“107

Die Befragung des Bildes, die die Graphitarbeiten zwischen dem referentiellen Bezug auf die Realität und der Realität seiner „Materialisierung“ auf der Oberfläche vornehmen, ist in den Night Skies in erhöhter Komplexität wieder aufgenommen: Das Motiv tritt hier nicht nur im Überlagerungszustand mit seiner Materialwerdung, sondern auch mit einer fotografischen Ästhetik auf. Der Malerei kommt der Effekt der „Denaturalisierung der rhetorischen Transparenz der Fotografie“108 zu, so dass die Präsenz der fotografischen Zwischenschicht im Werk unmittelbarer erscheint als die der „Realitätsebene“ des Motivs. Meinhardts Beschreibung des Effekts bezieht die Konsequenz der Vieldeutigkeit des Gemäldes ein: „Ein Gemälde transzendiert also nicht das Abbild, etwa das Photo, sondern sprengt dessen referentielle Evidenz auf und wird vieldeutig und unverständlich.“109

In der Doppelung der Fotografie durch die Malerei liegt mithin ein reflexives Potenzial begründet, das die „Evidenz“ des Bildes, das Unausweichliche des Wiedererkennens, durch andere Sichtbarkeiten bricht.110 Die Werke werden zu „Bilder[n] über Bilder und die Wahrnehmung von Bildern“.111 Nachdem nun dem Anteil der fotografischen Sichtbarkeitsebene am Reflexionspotenzial der Malerei und den Verfremdungseffekten in Bezug auf die motivische Evidenz Beachtung zukam, ist noch die abstrakte Wirkungsdimension anzusprechen, die sich aus dem hohen Bewusstsein für die Materialität und die Herstellungsprozesse bei der Wiedergabe des Motivs erklärt. Im Essay Bakers

107 Larsen 1979, S. 19. 108 Vgl. Kantor 2005, S. 21: „Vija Celmins is another artist who sought to denaturalize the rhetorical transparency of photography through handmade photo-based images.“ 109 Meinhardt 1997, S. 187 110 Vgl. Meinhardt 1997, S. 184: „Photos malen heißt dann: die referentielle oder dokumentarische, subjektlose Wirklichkeit des Photos noch zusätzlich durch die materielle Wirklichkeit des Trägers und des Auftrags zu verdoppeln und zu brechen.“ 111 Vgl. Spieler 2003, S. 34. Spieler konstatiert mit diesen Worten eben jene Differenz zwischen Richter und Gertsch, die in der Betrachtung von Ocean with Cross ebenfalls für Gertsch und Celmins festgestellt wurde und mit noch größerer Deutlichkeit anhand der Night Sky-Gemälde auftritt.

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findet sich ein vereinzelter direkter Hinweis darauf, dass Celmins mit der Übertragung des Sternenhimmelmotivs dessen Herauslösung aus einem „Klischee“ intendieren könnte.112 Bereits die fotografischen Vorlagen setzen bestehenden Vorstellungen des Betrachters – seien sie im Sinne einer Verfügbarkeit „im Fernsehen, in Magazinen und auf Briefmarken“ oder in einer kulturhistorischen Dimension geprägt – eine Ästhetik der Distanz und Nüchternheit entgegen. „Klischees“, die sich mit dem „evidenten Bild“ verbinden, werden jedoch auch durch die im Werk noch wahrnehmbare hohe Intensität der Übertragung „deflektiert“, so dass die Wirklichkeit der Malerei neben die noch näher zu bestimmende motivische „Realität“ tritt. Erneut spielt hier die Vorstellung der Künstlerin von einer „Verlangsamung“ des Bildes eine Rolle, wie sie anhand von Ocean with Cross dargestellt wurde. Die malerische, tätige Übertragung der Vorlage treibt dabei den „inhärenten Abstraktionsgrad“ des Motivs hervor – eine Eigenschaft, die sich, wie Kantor in Bezug auf Closes’ Portraits herausstellt, selbst in den figurativsten Fotografien finde.113 Dem „schnellen“, „vorgefertigten“ Bild und seiner scheinbaren Evidenz wird somit der verlangsamte Blick der Malerei entgegengesetzt.114 Die Schwächung der bildlichen Evidenz durch Weisen der Verfremdung geht so weit, dass Baker beim Anblick der verdichteten Oberfläche eines Graphit-Sternenhimmels eine „Entleerung“ des Motivs beobachtet. „The longer you study a drawing such as Star Field, 1982, the emptier it looks.“115

Schwarz wiederum gelangt in Bezug auf Night Sky #20 (1999), einem Sternenhimmel in Kohle, zu einer gänzlich abstrakten Lesart: Das Werk erscheine als „Konstellation von hellen Punkten verschiedener Grösse und Dichte, die Räum-

112 Vgl. Baker 1983, S. 65: „Yet she insists that the star field pictures ‘are our images. We see them everywhere—in movies, on billboards, on TV, on stamps.’“ 113 Vgl. Kantor, Jordan: Drawing from the Modern. After the Endgames, in: Drawing from the Modern. 1975-2005, Kantor, Jordan (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 2005/2006, New York 2005, S. 12-56, hier: S. 21: „[...] Close developed a practice that underscored the construction of figurative representation. Creating a computer-like pixilation avant la lettre, Close highlighted the inherent abstractness of even the most figurative photography.“ 114 Vgl. Baker 1983, S. 65: „In drawing them she tries ‘to slow them down so they’re not just a cliché in your mind.’“ 115 Baker 1983, S. 65, vgl. Abb. 18.

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lichkeit evozieren und wieder in sich zusammenfallen lassen. Zusammenfallen in eine Bildoberfläche von überwältigender Dichte […].“116 1.3.4 Eine funktionale Auffassung des Motivs in Konfrontation mit der Faktur? Anhand der Besprechung von Ocean with Cross ist deutlich geworden, dass der Suggestionskraft des Motivs das „Hier und Jetzt“ der Oberfläche entgegensetzt wird. Die Verweigerungsgeste der Motivdurchkreuzung hatte ein planares Gegengewicht zu den tiefendimensional lesbaren Motivstrukturen gebildet und damit die Entwicklung einer Dualität von Motiv und Faktur eingeleitet, die Larsen gegen Ende des Jahrzehnts als ein Streben nach bewusster, modulierter Spannung zwischen Motiv und Form, Figur und Grund, der Realität der malerischen Oberfläche und der Realität des dargestellten Bildes reflektiert.117 Angesichts dieses früh feststellbaren Interesses, einen Ausgleich von Motiv und Faktur herbeizuführen, wird nun, nach der Reflexion auf die Weisen der Verfremdung, mit denen die Malerei in den Night Skies dem Motiv begegnet, ein Blick auf die in ihrer inhaltlichen und konnotativen Bedeutung abgeschwächten Motive eingenommen, der die funktionalen Aspekte des Bildes hervorheben kann. Sowohl der Ozean als auch der Nachthimmel könnten dann als neutrale Räume beschrieben werden, deren Strukturen – die Wellenformationen oder Sterne – Ausschnitte aus einem Kontinuum zeigen, die selbst noch unter Anwendung von Techniken der Abbildung in der Zweidimensionalität eine tiefendimensionale Lesbarkeit bewahren. Larsen sieht daher die unterschiedlichen Motivwelten des reifen Œuvres einander in einer „vergleichbaren räumlichen Erfahrung“ verbunden.118 Mit der Bezeichnung ihrer Motivwelt als „bland“ – als „nichts sagend“ oder „leer“ – spricht Celmins eine Unbestimmtheit ihrer Motive in Hinblick auf Ort und Zeit an, die in der scheinbaren Regellosigkeit einer „höheren Ordnung“, dem

116 Schwarz, Dieter: Vija Celmins. Night Sky #20, 1999, in: Schwarz, Dieter (Hrsg.): Von Edgar Degas bis Gerhard Richter. Arbeiten auf Papier aus der Sammlung des Kunstmuseums Winterthur, Düsseldorf 2000, S. 389; S. 390 zeigt den eine fullpaper Ansicht des in Winterthur befindlichen Night Sky #20. 117 Vgl. Larsen 1979, S. 23: „Celmins set about creating a new equation, to find a state of focused, modulated tension between subject and form, figure and ground, the reality of the painted surface and the reality of the pictured image.“ 118 Vgl. Larsen 1979, S. 31: „Finding equivalent spatial experiences in several other contexts, Celmins began to draw the floor of the desert and the even more elusive spatial realms of constellations and galaxies“

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Unspezifischen der Strukturierung und der Nüchternheit der Vorlagen eine Fortsetzung findet. In ihrer bewussten Minimierung von Verweiskraft durch „fast vollständige Freiheit von Referenzen“119 können diese Eigenschaften auch als Voraussetzungen für ein künstlerisches Interesse an der Herstellung einer Verschränkung von Räumlichkeiten und Lesbarkeiten im Gemälde aufgefasst werden. Im Interview zeigt sich, wie reflektiert Celmins die Neutralität der Bildwelt einsetzt: als unspezifisches „Bild, das man nicht fassen kann“.120 Stärker als die broken surfaces des Ozeanmotivs – oder auch die Wüstenböden – erweisen sich die disparaten Sternenfelder als geeignet für eine Verschränkung oder Konfrontation der Lesbarkeiten von Motiv und Faktur: Während das Ozeanmotiv die Wahrnehmung von Tiefendimensionalität im Auge des Betrachters mittels perspektivischer Verkleinerung, Aufhellung am oberen Bildrand oder durch eine Verunklarung der in der Entfernung zu denkenden Strukturen aktiviert, entwickelt die unüberschaubare Vielzahl winziger Markierungen in einer tiefschwarzen oder grauen Fläche allein aufgrund der Konstellation, subtiler Variation der Helligkeiten und geringer Größenunterschiede tiefendimensionale Lesbarkeit und Suggestionskraft. 1.3.5 Überlagerte Lesbarkeiten: Zwischen Motiv und Faktur, Semantik und prozessualer Intensität Die Werke bieten über die Sichtbarkeit des Motivs eine tiefendimensionale, „motivische Lesbarkeit“ an, in der der Sternenhimmel erkannt wird; diese „Lesart des Bildes“ ist auf der Betrachterseite mit den beschriebenen kulturellen „Erwartungen“ verbunden. Mit der eigenständigen Sichtbarkeit der verdichteten Malerei ist jedoch zugleich eine „Lesbarkeit der Faktur“ gegeben, die als disparate, prinzipiell kontinuierliche, abstrakte Streuung heller Markierungen wahrgenommen wird. Diese Verschränkung und Überlagerung von Sichtbarkeiten, Räumlichkeiten und damit Lesbarkeiten ist ein Charakteristikum der Visualität der Werke Celmins’. Das komplexe Gefüge aus Motiv und Faktur, semantischer

119 Vgl. Baker 1983, S. 65: „She chooses images she hopes will ‘force the viewer to stay in the present moment’ while looking at the work by being almost free of references.“ 120 Vgl. Interview 2008, S. XIII: „I could also not do portraits or anything that psychologically complex that would have too much of a relation outside the painting. [...] See, my images tend to be like more bland or something. The image is kind of collected on the work, but it’s an image that you – for a while it’s been an image that you can’t grasp [...].“

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Ebene einer übernommenen Vorlage und der prozessualen Intensität der Übertragung soll im Folgenden in Gegenüberstellung mit dem Werk Hanne Darbovens reflektiert und in seinen Implikationen für die Betrachterwahrnehmung differenziert werden. Hanne Darboven gelangt zu ihrem werkbestimmenden Ansatz bei einem Aufenthalt in New York von 1966 bis 1968. Vom Umfeld der Conceptual Art und Sol LeWitt beeinflusst, arbeitet sie zunächst mit Zahlen und Chronologien, bevor sie ab 1973 auch literarische, wissenschaftliche und publizistische Texte durch Abschreiben in ihre Werke zu integrieren beginnt. Vergleichbar ist beiden Künstlerinnen das Verständnis eines objektivierenden Rückbezugs auf Vorlagen außerhalb des eigenen künstlerischen Systems sowie deren Nutzung als Anlass intensivierter Tätigkeit. Verfahrensbestimmt und prozessorientiert, wie Darboven ihre Vorlagen abschreibt, erachtet sie Deskription und Narration ebenso wie die kognitive Auseinandersetzung mit der Vorlage für unwesentlich.121 Der von Haverkamp in Bezug auf Darboven verwendete Begriff der occupatio kann dabei treffend die Rigorosität des künstlerischen Tuns, vor allem jedoch dessen Abbildung 35: Hanne Darboven: Schreibzeit

© Hanne Darboven Stiftung 2011

121 Vgl. die wiederkehrende und vielfach zitierte Formulierung Darbovens „Ich schreibe, aber ich beschreibe nichts“, u.a. in: Burgbacher-Krupka, Ingrid: Hanne Darboven. Konstruiert, literarisch, musikalisch. The Sculpting of Time, Ostfildern 1994, S. 7

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Dimensionierung als Geistesbeschäftigung bezeichnen, in der sich beide Positionen nahe kommen.122 Die hohe Intensität der occupatio, die für Celmins als Expression der Rigorosität beschrieben und im Werkverlauf anhand von Ocean with Cross und To Fix the Image in Memory in unterschiedlichen Ausprägungen angesprochen wurde, zeigt sich in den Night Skies in der schichtenden Verdichtung des Materials und der zuweilen hermetischen Qualität der Oberflächen. In Darbovens Abschriften wird die occupatio als Sukzession der Schriftspur und in der Installation als „Zeit-Raum“ erfahrbar, was auf die stärker konzeptuelle Ausprägung des Darboven’schen Œuvres und Unterschiede im Werkbegriff hinweist.123 Trotz dieser Unterschiede aber bildet die Intensität der Herstellungsprozesse in beiden Werken ein wesentliches Moment für das Hervortreten des künstlerischen Mediums in der Wiedergabe einer Vorlage. Krüger definiert für Darbovens Schreibzeit124 daher die Konfrontation zweier „Totalitäten“ des Textes: einer Totalität der „Textur“, die sich im Gebilde und texturalen Gefüge begründet, und einer Totalität, die sich „in ‚Sinn’ und ‚Bedeutung’ erfüllt“.125 Entsprechend ließe sich bei den Night Skies von einer Visualität

122 Vgl. Haverkamp, Anselm: Geschichte als Entzug. Die Rekluse am Burgberg, in: Jussen, Bernhard (Hrsg.): Hanne Darboven. Schreibzeit, Köln 2000, S. 135-158, hier: S. 146 123 Kramer, Mario: Hanne Darbovens „mathematische Literatur“, in: Ammann, JeanChristophe (Hrsg.): Hanne Darboven. Ein Jahrhundert. Johann Wolfgang von Goethe gewidmet, Frankfurt am Main 1999, S. 16-18, hier: S. 18: „Hier wird ZEIT schriftlich festgehalten, durch Schreiben nachvollzogen. […] Tagtäglich in rhythmischer Disziplin geschriebene ‚Zeichnungen‘ von seriellem Charakter.“ 124 Schreibzeit entstand ab 1975 in ca. 20 jähriger Arbeit und wurde mehrfach ergänzt. Darboven nutzt Pergaminblätter, die sie einseitig beschreibt; das Werk umfasst ca. 4000 dieser hauptsächlich handgeschriebenen Seiten. Der von Jussen herausgegebene Band bietet Abbildungsmaterial und schildert den Umfang des Projekts: Vgl. Jussen, Bernhard: Geschichte schreiben als Formproblem. Zur Edition der ‚Schreibzeit‘, in: Jussen, Bernhard (Hrsg.): Hanne Darboven. Schreibzeit, Köln 2000, S. 12-42 125 Krüger, Klaus: Die Zeit der Schrift. Medium und Metapher in der „Schreibzeit“, in: Jussen, Bernhard (Hrsg.): Hanne Darboven. Schreibzeit, Köln 2000, S. 43-68. Vgl. S. 44 für die Herleitung über Flaubert, mit dem ein moderner Verfahrensbegriff einsetze: „[…] eine Wende hin zum Text als Textur, dessen Totalität qua Gebilde, qua texturales Gefüge, eine vorgängig in ‚Sinn‘ und ‚Bedeutung‘ sich erfüllende Totalität überlagert und ersetzt bzw. deren Uneinholbarkeit kompensiert.“ (Vgl. hier auch Anm. 4 zu den entsprechenden Erkenntnissen der Literaturwissenschaft.)

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zwischen der Totalität der malerischen Faktur des ins Gemälde übertragenen Motivs und jener, die das Motiv zum Anlass inhaltlicher Deutungen nimmt, sprechen. In Schreibzeit fordert das VorAbbildung 36: Hanne Darboven: handensein von Text zum lesenden Schreibzeit, Detail Nachvollzug des Geschriebenen auf; einer Erfüllung des Textes in Sprache und Sinn steht jedoch die „Textur“ der Schrift entgegen: die visuelle Sukzession der etwa viertausend Seiten umfassenden handschriftlichen Abschriften, aber auch die graphische Überlagerung, die durch die Verwendung von Transparentpapier zustande kommt. Krüger macht geltend, dass das „in seiner permutativen Struktur tendenziell unendliche Textverfahren“ Darbovens als „graphische Oberfläche“ aber immer auch in seiner „qua Sprache semantisch bestimmten Referenzialität“ erfasst wird und dabei © Hanne Darboven Stiftung 2011 nicht eindeutig zu beschreiben ist.126 Stellt man dem die Warnung Schwarz’ gegenüber, Celmins’ Übernahme fotografischer Vorlagen unterlaufe „die Konzentration auf die Präsenz“ und drohe, diese in eine „unendliche Sequenz von Bildern aufzuspalten“127, wird auch hier die Vergleichbarkeit der Verhältnisse offenbar. Die Malerei Celmins’ gibt das Motiv in genauer Übertragung wieder; zugleich entwickeln sich aus der Malerei jedoch Strategien der Verfremdung, die einem „lesenden Nachvollzug“ beziehungsweise einem „Wiedererkennen“ in einer „Totalität des Sinns“ entgegenstehen. Für die zeitliche Dimension, in der die „Textur“ dem „Textsinn“ entgegentritt, sind unterschiedliche Konstellationen denkbar: Haverkamp nimmt für Schreibzeit das Verbleiben der Schriftlichkeit in einem vorsemantischen Stadium an, geht also von der Möglichkeit einer Schriftspur vor ihrer Erfassung durch

126 Vgl. Krüger 2000, S. 60 127 Vgl. Schwarz 1996, S. 77

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„Sprache“ aus.128 Der Effekt des Schreibens und Abschreibens lässt sich jedoch ebenfalls als ein Zurücktreten der Funktion von Schrift als Informationsträger oder leistungsfähiger Speicher der Rede hinter die „Textur“, die graphische Oberfläche des Textes auffassen. Krüger beurteilt das Verhältnis beider Ebenen als eine Überlagerung des Textsinns durch das Hervortreten der „Textur“: Die „in ‚Sinn’ und ‚Bedeutung’“ erfüllte Totalität werde dadurch in ihrer „Uneinholbarkeit“ kompensiert.129 In den Night Skies erscheint die Bildwerdung des Motivs durch ein Sichtbarwerden der Malerei nicht in einem vorsemantischen Stadium „aufgehalten“: Vielmehr wird der Betrachter über das Motiv in seinen Erwartungen angesprochen, so dass von einem Zurücktreten der bildlichen Information hinter die malerisch erzeugte „kulturelle Membran der Fotografie“ die Rede war. Selbst die abstrakteren schwarzen Versionen werden erst nach der von Hickey beschriebenen „Enttäuschung“ von Rezeptionserwartungen in ihrer malerischen Qualität reflektiert – und nur für diese Annahme eines nachgeordneten Effekts ist auch der Begriff der „Verfremdung“ von Sinn und Gehalt anwendbar. Die Visualität der Gemälde ist somit als Zustand der Überlagerung zu beschreiben, bei dem keine der Totalitäten Dominanz zu entwickeln vermag – denn trotz des abstrakten Potenzials eines prozessorientierten Arbeitens und eines konzeptuellen, „reinen Abschreibens“ kann das Bild, kann der Text seiner Semantik nicht vollständig entkleidet werden, da, um mit Krüger zu sprechen, bereits der bloße Verfahrensbegriff der Motivwiedergabe „Strukturen der Semantisierung bzw. der fortgesetzten semantischen Überformung“130 unweigerlich mit einschließt. Einer „Sinnerfüllung“ stehen in den Night Skies wie auch in Schreibzeit das zur Sichtbarkeit gebrachte künstlerische Medium und die darin entwickelten Verfremdungseffekte entgegen. Gerade diese Verfremdungseffekte gegenüber der textlichen oder motivischen Bedeutung definieren das „Abmalen“ oder „Abschreiben“ einer Vorlage bei Celmins und Darboven als „nichtmimetisches Projekt“.131

128 Vgl. Haverkamp 2000, S. S. 144f.: Die ‚Schrift’-Spur vor ihrer Erfassung durch ‚Sprache’ zeige eine „Tiefen- oder Infrastruktur dessen, was in der Legende [dem zu Lesen Gegebenen] als Spur zu lesen ist“. 129 Vgl. Krüger 2000, S. 44 130 Krüger 2000, S. 62 131 Vgl. Krüger 2000, S. 49

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1.4 Verhaltenheit und Unentscheidbarkeit: Die Visualität der Night Skies Innerhalb der eng gesetzten Rahmenbedingungen des reifen Œuvres entwickeln die Night Skies eine spannungsreiche Komplementarität von reduzierter Form und der Evokation visueller Fülle. Die Überprüfung des Verhältnisses der Sichtbarkeitsebenen von Motiv, fotografischer Ästhetik und der Materialität der Oberfläche sowie deren „Lesbarkeit“ zwischen den Totalitäten von „Textur“ oder „Bedeutung“ hat in der Gegenüberstellung mit Darboven den Zustand der Überlagerung – des beständigen Überformens und Unterlaufens – als ein konstituierendes Moment der Night Skies erkennen lassen. Indem die Lesart des Motivs zwar unterlaufen, aber nicht ausgeschlossen ist, die Sichtbarkeit der Fotografie zwar vorhanden, aber durch Malerei erzeugt ist, die Malerei zwar in ihrer Prozessualität in einer verdichteten Oberfläche gespeichert, aber „anhand“ eines Motivs zu eigenständiger Präsenz gebracht ist, zeigt sich in der Mehrdeutigkeit der Visualität, ähnlich wie Meinhardt es für die Fotobilder Richters beschreibt, offen eine „widersprüchliche Vielheit der Sichtbarkeitsebenen“132 im Gemälde. Trotz der Spannung, die zwischen den Ebenen der Bildsemantik und den gegenläufigen optischen Ansprüchen einzelner Sichtbarkeiten entsteht, entwickeln die Night Skies jedoch nicht den von Meinhardt für Richter als Form visueller Subversion benannten „negative[n] Zusammenhang gegenseitiger Neutralisierung“133. Was sich bei Richter durch den Widerspruch zwischen der „unvermeidbaren Positivität der eingesetzten Mittel und der destruktiven Verwendung dieser Mittel“ als Visualität eines systematischen „Weder – Noch“ darstellt134, erhält bei Celmins, geprägt von aufbauenden, verdichtenden, erwärmenden und formgebenden Prozessen, einen affirmativen Charakter: eine Visualität des „Sowohl als Auch“. Im Folgenden ist der Blick von den innerbildlichen Verhältnissen zu erweitern, um die zum Teil bereits im Frühwerk geschaffenen Bedingungen der Art der Ansprache in die Reflexion auf die Visualität der Gemälde einzubeziehen. Daran anschließend werden die Ergebnisse in Bezug auf die Wahrnehmungsproblematik perspektiviert.

132 Vgl. Meinhardt 1997, S. 187 133 Meinhardt 1997, S. 193 134 Vgl. dazu Meinhardt 1997, S. 194, vgl. außerdem Elger/Obrist 2008 (Notizen 1992), S. 283: „Der Prozess des Auftragens, Zerstörens, Schichtens dient nur einer differenzierten Instrumentierung bei der Bilderzeugung.“

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1.4.1 Art der Ansprache Der Verzicht auf explizite Farbigkeit, die Nutzung des moderaten Querformats und die Arbeit mit willentlich „monotonen“, neutralen All-over-Motiven sind als Ergebnisse der Reduktions- und Objektivierungsprozesse dargestellt und in ihrer Bedeutung für die um 1968 verdichteten Rahmenbedingungen einer weitgehend konstanten Bildform des reifen Œuvres erläutert worden. Auch die in den Night Skies von Pittsburgh gewählte Art der Ansprache ist durch diese Verhaltenheit gekennzeichnet. Die Schwärze und Hermetik der dunklen beziehungsweise die vorsichtige Öffnung der grauen Werke wirken im Zusammenspiel mit den schlichten Motivstrukturen unaufdringlich. Wie eingangs beschrieben, wird diese Zurückhaltung im Kontext der Carnegie International und deren medialer Vielfalt als eigene Qualität wahrnehmbar. Es liegt daher nahe, in der Verhaltenheit auch eine Geste des Entzugs und der Abgrenzung zu Abbildung 37: On Kawara: Mar. 3, 1971 vermuten. Der Eindruck beim Betreten des Ausstellungsraums, wenn der Blick über das Nebeneinander der kleinformatigen, zumeist dunkel gehaltenen Werke schweift, erinnert entfernt an die Art der Ansprache an den Betrachter, die On Kawara für seine Date-Paintings wählt. Kawara, sechs Jahre älter als © On Kawara 2011 Celmins und Protagonist der Conceptual Art, beginnt am 4. Januar 1966 mit den Date-Paintings der TODAY-Serie, in der er aufwendig von Hand und in weißer Farbe das Datum des Entstehungstages auf dunkleren Grund malt.135 Die Farbigkeit der Werke variiert zwischen Abstufungen von Blau, Grau und Zinnoberrot bis in dunkles Braun, ohne reines Schwarz zu erreichen. Die Oberflächen der Werke Kawaras sind einheitlich gestaltet und geben weder in

135 „Die unterschiedliche Schreibweise des Datums richtet sich nach der Landessprache des jeweiligen Aufenthaltsortes des Künstlers und somit nach dem Entstehungsort des Bildes, unter der Berücksichtigung der entsprechend gebräuchlichen Abkürzung des Monatsnamens. „In den 60er Jahren“, so vermerkt das Faltblatt des MMK, „entstand fast täglich ein Bild“; seither schwanke die „Jahresproduktion“ zwischen 37 und 241 Bildern.

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Abbildung 38: Installationsansicht der Night Skies, Carnegie International, Pittsburgh 2008/2009

© Life on Mars: 55th Carnegie International, Carnegie Museum of Art, Pittsburgh

Abbildung 39: On Kawara-Raum mit den Date-Paintings im Frankfurter Museum für Moderne Kunst

© Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main

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den präzisen, standardisierten Formen der Datumsschriften noch in den monochromen Flächen Pinselspuren zu erkennen. Den Night Skies sind die Werke außer in Format und Präzision auch im Eindruck materialer Verdichtung nicht unähnlich – stärker als die in Pittsburgh gezeigten Werke Celmins’ entwickeln die Date-Paintings jedoch durch die vier Zentimeter tiefen Keilrahmen und die auch an den Seiten gleichmäßige Bemalung Objektcharakter. Wie in den Sternenhimmeln bleibt auch in den Datumsbildern Kawaras in der objektivierten Form das Handgemachte der Herstellung sichtbar und die Werke geben sich als traditionelle Malerei zu erkennen. Indem ein Date-Painting mit seinen durchschnittlich acht Stunden Entstehungszeit das „Tagewerk“ des als Motiv gewählten Datums repräsentiert, sind die verdichteten Oberflächen jenen der Night Skies zudem im Charakter eines „Zeit-Speichers“ vergleichbar. Kawaras Thematisierung von Zeit steht den Äußerungsformen der Conceptual Art jedoch ungleich näher. Die Werkreihe der Date-Paintings tritt wie die Night Skies als Anzahl kleinformatiger, oft dunkel-monochromer Werke mit hellem „Motiv“ und intensiver Oberflächenpräsenz in Erscheinung. Im Verhältnis von Einzelwerk und Reihe sind sich beide Serien darin ähnlich, dass das einzelne Werk eine gültige Formulierung der variierten „Idee“ darstellt, zugleich jedoch „beharrende Individualität“136 bewahrt. Schwarz spricht diese Werkform als Wiederholung an, „deren Ergebnisse miteinander nicht vergleichbar sind, da jede Handlung Einmaligkeit beansprucht“.137 Der in Pittsburgh durch die Night Skies vermittelte Eindruck kommt der Atmosphäre von Räumen nahe, in denen die Date-Paintings Kawaras im Ensemble zu erleben sind – wie etwa im Frankfurter Museum für Moderne Kunst oder in der Dia:Beacon. Die weitgehende Beschränkung auf Schwarz und Grautöne bei Celmins, die Monochromie Kawaras und die Zurückhaltung der bildlichen In formation, die sich in beiden Fällen zeigt, leisten in einer Hängung, die den repetitiven Charakter der Werke zu erkennen gibt, einer unaufdringlichen Stille Vorschub. Trotz der dezidiert nüchternen, niemals „schwelgerischen“ Ausstrahlung der Werke wird die aus der Art der Ansprache resultierende Atmosphäre bei Kawara wie auch bei Celmins in ihrem Effekt auf den Betrachter wiederholt als „meditativ“ beschrieben.138 Zwar soll nicht ausgeschlossen werden, dass

136 Vgl. für diese Wendung Mario Kramer im Faltblatt zu den Date-Paintings des MMK in Frankfurt am Main. 137 Schwarz 1996, S. 78 138 Vgl. z.B. Kantor 2005, S. 21; vgl. zum Begriff des Meditativen auch Kapitel III.1.2.3

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Abbildung 40: Night Sky #1, 1990/91

© Vija Celmins 2011

dunkle und weitgehend monochrom gestaltete Gemälde im Effekt als „meditativ“ aufgefasst werden können; möglicherweise spielt hierbei jedoch ebenso wie bei der kunsthistorischen Codierung von Gestik und Farbigkeit als „expressiv“ eine tradierte Erwartungshaltung eine Rolle. Celmins verweist darauf, die farbliche Reduktion in ihrem Œuvre habe sich organisch aus der Nutzung schwarzweißer Vorlagen ergeben.139 In den Night Skies wird jedoch offenkundig, wie weit die Ausdrucksmöglichkeiten der Malerei, selbst wenn sich auch hier die Palette auf Grau-Abstufungen beschränkt, über die des Graphits hinausgehen. Der subtile Einsatz von Farbgrundierungen verleiht insbesondere den helleren Night Skies ein Oberflächenleben zwischen warm- und kaltgrauen Bereichen, das im Zusammenspiel mit den weicheren Strukturen den „einladenderen“ Charakter der Werke bedingt.140

139 Vgl. z.B. Vija Celmins im Interview mit Vogel 1997, S. 19: „Erstens waren die Illustrationen schwarzweiß Fotos, und zweitens erhalten die Bilder dadurch einen emotionalen Ton, der nicht aufgepeppt ist.“ 140 Vgl. zum Gebrauch von Farbe auch Schjeldahl 4. Juni 2001, S. 87

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Smith stellt in ihrer Besprechung der Galerie-Ausstellung von 1992 die ersten beiden Werke der Night Sky-Reihe, den schwarzen Night Sky #1 und den grauen Night Sky #2 (beide 1991), einander gegenüber. Night Sky #2 war vor seiner Beschädigung141 ebenfalls Teil der Ausstellung in Pittsburgh und besitzt besondere Strahlkraft. „Compared with the straightforward, almost flat-footed dotting of ‘Night Sky No.1’, ‘Night Sky No. 2’ might be called flamboyant. Its glowing gray surface conjures a night when gentle, translucent fog expands every star in the sky to a soft blur of light.“142

Die größere Offenheit der grauen Night Skies für den Blick und die Assoziationen des Betrachters spiegelt sich auch in Äußerungen Schjeldahls zu dem in Pittsburgh gezeigten Night Sky #17: „I had been perusing ‘Night Sky #17’ (2000-01) for a long while when I began to wonder about the delicate gray haze that spills from its lower right. Might that be an intruding glow of city lights? It might, I realized. With a melancholy thrill, I was struck by the homeless, cold vastness of space.“143

Die Ansprache der Night Skies erfolgt, abhängig vom individuellen Charakter des jeweiligen Werks, zwischen rigoroser Abgrenzung und überraschender Öffnung. Schon für die Graphitbilder konnte gezeigt werden, dass die Oberfläche der Werke aus den Prozessen der Verdichtung und der in der Herstellung erforderten Aufmerksamkeitsintensität zu „Evokationsebenen“ werden, also Effekte entstehen lassen, die sich der charakteristischen Kontrolliertheit und Intention der künstlerischen Entscheidungen im Herstellungsprozess offenbar entziehen. Ebenso wie die Graphitarbeiten eine Unterströmung von Zeitlichkeit und eine

141 Zum Zeitpunkt des Interviews war das Werk nach der Beschädigung durch einen Wachmann zur Restaurierung nach Chicago zurückgekehrt. Vgl. Interview 2008, S. II 142 Smith, Roberta: Seeing Infinity in Little Dots of White, in: The New York Times, 6. März 1992 143 Schjeldahl 2001, S. 87; vgl. auch Princenthal 1995, S. 26, die die Strukturen der Nachthimmel als „Lichtregen“ anspricht, der vom oberen Rand des Gemäldes geradewegs herabfalle. Neben Night Sky #2 (1991) und den in Kapitel V.1.1 beschriebenen Night Skies # 16und #17 (beide 2000/01) gehört auch der in Paris aufbewahrte Night Sky #11 und das Frankfurter Gemälde (Night Sky #15) zu den helleren Versionen.

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Abbildung 41: Night Sky #2, 1991

© Vija Celmins 2011

Abbildung 42: Night Sky #17, 2000/01

© Vija Celmins 2011

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subtile emotionale Gestimmtheit aufweisen, zeigen auch die Night Skies Momente unvermuteter Öffnung. Close spricht von einem Antagonismus zwischen den Zeichen der Strenge und Beschränkung im Werk Celmins’ und dessen materialer Anreicherung und Präsenz: „The paintings are very lush and, at the same time, they're incredibly restrictive.“144

Celmins gibt im Interview zu erkennen, dass sie die Kontrolliertheit der Arbeitsweise auch als „Last“ empfindet; wiederholt äußert die Künstlerin daher den Wunsch, die Werke zu „öffnen“ und entsprechend die Herstellung weniger kontrolliert zu gestalten.145 „I seem to have the hex of doing these overworked, solid things that sometimes are so closed off that you can’t even get in. Why me? It’s so hard to keep up that energy, to keep those things.“146

Das Spektrum an Variationsmöglichkeiten, das die Reihe der Night Skies innerhalb der eng gesetzten Rahmenbedingungen aufweist, ist in Pittsburgh mit den zu hoher Konzentration der Form gebrachten schwarzen Versionen und den „zugänglicheren“ grauen Varianten beschrieben, die Celmins im Gespräch als „konzeptuell“ und „eher romantisch“ umschreibt.147 Das Werk des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, das auf die Evokation einer fotografischen Ästhetik der Oberfläche verzichtet und die Leinwandstruktur sichtbar lässt, stellt innerhalb der Reihe eine weitere Variationsmöglichkeit der Visualität dar.148 Vor dem Hintergrund der Annahme, dass in den Night Skies nicht nur eine komplexe Visualität, sondern auch ein ausgesprochen sensibler Wahrnehmungseffekt angestrebt ist, ließe sich die Entscheidung für eine konzentrierte Bildform und strikte Reduktion der Ausdrucksmittel bei Celmins bis zu einem gewissen Grad auch im Sinne einer Vermeidung visueller „Ablenkung“ auffassen. Darin ergäbe sich eine Nähe zu der Disposition der Werke Reinhardts, die gleicherma-

144 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 12 145 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 23 f.: „[…]I didn't really want to make smart painting, I wanted to get in touch with something that was more mindless. Part of it is intuitive.“ 146 Interview 2008, S. X 147 Vgl. Interview 2008, S. XI: „[…] sometimes I grow a little bit more romantic, sometimes I get a little bit more conceptual.“ 148 Vgl. Abb. 36

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ßen als eine Form des Entzugs wie auch als Appell an den Betrachter verstanden werden können. Diese Ebene der Vergleichbarkeit wird unter der Perspektive der Werkwahrnehmung in Kapitel V.2.2 weiterverfolgt. Celmins’ Reduktionsstreben seit Mitte der 60er Jahre ist in Kapitel II.1.1 mit dem Vorbild Ad Reinhardts in Verbindung gebracht worden. Celmins sieht sich dabei grundsätzlicher von der „positiven Negativität“ Reinhardts inspiriert als von der reduktiven Form, die seine Werke annehmen und in der Corris einen der wesentlichen Einflüsse für viele der Künstlerinnen und Künstler der Generation Celmins’ erkennt.149 Close beschreibt die Anziehungskraft der Gedanken Reinhardts – dessen positive Umdeutung des „Entschlusses, etwas nicht zu tun“ – in einem Interview mit Storr ausführlicher, wobei sich ein weiteres Mal eine Nähe im künstlerischen Denken zwischen Celmins und Close offenbart. „Ad did not influence the way I painted, but he influenced the way I thought. Nothing changed my mind more about how to make art than Reinhardt’s writings. He made the choice not to do something a positive decision and showed how what seems to be negation ends up flipping around and opening doors and making all things possible.“150

1.4.2 Skopische Regime Nachdem die Art der Ansprache als ein wichtiger Teilbereich der Night SkyVisualität reflektiert wurde, soll die zuvor untersuchte Überlagerung von Sichtbarkeitsebenen151 nun eine wahrnehmungstheoretische Ausrichtung erhalten, um im Anschluss die Implikationen der Visualität für das Sehen des Betrachters herauszustellen. Motiv und Oberfläche können als im Gemälde zusammengeführte Räumlichkeiten in Zusammenhang mit visuellen Schemata gebracht werden, um die Überlagerung von Sichtbarkeitsebenen als Visualität der Unentscheidbarkeit in ihren Auswirkungen für die Wahrnehmung des Betrachters zu befragen.

149 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 8: „I don't think I've ever been influenced by his painting, but I have been influenced by his writing.“ Vgl. auch Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 37: „The thing I liked about Reinhardt was his positive negativity.“ Vgl. zum Einfluss Reinhardts auf eine jüngere Generation Corris, Michael: Ad Reinhardt, Wiltshire 2008, S. 130 150 Storr, Robert: Interview with Chuck Close, in: Chuck Close, Storr, Robert (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1998, New York 1998, S. 85101, hier: S. 91 151 Vgl. Kapitel V.1.3.5

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In den Night Skies mit ihren ausgedehnten Motiven und dem geschichteten Farbauftrag entwickelt sich, wie angedeutet, die Verschränkung, die das Material des Graphits zuließ, zu einer Konfrontation von Prinzipien – von Lesbarkeiten, von Betrachter-Erwartungen, aber auch von Räumlichkeiten: So kann die helle Struktur in dunklem Grund des Werks vom Auge zugleich als illusionistische Tiefendimension und faktisch als zweidimensional aufgefasst werden. Dass es sich hierbei um kulturell geprägte Schemata handelt, um unterschiedliche Systeme der Visualität, die sich als Teil einer Geschichtlichkeit des Sehens ausdifferenzieren, macht Martin Jay deutlich, der für seine Analysen den Begriff des „skopischen Regimes“ von Metz entlehnt.152 Die von Jay angesprochenen „Sichtbarkeitsordnungen“153 prägen in einem vor-reflexiven Stadium Wahrnehmungsmodi, die von Technologien oder auch durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen beeinflussbar und damit historisch veränderlich sind, und die für die Betrachtung eines Kunstwerks als vom Betrachter mitgebrachte Seherfahrungen Relevanz besitzen. Ein Charakteristikum von Sichtbarkeitsordnungen besteht laut Foster in deren Anspruch auf möglichst umfassende Gültigkeit in den Darstellungsweisen einer Zeit: „With its own rhetoric and representations, each scopic regime seeks to close out these differences: to make of its many social visualities one essential vision, or to order them in a natural hierarchy of sight.“154

Als das dominante, sogar hegemoniale visuelle Modell der Moderne führt Jay die „Cartesianische Sichtbarkeitsordnung“ ein, die für die bildenden Künste mit dem in der Renaissance geprägten Begriff der Perspektive und für die Philosophie mit der Cartesianischen Vorstellung einer subjektiven Rationalität gleichgesetzt werden könne.155 Jay greift dabei auf Richard Rortys Philosophy and the Mirror of Nature zurück, in der die Cartesianische Sichtbarkeitsordnung als

152 Vgl. Jay, Martin: Scopic Regimes of Modernity, in: Foster, Hal (Hrsg.): Vision and Visuality, Seattle 1988, S. 3-23, hier: S. 3. Vgl. Metz, Christian: Der imaginäre Signifikant. Psychoanalyse und Kino, Münster 2000 (französische Originalausgabe Paris 1977), S. 59; der französische Filmtheoretiker nutzt den Terminus des skopischen Regimes hier, um das Kino von den Bedingungen des Theaters zu unterscheiden. 153 Dieser Begriff wird der Rhetorik des Regimes, die dem konstruktivistischen Paradigma zuzurechnen ist, in dieser Untersuchung vorgezogen. 154 Foster 1988, S. ix 155 Vgl. Jay 1988, S. 4

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kognitionsbasierte Wahrnehmungsform beschrieben wird, so dass die visuellen Informationen also vom Verstand beurteilt würden: „In Descartes’s conception—the one that became the basis for ‘modern’ epistemology—it is representations which are in the ‚mind‘.“156

In der Diskussion der Ergebnisse Jays betont Flynn, bei Descartes sei damit weniger ein optischer Seh-Sinn als ein zerebraler Vorgang in Form von Verstandesurteilen angesprochen: „The mind may survey the brain and then generate a perspective-effect—but not really by sight so much as by mathematical judgement. In fact, Descartes even uses the metaphor of the text: that one reads the brain.“157

Jay beleuchtet zur Klärung des Verhältnisses von kognitiven und tatsächlich optischen Leistungen des Sehens die dualistische Verwendung der Begriffe von Illusion und Beobachtung bei Descartes: Darin spiegle sich zwar die bereits bei Platon anzutreffende Skepsis gegenüber den Illusionen der Sinneswahrnehmung wider; während Platon dem Illusionismus der Sinne jedoch die Vorstellung eines „geistigen Auges“ entgegengesetzt habe, sei der Geist bei Descartes explizit visuell konstituiert. „Descartes uses rhetorical and linguistic explanations that take us away from a purely imagistic notion of the mind’s eye or of actual eyes. But it is almost always done in the service of a strong notion of mental representation where one sees (as he puts it) ‘with a clear mental gaze’.“158

Hier sei, so Jay, weder eine empirische Beobachtungsweise definiert, die etwa im Sinne Merleau-Pontys die binokulare und leibliche Disposition des Sehens betone, noch eine rein rhetorische, semantische, urteilende Alternative angesprochen; Jay präsentiert stattdessen ein drittes Modell:

156 Rorty, Richard: Philosophy and the Mirror of Nature, Princeton 1979, S. 45 157 Vgl. Flynn, Bernard, General discussion, in: Hal Foster (Hrsg.): Vision and Visuality, Seattle 1988, S. 79-85, hier: S. 79 158 Jay, General Discussion 1988, S. 80, Vgl. zuvor S. 79, wo Jay ausführt: „For Descartes the mind contains ‘clear’ and ‘distinct’ ideas, and clarity and distinctness are essentially visual terms. Moreover, the mind perceives natural geometry, which is commensurate with the geometry that underlies our actual empirical sight.“

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„It is a third model, which again I think is parallel to the Platonic tradition of mental representation—of the mind’s eye, of the purity of an optics which is outside actual experience.“159

Diesem Cartesianischen Modell der Sichtbarkeitsordnung stellt Jay in seinen Ausführungen mit dem Bacon’schen „Regime“ ein Sehen der Oberflächenbezogenheit und faktischen Beschreibung an die Seite. Beide Wahrnehmungsmodelle bringt er außerdem in Zusammenhang mit wissenschaftlichen Weltbildern und Erkenntnisweisen: dem subjektiven Rationalismus Cartesianischer Tradition und dem Bacon’schen Empirismus.160 Jay definiert die unterschiedlichen Raumkonzepte und Ebenen der Sinnentfaltung der von ihm angeführten Sichtbarkeitsordnungen tiefendimensionalen Sehens im Cartesianischen Modell und des beschreibenden, oberflächenbezogenen Modells mittels der von Lukács geprägten Begriffe des Realismus und des Naturalismus: „As Lukács describes it, realism deals with typological, essential depths—not with surfaces. Narration produces a typological sense of meaningfulness which goes beyond the scattered and untotalizable facts of a literary text (or perhaps a painting).“161

Während der Cartesianische „Perspectivalismus“ sich in der Betonung des dreidimensionalen Raums vor der Faktizität der zweidimensionalen Oberfläche des Gemäldes als realistisch definiere, sei der Naturalismus einzig an der Oberfläche interessiert und gebe sich mit der Erfahrung von Licht auf der Netzhaut zufrieden, indem er Oberflächenbeschreibungen ohne „Reduktion“ auf eine symbolisch bedeutsame visuelle Tiefe vornehme.162 Zwar stellen sich die Modelle des Realismus und des Naturalismus als komplementär dar; sie bilden laut Jay jedoch auch zwei Seiten eines „Realitäts-Effekts“ – „the one by our belief that reality is depth, the other by simply showing surfaces.“163 Die existierenden unterschiedlichen visuellen Kulturen der Moderne formen nach Jay kein harmo-

159 Jay, General Discussion 1988, S. 80 160 Vgl. Jay 1988, S. 15/16 und Jay, Discussion, in: Foster 1988, S. 24-27, hier: S. 26: „Both modes are also complicitous with a certain kind of scientific thought; indeed, science has gone back and forth between such Cartesian and Baconian notions of where reality lies.“ 161 Jay, Discussion 1988, S. 26 162 Vgl. Jay, Discussion 1988, S. 26 163 Vgl. Jay, Discussion 1988, S. 26

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nisches Ganzes, sondern treten auf einem „umstrittenen Terrain“ in Konkurrenz zueinander.164 Jay plädiert daher für einen bewussten Umgang mit dieser Pluralität skopischer Regime, wie sie die Moderne verfügbar halte.165 Eine reflektierte Haltung gegenüber der Pluralität des Skopischen habe von einer Hierarchisierung der einzelnen Sichtbarkeitsordnungen abzusehen, um zu einer kritischen Würdigung von deren Vorzügen und Nachteilen zu gelangen. In der Abkehr von der „Fiktion“ eines kategorialen, „wahren“ Sehens sieht Jay ein Entwicklungspotenzial für differenzierte „okulare Erfahrungen“.166 „We may learn to wean ourselves from the fiction of ‚true‘ vision and revel instead in the possibilities opened up by the scopic regimes we have already invented and the ones, now so hard to envision, that are doubtless to come.“167

Wenn Celmins nun in ihren Werken ein „Interesse am Illusionismus“ und ein „Interesse an der Arbeit auf einer Fläche“ nebeneinander stellt und aus dieser Konfrontation oder Synthese eine Fragestellung an die Malerei formuliert168, so stellt sie damit gleichermaßen Fragen an das Sehen. In welcher Weise und mit

164 Vgl. Jay 1988, S. 4: „[T]he scopic regime of modernity may best be understood as a contested terrain, rather than a harmoniously integrated complex of visual theories and practices. It may, in fact, be characterized by a differentiation of visual subcultures, whose separation has allowed us to understand the multiple implications of sight in ways that are now only beginning to be appreciated.“ 165 Vgl. Jay 1988, S. 20: „In the case of the art of describing, we might see another reification at work, that which makes a fetish of the material surface instead of the three-dimensional depths.“ 166 Jay 1988, S. 20: „Rather than erect another hierarchy, it may therefore be more useful to acknowledge the plurality of scopic regimes now available to us. Rather than demonize one or another, it may be less dangerous to explore the implications, both positive and negative, of each. In so doing, we won’t lose entirely the sense of unease that has so long haunted the visual culture of the West, but we may learn to see the virtues of differentiated ocular experiences.“ 167 Jay 1988, S. 20 168 Vgl. etwa Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 37: „I'm interested in that constant tension and shifting between the feeling of depth and a strict adherence to the reality of the two-dimensional plane.“ Vija Celmins im Gespräch mit Robert Enright 2003, S. 25: „I'm interested in certain things about working on a flat surface, in certain things about illusionism, of that space that's stopped way down or opened up—in all the things that can happen in a painting.“

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welchen Herausforderungen sich die Night Skies an den Betrachter wenden, ist Gegenstand des nächsten Kapitels.

2. W AHRNEHMUNG UND B ETRACHTERSUBJEKT Die Visualität der Night Skies ist durch zwei Parameter wesentlich bestimmt worden: zum einen von der aus den Prozessen der Reduktion resultierenden nüchternen Verhaltenheit und konzentrierten Form der Ansprache, in der zuletzt eine Voraussetzung für die Verlagerung der Effekte in den Bereich des Subliminalen und gleichermaßen ein Akt des Entzugs wie der Aufforderung an die visuelle Sensibilität des Betrachters vermutet wurde; zum anderen durch die Gegenläufigkeit von Motiv und Faktur, die als Überlagerung skopischer Regime in einer Visualität des „Sowohl als Auch“ beim Betrachter mit der „Cartesianischen“ kognitiven Form des tiefendimensionalen Sehens und der faktischen, oberflächenbezogenen, „empirischen“ Wahrnehmung alternative Schemata anspricht, die für gewöhnlich im Modus des „Entweder Oder“ verarbeitet werden. Um die fraglichen Mechanismen, mit denen die Prozesse der Wahrnehmung des Betrachters aktiviert werden, theoretisch fundieren zu können, wird im Folgenden verstärkt aus rezeptionsästhetischer Sicht argumentiert. Die eingangs beschriebenen Wahrnehmungsprozesse der Night Sky-Paintings lassen sich mithilfe von Zschockes Untersuchung zum irritierten Blick an physiologische Gegebenheiten anbinden, wobei allerdings in Bezug auf Celmins der Begriff der „visuellen Irritation“ zu relativieren sein wird. Das Interesse an der Visualität der Unentscheidbarkeit geht jedoch über die wahrnehmungstheoretischen Erläuterungen hinaus und gilt einem Zustand, in dem Sinn auch losgelöst von den einzelnen Sichtbarkeitsebenen des Gemäldes entstehen und in einem visuellen Erleben aufgehen kann. Darin ist eine Form des Sehens berührt, die unter Umständen nicht mehr an einen externen Referenten gebunden ist und deren Auftreten, Einordnung und kritisches Potenzial im Weiteren befragt wird. Da der Ursprung dieser Phänomene in einem Werk der Malerei liegt, sind außerdem die Grenzen und Möglichkeiten zur Entgrenzung des Mediums angesprochen. Im letzten Abschnitt des Kapitels wird der Rückbezug auf die Frage nach dem motivischen Stellenwert gesucht und in Zusammenhang mit den Sichtbarkeitsereignissen der Oberfläche verhandelt.

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2.1 Unentscheidbarkeit als Raum der Reflexion Eingangs wurde eine Wahrnehmungserfahrung vor den Night Skies in Pittsburgh beschrieben. Der Moment der Unsicherheit bezüglich des Mediums konnte an die malerische Herstellung einer fotografischen Ästhetik angebunden werden; die „Enttäuschung“ der Erwartung an das Wiedererkennen des SternenhimmelMotivs wurde mit einer Verlangsamung des Bildes im Herstellungsprozess und der Verweigerung einer „Totalität des Sinns“ durch das antagonistische Prinzip der malerischen und fotografischen Sichtbarkeitsebene in Verbindung gebracht. Die Seh-Erwartungen an das Gemälde – insbesondere an sein Motiv – folgen, in Anlehnung an Jays Entwurf der „Cartesianischen Sichtbarkeitsordnung“, der kognitiven Disposition von Wahrnehmung, ausgedehnte Strukturen variierender Helligkeit, Größe und Konturierung tiefenräumlich zu begreifen. Der auf den Moment der Irritation hin eintretende, auf definierendes Unterscheiden eingestellte Wahrnehmungsmodus hingegen kann mit der Präsenz der Oberfläche und ihrem Gewahrwerden im „Naturalismus“ eines faktischen Sehens assoziiert werden. Diese Sichtbarkeitsordnungen des kognitiven und des faktischen, oberflächenbezogenen Sehens bilden ein dialektisches Verhältnis und treten in unterschiedlichen, werkspezifischen Intensitätsgraden in Konkurrenz um einen dominanten Modus der Wahrnehmung. Beide Sichtbarkeitsordnungen sind einander gleichsam in einem konstanten Rückkopplungseffekt verbunden, so dass sich der Blick in keiner der Sichtbarkeitsordnungen endgültig beruhigt. Die im Werk gegebene Visualität der Überlagerung lässt sich als ein Beispiel der von Zschocke erwähnten „multistabilen Phänomene“169 verstehen, die der Wahrnehmung „zwei aus denselben Stimuli abgeleitete, gleich plausible, sich aber gegenseitig ausschließende Interpretationen“170 anbieten. Für den Betrachter wird der „Widerspruch zwischen der visuell konstruierten Räumlichkeit“ und der „wahrgenommenen oder gewussten Zweidimensionalität der Oberfläche“ zu einer Visualität der Unentscheidbarkeit.171 Darin wird die Unmöglichkeit offen-

169 Vgl. Zschocke, Nina: Der irritierte Blick. Kunstrezeption und Aufmerksamkeit, München 2006, S. 75: „Es ist auch möglich, dass es dem visuellen System nicht gelingt, zwischen zwei oder mehr alternativen und ähnlich plausiblen Interpretationen zu entscheiden. Es kommt dann in der bewussten Wahrnehmung zu ‚multistabilen Phänomenen‘, also zu spontanen Wechseln zwischen den alternativen Wahrnehmungsmöglichkeiten.“ 170 Zschocke 2006, S. 76 (Zitat angepasst) 171 Vgl. Zschocke 2006, S. 75, die diesen Widerspruch auf S. 76 mit dem sog. NeckerWürfel von Louis Alber Necker, 1832, illustriert.

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bar, zwei gegensätzliche mentale Schemata simultan zu rezipieren. Zschocke spricht hier von einem letztlich evolutionär begründeten „Prinzip der Exklusivität“, aus dem sich eine „Forderung nach Ausschließlichkeit“ des visuellen Systems entwickelt habe, die sich aus dem Bereich der Sichtbarkeitsordnungen auch auf höherstufige Interpretationsleistungen überträgt.172 Entsprechend versucht der Betrachter, der mit der Erwartung an eine eindeutige Sichtbarkeit an die Night Skies herantritt, die Visualität der Unentscheidbarkeit, mit der er konfrontiert wird, in die die kategoriale, „fassbare“ Form einer Sichtbarkeitsordnung zu lenken und zu entscheiden. Anders als im Bereich der Quantenphysik, die tatsächlich Zustände überlagerter Eigenschaften kennt, die gemäß der Erwartungshaltung eines hinzutretenden bewussten Beobachters in einen eindeutigen, messbaren Zustand kollabieren173, entziehen sich die Night Skies einem solchen „Beobachtereffekt“ durch den malerisch entwickelten innerbildlichen Ausgleich, der die Wahrnehmung des Betrachters involviert hält: Dem visuellen System ist eine Entscheidung zwischen den beiden angebotenen, ähnlich plausiblen Interpretationen nicht möglich. Das eingangs beschriebene „Umschlagen“ zwischen den Realitätsebenen des Werks und zwischen den überlagerten Lesarten, das Zschocke als „spontanen Wechsel zwischen den alternativen Wahrnehmungsmöglichkeiten“ anspricht, ist demnach als „aktiver Such- und Reorganisationsprozess“ in Reaktion auf die „Verletzung des Exklusivitätsprinzips“ zu verstehen.174

172 Vgl. Zschocke 2006, S. 77, die auch Hinweise auf neuronale und Wahrnehmungsphysiologische Zusammenhänge gibt; der Hinweis auf die Beeinflussung „höherstufiger Interpretationen“ siehe S. 81f. 173 Gemäß der Heisenbergschen Unschärferelation sind zwei Messgrößen eines Teilchens – etwa Ort und Impuls – nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmbar. Fritjof Capra macht deutlich, dass die „Erwartungen“ des Beobachters bei Messungen quantenphysikalischer Zustände und die „Antwort“ des Mess-Ergebnisses hinsichtlich des Elektronen-Zustandes dabei in unmittelbarem Zusammenhang stehen und dass das Elektron keine vom Bewusstsein des Beobachters unabhängigen Eigenschaften besitzt. Vgl. Capra, Fritjof: Wendezeit. 5. Aufl. München 1996, S. 91 174 Vgl. Zschocke 2006, S. 75; auf S. 76 präzisiert die Autorin: „Da diese visuelle Situation keine endgültige Wahrnehmungsentscheidung für eine der Alternativen erlaubt, werden die konkurrierenden Interpretationen abwechselnd wahrgenommen: das visuelle Bild ‚kippt‘ spontan von der einen Version in die andere.“ Zur Suche nach einer „exklusiven Wahrnehmungslösung“ siehe S. 77.

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„Die erzeugte visuelle Irritation kann daher als die Störung der scheinbaren ‚Transparenz‘ einer (visuellen oder externen) Repräsentation beschrieben werden. Sinneswahrnehmungen und Methoden der Bedeutungszuschreibung, die bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest im Alltag, als verlässlich galten, scheitern am Kunstwerk.“175

Die Anschauung der wahrnehmungslogisch widersprüchlichen Gestalt der Werke löst beim Betrachter einen Reflexionsprozess auf die Sichtbarkeitsereignisse im Gemälde aus.176 Der vorbewussten Suche des visuellen Systems nach einer „befriedigenden Wahrnehmung“ folgt, nimmt man eine zweistufige Wirkung auch der Night Skies an, auf gedanklicher Ebene die Reflexion des Konflikts um die Totalitäten des Bildes in Sinn oder Textur.177 Die Night Skies lösen dabei weniger Zweifel an der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit als Fragen zum „Wesen des wahrgenommenen Objektes“ aus und führen so auch zu einer Reflexion der eigenen Erwartungen an das Gemälde.178 In den von den Night Skies ausgelösten Reflexionsprozessen bestätigt sich Zschockes Einschätzung, dass die künstlerische Strategie der visuellen Irritation immer auch eine „Anregung“ für den Betrachter bedeutet.179 Durch die Befragung der Annahme einer evidenten Sichtbarkeit wird eine qualitative Veränderung der ästhetischen Erfahrung erreicht. Die Aufmerksamkeit des Rezipienten wird zurückgelenkt auf „innere Bedingungen seines visuellen Erlebens und Urteilens“ und die damit verbundenen Erkenntnismöglichkeiten.180 „In diesem Kontext treten (im Alltag unreflektierte) evolutionär, kulturell oder individuell geprägte Bedingungen des Sehens allgemein oder der Rezeption externer Repräsentationsmedien im Besondern in das Bewusstsein.“181

175 Zschocke 2006, S. 260 176 Vgl. Zschocke 2006, S. 265: „Etablierte Kategorien und Denk- und Wahrnehmungsstrukturen werden ihrer Funktionalität beraubt, dringen erst hierdurch in das Bewusstsein und fordern eine kritische Reflexion.“ 177 Vgl. Zschocke 2006, S. 78, die erläutert, wie die Irritation unbewusster visueller Verarbeitungsmechanismen die Irritation des bewussten visuellen Erlebens nach sich zieht. 178 Vgl. Zschocke 2006, S. 80. Die Autorin zeigt, dass ein Betrachter, der „seinen Augen traut“, angesichts einer visuellen Irritation beginnt, Vorstellungen zu hinterfragen, die die Transparenz von Wahrnehmung betreffen. 179 Vgl. Zschocke 2006, S. 17 180 Vgl. Zschocke 2006, S. 80 und S. 260 181 Zschocke 2006, S. 260

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Um die Historizität der im Werk verschränkten visuellen Paradigmen des tiefendimensionalen Sehens und der Oberflächenbezogenheit hinterfragen zu können, muss der Betrachter über die historisch gewordene Erfahrung des Modernismus ebenso verfügen wie über die Kenntnis der „Cartesianischen“ Sichtbarkeitsnorm der Moderne. Die Reflexion auf die Sichtbarkeitsordnungen kann weiterhin deren Bedeutung für die Malerei einbeziehen – das traditionelle Verständnis des Gemäldes als Fenster auf die Welt etwa dürfte die Erwartungshaltung an ein Wiedererkennen des Nachthimmel-Motivs geprägt haben, der Modernismus hingegen versteht sich als visuelle Revolution dieser Norm. 2.2 Das Verhältnis von Werk und Betrachter: Zwischen Entzug und Partizipation Die Wahrnehmungserfahrung eines Werks ist wesentlich geprägt von der gewählten Art der Ansprache, vom Medium und den Prozessen der Herstellung. Der Vergleich der späten, fast schwarzen Werke Ad Reinhardts und der Night Skies offenbart einen vergleichbaren Zusammenhang von „Entzug“ und „Sich zu Erkennen Geben“ des Gemäldes, in dem sich auch die seit den 60er Jahren verbreitete Auffassung der Beziehung von Werk und Betrachter als dialogisch widerspiegelt.182 Reinhardt spricht von einem Geben und Nehmen zwischen Werk und Betrachter, einer zugleich „personalen, impersonalen und transpersonalen“183 Reziprozität, in der sich das Gemälde in seiner spezifischen ästhetischen Erfahrung erst dann „enthüllt“, wenn der Betrachter die Bereitschaft zur Auseinandersetzung damit beweist.184 Die optisch nicht unmittelbar einzuordnende Dunkelheit der „schwarzen“ Werke errichtet für den konsumierenden Blick des Betrachters willentlich eine Barriere, um einen „perceptual delay“185 zu erreichen, der einem Konditionierungseffekt nahe kommt: Ein Besucher, der eine Ausstellung der

182 Vgl. Corris 2008, S. 137: „That an encounter between a spectator and a work of art may be theorized as dialogical or conversational has been a significant aspect of the discourse of art since the 1960s.“ 183 Reinhardt, Ad: Abstract Painting, Sixty by Sixty Inches Square, in: Rose, Barbara (Hrsg.): Art-as-Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, New York 1975, S. 8485, hier: S. 84 184 Vgl. Corris 2008, S. 96 zu Reinhardts Auffassung der Beziehung zwischen Werk und Betrachter: „[...] if you commit yourself fully to the work it will, in due course, reveal itself to you.“ 185 Corris 2008, S. 96

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späten Werke Reinhardts „absolviere“, werde sie nicht „sehen“, so William Rubin, der Kurator MoMA-Retrospektive des Künstlers, der in dieser Form des Entzugs einen generationstypischen Unwillen, „zu schnell verstanden zu werden“, erkennt.186 Sobald der Betrachter jedoch die scheinbar homogen schwarzen Flächen mit Ruhe und Unvoreingenommenheit betrachtet und das Auge die nötige Adaption vollziehen kann, werden subtile Farbabstufungen in dreiteiligen Rastern erkennbar und leiten die „wirkliche Erfahrung“ des Gemäldes ein. In Bezug auf die Wahrnehmungssituation vor den Gemälden Celmins’ spricht Smith von einem vergleichbaren Wechsel der Effekte: Die Werke wirkten aus der Distanz regelrecht „ausdruckslos“ [blank], „belohnten“ den Betrachter bei aufmerksamer Auseinandersetzung jedoch mit einer stillen, emotionalen Intensität.187 Ebenso wie Reinhardt gestaltet Celmins ein Distanz-Verhältnis zwischen Werk und Betrachter, eine visuell-körperliche Erfahrung; und auch bei Celmins stellt die optische Wirklichkeit des Gemäldes dem konsumierenden Blick eine Geste des Entzugs entgegen. Als schweigsam den Betrachter-Erwartungen gegenüber erweisen sich die Night Skies dabei nicht nur durch die verhaltene Ansprache: Durch die Problematisierung von Referenzialität, wie sie der Umgang mit dem Motiv erkennen lässt, und durch die Unterwanderung pikturaler Aussagen in einer widersprüchlichen Visualität sind evidente Deutungen der Werke unmöglich. Zwar spricht auch Meinhardt in Bezug auf die Fotobilder Richters von widersprüchlichen Sichtbarkeiten, versteht diese jedoch als Effekt einer „Destruktion“ von eindeutiger Sichtbarkeit – die daraus resultierende Schweigsamkeit der Gemälde charakterisiert der Autor im Sinne eines Störgeräuschs, das Verständnis „kurzschließt“.188 Die gegenläufigen und überlagerten Sichtbarkeiten der Night Skies hingegen ergänzen die beschriebene „Stille“ der Ausdrucksmittel und die ohne-

186 Rubin, William: Preface, in: Ad Reinhardt, Oldenburg, Richard E. (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1991, New York 1991, S. 7-8, hier: S. 7: „The visitor who ‘does’ the Ad Reinhardt retrospective at three miles an hour will literally not see it, for the purely optical adjustment that Reinhardt’s later paintings posit as a prerequisite to the real experience of the picture constitutes a kind of willed barrier.“ 187 Vgl. Smith 1992 188 Vgl. Meinhardt, S. 188f.: „[…] nur indem im Gemälde jede pikturale Aussage ruiniert, jede Positivität einer Sichtbarkeitsordnung durchbrochen wird, wird es schweigsam; es widerspricht jeder optischen Bedeutung, indem es sie konterkariert; es schließt das Gequassel der Evidenz in einem allgemeinen Rauschen kurz.“

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Abbildung 43: Ad Reinhardt: Abstract Painting (Black), 1960-66

© VG BildKunst/The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

hin verhaltene Ansprache an den Betrachter durch eine Verschwiegenheit auf optischer und kognitiver Ebene. Während der Betrachter vor einem der schwarzen Gemälde Reinhardts die Enthüllung der Seherfahrung „erwartet“, werden der Adaptionsvorgang und die Auseinandersetzung mit den Night Skies von einem Vor- und Zurückschreiten im Raum begleitet, in dem sich bei Celmins ein behutsam erweitertes Verständnis von Betrachterorientierung zeigt. Der Wahrnehmungsmodus verändert sich mit dem Abstand zum Werk. Celmins versteht die Bewegung auf das Bild zu, das anschließende Zurücktreten und die Wiederannäherung als Suche des Betrachters nach seinem Verhältnis zum Werk. 2008 offenbart Celmins eine Auffassung von einem „Eigenleben“ des Gemäldes, die über einen reinen Objektbezug hinausgeht.

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„I’m very wall related. You go up to the painting with your body and then with your eyes, you have to find the relation where the painting works for you. The painting has a life that is quite thorough, you step back… it’s a relationship between you and the painting.“189

Anders als beispielsweise in den Rauminstallationen James Turrells, von denen noch die Rede sein wird, beschränken sich die Werke Celmins’ bewusst auf den Wandbezug. Sie initiieren keine Handlung, sondern entfalten sich in einer rein visuellen Auseinandersetzung, für die allerdings der Abstand zum Werk von Bedeutung ist. Die Herstellung einer Beziehung und die subjektive Erfahrung des Betrachters „vervollständigen“ das Werk nach Auffassung der Künstlerin: „My work does not exist in a world of its own. It is for the spectator. […] It asks participation to come alive. I mean spatial, visual participation. The body, the eyes complete the work.“190

Als optisch initiierter Vorgang ist der hier gestaltete Anschauungsbezug, der hinsichtlich der intendierten Qualität der Selbsterfahrung des Betrachters etwa vom leiblichen Erleben in einem Handlungsbezug abzugrenzen ist, weithin selbstvergessen und „leibvergessen“.191 Für die Gestaltung des Anschauungsbezugs ist die Art der Ansprache von wesentlicher Bedeutung. Krauss weist darauf hin, dass die reduzierte Bildform Reinhardts nicht nur seine Haltung der „Kunst-als-Kunst“ widerspiegelt, sondern zur Voraussetzung einer visuellen Erfahrung wird. „For all that he might reiterate his art-as-art position, insisting on the formless, directionless, colorless, textureless, spaceless, relationless condition of the black squares, Reinhardt nonetheless seemed to think of Art as opening up some kind of back door in the mind, an expanding, pulsing awareness of the visual process itself.“192

189 Interview 2008, S. III 190 Vija Celmins im Gespräch mit Chuck Close 1992, S. 46 (Close zitiert hier aus unveröffentlichten Aufzeichnungen der Künstlerin). 191 Vgl. Graulich, Gerhard: Die leibliche Selbsterfahrung des Rezipienten. Ein Thema transmodernen Kunstwollens, Essen 1989, der eine Vielzahl von möglichen Bezugssituationen von Kunstwerk (hauptsächlich Plastik) und Rezipient in ihrem Wandel nachvollzieht. Zur Differenz von Körper- und Leiberfahrung und deren phänomenologischer Behandlung, vgl. S. 172/173. 192 Krauss 1991, S. 123

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In der Nachfolge Reinhardts erscheint auch bei Celmins die Entscheidung für die reduktive Bildform nicht mehr allein aus dem modernistischen Projekt einer Selbstanalyse der Malerei in einer „ontologischen Reinigung“193 entwickelt. Die Vereinheitlichung der Farbwerte bis in die Nähe des Monochromen, die auch in den Night Skies festzustellen ist, lässt sich darüber hinaus mit Bois als Voraussetzung dafür verstehen, „das Subliminale sichtbar zu machen“.194 Einen solchen Effekt, in dem der Reduktionismus nicht im Sinne seiner ursprünglichen Intention das Wesen der Malerei freilegt, sondern gerade die irreduzible Differenz der Wahrnehmung besonders deutlich artikuliert, sieht Meinhardt in den Grauen Bildern Richters gegeben.195 Krauss folgt einer ähnlichen Überlegung, wenn sie in den Werken Reinhardts nicht nur die prozesshafte Entwicklung der Wahrnehmung und eine Entgrenzung der Gemälde durch das „unendlich langsame Pulsieren“ der Wahrnehmungswechsel thematisiert, sondern die Black Paintings als Bestätigung dafür auffasst, dass Wahrnehmung das zur-Kenntnis-Nehmen der reinen Differenz sei.196 Dieser Gedanke scheint unmittelbar auf das reife Œuvre Celmins’ übertragbar: To Fix the Image in Memory stellt den Betrachter vor die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen natürlichem und nachgeschaffenem Stein, spricht die Wahrnehmung also in ihrem Differenzierungsvermögen an; und auch die Visualität der Unentscheidbarkeit, wie sie den Night Sky-Paintings zu eigen ist, erweist sich als Herausforderung für die Betrachterwahrnehmung. In der Wirkung auf die Wahrnehmung des Betrachters kommen sich die späten Werke Reinhardts und die Night Skies durchaus nahe: Wie die Black Paintings verlangsamen die Night Skies den Betrachter durch die Geste des Entzugs

193 Vgl. Meinhardt 1997 S. 182 194 Vgl. Bois, Yve-Alain: The Limit of Almost, in: Ad Reinhardt, Oldenburg, Richard E. (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1991, New York 1991, S. 11-33, hier: S. 25: “The first step in this direction (to make subliminality visible) is the equalization of values and the use of the near monotone.“ 195 Vgl. Meinhardt 1997, S. 185 196 Vgl. Krauss 1991, S. 123: „The black paintings become the vehicle for the staging of this ‘it’ that one could not keep track of, except to acknowledge the infinitely slow pulse of perceptual change, to take account of the fact that perception is the registration of pure difference.“ Vgl. zum Effekt der Entgrenzung Reinhardts Beschreibung seines Werks „Tao“, in: Reinhardt, Ad and Color, Rowell, Margit (Hrsg.), Kat. Ausst., Solomon R. Guggenheim Museum New York 1980, New York 1980, S. 26: „’Tao’ ... fills the whole frame yet you cannot keep track of it. [...] It is dim and dark, showing no outward form.“

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einem „schnellen Blick“ gegenüber. Die Verlagerung der Effekte in den Bereich des Subliminalen und die Verweigerung einer eindeutigen Visualität lassen allmählich eine „gelassene Bereitschaft“, eine Offenheit für die spezifische Phänomenalität der Gemälde entstehen.197 2.3 Entgrenzung der Oberfläche und ein Sehen ohne externen Referent Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich Celmins’ Interesse an einer Thematisierung von Wahrnehmungsprozessen in die kalifornische Kunst der späten 60er Jahre zurückverfolgen lässt und damit in ein Umfeld, in dem Krauss das „Erbe“ Reinhardts, die „Suche nach dem Nichts der Wahrnehmung und dem visuellen Sublimen“ fortgeführt sieht.198 Mit James Turrell und Robert Irwin nehmen 1968 zwei mit Celmins befreundete Künstler am Art and Technology-Projekt des Los Angeles County Museum teil, wo für viele kalifornische Künstler eine Auseinandersetzung mit Rezeptionsmechanismen und Wahrnehmungspsychologie ihren Ausgang nimmt. Irwin sieht in der besonderen visuellen Sensibilität der Westcoast-Künstler einen wesentlichen Unterschied zur stärker konzeptuellen Ausrichtung künstlerischer Interessen an der Ostküste der Vereinigten Staaten: „We saw it and they didn’t. They relied on conception while we worked in the domain of perception. Without any vast backdrop of history to support our investigations, we just had to rely on our eyes.“199

Dieses Umfeld, in dem Fragen nach Phänomenen in Licht und Raum, nach Wahrnehmungsmechanismen und der Untersuchung von Situationen, in denen der Betrachter sich der eigenen Wahrnehmung und ihrer Funktionsweise bewusst

197 Vgl. Forster, Kurt W.: „Now You See It, Now You Don’t“. Ein Blick auf Zufall und Kalkül, in: The Expanded Eye. Sehen – entgrenzt und verflüssigt, Curiger, Bice (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 2006, Ostfildern 2006, S. 25-36, hier: S. 31. Der Autor beschreibt den Effekt eines Sehens, das sich auf „Minima“ einstellen muss als Anforderung an ein geduldiges Eintreten, das mehr verlangt als bloß den Moment des ersten Eindrucks. 198 Vgl. Krauss 1991, S. 124: „And their legacy? Who was to take on the mantle of that search for the perceptual nothing, the visual sublime? Certainly not Frank Stella. […] It would be lodged in the late 60s in California.“ 199 Weschler, Lawrence: Seeing Is Forgetting the Name of the Thing One Sees. Over Thirty Years of Conversations with Robert Irwin, Berkeley, California 2008, S. 81

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wird, weit verbreitet sind, kann als Nährboden für die Ausrichtung der von Celmins vorangetriebenen Fragestellungen angenommen werden.200 Zwar lassen weder die Zeichnungen während der 70er Jahre noch die späteren Gemälde Celmins’ die Entwicklung einer unmittelbar relevanten Beziehung zum kalifornischen Licht erkennen, wie sie für die Entstehung der Environments Turrells und Irwins im Allgemeinen als wesentlicher Faktor erachtet wird.201 Projekte, wie die von Tannenbaum erwähnte „Isolierkammer“ und ein ‘primal’ room, der bei einer Ausstellung des San Francisco Art Institute 1972 zu sehen war, sind jedoch nicht allein aus den Voraussetzungen des Frühwerks abzuleiten und zeugen somit von der Inspirationskraft der allgemeinen Interessenslage, die der Ausgestaltung der Grenzen visueller Erfahrung gilt.202 Ein Werkverlauf visueller Empirie, wie man ihn bei Celmins feststellt, und die Experimentalreihen, die auch von den Protagonisten der Light&SpaceBewegung Turrell und Irwin unternommen werden, bestätigen Curigers Beobachtung, dass die Beschäftigung mit dem „selbstbeobachtenden Sehen“ sich eng mit einer Wendung der Künstlerrolle hin zum forschenden Tun verbinde.203 Turrell intendiert in seinen Rauminstallationen im Sinne der Mechanismen „visueller Irritation“ eine Unterwanderung von Wahrnehmungshypothesen. Exemplarisch zeigt Zschocke an der Rauminstallation Moab (2001) auf, wie der Be-

200 Vgl. Sandler, Irving: Art of the Postmodern Era. From the Late 1960s to the Early 1990s, New York 1996, S. 169, der die Interessen Robert Irwins und James Turrells an der Untersuchung von Wahrnehmungsfragen in ihrer Kunst auf die Teilnahme am Art and Technology-Programm des Los Angeles County Museum of Art zurückführt. Vgl. zu Irwins Werk auch die Dissertation von Hirsch, Vanessa: Malerei und Installation bei Robert Irwin. Vom Bild-Raum zum Raum-Bild, Berlin 2008 201 Vgl. Gehring, Ulrike: Bilder aus Licht. James Turrell im Kontext der amerikanischen Kunst nach 1945, Heidelberg 2006, S. 130, die allerdings unterschiedliche Wurzeln dieses Interesses innerhalb der Light & Space-Bewegung differenziert: „Irwins Interesse an Licht entwickelt sich aus der Malerei und nicht wie bei Turrell aus der naturwissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Phänomen.“ 202 Vgl. Tannenbaum 1992, S. 18. Vgl. Weschler 2008, S. 129 geht auf das Art and Technology Program und die Kooperation Turrells und Irwins mit dem NASAWissenschaftler Ed Wortz ein. Irwin erwähnt die Einrichtung eines Schallschutzraumes an der UCLA, dessen Effekt einer enormen Sensibilisierung und Intensivierung der Wahrnehmungserfahrung er herausstellt (vgl. S. 132f.). 203 Vgl. Curiger 2006, S. 22: „Wenn das selbstbeobachtende Sehen in den vergangenen Jahrzehnten in der Kunst eine kaum zu überschätzende Bedeutung angenommen hat, so erfuhr auch zugleich die Künstlerrolle eine Wendung hin zum forschenden Tun.“

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trachter, von der Wahrnehmungssituation überfordert, die räumliche Positionierung und die „Materialität“ eines objektlosen, grün leuchtenden und nicht zu fokussierenden Rechtecks durch Tasten zu überprüfen versucht.204 Über die resultierende Reflexion auf die eigene Wahrnehmung hinaus geht es Turrell jedoch auch um die Erprobung eines Sehens, „das dem Phänomen losgelöst von seinen repräsentationalen Eigenschaften eine eigene Wirklichkeit einräumt“.205 Die visuelle Erfahrung in der Auseinandersetzung mit der optischen Ambivalenz der Night Skies scheint diesem Anliegen Turrells eng verwandt, wenngleich die Entstehung des Phänomens auf geradezu gegensätzlichen Objektbedingungen beruht. Die notwendige Sensibilisierung des Sehens entsteht beim Betrachter, wie aufgrund des subjektiven Erlebens zumindest vermutet werden kann, im eingangs beschriebenen Moment der Semantiklosigkeit, der der von Baker beobachteten „Entleerung“ des Bildes bei intensiver Betrachtung zu entsprechen scheint206 – in einem Moment also, in dem das Gesehene nicht mehr reflektierend an das Motiv zurückgebunden wird. Zwischen Motiv und Faktur und als Ergebnis des physiologisch bedingten Wahrnehmungswechsels entsteht ein weiteres, unberechenbares Phänomen, das Celmins als „Projektion einer anderen Art von Raum“ apostrophiert: „Times when these two [image and surface] are in a certain balance I perceive a projection of another kind of space. It is this which I find exciting.“207

Das hier versuchsweise zu beschreibende Sichtbarkeitsereignis, das „von und im Betrachter selbst erzeugt“ wird und ohne externen Referenten auftritt, scheint dem von Crary anhand der retinalen Nachbilder Goethes definierten Moment autonomen Sehens vergleichbar. „The afterimage—the presence of sensation in the absence of a stimulus—and its subsequent modulations posed a theoretical and empirical demonstration of autonomous vision, of an optical experience that was produced by and within the subject.“208

204 „Moab“ ist bei Zschocke 2006, S. 349 abgebildet. Die Wiedergabe eines Werks von Turrell ist aus rechtlichen Gründen nicht möglich. 205 Vgl. Zschocke 2006, S. 151, die sich mit Turrells Installation Moab von 2001 auseinandersetzt. Irritiert von der Haltlosigkeit des eigenen Blicks, entstehe ein „Sehen des Sehens“, dessen hyperreflexiven Charakter Zschocke als „meta-mentale Ebene“ beschreibt. Vgl. S. 152 zu den von Turrell angestrebten Effekten. 206 Vgl. Kapitel V.1.3.3 und Baker 1983, S. 65 207 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 37

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Anders als das von Goethe beschriebene „rein körperliche“ Sehen ist in den Night Skies jedoch ein Effekt angesprochen, der die physiologischen Bedingungen des Auges und die Kognitionsfähigkeit gleichermaßen involviert: eine autonome Leistung des „teilhabenden“ Betrachters, dessen Wahrnehmung sich über ein in der Körperlichkeit begründetes Sehen der Faktur und ein kognitives, „geistiges“ Erkennen des Motivs in einem Zustand hoher visueller Autonomie und Sensibilität hinwegsetzt und jenseits von geregelten Sichtbarkeiten eine sensuelle Äußerlichkeit wiedererlangt.209 Hoch artifiziell und sensibilisiert, kann dieses Sehen als ein Akt der Kultivierung und zugleich, als Rückführung auf eine durch Kategorien verstellte Komplexität von Sehen, primordial aufgefasst werden. Da hier jedoch kein Vorgang der „Hyperreflexion“ einer sich selbst bewussten Rezeptivität bezeichnet ist, sondern vielmehr ein irreflexibles Moment, bleibt der Charakter der Seherfahrung vielleicht am besten mit dem von Gasché in Bezug auf Derrida geprägten Bild des Tain of the Mirror zu beschreiben: als eine „Rückseite der Reflexion“ – etwas, das Sehen behindert und dadurch Sehen ermöglicht.210 Die „Projektion einer anderen Art Raum“, wie Celmins den Effekt der Werke beschreibt, nimmt eine behutsame Entgrenzung der Leinwand als definierte Erfahrungsebene vor: Während Turrell und Irwin in raumgreifenden Installatio-

208 Crary 1990, S. 98; vgl. auch Crary, Jonathan: Modernizing Vision, in: Foster, Hal (Hrsg.): Vision and Visuality, Seattle 1988, S. 29-49, hier S. 34: „In Goethe we find an image of a newly productive observer whose body has a range of capacities to generate visual experience; it is a question of visual experience that does not refer or correspond to anything external to the observing subject.“ 209 Vgl. Meinhardt 1997, S. 182, der für Richter das Misstrauen gegenüber der Äußerlichkeit der Sinne beschreibt, in der Wahrnehmung immer schon Interpretation bedeutet: Die eigentliche, sensuelle Äußerlichkeit und Fremdheit des Sehens werde innerhalb eines Weltbildes zugunsten vorgegebener mentaler Bilder aufgegeben. 210 Vgl. Gasché, Rodolphe: The Tain of the Mirror. Derrida and the Philosophy of Reflection, Cambridge, Mass. /London 1986, der seiner Arbeit ein Zitat aus Derridas Dissemination voranstellt: „The breakthrough toward radical otherness (with respect to the philosophical concept—of the concept) always takes within philosophy, the form of an aposteriority or an empiricism. But this is an effect of the specular nature of philosophical reflection, philosophy being incapable of inscribing (comprehending) what is outside it otherwise than through the appropriating assimilation of a negative image of it, and dissemination is written on the back—the tain—of that mirror.“

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nen beide unmittelbar die Auflösung der modernistischen Oberfläche anstreben211, entwickelt Celmins ihr Interesse an Fragen der Wahrnehmung bewusst unter Beibehaltung der Malerei, in der Zweidimensionalität und mit „minimalen Mitteln“ weiter.212 Die Phänomene bleiben an eine traditionelle Gemäldeform und die Oberfläche als Evokationsebene zurückgebunden. Der sensible Ausgleich, der hier zwischen einem Interesse an der „Form“ des Werks und der hervorgerufenen „Entgrenzung der Oberfläche“ erreicht wird, macht die Night Skies in einem weiteren Aspekt zu subtilen Formulierungen in einem Zwischenbereich. 2.4 Das Motiv im Werkzusammenhang: Ein fragwürdig gewordener Naturbezug Bislang wurde das Motiv in unterschiedlichen Dimensionen angesprochen, von den Möglichkeiten, unmittelbar Bedeutung herzustellen, bis hin zu einem funktionalen Verständnis als tiefendimensional lesbarer, im Werkverlauf stetig abstrahierter Struktur. Auch die Auffassung von Bildlichkeit im Umgang mit vermittelten Vorlagen wurde thematisiert und in Bezug zu den in den 80er Jahren einsetzenden Versuchen der Kunstkritik gebracht, die Problematisierung von Referenzialität über ein semiotisches Verständnis auch theoretisch zu fassen. Mit Blick auf die Wahrnehmungssituation wurde eingangs die These formuliert, dass die Art und Weise der Integration des Motivs im Werkzusammenhang einen wesentlichen Faktor für die Wahrnehmungsprozesse darstellt. Nun macht Zschocke plausibel, dass eine „Strategie der visuellen Irritation“, um Wirksamkeit zu entfalten, betrachterinterne Annahmen einzubeziehen hat: Werke, die auf Annahmen und Konventionen der Bedeutungszuschreibung zielen, die sich mit bestimmten Objekten, Repräsentationsmedien oder Präsentationskontexten verbinden, müssten folglich die Erwartungen, die es zu enttäuschen gelte, zunächst aktivieren.213 Das Ozeanmotiv oder der Nachthimmel können vor diesem Hintergrund als Motive verstanden werden, die in der Geschichte der Malerei und auch in der subjektiven Vorstellungswelt jedes Be-

211 Vgl. Krauss 1991, S. 133, die erläutert, wie Irwin gehe es Turrell nicht um die Oberfläche, sondern um Transparenz: „[the] Skyspaces, the Space Division Constructions, produce an intense illusion of density and substance accompanied by an acknowledgement of the ‘nothing’ that is insistently there.“ 212 Vgl. Tannenbaum 1992, S. 23, die im Vergleich mit Martin das minimale Formenvokabular anspricht. 213 Vgl. Zschocke 2006, S. 89 und zusammenfassend S. 261

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trachters vielfältige Möglichkeiten der Anbindung bieten. In dieser Suggestionskraft des Sternenhimmel-Motivs ist somit das initiierende Moment der Wahrnehmungserfahrung zu vermuten. Die Erwartungshaltung des Betrachters an das Motiv wird durch die beschriebenen Sichtbarkeiten und Lesbarkeiten des Gemäldes „enttäuscht“, im einsetzenden Reflexionsprozess wird so die Aufmerksamkeit des Betrachters gewonnen. Das Motiv ist insofern im Werkzusammenhang wesentlich für die erste Ansprache an den Betrachter; das Scheitern eines motivischen „Wiedererkennens“ und die resultierenden Wahrnehmungsprozesse steigern schließlich das Bewusstsein für das Gemachte der Werke, für den gewählten Modus der Repräsentation und die Mittel der künstlerischen Gestaltung. Die Verweigerung einer einfachen Lesbarkeit des „Bildcodes“, die zu einer Reflexion der Darstellungsmittel des Gemäldes, also zu einer „Selbstreflexion des Bildes“ führt, versteht Boehm daher als produktive Kraft.214 Die Einbindung des Motivs über eine fotografische Ästhetik wiederum lenkt die Reflexionsprozesse des Betrachters – gerade in den schwarzen Night Skies – von Fragen zu den Interpretationsmöglichkeiten des „Bildgegenstandes“ oder der Sichtbarkeit der Malerei hin auf die „kulturelle Membran“ der Fotografie und die damit berührten Hypothesen des Betrachters zur Transparenz und Objektivität der (Astro-)Fotografie als Repräsentationsmedium, zum Verhältnis von Fotografie und Malerei oder deren Einfluss auf die Begrenzung der Lesbarkeit des Motivs. Die Frage nach der Integration des Motivs und nach dessen Stellenwert muss, so wesentlich der durch die Einbindung der „Cartesianischen“ Sichtbarkeitsordnung in die Werke erreichte Wahrnehmungsprozess auch ist, doch über dieses funktionale Verständnis auf die Frage nach der Referenzialität des Bildes – also nach seinem Naturbezug – zurückgeführt werden. Bereits To Fix the Image in Memory ließ vermuten, dass das wesentliche künstlerische Interesse bei der Herstellung des Ensembles nicht dem Hervortreiben des natürlichen Originals, sondern der Problematisierung von Referenzialität galt. Die Night Skies und deren durch die Fotografie vermitteltes Motiv setzen diese Linie durch eine erneute Reflexion auf die Vorlagen in erhöhter Komplexität fort: Thematisiert wird hier die Differenz zur fotografischen Vorlage und damit zugleich die Distanz zur Realitätsebene, in der ein Naturbezug im Sinne einer ursprünglichen Beziehung nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Indem dieser Realitäts- und

214 Vgl. Boehm, Gottfried: Die Bilderfrage, in: Boehm, Gottfried (Hrsg.): Was ist ein Bild? München 1994, S. 327. Es versteht sich, dass hier nicht von einer modernistischen Selbstdefinition der Mittel, wie von Greenberg gefordert, die Rede ist, sondern die Malerei zur Sichtbarkeit gebracht wird.

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Naturbezug gleichsam wegbricht, sind Interpretationen, die das Motiv als unmittelbar bedeutungsgenerierend annehmen, kaum haltbar. Sieht man in den Night Skies ein solches gebrochenes Verhältnis artikuliert, könnten die Werke einer von Römer beobachteten Tendenz der 80er und 90er Jahre zugerechnet werden, im Umgang mit Bildlichkeit „die Differenz der Referenzen“ zu spezifizieren und keine „natürliche, ursprüngliche oder ontologische Bestätigung dieser Bezüge“ mehr anzunehmen, was in der Folge auch die Vorstellung einer vorbildlichen Idee relativiert habe.215 Dennoch „verschwindet“ das genutzte Bild nicht, etwa, indem es auf die Funktion, tiefendimensionales Sehen zu erzeugen, reduziert würde. Vielmehr bestimmt das Motiv die Art der Ansprache in wesentlicher Weise und prägt so, über die beim Betrachter geweckte Erwartungshaltung an das Motiv, den gesamten Rezeptionsmodus.216 Die Motive erzeugen eine Art Nachhall von Bedeutungsschwere, sie stehen für ein Potenzial an Bedeutung, das nicht vollzogen wird, als Abwesenheit aber dennoch den Erfahrungsraum der Gemälde in charakteristischer Weise formt. Kuspit bringt die Ambivalenz einer solchen Erscheinung – eines Motivs, das als Zeichen gelesen wird und seine Bedeutungsdimension nur noch als Unterströmung mitführt – als dis-appearance217 auf einen Begriff. Anders als im deutschen „Verschwinden“ ist hier ein Prozess des Entkleidens oder der Aushöhlung mitgegeben, ein Abtragen von Sichtbarkeit, Präsenz und Referenzialität. Die Art und Weise, in der das Motiv in den Night Skies integriert ist, eröffnet somit nicht nur einen Reflexionsraum für Fragen zur Referenzialität der Darstellungsmedien, sondern für eine Befragung der Repräsentation selbst. Kuspits Interpretation der von Owens entworfenen Repräsentationskritik als Vorgang, in dem die Darstellung gegen sich selbst gerichtet wird, um

215 Vgl. Römer, Stefan: Künstlerische Strategien des Fake. Kritik von Original und Fälschung, Köln 2001, S. 269 216 Eine „Austauschbarkeit“ der Motive, wie sie Tannenbaum konstatiert, scheint daher nicht gegeben. Vgl. Tannenbaum 1992, S. 20 217 Kuspit, Donald B.: Flak from the „Radicals“, in: Wallis, Brian (Hrsg.): Art After Modernism. Rethinking Representation, Boston, Massachussetts, 5. Auflage 1991, S. 137-151, hier: S. 142 (Wiederabdruck aus: Expressions. New Art from Germany, Cowart, Jack (Hrsg.), Kat. Ausst., The St. Louis Art Museum 1983, München 1983, S. 43-55). Kuspit setzt sich mit figurativer deutscher Malerei auseinander, und beschreibt, wie hier „kulturelle und historische Abstraktionen“ Anwendung fänden, die zwar ihre Bedeutung eingebüßt, jedoch weiterhin als „dis-appearance“ Bestand hätten. Der Autor folgert: „To exist as dis-appearance—as a barren sign—is to be read as an appearance signaling a contradictory and ambiguous state of affairs.“

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deren Autorität in Frage zu stellen, erscheint als adäquate Beschreibung des motivischen Stellenwertes in den Night Skies: „Where art once tried to imitate nature, ‘nature’ is now an artistic effect, a fiction achieved through manipulation of representative style. The natural is no longer unconditionally given as a starting point that informs one’s abstractions from it, but rather an end to which one must regress, with no certainty that one has ever reached it.“218

In diesen unterschiedlichen Weisen des Rückbezugs auf das Natürliche ist nicht nur die tiefe Differenz angesprochen, die sich zwischen den Werken Cézannes und Celmins’ auftut und Einblicke in einen grundlegenden Wandel im Verhältnis von Natur und Kunst gibt. Zwar kann die dis-appearance der Natur durch das künstlerische Nachschaffen in abstrakter Weise eine Form der Wiederherstellung erfahren, allerdings wies ein solches Unternehmen, wie es für To Fix the Image in Memory beschrieben wurde, ein „Verfolgtsein“, eine haunted quality auf, deren Begründung in dem hier benannten Abtragen von Sichtbarkeit und der Auflösung eines ursprünglichen Bezugs vermutet werden kann. Auch Kuspit verbindet in seiner Auseinandersetzung mit malerischer Figuration die Vorstellung eines Heimgesucht-Seins heutiger Darstellungsweisen des Natürlichen: „The semblance of nature that exists in these paintings has the power to haunt us rather than to define us. It is not clear whether this makes it more or less alive than when it was taken for granted; the ideal of naturalness remains, however, powerfully possessive of our souls.“219

Die Vorstellungen von „Erlösung“, wie sie nach wie vor mit einem Naturbezug in Verbindung gebracht werden, sieht Kuspit entsprechend enttäuscht. Das Natürliche sei in einem Abstraktionsprozess absorbiert und existiere nur noch als instabiler Effekt einer „Natur“ in Anführungszeichen.220 Die abstrakte Dimension, die den Motiven zugeschrieben wird, hat hier, jenseits der spezifischen Struktur, ihre tieferen Wurzeln. Die Night Skies Celmins’ bilden somit ein Bei-

218 Kuspit 1991 (1983), S. 143 219 Kuspit 1991 (1983), S. 143 220 Vgl. Kuspit 1991 (1983), S. 143: „As in the past, it is nature which seems to propose ‘salvation’. But ironically it is now absent: nature itself has become as absorbed into abstraction as everything else, and exists only as an uncertain effect of artificial ‘nature’.

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spiel dafür, dass die tradierte Trennung von Abstraktion und Repräsentation als anachronistisch zu betrachten und aufgehoben ist.221 Die bewusste Entscheidung Celmins’ für ein Motiv, für ein realistisches Potenzial, könnte ursprünglich ähnlichen Impulsen gefolgt sein, wie sie Kuspit Anfang der 80er Jahre reflektiert: Vor dem Hintergrund eines seit Ende der 70er Jahre erschöpften kritischen Potenzials von Serialität, mechanischer Herstellung und Heterogenität und den ebenso „unkritischen“ Formen malerischer Figuration, wie sie etwa von Barbara Rose als Painting of the Eighties präsentiert oder als New Image Painting etikettiert wurden, stellt sich für Baker eine repräsentationskritische Beschäftigung mit dem Motiv als „kritisch signifikant“ dar: „Abstraction today does not, as it once did, force us back on ourselves in a searching critical process. Instead, today it is painterly figuration that comes to us as critically significant, forcing us to be self-conscious and self-critical in relation to it.“222

Trotz oder gerade aufgrund der abgründigen Qualitäten einer gebrochenen oder gestörten Verbindung zum Natürlichen, wie sie auch in den Night Skies empfunden wird, entwickelt sich in der Anschauung der Werke ein kritisches Bewusstsein; die unerwartete Stärke der visuell initiierten Suggestionskraft des Motivischen greift unmittelbar in den Bereich gedanklicher Reflexionsprozesse aus. Ihr reflexives Potenzial erlangen die Werke also gerade durch die Ansprache des Betrachters als „Natur oder Realität unter Vorbehalt“.223

3. S EHEN

ALS

K RITIK ? K RITIK

DES

S EHENS ?

Nachdem nun mögliche Reflexionsweisen auf die Bedingungen und Bedingtheiten von Bildlichkeit in Bezug auf das Motiv und seine Repräsentationsmedien umrissen sind – hier kann nur ein Anfang gemacht sein, Vollständigkeit kann bei der Behandlung dieses komplexen Feldes in diesem Rahmen kaum erzielt wer-

221 Baker, Kenneth: Abstract Jestures, in: Artforum (September 1989), S. 135-138, hier: S. 137: „Clearly the old sense of abstraction as the negation of representation is anachronistic.“ 222 Kuspit 1991 (1983), S. 143/144 223 Vgl. Kuspit 1991 (1983), S. 144: „The fact that it comes to us as natural with a question mark gives it enormous critical consequence and enormous power over us. […] Like truly avant-garde, it seems groundless or obscure, yet makes us aware of our unexpectedly compelling relationship to it.“

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den – ist der Blick zurück auf die Wirkungsdimensionen einer verweigerten Eindeutigkeit der Visualität der Night Skies zu lenken. Was bedeutet das bewusste Erleben der visuellen Organisationsprozesse zwischen den widersprüchlichen Sichtbarkeitsordnungen und was die Offenbarung der Inhalte des bewussten Sehens als Interpretationsleistung? Die beschriebenen Formen des Sehens und der Wahrnehmung in den Night Skies, die in ihren Entwicklungslinien und Voraussetzungen über die Graphitbilder und To Fix the Image in Memory nachvollzogen wurden, sind in den Aspekten der Verlangsamung, der Präzisierung und der Sensibilisierung für Wahrnehmungsereignisse außerhalb der geprägten Schemata angesprochen worden. Anders als etwa für das Werk Robert Irwins, für das laut Crary die Diskussion um die „Rekonfiguration der Wahrnehmungsproblematik“ ein bereits ausführlich behandelter Ansatz ist, konnte für das Schaffen Celmins’ die Bandbreite von visuellen Erfahrungsmöglichkeiten und überraschenden Öffnungen hier erstmals im Zusammenhang dargestellt werden: Dafür wurde einerseits das Spannungsfeld von Motiv und Oberfläche, wie auch immer es werkspezifisch gestaltet ist, als wesentlicher Faktor angesehen, zum anderen ist aufgezeigt worden, in welcher Weise die Werke Fragen von Referenzialität berühren und wie sich auch hier den Betrachter-Erwartungen und dem konsumierenden Sehen Widerstände zur Blick-Differenzierung entgegenstellen. Die Night Skies sind damit im zeitgenössischen Kontext künstlerischen Äußerungsformen zu assoziieren, die nach dem Ende des Abstrakten Expressionismus in den 60er Jahren Fragen des Betrachterbezugs, der Körperlichkeit der Wahrnehmung und der resultierenden ästhetischen Erfahrung, die bereits vor dem Krieg virulent waren, wieder aufnehmen und weiterentwickeln. Die Größe und Ausdifferenziertheit dieses Feldes ist beträchtlich. Neben neuen Formen von kinetischen Objekten und Lichtkunst entsteht mit der Op Art eine Kunst, die ein „kalkuliert ‚wildes‘ und exzentrisches visuelles Erleben“ in den Blick nimmt und 1965 in der Ausstellung The Responsive Eye im MoMA vorgestellt wird.224 Die wahrnehmungspsychologischen Interessen der kalifornischen Light & Space-Bewegung der 60er Jahre, deren wichtigste Vertreter Turrell und Irwin ihren spezifischen Fragestellungen bis heute nachgehen, finden eine Fortsetzung und Weiterentwicklung auch in den Projekten Olafur Eliassons, für dessen „Präsentation reiner Phänomene“ sich Celmins besonders empfänglich zeigt.225

224 Vgl. Curiger 2006, S. 12; The Responsive Eye, Seitz, William C. (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1965, New York 1965 225 Vgl. Interview 2008, S. I

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Zu den „Angeboten zur Selbstwahrnehmung“226 zählen jedoch auch Formen des experimentellen Kinos der 60er und 70er Jahre, das ebenfalls Sehgewohnheiten, etwa durch Fragmentierung, entgegenwirkt.227 Dem Fortgang der Wahrnehmungsrecherchen in der Gegenwartskunst und ihren unterschiedlichen Formulierungen widmete sich, in Orientierung an der Op Art-Schau, 2006 die Ausstellung The Expanded Eye.228 In den vorgestellten Ansätzen der Wahrnehmungssubversion sieht Diedrichsen eine Kritik an einer Kunstauffassung, „die auf ein in jeder Hinsicht voraussetzungsloses Sehen aufbaut, einer Kunst, die sich entweder Fenster zur Welt oder Repräsentation vorstellt“.229 Die scheinbare „Transparenz“ der Wahrnehmung werde durch die Formen der „Erschütterung und Verschärfung der Sinneserfahrung“ hinterfragt.230 Die Night Skies sind anscheinend in grundsätzlicher Weise zudem einer weiter zurückreichenden Tradition zuzurechnen, die das Visuelle als Zentrum der Kunst thematisiert und für die Klees „schöpferische Konfession“ als paradigmatische Formulierung gilt: „Malerei gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“231 Die Frage nach einer Intentionalität der Night Skies stellt sich also spezifischer: An welchen Betrachter richten sich diese verhaltenen, „unspektakulären“ Gemälde? was setzen sie voraus und was rufen sie hervor? Intendiert die Sensibilisierung der Seh-Erfahrung eine Kritik an medialisierten Erfahrungsformen? Ist die eingangs erwähnte Unmöglichkeit, die Werke adäquat abzubilden, in

226 Curiger 2006, S. 21 227 Vgl. zu den Entwicklungen eines „Expanded Cinema“ den gleichnamigen Band von Gene Youngblood, New York 1970 sowie den Aufsatz von Rees, Al: Die unbewusste Optik des Avantgarde-Films, in: The Expanded Eye. Sehen – entgrenzt und verflüssigt, Curiger, Bice (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 2006, Ostfildern 2006, S. 37-50 228 Der Katalog The Expanded Eye. Sehen – entgrenzt und verflüssigt, Curiger, Bice (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 2006, Ostfildern 2006, gibt einen Überblick über das weite Feld dieser mit dem Sehen selbst befassten Kunst und ihre unterschiedlichen Ausdrucksformen. 229 Vgl. Diedrichsen, Dietrich: Kritik des Auges – Auge der Kritik, in: The Expanded Eye. Sehen – entgrenzt und verflüssigt, Curiger, Bice (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 2006, Ostfildern 2006, S. 65-74, hier: S. 69 230 Vgl. Diedrichsen 2006, S. 70 231 Klee, Paul: Schöpferische Konfession (1920), in: Geelhaar, Christian (Hrsg.): Paul Klee. Schriften, Rezensionen und Aufsätze, Köln 1976, S. 118

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diesem Sinne als Entzug zu verstehen? Und wie verhält sich die wahrnehmungserweiternde Wirkung zu anderen Formen gesellschaftlichen oder technischen Sehens? Abbildung 44: Installationsansicht Carnegie International, 2008/2009

© Life on Mars: 55th Carnegie International, Carnegie Museum of Art, Pittsburgh

3.1 Das kritische Potenzial eines Sehens, das nicht „wiedererkennt“ Sichtbarkeit herzustellen und Wahrnehmung reflektierbar zu machen ist als ein wesentliches Anliegen der in Pittsburgh gezeigten Night Skies anzusehen. Das ästhetische Erleben der Werke aktiviert eine „Eigenkraft des Sehens“, ein Potenzial, um die rezeptiven Befangenheiten zu überwinden, wie sie nach Konersmann einem Sehen zukommen, das in der Nachfolge des Imitatio naturaeGedankens auf seine „wiedererkennenden“ Funktionen zurückgenommen ist: „Das emanzipierte, das ‚sehende Sehen‘ begreift sich demgegenüber als spontan und produktiv, als eine Realisation, in der das Sehen immer auch etwas sehen lässt.“232

In den Night Skies gelangt Celmins in ihrer Auseinandersetzung mit Wahrnehmungsfragen zu einer hochsensiblen Formulierung, die dem Betrachter die an

232 Konersmann 1995, S. 128

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das eigene Sehen gestellte Herausforderung gleichsam weitergibt, dessen Sehen präzisiert und ihm ein Reflexionsangebot unterbreitet. Das Sehen jenseits von Wahrnehmungskategorien, das darin erreicht ist, kann mit dem subjektiven Erleben eines referenzlosen, autonomen Sehens „zwischen“ den Sichtbarkeitsordnungen des Gemäldes zusammenfallen. Der Betrachter wird in mehrfacher Hinsicht für fähig erachtet: Er vollzieht den sensibilisierten Blick der Künstlerin nach und macht ihn sich zu Eigen. Damit sind auch eine Seh-Erfahrung und ein Bewusstsein für die Historizität von Sichtbarkeit angenommen, die den Betrachter, so lässt sich im Anschluss an die Ergebnisse Jays vermuten, als ein Individuum voraussetzen, das sich in der Pluralität moderner Sichtbarkeiten bewegt und sich jenseits des konsumierenden Sehens auf eine komplexe Bildarchitektur und eine uneindeutige Visualität einzulassen vermag, die „zwischen“ den Sichtbarkeitsordnungen den Reflexionsraum einer „differenzierten ocularen Erfahrung“ eröffnet und den Grenzbereich des Visuellen als irreduziblen Teil des Sichtbaren anerkennt. Die Night Skies erscheinen somit zugleich als Ort der Formierung eines anspruchsvollen Sehens und eines mündigen Betrachters und setzen beides doch bereits voraus. Damit soll das Kunstwerk jedoch nicht zu einem abgeschlossenen Bereich und gleichsam zu einem Experimentierfeld für neue, andere Wahrnehmungsweisen erklärt werden. Die Art der Ansprache lässt vermuten, dass die Night Skies nicht nur als Austragungsort für die „Sehweisen“ einer Zeit aufzufassen sind – an deren Formierung ebenso Bilder der Propaganda, der wissenschaftlichen Darstellung oder der Medien mitwirken –, sondern als verdichtete Formulierung der gesellschaftlichen Möglichkeiten des „Sehens oder Nichtsehens“.233 Die Night Skies sind in diesem Feld Ausdrucksformen der Kunst zuzurechnen, die das Sehen erneut als „mühsame Erfahrung“ begreifen, die sich als bewusster Vorgang innerhalb einer medialisierten Gesellschaft und inmitten einer Allgegenwart von Bildern – in einer „Welt der Massen(re)produktion“ – behaupten muss.234

233 Vgl. Bruhn, Matthias: Spannungen, Entladungen. Evolutionen und Revolutionen kollektiven Sehens, in: Bruhn, Matthias/Hemken, Kai-Uwe (Hrsg.): Modernisierung des Sehens. Sehweisen zwischen Künsten und Medien, Bielefeld 2008, S. 11-24, hier: S. 22 234 Vgl. Bruhn 2008, S. 21, der die sich beschleunigende Entwicklung seit Ende des 19. Jahrhunderts nachzeichnet und das Nebeneinander der Modernisierung des Sehens und seiner Behauptung als bewusster Vorgang und als „mühsame Erfahrung“ als Gleichzeitigkeit von Tradition und Innovation anspricht.

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Die eingangs angemerkte Unmöglichkeit, die Werke adäquat abzubilden, behält das Seherlebnis der unmittelbaren Begegnung mit dem Werk vor und lässt ein kritisches Verhältnis zu medialisierten Erfahrungsweisen vermuten. Mit Blick auf die Werke Reinhardts – der einen gewissen Stolz darauf entwickelt hatte, dass sich die Black Paintings der Reproduzierbarkeit entziehen – stellt Corris zwar in Frage, ob damit eine „Tugend“ bezeichnet sei oder nicht vielmehr die Kultivierung einer „schwierigen“ Kunst.235 Rubin jedoch unterstreicht den Zusammenhang zwischen dem „Anspruch“ eines Werks und der von ihm eröffneten Erfahrungsdimension: „There is, of course, nothing inherently good or bad about ‘difficult’ art as compared to that which aims for instantaneous comprehension. But there is a great difference in the character of the experience they communicate.“236

Ob nun die Night Skies mit ihrer komplexen Visualität und dem Angebot eines vielschichtigen Wahrnehmungserlebens in Form hoch artifizieller Sichtbarkeitsereignisse als unmittelbar kritische Haltung gegenüber den „schnellen“ Bildwelten der Massenmedien zu deuten sind, ist nicht mit Eindeutigkeit zu bestimmen; Celmins’ Formulierung eines „Kunstbegriffs“, der die Kunst zu Stille und Unbeweglichkeit verpflichtet, ließe sich allerdings in diese Richtung verstehen: „You want to keep it still. Everything else is moving. I think art ought to be still.“237

Im Folgenden gilt die Aufmerksamkeit daher der Erfahrungsqualität der Werke, die sich aus der Eindeutigkeit verweigernden Visualität der Werke ergibt. 3.2 Annäherungen an einen Erfahrungsbegriff In den vorangegangenen Kapiteln galt das Interesse dem Nachvollzug der „Mechanismen“ und „Strategien“, mit denen ein Kunstwerk Erwartungen des Betrachters zu unterlaufen vermag – und damit einer noch recht allgemein gehaltenen Reflexion auf die Anbindung der Wahrnehmungserfahrung in der Visualität des einzelnen Werks. Die Ausrichtung und „Gestimmtheit“ der resultierenden Erfahrung aber ist wesentlich bestimmt von der Art der Ansprache.

235 Vgl. Corris 2008, S. 131 236 Rubin 1991, S. 7/8 237 Larsen 1978, S. 38

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Hier zeigen sich die Grenzen der Anwendbarkeit des von Zschocke entlehnten Begriffs der „Strategie visueller Irritation“ für das Œuvre Celmins’, der sich zwar als treffend und hilfreich erwies, um die von der Visualität der Unentscheidbarkeit ausgelösten Wahrnehmungsprozesse zu beschreiben, der die charakteristische Weise der Ansprache der Night Skies jedoch nicht widerspiegelt. Die Night Skies intendieren weder die Überwältigung des Betrachters noch zeigen sie Formen der Persuasion oder lösen „Verunsicherung“ aus: Dem Betrachter ist die Beschäftigung mit den Werken freigestellt, die Werke machen Angebote. Und Missverständnisse, wie sie auf der Carnegie International zu beobachten waren, sind aufgrund der Komplexität der Visualität dabei nicht auszuschließen.238 Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Night Skies in ihrer Art der Ansprache „Werte“ wie Beschleunigung, Speicherkapazität, Einheitlichkeit und Austauschbarkeit zurückweisen: Die repetitive Verfasstheit der Reihe ist, wie im Vergleich mit On Kawara angedeutet, weniger als eine Annäherung an strenge Serialität zu verstehen denn als Abgrenzung davon. Die Individualität jedes Werks und der von ihm hervorgerufenen Wahrnehmungserfahrung wird nicht nur bewahrt; die scheinbare Ähnlichkeit gibt im Vergleich die dezidierten Unterschiede sogar umso deutlicher zu erkennen und wirkt sensibilisierend. Außerdem sind die evozierten Formen der Wahrnehmungserweiterung nicht durch Abbildungen zu vermitteln und damit nicht „speicherbar“. Dieses Angebot einer stillen, nicht-reproduzierbaren ästhetischen Erfahrung in „Zwischenbereichen“ richtet sich an einen aktiven Betrachter. In der Besprechung zweier Rauminstallationen Irwins in der Dia Art Foundation beschreibt Crary die Entstehung eines visuellen Erfahrungsraums, in dem sich plurale Sichtbarkeiten mit einem Bewusstsein für das kritische Potenzial des Sehens verbinden239: Zwar sind Irwins ortsspezifische Raum-Installationen Prologue: x 18³ und Excursus: Homage to the Square (beide 1998) in ihrem Architekturbezug, in der Verwendung unterschiedlichster Materialien sowie aufgrund der Einbeziehung von Kunst- und Tageslicht auf der Ebene der Ausdrucksform kaum mit den kleinformatigen Night Sky-Gemälden zu vergleichen; Crarys Aus-

238 Vgl. die in Kapitel I.1 angedeutete Reaktion mancher Ausstellungsbesucher. 239 Vgl. Crary, Jonathan: Robert Irwin and the Condition of Twilight, in: Cooke, Lynne/Kelly, Karen (Hrsg.): Robert Lehman Lectures on Contemporary Art, Bd. 3, New York 2004, S. 65-85, hier: S. 66. „The two consecutive installations at Dia may be seen as rejections of the contemporary values of speed, storage, uniformity, and exchangeability, against which Irwin sets up a field constituted of singular nonrecordable phenomena for a mobile and spatialized observer.“

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einandersetzung mit Irwins „innerhalb eines größeren Feldes der Wahrnehmungserweiterung erzeugten Effekten von Stille und Verlangsamung“240 bieten jedoch einen geeigneten Ausgangspunkt, um auch die in den Night Skies vermittelte Erfahrungsqualität und ihre Kontexte auf charakteristische Züge zu befragen. Abbildung 45: Robert Irwin: Part 1: Prologue: x 18³, 1998

© VG BildKunst

Crary setzt voraus, dass die Werke Irwins in ihrer wahrnehmungserweiternden Wirkung eine kritische Haltung gegenüber Formen der Auszehrung und Entwertung visueller Erfahrungsmöglichkeiten einnehmen, wie sie vom raschen Ansteigen an verfügbaren Informationen in einer vernetzten Gesellschaft produziert würden.241 Die Raumsituation der Installationen Irwins, in denen „zumindest die Möglichkeit eines lesbaren, strukturierten Raums“ und dazu gegensätzlicher Modelle aufeinandertreffen, versteht Crary nicht als schlichte Form der künstlerischen Subversion perspektivischen Sehens, sondern als Insistieren auf der problematischeren Tatsache eines unausweichlich gemischten oder zwiespältigen Charakters zeitgenössischer Wahrnehmungsweisen – ihrer patchwork-

240 Vgl. Crary 2004, S. 66: „[E]ffects of slowness and silence are produced within a larger field of sensory dilation.“ 241 Vgl. Crary 2004, S. 66: „It is as if the exponential increase in the possibilities of accessible information produces a related atrophy [Auszehrung] and devaluation of the range of possible perceptual and sensory experience.“

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Qualität. Den „fluktuierenden, instabilen“ Installationen Irwins begegne somit ein Betrachter, dessen Wahrnehmung durch die Verflechtung von Überresten eines Newtonschen Raumverständnisses und „dimensionsloser elektronischer Netzwerke“ gekennzeichnet sei.242 Ein vergleichbares Bewusstsein für die Pluralität moderner Sichtbarkeiten ist auch in den Night Skies erkennbar geworden. Ähnlich wie Crary nun die Erfahrungsqualität der Werke Irwins nicht unmittelbar an die vom Künstler gewählten Formen der Befragung bindet – was eine Annäherung über Begriffe wie Entmaterialisierung und „Vergeistigung“ [etherealization] nahe legen würde – soll auch für die Night Skies für den Moment von der gewählten Form, von Malerei und Repräsentation, abgesehen werden, um Charakteristika der von den Werken initiierten Erfahrung jenseits der beschriebenen Form der Ansprache ausmachen zu können. Unter Berufung auf eine „intellektuelle Verwandtschaft“ Irwins mit dem „radikalen Empirizismus“ William James’243 stellt Crary einen Erfahrungsbegriff vor, der sich nicht auf das Faktische, das Objekthafte und auf definierte Einheiten stützt, sondern Erfahrung in den „Zwischenräumen“ und transitiven Prozessen, sowohl des Bewusstseins wie auch im Leben selbst konstituiert sieht.244 Ein Erfahrungsbegriff, der sich auf „vague in-between states, transitions, passages, overlappings, a collapsing figure into ground, intuitions of relatedness and flux“245 gründet, scheint geeignet, um die überlagerten Sichtbarkeiten der Visualität der Night Skies, das Fluktuieren zwischen Motiv und Malerei und eine in den Übergängen von Gewissheiten und Kategorien entstehende Wahrnehmungserfahrung zu beschreiben. Die Definition eines Erfahrungsraums der Werke wird damit über eine Rückbindung an die verhaltene, stille Art der Ansprache hinaus in eine Dimension erweitert, deren

242 Vgl. Crary 2004, S. 69: „What is at issue here is not some reductive notion of about an artist subverting perspective but, rather, the more difficult problem of work that insists on the inescapably mixed character of contemporary perceptual experience, or what might be called its ‘patchwork’ nature.“ 243 Vgl. James, William: Essays in Radical Empiricism (1912), in: Frederick H. Burkhardt (Hrsg.): The works of William James, Cambridge, Mass. u.a. 1976 244 Vgl. Crary 2004, S. 67 245 Crary 2004, S. 67. Den „radikalen Empirismus“ James’ fasst Crary wie folgt zusammen: „[…] that is, a reconceiving of the actual concrete elements of experience: in a sense, a sweeping redefinition of what constitutes so-called facts. Instead of attributing priority to stable objects, discrete forms, or individual entities or instants, James believed that the heart of experience was made up of vague in-between states, transitions, passages, overlappings, a collapsing of figure into ground, intuitions of relatedness and flux.“

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charakteristisches Moment Zustände des „Dazwischen“, der Ambivalenz und eines affirmativen „Sowohl als Auch“ sind. Die Night Skies sprechen die Prozessualität von Wahrnehmung in einem Erfahrungsraum innerhalb der scheinbar gegensätzlichen Kategorien von Motiv und Oberfläche, Figuration und Abstraktion, Emotion und Intellekt an. Crary stellt den besonderen Charakter dieser Art der Unbestimmtheit des Dazwischen heraus: „Vagueness here is synonymous with richness of experience, with holding forth the promise of future revelation or discovery. Perception no longer operates in support of a principle of identity.“246

Ebenso wenig wie auf der Motivebene von einer Wiedereinsetzung des ontologischen Bezugs auszugehen ist, ist in den Night Skies im Register der Erfahrungsdimension die Wiederherstellung von natürlichen oder authentischen Wahrnehmungsbedingungen angestrebt; Wahrnehmung ist hier mehr als Interpretationsleistung in der Erfahrung der Differenz denn als direkter Zugang zur Welt verstanden. Die Fragen nach dem Ort von „Erkenntnisgewinn“, die sich hier aufdrängen, scheinen die Dimensionierung der repräsentationskritischen Züge des Werks, die bislang beschränkt auf den Bereich der Bildlichkeit behandelt wurden, in einen epistemologischen Bereich hinein zu vertiefen. Die Verfremdungsweisen, die das Motiv im Werkzusammenhang erfuhr, seine Vermittlung, sein Zurücktreten hinter die fotografische Ästhetik, seine Konfrontation mit der Sichtbarkeitsordnung des Modernismus oder die Bezüge zu semiotischen und repräsentationskritischen Diskursen, haben deutlich werden lassen, dass die Werke Celmins’ keine Unmittelbarkeit des Naturbezugs annehmen. Damit sind die Night Skies als Formulierungen in einem Umfeld technischer und sozialer „Realitätsvermittlung“ und „Wahrnehmungserweiterung“ näher zu betrachten. Hier bereichern die Werke mit ihrer kritischen Befragung von Repräsentation und Unmittelbarkeit das Feld der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit Seh-Sucht und Überwachung, in dem sich das „Neue Sehen“ des Modernismus nach Curiger in eine auch „unheimliche ‚Neue Sichtbarkeit‘“247 wandeln kann. Dass die von ihr entwickelte Form, deren Konzeption Strenge, Verhalten-

246 Crary 2004, S. 67 247 Curiger 2006, S. 22

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heit und überraschende Öffnung verbindet, in diesem Kontext unter Umständen als „fremd“ erlebt wird, darüber ist sich Celmins im Klaren.248 Als „Instrumente des Sehens“249, die von politischen oder Identität formierenden Implikationen des Sehens „ab-sehen“ und affirmative Angebote einer Seh-Erfahrung und Wahrnehmungssensibilisierung an den Betrachter richten, sind die Werke aber auch in „Konkurrenz“ zu Sichtbarkeit herstellenden Technologien, Teleskopen ebenso wie Mikroskopen, zu denken: Die „wahrnehmungserweiternde Wirkung“ eines selbstbewussten Sehens, die Celmins’ Rede von einer „anderen Art Raum“ oder Fosters Beschreibung eines Überfließens von Gegenstandsgrenzen nahe legt250, ist gerade nicht in Analogie zur Geschichte der optischen Geräte als Entwicklung zu einem schärferen oder detailreicheren Sehen zu verstehen.251 Zwar finden sich auch für die Bereiche der Hochtechnologie des Sehens Diskurse um die Fragwürdigkeit der angenommenen Objektivität und eines unvermittelten Realitätsbezugs; eine „Erschütterung“ der angenommenen Sicherheit von Sinnlichkeit und damit indirekt des „Wissbaren“ durch eine „Kritik des Sehens“ bleibt aber wohl den Mitteln der Kunst vorbehalten. Die von den Night Skies zwischen Motiv und Faktur angesprochenen und hervorgerufenen Formen des Sehens geben somit Hinweise auf eine kritische Lesbarkeit, indem der Massenkultur, digitalen Bildmedien und deren unbedingter Verfügbarkeit, aber auch der Konsumierbarkeit von Kunst mit materialistischem Genuss252 verhaltene Gemälde entgegensetzt werden, deren „minimalistische“ Oberfläche anspruchsvolle Sichtbarkeitsereignisse anbietet.

248 Vgl. Interview, S. XVIII: „I don’t know if it’s old-masterish. I did though when I was doing those things you’ll see in Pittsburgh… You’ll see, the work looks so weird with the rest of the work.“ 249 Bruhn 2008, S. 23: „Bilder sind ‚Instrumente des Sehens‘ wie das individuelle Auge und die zeichnende Hand, der Fotoapparat und die Druckmaschine; sie formen Wirklichkeiten und steuern Aufmerksamkeiten.“ 250 Vgl. Foster 2006, S. 29: „Das versunkene Betrachten deutet auf zwei gegensätzliche Dinge hin: einerseits suggeriert es ein sonst unerreichbares Zentrum (auf das hin unsere Aufmerksamkeit sich versammelt), andererseits überfließt es jene Grenzen, die gemeinhin ein Ding (auch ein Kunstwerk) von seiner Umgebung trennen.“ 251 Vgl. Zschocke 2006, S. 151 für diese Wendung und ein vergleichbares Ergebnis in Bezug auf die Rauminstallationen Turrells. 252 Vgl. Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 39, wo sich eine der wenigen Äußerungen Celmins’ dazu findet: „The whole art media thing and the hus-

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Darüber hinaus befragen die Werke als Formulierungen der Repräsentationskritik und Wahrnehmungserweiterung visuelle Erkenntnisweisen: Die Malerei ist in den Night Skies – um es mit einem Begriff Meinhardts zu beschreiben – auf einen Punkt der Selbstzeugung ästhetischer Differenz hin entwickelt, in eine ‚materiale Produktivität‘, „die nicht mehr in etwas Bekanntes, eine vorweg definierte Wahrnehmungsordnung umschlägt, sondern eine wesentliche Fremdheit oder Alterität der visuellen Erfahrung aufreißt“.253 Die Gemälde-Visualität der Night Skies lässt sich als eine Engführung des Visuellen verstehen; die Reflexionen und Erfahrungen, die sie initiiert, münden in der Befragung visueller Erkenntnisweisen und -möglichkeiten: Der Umgang mit den Sichtbarkeitsordnungen macht einerseits die historische Dimension des Sehens reflektierbar, andererseits lassen sich jene Phänomene der Night Skies, die im visuellen Erleben, nicht in der gedanklichen Reflexion aufgehen, als malerisch erzeugte Hinweise auf die Fragwürdigkeit der Evidenz des Sichtbaren auffassen: Meinhardt spricht hier von einer „Erkenntnis der Endlichkeit des Bewusstseins mitten im Zentrum des Sichersten, des Gesehenen“.254 Jenseits einer möglichen kritischen Haltung gegenüber unmittelbar konsumierbaren Sichtbarkeiten und Sehgewohnheiten entwickeln die Night Skies in der hier beschriebenen Dimensionierung eine „Kritik des Sehens“, wie sie Konersmann umreißt: Kritik als Vorgang der Unterscheidung, Entscheidung und Beurteilung, aber auch der Würdigung und Prüfung des Gegenstandes.255

tle about art presents it as if you could just gobble it up. Even conceptual works and ‘environments’ are consumed with a materialistic relish.“ 253 Meinhardt 1997, S. 75 254 Vgl. Meinhardt 1997, S. 76 255 Konersmann 1997, S. 12

VI. Vija Celmins Sichtbarkeitsereignisse in Malerei

1. „I T ’ S

STILL SOMETHING HUMAN BEINGS DO “

In seiner Reflexion auf die Malerei der vergangenen Dekaden thematisiert Crimp den ambivalenten Status des Mediums, das zwar einerseits innerhalb der seit den 70er Jahren diversifizierten künstlerischen Ausdrucksformen erheblich an Bedeutung eingebüßt habe, das aber dennoch nach wie vor historisch legitimiert werde.1 Das gewaltige historische Vermächtnis stellt nach Ansicht Crimps „wohl jedes einzelne Gemälde“ vor die Notwendigkeit, sich mit der Idee der Malerei als solcher zu konfrontieren.2 Die Entwicklung seit den 60er Jahren, in der die Malerei von ihrem Anspruch befreit wurde, „als das große transhistorische Medium visuellen Ausdrucks zu gelten, das aufgrund seiner Geschichte sämtlichen anderen ästhetischen Unternehmungen überlegen sei“, versteht Crimp zudem als Chance, den spezifischen Bedingungen der Malerei mit erneutem Interesse zu begegnen.3 Celmins zeigt sich in ihrem Selbstverständnis als Malerin, das eingangs angesprochen wurde, ausgesprochen traditionsverbunden: Obwohl neu entwickelte Trägermaterialien und Farben zur Verfügung ständen, mit denen sich etwa eine fotografische Oberfläche regelrecht imitieren ließe, behält Celmins die Ölmalerei auf Leinwand bei und räumt der malerischen Technik in ihrer Kunst hohen Stellenwert ein. Ihre künstlerische Tätigkeit ist gekennzeichnet von dem Anspruch, Präzision und Souveränität zu vereinen. Das ausgeprägte kunsthistorische Be1

Vgl. Kaiser, Philipp: Es gibt kein letztes Bild. Ein Gespräch zwischen Philipp Kaiser und Douglas Crimp, in: Painting on the Move, Bürgi, Bernhard Mendes/Pakesch, Peter (Hrsg.), Kat. Ausst., Öffentliche Kunstsammlung Basel u.a. 2002, Basel 2002, S.148-157, hier: S. 156

2

Vgl. Douglas Crimp im Gespräch mit Philipp Kaiser 2002, S. 157

3

Vgl. Douglas Crimp im Gespräch mit Philipp Kaiser 2002, S. 156

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wusstsein der Künstlerin, das im Gespräch immer wieder zu Tage tritt, bedeutet für Celmins eben jene von Crimp geforderte Konfrontation des eigenen Tuns mit der Geschichte des Mediums, die die Künstlerin als „Geschichte des bildhaften Raums“ anspricht: „Es ist eine Herausforderung, wenn man versucht herauszufinden, wie man ein Bild malen soll, das der Geschichte des bildhaften Raumes zugehörig ist und trotzdem ganz und gar anders ist.“4

Die Night Skies stellen sich dieser malerischen Tradition und setzen sie fort. Celmins’ Beitrag zeichnet sich dabei gleichermaßen durch die hohe technische Fertigkeit und Kenntnis der Eigenschaften der Ölfarbe wie auch durch die konzentrierte Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Herstellungsvorgangs aus, die, wie dargestellt, im Œuvre wesentlich von einem intensivierten „Sehen“ und der prozessorientierten „Tätigkeit“ bestimmt sind. Fasst man die in den Night Sky-Gemälden zusammengeführten Sichtbarkeits- und Reflexionsebenen weiterhin als Aspekte einer „abbildenden“ und einer „modernistischen“ Tradition der Malerei auf, reflektieren die Werke zudem die historische Situation der Malerei, ihre pluralen Sichtbarkeiten und Räumlichkeiten. Mit der Überlagerung von Sichtbarkeitsordnungen führt Celmins eine Möglichkeit vor Augen, die „Geschichte des bildhaften Raums“ in der Malerei fortzusetzen – durch die Selbstzeugung einer „anderen Art Raum“, der zugleich an die Leinwand zurückgebunden und von ihr entgrenzt ist. Der mitgegebene Wahrnehmungsbezug der Werke macht diese komplexen Formulierungen zudem zu Mitteln der Wahrnehmungserweiterung und der Überschreitung gewohnter Formen des Sehens. Damit ist das Medium bei Celmins nicht nur historisch reflektiert, sondern auch zur Herstellung und kritischen Analyse von Sichtbarkeit eingesetzt. Die Night Skies erschöpfen sich weder in der motivischen Dimension noch in der Evokation eines optischen Effekts: Aus dem sensibel gefügten Gleichgewicht, das jedes Gemälde im Zustand vielschichtiger Ambivalenz hält, gewinnt vielmehr die Malerei an sich – als Medium dieser Hervorbringung – „Bedeutung“. Entsprechend verwahrt sich Celmins gegen konkrete Bedeutungszuweisungen.5 Stattdessen zeugen die in dieser Untersuchung verhandelten künstlerischen Verfahren Celmins’ und ihre Materialreflexion von dem Anliegen, das Potenzial im Umgang mit Malerei zu offenbaren: Eine abstrakt belassene Formulierung im

4 5

Curiger 1997, S. 120 Vgl. Interview 2008, S. XV: „I don’t think my work is frustrating though. But I’m not sure about the meaning of it, you know?”

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Interview lässt darauf schließen, dass hinter dem Vorantreiben spezifischer Fragestellungen das grundsätzliche Bestreben steht, der Malerei als Medium gerecht zu werden, sie – hier ist an die von Crimp angedeuteten Chancen im Bedeutungsverlust der Malerei zu denken – in ihren „spezifischen Möglichkeiten“ ins Werk zu setzen. Celmins insistiert: „The painting is the thing! The painting has to be made, however you make it, it has to remain, that’s the interesting thing.“6

Die Anerkennung der Begrenztheit des eigenen Tuns und das Empfinden seiner tiefen Notwendigkeit schließen sich für Celmins dabei nicht aus. „I say that if you project too much on the work you don’t see the work, and if you expect the work to stop wars you’re going to be disappointed, and if you expect the work to be loved by everybody that’s not possible at all. I’m saying that the work is not that much. But it’s still something human beings do.“7

2. R EPRÄSENTATIONSKRITISCHE M OMENTE IN M OTIV UND W AHRNEHMUNG Die Frage nach dem Stellenwert des Motivs im Werkzusammenhang konnte in unterschiedlichen Dimensionen behandelt werden. Kapitel V.2.4 hat die Reflexion auf die Vermittlung des Motivs durch Darstellungsmedien, dessen funktionale Eigenschaften als initiierendes Moment für Betrachter-Erwartungen und als tiefendimensionale Lesbarkeit integrierende Sichtbarkeitsordnung mit den Fragen, die sich zur Art des Realitätsbezugs der Motive stellten, zusammengeführt. Ein repräsentationskritisches Moment der Night Skies wurde zunächst mit der Befragung von Referenzialität und von Abbildbarkeit im Spannungsfeld der Repräsentationsmedien von Fotografie und Malerei offenbar. Die scheinbare Transparenz des Abbildungsmediums wird in der Rezeption der vorgestellten Arbeiten in ihrer Bedingtheit erfahren. Unterstellt man ein aufklärerisches Anliegen, so verbindet es sich hier nicht mit einem „Erkenntnisgewinn über die Dinge an sich“, sondern äußert sich in der malerischen Herstellung von Sicht-

6

Interview 2008, S. III

7

Interview 2008, S. XV

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barkeit und der Reflexion auf eben diese Bedingtheit der Erscheinung.8 Aufgrund der Suggestionskraft der gewählten Motive jedoch bewahrt auch noch ein Sternenhimmel, dessen Realitätsbezug fragwürdig und dessen Bedeutungsdimensionen im Gemälde nicht aktiviert sind – das zur dis-appearance gebrachte Bild – im Betrachtungsvorgang unterschwellige Wirksamkeit. Es deutet sich in den Night Skies eine Erweiterung der repräsentationskritischen Dimension an, die nicht nur Fragen der Abbildbarkeit und Darstellung betrifft, sondern in epistemologische Bereiche ausgreift. Einleitend zu dieser Arbeit ist ein Verhandlungsraum skizziert worden, der das Sehen als historisch und veränderbar, aber auch in seinem epistemischen Potenzial angesprochen hat. Dieses Potenzial erschließen die Night Skies auf unterschiedlichen Wegen, durch die Überlagerung von Sichtbarkeitsordnungen, durch die Verlangsamung des Betrachters über die Art der Ansprache und durch Sichtbarkeitsereignisse, mit denen die Werke die Kategorien des „wiedererkennenden“ Sehens übersteigen. Das aus der komplexen Visualität resultierende charakteristische Wahrnehmungsangebot richtet sich, so wurde angenommen, an einen aktiven, mit pluralen Sichtbarkeiten vertrauten Betrachter. Neben dem kritischen Anliegen gegenüber schnell produzierten medialen Bildwelten, das sich hier vermuten lässt, verweisen die Werke auch auf ein noch unausgeschöpftes Potenzial moderner Sichtbarkeit und unterbreiten dem Betrachter das Angebot, seine Augen dafür zu „öffnen“. Das Sehen wird in den Night Skies als „schwierige“ und „anspruchsvolle“ Erfahrung thematisiert. Es entsteht in Zwischenbereichen, die nur durch ihre Grenzen zu definieren sind. Die gebotene „phänomenale Herausforderung“ sanktioniert nicht den konsumierenden Blick, nicht die Unmittelbarkeit von Erfahrung und nicht den reinen Augenschein, sondern macht das Sehen „aufs Neue zu einer Leistung der Distanz“9. Die epistemologische Dimension des Sehens kann zugleich repräsentationskritische Züge für den Bereich des visuell Erkennbaren annehmen: Eine Visualität der Unentscheidbarkeit und Wahrnehmungserfahrungen, die sich der Kategorisierung entziehen, können mit Zschocke als Hinweise auf eine Relativität von

8

In diesem Aspekt scheint Vergleichbarkeit mit den von Zschocke untersuchten Positi-

9

Konersmann, Ralf: Sehen, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried (Hrsg.): Historisches

onen zu bestehen. Vgl. Zschocke 2006, S. 263 Wörterbuch der Philosophie (1971ff), Bd. 9, Basel 1995, S. 121-162, hier: S. 128 (angepasst)

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Wahrnehmung und ihren Erkenntnismöglichkeiten verstanden werden, als „Anspielungen auf eine sich der Darstellung entziehende Wirklichkeit“.10 „Das Reale als solches erscheint in diesem Kontext als etwas, das hinter der Mannigfaltigkeit möglicher Sicht-, Sprach- und Darstellungsweisen verborgen bleibt.“11

Die Night Skies initiieren Prozesse kritischer Reflexion, indem sie im spontanen Wahrnehmungswechsel zwischen Motiv und Faktur das eigene Sehen bewusst werden lassen. Bereits das solchermaßen sensibilisierte Wahrnehmen stellt ein Sichtbarkeitsereignis dar; es bereitet jedoch, wie in Kapitel V.2.3 beschrieben, zugleich das unberechenbare Phänomenen eines autonomen Sehens vor, dessen Entstehen nicht an einen externen Referenten gebunden ist, das von Celmins als Erweiterung des malerischen Raums verstanden wird und als rein visuell verfasstes Sichtbarkeitsereignis für die theoretische Reflexion uneinholbar ist. Diese Unhintergehbarkeit, die zeigt, dass das Visuelle nicht in Diskursen aufgeht, stellt für Celmins – und auch für Richter – nicht nur eine wichtige Grundlage der eigenen künstlerischen Arbeit, sondern eine Spezifik der Kunst insgesamt dar: Richter nennt die Malerei eine „Analogie zum Unanschaulichen und Unverständlichen, das auf diese Weise Gestalt annehmen und verfügbar werden soll“12, Celmins versteht die Malerei als „spezifisch, aber nicht für Dinge, die sich mit Worten ausdrücken lassen“.13 Die Untersuchung konnte den Stellenwert des Motivs und seine Bedeutung für die Sichtbarkeitsereignisse darstellen und den Eindruck bestätigen, dass „das Sehen selbst“ in den Night Skies thematisiert wird.

3. Z WISCHEN

PERCEPTION UND CONCEPTION

Celmins sieht ihr „Interesse an Fragen der Räumlichkeit“ geprägt durch die Einflüsse der Westküste.14 Schließt man sich der Zuspitzung Irwins hinsichtlich

10 Zschocke 2006, S. 264 11 Zschocke 2006, S. 264 12 Elger/Obrist: Richter 2008 (Notizen 1981), S. 120. Gute Bilder seien deshalb unverständlich, so die Schlussfolgerung Richters. 13 „Painting is very specific, but it is not specific to things that you can say.“ Vija Celmins in Conversation with Jeanne Silverthorne 1995, S. 42 14 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 37: „The one thing I got from Los Angeles is a kind of spatial interest that is not like that of a New York artist.”

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der Charakteristika von West- und Ostküste an15, so erscheinen die Night Skies auch hinsichtlich ihrer in dieser Arbeit reflektierten Wahrnehmungsorientierung und den zugleich zweifellos ebenfalls starken konzeptuellen Aspekten16 als Syntheseleistungen. Berücksichtigt man zudem die dargestellten Berührungspunkte mit repräsentationskritischen Fragen auf unterschiedlichen Ebenen, ergibt sich ein ausgesprochen vielschichtiges Gefüge aus historischen, theoretischen und werkspezifischen Aspekten, denen eine einzelne Arbeit mit einem notwendigerweise limitierten Erkenntnisrahmen kaum nachgehen kann. Eine „Einordnung“ der Werke, soweit dies einer Kunst, die offenbar der Kategorisierbarkeit zu entkommen sucht, überhaupt gerecht werden kann, ließe sich so möglicherweise in Richtung eines wahrnehmungsorientierten „Minimalismus“ entwickeln: Damit wäre eine Kunst zwischen minimalistischer Form und sensuellem Effekt bezeichnet, die hoch artifizielle und „abstrakte“ Ereignisse hervorbringt und in manchem dem purgatorischen Anspruch Ad Reinhardts nahekommt – ohne jedoch den Ausschluss des Motivischen zu betreiben. Indem der Umgang mit dem Motiv in den Night Skies die begrifflichen Gegensätze von abstrakt und representational aufsprengt, legitimieren die Werke auch die Gestaltung des Verhandlungsraums dieser Arbeit in einem „Dazwischen“. Der hier verfolgte Ansatz versuchte, die schwerpunktbildende Besprechung der Phänomene an die produktionsästhetische Seite und die resultierende Visualität zurückzubinden: Charakteristische Eigenschaften des Herstellungsprozesses wie Konzentration, Reflexion, technisches Vermögen, künstlerische Einsicht und die Fähigkeit zur subtilen Analyse konnten entsprechend in ihren Auswirkungen auf die Betrachter-Haltung und die Seherfahrung vor den Werken zumindest angedeutet werden. Die Arbeit konnte, indem sie die Balance zwischen „Überblick“ und „vertiefendem Einblick“, zwischen produktions- und rezeptionsästhetischer Betrachtung, zwischen der visuellen Empirie des genauen Hinsehens und dem Bemühen um theoretische Grundlegung zu wahren versuchte, eine Art künstlerisches Spannungsfeld erschließen: zwischen Repräsentation und Abstraktion, Motiv und Form, der Auseinandersetzung mit wahrnehmungsbezogenen Fragestellungen

15 Vgl. Kapitel V.2.3 und Weschler 2008, S. 81 16 Vgl. Storsve 2006, S. 21, „To describe her work as ‘conceptual’ would be stretching the point, but in many respects the artist's attitude recalls conceptual art.” Die konzeptuelle Seite des Werks wird auch in der Ausstellung „Radical Conceptual“ des MMK Frankfurt (2010) hervorgehoben.

S ICHTBARKEITSEREIGNISSE

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und reduktiven Tendenzen, zwischen Emotion und Intellekt. Larsen beschreibt diesen Kunst-Raum Celmins’ in wenigen, treffenden Worten: „In a place where the reality of art takes unto itself and transforms the imagery of nature, Vija Celmins has created a quiet space where tension and serenity achieve a carefully fashioned accommodation with each other. Hers is an art charged with emotion held in firm, exquisite control.“17

Die unterschiedlichen Ausprägungen der Night Skies wurden als Orte einer komplexen Zusammenführung gewürdigt und sind als „romantische“ oder „konzeptuelle“ Varianten innerhalb der angesprochenen Werkdimensionen gleichsam wie Koordinaten zu situieren. Der Titelzusatz dieser Arbeit reflektiert den zentralen Stellenwert der Malerei im Œuvre Celmins’, ihren repräsentationskritischen Anspruch und ihre selbstzeugende Kraft, die die Oberfläche der Gemälde in dem charakteristischen Erfahrungsraum des „Dazwischen“ zur Ereignisebene für die Wahrnehmung macht: „I think art is a quiet thing; you have to look at it a long time. You have to be willing to experience it without a mess of words and think about it. It is not that easy to understand.“18

17 Larsen 1979, S. 19 18 Vija Celmins im Gespräch mit Susan Larsen 1978, S. 39

Nachwort

Die New Yorker Galerie McKee zeigte ab Ende April 2010 die neuesten Arbeiten Celmins’. Dabei wurde deutlich, dass sich der „Richtungswechsel“, den die Künstlerin 2008 angekündigt hatte1, in einer Rückkehr zu Objekten und einem Rückbezug auf Thematiken des Frühwerks äußert; in Table with Gun (2009/10) etwa dupliziert Celmins die Pistole, die Mitte der 60er Jahre Gegenstand zweier Ölgemälde war, durch einen bemalten Bronzeguss, stellt jedoch, anders als in To Fix the Image in Memory, auf einem hölzernen Tisch mittlerer Höhe nur das Artefakt aus. Abbildung 46: Gun with Hand #1, 1964, und Table with Gun, 2009/10

© Vija Celmins/The Museum of Modern Art/Scala, Florence, 2011

Die New Yorker Ausstellung markiert einen weiteren, deutlichen Einschnitt im Œuvre. Einige zweidimensionale Exponate knüpfen an die SternenhimmelThematik an oder behandeln neue Themen wie Atlanten, Buchrücken oder die Struktur einer Muschelschale. Indem die Werke jedoch keinen Anschluss an die komplexe Visualität der Überlagerung suchen, wie sie im Rahmen dieser Arbeit

1

Vgl. Interview 2008, S. XVIII

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dargestellt wurde, wird eine Fortführung der Night Sky-Reihe unwahrscheinlicher.2 Die Night Skies erscheinen damit als gültige Formulierung für diesen Interessensbereich Celmins’.

2

Dabei spielt das Nachlassen der Sehschärfe – die für die Herstellung der beschriebenen innerbildlichen Gleichgewichte notwendige Voraussetzung ist – ebenso eine Rolle, wie der in den vergangenen Jahren mehrfach geäußerte Wunsch, das eigene Werk zu „öffnen“. Vgl. Interview 2008, S. VIII

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Metscher, Thomas: Ästhetik und Mimesis, in: Metscher u.a.: Mimesis und Ausdruck, Köln 1999 Metz, Christian: Der imaginäre Signifikant. Psychoanalyse und Kino, Münster 2000 (französische Originalausgabe Paris 1977) Mitchell, W. J. Thomas: What do pictures want? The lives and loves of images, Chicago 2005 Owens, Craig: The Allegorical Impulse. Toward a Theory of Postmodernism, in: Wallis, Brian (Hrsg.): Art After Modernism. Rethinking Representation, Boston, Massachussetts, 5. Auflage 1991, S. 203-235 (Wiederabdruck aus October, no. 12 (Spring 1980), S. 67-86, und no. 13, (Summer 1980), S. 5980) Pang, Alex Sooyung Kim: Technologie und Ästhetik der Astrofotografie, in: Geimer, Peter (Hrsg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt am Main 2002, S. 100-141 Panofsky, Erwin: Die Perspektive als „symbolische Form“, in: Oberer, Hariolf/Verheyen, Egon: Erwin Panofsky. Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, Berlin 1964, S. 99-167 Prendeville, Brendan: Realism in 20th Century Painting, London 2000 Rees, Al: Die unbewusste Optik des Avantgarde-Films, in: The Expanded Eye. Sehen – entgrenzt und verflüssigt, Curiger, Bice (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 2006, Ostfildern-Ruit 2006, S. 37-50 Reinhardt, Ad: Twelve Rules for a New Academy, (1953), in: Art News, vol. 56, no. 3, New York, May 1957, S. 37-38 und S. 56 Rewald, John (Hrsg.): Paul Cézanne. Briefe, Zürich 1962 Rifkin, Ned: Agnes Martin. The Music of the Spheres, in: Agnes Martin. The Nineties and Beyond, Koch, Polly (Hrsg.), Kat. Ausst., The Menil Collection, Houston 2002, Ostfildern-Ruit 2002, S. 25-29 Rochlitz, Rainer: “Where We Have Got To”, in: Buchloh, Benjamin H.D., u.a. (Hrsg.): Photography and Painting in the Work of Gerhard Richter. Four Essays on Atlas, Barcelona 1999, S. 103-125 Rodgers, Timothy Robert: Agnes Martin. Portrait of a Mind, in: In Pursuit of Perfection. The Art of Agnes Martin, Martina Martinez and Florence Pierce, Rodgers, Timothy Robert (Hrsg.), Kat. Ausst., Museum of Fine Arts, Santa Fe 2004/2005, Santa Fe, New Mexico 2004, S. 18-25 Römer, Stefan: Künstlerische Strategien des Fake. Kritik von Original und Fälschung, Köln 2001 Rorty, Richard: Philosophy and the Mirror of Nature, Princeton 1979 Rose, Barbara (Hrsg.): Art-as-Art. The Selected Writings of Ad Reinhardt, New York 1975

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Rosenblum, Robert/Kaiser, Reinhard: Die moderne Malerei und die Tradition der Romantik. Von C. D. Friedrich zu Mark Rothko, München 1981 Rosenblum, Robert: The Abstract Sublime (1961), in: Leggio, James/Burn, Barbara: On Modern American Art. Selected Essays by Robert Rosenblum, New York 1999, S. 72-79 Ross, Christine: The Paradoxical Bodies of Contemporary Art, in: Jones, Amelia (Hrsg.): A Companion to Contemporary Art since 1945, Padstow 2006, S. 378-400 Rubin, William: Preface, in: Ad Reinhardt, Oldenburg, Richard E. (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1991, New York 1991, S. 7-8 Sandler, Irving: Art of the Postmodern Era. From the Late 1960s to the Early 1990s, New York 1996 Saltz, Jerry: Let Us Now Praise Artist’s Artists, in: Art & Auction, April 1993, S. 74-79 Schjeldahl, Peter: Abstract Meridian. Agnes Martin (7. Juli 2004), in: Let’s See. Writings on Art from The New Yorker, London 2008, S. 178-180 Schwarz, Dieter (Hrsg.): Agnes Martin. Writings/Schriften, Ostildern-Ruit, 3. Auflage 1993 Spieler, Reinhard: Wasser-Reflexionen, in: Horizonte. Franz Gertsch im Dialog mit Vija Celmins, Thomas Demand, On Kawara, Yves Klein, Wolfgang Laib, Roman Opalka, Gerhard Richter, Thomas Ruff, Piero Steinle, Robert Zünd. Spieler, Reinhard (Hrsg.), Kat. Ausst., Museum Franz Gertsch Burgdorf 2003, Bern 2003, S. 33-47. Spieler, Reinhard: Augenblick und Ewigkeit. Obsessionen von Zeitlichkeit, in: Horizonte. Franz Gertsch im Dialog mit Vija Celmins, Thomas Demand, On Kawara, Yves Klein, Wolfgang Laib, Roman Opalka, Gerhard Richter, Thomas Ruff, Piero Steinle, Robert Zünd. Spieler, Reinhard (Hrsg.), Kat. Ausst., Museum Franz Gertsch Burgdorf 2003, Bern 2003, S. 58-69. Storr, Robert: Chuck Close. Angles of Refraction, in: Chuck Close, Storr, Robert (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1998, New York 1998 Storr, Robert: Interview with Chuck Close, in: Chuck Close, Storr, Robert (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1998, New York 1998, S. 85-101 Szeemann, Harald: Zur Ausstellung, in: Live in your head. When Attitudes Become Form. Works – Concepts – Processes – Situations – Information, Szeemann, Harald (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthalle Bern 1969, Bern 1968, unpaginiert

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Thierolf, Corinna: Plötzliche Bilder. Die Ryoanji-Zeichnungen von John Cage, in: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München (Hrsg.): Hanne Darboven. John Cage, Ostfildern-Ruit 1997, S. 41-76 Vall, Renée van de: At the Edges of Vision. A Phenomenological Aesthetics of Contemporary Spectatorship, Burlington 2008 Viso, Olga M.: Das Elend mit der Schönheit, in: Beauty Now. Die Schönheit in der Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden (Hrsg.), Kat. Ausst., Haus der Kunst München 2000, Ostfildern-Ruit 1999, S. 86-133 Weschler, Lawrence: Seeing Is Forgetting the Name of the Thing One Sees. Over Thirty Years of Conversations with Robert Irwin, Berkeley, California 2008 Weitman, Wendy: Jasper Johns. Ale Cans and Art, in: Elderfield, John (Hrsg.): American Art of the 1960s, New York 1991, S. 38-63 Wiesing, Lambert: Die Sichtbarkeit des Bildes. Geschichten und Perspektiven der formalen Ästhetik, Reinbek 1997 Wölfflin, Heinrich: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, München 1917 Youngblood, Gene: The Expanded Cinema, New York 1970 Zschocke, Nina: Der irritierte Blick. Kunstrezeption und Aufmerksamkeit, München 2006 Ausstellungskataloge About Place: Recent Art of the Americas, Grynsztein, Madeleine (Hrsg.), Kat. Ausst., The Art Institute of Chicago 1995, Chicago 1995 Ad Reinhardt and Color, Rowell, Margit (Hrsg.), Kat. Ausst., Solomon R. Guggenheim Museum New York 1980, New York 1980 Against the Grain: Contemporary Art from the Edward R. Broida Collection, The Museum of Modern Art, New York, 2006 Beauty Now. Die Schönheit in der Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden (Hrsg.), Kat. Ausst., Haus der Kunst München 2000, Ostfildern-Ruit 1999 Birth of the cool. Amerikanische Malerei von Georgia O'Keeffe bis Christopher Wool, Curiger, Bice (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 1997, Stuttgart 1997 Chuck Close, Storr, Robert (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1998, New York 1998

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Chuck Close. Self-Portraits 1967-2005, Grynsztein, Madeleine/Engberg, Siri (Hrsg.), Kat. Ausst., San Francisco Museum of Modern Art/Walker Art Center 2005, New York 2005 Chuck Close. Paintings 1968-2006, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia (Hrsg.), Kat. Ausst., Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia Madrid 2007, Madrid 2007 Contemporary Voices. Die UBS Art Collection zu Gast in der Fondation Beyeler, Fondation Beyeler (Hrsg.), Kat. Ausst., Fondation Beyeler Riehen/Basel 2005/2006, Basel 2005 [Angepasste und gestalterisch veränderte Ausgabe der Ausstellung Contemporary Voices. Works from the UBS Art Collection, Konzept Ann Temkin, Kat. Ausst., Museum of Modern Art New York 2005, New York 2005] Drawing from the Modern 1975-2005, Kantor, Jordan (Hrsg.): The Museum of Modern Art, New York, New York 2005 Eine neue Kunst? Eine andere Natur! Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert, Pohlmann, Ulrich/Hohenzollern, Johann Georg Prinz von (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München 2004, München 2004 Franz Gertsch. Retrospektive, Spieler, Reinhard (Hrsg.), Kat. Ausst., Museum Franz Gertsch, Burgdorf und Kunstmuseum Bern 2005/2006, Ostfildern-Ruit 2005 Gerhard Richter, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Kat. Ausst., K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2005, Düsseldorf 2005 Giorgio Morandi, Salvo, Donna de/Gale, Matthew (Hrsg.), Kat. Ausst., Tate London 2001, London 2001 Hiroshi Sugimoto, Brougher, Kerry/Müller-Thamm, Pia (Hrsg.), Kat. Ausst., K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2007/2008, Ostfildern-Ruit 2007 Horizonte. Franz Gertsch im Dialog mit Vija Celmins, Thomas Demand, On Kawara, Yves Klein, Wolfgang Laib, Roman Opalka, Gerhard Richter, Thomas Ruff, Piero Steinle, Robert Zünd. Spieler, Reinhard (Hrsg.), Kat. Ausst., Museum Franz Gertsch Burgdorf 2003, Bern 2003 Jasper Johns: The Sculptures, Curtis, Penelope (Hrsg.), Kat. Ausst., The Menil Collection, Houston 1996, Leeds 1996 Live in your head. When Attitudes Become Form. Works – Concepts – Processes – Situations – Information, Szeemann, Harald (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthalle Bern 1969, Bern 1968

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Nature Through Her Eyes. Art and Literature by Women, Bemis, Mary/Recio, Belinda (Hrsg.), Kat. Ausst., The Nature Company 1994, Berkeley, California 1994 Painting on the Move, Bürgi, Bernhard Mendes/Pakesch, Peter (Hrsg.), Kat. Ausst., Öffentliche Kunstsammlung Basel u.a. 2002, Basel 2002 Picturing America. Photorealism in the 1970s, Hillings, Valerie L. (Hrsg.), Kat. Ausst., Deutsche Guggenheim, Berlin 2009, New York 2009 Serial Imagery, Coplans, John (Hrsg.), Pasadena Art Museum 1968, Pasadena 1968 Terra Incognita. Alighiero e Boetti, Vija Celmins, Neil Jenney, Jean-Luc Mylayne, Hiroshi Sugimoto, Lynne Cooke (Hrsg.), Kat. Ausst., Neues Museum Weserburg Bremen 1998, Heidelberg 1998 The Contemporary Drawing. Existence, Passage, Dream, Stoops, Susan L. (Hrsg.), Kat. Ausst., Rose Art Museum, Brandeis University 1991, Waltham, Massachusetts 1991 The Expanded Eye. Sehen – entgrenzt und verflüssigt, Curiger, Bice (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthaus Zürich 2006, Ostfildern-Ruit 2006 The Responsive Eye, Seitz, William C. (Hrsg.), Kat. Ausst., The Museum of Modern Art New York 1965, New York 1965 Thomas Ruff. Oberflächen, Tiefen, Matt, Gerald (Hrsg.), Kat. Ausst., Kunsthalle Wien 2009, Nürnberg 2009 Wiedervorlage d5. Eine Befragung des Archivs zur documenta 1972, Nachtigäller, Roland/Scharf, Friedhelm/Stengel, Karin (Hrsg.), Kat. Ausst., Kulturdezernat/ documenta Archiv im Museum Fridericianum, Kassel 2001, Ostfildern-Ruit 2001

Abbildungsverzeichnis

Die Bildunterschriften der jeweiligen Abbildung geben Auskunft über die Bildrechte. In der folgenden Auflistung werden die allgemeinen Informationen (Künstlername, Titel und Entstehungsjahr) um die technischen Angaben und die Bildnachweise ergänzt. Für die der Einleitung vorangestellte Abbildung und für jene, die dem Nachwort folgt, gilt der Nachweis: Life on Mars: 55th Carnegie International, Carnegie Museum of Art, Pittsburgh. Foto: Tom Little Abbildung 1 (S. 12) Night Sky #6, 1993, Ölfarbe auf Leinwand auf Holz, 48,58 x 56,83 x 3,02 cm Walker Art Center, Minneapolis, Purchased with the aid of funds from Harriet and Edson W. Spencer and the T.B. Walker Acquisition Fund, 1995 Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 2 (S. 27) Night Sky #16, 2000/01, Ölfarbe auf Leinwand auf Holz, 78,70 x 96,50 cm The Art Supporting Foundation to the San Francisco Museum of Modern Art Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 3 (S. 42) Lamp #1, 1964, Ölfarbe auf Leinwand, 62 x 89 cm, im Besitz der Künstlerin Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 4 (S. 44) Flying Fortress, 1966, Ölfarbe auf Leinwand, 40,6 x 66 cm, The Museum of Modern Art, New York, Gift of Edward R. Broida, 672.2005 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence

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Abbildung 5 (S. 45) Burning Man, 1966, Ölfarbe auf Leinwand, 51 x 57 cm, Privatsammlung Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 6 (S. 49) Freeway, 1966, Ölfarbe auf Leinwand, 44 x 67 cm, Privatsammlung Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 7 (S. 50) Bikini, 1968, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 34 x 46,4 cm, The Museum of Modern Art, New York, Gift of Edward R. Broida, 673.2005 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence Abbildung 8 (S. 52) Moon Surface (Luna 9) #1, 1969, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 35 x 47,2 cm, The Museum of Modern Art, New York, Mrs. Florene M. Schoenborn Fund, 584.1970 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence Abbildung 9 (S. 54) Vorlage für eine Ozeanarbeit: Pazifischer Ozean bei Venice, Kalifornien Abbildung 10 (S. 56) Galaxy #1 (Coma Berenices), 1973, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 30,5 x 38,5 cm, The UBS Art Collection Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Galaxy #2 (Coma Berenices), 1973, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 30,5 x 38,5 cm, The UBS Art Collection Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Galaxy #3 (Coma Berenices), 1973, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 31,5 x 38 cm, Sammlung Putter Pence Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Galaxy #4 (Coma Berenices), 1974, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 30,5 x 38,5 cm, The UBS Art Collection Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery

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Abbildung 11 (S. 57) Ocean: 7 Steps #1, 1973, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 29,8 x 249,9 cm, Whitney Museum of American Art, New York; Purchase, with funds from Mr. and Mrs. Joshua A. Gollin. Foto: Geoffrey Clements Abbildung 12 (S. 62) Ocean with Cross #1, 1971, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 45,1 x 57,8 cm, The Museum of Modern Art, New York, Gift of Edward R. Broida, 675.2005 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence Abbildung 13 (S. 65) Untitled (Ocean), 1970, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 36 x 48 cm, The Museum of Modern Art, New York, Mrs. Florene M. Schoenborn Fund, 585.1970 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence Für Ocean with Cross #1 vgl. Abb. 12 Abbildung 14 (S. 69) Long Ocean #5, 1972, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 74,93 x 110,49 cm Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Double Desert, 1974, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 31,1 x 61 cm, Mr. & Mrs. Harry W. Anderson Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 15 (S. 74) Star Field III, 1983, Graphit auf acrylgrundiertem Papier, 53,3 x 68,6 cm, The Museum of Modern Art, New York, Gift of Edward R. Broida, 684.2005 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence Abbildung 16 (S. 75) Franz Gertsch: Gräser I, 1995/1996; Mineralpigmente (in Dammarharz und Bienenwachs gebunden) auf ungrundierter Baumwolle, 240 x 340 cm, Museum Franz Gertsch, Burgdorf Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Museum Franz Gertsch, Burgdorf

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Abbildung 17 (S. 79) John Cage: Where R = Ryoanji 12 R/6, 6/1987, 1987, Bleistift auf handgeschöpftem Japanpapier, 25,7 x 49 cm, Pinakothek der Moderne, München Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Pinakothek der Moderne, München, Inv.Nr. 15310, Foto: Haydar Koyupinar Abbildung 18 (S. 85) Agnes Martin: Wood, 1964, Tinte auf Papier, 27,7 x 27,7 cm, The Museum of Modern Art, New York, Eugene and Clare Thaw Fund, 607.1964 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence Abbildung 19 (S. 96) To Fix the Image in Memory, 1977-1982, elf Paare von acrylbemalten Bronzegüssen und originalen Steinen, verschiedene Maße, The Museum of Modern Art, New York, Gift of Edward R. Broida in honor of David and Renee McKee, 679.2005 Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 20 (S. 108) Jasper Johns: Painted Bronze, 1960, bemalte Bronzeskulptur, 14 x 20,3 x 12 cm, Köln, Museum Ludwig Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Rheinisches Bildarchiv To Fix the Image in Memory, Detail eines Steinpaars Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 21 (S. 112) To Fix the Image in Memory, Detail Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 22 (S. 116) Night Sky #10, 1994/95, Ölfarbe auf Leinwand, 78,70 x 95,25 cm Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 23 (S. 119) Untitled (Comet), 1988, Ölfarbe auf Leinwand, 40,01 x 46,99 cm National Gallery of Art, Washington, Gift of Edward R. Broida 2005.142.13 Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery

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Abbildung 24 (S. 119) Night Sky #12, 1995/96, Ölfarbe auf Leinwand auf Holz, 78,70 x 95,25 cm, Carnegie Museum of Art, Pittsburgh, The Henry L. Hillman Fund, 1996.37 Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 25 (S. 120) Für Night Sky #16 vgl. Abb. 2 Abbildung 26 (S. 120) Night Sky #17, 2000/2001, Ölfarbe auf Leinwand auf Holz, 78,70 x 96,50 cm, Modern Art Museum of Fort Worth, Gift of The Burnett Foundation Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 27 (S. 122) Untitled (Divided Rectangle), 1986/87, Ölfarbe auf Leinwand, 35,3 x 45,5 cm, Mr. & Mrs. Harry W. Anderson Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 28 (S. 123) Barrier 1985/86, Ölfarbe und Wachs auf Leinwand, 177,8 x 182,8 cm Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 29 (S. 126) Night Sky #15, 2000/01, Ölfarbe auf Leinwand montiert auf Holz, 79,1 x 96,7 cm, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main, Foto: Axel Schneider Abbildung 30 (S. 133) Franz Gertsch: Medici, 1971, Dispersionsfarbe auf Leinwand, 400 x 600 cm Ludwig-Forum für Internationale Kunst, Aachen Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Museum Franz Gertsch, Burgdorf Abbildung 31 (S. 134) Chuck Close: Big Self-Portrait, 1967-68, Acryl auf Leinwand, 273,1 x 212,1 cm, Collection Walker Art Center, Art Center Acquisition Fund, 1969 Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: The Pace Gallery

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Abbildung 32 (S. 137) Night Sky-Arbeitsvorlage Abbildung 33 (S. 140) Für Night Sky #12 vgl. Abb. 24 Abbildung 34 (S. 140) Gerhard Richter: Silikat, 2003 [885-1], Öl auf Leinwand, 290 x 290 cm Privatsammlung Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Cantz-Verlag Abbildung 35 (S. 157) Hanne Darboven: Schreibzeit, Detail, Ordner XV (Kalenderaufzeichnung 1976), Faksimile-Auflage, Köln 1999; Eigene Aufnahme Abbildung 36 (S. 159) Hanne Darboven: Schreibzeit, Detail, Ordner XV (Kalenderaufzeichnung 1976), Faksimile-Auflage, Köln 1999; Eigene Aufnahme Abbildung 37 (S. 162) On Kawara: Mar. 3, 1971, Acryl (Liquitex) auf Baumwollgewebe, 45,5 x 61,5 cm, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main Freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main, Foto: Axel Schneider Abbildung 38 (S. 163) Installationsansicht Vija Celmins-Raum, Life on Mars: 55th Carnegie International, Carnegie Museum of Art, Pittsburgh, Foto: Tom Little Abbildung 39 (S. 163) Installationsansicht des On Kawara-Raums: Date-Paintings im Frankfurter Museum für Moderne Kunst Freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main, Foto: Axel Schneider Abbildung 40 (S. 165) Night Sky #1, 1990-1991, Ölfarbe auf Leinwand auf Holz, 46,67 x 56,20 cm, Private Collection, New York Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery

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Abbildung 41 (S. 167) Night Sky #2, 1991, Alkydharz auf Leinwand auf Aluminium, 45,7 x 54,6 cm, The Art Institute of Chicago, Ada S. Garrett Fund, 1995.240 Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: David and Renee McKee Gallery Abbildung 42 (S. 167) Für Night Sky #17 vgl. Abb. 26 Abbildung 43 (S. 180) Ad Reinhardt: Abstract Painting, 1960-61, Ölfarbe auf Leinwand, 152,4 x 152,4 cm, The Museum of Modern Art, New York, 570.1963 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence Abbildung 44 (S. 194) Installationsansicht Vija Celmins, Life on Mars: 55th Carnegie International, vgl. Abb. 38 Abbildung 45 (S. 198) Robert Irwin: Part 1: Prologue: x 18³, 1998, Dia Chelsea, New York, 19992000, Foto: Joel Meyerowitz Abbildung 46 (S. 211) Gun with Hand #1, 1964, Ölfarbe auf Leinwand, 62,2 x 87,6 cm, The Museum of Modern Art, New York, Gift of Edward R. Broida in honor of John Elderfield, 669.2005 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence Table with Gun, 2009/10, Tisch, in Bronze gegossene Tafel und Pistole, drei gefundene Tafeln. Eigene Aufnahme

Ein Gespräch mit Vija Celmins

6. N OVEMBER 2008, 15.00 BIS 17.30 U HR . S TUDIO DER K ÜNSTLERIN , N EW Y ORK C ITY (S OHO ) Die Transkription ist leicht gekürzt und weicht zur besseren Lesbarkeit gelegentlich vom gesprochenen Wort ab. Der Inhalt wird dadurch an keiner Stelle verändert. How do you look at art? Are there positions in art you have a personal interest in? Is there art that is thrilling for you because you’d say, it’s similar to yours? I tend to like younger artists better. I like Olafur Eliasson. …The waterfalls, what I liked about it was that it was so devoid of any ranting and raving about something. It was devoid of messages, just saying: look at these phenomena. It was a beautiful presentation of phenomena, just falling water. I find now a lot of people seem to have messages. I’m not a message artist. …Messages about the culture? I don’t know anything about the culture. I usually like people who make things with their hands. So I’m not much of a photography person. I like the photographs and then I sort of mimic them and rebuild them in another space, what I would say is an art space. I don’t like manufactured things so much. I don’t like photographs so much. I don’t like fabricated things and I don’t like all that aggressive stuff like Murakami or Jeff Koons. Although, Jeff Koons… all of these people are a little bit crazy, they’re very obsessive and very precise. Who do I like? I don’t know. When I was younger I always wanted to be a painter, and I am basically a painter. I arrange densities. I’m not a line person. And I’m not really a sculptor, although I make things sometimes, but they are all painted. I’m primarily a painter now. There aren’t many terrific painters any more. There’s more of an expressionist quality to a lot of work now.

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Do you consider your work to be anti expressionist? I don’t have any position, I follow instincts. I’m not an ideologue. I don’t care what anybody else does. Do you have a feeling in front of your work,… can you still sense what mood you had when you were doing it? It’s a sort of a record, it’s a very controlled space, it’s sort of a record of my remaking an image; it has a little bit of a more objective view, it’s not really how I feel, it’s not really a portrait of how I feel, or that day, or what I think about Obama or about war. It’s more like a record of some time that I spent with an image. And of course it has some very subtle expressive qualities, but most of them are kind of about organizing an image, so that it stays where it is supposed to stay, that it doesn’t go off; it has a certain life to it, that is very unique only to it even though it has an image that has been borrowed from the world, so that it is very dense – a kind of form. For instance that’s a very dense drawing; it’s literally like a painting, because it’s very strong and very dense. I have a bunch of paintings now at the Carnegie. I’m going to Chicago to see how they restored one of my works that the guard scratched [Night Sky #2]. I haven’t seen the painting yet, it’s a small gray painting of a Night Sky. I think they’re able to restore it. But this layering you do, can that be restored? It’s not black, the gray is easier, it’s all like smaller pieces, it’s not like layers that were the same: that would be very hard to do. It happens all the time. People do this kind of thing to everybody’s work. Scratching one of your images, does this feel like an injury to you, personally? Oh, no. Maybe I’m a little bit crazy, but not that crazy [lacht]. Is there a time during the working process on a painting when you say, “it’s consistent now”? Well, that’s a weird word to use for it. I never really used that word. How would you understand it? I don’t know, I would say that I live with the painting for a while and that it is thoroughly considered, that other space, because the image exists in another space: That the space in front of you that I have made in a certain proportion, has been thoroughly considered and sort of filled up until it begins to have some

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feeling of... maybe a dimension, like a little bit of a feeling of depth or thoroughness or fullness, so that it exists there in a very thorough, strong way. How would you describe the relation between surface and ground? You set great store by this building up of a surface. I feel, I can see, that the painting is mostly surface. You have to come to terms with it. Some artists totally ignore the surface or they use it like a stage on which they put actors, or a lot of artists of course especially in the United States have been making the surface extremely flat. I use an image because the image strains against the surface, the image wants to be bigger than the surface. But it’s the surface that I have to work with, because that’s where the painting is, so I try to keep in mind always those two things. Sometimes, if the painting gets totally flat, I’m not that amused with it. But it fluctuates: sometimes I do a flattish painting, and then at the same time it has a dimension – psychologically, because you have an image… The image is rendered, sometimes I render more, and sometimes I leave it more flat. Those Night Skies are pretty abstract. But you still immediately read it as a night sky. But when you look at the painting it becomes much more about material. It has a retinal life, where your eyes are bumping around, and then it becomes a different experience than anything that you would have if you’re out walking under a night sky. Because the painting is the thing! The painting has to be made, however you make it, it has to remain, that’s the interesting thing. People forget what the painting is about. The history is not what makes it; it’s the physicalness itself that I think is interesting. I fell into this little hole, where I’ve been working most of my life: that little hole between an image and the flatness, and between abstraction and maybe an illusion, I’m always back and forth between all of those things, and between an instantaneous grasping of the image and then …. these dark ones… if you go up to Carnegie, you’ll see, the paintings don’t project very much, because they all look pretty much dark, but when you get up to them, they open up in another way. My earlier work was exactly the opposite, it projected out. Do you intend the viewer to approach your paintings? Yes. Well, these later works… I’m very wall related. You go up to the painting with your body and then with your eyes, you have to find the relation where the painting works for you. The painting has a life that is quite thorough, you step back… it’s a relationship between you and the painting.

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And the format, what was the reason for you to condense it? Well I condensed it at first because it was the opposite of doing giant paintings like de Kooning and Barnett Newman. So it was done in reaction to the Abstract Expressionists? That’s one of the reasons. And then I saw a show once of Morandi ... did you go see the Morandi show at the Metropolitan now? [Zum Zeitpunkt des Interviews zeigt das Metropolitan Museum eine große Morandi-Ausstellung.] Yes, it’s fabulous! I wrote this nice little thing about Morandi for the Tate, they had a show once. When I was about twenty I went to New York and I saw this Morandi show and thought “Oh my God, these paintings are strong but they’re so little!” He’s a very strange painter, don’t you think? But fabulous, yes. Would you recognize similarities, like caring about essence or time? My art is like a record of a time. …It’s like a recording of a time: that’s one of the aspects of working on something, but it’s not a recording of the time, like a lot of people spend… I mean, de Kooning used to spend months on his painting also. And he painted it over and over and it gives it a certain richness and density, in fact he was one of my great inspirations. I wanted – and in talking with Chuck (Close) – we both wanted to be these terrific painters like de Kooning. But for me it was extra that he was European, because I had come as a child from Europe. I’m European though, even though my art is pretty much about an American kind of understanding, because it comes out of those guys, who painted in the fifties. My understanding of space came probably from the Abstract Expressionists. Those are the guys I loved: the fact that they tried to make a terrific painting that stood on its own. It didn’t have history, that Napoleon on horses, or it didn’t have any real depiction of somebody you would know, it was really about painting. And it also had – something that I never thought the Europeans got quite right – it also had an awareness of the flatness of a painting, it’s very subtle. The European abstract painters like the ones in France in the fifties, like Soulages, looked much more decorative, I think. Somehow they treated the canvas as a kind of backdrop on which they made things. But the American artists incorporated the surface and made very strong paintings. The figure and the ground were much closer there.

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Of course they were inspired by the European painting, Surrealism, but this is really illusionistic space... most of their ideas about how a painting should develop came from Cézanne. It’s about structure. In what way is Cézanne important to you? Cézanne developed that double awareness that he was painting an image, but he was also painting a painting, and the painting had to win out. It’s the painting that we love. That’s a human element, that you care enough to make the art. For me. And the paint and the image and the painting all did this little dance together where they became very strong, like in a little musical concerto. Everything is zipping together and it does have a dimension to it. The late Cézannes especially, just fabulous paintings. And you get this feeling, that even though he was looking at a mountain, bathers, and the trees – these little obsessions – he had an understanding of a complexity that a painting can have; where you can’t really tell where the ground is and where the image is because they are intertwined. It’s influenced all those artists, Brice Marden, too, and it’s influenced me. Now, I don’t break up the surface so much, but I tend to have images that are very broken. Meaning small elements, so that the surface is broken, it’s fluctuating. Mostly in the drawings, that was the whole thing with the ocean. The figure and the ground are always intertwining with each other. But what about the acrylic layer on your paper? Didn’t you say you used it to prevent yourself from digging into the paper? Yes, I wanted to keep it on the surface. On the one hand you want to keep it on the surface; on the other hand you don’t want to show the support? No, the support is there, it’s always there. I didn’t want to dig in the surface because I wanted to emphasize that it lays on the surface, that the image has depth, because you know it and because it is an image that implies depth, but it’s always also just on the surface. And considering the material… how do you choose your pencil grade, for example? Well I tried it; I did things with Aches [Caran d’Ache ?]… I did a whole scale, with different pencils that went down the line. This is sort of ridiculous now it seems, I just tried to see and find the touch that seemed right to me.

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Considering Irregular Desert (1973), you took a really smooth pencil. Was there something in the photograph that prompted you to take this grade? The photograph for me [lacht] is like a friend that’s sitting next to me that I’m inspecting. When I started doing the work, I picked photographs that had images that were very broken up into small parts, so that you would always be engaged with the surface and the image. They were always going back and forth and hanging onto each other… Like a checkerboard, like a Cézanne, like a cubist painting where they’re interlocking with each other all the time. At one point it is just paint, at another point it’s an image, then again it has a feeling of depth, or it stays very flat. So these are the boring subject of my work. This is how I can make the form. Often it is boring. Most people use images in a much more spectacular way without these little nuances that I’m interested in. Even Chuck got much more interested in systems; he breaks everything down into these crazy systems. He uses portraits, which I could never do. I’m not a person who can make something that specific as a portrait, I’m just not interested in that part. Is there a special mood to a photograph you take? What qualifies a photograph to become a model for your work? It’s just a poetic quality, one time I collected tons of photographs of World War II images, images I liked. But how do you choose a special one? I choose it from affection [lacht]. So, what makes you affectionate? I don’t know. I don’t even try to think about it. First of all I choose an image, and I compose by choosing it also. I choose an image that I feel is already like composed. It’s connected with how I want my work to look. When I started doing those images I’ve been photographing the ocean so long ago. The main thing is, let’s see. When I first started doing this it was a relief, because I thought: I don’t have to worry about the image anymore. I can now do [zögert]… I was going to say, I can now do the art, but it seems like a pretty stupid thing to say; I could then focus on a certain kind of rigour and all these things that I’ve been talking about: keeping the ocean not too illusionistic, keeping it also very rigorous and flat, keeping it very even, so that the surface doesn’t have giant holes in it. – Although later I saw holes everywhere. As I got more in it and sort of controlling and manipulating the surface, that it is very flat and at the same time a little bit deep… and my touch so that it wasn’t

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too much connoisseur, but so that it wasn’t crude and expressive, but stayed very close to just recording the image. Because I had decided to do just the opposite of de Kooning: I wanted to hide the strokes. I just flipped all those things that the artists were doing, I sort of flipped and condensed into ….so that the work looked almost effortless, but still had those interests that I had, like an all-over surface and a surface where the image and the surface of the paper or the canvas were intertwined, always talking to each other throughout the whole thing, that you stayed inside the painting. People do cut out things. Most of my work doesn’t look cut out; it looks when it’s successful like it really stops where it stops. I don’t know, whether this is too… It makes perfect sense. [beide lachen] So, see, that’s the part I liked about choosing the image. It was also like an exploration of grays, and of course that was a new thing for me, because I have never really done gray paintings. Do you remember the time when you started to do these all-over drawings? Did you recognize that this was to become a shift in your art? I never recognized anything. I always was like flying in the dark. And now that I’ve given so many talks about,… It became the fashion in United States for artists to travel to different art schools and talk about their work. Maybe about 30 years ago. I don’t really do it hardly at all now. It became the thing to do. When I had to try to figure out what to say, I began to see the things that interested me, but it’s still very hard to talk about it, because it’s a visual thing. The people who have that visual knowledge in them, that have looked at a lot of art, they sense those things, about form and when you talk about it to somebody who doesn’t have any aptitude for that at all who may be just into music or some other art, then it sounds really stupid. But I begin to try to make up words like filling out a form, you know, make up ways of talking about it... to explain what I remember from wanting the painting to be like. I’m a real feeling sort of person toward my work, although I like the work to be very cool. Because when the work is cool and laid-back it is more accessible to your cerebral… I like the work always to be more cool. I’m more of a cool cerebral artist. But the intensity of the drawing or painting process – is it conscious, or mindful? It’s sort of a record of my consciousness. I don’t know whether it has to do with thinking. Actually, I think my work is a little bit more conceptual than I would like it to be.

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Still? Several years ago you said that you wanted to open up. You remember things like that? I’m always saying that, it’s very difficult to do. So you didn’t change your work? No, I haven’t been able to change it, but I’m still hopeful. I wanted to like open it up. Often I find that after I say something or if I have somebody in the studio and the work is in progress, I get extremely ... – I’m a very secretive sort of artist. I feel the best when I’m with my work, I feel the best really alone when I’m doing something that I don’t even know it looks like… I repeat myself all the time: Another thing that I saw in Morandi that I liked. A longing for the perfect combination with the light in Morandi with the light in the bottles and the paint all go together, and then trying to do it again and again and again, which I also tried, to repeat the image with very tiny variations to see if I could make it somehow more… now you say: more what? I’m not sure what the what would be. Isn’t it basically about variation? It has various aspects to it. Sometimes I get bored and then I try something different. I have not been as consistent as say Agnes Martin, whose work sometimes I love, sometimes I get tired of it, but basically I would say she left a beautiful record of her mind, of her rigour, she was able to do... well she did have a few changes, didn’t she. I like the ones from the fifties, very rigorous, the grids, which just say, “I’m inspecting the surface, I’ve been everywhere”. And then, I like the bigger ones probably, because I like the way they build up to a really strong thing. I love the tiny irregularities on the surface that somehow contradict the accuracy and correctness and make it so human. Correctness, yes, and tiny irregularities, but she was quite content to go over that surface until it was thoroughly there. She was very much of a line person. Then she had changes. She began to have those almost Rothko-like bars, very pale, that also kind of shifted back and forth, but not as romantic and full of art as Rothko, not as full of angst and kind of a furious beauty. More of a mind-like… yeah, more mindful in a funny way, but sometimes quite beautiful. Would you say your work is mindful, does it record time, too? What does it look like? I guess it’s kind of mindful. I’m changing now.

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You tend to spend so much time with the process. But everybody does, I don’t make a lot of work. A lot of people make a hundred things. That takes the same amount of time. They’re just interested in other aspects. But isn’t it significant, that you tend to spend so much time for one work? … because I got interested in building a very solid kind of work. What’s this building about? Is it about secureness or security? About having a project for the next day? You can think about it psychologically in that way, but I’m not sure. I tried to think about it various times, and I thought, well, it’s about making sure that the work remains extremely physical. That it has nothing else in it; it’s like a copied image, but it’s very physical. I don’t have a lot of illusions about what art might be, because I’m past those illusions. I don’t know whether I could ever make anything you would call a great painting or a painting that meant something. I’m not sure what it means. I only do these weird little things here and there; I don’t even have greatly ambitious paintings any more. Is this a likeness to Morandi’s work? Kind of a modest quality? I don’t know if my work is quite that modest. Morandi had some ambitions though. Anyway, I’m telling you how I deal with the work. I don’t really make heroic work or work that means you should go sailing in the ocean or work that means that I love the ocean – I don’t know whether I loved the ocean. It’s like things that I sort of fall into. It’s sort of a record of somebody’s time to try to – almost as if I’m kind of a maybe competing with reality; like trying to build something as solid, to make a form as real in some way. Maybe that’s a thoroughness (?)… I don’t know whether it’s about security. I thought of John Cage as a contrast to your approach. Do you know his Ryoanji drawings? He took these stones, chosen by chance, placed them on the paper drew their outlines with a pencil. There’s this quotation, describing the openness to experience in the process: “I welcome whatever happens next.” I like it. I’ve seen some drawings of his, they’re fantastic. I like that, of course! But I wonder if we don’t all work to see what will happen next. He just had a wonderful way of saying it.

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If you had to choose between openness and some notion of secureness, say, what choice would you make? I don’t even think of it as a choice. Every time you start a work it’s always open to incredible failure and disaster. But you’re constantly making decisions, aren’t you? It’s a record of every decision, but every work is really, all kinds of decisions. Many times it’s the lack of decisions. Then it’s just a style that has been borrowed. I tend to do this sort of very – sometimes I call it overfinished work and I’m disgusted with it. But I have a feeling that this is what I do. And now often I like Franz West, because he seems like he has such a great time, and they’re so humorous and just fantastic; I like Cage for the same reason, that he seems so open, like the truck going by would be a little piece. We have all those things in us, because we’ve all studied history, we know all these people. But what you also add is your own intuition about what you can leave and what you do, and I seem to have the hex of doing these overworked, solid things that sometimes are so closed off that you can’t even get in. Why me? It’s so hard to keep up that energy, to keep those things. I’m always, when I’m talking to somebody, like you here, I’m always saying I’m planning to open up my heart and do some big paintings, maybe like Cy Twombly, wouldn’t that be wonderful? He may have some other delusions about it. I tend to …. People used to say I tend to beat myself up a little and I tend to beat my work, too, I tend to always say more and more… I think Katz once called your working method “obsessive”? Didn’t he? People say it’s obsessive. Would you say it’s obsessive, or is it just about activity? It’s a record of a certain activity that, I mean everybody’s work is all of these things, but for instance Artschwager has been an alien, because his work seems so… sometimes it has a very alien kind of feel to it as if it had not been made by a human being, very odd decisions, and it’s quite fascinating in that way, he was much more creative. I don’t even know whether I would be creative. But I’m somebody who takes a hammer and hammers on the same thing until it begins to form how my intuition tells me it should be. And then I have other parts, sometimes I grow a little bit more romantic, sometimes I get a little bit more conceptual. I think a work of art should be more

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mysterious. Maybe that’s what I like about Artschwager, too. That it is something that you could circle around and think: Hey! It needs an audience, the art needs an audience. That’s for sure. Do you think about the audience, do you think of that part, while you’re doing the art? No, I never think of an audience while I’m working. I think of the thing itself and I think of me, pleasing me, which would not be easy [lächelt], and I also think of building a work. What about the stones, what do you think of them in retrospect? Oh, the stones were such a complicated piece, really. I’ve been to the MoMA-storage the other day and had them in my hands, with gloves. How great! Well, part of that was like I was competing with nature. I was in a very depressed time when I made that work and I thought I cannot project anything. I’ll just see if I can open my eyes as much as I can, to be able to see what these natural things … and of course you can’t, because you always fall short, somehow your own touch and your personality and everything stays in the thing that you’ve made – and the limitations of course! So I left them both in a piece so that somebody else could see the limitations, the attempts, the little bit of fakery, the little bit of real effort, and the amusement of the piece. It’s a very bizarre piece, don’t you think? We’ve got to find a way of putting it out. It has to have a light close to it so that you can walk around, it’s also like a relationship of things, because I had tons of rock, I’d been driving around in New Mexico, picking up things that looked like galaxies, because that’s what I’d been drawing then, and then I thought – I didn’t even think; I had many more that I’d started, that I hadn’t been able to finish because it became such a project; well, I thought, this is ridiculous, I can’t do this. Why did you make only one copy of each stone? Oh, why shouldn’t I? It was more of a conceptual piece: here is the found object and here is the made object. Sort of a reaffirmation that art is about making and that art includes perception and your eyes seeing. It also has a kind of nothingness to it.

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For me personally that piece became like hey, I’m alive, I have a brush in my hand and I’m looking and I’m happy. … for a moment. It was a very affirming thing. And it had like no real projection. No projection. I mean it has a projection, all the decisions to do that and to leave the piece and which piece. But it was like sitting, like baby sitting with your activity until you just can’t stand it anymore, and then you quit. I felt better afterwards. I had to show it, which was very difficult. I couldn’t figure out how to show them, we just put it on a table; first I made a table that was sort of concrete. I don’t know what I thought, I didn’t really think about… it was a little bit artificial. I had to find that people wanted to touch them so then we put a little box on it. So it has never been quite wonderful; I think I’d like to figure out how to show that piece. But then, I had others, and I’ve not finished them. There are some bronze rock-like shapes around. Some in California in my friend’s garden, Doug Wheeler, an artist that I like very much, who has not been doing too much work, but he still remains a wonderful artist. He went into my place where I left a lot of things. I think he’s got them in his garden. At first, I was thinking this work is nothing and it’s about nothing. But it was very restorative to me. At first I thought I’ll put them out in the desert again. And then I felt sorry for all the time I put in it and for them and I thought I would show them. But he actually put them out in his garden in Santa Monica, I believe. But they are unpainted. I lost the concentration, because then I began to see it also like a piece, a piece that was so conceptually kind of ridiculous, maybe complicated, then I started losing interest in it. It was too much … I think I proved the point to myself. Is there a precondition for you to work? Do you have to feel in some way? Well, I think everybody... It’s like facing a blank canvas. You have to jack yourself up to face it. To face the day and what you do, you have a history of doing, and what you feel somehow inside… what you want to do. Everybody has that problem. I mean, I know some artists who walk around, there’s a guy in California, and set up an easel like Cézanne used to do and van Gogh. I could not do that. I could also not do portraits or anything that psychologically complex that would have too much of a relation outside the painting. Like somebody you would recognize? I couldn’t do it. Chuck plays that, maybe the abstraction of it. He can talk about his own art. See, my images tend to be like more bland or something. The image is kind of collected on the work, but it’s an image that you – for a while it’s been an image

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that you can’t grasp – although now I’m going back to… It’s not a portrait of a …even though they are pretty much correct. How do you decide whether you want to do a painting or a drawing? I did the drawings for a while because I was trying to get away from my strokes, from the kind of connoisseurship and my ability, the way that just happens to be how… I thought that the pencil would be more precise and more limited. Then after a while you can see that that’s trying to be a painting. It’s very clear that the later works all become very dense and begin to want to be… and then the paper doesn’t hold anymore density. The painting, the paint because it’s wet and it dries and it has more malleability, has a heavier feel. Did I understand correctly, that you sand the surface down, after you do a layer? If you’re going up to Carnegie… I did a series of works, when I started painting again. I did paintings that looked like the drawings. They tried to be really flat, where the paint was not showing, like a reversal. They became very closed off, which is actually one of their nice qualities that the painting is very flat and closed off, and only when you come way up to it do you see, that it is handmade and that it begins to have some feeling of space. I did a series of things that were like that, but I can’t do them anymore. I sanded the surface; the painting would lie then and I painted it again, you’ll see, when you’re up there, sometimes you can see it on the edge you can see a little bit of the layers which I left open. I began to not frame the paintings anymore. What is it like to sand the surface down? Is there an aggressive quality to it? It’s a little aggressive, but what it really does, it almost like pushes it down. Then I thought, well, it was like maybe a childlike or workmen like idea, that if you paint an image on top of itself... – Oh, I don’t take it all off, I leave a little bit, and then I repaint it again on top and I leave… until in the end, it’s almost like filling up something, like when you are finishing a table, and it has like a little grain but you want it to be really flat, you put on the paint and then you sand it and you put on another paint… until it’s all like a surface that is very, very fine. Could you create this effect without sanding the surface down? Not so easily. I tell you why. You could do it maybe with little marks until they build a kind of a dense quality… But if you just do one coat it always looks like one coat, and for me it’s too thin.

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Are you painting in little strokes? I paint in little strokes, yes, than I sand it off a little bit, … I paint around… and then sometimes, on the gray ones I spray a ground on, and I blocked out the little stars and then I would repaint the stars. And then I would sand the whole thing down. I had various ways of putting the paint on, the very first ones, the small ones, were all painted. At the Carnegie you’ll see one of the early ones that has a little tiny horizon. Of course I haven’t accepted the horizon. It’s like for Guston, because he always had horizons. Why didn’t you accept it? I don’t know. I didn’t accept it because I thought the painting shouldn’t have a feeling that… It should be the unit. It shouldn’t have a feeling that there’s something beyond the painting or the horizon, I just didn’t want it as a pictorial device. So, you preferred the image to expand all-over. Yes. – This one has only been painted a couple of times, you’ll see it. It has a little comet in it. I’m interested in the way you paint and draw. Is it done with little strokes? How will you paint, it’s not done like a Seurat, I have strokes and then I knock them down, so that you don’t see the strokes. There are no big gestures. You once called it “points of consciousness”. Maybe in the drawings it was like that, but I think in the paintings I just wanted to make a very closed off surface, and I thought that if I put black on top of black on top of black and then made it very difficult that something would remain in the paintings that I couldn’t really do in any other way. It’s a little bit of a desperate feel to it. And now I’m too old from that. I can’t do it anymore. Now I’m making all kinds of things. I still have like three or four paintings left from that, when I started reversing... that reversed galaxies, and I could never make them work right. I have like three or four around and they look terrible. The light doesn’t go back, the black seems to want to fall back, even when you have it very much on the surface, it invites you in. You’ll see it up there, those particular works. Where you get to a certain point you want to like go in. The white ones don’t do that. They stay much flatter and I’m having trouble with that thing that I started out talking to you about, where there is a feeling that there is something that has depth but is also flat at the same time, your eyes see

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something flat but your mind wants to see the depth, that kind of dichotomy, and I couldn’t get that to happen in the white ones. But I still have hopes of somehow doing that, maybe by layering other stuff. I have paintings that I’ve worked on for years that are not that big… I must have driven those dealers crazy. [lacht] They would come and they would see that very dead thing. And then now I’m starting to paint other things. I decided that that was too obsessive and too difficult and I’m too old. I gave up my contact lenses, and now I have my glasses, it’s just too difficult. I’ve had a lot of shifts in my work where I break off. Then I think well I’ve got to do something. And I have another shift coming now. I have these breaks, but they all tend to be about similar kinds of issues. Is there something you consider your life work? No! Nada. That reminds me of the Goya-drawing by the same title: There is this dead man crawling out of his grave with a sign on his chest which says “nada”. – Could be read as a comment that even after death there was nothing to discover that would bestow life with meaning, I guess. I don’t think my work is frustrating though. But I’m not sure about the meaning of it, you know? I say that if you project too much on the work you don’t see the work. And if you expect the work to stop wars you’re going to be disappointed. And if you expect the work to be loved by everybody that’s not possible at all. I’m saying that the work is not that much. But it’s still something human beings do. As for me, I came from a family that had no art in it at all, I just went like a duck to water. I began to look at things. When I went to Europe I was just crazed to see all the work that in high school we had seen in books. It just became a real language for me and a reason to …. Well, sometimes I have doubts now, but anyway. So I fell into it, this became my world – like it has for all these people that have done the same thing, of course. Is there some art work from the past that fascinates you? I liked a lot of things. I think it’s amazing that Morandi has done so much with so little. Every time I look at it I’m reminded of the light in Italy, that kind of strange milkiness in the middle of the day. Where the browns are all like chocolate with milk in it, and pale blues and you just feel… it’s extraordinary that

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someone could have found that and put it in a painting in such a subtle way that you get it. I like a lot of artists. Who do I like? Things I did, maybe some of the same thoughts are the thoughts of the people of my own age. … One of them is Richter. Who is a much more conceptual artist. But didn’t you say that you didn’t know his work until around 1980? How would I have known, I was in California. He’s a bit older. We did have some similar childhood experiences. And then we had a similar kind of dark despair about work, he’s much more conceptual all in all, he just flies through images, where I tend to ponder through them. We had some similar things. Did you meet him? Yes, I met him! Dieter Schwarz knows him quite well and took him a catalogue of mine. And when he had a show here I met him. I don’t know whether he’s seen my work in person or not. But he’s seen the catalogue. I went through these airplanes in two years; I did them for about one year… And we both had, well I was from Indiana where there is nothing really happening I must tell you. And he was in East Germany where he had to do certain things. But I got more of a classical kind of education, but he was a sign painter, I think, so he’s really good at doing it fast. [lacht] I think we both had a little bit like an outsider view. I think he also liked the Abstract Expressionists. And he also has these weird periods, but I tend to wrap them up more or something, I’m a little bit different. He makes a decision and then he does like twenty abstract paintings or 40 gray paintings. But they’re much more kind of commercial techniques, where I tend to be a little more techniqueless. For him the technique is also a kind of a distancing. Both of us have a little bit done a collection of images. Like playing cards. Do you know his Atlas? Yes, I did see it at Dia. I think that’s where I realised that I had had some of the same pictures. Did you ever think about collecting your images? Oh, I’ll show you, I have a collection of images that I’ve had for thirty, forty years… I’m not an artist who plans out something. I plan a little bit, but often what I plan doesn’t work out. A lot of people plan out everything and then they do it.

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Your work seems to be planned, though. Well, it looks planned because it has an image that is already there. It’s so hard to tell about your own work. I want you to think about the work now. Don’t hurry. When you do write about somebody it’s always partly about you. Beside… the war thing, everybody went through the war. It was very odd, in California there were all these guys they were doing these fetish things, and there was the Diebenkorn crowd. But I was going back to these images. Actually it was a very unique thing to do in California, which is a much more colourful world. I was thinking I was also like getting in touch with a childhood feeling that I sometimes think that early work has, kind of like toys and things. There certainly is some kind of reliving an early experience in your early work... But the work has formal elements that we were talking about. I was trying to come to terms with those. What I find interesting is that in response to this slightly overwhelming experience in front of an abstract expressionist painting your work was getting smaller and smaller, becoming very dense. I was not the only one. There was this incredible minimalism. We all liked the abstract expressionists, but we realized we couldn’t do it anymore. Chuck loved them. I’m going to be on the panel for Bob Irwin…. He was a really obsessive and controlling person. Anyway, how he moved into controlling the rooms – he would go and install his paintings, first he would make the walls, then the whole room, and then he discovered that he liked the rooms more than the paintings [lacht]. Malcolm Morley was one of the first that I knew that I had seen in a magazine where he did that boat coming in the water from a postcard, crazy guy. Very expressionistic guy, he paints with a lot of gusto. Now he’s painting all these airplanes falling from the sky and burning… Brice Marden was one of the few people who continued the abstract painting, the paint being such a big part of the subject, the heroic size; he’s one of the few who continued it. Many people dropped out. But they still retained …There was something about those painting where you were trying to do the impossible. My pitiful attempts. – They have lived through it and I had not, I’d been in Indiana, with a totally different life, and they lived through these paintings. The other big influence – we’re all influenced by similar things – is Duchamp, with the objects, with the questioning of the art. Bob Gober’s work is

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also very influenced by Duchamp. I didn’t realize that he was so influenced by Duchamp either. Where I had a little bit of Magritte, too. But I kind of worked through that period and dropped it, but he really continued it... these objects that are put together and make these life stories about mostly his own life. He’s a terrific artist. Maybe he has influenced me a bit. Maybe I can change. I have a change coming now. He’s one of the few political artists I kind of like. Do you think your work has a classical quality? Well, I think because it’s so balanced between all these things that I’m talking about … it’s not so expressionist. Would you agree with those who say your craft has an old-masterish quality or shows a traditional attitude? I don’t know if it’s old-masterish. I did though when I was doing those things you’ll see in Pittsburgh [gemeint sind die Night Sky-Gemälde auf der 55.. Carnegie International “Life on Mars”]. You’ll see, the work looks so weird with the rest of the work. Anyway, I was thinking, God, maybe I like those hard edge artists like Piero della Francesca, Memling, the guys that are very flat and very hard. Memling and van der Goes. All those northern renaissance guys. I do love Piero della Francesca, mostly because he is just one of the best. Have you been to Arrezo? Yes, I went to see all the work of his. The Flagellation... - A place I haven’t been to is Milan, the Virgin Mary. Guston was very influenced by Piero della Francesca, his early work, where he did the very realistic things. But you see, I can’t really compose anymore, I gave up. One last question... Do you consider your works as running in series or do you see each painting as an individual work? Well, they’re individual works, and not really series, although some of them run in series; Coma Berenices or some of the prints for example. The work … I get tired of doing it and then I quit. Thank you for speaking with me.

DIE NIGHT SKY-GEMÄLDE VON VIJA CELMINS Malerei zwischen Sichtbarkeitsereignis und Repräsentationskritik

Diese Arbeit entwickelt ihre wahrnehmungsorientierte Perspektive auf das Werk von Vija Celmins aus der visuellen Erfahrung der Night Sky-Gemälde, die 2008/2009 auf der Carnegie International in Pittsburgh präsentierten wurden. Ausgehend von der ambivalenten Visualität der Night Sky-Gemälde stellen sich Fragen zur Entstehung, zum Charakter und zur Bedeutung der beobachteten Wahrnehmungsphänomene, aber auch zum Stellenwert des Motivs, der Funktion der von der Künstlerin verwendeten fotografischen Vorlagen und der Art des „Realitätsbezugs“ der dargestellten Sternenhimmel. Den Horizont der Arbeit bilden die Diskurse um die Emanzipation des Sehens und seine Eigenkraft, methodisch werden Ansätze der Produktions-, Rezeptions- und Wirkungsästhetik verbunden. So lässt sich beschreiben, wie durch die Überlagerung der „Sichtbarkeitsebenen“ des tiefendimensional lesbaren Sternenhimmel-Motivs und der modernistisch aufgefassten, verdichteten Gemäldeoberfläche im Auge des Betrachters multistabile Phänomene entstehen. Mit ihrer vielschichtigen Visualität sprechen die Night Skies einen Sichtbarkeitsbereich „zwischen“ visuellen Kategorien an. Dadurch lösen die Gemälde einen gedanklichen Reflexionsprozess über die hypothetische Natur des alltäglichen, durch Schemata bestimmten Sehens aus und entwickeln darüber hinaus eine wahrnehmungserweiternde und -präzisierende Wirkung, die letztlich die Autonomie des Sehens zurückgewinnen möchte. Auch Celmins’ Umgang mit Bildlichkeit erweist sich als außerordentlich komplex: Durch eine malerische Reflexion auf die Vorlagen – wissenschaftliche Aufnahmen des Nachthimmels – wird den Werken eine fotografische Ästhetik als weitere Sichtbarkeitsebene hinzugefügt und so zugleich die Referenzbeziehung des Motivs auf die Realität problematisiert. Der Status des Motivs im Gemälde wird in dieser Arbeit daher in Bezug zu repräsentationskritischen Theorien untersucht und aufgrund der „gebrochenen“ oder zumindest „gestörten“ Beziehung zwischen Bild und Realitätsebene auf den Begriff der dis-appearance gebracht. Wie sich zeigen lässt, befragen die Night Skies die Repräsentationsleistung von Fotografie und Malerei und führen als „Instrumente des Sehens“ – in Unterschied zu Sichtbarkeit herstellenden Technologien – das visuelle Erkenntnisvermögen in Grenzbereiche: Die Werke thematisieren die Alterität visueller Erfahrung in einem Spannungsfeld „zwischen Repräsentationskritik und Sichtbarkeitsereignis“.

THE NIGHT SKY-PAINTINGS OF VIJA CELMINS Painting Between Visual Incident and Representational Critique

Starting from the visual experience of the Night Sky paintings presented at the Carnegie International 2008/2009 in Pittsburgh, the thesis develops questions concerning the appearance, character and significance of what the viewer perceives. The visual ambivalence and superposition of surfaces that characterizes these important works can be understood as an expression of painting’s potential to itself generate vision beyond or between the categories of the everyday. Thus the viewer experiences the painting surface as a creative field of “visual incidents.” As the way in which the night sky motif is included in the picture seems determinative for a certain ambivalence in the paintings’ appearance, specific questions are formulated concerning the status of the image, the function of the underlying photographic model, and the potential referentiality of the night sky motif. These questions are elaborated in light of contemporary discourse concerning vision/visuality, and production/reception theory. The characteristic superposition of visual layers in the Night Sky paintings is analyzed as a “generative” kind of visuality that engages human perception between the dimensions of apparent spatial depth within the picture and the modernistic presence of the painting surface. This multilayered visuality challenges the “quick glance” and reclaims the autonomy of aesthetic vision. Furthermore, Celmins’ complex understanding of representation is also revealed in her painterly reflection on the photographic models. The “photographic” aesthetic she creates constitutes another layer of visibility in the painting, questioning the image’s level of referentiality. Hence the status of the night sky motif may be seen as a species of representational critique and, given its limited and problematic reference to reality, is finally described by the notion of disappearance. The perceptual scope of the Night Sky series – especially their potential to evoke visual incidents - is cohesively delineated and interpreted using important notions from the contemporary theory of images. The Night Sky paintings call into question the status of photography and painting as representational media. By revealing the fundamental alterity of visual experience, the works unfold their epistemic potential as “instruments of sight” in contrast to visual technologies.

Image Thomas Abel, Martin Roman Deppner (Hg.) Undisziplinierte Bilder Fotografie als dialogische Struktur Dezember 2011, ca. 280 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1491-6

Elize Bisanz (Hg.) Das Bild zwischen Kognition und Kreativität Interdisziplinäre Zugänge zum bildhaften Denken Oktober 2011, 426 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1365-0

Dietmar Kammerer (Hg.) Vom Publicum Das Öffentliche in der Kunst Januar 2012, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1673-6

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Image Annette Jael Lehmann Environments: Künste – Medien – Umwelt Facetten der künstlerischen Auseinandersetzung mit Landschaft und Natur Dezember 2011, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1633-0

Christine Nippe Kunst baut Stadt Künstler und ihre Metropolenbilder in Berlin und New York Mai 2011, 382 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1683-5

Susanne Regener Visuelle Gewalt Menschenbilder aus der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts 2010, 256 Seiten, kart., 135 Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-420-1

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Image Sabiene Autsch, Sara Hornäk (Hg.) Räume in der Kunst Künstlerische, kunst- und medienwissenschaftliche Entwürfe

Jeannette Neustadt Ökonomische Ästhetik und Markenkult Reflexionen über das Phänomen Marke in der Gegenwartskunst

2010, 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1595-1

Mai 2011, 468 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1659-0

Elize Bisanz Die Überwindung des Ikonischen Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft

Alejandro Perdomo Daniels Die Verwandlung der Dinge Zur Ästhetik der Aneignung in der New Yorker Kunstszene Mitte des 20. Jahrhunderts

2010, 184 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 21,80 €, ISBN 978-3-8376-1362-9

Lars Blunck (Hg.) Die fotografische Wirklichkeit Inszenierung – Fiktion – Narration 2010, 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1369-8

Julia Bulk Neue Orte der Utopie Zur Produktion von Möglichkeitsräumen bei zeitgenössischen Künstlergruppen Dezember 2011, ca. 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1613-2

Anita Moser Die Kunst der Grenzüberschreitung Postkoloniale Kritik im Spannungsfeld von Ästhetik und Politik September 2011, 332 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1663-7

Dezember 2011, ca. 330 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1915-7

Lars Spengler Bilder des Privaten Das fotografische Interieur in der Gegenwartskunst Mai 2011, 358 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1778-8

Katrin H. Sperling Nur der Kannibalismus eint uns Die globale Kunstwelt im Zeichen kultureller Einverleibung: Brasilianische Kunst auf der documenta Oktober 2011, 390 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1768-9

Sandra Umathum Kunst als Aufführungserfahrung Zum Diskurs intersubjektiver Situationen in der zeitgenössischen Ausstellungskunst. Felix Gonzalez-Torres, Erwin Wurm und Tino Sehgal November 2011, 188 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1838-9

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