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German Pages 248 Year 2016
Schriften zum Strafrecht Band 293
Die Nichtabführung von Umsatzsteuer als Straftat Die §§ 26b, 26c UStG im Spannungsfeld gesetzgeberischer Intention und praktischer Defizite
Von
Mareike Schmidt
Duncker & Humblot · Berlin
MAREIKE SCHMIDT
Die Nichtabführung von Umsatzsteuer als Straftat
Schriften zum Strafrecht Band 293
Die Nichtabführung von Umsatzsteuer als Straftat Die §§ 26b, 26c UStG im Spannungsfeld gesetzgeberischer Intention und praktischer Defizite
Von
Mareike Schmidt
Duncker & Humblot · Berlin
Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft im März 2014 als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Juni 2013 berücksichtigt werden. Die mündliche Prüfung im Rahmen des Promotionsverfahrens fand am 11. Juni 2014 statt. Ich danke meinem inzwischen leider verstorbenen Doktorvater Professor Dr. Erich Samson für die Betreuung und Begutachtung der Arbeit und die Anregung des Themas. Professor Dr. Karsten Gaede danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herzlichen Dank an alle Freunde, die mich während der Erstellung dieser Arbeit begleitet und damit dazu beigetragen haben, dass die Zeit als Doktorand abwechslungsreich und prägend war. Insbesondere danke ich Dr. Nadie Sophie Yokoi und Alexander Fischer für ihre Unterstützung beim Korrekturlesen. Mein ganz besonderer Dank geht an meine Eltern. Sie haben mich während der gesamten Zeit meiner Ausbildung in persönlicher und finanzieller Hinsicht liebevoll, selbstlos und großzügig unterstützt und damit ganz erheblichen Anteil am Abschluss dieser Arbeit und meiner gesamten Ausbildung. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im November 2015
Mareike Schmidt
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einführung und Problemdarstellung
15
A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
B. Funktionsweise des Umsatzsteuersystems und daraus folgende systembedingte Schwachstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Besonderheiten des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 16 18
C. Die Problematik der Umsatzsteuerkarusselle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Funktionsweise von Umsatzsteuerkarussellen und vergleichbaren „Geschäftsmodellen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirtschaftliche Bedeutung der Umsatzsteuerkarussellgeschäfte . . . . . . . . . . III. Aktuelle Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kritik und Alternativen bei der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung . . . . . . . .
20 20 24 25 26
2. Kapitel Strafrechtliche Problemstellungen außerhalb der §§ 26b, 26c UStG A. Übersicht über die Strafbarkeit der einzelnen Beteiligten eines Umsatzsteuerkarussells vor Einführung der §§ 26b, 26c UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Strafbarkeit des „buffers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlen von Warenbewegungen, fehlende Verfügungsbefugnis oder fehlende Unternehmereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bloße Kenntnis von einem Mehrwertsteuerbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Die Rückgängigmachung umsatzsteuerpflichtiger Rechtsgeschäfte (insb. Leasing- und Mietkaufmodell), Rückgängigmachen der Option gemäß § 9 Abs. 1 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strafbarkeit des „missing traders“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erklärungspflichten des „Scheinunternehmers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konsequenzen der neueren EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Strafbarkeit des „distributors“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Generelle Anmerkungen/Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28 28 29 29 30
33 36 36 37 38 39 40 41 41
10
Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel Die §§ 26b, 26c UStG
43
A. Täterkreis/Gebotsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Allgemeine Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I. Zielsetzung der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Sanktionierung der Nichtabführung bei eigener Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Systematische Ungleichbehandlung durch Sanktionierung? . . . . . . . . . . . 46 2. Rechtfertigung der Sanktionierung aufgrund treuhandähnlicher Stellung des leistenden Unternehmers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Voraussetzungen eines treuhandähnlichen Verhältnisses nach Maßgabe des Zivilrechts oder eines Treueverhältnisses nach dem Vorbild des Untreuetatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Bestehen eines treuhandähnlichen Verhältnisses zwischen den am Umsatz beteiligten Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Bestehen eines treuhandähnlichen Verhältnisses zwischen leistendem Unternehmer und Fiskus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 aa) Zeitpunkt der Entstehung eines treuhandähnlichen Verhältnisses 54 (1) In Betracht kommende Zeitpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (2) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 bb) Materielle Folgen einer besonderen Stellung des leistenden Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (1) Vergleich zur Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (2) Insolvenzrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. „Rechnung“ i. S. d. § 26b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Einführung und Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Auslegungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Die grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Die systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Die historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 d) Die teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 aa) Steuerrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 bb) Konsequenzen für die strafrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . 70 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Unrichtiger und unberechtigter Steuerausweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 II. Fälligkeitszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Inhaltsverzeichnis
11
1. Allgemeines; Verfassungsmäßigkeit der Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
a) Fehlgehen der Verweisung in § 26b Alt. 1 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
b) Bedeutung der Umsatzsteuerzahllast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
2. Anmeldung als Tatbestandsvoraussetzung/Konkurrenzverhältnis zu § 370 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
a) Übersicht über den Streitstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
aa) Steueranmeldung in jedem Fall Voraussetzung für Fälligkeit . . .
77
bb) Steueranmeldung nur bei der Jahreserklärung Voraussetzung für Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
cc) Begrenzung der Anwendung auf angemeldete Steuer aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
dd) Anwendung der §§ 26b, 26c UStG unabhängig von der Steueranmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
b) Würdigung und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
4. Verzögerte Zahlung, „nachlässige Nichtzahlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
a) Zahlungen innerhalb der Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO . . . . . . . . .
91
b) Weitere Fälle der verspäteten Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
d) Opportunitätserwägungen der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
III. Vorsatzerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 Grundsatz der Möglichkeit der Vornahme der gebotenen Handlung . . . . . . 100 II. Grundsätze der omissio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I.
1. Ableitung der Modelle der omissio libera in causa von den Begründungsansätzen zur actio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Die unterschiedlichen Ausprägungen der Tatbestandslösung . . . . . . . 103 aa) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Konsequenzen für die Voraussetzungen der omissio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 dd) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Die unterschiedlichen Ausprägungen des Ausnahmemodells . . . . . . 107 c) Das Ausdehnungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Eigenständige Begründungsansätze für die omissio libera in causa . . . . 109 a) Dispositionsmöglichkeit über eigene Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Ingerenzhaftung/Pflichtlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Missbrauchslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Generelle Ablehnung der Rechtsfigur der omissio libera in causa . . . . . 112
12
Inhaltsverzeichnis 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konkrete Voraussetzungen an die Handlungsfähigkeit und das vorwerfbare Außerstandesetzen im Rahmen des § 266a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatsächlich fehlende Handlungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkurrierende Zahlungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Pflichten in Bezug auf die Mittelverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorrangrechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsprechung des II. Zivilsenats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ansichten im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konsequenzen für Anwendbarkeit und Umfang der omissio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mittelverwendung (omissio per commissionem) . . . . . . . . . . . . . . bb) Pflichten in Bezug auf die Mittelverschaffung (omissio libera in omittendo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlende Liquidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konkurrierende Zahlungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Strafbarkeit aufgrund pflichtwidrigen Verhaltens im Vorfeld . . . (1) Omissio per commissionem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Omissio libera in omittendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Parallelen und Unterschiede im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG . . . . . . . . . . 1. Die Behandlung konkurrierender Zahlungsverpflichtungen im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besondere Tilgungsreihenfolge innerhalb der öffentlich-rechtlichen Pflichten aus Gründen des Drittschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtslage bei Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtslage bei Nichtabführung von Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsfolgen bei Nichtabführung von Umsatzsteuer . . . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafbarkeit trotz fehlender Leistungsfähigkeit aufgrund der Grundsätze der omissio libera in causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit der Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichtwidrigkeit im Vorfeld der Zahlungspflicht aus §§ 26b, 26c UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Literaturansichten zu den konkreten Pflichten im Vorfeld der Fälligkeit der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 114 115 117 118 118 121 121 124 128 129 131 131 134 135 135 136 136 136 137 137 138 138 140 141 141 142 142 142 142 144 144
Inhaltsverzeichnis bb) Konkretisierung des pflichtwidrigen Verhaltens im Vorfeld der §§ 26b, 26c UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Aktives Vorverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Pflichtwidriges Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abweichende Beurteilung im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG wegen treuhandähnlicher Stellung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verbleibender Anwendungsbereich für die Opportunitätsregelungen . . . . . . 1. Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Fälle der Anwendung des Opportunitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . E. Die besonderen Merkmale des § 26c UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bandenmäßige Begehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Bandenbegriff im Strafrecht allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bandenbegriff im Steuerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Bandenbegriff im Rahmen des § 26c UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Inhalt der Bandenabrede im Rahmen des § 26c UStG . . . . . . . . b) Die Möglichkeit eines „bandenmäßigen Unterlassens“ . . . . . . . . . . . . c) § 26c UStG als Sonderdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Fall der mangelnden Leistungsfähigkeit im Rahmen des Bandendelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Mehrpersonenkonstellationen bei juristischen Personen . . . . . . . . . . . f) Fazit/eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Begriff der Gewerbsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Relevanz der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderheit in Bezug auf die wiederholte Begehung im Steuerstrafrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ersparnis von Aufwendungen als Einnahmequelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit/eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
146 146 147 147 148 149 150 152 152 153 153 154 156 157 158 160 161 162 162 164 164 166 167 168
F. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Rechtsfolgen des § 26b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Rechtsfolgen des § 26c UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 G. Möglichkeit der Selbstanzeige? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtspolitisches Bedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck und Rechtfertigung des Instituts der Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . 2. Schlussfolgerungen/methodische Begründbarkeit der Analogiebildung II. Praktische Durchführbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173 173 175 178 180
H. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
14
Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Steuerrechtliche Lösungsansätze
186
A. Reverse Charge I (Reverse-Charge-Verfahren mit Vorsteuerverrechnung) . . 187 B. Reverse Charge II (Reverse-Charge-Verfahren mit Gesamtschuldnerhaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 C. „Mittler-Modell“ – Modell der Vorstufenbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 D. Ist-Versteuerung bzw. Ist-Versteuerung mit Cross-Check . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 E. „Ifo-Modell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 F. Vorsteueranrechnungsmodell (auch „Vorsteuerüberrechnung“) . . . . . . . . . . . 204 G. Die Vorschläge des „Bundessteuergesetzbuchs“ von Paul Kirchhof . . . . . . . . 206 H. „Umsatzsteuer-Audit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
5. Kapitel Reformbedürftigkeit und Reformfähigkeit
212
A. Ausgangsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 B. Bestehende Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 C. Eigener Reformvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Herleitung/Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erhöhte Anforderungen an die subjektiven Tatbestandsmerkmale . . . . . . a) Zeitliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Qualitative Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Parallele zu Sachverhaltskonstellationen beim Eingehungsbetrug . . . . . . 3. Praktische Aspekte/Nachweisbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Formulierungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216 216 216 216 217 218 222 222 222
6. Kapitel Fazit/Wesentliche Thesen
224
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
1. Kapitel
Einführung und Problemdarstellung Mit Wirkung zum 1. Januar 2002 wurden durch das „Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze“ (Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz – StVBG)1 einige Änderungen am Umsatzsteuergesetz vorgenommen. Insbesondere wurden neben einem Haftungstatbestand (§ 25d UStG), der Umsatzsteuer-Nachschau (§ 27b UStG) und einer Regelung zur Sicherheitsleistung vor allem bei Vorsteuervergütungen (§ 18f UStG) auch ein Ordnungswidrigkeits- sowie ein Straftatbestand (§§ 26b, 26c UStG) aufgenommen.2 Diese Änderungen waren Reaktion auf die Kriminalität im Bereich der Umsatzsteuerabführung, die sich im Rahmen sog. „Umsatzsteuerkarusselle“ 3 die mit der Methode des Vorsteuerabzugs verbundenen Schwachstellen des Umsatzsteuersystems zu Nutze macht. Dabei entstehen zusätzliche Vorteile durch den innergemeinschaftlichen Erwerb, auf den seit 1993 aufgrund der Binnenmarktrichtlinie4 keine Umsatzsteuer mehr erhoben wird, sodass es dem Erwerber ermöglicht wird, Netto- in Bruttopreise umzuwandeln.5
1
Gesetz vom 19.12.2001, BGBl. I 2001, 3922. Der ebenfalls durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz neu geschaffene § 370a AO, der die gewerbs- oder bandenmäßige Steuerhinterziehung zum Verbrechenstatbestand erhob, ist nach umfangreicher Kritik und massiven Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift durch das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ vom 21.12.2007 (BGBl. I 2007, 3198) mit Wirkung zum 01.01.2008 wieder aufgehoben worden (Art. 3 Nr. 3 des Gesetzes v. 21.12. 2007); stattdessen wurde mit Wirkung zum 01.01.2008 ein entsprechend ausgestalteter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung in § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO normiert (Art. 3 Nr. 2 lit. d des Gesetzes v. 21.12.2007). 3 Kritisch bezüglich der Begriffsverwendung auch für Lieferketten Hellmann, wistra 2005, 161, 162, der diesen Begriff nur für tatsächlich geschlossene Kreisläufe, in denen alle Beteiligten zum Zwecke der Steuerhinterziehung zusammenwirken, verwenden möchte. Für die generelle Funktionsweise und die Frage der Sanktionierungsbedürftigkeit ist jedenfalls nicht entscheidend, ob die Lieferung im Kreis oder „nur“ in einer Kette erfolgt. 4 Richtlinie v. 16.12.1991, ABl. EG Nr. L 376/1991, 1. 5 Vgl. auch Kemper, NStZ 2006, 593, 594. 2
16
1. Kap.: Einführung und Problemdarstellung
A. Untersuchungsgegenstand Diese Arbeit stellt zunächst kurz die Funktionsweise der Umsatzsteuerkarusselle, die der Ausgangspunkt für die diversen Maßnahmen des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes waren,6 dar. Hauptgegenstand der Arbeit ist die Untersuchung der §§ 26b, 26c UStG, die in dogmatischer und rechtspolitischer Hinsicht hinterfragt werden. Nach einem Überblick über die steuersystematischen Alternativen zu straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Ansätzen zur Betrugsbekämpfung wird anschließend ein Alternativvorschlag zur derzeitigen Fassung der §§ 26b, 26c UStG entwickelt und vorgestellt. In Bezug auf die Sanktionierung durch §§ 26b, 26c UStG soll hinterfragt werden, inwieweit behauptete Sanktionslücken durch §§ 26b, 26c UStG geschlossen werden können. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob diese Sanktionierung zu einer Ungleichbehandlung der Steuerarten führt sowie ob und inwieweit die §§ 26b, 26c UStG sich in das generelle Sanktionsgefüge des Steuerstrafrechts einfügen. Es wird untersucht, ob dies in bestimmten Konstellationen aufgrund systemimmanenter Risiken gerechtfertigt sein kann. Zudem setzt die Arbeit sich damit auseinander, ob insbesondere mit Blick auf die gesetzgeberische Intention sowie die Sanktionswürdigkeit der Wortlaut der Normen einschränkend auszulegen ist.
B. Funktionsweise des Umsatzsteuersystems und daraus folgende systembedingte Schwachstellen I. Allgemeines Prinzip Die Funktionsweise des Umsatzsteuersystems an sich ist in einer Vielzahl von Lehrbüchern hinlänglich erläutert und soll hier daher nicht vertieft beschrieben werden. Dargestellt werden sollen lediglich in aller Kürze die absoluten Grundzüge der Umsatzbesteuerung, da diese Ursprung für die besondere Betrugsanfälligkeit des Umsatzsteuersystems und damit auch Gegenstand der diversen Lösungsansätze in Literatur und Gesetzgebung sind. Im Grundsatz hat das Umsatzsteuersystem sich im Laufe der Zeit und aufgrund europarechtlicher Vorgaben zu einer Allphasen-Nettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug entwickelt, die es ermöglicht, dass in wirtschaftlicher Hinsicht nur der Endverbraucher belastet wird.7 Erhebungstechnisch unterliegt allerdings der Umsatz auf jeder Stufe der Umsatzsteuer („Allphasensystem“).8 Steuerpflichtige sind dabei die Unternehmer, denen die praktische Durchführung der Umsatz6 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471 S. 7 f. 7 Hahn/Kortschak, Kap. 1 Rn. 10; Stadie, Umsatzsteuerrecht Kap. 1 Rn. 1.10. 8 Hahn/Kortschak, Kap. 1 Rn. 11; Stadie, Umsatzsteuerrecht Kap. 1 Rn. 1.8.
B. Funktionsweise des Umsatzsteuersystems
17
steuerabführung und Vorsteuervergütung obliegt. Sie wird aus diesem Grunde auch als „indirekte Steuer“ bezeichnet.9 Der Leistungserbringer stellt dabei dem Leistungsempfänger das Entgelt für die Leistung zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung und führt die durch den Umsatz entstehende Umsatzsteuer ab. Der Leistungsempfänger kann den jeweiligen Umsatzsteuerbetrag unter den Voraussetzungen des § 15 UStG als Vorsteueranspruch gegenüber dem Fiskus geltend machen. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass für denselben Vorgang des Wirtschaftslebens, nämlich den Umsatz auf einer bestimmten Stufe, bei der Umsatzsteuerabführung und dem Vorsteuerabzug unterschiedliche Steuerpflichtige bzw. Vergütungsberechtigte, deren Steuerschuldverhältnisse unabhängig voneinander abgewickelt werden, betroffen sind. Als weitere praktische Schwierigkeit bei der Aufdeckung von Missbrauchsfällen kommt hinzu, dass folglich in aller Regel auch unterschiedliche Finanzämter mit demselben Wirtschaftsvorgang im Rahmen der Umsatzsteuerberechtigung und der Vorsteuervergütung befasst sind. Der Leistungsempfänger macht gleichzeitig mit der Umsatzsteuervoranmeldung seine Vorsteuerberechtigung in der Höhe geltend, in der er selbst die Umsatzsteuer an den steuerpflichtigen Veräußerer abgeführt hat. Die Abführung der Umsatzsteuer durch den Veräußerer hingegen ist ein separater Vorgang. Da auch der Vorsteueranspruch grundsätzlich unabhängig davon besteht, ob für den fraglichen Wirtschaftsvorgang durch den Veräußerer die Umsatzsteuer entrichtet wird, liegt das Risiko für die Uneinbringlichkeit der Umsatzsteuerforderung beim Fiskus. Insbesondere kann nach der Rechtsprechung des EuGH10 und auch des BFH11 einem Unternehmer der Vorsteuerabzug nicht versagt werden, wenn dieser weder wusste noch wissen konnte, dass der fragliche Umsatz in einen Betrug verstrickt ist. Lediglich wenn erwiesen ist, dass der Leistungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass dieser Umsatz in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, kann die Vorsteuererstattung verweigert werden.12 Für die steuerrechtliche Beurteilung trägt dabei nach Ansicht des BFH der den Vorsteueranspruch geltend machende Unternehmer die Beweislast dafür, dass die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und damit auch dafür, dass er von einem möglichen Hinterziehungsplan eines anderen beteiligten Unternehmers weder wusste noch wissen musste.13 9
Stadie, Umsatzsteuerrecht Kap. 1 Rn. 1.17. EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04 – Axel Kittel und Recolta Recycling SPRL, Slg 2006, I-6161 = UR 2006, 594. 11 BFH, Urt. v. 19.04.2007 – V R 48/04, DStR 2007, 1524. 12 EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04 – Axel Kittel und Recolta Recycling SPRL, Slg 2006, I-6161 = UR 2006, 594; BFH, Urt. v. 19.04.2007 – V R 48/ 04, DStR 2007, 1524. 13 BFH, Urt. v. 19.04.2007 – V R 48/04, DStR 2007, 1524. 10
18
1. Kap.: Einführung und Problemdarstellung
Dem Umsatzsteuersystem liegt des Weiteren die sog. „Sollbesteuerung“ zu Grunde, d. h. die Besteuerung richtet sich nach vereinbarten Entgelten, § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG. Nur in den in § 20 Abs. 1 UStG genannten Fällen kann das Finanzamt auf Antrag die Besteuerung der vereinnahmten Entgelte gestatten (Rechtsfolgeermessen des Finanzamts)14, also die „Istbesteuerung“ zulassen. Auch dieses System der generellen Sollbesteuerung wird mitunter als Quelle für die Betrugsanfälligkeit oder sonstige Steuerausfälle im Zusammenhang mit der Erhebung der Umsatzsteuer, genauer: der Vorsteuererstattung, angesehen.15
II. Besonderheiten des Binnenmarktes Die Problematik der Karussellgeschäfte wird verstärkt und wirtschaftlich für die Beteiligten besonders interessant durch die Besonderheiten des Binnenmarktes.16 Im europäischen Binnenmarkt gilt grundsätzlich17 das Bestimmungslandprinzip.18 Danach wird bei einer grenzüberschreitenden Lieferung innerhalb des Gemeinschaftsgebiets die Einfuhr durch den Einfuhrstaat besteuert, während durch den Ausfuhrstaat eine Steuerbefreiung gewährt wird.19 Auf das Ausführen einer Ware (die innergemeinschaftliche Lieferung) fällt also aufgrund eines Steuerbefreiungstatbestands für die Ausführenden keine Umsatzsteuer an.20 Im deutschen UStG findet sich diese Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung in § 4 Nr. 1 lit. b i.V. m. § 6a UStG, die Umsatzsteuergesetze der anderen Mitgliedstaaten enthalten entsprechende Regelungen.21 Besteuert wird hingegen der innergemeinschaftliche Erwerb eines Unternehmers, die Besteuerung liegt also beim Empfänger der Lieferung (im Bestimmungsland), vgl. die entsprechende Regelung in Deutschland § 1 Abs. 1 Nr. 5 i.V. m. § 1a UStG.22 Da dem Erwerber aber gleichzeitig ein entsprechender Vorsteuerabzug zusteht,23 wird er durch den innergemeinschaftlichen Erwerb wirtschaftlich nicht belastet („Reverse Charge“).
14
Bunjes-Korn, § 20 Rn. 27; Sölch/Ringleb-Wagner, § 20 Rn. 28. Rau/Dürrwächter-Stadie, Einf. Rn. 201 ff.; Stadie, UR 2004, 136, 137. 16 Kemper, UR 2009, 751 ff.; Reiß, UR 2002, 561, 563 ff. 17 Nur für den Bereich des privaten Reiseverkehrs gilt von diesem Grundsatz abweichend das Ursprungslandprinzip, vgl. Hahn/Kortschak, Kap. 3 Rn. 149 a. E. 18 Bunjes-Robisch, Vor § 1 Rn. 25; Hahn/Kortschak, Kap. 3 Rn. 149; Reiß, UR 2002, 561, 563. 19 Hahn/Kortschak, Kap. 3 Rn. 149. 20 Bunjes-Robisch, Vor § 1 Rn. 25; vgl. auch Kohlmann-Schauf, § 370 AO Rn. 1398 mit umfangreichen Erläuterungen zu den für die Befreiung erforderlichen Nachweispflichten. 21 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 4; Hahn/Kortschak, Kap. 3 Rn. 149. 22 Bunjes-Robisch, Vor § 1 Rn. 25. 23 § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG. 15
B. Funktionsweise des Umsatzsteuersystems
19
Zweck dieser einheitlichen Vorgehensweise ist nicht nur die Vermeidung europarechtswidriger Doppelbesteuerungen, sondern auch die Gleichbehandlung der eingeführten Ware mit inländischen Waren durch Besteuerung mit denselben Umsatzsteuersätzen und Unterwerfung unter das Besteuerungsrecht des Zielstaates.24 Daraus ergibt sich materiell die Besteuerung nur für den nichtunternehmerischen Endverbraucher und nur im Bestimmungsland.25 Das Bestimmungslandprinzip wird als notwendige Konsequenz der noch bestehenden und jedenfalls derzeit auch nicht in Frage stehenden Steuerhoheit der einzelnen Mitgliedstaaten angesehen, die nicht zuletzt Unterschiede bei Steuersatz, Befreiungen und Vorsteuerausschluss zur Folge hat.26 Auch das Prinzip der Wettbewerbsneutralität soll durch das Festhalten am Bestimmungslandprinzip erreicht und gewahrt werden.27 Diese Regelungen wurden ursprünglich als Übergangsregeln in die 6. EG-Richtlinie aufgenommen. Es ist allerdings derzeit nicht mit einer endgültigen Regelung zu rechnen, zumal eine zeitliche Grenze für die Übergangsregelungen auch mit Ablösung der 6. EG-Richtlinie durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht geschaffen wurde.28 Gerade aus dem geltenden System bei grenzüberschreitenden Lieferungen ergibt sich aber eines der „Hauptgeschäftsfelder“ international agierender und auf den Gewinn aus dem Vorsteuerabzug zielender eigens eingerichteter Lieferketten, denen die durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz eingeführten Neuerungen Einhalt gebieten sollten. Auch der Vollzug der Geschäfte betrügerisch agierender Tätergruppen wurde durch den seit dem 1. Januar 1993 bestehenden EG-Binnenmarkt zusätzlich vereinfacht, da durch den Wegfall der Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedstaaten die Warenbewegungen zwischen den Mitgliedstaaten nur noch durch Frachtpapiere dokumentiert werden.29 Insbesondere die Erscheinungsform des organisierten Umsatzsteuerbetrugs, in der tatsächlich gar keine Waren bewegt werden, kann hierdurch nur erschwert aufgedeckt werden. Im Übrigen wird durch die Zuständigkeit unterschiedlicher Behörden die Verschleierung der betrügerischen Umsatzsteuervermeidung zusätzlich erschwert.30 Nicht zuletzt aus diesem Grunde wird eine bessere Zusammenarbeit unter den Steuerbehörden der europäischen Staaten gefordert.31 Bereits derzeit bestehen auf Bundesebene verschiedene Datenbanken, durch die den Steuerbehörden die Entdeckung von Betrugsfällen erleichtert werden soll. Hierzu gehören die Daten24 25 26 27 28 29 30 31
Hahn/Kortschak, Kap. 3 Rn. 149. Vgl. Reiß, UR 2002, 561, 563. Reiß, UR 2002, 561, 563. Reiß, UR 2002, 561, 563. Kemper, UR 2009, 751, 754, dort auch Fußnote 33. Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 183. Reiß, UR 2002, 561, 565. Dathe, Umsatzsteuerhinterziehung (2009), S. 124.
20
1. Kap.: Einführung und Problemdarstellung
bank „ZAUBER“ („Zentrale Datenbank zur Speicherung und Auswertung von Umsatzsteuer-Betrugsfällen und Entwicklung von Risikoprofilen“), die Betrugsfälle im Bereich der Umsatzsteuer erfasst, sowie die Datenbank „ISI“ („Informations-System der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen“), in der Informationen über ausländischer Rechtsträger, insbesondere zur Identifizierung sog. Briefkastenfirmen, hinterlegt sind.32 Durch das Verfahren „LUNA“ („Länderumfassende Namensauskunft“) soll zudem durch die Möglichkeit, bundesweit Daten zu steuerlich erfassten Unternehmern abzufragen, die Entdeckung mehrfacher umsatzsteuerlicher Registrierungen, die zu Betrugszwecken vorgenommen werden können, ermöglicht werden.33
C. Die Problematik der Umsatzsteuerkarusselle I. Funktionsweise von Umsatzsteuerkarussellen und vergleichbaren „Geschäftsmodellen“ Der Begriff „Umsatzsteuerkarussell“ hat sich in der steuerstrafrechtlichen Literatur zur Beschreibung der das Umsatzsteuersystem ausnutzenden organisierten Leistungskreisläufe etabliert, er ist allerdings nicht gesetzlich definiert.34 Dies ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass eine gesetzliche Definition Umgehungsmöglichkeiten ermöglichen würde und jedenfalls für die rechtliche Einzelfallbeurteilung ohnehin nicht notwendig ist. Um das Phänomen des Umsatzsteuerkarussells dennoch zu verdeutlichen, hat der Bundesrat im Zusammenhang mit Überlegungen zu Änderungen in § 13b UStG im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz eine grobe Beschreibung des Modells geliefert: „Ein Karussellgeschäft liegt dann vor, wenn der Liefergegenstand über mehrere nachfolgende Lieferanten zum ersten Lieferanten zurückgelangt ist und einer der Lieferanten („missing trader“) die von ihm in einer Rechnung im Sinne des § 14 UStG ausgewiesene Steuer vorsätzlich nicht entrichtet hat oder sich vorsätzlich oder leichtfertig außer Stande gesetzt hat, die ausgewiesene Steuer zu entrichten. Der Liefergegenstand ist auch bei einer nur mengenmäßigen Übereinstimmung an den ersten Lieferanten zurückgelangt. Eine Ausnahme ist für die Fälle zu machen, in denen der jeweilige Lieferant nachweist, dass er den von ihm bezogenen Liefergegenstand an einen Lieferanten außerhalb des Karussells geliefert hat.“ 35
32 Antwort der Bundesregierung auf kleine Anfrage zu Maßnahmen zur Vermeidung von Umsatzsteuerbetrug und Evaluierung bestehender Strategien zur Minimierung der Umsatzsteuerlücke vom 5.5.2011, BT-Drucks. 17/5751, S. 8. 33 Antwort der Bundesregierung auf kleine Anfrage zu Maßnahmen zur Vermeidung von Umsatzsteuerbetrug und Evaluierung bestehender Strategien zur Minimierung der Umsatzsteuerlücke vom 5.5.2011, BT-Drucks. 17/5751, S. 8. 34 Vgl. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 251.
C. Die Problematik der Umsatzsteuerkarusselle
21
Dabei können unterschiedlichste Erscheinungsformen des Geschäfts auftauchen, auch ist es für die „Wertschöpfung“ auf Seiten der Teilnehmer und die Schädigung auf Seiten des Fiskus nicht erforderlich, dass die Ware an den ursprünglichen Lieferanten zurückgelangt, vielmehr hätte auch eine „Lieferkette“ den gleichen Effekt.36 Es lässt sich aber trotz unterschiedlicher Erscheinungsformen ein „Grundmodell“ beschreiben, das als wesentliches Element die organisierten Geschäfte prägt.37 Dabei verkauft ein deutscher Unternehmer einen Gegenstand an einen Unternehmer in einem anderen EU-Mitgliedstaat. Der Gegenstand kann dabei zum Nettopreis veräußert werden. Denn gemäß §§ 4 Nr. 1 lit. b, 6a UStG ist eine innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei.38 Der in dem anderen Mitgliedstaat ansässige Erwerber liefert den Gegenstand, ggf. über eine Zwischenstation, wiederum steuerfrei39 nach Deutschland zurück an einen weiteren Unternehmer. Dieser erhält folglich ein mit Umsatzsteuer nicht belastetes Wirtschaftsgut.40 Dieser inländische Erwerber ist der „missing trader“ 41, der später – wie von Beginn an geplant – auf unterschiedliche Weise, häufig durch Liquidation oder schlicht durch Untertauchen,42 vom Markt verschwindet und daher die von ihm geschuldete Umsatzsteuer nicht entrichtet, während der von diesem „missing trader“ erwerbende Unternehmer zu Recht seinen Vorsteuerabzug geltend macht.43 Der „missing trader“ veräußert den Gegenstand an einen weiteren inländischen Unternehmer, der entweder an einen Endverbraucher weiterverkauft oder aber den „Kreislauf“ 44 von Neuem beginnen lässt. In der Regel ist der „missing trader“ ein steuer- und handelsrechtlich ordnungsgemäß registrierter Unternehmer, der allerdings häufig – außerhalb der Tätigkeit für das „Umsatzsteuerkarussellgeschäft“ – keine nennenswerte wirtschaft35 Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BT-Drucks. 14/7085 S. 2 f. 36 So auch Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 253. 37 BFH v. 29.11.2004 – V B 78/04, wistra 2005, 233, 235; Kohlmann-Schauf, § 370 AO Rn. 1397; Kemper, UR 2009, 751, 752. 38 Vgl. unter B. II. 39 Eine entsprechende Regelung zur Steuerbefreiung bei der Ausfuhr gibt es auch in den übrigen Mitgliedstaaten, vgl. unter B. II. 40 Kemper, UR 2009, 751, 753. 41 Einheitliche Begriffsverwendung in den EG, vgl. Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1925/2004 der Kommission vom 29.10.2004. 42 Reiß, UR 2002, 561, 565. 43 Bunjes-Leonard, § 25d Rn. 1; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 3; Kemper, UR 2009, 751, 752. 44 Da in vielen Fällen – wohl auch aus Gründen der effektiveren Verschleierung – die Waren nicht an den ursprünglichen Händler zurückgelangen, wird bei erneuter Lieferung in ein Drittland auch von „Spiralgeschäften“ gesprochen, vgl. Nöhren, Die Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 259.
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1. Kap.: Einführung und Problemdarstellung
liche Tätigkeit ausübt.45 Es ist in der Regel keine ausreichende Kapitalausstattung vorhanden,46 die Stammeinlage der Gesellschafter ist oft nicht erbracht.47 Er ist häufig nur für kurze Zeit am Markt tätig. So ist es möglich, dass der Unternehmer zwar eine entsprechende Rechnung, die den Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt, ausstellt und die Umsatzsteuer sogar anmeldet, sich aber der tatsächlichen Abführung dieser Steuer entzieht.48 Derjenige Unternehmer hingegen, der vom „missing trader“ erwirbt, macht grundsätzlich zu Recht seinen Vorsteueranspruch geltend, während für dieselbe Lieferung vom zur Abführung verpflichteten Leistungserbringer keine Umsatzsteuer abgeführt wird. Hierdurch kann der „missing trader“ den Bruttopreis der Waren letztlich auf ihren Nettopreis reduzieren, sodass der Erwerber („distributor“), der die an den „missing trader“ gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer vom Finanzamt zurückerhält, die Waren letztlich unter dem ursprünglichen Preis erhalten kann.49 In das soeben genannte Grundmodell können weitere Unternehmer als „Zwischenstationen“ eingebunden werden (sog. „buffer“).50 Dies sind in der Regel etablierte Unternehmer, die einen eigenen Geschäftsbetrieb unterhalten und an dem Umsatz nur nebenbei mitwirken; hierdurch wird die Gefahr der Aufdeckung verhindert und ggf. auch der Nachweis des Vorsatzes und des Zusammenwirkens erschwert.51 Die organisierten Strukturen werden mitunter von dritten Personen, die in dem Lieferkreislauf selbst gar nicht in Erscheinung treten, gezielt „errichtet“, sodass teilweise sogar von organisierter Kriminalität gesprochen wird.52 Zum Teil sind die eigentlichen Nutznießer aber auch selbst Teil des Karussells und dem „buffer“ nachgeschaltet.53 Die Verschleierung krimineller Organisationen wird durch die Abwicklung über innergemeinschaftliche Grenzen aufgrund der schwachen Kontrollen im Binnenmarkt erleichtert, sodass der installierte „missing trader“ ggf. mehrfach unentdeckt fungieren kann.54 Teilweise werden zur Erschwerung von Nachforschungen auch Unternehmer aus Drittstaaten einbezogen.55 Bei der Ausge45 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 4; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 3. 46 BFH, Beschl. v. 5.2.2004 – V B 180/03, BFH/NV 2004, 988; Muhler, wistra 2009, 1, 3. 47 Wannemacher-Traub, Rn. 1333. 48 Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 3. 49 Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 256. 50 Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 257. 51 Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 258. 52 Kemper, UR 2009, 751, 753. 53 Wannemacher-Traub, Rn. 1335. 54 Reiß, UR 2002, 561, 565. 55 Kemper, UR 2009, 751, 753.
C. Die Problematik der Umsatzsteuerkarusselle
23
staltung dieser „Geschäftsmodelle“ sind verschiedene Konstellationen denkbar. Zum Teil erklärt der „missing trader“ seine Umsätze gar nicht gegenüber dem Finanzamt.56 Auch sind Konstellationen denkbar, in denen tatsächlich gar keine Waren bewegt werden und die Lieferungen „nur auf dem Papier“ erfolgen.57 In diesen Konstellationen allerdings verwirklichen die Beteiligten ggf. bereits den Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO oder leisten eine entsprechende Beihilfehandlung.58 In der Praxis wird diese Art von Handel – so denn tatsächlich eine Warenlieferung stattfindet – regelmäßig mit kleinen hochpreisigen Wirtschaftsgütern59 betrieben,60 da auf diese Weise die mit der grenzüberschreitenden Warenlieferung verbundenen Transportkosten gering gehalten werden können.61 Der betrügerisch agierende Unternehmer setzt sich in der Regel entweder mit der erhaltenen Vorsteuer ins Ausland ab, wobei davon auszugehen ist, dass die Karussellteilnehmer die nicht entrichtete Umsatzsteuer untereinander aufteilen,62 oder gibt den durch die Umsatzsteuerersparnis niedrigeren Preis direkt an den Kunden weiter, wodurch ein zum Teil ruinöser Preiskampf geführt wird.63 Denkbar ist mithin zum Einen der Fall, dass die Waren zwar tatsächlich bewegt werden, aber diese Warenbewegung nur im Kreis erfolgt und von Beginn an nie geplant war, die Gegenstände an einen Endverbraucher zu veräußern.64 Ebenfalls ist die Konstellation denkbar, dass das Wirtschaftgut zwar am Ende an einen Endverbraucher geliefert werden soll, allerdings die Ware aufgrund der „Gewinnziehung“ aus dem Umsatzsteuersystem zum Nachteil steuerehrlicher Wettbewerber billiger wird.65 Als Reaktion auf diesen Missbrauch wurde durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz mit der Einführung unter anderem des § 26b UStG sowie der Qualifikation in § 26c UStG die reine Nichtabführung der Umsatzsteuer bebußt bzw. unter Strafe gestellt.
56
Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 252. Hellmann, wistra 2005, 161; Reiß, UR 2002, 561, 565; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 253. 58 Vgl. hierzu 2. Kapitel. 59 Die Häufung der Fälle bei bestimmten Wirtschaftsgütern hat auch zu einer stetigen Ausweitung der Anwendungsfälle für das „Reverse-Charge-Verfahren“ gem. § 13b UStG geführt, vgl. hierzu auch 4. Kapitel unter A. und B. 60 Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofs v. 3.9.2003, BTDrucks. 15/1495 S. 8. 61 Hellmann, wistra 2005, 161 (162); Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 252. 62 Reiß, UR 2002, 561, 565. 63 Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofs v. 3.9.2003, BTDrucks. 15/1495 S. 8; Reiß, UR 2002, 561, 565. 64 Wannemacher-Traub, Rn. 1330. 65 Wannemacher-Traub, Rn. 1330. 57
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1. Kap.: Einführung und Problemdarstellung
Dabei enthielt der Gesetzesentwurf der Bundesregierung66 zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz die Buß- und Strafvorschriften in §§ 26b und 26c UStG noch nicht. Diese tauchten in konkreter Ausgestaltung erst in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses67 auf, nachdem bereits in der vorangegangenen Stellungnahme des Bundesrats die Forderung nach der Einführung eines Straftatbestands für das vorsätzliche Nichtentrichten von in einer Rechnung ausgewiesener Umsatzsteuer laut geworden war.68 Der Vorstoß wurde damit begründet, dass das Umsatzsteuersystem wegen der insbesondere durch den massiven Missbrauch durch Karussellgeschäfte drohenden Haushaltsausfälle und der ebenfalls durch den Missbrauch hervorgerufenen Wettbewerbsverzerrung eines besonderen Schutzes bedürfe.69
II. Wirtschaftliche Bedeutung der Umsatzsteuerkarussellgeschäfte Die Bedeutung dieser Art des Umsatzsteuerkarussellbetrugs kann auch in Zahlen ausgedrückt werden. Die Umsatzsteuer ist eine der Haupteinnahmequellen des Fiskus, sie machte beispielsweise im Jahr 2010 mit 37 % den größten Anteil an den gesamten Steuereinnahmen des Bundes aus, was in absoluten Zahlen Einnahmen in Höhe von fast 96 Mrd. Euro bedeutete.70 Im Jahr 2011 lagen die Einnahmen sogar bei knapp 102 Mrd. Euro.71 Nach Angaben des Bundeszentralamts für Steuern entgehen dem deutschen Fiskus durch Umsatzsteuerbetrug (häufig durch staatenübergreifend operierende kriminelle Organisationen) schätzungsweise 14 bis 15 Mrd. Euro im Jahr, ein Großteil dieser Betrugsfälle soll auf Karussellgeschäften basieren.72 Nach Schätzungen des Bundesrechnungshofs aus dem Jahr 2003 soll der Schaden bei ca. 12 Mrd. Euro jährlich liegen.73 Nach Angaben der Bundesregierung ist der Steu66 Gesetzentwurf zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz v. 10.9.2001, BTDrucks. 14/6883. 67 Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BT-Drucks. 14/7470 S. 2, 7. 68 Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BT-Drucks. 14/7085 S. 3. 69 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471 S. 8. 70 Monatsbericht des BMF, Januar 2011, Seite 12. 71 Monatsbericht des BMF, Januar 2012, Seite 11. 72 Internetportal des Bundszentralamts für Steuern (BZSt), Abfrage vom 13.11.2012: http://www.bzst.de/DE/Steuern_International/USt_Betrugsbekaempfung/USt_Betrugs bekaempfung.html. 73 Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofs v. 3.9.2003, BTDrucks. 15/1495 S. 3.
C. Die Problematik der Umsatzsteuerkarusselle
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erausfall nach Berechnungen des ifo-Instituts von 12 % im Jahr 2004 auf 9 % im Jahr 2008 gesunken; die Bundesregierung brachte diese sinkende Tendenz mit den Wirkungen des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes in Verbindung.74 Dieser innere Zusammenhang ist aber naturgemäß kaum überprüfbar. Vor allem Stimmen in der Literatur gehen davon aus, dass eine spürbare Reduzierung der Umsatzsteuerkarussellgeschäfte bisher nicht stattgefunden habe.75 Neben fiskalischen Interessen sind von dieser Art der Kriminalität auch wirtschaftliche Interessen der vorschriftsmäßig handelnden Mitbewerber betroffen, die durch die betrügerisch operierenden Organisationen aufgrund Ihrer Wettbewerbsnachteile aus dem Markt gedrängt werden, da es den kriminell agierenden Karussell- oder Kettenteilnehmern möglich ist, die Ware wirtschaftlich zum Netto- statt zum Bruttopreis weiterzugeben.76
III. Aktuelle Relevanz In den Fokus der Aufmerksamkeit ist das Modell des Karussellgeschäfts zuletzt wieder im Zusammenhang mit dem Handel mit Emissionszertifikaten für Kohlenstoffdioxid gerückt. Die Zertifikate eigneten sich nicht zuletzt deshalb besonders für den Handel zum Zwecke der gezielten Ausnutzung des Mehrwertsteuersystems, weil hier überhaupt keine Transportkosten anfallen.77 Die Zertifikate berechtigen zum Ausstoß von Kohlenstoffdioxid und anderen Treibhausgasen. Dabei ist im Kyoto-Protokoll in Art. 17 in Verbindung mit Anhang B der Handel mit Emissionszertifikaten zwischen den beteiligten Staaten festgelegt.78 Der im Hinblick auf die Karussellgeschäfte relevante Handel auf Ebene der Unternehmen betrifft den vom EU-Emissionshandelssystem („EU ETS“) geregelten Handel mit Emissionsrechten.79 In Deutschland ist die Richtlinie durch das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) vom 8. Juli 2004 umgesetzt worden.80 Der Emissionsrechtehandel auf Unternehmensebene kann über Börsen, zum Beispiel die EEX („European Energy Exchange AG“) in Leipzig, oder aber auch
74 Antwort der Bundesregierung auf Anfrage zu Defiziten in der Bekämpfung der Steuerhinterziehung, BT-Drucks. 16/12575 S. 2. 75 Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 3.1; Wilhelm, UR 2005, 474, 479. 76 Kemper, NStZ 2006, 593, 594. 77 Vgl. auch Bartsch/Dohmen/Hawranek, Der Spiegel 18/2010 S. 72, 73. 78 Übereinkommen des Kyotoprotokolls in deutscher Übersetzung, abrufbar über die Internetpräsenz des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/protodt.pdf. 79 Festgelegt durch Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003, ABl. L 275 vom 25.10.2003, S. 32. 80 BGBl. I S. 1578.
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1. Kap.: Einführung und Problemdarstellung
OTC stattfinden.81 Dabei findet die Übertragung der Emissionsrechte durch Einigung und Eintragung auf dem Konto des Erwerbers in einem von der zuständigen Behörde geführten elektronischen Emissionshandelsregister statt, §§ 14, 16 TEHG. Es muss also keinerlei Transport stattfinden. Die Übertragung von Emissionszertifikaten, die Rechte im Sinne des § 3a Abs. 4 Nr. 1 UStG sind,82 unterliegt als sonstige Leistung im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG der Umsatzsteuer.83 Im Jahr 2010 richteten sich die Ermittlungen der Behörden allein in Bezug auf den Emissionsrechtehandel in Deutschland gegen ca. 150 Verdächtige, auch in anderen EU-Mitgliedstaaten gab es groß angelegte Ermittlungen.84 Im Zuge der von diesen Ermittlungen umfassten Geschäfte soll es zu Umsatzsteuerausfällen in Höhe von A 180 Millionen gekommen sein.85 Als Reaktion auf die vermehrten Karussellgeschäfte im Bereich des Emissionsrechtehandels hat nach anderen EU-Mitgliedstaaten auch die Bundesrepublik Deutschland zum 1. Juli 2010 für den Handel mit Emissionsrechten das Reverse-Charge-Verfahren, also die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers, eingeführt, vgl. § 13b Abs. 2 Nr. 6 UStG i.V. m. § 13b Abs. 5 Satz 1 UStG, wenn der Leistungsempfänger Unternehmer ist.86 Im Bereich des Treibhausgaszertifikatehandels dürfte das „Geschäftsmodell Umsatzsteuerkarussell“ daher nunmehr der Geschichte angehören.
IV. Kritik und Alternativen bei der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung Trotz des praktischen Bedarfs für ein Regelungssystem zur Verhinderung dieser Art von Steuerausfällen werden die durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz eingeführten Straf- und Bußgeldvorschriften in der Literatur auch mit Argwohn betrachtet. Insbesondere § 26c UStG wird zum Teil heftig kritisiert und von einigen Stimmen schon aufgrund seiner Unbestimmtheit sogar als verfassungswidrig87 bezeichnet. Auch insgesamt führe das Konzept der Ahndung 81
Angaben auf Internetpräsenz der „EnergieAgentur NRW“, Abfrage vom 13.11. 2012: http://www.energieagentur.nrw.de/emissionshandel/-der-handel-mit-emissions rechten-2189.asp. 82 BMF v. 2.5.2005 – IV A 5-S 7100-16/05, BStBl. I 2005, 494, Tz. II. 5. 83 Vgl. Hahn/Kortschak, Kap. 4 Rn. 183, 185. 84 Bartsch/Dohmen/Hawranek, Der Spiegel 18/2010 S. 72. 85 „Nach Umsatzsteuer-Razzia Vorwürfe gegen Deutsche-Bank-Mitarbeiter“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. April 2010, Wirtschaftsressort. 86 Eingefügt durch Art. 6 Nr. 3 des Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorgaben vom 8. April 2010, BGBl. I S. 386 ff. 87 So zuerst Reiß, UR 2002, 561, 566; zust. Kohlmann-Schauf, § 370 AO Rn. 1395; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c Rn. 24; Wilhelm, UR 2005, 474, 479.
C. Die Problematik der Umsatzsteuerkarusselle
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bloßer Nichtentrichtung eigener Steuern im Vergleich zu anderen Steuerarten zu Wertungswidersprüchen.88 Wie bereits einleitend angedeutet ist das beschriebene „Geschäftsmodell“ Konsequenz des geltenden Umsatzsteuersystems. In einzelnen besonders anfälligen Geschäftszweigen89 hat man dieser Problematik bereits durch eine teilweise Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens vorgebeugt. Die durchaus intensiv diskutierte generelle Umstellung des Umsatzsteuersystems auf das ReverseCharge-Verfahren sah sich jedoch überwiegend Kritik ausgesetzt und wurde daher abgelehnt. Zu diesem und weiteren als Alternative diskutierten Modellen wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch Stellung genommen.90
88
Reiß, UR 2002, 561, 566. Neben den bereits genannten Treibhausgas-Emissionszertifikaten beispielsweise im Baugewerbe, im Bereich der Gebäudereinigung, bei der Lieferung von Mobilfunkgeräten und einigen weiteren besonders betrugsanfälligen Leistungen, vgl. § 13b Abs. 2 UStG. 90 Vgl. 4. Kapitel. 89
2. Kapitel
Strafrechtliche Problemstellungen außerhalb der §§ 26b, 26c UStG Da ausweislich der Gesetzesbegründung zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz die §§ 26b, 26c UStG als Reaktion auf eine fehlende strafrechtliche Sanktionsmöglichkeit bestimmter Formen der Umsatzsteuerkarussellgeschäfte entwickelt wurden,1 wird im Folgenden kurz dargestellt, inwiefern die eingangs beschriebenen Karussellgeschäfte auch außerhalb der §§ 26b, 26c UStG unter den Tatbestand eines Strafgesetzes fallen können. Diese Darstellung soll im Interesse einer Schwerpunktsetzung auf die §§ 26b, 26c UStG nur eine kurze Übersicht bieten und kann naturgemäß nicht alle denkbaren Konstellationen der Umsatzsteuerhinterziehung erfassen. Es soll vielmehr nur untersucht werden, ob Fälle des Karussellbetrugs denkbar sind, die nicht von § 370 Abs. 1 AO erfasst werden und folglich – wie von der Gesetzesbegründung zum Steuerverkürzungsgesetz angenommen – eine „Strafbarkeitslücke“ hinterlassen, die von §§ 26b, 26c UStG geschlossen werden soll. Sodann2 werden Voraussetzungen und Folgen der §§ 26b, 26c UStG selbst untersucht und dargestellt.
A. Übersicht über die Strafbarkeit der einzelnen Beteiligten eines Umsatzsteuerkarussells vor Einführung der §§ 26b, 26c UStG Zu unterscheiden ist bei der strafrechtlichen Einordnung der Handlungen eines Umsatzsteuerkarussells zwischen den Fällen, in denen tatsächlich Waren durch „echte“ Unternehmer bewegt werden und solchen, in denen entweder (i) die Teilnehmer der „Karussells“ oder der Kette niemals die tatsächliche Verfügungsmacht über die Liefergegenstände erhalten, (ii) die beteiligten Personen (teilweise) nur zum Schein als Unternehmer agieren, obgleich Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UStG nicht gegeben sind, oder (iii) (aufgrund der Verwendung von Alias-Namen) die Personen tatsächlich gar nicht existieren3.4 1 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7441 S. 8, nach dem eine solche Nichtentrichtung „nicht sanktionslos hingenommen werden“ könne. 2 Vgl. 3. Kapitel. 3 Zu den „Gründungstätern“, die Unternehmen (zumeist GbRs oder Einzelunternehmen), zum Teil unter Verwendung fiktiver Namen, zum Zwecke der Erlangung von
A. Übersicht über die Strafbarkeit der einzelnen Beteiligten
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Vor der Einführung der §§ 26b, 26c UStG kam eine Strafbarkeit der Beteiligten nur unter den Voraussetzungen des § 370 AO in Betracht,5 der wiederum eine Falsch-/Nichterklärung voraussetzte. Jedenfalls nicht erfasst werden konnten daher Sachverhalte, in denen der Steuerpflichtige nur das, aber gleichzeitig auch alles erklärte, was tatsächlich den tatbestandsrelevanten Tatsachen entsprach, in denen also Unternehmer im Sinne des § 2 UStG die in Rechnung gestellten Waren tatsächlich entsprechend ihrer Angaben bewegten, mithin die jeweiligen Teilnehmer auch tatsächlich Verfügungsmacht über die Gegenstände erhielten. Als Nicht- oder Falscherklärung kommen in Bezug auf die Umsatzsteuer falsche Angaben in oder Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldung oder der Umsatzsteuerjahreserklärung in Betracht; in diesen könnten entweder die tatsächlich angefallenen steuerbaren Umsätze als zu gering angegeben werden oder aber zu hohe Vorsteuerbeträge angegeben werden.6
I. Strafbarkeit des „buffers“ Der „buffer“, also derjenige, der eine Warenlieferung (jedenfalls auf dem Papier) erhält, ist möglicherweise dann nach § 370 Abs. 1 AO strafbar, wenn er in Bezug auf sein Recht zum Vorsteuerabzug falsche Angaben gemacht hat. Zur Beantwortung dieser Frage sind die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Umsatzsteuerkarusselle zu betrachten. 1. Fehlen von Warenbewegungen, fehlende Verfügungsbefugnis oder fehlende Unternehmereigenschaft Eine falsche Angabe liegt jedenfalls dann vor, wenn tatsächlich gar keine Warenbewegung stattgefunden hat beziehungsweise eine Warenbewegung zwar vorgenommen wurde, der „buffer“ aber zu keinem Zeitpunkt die tatsächliche Verfügungsmacht über die Gegenstände erhalten hat.7 Es fehlt in diesem Fall an dem für das Recht auf Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG relevanten Merkmal der Lieferung oder sonstigen Leistung. Wird wahrheitswidrig eine solSteuernummern zur Vorsteuererschleichung anmelden, vgl. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 179 ff.; zu dem im allgemeinen Sprachgebrauch auch durch Gerichte und das BMF verwandten Begriff des „Scheinunternehmers“ vgl. krit. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 198 ff., die ein engeres Begriffsverständnis bevorzugt. 4 Zu den einzelnen „Scheinsachverhalten“ vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 185; Muhler, wistra 2009, 1, 3. 5 Für den Fall, dass gefälschte Rechnungen vorgelegt werden, ggf. auch eine mit der Steuerhinterziehung tateinheitlich begangenen Urkundenfälschung, vgl. BGH, Beschl. v. 11.9.2003 – 5 StR 253/03, wistra 2003, 429. 6 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, § 370 AO Rn. 316. 7 Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 187.
30
2. Kap.: Strafrechtliche Problemstellungen außerhalb §§ 26b, 26c UStG
che erklärt, so liegt eine unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.8 Eine solche falsche Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen wird aber auch dann vorgenommen, wenn einer der Beteiligten, beispielsweise der „missing trader“, nicht Unternehmer ist.9 Denn das Recht zum Vorsteuerabzug besteht nur für Lieferungen und sonstige Leistungen zwischen Unternehmern, die für ihr Unternehmen handeln, vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG. Ist also der „missing trader“ kein Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG, weil bei ihm kein „händlertypisches Verhalten“ 10 vorliegt, so liegen die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nicht vor. Wusste der „buffer“ dies, so liegt eine vorsätzliche Falscherklärung vor. Gleiches gilt, wenn der „buffer“ selbst nur Scheinunternehmer ist.11 Die Frage der Unternehmereigenschaft hängt für jeden Einzelfall davon ab, ob die jeweilige (natürliche oder juristische) Person selbständig und nachhaltig tätig wird, was auch bei einem Strohmann grundsätzlich der Fall sein kann.12 2. Bloße Kenntnis von einem Mehrwertsteuerbetrug Weiterhin stellt sich die Frage, ob von einer falschen Angabe im Sinne des § 370 Abs. 1 AO auch dann ausgegangen werden kann, wenn zwar die Waren tatsächlich entsprechend der Angaben in den Papieren bewegt wurden und auch die Anforderungen an eine Unternehmereigenschaft der Beteiligten erfüllt sind, aber der „buffer“ weiß, dass der fragliche Umsatz zu einem Missbrauch des Mehrwertsteuersystems beiträgt. Diesen Gedanken könnte man aufgrund der neueren Rechtsprechung des EuGH13 und ihm folgend auch des BFH14 zur Vorsteuerabzugsberechtigung entwickeln.15 Denn der EuGH geht in seinen Entscheidungsgründen davon aus, dass trotz des objektiven Vorliegens der Anforderungen an eine Lieferung sowie an die wirtschaftliche Tätigkeit die Vorsteuerabzugsberechtigung dem erwerbenden Unternehmer zu versagen ist, wenn der beteiligte Unternehmer wusste oder wissen konnte, dass „er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in 8 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, § 370 AO Rn. 362, 363; Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 188; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 183. 9 Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 188. 10 BGH, Urt. v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, wistra 2003, 344. 11 Vgl. Graf/Jäger/Wittig-Bülte, § 370 AO Rn. 367; Kohlmann-Schauf, § 370 AO Rn. 1390; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 180. 12 BFH, Beschl. v. 18.7.2001 – V B 198/00, BFH/NV 2002, 78; Graf/Jäger/WittigBülte, § 370 AO Rn. 367; Kohlmann-Schauf, § 370 AO Rn. 1390. 13 EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – C-439/04 (Kittel/Belgischer Staat), C-440/04 (Belgischer Staat/Recolta Recycling SPRL), DStR 2006, 1274 ff. 14 BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, DStR 2007, 1524. 15 Vgl. Muhler, wistra 2009, 1 ff.
A. Übersicht über die Strafbarkeit der einzelnen Beteiligten
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eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist [. . .]“, da er für Zwecke der Richtlinie „als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen“ sei.16 In diesem Zusammenhang klingt im Urteil des EuGH – dessen Bewertung sich auch der BFH zu Eigen macht17 – an, dass das Gericht davon ausgeht, dass in diesem Fall trotz des objektiven Vorliegens von Lieferung und wirtschaftlicher Betätigung aufgrund der Missbrauchsbehaftetheit des Umsatzes die Voraussetzungen der Begriffe Lieferung und wirtschaftliche Betätigung nicht mehr erfüllt sind, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht.18 Ähnlich argumentierte das FG Hessen19 in der Vorinstanz des soeben erwähnten Urteils des BFH20. Nach Ansicht des FG Hessen soll in Fällen, in denen nur zum Zwecke des Karussellkreislaufs bereits im Vorfeld detailliert festgelegte Warenkreisläufe stattfinden, selbst dann keine Lieferung im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG vorliegen, wenn tatsächlich Waren entsprechend bewegt werden. Denn es fehle an der Schaffung von Verfügungsmacht, wenn die Ware nicht in Wert und Substanz dem Leistungsempfänger zukommen solle, sondern sie lediglich im Rahmen des Umsatzsteuerkarussells an den Leistungsempfänger geliefert werde, während es aufgrund von Vorgaben bezüglich Preis und Weiterlieferung der Gegenstände an einer für die freie Verfügungsmacht erforderlichen Möglichkeit der beliebigen Verwendung der Ware fehle.21 Allerdings scheint der EuGH nicht – jedenfalls nicht explizit – davon auszugehen, dass eine Lieferung auch dann nicht vorliegt, wenn die Hinterziehung durch eine andere Person vorgenommen wird. Das Gericht versagt dann lediglich das Recht auf Vorsteuerabzug. Aus diesem Urteil schließt Muhler, dass der „buffer“, wenn er in seiner Umsatzsteueranmeldung eine Vorsteuererstattung für den Umsatz begehrt, falsche Angaben über das Tatbestandsmerkmal der Lieferung in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG mache. Dies begründet er damit, dass die Vorschrift um die ungeschriebene Voraussetzung ergänzt werde, dass die Vorsteuer nur abzuziehen sei, wenn es sich um eine „missbrauchsfreie“ Lieferung handele.22 Dieser Rückschluss stößt jedoch auf diverse Probleme: Unabhängig davon, dass bereits fraglich ist, ob der Begriff der „missbrauchsfreien“ Lieferung noch
16 EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – C-439/04 (Kittel/Belgischer Staat), C-440/04 (Belgischer Staat/Recolta Recycling SPRL), Tz. 56, DStR 2006, 1274, 1278. 17 BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, Tz. 52–54, DStR 2007, 1524. 18 EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – C-439/04 (Kittel/Belgischer Staat), C-440/04 (Belgischer Staat/Recolta Recycling SPRL), Tz. 53, DStR 2006, 1274, 1278. 19 FG Hessen, Urt. v. 30.6.2004 – 6 K 4328/01, EFG 2004, 1558. 20 BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, Tz. 52–54, DStR 2007, 1524. 21 FG Hessen, Urt. v. 30.6.2004 – 6 K 4328/01, EFG 2004, 1558; vgl. auch Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 262 f. 22 Muhler, wistra 2009, 1, 5.
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2. Kap.: Strafrechtliche Problemstellungen außerhalb §§ 26b, 26c UStG
dem Bestimmtheitsgebot genügen kann,23 was bei einem umgangssprachlich derart konturlos gebräuchlichen Begriff schon zweifelhaft ist, wird durch eine solche Auslegung die Wortlautgrenze überspannt. Dies ist jedenfalls für Zwecke des Strafrechts nicht mehr hinnehmbar. Denn auch wenn Muhler formal kein zusätzliches Merkmal einführt, sondern lediglich den Begriff Leistung in der Auslegung als „missbrauchsfreie Leistung“ verstehen möchte, so wird auch eine solche wertende Auslegung zu Lasten des Täters dem Erfordernis des lex scripta nicht gerecht. Weiterhin wird durch das Urteil des EuGH auch nicht deutlich, womit exakt der Umsatz „behaftet“ sein muss, um den Vorsteuerabzug zu versagen. Denn wenn der EuGH davon spricht, dass der Vorsteuerabzug zu versagen sei, wenn der Umsatz „in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist“24, dann wäre damit technisch gesehen zunächst – bezogen auf das deutsche Recht – eine Tat nach § 370 Abs. 1 AO gemeint. Eine solche läge im genannten Fall aber gerade nicht vor, da der „missing trader“ die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer anmeldet und die Lieferungen auch tatsächlich durchgeführt werden. Wenn aber die Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 AO erst dadurch begründet wird, dass der Begriff der Lieferung nicht mehr vorliegen soll, wenn der Umsatz mit einer Steuerhinterziehung verbunden ist, sodass die falsche Angabe im Sinne des § 370 Abs. 1 AO in der wahrheitswidrigen Behauptung des Vorliegens einer Lieferung liegen würde, dann begründet dies einen Zirkelschluss. Zu einem anderen Schluss kann man nur kommen, wenn die vom EuGH formulierte Voraussetzung „in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen“ untechnisch im Sinne eines generell missbräuchlichen Verhaltens verstanden wird. Es ist zwar davon auszugehen, dass der EuGH in seinem Urteil, in dem es auch nicht um die Frage der Strafbarkeit, sondern um die materiell-steuerrechtliche Frage ging, ob ein Anspruch auf Vorsteuererstattung bestand, den Begriff tatsächlich untechnisch im Sinne eines Missbrauchs verstand. So ist auch der Rekurs des Gerichts darauf zu verstehen, dass eine „missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt“ sei.25 Auch hatte der EuGH bei seiner Entscheidung nicht die Begriffe und Normen des deutschen Steuerstrafrechts im Blick, sondern wollte eine auf alle europäischen Rechtsordnungen übertragbare Wertungsentscheidung in Bezug auf die Vorsteuerabzugsberechtigung aufstellen.
23 Diese Frage stellt sich auch Muhler, kommt aber zu dem Schluss, dass eine solche wertende Betrachtung dennoch ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit gewährleistet, vgl. Muhler, wistra 2009, 1, 5. 24 EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – C-439/04 (Kittel/Belgischer Staat), C-440/04 (Belgischer Staat/Recolta Recycling SPRL), Tz. 56, DStR 2006, 1274, 1278. 25 EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – C-439/04 (Kittel/Belgischer Staat), C-440/04 (Belgischer Staat/Recolta Recycling SPRL), Tz. 54, DStR 2006, 1274, 1278.
A. Übersicht über die Strafbarkeit der einzelnen Beteiligten
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Allerdings ist diese Formulierung als Grundlage für die Auslegung des Begriffs der Leistung für strafrechtliche Zwecke zu unbestimmt. Eine strafrechtliche Relevanz dahingehend, dass die Missbrauchsfreiheit der Leistung als steuerlich relevante Tatsache im Sinne des § 370 Abs. 1 AO zu verstehen ist, kann den genannten Entscheidungen daher nicht zukommen. Selbst wenn die Nichtabführung der Umsatzsteuer durch den „missing trader“ von Beginn an geplant ist, ist daher allein aufgrund dieser Tatsache nicht der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt, wenn der „buffer“ seinen Vorsteueranspruch geltend macht. 3. Exkurs: Die Rückgängigmachung umsatzsteuerpflichtiger Rechtsgeschäfte (insb. Leasing- und Mietkaufmodell), Rückgängigmachen der Option gemäß § 9 Abs. 1 UStG Als weiteres Erscheinungsbild missbrauchsbedingter Steuerausfälle wird die Rückgängigmachung umsatzsteuerpflichtiger Rechtsgeschäfte genannt.26 Denn wenn das umsatzsteuerpflichtige (und damit auch zum Vorsteuerabzug berechtigende) Rechtsgeschäft rückgängig gemacht wird, so ist der Steuerbetrag, auch der Vorsteuerabzug, zu berichtigen, vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V. m. Abs. 2 Nr. 3 UStG. Als mögliche Fallkonstellation wird zum einen die Verletzung der aus §§ 15a, 17 UStG erwachsenden Korrekturpflicht, zum anderen das Unterlassen der Rückzahlung nach Erfüllung der Korrekturpflicht genannt.27 Im ersten Falle liegt unproblematisch eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO vor, da er die Finanzbehörde „über steuerliche erhebliche Tatsachen“ pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen hat.28 Praktisch äußerst relevant ist nach Angaben des Bundesrechnungshofs29 insbesondere der zweite Fall, der seit Mitte der 1990er Jahre als „Leasing- und Mietkaufmodell“ praktiziert wird.30 Der Bundesrechnungshof geht dabei davon aus, dass es im Zusammenhang mit Leasing- oder Mietkaufverträgen über hochwertige Industriegüter mit eingeschränkter Marktgängigkeit31 zu „planmäßigen In-
26 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, § 370 AO Rn. 419 ff.; Muhler, wistra 2009, 1, 9; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 188. 27 Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 188 ff. 28 Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 189. 29 Bericht des Bundesrechnungshofs über die Steuerausfälle bei der Umsatzsteuer durch Steuerbetrug und Steuervermeidung vom 3.9.2003, BT-Drucks. 15/1495 S. 16. 30 Vgl. auch Muhler, wistra 2009, 1, 9; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 189 f. 31 Dies soll nach Angaben des Bundesrechnungshofs vor allem selbstfahrende Autokrane, Baumaschinen, Sattelschlepper etc. betreffen, vgl. Bericht des Bundesrechnungshofes über die Steuerausfälle bei der Umsatzsteuer durch Steuerbetrug und Steuervermeidung vom 3.9.2003, BT-Drucks. 15/1495, S. 16.
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2. Kap.: Strafrechtliche Problemstellungen außerhalb §§ 26b, 26c UStG
solvenzen“ komme, bei denen alle Beteiligten einschließlich der Kreditinstitute planmäßig zusammenarbeiteten. Das „Geschäftsmodell“ sei durchweg ähnlich, es werde eine GmbH (in der Regel aus Vorratsgründung oder per Mantelkauf) ohne eigene Geschäftsräume benutzt, für die als Gewerbe die Vermietung bestimmter Wirtschaftsgüter angemeldet wird. Diese sei dann Leasingnehmer für zum Teil eine Vielzahl hochpreisiger Wirtschaftsgüter, wobei die Verträge in der Regel so ausgestaltet seien, dass das Wirtschaftsgut beim Leasingnehmer zu bilanzieren ist (weil dieser wirtschaftlicher Eigentümer gemäß § 39 Abs. 2 AO ist).32 Außerdem würden in der Regel keine Anzahlungen und niedrige Raten, dafür aber eine hohe Abschlusszahlung vereinbart. In umsatzsteuerlicher Hinsicht liege damit eine Lieferung des Gegenstands vor, sodass auch sofort der gesamte Gegenstandswert Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer werde. Auf Seiten des Leasinggebers finde sodann eine korrekte Umsatzsteueranmeldung und auch Abführung der Umsatzsteuer statt, der Leasingnehmer erhalte die entsprechende Vorsteuervergütung und leite den vollen Betrag direkt an den Leasinggeber weiter. Da der Vertrag nur für kurze Zeit absprachegemäß bedient werde, werde er sodann durch den Leasinggeber ordnungsgemäß gekündigt und das Wirtschaftsgut falle an diesen zurück. Sodann erfolge eine Änderung der Bemessungsgrundlage gemäß § 17 UStG, sodass der entsprechende Betrag dem Leasinggeber durch das Finanzamt zurückerstattet werde. Der spiegelbildliche Rückzahlungsanspruch des Finanzamts gegen den Leasingnehmer bezüglich der Vorsteuer laufe aufgrund der Insolvenz des Leasingnehmers ins Leere. Der Leasingnehmer habe zwar einen Erstattungsanspruch gegen den Leasinggeber wegen der an diesen gezahlten Umsatzsteuer; diesen rechne der Leasinggeber aber gegen seine Schadenersatzansprüche wegen Nichterfüllung des Vertrages auf, sodass eine masselose Insolvenz durchgeführt werden könne. Sodann werde das Modell mit dem gleichen Wirtschaftsgut mit einer neuen GmbH als Leasingnehmer wiederholt.33 Anders als bei Verletzung der Korrekturpflicht liegt in diesem Fall aber keinerlei Falschangabe eines Beteiligten, auch nicht des Leasingnehmers, und keine pflichtwidrige Nichtaufklärung der Finanzbehörden vor. Denn zum Zeitpunkt der Überlassung des Wirtschaftsguts wurden keinerlei falsche Angaben gemacht. Die Absicht, zu einem späteren Zeitpunkt einen Insolvenzfall „herzustellen“ und den Vertrag zu kündigen, ist keine steuerlich erhebliche Tatsache.34 Auch zum Zeit32
Vgl. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 189. Vgl. zum Vorstehenden (Funktionsweise des Leasing- und Mietkaufmodells) insgesamt Bericht des Bundesrechnungshofes über die Steuerausfälle bei der Umsatzsteuer durch Steuerbetrug und Steuervermeidung vom 3.9.2003, BT-Drucks. 15/1495 S. 16, 17. 34 Im Anschluss an soeben unter A.I.2. festgestelltes Ergebnis kann auch die „Missbrauchsbehaftetheit“ des Leasingvertrags für Zwecke des Strafrechts keinen Einfluss auf das Vorliegen einer umsatzsteuerbaren Leistung haben. 33
A. Übersicht über die Strafbarkeit der einzelnen Beteiligten
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punkt der Kündigung des Leasingvertrags liegt keine taugliche Tathandlung im Sinne des § 370 AO vor, insbesondere wegen Vornahme der Berichtigung auch kein Fall des Unterlassens gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.35 Der soeben geschilderte Fall ist der Konstellation, für die §§ 26b, 26c UStG geschaffen wurden, ähnlich. Grund für die Schädigung ist der Steuerausfall aufgrund einer (geplanten) Nichtzahlung. Eine Falsch-/Nichterklärung im Sinne des § 370 Abs. 1 AO liegt dabei nicht vor. Dennoch ist dieser Fall wegen des eindeutigen Wortlauts nicht unter § 26b UStG zu subsumieren.36 Eine Erweiterung des § 26b UStG um die dargestellte Konstellation hat der Gesetzgeber – trotz eines dahingehenden Vorschlags des Bundesrechnungshofs37 – nicht eingeführt.38 In steuerstrafrechtlicher Hinsicht sind für dieses Betrugsmodell folglich keinerlei Rechtsgrundlagen vorhanden. In haftungsrechtlicher Hinsicht war als Reaktion auf dieses Betrugsmodell zunächst durch Art. 5 Nr. 14 des Steueränderungsgesetzes 200339 mit Wirkung zum 1. Januar 2004 ein § 13d UStG eingeführt worden. Dieser sah einen verschuldensunabhängigen Haftungstatbestand zu Lasten des leistenden Unternehmers für den aufgrund einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs festgesetzten Betrag bei Mietund mietvertragsähnlichen Verträgen über bewegliche Gegenstände vor, wenn der Leistungsempfänger selbigen nicht oder nicht vollständig entrichtete.40 § 13d UStG wurde allerdings aufgrund geringer finanzieller Durchschlagskraft41 und anhaltender Kritik an der Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht42 durch Art. 8 Nr. 5 des Jahressteuergesetzes 200843 mit Wirkung zum 1. Januar 200844 wieder aufgehoben. Ein ähnliches betrügerisches „Geschäftsfeld“ wurde in Fällen beobachtet, in denen ein Unternehmer für einen an sich umsatzsteuerfreien Umsatz zunächst
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So auch Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 190, 191. So auch Muhler, wistra 2009, 1, 9. 37 Bericht des Bundesrechnungshofs über die Steuerausfälle bei der Umsatzsteuer durch Steuerbetrug und Steuervermeidung vom 3.9.2003, BT-Drucks. 15/1495 S. 17 reSp., der Vorschlag sah die folgende Erweiterung vor: [. . .] „wer den aufgrund einer rückgängig gemachten Leistung entstehenden Vorsteuerrückzahlungsanspruch nicht oder nicht vollständig erfüllt“ [. . .]. 38 Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 191. 39 BGBl. I 2003, S. 2645. 40 Vgl. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 191. 41 Gesetzesbegründung zum Steueränderungsgesetz 2008, BT-Drucks. 16/6290 S. 78 liSp. 42 Insbesondere an der Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zweifelnd de Weerth, DStR 2006, 1071, 1072; vgl. auch EuGH, Urt. v. 11.5.2006 – C-384/04 (Federation of Technological Industries), DStR 2006, 897. 43 BGBl. I Nr. 69 vom 20.12.2007, BGBl. I 2007, S. 3150. 44 Vgl. Art. 28 Abs. 4 des Jahressteuergesetzes 2008, BGBl. I 2007, S. 3150, 3188. 36
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2. Kap.: Strafrechtliche Problemstellungen außerhalb §§ 26b, 26c UStG
gemäß § 9 UStG für die Steuerpflichtigkeit optiert hat und dies sodann rückgängig gemacht hat. Auch hier könne dann wegen einer (planmäßigen) Insolvenz die Rückforderung für eine bereits ausgezahlte Vorsteuererstattung an den Leistungsempfänger nicht mehr realisiert werden.45 Eine Steuerhinterziehung liegt allerdings aus den gleichen Gründen wie beim „Leasing- oder Mietkaufmodell“ auch hier nicht vor, da es an einer tauglichen Tathandlung im Sinne des § 370 Abs. 1 AO fehlt. Denn das Optieren für die Umsatzsteuer ist ein dem Steuerpflichtigen zustehendes Recht, durch dessen Ausübung er keine unrichtigen Angaben gegenüber dem Finanzamt macht.46
II. Strafbarkeit des „missing traders“ 1. Erklärungspflichten des „Scheinunternehmers“ Der „missing trader“ kann sich ebenfalls selbst wegen § 370 Abs. 1 AO strafbar machen, wenn er eine Umsatzsteuererklärung (Voranmeldung oder Jahreserklärung) nicht abgibt oder falsche Angaben macht. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung gemäß § 18 Abs. 1 UStG beziehungsweise gemäß § 18 Abs. 3 UStG zunächst nur Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG betrifft, sodass im Falle der Nichtabgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung oder -jahreserklärung durch einen „Scheinunternehmer“ 47 eine Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zunächst nicht möglich erscheint. Ein Scheinunternehmer in diesem Sinne könnte auch ein „missing trader“ sein, der zwar ordnungsgemäß registriert ist und unter seinem tatsächlichen Namen auftritt, jedoch die Anforderungen an ein „händlertypisches Verhalten“ und damit die Voraussetzungen des § 2 UStG nicht erfüllt.48 Allerdings kann auch ein Scheinunternehmer Umsatzsteuerschuldner sein, denn im Falle des Steuerausweises durch einen Nichtunternehmer wird gemäß § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG Umsatzsteuer geschuldet, deren Schuldner gemäß § 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG der Rechnungsaussteller ist; in diesem Falle besteht gemäß § 18 Abs. 4a, 4b UStG dennoch die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung (und zwar sowohl Voranmeldungen als auch Jahreserklärungen), sodass 45
Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 192. Zum Vorstehenden insgesamt Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 192 f. 47 Gemeint ist mit dem Begriff des „Scheinunternehmers“ in dieser Arbeit ein Marktteilnehmer, bei dem nicht alle Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG vorliegen, d. h. es kann sich sowohl um eine tatsächlich existierende (natürliche oder juristische) Person handeln als auch um eine nur scheinbar bestehende (natürliche oder juristische) Person, d. h. Fälle der Verwendung von Alias-Namen. Vgl. krit. zur Eingrenzung des Begriffsverständnisses des „Scheinunternehmers“ Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 198 ff. 48 Vgl. unter A.II.2. 46
A. Übersicht über die Strafbarkeit der einzelnen Beteiligten
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auch eine Strafbarkeit gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgrund der Nichtabgabe einer Umsatzsteuererklärung gegeben sein kann.49 Im Umsatzsteuerkarussellkonstellationen ist eine Nichterklärung oder auch eine Falscherklärung allerdings eher unwahrscheinlich, denn zum Zwecke der Erlangung des Vorsteuerabzugs durch den „buffer“ ist davon auszugehen, dass der „missing trader“ gerade alle Umsätze erklären wird, um das Karussell möglichst lange unentdeckt zu lassen. Er wird lediglich die Umsatzsteuer nicht abführen, wodurch aber nicht der Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO berührt wird.50 Eine Strafbarkeit als Täter gemäß § 370 Abs. 1 AO käme dann jedoch in Betracht, wenn der „missing trader“ für seinen eigenen vorangegangenen Eingangsumsatz einen Vorsteueranspruch geltend macht. Möglich erscheint zudem eine Beihilfehandlung zur Steuerhinterziehung des Rechnungsempfängers, wenn dieser einen Vorsteueranspruch geltend macht.51 Denn in der Rechnungsausstellung für eine nicht zum Vorsteuerabzug berechtigende Lieferung, also auch für eine Lieferung durch einen Scheinunternehmer, wird häufig eine Beihilfehandlung zu sehen sein. Je nach den Umständen des Einzelfalls kommt sogar eine mittäterschaftliche Beteiligung an der Steuerhinterziehung des Leistungsempfängers, der mit Hilfe dieser Rechnung einen Vorsteueranspruch geltend macht, in Betracht.52 2. Unternehmereigenschaft Entscheidend für die Frage der Strafbarkeit des „missing traders“ nach § 370 Abs. 1 AO ist also die Frage, ob diesem Unternehmereigenschaft zukommt. Dies ist insbesondere in Umsatzsteuerkarussellen stets Frage des Einzelfalls, denn in auf die Vorteilserlangung aus dem Umsatzsteuersystems zugeschnittenen Konstellationen (Ketten- oder Karussellkonstellationen) ist es zwar durchaus denkbar, dass der „missing trader“ Unternehmer ist,53 insbesondere das Merkmal der Selbständigkeit des „missing traders“ ist allerdings häufig nicht gegeben.54 Eine fehlende Selbständigkeit (und damit auch ein Fehlen der Unternehmereigenschaft, § 2 Abs. 1 UStG) soll insbesondere in Fällen vorliegen, in denen das vom BGH geforderte „händlertypische Verhalten“ nicht vorliegt.55 Der BGH führt dazu aus: 49 Wannemacher-Traub, Rn. 1342; Muhler, wistra 2009, 1, 3; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 206. 50 Vgl. auch Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 191. 51 Vgl. unter A.I.1. 52 Wannemacher-Traub, Rn. 1343; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 185. 53 BFH, Beschl. v. 5.2.2004 – V B 180/03, BFH/NV 2004, 988. 54 Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 261. 55 BGH, Urt. v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, wistra 2003, 344, 345.
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2. Kap.: Strafrechtliche Problemstellungen außerhalb §§ 26b, 26c UStG „Zwar ist Unternehmer grundsätzlich derjenige, der nach außen als Leistender aufgetreten und aus dem Rechtsverhältnis berechtigt und verpflichtet ist. Etwas anderes gilt aber dann, wenn ein vorgeschobenes Strohmanngeschäft vorliegt und die Parteien davon ausgehen, daß die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen eintreten sollen [. . .]. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen der Strohmann und der Dritte kollusiv handeln. In solchen Kollusionsfällen bedient sich eine Seite des Strohmanns für die Durchsetzung eigener wirtschaftlicher Interessen. Liegt eine solche Fallgestaltung vor, ist dieser Strohmann nur noch als Hilfsperson dem Lager desjenigen zuzuordnen, in dessen Interesse er handelt [. . .]. Entscheidend ist deshalb immer, ob nach dem Gesamtbild der Umstände noch ein Verhalten ,wie ein Händler‘ angenommen werden kann.“ 56
Eine eigene Unternehmerstellung soll nach Ansicht des BGH dann nicht vorliegen, wenn der Rechnungsaussteller „in die Lieferkette nicht wie ein typischer Händler einbezogen“ ist, wenn also die Aufgabe im Wesentlichen darin besteht, „durch Hinterziehung der Umsatzsteuer einen Gewinn zu ermöglichen“.57 Anhaltspunkt hierfür seien ein fehlendes Kapitalrisiko oder ein fehlendes Abnahmerisiko des „missing traders“ (beispielsweise wenn der Betreffende nur auf Veranlassung eines Dritten überhaupt tätig wird). Wenn der „missing trader“ nur nach Vorgaben eines anderen handelt und in dem so gestalteten System einzig und allein einen „Umsatzsteuergewinn“ erwirtschaften soll, liege „kein handelstypisches Verhalten“ vor.58 Folglich ist in Fällen von Umsatzsteuerkarussellen jeweils ein sorgfältiges Augenmerk darauf zu legen, ob tatsächlich eine Unternehmereigenschaft des missing traders angenommen werden kann oder ob vielmehr ein reines Befolgen von Anweisungen vorliegt. Aufgrund der Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen des Umsatzsteuerkarussells kann allerdings nicht schon allein aufgrund des Vorliegens einer organisierten Struktur davon ausgegangen werden, dass eine Unternehmereigenschaft des „missing traders“ nicht vorliegt. Es kann folglich nicht zwangsweise von einer nicht der Umsatzsteuer unterliegenden Lieferung ausgegangen werden. 3. Konsequenzen der neueren EuGH-Rechtsprechung Zum Teil wird – ebenso wie bei der Frage der falschen Angabe des „buffers“ – in Fällen, in denen zwar die Unternehmereigenschaft vorliegt und eine Warenbewegung stattfindet, aber innerhalb der Kette ein Mehrwertsteuerbetrug stattfinden soll, angenommen, dass aufgrund der Rechtsprechung des EuGH und des
56
BGH, Urt. v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, wistra 2003, 344, 345. BGH, Urt. v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, wistra 2003, 344, 345. 58 BGH, Urt. v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, wistra 2003, 344, 345; in diese Richtung auch BFH, Beschl. v. 29.11.2004 – V B 78/04, BStBl. II 2005, 535. 57
A. Übersicht über die Strafbarkeit der einzelnen Beteiligten
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BFH zur Vorsteuerabzugsberechtigung59 das Merkmal der Lieferung verneint werden müsse.60 Wenn bereits beim innergemeinschaftlichen Erwerb des „missing traders“ der Plan bestehe, auf der nächsten Umsatzstufe die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht abzuführen, so müsse bereits auf der Vorstufe das Merkmal der Lieferung und damit des innergemeinschaftlichen Erwerbs verneint werden, sodass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht vorlägen. Eine Geltendmachung des Vorsteuerabzugs durch den „missing trader“ stelle folglich eine Tathandlung im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar.61 Nach der hier vertretenen Ansicht reicht jedoch die steuerrechtliche Rechtsprechung des EuGH und BFH zum Vorsteuererstattungsanspruch nicht aus, um eine Relevanz für die Auslegung des § 370 Abs. 1 AO zu entfalten.62 Denn selbst wenn in diesem Falle sogar eine eigene Steuerhinterziehung des „missing traders“ im Raum stünde, so widerspricht es dem Bestimmtheitsgrundsatz, wenn die reine Nichtabführung als Hinterziehungshandlung im Sinne dieser Rechtsprechung angesehen wird. Die Erklärung des Umsatzes für Zwecke des Vorsteuerabzugs hingegen kann ebenfalls keine Hinterziehungshandlung begründen, denn wenn erst durch das Vorliegen einer Hinterziehungshandlung dem Umsatz die Eigenschaft als Lieferung abgesprochen werden kann, so würde es einen Zirkelschluss begründen, wenn die maßgebliche Hinterziehungshandlung in der Angabe dieser Lieferung bei der Geltendmachung des Vorsteueranspruchs gesehen würde.63 4. Fazit Liegt in Person des „missing traders“ keine Unternehmereigenschaft vor, so ist eine Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO denkbar, wenn er selbst bei seinem Erwerb eine Vorsteuererstattung begehrt und eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des „buffers“, wenn er diesem bei der Lieferung eine Rechnung ausstellt, mit der der „buffer“ wiederum eine Vorsteuererstattung begehrt. Je nach Lage des Einzelfalls kommt im letzteren Fall sogar eine mittäterschaftliche Begehung in Betracht. Ist der „missing trader“ Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 UStG, so kommt in Fällen, in denen tatsächlich Warenbewegungen stattfinden und diese auch vollständig erklärt werden, in Person des „missing traders“ weder eine täterschaftliche Begehung des § 370 Abs. 1 AO noch eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung eines Anderen in Betracht. 59 EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – C-439/04 (Kittel/Belgischer Staat), C-440/04 (Belgischer Staat/Recolta Recycling SPRL), DStR 2006, 1274; BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, DStR 2007, 1524. 60 Muhler, wistra 2009, 1, 3 f. 61 Zum Vorstehenden insgesamt Muhler, wistra 2009, 1, 3 f. 62 Vgl. unter A.I.2. 63 Vgl. bereits unter A.I.2.
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2. Kap.: Strafrechtliche Problemstellungen außerhalb §§ 26b, 26c UStG
III. Strafbarkeit des „distributors“ Für den Fall, dass in den Kreislauf ein „buffer“ eingeschaltet war, dass also der „distributor“ der dem „buffer“ in der Reihe nachfolgende Unternehmer ist, der sodann den Liefergegenstand ins innergemeinschaftliche Ausland weiterliefert,64 wird der „distributor“ zwar in der Regel von allen vorangegangenen Handlungen und dem Gesamtplan wissen, er begeht aber durch die Handlung selbst zunächst keine Straftat. Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass tatsächlich Waren geliefert werden. Für den Fall, dass in der Kette zuvor eine Tat nach § 370 Abs. 1 AO begangen wurde, ist je nach den Umständen des Einzelfalls eine Beihilfehandlung zu dieser Tat denkbar. Ebenso verhält es sich wenn nach der Weiterlieferung erneute Taten stattfinden sollen und durch die Lieferung zu dieser darauf folgenden Handlung Hilfe geleistet wird. Daran zeigt sich, dass in den Fällen, in denen weder zuvor noch nachfolgend in der Kette eine Handlung im Sinne des § 370 Abs. 1 AO begangen wurde, da alle Steuern zutreffend erklärt und „nur“ durch ein Mitglied des Karussells nicht abgeführt wurden, vor Einführung der §§ 26b, 26c UStG eine Strafbarkeit ebenfalls nicht in Betracht kam. In Bezug auf die Überlegungen, ob aufgrund der „Missbrauchsbehaftetheit“ eines Umsatzes das Merkmal der Lieferung zu verneinen ist und die Geltendmachung der Vorsteuer eine Tathandlung im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO darstellen könnte, gilt das zur Strafbarkeit des „buffers“ Gesagte65 entsprechend. Hinzu kommt in diesem Fall, dass für den Unternehmer, der dem „buffer“ nachfolgt, dessen Umsatz also nicht mehr die Stufe betrifft, auf der die geplante Nichtabführung stattfand, noch eine weitere Umsatzstufe von der „missbrauchsbehafteten“ Handlung entfernt ist. Ob also dieser erneuten Lieferung die Eigenschaft als umsatzsteuerlich relevante Lieferung abgesprochen werden kann, ist schon im Hinblick auf das materielle Steuerrecht zweifelhaft.66 In anderer Sache hatte der EuGH bereits entschieden, dass die Einbeziehung in einen Mehrwertsteuerbetrug auf einer Vorstufe der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs dann nicht entgegenstehe, wenn der Steuerpflichtige hiervon keine Kenntnis hatte.67 Wie der EuGH entschieden hätte, wenn Kenntnis von dem missbrauchsbehafteten Vorumsatz bestanden hätte, ist nicht bekannt. Jedenfalls im Hinblick auf die strafrechtliche Bewertung kann jedoch nach oben Gesag64
Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 185. Vgl. unter A.I.2. 66 Nicht eindeutig EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – C-439/04 (Kittel/Belgischer Staat) und 440/04 (Belgischer Staat/Recolta Recycling SPRL), DStR 2006, 1274, Tz. 59; eine Auswirkung auch auf den Folgeumsatz wohl annehmend BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, Tz. 52; Muhler, wistra 2009, 1, 5 liSp. 67 EuGH, Urt. v. 12.1.2006 – C-354/03, C-355/03 und C-484/03 (Optigen Ltd.), DStR 2006, 133. 65
B. Generelle Anmerkungen/Strafzumessung
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tem68 die Einbeziehung des Umsatzes in einen Missbrauch des Mehrwertsteuersystems auf einer Vorstufe erst recht keine täterschaftliche Steuerhinterziehung des „distributors“ begründen. Auch unter Berücksichtigung der neueren EuGHRechtsprechung zur Vorsteuerabzugsberechtigung kommt folglich eine Strafbarkeit gemäß § 370 Abs. 1 AO nicht in Betracht.
IV. Ergebnis Es ist mithin festzuhalten, dass auch vor Einführung der §§ 26b, 26c UStG gewisse Strafbarkeitsrisiken bei den typischen Handlungen in einem „Umsatzsteuerkarussell“ oder einer betrügerisch agierenden Lieferkette bestanden. Auch der „missing trader“ war in bestimmten Konstellationen bereits strafbar.69 Allerdings war eine strafrechtliche Sanktionierung dann nicht möglich, wenn die beteiligten Personen die Anforderungen an die Unternehmereigenschaft im Sinne des § 2 UStG erfüllten, sie die in Rechnung gestellten Lieferungen tatsächlich und selbst durchführten, auf keiner Stufe eine Falsch-/Nichterklärung der vorgenommenen Umsätze stattfand, folglich im Karussell lediglich die (geplante) Nichtabführung der Umsatzsteuer durchgeführt wurde.70 Denn in diesem Fall liegt weder beim „missing trader“ noch bei einem anderen an den Lieferungen teilnehmenden Unternehmer eine Tathandlung im Sinne des § 370 Abs. 1 AO vor. In diesen Konstellationen kam folglich – unabhängig von in der Praxis bemängelten Beweisproblemen insbesondere im Hinblick auf die Mitwisserschaft innerhalb des Karussells – weder eine täterschaftliche Begehung noch (mangels anknüpfungsfähiger Haupttat) eine Teilnahmehandlung in Betracht. Inwiefern die §§ 26b, 26c UStG diese „Lücke“ in der Strafbarkeit zu schließen vermögen und überhaupt schließen sollten, wird im Folgenden dargestellt.
B. Generelle Anmerkungen/Strafzumessung Bezüglich der Strafzumessung im Umsatzsteuerkarussell ist anzumerken, dass für den Fall, dass ein am Ketten- oder Karussellgeschäft Beteiligter gemäß § 370 AO strafbar ist, nach Ansicht des BGH als Schaden der Gesamtschaden des Karussells zu Grunde zu legen ist und nicht lediglich der Schaden aus der Umsatzsteuerhinterziehung, die der Täter selbst unmittelbar begangen hat, soweit dem Täter die Struktur des gesamten Systems bekannt war.71 Es ist allerdings zu be68
Vgl. unter A.I.2. Vgl. unter A.II. 70 In diese Richtung auch Wannemacher-Traub, Rn. 1353. 71 BGH, Urt. v. 11.7.2002 – 5 StR 516/01, NJW 2002, 3036; BGH, Beschl. v. 11.12.2002 – 5 StR 212/02, NStZ 2003, 268; BGH, Urt. v. 30.4.2009 – 1 StR 342/08, 69
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2. Kap.: Strafrechtliche Problemstellungen außerhalb §§ 26b, 26c UStG
achten, dass bei der Beurteilung der Schuld von dem Steuerhinterzieher nachfolgenden Gehilfen sich der bereits verwirklichte Schaden nur fortsetzt, sodass keine Addition der Hinterziehungsbeträge stattfinden kann, sondern insgesamt nur der größere der Beträge angesetzt werden kann.72 Für den Fall, dass die Steuerpflicht sich gem. § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG aus einer Scheinrechnung ergibt, so ist nach Ansicht des BGH die Tatsache, dass die Rechnung berichtigt werden kann, im Rahmen der Strafzumessung strafmildernd zu berücksichtigen, hat aber keine Auswirkungen auf den Schuldspruch an sich.73
NStZ 2009, 637, 639; Graf/Jäger/Wittig-Bülte, § 370 AO Rn. 340; Kohlmann-Schauf, § 370 AO Rn. 1413. 72 Kohlmann-Schauf, § 370 AO Rn. 1413 mit kritischem Hinweis auf die Rechtsprechung BGH, Urt. v. 16.3.2004 – 5 StR 364/03, wistra 2004, 229, der aufgrund dessen Verfahren „aus Vereinfachungsgründen“ nur auf die täterschaftliche Hinterziehung beschränken will. 73 BGH, Urt. v. 11.7.2002 – 5 StR 516/01, NJW 2002, 3036: Wabnitz/Janovsky, § 19 Rn. 154.
3. Kapitel
Die §§ 26b, 26c UStG A. Täterkreis/Gebotsadressat Steuerpflichtiger der Umsatzsteuer ist – obgleich die wirtschaftliche Belastung auf den Endverbraucher überwälzt wird – der Unternehmer, § 13a UStG. Täter des § 26c UStG ist folglich der zur Abführung verpflichtete Unternehmer, sodass der Tatbestand ein Sonderdelikt normiert.1 Im Zusammenhang mit dem Ordnungswidrigkeitstatbestand in § 26b UStG ist das im Ordnungswidrigkeitsrecht geltende Einheitstäterprinzip, § 14 OWiG, zu beachten. Folglich kann § 26b UStG nicht nur durch den Steuerpflichtigen selbst (beziehungsweise die dahinter stehenden verantwortlichen Personen) begangen werden, sondern durch jeden Beteiligten, der einen kausalen und zurechenbaren Beitrag zur Verwirklichung des Tatbestands geleistet hat.2 Dabei ist zu beachten, dass die Formulierung des § 26b UStG als Sonderdelikt nicht der Einbeziehung weiterer Beteiligter nach dem Einheitstäterprinzip entgegensteht.3 Denn zu Recht wird darauf hingewiesen, dass es gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 OWiG für die Erfüllung des Ordnungswidrigkeitstatbestands nicht erforderlich sei, dass jeder Beteiligte Adressat der besonderen Pflichtenstellung ist.4 Für den Fall, dass der Unternehmer eine juristische Person oder eine Personengesellschaft ist, wird die Unternehmereigenschaft, die besonderes persönliches Merkmal ist,5 gemäß § 9 Abs. 1 OWiG i.V. m. § 377 Abs. 2 AO (beziehungsweise für das Delikt nach § 26c UStG gemäß § 14 Abs. 1 StGB i.V. m. § 369 Abs. 2 AO) auf die dahinter stehenden verantwortlichen Personen übergewälzt.6
1
Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 14. Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 38; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 54; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 16. 3 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 38, der darauf hinweist, dass dies im Ergebnis unabhängig davon zu gelten habe, ob man die Pflicht zur Entrichtung der Umsatzsteuer als besonderes persönliches Merkmal ansieht oder nicht; für die Beteiligung durch aktives Tun auch Graf/Jaeger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 7. 4 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 38. 5 Bohnert, OWiG § 9 Rn. 4; Karlsruher Kommentar OWiG-Rogall, § 9 Rn. 29; a. A. in Bezug auf die „Abführungsverpflichtung“ im Sinne des § 26c UStG wohl BGH, Beschl. v. 23.8.2006 – 5 StR 231/06, dargestellt bei Jäger, NStZ 2007, 688. 6 Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 15. 2
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Dem wird zum Teil entgegengehalten, dass ein Rückgriff auf § 9 OWiG bzw. § 14 StGB nicht vorzunehmen sei, weil §§ 34, 35 AO den dort genannten Personen bereits eine originäre Pflicht zur Entrichtung der Steuer auferlege.7 Zum Teil wird diesbezüglich auch davon ausgegangen, dass nicht nur Diejenigen Täter des § 26b UStG sind, die zwar nicht durch § 9 OWiG erfasst werden, aber Personen im Sinne der §§ 34, 35 AO sind.8 Danach würden § 9 OWiG und §§ 34, 35 AO nebeneinander angewendet. Dies wird damit begründet, dass die dort genannten Personen eine eigene Pflicht zur Zahlung der Steuer haben und folglich selbst Normadressaten des § 26b UStG seien.9 Relevant würde die Unterscheidung möglicherweise bei einer als gewillkürter Vertreter auftretenden Person, die tatsächlich aber im Innenverhältnis zwischen Geschäftsherrn und Vertreter gerade nicht mit der Erfüllung steuerlicher Pflichten beauftragt ist. Denn § 35 AO erfasst nach teilweise vertretener Ansicht auch diejenigen Personen, die in ihrem Auftreten nach außen über die Befugnis im Innenverhältnis hinausgehen.10 Für eine Verantwortlichkeit nach § 14 Abs. 2 OWiG hingegen ist erforderlich, dass eine Beauftragung des gewillkürten Vertreters jedenfalls intendiert war; § 14 Abs. 3 OWiG erfasst lediglich den Fall des unwirksamen Bestellungsakts, nicht jedoch den Fall, dass eine Bestellung durch den Geschäftsherrn nicht erwünscht war.11 Hier spricht nichts gegen ein Nebeneinander der steuerlichen Vorschriften in §§ 34, 35 AO und der Regeln der ordnungswidrigkeits- bzw. strafrechtlichen Verantwortlichkeit in § 9 OWiG, § 14 StGB. Denn sie haben teils unterschiedliche Zielrichtungen, die aber gleichwohl in beiden Fällen Relevanz für die Pflichtenstellung im Sinne des § 26b UStG haben. Keine Auswirkung kann es jedenfalls haben, ob in mit mehreren Personen besetzten Organen oder bei mehreren Geschäftsführern nach internen Absprachen nur bestimmte Personen mit der Erfüllung der steuerlichen Pflichten betraut waren. Solche internen Aufgabeverteilungen sind für das Außenverhältnis und damit auch für die Verantwortlichkeit im straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Sinne nicht relevant.12
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Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 5. Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 56. 9 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 56. 10 Für das Ausreichen vorgespiegelter Verfügungsbefugnis Pahlke/Koenig-Koenig, AO § 35 Rn. 7; a. A. Hübschmann/Hepp/Spitaler-Boeker, § 35 Rn. 13; SchwarzSchwarz, § 35 Rn. 2; nach genereller Beauftragung und konkreten Pflichten im Innenverhältnis differenzierend Klein-Rüsken, AO § 35 Rn. 5, 6. 11 Karlsruher Kommentar OWiG-Rogall, § 9 Rn. 83. 12 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 5. 8
B. Allgemeine Kritik
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B. Allgemeine Kritik I. Zielsetzung der Norm Als Kritikpunkt wird in Bezug auf den Anlass der Einführung der Norm, nämlich die Sanktionierung von Karussellgeschäften, angemerkt, dass durch §§ 26b, 26c UStG mit dem missing trader ausgerechnet das schwächste Glied der organisierten Struktur getroffen werde.13 Da der missing trader jedenfalls in fest organisierten Umsatzsteuerkarussellen regelmäßig vermögenslos14 und von dritten Personen gezielt gesteuert wird,15 ist er zwar wichtiges Werkzeug, aber nicht geistiger Urheber des „Umsatzsteuerumgehungssystems“. Der Kritik ist sicherlich zuzugeben, dass mit dem missing trader nicht der „Hintermann“ des Systems getroffen wird. Dies allein spricht allerdings nicht dagegen, auch den unselbständig agierenden „nur“ eine (unverzichtbare) Tätigkeit innerhalb des Karussells ausführenden „missing trader“ zu sanktionieren. Ob aus anderen Gründen weitere einschränkende Voraussetzungen für die Norm gelten sollten, wird im weiteren Verlauf der Arbeit thematisiert.16 Weiterhin wird kritisiert, dass die Norm einerseits bezüglich der eigentlich zu sanktionierenden Karussellgeschäfte gar keine Wirkung habe, andererseits aber auch jedenfalls im Hinblick auf den Wortlaut über den avisierten Gesetzeszweck hinausgehe.17 Beide Kritikpunkte wurden auch bereits im Gesetzgebungsverfahren geäußert.18 Kritisch wird befürchtet, dass die von der Norm nach dem Gesetzeszweck gar nicht zu erfassenden nur zeitweise säumigen Schuldner Hauptadressaten der Norm würden.19 Gleichzeitig wird angemerkt, dass die Norm zur Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellen ungeeignet sei.20 Zum Teil wird angenommen, dass der Gesetzgeber zur Eingrenzung dieses weiten Tatbestands auf den umfangreichen Rückgriff auf das Opportunitätsprinzip durch den Rechts-
13 14
Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 3. BFH, Beschl. v. 5.2.2004 – V B 180/03, BFH/NV 2004, 988; Muhler, wistra 2009,
1, 3. 15
Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 30; Kemper, UR 2009, 751, 753. Vgl. insbesondere 5. Kapitel. 17 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 6; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 12; Sölch/Ringleb-Klenk, § 26b Rn. 3; Widmann, DB 2002, 166, 169; Wilhelm, UR 2005, 474. 18 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471, S. 5. 19 Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 3; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 12. 20 Wilhelm, UR 2005, 474, 475; auch Stadie, UStG §§ 26b, 26c Rn. 5, der dies allerdings auf ein von der herrschenden Ansicht so nicht vorgesehenes zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, nämlich die Vereinnahmung des Bruttoentgelts durch den Leistungserbringer, stützt. 16
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
anwender vertraut habe.21 Teilweise wird auch angenommen, dass in der Praxis gleichsam eine „faktisch vorweggenommene Anwendung des Opportunitätsgrundsatzes“ vorliege, da die Finanzbehörden sich vor der Anwendung des § 26b UStG scheuten.22 Vereinzelt wird sogar vermutet, dass die Prüfung der Voraussetzungen insbesondere im Zusammenhang mit dem Rechnungsmerkmal zu kompliziert sei und deshalb nur zurückhaltend angewendet werde.23 Inwiefern insbesondere die Ordnungswidrigkeitsvorschrift in § 26b UStG in der Praxis Anwendung findet, ist derzeit unklar. Eine nennenswerte Reduzierung der Karussellgeschäfte durch die Normen wird bezweifelt.24 Es wird aber darauf hingewiesen, dass jedenfalls in einigen Bundesländern die Praxis zu gelten scheine, dass nach dreimaliger verspäteter Zahlung oder Nichtzahlung von § 26b UStG Gebrauch gemacht werde und sogar mit der Annahme einer Gewerbsmäßigkeit gedroht werde.25
II. Sanktionierung der Nichtabführung bei eigener Schuld 1. Systematische Ungleichbehandlung durch Sanktionierung? Auch aufgrund des Umstands, dass der leistende Unternehmer selbst Steuerschuldner ist, sieht sich die Konzeption einer Sanktionierung der reinen Nichtabführung der Umsatzsteuer zum Teil Kritik ausgesetzt.26 Es liege eine Ungleichbehandlung der Umsatzsteuer im Vergleich zu anderen Steuerarten vor, da eine generelle Ahndung der bloßen Nichtentrichtung einer eigenen Steuer ansonsten nicht vorgesehen sei, was zu schweren Wertungswidersprüchen führe.27 Neben der (die konkrete Ausgestaltung der Sanktionsnorm adressierenden) Kritik der verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit jedenfalls für den Straftatbestand in § 26c UStG aufgrund der weiten Fassung des Tatbestands28 wird daher auch in Bezug auf die Sanktionierung an sich von einem „Systembruch im Steuerstrafrecht“ gesprochen, der eine Streichung der Normen erfordere.29 Zum Teil wird dabei auch kritisiert, dass nicht nur ein neuer „Bereich der Sanktionierung steuerlichen Fehlverhaltens“ eröffnet wurde, sondern es – möchte man ein solches Verhalten schon 21
Reiß, UR 2002, 561, 567; Widmann, DB 2002, 166, 169. Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 48. 23 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 18. 24 Reiß/Krauesel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 3. 25 Vgl. Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 6, der dies aber gleichzeitig mit Hinweis auf den anders lautenden Gesetzeszweck kritisiert. 26 Kohlmann-Schauf, § 370 AO Rn. 1395; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 8; Reiß, UR 2002, 561, 567. 27 Reiß, UR 2002, 561, 566. 28 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 6; Kohlmann-Schauf, § 370 AO Rn. 1395; Reiß, UR 2002, 561, 566; Wilhelm, UR 2005, 474, 479. 29 Kohlmann-Schauf, § 370 AO Rn. 1395. 22
B. Allgemeine Kritik
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sanktionieren – auch nicht „systemgerecht“ sei, die Sanktionierung dieses Verhaltens nur auf die Umsatzsteuer zu beschränken.30 Zum Vergleich wird § 380 AO aufgeführt. Dieser erfasst Fälle, in denen einem Dritten im Besteuerungsverfahren Pflichten einer fremden Steuerschuld obliegen, also der mögliche Täter nicht selbst Steuerschuldner ist.31 Dennoch wird teilweise eine Vergleichbarkeit des § 26b UStG mit § 380 AO bejaht.32 Im Fall des § 380 AO bewirkt allerdings die Nichtabführung einer Abzugsteuer in jedem Falle nur eine Ordnungswidrigkeit. Es scheint daher jedenfalls einen Wertungswiderspruch darzustellen, wenn im Fall des § 26c UStG sogar eine Straftat im Raume steht. Auch die Ordnungswidrigkeit nach § 26b UStG ist jedenfalls auf Rechtsfolgenseite nicht vereinbar mit § 380 AO, da derjenige, der selbst Steuerschuldner ist und somit nicht die Rechtsgüter Dritter belastet, mit einer bis zu doppelt so hohen Geldbuße belegt werden kann.33 Andere Stimmen lehnen eine Vergleichbarkeit mit § 380 AO ab, da in diesem Fall gerade keine eigene Schuld erfüllt werden müsse, und sehen eine Vergleichbarkeit der §§ 26b, 26c UStG eher mit der Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 StGB.34 Dabei ist jedoch zu beachten, dass im Rahmen des § 170 StGB noch ein der Norm immanentes zusätzliches Unrechtselement vorhanden ist, nämlich die „Sicherung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten und Abwehr unnötiger, durch Unterhaltsverweigerung verursachter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel“.35 Eine Rechtfertigung für die durch §§ 26b, 26c UStG nunmehr bewirkte Sanktionierung der Nichtzahlung einer eigenen Steuerschuld wird zum Teil in der Eigenschaft der Mehrwertsteuer als neutraler Faktor zwischen Unternehmern gesehen: Dieses Neutralitätsgebot beinhalte auch, dass Zahlung der Umsatzsteuer und Erstattung der Vorsteuer sich ausgewogen gegenüberstehen.36 Die sonst drohende bereits einleitend angesprochene37 Wettbewerbsverzerrung sei Grund genug für die systemuntypische Einführung einer derartigen Sanktionsnorm.38 Zum Teil wird auch davon ausgegangen, dass seit der Änderung des Umsatzsteuersystems vom Abzugsverfahren im Falle der Beteiligung ausländischer Unternehmer zu einem Verfahren der Steuerschuldnerschaft der Leistungsempfänger zum 1. Januar 2002 das Umsatzsteueraufkommen nunmehr in gleicher Weise durch § 26b 30 31 32 33 34 35 36 37 38
Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 8. Franzen/Gast/Joecks-Jaeger, § 380 AO Rn. 2. Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 3.2. Vgl. auch Reiß, UR 2002, 561, 567. Wannemacher-Traub, Rn. 1351. BVerfG, Beschl. v. 17.1.1979 – 1 BvL 25/77, NJW 1979, 1445. Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 3. Vgl. 1. Kapitel unter C.II. Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 3.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
UStG gesichert werden solle.39 Diese Begründung für die Einführung der Sanktionsnorm findet sich allerdings in den Gesetzesmaterialien nicht. Auch ist zu bedenken, dass der Anwendungsbereich des § 26b UStG weiter ist als der des bis zum 31.12.2001 geltenden Umsatzsteuerabzugsverfahren bei Beteiligung ausländischer Unternehmer, da § 26b UStG unterschiedslos auf alle Umsatzsteuerschuldner abstellt. Bei aller Sympathie für die systematischen Argumente, die bezüglich des Unterschieds zwischen § 380 AO, der die Nichtabführung einer fremden Schuld sanktioniert, und § 26b UStG, der die Nichtabführung einer eigenen Schuld zum Gegenstand hat, angebracht werden, sei jedoch zu Bedenken gegeben, dass eine Tathandlung im Sinne des § 380 AO letztlich nicht notwendigerweise zu einer Schädigung Dritter, beispielsweise des Arbeitnehmers, führt. Im Ergebnis wird zwar dem § 380 AO ein „an die Untreue [. . .] anklingende[r] [. . .] Unrechtsgehalt“ bescheinigt40, auch wird ein „gewisses Treueverhältnis“ sowohl zum Finanzamt als auch zum Steuerschuldner angenommen,41 allerdings liegt eine Gefährdung der Interessen des Steuerschuldners im Ergebnis nicht vor, da dieser – wenn die Steuer jedenfalls einbehalten wurde – nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, selbst wenn der Abzugsverpflichtete die Steuer nach Einbehalt nicht an das Finanzamt abführt, vgl. § 42d Abs. 3 Satz. 4 EStG.42 Es fragt sich daher, ob § 380 AO tatsächlich materiell und mit Blick auf das Ergebnis einer Zuwiderhandlung substantiell anders gelagerte Fälle betrifft als § 26b UStG. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang andererseits auch, dass beispielsweise die pauschale Lohnsteuer – da sie schuldbefreiend durch den Arbeitgeber übernommen wurde und daher keine fremde Steuer ist – nach allgemeiner Ansicht nicht von § 380 AO erfasst ist.43 Dies wird einerseits mit dem Wortlaut, andererseits aber auch mit dem Fehlen eines „treuhandähnlichen Charakters der Pflichtenstellung“ begründet, da der Arbeitgeber allein Steuerschuldner sei.44 Folglich wird in diesem Zusammenhang schon aus der Tatsache, dass es sich um eine selbst geschuldete Steuer handelt, geschlossen, dass ein treuhandähnlicher Charakter aufgrund der eigenen Steuerschuld nicht besteht. Vergleicht man allerdings den Fall der pauschalierten Lohnsteuer mit dem der Umsatzsteuer, so wird deutlich, dass die Nichtabführung der Umsatzsteuer jedenfalls kein größeres zusätzliches Unrechtselement enthält als die Nichtabführung der pauschalierten Lohnsteuer, da auch im Falle der pauschalierten Lohnsteuer der Arbeitgeber letztlich nur eine Pflicht, die das Steuersystem an sich dem Ar39 40 41 42 43 44
Vgl. Franzen/Gast/Joecks-Jäger, § 380 AO Rn. 13. BGH, Urt. v. 11.3.1952 – 1 StR 296/51, BGHSt 2, 183, 186. Franzen/Gast/Joecks-Jäger, § 380 AO Rn. 2. Vgl. unter D.IV.1.b)bb). Statt aller Franzen/Gast/Joecks-Jäger, § 380 AO Rn. 3a. Franzen/Gast/Joecks-Jäger, § 380 AO Rn. 3a.
B. Allgemeine Kritik
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beitnehmer zuschreiben würde, übernommen hat (befreiende Schuldübernahme)45. Schon hieran wird deutlich, dass die Sanktionierung der Nichtabführung einer Steuerschuld jedenfalls nicht einheitlich gehandhabt wird und der Gesetzgeber im Hinblick auf die pauschalierte Lohnsteuer offensichtlich ein Sanktionsbedürfnis für den Fall der Nichtabführung nicht gesehen hat. Ausgangspunkt der Überlegung des „Ob“ der Sanktionierung und der Rechtfertigung der §§ 26b, 26c UStG ist folglich, dass tatsächlich diese Sanktionierung der Nichtzahlung einer Steuer einen vollständigen Systembruch darstellt. So wird die Regelung teils als „Novum im Steuerrechtsgefüge“ 46, teils als „neuartige Gegenwehr“ des Gesetzgebers47 beschrieben. Generell galt bislang in Bezug auf die Nichtabführung einer eigenen Schuld, dass eine solche nur dann strafrechtlich relevant werden soll, wenn ein zusätzliches Unrechtselement hinzukommt.48 Vorliegend ist fraglich, ob ein solches zusätzliches Unrechtselement, also entweder ein besonderes Handlungs- oder ein besonderes Erfolgsunrecht, tatsächlich angenommen werden kann. Bedenkenswert ist jedenfalls, dass es sich um ein Gesetz handelt, das in Reaktion auf ein einzelnes „Geschäftsmodell“ konzipiert wurde und bei dem sich daher nicht nur die Frage nach der Wirksamkeit des Mittels stellt, sondern auch nach dem Strafbedürfnis. Denn die gesetzgeberische Reaktion birgt die Gefahr, dass durch Reaktion auf ein als missbilligenswert erachtetes Verhalten oder Verhaltensmuster ein ganzes System in Schieflage gerät, weil zum einen aufgrund der Konzentration auf den Auslöser des Vorhabens nicht die Auswirkungen der Neuregelung auf andere Verhaltensweisen bedacht wurden und zum anderen allgemeine Gleichbehandlungskriterien nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Ob dennoch Besonderheiten des Umsatzsteuersystems bestehen, die eine solche besondere Form der Sanktionierung zu rechtfertigen vermag, soll im weiteren Verlauf der Arbeit49 untersucht werden. 2. Rechtfertigung der Sanktionierung aufgrund treuhandähnlicher Stellung des leistenden Unternehmers? Teilweise wird davon ausgegangen, dass das Wesen und die Erhebung der Umsatzsteuer, die dem Unternehmer besondere Pflichten auferlegen, zu einer treuhandähnlichen Stellung des Unternehmers führen.50 Im Folgenden soll daher un45
BFH, Urt. v. 6.5.1994 – VI R 47/93, BStBl. II 1994, 715. Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 3. 47 Bielefeld, BB 2004, 2441. 48 BVerfG, Beschl. v. 17.1.1979 – 1 BvL 25/77, NJW 1979, 1445, 1447. 49 Vgl. insb. 5. Kapitel. 50 Dieses besondere Pflichtverhältnis betont insbesondere Rau/Dürrwächter-Stadie, Einf. Rn. 199; Stadie, UStG Vorbem. Rn. 20; Stadie UStG § 13a Rn. 5; die Frage des 46
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
tersucht werden, inwiefern ein solches treuhandähnliches Verhältnis hier tatsächlich angenommen werden kann und ob dies eine gesonderte Behandlung der Nichtabführung von Umsatzsteuer zu rechtfertigen vermag. a) Voraussetzungen eines treuhandähnlichen Verhältnisses nach Maßgabe des Zivilrechts oder eines Treueverhältnisses nach dem Vorbild des Untreuetatbestands Eine allgemeine Definition des zivilrechtlichen Begriffs der Treuhand existiert nicht, weder in Form einer Legaldefinition noch in Form eines allgemein anerkannten Rechtsbegriffs.51 Dennoch sind bestimmte charakteristische Merkmale anerkannt, die zur Orientierung dienen können. Unter einem Treuhandverhältnis ist generell ein Fall zu verstehen, in dem der Treugeber einem Treunehmer im Außerverhältnis größere Rechtsmacht einräumt als dieser im Innenverhältnis gebrauchen darf.52 Die Überlassung der Rechtsmacht erfolgt mit einer im Einzelfall näher ausgestalteten Zweckbindung.53 Zivilrechtlich anerkannt und maßgeblich verbreitet sind die Verwaltungstreuhand, also der Fall, dass der Treunehmer das Treugut für den Treugeber zu verwalten hat, sowie die Sicherungstreuhand, bei der der Treugeber dem Treunehmer das Treugut zum Zwecke der Sicherung einer Forderung des Treunehmers gegen den Treugeber übertragen hat.54 Es sind also unterschiedliche Ziele und Zwecksetzungen einer Treuhand denkbar, gemeinsam ist jedoch allen Fällen der zivilrechtlichen Treuhand, dass dem Treunehmer die Rechtsmacht über einen Gegenstand oder ein Recht eingeräumt wurde, die dieser aber nur eingeschränkt, nämlich zweckgebunden gemäß der Treuhandabrede zwischen Treunehmer und Treugeber, einsetzen darf. Auch das Zivilrecht kennt darüber hinaus Treuhandbeziehungen, die nicht aufgrund vertraglicher Abrede entstanden sind. Dies sind – neben solchen Verhältnissen, die aufgrund gerichtlicher Entscheidungen generiert wurden, zum Beispiel Betreuung oder Insolvenzverwaltung, oder einseitiger Bestellung, insbesondere im erbrechtlichen Kontext – auch Fälle der gesetzlichen Treuhand, wie beispielsweise die elterliche Vermögenssorge gem. § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB.55 Auch diesen Normen ist der allgemeine Grundsatz der Treuhand eigen, dass im Vorliegens des treuhandähnlichen Verhältnisses ebenfalls in den Raum werfend Reiß, UR 2002, 561, 567. 51 MüKo BGB-Schramm, Vor § 164 Rn. 28; Gernhuber, JuS 1988, 355; mit Hinweis auf den Begriffsgebrauch „in einem sehr weiten, zerfließenden Sinne“ Soergel-Leptien, Vor § 164 Rn. 49. 52 MüKo BGB-Schramm, Vor § 164 Rn. 28; Soergel-Leptien, Vor § 164 Rn. 52; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht Rn. 488. 53 MüKo BGB-Schramm, Vor § 164 Rn. 28. 54 Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht Rn. 488. 55 Löhnig, Treuhand S. 136.
B. Allgemeine Kritik
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Außenverhältnis eine über das Innenverhältnis hinausgehende Rechtsmacht besteht. Weiterhin könnte man die Frage stellen, ob ein „Treueverhältnis“ mit daraus folgenden Pflichten nach strafrechtlichen Grundsätzen angenommen werden kann. Betrachtet werden sollen daher insbesondere die Grundsätze für das Bestehen eines Treueverhältnisses im Rahmen der Untreue. Das in der Treubruchalternative der Untreue diskutierte Treueverhältnis bezeichnet „Beziehungen rein tatsächlicher Art“.56 Aus diesen tatsächlichen Umständen wiederum müsste sich eine Vermögensbetreuungspflicht ergeben. Ein solches Treueverhältnis soll bei der Untreue Quelle für eine Vermögensbetreuungspflicht sein können, wobei allerdings bloß sittliche Pflichten nicht ausreichen sollen,57 sondern eine „anvertraute faktische Machtstellung in fremder Vermögenssphäre“ erforderlich sein soll.58 Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass eine für die Untreue charakteristische Schädigung „von innen heraus“ 59 durch eine (mit Einwilligung des Vermögensinhabers zu Stande gekommene) Herrschaft eines Dritten unabhängig davon möglich ist, ob diese Herrschaftsübernahme auf einem zivilrechtlichen Vertrag beruht beziehungsweise zu einem solchen geführt hat oder nicht.60 Irrelevant ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Schädigung auf einer wirksamen Ausübung der externen Rechtsmacht beruht.61 Insgesamt wird also die schädigende Ausnutzung auch einer bloß faktischen Herrschaftsstellung pönalisiert, wenn diese Herrschaft im Einvernehmen mit dem Vermögensinhaber erlangt wurde. Entscheidend ist auch für die Vermögensbetreuungspflicht, dass derjenige, dem das Vermögen anvertraut wurde, mit diesem im Interesse des Inhabers umzugehen hat.62 Es stellt sich die Frage, ob die Rolle des leistenden Unternehmers bei der Umsatzsteuererhebung mit den soeben beschriebenen Charakteristika eines Treuhänders vergleichbar ist oder jedenfalls eine Situation gegeben ist, die dem bei der 56 BGH, Urt. v. 22.4.1954 – 4 StR 807/53, BGHSt 6, 67; Fischer, § 266 Rn. 33; LKSchünemann, § 266 Rn. 61; Satzger/Schmitt/Widmaier-Saliger, § 266 Rn. 25; unerheblich ist in diesem Zusammenhang, wie man das Verhältnis zwischen Missbrauchs- und Treubruchsalternative der Untreue bewertet und ob unter den Treubruchtatbestand auch rechtsgeschäftliches Verhalten erfasst werden kann, vgl. SK-Hoyer, § 266 Rn. 88, da es vorliegend nur auf ein mit dem Treueverhältnis vergleichbares faktisches Machtverhältnis ankommt. 57 BGH, Urt. v. 17.11.1955 – 3 StR 234/55, BGHSt 8, 254, 257; Satzger/Schmitt/ Widmaier-Saliger, § 266 Rn. 25; Schönke/Schröder-Perron, § 266 Rn. 30. 58 Satzger/Schmitt/Widmaier-Saliger, § 266 Rn. 25. 59 NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 31. 60 LK-Schünemann, § 266 Rn. 61. 61 Satzger/Schmitt/Widmaier-Saliger, § 266 Rn. 24. 62 NK-Kindhäuser, § 266 Rn. 31.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Untreue unter anderem ausreichenden faktischen Treueverhältnis entspricht. Erforderlich wäre nach oben Gesagtem eine (rechtliche oder faktische) Einwirkungsmöglichkeit auf einen fremden Vermögensgegenstand, mit dem im Innenverhältnis zwischen leistendem Unternehmer und Vermögensinhaber Ersterer nur zweckgebunden verfahren darf. b) Bestehen eines treuhandähnlichen Verhältnisses zwischen den am Umsatz beteiligten Parteien Betrachtet man den Fall der Umsatzsteuererhebung, so ist zunächst festzuhalten, dass Steuerschuldner der Leistungserbringer selbst ist. Allerdings kann für die Beurteilung ggf. von Bedeutung sein, dass der leistende Unternehmer den Bruttobetrag, also auch den auf die Umsatzsteuer entfallenden Betrag, vom Leistungsempfänger einnimmt und diesen anschließend an sein Finanzamt abführen muss. Der Umsatzsteuerbetrag unterliegt einer Zweckbindung, er soll nämlich an den Fiskus abgeführt werden. Es liegt allerdings kein gesetzlich begründetes treuhandähnliches Verhältnis zwischen den beteiligten Unternehmern vor, da es an der Übertragung von Rechtsmacht an den leistenden Unternehmer fehlt. Dieser führt eine eigene Steuerschuld aus,63 das „Schicksal“ der steuerlichen Pflichten des Leistungsempfängers ist hiervon grundsätzlich (jedenfalls wenn der Leistungsempfänger keine Kenntnis von einem Mehrwertsteuermissbrauch hat)64 unabhängig, denn weder ist sein Vorsteueranspruch von den weiteren Handlungen des Leistungserbringers abhängig noch kann der Fiskus sich selbst an ihn wenden. Den auf die Umsatzsteuer entfallenden Betrag hat der Leistungsempfänger mit Zahlung an den Leistungserbringer aus seinem Vermögen ausgegliedert, es steht ihm wirtschaftlich nicht mehr zu. Auch seinen (steuerlichen) Pflichten ist der empfangende Unternehmer hierdurch vollständig nachgekommen. Mangels Herrschaft über einen dem Leistungsempfänger gehörenden Vermögensgegenstand liegt daher im Verhältnis der am Umsatz beteiligten Unternehmer untereinander weder ein Treuhandverhältnis nach zivilrechtlichen Grundsätzen noch ein der Untreuekonstellation ähnelndes faktisches Treueverhältnis vor. Im Verhältnis zu dem anderen Unternehmer besteht daher in keinerlei Hinsicht ein besonderes Verhältnis. Jedenfalls insofern besteht zumindest ein Unterschied zu § 380 AO, bei dem eine Art Treueverhältnis auch im Verhältnis zum eigenen Vertragspartner (z. B. Arbeitnehmer) angenommen wird.65
63 Allg. Ansicht, vgl. exemplarisch Tipke/Lang-Englisch, § 17 Rn. 12; krit. jedoch Rau/Dürrwächter-Stadie, Einf. Rn. 197; Stadie, UStG § 13a Rn. 5. 64 EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04 – Axel Kittel und Recolta Recycling SPRL, Slg 2006, I-6161 = UR 2006, 594. 65 Vgl. Franzen/Gast/Joecks-Jäger, § 380 AO Rn. 2.
B. Allgemeine Kritik
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c) Bestehen eines treuhandähnlichen Verhältnisses zwischen leistendem Unternehmer und Fiskus? In Betracht kommt allerdings möglicherweise ein gesetzlich begründetes treuhandähnliches Verhältnis zwischen dem leistenden Unternehmer und dem Fiskus. Dies nimmt jedenfalls Stadie an, der sogar explizit der Ansicht ist, dass es sich bei dem auf die Umsatzsteuer entfallenden Betrag der vom Vertragspartner erhaltenen Gegenleistung um Fremdgelder handelt.66 Er begründet seine Ansicht der treuhänderischen Vereinnahmung der Beträge damit, dass der leistende Unternehmer letztlich nicht als Schuldner der Steuer behandelt werden sollte, da hierdurch „vernebelt“ würde, dass der Unternehmer letztlich nur „Steuereinnehmer“ für Rechnung des Staates sei, sodass die Steuer eine Nähe zur Lohnsteuer oder zur Kapitalertragsteuer aufweise, letztlich also keine eigene Steuer geschuldet sei, sondern nur die Abführung der vereinnahmten Umsatzsteuerbeträge.67 Er folgert also das Treuhandverhältnis letztlich aus der Indienstnahme des Unternehmers als Verwaltungshelfer.68 Auch der BGH geht, allerdings ohne nähere Begründung und in anderem Zusammenhang (nämlich in Bezug auf Strafzumessungsaspekte im Rahmen des § 370 AO), davon aus, dass der Umsatzsteuerschuldner die Steuern „wie ein Treuhänder für den Fiskus verwaltet“.69 Nach Ansicht des BFH wird der Unternehmer im Rahmen der Umsatzsteuererhebung „als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates tätig“, allerdings wird dies nur im Zusammenhang mit der Frage der (aus diesem Grunde verneinten) wirtschaftlichen Belastung des die Steuer schuldenden Unternehmers durch die Umsatzsteuer angemerkt.70 Besondere Pflichten schließt der BFH aus diesem Umstand allerdings nicht. Einzig der EuGH scheint aus der Tätigkeit des Steuerpflichtigen für Rechnung des Staates71 noch einen etwas weitergehenden Schluss zu ziehen. Denn der Gerichtshof geht davon aus, dass der Steuerpflichtige „öffentliche Gelder“ bei sich ansammelt.72 Ganz offensichtlich setzt der EuGH also voraus, dass es sich bei dem durch den leistenden Unternehmer vereinnahmten Umsatzsteuerbetrag bereits zu diesem Zeitpunkt um Gelder des Fiskus handelt. Tatsächlich ist zu bedenken, dass der Leistungserbringer die Verfügungsmacht über den Umsatzsteuerbetrag vom Leistungsempfänger erhält; gleichwohl steht 66
Rau/Dürrwächter-Stadie, Einf. Rn. 199; Stadie, UStG § 13a Rn. 5. Stadie, UStG § 13a Rn. 5. 68 Stadie, UStG Vorbem. Rn. 20. 69 BGH, Urt. v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513. 70 BFH, Beschl. v. 13.2.2008 – XI B 200/07, BFH/NV 2008, 1208. 71 EuGH, Urt. v. 20.10.1993 – C-110/92, Tz. 25; EuGH, Urt. v. 24.10.1996 – C-317/ 94, Tz. 22. 72 EuGH, Urt. v. 20.10.1993 – C-110/92, Tz. 25. 67
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dieser dem Leistungserbringer im Ergebnis wirtschaftlich nicht zu, denn es soll der Steueranspruch des Fiskus befriedigt werden. Der Betrag unterliegt folglich einer Zweckbindung. Allerdings wäre für die Annahme eines treuhandähnlichen Verhältnisses auch erforderlich, dass der Betrag auch bereits dem Fiskus wirtschaftlich zusteht. Ein treuhandähnliches Verhältnis setzt voraus, dass der Treugeber, also der Fiskus, Inhaber des Vermögens ist, denn ansonsten läge keine das Innenverhältnis übertreffende Rechtsmacht im Außenverhältnis vor. Somit stellt sich die Frage, von welchem Zeitpunkt an der auf die Umsatzsteuer entfallende Betrag tatsächlich dem Fiskus zugerechnet werden kann, ob und ggf. ab welchem Zeitpunkt also ein Treuhandverhältnis zwischen Fiskus und leistendem Unternehmer angenommen werden kann. In Betracht kommen hier unterschiedliche Zeitpunkte: aa) Zeitpunkt der Entstehung eines treuhandähnlichen Verhältnisses (1) In Betracht kommende Zeitpunkte Man könnte annehmen, dass der Betrag erst mit Fälligkeit dem Fiskus zusteht, denn dies ist der Zeitpunkt, zu dem Vollstreckungshandlungen stattfinden können, also ein Zugriffsrecht besteht. Denn Fälligkeit bedeutet, dass der Gläubiger den Anspruch einfordern, also Leistung verlangen darf.73 Ginge man davon aus, dass der Anspruch dem Staat erst zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich zusteht, käme ein Treuhand- oder treuhandähnliches Verhältnis nicht in Betracht. Denn mit Fälligkeit der Umsatzsteuerzahllast ist der leistende Unternehmer ja gerade schon zur Abführung verpflichtet. Ein Einbehalten ab diesem Zeitpunkt würde also gerade nicht mehr vom Innenverhältnis zwischen Unternehmer und Fiskus gedeckt, sodass mit Entstehung der Treuhand zwingend bereits eine Verletzung des Treuhandverhältnisses zwischen Fiskus und Unternehmer verbunden wäre. Denn mit Abführung würde das Treuhandverhältnis mangels Rechtsmacht des Unternehmers im Außenverhältnis erlöschen. Ein Treuhandcharakter entsteht nur, wenn die Macht im Außenverhältnis über die im Innenverhältnis hinausgeht.74 Das ist nach Fälligkeit gerade nicht mehr der Fall, da auch im Außenverhältnis der Betrag an den Gläubiger abzuführen ist. Der Fälligkeitszeitpunkt ist mithin kein tauglicher Anknüpfungspunkt für den Entstehungszeitpunkt eines Treuhandverhältnisses. Käme man also zu dem Schluss, dass der Umsatzsteuerbetrag erst ab diesem Zeitpunkt dem Staat wirtschaftlich zusteht, so käme ein Treuhandverhältnis zwischen dem Staat und dem leistenden Unternehmer zu keinem Zeitpunkt in Betracht. Möglicher Anknüpfungspunkt könnte weiterhin der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer sein, gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Satz 1 UStG also der Ablauf des 73 74
Looschelders, Schuldrecht AT Rn. 276. Vgl. unter B.II.2.a).
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Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistung erbracht wurde oder – für den Fall der Vorleistung durch den Leistungsempfänger – der Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt entrichtet wird75, vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Satz 4 UStG. Als weiterer möglicher zeitlicher Anknüpfungspunkt erscheint der Zeitpunkt denkbar, zu dem der steuerbegründende Sachverhalt stattgefunden hat, also die Ausführung der Leistung bzw. im Falle der Vorleistung des Leistungsempfängers die Entgeltzahlung (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Satz 4 UStG), da bereits unabhängig vom nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a UStG normierten Zeitpunkt der Steuerentstehung zu diesem Zeitpunkt bereits feststeht, dass die Steuer entstehen und fällig werden wird. Weiterhin erscheint es auch möglich, ein Treuhandverhältnis erst anzunehmen, wenn die Leistung durch den Leistungserbringer erbracht und das Entgelt durch ihn vereinnahmt wurde, da erst zu diesem Zeitpunkt kein Berichtigungsanspruch des Leistungserbringers gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG oder auch nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG mehr entstehen kann. Auch hat der Leistungserbringer erst zu diesem Zeitpunkt die Rechtsmacht über den auf die Umsatzsteuer entfallenden Betrag, bezüglich dessen ja das Treuhandverhältnis bestehen soll. (2) Würdigung Zu früh ist jedenfalls ein Zeitpunkt, zu dem die steuerbegründenden Sachverhalte stattgefunden haben, denn wenn die Steuer noch nicht einmal nach § 13 Abs. 1 UStG entstanden ist, dann fehlt eine hinreichend greifbare Grundlage für einen Anspruch. Der Gläubiger ist nicht schutzwürdig, ehe der Anspruch nicht jedenfalls rechtlich entstanden ist. In Betracht kommt also frühestens der in § 13 Abs. 1 UStG bezeichnete Zeitpunkt, also der Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums. Zu beachten ist dabei allerdings, dass ein treuhandähnliches Verhältnis jedenfalls erst vorliegen kann, wenn der leistende Unternehmer den Bruttobetrag bereits vom Leistungsempfänger vereinnahmt hat.76 Denn zuvor wurde ihm nichts anvertraut, das er im Innenverhältnis nach bestimmten Maßgaben zu behandeln hätte. Problematisch ist der Fall jedenfalls dann, wenn die Leistung zwar erbracht, das Entgelt aber noch nicht vereinnahmt ist. Denn im Regelfall der Soll-Besteuerung und der Vorleistung des Leistungserbringers ist Voraussetzung für die Entstehung der Steuer gerade nicht die Vereinnahmung des Entgelts durch den Leistungserbringer.77 Unabhängig von einem ggf. später eintretenden Berichtigungsanspruch gemäß 75 Allgemein zu Fällen des Eintretens der „Mindest-Ist-Versteuerung“ vgl. BunjesLeonard, § 13 Rn. 20. 76 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 338. 77 Bunjes-Leonard, § 13 Rn. 11; Sölch/Ringleb-Leipold, § 13 Rn. 26.
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§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG schuldet der leistende Unternehmer die Steuer zunächst. Der Leistungserbringer hat jedoch noch keine Rechtsmacht über den von ihm konkret „einzusammelnden“ Betrag. Zu diesem Zeitpunkt kann man daher noch nicht von einem Treuhandverhältnis sprechen. Es handelt sich schlicht um einen Anspruch des Fiskus gegen den Unternehmer aus dem jeweiligen Steuerschuldverhältnis. Denkbar wäre nach alledem für das Bestehen eines treuhandähnlichen Verhältnisses nur der Zeitpunkt, zu dem sowohl die Steuer nach § 13 Abs. 1 UStG entstanden ist als auch die Entgelte vom Leistungsempfänger vereinnahmt wurden. Denn erst zu diesem Zeitpunkt ist sowohl ein Anspruch des Fiskus auf den Betrag als auch eine Verfügungsmacht über ein dem Leistungserbringer wirtschaftlich nicht zustehendes Vermögen vorhanden. An diesen Überlegungen zeigt sich allerdings eine gewisse innere Problematik der Annahme eines Treuhandverhältnisses. Die Annahme eines Treuhandverhältnisses und damit ggf. auch die Vorsichts- und Vorhaltepflichten des leistenden Unternehmers würden jedenfalls für den Regelfall der Sollbesteuerung davon abhängen und entsprechend differieren, ob der Bruttobetrag überhaupt vereinnahmt wurde, obgleich sich an der Zahlungspflicht des Leistungserbringers gegenüber dem Fiskus zunächst nichts ändern würde. Allein die Tatsache, dass der leistende Unternehmer später auch den entsprechenden Bruttobetrag vom Leistungsempfänger erhält, kann an der Beurteilung der Rechtspflichten zwischen leistendem Unternehmer und Fiskus eigentlich nichts ändern. Denn die Vornahme der Entgeltzahlung des Leistungsempfängers an den Leistungserbringer wirkt sich zunächst nicht auf das Steuerschuldverhältnis zwischen Fiskus und Leistungserbringer aus. Konsequenterweise könnte jedoch eine mit besonderem Unrecht behaftete Nichtabführung von Umsatzsteuer nur stattfinden, wenn der Leistungsempfänger das Entgelt bereits entrichtet hat. Ist das Entgelt noch nicht entrichtet, so hätte die Nichtentrichtung der Steuer eine andere „Qualität“.78 Auch ist zu bedenken, dass der Umsatzsteuerschuldner nicht den konkreten auf den jeweiligen Umsatz entfallenden Umsatzsteuerbetrag schuldet, sondern lediglich die Umsatzsteuerzahllast, die sich für den jeweiligen Voranmeldungszeitraum aus der Differenz von Umsatzsteuerverpflichtungen und Vorsteueransprüchen ergibt. Bereits von einem wirtschaftlichen Anspruch des Staates auf den konkret durch den Leistungserbringer vom Leistungsempfänger vereinnahmten Betrag auszugehen und somit in Bezug auf eben diesen Betrag ein Treuhandverhältnis anzunehmen erscheint mir daher sehr weitgehend. 78 In dieser Hinsicht konsequent geht Stadie allerdings auch davon aus, dass § 26b UStG um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal zu ergänzen sei, dass der die Steuer schuldende Unternehmer den zu entrichtenden Steuerbetrag im Fälligkeitszeitpunkt auch vereinnahmt haben muss, vgl. Stadie, §§ 26b, 26c Rn. 4. Stadie scheint also von einem solchen „qualitativen Bruch“ durch Entgeltvereinnahmung auszugehen.
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Insgesamt ist daher fraglich, ob tatsächlich eine Treuhandstellung angenommen werden kann, da zwar der auf die Umsatzsteuer entfallende Betrag der Gegenleistung einer Zweckbindung unterliegt, aber der Anspruch des Fiskus auf den auf die Umsatzsteuer entfallenden Betrag in seiner Qualität kein anderer ist als bei jedem andren schuldrechtlichen Anspruch auch. Zudem hat der Fiskus im Ergebnis aufgrund der Verrechnung mit Vorsteueransprüchen keinen Anspruch auf Zahlung der gesamten durch den Leistungserbringer vereinnahmten Umsatzsteuerbeträge. Selbst wenn man allerdings mit der ganz herrschenden Ansicht79 wegen dieser Zweckbindung ein Treuhandverhältnis annehmen möchte, so ist in einem zweiten Schritt fraglich, ob sich hieraus materiell besondere Folgen für die Beurteilung der Nichtabführung von Umsatzsteuer ergeben können. bb) Materielle Folgen einer besonderen Stellung des leistenden Unternehmers (1) Vergleich zur Einkommensteuer Selbst wenn man von einem solchen treuhandähnlichen Verhältnis zwischen leistendem Unternehmer und Fiskus ausgehen möchte, was keineswegs zwingend ist,80 so ergibt sich hieraus nicht auch eine materiellen Folge in Bezug auf die Behandlung des Schuldners der Umsatzsteuer. Es besteht nämlich letztlich auch kein Unterschied zum Steueranspruch des Fiskus im Hinblick auf die Einkommensteuer, soweit diese nicht in Form des Quellensteuerabzugs erhoben wird. Bei der Einkommensteuer wäre jedoch die Annahme eines Treuhandverhältnisses fern liegend und wird – soweit ersichtlich – auch nicht erwogen. Auch die Einkommensteuer entsteht mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, vgl. § 36 Abs. 1 EStG, auch wenn der Steuerpflichtige seine Einnahmen bereits von seinen Kunden erzielt hat. Zwar besteht ein Unterschied dahingehend, dass bei Einnahmen, die der Einkommensteuer unterliegen, kein konkreter Betrag einer jeden Einnahme der Einkommensteuer unterliegt, sondern der endgültig geschuldete Betrag erst durch die Veranlagung greifbar wird. Allerdings ändert dies nichts daran, dass der Einkommensteuerpflichtige einen Teil der Einnahmen, die er von seinen Kunden erhalten hat, noch an den Fiskus abzuführen hat. Der Fiskus hat keinen Anspruch auf einen bestimmten Gegenstand, aber auf den sich ergebenden Gesamtbetrag. Auch ist der Grund für den später entstehenden Anspruch des Fiskus auf den auf die Einkommensteuer entfallenden Betrag bereits zuvor, nämlich mit Realisierung der Einnahme, begründet worden. Nur weil zwi79 EuGH, Urt. v. 20.10.1993 – C-110/92, Tz. 25; EuGH, Urt. v. 24.10.1996 – C-317/ 94, Tz. 22; BGH, Urt. v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 512, 513; BFH, Beschl. v. 13.2.2008 – XI B 200/07, BFH/NV 2008, 1208; Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 28; Stadie, UStG Vorbem. Rn. 20; Stadie, UStG § 13a Rn. 5; Reiß, UR 2002, 561, 567. 80 Vgl. unter B.II.2.c)aa)(2).
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schen Leistungserbringer und Leistungsempfänger bei der Umsatzsteuer bereits der konkrete auf den Umsatz entfallende Betrag festgelegt ist, besteht materiell kein Unterschied zu dem Steueranspruch des Staates bei der Einkommensteuer, zumal auch bei der Umsatzsteuer kein Anspruch des Staates auf Zahlung eines Betrages in eben der Höhe der auf den Umsatz entfallenden Steuer bestehen wird, sondern die Umsatzsteuerzahllast nach Berücksichtigung der dem Leistungserbringer im fraglichen Voranmeldungszeitraum zustehenden Vorsteuererstattungsansprüche erst Gegenstand des Zahlungsanspruchs des Fiskus sein kann.81 Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aufgrund der Verpflichtung zur Leistung von Einkommensteuervorauszahlungen gemäß § 37 EStG. Die Einkommensteuervorauszahlung entsteht mit Beginn des Kalendervierteljahrs, in dem die Vorauszahlungen zu entrichten sind. Sie entsteht dabei lediglich dem Grunde, nicht aber der Höhe nach.82 Der bei Fälligkeit zu entrichtende durch Vorauszahlungsbescheid festgesetzte Vorauszahlungsbetrag richtet sich nach der letzten Veranlagung, es handelt sich um einen Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung.83 Damit sind zwar bestimmte Beträge bereits im Laufe des Veranlagungszeitraums zu entrichten, es findet allerdings keine an den jeweiligen konkreten Einnahmen orientierte Abbildung der Steuerlast eins zu eins statt. Im Übrigen ergeben sich auch Verzögerungen dadurch, dass die Beträge jeweils erst zum 10.3., 10.6., 10.9. und 10.12., also eher gegen Ende des jeweiligen Vierteljahres, fällig werden. Nach wie vor nimmt also der Steuerpflichtige Einnahmen ein, für die er noch keine Einkommensteuer(voraus)zahlung geleistet hat. Dennoch wird man hier wohl kaum für den Zeitraum zwischen Entstehung des Vorauszahlungsanspruchs (Beginn des Kalendervierteljahres) und dessen Fälligkeit (10. Tag des letzten Monats des jeweiligen Kalendervierteljahres) ein treuhandähnliches Verhältnis und daraus folgende besondere Pflichten annehmen. Letztlich ist es bei jeder Forderung gegen einen Schuldner der Fall, dass der Schuldner einen entsprechenden Betrag aus seinem Vermögen wird ausgliedern müssen. Hieraus folgt allerdings nicht zwangsläufig eine besondere Pflichtenstellung. Die Tatsache, dass der Fiskus Forderungsgläubiger ist, kann hierbei jedenfalls nicht von Bedeutung sein. (2) Insolvenzrisiko Auch das Insolvenzrisiko des Fiskus gebietet keine besondere Behandlung des leistenden Unternehmers. Eine nähere Betrachtung der Rechtsfolgen der Nichterfüllung von Forderungen im Zusammenhang mit der Umsatzsteuererhebung er81 82 83
Vgl. unter B.II.2.c)aa)(2). Kirchhof EStG-Gosch, § 37 Rn. 25. Kirchhof EStG-Gosch, § 37 Rn. 2, 27.
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gibt, dass letztlich immer der Fiskus das Insolvenzrisiko zu tragen hat: Formal hat der Leistungsempfänger zunächst die Umsatzsteuer zu tragen. Wirtschaftlich ist er, soweit er Unternehmer ist, allerdings wegen des Rechts auf Vorsteuererstattung nicht belastet. Würde der Leistungserbringer keine Rechnung ausstellen und somit die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nicht ermöglichen, so stünde dem Leistungsempfänger gegenüber dem Leistungserbringer ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB zu.84 Der Leistungsempfänger trägt daher im Grunde kein Risiko, sondern hat je nach Verhalten des Leistungserbringers entweder ein Recht auf Vorsteuerabzug oder aber ein Zurückbehaltungsrecht. Er muss also – die jederzeitige Zahlungsfähigkeit des Fiskus einmal unterstellt – in keinem Fall Geld entrichten, dessen Rückerstattungsanspruch in Bestand oder Realisierung unsicher ist. Der Leistungserbringer auf der anderen Seite schuldet zwar aufgrund der Leistungserbringung die Umsatzsteuer, hat aber für den Fall der Uneinbringlichkeit seines Entgeltanspruchs gegen den Leistungsempfänger in Bezug auf den auf die Steuer entfallenden Betrag einen Berichtigungsanspruch gegen den Fiskus aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG. In der Gesamtbetrachtung ergibt sich also, dass das Risiko für die Steuertragung letztlich bei keinem der Unternehmer liegt, sondern wirtschaftlich beim Fiskus anzusiedeln ist. Gerade daraus, dass der Staat zur Vorsteuererstattung verpflichtet ist und gleichzeitig das Insolvenzrisiko des Leistungserbringers tragen muss, könnte man zwar schließen, dass der Leistungserbringer in besonderem Maße zur Vorhaltung der entsprechenden Beträge verpflichtet ist. Hier ist allerdings im Anschluss an Reiß zu entgegnen, dass ein Schaden nicht größer ist, weil der Fiskus etwas vergüten muss, das er nicht auch erhalten hat.85 Denn die Nichterfüllung eines Anspruchs in einer bestimmten Höhe, der dem Staat wirtschaftlich zusteht, ruft einen Schaden in der gleichen Höhe hervor, wie die Nichtzahlung eben dieses Betrages, wenn der Fiskus an einen Dritten eine entsprechende Vergütung geleistet hat, da dem Fiskus wirtschaftlich gesehen bei Umsätzen zwischen Unternehmern die Summe „Null“ zusteht. Hier ist letztlich also nur das „normale“ Insolvenzrisiko betroffen, das jeder Gläubiger, auch der Steuergläubiger, zu tragen hat. Da wirtschaftlich nur der Endverbraucher durch die Umsatzsteuer belastet werden soll,86 stammt die Steuer auch unter materiellen Gesichtspunkten nicht von dem die Leistung empfangenden Unternehmer. Damit allerdings ergibt sich für den leistenden Unternehmer keine erhöhte Pflichtenstellung im Vergleich zum Schuldner anderer Steuerarten. 84
Vgl. Bunjes-Korn, § 14 Rn. 31. Reiß, UR 2002, 561, 567, der mit diesem Argument die unterschiedliche Behandlung von Lieferungen an andere Unternehmer und solche an Endverbraucher durch § 26b UStG kritisiert. 86 Allg. Ansicht, exemplarisch Tipke/Lang-Englisch, § 17 Rn. 12. 85
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(3) Fazit Nach soeben Gesagtem ist festzuhalten, dass jedenfalls in materieller Hinsicht selbst bei Annahe eines Treuhandverhältnisses zwischen leistendem Unternehmer und Fiskus keine Besonderheiten in Bezug auf die Nichtabführung von Umsatzsteuer folgen. Es entstehen durch die Nichtabführung der Umsatzsteuer keine negativen Implikationen für Dritte wie zum Beispiel den Leistungsempfänger. Wie bei jeder Steuerverpflichtung ist allein der Staat Geschädigter der Nichtabführung, wobei der Schaden, der durch die Nichtabführung entsteht, nicht größer ist, als bei der Nichtabführung einer anderen Steuer. Ein besonderes Unrechtselement im Vergleich zur Nichtzahlung einer anderen (Steuer)Schuld ist daher nicht ersichtlich. Aus dem Charakter der Umsatzsteuer selbst kann die besondere Sanktionierung daher nicht gefolgert werden. Ob und inwieweit daher eine Sanktionierung der Nichtabführung von Umsatzsteuer in bestimmten Fällen gerechtfertigt werden kann, wird im weiteren Verlauf der Arbeit wieder aufgegriffen.87
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG I. „Rechnung“ i. S. d. § 26b 1. Einführung und Meinungsstand Voraussetzung des § 26b UStG ist, dass die nicht entrichtete Umsatzsteuer in einer „Rechnung im Sinne von § 14 [UStG]“ ausgewiesen ist. Fest steht also nach dem Wortlaut zunächst einmal, dass nur solche Umsatzsteuerbeträge erfasst sind, die zuvor in einer Rechnung ausgewiesen wurden, was umgekehrt bedeutet, dass beispielsweise die Leistungserbringung an einen Endverbraucher, für die keine Rechnung, jedenfalls keine mit offenem Umsatzsteuerausweis,88 ausgestellt wurde, nicht dem § 26b UStG unterfällt.89 Fraglich und umstritten ist allerdings, welche Anforderungen im Rahmen des § 26b UStG (und somit auch im Rahmen des § 26c UStG) an den Inhalt der Rechnung zu stellen sind. Der Wortlaut des § 26b UStG umfasst zunächst jegliche Art von Rechnung, die dem weiten Begriff des § 14 Abs. 1 UStG unterfällt. Einschränkend wird von diversen Autoren mit Verweis auf den Zweck des § 26b UStG darauf hingewiesen, dass taugliche Rechnung nur eine solche sein könne, die zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs berechtige, also eine solche im Sinne des § 14 Abs. 4 UStG.90 Denn Voraussetzung für den Vorsteuerabzug sei 87
Vgl. 5. Kapitel unter C.I. Vgl. Dathe, Umsatzsteuerhinterziehung S. 62. 89 Vgl. Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 17; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 72. 90 Bunjes-Leonard, § 26b Rn. 4; Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 11; Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 11; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, 88
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grundsätzlich91 das Vorliegen einer Rechnung, die die in § 14 Abs. 4 Nr. 1–9 UStG niedergelegten Angaben enthält.92 Nach anderer Ansicht93 geht eine solche Eingrenzung zu weit, da für den Fall, dass unberechtigterweise dennoch eine Vorsteuererstattung an den Rechnungsempfänger stattgefunden hat, tatsächlich eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens stattgefunden habe und gerade dieser Fall der Schädigung von § 26b UStG erfasst werden sollte.94 Blesinger unterscheidet die beiden Ansichten sehr plastisch danach, ob diese ein „rechtliches Gefährdungspotential“, d. h. eine Pflicht des Finanzamts zu Vornahme der Vorsteuererstattung begründet, verkörpern muss, um eine Rechnung im Sinne des § 26b UStG zu sein, oder ob ein „faktisches Gefährdungspotential“, d. h. die Gefahr einer irrtümlichen Vorsteuererstattung durch das Finanzamt, ausreichend sein kann.95 Es soll im Folgenden untersucht werden, ob und inwiefern juristische Auslegungsmethoden oder steuerrechtliche Grundlagen zu einer Klärung der Frage beitragen können. 2. Auslegungshilfen Es stellt sich zunächst die Frage, welches Ergebnis sich aus der Betrachtung des Rechnungsmerkmals anhand der verschiedenen gängigen Auslegungshilfen ergibt.96 Nach den klassischen Einordnungen, die sich im Rahmen der Methodenlehre herausgebildet haben, ist der Begriff der Rechnung demnach mit Blick auf die grammatische und logische Auslegung, auf die heute überwiegend zusammenfassend als „Wortlaut“ Bezug genommen wird, der systematischen Auslegung, der historischen Auslegung sowie der teleologischen Auslegung zu untersuchen.97 § 26b Rn. 16; Plückebaum/Malitzky-Kemper, § 26b Rn. 23 ff.; Rau/Dürrwächter-Nieskens, § 26b Rn. 17; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 26–29; Sölch/Ringleb-Klenk, § 26b Rn. 5; Stadie, UStG § 26c Rn. 2; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 138; a. A.: Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 331; Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 17; Wannemacher-Traub, Rn. 1355; Wilhelm, UR 2005, 474, 475; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 79. 91 Zu den Einschränkungen in Bezug auf die Überprüfung der Richtigkeit der Angaben unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten BMF-Schreiben v. 29.1.2004, Az. IV B 7-S 7280-19/04, Rz. 88 ff., BStBl. I 2004, 258, vgl. auch Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 76 f. 92 Offerhaus/Söhn/Lange-Hundt-Eßwein, § 15 Rn. 11e; Stadie, UStG § 15 Rn. 135. 93 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 331; Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 17; Wannemacher-Traub, Rn. 1355; Wilhelm, UR 2005, 474, 475; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S.79. 94 Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 17. 95 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 16. 96 So auch bereits Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 72 ff. 97 Kramer, Juristische Methodenlehre S. 51 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre S. 141 ff.; Schwintowski, Juristische Methodenlehre S. 65; Wank, Die Auslegung von Gesetzen § 5 S. 39 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre § 8 S. 35 f.
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a) Die grammatische Auslegung Der Wortlaut stellt naturgemäß den Ausgangspunkt der juristischen Interpretation einer Norm dar98, denn er ist nicht nur wichtigstes Indiz99 für die Erforschung des gesetzgeberischen Willens100, sondern insbesondere im Strafrecht wegen des aus dem „nulla poene sine lege“ – Grundsatz folgenden Analogieverbots gleichzeitig auch die absolute Grenze101 der Auslegung.102 Die Norm verweist nur auf eine „Rechnung im Sinne von § 14“, Elemente dieser Formulierung sind also „Rechnung“ und „§ 14 [UStG]“. Zunächst ist der Begriff der Rechnung auf seinen „natürlichen Wortsinn“ hin zu überprüfen.103 Im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch, erst Recht aber in der Umgangssprache,104 vermag diese Untersuchung allerdings keine eingrenzende Antwort auf die oben genannte Frage zu geben, da für eine Rechnung in der allgemeinen Verwendung auch im juristischen Kontext letztlich nur die Beschreibung denkbar ist, dass hiermit die Niederschrift eines (behaupteten) Zahlungsanspruchs und ggf. noch der diesem Zahlungsanspruch zu Grunde liegende Sachverhalt bzw. das Rechtsgeschäft im weitesten Sinne dokumentiert wird. Der Verweis auf die Norm des § 14 UStG engt diese Beschreibung hingegen noch etwas ein. Denn jedenfalls wird durch den Verweis deutlich, dass Mindestanforderung an die Rechnung im Sinne der Vorschrift ist, dass sie unter die Legaldefinition in § 14 Abs. 1 UStG zu fassen ist. Damit steht als Voraussetzung nach der Wortlautauslegung aber lediglich zweifelsfrei fest, dass es sich um ein Dokument handeln muss, „mit dem über eine Lieferung oder sonstige Leistung abgerechnet wird, gleichgültig, wie dieses Dokument im Geschäftsverkehr bezeichnet wird.“ 105 Nach Satz 2 dieses die Mindestanforderungen festlegenden Absatzes 1 werden außerdem zwingende Voraussetzungen an die Form festgelegt, nämlich dass Rechnungen „auf Papier oder vorbehaltlich der Zustimmung des Empfängers auf elektronischem Wege zu übermitteln“ sind.106 98
Larenz/Canaris, Methodenlehre S. 143. Kramer, Juristische Methodenlehre S. 51. 100 Zur Frage der Maßgeblichkeit und des Begriffs des „Gesetzgebers“ für die Zwecke der Methodenlehre vgl. Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 28 ff. 101 BVerfG, Beschl. v. 11.01.1995 – 2 BvR 1473/89, NJW 1995, 3050, 3051. 102 Allg. Larenz/Canaris, Methodenlehre S. 143. 103 Vgl. Schwintowski, Juristische Methodenlehre S. 65. 104 Zur Maßgeblichkeit der einzelnen „Sprachgebräuche“ vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre S. 75 f.; Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 39 ff.; zum Verhältnis von „Rechtssprache“ und „allgemeiner Sprache“ insb. Larenz/Canaris, Methodenlehre S. 141. 105 § 14 Abs. 1 Satz 1 UStG. 106 Dabei kann dieser Satz 2 nach der Wortlautmethode schon kaum zu einer Verklarung des Rechnungsbegriffs führen, da die Vorschrift voraussetzt, dass das Dokument, für das die Formvorschriften festgesetzt werden, eine „Rechnung“ ist, also schon sprachlogisch keine konstituierenden Rechnungsmerkmale enthalten kann. 99
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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Damit ist die zwingende Wortlautgrenze zwar umrissen, denn es muss über eine Lieferung oder sonstige Leistung abgerechnet worden sein und es müssen die soeben beschriebenen Formvorschriften erfüllt sein. Über die eingangs beschriebenen viel engeren Grenzen vermittelt die Wortlautauslegung hingegen keinen zwingenden Erkenntnisgewinn. Denn die Vorschrift verweist auf die Norm des § 14 UStG im Allgemeinen, und so ist es zwar einerseits denkbar die Norm als Ganzes zu sehen, also die in § 14 Abs. 4 UStG niedergelegte nähere Umschreibung einer Rechnung als Ausgestaltung des in Absatz 1 beschriebenen Oberbegriffs zu sehen und somit alle Merkmale in Absatz 4 als Teil der zwingenden Voraussetzungen auch des § 26b UStG anzusehen. Ebenso denkbar ist es hingegen, die (breitere) Legaldefinition in § 14 Abs. 1 als maßgebliches Verweisziel zu betrachten.107 Denn zwar kann man anführen, dass dadurch, dass § 26b UStG auf den gesamten § 14 UStG verweist und nicht etwa nur auf den die Legaldefinition beinhaltenden Abs. 1108, sodass man hieraus den Schluss ziehen könnte, dass auch alle Angaben in § 14 UStG, also auch dessen Absatz 4, von der Bezugnahme umfasst sein sollen. Allerdings spricht hiergegen auch wieder ein Wortlautargument innerhalb des § 14 UStG: Schon sprachlogisch können die Angaben in § 14 Abs. 4 UStG nicht konstituierend für den Begriff der Rechnung sein. Denn der Wortlaut des Absatzes 4 besagt: „Eine Rechnung muss folgende Angaben enthalten:“ und enthält dann in Nr. 1–9 die detaillierte Aufzählung der einzelnen Pflichtangaben. Hierbei handelt es sich um Pflichtangaben für zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnungen; dieser Katalog, der eine Umsetzung des Art. 226 der MwStSystRL darstellt, sollte Klarheit darüber verschaffen, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Vorsteuererstattung gegenüber dem Finanzamt besteht.109 Durch die Formulierung in § 14 Abs. 4 UStG „Eine Rechnung muss folgende Angaben enthalten“ und nicht etwa „Ein Dokument ist Rechnung, wenn es folgende Angaben enthält“ oder ähnliches, wird aber deutlich, dass die Angaben eben nicht konstituierend für den Begriff der Rechnung sind, denn auch ohne die Angaben ist das Dokument eine Rechnung, solange es die Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt. Die Aufzählung, insbesondere der Grund, weshalb die Rechnung diese Angaben enthalten „muss“, wird erst mit der Lektüre des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
107
So im Ergebnis auch Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 72. Zur Kritik an der unscharfen Formulierung des umsatzsteuerlichen Zwecks der Begriffsfassung in § 14 Abs. 1 UStG vgl. Sölch/Ringleb-Wagner, § 14 Rn. 35; dem ist zuzustimmen, noch weitergehend ist anzumerken, dass nicht ersichtlich ist, weshalb überhaupt in § 14 Abs. 1 eine derart weite Formulierung gewählt wird und erst in § 14 Abs. 4 – wiederum ohne Verweis – detailliertere Anforderungen formuliert werden, da jedenfalls § 14 Abs. 1 UStG für sich gesehen für Zwecke des Umsatzsteuergesetzes keine Funktion erfüllt. 109 Vgl. Bunjes-Korn, § 14 Rn. 62. 108
64
3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
UStG deutlich. Die Rechnung muss die genannten Angaben enthalten, um den Voraussetzungen für den Vorsteuererstattungsanspruch gerecht zu werden, sie muss die Angaben aber nicht enthalten, um „Rechnung“ zu sein. Insofern enthält § 14 Abs. 4 UStG, der ohne die zusätzliche Lektüre des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG weder sprachlich noch inhaltlich einen Sinn ergibt, zwar Angaben über die inhaltlichen Anforderungen an eine Rechnung110, allerdings nur dahingehend, dass die Rechnung dann einen Anspruch auf Vorsteuererstattung vermitteln kann, nicht jedoch dahingehend, dass § 14 Abs. 4 UStG schlechthin und für alle Zwecke eine zwingende Ausfüllung der Legaldefinition in § 14 Abs. 1 UStG enthält. Ein Dokument kann also auch „Rechnung“ sein, wenn es nicht die Angaben des § 14 Abs. 4 UStG enthält, es kann wegen der Legaldefinition in § 14 Abs. 1 UStG sogar „Rechnung im Sinne des § 14“ sein, es berechtigt lediglich nicht zur Vorsteuererstattung. Die grammatische Auslegung allein führt also nicht zu einem zwingenden Ergebnis. b) Die systematische Auslegung Wenn nach der Auslegung dem Wortsinne nach mehrere Auslegungsvarianten möglich sind, so soll diejenige Bedeutung die zutreffende sein, mit der die sachliche Übereinstimmung mit anderen Bestimmungen gewahrt wird.111 Die grammatische Auslegung wird also gefolgt und ergänzt durch die systematische Auslegung. Im vorliegende Falle kann ein Vergleich mit § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG sowie mit § 25d UStG angestellt werden.112 Der die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs regelnde § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG setzt voraus, dass der die Vorsteuererstattung begehrende Unternehmer „eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt“. Die ebenso wie §§ 26b, 26c UStG durch das StVBG eingeführte Haftungsnorm in § 25d UStG setzt voraus, dass die fragliche Steuer „in einer nach § 14 ausgestellten Rechnung ausgewiesen wurde“. Beide Vorschriften wurden allerdings im Zuge des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2003)113 geändert, vor dieser Novellierung, also noch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des StVBG,114 lautete die Formulierung in beiden Vorschriften, ebenso wie bis zum heutigen Zeitpunkt auch noch in § 26b UStG, „Rechnung im Sinne des § 14“.
110 Sölch/Ringleb-Wagner, § 14 Rn. 204 spricht insofern von einer Ordnungsvorschrift. 111 Larenz/Canaris, Methodenlehre S. 146. 112 So auch schon Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 73 ff. 113 Gesetz v. 15.12.2003, BGBl. I, 2645. 114 Gesetz v. 27.12.2001, BGBl. I, 3922.
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
65
Weshalb eine Änderung des § 25d UStG vorgenommen wurde, nicht jedoch des § 26b UStG, der eine parallele Schutzrichtung hat,115 wird wohl das Geheimnis des Gesetzgebers bleiben. Nicht explizit erwähnt ist weiterhin, welcher Effekt speziell bei § 25d UStG durch die Neuformulierung erreicht werden sollte. In der Begründung des Regierungsentwurfs zum StÄndG 2003116 heißt es zur Umformulierung des § 25d UStG lediglich, dass aufgrund der Neufassung des § 14 UStG der § 25d UStG „sprachlich überarbeitet“ werde.117 Welcher Unterschied nun aber zwischen einer „Rechnung im Sinne des § 14“ und einer „nach § 14 ausgestellten Rechnung“ bestehen soll, ist daher weiterhin nicht eindeutig. Eine detailliertere Erläuterung zu § 25d UStG erfolgt, soweit ersichtlich, nicht. Sprachlich erscheint es zumindest möglich, dass mit der Formulierung „nach § 14 ausgestellte Rechnung“ deutlich gemacht werden sollte, dass es sich um eine Rechnung handeln soll, die nach allen Vorgaben in § 14 UStG ausgestellt wurde, die also insbesondere auch die detaillierten Angaben des § 14 Abs. 4 UStG enthält. Denn wenn nicht lediglich eine „Rechnung im Sinne von § 14“, letztlich also der Verweis auf eine gesetzliche Definition, beschrieben wird, sondern eine nach § 14 ausgestellte Rechnung, dann erscheint es zumindest denkbar, dass hiermit zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass gerade auch alle inhaltlichen Vorgaben an ein Rechnungsdokument mit erfasst werden sollten. Hierfür spricht auch die in vergleichbarer Weise formulierte Änderung in § 15 Abs. 1 UStG, denn nach der Regierungsbegründung zu dieser Norm soll durch die Formulierung „nach §§ 14, 14a ausgestellte Rechnung“ festgelegt werden, dass eine Rechnung nur zum Vorsteuerabzug berechtige, wenn alle Pflichtangaben gemäß § 14 Abs. 4 UStG sowie gegebenenfalls auch zusätzliche Angaben nach § 14a UStG enthalten sind.118 Nach alledem ist daher festzuhalten, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung „eine nach § 14 ausgestellte Rechnung“ eine Rechnung meinte, die die Angaben des § 14 Abs. 4 UStG enthält. Dies ist daher wohl auch Voraussetzung für das Merkmal in § 25d UStG.119 Die unterschiedlichen Formulierungen in § 15 Abs. 1 UStG sowie § 25d UStG im Vergleich zu § 26b UStG könnten daher für eine unterschiedliche Auslegung der Verweise in diesen beiden Normen sprechen. Denn wenn § 26b UStG gerade nicht wie § 25d UStG entsprechend angepasst wurde, könnte man hieraus den Schluss ziehen, dass eine Rechnung für die Zwecke des § 26b UStG gerade nicht 115 Vgl. Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BT-Drucks. 14/7471, S. 7. 116 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis90/Die Grünen zum StÄndG 2003, BT-Drucks. 15/1562; gleich lautender Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 15/1621. 117 Gesetzentwurf zum StÄndG 2003, BT-Drucks. 15/1562, S. 53. 118 Gesetzentwurf zum StÄndG 2003, BT-Drucks. 15/1562, S. 50. 119 Ebenso im Erg. Stadie, UStG § 25d Rn. 7, allerdings ohne auf den Wortlaut zu rekurrieren.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
die detaillierten Angaben des § 14 Abs. 4 UStG enthalten muss.120 Auf der anderen Seite vermag es nicht so recht einzuleuchten, weshalb das Verständnis des Rechnungsbegriffs in § 25d UStG und in § 26b UStG ein unterschiedliches sein sollte, denn eben der Gefahr, dass eine Steuerschuld, der ein Vorsteueranspruch des Leistungsempfängers gegenübersteht, uneinbringlich ist, ist der Sachverhalt, der der Schaffung sowohl des § 25d als auch des § 26b UStG zu Grunde liegt. Der Unterschied zwischen den gesetzgeberisch intendierten Anwendungsfällen der Normen betrifft lediglich die betroffene Person, denn während in der Haftungsnorm des § 25d UStG der Leistungsempfänger durch die Norm angesprochen wird, ist dies bei § 26b UStG der Leistungserbringer. Die Gefahr für das Umsatzsteueraufkommen ist hingegen die gleiche. Es erscheint daher auch denkbar, dass dem Gesetzgeber im Zuge des StÄndG 2003 schlicht die Notwendigkeit einer parallelen Änderung des § 26b UStG entgangen ist, was auch mit der geringen Anwendung der Norm in der Praxis zusammenhängen mag. Es wäre auch nicht das einzige gesetzgeberische Versäumnis einer redaktionellen Folgeänderung beim ungeliebten § 26b UStG.121 Insofern vermag auch die Systematik in diesem Falle nicht zu einem eindeutigen Ergebnis zu führen,122 zumal hier nicht ein identischer, sondern unterschiedliche Ausdrücke gebraucht wurden. Denn noch weniger eindeutig, als eine identische Ausdrucksweise in zwei verschiedenen Normen auf eine identische Bedeutung hinzudeuten vermag, vermag eine ungleiche Formulierung in verschiedenen Normen auf das Gebot der unterschiedlichen Bedeutung hinzuweisen. c) Die historische Auslegung Nach der historischen Auslegung, also der Untersuchung der Norm unter dem Gesichtspunkt ihrer Entstehungsgeschichte, mithin gerade auch der Intention des Gesetzgebers bei Schaffung der Norm,123 ist unter Bezugnahme insbesondere auf den Bericht des Finanzausschusses – wie schon mehrfach erwähnt – deutlich, dass der Gesetzgeber auf einen festgestellten Missbrauch des Umsatzsteuersystems, insbesondere durch „Karussellgeschäfte“, reagieren wollte.124
120
Wannemacher-Traub, Rn. 1355; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005),
S. 77. 121
Vgl. zum Fall des geänderten § 18 Abs. 1 UStG nur Gaede, PStR 2011, 233 ff. A. A. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 77. 123 Schwintowski, Juristische Methodenlehre, S. 70; Wank, die Auslegung von Gesetzen, S. 65; auf die besondere Bedeutung der Beachtung der im Rahmen der Zielerreichungsabsicht des Gesetzgebers durch diesen getroffenen Wertentscheidung durch den Rechtsanwender im Rahmen dieses insofern subjektiven Auslegungsschritts hinweisend Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 149. 124 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471, S. 8. 122
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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Über die Bedeutung oder den Hintergrund der Berücksichtigung des Tatbestandsmerkmals „Rechnung im Sinne des § 14“ enthalten die Gesetzesmaterialien explizit keine Begründung, allerdings wird durch die Materialien deutlich, dass der Grundsatz der Neutralität des Umsatzsteuersystems, nämlich das ausgeglichene Gegenüberstehen von abgeführter Umsatzsteuer und erstatteter Vorsteuer, Grundlage für die Überlegungen des Gesetzgebers war. Folglich sollten durch Hereinnahme des Rechnungsmerkmals in die Sanktionsnormen §§ 26b, 26c UStG gerade die umsatzsteuerlichen Sachverhalte umfasst werden, in denen für eine Leistung eine Vorsteuererstattung vorgenommen wird. Mithin legen die Gesetzesmaterialien letztlich den Schluss nahe, dass nur solche Sachverhalte erfasst werden, in denen eine Rechnung vorliegt, aufgrund derer eine Vorsteuererstattung vorgenommen wird. Hieraus könnte man jedenfalls den Schluss ziehen, dass es zumindest nahe liegt, dass nur eine Rechnung im Sinne des § 14 Abs. 4 UStG erfasst sein soll, da bei Vorliegen einer solchen gemäß § 15 Abs. 1 UStG ein Anspruch auf Vorsteuererstattung bzw. -verrechnung besteht. Allerdings erscheint es auch möglich, dass der Gesetzgeber, wenn die Gesetzesbegründung die in der Praxis nicht gewährleisteten Neutralität der Umsatzsteuer moniert,125 gerade alle Sachverhalte erfasst sehen will, in denen tatsächlich (möglicherweise unberechtigt) eine Vorsteuererstattung durch das Finanzamt vorgenommen wird, der keine Umsatzsteuerentrichtung gegenübersteht. Ob es dem Gesetzgeber auf diese tatsächliche Erstattung ankam oder nur Fälle der berechtigten Erstattung erfasst sein sollten, kann durch die Materialien des Gesetzgebungsverfahrens und auch durch sonstige Dokumente nicht ermittelt werden, sodass auch nach dieser Auslegungsmethode ein eindeutiges Ergebnis nicht erreicht werden kann.126 Zudem sollte bedacht werden, dass die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, in dem die Einfügung und der konkrete Entwurf der §§ 26b, 26c UStG zum ersten Mal überhaupt niedergelegt sind, vom 20.11.2001 datiert127, das Gesetz aber schon am 19.12.2001 verabschiedet wurde128. Es ist daher denkbar, dass in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit die am Verfahren beteiligten Einzelpersonen nicht für alle von der Änderung umfassten Vorschriften die ganze Reichweite überblicken konnten. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass eine bestimmte Formulierung (ob in der Norm selbst oder den Gesetzesmaterialien) nicht mit dem Bedacht gewählt ist, der ihr hätte zukommen müssen. Mit anderen Worten: Die Erkenntnis, die aus der Untersuchung der Gesetzesmaterialien fol125 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471, S. 7 f. 126 A. A. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 78. 127 Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BT-Drucks. 14/7470. 128 BGBl. I 2001, 3922.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
gen kann, ist vor allem die, dass das Tempo, mir dem die genannten Vorschriften in das StVBG eingearbeitet wurden, äußerst hoch war. Dies legt nahe, dass der Wortlaut nicht notwendigerweise eine exakte Widerspiegelung der gesetzgeberischen Intention darstellt. Auch aus diesem Grunde ist also der an subjektiven Kriterien orientierten historischen Auslegung ggf. eingeschränkt Bedeutung zuzumessen. d) Die teleologische Auslegung Nach der teleologischen Auslegung ist das Ziel des Gesetzes, der objektive Zweck des Rechts,129 zu ermitteln. Zweck der Regelung war ausweislich des Berichts des Finanzausschusses das Schließen einer Ahndungslücke in einem Fall, in dem die Umsatzsteuer zwar ausgewiesen und gegenüber dem Finanzamt ordnungsgemäß erklärt, sodann aber nicht abgeführt wird; in diesem Fall bestünden auch keine verwaltungsrechtlichen oder anderen Maßnahmen, um insbesondere dem Rechnungsaussteller gegenüber Maßnahmen ergreifen zu können.130 Dabei wird insbesondere der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer hervorgehoben.131 Es ist folglich zu untersuchen, ob in objektiv-teleologischer Hinsicht dieser Zweck, insbesondere der Neutralitätsgrundsatz, eine bestimmte Begriffsauslegung gebietet. Dieser Schutz gegen Missbrauch durch Nichtentrichtung der Umsatzsteuer kann zweifelsohne durch das Abstellen auf den weiten Rechnungsbegriff gemäß § 14 Abs. 1 UStG erreicht werden, denn jede der zu diesem Zwecke ausgestellten Rechnungen wird diesen Anforderungen genügen. Allerdings ist zu untersuchen, ob auch das Abstellen auf den engen Rechnungsbegriff diesem Zweck gerecht wird. Denn ist dies der Fall, so könnte aus Gründen der Verhältnismäßigkeit insbesondere mit Blick auf den eingangs bereits erwähnten weiten Wortlaut132 eine einschränkende Auslegung geboten sein. Denn für den Fall, dass eine mögliche Auslegung im Widerspruch zu einer Vorgabe der Verfassung steht, müsste die Verweisung einschränkend ausgelegt werden, da die Bestimmung sonst ungültig wäre.133 Der Zwang einer Beschränkung des Verweises auf eine Rechnung, die die Merkmale des § 14 Abs. 4 UStG erfüllt, bestünde dann, wenn eine Notwendigkeit der Sanktionierung in anderen Fällen nicht besteht und Gründe für eine verfassungsrechtliche Bedenklichkeit einer Ausweitung auf Fälle bestehen, für die 129
Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 153. Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471 S. 8. 131 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471 S. 7. 132 Vgl. unter B.I. 133 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 160. 130
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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keine Gründe für eine Rechtfertigung aufgrund unbedingter Notwendigkeit des Eingreifens von Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitsrecht besteht. Aus diesem Grunde sollen zunächst die steuerrechtlichen Grundlagen für einen Vorsteuererstattungsanspruch dargelegt werden, sodann soll die generelle Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf strafrechtliche Sanktionen geprüft werden um dieses Ergebnis sodann auf die Prüfung der Zulässigkeit der verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten zu übertragen. aa) Steuerrechtliche Grundlagen Wenn man mit Blick auf die Schutzrichtung der §§ 26b, 26c UStG nur solche Fälle erfassen will, in denen sich Vorsteuerabzug und entrichtete Umsatzsteuer unausgeglichen gegenüberstehen, dann ist konsequenterweise entscheidend, welche Voraussetzungen an Rechnungen gestellt werden, durch die der Vorsteuerabzug erlangt werden kann. Während nach früherer Rechtslage noch umstritten war, welche inhaltlichen Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung zu stellen waren134 und der BFH in gefestigter Rechtsprechung davon ausging, dass eine Rechnung nach allgemeiner weiter Definition (früher § 14 Abs. 4 UStG a. F., vergleichbar mit dem heutigen § 14 Abs. 1 UStG n. F.) bei gesondertem Steuerausweis und Nettopreis135 für den Vorsteuerabzug ausreiche,136 so ist jedenfalls diese Frage mit der durch Art. 5 des Steueränderungsgesetzes 2003137 mit Wirkung zum 1. Januar 2004138 eingeführten Neuregelung auch des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG nunmehr eindeutig dahingehend geklärt, dass eine Rechnung nur dann zur Ausübung des Vorsteuerabzugs berechtigt, wenn sie die Angaben des Katalogs des in Umsetzung der Richtlinie des Rates 2001/115/EG vom 20.12.2001 („EU-Rechnungsrichtlinie“) ebenfalls durch das Steueränderungsgesetz 2003 geänderten § 14 Abs. 4 UStG enthält.139 Dabei werden die Obliegenheiten des Rechnungsempfängers auch durch das Bundesfinanzministerium im Anschluss an diesen nunmehr europarechtlich harmonisierten Katalog des § 14 Abs. 4 UStG detailliert benannt: Die für den Vorsteuerabzug erforderlichen Angaben in der Rechnung sind durch den Rechnungsempfänger grundsätzlich auf inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen, einzige Ausnahme bilden die für den Empfänger regelmäßig nicht überprüfbaren Voraussetzungen wie Steuernummer, inländische Umsatzsteueridentifikationsnum134 135 136 137 138 139
Vgl. nur Aufstellung bei Lange, UR 2001, 421, 422 ff. BFH, Urt. v. 27.7.2000 – V R 55/99, BStBl. II 2001, 426. Vgl. nur BFH, Urt. v. 18.1.2001 – V R 83/97, UR 2001, 257, 258. Gesetz v. 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645. Vgl. Art. 25 Abs. 4 Gesetz v. 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645. Sölch/Ringleb-Wagner, § 15 Rn. 359 f.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
mer und Rechnungsnummer, wenn die Unrichtigkeit für den Empfänger nicht erkennbar war.140 Während der Gesetzgeber bei Neufassung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG durch das StÄndG 2003 noch auf Empfehlung des Rechtsausschusses bewusst auf die Voraussetzung verzichtete, dass „die Rechnungsangaben vollständig und richtig“ sein müssen,141 trifft das Bundesfinanzministerium hier also eine Risikoabwägung, nach der der Anspruchsteller auch im Steuerschuldverhältnis letztlich dasjenige Risiko trägt, das er mit einem vertretbaren Organisationsund Prüfaufwand bewältigen kann. Die Voraussetzungen an einen Vorsteuerabzug sind also nunmehr eindeutig geklärt und das Risiko unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten angemessen aufgeteilt. bb) Konsequenzen für die strafrechtliche Bewertung Damit stellt sich dann die Frage, ob diese Wertung auf das Strafrecht übertragen werden kann: Die Begrenzung des Tatbestandsmerkmals „Rechnung“ in § 26b UStG auf Rechnungen nach § 14 Abs. 4 UStG soll nach Ansicht eines Teils der Literatur Ausfluss des Sanktionsgrundes sein, da die §§ 26b, 26c UStG das ausgeglichene Gegenüberstehen von Umsatzsteuerverpflichtung und der im Rahmen der Vorsteuer abziehbaren Beträge zum Ziel hätten.142 Es soll folglich daran angeknüpft werden, ob und inwieweit ein die Sanktionierung rechtfertigendes Gefährdungspotential143 gegeben ist. Gegen eine Begrenzung des Merkmals wird – allerdings noch im Rahmen des § 14 Abs. 3 UStG a. F., der den unberechtigten Steuerausweis zum Gegenstand hatte144 – eingewandt, dass jedes Abrechnungspapier mit offenem Vorsteuerausweis ein faktisches Gefährdungspotential aufweise.145 Auch nach Inkrafttreten 140
BMF-Schreiben vom 29.1.2004, Az. IV B 7-S 7280-19/04, Rz. 88 ff., BStBl. I 2004, 258. 141 Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum StÄndG 2003, BT-Drucks. 15/ 1928 S. 35. 142 Bunjes-Leonard, § 26b Rn. 4; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 16; Rau/Dürrwächter-Nieskens, § 26b Rn. 17; Stadie, § 26c Rn. 2; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 138. 143 Hierauf abstellend auch Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 16, der insofern allein auf die Eignung zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs abstellen will. 144 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 16 geht davon aus, dass für die Frage, wann ein Gefährdungspotential hinsichtlich eines Vorsteuerabzugs besteht, die Kontroverse auch für die Zwecke des § 26b UStG herangezogen werden kann. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass diese Auffassung Stadies zum Gefährdungspotential der Rechnung vor der Neufassung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG sowie des § 14 Abs. 4 UStG durch das StÄndG 2003 begründet wurde. Ob dies noch nach der Änderung der Rechtslage zu halten ist, ist in hohem Maße zweifelhaft. Stadie selbst geht im Rahmen der §§ 26b, c UStG davon aus, dass nur eine Rechnung im Sinne des § 14 Abs. 4 UStG vom Tatbestandsmerkmal der „Rechnung“ erfasst sein kann, Stadie, UStG § 26c Rn. 2. 145 Stadie, UR 2001, 259.
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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des StÄndG 2003 gibt es aus eben diesem Grunde auch weiterhin Stimmen, die ein die Sanktionierung nach § 26b UStG rechtfertigendes Gefährdungspotential in allen Abrechnungspapieren erblicken, bei denen auch nur irrtümlich eine Rechnung im Sinne des § 15 UStG angenommen werden könnte, und folglich jede Rechnung im Sinne des § 14 Abs. 1 UStG n. F. als tauglich im Rahmen des § 26b UStG ansehen.146 Letztlich läuft die Diskussion also auf die Frage hinaus, welcher Natur das Gefährdungspotential für die Zwecke des § 26b UStG sein muss.147 Das Finanzamt hat bei Fehlen der Angaben nach § 14 Abs. 4 UStG, den Vorsteuerabzug zu versagen.148 Rechtlich gesehen besteht also in den Fällen, in denen die Rechnung nicht die (inhaltlich zutreffenden) Angaben nach § 14 Abs. 4 UStG enthält, nicht das Risiko, dass der Umsatz auf der fraglichen Stufe nicht steuerneutral sein könnte. Entscheidende Frage ist demnach im Anschluss an Blesinger, ob ein rechtliches149 oder lediglich ein faktisches150 Gefährdungspotential bestehen muss, um eine Sanktionierung nach § 26b UStG rechfertigen zu können. Man kann auf der einen Seite den Rechtsgüterschutz als eine der zentralen Aufgaben des Strafrechts151 heranziehen. Für das betroffene Rechtsgut mag es zunächst unerheblich sein, ob es in faktischer oder in rechtlicher Hinsicht betroffen ist. Auch zieht sich der Schutz von Rechtsgütern vor (lediglich) faktischen Beeinträchtigungen durch die gesamte Strafrechtsordnung, ein faktisch gefährdendes Verhalten wird somit zum rechtlich missbilligten. Auf der anderen Seite muss sich hier auch auswirken, dass das Steuerrecht selbst in hohem Maße kodifiziert ist. Die Frage, ob das Steueraufkommen ge146 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 331; Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 17; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 5.1; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 79. 147 Siehe Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 16. 148 BMF-Schreiben vom 29.1.2004 Rz. 90, 91, BStBl. I 2004, S. 258. 149 So Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 16. 150 So zu einem Fall des § 14 Abs. 3 UStG a. F. Stadie, UR 2001, 259, der entgegen der Auffassung des BFH, Urt. v. 18.1.2001 – V R 83/79, UR 2001, 257 ff., auch solche Abrechnungspapiere vom Rechnungsbegriff der Norm erfasst sehen wollte, die das Nettoentgelt ebenfalls erfassen, da die Gefahr des Vorsteuerabzugs kaum geringer sei. Ob an dieser Ansicht auch nach der Änderung des § 15 Abs. 1 S. 1 UStG festgehalten werden kann mit der Folge, dass auch der Rechnungsbegriff der §§ 26b, c UStG entsprechend verstanden werden könnte, ist zu bezweifeln, da aufgrund der klaren Vorgaben an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung die Gewährung des Vorsteueranspruchs durch das Finanzamt im Falle des Fehlens einer Voraussetzung aus dem Katalog des § 14 Abs. 4 n. F. in hohem Maße zweifelhaft ist; mit Verweis darauf, dass jedem Abrechnungspapier, welches „als Rechnung im Sinne des § 15 UStG missverstanden werden könnte“ ein Gefährdungspotential zukomme auch im Rahmen des § 26b UStG explizit Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 331, ebenso Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 79. 151 Roxin, AT I § 3 Rn. 1.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
fährdet ist, kann erst beantwortet werden, wenn deutlich ist, welcher Steueranspruch überhaupt besteht. Wenn aber erst aus den steuerrechtlichen Normen der strafrechtlich zu schützende konkrete Steueranspruch entnommen wird, dann muss sich hieraus auch die Grenze der Schutzwürdigkeit ergeben: Dort, wo das Steuerrecht den Steueranspruch gewissermaßen in die Hände des Steuerpflichtigen legt, das Finanzamt also z. B. auf die Angaben des Steuerpflichtigen zur Bestimmung der Besteuerungsgrundlage vertrauen muss oder aber bei Vorlage einer entsprechenden Rechnung eine Verpflichtung zur Vorsteuererstattung besteht, mag man argumentieren, dass das fiskalische Rechtsgut des strafrechtlichen Schutzes bedarf. Wenn aber schlicht beiderseitiges faktisches Handeln besteht, also beispielsweise das Finanzamt eine Vorsteuererstattung vornimmt, obgleich hierzu wegen fehlender Angaben keine Pflicht besteht, dann besteht dieses Bedürfnis nicht. Wenn hiergegen argumentiert wird, dass den Finanzbehörden bei niedrigeren Rechnungsbeträgen die Rechnungen bei der Umsatzsteueranmeldung im Regelfall gar nicht vorlägen,152 sodass ohnehin erst im Nachhinein im Rahmen einer Außenprüfung festgestellt wird, ob eine Rechnung für den Vorsteuerabzug geeignet war und somit auch für den Vorsteuerabzug nicht ausreichenden Rechnungen ein ausreichendes Gefährdungspotential zukomme,153 ist dem zu entgegnen, dass dies schon deshalb nicht durchschlagen kann, weil in diesem Fall die tatsächliche Ausstellung einer Rechnung ganz offensichtlich ohnehin nicht kausal für die Auszahlung der Vorsteuer war. In diesem Fall kam im Hinblick auf die zunächst vorgenommene Auszahlung dem Rechnungsdokument also gar keine Gefährdungswirkung zu.154 Der endgültige Steuerausfall liegt hingegen nach Durchführung der Außenprüfung aufgrund des Rückforderungsanspruchs bei einem den Anforderungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG nicht genügenden Abrechnungsdokument nicht vor. Dieser besteht nur bei einem zu Recht begehrten Vorsteueranspruch, also in dem Fall, in dem die Rechnung den Anforderungen des § 15 Abs. 1 UStG genügt. cc) Fazit Das Ausstellen einer Rechnung, die nur bei zufälligem Irrtum des bearbeitenden Finanzamts zu einer Vorsteuererstattung führen kann, ist mit Blick auf die gebotene Restriktivität des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes nicht geeignet, den Tatbestand der Sanktionsnormen zu erfüllen. Denn in diesem Fall liegt schlicht keine zwingende gesetzliche Risikoverlagerung auf den Fiskus vor.155 Es 152
Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 78. So Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 5.1. 154 Hätte ein solches abstraktes faktisches Gefährdungspotential ausreichen sollen, so hätte es der Gesetzgeber schlicht zur Voraussetzung machen können, dass die Leistung einer Rechnungslegungspflicht unterlag. 155 Vgl. unter C.I.2.d)bb). 153
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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ist schlicht nicht einzusehen, weshalb es nicht dem Finanzamt obliegen sollte, einen Vorsteueranspruch eben nur zu gewähren, wenn alle erforderlichen Voraussetzungen, auch eine qualifizierte Rechnung, vorliegen. Damit wird die Anwendung des § 26b UStG auf das notwendige Maß, nämlich die Fälle, in denen eine rechtliche und damit nicht abwendbare Gefahr für das Umsatzsteueraufkommen besteht, begrenzt. Folglich ist zu fordern, dass die Rechnung die Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG erfüllen muss. Die Anforderungen an das Rechnungsmerkmal im Sinne des § 26b UStG sind nur erfüllt, wenn das Dokument unter rechtlichen Gesichtspunkten die formalen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt. 3. Unrichtiger und unberechtigter Steuerausweis Fälle des unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweises gemäß § 14c UStG können schon aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 26b UStG, der auf eine Rechnung im Sinne des § 14 UStG verweist, nicht erfasst sein.156 Fälle des § 14c UStG sind gerade nicht Unterfälle der Rechnung im Sinne des § 14 Abs. 1 UStG, der nur Dokumente erfasst, die über tatsächlich durchgeführte Leistungen abrechnen.157 Nach derzeitiger Rechtslage kommt folglich die Sanktionierung weder der Fälle des unrichtigen Steuerausweises nach § 14c Abs. 1 UStG noch der Fälle des unberechtigten Steuerausweises gem. § 14 Abs. 2 UStG durch § 26b UStG in Betracht. Dies führt auch in strafrechtlicher Hinsicht keineswegs zu Umgehungsmöglichkeiten, da bei Geltendmachung der Vorsteuer mit Dokumenten im Sinne des § 14c UStG die Handlung des die Vorsteuer geltend Machenden bereits den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllen würde, der Rechnungsaussteller würde sich bei entsprechender Kenntnis durch den Steuerausweis an dieser Tat beteiligen. Insbesondere vor Änderung der Rechnungsvorschriften des Umsatzsteuergesetzes durch das StÄndG zum 1. Januar 2004 war umstritten, ob auch eine „andere Urkunde“ im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG a. F. von dem Verweis in § 26b UStG erfasst war.158 § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG a. F. war gewissermaßen die „Vorgängervorschrift“ zum heutigen § 14c Abs. 2 UStG und erfasste Dokumente, mit denen über eine Leistung mit gesondertem Steuerausweis abgerechnet wurde, obwohl der Leistungserbringer nicht Unternehmer war oder die Leistung tatsächlich 156 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 12; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 335; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 23; Stadie, UStG §§ 26b, 26c Rn. 2; Bielefeld, BB 2004, 2441, 2443; Wilhelm, UR 2005, 474, 476; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 140; a. A. Hartmann/ Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 17, der hierdurch m. E. in bedenklicher Weise die Wortlautgrenze missachtet. 157 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 23; Bielefeld, BB 2004, 2441, 2443; Wilhelm, UR 2005, 474, 476. 158 Dafür Bielefeld, BB 2004, 2441, 2442; Wilhelm, UR 2005, 474, 475 f.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
gar nicht ausgeführt wurde. Die Befürworter begründeten dies damit, dass in einigen Fällen von Karussellgeschäften lediglich deshalb keine „Rechnung“, sondern eine „andere Urkunde“ vorlag, weil die Aussteller des Dokuments keine Unternehmer gemäß § 2 Abs. 1 UStG waren.159 „Andere Urkunden“ sollten daher schon deshalb einbezogen werden, weil die §§ 26b, 26c UStG sonst weitgehend leer liefen und für die Erfassung der Karussellgeschäfte wirkungslos blieben.160 Die schon vor der Änderung der Rechnungsvorschriften durch das StÄndG 2003 bestehenden Zweifel daran, ob andere Urkunden i. S. d. § 14 Abs. 3 UStG überhaupt noch Rechnungen sein können und eine Einbeziehung folglich noch mit dem Wortlaut des § 26b UStG vereinbar ist,161 hat sich durch die Neuregelung verschärft. Selbst diejenigen Vertreter, die nach Gesetzeslage vor dem StÄndG 2003 von einer Einbeziehung der anderen Urkunde in den Rechnungsbegriff ausgingen, sind nunmehr der Auffassung, dass die Fälle des § 14c UStG nicht mehr unter die Definition des § 14 Abs. 1 UStG gefasst werden können.162 4. Ergebnis § 26b UStG erfasst nur tatsächlich vorgenommene Umsätze zwischen Unternehmern im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG, für die zutreffende und den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG genügende Rechnungen ausgestellt sind. Für den Fall, dass nicht alle steuerpflichtigen Umsätze eines Unternehmers diesen Anforderungen unterliegen, so ist nach dem Günstigkeitsprinzip davon auszugehen, dass der Unternehmer die Umsatzsteuer vorrangig für die Begleichung der in solchen Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer abführt. Der Tatbestand des § 26b UStG kann daher erst dann und nur insoweit betroffen sein, wie die vom Unternehmer geschuldete Umsatzsteuerzahllast höher ist als die Umsatzsteuer aus Umsätzen, die den soeben beschriebenen Anforderungen nicht genügen.163
II. Fälligkeitszeitpunkt 1. Allgemeines; Verfassungsmäßigkeit der Verweisung a) Fehlgehen der Verweisung in § 26b Alt. 1 UStG Als Anknüpfungspunkt für die Sanktionierung der Nichtzahlung gibt die Norm „einen in § 18 Abs. 1 Satz 3 oder Abs. 4 Satz 1 oder 2 genannten Fälligkeitszeit159
Bielefeld, BB 2004, 2441, 2442. Bielefeld, BB 2004, 2441, 2442. 161 Gegen die Einbeziehung dieser „anderen Urkunden“ bereits nach alter Rechtslage Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 335; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 23. 162 Bielefeld, BB 2004, 2441, 2443; Wilhelm, UR 2005, 474, 476. 163 Vgl. unter C.II.1.b). 160
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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punkt“ vor, wobei davon auszugehen ist, dass es sich bei der Bezugnahme auf § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG um ein Redaktionsversehen handelt, da nach Änderung des § 18 Abs. 1 durch das „Steuerbürokratieabbaugesetz“ 164 die Fälligkeit der Vorauszahlungen nunmehr in § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG geregelt sind. Eine entsprechende Anpassung des § 26b UStG wurde wohl versäumt. Aufgrund dieses Versäumnisses, auch § 26b UStG entsprechend an die Änderung des § 18 Abs. 1 UStG anzupassen, nimmt Gaede einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot an, der zu einem Leerlaufen mindestens des § 26c UStG, aber wegen der gleichermaßen gegebenen Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG im Ordnungswidrigkeitsrecht165 wohl auch des § 26b UStG, für seit dem 1. Januar 2009 begangene Taten führe.166 Er begründet dies damit, dass jedenfalls in einem Strafgesetz, d. h. in § 26c UStG, dessen Tatbestandsmerkmale aufgrund seiner Akzessorietät auch alle Merkmale des § 26b UStG seien, klar erkennbar sein müsse, worauf sich eine Verweisung beziehe; bei Nichtbeachtung laufe die verweisende Strafnorm leer.167 Dieses Leerlaufen könne auch nicht dadurch „aufgefangen“ werden, dass § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG eine eindeutige Fälligkeitsregel enthalte, denn § 26b UStG verweise eben nicht abstrakt auf die Fälligkeit der Steuer, sondern auf eine konkrete Regelung; eine Ausnahme vom Grundsatz des Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG bei fehlgehenden Verweisen für Fälle offensichtlicher „Redaktionsversehen“ seien dem Recht fremd, da auch nicht abgrenzbar sei, wann der Rechtsanwender erkennen müsse, dass es sich lediglich um eine Versehen der Legislative handele.168 Da durch § 18 Abs. 4 UStG, auf den § 26b Alt. 2 UStG noch zutreffend verweise, auch kein zusätzlicher Fälligkeitszeitpunkt geschaffen werde, könne ein Leerlaufen der §§ 26b, 26c UStG für oben beschriebene Fälle auch nicht durch § 26b Alt. 2 UStG verhindert werden; im Übrigen sei aufgrund des Meistbegünstigungsprinzips auch ein Durchgreifen für Taten, die vor dem 1. Januar 2009 begangen wurden, zu erwägen.169 Diese Einwände sind allesamt zutreffend, sodass nach derzeitiger Rechtslage jedenfalls für nach dem 1. Januar 2009 begangene Taten die verfassungsrechtlichen Zweifel durchgreifen müssen. Wenn es auch erstaunlich ist, dass dieses Versehen bislang durch den Gesetzgeber noch nicht korrigiert wurde,170 so handelt es sich aber jedenfalls um ein für die Zukunft durch den Gesetzgeber ohne gro-
164
Gesetz vom 20.12.2008, BGBl. I 2008, 2850. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.10.1985 – 1 BvR 1053/82, NJW 1986, 1671, 1672. 166 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 17; Gaede, PStR 2011, 233, 235 ff. 167 Gaede, PStR 2011, 233, 235 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 13.5.1977 – 2 StR 602/76, NJW 1977, 1600. 168 Gaede, PStR 2011, 233, 235. 169 Gaede, PStR 2011, 233, 236 f. 170 Gaede, PStR 2011, 233, 237. 165
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
ßen Aufwand zu behebendes und somit – im Gegensatz zu vielen anderen Aspekten innerhalb der §§ 26b, 26c UStG – nicht um ein strukturelles Problem. Das bisherige Versäumnis ist wohl auch ein Beleg dafür, dass die Norm in der praktischen Anwendung trotz der großen Relevanz der Thematik der Karussellgeschäfte von untergeordneter Bedeutung ist.171 b) Bedeutung der Umsatzsteuerzahllast § 26b UStG nimmt in seiner ersten Variante zunächst auf die Fälligkeit der Vorauszahlung gemäß § 18 Abs. 1 UStG, nämlich den zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums, Bezug. Mit der zweiten Variante wird der Fall des § 18 Absatz 4 erfasst, in dem geregelt ist, dass auf das gesamte Jahr ein zu Gunsten des Finanzamts von der Summe der Vorauszahlungen abweichender Betrag durch den Unternehmer in der Steueranmeldung errechnet (Satz 1) oder durch das Finanzamt festgesetzt (Satz 2) wird. Zu beachten ist weiterhin, dass gemäß § 18 Abs. 1 UStG nicht die gesamte Umsatzsteuer für getätigte steuerbare Umsätze fällig wird, sondern die Differenz zwischen geschuldeter Umsatzsteuer und bestehenden Vorsteueransprüchen des Unternehmers, mithin die Umsatzsteuerzahllast. 172 Denn allein dies ist der zu entrichtende Betrag. Nicht selten wird dabei eine Umsatzsteuerzahllast von „Null“ oder sogar ein positiver Vorsteuererstattungsanspruch errechnet werden – in diesem Fall besteht ein fälliger Zahlungsanspruch des Fiskus nicht, eine Tatbestandsverwirklichung des § 26b UStG scheidet aus.173 Die Saldierung174 von Vorsteuer und geschuldeter Umsatzsteuer nach § 16 Abs. 2 UStG führt auch dann zu Schwierigkeiten im Hinblick auf die Verwirklichung des § 26b UStG, wenn nur für einen Teil der Umsätze Rechnungen ausgestellt wurden.175 Nämlich wenn in einem solchen Fall dem Umsatzsteuerschuldner ein Vorsteueranspruch in mindestens der Höhe der in einer den Ansprüchen des § 26b UStG genügenden Rechnung176 ausgewiesenen Steuer zusteht, insgesamt aber die Saldierung von Vorsteueransprüchen und geschuldeter Umsatzsteuer noch eine Umsatzsteuerzahllast zu Lasten des Unternehmers ergibt. Zahlt der Steuerschuldner 171 So auch bereits Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 17, der in dem „liderlichen“ Kümmern des Gesetzgebers einen Beweis für das fehlende praktische Bedürfnis des Norm sieht. 172 Vgl. auch Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 16; Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 20; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 8; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 41; Wannemacher-Traub, Rn. 1356. 173 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 339; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 8; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 41. 174 Vgl. Sölch/Ringleb-Wagner, § 16 Rn. 11. 175 Dies wird insbesondere im Gaststättengewerbe häufig der Fall sein, vgl. Franzen/ Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 340. 176 Vgl. hierzu unter C.I.
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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dann keine Umsatzsteuer, so stellt sich die Frage, mit welchen Umsatzsteueransprüchen die Vorsteueransprüche verrechnet wurden. Hier muss letztlich nach dem Günstigkeits- oder Lästigkeitsprinzip177 davon ausgegangen werden, dass zuerst die von § 26b UStG erfasste Umsatzsteuerschuld, also diejenigen Umsätze, für die eine entsprechende Rechnung ausgestellt wurde, „aufgebraucht“, also mit bestehenden Vorsteueransprüchen verrechnet, wird, sodass die für die Umsatzsteuerzahllast verbleibenden Ansprüche letztlich „nur noch“ aufgrund von Umsatzsteuer besteht, die nicht in einer entsprechenden Rechnung ausgewiesen ist; diese ist jedoch von §§ 26b, 26c UStG nicht erfasst.178 2. Anmeldung als Tatbestandsvoraussetzung/Konkurrenzverhältnis zu § 370 AO a) Übersicht über den Streitstand Es stellt sich damit die Frage, welche Voraussetzungen an die materielle Fälligkeit zu stellen sind. In der Literatur ist umstritten, ob die Fälligkeit der Vorsteuer auch ohne vorherige Anmeldung eintritt beziehungsweise ob – so man vom Eintreten der Fälligkeit ausgeht – § 26b UStG auf Fälle der fehlenden Voranmeldung aus anderen Gründen unanwendbar ist. Nimmt man eine Fälligkeit der Steuer auch im Falle der fehlenden vorherigen Anmeldung an, so geht es der Sache nach auch um die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis zu § 370 AO. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die bestehenden Literaturansichten grob in vier verschiedene Lager einzuteilen, wobei anzumerken ist, dass sich die Ansichten der einzelnen Autoren in der Herleitung und im Detail teils unterscheiden, sodass diese Einordnung lediglich als grobe Richtschnur dienen kann. aa) Steueranmeldung in jedem Fall Voraussetzung für Fälligkeit Blesinger179 geht für den Fall der gemäß § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG voranzumeldenden Steuer davon aus, dass die Frage, ob bei fehlender Anmeldung oder Festsetzung der Umsatzsteuer die Umsatzsteuervorauszahlung fällig wird, durch das Gesetz nicht eindeutig beantwortet werde. Als Argument für das Eintreten der Fälligkeit unabhängig von einer vorangegangenen Erklärung führt Blesinger den 177 Friedrich, PStR 2007, 82 will auf diesen Fall den Grundsatz in dubio pro reo anwenden. 178 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 340; Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 21; Friedrich, PStR 2007, 82; Joecks, wistra 2002, 201, 202 liSp.; Reiß, UR 2002, 561, 567; Wilhelm, UR 2005, 474, 578; Dathe, Umsatzsteuerhinterziehung, S. 63. 179 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 29.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG180 sowie den Wortlaut des § 240 Abs. 1 Satz 3 AO an. Aus der in § 240 Abs. 1 Satz 3 AO niedergelegten Regelung, nach der eine Säumnis nicht eintritt, solange die Steuer nicht festgesetzt oder angemeldet ist, schließt Blesinger aufgrund der Tatsache, dass die Säumnis gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO die Fälligkeit der Steuer voraussetzt, dass die Steueranmeldung oder -festsetzung eben nicht Voraussetzung für die Fälligkeit der Steuer sein könne. Gegen die Fälligkeit trotz fehlender Voranmeldung führt Blesinger hingegen § 218 Abs. 1 AO an, nach dem ein Steuerbescheid Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen sei, was aufgrund der Gleichsetzung der Steueranmeldung mit dem Steuerbescheid181 auch für diese gelte, vgl. § 218 Abs. 1 Satz 2 AO. Auch will Blesinger aus der Regelung in § 18 Abs. 4 UStG über die Fälligkeit des Jahresabschlusssolls schließen, dass die materiell schon entstandene Steuer nicht bereits fällig sein könne. Im Ergebnis will Blesinger die Frage der Fälligkeit allerdings dahinstehen lassen, da es unabhängig hiervon im Rahmen des § 26b UStG nach dem Sinn dieser Norm nur die angemeldete oder festgesetzte Umsatzsteuer dem Anwendungsbereich der Vorschrift unterfallen könne. Dagegen, dass die Fälligkeit der Zahlung ohne den Eingang der Voranmeldung entstehen kann, wendet sich auch engagiert Stadie182, der die Fälligkeit der Vorauszahlung mit Eingang der Anmeldung oder im Falle der Festsetzung durch das Finanzamt einen Monat nach deren Bekanntgabe annehmen will. Er begründet seine Ansicht mit der Ausgestaltung der Vorschriften über das Steuerschuldverhältnis, §§ 218 ff. AO. Nach § 218 Abs. 1 AO (und ebenso gem. § 254 Abs. 1 Satz 1 AO) seien die entsprechenden Verwaltungsakte Grundlage für die Verwirklichung von Steueransprüchen, so dass Fälligkeit auch erst nach Erlass der Verwaltungsakte eintreten könne.183 Im Hinblick auf die im Unterschied zu § 18 Abs. 4 UStG in § 18 Abs. 1 UStG fehlende explizite Nennung des Eingangs der Anmeldung als Voraussetzung für die Fälligkeit spricht Stadie von einer „verfehlten Formulierung“.184 Auch den Wortlaut des die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffenden § 220 Abs. 2 AO will er aufgrund der „verkorksten“ Formulierung als gegenteiligen Anhaltspunkt nicht gelten lassen.185 Konsequenz seiner Ansicht für die §§ 26b, 26c UStG ist demnach auch 180 In der Kommentierung Blesingers findet sich noch der Verweis auf § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG, dessen Regelung sich aber nunmehr nach der Änderung der Vorschrift durch das „Steuerbürokratieabbaugesetz“ vom 20.12.2008 wortgleich in § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG findet. 181 Die Steueranmeldung steht der Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich, vgl. § 168 AO. 182 Stadie, UStG § 18 Rn. 36. 183 Stadie, UStG § 18 Rn. 36. 184 Stadie, UStG §§ 26b, 26c Rn. 3. 185 Stadie, UStG § 18 Rn. 36.
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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sowohl für die Vorauszahlungen nach § 18 Abs. 1 UStG als auch für die nach § 18 Abs. 4 UStG, dass die Steuer zuvor angemeldet oder festgesetzt186 worden ist.187 bb) Steueranmeldung nur bei der Jahreserklärung Voraussetzung für Fälligkeit Nach Ansicht von Fahl188 ist in Bezug auf die Fälligkeit bei Nichtanmeldung der Steuer zwischen Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuerjahresanmeldung zu differenzieren. Im Falle des § 18 Abs. 4 UStG, also für die Jahresanmeldung, hänge die Fälligkeit vom Eingang der Umsatzsteuerjahresanmeldung ab, da für die von der Summe der Vorauszahlungen abweichende Steuer die Fälligkeit gemäß § 18 Abs. 4 Satz 1 UStG einen Monat nach einer eingegangenen Steueranmeldung beziehungsweise gemäß § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG einen Monat nach einem bekannt gegebenen Steuerbescheid eintrete. Da § 26b UStG die Fälligkeit der Steuer voraussetze, könnten §§ 26b, 26c UStG schon tatbestandlich nicht gegeben sein, wenn keine bzw. soweit eine zu niedrige Umsatzsteuerjahreserklärung abgegeben werde, denn insoweit trete Fälligkeit der Beträge nicht ein. Etwas anderes gelte allerdings für die Umsatzsteuervoranmeldungen gemäß § 18 Abs. 1 UStG, denn hier sei die Fälligkeit nicht vom Eingang einer Steueranmeldung abhängig und trete in jedem Fall am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums ein. Hier seien also bei Nichterklärung oder Falscherklärung dem Wortlaut nach zunächst sowohl § 26b UStG (und daher auch § 26c UStG) als auch § 370 AO erfüllt. Die Fälle der fehlerhaften oder fehlenden Umsatzsteuervoranmeldung will Fahl daher auf Konkurrenzebene lösen.189 Fahl beleuchtet dabei eingehend die verschiedenen Möglichkeiten der Abgrenzung und zieht dabei verschiedene Lösungswege in Betracht: Er erwägt ein Zurücktretenlassen des § 26c UStG hinter § 370 AO als „mitbestraftet Nachtat“ (im Falle der Falscherklärung) beziehungsweise „mitbestrafte Begleittat“ (im Falle der Nichterklärung) und weist darauf hin, dass er für § 26b jedenfalls eine Lösung über § 21 OWiG für nicht gangbar halte, da die Tatbestände nicht durch eine Handlung verwirklicht würden. Bei dieser Konkurrenzlösung sieht Fahl selbst jedoch nicht nur Probleme im Hinblick auf die unterschiedlichen Deliktscharakteristika, 190 sondern auch bei der Anwendung der Selbstanzeigemöglichkeit gemäß § 371 AO insbesondere für den Fall, dass eine
186 Bei einer Festsetzung der Vorauszahlungen will Stadie § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG entsprechend anwenden, Stadie, UStG § 18 Rn. 37. 187 Stadie, UStG §§ 26b, 26c Rn. 3. 188 Fahl, wistra 2003, 10, 11 ff. 189 Vgl. im Einzelnen Fahl, wistra 2003, 10, 12 f. 190 Fahl sieht § 370 AO als Gefährdungs- und §§ 26b, 26c als Verletzungsdelikte an.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Umsatzsteuervoranmeldung verspätet abgegeben wird, sodass sich – wenn man keine analoge Anwendung des § 371 auf §§ 26b, 26c UStG für möglich hält191 – das Problem stellen würde, dass die §§ 26b, 26c wieder aufleben. Eine zweite Möglichkeit der Lösung des Konkurrenzproblems sieht Fahl in der vorrangigen Anwendung der §§ 26b, 26c UStG als Sonderregelung für Umsatzsteuerhinterziehungen. Er wendet gegen diese Lösung allerdings ein, dass es der Einordnung als leges speciales widerspreche, dass die §§ 26b, 26c UStG nicht alle Merkmale der Steuerhinterziehung nach § 370 AO enthalte. Der Möglichkeit einer Konsumption des „typischerweise mitverwirklichten“ § 370 AO durch §§ 26b, 26c UStG hält Fahl entgegen, dass jedenfalls die Konsumption eines Straftatbestandes durch die Ordnungswidrigkeit in § 26b UStG nicht mehrheitsfähig sei. Schließlich erwägt Fahl eine Tatbestandslösung, bei der eine Exklusivität zwischen den Tatbeständen dadurch hergestellt würde, dass die Abwesenheit des jeweils anderen Tatbestands als negatives Tatbestandsmerkmal sowohl in § 26b UStG als auch in § 370 AO hineingelesen würde. Hiergegen spreche aber laut Fahl, dass alle Merkmale eines Tatbestands „unrechts- und strafbarkeitsbegründende Funktion“ hätten192, sodass für den Fall, dass die Abwesenheit eines Tatbestands als negatives Tatbestandsmerkmal Tatbestandsvoraussetzung für einen anderen Tatbestand wäre, ein Irrtum über dieses negative Tatbestandsmerkmal dazu führen würde, dass einer der Tatbestände objektiv, der andere subjektiv erfüllt sei und daher allein durch diese „Kunstkonstruktion“ Straflosigkeit herbeigeführt würde.193 Insgesamt sind nach Ansicht Fahls daher alle Lösungsansätze zur Schaffung eines Konkurrenzverhältnisses unbefriedigend. Er tröstet sich allerdings damit, dass jedenfalls aufgrund des typischerweise engen Zusammenhangs zwischen den Taten regelmäßig eine „natürliche Handlungseinheit“ und damit Idealkonkurrenz zwischen § 26b UStG (oder § 26c UStG) und § 370 AO bestehen werde. Auch der BFH scheint (unabhängig von der Bedeutung für die §§ 26b, 26c UStG) in Bezug auf Umsatzsteuervorauszahlungen jedenfalls davon auszugehen, dass Fälligkeit unabhängig von der Anmeldung eintritt. Unklar ist jedoch, wonach sich dieser Fälligkeitszeitpunkt richtet. Noch in einem Urteil aus dem Jahr 1999 ging der BFH davon aus, dass Fälligkeit – wenn die Steuer nicht durch den Steuerpflichtigen angemeldet wurde – wegen § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG [a. F.]194 191
Vgl. hierzu unter G. Dies folgert Fahl aus § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB, da nur hierdurch zu erklären sei, dass ein Irrtum über Tatbestandsmerkmale strafbarkeitsverhindernde oder strafbarkeitsbegründende Funktion habe, vgl. Fahl, wistra 2003, 10, 13; Fahl, Bedeutung des Regeltatbildes S. 266; zuvor schon Puppe, JR 1984, 229, 231. 193 Vgl. detailliert Fahl, wistra 2003, 10, 13. 194 Entspricht heutigem § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG. 192
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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eingetreten sei.195 Zwar ist zu beachten, dass in dem entschiedenen Fall auch ein Festsetzungsbescheid des Finanzamts ergangen war, die Formulierung des Gerichts, die Fälligkeit ergebe sich „ungeachtet des § 220 Abs. 2 AO“ aus § 18 Abs. 1 Satz 3 [entspricht Satz 4 n. F.] UStG,196 erweckt jedoch den Eindruck, dass das Gericht auch im Falle der fehlenden Festsetzung jedenfalls davon ausgeht, dass die Vorsteuer im in § 18 Abs. 1 UStG genannten Zeitpunkt fällig werde. Demgegenüber lässt der BFH in einem späteren Urteil aus dem Jahr 2004197 die Frage der Geltung des § 18 Abs. 1 Satz 3 UStG [a. F.] auf Fälle der nicht abgegebenen Voranmeldung ausdrücklich offen und geht davon aus, dass die Fälligkeit sich entweder nach dieser Regelung oder nach der in § 220 Abs. 2 Satz 1 AO genannten Zweifelsregelung richte. Fälligkeit träte folglich entweder am 10. Tage nach Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums oder aber mit Entstehung der Steuer, in diesem Falle daher dem Ablauf des letzten Tages des Voranmeldungszeitraums, ein. Nach dieser Ansicht wäre also der in § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG [n. F.] genannte Zeitpunkt der letztmögliche Fälligkeitszeitpunkt. Der BFH betont allerdings im gleichen Urteil, dass er grundsätzlich davon ausgehe, dass auch § 220 Abs. 2 Satz 2 AO auf die Umsatzsteuer Anwendung findet, sodass Fälligkeit abweichend von den soeben genannten Zeitpunkten erst mit Festsetzung eintritt; dies war nach Ansicht des BFH im entschiedenen Fall allerdings aufgrund der dort vorliegenden Insolvenzkonstellation gar nicht mehr möglich. Anderenfalls wäre allerdings nach Ansicht des BFH eine Festsetzung durch das Finanzamt wegen § 218 Abs. 1 AO erforderlich gewesen, sodass es zur Anwendung des § 220 Abs. 2 Satz 2 AO gekommen wäre.198 Folglich bleibt nach bisheriger Rechtsprechung des BFH offen, ob – für den Fall, dass eine Festsetzung nicht stattgefunden hat – nach § 220 Abs. 2 Satz 1 AO der Ablauf des Voranmeldungszeitraums oder nach § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG der dort festgelegte spätere Fälligkeitszeitpunkt maßgeblich ist. Rüsken199 vertritt die erste der soeben genannten Ansichten. Eine Vorauszahlung, die entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht angemeldet worden ist, werde bereits mit ihrer Entstehung, nämlich mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums,200 fällig. Er folgt damit dem OLG Celle,201 das ebenfalls die sofortige Fälligkeit mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums aus der Generalklausel des § 220 Abs. 2 Satz 1 AO folgern will und dies auch damit begründet, dass § 18 195 196 197 198 199 200 201
BFH, Urteil v. 15.6.1999 – VII R 3/97, Tz. 50 (bei juris), BStBl. II 2000, 46. BFH, Urteil v. 15.6.1999 – VII R 3/97, Tz. 50 (bei juris), BStBl. II 2000, 46. BFH, Urteil v. 4.5.2004 – VII R 45/03, BB 2004, 1546 ff. BFH, Urteil v. 4.5.2004 – VII R 45/03, BB 2004, 1546, 1548. Vgl. auch zum Nachstehenden Klein-Rüsken, AO § 220 Rn. 5. Vgl. § 13 Abs. 1 UStG. OLG Celle, Urteil v. 21.3.2006 – 14 U 182/05, ZInsO 2006, 609, 610 f.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Abs. 1 Satz 4 UStG dem Steuerpflichtigen ohnehin nur eine Vergünstigung durch eine Fristverlängerung einräume, die der verspätet erklärende Unternehmer aber auch nicht verdiene. Eine von § 220 Abs. 2 AO völlig entkoppelte Lösung vertritt auch Treiber202, der der Ansicht ist, dass, wenn eine Voranmeldung nicht vorgenommen wird und das Finanzamt die Steuer deshalb festsetzt, dennoch der Fälligkeitszeitpunkt gemäß § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG [n. F.] gelte. Er scheint folglich von einer auf den Zeitpunkt in § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG rückwirkenden Fälligkeit auszugehen. cc) Begrenzung der Anwendung auf angemeldete Steuer aus anderen Gründen Nach Ansicht von Tormöhlen203 soll zwar ebenfalls lediglich die Fälligkeit der nach § 18 Abs. 4 UStG zu zahlenden Steuer nach der Umsatzsteuerjahreserklärung vom Eingang der Erklärung abhängen, während Fälligkeit bei der in jedem Voranmeldungszeitraum anfallenden Umsatzsteuer unabhängig vom Eingang einer Erklärung am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums eintrete. Unabhängig hiervon soll allerdings auch nach seiner Ansicht aufgrund historischer sowie systematischer Auslegung § 26b UStG nicht auf solche Fälle angewendet werden, in denen die Umsatzsteuer angemeldet wurde, da durch die Norm gerade die Strafbarkeitslücke geschlossen werden sollte, die sich dadurch ergab, dass Fälle, in denen eine ordnungsgemäße Erklärung vorlag, nicht von § 370 AO erfasst werden. Ähnlich sieht dies Nöhren.204 Auch sie möchte §§ 26b, 26c UStG nur in Fällen anwenden, in denen der Steuerpflichtige eine zutreffende Steueranmeldung vorgenommen hat, da dies aus der gesetzgeberischen Intention der Schließung von durch § 370 AO nicht erfassten Regelungslücken folge. Ihrer Ansicht nach soll zwar der Wortlautargumentation, die zwischen der Umsatzsteuervoranmeldung und der Umsatzsteuerjahresanmeldung in Bezug auf die Fälligkeit unterscheide, zuzustimmen sein. Allerdings folge aus den Gesetzesmaterialien, die nicht zwischen Voranmeldung und Jahreserklärung differenzierten, dass eine unterschiedliche Behandlung von Umsatzsteuerzahlungen nach § 18 Abs. 1 und § 18 Abs. 4 UStG durch den Gesetzgeber nicht intendiert gewesen sei. Aufgrund der eindeutigen gesetzgeberischen Zielsetzung sei daher auch unbeachtlich, ob der Finanzausschuss, der die Regelungen ausgearbeitet hat, die unterschiedlichen Regelungen zur Fälligkeit in § 18 Abs. 1 und § 18 Abs. 4 UStG bedacht habe.205 Nöhren geht damit davon aus, dass zwar im Bereich der Umsatzsteuervoranmel202 203 204 205
Vgl. Sölch/Ringleb-Treiber, § 18 Rn. 30. Siehe zum Absatz insgesamt Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 5. Siehe Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 68 f. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 68.
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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dung Fälligkeit auch ohne vorherige Anmeldung eintrete, will allerdings mit teleologischen Argumenten auch im Bereich der Vorauszahlungen den Tatbestand der §§ 26b, 26c UStG nur anwenden, wenn eine Umsatzsteuervoranmeldung auch abgegeben wurde. Auch Joecks206 geht im Ergebnis davon aus, dass § 26b UStG nur solche Fälle erfassen will, in denen die Umsatzsteuer ordnungsgemäß angemeldet wurde. Zwar ist er der Ansicht, dass aufgrund des seiner Meinung nach eindeutigen Gesetzeswortlauts der Tatbestand an sich nicht voraussetze, dass die Steuern angemeldet sind, da § 26b UStG nicht die Nichtzahlung fälliger Beträge, sondern lediglich die Nichtzahlung zum dort genannten Fälligkeitszeitpunkt voraussetze; allerdings sei aus den Gesetzesmaterialien zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz eindeutig zu ersehen, dass lediglich die zuvor bestehende Sanktionslücke für zutreffend angemeldete, aber sodann nicht abgeführte Steuerbeträge durch § 26b UStG abgedeckt sein sollen, nicht jedoch solche Fälle, die schon eine Strafbarkeit nach § 370 AO nach sich ziehe.207 Mit ähnlicher Argumentation will auch Gaede208 die §§ 26b, 26c UStG nur auf Fälle anwenden, in denen der Steuerpflichtige die Steuer ordnungsgemäß angemeldet hat. Zwar sei vom Wortlaut der Norm nur das Vorliegen des Fälligkeitszeitpunkts, nicht aber die tatsächliche Fälligkeit erforderlich. Allerdings gebiete insbesondere der Wille des Gesetzgebers,209 der die ordnungsgemäß erklärte Steuer erfassen wollte, eine solche Einschränkung des Tatbestands.210 Traub211 hingegen möchte § 240 Abs. 1 Satz 3 AO bei §§ 26b, 26c UStG zu Gunsten des Täters analog anwenden oder wenigstens eine teleologische Reduktion der §§ 26b, 26c UStG vornehmen, um nicht angemeldete oder festgesetzte Steuerbeträge vom Anwendungsbereich der Vorschriften auszunehmen. Dies begründet er mit der Systematik der Abgabenordnung: Die in §§ 26b, 26c UStG vorgenommene Sanktionierung der Nichtzahlung einer Steuer sei die Sanktionierung eines Verhaltens im steuerlichen Erhebungsverfahren. Ohne eine Titulierung fehle es aber an einem Mittel zur Durchsetzung, weshalb es auch für die Sanktionierung der Nichtentrichtung an einer Grundlage mangele. Dieses „systematische Zusammenspiel von Festsetzungs- und Erhebungsverfahren“ sei in § 240 Abs. 1 Satz 3 AO umgesetzt worden; trotz der unterschiedlichen Natur der Handlungsermächtigungen in § 240 AO und § 26b UStG sei eine Auslegung der §§ 26b, 26c UStG unter Berücksichtigung der Wertungen in § 240 AO geboten. Ob und wann 206
Siehe Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 328; Joecks, wistra 2002, 201. Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 328. 208 Siehe zum Absatz insgesamt Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 16. 209 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsgekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471, S. 7 f. 210 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 16. 211 Siehe zum Absatz insgesamt Wannemacher-Traub, Rn. 1370. 207
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Fälligkeit eintrete, sei daher für die Frage der Anwendbarkeit der §§ 26b, 26c UStG nicht mehr relevant. dd) Anwendung der §§ 26b, 26c UStG unabhängig von der Steueranmeldung Anders sieht dies Bülte212, der zunächst für die Nichtentrichtung der Vorauszahlungen der Ansicht ist, dass die Fälligkeit unabhängig von der vorherigen Anmeldung der Steuer nach dem Wortlaut des Gesetzes eintritt. Er sieht allerdings keine Notwendigkeit dafür, §§ 26b, 26c UStG aus anderen Gründen auf Fälle der rechtzeitig und vollständig angemeldeten Umsatzsteuer zu begrenzen. Dies begründet er damit, dass nicht nur der Wortlaut keine Anhaltspunkte dafür liefere, dass die Norm für nicht angemeldete Umsatzsteuer keine Geltung entfalten solle, sondern für eine Einschränkung des Tatbestandes auch aus anderen Gründen keine Notwendigkeit bestehe. Denn für den Fall, dass der Steuerpflichtige seine Umsatzsteuervoranmeldung zu spät abgebe, sei das Verhalten von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfasst; für den Fall, dass der Steuerpflichtige seine Voranmeldung zu spät abgebe und die Vorauszahlungen zu spät leiste sei § 26b UStG ebenfalls erfüllt. Dies sei auch wünschenswert, denn wenn in der verspäteten Abgabe der Voranmeldung regelmäßig eine kokludent erklärte Selbstanzeige zu sehen sei, sodass die Strafbarkeit aus § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO entfalle, dann sei ein „Wiederaufleben“ 213 der Strafbarkeit aus §§ 26b, 26c UStG auch gewollt. Es sei nämlich nicht einzusehen, dass derjenige Steuerschuldner, der seine Anmeldung rechtzeitig abgibt, die Steuer aber zu spät entrichtet, von § 26b UStG erfasst sein solle, nicht aber derjenige, der seine Erklärung zu spät abgibt und sodann die Steuer auch zu spät entrichte. Für die in der Jahressteuererklärung oder dem Steuerbescheid nach § 18 Abs. 4 Satz 2 AO festgesetzte Erklärung geht Bülte allerdings davon aus, dass § 26b UStG bei nicht abgegebner Umsatzsteuerjahreserklärung beziehungsweise nicht vorhandenem Steuerbescheid nicht verwirklicht sei, da die Erklärung bzw. der Bescheid hier Tatbestandsvoraussetzung des § 26b UStG sei. Ähnlich sieht dies Kemper214, der zwar für den Fall der Jahresumsatzsteuer gemäß § 18 Abs. 4 UStG den Anwendungsbereich der §§ 26b, 26c UStG verneint, da eine Fälligkeit der Steuern nicht eintreten könne, wenn bzw. soweit diese nicht erklärt werden. Wegen des Wortlauts des § 18 Abs. 1 UStG nimmt er 212 Siehe zum Absatz insgesamt Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 19 ff. 213 Wobei Bülte nicht dazu Stellung nimmt, weshalb es zu einem „Wiederaufleben“ kommen soll, denn nach seiner Konzeption (Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 20) scheint er von einem Fall der Tateinheit auszugehen, nicht von einem irgendwie gearteten Zurücktreten des § 26b UStG auf Konkurrenzebene bzw. über § 21 OWiG. 214 Siehe zum Absatz insgesamt Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 66 ff.
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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hingegen Fälligkeit für die Vorauszahlungen unabhängig davon an, ob eine Vorsteueranmeldung abgegeben wurde oder nicht. Er erwägt zwar verschiedene Möglichkeiten der Beschränkung des Anwendungsbereichs der §§ 26b, 26c UStG, verwirft diese wie die gesamte Regelung allerdings als insgesamt wenig befriedigend. b) Würdigung und Stellungnahme Das Gesetz macht in Bezug auf die Fälligkeitsregel für die Vorauszahlung keine eindeutige Vorgabe. Zwar sind sowohl die Anmeldung als auch die Vorauszahlung selbst in § 18 Abs. 1 UStG festgeschrieben, allerdings legt der Wortlaut keine kausale oder anderweitige inhaltliche Verknüpfung von Satz 1 (Anmeldung) und Satz 4 (Zahlung) nahe. Auch ist eine Fälligkeit auch ohne vorherige Anmeldung jedenfalls praktisch denkbar, denn der Voranmeldungszeitraum ist zweifelsfrei festgelegt. Eine denklogische oder faktische Notwendigkeit, dass die Anmeldung Voraussetzung für die Fälligkeit ist, besteht also in diesem Fall nicht. Dem für die Unabhängigkeit der Fälligkeit von einer vorhergehenden Anmeldung im Falle des § 18 Abs. 1 UStG vorgebrachten Argument, das auf den Wortlaut des § 240 Abs. 1 Satz 3 AO verwiest, also auf die Vorgabe, dass eine Säumnis nach dem expliziten Wortlaut nicht eintrete, solange keine Steuerfestsetzung oder -anmeldung vorliegt, ist zuzugeben, dass die Säumnis nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO grundsätzlich Fälligkeit voraussetzt und es so nahe liegend erscheint, aus dieser ausdrücklichen Regelung im Hinblick auf die Säumnis im Umkehrschluss zu folgern, dass die Fälligkeit gerade nicht von einer vorangegangenen Festsetzung oder Anmeldung abhänge.215 Dieses Wortlautargument ist jedoch keinesfalls zwingend. Denn wenn § 240 Abs. 1 Satz 3 AO die Säumnis explizit von der vorherigen Anmeldung oder Festsetzung abhängig macht, könnte es sich dabei gleichfalls um eine deklaratorische Regelung handeln. Wenn man annähme, dass die Steuer ohne vorherige Annahme nicht fällig wird, dann könnte der Schuldner auch vor Anmeldung oder Festsetzung nicht säumig werden. Dies würde § 240 Abs. 1 Satz 3 AO klarstellend festhalten. Bei näherer Betrachtung steht § 240 Abs. 1 Satz 3 AO daher jedenfalls nicht im Widerspruch zu der Annahme, dass nur angemeldete oder festgesetzte Umsatzsteuervorauszahlungen fällig werden können. Gegen die Annahme eines Eintritts der Fälligkeit unabhängig von der Abgabe einer Steuervoranmeldung spricht zudem in der Tat die von Blesinger und Stadie vorgebrachte systematische Argumentation im Hinblick auf die §§ 218 ff. AO.216 Denn da die Steueranmeldung Verwaltungsakt im Sinne des § 218 AO ist,217 ist
215 216 217
Vgl. Übersicht bei Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 29. Vgl. oben C.II.2.a)aa). Klein-Rüsken, AO § 218 Rn. 5; Pahlke/Koenig-Intemann, AO § 218 Rn. 7.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
sie auch im Sinne des § 218 AO „Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis“. Nach der grundsätzlichen Regelung der AO zur Fälligkeit von Steueransprüchen setzt der Anspruch auf Erfüllung die vorherige Festsetzung des entsprechenden Steueranspruchs voraus, die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands allein genügt nicht.218 Darüber hinaus wird das Verhältnis zwischen Fiskus und Steuerpflichtigem durch die formelle Bescheidlage geprägt, da auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt zunächst für die Definition der Pflichten maßgeblich ist.219 Vor diesem Hintergrund scheint es nur konsequent, wenn notwendige Fälligkeitsvoraussetzung ein Verwaltungsakt, in diesem Fall die Steueranmeldung, ist. Überzeugendstes Argument für die vorangegangene Anmeldung als Voraussetzung für die Fälligkeit ist allerdings die von Blesinger vorgebrachte Regelung der Fälligkeit des Jahresabschlusssolls in § 18 Abs. 4 UStG.220 Nach § 18 Abs. 4 UStG hängt gerade bei von der Summe der Vorauszahlungen abweichender Berechnung für das ganze Jahr die Fälligkeit der Steuer von der Anmeldung (bzw. Festsetzung) ab. Wäre aber die Umsatzsteuer im Hinblick auf die Vorauszahlungen schon ohne vorherige Anmeldung fällig, geht man also davon aus, dass der aufgrund der getätigten Umsätze materiell entstandene Steueranspruch unmittelbar mit dem Ablauf des 10. Tages des Voranmeldungszeitraums fällig wird, so wäre auch das abweichende Jahressoll denklogisch ohne weitere Anmeldung oder Festsetzung unmittelbar fällig.221 Denn in der Jahresanmeldung kommen keine zusätzlichen Umsätze hinzu, es wird vielmehr überprüft, ob die Voranmeldungen inhaltlich korrekt waren. Hier wird auch zum Zwecke der Rechtssicherheit für den Steuerpflichtigen eine Festsetzung erforderlich, damit dieser weiß, in welcher Höhe die Steuern fällig werden. Gerade dies spricht aber dafür, dass die bereits entstandenen, aber noch nicht im Rahmen der Voranmeldung angemeldeten oder festgesetzten Steuern gerade noch nicht fällig sind. Schreibt das Gesetz also in § 18 Abs. 4 UStG vor, dass der Jahressoll erst nach Festsetzung fällig werden soll, so setzt dies denklogisch voraus, dass die Beträge noch nicht fällig sind. Andernfalls würde dies bedeuten, dass die Fälligkeit der materiell bereits entstandenen Steuer im Hinblick auf die Jahresumsatzsteuer im Sinne des § 18 Abs. 4 UStG quasi „zurückgenommen“ wird. Es ist davon auszugehen, dass dies nicht Intention des Gesetzgebers war; eine diesbezügliche Regelung findet sich zudem im Gesetz nicht. Folglich ist davon auszugehen, dass auch die Fälligkeit der Steuervorauszahlungen kausal von der vorangegangenen Abgabe einer Steuervoranmeldung abhängig ist. Denn die Argumentation unter Bezug auf die Fälligkeitsregelung in § 18 Abs. 4 UStG ist – im Gegensatz zu den 218 219 220 221
Pahlke/Koenig-Intemann, AO § 218 Rn. 5. Pahlke/Koenig-Intemann, AO § 218 Rn. 6. Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 29. So Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 29.
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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anderen genannten (Wortlaut-)Argumentationen – als einzige logisch zwingend. Dieses Ergebnis würde zudem im Rahmen des § 26b UStG dazu führen, dass keine unterschiedliche Behandlung von Umsatzsteuerjahresanmeldung und Umsatzsteuervoranmeldung stattfinden muss.222 Dem von Bülte223 vorgebrachten Widerspruch, der dadurch entstehen soll, dass derjenige Steuerschuldner, der nicht nur verspätet zahlt, sondern auch noch die Steueranmeldung zu spät abgibt, durch die Möglichkeit der Selbstanzeige nach § 371 AO gegenüber dem Steuerschuldner, der seine Steuern rechtzeitig erklärt und nur verspätet entrichtet, privilegiert werde, ist entgegenzuhalten, dass es Entscheidung des Gesetzgebers war, die Möglichkeit der Selbstanzeige für Fälle des § 370 AO zu schaffen, nicht aber für Fälle der §§ 26b, 26c UStG.224 Legt man die Regelung in § 18 Abs. 1 UStG dahingehend aus, dass die Steuern mit Abgabe der Steuervoranmeldung fällig werden, frühestens jedoch am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums, dann würde für den Fall der verspätet abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldung gelten, dass Fälligkeit gegeben und damit der Tatbestand des § 26b UStG erfüllt sein kann, wenn nach dem 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums die Erklärung abgegeben wird, die Steuer aber nicht entrichtet wird. Denn in diesem Fall läge Fälligkeit zu dem Zeitpunkt vor, in dem die verspätete Voranmeldung abgegeben wird. Anderenfalls wäre der Anwendungsbereich des § 26b UStG ab dem Zeitpunkt der verspäteten Anmeldung oder der Festsetzung eröffnet. Für die Fälligkeit der von der Summe der vorangemeldeten Steuern abweichenden Jahrsumsatzsteuer gilt schon nach dem eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 4 UStG, dass die Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung beziehungsweise die Festsetzung durch das Finanzamt zwingende Voraussetzung für die Fälligkeit und somit Tatbestandsvoraussetzung der §§ 26b, 26c UStG ist. Es kann in diesem Zusammenhang auch schon nach dem Sinn und Zweck des § 26b UStG nicht argumentiert werden, dass lediglich der in der Norm genannte Fälligkeitszeitpunkt, nicht aber die tatsächliche Fälligkeit der Steuer Voraussetzung des § 26b UStG ist.225 Es ist nicht nur das Vorliegen des in der Norm genannten Fälligkeitszeitpunkts, sondern die tatsächliche Fälligkeit zu fordern, da es ansonsten an einem Anknüpfungspunkt fehlt. Denn die Nichtzahlung eines nicht einmal fälligen Betrags kann schon nach allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen keine Sanktion nach sich ziehen.
222 Vgl. zu dieser durch den Gesetzgeber nicht gewollten Ungleichbehandlung Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 68. 223 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 20. 224 Vgl. zur Möglichkeit der Selbstanzeige im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG unter G. 225 So aber Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 328; vgl. auch oben C.II. 2.a)cc).
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Für das Steuerschuldverhältnis kann hier nichts anderes gelten. Nicht zuletzt in § 240 Abs. 1 AO, der nur die Nichtzahlung fälliger Steuern sanktioniert,226 spiegelt sich diese Wertung zudem auch für das Steuerschuldverhältnis wieder. Der Bezug auf einen bestimmten Fälligkeitszeitpunkt kann nur auch tatsächlich fällige Steuern betreffen, denn ansonsten fehlt es an dem inneren Zusammenhang zwischen der konkreten Steuerschuld und dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt. § 26b UStG kann daher keinen abstrakten Fälligkeitszeitpunkt im Sinne des § 18 Abs. 1, 4 UStG in Bezug nehmen, sondern nur einen Zeitpunkt, zu dem der konkrete Steuerbetrag, dessen Nichtentrichtung sanktioniert werden soll, auch tatsächlich fällig ist. Unabhängig von oben genannten Argumenten spricht auch unter allgemeinen Wertungsgesichtspunkten Vieles dafür, ein Exklusivitätsverhältnis zwischen §§ 26b, 26c UStG und § 370 AO anzunehmen, sodass nur angemeldete Steuern unter den Tatbestand des § 26b UStG fallen können. Dabei gilt für den Fall der Nichterklärung, aber auch für den der Zuwenigerklärung, dass Beträge nur in der Höhe, in der Steuern angemeldet wurden, von § 26b UStG erfasst werden. Andernfalls wäre die Sanktionierung gemäß §§ 26b, 26c UStG nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt des nemo tenetur Prinzips äußerst problematisch. Denn für den Fall, dass der Steuerpflichtige seine Umsätze gar nicht erst angemeldet hat, führt er diese in der Regel auch nicht ab. Zur Vermeidung einer Sanktionierung nach §§ 26b, 26c UStG wäre der Steuerpflichtige allerdings gezwungen, für entgegen § 370 AO rechtswidrig nicht erklärte Umsätze die Steuer abzuführen, wodurch wiederum die Selbstbelastung bezüglich einer Straftat nach § 370 AO faktisch unausweichlich wäre.227 3. Sonderfälle Die Rechtzeitigkeit der Zahlung richtet sich nach den §§ 224 ff. AO, zu beachten ist hier insbesondere auch die Aufrechnungsmöglichkeit gem. § 226 AO, für die erforderlich ist, dass die Aufrechnungslage zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuer bestanden hat.228 Teilweise wird sogar davon ausgegangen, dass die Nichtzahlung zum Fälligkeitszeitpunkt den Tatbestand bei Bestehen einer Aufrechnungslage auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Aufrechnungserklärung nicht erfüllt sei. Dies wird damit begründet, dass die Nichtzahlung eine konkludente Aufrechnungserklärung darstelle.229 Bei Aufrechnungssituationen ist zu beachten, dass für die Aufrechnungslage im Steuerschuldverhältnis besonders enge 226
Klein-Rüsken, AO § 240 Rn. 1; Pahlke/Koenig-Koenig, AO § 240 Rn. 10. Vgl. zu diesem Konflikt bereits Dettmers, Selbstbelastungsproblematik bei der Umsatzsteuerverkürzung (2005), S. 179. 228 Vgl. Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 336; Hartmann/MetzenmacherKüffner, § 26b Rn. 18. 229 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 18; a. A. wohl Reiß/Kraeusel/ Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 12. 227
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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Grenzen gelten. Es kann nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten (bzw. bestandskräftigen)230 Ansprüchen aufgerechnet werden. Allein für den Fall, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, käme eine Aufrechnung überhaupt in Betracht. Keine verspätete Zahlung ist das Verstreichenlassen des in § 18 UStG normierten Fälligkeitszeitpunkts für den Fall, dass eine Stundung der Zahlungsverpflichtung gemäß § 222 AO vereinbart wurde, denn dann ist der Fälligkeitszeitpunkt hinausgeschoben worden.231 Die Tatsache, dass dieses Ergebnis in der Literatur, soweit ersichtlich, nicht bezweifelt wird, ist im Übrigen ein weiteres Indiz dafür, dass es für den Tatbestand des § 26b UStG nur auf die tatsächliche Fälligkeit der Steuer ankommen kann und nicht lediglich auf das abstrakte Vorliegen eines gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkts.232 Für den Fall, dass eine Stundung erst nachträglich vereinbart wurde, soll es nach im Schrifttum vertretener Ansicht auf den Inhalt der Stundungsverfügung des Finanzamts ankommen; so soll weiterhin ein pflichtwidriges Verhalten vorliegen, wenn die Verfügung keinen rückwirkenden Charakter hat.233 Dass bei fehlender Rückwirkung die Stundung keinen Einfluss auf die Fälligkeit im vorangegangenen Voranmeldungszeitraum haben kann und somit auch der Tatbestand des § 26b UStG dennoch erfüllt ist, bedarf dogmatisch keiner näheren Erläuterung. Diesem Ergebnis ist zuzustimmen. Fraglich ist allerdings, ob bei einer rückwirkenden Stundungsverfügung der Tatbestand des § 26b UStG erfüllt ist. Dogmatisch vergleichbar ist der im Bürgerlichen Recht bestehende Streit, ob im Rahmen des Bereicherungsrechts bei einer durch Anfechtung rückwirkenden Nichtigkeit des Rechtsgrundes ein von Anfang an nichtiges Geschäft oder ein späterer Wegfall des Rechtsgrundes vorliegt.234 Von einer formellen Erfüllung des Tatbestands im Falle der Stundung mit Rückwirkung geht Bülte aus.235 Er ist allerdings gleichzeitig der Ansicht, dass der Tatbestand „trotz formeller Erfüllung nicht gegeben“ sei, da eine Gefährdung des Umsatzsteueranspruchs ausscheide, sodass es an einer Rechtfertigung für die Sanktionierung fehle.236 Dogmatisch will Bülte wohl eine teleologische Reduktion des Tatbestands vornehmen. Richtig ist, dass bei der Stundung in der Regel
230
Klein-Rüsken, AO § 226 Rn. 38. Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 24; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 36; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 13; Rolletschke/KemperKemper, § 26b UStG Rn. 43; Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 439. 232 Vgl. hierzu unter C.II.2.b). 233 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 24; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 36; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 43. 234 Vgl. MüKo BGB-Schwab, § 812 Rn. 351. 235 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 22. 236 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 22. 231
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
kein Fall der systemspezifisch bedingten Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens vorliegen wird. Es kann daher dahinstehen, ob man der Rückwirkungsfiktion, die letztlich erst nachträglich zu einem Entfallen der Zahlungsverpflichtung im Fälligkeitszeitpunkt führt, auch bereits das Entfallen der Pflicht im Zeitpunkt der ursprünglichen Fälligkeit entnehmen kann. Für den Fall, dass man mit Bülte davon ausgeht, dass die Zahlungsverpflichtung trotz Rückwirkung im Zeitpunkt der Fälligkeit noch bestand, so ist jedenfalls wegen der gänzlich fehlenden Gefährdungswirkung eine Beschränkung des Tatbestands vorzunehmen, sodass bei rückwirkenden Stundungsverfügungen § 26b UStG nicht einschlägig ist. Ebenfalls nicht erfüllt ist der Tatbestand des § 26b UStG, wenn der Steuerpflichtige den Festsetzungsbescheid des Finanzamts angefochten hat und Aussetzung der Vollziehung gewährt wurde, weil dem Finanzamt hier ebenfalls nicht das Recht, den Betrag zu fordern, zustehe.237 Außerdem soll der Tatbestand dann nicht erfüllt sein, wenn die angemeldete oder festgesetzte Steuer nach dem Fälligkeitszeitpunkt herabgesetzt wird, da damit rückwirkend die Fälligkeit entfalle.238 Dies wird damit begründet, dass zwar die Fälligkeit der vollen Steuerschuld zunächst eingetreten sei, allerdings durch Änderung des Verwaltungsaktes bezüglich des herabgesetzten Betrages der vollstreckbare Titel fehle und ggf. erbrachte Leistungen nach § 37 Abs. 2 AO239 zu erstatten wären.240 Deshalb soll nach Ansicht Blesingers die Rechtfertigung für eine Sanktion entfallen, denn eine gemäß § 1 Abs. 1 OWiG hierfür erforderliche „rechtswidrige und vorwerfbare Handlung“ liege dann nicht mehr vor.241 Dies begründet er auch mit dem Fehlen eines mit § 370 Abs. 4 Satz 3 AO vergleichbaren Kompensationsverbots in § 26b UStG. Selbst wenn man dieser Begründung nicht folge, so sei jedenfalls auch im Falle der nachträglichen Herabsetzung der Steuer nach dem Opportunitätsgrundsatz zu verfahren, sodass eine Sanktionierung nach § 26b UStG jedenfalls nicht möglich sei.242 Die Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO begründet nicht ein Hinausschieben der Fälligkeit der Steuerschuld,243 sodass diesbezüglich auch im Rahmen des § 26b
237
Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 24; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 37. 238 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 24; Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 22; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 38. 239 Die Herabsetzung der ursprünglichen Steuerfestsetzung bewirkt einen nachträglichen Wegfall des Rechtsgrundes im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 2 AO, vgl. auch Hübschmann/Hepp/Spitaler-Boeker, § 37 Rn. 41; Pahlke/König-König, AO § 37 Rn. 58. 240 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 38. 241 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 38. 242 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 38. 243 FG München, Urt. v. 27.5.1987 – III 351/83, EFG 1988, 59; Pahlke/Koenig-Koenig, AO § 240 Rn. 41.
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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UStG nichts anderes gelten kann.244 Nach hier vertretener Auffassung ist in diesem Zusammenhang aber eine einschränkende Auslegung des Begriffs der Nichtzahlung angebracht.245 4. Verzögerte Zahlung, „nachlässige Nichtzahlung“ Die Nichtzahlung ist zunächst die Nichtentrichtung der in einer Rechnung im Sinne des § 14 UStG ausgewiesenen Umsatzsteuer trotz Fälligkeit, mithin also das Verstreichenlassen des gesetzlichen Fälligkeitstermins.246 a) Zahlungen innerhalb der Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO Kritisiert wird dabei unter anderem der Wertungswiderspruch zwischen § 240 Abs. 3 AO und den §§ 26b, 26c UStG. Während für die Erhebung von Säumniszuschlägen in § 240 Abs. 3 AO eine dreitätige Schonfrist vorgesehen ist, innerhalb derer bei verspäteter Zahlung von der Erhebung abgesehen wird, fehlt eine solche in § 26b UStG. Diese Widersprüchlichkeit ist bereits mehrfach kritisiert worden.247 Es sind folglich jedenfalls dem Wortlaut nach innerhalb dieses Zeitraums zwar keine verwaltungsrechtlichen, wohl aber straf-/bußrechtliche Sanktionen anwendbar. Gaede schlägt vor, diesen Widerspruch aufgrund einer systematischen Auslegung des § 26b UStG aufzulösen, nach der die Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO auch auf § 26b UStG übertragen wird.248 Dies diene darüber hinaus der Eingrenzung des Tatbestands auf die Fälle organisierter Umsatzsteuervermeidung, die auch der gesetzgeberischen Intention entspreche.249 Traub250 und Wilhelm251 schlagen demgegenüber vor, eine restriktive Auslesung des § 26b UStG dahingehend vorzunehmen, dass eine Überschreitung der Frist und damit eine „Nichtentrichtung zum Fälligkeitszeitpunkt“ nur dann anzunehmen sei, wenn die Zahlung am Tag der Fälligkeit noch nicht „veranlasst“/„auf den Weg gebracht“ worden sei. Letzteres würde zwar zu mit der Schonfrist nach § 240 Abs. 3 AO vergleichbaren Ergebnissen führen. Denn diese wurde gerade deshalb gesetzlich normiert, 244 So auch Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 336; Graf/Jäger/WittigBülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 18; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 27; Reiß/ Kraeuel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 9; Wannemacher-Traub, Rn. 1356. 245 Vgl. unter C.II.4.a). 246 Vgl. auch Wilhelm, UR 2005, 474, 476. 247 Wannemacher-Traub, Rn. 1356; Joecks, wistra 2002, 201, 202; Wilhelm, UR 2005, 474, 476; im Erg. ebenso Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 23. 248 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 23. 249 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 23. 250 Wannemacher-Traub, Rn. 1356. 251 Wilhelm, UR 2005, 474, 476.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
um den Steuerpflichtigen vor unbilligen Härten durch Verzögerungen bei der Überweisung oder Postlaufzeiten zu schützen.252 Die vorgeschlagene Lösung widerspricht aber letztlich den Regelungen des Steuerschuldverhältnisses. Eine „Entrichtung“ ist gemäß § 224 Abs. 2 AO nur gegeben, wenn der geschuldete Betrag auch beim Gläubiger eingegangen ist. Beim Regelfall der Überweisung ist dies der Tag, an dem der Betrag der Finanzbehörde gutgeschrieben wird, vgl. § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO. Die Intention, faktisch wenigstens eine Art „Gleichlauf“ von § 240 Abs. 3 AO und § 26b UStG zu erreichen, ist zu begrüßen. Ob eine von § 224 AO abweichende Auslegung des Begriffs der Entrichtung allerdings der methodisch vorzugswürdige Weg ist, ist fraglich.253 Einen dogmatisch gangbaren Weg vermittelt vielmehr das von Gaede vorgeschlagene Hineinlesen der Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO in den Tatbestand des § 26b UStG nach den Grundsätzen systematischer Auslegung. Dies würde auch ein höheres Maß an Rechtssicherheit vermitteln und ist daher gegenüber dem von anderer Seite vorgeschlagenen Weg über eine Einstellung des Ordnungswidrigkeitsverfahrens nach Opportunitätsgrundsätzen, § 47 OWiG,254 vorzugswürdig. Denn nur durch die tatbestandseinschränkende Auslegung kann sichergestellt werden, dass diese Fälle einheitlich und ohne behördliches Ermessen gehandhabt werden. b) Weitere Fälle der verspäteten Zahlung Rechtspolitisch fragwürdig ist im Übrigen insgesamt der Fall der verzögerten Zahlung gelöst, da durch die Bezugnahme allein auf die steuerlichen Fristen auch eine lediglich verspätete Zahlung vom Tatbestand des § 26b UStG erfasst ist. Aufgrund der Beweggründe für die Schaffung der §§ 26b, 26c UStG kann möglicherweise durch die systemimmanente immense Gefährdung des Steueraufkommens eine Rechtfertigung der drastischen Sanktionierung für den Fall der tatsächlichen Nichtzahlung zwar angenommen werden. Im Hinblick auf den Vergleich zu anderen Steuerarten problematisch ist allerdings die innere Rechtfertigung für diese Sanktionierung für den Fall der lediglich verspäteten Zahlung. Eine Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens ist jedenfalls für den Fall, dass beispielsweise eine notorische Zuspätzahlung stattfindet, nicht in stärkerem Maße gegeben als bei einer stets pünktlichen Zahlung. Denn die Wahrscheinlichkeit eines dauerhaften Steuerausfalls ist nicht größer als im Falle der stets pünktlichen Zahlung. Auf die letztlich bestehende Zahlungsmoral des Steuerpflichtigen kann nämlich beim notorischen Spätzahler mit gleicher Wahrscheinlichkeit vertraut werden wie bei dem stets pünktlich zahlenden Unternehmer. Es verbleibt lediglich der Zinsschaden, der bei der verspäteten Zahlung anderer Steuern hingegen 252 253 254
Pahlke/Koenig-Koenig, AO § 240 Rn. 41; Tipke/Kruse-Loose, § 240 Rn. 48. Siehe hierzu sogleich. Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 9.
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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ebenfalls auftritt und auf den mit rein steuerrechtlichen Mitteln, zum Beispiel Säumniszuschläge, reagiert werden kann. Soweit also ein dauerhaftes Auseinanderfallen von Vorsteuererstattungen und Umsatzsteuereinnahmen des Fiskus durch die im Vergleich zu rein steuerlichen Maßnahmen sehr drastischen §§ 26b, 26c UStG verhindert werden soll, fehlt beim lediglich zeitweise stattfindenden Auseinanderfallen durch verspätete Entrichtung die innere Rechtfertigung für die Anwendung der §§ 26 b, 26 c UStG. Hier ist nicht ersichtlich, weshalb eine über die für den Fall der verspäten Zahlung vorgesehenen Maßnahme der Säumniszuschläge hinausgehende Sanktion geboten sein sollte. Es bleibt lediglich der Beweggrund, den Steuerpflichtigen nicht nur überhaupt zur Zahlung, sondern auch zur pünktlichen Zahlung zu veranlassen. In diesem Fall allerdings besteht kein Unterschied zum Fall der verspäteten Zahlung bei jeder anderen Steuerart: Der Staat hat einen Anspruch auf pünktliche Entrichtung der Steuer; wird der Steuerpflichtige diesem Anspruch auf Pünktlichkeit nicht gerecht, so wird er sanktioniert. Dies aber entspricht exakt dem Charakter des § 240 AO, der in diesem Falle auch das sachnähere Instrument ist. Denn § 240 AO ist ein Druckmittel eigener Art,255 das Präventionsnicht aber Strafcharakter hat.256 Darüber hinaus soll § 240 AO als Nebenzweck ein „Ausgleich“ für die verzögerte Zahlung sein und insbesondere die hierdurch entstandenen Verwaltungsaufwendungen ausgleichen.257 Eine zusätzliche Bebußung oder sogar strafrechtliche Sanktionierung ist für die Umsatzsteuer nicht zu rechtfertigen. Das Risiko der endgültigen Uneinbringlichkeit des geschuldeten Betrags ist bei der verspäteten Zahlung der Umsatzsteuer ebenso groß wie bei anderen Steuerarten. Will man als Rechtfertigung für die zusätzliche Sanktionierung durch §§ 26b, 26c auch noch den Eingriff in den Wettbewerb sehen, so trifft dieser bei lediglich verspäteter Zahlung ebenfalls nicht oder jedenfalls in viel geringerem Maße zu. Selbst wenn man den eher geringen Wettbewerbsvorteil durch die für den Verspätungszeitraum erlangte erhöhte Liquidität anführen möchte – und allein dieser kommt überhaupt in Betracht – so sind dem in Bezug auf §§ 26b, 26c UStG zwei Argumente entgegenzuhalten: Zum einen kann diesem Wettbewerbsvorteil problemlos durch die Erhebung von Säumniszuschlägen entgegengetreten werden. Zum anderen ergibt sich auch in Bezug auf den konkreten Wettbewerbsvorteil kein Unterschied zur verspäteten Zahlung jeder anderen Steuerschuld, denn auch durch die „Zuspätzahlung“ beispielsweise der Einkommensteuer oder der verspäteten Tilgung jeder anderen Zahlungsverpflichtung wird ein kurzfristiger 255
BFH, Urt. v. 16.7.1997 – XI R 32/96, BStBl. II 1998, 7. Hübschmann/Hepp/Spitaler-Heuermann, § 240 Rn. 11; Pahlke/Koenig-Koenig, AO § 240 Rn. 3. 257 BFH, Urt. v. 18.6.1998 – V R 13/98, BFH/NV 1999, 10; BFH, Urt. v. 19.12.2000 – VII R 63/99, BStBl. II 2001, 217; Pahlke/Koenig-Koenig, AO § 240 Rn. 3. 256
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Liquiditätsvorteil im Vergleich zu pünktlich zahlenden Marktteilnehmern erreicht. So wird teilweise vorgeschlagen, über die Heranziehung des Opportunitätsgrundsatzes gemäß § 47 OWiG jedenfalls solche Fälle von der Verfolgung auszunehmen, in denen nur „geringe Fristüberschreitungen“ vorliegen,258 wobei nicht näher ausgeführt wird, was eine „geringe Fristüberschreitung“ sein soll. Zum Teil wird auch vorgeschlagen, im Fall von „schlichte[r] Vergesslichkeit ohne jede kriminelle Energie“ im Rahmen des § 26b UStG vom Opportunitätsgrundsatz Gebrauch zu machen.259 Dem ist sicherlich zuzustimmen, wobei für den Fall, dass der Steuerpflichtige tatsächlich nur vergessen hat die Steuer zu bezahlen, wohl auch kein Eventualvorsatz, sondern lediglich Fahrlässigkeit vorliegen wird, sodass der Fall von § 26b UStG ohnehin nicht erfasst wäre. Bei Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens ebenso wie bei der Frage nach der Ahndung entscheiden die Behörden nach pflichtgemäßem Ermessen.260 Bei geringen Frsitüberschreitungen wird jedenfalls das öffentliche Interesse an der Verfolgung im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens fehlen, sodass gemäß § 47 OWiG eine Einstellung jedenfalls möglich ist.261 In der Literatur ist aufgrund der äußerst zurückhaltenden Anwendung des § 26b UStG ohnehin bereits die Vermutung geäußert worden, die Verwaltung betreibe eine im Gesetz nicht vorgesehene „faktisch vorweggenommene [. . .] Anwendung des Opportunitätsgrundsatzes“.262 Das Opportunitätsprinzip ist trotz der aufgrund der Ermessenseinräumung eintretenden Rechtsunsicherheiten für den Zahlungspflichtigen ein gangbarer Weg um auch diejenigen nicht sanktionswürdigen Fälle der Fristüberschreitung von der Sanktionierung auszunehmen, die den Anwendungsbereich des § 240 Abs. 3 AO überschreiten. Innerhalb der Dreitagesgrenze des § 240 Abs. 3 AO ist hingegen eine Lösung schon auf Tatbestandsebene vorzugswürdig. c) Fazit Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass aufgrund des Charakters des § 26b UStG als echtes Unterlassungsdelikt ein Konflikt auftritt. Denn die vorgeworfene Nichtzahlung muss zwangsläufig an einen bestimmten Zeitpunkt geknüpft werden. Dies sind die Fristen des materiellen Steuerrechts. Auf der anderen Seite soll § 26 UStG gerade eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens 258
Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 47; Friedrich, PStR 2007, 82. Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 8.1. 260 Karlsruher Kommentar OWiG-Bohnert, § 47 Rn. 2, der zugleich auf die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit dieses Grundsatzes hinweist und eine Modifikation durch Art. 20 Abs. 3 GG fordert. 261 Bohnert, OWiG § 47 Rn. 4. 262 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 48. 259
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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insbesondere durch Ausnutzung des geltenden Umsatzsteuersystems verhindern, sodass eine Sanktionierung der Zuspätzahlung an sich nach der Zielsetzung der Norm nicht geboten ist. Dies ist aufgrund der bestehenden steuerrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten, insbesondere § 240 AO, auch gar nicht erforderlich. § 26b UStG ist von der Intention her daher so zu verstehen, dass der Steuerpflichtige durch die Sanktionierung nur dazu angehalten werden soll, seine Steuern überhaupt vollständig zu entrichten.263 Da die tatbestandliche Sanktionierung der verspäteten Zahlung nur eine logisch notwendige Nebenfolge der Sanktionierung der Nichtzahlung ist, ist die Sanktionierung der Zuspätzahlung im Rahmen des § 26b UStG möglichst zu begrenzen. Jedenfalls im Rahmen der schon bei § 240 AO gewährten Dreitagesgrenze ist daher im Anschluss an Gaede schon aufgrund systematischer Auslegung der Tatbestand nicht betroffen.264 Dies ist zudem schon vor dem Hintergrund eines Vergleichs mit anderen Steuerarten geboten. Denn wenn bei keiner anderen Steuerart eine Verspätung innerhalb der Dreitagesgrenze sanktioniert werden könnte, so verbietet sich dies auch bei der Umsatzsteuer, zumal hier kein umsatzsteuersystemspezifisches Gefährdungspotential gegeben ist. In diesem Fall ist daher der Begriff der Nichtentrichtung einschränkend auszulegen. Außerhalb der Dreitagesgrenze stellt sich die Frage, inwieweit ein Verzicht auf eine Sanktionierung im Rahmen des Opportunitätsprinzips geboten ist. Denkbar wäre bei bestimmten Fristüberschreitungen eine Ermessensreduzierung auf Null, sodass die Einstellung unter Opportunitätsgesichtspunkten zwingend geboten ist. Problematisch ist dabei allerdings die zeitliche Reichweite einer solchen „geringen“ Fristüberschreitung, denn eine zeitliche Grenze ist mangels gesetzlicher Anhaltspunkte kaum denkbar. § 240 Abs. 3 AO ist vielmehr die einzige Norm, die eine feste Frist für nicht sanktionierungsbedürftige Verspätungen gesetzlich normiert. Denkbar für die Statuierung einer äußersten zeitlichen Grenze für die Anwendung der Opportunitätsgrundsätze wäre ggf. noch der Fälligkeitszeitpunkt für den nächsten Voranmeldungszeitraum. Denn spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem eine weitere fällige Verbindlichkeit hinzukommt, die der Schuldner nicht begleicht, wird auch die Gefahr des dauerhaften Auseinanderfallens von erstatteter Vorsteuer und nicht gezahlter Umsatzsteuer vertieft. Es bestünde bei erneuter Nichtzahlung zudem ein Indiz dafür, dass der Steuerpflichtige dauerhaft nicht gedenkt, die Steuer zu bezahlen. De lege lata ist daher für verspätete Zahlungen kaum eine einheitliche und zufrieden stellende Lösung zu ermitteln. Wie zu zeigen sein wird, kann einer 263 A. A. wohl Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 46; Rolletschke/KemperKemper, § 26b UStG Rn. 49, die davon ausgehen, dass die Norm auf den Steuerpflichtigen dahingehend Druck ausüben solle, dass dieser seine Steuern pünktlich und vollständig zahlt. 264 Vgl. unter C.II.4.a).
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Ausweitung des Tatbestands daher nur durch die Schaffung eines zusätzlichen Tatbestandselements entgegengetreten werden.265 Dennoch ist nach derzeitigem Gesetzesstand für die Umsatzsteuervorauszahlung ein reduziertes Ermessen der Finanzverwaltung für den Fall anzunehmen, dass eine nicht rechtzeitig erfolgte Zahlung noch innerhalb des nächsten Voranmeldungszeitraums, also vor Fälligkeit der nächsten Vorauszahlung, nachgeholt wird. In diesem Fall ist – wenn nicht weitere atypische Umstände hinzutreten – zwingend eine Einstellung unter Opportunitätsgesichtspunkten vorzunehmen. d) Opportunitätserwägungen der Finanzverwaltung Die Finanzverwaltung geht in den Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuern) jedenfalls davon aus, dass bei einer Verspätung der Zahlung um bis zu drei Monate bei einer Höhe des gefährdeten Betrags von bis zu A 10.000 in der Regel von einer Verfolgung abgesehen werden könne, wenn nicht ein besonders vorwerfbares Verhalten vorliege.266 Eine gewisse Sicherheit für Bagatellfälle ist daher jedenfalls gewährleistet.
III. Vorsatzerfordernis Der Ordnungswidrigkeitstatbestand kann gemäß § 10 OWiG (i.V. m. § 377 Abs. 2 AO) nur durch vorsätzliches Verhalten erfüllt werden, § 26b UStG macht hiervon zu Recht keine Ausnahme. Ebenso stellt sich dies für den Straftatbestand in § 26c UStG dar, der gemäß § 15 StGB (i.V. m. § 369 Abs. 2 AO) ebenfalls nur vorsätzlich verwirklicht werden kann. Nach den allgemeinen Regeln ist daher zur Verwirklichung des Bußgeldtatbestands Vorsatz, und zwar nach den allgemeinen Kategorien dolus directus ersten und zweiten Grades sowie dolus eventualis,267 bezüglich aller objektiver Tatbestandsmerkmale erforderlich. Das heißt, dass der Täter nicht nur wissen oder billigend in Kauf nehmen muss, dass ein Umsatzsteueranspruch besteht und fällig ist und dass die Steuer nicht abgeführt wird, sondern auch, dass eine für den Tatbestand ausreichende Rechnung vorliegt.268 Aus dem Vorsatzerfordernis ergibt sich die Konsequenz, dass beispielsweise für den Fall mehrerer Geschäftsführer nur demjenigen ein Ordnungswidrigkeitsvorwurf gemacht werden kann, der tatsächlich von einer Nichtabführung wusste oder dies für möglich halten musste; ist hingegen beispielsweise aufgrund einer allgemeinen internen Zuständigkeitsregel oder individueller einzelner Absprache ein bestimmter Geschäftsführer für die Begleichung der Steuer zuständig, so er265
Vgl. 5. Kapitel unter C. Art. 104 Abs. 3 Satz 2 i.V. m. Art. 105 Nr. 6 AStBV (St) 2012. 267 Vgl. statt aller auch Bohnert, OWiG § 10 Rn. 4. 268 Vgl. auch Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 25; Offerhaus/Söhn/ Lange-Blesinger, § 26b Rn. 41. 266
C. Tatbestandsmerkmale des § 26b UStG
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füllt derjenige Co-Geschäftsführer nicht den Tatbestand des § 26b UStG, der darauf vertraut, dass ein anderer Geschäftsführer die Beträge beglichen hat.269 Eine weitere in der Literatur zu findende Fallkonstellation ist die, in der der Täter irrtümlich von einer Aufrechnungslage ausgeht, weil er einen Gegenanspruch hat. Hier könne eine Aufrechnung ohne Wissen des Täters an den strengen Voraussetzungen des § 226 AO scheitern, sodass ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum gemäß § 11 OWiG des Steuerpflichtigen vorliege.270 Tatsächlich gehen die Voraussetzungen für die Aufrechnung in § 226 Abs. 3 AO noch über die Voraussetzungen der Aufrechnung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch hinaus, beispielsweise kann im Steuerschuldverhältnis nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten (bzw. bestandskräftigen)271 Ansprüchen aufgerechnet werden. Hier besteht ein Unterschied zu bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnissen, in denen es für das Vorliegen einer Aufrechnungslage nicht erforderlich ist, dass die Aktivforderung unbestritten ist oder keines Beweises mehr bedarf.272 Auch schließt § 226 Abs. 2 die Anwendung des § 215 BGB aus.273 Es stellt sich allerdings in der Praxis die Frage, wann vor dem Hintergrund dieses Unterschiedes zwischen Steuerschuldverhältnis und bürgerlichrechtlichem Schuldverhältnis auf den fehlenden Vorsatz des möglicherweise unerfahrenen Unternehmers geschlossen werden kann. Hier kann gegebenenfalls noch Eventualvorsatz festzustellen sein. Dies ist allerdings naturgemäß Frage des Einzelfalls, denn ein lediglich (bewusst) fahrlässiges Vorgehen des Steuerpflichtigen ist in solchen Fällen ebenfalls denkbar. Jedenfalls in Fällen, in denen tatsächlich eine Gegenforderung besteht, wird bis zur Höhe der Gegenforderung in der Regel ebenfalls die Anwendung des Opportunitätsprinzips angemessen sein, wenn der Steuerpflichtige lediglich aufgrund der Voraussetzungen des § 226 Abs. 3 AO kein Recht zur Aufrechnung hatte, denn eine die Sanktionierung rechtfertigende Gefährdung des Steueraufkommens lag nicht vor. Einen weiteren Fall des fehlenden Vorsatzes sollen nach teilweise vertretener Ansicht die Zahlungsfähigkeit betreffende Irrtümer darstellen; genannt wird sowohl der Fall, dass der tatsächlich zahlungsfähige Täter irrtümlich davon ausgeht, dass er zahlungsunfähig sei, als auch der Fall, dass ein Täter seine Zahlungsunfähigkeit zwar pflichtwidrig, aber ohne Vorsatz herbeigeführt hat.274 Zur 269 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 25; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 41. 270 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 25; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 12. 271 Klein-Rüsken, AO § 226 Rn. 38. 272 BGH, Urt. v. 13.7.1970 – VII ZR 176/68, Tz. 29 (bei juris), BGHZ 54, 244; MüKo BGB-Schlüter, § 387 Rn. 36. 273 Vgl. auch Klein-Rüsken, AO § 226 Rn. 8. 274 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 25.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
generellen Zulässigkeit sowie inhaltlichen Grenzen der Anwendung der omissio libera in causa auf die §§ 26b, 26c UStG wird im weiteren Verlauf der Arbeit eingegangen.275 Daraus, dass die Rechnungsausstellung selbst nicht Tatbestandsmerkmal des § 26b UStG ist, sondern lediglich eine taugliche Rechnung im Sinne der Vorschrift vorliegen muss, wird de lege lata zwangsweise der Schluss gezogen, dass Vorsatz erst zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuer vorliegen muss, nicht schon zum Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung.276 Insofern wird in der (Kommentar-)literatur das Vorsatzerfordernis auch – soweit ersichtlich – nicht intensiv problematisiert. Inwiefern allein dieser späte Zeitpunkt für das Vorsatzerfordernis gemessen am Ziel der Vorschrift sinnvoll ist, ist allerdings fraglich. Denn als im Vergleich zu anderen Steuerarten besonders sanktionswürdig kann die Nichtabführung der Umsatzsteuer gerade nur dann angesehen werden, wenn die Anfälligkeit des Umsatzsteuersystems bewusst ausgenutzt wird. Diese missbräuchliche Absicht hat aber derjenige Steuerpflichtige nicht, der zwar ohne weitere Hintergedanken den Umsatz getätigt hat, zum späteren Fälligkeitszeitpunkt aber – aufgrund eines spontanen Gedankens, da er andere Investitionen für wichtiger erachtet oder Ähnliches – auf die Abführung verzichtet, den Vorsatz also erst später entwickelt. Vor diesem Hintergrund wird im 5. Kapitel unter III. ein Vorschlag zu einer vom derzeitigen Gesetzeswortlaut abweichenden strengeren Regelung durch Hineinnahme eines zusätzlichen subjektiven Merkmals vorgestellt. An dieser Stelle habe es dennoch zunächst mit der Feststellung sein Bewenden, dass zu Recht nach dem derzeitigen Wortlaut der Regelung der Vorsatz in Bezug auf alle Merkmale des gesetzlichen Tatbestands zum Zeitpunkt der Fälligkeit vorliegen muss.
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit Der Gesetzgeber will ausweislich der Gesetzesbegründung277 denjenigen nicht der staatlichen Verfolgung aussetzen, der „entschuldbar“ die geschuldete Umsatzsteuer nicht abführt. Er beruft sich dabei auf das Opportunitätsprinzip, wobei im Rahmen der diesbezüglichen Ermessensentscheidung auch die in § 266a Abs. 6 StGB278 genannten Umstände als Maßstab herangezogen werden sollen.279 Es soll nach Vorstellung des Gesetzgebers insbesondere in dem Fall in der Regel zu 275
Siehe unter D. Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 42. 277 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471 S. 8 liSp. 278 Zur Zeit der Gesetzesbegründung noch Abs. 5. 279 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471 S. 8 liSp. 276
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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einem Absehen von Verfolgung kommen, in dem der Steuerpflichtige spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugstelle schriftlich nicht nur die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt, sondern auch darlegt, weshalb ihm trotz ernsthafter Bemühungen eine fristgemäße Zahlung nicht möglich war und darüber hinaus anschließend innerhalb der gesetzten Frist die Umsatzsteuer nachentrichtet, sodass hierdurch die Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens beseitigt wird.280 Dass bei mangelnder Leistungsfähigkeit auch im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG keine Sanktion erfolgen soll, findet in der Literatur weitgehend Zustimmung.281 Allerdings ist insoweit fraglich, welchen Anwendungsbereich diese explizite Einschränkung durch den Gesetzgeber noch haben kann, denn die fehlende Handlungsmöglichkeit ist bei Unterlassungsdelikten nach ganz herrschender Ansicht ohnehin ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung,282 sodass schon der Tatbestand grundsätzlich nicht erfüllt ist, wenn der Schuldner zum Fälligkeitszeitpunkt gar nicht in der Lage ist, seine Schuld zu begleichen. Auch durch die Rechtsprechung ist klargestellt, dass Unmögliches nicht verlangt werden kann.283 Der BGH betont den allgemeinen Grundsatz, dass bei einem echten Unterlassungsdelikt die ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung vorliegen müsse, dass die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht dem Handlungspflichtigen „möglich und zumutbar“ sein müsse.284 Gleichzeitig wird angemerkt, dass eine Tatbestandsverwirklichung ggf. auch im Falle der Unmöglichkeit, insbesondere fehlenden Zahlungsfähigkeit, im Fälligkeitszeitpunkt nach den Grundsätzen der omissio libera in causa möglich sei, da sein pflichtwidriges Verhalten praktisch vorverlagert sei.285 Insoweit sollen nach herrschender Meinung auch im Rahmen des § 26b UStG die allgemeinen Grundsätze eines Unterlassungsdelikts gelten.286
280 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471 S. 8 liSp. 281 Vgl. Bunjes-Leonard, § 26b Rn. 6; Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 27; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 337; Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 23; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 44; Reiß/ Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 10; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 49; Wannemacher-Traub, Rn. 1357; a. A.: Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 22; Stadie, UStG §§ 26b, 26c Rn. 6. 282 Exemplarisch Schönke/Schröder-Stree/Bosch, Vor § 13 Rn. 141, a. A. wohl für den Fall des echten Unterlassungsdelikts Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 22. 283 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2481. 284 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2481; ebenso bereits BGH, Urt. v. 18.11.1997 – VI ZR 11/97, NJW 1998, 1306. 285 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2481. 286 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 23; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 44; Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 440.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Im Folgenden werden daher zunächst die dogmatische Begründung, Anwendungsbereich und Voraussetzungen der Grundsätze der omissio libera in causa im Allgemeinen dargestellt, sodann deren Anwendbarkeit auf den Fall der Zahlungsunfähigkeit am Beispiel des in Rechtsprechung und Literatur intensiv diskutierten Falls des § 266a StGB hinterfragt und am Ende die Frage gestellt, ob die zu § 266a StGB entwickelten Lösungsansätze auf die strukturell vergleichbaren §§ 26b, 26c UStG übertragen werden können.
I. Grundsatz der Möglichkeit der Vornahme der gebotenen Handlung Voraussetzung des Unterlassens287, und damit auch der Unterlassensstrafbarkeit, ist die individuelle (physische-reale) Handlungsfähigkeit.288 Dabei kommt es auf die konkrete Situation an, in der sich der Gebotsadressat befindet, d. h. die Handlungsunfähigkeit ist gegeben, wenn jemand in der konkreten Situation keine zielführende Handlung zur Gebotserfüllung vornehmen kann.289 Im Falle einer tatsächlichen Handlungsunfähigkeit liegt daher schon gar kein Unterlassen an sich vor. Teilweise wird auch allgemeiner formuliert, dass eine Unrechtsverwirklichung objektiv nicht vorliege, wenn die Pflichterfüllung unmöglich ist.290 Jedenfalls ist in diesem Falle der Tatbestand des Unterlassungsdelikts nicht erfüllt.291 Eine andere Konstellation ist die Frage der rechtlichen Unmöglichkeit der Vornahme der gebotenen Handlung. Diese soll nach verbreiteter Ansicht im Schrifttum keinen Fall der Handlungsunfähigkeit darstellen, da lediglich die Berechtigung zur Vornahme der Handlung, nicht aber die tatsächliche Vollzugsmöglichkeit entfalle.292 Es soll also begrifflich – anders als bei fehlender Handlungsmöglichkeit – zunächst ein Unterlassen vorliegen.293 Die konkrete Behandlung der Fälle der „rechtlich unmöglichen Handlung“ ist allerdings umstritten. Zwar besteht wohl Einigkeit dahingehend, dass kein strafbares Unterlassungsdelikt begeht, wer eine verbotene, also rechtlich unmögliche Handlung unter287 Dies gilt für echte wie für unechte Unterlassungsdelikte, vgl. Satzger, Jura 2006, 513, 516; zu den Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit Roxin, AT II § 31 Rn. 8 ff. 288 BGH, Urt. v. 21.12.1951 – 1 StR 431/51; BGHSt 2, 129, 133; BGH, Beschl. v. 17.2.1954 – GSSt 3/53; Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 23; Reiß/ Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 10; Schönke/Schröder-Stree/Bosch, Vor § 13 Rn. 141; Wannemacher-Traub, Rn. 1357; Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, § 15 Rn. 15; Roxin, AT II § 31 Rn. 8; Renzikowski, FS Weber (2004), S. 333, 336; Satzger, Jura 2006, 513, 516. 289 Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, AT § 15 Rn. 15; Roxin, AT II § 31 Rn. 9. 290 Vgl. Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 23. 291 Wannemacher-Traub, Rn. 1357. 292 Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, § 15 Rn. 18; Roxin, AT II § 31 Rn. 14. 293 Roxin, AT II § 31 Rn. 14.
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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lässt.294 Teilweise wird davon ausgegangen, dass es mangels bestehender Erfolgsabwendungspflicht an der „Tatbestandsmäßigkeit des Unterlassens“ fehle.295 Zum Teil wird angenommen, dass die Nichtvornahme einer verbotenen Handlung zwar tatbestandsmäßiges Unterlassen, nicht jedoch rechtswidrig sei.296 Eine weitere Fallgruppe stellt der Fall der Unzumutbarkeit der Vornahme der gebotenen Handlung dar. Hier ist umstritten, ob sich dies auf TatbestandsRechtswidrigkeits- oder Schuldebene auswirkt, jedenfalls bei echten Unterlassungsdelikten soll dies jedoch Auslegungsfrage im Rahmen der einzelnen Delikte sein.297 Für den Fall der tatsächlichen Unmöglichkeit wird in Fällen der Handlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt des tatbestandlichen Handlungsgebots allerdings diskutiert, inwiefern eine Strafbarkeit aufgrund eines Vorverhaltens dennoch möglich ist. Die Grundsätze der Unmöglichkeit gelten für echte und unechte Unterlassungsdelikte gleichermaßen.298
II. Grundsätze der omissio libera in causa Sowohl bei den echten als auch bei den unechten Unterlassungsdelikten soll eine Strafbarkeit trotz Vorliegens von Handlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt des Handlungsgebots nach den Grundsätzen der omissio libera in causa möglich sein.299 Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Strafbarkeit aufgrund der omissio libera in causa und ihre dogmatische Begründung sind in der Literatur in hohem Maße umstritten; im Ergebnis wird sie als Rechtsfigur aber von der Rechtsprechung300 und weiten Teilen der Literatur akzeptiert.301
294 Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, § 15 Rn. 18; Renzikowski, FS Weber (2004), S. 333, 334; Wegner, wistra 1998, 283, 290; Bente, Strafbarkeit des Arbeitgebers (1992), S. 62. 295 Roxin, AT II § 31 Rn. 14. 296 Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, § 15 Rn. 18. 297 Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, § 15 Rn. 19. 298 Schönke/Schröder-Stree/Bosch, Vor § 13 Rn. 140; Renzikowski, FS Weber (2004), S. 333, 336. 299 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2481; Wannemacher-Traub, Rn. 1358; Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, § 15 Rn. 28; Kühl, AT § 18 Rn. 12; Roxin, AT II § 31 Rn. 103, 104. 300 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2481. 301 Lackner/Kühl-Kühl, StGB § 13 Rn. 3; Schönke/Schröder-Stree/Bosch, Vor § 13 Rn. 144; Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, AT § 15 Rn. 28 ff.; Roxin, AT II § 31 Rn. 105; Satzger, Jura 2006, 513, 517; Tag, JZ 2005, 1118, 1119; Bente, Strafbarkeit des Arbeitgebers S. 63 ff.; Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen S. 148; Tag, Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (1994), S. 121 ff.; sehr krit.: Rönnau, wistra 1997, 13, 14; de lege lata ebenfalls krit.: NK-Wohlers/Gaede, § 13 Rn. 13; ablehnend Baier, GA 1999, 272, 283.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Den verbreiteten Schulfall zu dieser Rechtsfigur bildet der Weichenwärter, der sich bis zur Handlungsunfähigkeit betrinkt und deshalb eine Weiche nicht mehr umzustellen vermag, wodurch bei einem späteren Zusammenstoß von Zügen mehrere Menschen ums Leben kommen.302 Dass er die Schranke zu dem Zeitpunkt, zu dem eine Pflicht hierzu bestand, nicht mehr bediente, kann ihm nicht vorgeworfen werden, sodass der Tatbestand mangels physisch-realer Handlungsfähigkeit entfällt. Die Art und Weise, durch die die Handlungsunfähigkeit herbeigeführt wurde, ändert nichts an der Unmöglichkeit der Vornahme der Handlung zum maßgeblichen Zeitpunkt.303 Allerdings wird an das Sich-Betrinken als vorwerfbare Handlung angeknüpft, wodurch es schließlich dennoch zu einer Strafbarkeit kommen soll.304 Es wird also der Fall erfasst, in dem der Täter sich durch positives Tun bereits im Vorfeld vorwerfbar außer Stande gesetzt hat, eine erst zu einem späteren Zeitpunkt bestehende Handlungspflicht zu erfüllen.305 Obgleich das strafrechtlich zugerechnete Verhalten also nur in aktivem Tun besteht, wird ein Unterlassungsdelikt, ein „Unterlassen durch Tun“, angenommen („omissio per commissionem“).306 Ebenso ist der Fall denkbar, dass es pflichtwidrig unterlassen wurde, die Handlungsfähigkeit herbeizuführen („omissio libera in omittendo“). Parallel zu den Bedenken bei der Figur der actio libera in causa307 wird auch die omissio libera in causa zum Teil gänzlich abgelehnt.308 Während bei der actio libera in causa das Koinzidenzerfordernis im Rahmen des § 20 StGB problematisch ist, stellt sich bei der omissio libera in causa schon auf Tatbestandsebene das Problem, dass die physisch-reale Handlungsfähigkeit zum Zeitpunkt des Bestehens der Handlungspflicht vorliegen muss.309 Die wohl herrschende Meinung in der Literatur sowie der Rechtsprechung gehen allerdings von der prinzipiellen Zulässigkeit der Strafbarkeit aufgrund der omissio libera in causa aus.310 302 Vgl. Roxin, AT II § 31 Rn. 103; Roxin, FS Engisch (1969), S. 380, 383, der in diesem Zusammenhang v. Overbeck als Schöpfer der Rechtsfigur erwähnt; Bertel, JZ 1965, 53. 303 Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, AT § 15 Rn. 21. 304 Roxin, AT II § 31 Rn. 103. 305 Lackner/Kühl-Kühl, StGB § 13 Rn. 3; Tag, JZ 2005, 1118, 1119. 306 SK-Rudolphi/Stein, Vor § 13 Rn. 79; Kindhäuser, StGB § 13 Rn. 83; Roxin, AT II § 31 Rn. 103; im Erg. auch Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, AT § 15 Rn. 30, der allerdings darauf hinweist, dass zunächst zu prüfen sei, ob nicht das aktive Vorverhalten selbst bereits als Begehungsdelikt strafbar ist; vgl. zu Nutzen und Schwierigkeiten der Figur der Unterlassung durch Tun insgesamt Samson, FS Welzel (1974), S. 579, 580 ff. 307 Zur Vergleichbarkeit der Figuren der actio libera in causa und der omissio libera in causa Fischer, § 13 Rn. 79; Baier, GA 1999, 272, 278. 308 Renzikowski, FS Weber (2004), S. 333, 339; Baier, GA 1999, 272, 283. 309 Vgl. Satzger, Jura 2006, 513, 516, 517, der darauf hinweist, dass das Erfordernis der Koinzidenz bei der Handlungsfähigkeit zwar nicht ausdrücklich normiert ist, allerdings ebenfalls aus dem Schuldprinzip folge.
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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Häufig wird das Bestehen der Rechtsfigur schlicht ohne weitere Begründung vorausgesetzt, jedoch bestehen verschiedene Begründungsansätze für diese strafrechtliche Anknüpfung, über die im Folgenden ein kurzer Überblick gegeben werden soll. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Bezeichnungen nicht einheitlich sind und sich eine überblicksartig ausgestaltete Kategorisierung der einzelnen Ansätze aufgrund teils geringfügigster Abweichungen in den Begründungen naturgemäß nicht allen Einzelheiten der Herleitungsansätze gerecht werden kann. 1. Ableitung der Modelle der omissio libera in causa von den Begründungsansätzen zur actio libera in causa Aufgrund der dogmatischen Nähe der omissio libera in causa zur actio libera in causa311 wird angedacht, anhand der gleichen Begründungsansätze auch eine Zulässigkeit der Grundsätze der omissio libera in causa herzuleiten. Zunächst sollen daher die Ansätze in Bezug auf die actio libera in causa dargestellt werden, um sodann die einzelnen Ausprägungen und von der actio libera in causa abweichende Besonderheiten in Bezug auf die omissio libera in causa zu hinterfragen. a) Die unterschiedlichen Ausprägungen der Tatbestandslösung Eine Reihe von Begründungsansätzen kann grob unter dem Stichwort Tatbestandslösung zusammengefasst werden, wenn auch die dogmatischen Ansatzpunkte im Detail divergieren. aa) Begründung Die Rechtsprechung312 und die wohl herrschenden Lehre313 zieht zur Begründung die sog. Tatbestandslösung (zum Teil in der zuerst genannten Ausprägung auch als Vorverlagerungsmodell bezeichnet)314 heran, nach der letztlich eine Vorverlagerung des tatbestandlichen Verhaltens angenommen wird.315 Bereits das Verhalten, durch das die Schuldunfähigkeit herbeigeführt wird, soll auch den Be310 Lackner/Kühl-Kühl, StGB § 13 Rn. 3; Schönke/Schröder-Stree/Bosch, Vor § 13 Rn. 144; Baumann/Weber/Mitsch-Mitsch, AT § 15 Rn. 28 ff.; Roxin, AT II § 31 Rn. 105; Satzger, Jura 2006, 513, 517; Tag, JZ 2005, 1118, 1119; Bente, Strafbarkeit des Arbeitgebers S. 63 ff.; Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen S. 148; Tag, Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (1994), S. 121 ff. 311 Vgl. hierzu auch Satzger, Jura 2006, 513, 517. 312 BGH, Urt. v. 22.8.1996 – 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235. 313 Baumann/Weber/Mitsch-Weber, § 19 Rn. 35; Roxin, AT I § 20 Rn. 58; einschränkend Fischer, § 20 Rn. 52; SK-Rudolphi, § 20 Rn. 28d; vgl. auch Rönnau, wistra 1997, 13, 14, der der Figur selbst aber kritisch gegenübersteht. 314 Baumann/Weber/Mitsch-Weber, § 19 Rn. 35. 315 BGH, Urt. v. 23.11.1951 – 2 StR 491/51, BGHSt 2, 15, 17; BGH, Urt. v. 22.8.1996 – 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235; SK-Rudolphi, § 20 Rn. 28a, 28e; Baumann/
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
ginn der tatbestandsmäßigen Handlung darstellen. Dieses Begründungskonzept wird jedenfalls im Rahmen der actio libera in causa von der Rechtsprechung angenommen316 und entspricht auch der wohl herrschenden Ansicht im Schrifttum317. Sowohl die Bezeichnungen als auch Begründung und Grenzen unterscheiden sich dabei in der Literatur,318 wobei all diese Konzepte grundsätzlich auf die zeitliche Ausdehnung nach vorn oder aber die tatsächliche Vorverlagerung der Tatbestandsmäßigkeit gerichtet sind. Dabei wird von einigen Autoren vertreten, dass sich das Vorverhalten, an das angeknüpft wird, bereits als Versuchshandlung darstellen müsse.319 Allerdings soll dann – ähnlich wie beim Versuchsbeginn im Rahmen der mittelbaren Täterschaft – der Versuch bei der actio libera in causa dann beginnen, wenn der Täter sich selbst in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt.320 Diese Begründung ist gedanklich an dem Modell der mittelbaren Täterschaft orientiert.321 Nach leicht divergierender anderer Ansicht soll es schlicht ausreichen, dass eine noch im Zustand der Schuldfähigkeit stattfindende den Erfolg verursachende Handlung vorliegt.322 Im Ergebnis unterscheiden die beiden Ansätze sich nicht. In beiden Fällen muss noch nicht unmittelbares Ansetzen zur im Delikt beschriebenen tatbestandlichen Handlung vorliegen, sondern der „Versuchsbeginn“ liegt im „Schuldunfähigmachen“ der eigenen Person. Denn hierdurch werde bereits das unerlaubte Risiko begründet.323 Nicht anwendbar sein soll die actio libera in causa auf eigenhändige Delikte,324 strittig ist dies bei reinen Tätigkeitsdelikten, die nicht zugleich eigenhändige Delikte sind.325
Weber/Mitsch-Weber, § 19 Rn. 35; Maurach/Zipf, AT/1 § 36 Rn. 54 ff.; Roxin, AT I § 20 Rn. 58; Roxin, FS Lackner (1987), S. 307, 311; explizit zur omissio libera in causa Wannemacher-Traub, Rn. 1358, 1359, der von der tatbestandlichen Vorverlagerung als Begründung für die omissio libera in causa ausgeht, die Rechtsfigur jedenfalls bei echten Unterlassungsdelikten selbst allerdings kritisch sieht. 316 BGH, Urt. v. 20.10.1976 – 3 StR 329/76, NJW 1977, 590; eine Ausnahme gilt nur für eigenhändige Delikte, vgl. zur Nichtanwendbarkeit der actio libera in causa auf Straßenverkehrsdelikte BGH, Urt. v. 22.8.1996 – 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235. 317 Baumann/Weber/Mitsch-Weber, § 19 Rn. 35; Roxin, AT I § 20 Rn. 58; Maurach, JuS 1961, 373, 374; vgl. auch Fischer, § 20 Rn. 52; SK-Rudolphi, § 20 Rn. 28d; krit.: Rönnau, wistra 1997, 13, 14; Baier, GA 1999, 272, 281. 318 Vgl. Übersicht bei Fischer, § 20 Rn. 53. 319 Roxin, AT I § 20 Rn. 60. 320 Roxin, AT I § 20 Rn. 60. 321 Vgl. dazu sogleich. 322 LK-Schoch, § 20 Rn. 198; SK-Rudolphi, § 20 Rn. 28d; Baumann/Weber/MitschWeber, § 19 Rn. 35. 323 SK-Rudolphi, § 20 Rn. 28d. 324 Allg. Ansicht, vgl. BGH, Urt. v. 22.8.1996 – 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235; Fischer, § 20 Rn. 54; SK-Rudolphi, § 20 Rn. 28d; Rönnau, JA 1997, 707, 709. 325 Für die Anwendbarkeit Roxin, AT I § 20 Rn. 62; ablehnend BGH, Urt. v. 22.8. 1996 – 4 StR 217/96, Tz. 18, BGHSt 42, 235.
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Kritik wird der Figur schon in Gestalt der actio libera in causa auch wegen des durch die Vorverlagerung entstehenden Konflikts mit der allgemeinen Versuchsdogmatik entgegengebracht.326 Übertragen auf die omissio libera in causa würde dies bedeuten, dass bereits das „Handlungsunfähigmachen“ selbst Teil der tatbestandsmäßigen Handlung ist. Schwierig ist dabei die Abgrenzung, ab welchem Zeitpunkt dieses „Handlungsunfähigmachen“ als tatbestandsmäßige Handlung angesehen werden kann, wann also ein solch enger Zusammenhang besteht, dass das Begeben der Handlungsunfähigkeit bereits der Tatbestandsausführung zugerechnet werden kann. Zum Teil wird die Tatbestandslösung bei der actio libera in causa auch über das Modell der mittelbaren Täterschaft begründet.327 Im Rahmen der vorwerfbaren Herbeiführung der Handlungsunfähigkeit wird die Frage aufgeworfen, ob dies auch zur Herleitung der omissio libera in causa dienlich sein kann.328 Dieser Begründungsansatz ist im Rahmen der actio libera in causa ein Unterfall der Tatbestandslösung, der teilweise jedenfalls ergänzend zur Begründung herangezogen wird.329 Danach verwendet der handlungsfähige Täter sich selbst als (im Fall der omissio libera in causa handlungs-)unfähiges Werkzeug, handelt also als mittelbarer Täter durch sich selbst. Allerdings werden diesem Modell – wie auch schon im Rahmen der actio libera in causa330 – Bedenken entgegengebracht. Hauptargument ist der Wortlaut des § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB, der eine Begehung „durch einen anderen“ verlangt; diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Täter sich quasi selbst „benutzt“.331 Im Rahmen der omissio libera in causa werden die Bedenken in keiner Weise abgemildert, sodass sie hier gleichfalls durchgreifen. Vielmehr soll im Rahmen der omissio libera in causa sogar die zusätzliche Problematik bestehen, dass „ein handlungsunfähiges ,Etwas‘ schon begrifflich kein Werkzeug sein“ könne.332 bb) Voraussetzungen Erforderlich sein soll im Rahmen der actio libera in causa ein „Doppelvorsatz“, das heißt es soll erforderlich sein, dass noch im Zustand der Schuldfähigkeit sowohl Vorsatz hinsichtlich des Versetzens in den Zustand der Schuldunfä326
Rönnau, JA 1997, 707, 709. In diese Richtung BGH, Urt. v. 22.8.1996 – 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235; LKSchoch, § 20 Rn. 198; Roxin, AT I § 20 Rn. 60. 328 Die Überlegung anstellend Baier, GA 1999, 272, 279 f.; in diese Richtung wohl Tag, Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (1994), S. 118. 329 In diese Richtung jedenfalls Roxin, AT I § 20 Rn. 65. 330 Baier, GA 1999, 272, 280; Salger/Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 565. 331 Baier, GA 1999, 272, 280; Rath, JuS 1995, 405, 409 f.; Rönnau, JA 1997, 707, 710. 332 Satzger, Jura 2006, 513, 518; im Ergebnis auch Baier, GA 1999, 272, 280. 327
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higkeit als auch Vorsatz in Bezug auf die spätere Tatbegehung im Zustand der Schuldunfähigkeit gegeben ist.333 Für den Fall, dass man davon ausgeht, dass Tatbegehung nur die Durchführung der tatbestandsmäßigen Handlung ist, folgt das Erfordernis des Doppelvorsatzes daraus, dass dies die „vorwerfbare Willensbeziehung“ zwischen den genannten Handlungen charakterisiert.334 Bezüglich beider Vorsatzerfordernisse soll dabei dolus eventualis ausreichend sein, wobei bezüglich des Delikts selbst die Begehung zwar noch nicht in allen Einzelheiten konkretisiert, wohl aber seiner Art nach bereits bestimmt sein müssen soll.335 Zum Teil wird allerdings – als Ausdruck genereller Kritik am Tatbestandsmodell – auch der Doppelvorsatz als nicht ausreichend erachtet, da es sich beim Vorsatz im Hinblick auf die spätere Ausführung der tatbestandlichen Handlung um einen unbeachtlichen dolus antecedens handele.336 cc) Konsequenzen für die Voraussetzungen der omissio libera in causa Übertragen auf die Situation bei der omissio libera in causa337 würde dies bedeuten, dass der Täter zu einem Zeitpunkt, zu dem er noch handlungsfähig ist, vorsätzlich eine Handlung vornimmt, die zu seiner Handlungsunfähigkeit führen wird, und bereits zu diesem Zeitpunkt Vorsatz in Bezug auf das spätere tatbestandliche Unterlassen hat. Eine pflichtwidrige Vorfeldhandlung kann daher nur dann zu einer Strafbarkeit nach den Grundsätzen der omissio libera in causa führen, wenn der Täter jedenfalls dolus eventualis dahingehend hatte, dass seine Handlung ihn in den Zustand der Handlungsunfähigkeit versetzen wird und er ebenfalls bereits mit dolus eventualis davon ausgeht, dass in diesen Zustand der Handlungsunfähigkeit sein im Unterlassenstatbestand normiertes Handlungsgebot fallen wird, dem er nicht mehr wird nachkommen können. dd) Kritik An der Tatbestandslösung wird allerdings kritisiert, dass durch das Rekurrieren auf das Vorverhalten als Beginn der tatbestandsmäßigen Handlung zwar zutref333 BGH, Urt. v. 23.11.1951 – 2 StR 491/51, BGHSt 2, 15, 17; BGH, Urt. v. 21.10. 1970 – 2 StR 313/70, BGHSt 23, 356; BGH, Urt. v. 20.10.1976 – 3 StR 329/76, NJW 1977, 590; Fischer, § 20 Rn. 50; Lackner/Kühl-Kühl, StGB § 20 Rn. 26; LK-Schöch, § 20 Rn. 205; Schönke/Schröder-Perron, § 20 Rn. 36; SK-Rudolphi, § 20 Rn. 30, Roxin, AT I § 20 Rn. 65, 70; explizit auch in Bezug auf die omissio libera in causa Tag, Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (1994), S. 124. 334 Schönke/Schröder-Perron, § 20 Rn. 36. 335 BGH, Urt. v. 20.10.1976 – 3 StR 329/76, NJW 1977, 590; Schönke/SchröderPeron, § 20 Rn. 37. 336 Rönnau, wistra 1997, 13, 14. 337 Die Übertragbarkeit des zur actio libera in causa entwickelten Tatbestandsmodells auf die omissio libera in causa verneinend Hellmann, JZ 1997, 1005 f.
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fend festgestellt werde, dass das betreffende Vorverhalten die Ursache für den späteren Taterfolg gesetzt habe, allerdings nicht einzusehen sei, weshalb hierdurch gleichsam übergangen werde, dass bei später folgenden „tatunmittelbareren“ Ursachen die Handlungsunfähigkeit gerade nicht mehr vorliege.338 Dies wiege im Rahmen der omissio libera in causa sogar noch schwerer als bei der actio libera in causa. Denn aufgrund des Erfordernisses des Hinzudenkens einer gebotenen Handlung könne die Kausalität nur hypothetisch ermittelt werden („Quasikausalität“).339 Zusätzliche Probleme ergeben sich jedenfalls dann, wenn man die Vorfeldhandlung als eine Art „unmittelbares Ansetzen“ ansieht, darüber hinaus bei Delikten, bei denen keine Versuchsstrafbarkeit besteht.340 Auch in Fällen des Rücktritts vom Versuch sieht dieses Modell sich Widersprüchen ausgesetzt.341 Im Übrigen werden allgemeine Bedenken aufgrund der Vorverlagerung geäußert, da die Anknüpfung an ein Verhalten des Täters zu einem Zeitpunkt stattfindet, zu dem ihn noch keinerlei Rechtspflichten zu einem bestimmten Verhalten trafen.342 Auch bestehen jedenfalls im Bereich der eigenhändigen Delikte auch die im Zusammenhang mit der actio libera in causa von der Rechtsprechung343 angesprochenen Bedenken.344 Zudem wird kritisiert, dass jegliche zeitliche Eingrenzung des Zeitpunkts, von dem an das Strafrecht an ein Verhalten im Vorfeld der Tatbestandserfüllung anknüpfen könnte, sich letztlich als willkürlich erweise.345 Jedenfalls müsse die zeitliche Reichweite der „tatbestandsmäßigen Situation“ festgelegt werden, um der zeitlichen Vorverlagerung der Strafbarkeit Grenzen zu setzen.346 b) Die unterschiedlichen Ausprägungen des Ausnahmemodells Nach dem im Rahmen der actio libera in causa in Betracht gezogenen Ausnahmemodell soll eine Bestrafung des Täters, der die Schuldunfähigkeit seiner vorsätzlich und rechtswidrig begangenen Handlung in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat, dennoch möglich sein, indem eine Ausnahme von § 20 StGB gemacht wird.347 Die mangelnde Schuld zum Zeitpunkt der Tatbegehung soll dadurch aus338
Baier, GA 1999, 272, 281. Baier, GA 1999, 272, 281. 340 Rönnau, wistra 1997, 13, 14; Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 145. 341 Fischer, § 20 Rn. 52. 342 Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 146. 343 BGH, Urt. v. 22.8.1996 – 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235. 344 Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 146. 345 Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 146. 346 Rönnau, wistra 1997, 13, 14. 347 Hruschka, JZ 1996, 64, 65; Hruschka, JZ 1997, 22 ff.; ähnlich Kindhäuser, Gefährdung als Straftat (1989), S. 120 ff. 339
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
geglichen werden, dass der Täter mit Blick auf diese Tat sich seiner Einsichtsoder Steuerungsfähigkeit schuldhaft begeben hat.348 Allerdings soll eine Bestrafung bei Tatbegehung im Zustand der Schuldunfähigkeit nach den Grundsätzen der actio libera in causa aufgrund der Annahme einer Ausnahme vom Schuldprinzip auch nach Ansicht der Befürworter des Ausnahmemodells nur dann möglich sein, wenn der Gesetzgeber eine entsprechende Ausnahmeregelung in § 20 StGB festschreibt. Eine Bestrafung nach alic-Grundsätzen aufgrund des derzeitigen Gesetzesstands verstoße gegen den nullum crimen sine lege – Grundsatz in Art. 103 Abs. 2 GG.349 Außerdem stehe die Auslegung auch in Konflikt mit dem Schuldprinzip.350 De lege lata wird daher – soweit ersichtlich – nicht mehr von einer Begründbarkeit aufgrund des Ausnahmemodells ausgegangen. Auch für eine Begründung der omissio libera in causa nach diesen Grundsätzen soll es an einer gesetzlichen Grundlage fehlen.351 Leichte Abwandlungen dieses Modells finden sich in einem Modell, das sich über den Wortlaut des § 20 StGB dahingehend hinwegsetzen will, dass die Voraussetzung „bei Begehung der Tat“ als „bezüglich Begehung der Tat“ gelesen wird, sodass statt der zeitlichen Koinzidenz eine normative Assoziation geschaffen wird.352 Jerouschek selbst, der dieses Modell befürwortet, sieht es allerdings nicht als eine Ausgestaltung des Ausnahmemodells an, sondern als eine Auslegung des Zurechnungsmoments.353 Auch dieser Ansatz begegnet allerdings dem Problem, dass die Auslegung über den Gesetzeswortlaut hinausgeht und folglich im Hinblick auf Art. 103 II GG nicht haltbar ist. c) Das Ausdehnungsmodell Zur actio libera in causa wird weiterhin das Ausdehnungsmodell vertreten, nach dem der Begriff der Tatbegehung letztlich über die Begehung des Unrechtstatbestands hinausgehend verstanden werden soll.354 Dabei ist eine gewisse Nähe zum Ausnahmemodell insbesondere in der von Jerouschek vertretenen Variante nicht zu übersehen.355 Es weist aber auch Parallelen zum Tatbestandsmodell auf 348
Vgl. Schönke/Schröder-Perron, § 20 Rn. 35a m.w. N. Hruschka, JZ 1996, 64, 68. 350 BGH, Urt. v. 22.8.1996 – 4 StR 217/96, Tz. 22, BGHSt 42, 235; Roxin, AT I § 20 Rn. 57. 351 Renzikowski, FS Weber (2004), S. 333, 343. 352 Jerouschek, FS Hirsch S. 241, 257; Jerouschek, JuS 1997, 385, 388, der zur Verdeutlichung dieser Zurechnungskomponente auch den Ausdruck „Relationstheorie“ gebrauchen möchte. 353 Jerouschek, JuS 1997, 385, 388. 354 MüKo StGB-Streng, § 20 Rn. 128 ff.; Streng, ZStW Bd. 101 (1989), 273, 310 ff.; Streng, JZ 1994, 709, 711 ff.; Streng, JZ 2000, 20, 22 ff. 355 In diese Richtung auch MüKo StGB-Streng, § 20 Rn. 140. 349
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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und wird daher teilweise auch als eine Art „modifiziertes Tatbestandsmodell“ angesehen.356 Es soll sich nach Ansicht der Befürworter aber dennoch um einen eigenständigen Begründungsansatz handeln. Dabei wird das Sichversetzen in den Zustand der Schuldunfähigkeit zwar grundsätzlich – anders als nach dem Tatbestandsmodell – als bloße Vorbereitungshandlung verstanden.357 Wenn zu einem späteren Zeitpunkt im Zustand des § 20 StGB der Täter allerdings das Delikt begeht, so findet die Schuldzurechnung über eben diese Vorbereitungshandlung statt, die Vorbereitung erlangt dann „Schuldrelevanz“.358 Dabei soll die Schuld normativ-wertend zugeschrieben werden, diese Wertung lasse sich nicht auf den Zeitpunkt der Tatausführung begrenzen.359 Folglich wird in diesem Fall nicht der Deliktstatbestand, sondern vielmehr der Schuldtatbestand letztlich ausgedehnt.360 Zur Begründung für die Einschränkung der zeitlichen Komponente der Zurechnung verweisen die Befürworter dabei auf §§ 17 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StGB, denn auch bei diesen Normen schlage das „Vorverschulden“ des irrig Handelnden auf die strafrechtliche Bewertung seines Handelns durch.361 Hiergegen wird jedoch zu Recht eingewandt, dass die Tat im Sinne des § 20 StGB nur im Sinne des Unrechtstatbestands verstanden werden könne.362 Letztlich würde auch mit diesem Modell lediglich in anderer Umschreibung die Tatbestandsverwirklichung vorverlagert.363 In noch größerem Maße würde diese Kritik bei Übertragung des Ausnahmemodells auf die omissio libera in causa durchgreifen, denn eine „normativ-wertende Zurechnung“ der Handlungsfähigkeit auf einen späteren Zeitpunkt ist schon denklogisch kaum durchführbar. 2. Eigenständige Begründungsansätze für die omissio libera in causa Allen soeben genannten Begründungsansätzen ist gemein, dass sie letztlich von den Modellen zur Begründung der Rechtsfigur der actio libera in causa abgeleitet sind. Es werden darüber hinaus auch „originäre“ Begründungskonzepte zur omissio libera in causa vorgeschlagen.364
356
LK-Schöch, § 20 Rn. 200. Streng, JZ 1994, 709, 712. 358 Streng, JZ 1994, 709, 712. 359 MüKo StGB-Streng, § 20 Rn. 128. 360 MüKo StGB-Streng, § 20 Rn. 133. 361 MüKo StGB-Streng, § 20 Rn. 128; Streng, JZ 1994, 709, 712. 362 Roxin, AT I § 20 Rn. 68. 363 Roxin, AT I § 20 Rn. 68, der insofern von einem „terminologischen Trick“ spricht. 364 Vgl. Baier, GA 1999, 272, 279. 357
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
a) Dispositionsmöglichkeit über eigene Handlungen Ein Ansatz findet sich in der erweiterten Auslegung des Begriffs der Handlungsmöglichkeit. Eine Handlungsmöglichkeit soll – anders als nach den allgemeinen Grundsätzen – dann bestehen, wenn der Pflichtige über sie disponieren kann, wenn „die Bedingungen [der Handlungsmöglichkeit] durch eigenes Verhalten des Nichthandelnden beherrschbar sind“.365 Dieser Ansatz sieht sich allerdings ähnlicher Kritik ausgesetzt wie die Modelle, die sich an den Begründungen zur actio libera in causa orientieren. So wird das Merkmal der Dispositionsfreiheit als „reine Fiktion“ bezeichnet366, da zum fraglichen Zeitpunkt der Nichtvornahme die Handlungsfähigkeit schlicht nicht mehr vorgelegen habe. Daher sollen die Bedenken gegen die actio libera in causa im Hinblick auf das Koinzidenzprinzip hier in gleichem Maße durchgreifen.367 Letztlich findet hier ebenfalls eine zeitliche Vorverlagerung statt. Denn die Frage, zu welchem Zeitpunkt der später Handlungsverpflichtete über seine Handlungsmöglichkeit nicht mehr frei disponieren darf, führt gleichfalls zu einer Vorverlagerung der Handlungspflichten. Der Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit wird damit in der letzten Konsequenz ebenfalls in das Vorfeld des normierten Handlungsgebots vorverlagert. b) Ingerenzhaftung/Pflichtlösung Einen weiteren „originären“ Begründungsansatz findet sich in Vorverschuldenstheorie, nach der dem Täter eine Ingerenzhaftung für seinen eigenen Körper auferlegt wird.368 Aus dieser Haftung soll sich eine Pflicht ergeben, die eigene Schuld- und Handlungsfähigkeit zu erhalten. Das Modell könne daher sowohl zur Begründung der omissio libera in causa als auch für die Begründung der actio libera in causa nutzbar gemacht werden.369 Der Theorie liegt die Auffassung zu Grunde, dass der Ingerenzgedanke bereits im Vorfeld der Tat Kraft entfalte und dort eine Pflicht zur Gefahrvermeidung begründe.370 Ähnlich argumentieren die Vertreter der sog. Pflichtlösung.371 Nach diesem Ansatz soll die Handlungspflicht des Täters nicht nur in der tatbestandlich geforderten Handlung bestehen, sondern gleichfalls eine Pflicht dazu vorliegen, sich die Handlungsfähigkeit bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die tatbestandliche Pflicht
365 366 367 368 369 370 371
Struensee, FS Stree/Wessels (1993), 133, 151. So Baier, GA 1999, 272, 279. Baier, GA 1999, 272, 279. Behrendt, Affekt und Vorverschulden (1983), S. 77 ff., 90 ff. Vgl. Baier, GA 1999, 272, 279. Behrendt, Affekt und Vorverschulden (1983), S. 91, 98 f. Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 143, 148.
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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gegenwärtig wird, zu bewahren.372 Diese ursprünglich von Armin Kaufmann begründete Ansicht373 wird zum Teil in leicht modifizierter Form auch von anderen Autoren angenommen,374 wenn auch nicht immer unter dem Titel der omissio libera in causa.375 Dabei gehen die Befürworter davon aus, dass die Strafbarkeit nur gegeben sein könne, wenn bereits zum Zeitpunkt des Beginns der Pflichtwidrigkeit, also zu dem Zeitpunkt, zu dem das die Handlungsunfähigkeit begründende pflichtwidrige „Vorverhalten“ 376 stattfindet, Vorsatz bezüglich der späteren Verwirklichung des Tatbestands besteht.377 Eine besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang auch das Erfordernis der Kausalität des Vorverhaltens für die spätere Tatbestandserfüllung.378 Diesem Konzept wird entgegengehalten, dass die Entwicklung einer solchen Garantenstellung letztlich zu einer „Garantiehaftung“ für die eigene Person führe. Sie könne jedenfalls im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte nicht herangezogen werden, da die Voraussetzungen der Entsprechensklausel im Rahmen des § 13 StGB nicht erfüllt seien und die Garantenstellung in eine „Garantiehaftung für die eigene Person“ übergeleitet werde, die den Grundsätzen des Strafrechts widersprächen.379 Im Übrigen wird auch bei diesem Ansatz wieder eben die Problematik offenbar, die sich auch bei den zuvor dargestellten Begründungskonzepten für die omissio libera in causa zeigt. Auch die Ingerenzhaftung ist letztlich nur ein „Umweg“ zur Vorverlagerung der Strafbarkeit. Es ist nicht klar zu konturieren, zu welchem Zeitpunkt die „Garantenstellung für die eigene Person“ bestehen soll. Auch die erweiternde Auslegung des Pflichtbegriffs führt letztlich zu einer Vorverlagerung der Handlungspflichten. Es besteht hier eine gewisse Parallele zur Tatbestandslösung. Grundsätzlich können dem Ansatz daher auch die gleichen Bedenken entgegengebracht werden. Denn das strafrechtlich relevante Ver372 Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 143; im Erg. ebenso Hellmann/Beckemper, § 13 Rn. 852, die allerdings explizit davon ausgehen, dass dies kein Fall der – von ihnen im Übrigen kritisch gesehenen – omissio libera in causa sei. 373 So Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 143. 374 Im Grundsatz wohl auch Roxin, AT II § 31 Rn. 106, der der Handlungspflicht des Unterlassungsdelikts ein „Verbot, sich zur Erfüllung dieses Gebots unfähig zu machen oder sich ihm auf andere Wiese zu entziehen“ entnimmt; ebenso Bertel, JZ 1965, 53, 55. 375 Vgl. dazu Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 143. 376 Es ist dabei zu bedenken, dass das Verhalten bei konsequenter Anwendung der Grundsätze dieser Ansicht gar nicht als ein Vorverhalten angesehen werden kann, da es letztlich Teil der Pflicht ist. 377 Vgl. Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005). S. 144. 378 Vgl. Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 144. 379 Baier, GA 1999, 272, 279.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
halten setzt zu einem Zeitpunkt an, zu dem die Voraussetzungen des Tatbestands noch nicht gegeben sind. Ob dies durch eine zeitliche Ausweitung der tatbestandlichen Situation oder durch eine letztlich zu einer Vorverlagerung führenden Ausweitung der tatbestandsrelevanten Pflichten geschieht, ist im Ergebnis irrelevant. Denn auch die Erweiterung der Pflicht beruht letztlich auf einer Überdehnung des Tatbestands. c) Missbrauchslösung Als Alternative zu den oben angesprochenen Lösungsvarianten findet sich ein als Missbrauchslösung bezeichneter Begründungsansatz.380 Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine Begründung für die omissio libera in causa, sondern vielmehr um von diesem Modell losgelöste Wertungsgesichtspunkte. Die Vertreter lehnen eine durch die Tatbestandslösung bewirkte zeitliche Vorverlagerung ab und erachten den normierten Zeitpunkt zur Gebotserfüllung als allein maßgeblich. Allerdings soll ein „Sichberufen“ auf die Handlungsunfähigkeit verwehrt sein, wenn die Herbeiführung der Handlungsunfähigkeit vorwerfbar erfolgt sei.381 Diesem Lösungsansatz wird allerdings mit Recht entgegengehalten, dass die Vermeidung der zeitlichen Vorverlagerung letztlich nur eine scheinbare ist.382 Denn wenn die „Vorwerfbarkeit“ das entscheidende Kriterium sein soll, dann stellt sich letztlich die Frage, wann ein (Vor)Verhalten missbräuchlich ist. Hieran werden aber letztlich die gleichen weichen Kriterien geknüpft werden wie im Rahmen des Pflicht- oder der Tatbestandslösung. Es ist also auch hier ein im Vorfeld liegendes Verhalten, das zu einem Zeitpunkt stattfindet, zu dem der Täter von einem konkret normierten Gebot (noch) nicht adressiert wird, letztlich wieder Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit. Im Ergebnis sieht sich dieser Ansatz daher den gleichen Bedenken ausgesetzt wie die zuvor dargestellten Modelle. Dem Erfordernis einer verfassungskonformen Herleitung kann man sich nicht dadurch entziehen, dass man die Figur der omissio libera in causa umgeht, letztlich aber über einen Umweg zum gleichen Ergebnis gelangen will. 3. Generelle Ablehnung der Rechtsfigur der omissio libera in causa Einige Literaturvertreter lehnen die Bestrafung aufgrund der Rechtsfigur der omissio libera in causa jedenfalls bei Delikten, deren Tatbestand ein schlichtes Unterlassen beschreibt, generell ab, da eine Vorverlagerung der Tatbestandsverwirklichung auf einen Zeitpunkt stattfinde, zu dem andere Voraussetzungen des 380 Wegner, wistra 1998, 283, 289; Bezeichnung nach Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 146. 381 Wegner, wistra 1998, 283, 289. 382 So bereits Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 147.
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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gesetzlichen Tatbestands noch gar nicht vorliegen und somit ein Verhalten bestraft werde, das im Deliktstatbestand gar nicht beschrieben werde.383 Dieses schlichte Unterlassen, das unter anderem im Tatbestand des § 26b UStG, der keine darüber hinausgehende Erfolgskomponente hat, tatbestandsmäßig sei, sei strukturell vergleichbar mit Tätigkeitsdelikten, sodass jedenfalls die Rechtsprechung des BGH zur Anwendung der actio libera in causa auf Straßenverkehrsdelikte384 zu übertragen sei.385 Dieser Ansicht wird von anderer Seite entgegengehalten, dass eine Tatbestandsausweitung schon deshalb nicht vorliegen könne, weil bei Einschränkung eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals kein Konflikt mit der Wortlautgrenze entstehen könne.386 Dieser äußerst eigenwilligen Herabstufung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals zu einer bloßen Empfehlung haben sich – soweit ersichtlich – weitere Autoren noch nicht angeschlossen. 4. Fazit Im Ergebnis vermag daher kein Modell völlig ohne dogmatische und praktische Schwierigkeiten Herleitung und Umfang der omissio libera in causa zu begründen. Letztlich führen alle Modelle – wenn auch zum Teil anders umschrieben – zu einer Vorverlagerung der strafrechtlich relevanten Anknüpfung auf einen Zeitpunkt, zu dem ein strafrechtlich normiertes Ge- oder Verbot an den Täter noch nicht bestand. Daher ergeben sich im Grundsatz Schwierigkeiten im Hinblick auf das Simultaneitätsprinzip. Allerdings ist die Annahme einer solchen strafrechtlichen Haftung im Ergebnis durchaus vertretbar. Dass im Allgemeinen ein Bedürfnis für die Begründung einer solchen Anknüpfung an Vorfeldhandlungen gesehen wird, wird schon dadurch deutlich, dass in der Literatur trotz dogmatischer und verfassungsrechtlicher Bedenken diverse Versuche unternommen werden, ein tragfähiges Fundament für die Anknüpfung an Vorfeldhandlungen zu begründen. Die Tatbestandslösung vermag dabei einen gangbaren Weg zu vermitteln. Zwar trifft auch auf die omissio libera in causa die schon bei der actio libera in causa bei der Tatbestandslösung in Gestalt des Vorverlagerungsmodells geäußerte Kritik, dass eine Anknüpfung an ein weit vor der tatbestandsmäßigen Handlung liegendes Verhalten (actio praecedens) schon in Bezug auf die Versuchsdogmatik inkonsequent wirke,387 gleichermaßen zu. Dennoch vermag die Tatsache, dass in diesem Falle bereits das Setzen der Ursache eine bewusste Überschreitung des 383 384 385 386 387
Wannemacher-Traub, Rn. 1359. BGH, Urt. v. 22.8.1996 – 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 239. Wannemacher-Traub, Rn. 1359. Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 23. Vgl. unter D.II.1.a)dd).
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
erlaubten Risikos darstellt,388 diese Widersprüchlichkeit auszugleichen. Entscheidend ist dabei, in jedem Einzelfall ein besonderes Augenmerk auf die zeitlichen Grenzen der Vorverlagerung vorzunehmen. Eine einheitliche Grenzziehung ist dabei naturgemäß unmöglich, weshalb hierzu in der Literatur auch nur mit äußerster Zurückhaltung Stellung bezogen wird.389 Dabei ist die Frage nicht nur zeitlicher Natur, betrifft also nicht nur das Problem, wie groß die Zeitspanne zwischen Herbeiführung der Handlungsunfähigkeit und tatbestandsmäßiger Unterlassung (omissio subsequens) sein darf.390 Es kommt insbesondere auch auf die Vorhersehbarkeit nicht nur des generellen Eintretens des Handlungsgebots, sondern auch der Vorhersehbarkeit der Kausalität der actio praecedens für die spätere Handlungsfähigkeit an. In diesem Zusammenhang wird daher auch relevant, welche Zwischenschritte im Geschehen noch stattfinden, die dazu führen, dass die Vorfeldhandlung, an die angeknüpft wird, tatsächlich zur Handlungsunfähigkeit führt. Die Frage des Ausmaßes der Ausweitung der möglichen Anknüpfungshandlungen im Vorfeld ist allerdings wohl nicht generell zu beantworten, sondern Frage der Auslegung der einzelnen Unterlassenstatbestände.391 Ein weiteres besonderes Augenmerk wird in der Prüfung des Einzelfalls auf den Vorsatz bezüglich des späteren Erfolgseintritts zu richten sein.
III. Konkrete Voraussetzungen an die Handlungsfähigkeit und das vorwerfbare Außerstandesetzen im Rahmen des § 266a StGB Eben die Problematik der Handlungsunfähigkeit, nämlich des Eintritts der mangelnden Zahlungsfähigkeit, stellt sich auch im Rahmen des § 266a StGB. Es soll daher zunächst kurz dargestellt werden, wie im Rahmen dieser Delikte mit Fällen der Zahlungsunfähigkeit in Literatur und Rechtsprechung umgegangen wird um sodann die Frage aufzuwerfen, ob im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG in ähnlicher Weise vorgegangen werden kann. Auch die Strafbarkeit gemäß § 266a StGB setzt voraus, dass der Schuldner tatsächlich in der Lage ist, die Beiträge zu entrichten. Dies ist dann nicht der Fall, wenn er zahlungsunfähig ist.392 Unter Zahlungsunfähigkeit soll dabei die
388
Vgl. unter D.II.1.a)dd). So bereits Satzger, Jura 2006, 513, 517. 390 Satzger, Jura 2006, 513, 517. 391 Satzger, Jura 2006, 513, 517; ebenso Struensee, FS Stree/Wessels, S. 133, 150 f., der die omissio libera in causa allerdings für überflüssig hält. 392 BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, Tz. 25, BGHZ 133, 370; OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.6.1993 – 22 U 9/93, NJW-RR 1993, 1448; Fischer, § 266a Rn. 15; Oppenländer/Trölitzsch-Ziemons, § 27 Rn. 54 ff.; Schönke/Schröder-Perron, § 266a 389
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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tatsächliche Unfähigkeit, gerade die Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu entrichten, verstanden werden, sodass der Begriff enger wäre als der in § 17 Abs. 2 InsO.393 Eine den Tatbestand ausschließende tatsächliche Unmöglichkeit kann nur angenommen werden, wenn dem Zahlungsverpflichteten gar keine finanziellen Mittel mehr zur Verfügung stehen, um seiner Schuld nachzukommen. Denn ansonsten ist die Zahlung noch immer physisch real möglich. Eine andere Frage sind demgegenüber die Rechtsfolgen, wenn etwa nur noch begrenzte Mittel zur Verfügung stehen, mit denen nicht alle fälligen Verbindlichkeiten getilgt werden können. Zum Teil wird in diesem Fall für Einzelfälle davon ausgegangen, dass es an der Zumutbarkeit der Mittelverwendung für Zwecke der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge fehlen könne.394 Auch auf den Fall, dass zwar ausreichend Mittel vorhanden sind, um die Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten, nicht jedoch ausreichend Mittel zur Tilgung aller Verbindlichkeiten, wird im weiteren Verlauf der Arbeit395 eingegangen. 1. Tatsächlich fehlende Handlungsmöglichkeit Unproblematisch scheint zunächst der zuerst geschilderte Fall, dass überhaupt keine finanziellen Reserven mehr vorhanden sind. In diesem Fall scheidet aufgrund der fehlenden physisch-realen Handlungsmöglichkeit grundsätzlich ein tatbestandsmäßiges Verhalten aus.396 Allerdings soll es – wie soeben beschrieben – nach herrschender Ansicht auch im Falle des § 266a StGB noch nach den Grundsätzen der omissio libera in causa zu einer Strafbarkeit kommen können, wenn dem Zahlungsverpflichteten ein pflichtwidriges Vorverhalten zur Last gelegt werden kann.397 Dieses kann im Rahmen des § 266a StGB insbesondere darin zu Rn. 10; SK-Hoyer, § 266a Rn. 45; Bente, Strafbarkeit des Arbeitgebers (1992), S. 63; Tag, Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (1994), S. 116. 393 OLG Köln, Urt. v. 20.12.1996, 19 U 30/96, wistra 1997, 231; OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.7.1997 – 22 U 269–96, NJW-RR 1998, 243, 244; Fischer, § 266a Rn. 15a; Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 10; SK-Hoyer, § 266a Rn. 46; Renzikowski, FS Weber (2004), 333, 337; Plagemann, NZS 2000, 8, 10. 394 Fischer, § 266a Rn. 15a. 395 Vgl. unter D.III.2. 396 BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, Tz. 25; BGHZ 133, 370; OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.6.1993 – 22 U 9/93, NJW-RR 1993, 1448; Fischer, § 266a Rn. 15; Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 10; Bente, Strafbarkeit des Arbeitgebers (1992), S. 63; Tag, Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (1994), S. 116; allg. zum Entfallen der Tatbestandsmäßigkeit bei fehlender tatsächlicher Handlungsfähigkeit BGH, Urt. v. 21.12.1951 – 1 StR 431/51, BGHSt 2, 129; BGH, Beschl. v. 17.2.1954 – GSSt 3/53; Roxin, AT II § 31 Rn. 8. 397 BGH, Urt. v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, Tz. 16 ff., BGHZ 134, 304; Fischer, § 266a Rn. 15b; Oppenländer/Trölitzsch-Ziemons, § 27 Rn. 56; SK-Hoyer, § 266a Rn. 51; Mitsch, Strafrecht BT II/2 § 4 Rn. 19; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT II § 21 Rn. 789; Bente, Strafbarkeit des Arbeitgebers (1992), S. 65 f.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
sehen sein, dass er sich zu einem Zeitpunkt, in dem noch (begrenzte) finanzielle Mittel zur Verfügung standen, durch Begleichung anderer Verbindlichkeiten oder das Tätigen sonstiger Investitionen seiner tatsächlichen Handlungsfähigkeit begeben hat, indem er die letzten vorhandenen Mittel verbraucht hat (omissio per commissionem). Teilweise wird auch angenommen, dass nicht die Grundsätze der omissio libera in causa anzunehmen seien, sondern dem Arbeitgeber zum Fälligkeitszeitpunkt schlicht das Sichberufen auf die Zahlungsunfähigkeit verwehrt sein soll, wenn er sich pflichtwidrig in diese Situation gebracht habe.398 Dies ist allerdings nur eine Umschreibung desselben Problems in anderem Gewande und kann nicht davor bewahren, sich über die Zulässigkeit und dogmatische Begründung der Einbeziehung eines solchen pflichtwidrigen Verhaltens in die tatbestandlichen Erwägungen Gedanken zu machen. Weiterhin könnte ein pflichtwidriges Verhalten darin liegen, dass der Schuldner sich keine zusätzliche Liquidität verschafft, obgleich dies möglich wäre (omissio libera in omittendo). Bestehen, Grenzen und Grundsätze dieser Kapitalerhaltungs- oder Kapitalbeschaffungspflicht zur Begleichung der Sozialversicherungsentgelte werden sogleich im Rahmen der konkurrierenden Zahlungspflichten399 erörtert. Zum Teil wird allerdings, zurückgehend auf Samson,400 die Anwendbarkeit der Grundsätze der omissio libera in causa in Gestalt der omissio per commissionem auf § 266a StGB bezweifelt. So wurde – noch vor Etablierung der Vorrangrechtsprechung401 durch den BGH – teilweise die Übertragbarkeit der Grundsätze der generell für zulässig erachteten omissio libera in causa auf § 266a StGB verneint, da dies dazu führen würde, dass ein absoluter Vorrang der Beitragsansprüche entstünde, der weder dem Straf- noch dem Zivilrecht zu entnehmen sei.402 Jedenfalls in Fällen, in denen der Beitragsschuldner andere Gläubiger befriedige und die Leistung in kongruenter Deckung erfolgt, soll daher der Tatbestand nicht erfüllt sein. Für Fälle des anderweitigen Beiseiteschaffens sei die Vorschrift dar-
398
Hellmann, JZ 1997, 1005, 1006; Wegner, wistra 1998, 283, 288f. Siehe unter D.III.2. 400 SK-Samson/Günther, StGB § 266a, 39. Lieferung, Stand 1996, Rn. 31. 401 Siehe unter D.III.2.a)aa). 402 SK-Samson/Günther, StGB § 266a, 39. Lieferung, Stand 1996, Rn. 30, 31; zust. OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.6.1993 – 22 U 9/93, NJW-RR 1993, 1448; OLG Celle, Urt. v. 29.11.1995 – 9 U 51/95, wistra 1996, 114 m. Anm. Bente, der dem OLG Celle zwar dahingehend zustimmt, dass kein absoluter Vorrang der Sozialversicherungsbeiträge vor anderen Verbindlichkeiten bestehe, allerdings die freie Dispositionsbefugnis des Arbeitgeber über sein Vermögen dahingehend einschränken will, dass Löhne nur insoweit ausgezahlt werden dürfen, als für die entsprechende Höhe auch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden können. 399
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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über hinaus nicht notwendig, da dies bereits über §§ 288, 283, 283c StGB erfasst werde.403 Diese jedenfalls nicht uneingeschränkte Anwendbarkeit der omissio libera in causa auf § 266a StGB wird auch damit begründet, dass eine Erstreckung auch auf Fälle der kongruenten Deckung nicht nur zu überhöhten Anforderungen an den Unternehmer im Hinblick auf die Erstellung eines „Liquiditätsplans“ führe, sondern insbesondere auch dem allgemeinen Gläubigerschutzsystem des StGB entgegenstehe, das im Rahmen der Bankrottdelikte erst für Fälle der inkongruenten Deckung eine Strafbarkeit vorsehe.404 Für Fälle der omissio libera in causa sehen die Vertreter dieser Ansicht daher im Rahmen des § 266a StGB keinen Raum. Erfasst sein sollen allerdings Fälle, in denen der Zahlungspflichtige es im Vorfeld unterlassen hat, sich entsprechende Mittel zu verschaffen,405 sodass jedenfalls die Grundsätze der omissio libera in omittendo auch im Rahmen des § 266a StGB uneingeschränkt Anwendung finden sollen. Im Ergebnis ebenso, aber mit der abweichenden Begründung der fehlenden Stütze im Gesetz, lehnt auch Renzikowski die von ihm grundsätzlich für zulässig befundene Strafbarkeit nach den Grundsätzen der omissio libera in causa auf § 266a StGB ab. Zum gleichen Ergebnis gelangt er im Übrigen für § 283 Abs. 1 Nr. 7 lit. b StGB.406 Die Straffreiheit aufgrund Unmöglichkeit der Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung könne nur dann durch pflichtwidriges Vorverhalten entfallen, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsehe. Dann jedoch bedürfe es der Figur nicht.407 2. Konkurrierende Zahlungsverpflichtungen Es ist auch der Fall denkbar, dass zwar noch ausreichend finanzielle Mittel vorhanden sind, um die Sozialversicherungsbeiträge zu begleichen, allerdings gleichzeitig weitere Verbindlichkeiten bestehen, von denen nicht alle aus den vorhandenen Mitteln beglichen werden können. Hier stellt sich die Frage, ob und ggf. inwieweit eine Strafbarkeit gemäß § 266a StGB gegeben sein kann, wenn der Schuldner andere oder gar keine Verbindlichkeiten begleicht.
403 SK-Samson/Günther, StGB § 266a, 39. Lieferung, Stand 1996, Rn. 31; a. A. Tag, Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (1994), S. 126; Bente, Strafbarkeit des Arbeitgebers (1992), S. 65, jeweils mit Verweis auf die unterschiedlichen Schutzrichtungen der §§ 283 ff. sowie des § 266a StGB. Tag, Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (1994), S. 127 ff. will jedoch Fälle der kongruenten Deckung in der Regel unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten berücksichtigen. 404 OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.6.1993 – 22 U 9/93, NJW-RR 1993, 1448. 405 SK-Samson/Günther, StGB § 266a, 39. Lieferung, Stand 1996, Rn. 32, in diese Richtung auch Rönnau, wistra 1997, 13, 14. 406 Renzkowski, FS Weber (2004), S. 333, 345. 407 Renzkowski, FS Weber (2004), S. 333, 242 ff.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
a) Pflichten in Bezug auf die Mittelverwendung Im Rahmen des § 266a StGB wurden diverse Versuche unternommen, den Pflichtenkanon des Schuldners abzustecken. Beachtung gefunden hat insbesondere die Einordnung konkurrierender Zahlungspflichten im Zusammenspiel mit § 266a StGB. aa) Vorrangrechtsprechung des BGH Nach Ansicht des VI. Zivilsenats408 des Bundesgerichtshof, der sich sodann auch der 5. Strafsenat409 angeschlossen hat, soll die Pflicht die sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerbeträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB abzuführen allen anderen Verbindlichkeiten vorgehen (sog. „Vorrangrechtsprechung“). Dies wird damit begründet, dass der Vorrang dieser Verpflichtung im Vergleich zu anderen Zahlungsverpflichtungen schon durch die Existenz der Strafnorm deutlich werde, denn der „strafbewehrte Normbefehl“ hebe durch Erhebung der genannten Ansprüche in einen strafrechtlichen Schutz diese besonders hervor.410 Auch wird aus der Existenz des § 266a Abs. 6 StGB411 bereits das Bestehen eines „besonderen Sicherungsbedürfnisses“ geschlossen, denn schließlich müsse, wenn man alle Zahlungsverpflichtungen als gleichrangig ansehen würde, schon der Tatbestand entfallen, wenn die Zahlungsunfähigkeit durch Begleichung einer kongruenten Verpflichtung hervorgerufen wurde.412 Allein die Existenz des § 266a Abs. 6 StGB soll also den Vorrang der Verpflichtung aus § 266a StGB vor anderen Zahlungsverpflichtungen begründen. Im Übrigen ergebe sich auch aus dem Gesetzgebungsverfahren die Intention des Gesetzgebers, den Gläubiger der sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche im Vergleich zu anderen Gläubigern besser zu stellen, denn der Gesetzgeber habe an diesem besonderen strafrechtlichen Schutz trotz Kritik innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens festgehalten.413 Daher werde durch den Schutz der Pflicht durch das Strafrecht eine höhere Wertigkeit als die einer „nur“ zivilrechtlichen begründet. Hieraus ergebe sich zugleich, dass die Erfüllung einer zivilrechtlichen Zahlungsverpflichtung, die zu einem vollständigen Aufbrauchen der liquiden Mittel führt, nicht die strafrechtliche Tatbestandsverletzung zu rechtfertigen vermöge.414 408
BGH, Urt. v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, Tz. 16 ff., BGHZ 134, 304. BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480 ff.; im Anschluss daran auch Beschl. v. 3.7.2003 – 5 StR 221/03; Beschl. v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, NJW 2005, 3650. 410 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2481. 411 Zur Zeit der Entscheidung noch Abs. 5. 412 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2481. 413 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2481. 414 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2481. 409
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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In weiteren Entscheidungen hat der 5. Strafsenat die Grundsätze konkurrierender Zahlungsverpflichtungen in der Krise des Unternehmens weiterentwickelt und insbesondere vor dem Hintergrund der Kollision mit § 64 GmbHG415 spezifiziert. In seinem Beschluss vom 30. Juli 2003416 hat der Senat angenommen, dass während der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist die Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung durch § 64 GmbHG gerechtfertigt werde. Der dem Schutz der Massesicherung dienende § 64 GmbHG und das strafrechtlich geschützte Zahlungsgebot im Sinne des § 266a StGB stünden im Widerspruch zueinander, dieser sei im Interesse des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung aufzulösen.417 Auf der anderen Seite soll sich der Geschäftsführer, der Sozialversicherungsbeiträge abführt, nach Ansicht des Senats dann jedoch „nicht ohne weiteres“ darauf berufen können, im Sinne des § 64 Satz 2 GmbHG mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns gehandelt zu haben.418 Allerdings solle im Falle des Verstreichenlassens der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist § 64 GmbHG keinen Rechtfertigungsgrund für die Tat nach § 266a StGB mehr darstellen, auch wenn die Insolvenzreife des Unternehmens weiterhin gegeben ist. § 64 GmbHG sei lediglich eine Privilegierung noch aussichtsreicher Sanierungsversuche und auf einen Dreiwochenzeitraum beschränkt. Mit Ablauf dieser Frist entfalle daher die Rechtfertigungswirkung der Norm im Hinblick auf § 266a StGB und die Pflicht zur vorrangigen Begleichung von Arbeitnehmerbeiträgen bestehe wieder uneingeschränkt.419 Der 5. Strafsenat stellt weiterhin klar, dass die Vorrangrechtsprechung generell nicht im Widerspruch zu insolvenzrechtlichen Grundsätzen und zur Rechtsprechung des IX. Zivilsenats420 stehe. Denn die Vorrangigkeit betreffe lediglich den dem Insolvenzverfahren vorgelagerten Zeitraum; ein „Behaltendürfen“ im Insolvenzverfahren sei davon nicht erfasst. Die Phasen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens und im Insolvenzverfahren selbst könnten voneinander getrennt betrachtet werden, weil die Verteilung der Masse unter Berücksichtigung des insolvenzrechtlichen Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzverfahren durch die insolvenzrechtlichen Vorschriften sichergestellt sei, während im Vorfeld wegen des üblicherweise geringen Eigeninteresses des Unternehmers an der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge ein besonderer Schutz dieses Aufkommens notwendig sei. Abhängig davon, ob es überhaupt zu einem In-
415 Die gleichen Grundsätze müssen für die entsprechenden Vorschriften in § 92 Abs. 2 AktG sowie § 99 GenG gelten. 416 BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, BGHSt 48, 307. 417 BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, Tz. 9 (bei juris). 418 BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, Tz. 10 (bei juris). 419 BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, Tz. 11 (bei juris). 420 BGH, Urt. v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
solvenzverfahren komme, könne daher die Interessenlage nennenswert divergieren.421 In seinem Beschluss vom 9. August 2005422 hat der 5. Strafsenat des BGH im Rahmen eines obiter dictum seine Ansicht bekräftigt. Zur Begründung der Vorrangigkeit der Sozialversicherungsabgaben stellte das Gericht nochmals klar, dass diese seiner Ansicht nach allein in der Strafbewehrung begründet sei und nicht etwa auf die früher bestehende Privilegierung im Konkursverfahren zurückzuführen sei, sodass auch der Wegfall dieser Privilegierung in der Insolvenzordnung auf die Begründung des Vorrangs der Abführung von Sozialversicherungsabgaben in strafrechtlicher Hinsicht keinerlei Einfluss haben könne.423 Weiterhin könne nach Ansicht des Senats auch die Tatsache, dass im Falle einer Insolvenzanfechtung die zivilrechtliche Haftung möglicherweise vollständig entfalle, nicht Einfluss auf die strafbewehrte Pflicht zur Abführung der Beiträge haben. Der Schutzzweck des § 266a StGB würde nach Ansicht des Senats unterlaufen, wenn die strafrechtliche Pflicht aufgrund einer potentiellen Rückforderungsmöglichkeit im Wege der Insolvenzanfechtung bei sich abzeichnender Krise entfiele, da insbesondere bei Beginn der Krise noch gar nicht sicher sei, ob es überhaupt zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens komme. Der Arbeitgeber könne anderenfalls faktisch immer darauf verweisen, er habe im Hinblick auf mögliche Anfechtungen auf die Abführung der Beiträge verzichtet.424 Weiterhin bestätigt der Senat seine Auffassung, dass die Rechtfertigung durch § 64 GmbHG bei fortbestehender Insolvenzreife mit Ablauf der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist wieder entfiele. Denn derjenige, der trotz Erkennen der Insolvenzreife auf einen Insolvenzantrag verzichte, könne sich auf diese Rechtfertigung nicht berufen. Auch sei es dem Verantwortlichen jederzeit möglich, sich durch Stellen des Insolvenzantrags aus der Konfliktlage zu befreien. Daher stehe selbst das Bestehen einer Ersatzpflicht aufgrund § 64 GmbHG nicht einer Straf-
421
BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, Tz. 14 ff. (bei juris). BGH, Beschl. v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, DStR 2005, 1867 m. Anm. Goette. 423 Dies ist als Replik auf die sich gegen den Vorrang der Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung richtende Entscheidung des II. Zivilsenats vom 18.4.2005 – II ZR 61/03, NJW 2005, 2546, 2548, zu verstehen. Der II. Zivilsenat war in seiner wenige Monate zuvor ergangenen Entscheidung noch davon ausgegangen, dass die bereits zuvor begründete Ansicht des 5. Strafsenats, dass auch bei Insolvenzreife ein Vorrang der Sozialversicherungsbeitragsabführungspflicht bestehe, auf die Privilegierung der Sozialversicherungsbeträge durch die Konkursordnung zurückzuführen sei, die dem damals entschiedenen Fall noch zu Grunde lag. Der 5. Strafsenat stellte demgegenüber klar, dass er auch unter Geltung der neuen Insolvenzordnung, die einen solchen Vorrang nicht kennt, an der Vorrangigkeit der Sozialversicherungsbeiträge festhalten wolle. Vgl. zur Ansicht des II. Zivilsenats im Einzelnen sogleich unter D.III. 2.a)bb)(1). 424 Vgl. zum Vorstehenden insgesamt BGH, Beschl. v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, NJW 2005, 3650, 3652. 422
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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barkeit gemäß § 266a StGB entgegen.425 Diesem durch die Rechtsprechung begründeten Vorrangverhältnis stimmen auch einige Vertreter der Literatur zu.426 bb) Kritik Der Vorrangrechtsprechung haben allerdings – neben diversen Stimmen aus der Literatur427 – auch Teile der Rechtsprechung, insbesondere ursprünglich auch der II. Zivilsenat des BGH, widersprochen.428 (1) Rechtsprechung des II. Zivilsenats Der II. Zivilsenat hat in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Kollision der Zahlungsverpflichtung mit der Masseerhaltungspflicht aus § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. (entspricht § 64 GmbHG n. F.) hingewiesen, sondern auch darauf, dass in Fällen, in denen Sozialversicherungsabgaben, wären sie gezahlt worden, ohnehin im Wege der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO hätten zurückgefordert werden können,429 ein Vermögensschaden und somit eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266a StGB nicht angenommen werden könne.430 Der II. Zivilsenat ging folglich zunächst auch explizit nicht von einem Vorrang der sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen aus; vielmehr wies er darauf hin, dass die Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung nicht als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns im Sinne des § 64 GmbHG anzusehen seien. Denn die Prüfung des Sorgfaltsmaßstabs im Sinne des § 64 GmbHG sei nicht an allgemeinen Verhaltenspflichten zu messen, sondern vielmehr am Zweck des § 64 GmbHG, der (im Übrigen auch bei Überschreiten der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist) zu Gunsten der Gläubigergesamtheit dem Masseerhalt dienen solle.431 425 Vgl. zum Vorstehenden insgesamt BGH, Beschl. v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, NJW 2005, 3650, 3652. 426 Lacker/Kühl-Kühl, § 266a Rn. 10; Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 10; Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht § 13 Rn. 851; Cahn, ZGR 1998, 367, 381; Hellmann, JZ 1997, 1005, 1006; im Erg. auch SK-Hoyer, § 266a Rn. 69, der darüber hinaus auch für die Insolvenzantragsfrist keine Rechtfertigung annehmen will. 427 Fischer, § 266a Rn. 16; Oppenländer/Trölitzsch-Ziemons, § 27 Rn. 57; Mitsch, Strafrecht BT II/2 § 4 Rn. 19; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT II § 21 Rn. 789; Kutzner, NJW 2006, 413; Radtke, NStZ 2003, 154 ff.; Rönnau, NJW 2004, 976; Rönnau, wistra 2007, 81; Tag, BB 1997, 1115; Wegner, wistra 1998, 283; Radtke, FS Otto (2007), S. 695, 705 ff. 428 BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264; BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, DStR 2005, 978. 429 Eine Insolvenzanfechtung hinsichtlich gezahlter Arbeitnehmerbeiträge ist im Übrigen jedenfalls nach Ansicht des BGH auch nach Einfügung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV durch Gesetz vom 19.12.2007, BGBl. I 2007, S. 3024, noch möglich, vgl. BGH, Urt. v. 5.11.2009 – IX ZR 223/08, DZWIR 2010, 82 ff. m. Anm. Stritz. 430 BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, NJW 2005, 2546, 2548. 431 BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, NJW 2005, 2546, 2548.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Jedenfalls für den Zeitraum außerhalb der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist bestand folglich eine Diskrepanz zwischen den Ansichten des II. Zivilsenats und des 5. Strafsenats, der den Geschäftsführer der insolvenzreifen GmbH für den Fall, dass die dreiwöchige Insolvenzantragsfrist bereits überschritten war, weiterhin in einem Pflichtenkonflikt beließ. Mit Urteil vom 14. Mai 2007432 ist jedoch auch der II. Zivilsenat in seiner Rechtsprechung zum Konkurrenzverhältnis von § 64 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG433 umgeschwenkt und sieht nunmehr Zahlungen, die zur Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung getätigt wurden, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns im Sinne des § 64 Satz 2 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG einhergehend an, sodass auch bei Insolvenzreife der Gesellschaft eine Haftung des Geschäftsführers bzw. Vorstands für abgeführte Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht mehr in Betracht kommen soll. Eine Rechtfertigung der Nichtabführung im Sinne des § 266a StGB soll nur noch während der höchstens dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist bestehen; während dieser Zeit wäre eine Zahlung folglich auch nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar. Für den Fall, dass zum spätestmöglichen Zeitpunkt ein Insolvenzantrag aber nicht gestellt wird, soll der Rechtfertigungsgrund für § 266a StGB sogar rückwirkend entfallen.434 Diese Änderung der Rechtsprechung des II. Senats zur Konkurrenz zwischen den Vorschriften zur Sicherung der Masseerhaltung in § 64 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG einerseits und der strafbewehrten und über § 823 Abs. 2 BGB auch für die zivilrechtliche Haftung des Vorstands/Geschäftsführers relevanten § 266a StGB ist nach ausdrücklicher Aussage des Senats auf die gefestigte Rechtsprechung des 5. Strafsenats zurückzuführen, der aufgrund der Strafbewehrtheit von dem Vorrang der Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsabgaben gegenüber der Massesicherungspflicht zu Gunsten aller Gläubiger ausgehe.435 Hier wollte der II. Zivilsenat im Interesse einer Einheit der Rechtsordnung entscheiden. Allerdings wird aus der Urteilsbegründung deutlich, dass der Senat weniger die Begründung der Vorrangrechtsprechung anerkennt oder selbst eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter (Interesse der Sozialversicherungsträger gegenüber Interesse der Massegläubiger) vorgenommen hat, sondern vielmehr die „Haftungsfalle“ von Geschäftsführern oder Vorständen von Unternehmen in der Krise dahingehend auflösen will, dass sie bei Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen im Zeitpunkt der Überschuldung der Gesellschaft nicht befürch432 BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, BB 2007, 1801; sich daran anschließend BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07; BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07; BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09. 433 Zum Zeitpunkt des Urteils noch § 92 Abs. 3 AktG. 434 BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, Tz. 10, NJW 2009, 295. 435 So explizit BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, Tz. 12 (bei juris), BB 2007, 1801.
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ten müssen, aufgrund Verstoßes gegen das Gebot der Massesicherung in Haftung genommen zu werden. Das Gericht spricht explizit davon, dass es dem Vorstand oder Geschäftsführer nicht zugemutet werden könne, sich durch Erfüllung der Massesicherungspflicht strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen.436 Damit wird deutlich, dass der II. Zivilsenat hier letztlich Billigkeitserwägungen zu Gunsten des sich in einer haftungsrechtlichen Konfliktsituation befindlichen Geschäftsführers anstellt. Ob das Merkmal der Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmanns unter dogmatischen Gesichtspunkten der richtige Anknüpfungspunkt für diese Billigkeitserwägungen ist, ist zweifelhaft. Das Ansinnen des Gerichts, Geschäftsführern oder Vorständen aus dem „Haftungsdilemma“ herauszuhelfen ist verständlich. Eine inhaltliche Zustimmung zur Vorrangrechtsprechung des 5. Strafsenats ist hierin jedoch nicht zu sehen. Allerdings ist zu beachten, dass der II. Zivilsenat in der Anwendung seiner nunmehr im Interesse der Einheit der Rechtsordnung geänderten Rechtsprechung konsequent ist. Da der Senat in nunmehr gefestigter Rechtsprechung annimmt, dass die Zahlung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns zu vereinbaren ist, geht er davon aus, dass im Falle der Nichtabführung dieser Beiträge zur Sozialversicherung eine Haftung des Geschäftsführers gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266a StGB gegeben ist.437 Etwas anderes gilt nur für den höchstens dreiwöchigen Zeitraum der Insolvenzantragsfrist und nur dann, wenn zum spätestmöglichen Zeitpunkt tatsächlich ein Insolvenzantrag gestellt wird.438 In konsequenter Anwendung der Vorrangrechtsprechung befreit der II. Zivilsenat daher den Geschäftsführer nicht vollständig von einer möglichen Haftung, sondern geht tatsächlich von einem Vorrang der Abgaben zur Sozialversicherung gegenüber anderen Verbindlichkeiten und auch der Massesicherungspflicht aus. Insgesamt kann daher konstatiert werden, dass nach der Ansicht des Bundesgerichtshofs nunmehr einheitlich und in gefestigter Rechtsprechung davon auszugehen ist, dass an der Vorrangrechtsprechung festgehalten wird. Eine Ausnahme von der vorrangigen Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung wird nur für den Zeitraum der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist im Sinne des § 15a InsO angenommen; in diesem Zeitraum sollen die der Massesicherung dienenden Regelungen in § 64 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG, § 99 GenG einen Rechfertigungsgrund für die Nichtabführung darstellen. Nach ergebnislosem Verstreichenlassen der Insolvenzantragsfrist soll die Pflicht zu vorrangigen Haftung jedoch wieder aufleben. Dieses Wiederaufleben findet sogar rückwirkend statt. In diesem Falle soll also in zivilrechtlicher Hinsicht stets eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266a StGB bestehen, wenn nicht rechtzeitig ein 436 437 438
BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, Tz. 12 (bei juris), BB 2007, 1801. BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, vgl. auch Anm. Gündel, BB 2008, 2205. BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, Tz. 10, NJW 2009, 295.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Insolvenzantrag gestellt wird. Lediglich für den Zeitraum der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist soll eine zivilrechtliche Haftung bei Nichtabführung der Beiträge dann nicht gegeben sein, wenn im Falle der Insolvenzreife innerhalb von höchstens drei Wochen ein Insolvenzantrag gestellt wird. Korrespondierend dazu besteht eine Strafbarkeit des vertretungsberechtigten Organs für den Fall der Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung auch im Falle der Insolvenzreife, also der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO. Eine Rechtfertigung besteht nur für den Zeitraum der Insolvenzantragsfrist im Sinne des § 15a InsO. Während der II. Zivilsenat von einem rückwirkenden Wegfall der Rechtfertigungswirkung ausgeht, wenn ein Insolvenzantrag nicht (rechtzeitig) gestellt wird, ist – soweit ersichtlich – nicht erkennbar, ob der 5. Strafsenat ebenfalls von einer Rückwirkung bei nicht rechtzeitiger Stellung eines Insolvenzantrags ausgeht.439 (2) Ansichten im Schrifttum Insbesondere die Begründung der Schaffung einer Art „Prioritätenliste“ durch die Vorrangrechtsprechung stößt auch im Schrifttum auf Kritik.440 So werden in methodischer Hinsicht Zweifel daran geäußert, dass eine Priorisierung zivil- oder öffentlichrechtlicher Pflichten aufgrund der Existenz einer Strafnorm vorgenommen werden könne.441 Denn zwar sei den Senaten zuzugeben, dass durch den Schutz eines Rechtsguts durch einen Straftatbestand der Gesetzgeber die besondere Wichtigkeit gerade dieses Rechtsguts zum Ausdruck bringe; allerdings könne hieraus keine sich auf die Gesamtrechtsordnung erstreckende „Rangfolge“ zivil- und öffentlichrechtlicher Zahlungspflichten abgeleitet werden, da der Rang einer zivil- oder öffentlichrechtlichen Zahlungsverpflichtung nur durch das Ziviloder öffentliche Recht selbst bestimmt werden könne.442 Durch die strafrechtliche Pönalisierung bringe der Gesetzgeber zwar zum Ausdruck, dass die Beitragszahlung für ihn von besonderem Wert sei. Dass sie im Verhältnis zu anderen Pflichten wichtiger sei, könne hieraus allerdings nicht geschlossen werden.443
439 Bittmann, wistra 2004, 327, 329 geht diesbezüglich davon aus, dass der Rechtfertigungsgrund zwar nicht rückwirkend entfalle, die Beiträge aber nachgezahlt werden müssten, wenn nach Ablauf der Antragsfrist ein Insolvenzantrag nicht gestellt wird. 440 Fischer, § 266a Rn. 16; Oppenländer/Trölitzsch-Ziemons, § 27 Rn. 57; Mitsch, Strafrecht BT II/2, § 4 Rn. 19; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT II § 21 Rn. 789; Radtke, FS Otto (2007), S. 695, 705 ff.; Kutzner, NJW 2006, 413; Radtke, NStZ 2003, 154, 156; Rönnau, NJW 2004, 976; Rönnau, wistra 2007, 81, 82; Tag, BB 1997, 1115, 1116 f.; Wegner, wistra 1998, 283, 289 f. 441 Kutzner, NJW 2006, 413; Radtke, NStZ 2003, 154, 156; Rönnau, wistra 2007, 81, 82. 442 Radtke, NStZ 2003, 154, 156. 443 Rönnau, wistra 2007, 81, 82; Tag, JZ 2005, 1118, 1119.
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Auch wird kritisiert, dass der 5. Strafsenat diesen genannten Vorrang aufgrund der Strafbewehrung inhaltlich nicht begründe, sondern sich auf dessen bloße Behauptung beschränke.444 Im Übrigen stütze auch der Gesetzgeber durch die InsO einen Vorrang solcher Ansprüche nicht, da diese keinen Vorrang von Ansprüchen der Arbeitnehmer in der Insolvenz des Arbeitgebers kenne.445 Darüber hinaus begründe es einen Zirkelschluss, wenn aus der Strafbewehrung der Nichterfüllung der Pflichten in § 266a StGB ein Vorrang gefolgert werde, durch den die Strafbarkeit erst begründet werde.446 Auch widerspräche ein solcher absoluter Vorrang der Beitragspflichten der den Artt. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu entnehmenden unternehmerischen Handlungs- und Tilgungsfreiheit.447 Nach Ansicht der Kritiker soll vielmehr im Falle der „Konkurrenz“ zwischen mehreren Zahlungsverpflichtungen auf die allgemeinen Kollisionsregelungen zurückgegriffen, also eine Abwägung am Maßstab des § 34 StGB vorgenommen werden.448 Grundsätzlich sei bei der Abwägung zwischen den durch § 266a StGB geschützten Sozialabgaben und dem durch § 64 GmbHG geschützten Interesse aller Gläubiger am Masseerhalt zu beachten, dass in § 266a StGB lediglich eine allgemeine Verhaltensregel aufgestellt werde, die auch in Zeiten gelte, in denen das Unternehmen keinerlei Liquiditätsengpass habe, wohingegen § 64 GmbHG eine Spezialvorschrift für den Zeitraum der Insolvenzreife eines Unternehmens enthalte. Dieser Spezialvorschrift gebühre wegen ihrer größeren Sachnähe die vorrangige Beachtung im „Verteilungskonflikt“.449 Auch die durch den 5. Strafsenat vorgenommene Trennung zwischen dem Insolvenzverfahren selbst und der Phase der Insolvenzreife im Vorfeld wird in der Literatur kritisiert. Der 5. Strafsenat hebt hevor, dass schon aufgrund der Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Insolvenzreife noch gar nicht vorherzusehen sei, ob tatsächlich das Insolvenzverfahren eröffnet werde; die Strafbarkeit der Beitragsabführung könne daher nicht deshalb entfallen, weil eine solche Abführung spä444 Rönnau, wistra 2007, 81, 82; ähnlich Kutzner, NJW 2006, 413, 414, der kritisiert, dass der 5. Strafsenat sich inhaltlich lediglich auf einen apodiktischen Strafwürdigkeitshinweis beschränke. 445 MüKo StGB-Radtke, § 266a Rn. 41, wobei zu beachten ist, dass diese Kommentierung aus der Zeit vor Modifikation des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV stammt. 446 Fischer, § 266a Rn. 16; Tag, JZ 2005, 1118, 1120; a. A. Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 159 mit dem Argument, dass der BGH hier keine zweischrittige Prüfung der tatsächlichen Strafbarkeit vornehme, sondern vielmehr auf die gesetzgeberische Wertentscheidung verweise. 447 Wegner, wistra 1998, 283, 290; Tag, Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (1993), S. 134; a. A. Bollacher, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 267, der diese Freiheit trotz des grundrechtlichen Schutzes nicht für unbeschränkbar hält und § 266a StGB selbst als Schranke der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit ansieht. 448 Rönnau, NJW 2004, 976, 979; Rönnau, wistra 2007, 81, 82. 449 Rönnau, wistra 2007, 81, 82.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
ter erfolgreich angefochten werden könne.450 Insbesondere Rönnau sieht hingegen durch dieses Vorgehen die übrigen Gläubigerinteressen nicht hinreichend berücksichtigt und auch die gesetzgeberische Intention, durch eine konsequente Massesicherung in möglichst vielen Fällen die Möglichkeit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu bewahren, unterlaufen.451 Er stellt daher in Fällen, in denen das Zivilrecht mangels tatsächlicher Schädigung nicht sanktionieren kann, die Strafwürdigkeit auch aufgrund eines abstrakten Gefährdungsdelikts in Frage und spricht sich dafür aus, dass jedenfalls in Fällen, in denen bereits im entscheidenden Unterlassungszeitpunkt gesichert feststeht, dass tatsächlich eine erfolgreiche Insolvenzanfechtung vorgenommen wird, eine Strafbarkeit gemäß § 266a StGB nicht mehr gegeben sein soll, da schon der Schutzzweck, nämlich die Sicherung des Beitragsaufkommens, nicht mehr betroffen sei.452 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Gesetzgeber eine Anfechtungsmöglichkeit in der Insolvenz durch Einfügung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV453 für die Zukunft verhindern wollte. Der BGH geht dessen ungeachtet auch für Sachverhalte, die nach dem 1. Januar 2008 stattgefunden haben, von der Möglichkeit der Anfechtung der Zahlung auch von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung aus.454 Demgegenüber sind andere Stimmen der Ansicht, dass eine solche Sichtweise dem Prinzip der Gewaltenteilung und dem Vorrang des Gesetzes widerspreche und lehnen eine solche Anfechtbarkeit nach neuer Rechtslage ab.455 Es bleibt daher abzuwarten, ob der BGH auch in Zukunft von einer solchen Anfechtbarkeit ausgehen wird und ob hieraus folglich noch Rückschlüsse auf die Strafbarkeit wegen der Nichtabführung von Sozialversicherungsabgaben gezogen werden können. Außerdem sind Kritiker der Ansicht, dass auch die Auffassung des 5. Strafsenats, dass § 64 GmbHG als Rechfertigungsgrund nach Ablauf der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist wieder entfalle, gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung verstoße. Denn somit greife die strafrechtliche Sanktionierung wieder ein, obgleich nach ganz herrschender Ansicht das zivilrechtliche Zahlungsverbot noch bestehe.456 Dabei sei die „Lösung“ des 5. Strafsenats, die Verantwortlichen könnten sich durch Stellen eines Insolvenzantrags jederzeit der 450
BGH, Beschl. v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05. Rönnau, wistra 2007, 81, 83; a. A. Kutzner, NJW 2006, 413, 414. 452 Rönnau, wistra 2007, 81, 83; ähnlich auch Bollacher, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 165, der die Norm für Fälle, in denen offensichtlich ist, dass eine Anfechtung erfolgen wird, § 266a StGB teleologisch reduzieren und nicht aufgrund der Norm bestrafen will. 453 Durch Gesetz vom 19.12.2007, BGBl. I 2007, S. 3024. 454 BGH, Urt. v. 5.11.2009 – IX ZR 233/08, NZI 2009, 886. 455 LG Köln, Urt. v. 9.12.2009 – 13 S 230/09, NZG 2010, 512, aufgehoben durch BGH, Urt. v. 30.9.2010 – IX ZR 237/09, ZIP 2010, 2209; Kasseler Kommentar-Wehrhahn, SGB IV § 28e Rn. 17d. 456 Kutzner, NJW 2006, 413, 414. 451
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(strafrechtlichen) Verantwortung entziehen, zu einfach. Denn diese Ansicht verkenne nicht nur, dass nicht schon das Stellen des Insolvenzantrags zwangsläufig mit dem unmittelbar gleichzeitigen Verlust der Geschäftsführungsbefugnisse einhergehe, sondern vor allem auch, dass der „Schwarze Peter“ lediglich an den nächsten Verantwortlichen, in der Regel den (vorläufigen) Insolvenzverwalter, „weitergereicht“ werde.457 Insgesamt verkenne der 5. Strafsenat, dass § 64 GmbHG nicht „nur“ eine Schadenersatzvorschrift sei, sondern vielmehr den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringe, insolvenzrechtliche Wertungen in das zivilrechtliche Schutzsystem zu integrieren. Daher handele es sich nicht um eine bloße Gegenüberstellung der Haftungsnormen aus § 64 GmbHG und § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266a StGB, sondern der Grundsatz des Masseerhalts stehe bei § 64 GmbHG als überragendes Prinzip im Vordergrund.458 Die Fortgeltung des § 64 GmbHG führe daher dazu, dass die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen dem Geschäftsführer (rechtlich) unmöglich werde, sodass dies in strafrechtlicher Hinsicht nicht mehr zumutbar sei.459 Auch andere Autoren zweifeln an der rechtspolitischen Rechtfertigung des Wiederauflebens der vorrangigen Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsabgaben nach Verstreichenlassen der dreiwöchigen Insolvenzantragspflicht. Denn nicht nur entstehe ein Widerspruch zur zivilrechtlichen Fortgeltung des Zahlungsverbots aus § 64 GmbHG auch nach Ende der Insolvenzantragsfrist, auch gebe es nach Verstreichenlassen der Frist keine möglicherweise als „ungerecht“ empfundene Strafbarkeitslücke, da ohnehin eine Strafbarkeit gemäß § 15a Abs. 4 InsO wegen Insolvenzverschleppung gegeben sei.460 Gegen eine über die Strafbarkeit nach § 266a StGB bestimmende Wirkung des § 64 GmbHG461 wird allerdings eingewandt, dass hierdurch eine rechtsformabhängige Auslegung des § 266a StGB erreicht werde, da es für Personenhandelsgesellschaften und Einzelkaufleute keine entsprechenden Regelungen gebe.462 Auch führe der in der Regel schwer zu bestimmende Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife zu Rechtsunsicherheiten.463 457 Kutzner, NJW 2006, 413, 415; Rönnau, wistra 2007, 81, 84; a. A. Bollacher, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 172, der darauf hinweist, dass aufgrund des geringeren Strafrahmens des § 15a Abs. 4 InsO im Vergleich zu § 266a StGB der besonders hartnäckige Täter privilegiert werde und es im Übrigen widersprüchlich sei, wenn die Strafausschließungsregelung des § 266a Abs. 6 Satz 2 StGB eine Nachentrichtung der Beiträge fordere, gleichzeitig § 64 Abs. 1 GmbHG eine solche Nachentrichtung aber verbiete. 458 Kutzner, NJW 2006, 413, 415; a. A. Schröder/Faust, GmbHR 2005, 1422, 1424. 459 Kutzner, NJW 2006, 413, 415. 460 Berger/Herbst, BB 2006, 437, 439. 461 Bzw. des § 92 Abs. 2 AktG, § 99 GenG. 462 Bollacher, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 169. 463 Bittmann, wistra 2004, 327, 329; Karsten, NJ 2004, 231, 232; Bollacher, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 169 f.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Es finden sich auch noch weiter differenzierende Ansätze bezüglich der Vorrangigkeit der sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche. So stimmt beispielsweise Bollacher dem BGH dahingehend zu, dass durch § 266a StGB ein normativer Vorrang der Ansprüche der Sozialversicherungsträger vor anderen Gläubigern deutlich werde.464 Allerdings will er daraus nicht schließen, dass jegliche Bedienung anderer Verbindlichkeiten, die erst zu einer Zahlungsunfähigkeit bei Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge führen, zu einer Strafbarkeit nach § 266a StGB führen. Denn seiner Ansicht nach vermittelt diese normative Vorrangigkeit lediglich eine privilegierte Befriedigung im Fälligkeitszeitpunkt der Beitragsverpflichtung, nicht aber notwendigerweise im Vorfeld dieses Zeitpunkts.465 Er möchte vielmehr für Vorfeldzahlungen die Grenze der Zumutbarkeit der Beitragszahlung statuieren, wobei er das Problem auf Schuldebene ansetzt.466 Dies begründet er unter anderem mit der Ähnlichkeit zum entschuldigenden Notstand und den besonderen billigenswerten Interessen des Arbeitgebers, der sich in einer existenzbedrohenden Lage befindet.467 Dabei möchte er diejenigen Zahlungen an andere Gläubiger, die im Vorfeld der Fälligkeit der Beitragszahlung zu einer (vorübergehenden) Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge führen, für nicht pflichtwidrig erklären, die in objektiver und subjektiver Hinsicht und für einen nicht ganz unerheblichen Zeitraum auf die Fortführung des Unternehmens gerichtet waren. Eine Vermutung, dass die Zahlung auf den Fortbestand des Unternehmens gerichtet war, kann dabei nach Ansicht Bollachers bei Lohn- und Gehaltszahlungen, Betriebskosten (orientiert an der Rechtsprechung zu § 64 Satz 2 GmbHG) und je nach Branche und konkreter Situation des Unternehmens ggf. auch Zahlungen an Lieferanten und die Rückzahlung bestehender Kredite angenommen werden.468 (3) Konsequenzen Folgt man den Grundsätzen der Vorrangrechtsprechung, so ist auch die kongruente Befriedigung anderer Verbindlichkeiten jedenfalls dann pflichtwidrig, wenn bereits zum Zeitpunkt der Befriedigung dieser anderen Verbindlichkeiten absehbar war, dass keine ausreichende Liquidität auch zur Erfüllung der Beitragsverpflichtungen vorhanden ist.469 Die Vorrangigkeit wäre nur für die höchstens dreiwöchige Insolvenzantragsfrist unterbrochen. In dieser Zeit ist nicht nur die Nichtabführung nicht strafbewehrt, auch würde der Geschäftsführer bei Ab464
Bollacher, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 174. Bollacher, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 175. 466 Bollacher, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 175 ff., insb. S. 177. 467 Bollacher, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 177. 468 Bollacher, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 180 ff. 469 Vgl. auch Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 10. 465
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führung gemäß § 64 GmbHG haften. Nach erfolglosem Verstreichenlassen der Insolvenzantragsfrist wäre die Nichtabführung allerdings wieder strafbewehrt, auch eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 266a StGB käme wieder in Betracht. Dies soll jedenfalls nach Ansicht der zivilrechtlichen Rechtsprechung bei Verstreichenlassen der Insolvenzantragspflicht auch rückwirkend gelten.470 Die Pflicht zur Beitragsabführung ist dann wieder eine vorrangige. Lehnt man die Grundsätze der Vorrangigkeit der Pflicht zur Beitragszahlung ab, so besteht bei konkurrierenden Zahlungsverpflichtungen und begrenzten Mitteln grundsätzlich unternehmerische Tilgungsfreiheit. Eine Abwägung zwischen verschiedenen Zahlungsverpflichtungen muss einzelfallbezogen durchgeführt werden, nur bei Hinzutreten besonderer Umstände kann sich eine Vorrangigkeit einer bestimmten Verpflichtung ergeben. Der Schuldner, der andere gleichrangige Verpflichtungen erfüllt und aus diesem Grunde die fälligen Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr abführen kann, handelt nach den Grundsätzen der rechtfertigenden Pflichtenkollision gerechtfertigt. (4) Eigene Ansicht Die Vorrangrechtsprechung findet keinerlei Stütze im Gesetz und wird daher von der wohl herrschenden Ansicht im Schrifttum zu Recht abgelehnt. Insbesondere kann in der Pönalisierung durch § 266a StGB selbst keine gesetzgeberische Entscheidung über die Rangfolge bestimmter Verpflichtungen gesehen werden. Denn der Gesetzgeber ist in der Entscheidung über das „Ob“ der strafrechtlichen Sanktionierung bestimmter Verhaltensweisen nicht ausschließlich an die Erwägung der Bewertung oder Wichtigkeit eines Rechtsguts gebunden. Vielmehr können beispielsweise völlig unabhängig von der Wertigkeit eines bestimmten Rechtsguts die der Sanktionierung zu Grunde liegenden Erwägungen auch an der Schutzbedürftigkeit des Rechtsguts orientiert sein. Geht man beispielsweise von der Existenz einer generalpräventiven Wirkung eines Strafgesetzes aus, so kann es sich bei der Pönalisierungsentscheidung um eine von der Wertigkeit des Rechtsguts losgelöste Maßnahme der Verhaltenssteuerung handeln. Der BGH selbst hat in seine Erwägungen einbezogen, dass der Arbeitgeber an der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge regelmäßig kein Eigeninteresse habe.471 Gerade dieses Argument spricht dafür, dass die strafrechtliche Sanktion vor dem Hintergrund vorgenommen wurde, dass eine strafrechtliche Lenkungsmotivation vorgenommen werden sollte, da andere Anreize und Faktoren der Verhaltenslenkung als nicht in ausrechendem Maße vor-
470 471
Vgl. unter D.III.2.a)bb)(1). BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, Tz. 15 (bei juris), BGHSt 48, 307.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
handen angesehen wurden. Während der Unternehmer in anderen Bereichen – wie bei der Lohnzahlung, der Befriedigung von Lieferanten oder seiner Hausbank etc. – wirtschaftliche Anreize zur Befriedigung von Forderungen hat, so fehlen diese bei öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen, insbesondere den Beiträgen zur Sozialversicherung, regelmäßig. Weiterhin ist auch zu bedenken, dass die Anwendbarkeit des § 266a StGB nicht nur auf die Krise des Unternehmens beschränkt ist, sondern in jeder Situation greift. Die Sozialversicherungsbeiträge bedürfen daher nicht notgedrungen des vorrangigen Schutzes, sondern nur allgemein des Schutzes. Daher muss durch die Sanktionierung nicht automatisch der Wertigkeit des Rechtsguts eine besondere Bedeutung zukommen, vielmehr kann allein eine besondere Schutzbedürftigkeit des Rechtsguts angenommen werden, die einen zusätzlichen strafrechtlichen Schutz geboten erscheinen lässt. Daher verbietet es sich, aus der strafrechtlichen Sanktionierung auf die besondere und anderen Verbindlichkeiten vorgehende Wertigkeit des Sozialversicherungsaufkommens zu schließen. Weiterhin ist eine Trennung des § 266a StGB von den insolvenzrechtlichen Anfechtungsregelungen im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht wünschenswert. Denn insbesondere das insolvenzrechtliche Anfechtungsrecht greift ja gerade ins Vorfeld des Insolvenzverfahrens zurück und stellt damit eine entsprechende Verbindung her. Eine Zahlungsverpflichtung trotz Möglichkeit der späteren Rückforderung im Wege der Insolvenzanfechtung anzunehmen, ist widersprüchlich. Daher ist der teilweise vertretenen Literaturansicht zuzustimmen, nach der eine Strafbarkeit gem. § 266a StGB jedenfalls dann nicht gegeben sein kann, wenn die Sozialversicherungsbeiträge später im Wege der Anfechtung zurückgefordert werden.472 Folglich ist die Nichtabführung jedenfalls dann nicht strafbar, wenn schon zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Zahlungsverpflichtung sicher feststeht, dass die Beträge später im Wege der Anfechtung wieder eingefordert werden. Die Problematik stellt sich insofern im Rahmen des § 266a StGB nicht mehr, da nach vorzugswürdiger Ansicht nach Einfügung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV Zahlungen auf die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht mehr im Wege der Anfechtung zurückgefordert werden können.473 Jedenfalls aber dann, wenn man mit dem BGH weiterhin von einer Anfechtbarkeit der Zahlungen auch in Bezug auf die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ausgeht,474 muss man konsequenterweise auch davon ausgehen, dass die Nichtabführung der Beiträge im Vorfeld des Insolvenzverfahrens nicht strafbar sein kann.
472 473 474
So insb. Rönnau, wistra 2007, 81, 83, vgl. auch unter D.III.2.a)bb)(2). Vgl. unter D.III.2.a)bb)(2). Vgl. unter D.III.2.a)bb)(2).
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b) Konsequenzen für Anwendbarkeit und Umfang der omissio libera in causa Es stellt sich nach alledem die Frage, welche Auswirkungen sich für die Eingrenzung der Pflichten des Unternehmers im Rahmen des Vorverhaltens ergeben. Für den Fall des § 266a StGB wird zunächst als grundsätzliche äußere zeitliche und sachliche Grenze der Vorverlagerung der Strafbarkeit (im Fall der Pflichtenlösung: der Handlungspflicht bezüglich der Liquiditätssicherung) die Entstehung der Beitragsschuld genannt.475 Zu diesem Zeitpunkt sei die Verbindlichkeit zwar noch nicht fällig, sodass die originär tatbestandliche Pflicht noch nicht bestehe, der Schuldner sei aber bereits sicher, dass die Zahlungsverpflichtung entstehen werde, sodass auch entsprechende Sicherungsmaßnahmen zumutbar seien. Vor ihrer Entstehung könne der Beitragsverpflichtung hingegen kein strafrechtlicher Schutz zukommen.476 aa) Mittelverwendung (omissio per commissionem) Desweiteren stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung der Vorfeldpflichten. Nimmt man aktives Vorverhalten als Pflichtwidrigkeit an, so kommt letztlich nur die anderweitige Verwendung von Vermögensgegenständen im Vorfeld der Fälligkeit der Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträge in Betracht. Es stellt sich daher die Frage, ob Fälle denkbar sind, in denen eine „Vorhaltepflicht“ von Mitteln für später fällig werdende Sozialversicherungsbeiträge besteht. Nur wenn eine solche Vorhaltepflicht besteht, kann das vorherige Begleichen anderer Verbindlichkeiten überhaupt pflichtwidrig sein. Hier zeigen die Konsequenzen einer Anwendung der omissio libera in causa auf § 266a StGB eine weitere äußerst widersprüchliche Folge der Vorrangrechtsprechung, wenn man sie auf die Pflichten im Rahmen der omissio per commissionem anwenden möchte. Will man mit dem BGH im Rahmen der Pflichten im Vorfeld der Fälligkeit bei konkurrierenden Zahlungsverpflichtungen eine der Vorrangrechtsprechung entspringende Verpflichtung zur Rücklage der Beträge zur vorrangigen Abführung der Sozialversicherungsbeiträge annehmen,477 so führt dies zu dem 475
Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), S. 144 f., 148. Bollacher, Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (2005), 145. 477 So explizit BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480 ff.; in der Entscheidung werden zwar in den Erwägungen nur – vom Fall losgelöst – Pflichten in Bezug auf eine mögliche Mittelverschaffung erläutert (dies beträfe nur den Fall der omissio libera in omittendo), allerdings statuiert das Urteil zuvor explizit, dass auch in der Begleichung einer anderen Verbindlichkeit eine Pflichtverletzung gesehen werden könne, sodass deutlich wird, dass explizit auch der Fall der omissio per commissionem erfasst sein soll, also die Vorrangigkeit der Sozialversicherungsbeiträge auch im Vorfeld der tatbestandlichen Verpflichtung im Sinne des § 266a StGB Auswirkungen auf die Bestimmung der Pflichtwidrigkeit aktiven Verhaltens haben soll. 476
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Ergebnis, dass kongruente, also zum Zeitpunkt der Rücklagenbildung fällige, Zahlungen unterlassen werden müssen, um eine noch inkongruente zu sichern, damit diese Forderung im Fall des Kongruentwerdens befriedigt werden kann. Dies widerspricht dem Grundgedanken einer Güterabwägung nach dem Vorbild der rechtfertigenden Pflichtenkollision. Lehnt man die oben genannten Grundsätze der Pflicht zur vorrangigen Befriedigung der Beitragszahlungen aus diesem Grunde ab, so können im Rahmen des aktiven Vorverhaltens, also der omissio libera in causa in Gestalt der omissio per commissionem, letztlich nur die inkongruente Befriedigung anderer Gläubiger sowie ein „Beiseiteschaffen“ vorhandener Liquiditätsreserven im Vorfeld der Fälligkeit pflichtwidrig und folglich nach den Grundsätzen der omissio libera in causa strafbarkeitsbegründend sein.478 Denn nur dann kann eine allgemeine Güterabwägung ergeben, dass die Zahlungen beispielsweise zur Sozialversicherung vor den tatsächlich vorgenommenen inkongruenten Zahlungen vorrangig vorzunehmen wären. Es kann folglich für den Fall, dass sowohl die Sozialversicherungsbeiträge als auch die andere Verbindlichkeit noch nicht fällig sind, ggf. eine Pflicht statuiert werden, auch die andere Verbindlichkeit nicht zu erfüllen. Wird sodann die Sozialversicherungsverbindlichkeit vor der anderen Verbindlichkeit fällig, so ist diese nach den Grundsätzen der Güterabwägung zunächst zu befriedigen. Die genannten Fälle dürften regelmäßig schon durch die Bankrottdelikte erfasst sein.479 Dennoch scheint unter diesen Umständen auch eine Strafbarkeit gemäß § 266a StGB möglich. Insbesondere erscheint eine Strafbarkeit nach § 266a StGB aufgrund der anderen Schutzrichtung der Norm auch dann gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen der objektiven Strafbarkeitsbedingung in § 283 Abs. 6 StGB nicht vorliegen, weil beispielsweise das Unternehmen sich zu einem späteren Zeitpunkt finanziell erholt und ein Insolvenzverfahren daher nicht eröffnet wird. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Insolvenzstraftaten können die Wertungen der §§ 283, 283c StGB, die Gläubiger benachteiligende Handlungen beschreiben, nach hier vertretener Auffassung auf die Abwägung zwischen verschiedenen Verbindlichkeiten bei mangelnder Liquidität übertragen werden, da sie insofern gesetzgeberische Wertentscheidungen für die Tilgungsreihenfolge 478 In diese Richtung auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.6.1993 – 22 U 9/93, NJW-RR 1993, 1448, 1449; jedenfalls den Fall kongruenter Deckung nicht als pflichtwidrig ansehend SK-Samson/Günther, § 266a, 39. Lieferung, Stand 1996, Rn. 31, die allerdings auch im Falle inkongruenter Deckung einen Fall des § 266a StGB nicht annehmen wollen, da hier ein ausreichender Schutz durch die Bankrottdelikte vermittelt werde; vgl. auch Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 10, der allerdings nicht nur bei inkongruenten, sondern unter Umständen auch bei kongruenten Zahlungen eine Pflichtwidrigkeit annehmen will. 479 SK-Samson/Günther, § 266a, 39. Lieferung, Stand 1996, Rn. 30.
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vorgeben. Die Situation ist insofern anders als im Rahmen des § 266a StGB, als § 266a StGB gerade keine Wertentscheidung in Bezug auf die Reihenfolge der Tilgung entnommen werden kann. § 283 StGB hingegen hat gerade den Fall mangelnder Ressourcen und deshalb auch die Statuierung einer Zahlungsreihenfolge zum Gegenstand. Nach alledem kommen als pflichtwidrige Vermögenshingaben im Vorfeld der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge letztlich hauptsächlich inkongruente Zahlungen im Sinne des § 283c StGB sowie Zahlungen, die ein „Beiseiteschaffen“ im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellen, in Betracht. Eine Zahlung erfolgt nach den Grundsätzen des § 283c StGB in inkongruenter Deckung, wenn der Gläubiger die Leistung nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit verlangen kann.480 Eine inkongruente Deckung liegt daher vor, wenn die Forderung (noch) nicht fällig ist oder ihr Einreden oder Einwendungen, beispielsweise Verjährung oder Anfechtbarkeit, entgegenstehen.481 Eine Forderung mit solch inkongruenter Deckung ist stets nachrangig im Vergleich zu einer fälligen und einredefreien, mithin kongruenten, Forderung zu behandeln. Dies erfordert schon der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und es entspricht auch der Wertung des § 283c StGB. Für den Fall, dass bei bestehenden Liquiditätsengpässen noch vor Fälligwerden der Ansprüche der Sozialversicherungsträger andere bereits fällige Verbindlichkeiten bestehen, kann es also nie eine Pflichtwidrigkeit des Schuldners darstellen, wenn er diese Verbindlichkeiten bedient, anstatt eine Rücklage für die später fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge zu bilden. Eine weitere Pflichtwidrigkeit wäre, wie soeben angedeutet, die Vornahme einer Handlung im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn durch diese Handlung der Vermögensbestand verringert wird und deshalb die Begleichung der Verbindlichkeiten aus der Sozialversicherung nicht mehr möglich ist. In Betracht kommt dabei insbesondere ein Beiseiteschaffen im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Eine Pflichtwidrigkeit kann daher insbesondere dann nicht angenommen werden, wenn sich die Zahlung des Schuldners innerhalb der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewegt. Das Merkmal der ordnungsgemäßen Wirtschaft bezieht sich nach allg. Ansicht auch auf das Beiseiteschaffen im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB482 und ist daher für die Bestimmung der Pflichtwidrigkeit von zentraler Bedeutung. Hierfür kann auf die zu § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestehende Kasuistik zurückgegriffen werden, insbesondere sind daher die Begleichung fälliger Verbindlichkeiten483 oder auch die 480
Statt aller Lackner/Kühl-Kühl, StGB § 283c Rn. 5. Lackner/Kühl-Kühl, StGB § 283c Rn. 5. 482 Exemplarisch NK-Kindhäuser, § 283 Rn. 15 m.w. N. 483 BGH, Urt. v. 17.3.1987 – 1 StR 6 93/86, Tz. 7 (bei juris), BGHSt 34, 309; LKTiedemann, § 283 Rn. 29; NK-Kindhäuser, § 283 Rn. 15. 481
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Deckung eines angemessenen Lebensunterhalts484 nicht als pflichtwidrig zu beanstanden. Der dritte Regelfall des ordnungsgemäßen Wirtschaftens, nämlich Austauschgeschäfte, durch die dem Vermögen ein wertgleicher Vermögensgegensand zugeführt wird,485 vermag die Zahlungsunfähigkeit bei Fälligkeit ohnehin nicht herbeizuführen und ist daher für Zwecke des § 266a StGB irrelevant. bb) Pflichten in Bezug auf die Mittelverschaffung (omissio libera in omittendo) Desweiteren thematisiert der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs auch, wann ein Schuldner Sicherungsmaßnahmen ergreifen muss, um die finanzielle Leistungsfähigkeit für die genannten Verpflichtungen zu sichern, und wie weit diese gehen müssen. Denn es gebe – dem Schuldstrafrecht angemessen – keine generelle Einstandspflicht für die Zahlungsfähigkeit, vielmehr setze eine solche „Sicherungspflicht“ sich abzeichnende Liquiditätsprobleme voraus. Der Senat will dem Schuldner die einzelfallbezogene Obliegenheit zu einer „Liquiditätsprognose“ zum Fälligkeitstag auferlegen und eine Pflichtwidrigkeit nur annehmen, wenn mangelnde Liquidität vorhersehbar war und „angemessene finanztechnische Maßnahmen“ zur Abwendung bestanden hätten.486 Eine weiter gehende Pflicht, bspw. die Beschaffung von Krediten, sieht der 5. Strafsenat allerdings nicht. Anders der VI. Zivilsenat, der jedenfalls die Ausschöpfung eines noch offenen Kreditrahmens zur Begleichung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten für zumutbar und zur Erreichung der Straffreiheit für erforderlich hält.487 Dies ist auch in der Literatur auf Kritik gestoßen; eine solche Pflicht zur Ausschöpfung einer noch nicht vollständig ausgeschöpften Kreditlinie soll jedenfalls dann nicht bestehen, wenn dies eine Pflichtwidrigkeit gegenüber der Kredit gebenden Bank darstellen würde, weil bereits zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Kreditsumme absehbar ist, dass eine spätere Tilgung nicht möglich sein wird.488 Darüber hinaus wird bei der Ausschöpfung bestehender Kreditlinien auf
484 BGH, Urt. v. 10.4.1952 – 5 StR 52/52, NJW 1952, 898; NK-Kindhäuser, § 283 Rn. 15. 485 Vgl. v. Heintschel-Heinegg-Beukelmann, § 283 Rn. 39. 486 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2481 f. 487 BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 327/95, NJW 1997, 133, 134; sich anschließend Oppenländer/Trölitzsch-Ziemons, § 27 Rn. 55; a. A. inzwischen Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 10, der eine Pflicht zur Beschaffung von Kreditmitteln jedenfalls dann nicht annehmen will, wenn der Schuldner diese nicht wird zurückzahlen können. 488 MüKo-Radtke, § 266a Rn. 39; a. A. SK-Hoyer, § 266a Rn. 50, der tatsächliche Zahlungsunfähigkeit nur annehmen will, wenn keine „liquiden oder liquidierbaren Vermögenswerte“ zur Verfügung stehen und es auch keine Möglichkeit gibt, sich diese bspw. durch ein Darlehen zu verschaffen. Hoyer weist allerdings darauf hin, dass die zur Finanzierung erlangten Mittel nicht entgegen §§ 134, 138 BGB in das Vermögen
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
135
Zurückhaltung gepocht, wenn es sich nicht nur um vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten handelt.489 Ferner wird allgemein angemerkt, dass solche Handlungen nicht von der Pflicht zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit erfasst sein sollen, die ihrerseits rechtswidrig sind oder die den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit lediglich nach hinten verschieben würden.490 Nicht verpflichtet sein soll der Schuldner daher zur Entziehung von Vermögenswerten, für die aufgrund einer bereits titulierten Forderung die Pfändung droht,491 auch nicht zur Entlassung des Arbeitnehmers, um die sozialversicherungsrechtliche Pflicht vorsorglich zum Erlöschen zu bringen.492 Zuzustimmen ist hier den Stimmen, die Zurückhaltung bei den Pflichten zur Mittelverschaffung annehmen, wenn von einer nicht nur vorübergehenden Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist. Insbesondere die Tatsache, dass es offensichtlich für notwendig erachtet wird, explizit darauf hinzuweisen, dass die Beschaffung neuer Mittel dann nicht von der vortatbestandlichen Pflicht des Abführungsverpflichteten erfasst ist, wenn die Mittelverschaffung selbst eine Pflichtwidrigkeit darstellen würde, macht deutlich, dass der Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen eine ungerechtfertigt hohe Stellung eingeräumt wird. Vielmehr ist bei voraussichtlich dauernder Zahlungsunfähigkeit auch in Bezug auf die Ausschöpfung bestehender Kreditlinien Zurückhaltung geboten. Denn hierdurch würden neue Verbindlichkeiten begründet, die voraussichtlich nicht vollständig getilgt werden können, um bestehende Verbindlichkeiten bedienen zu können. Eine Höherwertigkeit der bestehenden Verbindlichkeit gegenüber der durch Ausschöpfung der Kreditlinie neu begründeten Verbindlichkeit ist aber generell gerade nicht festzustellen. Selbst wenn also ohne weitere Voraussetzungen eine Kreditlinie in Anspruch genommen werden könnte (z. B. Dispositionskredit) ist daher jedenfalls in den Fällen, in denen von einer späteren erfolgreichen Sanierung und damit von der Möglichkeit der Rückzahlung der Verbindlichkeiten nicht auszugehen ist, auch das Ausschöpfen bestehender Kreditlinien nicht zu verlangen. c) Fazit aa) Fehlende Liquidität Hat der Schuldner zum Zeitpunkt der Fälligkeit keine ausreichenden liquiden Mittel mehr zur Verfügung, um die erforderlichen Sozialversicherungsbeiträge des Schuldners (Arbeitgebers) gelangt sein dürfen, da diese Mittel unter juristisch-ökonomischen Aspekten nicht Teil dessen Vermögens geworden seien. 489 Renzikowski, FS Weber, S. 333, 338. 490 Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 10. 491 BGH, Beschl. v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2482; zust. Schönke/ Schröder-Perron, § 266a Rn. 10. 492 Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 10.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
abzuführen, so ist ihm die Handlung unmöglich. Eine Strafbarkeit gemäß § 266a StGB kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Eine Ausnahme kann ggf. eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen der omissio libera in causa bilden (siehe sogleich). bb) Konkurrierende Zahlungsverpflichtungen Für den Fall, dass die liquiden Mittel nicht für die Zahlung aller Verbindlichkeiten ausreichen, die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge allein aber noch möglich wäre, gelten die Grundsätze der rechtfertigenden Pflichtenkollision. Im Rahmen der hierfür erforderlichen Güterabwägung besteht aus oben genannten Gründen493 kein Vorrang der Sozialversicherungsabgaben vor anderen Verbindlichkeiten. Die Güterabwägung ist jeweils Frage des Einzelfalls, generalisierend kann man allerdings davon ausgehen, dass kongruente Zahlungsverpflichtungen den inkongruenten stets vorgehen. Dies folgt bereits aus der Wertung des § 283c StGB.494 Für den Fall, dass nach der Abwägung keine Gründe dafür bestehen, dass eine Zahlungsverpflichtung im Einzelfall der anderen vorgeht, so besteht eine Autonomie des Schuldners welcher Verpflichtung er nachkommen möchte. Daher ist für den Fall, dass mehrere Zahlungen gleichzeitig fällig sind, der Schuldner aber nicht alle diese Forderungen bedienen kann, der Schuldner gerechtfertigt, wenn er aufgrund der Begleichung anderer gleichrangiger Verbindlichkeiten die Beiträge zur Sozialversicherung nicht mehr bedienen kann. cc) Strafbarkeit aufgrund pflichtwidrigen Verhaltens im Vorfeld Nach hier vertretener Auffassung können die Grundsätze der omissio libera in causa sowohl in Gestalt des aktiven Vorverhaltens (omissio per commissionem) als auch in Form des Unterlassens im Vorfeld (omissio libera in omittendo) auf § 266a StGB übertragen werden. Allerdings ist eine fällige Zahlungspflicht stets vorrangig vor einer vorgelagerten Pflicht zu erfüllen.495 (1) Omissio per commissionem Da aus oben genannten Gründen496 die Vorrangrechtsprechung abzulehnen ist, sind die Anwendungsfälle für die omissio per commissionem bei § 266a StGB äußerst begrenzt. Nicht jegliche Mittelverwendung zu Lasten der Liquidität zur Begleichung von Sozialversicherungsbeiträgen kann pflichtwidrig sein, sondern nur bestimmte Zahlungen, bei denen aus den Wertungen der Rechtsordnung ent493 494 495 496
Vgl. unter D.III.2.a)bb)(4). Vgl. unter D.III.2.b)aa). So auch Renzikowski, FS Weber, S. 333, 340. Vgl. unter D.III.2.a)bb)(4).
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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nommene Gründe eine Nachrangigkeit dieser Zahlung ergeben, vermögen eine Pflichtwidrigkeit überhaupt zu statuieren. Konkret verbleibt damit in Bezug auf das aktive Vorverhalten, dass nur die Erfüllung inkongruenter Verbindlichkeiten im Sinne des § 283c StGB oder aber ein „Beiseiteschaffen“ oder eine andere Handlung im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB Pflichtverletzungen im Sinne der omissio libera in causa auch in Bezug auf § 266a StGB darstellen können. Außerhalb dieser Fälle ist aufgrund der Freiheit des Unternehmers, über die Reihenfolge der Tilgung ausstehender Forderungen selbst zu entscheiden, eine Pflichtverletzung durch aktives Tun nicht denkbar. (2) Omissio libera in omittendo Unabhängig von dieser Frage kann ggf. eine Pflichtwidrigkeit auch in einer im Vorfeld der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge liegenden Unterlassungshandlung (omissio libera in omittendo) gesehen werden. Wie bereits angedeutet497 ist in diesem Fall aber nach der hier vertretenen Ansicht Zurückhaltung geboten, da die Aufnahme neuer Verbindlichkeiten zur Begleichung von Verpflichtungen im Sinne des § 266a StGB jedenfalls dann nicht verlangt werden kann, wenn bereits zum Zeitpunkt der Begründung der neuen Verbindlichkeiten absehbar ist, dass diese nicht ordnungsgemäß zurückgeführt werden können, weil die Liquiditätsengpässe nicht nur vorübergehender Natur sind. Dies muss auch dann gelten, wenn beispielsweise aufgrund bestehender nicht voll ausgeschöpfter Kreditlinien die Begründung der weiteren Verbindlichkeiten keine Pflichtverletzung gegenüber dem Gläubiger darstellen würde. Denn die Verpflichtung zur Inanspruchnahme bestehender Kreditlinien würde wiederum dazu führen, dass die Verbindlichkeiten gegenüber den Sozialversicherungsträgern als vorrangig gegenüber der erst zu begründenden Verbindlichkeit gegenüber dem Neugläubiger behandelt würde. Diese Wertung kann aber weder der strafrechtlichen Sanktionierung an sich noch anderen gesetzlichen Wertungen entnommen werden.498
IV. Parallelen und Unterschiede im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG Auch §§ 26b, 26c UStG können als echtes Unterlassungsdelikt nur verwirklicht sein, wenn der Zahlungsverpflichtete hierzu zum Fälligkeitszeitpunkt auch in der Lage war.499 Strukturell besteht daher im Vergleich zu § 266a StGB das 497
Vgl. unter D.III.2.b)bb). Vgl. unter D.III.2.a)bb)(4). 499 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 27; Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 22; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 47, § 26c Rn. 14; Reiß/ 498
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
gleiche Problem im Hinblick auf konkurrierende Zahlungsverpflichtungen (s. sogleich unter D.IV.1.) sowie in Bezug auf Pflichten im Rahmen der omissio libera in causa (s. sogleich unter D.IV.2.). 1. Die Behandlung konkurrierender Zahlungsverpflichtungen im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG a) Allgemeine Erwägungen Im Grundsatz ergibt sich – jedenfalls nach Ansicht der Rechtsprechung – für die Beurteilung steuerrechtlicher Pflichten kein Unterschied zu den soeben erläuterten sozialversicherungsrechtlichen Pflichten. Eine Privilegierung jedenfalls der Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer und wohl auch der Umsatzsteuer500 soll nach Ansicht der zivilrechtlichen Rechtsprechung des BGH501 und auch nach Ansicht des BFH502 in Kollisionsfällen ebenso bestehen wie bei der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Entsprechend der Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen soll das Massesicherungsgebot nach § 64 GmbHG lediglich während der Dreiwochenfrist zur Insolvenzantragstellung die Pflicht zur Abführung von Lohnsteuer suspendieren, eine Pflichtenkollision bestehe nur in diesem Zeitraum.503 Es ist davon auszugehen, dass für die Umsatzsteuer entsprechend entschieden würde. Zusätzlich wird darauf hingewiesen, dass in Bezug auf das Bestehen eines Schadens im Rahmen des Haftungstatbestandes aus § 69 AO eine hypothetische Betrachtung über eine mögliche Insolvenzanfechtung dann nicht beachtet werden kann, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird.504 Weiter ging in haftungsrechtlicher Hinsicht noch das FG Köln, das im Rahmen des Haftungstatbestands aus § 69 AO davon ausgeht, dass hypothetische Reserveursachen wie die spätere Anfechtbarkeit durch den Insolvenzverwalter keine Rolle spielen könnten, da dies dem Schutzzweck der §§ 69 AO, 41a EStG zuwider laufe.505 Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 10; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 49; Wannemacher-Traub, Rn. 1357; a. A.: Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 22, der davon ausgeht, dass bei echten Unterlassungsdelikten die Handlungsfähigkeit nicht Voraussetzung für die Begehung sei, sondern durch das bloße Nichtzahlen zum Fälligkeitszeitpunkt der Tatbestand verwirklicht sei; die Unerheblichkeit von Zahlungsunfähigkeit offenbar ebenfalls annehmend Stadie, UStG §§ 26b, 26c Rn. 6. 500 So jedenfalls BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09. 501 BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09. 502 BFH, Urt. v. 27.2.2007 – VII R 67/05; BFH, Beschl. v. 4.7.2007 – VII B 268/06. 503 BFH, Beschl. v. 4.7.2007 – VII B 268/06. 504 BFH, Beschl. v. 4.7.2007 – VII B 268/06. 505 FG Köln, Urt. v. 12.9.2005 – 8 K 5677/01, GmbHR 2006, 49, 53; diese Frage hat der BFH in der Revisionsinstanz ausdrücklich dahinstehen lassen, vgl. BFH, Urt. v. 27.2.2007 – VII R 67/05.
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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Auch in Bezug auf steuerrechtliche Abführungspflichten sollen Zahlungen an das Finanzamt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar im Sinne des § 64 GmbHG sein, da ansonsten die Ahndung über die Ordnungswidrigkeitstatbestände § 380 AO bzw. § 26b UStG drohe.506 Auch wenn eine dogmatische Herleitung des Vorrangs, wie sie der 5. Strafsenat in Bezug auf die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen vorgenommen hat,507 der II. Zivilsenat auch im Hinblick auf die steuerlichen Pflichten nicht durchführt, so geht er doch im Ergebnis mit identischen Erwägungen wie bei den sozialversicherungsrechtlichen Pflichten davon aus, dass – mit Ausnahme des Zeitraums der Insolvenzantragsfrist – auch die Steuerverpflichtungen den übrigen Zahlungsverpflichtungen vorgehen. Soweit ersichtlich durch die Rechtsprechung nicht geklärt ist das Verhältnis verschiedener straf- oder bußbewehrter und mit einer persönlichen Haftungspflicht verbundener öffentlich-rechtlicher Zahlungsverpflichtungen untereinander. Folgt man der Argumentation des 5. Strafsenats zur dogmatischen Begründung des Vorrangs der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten und wendet diese konsequent weiter an, so müsste eine „nur“ mit einer Ordnungswidrigkeit bedrohte Nichtabführung, also die Nichtabführung der Lohnsteuer, gegenüber der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen subsidiär sein. Denn nach der Argumentation des 5. Strafsenats hat der Gesetzgeber damit zum Ausdruck gebracht, dass ihm wegen der Strafbewehrung die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen wichtiger ist als die Abführung der Lohnsteuer, bei der die Nichtbefolgung des Gebots „nur“ eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Gleiches könnte in Bezug auf die Nichtabführung von Umsatzsteuer gelten, da jedenfalls der Grundtatbestand § 26b UStG auch hier nur eine Ordnungswidrigkeit darstellt. Allerdings stellt sich hier schon die Frage, wie damit umzugehen ist, dass im Falle der Wiederholungsabsicht ggf. schon der Straftatbestand des § 26c UStG verwirklicht wird. Möchte der 5. Strafsenat in solchen Fällen die Priorität bei Strafbewehrtheit mehrerer Pflichten absteigend nach der Strafdrohung des potentiell verwirklichten Tatbestands festlegen? Und wie soll in Fällen identischer Strafdrohung entschieden werden? Spätestens hier könnte wohl auch nach Ansicht der Rechtsprechung konsequenterweise nur eine Straffreiheit nach den Grundsätzen der rechtfertigenden Pflichtenkollision angenommen werden. Zu diesen praktischen Konsequenzen ihrer ohnehin dogmatisch fragwürdigen Herleitung der Prioritätenerstellung aufgrund strafrechtlicher Sanktionierung nimmt die Rechtsprechung allerdings – soweit ersichtlich – nicht Stellung. Zu der Konkurrenz der Zahlungsverpflichtungen im Sinne der §§ 26b, 26c UStG mit anderen Verbindlichkeiten bei begrenzten liquiden Mitteln besteht in 506 507
BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09. Vgl. unter D.III.2.a)aa).
140
3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
dieser Hinsicht soweit ersichtlich keine Diskussion in der Literatur. Aufgrund der strukturell vergleichbaren Situation können in Bezug auf die Verpflichtung zur Umsatzsteuerzahlung die im Zusammenhang mit § 266a StGB bestehenden Argumente in Literatur und Rechtsprechung im Hinblick auf konkurrierende Zahlungsverpflichtungen jedoch uneingeschränkt übertragen werden. Die verschiedenen durch die Literatur vorgebrachten Argumente gegen die Grundsätze der Vorrangrechtsprechung greifen hier daher ebenfalls durch. Im Hinblick auf §§ 26b, 26c UStG kann im Übrigen mangels einer mit § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV vergleichbaren Regelung auch die Argumentation der Literatur zur Strafbarkeit bei Fällen, die der Insolvenzanfechtung unterliegen würden,508 noch uneingeschränkt nutzbar gemacht werden. Im Hinblick auf konkurrierende Zahlungsverpflichtungen ist folglich festzuhalten, dass nach hier vertretener Ansicht ebenso wie im Rahmen des § 266a StGB generell eine Güterabwägung im Einzelfall vorzunehmen ist. Wenn die bestehenden fälligen Zahlungsverpflichtungen gleichrangig sind, so kann der Unternehmer frei über die Tilgungsreihenfolge entscheiden. Kann er aufgrund dieser Entscheidung eine weitere fällige Verbindlichkeit, auch die Verbindlichkeit im Sinne des § 26b UStG, nicht mehr bedienen, so ist er über die Grundsätze der rechtfertigenden Pflichtenkollision gerechtfertigt. b) Besondere Tilgungsreihenfolge innerhalb der öffentlich-rechtlichen Pflichten aus Gründen des Drittschutzes? Es stellt sich folglich noch die Frage, ob es innerhalb der öffentlich-rechtlichen Pflichten solche gibt, die aus anderen Gründen vorrangig vor anderen Verbindlichkeiten zu bedienen sind. Hierfür soll zunächst kurz dargestellt werden, welche Rechtsfolgen sich aus der Nichtabführung der genannten Beträge ergeben. Anhand der Frage, ob Dritte durch die Nichtabführung der Beträge negativ betroffen sind, soll sodann erörtert werden, ob bestimmte Pflichten vorrangig zu behandeln sind. Fraglich ist, ob man – unabhängig von der der ohnehin erforderlichen Einzelfallabwägung bei konkurrierenden Zahlungspflichten – aus den Auswirkungen einer Nichtzahlung eine bestimmte Reihenfolge der oben genannten Zahlungspflichten, also Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung, Lohnsteuer oder Umsatzsteuer, ableiten kann, die regelmäßig auf das „Rangverhältnis“ der Zahlungspflichten untereinander Anwendung finden kann. Diese Reihenfolge könnte dann relevant werden, wenn diese jeweils fällig sind, sodass sich im Rahmen der Abwägung der einzelnen Verpflichtungen die Frage stellt, ob Gründe des Drittschut-
508
Vgl. unter D.III.2.a)bb)(2).
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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zes für die generelle Vorrangigkeit einer bestimmten Zahlungsverpflichtung bestehen. Hierzu soll dargestellt werden, welche Auswirkungen eine Nichtzahlung der einzelnen Verbindlichkeiten für Dritte hätte, aus denen sich ggf. die Pflicht zur vorrangigen Tilgung einer der Verbindlichkeiten ergeben könnte. aa) Rechtslage bei Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen Alleiniger Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge im Außenverhältnis ist der Arbeitgeber, § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV.509 Dieser kann sich gemäß § 28g SGB IV im Innenverhältnis beim Arbeitnehmer schadlos halten, im Fall der Nichteinbehaltung allerdings nur in gewissen zeitlichen Grenzen, vgl. § 28g Sätze 2, 3 SGB IV. Obgleich es sich um wirtschaftlich vom Arbeitnehmer zu tragende Beträge handelt und diese auch nach der Fiktion des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV als aus dem Vermögen des Arbeitnehmers geleistet gelten, ergibt sich unter keinen Umständen eine Haftung des Arbeitnehmers für nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge. Insofern kann auch keine vorrangige Pflicht aus der Gefahr der Schädigung Dritter durch die Nichtabführung abgeleitet werden. bb) Rechtslage bei Nichtabführung von Lohnsteuer Im Bereich der Lohnsteuer existiert grundsätzlich eine gesamtschuldnerische Haftung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gem. § 42d Abs. 3 EStG. Allerdings ist in § 42d Abs. 3 Satz. 4 EStG eine Ermessenseinschränkung kodifiziert, nach der der Arbeitnehmer nicht in Anspruch genommen werden kann, wenn der entsprechende Betrag bereits durch den Arbeitgeber einbehalten wurde. Es besteht in diesem Falle schon keine Gesamtschuld.510 Auch für den Fall, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer zwar einbehalten, die entsprechenden Beträge aber nicht abgeführt hat, ergeben sich also keine negativen Auswirkungen bei Dritten. Wurde die Lohnsteuer gar nicht erst einbehalten, so kann zwar der Arbeitnehmer durch das Finanzamt gleichfalls in Anspruch genommen werden. In gewissen Fällen kann sogar eine Ermessenseinschränkung dahingehend bestehen, dass der Arbeitnehmer vorrangig in Anspruch zu nehmen ist.511 Allerdings entsteht hieraus kein Nachteil für den Arbeitnehmer, da dieser die Steuer wirtschaftlich ohnehin zu tragen hat und aufgrund der Nichteinbehaltung von der Lohnsteuer auch noch nicht belastet wurde. Auch aus den Rechtsfolgen der Nichtabführung von Lohnsteuer durch den Arbeitgeber kann also keine vorrangige Verpflichtung zur Zahlung von Lohnsteueransprüchen abgeleitet werden.
509
Vgl. auch Kreikebohm-Roßbach, § 28e SGB IV Rn. 2. Blümich-Wagner, § 42d EStG Rn. 88. 511 BFH, Urt. v. 15.10.1976 – VI R 232/74, BStBl. II 1977, 53; BFH, Beschl. v. 19.7.1995 – VI B 28/95, BFH/NV 1996, 32; Blümich-Wagner, § 42d EStG Rn. 109. 510
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
cc) Rechtsfolgen bei Nichtabführung von Umsatzsteuer Auch aus der Nichtabführung von Umsatzsteuer ergeben sich im Regelfall keine negativen Folgen für Dritte. Der Leistungserbringer ist selbst alleiniger Schuldner der Umsatzsteuer. Das Recht des Leistungsempfängers auf Vorsteuererstattung bleibt von der Nichtabführung unberührt.512 Auch eine Haftung Dritter kommt nur unter den speziellen Voraussetzungen des § 25d UStG in Betracht, die auf den in diesem Zusammenhang allein zu beleuchtenden Grundfall keine Auswirkungen haben kann. Denn die von § 25d UStG betroffenen „betrügerischen“ Sachverhaltskonstellationen betreffen nicht den Regelfall der konkurrierenden Zahlungspflichten. dd) Fazit Da für keine der oben genannten Zahlungspflichten im Falle der Nichterfüllung der Pflicht negative Auswirkungen auf Dritte zu erwarten sind, kann hieraus keine grundsätzliche Vorrangigkeit der Erfüllung einer dieser Pflichten ermittelt werden. Die Auflösung des Gebotskonflikts muss also in jedem Fall anhand einer Einzelfallabwägung der betroffenen Rechtsgüter erfolgen. In der Regel wird sich hierbei keine Vorrangigkeit einer bestimmten Pflicht ergeben, sodass hier der Unternehmer selbst die Wahl hat, welche Verbindlichkeit er tilgen möchte. 2. Strafbarkeit trotz fehlender Leistungsfähigkeit aufgrund der Grundsätze der omissio libera in causa a) Anwendbarkeit der Rechtsfigur Auch bei §§ 26b, 26c UStG soll in den Fällen, in denen gar keine liquiden Mittel mehr zur Tilgung der umsatzsteuerrechtlichen Zahlungsverpflichtungen vorhanden sind, nach herrschender Ansicht dennoch eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen der omissio libera in causa möglich sein.513 Hiervon abweichend wird zum Teil davon ausgegangen, dass schon aus der Wortwahl in § 25d UStG geschlossen werden könne, dass sich das vorsätzliche Außerstandesetzen nicht unter den Tatbestand des § 26b UStG, nämlich das Nichtentrichten, subsumieren lasse.514 Dem wird in der Literatur entgegengehalten, dass das vorsätzliche Au512 Ausnahmen ergeben sich lediglich bei Kenntnis des Leistungsempfängers, vgl. EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04 – Axel Kittel und Recolta Recycling SPRL, Slg 2006, I-6161 = UR 2006, 594. Wegen der fehlenden Schutzwürdigkeit des Leistungsempfängers in dieser speziellen Konstellation kann dies auf die grundsätzliche Bewertung allerdings keinen Einfluss haben. 513 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 23; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 47, § 26c Rn. 14; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 10; Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 440. 514 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 29; Wannermacher-Traub, Rn. 1361; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 85.
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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ßerstandesetzen – anders als in § 25d UStG – nicht explizit vom Wortlaut erfasst sein müsse, da der Gesetzgeber die allgemeinen strafrechtlichen dogmatischen Grundsätze vorausgesetzt habe.515 Vorzugswürdig erscheint hier die Ansicht, die von der prinzipiellen Anwendbarkeit der Grundsätze der omissio libera in causa auch auf die §§ 26b, 26c UStG ausgeht. Wenn man der Rechtsfigur der omissio libera in causa insgesamt kritisch gegenübersteht, so sprechen sicherlich insbesondere in dogmatischer Hinsicht und mit Blick auf den nulla poena Grundsatz gute Gründe dafür, die Rechtsfigur in Gänze abzulehnen. Nicht ersichtlich ist allerdings, weshalb bei §§ 26b, 26c UStG andere Grundsätze gelten sollten als bei anderen Delikten, insbesondere andere Grundsätze als im Rahmen des § 266a StGB. Denn für die §§ 26b, 26c UStG gelten gemäß § 369 Abs. 2 AO die allgemeinen Grundsätze des Strafrechts. Auch sind von § 369 Abs. 2 AO nicht nur kodifizierte Gesetze, sondern auch von Rechtsprechung und Schrifttum entwickelte allgemeine Lehren erfasst.516 Allgemeine Rechtsfiguren sind daher ohne weiteres Regelungsbedürfnis in der Norm selbst ebenso anwendbar wie andere allgemeine strafrechtliche Grundsätze. Insofern ist die Rechtsfigur der omissio libera in causa, wenn man denn von ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit ausgeht, auf die §§ 26b, 26c UStG zunächst anwendbar, auch wenn – anders als in dem Haftungstatbestand in § 25d UStG, für den die Grundsätze des Strafrechts nicht gelten – die Möglichkeit des vorsätzlichen Außerstandesetzens im Vorfeld gerade nicht geregelt ist. Wenn Traub darauf verweist, dass die Handlung des Außerstandesetzens sich unter den Tatbestand des § 26b UStG nicht subsumieren lasse, dann kann dies zur allgemeinen Kritik an der Rechtsfigur der omissio libera in causa dienen. Eine Begründung, dass die Figur nur auf §§ 26b, 26c UStG nicht anwendbar sein soll, vermag diese Argumentation allerdings nicht zu vermitteln. Denn es ist gerade Wesen der omssio libera in causa, dass eine Handlung strafrechtliche Relevanz erhält, die im Tatbestand nicht umschrieben ist. Geht man davon aus, dass aufgrund der Besonderheiten bei Zahlungsverpflichtungen in einem Gebotsgesetz die Rechtsfigur der omissio libera in causa nicht auf Unterlassungsdelikte anwendbar ist, die eine solche Zahlungsverpflichtung zum Gegenstand haben,517 so müsste man diese Rechtsfigur konsequenterweise bei all diesen Delikten ablehnen. Nach hier vertretener Ansicht ist allerdings die Rechtsfigur der omissio libera in causa grundsätzlich auch auf solche Delikte anwendbar, die ein Zahlungsgebot beinhalten. Bei der Beurteilung der Pflichten im Vorfeld des Tatbestands ist allerdings zu beachten, dass eine grundsätzliche Vorrangigkeit bestimmter Zahlungsverpflichtungen nicht besteht, sodass nur in eng be515
Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 14. Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 369 AO Rn. 15; Hübschmann/Hepp/Spitaler-Rüping, § 369 Rn. 20 ff. 517 Vgl. unter D.III.1. 516
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
grenzten Ausnahmefällen überhaupt eine Pflichtwidrigkeit angenommen werden kann.518 Die Rechtsfigur der omissio libera in causa, die auch im Fall von echten Unterlassungsdelikten Anwendung findet,519 ist daher das sachnächste Instrument um Inhalt und Grenzen einer solchen strafrechtlichen Vorfeldhaftung festzusetzen. In den Grenzen dieser Rechtsfigur können daher Fälle erfasst werden, in denen der Umsatzsteuerpflichtige seine Zahlungsunfähigkeit selbst herbeigeführt hat und sogar – wie bei den Karussellgeschäften üblich – bereits von Beginn an geplant hat. b) Pflichtwidrigkeit im Vorfeld der Zahlungspflicht aus §§ 26b, 26c UStG Geht man mit der herrschenden Ansicht von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Strafbarkeit nach den Grundsätzen der omissio libera in causa aus, so stellt sich die Frage, was speziell im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG die Pflichtwidrigkeit beziehungsweise die gebotenen und zumutbaren Handlungspflichten sind. Dieser Bereich ist weit weniger durch Rechtsprechung und Schrifttum durchdrungen als im Rahmen des § 266a StGB, insbesondere werden kaum konkrete Anhaltspunkt für die Bestimmung des Pflichtenkanons vorgeschlagen. Sofern zu diesem Problemkreis überhaupt Stellung genommen wird, beschränken die Kommentierungen sich auf die Feststellung, dass Unmögliches nicht verlangt werden könne, eine Strafbarkeit aber dennoch nach den Grundsätzen der omissio libera in causa erfolgen könne.520 Die konkreten Handlungs- und Vorhaltepflichten der verantwortlichen Personen können sich dabei nur nach den systematischen Besonderheiten der Umsatzsteuerzahlungen sowie der allgemeinen Grundsätze des Steuerschuldverhältnisses richten. Fraglich ist daher, wann ein Handlungspflichtiger im Sinne der Grundsätze der omissio libera in causa verantwortlich dafür ist, dass er im Fälligkeitszeitpunkt nicht in der Lage war, den Gebotspflichten nachzukommen. aa) Literaturansichten zu den konkreten Pflichten im Vorfeld der Fälligkeit der Umsatzsteuer Teilweise wird angenommen, dass der „missing trader“ eines Umsatzsteuerkarussells stets eine solche Verantwortung trage, da er sich „durch die Ausstellung der Rechnung sozusagen selbst außer Stande gesetzt“ habe, die Steuer zahlen zu 518
Vgl. unter D.III.2.b). Roxin, AT II § 31 Rn. 104. 520 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 23; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 10; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 27. 519
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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können.521 Gemeint sein soll wohl der von Beginn an vermögenslose „missing trader“, der bereits bei Abgabe seiner Umsatzsteuervoranmeldung weder objektiv in der Lage noch subjektiv willens ist, seine Umsatzsteuerschuld zu begleichen.522 Abgesehen davon, dass eine Generalisierung des Verschuldens des „missing traders“ schon deshalb nicht möglich ist, weil variantenreiche Ausgestaltungen des „Geschäftsmodells“ und seines Aufgabenfeldes vorgenommen werden können, ist eine solche Einschätzung in hohem Maße fragwürdig. Denn zur Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung war der Unternehmer ohnehin verpflichtet. Ob er zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig war, kann in diesem Zusammenhang nicht relevant sein. Ebenso verwundert der Verweis auf die Ausstellung der Rechnung. Bezüglich der Annahme, dass der „missing trader“ sich „durch Ausstellung der Rechnung“ außer Stande setzt, die Steuer zahlen zu können, wird der Zusammenhang zwischen Rechnungsausstellung und Zahlungsunfähigkeit nicht deutlich. Denn insbesondere wird die Pflicht zur Abführung der Umsatzsteuer durch die Rechnungsausstellung gar nicht berührt. Die im Rahmen der Umsatzsteuerkarusselle schädliche Implikation der Rechnungsausstellung rührt vielmehr daher, dass die Rechnung den Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt, wodurch letztlich in der Gesamtschau der Schaden des Fiskus entstehen kann. Weshalb die Ausstellung der Rechnung an sich zu einem Außerstandesetzen zur Zahlung führen soll, bleibt unbeantwortet. Zu Recht weist Blesinger auch insbesondere darauf hin, dass nicht etwa ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der Erstellung einer entsprechenden Rechnung und der späteren Nichtentrichtung der Steuer bestehe, sondern die Pflichtwidrigkeit – für den Fall, dass Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Fälligkeit besteht – nur darin gesehen werden kann, dass der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit selbst herbeigeführt habe.523 Denn in § 14 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG sei gerade die Pflicht zu einer entsprechenden Rechnungsausstellung normiert, sodass außerhalb der Fälle des § 14c UStG die Rechnungserstellung nie pflichtwidrig sein könne.524 Dem ist zuzustimmen, denn es muss gerade eine objektive Pflichtwidrigkeit vorliegen. Selbst wenn also der Rechnungsaussteller durch Ausstellung der Rechnung den Vorsteuerabzug ermöglichen wollte, obgleich er wusste, dass er selbst die Umsatzsteuer nicht entrichten wird, so ändert dies nichts an seiner Pflicht aus § 14 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG.
521 Plückebaum/Malitzky/Widmann-Kemper, § 26b Rn. 54; Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 440. 522 Plückebaum/Malitzky/Widmann-Kemper, § 26b Rn. 54. 523 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 47. 524 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 47.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
bb) Konkretisierung des pflichtwidrigen Verhaltens im Vorfeld der §§ 26b, 26c UStG Bezüglich der abstrakten Kriterien, nach denen bestimmt werden kann, wann der Handlungspflichtige in Bezug auf die Nichtabsicherung der Zahlungsfähigkeit pflichtwidrig handelt, sodass die Grundsätze der omissio libera in causa eingreifen können, muss Gleiches gelten wie im Rahmen des § 266a StGB. (1) Aktives Vorverhalten Ebenso wie im Rahmen des § 266a StGB können die Wertungen der §§ 283, 283c StGB übertragen werden,525 sodass generell ein Beiseiteschaffen im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie Zahlungen im Sinne des § 283c StGB auch pflichtwidrige Vorfeldhandlungen im Hinblick auf §§ 26b, 26c UStG i.V. m. den Grundsätzen der omissio libera in causa darstellen. Entscheidend ist somit auch in diesem Zusammenhang der Begriff der ordnungsgemäßen Wirtschaft im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB.526 Entspricht eine Zahlung nicht den Anforderungen der ordnungsgemäßen Wirtschaft, kann ggf. von einem pflichtwidrigen Vorverhalten ausgegangen werden, das zu einer Strafbarkeit nach den Grundsätzen der omissio libera in causa führt. Unabhängig davon, ob konkurrierende Zahlungspflichten bestanden und der Handlungspflichtige sich für die Bedienung einer nicht gleichwertigen Verbindlichkeit entschieden hat oder ob eine Zahlung vorgenommen wurde, zu der gar keine Verpflichtung bestand (wie wohl regelmäßig beim Umsatzsteuerkarussell), liegt beim Verstoß gegen diese Maßstäbe ein pflichtwidriges Vorverhalten vor. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Unternehmer bzw. sein Vertreter absehen konnte, dass die verbleibenden Liquiditätsreserven nicht für die Begleichung aller Pflichten ausreichen und sodann eine fehlerhafte Abwägung getroffen hat. Außerhalb der offensichtlichen Umsatzsteuerkarusselle bzw. anderweitig deliktisch veranlagten Geschäfte wird jedoch bei Erfüllung einer Verbindlichkeit beziehungsweise Tätigung einer Zahlung, bei der der Handlungspflichtige in der Gesamtschau ernsthaft von den positiven Auswirkungen der Zahlung für das Unternehmen ausgehen konnte, davon auszugehen sein, dass eine vernunftwidrige Abwägung gerade nicht stattgefunden hat, sodass auch eine Strafbarkeit nach Grundsätzen der omissio libera in causa nicht vorliegt. Erfasst sein wird in der Regel jedenfalls das vorsätzliche Herbeiführen der Zahlungsunfähigkeit mit dem Ziel, keine Mittel mehr zur Tilgung der Umsatzsteuerschuld vorzuhalten, da hierin in aller Regel ein „Beiseiteschaffen“ im Sinne des § 283 Abs. 1 Satz 1 StGB, also ein Verhalten, durch das der Zugriff 525 526
Vgl. unter D.III.2.c)cc)(1). Vgl. unter D.III.2.c)cc)(1), D.III.2.b)aa).
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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eines Gläubigers auf Vermögensgegenstände unmöglich gemacht oder erheblich erschwert wird,527 zu sehen sein wird. Insofern wären wohl auch die klassischen Fälle der Umsatzsteuerkarusselle erfasst. (2) Pflichtwidriges Unterlassen Es verbleibt letztlich noch die Frage, ob und ggf. welche Handlungen der steuerpflichtige Unternehmer hätte vornehmen müssen, um seine Liquidität zum Fälligkeitszeitpunkt sicher zu stellen. Dies wäre daher letztlich eine Frage des pflichtwidrigen Unterlassens im Vorfeld, also der omissio libera in omittendo. Auch hier sind die im Zusammenhang mit § 266a StGB aufgestellten Grundsätze528 zu übertragen, sodass nach der hier vertretenen Ansicht eine Verpflichtung zur Neubegründung von Verbindlichkeiten nur verlangt werden kann, wenn bei bestehenden Kreditlinien in objektiver ex ante Perspektive davon auszugehen ist, dass lediglich ein vorübergehender Liquiditätsengpass vorliegt. In anderen Fällen kann die Begründung neuer Verbindlichkeiten zur Begleichung von Sozialversicherungsbeiträgen vom Schuldner nicht verlangt werden, da dies ebenfalls zu einer nicht bestehenden Vorrangigkeit öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen gegenüber anderen Verpflichtungen führen würde. cc) Abweichende Beurteilung im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG wegen treuhandähnlicher Stellung? Eine andere Auffassung zur Konsequenz von Illiquidität im Rahmen des § 26b UStG vertritt Stadie, der einen Entschuldigungsgrund selbst bei Illiquidität nicht annehmen will, da es sich bei den als Gegenleistung vereinnahmten Umsatzsteuerbeträgen um treuhänderisch vereinnahmte Beträge handele, die der Unternehmer „nicht für eigene Zwecke“ verwenden dürfe.529 Stadie, der die Indienstnahme Privater als Verwaltungshelfer, der die Rolle des „Steuereinsammlers“ übernimmt, betont,530 steht zwar den Pflichten, die dem Unternehmer aufgrund der Sollbesteuerung auferlegt werden, äußerst kritisch gegenüber, legt allerdings andersherum an denjenigen Umsatzsteuerschuldner, der die Gegenleistung inklusive der Umsatzsteuerbeträge tatsächlich erhalten hat, besonders strenge Maßstäbe an. Denn aufgrund der von ihm angenommenen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Indienstnahme des Unternehmers durch den Staat531 legt er beson-
527
Vgl. NK-Kindhäuser, § 283 Rn. 12. Vgl. unter D.III.2.c)cc)(2). 529 Stadie, UStG §§ 26b, 26c Rn. 6. 530 Vgl. Stadie, UStG Vorbem. Rn. 41. 531 Stadie sieht dies als zulässige Berufsausübungsregel an, vgl. Stadie, UStG Vorbem. Rn. 41. 528
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
deres Augenmerk auf die treuhänderische Vereinnahmung der Gelder, sodass mangelnde Zahlungsfähigkeit nach seiner Ansicht nicht „entschuldbar“ ist. Auffällig ist allerdings in diesem Zusammenhang, dass Stadie das Problem der Illiquidität offensichtlich überhaupt erst im Rahmen eines Entschuldigungsgrundes prüfen möchte und nicht davon auszugehen scheint, dass nach allgemeinen Grundsätzen die Fähigkeit zur Vornahme einer Handlung und damit bei einer Norm, die ein Zahlungsgebot zum Gegenstand hat, auch die Zahlungsfähigkeit, Voraussetzung für die Tatbestandserfüllung ist. Dies ist nicht nachvollziehbar, da Stadie vom Zahlungsschuldner etwas Unmögliches verlangt. Daran anknüpfend könnte man allerdings die Frage stellen, ob eine Vorrangigkeit der Verpflichtung zur Abführung der Umsatzsteuerzahllastbeträge vor anderen Verbindlichkeiten sich aus einem Treuhandverhältnis ergibt. Stadies Auffassung zur Irrelevanz der Zahlungsunfähigkeit bei Fälligkeit könnte dann jedenfalls im Rahmen der Frage, inwiefern ein berücksichtigungsfähiges Vorverschulden vorliegt, nutzbar gemacht werden. Wenn man davon ausgeht, dass in der Herbeiführung der Illiquidität grundsätzlich eine Pflichtverletzung gesehen werden kann, so könnte die Auffassung Stadies ggf. dahingehend modifiziert werden, dass im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG eine besondere vorrangige Pflicht zur Vorhaltung der erforderlichen Mittel besteht. Da sich allerdings, wie gesehen, selbst dann, wenn man eine Treuhandstellung annehmen wollte,532 hieraus keine besonderen materiellen Folgen ergeben und insbesondere auch Dritte nicht negativ von einer Nichtzahlung betroffen sind,533 kann sich hieraus auch keine besondere Pflichtenstellung des Umsatzsteuerschuldners ergeben. Eine Vorrangigkeit der Pflicht zur Abführung der Umsatzsteuer kann aus der Stellung des leistenden Unternehmers im Umsatzsteuersystem folglich nicht geschlossen werden. 3. Fazit Ebenso wie im Rahmen des § 266a StGB besteht keinerlei Vorrang der Pflichten im Sinne der §§ 26b, 26c UStG. Folglich besteht bei konkurrierenden Zahlungspflichten eine grundsätzliche Tilgungsfreiheit des Unternehmers, der zwischen den gleichrangigen Zahlungsverpflichtungen bei begrenzten Liquiditätsreserven frei wählen kann. Kann er aufgrund der Leistung auf eine Verpflichtung eine andere nicht mehr erfüllen, so handelt er nach den Grundsätzen der Pflichtenkollision gerechtfertigt. Eine vergleichbare Tilgungsfreiheit steht dem Unternehmer auch im Vorfeld der Pflichten aus §§ 26b, 26c UStG zu. Eine zu einer Strafbarkeit nach den 532 533
Vgl. unter B.II.2. Vgl. unter D.IV.1.b).
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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Grundsätzen der omissio libera in causa führende Pflichtverletzung kann daher grundsätzlich auch nicht darin gesehen werden, dass durch die Erfüllung anderer Verpflichtungen zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Umsatzsteuerbeträge keine ausreichenden liquiden Mittel mehr zur Tilgung vorhanden sind. Insbesondere besteht keine Pflicht des Unternehmers, Rücklagen für die spätere Erfüllung der Umsatzsteuerschuld zu bilden, wenn gleichzeitig bereits fällige kongruente Zahlungspflichten bestehen. Eine Pflichtwidrigkeit und folglich eine Strafbarkeit gemäß §§ 26b, 26c UStG in Verbindung mit den Grundsätzen der omissio libera in causa ist daher nur möglich, wenn im Zeitpunkt sich abzeichnender Liquiditätsengpässe Zahlungen getätigt werden, zu denen keine Verpflichtung besteht, also inkongruente Zahlungen nach Maßgabe des § 283c StGB oder wenn Handlungen im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB, insbesondere ein „Beiseiteschaffen“ im Sinne der Vorschrift vorgenommen werden, da diese dem Gläubigerschutz dienenden Wertungen insofern auch für §§ 26b, 26c UStG fruchtbar gemacht werden können.534
V. Verbleibender Anwendungsbereich für die Opportunitätsregelungen Der Finanzausschuss geht in der Gesetzesbegründung535 davon aus, dass für Fälle, in denen die unterlassene Entrichtung „entschuldbar“ ist, im Rahmen des § 26b UStG nach dem Opportunitätsprinzip verfahren werden soll. Als Maßstab hierfür soll § 266a Abs. 6 StGB536 gelten. Da das vom Steuerpflichtigen erwartete Vorgehen für die Inanspruchnahme der Opportunitätsregelungen bereits in der Gesetzesbegründung selbst umschrieben ist, nämlich die unverzügliche Darlegung der Gründe für das Versäumen gegenüber dem Finanzamt sowie eine Nachentrichtung innerhalb der sodann gesetzten Frist, kann der Verweis auf den § 266a Abs. 6 StGB als Vergleichsmaßstab letztlich nur noch auf die Kasuistik bezogen sein, im Rahmen derer im Falle des § 266a Abs. 6 StGB von Strafe abgesehen wird. Insofern verwundert der Rekurs des Gesetzesbegründung auf „die in [§ 266a Abs. 6 StGB . . .] genannten Umstände“ 537, da konkrete Anwendungsfälle in der Norm gar nicht genannt werden.
534
Vgl. unter D.III.2.b)aa). Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471 S. 8. 536 Zur Zeit der Gesetzesbegründung entsprach dem heutigen § 266a Abs. 6 StGB noch der in der Gesetzesbegründung genannte damalige § 266a Abs. 5 StGB. 537 Bericht des Finanzausschusses zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BTDrucks. 14/7471 S. 8. 535
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
1. Zahlungsunfähigkeit Als ein Grund für das Absehen von Strafe soll im Rahmen des § 266a Abs. 6 StGB der Fall der Zahlungsunfähigkeit zum Fälligkeitszeitpunkt gelten.538 Diejenigen Fälle der Zahlungsunfähigkeit, bei denen ein „Absehen von Strafe“ überhaupt noch diskutiert werden kann, bei denen also nicht schon der Tatbestand aufgrund von Unmöglichkeit des rechtmäßigen Verhaltens ausgeschlossen ist, können allerdings nach oben Gesagtem nur diejenigen Fälle sein, in denen eine Deliktsbegehung aufgrund der Rechtsfigur der omissio libera in causa angenommen wird.539 Von vornherein können also im Rahmen des § 26b UStG nur die Fälle der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen des Opportunitätsprinzips hinterfragt werden, in denen bereits ein Vorverschulden, also ein zurechenbares pflichtwidriges Vorverhalten bei der Entstehung der Illiquidität, festgestellt werden konnte. Dann jedoch ist schwer vorstellbar, dass auch tatsächlich eine Schutzwürdigkeit des Täters gegeben ist, also er zum Beispiel nach dem Vorbild des § 266a Abs. 6 StGB ein „ernsthaftes Bemühen“ glaubhaft machen kann. Zum Teil wird allerdings davon ausgegangen, dass ein ernsthaftes Bemühen in solchen Fällen vorliegen könne, in denen der Täter nur mit dolus eventualis in Bezug auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gehandelt habe.540 Letztlich ist das Opportunitätsprinzip kein geeignetes Mittel, um dem Tatbestand des § 26b UStG zu begegnen. Schon im Rahmen der omissio libera in causa sollte der Maßstab für die Pflichtwidrigkeit so angelegt werden, dass der Unternehmer in der Krise den Anforderungen auch realistischerweise nachkommen kann. Bestimmte Prognoseentscheidungen, auch bei der Auswahl der zu befriedigenden Verbindlichkeiten, müssen dem Unternehmer gestattet sein, selbst wenn sie ein gewisses Risiko aufweisen. Legt man diesen geboten großzügigen Maßstab an, so verbleibt für die Fälle des „verzeihlichen Fehlers“ im Rahmen der Opportunitätserwägungen kaum Raum, denn es sollen hier ja ebenfalls nur Fälle erfasst werden, in denen der Steuerpflichtige „gute Absichten“ hatte und sogar zur Nachzahlung der geschuldeten Beträge in der Lage ist. Gerade dies wird allerdings in Fällen, in denen nicht schon der Tatbestand ausgeschlossen ist, so gut wie niemals der Fall sein. Gerade aus diesem Grund muss der enge Bewertungsmaßstab bereits bei der Bestimmung der Pflichtwidrigkeit im Rahmen der omissio libera in causa gelten, da die Straffreiheit in diesem Fall weder von einer Ermessenentscheidung noch von der Möglichkeit des Zahlungsverpflichteten zur Nachentrichtung der Beträge 538
Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 21 f. Vgl. für den gleich gelagerten Fall im Rahmen des § 266a StGB auch Schönke/ Schröder-Perron, § 266a Rn. 23; SK-Hoyer, § 266a Rn. 94. 540 SK-Hoyer, § 266a Rn. 95. 539
D. Der Fall mangelnder Leistungsfähigkeit
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abhängig ist. Denkbar sind im Rahmen des Opportunitätsprinzips daher höchstens noch Fälle, in denen in der Hoffnung auf Besserung der Liquiditätslage beispielsweise inkongruente oder andere nach Abwägung mit der Pflicht aus §§ 26b, 26c UStG im Einzelfall nachrangige Zahlungen geleistet wurden, von denen der Schuldner sich – ggf. auch aus ex ante Sicht zu Unrecht – subjektiv eine Verbesserung der Liquiditätslage erhofft hat. Im Rahmen des § 266a Abs. 6 StGB wird vorgeschlagen, die Regelung weit zu fassen, also nicht nur Fälle zu erfassen, in denen die Zahlung nicht möglich war, sondern auch solche, in denen der Pflichtige seiner Pflicht zwar hätte nachkommen können und dies auch zumutbar gewesen wäre, in denen ihm aber aufgrund nachvollziehbarer Gründe die Zahlung erheblich erschwert war, da der Täter in erheblicher Bedrängnis war.541 Denn in diesem Falle soll ein „vermindertes Unrecht“ vorliegen.542 Die Grenzziehung ist hierbei naturgemäß schwierig. Als nachvollziehbare Gründe sollen beispielsweise die Erhaltung des Betriebs und die Sicherung von Arbeitsplätzen angesehen werden.543 Außerdem wird wohl angenommen, dass der Anwendungsfall der Opportunitätsregelungen gerade nur für solche Fälle gelten kann, in denen der Steuerpflichtige von einem nur kurzfristigen Liquiditätsengpass ausgehen musste, denn es soll die begründete Aussicht auf die Möglichkeit der Nachentrichtung der Beiträge bestehen.544 Dies lässt wohl nur den Schluss zu, dass nur Engpässe erfasst werden sollten, in denen der Zahlungsverpflichtete von einer kurzfristigen Wiedererlangung der Liquidität ausging. Da die Anforderungen an die Nachentrichtung in der Gesetzesbegründung zu § 26b UStG ebenso genannt sind, ist davon auszugehen, dass auch diese Maßstäbe in gleicher Weise angewendet werden sollen. Voraussetzung bei § 266a StGB wie bei § 26b UStG ist schließlich, dass der Täter in diese Situation gelangt ist, obgleich er sich ernsthaft bemüht hat, dies abzuwenden. Teilweise wird daraus geschlossen, dass erforderlich sei, dass der Täter „alle aus seiner Sicht bestehenden und ihm zumutbaren Möglichkeiten zur Beschaffung der erforderlichen Mittel ausgenutzt hat.“ 545 Auch dies ist allerdings ein Erfordernis, das bereits auf Ebene der omissio libera in omittendo geprüft wurde, sodass letztlich der Anwendungsbereich im Rahmen der Opportunitätserwägungen ebenfalls gering sein dürfte. Für die verbleibenden Fälle, die trotz der restriktiven Auslegung der Pflichten im Rahmen der omissio libera in
541 MüKo StGB-Radtke, § 266a Rn. 78; Schmitt/Satzger/Widmaier-Saliger, § 266a Rn. 30; Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 23. 542 MüKo StGB-Radtke, § 266a Rn. 78. 543 MüKo StGB-Radtke, § 266a Rn. 78. 544 Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 23. 545 Siehe Schönke/Schröder-Perron, § 266a Rn. 23.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
causa noch zu einer Strafbarkeit nach diesen Grundsätzen führen, kann in besonders gelagerten Fällen über das Opportunitätsprinzip jedoch sicherlich eine den Umständen des Einzelfalls gerecht werdende Lösung erreicht werden. 2. Weitere Fälle der Anwendung des Opportunitätsprinzips Unabhängig von den Fällen der Zahlungsunfähigkeit verbleibt die Anwendung des Opportunitätsprinzips für Fälle der verspäteten Entrichtung, die nicht schon aufgrund der Eingrenzung des Tatbestands aus dem Anwendungsbereich der Norm herausfallen.546 Auch Fälle der persönlichen Überforderung der verantwortlichen Personen können ggf. durch Anwendung des Opportunitätsprinzips gelöst werden. Als allgemeingültige Grundsätze im Rahmen von Opportunitätserwägungen hat die Finanzverwaltung im Übrigen in den Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) eine höhenmäßige Bagatellgrenze von A 5.000 festgelegt hat, die für den Fall, dass eine Gefährdung nur für den Zeitraum von höchstens drei Monaten vorliegt, sogar auf A 10.000 ausgeweitet wird, wenn nicht ein besonders vorwerfbares Verhalten vorliegt.547 Jedenfalls bei Nichtzahlungen, die nicht in der Illiquidität begründet liegen und folglich nicht den zusätzlichen Anforderungen der omissio libera in causa genügen müssen, ist daher in gewissen Grenzen eine Anwendung des Opportunitätsprinzips denkbar.
E. Die besonderen Merkmale des § 26c UStG Die zusätzlichen Merkmale für den Straftatbestand in § 26c UStG sind besondere persönliche Merkmale und strafbegründend im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB.548 Ein Beteiligter, der das Merkmal nicht aufweist, kann daher zwar Teilnehmer, nicht aber Täter des § 26c UStG sein.549 Da durch die Erfüllung des qualifizierenden Merkmals die Ordnungswidrigkeit in § 26b UStG zu einer Straftat wird, wird § 26c UStG auch als sog. „unechter Mischtatbestand“ bezeichnet.550
546
Vgl. unter C.II.4. Art. 104 Abs. 3 Satz 1 i.V. m. Art. 105 Nr. 6 AStBV (St) 2012. 548 Allg. Ansicht, vgl. Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 11, 20; Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 29; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 38; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 16. 549 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 29; allg. MüKo StGB-Joecks, § 28 Rn. 1, 6 ff. 550 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 10. 547
E. Die besonderen Merkmale des § 26c UStG
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I. Bandenmäßige Begehung 1. Der Bandenbegriff im Strafrecht allgemein Der Begriff der Bande erfuhr als ausfüllungsbedürftiger Begriff in der strafrechtlichen Literatur seit jeher große Beachtung, die Diskussion ist allerdings mit der Entscheidung des Großen Strafsenats zum Bandenbegriff 551 etwas abgeebbt. So sollen hier auch nicht alle Diskussionspunkte um den Bandenbegriff und dessen Geschichte dargestellt werden, sondern lediglich auf die auch im Zusammenhang mit dem Verständnis in § 26c UStG relevanten Kriterien des Bandenbegriffs im Allgemeinen, die auch Gegenstand der jüngeren Diskussion sind, kurz eingegangen werden. Der Begriff der Bande soll nunmehr auch nach Ansicht der Rechtsprechung die Beteiligung von mindestens drei Beteiligten voraussetzen, die sich zur fortgesetzten Begehung mehrerer selbständiger, im Einzelnen noch ungewisser Straftaten552 des benannten „Deliktstyps“, zusammengeschlossen haben, umfassen.553 Dabei muss die Abrede nicht ausdrücklich getroffen worden sein, es soll eine dahingehende stillschweigende Abrede genügen. Nach Ansicht des BGH soll eine solche Absicht auch „aus dem konkret feststellbaren wiederholten deliktischen Zusammenhang mehrerer Personen“ gefolgert werden können.554 Die Absicht der fortgesetzten Begehung muss allerdings bereits vor der ersten Tat bestanden haben.555 Nachdem sich die Diskussion vor der Entscheidung des Großen Senats insbesondere um die Frage drehte, wie viele Mitglieder für die Annahme einer Bande erforderlich seien,556 ist in dieser Frage nunmehr durch die Änderung der BGHRechtsprechung durch den Großen Senat die Diskussion im Wesentlichen er551
BGH, Beschl. v. 22.3.2001 – GSSt 1/00, NJW 2001, 2266 ff. BGH, Urt. v. 25.9.1956 – 5 StR 316/56, GA 1957, 84, 85. 553 BGH, Beschl. v. 22.3.2001, NJW 2001, 2066; Kindhäuser, Strafrecht BT II § 4 Rn. 30. 554 BGH, Urt. v. 21.12.2007 – 2 StR 372/07, NStZ 2009, 35, 36; zuvor auch schon BGH, Beschl. v. 15.1.2002 – 4 StR 499/01 NStZ 2002, 318, 319. 555 BGH, Urt. v. 21.12.2007 – 2 StR 372/07, NStZ 2009, 35, 36. 556 Der BGH ging in mehreren vorangegangenen Entscheidungen davon aus, dass zur Bildung einer Bande zwei Personen ausreichend seien, vgl. exemplarisch BGH, Urt. v. 9.10.1996 – 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255. Dies wurde seit jeher insbesondere mit dem Argument kritisiert, dass sich nicht nur die Abgrenzung zur wiederholten Mittäterschaft hierdurch schwierig gestalte, sondern auch eine die höhere Strafdrohung rechtfertigende erhöhte Selbstbindung der Parteien an ihre Zusage, da die Gruppendynamik innerhalb eines Zusammenschlusses mehrerer Personen zu einer die Änderung des Willens der Mitglieder erschwerenden Eigenmotorik eine höhere Mindestzahl für das Bestehen einer Bande erfordere als nur zwei Personen, vgl. nur Lackner/Kühl-Kühl, StGB § 244 Rn. 6; LK-Vogel, § 244 Rn. 57; SK-Hoyer, § 244 Rn. 31; Dreher, NJW 1970, 1802; Engländer, JZ 2000, 630; Erb, NStZ 1999, 187; Hohmann, NStZ 2000, 258; Schmitz, NStZ 2000, 477. 552
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
schöpft. Diskussionspotential besteht allerdings weiterhin dahingehend, dass der Große Senat in genannter Entscheidung ausdrücklich davon ausgeht, dass ein „gefestigter Bandenwille“ oder ein „Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse“ nicht erforderlich sei.557 Ein solches übergeordnetes Bandeninteresse hatte zuvor auch die Rechtsprechung noch für solche Fälle gefordert, in denen „Zweierbanden“ betroffen waren, weil in diesem Falle die Abgrenzung zur Mittäterschaft geschaffen werden müsse.558 Da allerdings mit der Anhebung der Mindestzahl auf drei Mitglieder eine Abgrenzung zur bloßen Mittäterschaft durch das Merkmal der „auf eine gewisse Dauer angelegte [. . .] Verbindung“ zufrieden stellend geleistet werden könne, soll nach Ansicht des BGH ein weiteres subjektives Merkmal zur Definition einer Bande nicht erforderlich sein.559 Der Verzicht auf ein sonstiges subjektives Merkmal stößt im Schrifttum weiterhin auf Kritik, insbesondere wird angemerkt, dass nicht nur die Abgrenzungsschwierigkeiten zur Mittäterschaft sich allein durch die Heraufsetzung um lediglich eine Person nicht endgültig lösen ließe. Vielmehr sei auch die erhebliche Strafschärfung der bandenmäßigen Begehung im Vergleich zur Mittäterschaft ohne die Hereinnahme eines oben genannten weiteren subjektiven Merkmals wie das Handeln im übergeordneten Bandeninteresse nicht zu rechtfertigen.560 Nach anderer Ansicht soll sich allerdings die abstrakte Gefährlichkeit der Bandenabrede, die eine Strafschärfung rechtfertigt, schon aus der auf die Zukunft gerichteten Bindung zwischen den Bandenmitgliedern ergeben, da hierdurch ein Anreiz geschaffen werde, die inkriminierte Tätigkeit fortzusetzen.561 2. Der Bandenbegriff im Steuerstrafrecht Der Begriff der Bande ist auch im Steuerstrafrecht bereits vor Einführung des § 26c UStG nicht unbekannt gewesen, denn das Gesetz kannte mit § 373 Abs. 2 Nr. 3 AO bereits den Bandenschmuggel.562 Ganz überwiegend wird eine komplette Übertragung der zu den Bandendelikten im „Kernstrafrecht“ entwickelten 557
BGH, Beschl. v. 22.3.2001, NJW 2001, 2066. BGH, Urt. v. 9.10.1996 – 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255. 559 BGH, Beschl. v. 22.3.2001, NJW 2001, 2066, 2067. 560 Lackner/Kühl-Kühl, StGB § 244 Rn. 6; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2, § 4 Rn. 299; etwas zurückhaltender LK-Vogel, § 244 Rn. 58 f., der zwar die genannten subjektiven Kriterien zum Zwecke der Abgrenzung für ungeeignet hält, allerdings auf zusätzliche Abgrenzungsmerkmale nicht verzichten will. 561 BGH, Urt. v. 16.6.2005 – 3 StR 492/04, BGHSt 50, 160; v. Heintschel-HeineggWittig, § 244 Rn. 15. 562 Str. ob Qualifikationstatbestand oder Strafschärfungsgrund. Für Einordnung als Qualifikationstatbestand: Franzen/Gast/Joecks-Jäger, § 373 AO Rn. 2; Hübschmann/ Hepp/Spitaler-Engelhard, § 373 Rn. 7; für Einordnung als Strafschärfungsgrund: Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c UStG Rn. 17; widersprüchlich Schwarz-Weyand, § 373 Rn. 1 („spezielle Strafschärfungsgründe“), aber Rn. 9 „Qualifikationstatbestand“. 558
E. Die besonderen Merkmale des § 26c UStG
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Grundsätze, insbesondere also auch der jüngeren Definitionen nach der Entscheidung des Großen Senats, für sachgerecht gehalten.563 Insbesondere soll es daher auch ausreichen, wenn ein Bandenmitglied bei der Tatbegehung des Schmuggels als Täter und ein anderes „in irgendeiner Weise“, also auch zum Beispiel als Gehilfe,564 zusammenwirken; weiterhin soll es auch nicht stören, wenn ein einzelnes Merkmal des Tatbestandes von einem Nichtbandenmitglied verwirklich wird.565 Dies gelte unzweifelhaft jedenfalls nach neuer Rechtslage seit dem 1. Januar 2008566, nach der der Wortlaut dahingehend geändert wurde, dass der Täter als Mitglied einer Bande die genannten Taten begeht und der ursprüngliche Wortlaut, nach dem gefordert wurde, dass der Täter „unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds die Tat ausführt“, überholt sei.567 Die wesentlich erhöhte Strafdrohung der bandenmäßigen Begehung wird auch hier mit der erhöhten Gefährlichkeit begründet, wobei diese bei einer Steuerstraftat naturgemäß nicht in einer erhöhten „Ausführungsgefahr“ begründet ist, sondern in der „Organisationsgefahr“ aufgrund des organisierten Zusammenwirkens, was auch zu einer größeren Schädigung des Steueraufkommens führe.568 Ebenso findet sich mit Wirkung zum 1. Januar 2008569 der Bandenbegriff in steuerstrafrechtlichem Zusammenhang auch in § 374 AO sowie in § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO. Letzterer hat den inzwischen wegen Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Norm570 wieder aufgehobenen § 370a AO ersetzt. Im Rahmen des § 374 AO bestehen augenscheinlich ebenso wie bei § 373 AO keine grundlegenden Bedenken hinsichtlich der Übertragbarkeit der zum Kernstrafrecht, insbesondere zu § 244 StGB, entwickelten Bandenmerkmale.571 Dies gilt nach wohl überwiegender Ansicht grundsätzlich auch für die Übertragung der allgemeinen Merkmale auf den Bandenbegriff im Rahmen des § 370 Abs. 3
563 Franzen/Gast/Joecks-Jäger, § 373 AO Rn. 33; Klein-Jäger, AO § 373 Rn. 48 ff.; Kohlmann-Hilgers-Klautzsch, § 373 AO Rn. 76 ff.; Kühn/v. Wedelstädt-Blesinger, § 373 AO Rn. 6; Schwarz-Weyand, § 373 Rn. 9. 564 Nach verbreiteter Ansicht hingegen nicht der Anstifter, wenn dieser nicht auch an der Tatausführung teilnehmen will, vgl. Franzen/Gast/Joecks-Jäger, § 373 AO Rn. 33; MüKo StGB-Wegner, § 373 AO Rn. 34. 565 Schwarz-Weyand, § 373 Rn. 9. 566 Gesetz v. 21.12.07, BGBl I 2007, 3198. 567 Vgl. Graf/Jäger/Wittig-Tully, § 373 AO Rn. 23; Klein-Jäger, AO § 373 Rn. 50; Kohlmann-Hilgers-Klautzsch, § 373 AO Rn. 88. 568 Franzen/Gast/Joecks-Jäger, § 373 AO Rn. 32; Begriffe nach MüKo StGB-Wegner, § 373 AO Rn. 33; a. A. wohl BGH, Urt. v. 21.6.1955 – 2 StR 271/54, BGHSt 8, 70 („äußere Gefährlichkeit der Tatausführung“). 569 Art. 3 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21.12.2007, BGBl. I 2007, 3198. 570 BGH, Beschl. v. 22.7.2004 – 5 StR 85/04, NJW 2004, 2990, 2991. 571 Kohlmann-Hilgers-Klautzsch, § 374 AO Rn. 92; Kühn/v. Wedelstädt-Blesinger, § 374 AO Rn. 8.
156
3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Nr. 5 AO,572 jedenfalls seitdem hierdurch nur noch ein besonders schwerer Fall umschrieben wird und nicht mehr – wie es im inzwischen wieder abgeschafften § 370a AO der Fall war – ein Verbrechenstatbestand konstituiert wurde.573 Allerdings wird zum Teil darauf verwiesen, dass besonderes Augenmerk auf die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und bandenmäßiger Begehung gelegt werden müsse. Insbesondere sei es erforderlich, dass der Zusammenschluss zum Zwecke der Umsatz- (oder Verbrauchsteuer-)verkürzung stattgefunden habe, d. h. es müsse ggf. schon das Unternehmen zu diesem Zwecke gegründet worden sein.574 Teilweise wird – da im Steuerstrafrecht das Merkmal der Bande schon deliktstypisch (insbesondere aufgrund des häufig wiederholten Auftretens steuerrechtlicher Pflichten) auf den ersten Blick generell recht schnell erfüllt sei – darauf verwiesen, dass die Abgrenzung zum bloß gemeinschaftlichen Handeln insbesondere mit Blick auf die Zweckabrede notwendigerweise besonders streng und intensiv zu begutachten sei.575 3. Der Bandenbegriff im Rahmen des § 26c UStG Die Übertragung des Bandenbegriffs aus dem allgemeinen Strafrecht in die Vorschrift des § 26c UStG ist indessen im Schrifttum kritisiert worden. So wird diese Maßnahme des Gesetzgebers teilweise aufgrund der entstehenden ungeklärten Auslegungsfragen als „falsch“ 576, teilweise sogar als verfassungswidrig577 angesehen. Teilweise wird die Übertragbarkeit der allgemeinen Definition des Bandenbegriffs auf § 26c UStG aber offensichtlich auch ohne größere Problematisierung angenommen.578
572
Graf/Jäger/Wittig-Bülte, § 370 AO Rn. 343; Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 278. Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 278; einschränkend Wulf, wistra 2008, 321, 323 f. mit Hinweis darauf, dass die Bandeneigenschaft auch für die Eingriffsermächtigung gemäß § 100a StPO (TKÜ) relevant sei und daher besondere Anforderungen an die Zweckabrede stellen will; im Übrigen weist er darauf hin, dass die mangelnde Konturierung des Begriffs Probleme im Hinblick auf Eingriffe in Art. 10 GG mit sich brächten. 574 Wulf, wistra 2008, 321, 323 f. 575 Harms, FS Kohlmann S. 413, 423, die selbst allerdings im Steuerstrafrecht ausdrücklich keine Gründe für ein Abweichen von dem aus dem allgemeinen Strafrecht entnommenen Bandenbegriff sieht, insbesondere nicht das Erfordernis erhöhter Anforderungen an eine Bandenabrede. 576 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 45. 577 Reiß, UR 2002, 561, 568, der davon ausgeht, dass die Begriffe nicht unverändert in § 26c UStG übernommen werden können und daher der Ansicht ist, dass § 26c UStG gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoße. 578 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 38; Hartmann/MetzenmacherKüffner, § 26c Rn. 22 ff.; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26c Rn. 9. 573
E. Die besonderen Merkmale des § 26c UStG
157
Der Begriff der Bande soll auch im Rahmen des § 26c UStG die Beteiligung von mindestens drei Beteiligten voraussetzen, die sich zur fortgesetzten Begehung mehrerer selbständiger, im Einzelnen noch ungewisser Straftaten579 des benannten „Deliktstyps“ zusammengeschlossen haben, vorliegend also zur Begehung von Taten gemäß §§ 26b, 26c UStG.580 a) Der Inhalt der Bandenabrede im Rahmen des § 26c UStG Was dies für den Begriff der Bande im Rahmen des § 26c UStG bedeutet, ist im Schrifttum umstritten. Nach einer Ansicht sollen damit nur solche „Gruppen“ erfasst werden, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Rechnungen im Sinne des § 14 UStG auszustellen und die entsprechenden Steuerbeträge nicht zu entrichten, wobei die Begehung solcher Taten mindestens Nebenzweck der Bande sein müsse.581 Mit dieser Regelung seien insbesondere Karussellgeschäfte erfasst.582 Joecks will also als Zweck – zumindest als Nebenzweck – des bandenmäßigen Zusammenschlusses darauf abstellen, dass zu einer Bande solche Personen gehören, die sich dergestalt zusammengefunden haben, dass sie Rechnungen im Sinne des § 14 UStG erteilen. Gemeint seien damit „korrekte“ Rechnungen, da die Täter ansonsten schon nach § 370 AO strafbar wären, und die hierin ausgewiesenen Steuerbeträge nicht entrichteten. 583 Diese Einordnung des die Bandeneigenschaft begründenden Zwecks wird zum Teil kritisiert, weil die Rechnungserstellung und Nichtzahlung immer nur von einer Person vorgenommen werden könne, sodass das Zusammenwirken sich immer auf diverse Handlungen und Unterlassungen bei Gelegenheit verschiedener Geschäfte beziehe.584 Denn ein Unternehmer könne immer nur bei seiner eigenen Rechnung die Steuer nicht entrichten im Sinne des § 26b UStG.585 Ob nach der Definition von Joecks, wie zum Teil angenommen,586 allerdings auch solche Konstellationen erfasst werden, in denen ein Täter Taten im Sinne des § 26c UStG begehen will und weitere Täter solche nach § 370 AO, ist zweifelhaft.587 Es würde zu einer bedenklichen Ausweitung des Bandenbegriffs füh579
BGH, Urt. v. 25.9.1956 – 5 StR 316/56, GA 1957, 84, 85. BGH, Beschl. v. 22.3.2001, NJW 2001, 2066, 2267; Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 22; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 350; Offerhaus/Söhn/ Lange-Blesinger, § 26c Rn. 19; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 38. 581 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 351; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 20; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 87. 582 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 350. 583 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 350. 584 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 44. 585 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 44. 586 Vgl. Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 44. 587 In diese Richtung auch Wannemacher-Traub, Rn. 1367. 580
158
3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
ren, wenn auch solche Fälle erfasst werden, in denen die Täter unterschiedliche Straftatbestände erfüllen (wollen). Es handelt sich nicht mehr um „Beteiligte, die sich zur fortgesetzten Begehung mehrerer selbständiger, im Einzelnen noch ungewisser Straftaten des benannten „Deliktstyps“, zusammengeschlossen haben“ im Sinne der Definition. Denn nicht nur differieren die Taten der einzelnen Bandenmitglieder im Deliktstyp. Ein solches Zusammenfassen der verschiedenen Deliktstypen unter der Bandendefinition wäre vor diesem Hintergrund eine untragbare Ausweitung des von Literatur und Rechtsprechung geprägten Bandenbegriffs, an dem sich aufgrund der Eingrenzung durch das Gewohnheitsrecht auch der Gesetzgeber orientiert haben wird. b) Die Möglichkeit eines „bandenmäßigen Unterlassens“ In der Literatur wird allerdings auf ein systematisches Problem hingewiesen, das sich bei § 26c UStG stelle. Anders als bei anderen Tatbeständen, in denen der Bandenbegriff als Qualifikations- oder Strafschärfungsmerkmal bereits eingebürgert ist, stellt § 26c UStG ein echtes Unterlassungsdelikt dar. Teilweise wird daher eingewandt, dass ein bandenmäßiges Unterlassen schon begrifflich befremdlich sei.588 Dem wird allerdings entgegnet, dass der Bandenbegriff als Qualifikationsmerkmal sich nicht aufgrund einer „bloßen“ Untätigkeit, sondern aufgrund des Zusammenwirkens des die Umsatzsteuer nicht abführenden Leistungserbringers und des Leistungsempfängers, der seinen Vorsteueranspruch aus dieser Leistung geltend mache, rechtfertige.589 Die Gefahr ergebe sich aus einem „Zusammenspiel aus Unterlassen und aktivem Tun, das aufeinander abgestimmt ist“.590 Blesinger unternimmt dabei den Versuch, den Bandenbegriff für die Zwecke des § 26c UStG konkret auszufüllen und verweist auf den Zweck der Einführung des Qualifikationsmerkmals, nämlich die Erfassung von Karussellgeschäften. Er lehnt es zwar mit Verweis auf die sich sonst ergebenden Umgehungsmöglichkeiten ab, den Bandenbegriff im Rahmen des § 26c UStG auf Umsatzsteuerkarusselle zu reduzieren, verweist allerdings darauf, dass der Bandenbegriff jedenfalls in aller Regel erfüllt sei, wenn tatsächlich ein der Definition des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren591 entsprechendes Umsatzsteuerkarussell tätig sei.592
588 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 40; Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 444; zust. Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 25. 589 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 17. 590 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 17, sich anschließend Graf/Jäger/ Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 38. 591 Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BT-Drucks. 14/7085 S. 2, 3. 592 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 18.
E. Die besonderen Merkmale des § 26c UStG
159
Kritisch sieht dies Gaede, der darauf hinweist, dass das Verhalten im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells gerade nicht als tatbestandsmäßiges Verhalten umschrieben sei und folglich zweifelt, ob zur Begründung der Bandenmitgliedschaft auf diese „tatbestandsfremden Verhaltensweisen“ abgestellt werden könne.593 Er geht daher davon aus, dass bei nicht zur Abführung der Steuer verpflichteten Personen die Bandenmitgliedschaft nur dann angenommen werden könne, wenn die tatsächlich Zahlungsverpflichteten auf Geheiß dieser Personen („Hintermänner“) handelten oder wenn die tatsächlich Zahlungsverpflichteten die Tat nur begingen, weil ihnen Vorteile aus der Vorsteuererstattung zugesagt wurden.594 Aus der Tatsache, dass es auch nur Nebenzweck des Zusammenschlusses sein könne, Taten gemäß § 26b UStG zu begehen, schließt Blesinger darüber hinaus, dass auch solche Unternehmer erfasst sein sollen, die sich grundsätzlich mit ihren „gewöhnlichen Handelsgeschäften“ befassen und sich zu diesem Zwecke zusammengeschlossen haben, die aber zusätzlich einen „missing trader“ installiert haben, der durch die Nichtabführung der Umsatzsteuer der Absprache gemäß die Warenpreise senke.595 Auch von anderer Seite wird davon ausgegangen, dass der Fall des gezielten Einschaltens eines „missing traders“ den einzigen in der Praxis relevanten Fall im Anwendungsbereich des § 26c UStG darstelle.596 Da es aufgrund des Entdeckungsrisikos eher selten sei, dass in einem Umsatzsteuerkarussell drei Unternehmer in einer Kette ihre angemeldete Umsatzsteuer nicht entrichteten, sondern ein solches Karussell typischerweise aus einigen Tätern bestehe, die Delikte nach § 26c UStG und einigen, die Delikte nach § 370 AO begehen, soll eine bandenmäßige Begehung im Umsatzsteuerkarussell in der Regel dann vorliegen, wenn andere Karussellteilnehmer im Einzelfall Teilnehmer der Tat nach § 26c UStG sind.597 Bei dieser Sanktionierung eines „bandenmäßigen Unterlassens“ wird allerdings problematisiert, dass in den nach der gesetzgeberischen Intention von der Sanktionierung zu erfassenden Fällen nur eines der Bandenmitglieder tatsächlich Einfluss auf die Entrichtung der Steuer und damit auf die Erfüllung des Tatbestandes habe; der gerade bei Karussellgeschäften regelmäßig als „Bandenmitglied“ fungierende Leistungsempfänger habe hingegen keinen Einfluss darauf, ob der Leistungserbringer die Steuern tatsächlich entrichte.598 Eine Verbindung
593
Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 20, 25. Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 25. 595 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 20; zustimmend Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 43. 596 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 46. 597 Wannemacher-Traub, Rn. 1369. 598 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 40. 594
160
3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
im Sinne des Bandenbegriffs erfordere daher, dass dem Leistungsempfänger nachgewiesen werden müsse, dass dieser jedenfalls dolus eventualis hinsichtlich der fehlenden Erfüllungswilligkeit des Leistungserbringers haben müsse.599 Da zusätzlich noch in Fällen, in denen nur eine teilweise Nichtentrichtung der Umsatzsteuer durch den Leistungserbringer vorliegt, der Vorsatz hinsichtlich der Nichtentrichtung gerade der Umsatzsteuer aus den Geschäften mit dem Leistungsempfänger, dessen Bandenmitgliedschaft nachgewiesen werden soll, bewiesen werden müsse, sei die Nachweisbarkeit des Vorliegens einer Bande auf wenige sehr offensichtliche Karussellkonstellationen beschränkt.600 Weniger problematisch sieht die Sanktionierung eines „bandenmäßigen Unterlassens“ hingegen Bülte, der darauf hinweist, dass die Pflichtenstellung, durch die das Unrecht begründet würde, ohnehin erst durch die innerhalb der Bande betriebene Rechnungsstellung überhaupt entstehe; hieraus leite sich auch die gezielte Herbeiführung einer Gefährdungslage für das Umsatzsteueraufkommen ab, weshalb weder systematische noch kriminalpolitische Erwägungen gegen die in § 26c UStG vorgenommene Sanktionierung spreche.601 c) § 26c UStG als Sonderdelikt § 26c UStG verlangt die Nichtabführung, die nur durch den Steuerpflichtigen selbst in tatbestandlich relevanter Weise erfolgen kann. § 26c UStG ist daher ein Sonderdelikt. Es soll daher kurz untersucht werden, ob sich hieraus im Hinblick auf den Bandenbegriff Besonderheiten ergeben können. Eine besondere Schwierigkeit besteht speziell im Fall des § 26c UStG jedenfalls nicht mehr deshalb, weil typischerweise nur eine Person das Tatbestandsmerkmal der Nichtabführung allein erfüllt, denn seit der Entscheidung des Großen Senats zum Begriff der Bande beim Diebstahl602 ist es für die Erfüllung der Voraussetzungen des Begriffs „Bande“ nicht mehr erforderlich, dass Bandenmitglieder am Tatort bei Begehung des Delikts zeitlich und örtlich zusammenarbeiten. Auf Grundlage dieser Entscheidung stellt sich daher jedenfalls nicht mehr das Problem, dass Steuerschuldner regelmäßig nur eine Person ist und eine „bandenmäßige Nichtzahlung“ daher gar nicht möglich wäre.603 Bei Übertragung der oben genannten Rechtsprechung zum Diebstahl genügt es vielmehr, dass ein Täter Bandenmitglied ist, solange er objektiv im Rahmen der Banden-
599
Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 41. Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 41. 601 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 38. 602 BGH, Beschl. vom 22.3.2001 – GSSt 1/00, NJW 2001, 2266 ff., insb. 2268. 603 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 21; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 39. 600
E. Die besonderen Merkmale des § 26c UStG
161
abrede handelt,604 und ein weiterer „in irgendeiner Weise“, also als irgendein Tatbeteiligter, mitwirkt. Nicht übertragen werden kann auf § 26c UStG allerdings die Rechtsprechung des Großen Senats bezüglich der Wegnahmehandlung. Während der Bundesgerichtshof es für den Bandendiebstahl nicht für erforderlich hält, dass die Wegnahmehandlung am Tatort tatsächlich durch ein Bandenmitglied durchgeführt wird,605 denn dies hieße übertragen auf § 26c UStG, dass der die Steuer nicht entrichtende Steuerpflichtige kein Bandenmitglied sein müsste. Dies kann auf § 26b UStG nicht übertragen werden. Denn Täter kann allein der Steuerpflichtige sein. Der Wortlaut des § 26c UStG setzt voraus, dass der Täter selbst als Mitglied einer Bande handelt. Auch nach der Entscheidung des Großen Senats muss mindestens ein Bandenmitglied als Täter an dem Delikt beteiligt sein.606 In Umsatzsteuerkarussellen kann daher ein bandenmäßiges Begehen nur dann gegeben sein, wenn der missing trader in die Bandenabrede einbezogen ist. Mangels anknüpfungsfähiger Haupttat im Sinne des § 26c UStG könnten die Bandenmitglieder daher auch nicht Teilnehmer des § 26c UStG sein. Wird also der missing trader in das Karussell integriert, ohne dass er selbst in die Bandenabrede einbezogen wurde, so ist weder die Begehung des § 26c UStG durch den missing trader, noch eine Teilnahme an diesem Delikt durch die Bandenmitglieder möglich. d) Der Fall der mangelnden Leistungsfähigkeit im Rahmen des Bandendelikts In Bezug auf die mangelnde Vorwerfbarkeit bei Zahlungsunfähigkeit weist Blesinger darauf hin, dass ein Fehlen des Pflichtwidrigkeitsvorwurfs bei der bandenmäßigen Begehung im Prinzip gar nicht denkbar sei; denn wenn die fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des „missing traders“ gerade dem Bandenplan entspreche, könne diese nach dem Gesetzeszweck nicht zum Entfallen der Strafbarkeit nach § 26c UStG führen.607 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen, denn in dem Fall, dass tatsächlich ein mangelhaft mit Kapital ausgestattetes Unternehmen bewusst eingesetzt wurde, liegt jedenfalls eine vorgelagerte Pflichtverletzung vor, sodass regelmäßig eine Ahndung über die Figur der omissio libera in causa stattfindet.608 Dies ist allerdings kein Spezifikum der bandenmäßigen Begehung, sondern entspricht den allgemeinen dogmatischen Grundsätzen der Strafbarkeit nach den Grundsätzen der omissio libera in causa. Auch entbindet es nicht da-
604 LG Berlin, Urt. v. 4.9.2003 – (505) 83 Js 316/02 Kls (9/03), StV 2004, 545; vgl. auch Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 37. 605 BGH, Beschl. v. 22.3.2001 – GSSt 1/00, NJW 2001, 2266, 2268. 606 BGH, Beschl. v. 22.3.2001 – GSSt 1/00, NJW 2001, 2266, 2268. 607 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 23. 608 Vgl. unter D.IV.2.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
von, jeweils im Einzelfall eine Pflichtwidrigkeit positiv festzustellen, selbst wenn generell eine Bandenabrede vorliegt. e) Mehrpersonenkonstellationen bei juristischen Personen Reiß kritisiert für das Merkmal der Bande in § 26c UStG, dass hierdurch nicht nur Mitglieder von Umsatzsteuerkarussellen erfasst würden, sondern auch beispielsweise mehrere Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft.609 Dies sieht er vor allem vor dem Hintergrund kritisch, dass nach Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung durch die Rechtsprechung610 bei der wiederholten Nichtentrichtung jeweils verschiedene Straftaten vorlägen, sodass im Falle der Nichtentrichtung in mehreren Voranmeldungszeiträumen alle Merkmale der Bande erfüllt seien.611 Er verweist weiter darauf, dass der Gesetzgeber, der nur die Konstellationen eines Umsatzsteuerkarussells habe erfassen wollen, wohl auf eine im Vergleich zum Begriffsverständnis in § 244 StGB einengende Auslegung des Merkmals der Bande vertraut habe und hält die Vorschrift daher für verfassungswidrig, da sie nicht mit dem Bestimmtheitsgrundsatz zu vereinbaren sei; dieser sei verletzt, da die Legislative die Bestimmung der Grenzen der Strafbarkeit nicht einer anderen Gewalt, wie hier seiner Ansicht nach der Judikative, überlassen dürfe.612 Dagegen wird allerdings zu Recht eingewandt, dass in diesem Fall die Anforderungen an die für die Bande konstituierende Absprache nicht erfüllt seien,613 sodass die Gefahr, dass die Vorstände nur aufgrund der gemeinsamen Tätigkeit in das Qualifikationsmerkmal der Bande „hineinrutschen“, eher gering sein dürfte. f) Fazit/eigene Ansicht Nach soeben Gesagtem ist die Übertragung der allgemeinen Grundsätze des Bandenbegriffs auf § 26c UStG in der Regel unproblematisch möglich. Die allgemeinen Gründe, die zur Rechtfertigung einer verschärften Bestrafung bei der Tätigkeit in einer Bande herangezogen werden, sind zudem jedenfalls bei Umsatzsteuerkarussellen gut denkbar: Befürchtet wird im Allgemeinen durch den Zusammenschluss in einem Gebilde, das unter den Begriff „Bande“ fällt, eine Gruppendynamik, die zu einer vom Einzelnen nicht mehr ohne Weiters zu kontrollierenden Eigendynamik führt, 609
Reiß, UR 2002, 561, 568. Vgl. BGHSt 40, 136 ff. = BGH NJW 1994, 1663 ff. 611 Reiß, UR 2002, 561, 568. 612 Reiß, UR 2002, 561, 568 unter Verweis auf die Grundsätze aus BVerfG, Urt. v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95, NJW 2002, 1779. 613 Wannemacher-Traub, Rn. 1368. 610
E. Die besonderen Merkmale des § 26c UStG
163
insbesondere wenn dieser absehen kann, dass ein „Ausscheren“ auf den Widerstand der Mehrheit der Mitglieder stößt.614 Dabei ist es nicht zwingend, die Anwendung des § 26c UStG allein auf Umsatzsteuerkarusselle oder ähnliche Organisationen zu begrenzen. Vielmehr kann es Konstellationen geben, die im Unrechtsgehalt vergleichbar sind, aber nicht unter das allgemeine Verständnis eines Umsatzsteuerkarussells oder sogar die Definitionsbemühungen des Bundesrats615 fallen. Die Gefahr, dass auch eigentlich nicht strafwürdige Verhaltensweisen vom Bandenbegriff erfasst werden, ist jedenfalls dann eher gering, wenn man an die Bandenabrede ausreichend hohe Anforderungen stellt. Dies allerdings ist auch schon für die Feststellung der Bandeneigenschaft bei anderen Delikten unverzichtbar. Denn dann ist nicht bereits aufgrund der Tatsache, dass beispielsweise in Gremien einer juristischen Person mehrere Personen die periodisch wiederkehrende Pflicht zur Abführung der Steuer haben, das Merkmal der Bandenmäßigkeit erfüllt. Als verbleibender „Grenzfall“, bei dem die Strafwürdigkeit bezweifelt werden kann, bleibt nur noch die Konstellation, in der zum Beispiel drei Geschäftsführer einer GmbH aufgrund einer zwischenzeitlich engen Finanzdecke übereingekommen sind, bei drohenden Liquiditätsengpässen am ehesten auf die Abführung der Umsatzsteuer zu verzichten, also einen (Eventual-)Vorsatz auf die nicht fristgerechte Abführung für mehrere mögliche Fälle, also auch zu fortgesetzten Begehung616 haben. Allerdings dürften die Konstellationen, in denen zwar eine solche „Notabrede“ getroffen wird, aber nicht gleichzeitig aufgrund der nicht ausreichenden Liquiditätsreserven für die Begleichung aller Verbindlichkeiten die Verantwortlichen aufgrund der rechtfertigenden Pflichtenkollision gerechtfertigt wären, eher gering sein. Denn nach der hier vertretenen Ansicht genießen die Umsatzsteueransprüche keinen Vorrang, sodass für den Fall, dass das Unternehmen aufgrund der Begleichung anderer (gleichwertiger) Verbindlichkeiten nicht mehr dazu in der Lage ist, auch die Umsatzsteuerverpflichtungen zu erfüllen, gerechtfertigt handeln würde. In diesem Fall wäre daher schon der Tatbestand des § 26b UStG nicht erfüllt, sodass auch eine Strafbarkeit gemäß § 26c UStG nicht in Betracht kommt. Jedenfalls dann, wenn bereits auf Tatbestandsebene im Rahmen des § 26b UStG eine angemessene Eingrenzung der tatbestandlichen Handlungen für den Fall der kollidierenden Zahlungsverpflichtungen vorgenommen wird, ist daher eine Übertragung des Begriffs der bandenmäßigen Begehung unproblematisch möglich. Dabei ist in jedem Einzelfall bei der Rechtsanwendung ein ausreichen614
SK-Hoyer, § 244 Rn. 31. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, BT-Drucks. 14/7085 S. 2, 3. 616 Vgl. SK-Hoyer, § 244 Rn. 33. 615
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
des Augenmerk auf die Bandenabrede zu richten. Vor diesem Hintergrund ist eine Verwendung des Bandenbegriffs im Rahmen des § 26c UStG, auch bei einer dem allgemeinen Begriffsverständnis im Strafrecht entsprechenden Auslegung, verfassungsrechtlich nicht bedenklich.
II. Der Begriff der Gewerbsmäßigkeit Auch der Begriff der Gewerbsmäßigkeit ist im Hinblick auf die Konzeption des § 26c UStG umstritten. Mit Verweis darauf, dass die Abgabenordnung den Begriff der Gewerbsmäßigkeit auch schon in § 373 Abs. 1 AO und in § 374 Abs. 1 AO kenne, soll gewerbsmäßiges Handeln angenommen werden, wenn der Täter die Absicht hat, sich durch wiederholte Begehung von Straftaten des betreffenden Deliktstyps eine „fortlaufende Einnahmequelle“ von gewisser Dauer und gewissem Umfang zu verschaffen.617 Es handelt sich folglich um ein subjektives Merkmal.618 Die Einnahmequelle soll dabei nach allgemeinem strafrechtlichem Verständnis zwar eine gewisse Dauer haben müssen, nicht aber zwangsläufig der Konzeption nach unbegrenzt sein.619 Weiterhin soll es genügen, wenn es sich bei den so zu verschaffenden Einnahmen um ein „Nebeneinkommen“ 620 oder um einen mittelbaren Gewinn621 handelt. Dabei muss das Verhalten bei der Gewerbsmäßigkeit immer ein eigennütziges sein.622 In Bezug auf die Übertragbarkeit des allgemeinen Begriffsverständnisses wird darauf hingewiesen, dass aus der Gesetzesbegründung zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz nicht ersichtlich sei, dass der Begriff der Gewerbsmäßigkeit hier anders verstanden werden sollte als bei anderen Tatbeständen.623 1. Relevanz der Vorschrift Joecks bezweifelt die praktische Relevanz der Vorschrift, da seiner Ansicht nach Fälle, in denen jemand über einen längeren Zeitraum nur einen Teil der 617 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 13; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 12; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26c Rn. 5; Rolletschke/KemperKemper, § 26c UStG Rn. 17; Wannemacher-Traub, Rn. 1363; Joecks, wistra 2002, 201, 202; allgemein BGH, Urt. v. 8.11.1951 – 4 StR 563/51, BGHSt 1, 383. 618 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 13. 619 RG, Urt. v. 27.11.1923 – IV 398/23, RGSt 58, 19, 20. 620 BGH, Beschl. v. 16.8.1996 – 1 StR 745/95, Tz. 23 (bei juris), BGHSt 42, 219, 225; Lackner/Kühl-Kühl, StGB Vor § 52 Rn. 20; Reiß/Kräusel/Langer-Tormöhlen, § 26c Rn. 5; vgl. zur Gesamtproblematik Joecks, wistra 2002, 201, 202 m.w. N. 621 BGH, Urt. v. 1.7.1998 – 1 StR 246/98, wistra 1999, 25; BGH, Beschl. v. 17.9. 1999 – 2 StR 301/99, wistra 1999, 465. 622 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 14; Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26c Rn. 20; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26c Rn. 6. 623 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 16.
E. Die besonderen Merkmale des § 26c UStG
165
Beträge entrichtet, obgleich er diese zuvor ordnungsgemäß angemeldet hat, in der Praxis nicht vorkämen; dem würde die Finanzverwaltung mit Vollstreckungsmaßnahmen entgegenwirken.624 Einen praktischen Anwendungsfall sieht er lediglich in der Konstellation, dass der Unternehmer die Umsätze schon nur teilweise erklärt hat, diesen aber ein ungekürzter Vorsteuerabzug entgegenstehe.625 Dabei ist allerdings wohl fraglich, wie häufig der Fall auftreten wird, dass der Unternehmer Umsätze nicht erklärt, obgleich er für diese Rechnungen im Sinne des § 14 UStG ausgestellt hat. Denn in diesem Fall muss er mit einer Geltendmachung durch den Leistungsempfänger und folglich mit einem recht hohen Entdeckungsrisiko rechnen. Dieser Fall dürfte daher eher selten auftreten. Er betrifft wohl in der Regel jedenfalls nicht die Fälle, die der Gesetzgeber eigentlich mit § 26c UStG abgedeckt wissen wollte, nämlich die „organisierte Kriminalität“, namentlich die Umsatzsteuerkarusselle. Denn Teilenehmer dieser organisierten Strukturen werden in der Regel weniger offensichtliche Systeme installiert haben. Theoretisch ist trotz der von Joecks genannten Bedenken, dass eine über einen längeren Zeitraum gehende wiederholte Nicht- oder Zuwenigzahlung von Umsatzsteuer trotz ordnungsgemäßer Erklärung der Umsätze wegen der voraussichtlich erfolgenden Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzverwaltung praktisch kaum denkbar sei, natürlich möglich. Auch ist zu bedenken, dass für die Gewerbsmäßigkeit lediglich ein auf die Wiederholung gerichteter Wille erforderlich ist,626 sodass auch für den Fall, dass sehr zügig Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden und es zu einer Wiederholung gar nicht kommt, bereits der erste durchgeführte Fall unter § 26c subsumiert werden kann, wenn eine entsprechende Wiederholungsabsicht bereits bestand und nachgewiesen werden kann.627 Weitere Versuche der Nichtentrichtung könnten dabei als Indiz für den Fortsetzungswillen verstanden werden, wobei dieser natürlich dennoch zweifelsfrei nachgewiesen werden muss. Zudem ist eine Gewerbsmäßigkeit praktisch gerade auch in einem Fall denkbar, in dem ein Täter immer neue Gesellschaften gründet, bei denen letztlich aufgrund der immer neuen Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft die Gefahr der Vollstreckung durch die Finanzverwaltung gering gehalten wird. Durch die Vornahme von Geschäften mit hohen Umsätzen durch verschiedene Gesellschaften mit unzureichender Kapitaldeckung können sehr schnell nennenswerte „Einnahmen“ erzielt werden, die auch praktisch Motivation zur Durchführung solcher Modelle liefern, dennoch aber nicht unter § 370 AO, sondern aufgrund der korrekten Voranmeldung nur unter § 26c UStG fallen. Wenn immer die gleiche na624 625 626 627
Joecks, wistra 2002, 201, 203. Joecks, wistra 2002, 201, 203. Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26c Rn. 21; Schwarz-Weyand, § 373 Rn. 4. Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 23; Wannemacher-Traub, Rn. 1363.
166
3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
türliche Person vertretungsberechtigtes Organ verschiedener Gesellschaften ist und die Umsatzsteuer planmäßig in ausreichendem Umfang nicht abführt, so wird man ungeachtet der immer neuen Rechtspersönlichkeit des umsatzsteuerpflichtigen Unternehmens eine Gewerbsmäßigkeit und damit eine Strafbarkeit nach § 26c UStG annehmen können. Denn Täter des § 26c UStG ist dann, wenn der Unternehmer eine Gesellschaft ist, gemäß § 14 Abs. 1 StGB i.V. m. § 369 Abs. 2 AO das vertretungsberechtigte Organ.628 Die dahinter stehende natürliche Person kann die Tat daher als Täter mehrmals durchführen, auch wenn sie Organ für unterschiedliche Gesellschaften ist. Zum Teil wird allerdings auch davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber mit dem Merkmal der Gewerbsmäßigkeit gar nicht auf die Erfassung der Karussellgeschäfte abgestellt hat, da – anders als bei der Bande – gerade kein Zusammenwirken mit anderen Personen erforderlich sei.629 Dem Merkmal der Gewerbsmäßigkeit komme daher lediglich noch die Funktion eines Auffangtatbestands zu, wenn sich der Verdacht der Bandenabrede nicht nachweisen lasse.630 2. Besonderheit in Bezug auf die wiederholte Begehung im Steuerstrafrecht? Im Schrifttum wird weiterhin darauf hingewiesen, dass die Voraussetzung der wiederholten Begehung im Steuerstrafrecht generell problematisch sei. Denn dem Steuerrecht sei die wiederholte Abgabe von Erklärungen gerade eigen, so auch die monatliche Umsatzsteuervoranmeldung sowie die Umsatzsteuerjahreserklärung.631 Damit könne in Fällen, in denen die Steuern wiederholt nicht bei Fälligkeit gezahlt werden, eine Gewerbsmäßigkeit dem Wortlaut nach auch in den Fällen vorliegen, in denen keinerlei Zusammenhang mit einem missbräuchlichen Verhalten gegeben ist.632 Erfasst werde nämlich gerade auch der lediglich (mehrfach) verspätete Steuerzahler.633 Dem wird entgegengehalten, dass Zielrichtung des Täters bei einer Nichtentrichtung auf Zeit regelmäßig nicht die Verschaffung einer nicht unbedeutenden Einnahmequelle von einiger Dauer sei.634 Der bloß regelmäßig zu spät zahlende Umsatzsteuerschuldner kann daher von dem Qualifikationsmerkmal schon nach dem allgemeinen Begriffsverständnis der Gewerbsmäßigkeit nicht erfasst sein. 628
Vgl. unter A. Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 15. 630 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 15. 631 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 19. 632 In diese Richtung Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 15; Rolletschke/ Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 19. 633 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 21. 634 Wannemacher-Traub, Rn. 1365; zust. Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 14; in diese Richtung auch Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 15. 629
E. Die besonderen Merkmale des § 26c UStG
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Vorsorglich wird im Schrifttum auch darauf hingewiesen, dass allein aus dem Umstand, dass Steuererklärungen periodisch abzugeben sind, noch nicht auf eine entsprechende Wiederholungsabsicht geschlossen werden könne, wenn bislang lediglich einzelne Tatbegehungen vorliegen.635 Selbst bei der mehrfachen Tatbegehung muss auch der Wiederholungsvorsatz selbst noch gesondert geprüft werden, da es sich bei dem Merkmal der Gewerbsmäßigkeit um ein subjektives handelt636. Derjenige, der zwar mehrfach die Steuer bei Fälligkeit nicht entrichtet, sich allerdings noch keine Gedanken darüber gemacht hat, ob er dieses Verhalten bei einem zukünftigen Fälligkeitszeitpunkt wiederholen möchte, erfüllt demnach nicht das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit.637 3. Ersparnis von Aufwendungen als Einnahmequelle Außerdem wird bei § 26c UStG – wie auch generell bei Steuerstraftaten – zu Bedenken gegeben, dass die „Einnahmequelle“, die Voraussetzung für die Gewebsmäßigkeit ist, hier in einer Steuerersparnis, also einer „bloßen“ Ersparnis von Aufwendungen, liegt.638 So gehen jedenfalls im Zusammenhang mit Steuerstraftaten einige Stimmen in der Literatur davon aus, dass eine Einnahme im Sinne der Gewerbsmäßigkeit nur vorliege, wenn tatsächlich Vermögenswerte zufließen.639 Allerdings wird im Strafrecht allgemein eine solche Einsparung als gleichwertig zur Einnahme angesehen.640 So geht die wohl herrschende Ansicht im Ergebnis davon aus, dass auch die Ersparnis von Aufwendungen Einnahmequelle im Sinne der gängigen Definition sein soll.641 Einige Autoren nehmen hiervon abweichend an, dass die Einnahme auch in der typischen Konstellation des Umsatzsteuerkarussells zusätzlich642 oder nur643 in einem tatsächlichen Zufluss gesehen werden könne, nämlich der Vorsteuererstattung des Verwenders der Rechnung, an dem üblicherweise auch der Rechnungsaussteller partizipiere. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang aber auch darauf, dass es hier häufig
635
Wannemacher-Traub, Rn. 1364. Vgl. exemplarisch Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 12. 637 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 15. 638 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 21. 639 Wannemacher-Traub, Rn. 1363; in Bezug auf den (mittlerweile wieder abgeschafften) § 370a AO Spatscheck/Wulf, NJW 2002, 2983, 2986. 640 BGH, Urt. v. 17.10.1996 – 4 StR 389/96, Tz. 11, BGHSt 42, 268; MüKo StGBHefendehl, § 263 Rn. 691. 641 Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26c Rn. 6; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 21; Tormöhlen, UVR 2006, 207, 212; im Ergebnis auch Offerhaus/ Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 13. 642 Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 87. 643 Wannemacher-Traub, Rn. 1363. 636
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
zu Beweisschwierigkeiten komme, da eine „Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers“ nachgewiesen werden müsse.644 Da nach allgemeinem Verständnis des Begriffs der Gewerbsmäßigkeit auch eine nur mittelbare Einnahmequelle für die Annahme eines Vermögensvorteils ausreichend sein soll645 wird zum Teil davon ausgegangen, dass auch der Wettbewerbsvorteil, der durch die Umsatzsteuerersparnis erlangt wird, als Vermögensvorteil im Sinne der Gewerbsmäßigkeit gelten können soll.646 4. Fazit/eigene Ansicht Auch der Begriff der Gewerbsmäßigkeit kann ohne größere Schwierigkeiten auf § 26c UStG übertragen werden. In Bezug auf die letztgenannte Problematik sei zunächst gesagt, dass der Auffassung, die auch ersparte Aufwendungen als Einnahmen ansieht, zuzustimmen ist. Denn gerade in einem Falle, in dem die Aufwendung, wie bei der Steuer, eine gesetzlich zwingende Folge eines bereits eingetretenen Sachverhalts ist, wenn also auf den getätigten Umsatz zwangsweise eine Steuer erhoben wird, ist wirtschaftlich der Unterschied zwischen „positiver Einnahme“ und „negativer Nichtausgabe“ nicht ersichtlich. Der wirtschaftliche Vorteil ist der gleiche, ob nun der „Betrag X“ nicht aus dem Vermögen verschwindet oder ob er dem Vermögen zufließt. Die Erlangung von Wettbewerbsvorteilen kann hingegen nicht ausreichen, um einen Vermögensvorteil im Sinne der Gewerbsmäßigkeit zu begründen. Denn selbst wenn zweifelsfrei feststeht, dass allein die Vorteilsziehung aus dem Umsatzsteuersystem zur „Verbilligung“ der Ware geführt hat, so wird in kaum einem Fall feststellbar sein, ob im jeweils konkreten Fall dieses „Billigerwerden“ der Waren tatsächlich kausal für den Abschluss eines bestimmten Geschäfts und den darauf erwachsenden Vermögensvorteil war. Die abstrakte Möglichkeit eines „Wettbewerbsvorteils“, der sich nicht wenigstens in einer konkreten Geschäftschance niederschlägt, kann für die Annahme eines zur Gewerbsmäßigkeit führenden Vermögensvorteils keinesfalls ausreichen. Fraglich ist demnach nur noch, inwieweit eine planmäßig wiederholte Zuspätzahlung noch das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit erfüllen kann. Hier ist jedoch Traub zuzustimmen, der zu Bedenken gibt, dass bei einer Nichtzahlung auf Zeit regelmäßig keine nicht nur unbedeutende Einnahmequelle von einiger Dauer ge644
Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 21. BGH, Urt. v. 1.7.1998 – 1 StR 246/98, wistra 1999, 25; BGH, Beschl. v. 17.9. 1999 – 2 StR 301/99, wistra 1999, 465; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26c Rn. 5; Wannemacher-Traub, Rn. 1363. 646 Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26c Rn. 6, zust. Hartmann/MetzenmacherKüffner, § 26c Rn. 18. 645
F. Rechtsfolgen
169
schaffen werden soll.647 Allein der Zinsvorteil, der dem Unternehmer durch mehrfache Zuspätzahlung entsteht, wird in der Regel nicht für eine solche Einnahmequelle ausreichen, zumal dieser regelmäßig schon durch die Auferlegung von Säumniszuschlägen gemäß § 240 AO konterkariert werden wird, was dem säumigen Steuerschuldner regelmäßig auch bewusst ist. Folglich wird bei einem regelmäßig nur verspätet zahlenden Umsatzsteuerschuldner das Qualifikationsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit in aller Regel nicht vorliegen. Damit ist festzuhalten, dass der allgemein im Strafrecht gültige Begriff der Gewerbsmäßigkeit auch auf § 26c UStG übertragen werden kann. Die Fälle, die aufgrund der Zielsetzung der Vorschrift von dem Straftatbestand nicht erfasst sein sollen, sind auch vom herkömmlichen Begriff der Gewerbsmäßigkeit nicht erfasst. Insbesondere ist die Tat bei wiederholt nur verspäteten Zahlungen nicht auf Verschaffung einer nicht unbedeutenden Einnahmequelle gerichtet. Der regelmäßig zu spät zahlende Schuldner wird damit nicht zum Straftäter, sodass jedenfalls diesbezüglich die verfassungsrechtlichen Bedenken648 nicht durchschlagen.
F. Rechtsfolgen I. Rechtsfolgen des § 26b UStG Weiterhin kann man sich die Frage stellen, ob die Rechtsfolge des § 26b UStG, nämlich die in Absatz 2 der Vorschrift vorgesehene Geldbuße von bis zu fünfzigtausend Euro, ein angemessenes Mittel der Reaktion auf die Ordnungswidrigkeit ist, und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt der Vergleichbarkeit mit den Bußgeldrahmen anderer vergleichbarer Ordnungswidrigkeitsvorschriften als auch unter dem Gesichtspunkt der Abschreckungswirkung für den möglicherweise bewusst kalkulierenden Normverletzer. Insbesondere wird in der Literatur ein Widerspruch zu § 380 AO angesprochen, der eine geringere Geldbuße vorsieht.649 Mit Blick darauf, dass § 26b UStG nicht ein im Vergleich zu § 380 AO erhöhtes Unrecht beschreibt, sondern im Gegenteil jedenfalls in Bezug auf das Verhältnis zu Dritten, beispielsweise dem Leistungsempfänger, sogar anders als bei der Lohnsteuer kein untreueähnliches Verhältnis vorliegt,650 ist eine im Vergleich zu § 380 AO sogar höhere Geldbuße nicht verständlich. Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Gesetzgeber versucht hat, eine möglichst hohe Geldbuße für die Fälle zu ermöglichen, in denen ein besonders missbräuchliches Verhalten, möglicherweise sogar die Etablierung eines Umsatz647 648 649 650
Vgl. unter E.II.2. Vgl. Reiß, UR 2002, 561, 566. Reiß, UR 2002, 561, 567. Vgl. unter B.II.2.b).
170
3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
steuerkarussells, vermutet wird, jedoch die Voraussetzungen der besonderen Merkmale des § 26c UStG nicht bewiesen werden können. In diesem Fall wäre allerdings auch eine verhältnismäßig hohe Geldbuße von A 50.000 nicht geeignet, einen entsprechenden Abschreckungseffekt herbeizuführen. Für die nicht in organisierten Strukturen Handelnden ist hingegen die Auferlegung einer solch hohen Geldbuße unangemessen. In der Gesamtbetrachtung unterstreicht dies den Eindruck, dass § 26b UStG letztlich als Ausdruck der gesetzgeberischen Verzweiflung beim Versuch der Eindämmung des Umsatzsteuermissbrauchs gesehen werden kann, dabei aber „nicht Fisch und nicht Fleisch“ ist. Als regelmäßige Vorgabe in Bezug auf Opportunitätserwägungen und damit auch zur Schaffung einer gewissen Rechtssicherheit ist zumindest festzuhalten, dass die Finanzverwaltung in den Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) für die Höhe des gefährdeten Betrags eine Bagatellgrenze von A 5.000 festgelegt hat.651 Für den Fall, dass die Steuer nur für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten gefährdet wurde, kann von der Verfolgung, wie bereits gesehen,652 in der Regel sogar bis zu einer Grenze von A 10.000 abgesehen werden.653 Es soll in diesen Fällen regelmäßig von der Verfolgung abgesehen werden, wenn nicht ein besonders vorwerfbares Verhalten vorliegt. Was unter einem vorwerfbaren Verhalten zu verstehen ist, wird nicht näher ausgeführt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass bewusste und geplante Ausnutzungshandlungen als vorwerfbar angesehen würden, sodass karussellähnliche Vorgehensweisen wohl auch unterhalb dieser Bagatellgrenze verfolgt würden. Eine derart geringe „Gewinnmarge“ ist allerdings im Bereich der organisierten Missbrauchsgeschäfte ohnehin kaum denkbar.
II. Rechtsfolgen des § 26c UStG § 26c UStG sieht als Rechtsfolge eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor, der Strafrahmen entspricht damit dem des § 370 Abs. 1 AO. Geht man davon aus, dass durch § 26c UStG in der Regel „Karussellgeschäfte“ erfasst werden, so bietet sich im Hinblick auf die konkrete Strafzumessung ein Blick auf die Strafzumessung in solchen Fällen im Rahmen des § 370 AO an. Dabei ist jedoch fraglich, ob die Rechtsprechung zu § 370 AO auch auf § 26c UStG übertragen werden kann. Im Fall eines mit Scheinrechnungen arbeitenden Umsatzsteuerkarussells hat der BGH654 ausgeführt, dass es für die einzelnen Beteiligten für die Strafzumes651 652 653 654
Art. 104 Abs. 3 Satz 1 i.V. m. Art. 105 Nr. 6 AStBV (St) 2012. Vgl. unter C.II.4.d). Art. 104 Abs. 3 Satz 2 i.V. m. Art. 105 Nr. 6 AStBV (St) 2012. BGH, Urt. v. 11.7.2002 – 5 StR 516/01, wistra 2002, 384 ff.
F. Rechtsfolgen
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sung nicht nur auf das konkrete „Scheinrechnungsverhältnis“ ankommen könne, in dem der Steuerschaden ggf. gegen Null tendiere. Man werde dem Gesamtunrechtsgehalt des Karussells vielmehr nur gerecht, wenn man für die Strafzumessung beim einzelnen Teilnehmer den „aus dem Gesamtsystem erwachsenen deliktischen Schaden“ zugrunde lege, da dieser Gesamtschaden strafschärfend berücksichtigt werden könne; dies gelte jedenfalls dann, wenn Struktur und Funktionsweise des Karussells dem betreffenden Täter bekannt gewesen seien.655 Die Entscheidung ist für den Fall der Scheingeschäfte vor dem Hintergrund zu sehen, dass das ganze Karussell nur funktioniert, wenn verschiedene Teilnehmer sich in die Struktur einbinden lassen, ohne dass sie allein einen nennenswerten Schaden „produzieren“, der BGH spricht insofern von einer „vertrauenswürdigen Deckadresse“ 656, die ein wichtiger Beitrag für das Gelingen des „Gesamtgeschäfts“ ist. Insbesondere wollte der BGH hier also einer Fallkonstellation Rechnung tragen, in der ein Mitglied der Gruppe, dem der BGH eine wichtige Rolle beimaß und bei dem er ein nennenswertes Unrecht sah, allein nicht für einen besonders großen Schaden verantwortlich war. Es sollte also vermutlich ein gewisser Ausgleich dafür geschaffen werden, dass der Gesamterfolg des Karussells gerade nicht einem Teilnehmer in dem Maße zugerechnet werden konnte, in dem der BGH das Gesamtunrecht sah. Schon diese Konstellation ist bei einer Strafbarkeit gemäß § 26c UStG bereits eine ganz andere, denn Täter des § 26c UStG ist gerade derjenige, bei dem die Umsatzsteuerzahlung ausfällt, er produziert also – anders als der mit Scheinrechnungen agierende Teilnehmer, der aber selbst seine Umsatzsteuer bezahlt – gerade selbst einen nennenswerten Schaden. Eine „Zurechnung“ des Gesamtschadens ist also zur Feststellung des Umfangs des Unrechtsgehalts nicht unbedingt notwendig, da schon die unmittelbar hervorgerufenen Auswirkungen der Tat im Sinne des § 46 Abs. 2 StGB einen nennenswerten Umfang haben. Fraglich ist folglich noch, ob in Fällen von „gemischten Karussellen“, d. h. solchen, in denen die einzelnen Beteiligten sowohl Taten nach § 370 AO als auch solche nach § 26c UStG begehen und in denen ein über den einzelnen Schaden bei einer Tat nach § 26c UStG hinausgehender Gesamtschaden aufgrund der Gesamtkonstellation des Karussells entsteht, die soeben geschilderten Grundsätze
655 BGH, Urt. v. 11.7.2002 – 5 StR 516/01, wistra 2002, 384, 387; sich dem grundsätzlich anschließend BGH, Beschl. v. 11.12.2002 – 5 StR 212/02, wistra 2003, 140, 141 mit der Maßgabe, dass für den Fall, dass zu einem der eigenen täterschaftlich begangenen Tat in der Händlerkette nachfolgenden Hinterziehungsdelikt Beihilfe geleistet wird, nur der zusätzliche Hinterziehungsbetrag, der erst nach der eigenen bereits bestraften Tat entstanden ist, für die Strafzumessung berücksichtigt werden dürfe; aus jüngerer Zeit auch zust. BGH, Urt. v. 30.4.2009 – 1 StR 342/08, NStZ 2009, 637, 639. 656 BGH, Urt. v. 11.7.2002 – 5 StR 516/01, wistra 2002, 384, 387.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
der Strafzumessung ebenfalls übertragen werden können. Die gleiche Frage würde sich auch in einem – praktisch wohl eher unwahrscheinlichen – Fall des reinen „Nichtabführungskarussells“ stellen, in dem ausschließlich Taten gemäß § 26c UStG durchgeführt werden. Eine Übertragung der Rechtsprechung ist allerdings für Fälle des § 26c UStG zu verneinen. Denn § 26c UStG erfordert eine gewerbsmäßige oder eine bandenmäßige Begehung. Jedenfalls in Fällen der bandenmäßigen Begehung ist aber die Einbindung in eine Gesamtorganisation gerade schon als unrechtsbegründend berücksichtigt. Eine erneute Berücksichtigung des Gesamtschadens würde gegen das in § 46 Abs. 3 StGB normierte Doppelverwertungsverbot verstoßen.657 Denn erst durch das Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale – in diesem Fall zum Beispiel der Bandenmäßigkeit – wird das Verhalten strafbar.658 Zwar mag man dem entgegenhalten, dass das besondere Schadensausmaß aufgrund der Nichtentrichtung gerade nicht Voraussetzung des § 26c UStG ist. Durchaus Merkmal des § 26c UStG ist jedoch, jedenfalls im Falle des Bandendelikts, die Einbindung in die organisierte Struktur. Denn Begründung für den besonderen Unrechtsgehalt der bandenmäßigen Begehung im steuerstrafrechtlichen Kontext soll ja gerade die erhöhte „Organisationsgefahr“ 659 sein, die eine besondere Schädlichkeit oder Gefährlichkeit begründet. Und dieser Organisationsstruktur sind gerade der Beitrag zur Verschleierung aufgrund des Zusammenwirkens Mehrerer sowie auch das Summieren der Schäden zu einer besonders umfangreichen Schädigung eigen. Insofern würde die Zurechnung des Gesamtschadens, der durch eine bestimmte Karussellstruktur hervorgerufen wurde, zu der Tat eines aufgrund einer Tat gemäß § 26c UStG am Karussell Beteiligten gegen das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB verstoßen. Denn das besondere Unrecht der organisationsmäßigen Einbettung kann bereits im Tatbestandsmerkmal der Bande wiedergefunden werden. Denkbar wäre ggf. nur eine derartige Berücksichtigung des Gesamtschadens in einem Fall, in dem dem Täter „nur“ die gewerbsmäßige Begehung vorgeworfen wird. Eine Fallkonstellation, in der eine nach der BGH-Entscheidung erforderliche Kenntnis des Karussellteilnehmers von der Struktur und Funktionsweise des Karussells, nicht jedoch eine Bandenmitgliedschaft vorliegt, ist allerdings kaum denkbar. Zudem ist bei § 26c UStG auch gerade keine Steuerverkürzung als Erfolg erforderlich, sondern das Unrecht liegt gerade in der Nichtentrichtung. Diese allerdings kann nur die selbst verwirklichte Nichtentrichtung sein.
657 Die grundsätzliche Bedeutung des Doppelverwertungsverbots für § 26c UStG betonend Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 40. 658 Vgl. zur Begründung des Doppelverwertungsverbots allgemein Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, § 46 Rn. 45. 659 Vgl. unter unter E.I.2.
G. Möglichkeit der Selbstanzeige?
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G. Möglichkeit der Selbstanzeige? Es stellt sich weiter die Frage, ob auch im Rahmen des § 26c UStG die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige, die nach allgemeiner Ansicht im Rahmen des § 370 AO einen persönlichen Strafaufhebungsgrund darstellt,660 bestehen soll. § 26c selbst enthält keinen Hinweis darauf, dass eine Selbstanzeigemöglichkeit wie im Rahmen des § 370 AO vorgesehen ist. Auch § 371 AO nimmt nicht auf § 26c UStG Bezug. Zum Teil wird allerdings mit Hinweis auf einen durch die fehlende Möglichkeit der Selbstanzeige im Rahmen des § 26c UStG bestehenden Wertungswiderspruch eine analoge Anwendung des § 371 AO erwogen.661 Nach anderer Ansicht soll die Selbstanzeigemöglichkeit im Rahmen des § 26c UStG nicht bestehen.662
I. Rechtspolitisches Bedürfnis Joecks begründet die Anwendbarkeit der Selbstanzeigemöglichkeit auch auf § 26c UStG damit, dass ansonsten derjenige, der seine Steuer angemeldet hat und die Finanzbehörde somit von seiner Steuerschuld in Kenntnis gesetzt hat, im Vergleich zu demjenigen, der eine ordnungsgemäße Steueranmeldung nicht vorgenommen hat und entsprechend den Betrag auch nicht entrichtet, schlechter gestellt wäre.663 Joecks weist dabei darauf hin, dass die Frage davon abhängig sei, ob man eine Anwendbarkeit des § 26b UStG (und damit auch des § 26c UStG) auch dann annimmt, wenn eine ordnungsgemäße Anmeldung der Steuer nicht stattgefunden hat.664 Neben dem bereits genannten nach Ansicht von Joecks bestehenden Wertungswiderspruch stellt er auch die Frage nach der Reichweite der Selbstanzeige für den Fall, dass man auch die nicht (ordnungsgemäß) angemeldete Steuer unter § 26b UStG (und somit auch unter § 26c UStG) subsumieren möchte.665
660 BGH, Urt. v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136; Erbs/Kohlhaas-Senge, § 371 AO Rn. 2; Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 371 AO Rn. 32; Klein-Jäger, AO § 371 Rn. 6; Kühn/v. Wedelstädt-Blesinger, § 371 AO Rn. 2; MüKo StGB-Kohler, § 371 AO Rn. 7; Danzer, AG 1982, 57, 68; Klos, NJW 1996, 2336; Plewka/Heerspink, BB 1998, 1337, 1339. 661 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 33 („begünstigende Rechtsfortbildung“); Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 355; Plückebaum/Malitzky-Kemper, § 26c Rn. 73 f.; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 71 f., 74; Joecks, wistra 2002, 201, 203. 662 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 40; Klein-Jäger, AO § 371 Rn. 14; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26c Rn. 15; Wannemacher-Traub, Rn. 1371; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 69 ff. 663 Joecks, wistra 2002, 201, 203. 664 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 355; Joecks, wistra 2002, 201, 203. 665 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 355.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
Geht man mit der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass schon aufgrund der Fälligkeitsvoraussetzungen § 26b UStG überhaupt nicht einschlägig sein kann, wenn die Steuer nicht zuvor angemeldet oder festgesetzt wurde,666 so stellt sich jedenfalls nicht die Frage, inwieweit die Selbstanzeige durch die regelmäßig mit der Nichterklärung einhergehenden Nichtzahlung entwertet wird oder ob die Selbstanzeige sich in diesen Fällen auch auf den Tatbestand des § 26c UStG erstrecken müsste. Auch nach hier vertretener Auffassung, dass nur die Nichtzahlung ordnungsgemäß angemeldeter Steuerbeträge den Tatbestand der §§ 26b, 26c UStG erfüllen können, stellt sich allerdings die Frage, ob in einer unterschiedlichen Behandlung von § 26c UStG und § 370 AO in Bezug auf die Möglichkeit der Selbstanzeige tatsächlich ein Wertungswiderspruch zu sehen ist und ob, sollte man dies annehmen, aufgrund dessen eine analoge Anwendung des § 371 AO auch auf Fälle der Nichtzahlung ordnungsgemäß angemeldeter Steuern möglich und geboten ist. Der Auffassung, dass ein Wertungswiderspruch in den Fällen vorliegt, in denen ein Steuerpflichtiger seine Steuer wenigstens angemeldet hat und somit den Finanzbehörden Kenntnis und die Möglichkeit der Vollstreckung eingeräumt hat,667 ist zuzugeben, dass das Unrecht desjenigen, der sich „nur“ seiner Zahlungsverpflichtung entzieht gegenüber demjenigen, der die Finanzbehörde in Unkenntnis seiner Steuerschuld lässt, in der Tat als geringer einzuschätzen ist. Denn die Finanzbehörde hat bei Kenntnis von der Schuld unmittelbare Vollsteckungsmöglichkeiten und weiß von der Schuld, ohne weitere Nachforschungen anstellen zu müssen. Diese Wertung des Unrechtscharakters spiegelt sich auch in dem vom Gesetzgeber festgelegten Strafmaß wieder, denn § 26c UStG ist aufgrund der besonderen persönlichen Merkmale vergleichbar mit § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO, der einen besonders schweren Fall in Form eines Regelbeispiels für den Fall der bandenmäßigen Begehung vorsieht. Hier ergibt der Vergleich der Strafrahmen, dass § 370 Abs. 3 (Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten, Höchststrafe zehn Jahre) sogar ein höheres Strafmaß vorsieht als § 26c UStG (Mindeststrafe Geldstrafe, Höchststrafe fünfjährige Freiheitsstrafe). Selbst beim Vergleich des Grundfalls in § 370 Abs. 1 AO ergibt sich, dass der vorgesehene Strafrahmen identisch ist. Auch der Gesetzgeber scheint also bei der Bewertung des Unrechtscharakters der umschriebenen tatbestandlichen Handlungen davon auszugehen, dass durch Nichtabführung der Umsatzsteuer jedenfalls kein größeres Unrecht verwirklicht wird als durch die Tathandlungen des § 370 AO. Ebnet man nun dem Unternehmer, der seinen Erklärungspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, über § 371 AO den Weg in die Straffreiheit,
666 667
Vgl. unter C.II.2.b). Joecks, wistra 2002, 201, 203.
G. Möglichkeit der Selbstanzeige?
175
nicht jedoch demjenigen, der „nur“ nicht gezahlt hat, so mag dies auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. 1. Zweck und Rechtfertigung des Instituts der Selbstanzeige Eine andere Bewertung dieses Vergleichs könnte sich allerdings aus der Betrachtung von Zweck und Rechtfertigung der Selbstanzeige ergeben. Denn das Institut der Selbstanzeige wurde nach ganz überwiegender Ansicht aus fiskalpolitischen Erwägungen geschaffen, nämlich mit dem Ziel durch die Aussicht auf Straffreiheit eine Anreizwirkung zu schaffen und dem Staat Steuerquellen zugänglich zu machen, die er bisher nicht kannte.668 Hiermit soll auch ein eigenes kriminalpolitisches Interesse einhergehen, nämlich dasjenige an der Aufklärung bislang unbekannter Straftaten.669 Ein vergleichbares Anreizbedürfnis besteht auf Seiten des Staates im Falle des § 26c UStG gerade nicht. Denn hier vermittelt die Selbstanzeige gerade nicht die Chance für den Staat, Mehreinnahmen zu generieren, indem er auf bislang unbekannte Sachverhalte und folglich bisher verschlossene Steuerquellen aufmerksam gemacht wird. Eine Erschwerung der korrekten Steuerfestsetzung hat im Anwendungsbereich des § 26c UStG für die Finanzbehörde gerade nicht stattgefunden. Die Möglichkeit der Vollstreckung bliebe dem Staat in Fällen des § 26c UStG, in denen die Steuerschuld bekannt ist, ohnehin. Eine Möglichkeit für Mehreinnahmen ergäbe sich für den Staat also nur in Fällen, in denen eine Vollstreckung in das Vermögen des Steuerschuldners mangels ausreichender Reserven nicht Erfolg versprechend wäre, der Steuerpflichtige sich aber zum Zwecke der Erfüllung der Voraussetzungen des § 371 Abs. 3 AO, der die Schadenswiedergutmachung durch Nachentrichtung der fehlenden Beträge als objektive Voraussetzung für die Erlangung von Straffreiheit aufgrund der Selbstanzeige normiert,670 weitere Mittel verschaffen würde. Zu einem anderen Schluss könnte man daher nur kommen, wenn man mit einem Teil der neueren Literatur davon ausgeht, dass die Regelung der Selbstan668 BGH, Urt. v. 11.11.1958 – 1 StR 370/58, BGHSt 12, 100; BGH, Urt. v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; BGH, Urt. v. 19.3.1991 – 5 StR 516/90, BGHSt 37, 340; BGH, Urt. v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, BGHSt 49, 136; Erbs/Kohlhaas-Senge, § 371 AO Rn. 1; Hübschmann/Hepp/Spitaler-Rüping, § 371 Rn. 19; Klein-Jäger, AO § 371 Rn. 2; MüKo StGB-Kohler, § 371 AO Rn. 19; Schwarz-Dumke, § 371 Rn. 3; Bilsdorfer, wistra 1984, 93; Marschall, BB 1998, 2496, 2497; Marx, wistra 1987, 207, 208; Rüping, wistra 2001, 121; Samson, wistra 1988, 130, 133; Streck, DStR 1985, 9; Teske, wistra 1988, 287, 290; Wulf, JuS 2008, 314, 318; kritisch Kohlmann-Schauf, § 371 AO Rn. 11; Wabnitz/Janovsky-Kummer, 18. Kapitel Rn. 137; Kemper, ZRP 2008, 105, 107. 669 Kohlmann-Schauf, § 371 AO Rn. 18; MüKo StGB-Kohler, § 371 AO Rn. 20. 670 MüKo StGB-Kohler, § 371 AO Rn. 117; Schwarz-Dumke, § 371 Rn. 178; Simon/ Vogelberg-Simon, S. 180; von Briel/Ehlscheid-von Briel, § 2 Rn. 124.
176
3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
zeige im Steuerstrafrecht auch oder überwiegend mit strafrechtlichen Prinzipien zu erklären ist und in eine offene Systematik mit den Figuren des Rücktritts vom Versuch und der tätigen Reue einzuordnen sind.671 Als Begründung für ein Überwiegen der an das Strafrecht anknüpfenden Rechtfertigung wird angeführt, dass durch die Regelung über die Selbstanzeige die „Einsicht des Täters“ sowie das Element der Schadenswiedergutmachung honoriert würden.672 Der fiskalpolitische Beweggrund des Zugangs zu bislang unbekannten Steuerquellen sei lediglich willkommener Nebeneffekt, durch das Gesetz aber nicht vorausgesetzt.673 Geht man nicht von einer fiskalpolitischen Zielsetzung aus, dann kann möglicherweise die Frage, ob eine bislang unentdeckte Steuerquelle erschlossen werden kann, irrelevant sein, es käme dann auf die strafrechtlichen Grundlagen für Rücktritt und tätige Reue an. Es stellt sich allerdings die Frage, ob eine Vergleichbarkeit der Sachverhaltskonstellationen im Bereich des Rücktritts vom Versuch bzw. der tätigen Reue und bei der Selbstanzeige überhaupt gegeben ist. Von Relevanz ist dabei insbesondere, ob mit Blick auf den Rücktritt vom Versuch die Erwägungen zu Schuld und Unrecht und deren „Wiedergutmachung“ überhaupt übertragen werden können oder ob gerade durch die Tatvollendung ein Zustand geschaffen wurde, der mit der Güterabwägung und damit auch den Erwägungen in Bezug auf eine Strafbefreiung vor dem Vollendungszeitpunkt gar nicht vergleichbar ist. Zum Teil wird mit Hinweis auf den in beiden Fällen fehlenden „nachhaltigen“ Erfolg zumindest ernsthaft erwogen, eine Vergleichbarkeit von Selbstanzeigekonstellationen und Rücktrittskonstellationen trotz des bei Selbstanzeigekonstellationen hinzutretenden Erfolgsunrechts anzunehmen.674 Mit Hinweis auf den Wiedergutmachungseffekt wird daher gefragt, ob ein derart großer Unterschied zwischen den Konstellationen besteht, dass in einem Falle das Nachtatverhalten unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zu einer Privilegierung des Täters führen können soll, im anderen jedoch nicht.675 Hier ist allerdings zu beachten, dass in strafrechtlicher Hinsicht keine Privilegierung des Vermögensinteresses verletzenden Täters stattfinden sollte, indem aufgrund der im Vermögensstrafrecht in der Regel bestehenden Reversibilität der Schädigung mit dem Argument, dass der Erfolg noch nicht „nachhaltig“ eingetreten sei, ein privilegiertes, sogar zu gänzlicher Strafbefreiung führendes Nachtat-
671 In diese Richtung Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 371 AO Rn. 22 ff.; Brauns, wistra 1987, 233, 235; a. A. Hübschmann/Hepp/Spitaler-Rüping, § 371 Rn. 23 ff.; Samson, wistra 1988, 130, 133. 672 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 371 AO Rn. 24. 673 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 371 AO Rn. 28. 674 Brauns, wistra 1987, 233, 236. 675 Brauns, wistra 1987, 233, 236.
G. Möglichkeit der Selbstanzeige?
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verhalten möglich ist, während dies bei anderen Straftaten naturgemäß nicht mehr der Fall ist. Denn mit Vollendung der Tat ist eine Schädigung des Rechtsguts eingetreten. Dass im Bereich der Vermögensdelikte dieser wohlgemerkt bereits eingetretene Schaden wieder ausgeglichen werden kann (Zu beachten ist, dass dieser nur ausgeglichen, nicht jedoch wieder „rückgängig gemacht“ werden kann. Denn der Schaden ist eingetreten und es ist logisch nicht denkbar, dass dieser wieder „verschwindet“, er kann lediglich durch vollen betragsmäßigen Ersatz wieder ausgeglichen werden, auch wenn dies im faktischen Ergebnis zur gleichen Vermögenslage führt), während dies im Bereich der höchstpersönlichen Rechtsgüter regelmäßig nicht denkbar ist (die vollständig wiederhergestellte Verletzung der körperlichen Unversehrtheit kann ebenso wenig wieder rückgängig gemacht werden. Auch wenn kein dauerhafter Schaden zurückbleibt ist ein mit Vermögensschäden vergleichbarer vollständiger „Ausgleich“ nicht denkbar), soll nicht dazu führen, dass bei den Vermögensdelikten ein Nachtatverhalten die eingetretene Rechtsgutverletzung vergessen macht. Zudem spricht für eine primär fiskalpolitische Motivation, dass § 371 AO, anders als der Rücktritt, keine Freiwilligkeit erfordert.676 Aus diesem Grunde kann ein strafrechtlicher Ansatz bei der Selbstanzeige nicht stringent durchgeführt werden. Selbst wenn man allerdings, wohl auch in Anlehnung an die im Rahmen der Rücktrittsdogmatik vertretene „kriminalpolitische Theorie“ oder die „Lehre von der goldenen Brücke“ 677, als Grund für die Selbstanzeigeregelung bei der Steuerhinterziehung auch die Möglichkeit ansehen will, dem Täter die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit zu ebnen,678 so stellt sich diese Problematik bei § 26c UStG nicht. Die in die Zukunft gerichtete Überlegung, ob eine ehrliche und vollständige Erklärung vor dem Hintergrund der Erklärung wesentlich niedrigerer Umsätze in den vergangenen Veranlagungszeiträumen überhaupt möglich ist, ohne sich in Bezug auf diese vorangegangenen Veranlagungszeiträume selbst zu belasten,679 mag bei § 370 AO durchgreifen. Bei § 26c UStG stellt sich die Situation hingegen anders dar. Denn wenn nach der hier vertretenen Ansicht §§ 26b, 26c UStG nur auf Fälle anwendbar ist, in denen die Umsätze zutreffend erklärt wurden, so liegt ein Risiko der Selbstbelastung nicht vor. Eine steuerehr676 Hübschmann/Hepp/Spitaler-Rüping, § 371 Rn. 23; Kemper, ZRP 2008, 105, 106; Samson, wistra 1988, 130, 133. 677 Zuerst Puppe, NStZ 1984, 488, 490; ebenso Grünwald, FS Welzel (1974), S. 701, 709; Kudlich, JuS 1999, 240, 241; ähnlich Wessels/Beulke, § 14 Rn. 626 („Verdienstlichkeitstheorie“); vgl. auch Brauns, wistra 1987, 233, 237, der zu dem Schluss kommt, dass die kriminalpolitische Theorie sogar besser zur Selbstanzeige passe als zum Rücktritt. 678 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 371 AO Rn. 26; Kühn/v. Wedelstädt-Blesinger, § 371 Rn. 1. 679 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 371 AO Rn. 26.
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
liche Zahlung allein lässt keine negativen Rückschlüsse auf Verfehlungen in vorangegangenen Anmeldungszeiträumen zu. 2. Schlussfolgerungen/methodische Begründbarkeit der Analogiebildung Als Konsequenz ist daher davon auszugehen, dass der Selbstanzeigeregelung tatsächlich in der Hauptsache fiskalpolitische Aspekte zu Grunde liegen und insofern eine Durchbrechung der strafrechtlichen Grundsätze durch ein dem Strafrecht an sich fremdes Instrument in Form der Einräumung der Selbstanzeigemöglichkeit vorliegt. Für die Erklärung der Regelung jedenfalls primär mit fiskalpolitischen Erwägungen und die fehlende Einbettbarkeit in die Rücktrittssystematik spricht neben dem charakteristischen Unterschied zwischen Schadensverhinderung und Schadenswiedergutmachung auch die Tatsache, dass im Rahmen des § 371 AO, anders als beim Rücktritt, kein Freiwilligkeitserfordernis besteht680. Entscheidend dürften in der Hauptsache Praktikabilitätserwägungen gewesen sein, da aufgrund des Wesens der Steuerhinterziehung eine Aufklärung mit hohem Aufwand und großen Unsicherheiten belastet ist.681 Geht man von der fiskalpolitischen Zielsetzung des § 371 AO aus, so fehlt jedenfalls bereits eine entscheidende Voraussetzung für die analoge Anwendung der Vorschrift auf § 26c UStG. Denn Voraussetzung für die Bildung einer Analogie ist die Ähnlichkeit der Sachverhalte insofern, als sie „in den für die rechtliche Bewertung maßgebenden Hinsichten übereinstimmen“.682 Dies ist bei Annahme einer fiskalpolitischen Zielsetzung des § 371 AO beim Vergleich der von § 370 AO und der von § 26c UStG erfassten Sachverhalte aus soeben genannten Gründe nicht der Fall. Darüber hinaus ist – unabhängig von der Sichtweise in Bezug auf die Rechtfertigung der Selbstanzeige – in hohem Maße fraglich, ob von einer Regelungslücke, also einer „planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetztes“ 683 ausgegangen werden kann. Denn die Kompetenz zu einer Rechtsfortbildung endet dort, wo die gesetzliche Unvollständigkeit nicht planwidrig stattgefunden hat, selbst wenn man dies als rechtspolitischen Fehler ansehen wollte.684 Es stellt sich daher also zur Ermittlung einer Regelungslücke im genannten Sinne die Frage, ob das Gesetz mit Blick auf die ihm immanente Regelungsab680 681 682 683 684
Kemper, ZRP 2008, 105, 106; Samson, wistra 1988, 130, 133. Kohlmann-Schauf, § 371 AO Rn. 22. Larenz/Canaris, Methodenlehre Kapitel 5 S. 202. Larenz/Canaris, Methodenlehre Kapitel 5 S. 194. Larenz/Canaris, Methodenlehre Kapitel 5 S. 194.
G. Möglichkeit der Selbstanzeige?
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sicht unvollständig ist oder an der durch das Gesetz getroffenen Regelung lediglich in rechtspolitischer Hinsicht Kritik geübt wird; zur Begründung einer Regelungslücke müsste also die „immanente Teleologie“ des Gesetzes betroffen sein.685 Zur Beurteilung dieser „immanenten Teleologie“ ist insbesondere auch der Grundsatz der „Gleichbehandlung von Gleichartigem“ heranzuziehen, sodass davon auszugehen sein soll, dass das Gesetz vergleichbar geregelte Fälle gleichermaßen mitregeln soll.686 Wie gesehen ist allerdings die Vergleichbarkeit der Fälle gerade nicht gegeben, da die fiskalischen Interessen in Fällen der Steuerverkürzung und der Nichtentrichtung unterschiedlich sind. Dafür, dass der Gesetzgeber bewusst auf die Ausweitung der Selbstanzeigemöglichkeit auf § 26c UStG verzichtet hat, sodass nicht von einer Lückenhaftigkeit des Gesetzes, sondern von einer bewussten Nichtregelung auszugehen ist, sprechen weitere in der Literatur vorgebrachte Argumente. Es wird auf die entsprechende Regelung im inzwischen wieder abgeschafften § 370a AO verwiesen: Während der Gesetzgeber in § 370a Sätze 2, 3 AO a. F. nachträglich eine (abgeschwächte) Regelung zur Selbstanzeige schuf 687, unterließ er eine entsprechende Neuregelung für den zum gleichen Zeitpunkt und aufgrund gleicher Motive ins Gesetz aufgenommenen § 26c UStG, woraus zu Recht auf einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers geschlossen wird, für § 26c UStG eben keine Selbstanzeigemöglichkeit zu schaffen.688 Als weiteres Argument wird der strukturell vergleichbare § 380 AO herangezogen, für den das Gesetz ebenfalls keine Möglichkeit der Selbstanzeige vorgesehen hat.689 Hieraus soll wohl geschlossen werden, dass der Gesetzgeber für die reine Nichtabführung eine Selbstanzeige nicht vorsehen möchte, obgleich der Gesetzgeber, wie § 378 Abs. 3 AO zeigt, grundsätzlich auch für Ordnungswidrigkeiten die Anwendbarkeit der Selbstanzeigeregelung vorsieht. Vielmehr wird im Rahmen des § 380 AO auch von einigen Autoren davon ausgegangen, dass gar kein Anwendungsfeld für die Selbstanzeige besteht, da eben gerade keine „Berichtigung oder Ergänzung unterlassener Angaben“ möglich ist.690 Dies weist schon darauf hin, dass aufgrund des strukturellen Unterschieds der Tatbestände, die eine Falscherklärung vorsehen und derer, die die Nichtabführung sanktionieren, eine Selbstanzeigemöglichkeit nicht angezeigt erschien. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Frage nach einer Selbstanzeigemöglichkeit im Rahmen des § 26c UStG schlicht 685
Larenz/Canaris, Methodenlehre Kapitel 5, S. 195. Larenz/Canaris, Methodenlehre Kapitel 5, S. 195, 196. 687 Art. 7 Nr. 4 des Gesetzes v. 23.7.2002, BGBl. I 2002, S. 2715, 2722. 688 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 40; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 70. 689 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 40. 690 Franzen/Gast/Joecks-Jäger, § 380 AO Rn. 27. 686
180
3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
übersehen hat,691 zumal seit Schaffung der Regelung nunmehr zehn Jahre vergangen sind, ohne dass eine Nachbesserung stattgefunden hätte. Auch aus der Tatsache, dass in den Gesetzesmaterialen über die Frage der Selbstanzeigemöglichkeit nicht diskutiert wurde, kann nicht geschlossen werden, dass die Selbstanzeigeproblematik vom Gesetzgeber gar nicht bedacht wurde.692 Denn ein Schweigen des Gesetzgebers kann ebenso ein „Nicht-für-notwendig/-sinnvoll/ -geboten-Halten“ bedeuten wie ein Nichtbedenken, zumal die Gesetzesmaterialien zu §§ 26b, 26c UStG ohnehin nicht sonderlich umfangreich sind. Von einer aus der gesetzesimmanenten Teleologie folgenden Lückenhaftigkeit des Gesetzes kann nach alledem nicht ausgegangen werden. Will man eine Gleichbehandlung von § 26c UStG und § 370 AO in Bezug auf die Selbstanzeigemöglichkeit befürworten, so handelt es sich insofern um rechtspolitische Kritik. Einer analogen Anwendbarkeit des § 371 AO auf § 26c UStG ist allerdings in methodischer Hinsicht der Boden entzogen.
II. Praktische Durchführbarkeit Darüber hinaus wird auch die Frage gestellt, ob eine taugliche Berichtigungshandlung in Fällen des § 26c UStG überhaupt vorgenommen werden kann.693 Denn wenn alles ordnungsgemäß erklärt wurde, so kann eine „Berichtigung oder Ergänzung unterlassener oder unrichtiger Angaben“ nicht mehr stattfinden; einzige mögliche Handlung verbleibt die Entrichtung der angemeldeten Steuer.694 Auch diese Argumentation wird man freilich letztlich in die Richtung weiterführen können, dass man sich fragt, ob – mit der Systematik des Rücktritts gesprochen – eine ausreichende „Ausgleichshandlung“ im Vergleich zum begangenen Unrecht besteht. Unter fiskalpolitischen Erwägungen führt auch dieses Argument wiederum zu der Frage, inwieweit dem Fiskus mit der „Selbstanzeige“ im Rahmen des § 26c UStG überhaupt gedient ist. Die Tatsache, dass nicht alle in § 371 vorausgesetzten Handlungen überhaupt durchgeführt werden können, vermag für sich gesehen nicht die Nichtanwendbarkeit des § 371 AO zu statuieren. Denn die Vorschrift könnte im Rahmen der Taten nach § 26c UStG unproblematisch dahingehend interpretiert werden, dass lediglich die bisher unterlassenen durch das Gesetz gebotenen Handlungen durchgeführt werden, folglich also die Entrichtung der Steuer.
691 692 693 694
So aber Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 73. So aber Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 73. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 69. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 69.
H. Verjährung
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Die praktische Relevanz vermag möglicherweise auch ein von Nöhren angebrachtes Argument etwas abzuschwächen: Der von den Befürwortern einer Analogiebildung angesprochene Wertungswiderspruch, dass der „steuerehrliche“ Pflichtige, der „nur“ nicht bezahle, schlechter gestellt werde als derjenige, der eine besonders schwere Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 AO begehe, die Möglichkeit der Selbstanzeige allerdings habe, soll deshalb nicht bestehen, weil § 26c UStG Fälle der organisierten Umsatzsteuerkarusselle betreffe und deshalb gerade keine steuerehrlichen Pflichtigen betroffen seien; „steuerehrliche“ von § 26b UStG erfasste Täter seien von § 47 OWiG geschützt.695 Es verbleibt dann zwar noch der Nachteil, dass die Anwendung des § 47 OWiG für die Betroffenen mit erheblich größerer Rechtsunsicherheit verbunden wäre, da § 47 OWiG der ermittelnden Behörde Ermessen einräumt und daher für den Betroffenen nicht vollständig mit den festgesetzten Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 371 AO vergleichbar ist. All diese Überlegungen zeigen aber letztlich, dass die gesetzgeberische Zielsetzung des § 371 AO in Konstellationen der §§ 26b, 26c UStG nicht betroffen sein kann. Im Übrigen verbleibt selbst in Fällen, die der Einstellung unter Opportunitätsgesichtspunkten nicht zugänglich sind, die Möglichkeit, auf Rechtsfolgenseite durch Berücksichtigung des Nachtatverhaltens nach § 46 Abs. 2 StGB eine Nachentrichtung der Umsatzsteuer bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.696
H. Verjährung Auch der Verjährungszeitpunkt ist sowohl bei § 26b als auch bei § 26c UStG umstritten. Zwar ist die Verjährungsfrist in beiden Fällen eindeutig, denn die Tat nach § 26b UStG verjährt gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 OWiG in drei Jahren (§ 384 AO ist auf § 26b UStG nicht anwendbar)697, die Tat nach §§ 26b, 26c UStG gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB in fünf.698 Umstritten ist allerdings der Zeitpunkt des Beginns der Verjährungsfrist. Dies ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Beendigung der Tat, vgl. §§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 78a Satz 1 StGB. Der Beendigungszeitpunkt einer Tat liegt dann vor, wenn die entsprechende Rechtsgutsverletzung tatsächlich eingetreten ist, selbst wenn dies nach dem Deliktstypus wegen einer Vorverlagerung des Vollendungszeitpunkts nicht mehr Teil der Tatbestandsbeschreibung ist, solange das Unrecht der Tat hierdurch mitgeprägt wird („materielle Beendigung“).699 Denn der Beendigungszeitpunkt wird allgemein als der Zeitpunkt verstanden, an dem das Ge695 696 697 698 699
Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 70. Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 58. Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 68. Vgl. auch statt aller Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 43. Lackner/Kühl-Kühl StGB Vor § 22 Rn. 2; SK-Rudolphi, Vor § 22 Rn. 7.
182
3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
samtgeschehen dergestalt abgeschlossen wird, dass das Tatunrecht seinen Abschluss findet.700 Bei einem echten Unterlassungsdelikt tritt Beendigung der Tat daher erst mit dem Wegfall der vom Delikt vorausgesetzten Handlungspflicht ein.701 Bei § 26b UStG (und entsprechend ebenso bei § 26c UStG) besteht die gebotene Handlungspflicht in der Entrichtung der festgesetzten (= angemeldeten) Umsatzsteuer. Die Handlungspflicht zur Entrichtung der Umsatzsteuer erlischt, soweit eine Entrichtung, Aufrechnung oder ein anderweitiger Erlöschensgrund nicht gegeben ist, mit der steuerrechtlichen Zahlungsverjährung, vgl. § 47 AO.702 Erst zu diesem Zeitpunkt ist bei den Delikten aus §§ 26b, 26c UStG Beendigung eingetreten.703 Gemäß § 228 Satz 2 AO beträgt die Frist für die Zahlungsverjährung fünf Jahre. Folglich könnte, wendet man diese Verjährungsfristen streng dem Wortlaut entsprechend an, die Tat nach § 26b UStG frühestens acht, die Tat nach § 26c UStG frühestens zehn Jahre nach dem Vollendungszeitpunkt, also dem Ablauf des Fälligkeitstages des Steueranspruchs verjähren.704
I. Meinungsstand Mit Verweis auf einen Wertungswiderspruch, der bei Vergleich des leichter durchzusetzenden Zahlungsanspruchs mit dem Anspruch auf Festsetzung des Steueranspruchs entstehe,705 sowie den Vergleich dieser „Gesamtverjährungszeit“ mit den strafrechtlichen Verjährungsfristen bei wesentlich schwereren Delikten gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB706 wird daher zum Teil angenommen, dass die Verjährung abweichend von den allgemeinen Verjährungsregelungen bereits mit Verstreichenlassen des Fälligkeitstermins beginnen müsse.707 Eine solche Durchbrechung der allgemeinen Regelungen zum Verjährungsbeginn wird allerdings vom wohl überwiegenden Teil der Literatur insbesondere mit Verweis auf fehlende Anhaltspunkte im Gesetz verneint.708 700
BGH, Urt. v. 23.4.1953 – 4 StR 743/52, BGHSt 4, 132, 133; Fischer, § 22 Rn. 6. BGH, Urt. vom 4.4.1979 – 3 StR 488/78, Tz. 45 (bei juris); BGH, Beschl. vom 6.10.1987 – 1 StR 475/87, Tz. 2 (bei juris); Fischer, § 78a Rn. 14; Graf/Jäger/WittigBülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 43. 702 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 43; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 69; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 63. 703 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c UStG Rn. 49. 704 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 43; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 49; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 63. 705 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 358. 706 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 63. 707 Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 358; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 63. 708 Graf/Jäger/Wittig-Bülte, §§ 26b, 26c UStG Rn. 43; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26b Rn. 69, § 26c Rn. 50; Rolletschke, Steuerstrafrecht Rn. 491; in diese Richtung tendierend auch Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 42. 701
H. Verjährung
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II. Würdigung In der Tat finden sich entsprechende Anhaltspunkte weder im Gesetzestext selbst noch in den Gesetzesmaterialien. Auch überzeugt es nicht, wenn ein Wertungswiderspruch darin gesehen wird, dass für die bloße Zahlungspflichtverletzung eine längere Gesamtverjährungszeit besteht als für die Sanktion im Rahmen des § 370 AO, obgleich der Zahlungsanspruch wesentlich leichter durchzusetzen sei.709 Denn bei der strafrechtlichen Verjährung geht es gerade nicht um die Verwirklichung des verletzten Anspruchs des Fiskus. Der Durchsetzung dieses steuerlichen Anspruchs dient die steuerrechtliche Verjährung in Gestalt der Zahlungsverjährung oder der Festsetzungsverjährung. Die sich beim steuerstrafrechtlichen Unterlassungsdelikt aus den steuerlichen und den strafrechtlichen Verjährungsfristen zusammensetzende faktische „Gesamtverjährungszeit“ für die strafrechtliche Verfolgbarkeit ist hierfür grundsätzlich irrelevant, denn es handelt sich schlicht um unterschiedliche Institute. Das Strafrecht als Instrument des subsidiären Rechtsgüterschutzes710 mag als Unterstützung für den Schutz des Steueranspruchs des Staates gesehen werden, ein systematischer Vergleich der Verjährungsfristen des Steuerrechts und des Strafrechts ist allerdings nicht angebracht. Gedanken machen kann man sich allenfalls darüber, ob in strafrechtlicher Hinsicht eine unterschiedliche Behandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO und des § 26c UStG im Hinblick auf die Verjährung tatsächlich vorliegt und – sollte dies der Fall sein – ob dies hinzunehmen ist oder ob zwingende Gründe für eine Gleichbehandlung der Verjährung bei diesen beiden Delikte vorliegen. Anders als bei § 26c UStG beginnt bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO regelmäßig zu dem Zeitpunkt zu dem, wäre die Erklärung rechtzeitig abgegeben worden, die Veranlagung stattgefunden hätte.711 Für den Fall der Umsatzsteuer, die Anmeldungssteuer ist, bedeutet dies, dass der Zeitpunkt, in dem die Steueranmeldung abzugeben gewesen wäre, der maßgebliche Zeitpunkt ist, da zu diesem Zeitpunkt eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung vorgelegen hätte.712 Entscheidend soll hier die Frist für die Jahreserklärung sein.713 Folglich ist hier faktisch der Vollendungszeitpunkt entscheidend für den Beginn der Verjährung.714 Die strafrechtliche Verjäh709
So aber Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 370 AO Rn. 358. Roxin, AT I § 2 Rn. 1. 711 BGH, Urt. v. 20.5.1981 – 2 StR 666/80, BGHSt 30, 122; Fischer, § 78a Rn. 15. 712 BGH, Urt. v. 11.12.1990 – 5 StR 519/90, Tz. 4 (bei juris), wistra 1991, 215; BGH, Beschl. v. 9.1.1991 – 3 StR 243/90, Tz. 5 (bei juris); BGH, Urt. v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08, Tz. 7 (bei juris); Franzen/Gast/Joecks-Joecks, § 376 AO Rn. 31; Kohlmann-Schauf, § 376 AO Rn. 99; MüKo StGB-Wulf, § 376 AO Rn. 26. 713 BGH, Urt. v. 11.12.1990 – 5 StR 519/90, wistra 1991, 215. 714 MüKo StGB-Wulf, § 376 AO Rn. 26; Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 50. 710
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3. Kap.: Die §§ 26b, 26c UStG
rungsfrist soll daher genau mit dem Tage beginnen, an dem die steuerliche Erklärungsfrist endet (also am letzten Tag der Frist), wobei insofern konsequent eine Akzessorietät an das Steuerschuldverhältnis besteht, sodass steuerrechtliche Fristverlängerungen entsprechend auch den Beginn der strafrechtlichen Verjährung hinausschieben.715 Die Strafverfolgungsverjährung tritt mithin aufgrund des früheren Verjährungsbeginns in der Regel nach fünf Jahren ein. Die Frage, ob in der letztlich nur durch die „Technik“ der Deliktsverwirklichung, nämlich der Unterlassung eines gebotenen Tuns im Rahmen eines echten Unterlassungsdelikts, der für die Art des Delikts in §§ 26b, 26c UStG zwingend ist, entstehenden „künstlichen Verjährungsverlängerung“ ein Wertungswiderspruch liegt, der ggf. durch eine Vorverlagerung des Verjährungsbeginns gelöst werden könnte, sind jedoch ausschließlich strafrechtliche Faktoren zu berücksichtigen. Führt man sich einmal den Zweck der strafrechtlichen Verjährung vor Augen, nämlich insbesondere die Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden,716 so muss man sich die Frage stellen, ab wann der Täter sich berechtigterweise auf den Lauf der Verjährung verlassen darf. Blesinger stellt in diesem Zusammenhang darauf ab, dass im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG nun einmal durch die Anknüpfung an eine Zahlungspflicht, also anders als bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gerade nicht zeitpunktbezogen, die Pflicht schlicht nicht erlösche, bis nicht Zahlungsverjährung oder ein anderer Erlöschensgrund eingetreten ist. Folglich sei das Delikt auch nicht beendet.717 Blesinger macht für die unterschiedliche Behandlung von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO und §§ 26b, 26c UStG geltend, dass im Rahmen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Erfolg in Form der Nichtfestsetzung der Steuer als Steuerverkürzung zur Handlung hinzutreten müsse, während bei §§ 26b, 26c UStG schlicht die Unterlassung, also die Nichtzahlung, unter Strafe gestellt werde.718 Die Frage ist, ob allein die Tatsache, dass hier schlichtes Nichthandeln unter Strafe gestellt wird, in rechtspolitischer Hinsicht eine andere Behandlung rechtfertigt als die des im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO die Steuer hinterziehenden Täters. Denn führt man sich einmal vor Augen, an welchen Zeitpunkt der Täter seine Handlungspflicht und damit auch seine Pflichtverletzung zeitlich ansiedeln wird, wenn man ihn dazu befragt, dann ist dies vermutlich der Zeitpunkt, in dem die Zahlungsverpflichtung erstmalig fällig wird. Insofern wird jedenfalls 715
MüKo StGB-Wulf, § 376 AO Rn. 27. BGH, Beschl. v. 23.1.1959 – 4 StR 428/58, NJW 1959, 894; BGH, Beschl. v. 22.5.2006 – 5 StR 578/05, NJW 2006, 2338, 2340; Fischer, Vor § 78 Rn. 2; NK-Saliger, Vor §§ 78 ff. Rn. 6; SK-Rudolphi/Wolter, Vor § 78 Rn. 10; v. Stackelberg, FS Bockelmann (1979), S. 759, 764; v. Briel, SAM 2007, 207, 212. 717 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 50. 718 Offerhaus/Söhn/Lange-Blesinger, § 26c Rn. 50. 716
H. Verjährung
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die Einsicht, etwas Unrechtes zu tun (bzw. sich eine unrechte Unterlassung zu Schulden kommen zu lassen) nur einmal im Zeitpunkt der Fälligkeit auftreten und nicht, jedenfalls nicht stärker als im Falle der Nichterklärung, fortwirken. Hier scheint in rechtspolitischer Hinsicht eine unterschiedliche Behandlung im Vergleich zur Steuerhinterziehung, bei der ebenfalls nur im Zeitpunkt der Nichterklärung die „aktive Unrechterkenntnis“ des Täters stattfinden wird, tatsächlich nicht so recht einleuchten zu wollen. Andererseits knüpft nun einmal die Strafbarkeit bei Unterlassungsdelikten an das Bestehen einer Handlungspflicht an. Je nachdem, wie lange diese Handlungspflicht besteht, wirkt diese daher auch in strafrechtlicher Hinsicht. Die strafrechtliche Verjährung als Instrument der Abwägung zwischen staatlichem Verfolgungsinteresse und dem Interesse an Rechtsfrieden und Rechtssicherheit des Betroffenen719 knüpft an das Ende dieser Pflichten an. Auch im Interesse der Gleichbehandlung muss diese Anknüpfung einheitlich ausgeübt werden. Denn nur auf diese Weise kann ein einheitlicher Rechtsgüterschutz, eine Rechtssicherheit auch auf Seiten des Rechtsanwenders und nicht zuletzt ein Schutz vor willkürlicher Anwendung der legislativen Akte durch die Judikative erreicht werden. Zwingende Gründe für eine Vorverlagerung des Verjährungsbeginns im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG bestehen aus strafrechtlichen Gründen nicht. Eine Anknüpfung an die Rechtspflichten und damit auch die Dauer dieser Rechtspflichten außerhalb des Strafrechts, auf die bei Unterlassungsdelikten notgedrungen Bezug genommen wird, ist nicht nur sachgerecht, sondern entspricht auch dem einheitlichen Vorgehen bei Delikten dieser Struktur.
719
Fischer, Vor § 78 Rn. 2.
4. Kapitel
Steuerrechtliche Lösungsansätze Aufgrund der Betrugsanfälligkeit des derzeitigen Umsatzsteuersystems und der noch nicht ausreichenden Durchschlagskraft der Maßnahmen des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes wird eine umfassende Systemumstellung diskutiert, durch die die Einfallstore für den systematischen Umsatzsteuerbetrug im weiteren Sinne bereits auf steuerrechtlicher Ebene vermieden und eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens dadurch verhindert werden sollen. Neben der Hoffnung auf eine effektivere Eindämmung der Steuerausfälle durch Karussellbetrug wird (insbesondere im Hinblick auf die Frage der Einführung eines „Reverse-Charge-Verfahrens“) als weiterer Gesichtspunkt angeführt, dass hierdurch die zusätzliche Möglichkeit der Erfassung von Steuerausfällen durch Insolvenzen bestehe, die in der Praxis einen erheblichen Anteil, der sogar über den der Ausfälle aufgrund Karussellbetrugs hinausgehen soll, ausmache.1 Denn dem durch das System des Vorsteuerabzugs innewohnenden Betrugspotential soll schon dadurch der Nährboden entzogen werden, dass die systemimmanenten Risiken ausgeschaltet werden, sodass es des naturgemäß ineffektiveren und aufgrund des hohen Ermittlungsaufwands auch kostenintensiven repressiven Sanktionssystems nicht mehr bedarf oder jedenfalls nicht vollständig auf dieses vertraut werden muss. Insgesamt werden verschiedene Systemumstellungen diskutiert, deren grundsätzliche Funktionsweise kurz dargestellt werden soll, um einen Überblick über die Alternativen zu den etwas „holprigen“ Lösungsversuchen über haftungsrechtliche und repressiv sanktionierende Normen aufzuzeigen. Allen Modellen ist gemein, dass sie an einem oder beiden der als besonders betrugsanfällig identifizierten Merkmale des geltenden Umsatzsteuersystems ansetzen, nämlich an der Trennung von Umsatzsteuerabführung und Vorsteuererstattung sowie der Sollbesteuerung. Eine intensive Befassung mit den genannten Modellen scheidet naturgemäß schon deshalb aus, weil dies Gegenstand einer eigenständigen Arbeit wäre und den Fokus von der Betrachtung des strafrechtlichen Sanktionsgefüges, insbesondere §§ 26b, 26c StGB, nähme. Ein Blick auf Praktikabilität und mögliche Fol-
1
Vgl. Nieskens, BB 2006, 356.
A. Reverse Charge I
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gen alternativer steuerrechtlicher Möglichkeiten ist allerdings zur Beurteilung auch der Reformbedürftigkeit der §§ 26b, 26c UStG unumgänglich.
A. Reverse Charge I (Reverse-Charge-Verfahren mit Vorsteuerverrechnung) Mehrfach diskutiert wurde die Einführung eines Reverse-Chrage-Verfahrens. Dieses hat bereits mit dem durch das Steueränderungsgesetz 2001 (StÄndG 01)2 in das Umsatzsteuergesetz eingefügten und im Anwendungsbereich mehrfach ergänzten § 13b UStG in Teilbereichen in das deutsche Umsatzsteuerrecht Eingang gefunden.3 Für eine generelle Einführung des Reverse-Chrage-Verfahrens fehlt auf absehbare Zeit jedoch der rechtliche Boden. So hat auch zuletzt im Mai 2008 im ECOFIN-Rat der Finanzminister keine Einigung erzielt werden können.4 Dennoch soll hier zur Verdeutlichung der möglichen Auswirkungen für die Betrugsbekämpfung kurz die Funktionsweise des Reverse-Charge-Verfahrens dargestellt werden. Grundidee ist der Übergang der Steuerschuldnerschaft vom Erbringer der Leistung auf deren Empfänger.5 Folge dessen wäre die Vereinigung von Steuerschuldnerschaft und Vorsteuerabzugsberechtigung beim Leistungsempfänger, sodass sich die entsprechenden Beträge saldierten und zwischen zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmern keine Umsatzsteuerzahlungen mehr stattfänden.6 Der Empfänger einer Leistung kann dann die Umsatzsteuerschuld mit einem Vorsteueranspruch verrechnen und entrichtet einen gegebenenfalls nicht mit Vorsteuer zu verrechnenden Betrag an das Finanzamt.7 Durch das Zusammenfallen von Umsatzsteuerschuld und Vorsteuerabzugsberechtigung in einer Person wäre bereits ausgeschlossen, dass für denselben Umsatz durch das Finanzamt eine Vorsteuererstattung erfolgen muss, während die Umsatzsteuereinnahmen durch fehlende Zahlung des Leistungsempfängers ausbleiben. Damit stellte dieses System eine wirksame Maßnahme dar, dem Umsatzsteuerbetrug vorzubeugen. Hierbei ist insbesondere bemerkenswert, dass nicht nur Fälle des Ketten-/Karussellbetrugs erfasst würden, sondern auch Steueraus-
2
Gesetz v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, 3794. Bunjes-Leonard, § 13b Rn. 1 f. 4 Vgl. „Reverse-Charge“ im Glossar auf der Internetseite des Bundesministeriums der Finanzen: http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_39846/DE/BMF__Start seite/Service/Glossar/R/007__Reverse-Charge.html. 5 Vgl. Nieskens, BB 2006, 356 (357); Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 221; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 296. 6 Vgl. „Reverse-Charge“ im Glossar auf der Internetseite des Bundesministeriums der Finanzen: http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_39846/DE/BMF__Start seite/Service/Glossar/R/007__Reverse-Charge.html. 7 Ammann, UR 2002, 258, 259. 3
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4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
fälle aus „regulären“ Insolvenzen.8 Diese Fälle der regulären Insolvenzen stellen nach der Studie einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Rahmen eines Planspiels sogar den größeren Teil der systembedingten Umsatzsteuerausfälle dar.9 Allerdings kann dieses Modell nur in den Fällen praktiziert werden, in denen nicht an einen Endverbraucher oder einen Unternehmer ohne Vorsteuerabzugsberechtigung geleistet wird. In diesen Fällen müsste es hingegen bei der Steuerschuldnerschaft des Erbringers der Leistung bleiben.10 Alleine dabei verbleibt nach Ansicht der Befürworter ein nicht auszuschließendes Ausfallrisiko für die Umsatzsteuer.11 Da insofern für den Leistenden entscheidend ist, ob der Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, da hiervon seine eigene Steuerschuldnerschaft abhängt und er daher auch entscheiden muss, ob dem Leistungsempfänger der Brutto- oder der Nettopreis in Rechnung zu stellen ist, muss ihm überdies eine Kontrollmöglichkeit zur Verfügung gestellt werden. Dies soll nach Konzeption der Modellbefürworter über sogenannte „Ident-Nummern“ geschehen, anhand derer der Leistungserbringer erkennen kann, dass der Vertragspartner Umsatzsteuerschuldner sein wird und über die der Leistungserbringer mittels eines Bestätigungsverfahrens die Identität des Leistungsempfängers feststellen kann. Hat er dies durchgeführt, soll ihm Vertrauensschutz zu Gute kommen, Umsatzsteuerschuldner ist dann ohne Rücksicht darauf, ob er die empfangene Leistung für sein Unternehmen verwendet, der Empfänger der Leistung.12 Der Gefahr, dass durch Missbrauch einer Identifikationsnummer ein Steuervorteil erschlichen wird, soll dadurch vorgebeugt werden, dass die jeweiligen Zahlungswege verfolgt werden können, insbesondere soll daher eine Beschränkung auf unbare Zahlungsweisen eingeführt werden.13 Für Geschäfte des täglichen Bedarfs wird hingegen vorgeschlagen, eine sog. „Kleinbetragsregelung“ einzuführen: Bei in bar abgewickelten Geschäften bis zu einem bestimmten vom Gesetzgeber festzusetzenden Betrag – ein Vorschlag liegt bei A 50014 – soll es bei der bisherigen Regelung bleiben, das heißt der Leis8
Nieskens, BB 2006, 356. Mitteilung der PSP Peters Schönberger GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 20.10.2005, UR 2005, 659, nämlich ein Ausfall von ca. 5,7 Mrd. Euro durch reguläre Insolvenzen im Vergleich zu ca. 4,5 Mrd. Euro durch betrügerisches Ausnutzen des Systems. 10 Ammann, UR 2001, 428, 431; vgl. auch Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 296. 11 Ammann, UR 2001, 428, 432. 12 Vgl. zum Vorstehenden insgesamt Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 297; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 222. 13 Ammann, UR 2001, 428, 431; Ammann, UR 2003, 332, 335. 14 Ammann, UR 2002, 258, 259. 9
A. Reverse Charge I
189
tungserbringer verfährt, als leiste er an einen Nichtunternehmer; bei unbaren Geschäften unterhalb dieser Grenze soll ein Wahlrecht zwischen der Anwendung dieses Kleinbetragsverfahrens und der Vorsteuerverrechnung bestehen.15 Zur besseren Praktikabilität und Übersicht würde ein solches System mit weiteren Kontrollmaßnahmen, beispielsweise dem sog. „R-Check“ (ermöglicht durch Vergabe einer „R-Nummer“, auch „R-Signal“ genannt)16, ausgestattet, im Rahmen dessen die Finanzbehörde die in den Voranmeldungen sowohl durch den Leistenden als auch durch den Leistungsempfänger gemeldeten Umsätze abgleicht.17 Darüber hinaus soll das Modell mit einer Istbesteuerung verbunden werden, die Steuerschuld soll also mit Entrichtung des Entgelts entstehen.18 Als weitere Entlastung für die umsatzsteuerpflichtigen Unternehmer soll die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen ebenso weitgehend überflüssig werden wie Umsatzsteuervorauszahlungen, da in der Praxis diese Pflicht in der Hauptsache nur noch für Einzelhändler bestehen würde.19 Die praktischen Schwierigkeiten, die bei Leistungen innerhalb der EU durch die dort geltenden unterschiedlichen Steuersätze entstehen, sollen durch dieses System ebenfalls minimiert werden. Denn Leistungen an Unternehmer seien nunmehr aufkommensneutral; Leistungen an Endverbraucher hingegen sollen dort besteuert werden, wo dieser sitzt oder die Lieferung abholt.20 Das soll zur Folge haben, dass etwa in dem Fall, in dem ein Endverbraucher einen Gegenstand in einem Mitgliedstaat abholt, der Steuersatz dieses Mitgliedstaates gilt; für den Fall etwa des grenzüberschreitenden Versandhandels hingegen soll der Versender die Lieferung nach den Steuersätze des Sitzstaates des Endverbrauchers besteuern; die so durch den Leistungserbringer in dessen Sitzstaat abgeführte Umsatzsteuer soll sodann durch diesen Staat an den Sitzstaat des Leistungsempfängers überwiesen werden.21 Auch dieses System ist freilich betrugsanfällig, und zwar im Hinblick darauf, dass beim Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs sich der Käufer als Unternehmer ausgibt und auch vom Verkäufer entsprechend verifiziert wird, sodass es zu Unrecht zu einer steuerfreien Lieferung kommt (sogenannte „Ameisenkrimi15
Ammann, UR 2001, 428, 431 f. Matheiß/Groß, UR 2006, 379, 382, die darauf hinweisen, dass das R-Signal jedem Unternehmen erteilt werden müsse, das die Voraussetzungen für die Teilnahme am Reverse-Charge-Verfahren erfüllt, sodass eine Überprüfung durch das Finanzamt im Falle unüblich hoher Vorsteuererstattungsverlangen ermöglicht werde. 17 Matheiß/Groß, UR 2006, 379, 384 ff. (mit detaillierter Beschreibung der Funktionsweise); Nieskens, BB 2006, 356 (357); Widmann, UR 2006, 13, 15. 18 Ammann, UR 2001, 428, 432; Ammann, UR 2002, 258; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 223. 19 Ammann, UR 2001, 428, 433. 20 Ammann, UR 2001, 428, 433. 21 Vgl. Ammann, UR 2001, 428, 433. 16
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4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
nalität“); gleichzeitig wird betont, dass hier ein Vertrauensschutz für den Verkäufer unumgänglich ist, sodass das Ausfallrisiko abermals beim Fiskus läge.22
B. Reverse Charge II (Reverse-Charge-Verfahren mit Gesamtschuldnerhaftung) Als weitere Variante des soeben beschriebenen Reverse-Charge-Verfahrens soll bei Leistungen zwischen mit Ident-Nummern ausgestatteten Unternehmern die Steuerschuld wie schon für das Grundmodell beschrieben auf den Leistungsempfänger übergehen; allerdings soll der Leistungserbringer für die nach dem Sollprinzip entstandene Steuer subsidiär als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden können, wenn er seine Sorgfaltspflicht im Hinblick auf die Feststellung der Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers nicht ausreichend erfüllt.23 Dabei sollen im Abrechnungsdokument die Umsatzsteueridentifikationsnummern der beiden beteiligten Unternehmer, der Übergang der Steuerschuld sowie die maßgeblichen Steuersätze dokumentiert werden.24 Auch bei diesem Modell soll eine „Bagatellgrenze“ bis zu einer Höhe von A 500 gelten; in diesem Rahmen soll es bei der Steuerschuldnerschaft des Leistungserbringers bleiben.25 Eine Kontrolle durch die Finanzverwaltung könne dabei einzig über Kontrollmitteilungen stattfinden, da diese nur über die genannten Aufzeichnungen in den Abrechnungsdokumenten Einblick in die Vereinbarungen zwischen den Unternehmern genommen werden könne.26 Die Reverse-Charge-Modelle stießen in der Politik grundsätzlich auf breite Zustimmung, da eine Umstellung mit der Hoffnung verbunden war, durch den faktischen Wegfall der Vorsteuererstattungen das systemimmanente Betrugspotential einzudämmen. Aus diesem Grunde gaben die Finanzministerkonferenz und der Bundesfinanzminister im Sommer 2004 ein „Planspiel“ in Auftrag.27 Im Zuge dessen kam man zu dem Ergebnis, dass eine Umstellung auf ein Reverse-ChargeModell für alle Rechnungen über A 5.000 sinnvoll sei, da diese Rechnungen nur in äußerst geringem Umfang an Privatpersonen gingen. Durch die A 5.000-EuroGrenze sollte verhindert werden, dass der typische Handelsverkehr durch das Nebeneinander von zwei Systemen mit unterschiedlicher Steuerschuldnerschaft belastet wird; gleichzeitig sollte aber die gefürchtete „Ameisenkriminalität“ eingedämmt wurde, die erwartet wurde, wenn Endverbraucher sich unzutreffend als 22
Vgl. Ammann, UR 2003, 332, 333 f. Vgl. im Einzelnen Ammann, UR 2002, 258, 259; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 300 f. 24 Ammann, UR 2002, 258, 259. 25 Ammann, UR 2002, 258, 259. 26 Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 301. 27 Widmann, UR 2006, 13, 14. 23
C. „Mittler-Modell‘‘ – Modell der Vorstufenbefreiung
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Unternehmer ausgaben, um eine Steuerbefreiung zu erreichen.28 Die Einführung eines solchen Modells wurde als Ergebnis des Planspiels daher insgesamt generell empfohlen.29 Die Europäische Kommission stand nach näherer Prüfung der Einführung des Systems aufgrund der damit einhergehenden Nachteile und Eröffnung neuer Betrugsmöglichkeiten eher skeptisch gegenüber.30
C. „Mittler-Modell“ – Modell der Vorstufenbefreiung Der ehemalige rheinland-pfälzische Finanzminister Gernot Mittler hat im Jahr 2001 ein Modell vorgestellt,31 nach dem Umsätze zwischen Unternehmern stets steuerfrei sein sollen, es soll also für alle Lieferungen eine generelle Vorstufenbefreiung gelten.32 Da nach diesem Konzept nur Lieferungen an Nichtunternehmer überhaupt umsatzsteuerpflichtig wären, bestünde auch zu keinem Zeitpunkt ein Anspruch auf Vorsteuererstattung, sodass das systemimmanente Betrugspotential weitgehend ausgeschlossen wäre.33 Dabei weist Mittler auf die bereits seit dem Jahr 1968 als Systemausnahme praktizierte Vorstufenbefreiung gemäß § 4 Nr. 2 i.V. m. § 8 UStG bei bestimmten Wirtschaftsgütern hin.34 Der Leistungserbringer muss keine Umsatzsteuer an den Fiskus abführen, der Leistungsempfänger muss folglich nur den Nettopreis bezahlen, über die steuerfreie Lieferung darf keine Rechnung mit offenem Umsatzsteuerausweis erteilt werden und der Leistungsempfänger hat folglich auch keinen Vorsteueranspruch.35
28
Widmann, UR 2006, 13, 14 f. Mitteilung der PSP Peters Schönberger GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 20.10.2005 UR 2005, 659; Mitteilung der Finanzministerkonferenz vom 20.10.2005 UR 2005, 662 f. 30 Mitteilung der Kommission vom 22.02.2008 – KOM (2008) 109, UR 2008, 251, 253 ff. 31 „Mainzer Vorschläge zur Umsatzsteuer“ des Ministeriums für Finanzen Rheinland-Pfalz vom 8.8.2001. 32 Eine Ausweitung der Gesetzesänderung auch auf sonstige Leistungen lehnt Mittler selbst ab, da diese weniger betrugsanfällig seien, vgl. Mittler, UR 2001, 385, 387. 33 Mittler, UR 2001, 385, 386; vgl. auch Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 301. 34 Mittler, UR 2001, 385, 386, wobei Mittler auch klarstellt, dass die Vorstufenbefreiung aufgrund der „Liquiditätsbelastungen, die durch die umsatzsteuerlichen Zahlungsströme bei den teuren Schiffen und Luftfahrzeugen für die Abnehmer dieser Güter entstehen“ eingeführt worden sei, es lag dieser Maßnahme also weniger die Sorge vor Betrugspotential bei diesen besonders hochpreisigen Gütern zu Grunde, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass die Unternehmer durch das Auferlegen des „Steuereinsammelns“ bei derartigen Umsätzen über Gebühr belastet würden. 35 Mittler, UR 2001, 385, 386. 29
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4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
Die praktische Umsetzung soll dadurch erfolgen, dass die nach derzeitiger Konzeption zum Vorsteuerabzug berechtigten Personen eine sog. „F-Nummer“ erhalten, die dem Leistungserbringer anzeigt, dass der Umsatz steuerfrei bleibt.36 Ähnlich wie auch beim Reverse-Charge-Verfahren vorgesehen kommt demjenigen Leistungserbringer, der die F-Nummer des Vertragspartners mittels eines elektronischen Meldesystems verifiziert hat, auch bei unrechtmäßiger Verwendung der F-Nummer durch den Leistungsempfänger Vertrauensschutz zu Gute, Steuerschuldner ist in diesem Falle der Leistungsempfänger.37 Zur Ermöglichung einer zusätzlichen Kontrolle soll eine Meldepflicht online für jeden steuerfreien Umsatz bestehen; darüber hinaus soll der Leistungserbringer auch die steuerfreien Umsätze in seiner Umsatzsteuervoranmeldung deklarieren müssen.38 Daher sei der Vorschlag auch kein Systemwechsel, er begründe keine Abschaffung der „Mehrwertsteuer“ oder Schaffung einer „Einzelhandelssteuer“, sondern es liege lediglich eine Systemmodifikation vor, nach der allein die Zahlungen auf die allein wirtschaftlich relevante Endstufe beschränkt würden.39 Auch nach diesem Modell soll es eine „Kleinbetragsregelung“ geben, über deren genaue Ausgestaltung allerdings keine vollständige Einigkeit herrschte.40 Der Vorteil soll nicht nur in dem Wegfall des Risikos der Pflicht zur Auszahlung von Vorsteuererstattungen durch den Fiskus bei gleichzeitiger Uneinbringlichkeit der Umsatzsteuer aufgrund von (geplanten oder ungeplanten) Insolvenzen des Unternehmers liegen, der tatsächlich eine Lieferung vorgenommen hat. Vielmehr sei die Betrugsanfälligkeit durch verbesserte Kontrollmöglichkeiten auch in dem Falle größer, in dem Vorsteuererstattungen aufgrund fingierter Vorleistungen verlangt würden. Denn in einem Falle, in dem ein Unternehmer, der eine F-Umsatzsteuernummer hat, hohe Vorsteuererstattungen begehrt, würde das Finanzamt sofort aufmerksam, da diese Unternehmer typischerweise kaum noch besteuerte Umsätze habe.41 Zwar könne das Vorstufenmodell nicht alle Betrugsrisiken verhindern, insbesondere nicht das der unberechtigten Inanspruchnahme von Steuerbefreiungen für steuerpflichtige Vorleistungen durch Unternehmer, die sowohl steuerpflich-
36 Mittler, UR 2001, 385, 387, der vorschlägt, die Umsatzsteueridentifikationsnummer des Unternehmers zusätzlich mit einem „F“ für „free“ zu versehen; vgl. auch Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 211; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 302. 37 Vgl. Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 302. 38 Mittler, UR 2001, 385, 388; vgl. auch Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 302. 39 Mittler, UR 2001, 385, 388. 40 Vgl. Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 212; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer (2005), S. 302. 41 Mittler, UR 2001, 385, 388.
C. „Mittler-Modell‘‘ – Modell der Vorstufenbefreiung
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tige als auch steuerfreie Umsätze haben; allerdings bestehe hier kein Unterschied zum jetzigen System, sodass durch die Umstellung nach Ansicht Mittlers auch keine neuen Risiken geschaffen, allerdings bereits einige Betrugsrisiken minimiert würden.42 Zur weiteren Verhinderung der unberechitgten Inanspruchnahme von steuerbefreiten Leistungen sollen außerdem solche Unternehmer, die ausschließlich oder ganz überwiegend steuerfreie Ausgangsumsätze erbringen, keine F-Nummer erhalten, da die Steuer ansonsten „nacherhoben“ werden müsste.43 Darüber hinaus soll das Risiko, das sich dadurch ergibt, dass ein Verbraucher insbesondere bei einem Bargeschäft zu Unrecht nur das Nettoentgelt entrichtet, für den Fiskus dadurch minimiert werden, dass an den Vertrauensschutztatbestand hohe Anforderungen gestellt werden und der Leistende in Haftung genommen wird, wenn er seinen Prüfpflichten nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist.44 Mittler weist zudem auf die Binnenmarktfreundlichkeit seines Vorschlags hin, denn nicht nur liege die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen ohnehin bereits vor und es wäre außerdem für den Fall der Realisierung des geplanten Ursprungslandprinzips nicht ein bürokratisch umfangreiches Clearingverfahren notwendig; es bedürfe auch nicht mehr des aufwendigen Vorsteuervergütungsverfahrens, das durchgeführt werden müsste, wenn ein Unternehmer aus dem EG-Ausland in Deutschland eine nach dem jetzigen System umatzsteuerpflichtige Leistung in Anspruch nehme, für die er beim Bundesamt für Finanzen einen Erstattungsantrag stellen könne.45 Als vorteilhaft gilt auch beim Mittler-Modell darüber hinaus der weitgehende Wegfall des Insolvenzrisikos für den Fiskus. Denn im geltenden Allphasen-Nettosystem liegen sowohl das Risiko der Uneinbringlichkeit der Umsatzsteuer bei Insolvenz des Leistungserbringers als auch das sich aus dem Sollbesteuerungsprinzip ergebende Risiko, dass der Leistungsempfänger zwar seinen Vorsteueranspruch geltend macht, allerdings seine Verbindlichkeit inklusive der Umsatzsteuer nicht mehr gegenüber dem Leistungserbringer tilgt, sodass bei diesem eine Umsatzsteuerberichtigung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG durchgeführt wird, beim Fiskus.46 Beide beschriebene Quellen des Insolvenzrisikos wären bei der 42 Mittler, UR 2001, 385, 388, vgl. auch Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 213. 43 Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 213, 214. 44 Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 215 unter Verweis auf Ifo-Forschungsbericht Nr. 13 S. 74. 45 Mittler, UR 2001, 385, 388, als Beispiel nennt er den auf der Durchfahrt in Deutschland stehen gebliebenen LKW, der zur Weiterfahrt ein Ersatzteil benötigt, für das er, da keine steuerfrei innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt, Umsatzsteuer zahlen müsse. 46 Vgl. zum Vorstehenden insgesamt Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 216.
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4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
Vorstufenbefreiung gebannt, es bliebe lediglich noch das Insolvenzrisiko des Einzelhändlers.47 Ein nicht zu unterschätzender Kritikpunkt wird sowohl den beiden ReverseCharge-Modellen als auch dem Mittler-Modell entgegengebracht: Zwar wird durch den (faktischen) Wegfall des Vorsteueranzugs ein Missbrauch dessen schon durch die Systemänderung ausgeschlossen; allerdings sehen Kritiker ein neues Ausfallrisiko, und zwar durch einen höheren Anreiz der Verkürzung von Ausgangsumsätzen.48 Diese Befürchtung wird auf folgende Überlegung gestützt: Wenn bei Geltung des heutigen Systems der Unternehmer die Umsatzsteuer im Sinne des § 370 AO verkürzen möchte, so sei davon auszugehen, dass er aus Gründen der erfolgreichen Verschleierung auch keinen Vorsteuerabzug für seinen vorangegangenen eigenen Erwerb vornehme. So sei es wahrscheinlich, dass bei Verkürzung der Ausgangsumsätze wenigstens nicht die gesamte Steuer ausfalle; wenn aber ohnehin keine Umsatzsteuer anfalle, so fiele bei einer solchen Verkürzung entsprechend die gesamte Umsatzsteuer für den jeweiligen Umsatz aus.49 Darüber hinaus würde durch die Systemumstellung nach dem Mittler-Modell ein weiterer Risikofaktor geschaffen: Zur Erlangung der Steuerbefreiung könnten sich Endverbraucher als Unternehmer ausgeben50, es bestünde dabei die Gefahr der missbräuchlichen Verwendung einer fremden F-Nummer durch einen Nichtunternehmer oder auch einen Unternehmer, der keine F-Nummer hat,51 oder aber – und dies wird als weit wesentlicherer Risikofaktor angesehen – ein Unternehmen könnte seinen eigenen Endverbrauch als unternehmerischen Verbrauch deklarieren mit der Folge, dass eine unberechtigte Steuerbefreiung erlangt würde.52 Zwar besteht auch nach dem geltenden System der Allphasenbesteuerung die Gefahr der Falschdeklarierung; allerdings wird mit Blick auf einen Systemvergleich eingewandt, dass die Kontrollmöglichkeiten des Fiskus bezüglich einer Falschdeklarierung im geltenden System wesentlich leichter durchzuführen sei: 47 Dieses soll jedoch nicht größer sein als das derzeitige, da auch zum jetzigen Zeitpunkt der Einzelhändler nahe der Insolvenz ebenfalls noch Vorsteuer geltend mache, obgleich er die Eingangsrechnung nicht mehr begleiche, weshalb eine Umsatzsteuerberichtigung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG bei dessen Leistungserbringer stattfinde, vgl. Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 216, 217. 48 Himsel, UR 2002, 593, 595. 49 Zum Vorstehenden insg. Himsel, UR 2002, 593, 595; Reiß, UR 2002, 561, 564. 50 Dies wird allerdings wegen der recht leicht zu verwirklichenden Kontrollmöglichkeiten als unwahrscheinlich angesehen, vgl. Reiß, UR 2002, 561, 564. 51 Jochum, UR 2005, 88, 90; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 214. 52 Reiß, UR 2002, 561, 564; diese Gefahr sieht auch Mittler selbst, Mittler, UR 2001, 385, 387, weist allerdings auch darauf hin, dass die Falschdeklaration als unternehmerischer Umsatz durch einen Unternehmer, der eigentlich als Endverbraucher erwerbe, nach keinem der Systeme zu verhindern wäre.
D. Ist-Versteuerung bzw. Ist-Versteuerung mit Cross-Check
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Denn nach derzeitigem System müsse bei dem die Vorsteuer geltend machenden Empfänger festgestellt werden, ob dieser einen Vorsteuererstattungsanspruch hat, ob er also selbst erstens Unternehmer ist und ob zweitens die Leistung im Rahmen seines Unternehmens ausgeführt wird. Beim Vorsteuerbefreiungsmodell hingegen müsste die Prüfung, ob es sich um eine steuerbefreite Lieferung handelt, beim Leistenden vorgenommen werden, obgleich es auf die Eigenschaften des Empfängers ankommt.53 Auch ist der Vorschlag nicht ohne eine Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie umsetzbar.54
D. Ist-Versteuerung bzw. Ist-Versteuerung mit Cross-Check Auch das System der Sollbesteuerung ist in der Literatur auf zum Teil heftige Kritik gestoßen. Insbesondere Stadie ist der Ansicht, dass das Sollprinzip gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße und daher ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit sei.55 Denn soweit der Unternehmer, der das vereinbarte Entgelt nicht zeitnah vom Leistungsempfänger erhält, einen nicht abwälzbaren Zinsaufwand zu tragen hat, sei ein Eingriff gegeben, der auch zur Erreichung des Zwecks des UStG gar nicht erforderlich sei, da die IstVersteuerung in jedem Fall ein milderes gleich wirksames Mittel darstelle.56 Zudem fehle dem Bund auch die Gesetzgebungskompetenz, da die Vorfinanzierung der Steuer durch den Unternehmer letztlich ein Zwangskredit sei; hierfür jedoch ergebe sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht aus Art. 105 i.V. m. Art. 106 GG.57 Stadie hat sich demgegenüber für ein grundsätzliches Beibehalten des geltenden Umsatzsteuersystems ausgesprochen, allerdings mit der Maßgabe, dass generell auf eine Ist-Versteuerung umgestellt wird. Die Umsatzsteuer solle ebenso wie der Anspruch auf Vorsteuererstattung also nicht schon aufgrund der Leistungserbringung, sondern erst aufgrund der Zahlung des Bruttorechnungsbetrags, also mit Vereinnahmung der Umsatzsteuer durch den Leistungserbringer, entstehen.58 Stadie kritisiert das Soll-Prinzip nicht nur im Hinblick auf Steuerausfälle aufgrund ungerechtfertigter Vorsteuervergütungen, sondern auch aufgrund der vom eigentlich nur als Steuereinsammler für den Staat fungierenden Unternehmer ver-
53
Zum Vorstehenden insg. Reiß, UR 2002, 561, 564. Mittler, UR 2001, 385, 389, (noch in Bezug auf die 6. EG-Richtlinie). 55 Stadie, UStG Vorbem. Rn. 44; Stadie, UR 2004, 136, 139 f. 56 Stadie, UStG Vorbem. Rn. 44. 57 Stadie, UStG Vorbem. Rn. 45. 58 Stadie, UR 2004, 136 ff.; Stadie, UR 2004, 398 ff.; vgl. auch Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 247 ff. 54
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4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
langten Vorfinanzierung der Umsatzsteuer für den Fall der verspäteten Zahlung durch den Leistungsempfänger und hält das Soll-Prinzip aus diesem Grunde wegen des damit seiner Ansicht nach einhergehenden Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip für verfassungswidrig.59 Eine Rechtfertigung dieser Belastung des leistenden Unternehmers sei auch nicht dadurch ausgeglichen, dass der „vorfinanzierende“ Unternehmer selbst einen Vorsteuerabzug begehren könne, da bei Unternehmen insbesondere im Dienstleistungssektor, bei denen ein hoher Wertschöpfungsanteil vorliege, hierdurch kein vollwertiger wirtschaftlicher Ausgleich geschaffen werden könne und zudem nicht davon ausgegangen werden könne, dass der aus dem eigenen Vorumsatz vorsteuerberechtigte Leistungserbringer an seinen eigenen Leistungserbringer ebenfalls verspätet leiste.60 Zudem sei auch eine Vorsteuervergütung an den Leistungsempfänger bereits vor dem Zeitpunkt, zu dem dieser selbst die Rechnung des Leistungserbringers beglichen hat, gar nicht zu rechtfertigen, da die Vorsteuervergütung nur dem Zweck dienen könne, von einer Steuerbelastung wiederum zu entlasten; diese Belastung trete aber erst mit Begleichung der Rechnung des Leistungserbringers ein.61 Als Vorteil des Grundmodells der Ist-Versteuerung wird gesehen, dass – anders als beim Mittler-Modell oder dem Reverse-Charge-Modell – der Anreiz für Letztverbraucher sinke, sich als Unternehmer auszugeben; das Risiko des unversteuerten Letztverbrauchs bestünde also nicht mehr.62 Auch das Insolvenzrisiko des Fiskus in Bezug auf eine Insolvenz des Leistungsempfängers, der trotz Nichtzahlung des Rechnungsbetrags an den Leistungserbringer seinen Vorsteueranspruch noch vor Stellung eines Insolvenzantrags geltend macht, wäre nicht mehr existent.63 Es bestünde allerdings weiterhin das Risiko der Insolvenz des Leistungserbringers fort.64 Durch die reine Umstellung auf das Ist-Prinzip ohne Einführung weiterer Maßnahmen würde daher also der typische Fall der „Karussellgeschäfte“, also das Einsetzen eines „missing traders“ mit dessen geplanter Insolvenz, für die Karussellteilnehmer nicht erschwert. 59
Stadie, UR 2004, 136, 139. Stadie, UR 2004, 136, 140. 61 Stadie, UR 2004, 136, 137, wobei dem zu entgegnen ist, dass durch einen generellen Übergang zur Istbesteuerung, bei dem entsprechend der Leistungsempfänger einen Vorsteueranspruch erst nach Entgeltzahlung an den Leistungserbringer hat, der Leistungsempfänger wirtschaftlich die Steuer vorfinanzieren muss. Es ändert sich daher letztlich nur die Person des belasteten Unternehmers durch Übergang der Liquiditätsbelastung vom Leistungserbringer auf den Leistungsempfänger. 62 Vgl. Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 248. 63 Stadie, UR 2004, 136, 137; vgl. auch Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 248. 64 Vgl. Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 248 f. 60
D. Ist-Versteuerung bzw. Ist-Versteuerung mit Cross-Check
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Der Umstellung auf das Soll-Prinzip wird allerdings auch in praktischer Hinsicht Kritik entgegen gebracht. So verweist Widmann darauf, dass nicht nur die Überprüfung der Zahlungseingänge erheblich aufwendiger sei, sondern insbesondere unklar sei, wie mit Teilzahlungen auf Rechnungen, die Umsätze mit unterschiedlichen Steuersätzen enthalten, umzugehen sei: Denn bei Erteilung einer Gesamtrechnung über Umsätze, die dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, und solchen Umsätzen, die dem Regelsteuersatz unterliegen, sei im Falle der lediglich teilweisen Zahlung durch den Leistungsempfänger kaum zu erkennen, auf welchen Steuersatz sich die Zahlung beziehe.65 Probleme sieht Widmann auch in Abtretungskonstellationen, da entweder der Abtretungsempfänger zum Steuerschuldner werden müsse oder Schwierigkeiten im Hinblick darauf entstünden, dass der Abtretende in der Regel nicht erfahre, wann das Geld durch den Abtretungsempfänger vereinnahmt würde, also die Steuerschuld entstünde, und das „Abtretungsentgelt“ jedenfalls nicht als „Vereinnahmung des Entgelts für den eigentlichen Umsatz“ angesehen werden könne. Auch sieht Widmann in der Umstellung auf das Ist-Prinzip keinen nennenswerten Fortschritt in der Betrugsbekämpfung, da die „Wurzel des Übels“ in Gestalt systemimmanenter Risiken in der Allphasenbesteuerung zu sehen sei und auch in der Ist-Besteuerung Betrug insbesondere durch gezieltes Zusammenwirken krimineller Partner weiterhin möglich sei.66 Ob diese praktischen Probleme tatsächlich unüberwindbar wären, ist fraglich: Stadie geht davon aus, dass bei Teilzahlungen schlicht anzunehmen sei, dass die Zahlung im entsprechende Verhältnis wie in der Rechnung aufgeführt geleistet sei und in Abtretungskonstellationen der Auskunftsanspruch des Finanzamts aus § 93 Abs. 1 AO weiterhelfe.67 In Bezug auf die Kompatibilität mit dem Gemeinschaftsrecht gibt es unterschiedliche Ansichten. Während insbesondere das Bundesfinanzministerium davon auszugehen scheint, dass eine Umstellung auf ein generelles Ist-Prinzip (und nicht nur in Bezug auf bestimmte Umsätze oder Branchen) aufgrund des Art. 63 MwStSystRL nicht richtlinienkonform wäre,68 gehen andere von einer Gemeinschaftsrechtskonformität aus, da die Formulierung der Ausnahmeregelung in Art. 66 lit. b MwStSystRL für bestimmte Umsätze oder „Gruppen von Steuerpflichtigen“ nur so verstanden werden könne, dass auch eine generelle Umstellung auf das Ist-Prinzip zulässig sein müsse.69 65
Widmann, UR 2004, 177, 179. Zum Vorstehenden insgesamt Widmann, UR 2004, 177, 180. 67 Stadie, UR 2004, 398, 400. 68 BMF-Schreiben vom 12.11.2003 – IV B 2 – S 7050 – 107/03, vgl. Buchstabe „F“, UR 2004, 16, 18; damals noch Regelung in Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie. 66
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4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
Nach Ansicht Stadies soll zudem eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 199570 dahingehend zu verstehen sein, dass auch eine generelle Umstellung auf das Ist-Prinzip auf die an sich nur als Ausnahmeregelung formulierte Ermächtigungsgrundlage für eine Ist-Versteuerung in Art. 66 lit. b MwStSystRL gestützt werden könne, wobei er darauf hinweist, dass der EuGH in seiner Entscheidung aufgrund der dahingehend gestellten Vorlagefrage nur über eine Vereinbarkeit der Vorschrift mit einer nationalen Regelung entschieden hat, nach der alle Dienstleistungen, nicht hingegen auch zusätzlich alle Lieferungen, der Ist-Besteuerung unterworfen werden sollten.71 Tatsächlich lässt der EuGH in der genannten Entscheidung offen, ob eine „enge Auslegung“ der Formulierung in der Ausnahmeregelung, die sich nunmehr in Art. 66 MwStSystRL findet, vorgenommen werden müsse oder ob sogar eine Erstreckung der Ausnahmeregelung auf das gesamte Mehrwertsteuersystem mit der Richtlinie zu vereinbaren wäre, da jedenfalls „alle Dienstleistungen“ eine „homogene Untergruppe“ aller Umsätze darstelle, da diese nämlich Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen erfassten.72 Es gehen daher im Ergebnis einige Autoren davon aus, dass eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes hin zum generellen Ist-Prinzip auch ohne Gesetzesänderung oder Zustimmungserfordernisse auf EG-Ebene durchführbar wäre.73 Andere Autoren sehen die Ausdehnung der Ausnahmeregelung des Art. 66 MwStSystRL auf das gesamte Umsatzsteuersystem hingegen schon aufgrund der Formulierung als auf bestimmte Umsätze begrenzter Tatbestand kritisch und gehen daher nicht ohne Weiteres von einer Kompatibilität mit dem Gemeinschaftsrecht aus.74 Unabhängig von Praktikabilität oder Nutzen einer derartigen Systemumstellung ist aufgrund der als Ausnahmevorschrift formulierten Regelung in Art. 66 MwStSystRL äußerst fraglich, ob eine allumfassende Umstellung auf das IstPrinzip noch mit der Vorschrift in Einklang zu bringen wäre, zumal auch die Entscheidung des EuGH in Sachen „Italittica“ hierzu explizit keine Aussage trifft und aus der Formulierung „Untergruppe“ deutlich wird, dass der EuGH sich in seiner Entscheidung darauf berufen hat, dass die Ausnahmevorschrift dem Wort69 Stadie, UR 2004, 136, 137; damals noch zu Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 3 der 6. EGRichtlinie. 70 EuGH, Urt. v. 26.10.1995 – Rs. C-144/94 („Italittica“), UR 1996, 19 ff. mit Anmerkungen Huschens. 71 Stadie, UR 2004, 136, 138; zuvor in diese Richtung auch schon Huschens, UR 1996, 21 f., der die Entscheidung aber aus diesem Grunde kritisch sieht. 72 EuGH, Urt. v. 26.10.1995 – Rs. C-144/94 („Italittica“) Rz. 14, UR 1996, 19, 20. 73 Huschens, UR 1996, 21; Stadie, UR 2004, 136, 138; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 249 (allerdings nur in Bezug auf das Grundmodell, nicht in Bezug auf das weiter unten dargestellte Modell mit „CrossCheck“, vgl. Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 255). 74 Widmann, UR 2004, 177, 179; Widmann, UR 2005, 14, 17.
D. Ist-Versteuerung bzw. Ist-Versteuerung mit Cross-Check
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laut nach erfüllt war. Eine Zusammenfassung vieler „Untergruppen“ zu einer nahezu alle steuerbaren Umsätze erfassenden Gruppe würde den Charakter als Ermächtigungsgrundlage für Ausnahmefälle letztlich ad absurdum führen. Auf Seiten des Bundesministeriums für Finanzen wird allerdings davon ausgegangen, dass eine dahingehende Änderung der Richtlinie der EU-Kommission zu vermitteln wäre.75 Ein ähnliches Modell, allerdings erweitert um eine Sicherung durch einen elektronischen Datenabgleich („Cross-Check-Verfahren“), hat auch das Bundesministerium der Finanzen zwischenzeitlich angedacht.76 Nach diesem Vorschlag sollte – zusätzlich zum Übergang zum generellen Ist-Prinzip wie soeben beschrieben – nicht nur der Leistungsempfänger die Wahlmöglichkeit erhalten, statt Bezahlung des vollen Bruttorechnungsbetrags an den Leistungserbringer die Umsatzsteuer direkt an eine noch zu bestimmende Finanzbehörde, zum Beispiel eine bundesweit einheitlich zuständige Zentralbehörde, zu entrichten, sondern es sollte auch ein elektronischer Datenabgleich von Ausgangs- und Eingangsumsatz stattfinden. Mit diesem sollte eine auf elektronischem Wege abzuwickelnde Meldepflicht der am Umsatz beteiligten Unternehmer einhergehen, die die Wirtschafts-Identifikationsnummer ihres Vertragspartners im Sinne des § 139c AO an ihre Finanzbehörde zu übermitteln haben. Dabei sollten als Ausnahme Bagatellumsätze – nach Vorschlag des BMF für Umsätze bis zu A 500 – vom elektronischen Meldeverfahren (nicht jedoch vom Ist-Prinzip) ausgenommen werden und aus Praktikabilitätsgründen die Voranmeldezeiträume für alle Unternehmer vereinheitlicht werden.77 Das elektronische Abgleichsverfahren sollte für den Fall der Entrichtung des gesamten Bruttorechnungsbetrags an den Leistungserbringer dazu genutzt werden, Vorsteuererstattung und Umsatzsteuerzahlungen abzugleichen (wodurch insbesondere die Steueranmeldungen der Leistungserbringer leicht zu überprüfen wären). Allerdings wird in dem BMF-Schreiben auch der Eindruck erweckt, als sollten Vorsteuererstattungszahlungen an den Leistungsempfänger auch von der tatsächlichen Abführung der Umsatzsteuer durch den Leistungserbringer an das Finanzamt abhängig gemacht oder jedenfalls in das Ermessen des jeweiligen Finanzamts gestellt werden. Dies jedenfalls suggerieren die folgenden Formulierungen im fraglichen BMF-Schreiben: „Es bietet sich an, dass der Leistungsempfänger, so er selbst Unternehmer ist, die Möglichkeit erhält, die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht an seinen Ge75 BMF-Schreiben vom 12.11.2003 – IV B 2 – S 7050 – 107/03, vgl. Buchstabe „F“, UR 2004, 16, 18; damals noch Regelung in Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie. 76 BMF-Schreiben vom 12.11.2003 – IV B 2 – S 7050 – 107/03, UR 2004, 16. 77 Zum Vorstehenden insgesamt BMF-Schreiben vom 12.11.2003, UR 2004, 16, 17 f.; vgl. auch Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 252.
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4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
schäftspartner, sondern unmittelbar an eine zentrale Finanzbehörde zu entrichten. Auf diese Weise kann der Leistungsempfänger sicherstellen, dass die auf den Umsatz entfallende Steuer tatsächlich an den Fiskus abgeführt wurde und für seinen eigenen Vorsteuerabzug insoweit keine Probleme entstehen“ 78
sowie „[. . .] kann die Anrechnung/Erstattung von Vorsteuerbeträgen jedoch solange unterbleiben, als nicht klar ist, ob entsprechende Ausgangssteuer bereits angemeldet und entrichtet ist“.79
Das BMF möchte also offensichtlich die Vorsteuererstattung an den Leistungsempfänger zusätzlich zur Anmeldung auch noch von der Entrichtung der Steuer durch den Leistungserbringer abhängig machen. Ein solches Vorgehen wäre eine untragbare Belastung für die beteiligten Unternehmer und eine derart unsachgemäße Überwälzung des Risikos (nicht nur der betrügerisch geplanten Nichtabführung, sondern auch der „normalen“ Insolvenz auf Seiten des Leistungserbringers) vom Fiskus auf den Leistungsempfänger, dass – sollte diese Überlegung tatsächlich in dieser Weise bestanden haben – allein das Inbetrachtziehen durch das BMF Anlass zur Besorgnis ist. So ist auch dieser Punkt zu Recht auf Widerspruch in der umsatzsteuerrechtlichen Literatur gestoßen.80 Noch weitergehend wird sogar erwogen, eine Haftung des unternehmerisch tätigen Leistungsempfängers einzuführen, der selbst durch den Fiskus in Anspruch genommen werden können soll, wenn der Leistungserbringer die Umsatzsteuer nicht zahlt; diesem Haftungsrisiko soll der Unternehmer nur entgehen können, wenn er die Option der Entrichtung der Umsatzsteuer unmittelbar an die Finanzbehörde wählt und an den Leistungserbringer nur den Nettorechnungsbetrag entrichtet.81 Dieser Vorschlag ist aus den gleichen Gründen wie soeben schon erwähnt untragbar. Der Leistungsempfänger soll nach der Vorstellung des BMF eine Risikoabwägung treffen, ob er seinem Geschäftspartner „trauen kann“. Dieser Vorschlag einer zusätzlichen Haftung verwundert nicht zuletzt deshalb, weil erst durch das kurz zuvor in Kraft getretene Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz mit § 25d UStG eine Haftungsnorm des Leistungsempfängers für die Umsatzsteuerschuld des Leistungserbringers eingeführt wurde, allerdings aus gutem Grunde nur unter den besonderen Voraussetzungen der Kenntnis oder grob 78
BMF-Schreiben vom 12.11.2003, UR 2004, 16, 17. BMF-Schreiben vom 12.11.2003 unter C, fünfter Spiegelstrich, UR 2004, 16, 18 80 Stadie, UR 2004, 136, 141. 81 So BMF-Schreiben vom 12.11.2003 bei Buchstabe „D“, UR 2004, 16, 18, wobei unklar bleibt, ob eine echte Haftung für die Umsatzsteuerschuld des Leistungserbringers bestehen soll, der Vorsteuerabzug versagt werden soll oder der Autor davon ausgeht, dass es aufgrund der Saldierung von Haftungsbetrag und Vorsteueranspruch schlicht nicht zu einem positiven Vorsteuersaldo für den Leistungsempfänger kommt; schon allein diese Unklarheiten in der Formulierung machen deutlich, dass das Konzept nicht ganz durchdacht zu sein scheint. 79
E. „Ifo-Modell‘‘
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fahrlässigen Unkenntnis der absichtlichen Nichtentrichtung durch den Leistungserbringer. Weshalb nunmehr eine verfassungsrechtlich unhaltbare weitergehende Haftung des Leistungsempfängers erwogen wurde, bleibt wohl das Geheimnis der Autoren dieses Vorschlags. Als Vorteil des Vorschlags werden jedenfalls die Möglichkeit der weitgehenden Beibehaltung des bestehenden Umsatzsteuersystems, der Wegfall des Ausfallrisikos durch Karussellgeschäfte sowie die Tatsache, dass keine neuen Betrugsrisiken aufgrund anderer Erhebungsformen („Ameisenkriminalität“) wie beim „Mittler-Modell“ und den „Reverse-Charge“Varianten) bestünden, gesehen.82 Auch die Möglichkeit einer Systemumstellung auf die generelle Ist-Versteuerung wurde im Rahmen des oben genannten Planspiels83 intensiv geprüft. Die Beteiligten kamen hier allerdings zu dem Ergebnis, dass eine Systemumstellung nicht zu empfehlen sei, da insbesondere im Übergangsjahr massive Ausfälle aufgrund der Systemumstellung zu erwarten seien und außerdem das systemimmanente Risiko des Vorsteuerbetrugs nicht behoben werde.84 So trete aufgrund der Umstellung die Folge ein, dass die Sondervorauszahlungen aus § 47 UStDV wegfielen, wodurch ein einmaliger Ausfall von 10,6 Mrd. Euro anfiele; außerdem trete ein weiterer einmaliger Ausfall von 9 Mrd. Euro dadurch auf, dass die Umsatzsteuer zu einem späteren Zeitpunkt abgeführt werden müsse.85 Aus diesem Grunde hat auch das Bundesministerium für Finanzen nach Bekanntgabe der Ergebnisse des Planspiels an Überlegungen zur Einführung eines Ist-Modells nicht weiter festgehalten.86
E. „Ifo-Modell“ Das ifo-Institut hat, neben zahlreichen Untersuchungen zu den oben genannten anderen Modellvorschläge, auch selbst einen Reformvorschlag vorgelegt. Dabei soll das geltende Umsatzsteuersystem in stärkerem Maße als bei den bisherigen Reformmodellen beibehalten werden. Im Einzelnen sind nach dem Vorschlag die folgenden Änderungen angeregt worden: Für den Fall des unbaren Geschäfts sieht das Modell eine Treuhandfunktion der Banken vor, es soll ein „Umsatzsteuertreuhandkonto“ bei der Bank des Leistungserbringers geführt werden,87 die Bank soll den Gesamtbruttobetrag vom 82 BMF-Schreiben vom 12.11.2003 – IV B 2 – S 7050 – 107/03, vgl. Buchstabe „F“, UR 2004, 16, 18. 83 Vgl. unter B. 84 Mitteilung der PSP Peters Schönberger GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 20.10.2005, UR 2005, 659; Mitteilung der Finanzministerkonferenz vom 20.10. 2005, UR 2005, 662, 663. 85 Widmann, UR 2006, 13, 15. 86 Widmann, UR 2006, 13, 16. 87 Sinn/Parsche/Gebauer, ifo-Schnelldienst, Sonderausgabe 2/2004, S. 34, 36, zitiert nach: Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 241.
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4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
Leistungsempfänger vereinnahmen und dann die enthaltene Umsatzsteuer direkt an den Fiskus abführen. Der Nettobetrag wird daraufhin dem Leistungserbringer gutgeschrieben. Die Bank übernimmt bei dieser Konzeption die Aufgabe eines Treuhänders des Fiskus.88 Die Vorsteuererstattung kann der Leistungsempfänger sodann bei seinem Finanzamt unter Vorlage eines Belegs der treuhänderisch wirkenden Bank über die Abführung der Umsatzsteuer verlangen.89 Für den Fall des Bargeschäfts soll das Treuhandkonto entweder über ein aufladbares Guthabenkonto des Leistungserbringers bei seinem Finanzamt oder – für den Fall des Fehlens entsprechender technischer Einrichtungen – über ein Steuermarkensystem ersetzt werden. Beim Guthabenkonto würde mittels eines entsprechenden Geräts jeweils die Umsatzsteuer für Barumsätze von diesem Konto abgebucht, der Leistungserbringer müsste für eine entsprechende Deckung des Guthabenkontos sorgen. Alternativ könnte dieses Guthaben auch über „Steuermarken“ ersetzt werden, die der Leistungsempfänger bereits im Vorfeld von seinem Finanzamt zu beziehen hätte.90 Bei dieser Variante würde daher der Leistungsempfänger den Bruttorechnungsbetrag direkt an den Leistungserbringer entrichten, seinen Vorsteuererstattungsanspruch bei seinem Finanzamt könnte er mittels der Rechnung begehren, der er entweder die Steuermarke oder einen Beleg aus dem Guthabenkonto des Leistungsempfängers über die Abführung der Umsatzsteuer durch diesen beizufügen hätte.91 Das Modell hätte den Vorteil, dass jedenfalls nicht eine Vorsteuererstattung ohne entsprechende Umsatzsteuerzahlung vorgenommen würde, Ausnahme wäre möglicherweise die gezielte Gerätemanipulation oder Fälschung von Steuermarken in den Barzahlungsfällen.92 Durch die Umsatzsteuerabführung unmittelbar mit Zahlung durch den Leistungsempfänger (entweder bei Bargeschäften unmittelbar mit Geschäftsabwicklung oder aber bei unbarer Abwicklung durch Vereinnahmung durch die treuhänderische Bank) trägt auch der Leistungsempfänger kein unkalkulierbares Risiko. Zwar wird sein Vorsteuererstattungsanspruch nur befriedigt, wenn ein Beleg über die Abführung der Umsatzsteuer beigefügt wird, wenn also tatsächlich auch die Umsatzsteuer vereinnahmt würde. Anders als im derzeitigen System ist dies jedoch keine unzumutbare Risikoverlagerung auf den Leistungsempfänger, denn dieser ist eben nicht auf die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit des Leistungserbringers angewiesen, sondern er kann entweder (beim Bargeschäft) das Geschäft unmittelbar davon abhängig machen, dass er die erforderlichen Belege auch tatsächlich erhält, oder aber (beim unbaren Geschäft) da88
Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 241. Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 242. 90 Vgl. zum Vorstehenden insgesamt Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 242. 91 Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 243. 92 Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 243. 89
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rauf vertrauen, dass die objektive und treuhänderisch arbeitende Bank ihrer Verpflichtung auch nachkommt. Eine Risikoabwälzung auf die Unternehmer findet daher nicht in größerem Maße statt als im derzeitigen System. Auch Insolvenzfälle wären für den Fiskus weniger risikoreich, denn im Falle der Insolvenz des Leistungserbringers hat dieser keinen Einfluss mehr auf die Abführung der Umsatzsteuer, im Falle der Insolvenz des Leistungsempfängers besteht nicht das Risiko, dass der Unternehmer zwar den Rechnungsbetrag nicht entrichtet, für den Umsatz also letztlich keine Umsatzsteuer abgeführt wird, er aber dennoch Vorsteueransprüche geltend macht, denn die Geltendmachung seines Vorsteueranspruchs hinge ja davon ab, dass er die entsprechenden Belege vorlegt, die er aber nur erhält, wenn er die Bruttorechnungssumme beglichen hat.93 Weiterhin bestünde, im Gegensatz zu Mittler-Modell und den ReverseCharge-Modellen, auch nicht die Gefahr der Nichtbesteuerung des Letztverbrauchs, da vom Modell der Vorsteuererstattung gerade nicht abgewichen wird; außerdem wären die Leistungserbringer nicht damit belastet, die Unternehmereigenschaft der Leistungsempfänger überprüfen zu müssen.94 Nachteilig bei diesem Modell wäre allerdings die finanzielle Belastung für die Unternehmer. Denn diese tragen zwar – wie gesehen – nicht das endgültige Ausfallrisiko, allerdings durchaus nennenswerte Transaktionskosten. Denn nicht nur müssen sie die entsprechenden Vorrichtungen für Bargeschäfte vorhalten, auch sind sie zur Vorfinanzierung über Guthabenkonten oder Steuermarkensystem verpflichtet; außerdem würden den Banken durch ihre Treuhandfunktion weitere Pflichten erwachsen und nicht zuletzt die Kontrollobliegenheiten der Finanzämter deutlich zunehmen.95 Es bestünde daher wohl auch die Gefahr, dass aufgrund der generell erhöhten Kosten der Händler das Preisniveau insgesamt ansteigen würde, da die Mehrkosten, zumindest im durchführbaren Maße, übergewälzt würden. Die Gemeinschaftsrechtskonformität hingegen wäre jedenfalls eher herzustellen als bei den vorgenannten Modellen. Zweifel werden angemeldet hinsichtlich des Entstehungszeitpunkts der Umsatzsteuer (geregelt in Art. 63 der MwStSystRL), da das Markensystem einen Steueranspruch bereits vor Leistungsbewirkung nach sich zöge,96 sowie hinsichtlich der in Art. 168 lit. a der MwStSystRL festgelegten Möglichkeit des globalen Vorsteuerabzugs.97 93
Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 243, 244. Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 244, 245. 95 Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 245, der in diesem Zusammenhang auch noch auf den Wegfall der durch die Sollbesteuerung entstehenden Liquiditätsvorteile für die Unternehmer hinweist, die bei sofortiger Vorsteuererstattung lange Zahlungsziele mit ihren Lieferanten vereinbaren und hieraus in durchaus nennenswertem Maße zusätzliche Liquidität schöpften. 96 So Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 246, 247. 97 Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 247. 94
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4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
Zumindest hinsichtlich Art. 63 MwStSystRL können die Zweifel allerdings wohl nicht durchgreifen, da eine zeitliche Vorverlagerung des fiskalischen Anspruchs durch die „Vorfinanzierung“ nicht bewirkt würde. Zwar würde die Tatsache, dass zum Zwecke der flexiblen Geschäftsabwicklung der Unternehmer faktisch immer Marken, für die er bereits Geld abgeführt hat, vorhalten müsste, zu einer dem Geschäft zeitlich vorangehenden finanziellen Belastung des Unternehmers führen; allerdings beinhalten auch diese Marken einen Geldwert, der ggf. durch Einräumung einer Rücktauschmöglichkeit beim Finanzamt auch realisiert werden könnte. Auch ist gerade nicht der Anspruch auf Umsatzsteuerzahlung des Fiskus mit Kauf der Steuermarken im Vorfeld entstanden, sondern der Unternehmer nimmt jedenfalls theoretisch „freiwillig“ durch den Erwerb der Marken bereits vor Abwicklung seines Geschäfts eine tatsächliche Zahlung vor dem Geschäft vor; ein verbindlicher Anspruch des Fiskus jedenfalls besteht nicht, zumal der Wert der Marken ja auch erst mit ihrem Einsatz realisiert wird. Folglich hätte die Vorfinanzierung keine Auswirkungen auf den Entstehungszeitpunkt. Dennoch wäre die faktische Belastung für den Unternehmer vorhanden, sodass das Modell vor diesem Hintergrund kritisch zu sehen ist.
F. Vorsteueranrechnungsmodell (auch „Vorsteuerüberrechnung“) Ein aus Österreich stammender Vorschlag sieht vor, dass – gewissermaßen spiegelbildlich zur Vorsteuerverrechnung – die dem Leistungsempfänger zustehende Vorsteuer auf der Stufe des Leistungserbringers vorgenommen werden soll; der Empfänger würde nach diesem Modell lediglich den in der Rechnung gesondert ausgewiesenen Nettobetrag entrichten, was gewissermaßen als Vollziehung seines Vorsteuerabzugs wirken würde. Steuerschuldner würde demgegenüber der Leistungserbringer bleiben, der sich den dem Leistungsempfänger zustehenden Vorsteuererstattungsanspruch abtreten lassen würde („Überrechnung“)98 und sodann diesen Vorsteuererstattungsbetrag mit seiner Umsatzsteuerverpflichtung verrechnen könnte. Seine eigene Verpflichtung zur Umsatzsteuerzahlung wäre mit der Verrechnung getilgt.99 Bei diesem auch „Vorsteuerüberrechnung“ genannten Modell überrechnet quasi der Leistungsempfänger „seinen Vorsteueranspruch auf das Abgabenkonto des Rechnungsausstellers“ 100 und muss im Gegenzug die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht an den Leistungserbringer bezahlen. Auch nach diesem Mo-
98 99
Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 237. Vgl. zum Vorstehenden insgesamt Achatz, UR 2003, 577; Ammann, UR 2002,
258. 100
Mattes, UR 2001, 378.
F. Vorsteueranrechnungsmodell (auch „Vorsteuerüberrechnung‘‘)
205
dell gäbe es folglich keinerlei umsatzsteuerrelevante Zahlungen mehr zwischen Vorsteuerberechtigtem, Umsatzsteuerschuldner und Fiskus.101 Seine Unternehmereigenschaft müsste der Leistungsempfänger dem Erbringer der Leistung nachweisen, auch nach diesem Modell würde dies über ein online verfügbares Computersystem durchgeführt, auf das auch die Finanzverwaltung Zugriff hätte.102 Der Erbringer der Leistung wäre im Falle der missbräuchlichen Inanspruchnahme der Regelung durch den Leistungsempfänger ebenfalls durch eine Vertrauensschutzregelung geschützt.103 Für Bargeschäfte zwischen Unternehmern wird die Verwendung einer „Umsatzsteuer-Chipkarte“ durch den Leistungsempfänger vorgeschlagen, mit Hilfe derer der Leistungserbringer schon bei Durchführung des Geschäfts eine Umsatzsteuerverrechnung durchführen kann. Alternativ wird für diesen Fall das Beibehalten der klassischen Funktionsweise vorgeschlagen, das heißt wie bisher zahlt der Leistungsempfänger den Umsatzsteuerbetrag an den Leistungserbringer und richtet sich selbst mit seinem Vorsteuererstattungsanspruch an das Finanzamt.104 Das Vorsteueranrechnungsmodell hat ähnliche Vorteile, sieht sich aber auch ähnlicher Kritik ausgesetzt wie die Reverse-Charge-Modelle und ebenso das Mittler-Modell. Zwar würden auch in diesem Falle tatsächliche Zahlungen an und durch personenverschiedene Unternehmer vermieden, sodass sowohl das Missbrauchsrisiko durch Geltendmachung unberechtigter Vorsteuererstattungsansprüche als auch das Insolvenzrisiko des Fiskus weitgehend minimiert würden.105 Allerdings birgt das System gleichfalls die bereits bei den vorangegangenen Modellen genannten Nachteile, nämlich das Risiko der Nichtversteuerung auf der letzten Stufe durch Vorspiegeln der Unternehmereigenschaft sowie ein durch Melde- und Prüfpflichten wesentlich erhöhter bürokratischer Aufwand nicht zuletzt für die Unternehmer.106 Darüber hinaus würde ein Nebeneinander der Modelle zu Problemen an möglichen Schnittstellen führen.107 Auch dieses Modell wäre überdies wegen des Verstoßes gegen Art. 168 der MwStSystRL nur durch eine Änderung des Ge-
101
Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 237. Sog. „FinanzOnline“, vgl. Achatz, UR 2003, 577, 578; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 237. 103 Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 238. 104 Zum Vorstehenden insg. Mattes, UR 2001, 378, 379. 105 Achatz, UR 2003, 577, 578; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 238. 106 Achatz, UR 2003, 577, 578; Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 238. 107 Achatz, UR 2003, 577, 578, dies gelte vor allem deshalb, weil das Modell in Österreich aufgrund der durchaus nennenswerten Kosten einer Einführung für die Unternehmer optional sein sollte. 102
206
4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
meinschaftsrechts überhaupt zu realisieren.108 Insbesondere soll eine komplette Umstellung des Systems auch nicht auf Art. 395 der MwStSystRL gestützt werden können, der eine Ermächtigung für die Einführung von Sondermaßnahmen zur Verhütung von Umgehungen oder Steuerhinterziehungen enthält. Denn eine undifferenzierte Umstellung des gesamten Systems im Gegensatz zur Einführung von Sonderregelungen für nur einzelne Gegenstände oder Branchen, für die eine besondere Betrugsanfälligkeit beobachtet wurde, verstoße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Rahmen des Art. 395 der MwStSystRL.109
G. Die Vorschläge des „Bundessteuergesetzbuchs“ von Paul Kirchhof Für die Karussellproblematik bedeutsame Änderungsvorschläge enthält auch das Konzept der „Forschungsstelle Bundessteuergesetzbuch“ an der Universität Heidelberg unter der Leitung von Paul Kirchhof, der im Zuge seines umfassenden Reformvorschlags für das deutsche Steuerrecht als Teil seines „Bundessteuergesetzbuchs“ („BStGB“) auch Regelungen zur Umsatzsteuer mit Kommentierung vorgelegt hat.110 Kirchhof spricht sich in seinem Reformvorschlag, insofern ähnlich dem Mittler-Modell, für eine völlige Abschaffung des Allphasensystems aus. Nur noch die Umsätze an Verbraucher sollen steuerbar sein, während Umsätze zwischen Unternehmern nicht mehr der Umsatzbesteuerung unterliegen.111 Aus diesem Grunde sieht der Gesetzesentwurf Definitionen des „Unternehmers“ (§ 102 BStGB) und des „Verbrauchers“ (§ 103 BStGB) vor, wobei das beim Mittler-Modell noch bestehende Prüfrisiko, ob der Leistungsempfänger als Unternehmer oder als Verbraucher auftritt, durch eine Zweifelsregelung in § 103 Abs. 2 BStGB entschärft werden soll, die das Folgende vorsieht: „Lässt sich nicht deutlich unterscheiden, ob eine Leistung für unternehmerische oder private Zwecke verwendet wird (gemischte Veranlassung), wird die Leistung als Verbraucher erworben“.112
Für die praktische Umsetzbarkeit des Vorschlags, für die es entscheidend auf die Abgrenzung von Unternehmer und Verbraucher ankommt, sehen §§ 105, 106 BStGB besondere Regelungen vor: Die Steuerbarkeit des Umsatzes soll nur dann 108 Achatz, UR 2003, 577, 578, der dies damit begründet, dass das in der Richtlinie vorgesehene „in Abzug bringen“ nicht eine „Überrechnung“ erfasse; ebenso Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften (2008), S. 239. 109 Achatz, UR 2003, 577, 578 mit weiteren Einzelheiten der Begründung. 110 Kirchhof, Bundessteuergesetzbuch Buch 4 (§§ 101–131). 111 Kirchhof, Bundessteuergesetzbuch Buch 4, Grundgedanken Rn. 6; Widmann, BB 2009, 927, 928; Widmann, UR 2009, 9; teilw. kritische Übersicht bei Homburg/Rublack, FS Lang (2010), S. 893, 895. 112 Widmann, UR 2009, 9, 10 f.
G. Vorschläge des „Bundessteuergesetzbuchs‘‘ von Paul Kirchhof
207
vorliegen, wenn eine Leistung „nicht ersichtlich ausschließlich dem unternehmerischen Handeln des Leistungsempfängers dient“;113 diese „Ersichtlichkeit“ soll vorliegen, wenn der Empfänger seine umsatzsteuerliche Identifikationsnummer verwendet und eine Zahlung per Überweisung erfolgt, wobei dies über für die Finanzbehörde einsehbare „Gewährkonten“ geschehen soll, sodass auch eine wirksame Kontrolle möglich sein soll.114 Die Betrugsanfälligkeit, die dadurch entsteht, dass empfangende Verbraucher versuchen werden, die Leistung zu Unrecht als nicht steuerbare unternehmerische Leistung zu deklarieren, soll dadurch eingedämmt werden, dass der Leistungsempfänger Steuerschuldner ist, wenn er von einem Unternehmer die Leistung aufgrund unrichtiger Angaben nichtsteuerbar erwirbt.115 Für die verbleibenden Fälle, in denen im zwischenunternehmerischen Bereich die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nicht mehr vorliegen (insbesondere Barzahlungen), soll es weiterhin die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs geben, der aber nach dem Ist-Prinzip erfolgen soll (§ 108 BStGB).116 Besonders positiv hervorgehoben wird die Binnenmarkttauglichkeit des Reformvorschlags, da die Funktionsweise national wie international identisch sein soll; es entfalle das komplizierte Nebeneinander der unterschiedlichen Regime für Umsätze im Inland, im Binnenmarkt und mit Drittstaaten.117 Der Kritik, dass dieser Vorschlag im Ergebnis zu einer reinen „Einzelhandelssteuer“ führe, wird entgegengehalten, dass wirtschaftlich betrachtet im geltenden Mehrwertsteuersystem auch lediglich der Letztumsatz besteuert werde.118 Nach dem Reformvorschlag soll im Übrigen gleichzeitig ein Übergang zu einer generellen Ist-Versteuerung stattfinden.119 Die Besteuerung erfolgt nach dem Bestimmungslandprinzip, wie auch schon seit jeher als Idealkonzept im Binnenmarkt angedacht; dies funktioniert deshalb, weil aufgrund des Wegfalls der Versteuerung der Vorumsätze nicht nur ein aufwendiges „Clearing-System“ zum Ausgleich zwischen den Mitgliedstaaten überflüssig wird; auch die Diskussion über einen einheitlichen Steuersatz für innergemeinschaftliche Lieferungen wäre gegenstandslos.120 Die §§ 115–120 BStGB regeln den „Ort des Umsatzes“, der bei Lieferungen grundsätzlich der „Verschaffungsort“, d. h. der Ort, an dem der
113
§ 105 S. 1 BStGB. Kirchhof, Bundessteuergesetzbuch § 105 Rn. 6 ff., § 106 Rn. 7 ff.; Widmann, UR 2009, 9, 11; vgl. § 106 BStGB. 115 Widmann, UR 2009, 9, 12; vgl. § 107 BStGB. 116 Widmann, UR 2009, 9, 12. 117 Homburg/Rublack, FS Lang (2010), S. 893, 896; Widmann, BB 2009, 927, 928. 118 Kirchhof, Bundessteuergesetzbuch § 108 Rn. 4; Widmann, BB 2009, 927, 928 f.; auch Widmann, UR 2009, 9, 10. 119 Kirchhof, Bundessteuergesetzbuch § 108 Rn. 3; Widmann, BB 2009, 927, 929. 120 Widmann, BB 2009, 927, 930 f. 114
208
4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
Empfänger die Verfügungsmacht erhält, sein soll.121 Bei Dienstleistungen soll als Grundregel Leistungsort derjenige sein, an dem diese vom Leistungsempfänger empfangen wird („Empfangsort“).122 Für bestimmte Dienstleistungen, z. B. solche im Zusammenhang mit einem Grundstück oder auf elektronischem Wege erbrachte Dienstleistungen, gelten Ausnahmen.123 Das neue System soll durch Abkehr von der komplizierten Erhebungstechnik Unternehmer und Verwaltung entlasten und außerdem die Liquiditätsnachteile, die Unternehmer zu Gunsten des Fiskus auf sich nehmen müssen, abschaffen.124 Insbesondere aber soll die durch das Allphasenprinzip erhöhte Betrugsanfälligkeit des Umsatzsteuersystems verringert werden.125 Allerdings verbleibt auch bei diesem Modell – trotz gewisser „Vorsichtsmaßnahmen“ wie der Steuerschuldnerschaft des Verbrauchers, der sich fälschlich als Unternehmer ausgegeben hat – ein Risiko des Steuerbetrugs auf Ebene des Verbrauchsumsatzes. Gerade diese Hinterziehungsanfälligkeit auf Letztverbraucherebene („Ameisenkriminalität“) war ein Grund, aus dem das Allphasenprinzip historisch favorisiert wurde.126
H. „Umsatzsteuer-Audit“ Als Alternative zu den allesamt selbst an der ein oder anderen Stelle systembedingt anfälligen Reformmodellen hat Jochem in ihrem Habilitationsvortrag im Jahr 2004 einen weiteren Gedanken zum Zwecke der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung vorgeschlagen: Das „Umsatzsteuer-Audit“.127 Das Institut ist dem Umweltrecht entlehnt und verfolgt den Gedanken der „regulierten Selbstkontrolle“.128 Dabei bliebe das derzeitige Umsatzsteuersystem weitestgehend unverändert, es wird vielmehr an den Gedanken einer effektiveren Kontrolle angeknüpft.
121
Widmann, UR 2009, 9, 14. § 118 Satz 1 BStGB. 123 § 119 BStGB, vgl. auch Kirchhof, Bundessteuergesetzbuch Vor §§ 115–120 Rn. 48 ff. 124 Homburg/Rublack, FS Lang (2010), S. 893, 896. 125 Kirchhhof, Bundessteuergesetzbuch, Buch 4, Grundgedanken Rn. 6; Homburg/ Rublack, FS Lang (2010), S. 893, 896. 126 Homburg/Rublack, FS Lang (2010), S. 893, 898 f., die allerdings davon ausgehen, dass ein beträchtliches Ausmaß der vorsteuerbezogenen Betrugsproblematik durch einen umfassenden Übergang zum Ist-Prinzip gelöst würde, da eine Hauptquelle der Steuerausfälle nicht in der Allphasenbesteuerung liege, sondern vielmehr darin, dass Leistungsempfänger nach dem geltenden Soll-Prinzip schon vor der Begleichung seiner Eingangsrechnung Vorsteuerabzug verlange, während der Staat nach Ablösung der Konkursordnung durch die Insolvenzordnung in der Rangordnung der zu befriedigenden Gläubiger zurückgefallen ist. 127 Jochum, UR 2005, 88, 91 ff. 128 Jochum, UR 2005, 88, 92. 122
I. Fazit
209
Eine Parallele zwischen dem Umweltrecht und dem Umsatzsteuerrecht sieht Jochum insbesondere in dem aufgrund der Entpersonalisierung des Rechtsguts entstandenen Ruf von Zuwiderhandlungen als „Kavaliersdelikte“; auch träten in der Regel „Streuschäden“ auf, also eine Vielzahl von Schäden, die jedoch für sich genommen jeweils gering seien.129 Im Detail soll eine auf fakultativer Selbstverpflichtung beruhende Prüfung durch die Unternehmen selbst stattfinden, die im Umfang in etwa mit der Umsatzsteuer-Nachschau gemäß § 27b UStG vergleichbar sein soll; der Anreiz für Unternehmen, sich zu auditieren, soll dadurch geschaffen werden, dass nur für die teilnehmenden Unternehmen zu einer Ist-Besteuerung gewechselt wird, wodurch die Unternehmen einen Liquiditätsvorteil erhielten.130 Der Nutzen für den Fiskus soll darin liegen, dass umfangreiche eigene Kontrollmechanismen aufgrund der Selbstkontrolle der Unternehmen nicht mehr notwendig wären, zumal nach dem Vorschlag von Jochum die Rechnungen nicht auditierter Unternehmen nur noch nach Sicherheitsleistung anerkannt werden sollen. Außerdem soll ein wesentlicher Effekt dadurch erreicht werden, dass die „Redlichen“ sich gegen die „Betrüger“ auflehnen, zumal die unerkannte Installation eines „missing traders“ durch das Auditierungsmodell erschwert werde. Als Nachteil sieht Jochum selbst allerdings die Gefahr der Stigmatisierung von Unternehmen, die nicht am Auditing teilnehmen, und sieht in diesem Zusammenhang eine mögliche Kollision mit der Unschuldsvermutung.131
I. Fazit Insgesamt wird daher deutlich, dass alle soeben vorgestellten Systeme ebenfalls wieder neue Nachteile, insbesondere ein eigenes systemimmanentes Betrugspotential sowie aufwendige Kontrollmechanismen, die eine Belastung sowohl der Unternehmer als auch der Verwaltung darstellen, aufweisen. Insbesondere die Einführung eines Reverse-Charge-Modells hält sich aber stetig in der Diskussion um die Mehrwertsteuerbetrugsbekämpfung und jedenfalls in Bezug auf die Bekämpfung von Karussellgeschäften ruhen auf diesem System durchweg besondere Hoffnungen.132 Auf EU-Ebene konnte man sich jedoch noch nicht zu einer grundlegenden Systemumstellung durchringen. Die Zurückhaltung auf EU-Ebene hängt nicht 129
Jochum, UR 2005, 88, 93. Jochum, UR 2005, 88, 93, die auch darauf hinweist, dass eine Einführung der partiellen Ist-Besteuerung unter diesen Voraussetzungen auf die Ausnahmeregelung in Art. 66 lit. b MwStSystRL gestützt werden könne, da nur bestimmte Unternehmen betroffen seien. 131 Vgl. zum Vorstehenden insgesamt Jochum, UR 2005, 88, 94 f. 132 Vgl. unter A., B. 130
210
4. Kap.: Steuerrechtliche Lösungsansätze
nur damit zusammen, dass die EU-Kommission neue Betrugsrisiken, insbesondere auf Verbraucherebene, sowie administrativen Kontrollaufwand fürchtet,133 sondern auch damit, dass für eine Systemumstellung ein Konsens aller Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften notwendig wäre. Hiermit wäre wohl insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten, die ihr Mehrwertsteuersystem zum Teil erst vor kurzer Zeit an die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen angepasst haben, in nächster Zeit nicht zu rechnen.134 So erhielt auch die unter anderem von der Bundesrepublik Deutschland forcierte Umstellung auf ein Reverse-Charge-Modell durch die EU-Kommission im Jahr 2008 zunächst eine Absage.135 Nach Ansicht der Kommission fehlen Erfahrungswerte in Bezug auf mögliche neue systemimmanente Betrugsmöglichkeiten, zudem wurde der mit einer Systemumstellung verbundene administrative Aufwand sowohl für die Unternehmer als auch für den Fiskus kritisiert.136 Die auf bestimmte Umsätze begrenzte Anwendung des Reverse-Charge-Modells im deutschen Umsatzsteuergesetz in § 13b UStG, der zu Beginn im Wesentlichen für Lieferungen und Leistungen im Ausland ansässiger Unternehmer geschaffen wurde, wurde nach und nach um immer mehr besonders betrugsanfällige Branchen erweitert. Dies betraf zunächst Bauleistungen sowie zuletzt den Emissionszertifikatehandel. Es wird hierdurch der Eindruck erweckt, dass jeweils nach Bekanntwerden von Karussellbetrug in größerem Stil in bestimmten Geschäftszweigen eine partielle Systemumstellung durch Erweiterung des § 13b Abs. 2 UStG stattfindet. Dies ist vor dem Hintergrund der immensen Steuerausfälle verständlich, allerdings kann diese fragmentarische Umstellung auf Dauer nicht zufrieden stellend sein. Denn nicht nur verliert das Umsatzsteuersystem dadurch zunehmend an Klarheit und Verständlichkeit, sondern – viel wichtiger – es entsteht zunehmend ein Nebeneinander mehrerer Systeme, was in der Praxis nicht nur zu besonderem Aufwand, sondern auch zu Fehleranfälligkeit führen wird.137 Auch die anderen Modellansätze konnten sich aufgrund der auch ihnen anhaftenden Nachteile bisher nicht durchsetzen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass in nächster Zeit mit einer Umkehr der Skepsis gegenüber einer Systemumstellung insbesondere auf EU-Ebene zu rechnen ist. Einen mit verhältnismäßig geringem Umstellungsaufwand verbundenen Lösungsweg stellt sicherlich der insbesondere von Stadie forcierte Wechsel zu einer Istbesteuerung dar. Bei dieser verbleibt jedoch wie gesehen nach wie vor das Risiko der geplanten miss-
133 134 135 136 137
Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 22.2.2008, IP/08/291. Kemper, UR 2009, 751, 758. Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 22.2.2008, IP/08/291. Pahne, UR 2011, 247, 251. In diese Richtung auch Kühn, UR 2003, 530, 533.
I. Fazit
211
bräuchlichen Ausnutzung des auf Vorsteuererstattung basierenden Umsatzsteuersystems.138 Sowohl die Tatsache, dass derzeit mit einer Systemumstellung nicht zu rechnen ist als auch die Erkenntnis, dass jedenfalls bei einer Umstellung auf die IstVersteuerung die systemimmanenten Betrugsrisiken im Grundsatz bestehen bleiben, führt zu dem Ergebnis, dass eine effektives Regelwerk zur repressiven Betrugsbekämpfung nach wie vor enorme praktische Relevanz hat und jedenfalls derzeit auch alternativlos ist. Neben den bereits erwähnten Hilfsmitteln zur Ermittlung und Aufdeckung von Betrugsfällen, beispielsweise durch die Umsatzsteuernachschau und grenzüberschreitende Datenbanken139, sollte daher auch der Rückgriff auf Ordnungswidrigkeits- und Strafnormen für die sanktionswürdigen und -bedürftigen Fälle nach wie vor möglich sein. Ein Reformbedarf der §§ 26b, 26c UStG selbst ist daher augenfällig. Hierzu wird sogleich140 ein Vorschlag unterbreitet.
138 139 140
Vgl. unter D. Vgl. 1. Kapitel unter B.II. Vgl. 5. Kapitel unter C.
5. Kapitel
Reformbedürftigkeit und Reformfähigkeit A. Ausgangsproblem Nach oben Gesagtem lässt sich festhalten, dass § 26b UStG (und aufgrund der Verweisung auf diesen Tatbestand auch § 26c UStG) in ihrem Wortlaut und Anwendungsbereich gemessen an der gesetzgeberischen Intention ersichtlich zu weit geraten ist.1 Der Gesetzgeber vertraut hier offensichtlich in hohem Maße auf eine zutreffende und sachgerechte Anwendung des Opportunitätsprinzips.2 Dies ist nicht nur in Bezug auf eine Rechtssicherheit für die betroffenen Unternehmer in hohem Maße problematisch, sondern – insbesondere da auch nicht in ausreichendem Maße Verwaltungsanweisungen vorhanden sind – auch mit Blick auf die Gleichbehandlung der Einzelfälle nicht hinnehmbar. Bezüglich des Ordnungswidrigkeitstatbestands in § 26b UStG drängt sich der Eindruck auf, dass ihm letztlich die Funktion eines „Auffangtatbestands“ für Fälle zukommen soll, in denen zusätzliche Merkmale des § 26c UStG nicht nachgewiesen werden können. Denn in den Fällen, die von den Regelungen sanktioniert werden sollen, nämlich Karussell- und Kettengeschäfte, ist jedenfalls theoretisch kaum denkbar, dass nicht auch die zusätzlichen Merkmale des § 26c UStG erfüllt sind. Gleichzeitig begründet § 26b UStG aber auch das Risiko, dass mindestens eine Bebußung auch der nicht sanktionsbedürftigen Fälle eintritt. Im Hinblick auf § 26c UStG ist der überschießende Wortlaut des § 26b UStG sogar noch problematischer. Denn nicht zuletzt das strafrechtliche Bestimmtheitsprinzip und der Grundsatz der Gewaltenteilung gebieten, dass der Anwendungsbereich einer Strafnorm in einem Maße auf die sanktionswürdigen Fälle festgelegt ist, dass bereits durch den Gesetzgeber eine vorhersehbare und einheitliche Handhabung durch Behörden und Gerichte sichergestellt ist.3 Nach den Wesentlichkeitsgrundsätzen muss die Festlegung durch den Gesetzgeber stattfinden,4 es kann dem Opportunitätsprinzip nicht von Vornherein die Funktion des wesentlichen Korrektivs zukommen. 1 Vgl. auch Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 6; Reiß/Kraeusel/LangerTormöhlen, § 26b Rn. 8.1; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 5 f. 2 Dathe, Umsatzsteuerhinterziehung, S. 63; in diese Richtung auch Rolletschke/ Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 6. 3 Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26b UStG Rn. 6; Reiß, UR 2002, 561, 566. 4 Reiß, UR 2002, 561, 566.
A. Ausgangsproblem
213
Schon nach der Intention des Gesetzgebers sollte der einfache Vollstreckungsschuldner nicht erfasst werden. Der Wunsch, dass eben dieser von der Sanktionierung nicht erfasst wird, trifft auch in der Literatur auf Zustimmung.5 Auch in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche ist anerkannt, dass es letztlich unserem Strafrechtssystem entspricht, dass die Verletzung zivilrechtlicher Ansprüche nur dann ein strafrechtlich relevantes Verhalten darstellt, wenn ein zusätzliches Unrechtselement hinzukommt, da ansonsten die zivilprozessualen Maßnahmen als ausreichend erachtet werden.6 Auch ein Vergleich zu anderen nicht dem Abzugsverfahren unterliegenden Steuerarten, beispielsweise der Einkommensteuer (mit Ausnahme der Lohnsteuer) zeigt eine Ungleichbehandlung, der die innere Rechtfertigung fehlt: Hinterfragt man den Zweck, der damit verfolgt wird, dass eben die Nichtabführung der Umsatzsteuer, nicht aber die Nichtabführung (eigener) Einkommensteuer sanktioniert wird, so kommt man zu folgendem Ergebnis: Zwar wäre der Fiskus durch die Nichtabführung von Einkommensteuer in gleicher Weise geschädigt wie bei der Nichtabführung eines entsprechenden Umsatzsteuerbetrags. Allerdings wird man wohl annehmen können, dass aufgrund des typischerweise kurzfristigeren Auftretens am Markt derjenigen, die das Umsatzsteuersystem gezielt ausnutzen, und aufgrund der Möglichkeit der „Verschleierung“ durch Einbindung in umfangreiche Lieferkreisläufe, das Gefährdungspotential für das Umsatzsteueraufkommens weitaus größer ist. Jedenfalls im Falle der ordnungsgemäßen Erklärung aller Einkünfte sind Vollstreckungsmaßnahmen bei einem in Deutschland einkommensteuerpflichtigen Marktteilnehmer wesentlich leichter durchzuführen, da ein längerfristiges Auftreten am Markt stattfindet. Auch faktisch ist offensichtlich die systemimmanente Gefährdungslage für das Umsatzsteueraufkommen größer als die für das Einkommensteueraufkommen. Zwar ist es, wie bereits oben im Anschluss an Reiß7 angedeutet,8 keinesfalls schädlicher für das Steueraufkommen, wenn eine Steuer, für die ein anderer eine Vergütung erhalten soll, nicht gezahlt wird, als wenn eine andere Steuer schlicht nicht gezahlt wird. Denn materiell findet die Einnahme des Staates erst beim Endverbraucher statt, sodass allein hierin kein legitimer Zweck für die Ungleichbehandlung zu sehen wäre. Es ist allerdings anzunehmen, dass die Gefährdungslage für das Umsatzsteueraufkommen faktisch aufgrund der besseren Verschleierungsmöglichkeiten erheblich größer ist. Insofern besteht für die genannten missbräuchlichen Fälle durchaus ein im Vergleich zu anderen Steuerarten erhöhtes Sanktionsbedürfnis. Da Buß- und 5 Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26b UStG Rn. 6; Reiß/Kraeusel/Langer-Tormöhlen, § 26b Rn. 8.1 6 BVerfG, Beschl. v. 17.1.1979 – 1 BvL 25/77, NJW 1979, 1445, 1447. 7 Reiß, UR 2002, 561, 567. 8 Vgl. 3. Kapitel unter B.II.2.c)bb)(2).
214
5. Kap.: Reformbedürftigkeit und Reformfähigkeit
Strafnormen generell einen gewissen Lenkungs- und Abschreckungseffekt haben,9 scheint diese Art der Sanktionierung auch kein per se ungeeignetes Mittel. Dem steht auch nicht entgegen, dass von den §§ 26b, 26c UStG in der Praxis bislang äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht wurde10 und dass auch kaum messbar ist, inwiefern die Vorschriften bislang tatsächlich zu einem Rückgang der betrugsbedingten Umsatzsteuerausfälle beigetragen hat. Denn eine prinzipielle Ungeeignetheit für die Zweckerreichung ist jedenfalls nicht erkennbar. Wegen der besonderen Betrugsanfälligkeit der Umsatzsteuer aufgrund der Erhebungstechnik und der Möglichkeit der „Gewinnerzielung“ trotz nur kurzer Verweildauer am Markt ist daher eine besondere Sanktionierung der Nichtabführung der Umsatzsteuer durchaus zu rechtfertigen, da insofern eine Besonderheit gegenüber anderen Steuerarten besteht. Allerdings muss der Anwendungsbereich zwingend auf bestimmte, ein besonderes Unrechts- und Gefährdungsmoment verwirklichende Fälle der Nichtentrichtung begrenzt werden. Diese Fälle der zu sanktionierenden „missbräuchlichen“ Fälle müssen dabei nicht nur auf die Teilnahme an einem „Umsatzsteuerkarussell“ oder einer „Umsatzsteuerkette“ begrenzt werden, sondern können auch andere Fälle des planmäßigen Zusammenwirkens erfassen und ggf. sogar Einzeltäter, die die systematischen Besonderheiten der Umsatzsteuer gezielt und zweckwidrig zur „Gewinnerzielung“ nutzen. Eine Eingrenzung auf diese Fälle muss auf Tatbestandsebene stattfinden. Zu einem konkreten Vorschlag zur Ausgestaltung siehe sogleich unter C.
B. Bestehende Lösungsansätze Teilweise wird vorgeschlagen, eine eingeschränkte Anwendbarkeit des § 26b UStG anzunehmen, nämlich eine Bebußung nur vorzunehmen, wenn zusätzlich zu den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen auch der Rechnungsempfänger seinen Vorsteueranspruch geltend gemacht hat, sodass es tatsächlich zu einer Schädigung der Umsatzsteuer gekommen ist.11 Küffner sieht dies als erforderlich an, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen. Er stellt die Frage, ob die reine Nichtentrichtung tatsächlich eine „vorwerfbare Handlung“ im Sinne des Ordnungswidrigkeitsrechts (§ 1 Abs. 1 OWiG i.V. m. § 377 Abs. 2 AO) ist, wenn nicht gleichzeitig die sichere Kenntnis der Finanzbehörde hinzukommt, dass das Umsatzsteueraufkommen tatsächlich durch die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs geschädigt worden ist.12 9
Vgl. Roxin, AT I § 3 Rn. 21 ff. Vgl. Flore/Tsambikakis-Gaede, § 26c UStG Rn. 4; Rolletschke/Kemper-Kemper, § 26c UStG Rn. 9. 11 Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 10, wobei davon auszugehen ist, dass Küffner dies als Folge einer verfassungskonformen Auslegung des Wortlauts ansieht. 12 Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 10. 10
B. Bestehende Lösungsansätze
215
Zur Begründung dieser Ansicht verweist Küffner insbesondere auf die Überschrift des § 26b UStG, die darauf hindeutet, dass tatsächlich eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens sanktioniert werden soll, wohingegen das Delikt, betrachtet man nur den derzeitigen Wortlaut, ein abstraktes Gefährdungsdelikt darstelle. Durch die Beschränkung der Anwendbarkeit nur auf die soeben genannten Fälle soll die Norm nach Ansicht Küffners ein konkretes Gefährdungsdelikt darstellen.13 Weiterhin begründet Küffner die Notwendigkeit einer Anwendungsbeschränkung mit einem Vergleich mit den Wertungen des § 14 Abs. 2 Satz 4 UStG. Denn wenn selbst im Falle des unberechtigten Steuerausweises bei mangelnder Gefährdungslage die Möglichkeit der Rechnungsberichtigung und damit die Befreiung von der Umsatzsteuerschuldnerschaft bestehe, so sei es erst recht nicht zu rechtfertigen, die bloße Nichtentrichtung mit einer Geldbuße zu ahnden.14 Beizupflichten ist Küffner sicherlich in der Ansicht, dass die Ahndung in Fällen der reinen Nichtzahlung ohne weitere Voraussetzungen im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fragwürdig erscheint. Ob allerdings die von Küffner geforderte Einschränkung der Ahndung auf Fälle, in denen auch tatsächlich ein Anspruch auf Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, von großer praktischer Relevanz ist, ist äußerst fraglich. Denn die Fälle, in denen der Vorsteuerabzug trotz entsprechender Rechnungserteilung nicht vorgenommen wird und insofern eine Schädigung der Umsatzsteuer gar nicht stattfindet, dürfte verschwindend gering sein. Dies gilt unabhängig davon, ob tatsächlich ein „geplanter Umsatzsteuerbetrug“ 15 vorliegt oder der Umsatzsteuerschuldner nur verspätet zahlt oder sich bewusst für eine Zeit zur Zwischenfinanzierung „Liquidität verschaffen“ will. Zudem ist dies auch in der Handhabung unter Umständen unpraktikabel, da die Frage, ob tatsächlich eine Schädigung vorliegt, ggf. erst zu einem nach dem Fälligkeitstermin liegenden Zeitpunkt aufgeklärt werden kann, wenn der Rechnungsempfänger seinen Anspruch auf Vorsteuererstattung erst zu einem späteren Zeitpunkt geltend macht. In diesem Fall läge Rechtssicherheit für den säumigen Umsatzsteuerschuldner erst zu einem späteren Zeitpunkt vor. Eine solche Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 26b UStG ist daher sicherlich denkbar, eine ausreichende Reaktion auf den zu weit geratenen Anwendungsbereich insbesondere für die Fälle des reinen Zahlungsverzugs stellt die Einschränkung allerdings nicht dar. Vielmehr sind weitergehende Modifikationen erforderlich.
13
Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 9, 11. Hartmann/Metzenmacher-Küffner, § 26b Rn. 11. 15 Der Begriff soll hier untechnisch im (weiten) Sinne einer bewussten Ausnutzung des Umsatzsteuersystems verstanden werden. 14
216
5. Kap.: Reformbedürftigkeit und Reformfähigkeit
C. Eigener Reformvorschlag I. Herleitung/Begründung Will man nun – de lege ferenda – eine Fassung der Norm entwickeln, mit Hilfe derer schon dem Wortlaut nach nur die typischen und nach oben Gesagtem in buß- und strafrechtlicher Hinsicht allein sanktionswürdigen Fälle der gezielten Ausnutzung des Umsatzsteuersystems (sei es durch organisierte „Karussellgeschäfte“ oder Lieferketten, sei es durch eigenständiges Handeln nur weniger oder eines einzelnen Umsatzsteuerpflichtigen) erfasst werden, so bietet sich eine Eingrenzung über ein zusätzliches subjektives Element an. Aufgrund der ausschließlich strafbarkeitsbeschränkenden Wirkung des Erfordernisses eines zusätzlichen subjektiven Elements wäre das Hineinlesen eines weiteren ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals im Wege der verfassungskonformen Auslegung auch bereits de lege lata möglich. Mit Blick auf einheitliche Handhabung und ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit ist jedoch eine gesetzgeberische Reaktion vorzugswürdig und wünschenswert.
1. Erhöhte Anforderungen an die subjektiven Tatbestandsmerkmale a) Zeitliche Voraussetzungen Bei Neufassung des subjektiven Elements scheint zunächst eine erhöhte Voraussetzung an das zeitliche Element des Vorsatzes zweckmäßig. Denn der typische Fall, den der Gesetzgeber mit der Schaffung der §§ 26b, 26c UStG im Rahmen des Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetzes erfassen wollte, ist gerade die bewusste und planmäßige Ausnutzung des Umsatzsteuersystems. Dieser wiederum ist eigen, dass ein fester Tatplan schon in dem Zeitpunkt besteht, in dem der Unternehmer das die Umsatzsteuer auslösende Geschäft an sich vornimmt, weil entweder die Leistung überhaupt nur zum Zwecke der Vorteilserlangung aus dem Umsatzsteuersystem stattfindet oder aber jedenfalls der Vorteil aus der Nichtzahlung der Umsatzsteuer als willkommene Nebenfolge bewusst einkalkuliert ist. Führt man sich diese sanktionswürdigen Konstellationen vor Augen, so stellt man fest, dass in all diesen Sachverhalten der Vorsatz des Täters, die Umsatzsteuer bei Fälligkeit nicht abzuführen, bereits zu dem Zeitpunkt vorliegt, in dem er das die Steuerschuld auslösende Geschäft abgeschlossen hat. Sinnvoll scheint daher eine Vorverlagerung des Vorsatzerfordernisses bereits auf den Zeitpunkt des Abschlusses dieses Geschäfts, und zwar auf den Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts, wenn die vereinbarten Leistungen der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Denn mit Abschluss dieses Geschäfts wird die Pflicht zur Durchführung der die Steuer auslösenden Leistungen begründet, es handelt sich um die spätestmögliche „freiwillige“ Handlung.
C. Eigener Reformvorschlag
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Dabei soll keineswegs eine Vorverlagerung der Strafbarkeit stattfinden, sondern – im Gegenteil – eine Eingrenzung. Der Vorsatz muss – und so gebietet es auch das Simultaneitätsprinzip 16 – selbstverständlich auch zum Zeitpunkt der einzelnen Tathandlungen (noch) vorliegen. Gerade nur das sanktionswürdige planmäßige Agieren wird aber dadurch erfasst, dass der Vorsatz eben auch schon zum Zeitpunkt des „Grundgeschäfts“ vorliegen muss. Ähnlich wie schon bei der Diskussion um die Folgen der mangelnden Zahlungsfähigkeit zum Fälligkeitszeitpunkt gesehen,17 fällt auf, dass gerade an ein vorwerfbares und durch den Täter noch beeinflussbares Verhalten angeknüpft wird. Anders als beispielsweise für das Ausstellen der Rechnung, wozu eine rechtliche Pflicht des Leistungserbringers besteht,18 ist der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts, das dem die Umsatzsteuerschuld auslösenden Geschäft zu Grunde liegt, gerade nicht rechtlich verpflichtend, sondern erfolgt nach der freien Wahl des Unternehmers. Deshalb ist diese Handlung der taugliche Anknüpfungszeitpunkt für die Erfassung und Sanktionierung missbräuchlichen Verhaltens. b) Qualitative Voraussetzungen Die handelnden Unternehmer sollen nicht in dem Abschluss wirtschaftlich sinnvoller Geschäfte beschränkt werden, insbesondere soll in der Krise des Unternehmens auch der Abschluss neuer Geschäfte über umsatzsteuerpflichtige Leistungen möglich sein. Deshalb stellt sich die Frage, ob zusätzlich zu dieser zeitlichen Vorverlagerung auch noch die qualitativen Voraussetzungen an dieses subjektive Tatbestandsmerkmal heraufgesetzt werden sollten. Hier könnte sicheres Wissen, also dolus directus zweiten Grades, als Mindestanforderung an den Vorsatz festgelegt werden. So werden all jene „risikofreudige“ Unternehmer in der Krise, die letztlich noch darauf hoffen, Ihre Steuerschuld bei Fälligkeit begleichen zu können, es aber im Sinne des dolus eventualis in Kauf nehmen, wenn sie sich über die erhaltenen Umsatzsteuerbeträge zeitweilig „zwischenfinanzieren“ und entsprechend nicht (rechtzeitig) zahlen, also diejenigen Schuldner, die nach oben vertretener Ansicht eben gerade nicht anders zu behandeln sind als die Schuldner anderer Steuerarten, durch die Beschränkung auf einen wie auch immer gearteten direkten Vorsatz, von der Sanktionierung ausgeschlossen. Dies ist auch hinnehmbar, weil ein erhöhtes besonderes Gefährdungspotential im Vergleich zu Schuldnern anderer Steuerarten gerade nicht vorliegt. Denn auch derjenige Einkommensteuerschuldner, der noch bestehende Liquidität zur Täti-
16 17 18
Vgl. statt aller Kühl, Strafrecht AT § 5 Rn. 20. Vgl. 3. Kapitel unter D.IV.2. Vgl. § 14 Abs. 2 UStG.
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5. Kap.: Reformbedürftigkeit und Reformfähigkeit
gung einer Investition nutzt, obgleich ihm bewusst ist, dass er noch ausstehende Steuerverbindlichkeiten hat und folglich in Kauf nimmt, dass diese Verbindlichkeiten nicht befriedigt werden, wird nicht wegen der Nichtzahlung sanktioniert. Es handelt sich insofern nicht um ein spezifisches umsatzsteuersystematisch bedingtes Ausfallrisiko. 2. Parallele zu Sachverhaltskonstellationen beim Eingehungsbetrug Zur Veranschaulichung mag auch ein Vergleich mit § 263 StGB in Form des Eingehungsbetrugs dienen. Nach dessen Grundsätzen macht sich bekanntlich derjenige schon wegen vollendeten Betrugs strafbar, der eine Täuschung bei Vertragsschluss vornimmt und so bei seinem Vertragspartner einen Eingehungsschaden in Form eines Gefährdungsschadens hervorruft.19 Derjenige Schuldner, der sich auf ein Geschäft einlässt, obgleich er weiß, dass er seiner vertraglich geschuldeten Verpflichtung nicht wird nachkommen können,20 nach teilweise vertretener Ansicht sogar derjenige, der dies zwar könnte, aber nicht den Willen dazu hat,21 macht sich bereits mit Abschluss des Vertrags22 gemäß § 263 StGB strafbar, nicht aber derjenige, der nach Abschluss des Vertrags in eine wirtschaftliche Notlage gerät und seiner Verpflichtung nicht nachkommt. Dies ist natürlich beim Betrug zwingende Folge des Simutaneitätsprinzips, denn die Täuschungshandlung, nämlich beispielsweise die Täuschung über die Bonität, wird schon mit Abschluss des Vertrags vorgenommen, sodass entsprechend auch zu diesem Zeitpunkt schon Vorsatz vorliegen muss. Unabhängig von den Unterschieden in der Deliktsstruktur bereitet dies allerdings als Wertungsfrage eine zweckmäßige Abgrenzung auch beim Missbrauch des Umsatzsteuersystems. Denn alle Verschlechterungen in der finanziellen Leistungsfähigkeit, die erst nach Begründung einer zivilrechtlichen Verpflichtung auftreten, sind das normale Insolvenzrisiko, der Gläubiger wird hier über Institute aus Insolvenzund Zwangsvollstreckungsrecht geschützt. Die Situation bei den sanktionswürdigen Ausnutzungshandlungen des Umsatzsteuersystems ist folglich vergleichbar mit der Situation des Betrugs: Wird beim Betrug über Umstände getäuscht, die die Qualität der Gegenleistung23 betreffen, 19 BGH, Beschl. v. 16.7.1970 – 4 StR 505/69, BGHSt 23, 300; Satzger/Schmitt/Widmaier-Satzger, § 263 Rn. 182. 20 BGH, Beschl. v. 13.11.2007 – 3 StR 462/07, NStZ 2008, 96. 21 BGH, Urt. v. 26.3.1953 – 4 StR 574/52, NJW 1953, 836; Leipold/Tsambikakis/ Zöller-Gaede, § 263 Rn. 108. 22 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 316, 317. 23 Qualität einer Sache, aber auch „Qualität“ eines Zahlungsanspruchs, d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass der (volle) zivilrechtliche Anspruch eingetrieben werden kann.
C. Eigener Reformvorschlag
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so findet bei den sanktionswürdigen „Umsatzsteuerkarussellgeschäften“ im weiteren Sinne zwar keine Täuschungshandlung statt. Allerdings wird eine auf Geschäftsabschluss gerichtete Willenserklärung abgegeben, bei der der Erklärende bereits weiß oder sogar beabsichtigt, dass er nicht alle ihm aus der Erklärung erwachsenden Verpflichtungen tilgen wird. Dass es sich hierbei nicht um zivilrechtliche Verpflichtungen gegenüber dem Erklärungsempfänger handelt, sondern um gesetzliche Rechtsfolgen, die gegenüber einem anderen Gläubiger entstehen, nämlich die Steuerverpflichtung gegenüber dem Fiskus, ist für das aus der Handlung resultierende Unwerturteil letztlich irrelevant. Entscheidend ist, dass dem Erklärenden bei Abgabe der Erklärung bewusst ist, dass augrund seiner Erklärung eine Zahlungsverpflichtung entsteht, die er nicht begleichen wird. Insofern ist die Sachlage bei der bewussten Ausnutzung des Umsatzsteuersystems vergleichbar mit der Sachlage beim Eingehungsbetrug, wenn auch in der rechtsdogmatischen Wertung natürlich nicht identisch. Beim Eingehungsbetrug ist entscheidend für den Vorsatz zum Zeitpunkt der Täuschungshandlung, ob der Schuldner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Überzeugung war, die von ihm geschuldete Zahlung zum Zeitpunkt der Fälligkeit vorzunehmen.24 Weshalb sollte dies also für den Fall, dass der Schuldner Umsatzsteuer schuldet, anders sein? Der Staat trägt hier nur das „normale“ Prozess- und Insolvenzrisiko, das jeder andere Gläubiger auch zu tragen hat. Auch die weitere Kasuistik, die zum Eingehungsbetrug entwickelt wurde, deckt sich bei einem Wertungsvergleich mit oben genanntem Grundsätze der §§ 26b, 26c UStG. So soll beim Eingehungsbetrug ein Schaden („Eingehungsschaden“ in Form der schadensgleichen Vermögensgefährdung) ausgeschlossen sein, wenn der Vollzug des Verpflichtungsgeschäfts noch durch den Geschädigten selbst abgewendet werden kann, da es dann an der hinreichenden Konkretheit der Schädigung fehle.25 Für die Möglichkeit der Abwendung des Vollzugs durch den Geschädigten kann es verschiedene Gründe geben, die zu Verneinung des Schadens und somit der Vollendungsstrafbarkeit führen.26 So werden zum Beispiel die Vereinbarung eines Rücktrittsrechts27, die Möglichkeit des Widerrufs28, das Bestehen von Einreden29, die Möglichkeit der Leistungserbringung
24
Klein, Verhältnis von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug (2003), S. 35. Satzger/Schmitt/Widmaier-Satzger, § 263 Rn. 183. 26 Vgl. Übersicht bei Satzger/Schmitt/Widmaier-Satzger, § 263 Rn. 183. 27 BGH v. 5.11.1970 – 4 StR 423/70, MDR 1971, 545, 546; MüKo StGB-Hefendehl, § 263 Rn. 458. 28 BayObLG, Beschl. v. 5.6.1986 – RReg. 2 St 85/86, JZ 1986, 1122. 29 BGH, Beschl. v. 18.2.1998 – 2 StR 531/97, NStZ 1998, 570. 25
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5. Kap.: Reformbedürftigkeit und Reformfähigkeit
Zug um Zug30 oder sogar die Vereinbarung einer Vorleistungspflicht des Täuschenden31 genannt.32 All diesen Fällen ist jedenfalls gemeinsam, dass es jeweils auch noch in der Hand des Vermögensinhabers liegt, den endgültigen Schadenseintritt abzuwenden. Eben dies ist im Falle der bewussten Ausnutzung des Umsatzsteuersystems gerade nicht der Fall, jedenfalls dann nicht, wenn eine Verpflichtung des Fiskus zur Auszahlung der Vorsteuer an den Vertragspartner besteht. Es ergibt sich beim wertenden Vergleich auch nichts Abweichendes dadurch, dass der geschädigte Fiskus im Steuerschuldverhältnis nicht selbst ein Geschäft mit dem Leistungserbringer abgeschlossen hat, sondern das Steuerschuldverhältnis nur gesetzliche Rechtsfolge des Geschäfts zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger ist. Wesen des Eingehungsbetrugs ist letztlich ein Fehlverhalten des Täters auf Verpflichtungsebene bei einem synallagmatischen Vertragsverhältnis. Insofern erscheint der Vergleich zwischen Eingehungsbetrug und Nichtabführung von Umsatzsteuer zunächst nicht unbedingt nahe liegend. Denn es besteht ein gravierender Unterschied dahingehend, ob ein Vertragspartner – wie es dem Vertragsrecht in der Regel eigen ist – freiwillig kontrahiert oder ob das Steuerschuldverhältnis zwingende Rechtsfolge eines Tuns ist, bei der insbesondere der Staat als Gläubiger sich seinen „Geschäftspartner“ nicht aussuchen konnte. Allerdings ist die Motivlage des Täters auf „Verpflichtungsebene“ durchaus vergleichbar. Beim Eingehungsbetrug geht der Täter den Vertrag ein, obwohl er Vorsatz dahingehend hat, dass er nicht (vollwertig) erfüllen (können) wird. Ebenso verhält es sich bei missbräuchlicher Ausnutzung des Mehrwertsteuersystems. Denn hier wird das die Umsatzsteuerpflicht durch die spätere Leistung begründende Geschäft zwischen dem späteren Steuerschuldner und dem Leistungsempfänger (gewissermaßen das „Kausalgeschäft“), gerade zu dem Zwecke oder aber jedenfalls als willkommenes Nebenziel eingegangen, um aus dem diesem Geschäft gesetzlich zwingend folgenden Steuerschuldverhältnis zwischen Leistungserbringer und Fiskus Vorteile zu schöpfen, obgleich der Steuerschuldner zur Verpflichtung seiner eigenen Leistungspflicht (quasi der „Gegenleistung“) gar nicht bereit ist und nie bereit war. Genau hier ist auch der Unterschied zu sehen zwischen dem Steuerschuldner, der bewusst das Umsatzsteuersystem zu seinem Vorteil ausnutzen will (sei es durch ein Karussellgeschäft oder eine vergleichbare „Geschäftsform“) und dem30
BGH, Beschl. v. 9.2.2005 – 4 StR 539/04, NStZ-RR 2005, 180. BGH, Beschl. v. 4.12.1974 – 2 StR 95/74, MDR 1975, 194, 196. 32 Fischer, § 263 Rn.176a; Leipold/Tsambikakis/Zöller-Gaede, § 263 Rn. 119; NKKindhäuser, § 263 Rn. 319; Satzger/Schmitt/Widmaier-Satzger, § 263 Rn. 183; SKHoyer, § 263 Rn. 237. 31
C. Eigener Reformvorschlag
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jenigen, der schlicht nicht zahlt, das Ursprungsgeschäft aber nicht mit dem (Neben-)Ziel oder dem sicheren Wissen eingegangen ist, sich aus dem Steuerschuldverhältnis zu bereichern. Denn für den „normalen“ Teilnehmer am Geschäftsverkehr, der einzig die Leistung mit seinem Vertragspartner als Zweck des Geschäfts sieht, ist das gesetzlich folgende Umsatzsteuerschuldverhältnis nur „lästige Folge“, bestenfalls ist es ihm gleichgültig. Demjenigen aber, der bewusst das Umsatzsteuersystem ausnutzen will, kam es gerade auf das Steuerschuldverhältnis als Folge seines (Grund-)Geschäfts an und dieses ist er auch mit dem Ziel eingegangen, seine Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis nicht zu erfüllen. Und gerade nur dieser Anwendungsfall der §§ 26b, 26c UStG rechtfertigt eine besondere Sanktionierung der Nichtabführung, weil gerade die besondere Anfälligkeit des Systems ausgenutzt wird. In allen anderen Fällen fehlt ein die Sanktionierung rechtfertigendes zusätzlichen Unrechtselement in Form eines besonderen Handlungs- oder Erfolgsunrecht. Insbesondere ist nämlich die Schädigung des Steueraufkommens keine andere als bei jeder anderen Steuerschuld und Steuerart. Denn bei jeder Nichtabführung – aus welchem Grund auch immer – wird das Steueraufkommen geschädigt und die eigene Liquidität geschont. Die Tatsache, dass vorher eine Vorsteuererstattung an den Umsatzsteuerschuldner vorgenommen wurde, ändert hieran nichts, denn der Gewinn ist wirtschaftlich nach der Konzeption des Umsatzsteuerrechts erst auf letzter Stufe angesiedelt, und diese ist von der Nichtzahlung durch ein Glied der Lieferkette ja nicht betroffen. Denn betrachtet man die Kette der Leistung als Ganzes folgt hieraus ja nur einmal der Vorteil für den Staat, und eben dieser Vorteil bleibt für den Staat aus, ebenso wie der Vorteil für ihn ausbliebe, wenn beispielsweise die Einkommensteuerschuld eines Steuerschuldners uneinbringlich ist. Ein über die „normale“ Schädigung hinausgehender Schaden ist daher gerade nicht ersichtlich.33 Anders als beim Eingehungsbetrug sollte allerdings der bloße dolus eventualis nicht ausreichend sein; hier besteht gerade ein Unterschied zur Situation beim Eingehungsbetrug, der in dem oben genannten Vergleich mit anderen Steuerarten begründet liegt. Denn während beim Eingehungsbetrug auch das mit Eventualvorsatz bezüglich der Schädigung eingegangene Kausalgeschäft schädlich ist, so ist die Situation bei §§ 26b, 26c UStG gerade eine andere. Wenn das „Grundgeschäft“ nur mit dem Risiko der späteren Zahlungsunfähigkeit eingegangen wurde, dann liegt hierin gerade keine bewusste Systemausnutzung; der Schuldner lässt es „darauf ankommen“, dass er eine Schuld nicht wird begleichen können. Hier kommt es dem Handelnden aber gerade nicht auf eine Liquiditätsschöpfung aus dem System an, sondern vielmehr handelt es sich um das „wirtschaftliche Risiko“, das der Fiskus als Steuergläubiger eingehen muss.
33
Vgl. Reiß, UR 2002, 561, 567.
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5. Kap.: Reformbedürftigkeit und Reformfähigkeit
3. Praktische Aspekte/Nachweisbarkeit Weiterhin stellt sich die Frage nach der Praktikabilität des Reformvorschlags. Insbesondere wird in der Praxis häufig das Problem der Nachweisbarkeit subjektiver Elemente auftreten. Anhaltspunkt für einen bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden Vorsatz zur Nichtentrichtung der Umsatzsteuer kann beispielsweise sein, dass der Bruttopreis für die Ware so niedrig bemessen ist, dass ein wirtschaftliches Geschäft für den Leistungserbringer nur noch vorliegt, wenn dieser Bruttopreis in Wahrheit ein Nettopreis ist. Eine schematische Betrachtung allein des Warenpreises verbietet sich allerdings naturgemäß, da auch zum Beispiel besonders schlechte Marktgegebenheiten oder „Notverkäufe“ aufgrund einer wirtschaftlichen Schieflage Grund für einen besonders niedrigen Preis sein können. Weiterer Anhaltspunkt für einen entsprechenden Vorsatz kann sein, dass eine von Beginn an mit unzureichenden Kapitalreserven ausgestattete Gesellschaft Geschäfte eingeht, die in der Gesamtschau der Umstände nicht wirtschaftlich sind. Auch bei dieser Fallgruppe sind allerdings naturgemäß die Umstände des Einzelfalls zu würdigen, insbesondere ist zu prüfen, ob nicht vielmehr ein neu gegründetes Unternehmen mit dem Abschluss an sich „unwirtschaftlicher“ Geschäfte lediglich den Versuch unternommen hat, Marktbekanntheit zu erlangen. 4. Fazit Im Ergebnis ist daher aus oben genannten Gründen für die innere Rechtfertigung der Sanktionierung der reinen Nichtabführung der Umsatzsteuer eine gesetzliche Änderung dahingehend erforderlich, dass der Tatbestand des § 26b UStG nur dann erfüllt ist, wenn der Vorsatz zur Nichtabführung der Umsatzsteuer in Gestalt von dolus directus ersten oder zweiten Grades bereits zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem das Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen wurde, das der die Umsatzsteuerschuld begründenden Leistung zwischen dem später steuerpflichtigen Leistungserbringer und dem Leistungsempfänger zu Grunde liegt. Da bei entsprechend enger Auslegung des Tatbestands des § 26b UStG mit Blick sowohl auf die gesetzgeberische Intention als auch auf die Strafwürdigkeit die Übertragung der zu den besonderen Merkmalen des § 26c UStG entwickelten allgemeinen Grundsätze unproblematisch ist,34 kann die Fassung des § 26c UStG unverändert bleiben.
II. Formulierungsvorschlag Nach oben Gesagtem wird seitens der Autorin folgende Formulierung einer Neufassung des § 26b UStG vorgeschlagen: 34
Vgl. oben 3. Kapitel unter E.I.3.f) sowie 3. Kapitel E.II.3.
C. Eigener Reformvorschlag
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§ 26b UStG (1) Ordnungswidrig handelt, wer die in einer Rechnung im Sinne von § 14 ausgewiesene Umsatzsteuer zu einem in § 18 Abs. 1 Satz 4 oder Abs. 4 Satz 1 oder 2 genannten Fälligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollständig entrichtet, wenn er bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des die umsatzsteuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung begründenden Verpflichtungsgeschäfts beabsichtigte oder wusste, dass er die Steuer nicht entrichten wird. (2) [unverändert] § 26c UStG [unverändert]
6. Kapitel
Fazit/Wesentliche Thesen Mit §§ 26b, 26c UStG wurde erstmalig die Nichtabführung einer eigenen Schuld als Ordnungswidrigkeit (§ 26b UStG) bzw. sogar als Straftat (§ 26c UStG) normiert. Eine derartige Pönalisierung der schlichten Nichtbefriedigung einer Verbindlichkeit ist jedenfalls dann, wenn kein besonderes Unrechtselement hinzukommt, problematisch. Ein solches liegt nach hier vertretener Ansicht nicht bereits in der Tatsache begründet, dass der zur Abführung verpflichtete Unternehmer als „Steuereinsammler für den Staat“ in einer Art treuhandähnlichem Verhältnis zum Fiskus steht. Denn selbst wenn man ein solches annehmen wollte, so führt dies allein nicht zu einer besonderen Benachteiligung Dritter. Auch der Fiskus hat in der Folge nur das normale Insolvenzrisiko zu tragen, sodass die Umsatzsteuerverbindlichkeit sich insofern nicht von anderen Verbindlichkeiten unterscheidet. Als einziger Grund für eine Sonderbehandlung der Umsatzsteuer gegenüber anderen Steuerarten ist die systemimmanente Betrugsanfälligkeit der Umsatzsteuer denkbar. Aus diesem Grunde ist auch die buß- bzw. sogar strafrechtliche Ahndung der Nichtabführung nicht schlechthin unverhältnismäßig. Hiermit korrelierend darf unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten allerdings auch nicht jegliche Nichtabführung von §§ 26b, 26c UStG erfasst werden, sondern es besteht nur für solche Fälle ein besonderes Sanktionsbedürfnis und damit auch eine innere Rechtfertigung für die Sanktionierung, in denen das Umsatzsteuersystem und dessen systemimmanente Risiken bewusst ausgenutzt werden. Aus diesem Grunde sind de lege lata tatbestandsbeschränkende Rechtsfortbildungen vorzunehmen. De lege ferenda wird eine Neuformulierung der §§ 26b, 26c UStG vorgeschlagen. 1. Die §§ 26b, 26c UStG wurden als Reaktion auf bestimmte Formen der Umsatzsteuerkarussellgeschäfte in das Gesetz aufgenommen, die nach Ansicht des Gesetzgebers nicht von § 370 Abs. 1 AO erfasst werden. Tatsächlich sind auch unter Berücksichtigung der neueren EuGH-Rechtsprechung zum Anspruch auf Vorsteuerabzug Konstellationen denkbar, die weder eine täterschaftliche Begehung noch eine Teilnahme an einer Tat im Sinne des § 370 Abs. 1 AO darstellen. Dies gilt selbst dann, wenn allen am Umsatz beteiligten Personen bekannt ist, dass der Umsatz „missbrauchsbehaftet“ ist. Ein von § 370 Abs. 1 AO nicht erfasster Fall liegt vor, wenn bei dem häufig als „mis-
6. Kap.: Fazit/Wesentliche Thesen
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sing trader“ bezeichneten Unternehmer insgesamt ein händlertypisches Verhalten vorliegt (er also Unternehmer im Sinne des § 2 UStG ist) und alle Umsätze zutreffend erklärt werden, dieser Unternehmer die geschuldete Umsatzsteuer aber nicht abführt. Auch die durch den Leistungsempfänger in seiner Umsatzsteueranmeldung berücksichtigte Vorsteuer stellt in diesem Fall keine Falscherklärung im Sinne des § 370 Abs. 1 UStG dar, sodass auch eine beihilfefähige Haupttat nicht vorliegt. Die §§ 26b, 26c UStG erfassen diese Fälle der organisierten Nichtabführung der Umsatzsteuer zwar, allerdings gehen sie dem Wortlaut nach tatbestandlich über diese Konstellationen hinaus und erfassen auch Sachverhalte, die weder sanktionswürdig noch sanktionsbedürftig sind. Aus diesem Grunde ist zwingend eine einschränkende Anwendung des Tatbestands geboten. 2. In Bezug auf den Tatbestand des § 26b UStG (und folglich auch für Fälle des § 26c UStG) ist umstritten, welche Anforderungen an eine Rechnung im Sinne des § 26b UStG zu stellen sind. Fraglich ist insbesondere, ob das Dokument lediglich die allgemeine Definition einer Rechnung im Sinne des § 14 Abs. 1 UStG erfüllen muss oder ob die besonderen Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG vorliegen müssen. Eine Auslegung nach grammatischen, systematischen und historischen Grundsätzen führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Unter teleologischen Gesichtspunkten ist jedoch zu fordern, dass vom Tatbestand des § 26b UStG nur solche Dokumente erfasst sein können, die auch die besonderen Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG, also die rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllen. Dies ist vor allem unter Gesichtspunkten der Risikoabwägung zu fordern. Eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens kann dann erfolgen, wenn einer Vorsteuererstattung keine Umsatzsteuerabführung entgegensteht, mithin der Umsatz nicht umsatzsteuerneutral ist. Allerdings ist der Fiskus nur dann rechtlich zur Erstattung der Vorsteuer verpflichtet, wenn die Rechnung die Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG erfüllt. Nimmt das Finanzamt des Leistungsempfängers hingegen eine Vorsteuererstattung vor, obgleich das Abrechnungsdokument nicht den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG genügt, so stellt dies zwar ggf. faktisch eine Gefährdung dar, eine Rechtspflicht des Finanzamts zur Gewährung des Vorsteueranspruchs besteht jedoch nicht. Nach hier vertretener Ansicht kann von der buß- und strafrechtlichen Sanktionierung allerdings nur ein Dokument mit rechtlichem, nicht jedoch eines mit nur faktischem Gefährdungspotential erfasst sein. Denn der Fiskus, der aufgrund der generellen Unabhängigkeit von Umsatzsteuerabführung des Leistungserbringers und Vorsteuererstattung an den Leistungsempfänger in Fällen, in denen er einem missbräuchlichen Vorsteueranspruch ausgesetzt ist, in Ermangelung anderweitiger Maßnahmen schutzwürdig ist, ist dies nur, wenn er dem Vorsteueranspruch nichts entgegensetzen kann. Im Falle der lediglich
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6. Kap.: Fazit/Wesentliche Thesen
faktischen Gefährdung hingegen hat er andere Handlungsmöglichkeiten; das Risiko einer irrtümlichen Vorsteuererstattung und einer möglichen späteren Uneinbringlichkeit des Rückforderungsanspruchs nach Bemerken des Fehlers hat er hingegen selbst zu tragen. 3. Schwierigkeiten bereitet ebenfalls die Bezugnahme auf die Fälligkeitszeitpunkte für die Umsatzsteuervorauszahlungen bzw. die davon abweichenden Beträge aufgrund der Umsatzsteuerjahreserklärung: Nach derzeitigem Gesetzesstand kann infolge des Versäumnisses einer redaktionellen Folgeänderung in § 26b UStG jedenfalls für nach dem 1. Januar 2009 begangene Taten die Nichtabführung von Vorauszahlungen weder nach § 26b UStG noch nach § 26c UStG geahndet werden. Denn aufgrund eines Leerlaufens der Verweisung sind die Anforderungen an die Bestimmtheit des Gesetzes nicht erfüllt. Auch an diesem nunmehr fast drei Jahre währenden gesetzgeberischen Versäumnis zeigt sich, dass die §§ 26b, 26c UStG ganz offensichtlich nicht im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Weiterhin stellt sich die Frage, wie der Verweis auf die Fälligkeitszeitpunkte in § 26b UStG zu verstehen ist, nämlich ob die Steuer auch tatsächlich fällig sein muss und ob sie zuvor angemeldet worden sein muss. Hiermit hängt mittelbar auch das Konkurrenzverhältnis zu § 370 AO zusammen, denn wenn nur zutreffend angemeldete Steuerbeträge vom Tatbestand des § 26b und damit auch des § 26c UStG erfasst wären, so läge zwischen § 370 AO und §§ 26b, 26c UStG zwingend schon tatbestandliche Exklusivität vor. Nach hier vertretener Auffassung werden schon materiellrechtlich sowohl die Vorauszahlungsbeträge im Sinne des § 18 Abs. 1 UStG als auch die Jahressteuerbeträge im Sinne des § 18 Abs. 4 UStG nur dann fällig, wenn sie zuvor zutreffend angemeldet wurden. Für die Jahressteuerbeträge folgt dies schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 4 Sätze 1, 2 UStG. Doch auch für die Vorauszahlungsbeträge, deren Fälligkeit nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 UStG zunächst nicht von einer vorherigen Anmeldung abzuhängen scheinen, kann logisch zwingend nichts anderes gelten. Denn der Jahressteuerbetrag ist nichts anderes, als der Betrag, der sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen der Summe der Steuern auf alle auf das Jahr entfallenden Umsätze und der im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldungen bereits angemeldeten Steuerbeträge ergibt. Es handelt sich also zwingend um im Rahmen der Vorsteueranmeldungen noch nicht angemeldete Steuerbeträge, die allerdings gemäß § 13 UStG bereits mit Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums entstanden sind. Wenn nun aber diese im Rahmen der Vorsteueranmeldung noch nicht angemeldeten Steuern nach dem eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 4 UStG erst mit Eingang der Jahressteueranmeldung bzw. mit der von der Jahressteueranmeldung abweichenden Festsetzung durch das Finanzamt fällig werden, so ist logisch nicht denkbar, dass diese Beträge bereits mit Ab-
6. Kap.: Fazit/Wesentliche Thesen
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lauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums fällig geworden sind. Anderenfalls würde die bereits eingetretene Fälligkeit wieder entfallen, um sodann mit Anmeldung oder Festsetzung der Jahressteuer wieder fällig zu werden. Folglich ist schon unter materiellrechtlichen Gesichtspunkten davon auszugehen, dass nur angemeldete Umsatzsteuerbeträge überhaupt fällig sein können. Die materielle Fälligkeit ist auch nicht deshalb unerheblich, weil § 26b UStG nur auf den in der Norm genannten Zeitpunkt verweist und nicht etwa tatsächliche Fälligkeit verlangt. Vielmehr ist § 26b UStG zwingend dahingehend auszulegen, dass die Steuer auch tatsächlich fällig sein muss. Denn eine Pflicht zur Abführung besteht nur für tatsächlich fällige Steuern. Der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit und gar der eines Straftatbestands kann aber keine Sanktionierung für die Nichterfüllung einer Pflicht vornehmen, die noch gar nicht bestand. Überdies wird auch in anderen Konstellationen, beispielsweise bei durch Stundung hinausgeschobenem Fälligkeitszeitpunkt, zu Recht nach allgemeiner Ansicht nur auf diesen späteren Zeitpunkt der Fälligkeit abgestellt. Folglich kann der Tatbestand der §§ 26b, 26c UStG nur erfüllt sein, wenn die Steuerbeträge zuvor angemeldet wurden. Nur die Nichtabführung zutreffend angemeldeter Steuerbeträge kann daher auf Grundlage dieser Normen sanktioniert werden. Aufgrund der hieraus folgenden tatbestandlichen Exklusivität steht auch ein Täter, der zuvor Umsätze nicht oder nicht in der zutreffenden Höhe erklärt hat, nicht in dem Konflikt, sich entweder durch Abführung der Umsatzsteuer selbst zu belasten oder aber durch eine der Nichterklärung nachfolgende Nichtabführung eine weitere Ordnungswidrigkeit oder sogar Straftat zu begehen. 4. Die Inbezugnahme der Fälligkeitszeitpunkte für die Umsatzsteuerabführung birgt ein weiteres strukturelles Problem: Indem allein durch die Nichtabführung zum Fälligkeitszeitpunkt bereits der Tatbestand erfüllt wird, ist vom Wortlaut auch der nur verspätet zahlende Umsatzsteuerschuldner erfasst. Eine Sanktionierung des nur verspätet zahlenden Steuerpflichtigen ist aber vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Zielsetzung, organisierten Umsatzsteuerbetrug zu erfassen, nicht geboten und überdies auch bei einem Vergleich mit der verspäteten Abführung anderer Steuerarten nicht zu rechtfertigen. Eine Begrenzung der Sanktionierung ist daher zwingend geboten. Hier ist zu unterscheiden zwischen Zahlungen, die innerhalb des in § 240 Abs. 3 AO für die Verhängung von Säumniszuschlägen vorgesehenen dreitägigen Schonfrist nachgeholt werden und solchen, die erst nach dem Dreitageszeitraum vorgenommen werden. Bei verspäteten Zahlungen, die noch innerhalb der Dreitagesfrist nachgeholt werden, ist der Begriff der Nichtentrichtung unter systematischen Gesichtspunkten einschränkend auszulegen, sodass bereits die
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Tatbestandsmäßigkeit entfällt. Bei Zahlungen, die nach Ablauf der Dreitagesfrist, aber noch vor Fälligkeit der Vorauszahlungen für den auf den maßgeblichen Voranmeldungszeitraum folgenden Voranmeldungszeitraum erbracht werden, ist nach hier vertretener Ansicht im Rahmen der Anwendung des Opportunitätsprinzip zwingend eine Ermessensreduzierung auf Null vorzunehmen, sodass ein Verfahren aufgrund derart verspäteter Zahlung zwingend einzustellen ist. 5. Ein wichtiges Problemfeld stellt der Fall dar, dass der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt der Fälligkeit keine liquiden Mittel hat, um der Verpflichtung nachzukommen. Er handelt dann mangels tatsächlicher Handlungsfähigkeit nicht tatbestandsmäßig. Es stellt sich allerdings die Frage, ob er nach den Grundsätzen der omissio libera in causa dennoch strafbar sein kann, wenn er sich zuvor vorsätzlich außer Stande gesetzt hat, die Beträge entrichten zu können. Nach hier vertretener Ansicht ist die grundsätzlich für zulässig zu erachtende omissio libera in causa auch auf einen Tatbestand wie §§ 26b, 26c UStG, der eine Zahlungsverpflichtung zum Gegenstand hat, strukturell anwendbar. Allerdings ist der Kreis der in Betracht kommenden Pflichtverletzungen im Vorfeld der Handlungspflicht aus §§ 26b, 26c UStG äußerst gering. Mit Blick auf ein pflichtwidriges vorangegangenes Tun, also Fälle der omissio per commissionem, kann richtigerweise im Rahmen der §§ 26b, 26c UStG ebenso wenig wie im Rahmen des § 266a StGB, bei dem die Fragestellung in Rechtsprechung und Literatur bereits umfassend diskutiert wurde, von einer Vorrangigkeit der tatbestandlichen Zahlungsverpflichtung vor anderen Verbindlichkeiten ausgegangen werden. Vielmehr besteht grundsätzlich ein unternehmerisches Wahlrecht, welche Forderung befriedigt werden soll, also Tilgungsfreiheit. Die Grenzen dieses Wahlrechts werden nur durch Abwägungen nach Maßgabe der rechtfertigenden Pflichtenkollision festgeschrieben und sind folglich Frage des Einzelfalls. Ein genereller Vorrang sozialversicherungsrechtlicher oder steuerrechtlicher Ansprüche folgt aber weder aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber für die Nichterfüllung dieser Ansprüche strafrechtliche Sanktionen vorgesehen hat noch aus anderen Gründen. Denn eine Höherwertigkeit eines derart strafrechtlich geschützten Anspruchs vor anderen Verbindlichkeiten wird durch die Sanktionierung nicht begründet. Folglich ist bei der Konkurrenz zwischen mehreren fälligen Ansprüchen der Anspruch im Sinne der §§ 26b, 26c UStG nicht per se vorrangig. Auch die Wahl, für welche künftig fällig werdende Ansprüche Mittel vorgehalten werden, steht grundsätzlich dem Unternehmer zu. Eine Grenze ist allerdings dort zu ziehen, wo inkongruente Forderungen befriedigt werden oder wo Zahlungen entgegen den Anforderungen der ordnungsgemäßen Wirtschaft vorgenommen werden. Die Pflichtwidrigkeit im Rahmen der omissio per
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commissionem geht daher zwar nicht über die Fälle hinaus, in denen die Bankrottdelikte des StGB bereits eine Sanktionierung vornehmen. Andererseits ist allerdings bei Tathandlungen, die bereits durch die §§ 283, 283c StGB sanktioniert werden, nach hier vertretener Auffassung auch die Annahme einer Pflichtwidrigkeit in Bezug auf andere Zahlungsverpflichtungen denkbar, da die §§ 283, 283c StGB eine gesetzgeberische Wertentscheidung gerade in Bezug auf die Tilgungsreihenfolge bei begrenzten finanziellen Mitteln vornimmt. Diese situationsbezogenen Wertungen können daher auch auf den Fall der begrenzten finanziellen Ressourcen im Vorfeld strafrechtlich geschützter Zahlungsverpflichtungen übertragen werden. Im Rahmen der omissio per commissionem kann eine Pflichtwidrigkeit daher nur angenommen werden, wenn eine Zahlung, durch die der später Umsatzsteuerpflichtige sich vorsätzlich außer Stande gesetzt hat, die Beträge zu entrichten, entgegen der Regeln der ordnungsgemäßen Wirtschaft im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfolgt ist oder inkongruent im Sinne des § 283c StGB ist. Die gleichen Grundsätze müssen im Übrigen gelten, wenn bei Fälligkeit der Umsatzsteuer konkurrierende Zahlungsverpflichtungen bestehen, von denen nur einige erfüllt werde können. Hier ist grundsätzlich die Nichtzahlung der fälligen Umsatzsteuer nach den Grundsätzen der rechtfertigenden Pflichtenkollision als gerechtfertigt anzusehen, wenn nicht die stattdessen vorgenommene Zahlung entgegen soeben genannter Grundsätze erfolgt ist. Für den Fall des der tatbestandlichen Pflicht aus §§ 26b, 26c UStG vorangegangenen Unterlassens der Mittelbeschaffung, also der omissio libera in omittendo, gilt nach hier vertretener Ansicht, dass eine Pflicht zur Mittelbeschaffung nur insoweit besteht, als eine Begründung neuer Verbindlichkeiten zur Beschaffung der Mittel nicht erfolgen muss. Auch die Inanspruchnahme bestehender Kreditlinien kann nach vorzugswürdiger Auffassung nicht verlangt werden, wenn zu befürchten steht, dass die Zahlungsschwierigkeiten langfristiger Natur sind und folglich die Rückzahlung der neu begründeten Verbindlichkeiten nicht gesichert ist. Denn auch durch eine solche Verpflichtung würde eine Vorrangigkeit der Steuerverbindlichkeit vor der neu zu begründenden (privatrechtlichen) Verbindlichkeit begründet, die weder im Gesetz angelegt noch anderweitig indiziert ist. Auch im Rahmen der omissio libera in omittendo ist daher der Kreis der in Betracht kommenden pflichtwidrigen Verhaltensweisen im Vorfeld der Zahlungsverpflichtung gering. 6. Die strafbarkeitsbegründenden besonderen persönlichen Merkmale des § 26c UStG, nämlich die bandenmäßige Begehung und die Gewerbsmäßigkeit, können hingegen dann relativ unproblematisch aus den zu diesen Merkmalen in der Strafrechtswissenschaft bereits entwickelten Grundsätzen übertragen werden, wenn bereits der Grundtatbestand des § 26b UStG in ausreichender Weise einschränkend ausgelegt wird.
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Insbesondere liegt bei mehrfacher verspäteter Zahlung in der Regel keine Gewerbsmäßigkeit vor, da die Voraussetzung einer Einkunftsquelle von gewissem Umfang nicht erfüllt ist. Auch liegt beim Handeln von Gremien juristischer Personen wegen der fehlenden Bandenabrede nicht bereits aufgrund des gemeinsamen Handelns bei juristischen Personen eine bandenmäßige Begehung vor. 7. Im Hinblick auf die Rechtsfolgen des § 26c UStG gilt, dass die zu Umsatzsteuerkarussellen im Rahmen des § 370 AO entwickelte Rechtsprechung des BGH in Bezug auf die Strafzumessung nicht auf Fälle des § 26c UStG übertragen werden kann. Für Fälle der Umsatzsteuerhinterziehung im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells gilt nach Ansicht des BGH der Grundsatz, dass für die Strafzumessung der durch das Karussell hervorgerufene Gesamtschaden zu Grunde zu legen ist und nicht etwa nur der durch die konkrete täterschaftlich begangene Hinterziehungshandlung. Dies wird damit begründet, dass in Karussellkonstellationen jede einzelne Tathandlung ein wichtiger Beitrag für das „Gelingen“ des Karussellbetrugs und damit die Entstehung des Gesamtschadens ist, wohingegen der Schaden der einzelnen Hinterziehungshandlung sehr gering sein kann. Diese Begründung ist allerdings schon im Hinblick auf das Doppelverwertungsverbot in § 46 Abs. 3 StGB nicht auf § 26c UStG übertragbar, da hier die Strafbarkeit erst durch das Zusammenwirken der Karussellteilnehmer, also die bandenmäßige Begehung, begründet wird. Der Gesamtschaden des Karussells kann daher bei einem in das Karussell eingebundenen Täter des § 26c UStG für das Strafmaß nicht berücksichtigt werden. 8. § 26c UStG sieht eine Selbstanzeigeregelung nicht vor. Auch eine analoge Anwendung des § 371 AO ist nicht anzunehmen, da schon aufgrund der Zielsetzung des § 371 AO die methodischen Voraussetzungen für eine solche Analogie nicht vorliegen. Der Strafaufhebungsgrund in § 371 AO hat fiskalpolitische Gründe und soll dem Staat bislang unbekannte Steuerquellen offen legen. Da nach hier vertretener Ansicht § 26c UStG nur Fälle erfasst, in denen die Steuer ordnungsgemäß angemeldet wurde, sodass eine Selbstanzeige dem Fiskus keine neuen Erkenntnisse bieten würde, besteht keine vergleichbare Interessenlage. Darüber hinaus sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber eine solche Regelung planwidrig nicht aufgenommen hat. Vielmehr legt auch der weitere Verlauf der Gesetzesreformen nahe, dass im Rahmen des § 26c UStG bewusst auf eine Selbstanzeigemöglichkeit verzichtet wurde. 9. Zur Bekämpfung des systematischen Umsatzsteuerbetrugs sind auch diverse steuerrechtliche Reformansätze angeregt worden. Als grobe Richtung wurde
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einerseits ein generelles Reverse-Charge-Verfahren vorgeschlagen. Dabei wird das Auseinanderfallen von Vorsteuerabzugsmöglichkeit und Umsatzsteuerabführung dadurch verhindert, dass Vorsteuerberechtigter und Abführungsverpflichteter personenidentisch sind. Andererseits wurde der Übergang zu einer generellen Ist-Besteuerung angeregt. Hierdurch könnte Vorsteuer nicht für Umsätze verlangt werden, für die hinterher ein Entgelt gar nicht gezahlt wird. Allerdings bergen auch diese Ansätze allesamt eigene systemspezifische Betrugsrisiken und Schwachstellen. Aus diesem Grunde und wegen der derzeitigen Unvereinbarkeit mit dem Europarecht ist eine Reformierung des Umsatzsteuersystems trotz einiger Vorstöße aus Politik und Rechtswissenschaft in näherer Zukunft nicht zu erwarten. Folglich scheint die strafrechtliche Sanktionierung eines der wenigen derzeit verfügbaren Mittel des Rechtsgüterschutzes zu sein. Vor dem Hintergrund der bestehenden systemimmanenten Betrugspotentiale ist eine solche Sanktionierung unter gewissen Voraussetzungen auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten möglich. Jedenfalls unter rechtspolitischen Gesichtspunkten besteht eine innere Rechtfertigung für eine solche Sanktionierung allerdings nur dort, wo bewusst systembedingte Schwachstellen ausgenutzt werden. Denn in anderen Konstellationen fehlt nicht nur das rechtspolitische Sanktionsbedürfnis, es besteht auch kein Unterschied zu anderen Steuerarten, bei denen eine Nichtabführung jedoch nicht entsprechend sanktioniert wird. Aus diesem Grunde schlägt die Verfasserin eine Reform des § 26b UStG vor. Der Tatbestand sollte ein zusätzliches subjektives Merkmal enthalten, nach dem der Tatbestand nur erfüllt ist, wenn bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem die beiden Unternehmer den dem Umsatz zu Grunde liegenden schuldrechtlichen Vertrag abschließen, bei dem Leistungserbringer mindestens dolus directus zweiten Grades bezüglich der späteren Nichtabführung der durch den Umsatz ausgelösten Umsatzsteuer besteht. Durch diese Maßnahme wird der Anwendungsbereich der Vorschrift auf Fälle begrenzt, in denen der Täter tatsächlich bewusst die Schwachstellen des Umsatzsteuersystems ausnutzt. Gleichzeitig wird der Tatbestand aber nicht nur auf Umsatzsteuerkarussellkonstellationen beschränkt. Auch der bewusst handelnde Einzeltäter, der sich die Betrugsanfälligkeit des Umsatzsteuersystems zum Vorteil gereichen lässt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Dies ist im Vergleich zu anderen Steuerarten auch gerechtfertigt, da eine systemspezifische Besonderheit ausgenutzt wird. Wird allerdings der Vorsatz, sich zusätzliche Liquidität durch die Nichtabführung von Umsatzsteuer zu verschaffen, erst zu einem späteren Zeitpunkt gefasst, so ist eine Sanktionierung nicht geboten, da sich die Situation nicht anders darstellt als bei anderen Steuerarten. Denn in diesem Fall ist der
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Steuerpflichtige normaler Vollstreckungsschuldner, für den die Maßnahmen des Steuerrechts geeignet, aber auch ausreichend sind. Den Besonderheiten des Umsatzsteuersystems kann auf diese Weise Rechnung getragen werden, ohne den „normalen“ Umsatzsteuerschuldner im Vergleich zu Schuldnern anderer Steuerarten zu benachteiligen. Ein entsprechender Formulierungsvorschlag wird im 5. Kapitel dieser Arbeit unter C. II. angeregt.
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Stichwortverzeichnis Allphasenbesteuerung 194, 197 Ameisenkriminalität 190, 201, 208 Ausdehnungsmodell 108 Ausnahmemodell 107, 108, 109 Bandenabrede 154, 161, 162, 163, 164, 166, 230 Beendigungszeitpunkt 181 Berichtigungsanspruch 55, 59 Bestimmungslandprinzip 18, 19, 207 Binnenmarkt 18, 19, 22, 207 buffer 22, 29, 30, 31, 33, 37, 38, 39, 40 Bundessteuergesetzbuch 206 distributor 22, 40, 41 Doppelvorsatz 105, 106 Einheitstäterprinzip 43 F-Nummer 192, 193, 194 Gefährdungspotential 70, 71, 72, 95, 213, 217, 225 – faktisches 61 – rechtliches 61 Gesamtschaden 41, 171, 172, 230 gesetzliche Risikoverlagerung 72 Gewerbsmäßigkeit 46, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 229, 230
Insolvenzrisiko 58, 59, 193, 194, 196, 205, 218, 219, 224 Ist-Prinzip 196, 197, 198, 199, 207 Kleinbetragsregelung 188, 192 Koinzidenzprinzip 110 kriminalpolitische Theorie 177 Lästigkeitsprinzip 77 Lehre von der goldenen Brücke 177 Lohnsteuer 48, 49, 53, 138, 139, 140, 141, 169, 213 Missbrauchslösung 112 missing trader 20, 21, 22, 23, 30, 32, 33, 36, 37, 38, 39, 41, 45, 144, 145, 159, 161, 196, 225 Mittler-Modell 191, 193, 194, 196, 201, 203, 205, 206 Neutralitätsgebot 47 Nichtabführung einer eigenen Schuld 48, 49, 224 omissio libera in omittendo 102, 116, 117, 136, 137, 147, 151, 229 omissio per commissionem 102, 116, 131, 132, 136, 228, 229 Opportunitätsprinzip 45, 94, 95, 97, 98, 149, 150, 151, 152, 212, 228 Organisationsgefahr 155, 172
Handlungsunfähigkeit 100, 101, 102, 105, 106, 107, 111, 112, 114
Pflichtlösung 110
Ifo-Modell 201 Insolvenzantragsfrist 119, 120, 121, 122, 123, 124, 126, 127, 128, 129, 139
Reverse Charge 18, 187, 190 R-Signal 189 Rücktritt 107, 176, 177, 178, 180
Stichwortverzeichnis Sanktionsgrund 70 Schadenswiedergutmachung 175, 176, 178 Scheinrechnung 42, 170, 171 Scheinunternehmer 30, 36, 37 Sollbesteuerung 18, 56, 147, 186, 193, 195 Sonderdelikt 43, 160 Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz 16, 19, 20, 23, 24, 25, 26, 28, 83, 164, 186, 200, 216 Systembruch 46, 49
247
Unrechtselement 47, 48, 49, 60, 213, 221, 224 Ursprungslandprinzip 193 Vorrangrechtsprechung 116, 118, 119, 122, 123, 124, 128, 129, 131, 136, 140 Vorsteueranrechnungsmodell 204, 205 Vorsteuerüberrechnung 204 Vorstufenbefreiung 191, 194 Vorverschuldenstheorie 110 Wettbewerbsverzerrung 24, 47
Tatbestandslösung 80, 103, 105, 106, 111, 112, 113 tätige Reue 176 Umsatzsteuer-Audit 208
Zahlungsunfähigkeit 97, 100, 114, 116, 118, 124, 128, 134, 135, 144, 145, 146, 148, 150, 152, 161, 221 Zuspätzahlung 92, 93, 95, 168, 169