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German Pages 192 Year 2015
Johanna Mutzl »Die Macht von dreien ... « Medienhexen und moderne Fangemeinschaften. Bedeutungskonstruktionen im Internet
CULTURAL STUDIES • HERAUSGEGEBEN VON RAINER WINTER • BAND 15
Johanna Mutzl (MMag. Dr.) ist Kommunikationswissenschaftlerin
und lehrt an unterschiedlichen Österreichischen Bildungseinrichtungen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Medien- und Gender-Sensibilisierung.
JOHANNA M UTZl »DIE MACHT VON DREIEN ••• «
Medienhexen und moderne Fangemeinschaften. Bedeutungskonstrulctionen im Internet
[transcript]
CU L TU RA L S TU D I ES
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ fdnb.ddb.de abrufbar.
© 2005 transcript Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung & Innenlayout Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Johanna Mutzl Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-374-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
Besuchen Sie uns im Internet: http:j jwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
INHALT
Danksagung
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Vorwort
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1. Theoretische und methodische Grundlagen Einführung ins Thema Theoretischer Ansatz Bedeutungskonstmktionen Methoden
2. Fankonzepte und die Rolle der Medien in der Bildung von Fangemeinschaften
13 13 15 19 22
Gemeinschaften- Communities Vorurteile gegenüber Fans Neue Fankonzepte Gemeinschaftsbildung durch Medien
25 25 27 29 38
3. Der Hexenglaube im Wandel der Zeit
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Traditioneller Hexenglaube Modeme Hexen und Wicca
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4. Der Bedeutungsrahmen
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Mystery- eine Genreanalyse »Charmed« - die Serie
53
46
62
5. Die Internet-Befragung
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Forschungsdesign und Durchflihrung Reflexive Gedanken
71 81
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»Die Macht von Dreien ... «
6. »Within« - Inhalte und Charaktere Das Interesse am Thema Die vier Schwestern Piper Halliwell Phoebe Halliwell Prue Halli weil Paige Matthews Starke Frauen - starke Hexenschwestern
83 84 93 97 101 105 107 112
7. »Without«- die Community Die »Charmed« Fankultur Bedeutungsangebote Bedeutungen des Themas im Alltag Die Bedeutung der Community
123 125 134 134 139
8. »Beyond«- Websites, die Schaffung von Bedeutung Der bedeutungsvolle Rahmen Fanpages - ein Modell Internetnutzung im Hinblick auf »Charmed«
143 143 144 163
Zusammenfassende Betrachtungen
169
Anhang
175
Tabellenverzeichnis
179
Abbildungsverzeichnis
180
Literaturverzeichnis
181
Internetquellen
190
DANKSAGUNG Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2004 an der Universität Klagenfurt im Fachbereich Gender Studies/Cultural Studies als Dissertation angenommen. In diesem Zusammenhang gilt mein besonderer Dank meiner Erstbetreuerirr und Wegweiserirr Brigitte Hipfl und meinem Zweitbetreuer und Ratgeber Rainer Winter, die mir beide während meiner Forschungen und Analysen beratend zur Seite standen. Mein weiterer Dank gilt Günter Scheer, der mir die Arbeit nicht nur durch die Programmierung und technische Betreuung der W ebsite wesentlich erleichterte, sondern auch durch die sorgfältige Erstellung der Datenbank, ohne die eine Analyse unmöglich gewesen wäre. Mit besonderer Sorgfalt hat sich Gabriele Frankl meiner Arbeit angenommen und ihr in mehrfacher Hinsicht aus dem Zauberkessel der wirren Wortwahl geholfen, wofür ihr meine Hochachtung sicher ist. Karirr Lenzhofer, deren Anregungen nicht nur inhaltlich in die Arbeit einflossen, sondern die engagierterweise auch für das Lektorat verantwortlich zeichnet, danke ich fl.ir den magischen Blick, durch den die hellen Seiten des Buches von den formalen Schatten befreit wurden. Helga Steinkellner und Tanja Hribar haben sich dankenswerterweise den Eigenheiten der deutschen Rechtschreibung angenommen und für eine bezaubernde Ordnung unter den Schriftzeichen gesorgt. Viele »Charmed« Fans haben an meiner Studie teilgenommen, mich inspiriert und der gesamten Arbeit ungeahnte Dimensionen verliehen. Ihnen sei an dieser Stelle im Besonderen für ihre Bemühungen und ihr Engagement gedankt. Widmen möchte ich diese Arbeit meiner Familie, im Besonderen meinen Eltern Helga und Johann Mutzl, die mir in allen Lebenslagen mit zauberhafter Geduld und Weisheit zur Seite standen und ohne deren Hilfe und Beistand ein Studium unmöglich gewesen wäre. Vielen Dank! Klagenfitrt, Mai 2005
Johanna Mutzl
VORWORT
Das Thema Hexen und Magie ist weder neu noch unbetrachtet. Die derzeitigen Ausmaße und Möglichkeiten der Beschäftigung mit diesen Inhalten haben allerdings Formen erreicht, wie sie bisher noch nicht zu beobachten waren. Sah man die Hexen früherer Zeiten als böse und mit dem Teufel im Bunde, so sind die modernen Hexen des 21. Jahrhunderts zauberhaft gut und stark. Diese kreative Umprägung des Hexenbildes, bei der die böse, Unheil bringende Hexe von der guten >Superhexe< abgelöst wurde, konnte im Laufe des letzten Jahrhunderts gut beobachtet werden. Nun stellt sich allerdings die Frage, wie sich diese Umdeutung vollziehen konnte. Wer unterstützte die Entwicklung und auf welches Interesse stößt das Thema Hexen in unserer Zeit? Diese Fragen werden anhand der IV-Serie »Charmed«, einer Mystery- bzw. Hexenserie, die seit 1998 in vielen Teilen der Welt ausgestrahlt wird und unzählige Fans für sich verbuchen kann, beantwortet. Zu diesem Zweck wurde unter anderem eine Internet-Befragung durchgeführt, an der sich über 700 »Charmed« Fans aus beinahe 30 Ländern beteiligten. Im Laufe der Arbeit werden sowohl die Planung und die Durchführung dieser Studie als auch deren Ergebnisse vorgestellt. Um »Charmed« hat sich eine große Fankultur entwickelt, die sich durch außergewöhnliche Aktivität und Produktivität auszeichnet. An diesem Punkt stellt sich zudem die Frage, welche Rolle die Medien in der Konstruktion von Fangemeinschaften spielen, wie moderne Fangemeinschaften aussehen und schlussendlich auch was es für die Fans bedeutet, Teil dieser besonderen Kultur zu sein. All diesen Fragen wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit Raum zur Beantwortung gegeben. Der erste Teil der Arbeit beschäftigt sich zunächst mit theoretischen und methodischen Grundlagen, auf denen die durchgeführte Studie aufbaut. Im ersten Kapitel finden sich eine Beschreibung des theoretischen Hintergrundes sowie eine Darstellung der in der Arbeit verwendeten Methoden. Es werden sowohl Ansätze und Sichtweisen, von denen ausgegan-
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»Die Macht von Dreien ... «
gen wird, deutlich gemacht als auch Methoden vorgestellt, die der Erhebung und Analyse dienen. Der Weg der Fanforschung wird im zweiten Kapitel nachgezeichnet. Dabei wird im Besonderen herausgearbeitet, inwieweit sich die Sichtweisen und das Verständnis von Fangemeinschaften verändert haben. Lange Zeit wurden Fanaktivitäten fast ausschließlich mit negativen Verhaltensweisen assoziiert. Das Potenzial, die Aktivität, Kreativität und Produktivität, die sowohl einzelne Fans als auch ganze Fangemeinschaften flir sich entdeckt haben, trafen relativ spät auf Akzeptanz und Anerkennung. Erst im Zuge neuerer wissenschaftlicher Betrachtungen wurde schließlich deutlich, welche Bedeutung Fangemeinschaften und Fankulturen in unserer Zeit zukommt. Dieses Kapitel widmet sich zudem der Frage, wie Fankulturen zu beschreiben sind und welche Besonderheiten ihnen von den teilnehmenden Fans zugeschrieben werden. Interessant zeigt sich vor allem die Frage, welche Rolle den Medien in der Schaffung von Pangemeinschaften zukommt. Die Nutzung des Internets hat in dieser Hinsicht einige neue Entwicklungen mit sich gebracht, die der Konstruktion und Aufrechterhaltung von Gemeinschaften, der Formung von Kulturen, neue Dimensionen verleihen. Der Entwicklung des Hexenglaubens wird im dritten Kapitel Raum gegeben. Es wird beschrieben, wer die ersten Hexen waren, warum die Menschen so große Furcht vor ihnen hatten, was genau ihnen angelastet wurde und wie ihre Feinde gegen sie vorgingen. Außerdem wird der Frage nachgegangen, ob es heute, in unserer aufgeklärten Zeit, noch Hexen gibt und wenn ja, wer die heutigen Hexen sind. Brauen sie in großen Kesseln Zaubertränke? Fliegen sie auf Besen? Haben sie Warzen auf der Nase und sitzt ihnen eine schwarze Katze auf der Schulter? Das Hexenbild hat einen kreativen Wandel erlebt, der moderne Hexen mit wesentlich mehr ausstattet, als mit diesen alten Vorurteilen. Welche Rolle die Medien hierbei spielen und in welcher Hinsicht der Wandel als kreativ bezeichnet werden kann, wird gegen Ende des Kapitels mit einigen praktischen Beispielen aufgearbeitet. In Kapitel vier dieser Arbeit wird der empirische Teil des Projekts vorgestellt. Zunächst wird versucht, die TV-Serie »Charmed« thematisch einzuordnen. Dies gelingt mittels einer eigens dafür durchgeführten Genreanalyse, die das Genre Mystery auf Grund spezifischer Kriterien eingrenzt. Da das Vergnügen einer Rezeption auch wesentlich vom Wiedererkennen bestimmter Genrekonventionen abhängt, zeigt es sich als interessant, eben diese zu definieren. Eine Einführung in die Serie selbst soll schließlich deutlich machen, welche Inhalte die Serie aufgreift, welche Charaktere sie zur Identifikation anbietet, welche Diskurse in diesem Zusammenhang von den Fans im Besonderen aufgegriffen werden und welche Diskurse im Gegensatz dazu quasi ausgeblendet werden. In einem detaillierten Bericht in Kapitel fünf findet sich eine exakte Forschungsbeschreibung der durchgeführten Internet-Befragung. In ein-
Vorwort
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zelnen Schritten wird sowohl die Planungsphase erläutert, von der Forschungsfrage bis hin zum Forschungsdesign, als auch die Durchführung und Nachbearbeitung. Die Vor- und Nachteile der gewählten Methoden werden gegenübergestellt und rückblickend auf den Verlauf der Studie diskutiert. Schließlich werden auch Einblicke in den Prozess der Auswertung gegeben, sodass das gesamte Forschungsprojekt Schritt für Schritt nachvollzogen werden kann. Kapitel sechs und sieben fassen in einzelnen Punkten die Ergebnisse der Internetstudie zusammen und stellen sie und deren Interpretationen zur Diskussion. Die Schwerpunkte der Analyse decken zum einen das Interesse am Magischen und Übernatürlichen auf, zum anderen werden Bedeutungszuschreibungen in Bezug auf die vier Hexenschwestern transparent gemacht. Die Integration einzelner Elemente aus »Charrned« ins Alltagsleben der Fans verdeutlicht, welche Inhalte der Serie bevorzugt aufgenommen werden und welchen Stellenwert sie in deren täglichem Leben einnehmen. Das Interesse gilt außerdem der Bildung und Bedeutung von Fangemeinschaften, wie sie sich organisieren, in welcher Weise sie ihre Fankultur gestalten und was es für die einzelnen Fans bedeutet, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Die Bedeutungen von Fan-Websites werden in Kapitel acht diskutiert: Wie und warum nutzen Fans das Internet im Hinblick auf »Charmed«, was steckt hinter den aufwendig programmierten Websites, die viel Zeit und Arbeit in Anspruch nehmen und was bedeuten die W ebsites an sich für Fans? Welche Gewinne ziehen sie aus der Erstellung und Betreuung von Websites und in welcher Weise lohnt sich der Aufwand für sie? In diesem Zusammenhang wird ein Modell vorgestellt, das Websites von Fans in unterschiedliche Ebenen einteilt. Zum einen wird erkennbar, wie intensiv Fans mit der »Charrned«-Welt mitleben können, zum anderen werden unterschiedliche Ebenen der Bedeutungskonstruktion offen gelegt. Es wird deutlich, wie weit sich Fans auf die Welt von »Charrned« einlassen können, mit welcher Form von Aktivität sie jeweils ihren Beitrag dazu leisten und an welchen Bedeutungskonstruktionen sie Anteil haben. In den abschließenden Betrachtungen werden die wichtigsten Ergebnisse der Forschungsarbeit noch einmal aufgegriffen und zusammengefasst dargestellt. Ein kurzer Rückblick auf die gewonnenen Erkenntnisse und deren Bedeutungen schließt die Ausführungen der vorliegenden Studie.
1.
THEORETISCHE UND METHODISCHE GRUNDLAGEN
EINFÜHRUNG INS THEMA
Medien haben in unserer Gesellschaft eine äußerst machtvolle Stellung eingenommen und werden gerade in diesem Zusammenhang auch durchaus luitisch betrachtet. Sie sind ein Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen und umgekehrt tragen sie selbst zu Veränderungen unserer Gesellschaft bei. Von Zeit zu Zeit lohnt es sich in diesen Spiegel zu sehen, Veränderungen und Entwicklungen aufzudecken und Prozesse aktiv und bewusst zu nutzen. Ein Bereich, auf den durch die Wahl der Serie »Charmed« im Speziellen eingegangen werden soll, umfasst das Thema Hexen. Der Hexenglaube hat in den letzten Jahren einen derartigen Aufschwung erlebt, dass er von einem geheimen Schattendasein in das Licht der Öffentlichkeit treten konnte. Noch nie ist >geheimes Wissen< in so großer und vielfältiger Zahl publiziert worden, konnte Zauberei öffentlich in Kursen erlernt werden und kam der Magie und Hexerei eine so große öffentliche Akzeptanz zu, wie heute. Diese Entwicklungen sind in vielerlei Hinsicht bedeutsam und sollen aus diesem Grund in die vorliegenden Untersuchungen eingebunden werden. All die eben angesprochenen Punkte werden anhand eines speziellen Beispiels diskutiert, das sich weltweit einen Namen schaffen konnte: »Charmed«. Diese Serie über drei Hexenschwestern zählt viele Fans in der ganzen Welt, die sich durch eine besondere Beziehung einerseits zu Medien generell, und andererseits zu deren Inhalten auszeichnen. Am Beispiel dieser TV -Serie wird nun gezeigt, welche Wertigkeiten und Repräsentationen, in erster Linie von Hexen bzw. Frauen, in der Serie vorherrschend sind und welche Bedeutungen ihnen von den Fans zugeschrieben werden. Es wird gezeigt, wie Fans die unterschiedlichen medialen Inhalte und Darstellungen aufuehmen, in welcher Weise sie diese interpretieren und inwieweit bestimmte Inhalte zu Bestandteilen des täglichen Lebens werden.
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Das Bild der Hexe hat sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts also drastisch gewandelt, von der bösen Hexe zur guten Superhexe. Andere Gruppierungen, denen ebenfalls stets negative Verhaltensweisen zugesprochen wurden, erfuhren in den letzten Jahren ebenfalls eine positive Entwicklung: Fangemeinschaften. Den ersten Fangruppierungen konnte kaum jemand etwas Positives abgewinnen. Fans galten als leicht beeinflussbar, ohne eigene Meinung, durch das Fernsehen verdummt und demzufolge auch als nicht ernst zu nehmend. Es wurde von ihnen behauptet, sie könnten Realität und Fiktion nicht unterscheiden und würden, ihrem Verhalten nach zu urteilen, in einer Traumwelt leben. Dieses Bild von Fans hat sich grundlegend geändert. Fans wurden als sehr kritische, aktive und produktive Zuschauerltu1engruppen erkannt, die sich nicht nur unreflektiert sämtliche Medieninhalte zu Eigen machen, sondern vielmehr äußerst kritische Beobachterinnen sind. In Bezug auf diese neuen Sichtweisen schließt die vorliegende Arbeit an Studien, im Besonderen an die Konzepte und Modelle von Rainer Winter (1995), an, die Fans als besonders aktive und produktive Zuschauerltu1en beschreiben. Rainer Winter hat in den Jahren vor 1994 im Bereich der Horror Fans Fanverhalten und Fansozialwelten untersucht. Seit dieser Zeit haben sich viele, vor allem äußere Umstände geändert. Durch die Entwicklung der neuen Medien und des Internets eröffneten sich sowohl fiir Fans als auch für Wissenschaftlerinnen in den unterschiedlichsten Bereichen viele neue Möglichkeiten, die in besonderem Maße beachtenswert scheinen. Speziell die Nutzung des Intemets hat die Kommunikationsmöglichkeiten für Fans entscheidend verändert. Fans können sich quasi rund um die Uhr auf eigens programmierten Fanseiten bewegen, ihre Meinungen in Foren veröffentlichen oder sich mit anderen Leuten in Chatrooms austauschen. Auch ihre Kreativität und Produktivität findet neue Formen und vor allem auch einen öffentlichen Raum, in dem sie geäußert werden können. Seien es Fanfiction, Fanart oder das Programmieren der Websites selbst- in diesen kreativen Tätigkeiten zeigen sich neue Formen von Produktivität, Aktivität und Distribution, die bisher ftir viele nicht denkbar waren. Femer hat das Aneignen von Wissen mit der Nutzung des Intemets neue Ausmaße erreicht. Für Fans haben sich im Vergleich zu früheren Zeiten, als sie auf offizielle Zeitschriften oder so genannte >Fanzines< (von Fans gestaltete Zeitschriften) angewiesen waren, eine Vielzahl neuer Möglichkeiten ergeben, sich Hintergrundwissen anzueignen. Zum einen erhalten sie auf den offiziellen Websites der Film- und Fernsehgesellschaften neue und aktuelle Informationen zur jeweiligen Serie oder Film, zum anderen bieten die vielen Fanpages Hintergrundinformationen zur Produktion, den Darstellerlnnen, den Scripts und vielem mehr. Sie stellen Interviews zur Verfügung, Bilder, Musik, Fanart und gestalten einen Ort des Austausches. Fans erhalten zudem noch die Möglichkeit Informationen über die Medien selbst zu sammeln und eignen sich auf die-
Theoretischer Ansatz
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se Weise gleich mehrfaches Expertinnenwissen an. Sie reflektieren Medienangebote auch durchaus kritisch und zeigen sich im Umgang mit ihnen zu einem großen Teil äußerst medienkompetent und medienmündig. Natürlich bietet das Internet auch einen völlig neuen Zugang und völlig neue Möglichkeiten für WissenschaftlerInnen. Bisher war der Zugang zu Fangruppierungen äußerst mühselig und zeitintensiv. Es gestaltete sich als schwierig an entsprechende Gruppen heranzukommen und mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Über Fanpages bzw. deren Foren oder Chatrooms ergeben sich neue Möglichkeiten mit Fans in Kontakt zu treten. In diesem Sinne ändert sich nicht nur der Zugang, sondern auch die mögliche Reichweite einer Befragung. Auf gut besuchten Fanseiten klicken sich um die 500 Besucherinnen am Tag durch das Menü. Es kann davon ausgegangen werden, dass von diesen ca. 500 Besucherinnen viele tatsächlich Fans der jeweiligen Serie oder Produktion sind. Wer würde seine Zeit damit vergeuden Informationen zu suchen, die nicht dem eigenen Interesse entsprechen? Somit ist die Wahrscheinlichkeit auf jemanden zu treffen, der kein Interesse am Thema hat, eher gering. Auf der anderen Seite wird man natürlich auf wenig kritische bzw. sich negativ äußernde Stimmen treffen, wobei Fans ihre Lieblingsserien und deren Darstellerinnen durchaus kritisch betrachten und entsprechende Kritik auch diskutieren. Sie stehen ihren bevorzugten medialen Produktionen aber natürlich nicht vollkommen ablehnend gegenüber. Sucht man konträre Stellungnahmen, ist es sinnvoll sich auf anderen Fanseiten zu bewegen und dort Meinungen einzuholen oder Diskussionen anzuregen. All diese Entwicklungen rund um das Internet verlangen erneut einen Blick auf die veränderte Situation der Medien, deren Repräsentationen und deren Adressatinnen zu werfen. In dem Maße, in dem sich die Gesellschaft und die Kultur verändern, muss auch die Wissenschaft Entwicklungen aus neuen Blickwinkeln betrachten und sich auf die Erforschung veränderter Situationen einlassen. In der vorliegenden Arbeit werden speziell diese neuen Entwicklungen miteinbezogen, aufbauend auf den bisherigen Ergebnissen der Forschung, die in vielen Bereichen wegweisend waren.
THEORETISCH ER ANSATZ
Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen der Cultural Studies angelegt, welche ein Versuch sind die grundlegende Frage zu beantworten: »Was geht vor sich?« (Grossberg 1999: 16). Sie betrachten Sinn und Werte von Kultur, erforschen die unterschiedlichen Bedeutungsmuster und untersuchen die Machtrelationen, in denen sie sich befinden. Dabei geht es nicht darum, »Texte oder Menschen zu interpretieren oder zu beurteilen, sondern zu erfassen, wie das Alltagsleben von Menschen durch und mittels der Kultur artikuliert wird, wie sie durch die besonderen Strukturen und
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Kräfte, die ihr Leben immer in widerspruchsvoller Weise organisieren, zur Handlung befähigt oder unfähig werden und wie ihr Alltagsleben selbst mit den und durch die Strukturen der ökonomischen und politischen Macht artikuliert wird« (Grossberg 1999: 16f.). Der Ansatz der Cultural Studies beschreibt somit, wie das alltägliche Leben von Menschen (everyday life) durch und mit Kultur definiert wird (vgl. Lutter 1998: 9). »Die Ausgangspunkte sind in der Regel soziale Probleme und Fragestellungen, die im Schnittfeld von Alltag, Kultur und Macht entstehen und dann in ihren sozialen, politischen und historischen Dimensionen untersucht werden. Es wird herausgearbeitet, wie alltagskulturelle Praktiken in komplexen Beziehungen zu anderen Praktiken und Strukturen stehen, vor deren Hintergrund sie sich vollziehen und die sie wiederum bestätigen oder verändern« (Winter 2001: 331 ).
So drehen sich die Fragen der Cultural Studies immer wieder um Alltagspraktiken und -ästhetiken, Gebrauchs- und Aneignungsweisen sowie um das Verhältnis von Kultur, sozialer Praxis und Macht (vgl. Hörning/Winter 1999: 10). Kultur wird hierbei nicht zwangsläufig als Hochkultur verstanden, sondern als Texte und Praktiken des alltäglichen Lebens (vgl. Storey 1996: 2). In diesem Sinne hat auch die Bezeichnung »Fankultur« ihre Berechtigung. Unter Fankultur können somit die Texte und Praktiken der Fans verstanden werden, die in Zusammenhang mit ihren Leidenschaften entstehen. Kultur ist immer im historischen und gesellschaftlichen Kontext zu sehen und stellt eine Plattform dar, auf der Bedeutungen, Sinn und Werte ausgehandelt werden, denn keine Bedeutung ist ein für allemal festgelegt, sondern wird immer wieder neu geschaffen (vgl. Hörning/Winter 1999: 8f.; Storey 1996: 2f.). Nach Fiske ist Kultur »der konstante Prozess, unserer sozialen Erfahrung Bedeutungen zuzuschreiben und aus ihr Bedeutungen zu produzieren, und solche Bedeutungen schaffen notwendigerweise eine soziale Identität für die Betroffenen« (Fiske 2000: 14). Bedeutung wiederum entsteht an einer Vielzahl von Schnittstellen (vgl. Fiske 1999: 139) und zeigt sich im Hinblick auf einen Konflikt über Sinn und Werte von kulturellen Traditionen, Erfahrungen und Praktiken als äußerst umkämpft (vgl. Hörning/Winter 1999: 9). Kultur ist ein Kampf um Bedeutungen, »ein nie zu beendender Konflikt über Sinn und Wert von kulturellen Traditionen, Praktiken und Erfahrungen« (Winter 1999: 49f.). Kultur wird in den Cultural Studies aber nicht auf Macht reduziert, sondern ist das Feld, in dem Macht produziert und um sie gerungen wird (vgl. Grassberg 1999: 48). In diesem Sinne ist Kultur auch ein Feld sozialer Ungleichheit (vgl. Winter 1999: 49) und Macht ein ungleiches Verhältnis von Kräften im Interesse bestimmter Fraktionen (vgl. Grassberg 1999: 47).
Theoretischer Ansatz
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Kultur prägt in dieser Weise alle Bereiche des sozialen Lebens und spielt eine entscheidende Rolle in der Stmktur und Organisation der spätmodernen Gesellschaft (vgl. Höming/Winter 1999: 7). Kulturelle Praktiken und die kultmellen Formen werden in den Cultural Studies immer kontextuell, das heißt eingebettet in historisch spezifische und sozial stmkturierte Zusammenhänge, verstanden (vgl. ebd.). In diesem Sinne sind Cultural Studies räumlich und zeitlich auch immer bmchstückhaft (vgl. Grassberg 1999: 47). Sie reagieren »auf die Verändemng der Kultur im Zuge der Postmodeme und der Globalisiemng von Informations- und Kommunikationsströmen und [... ] rücken den veränderten Zustand der Kultur unter postmodernen Bedingungen ins Bewusstsein« (Winter 2001: 330). Cultural Studies beschäftigen sich stets: »mit bestimmten kulturellen Prozessen, die sich an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Zeit ereignen und zu einem spezifischen Zweck analysiert werden. Es geht ihnen in den Gesellschaften der Gegenwart um die kontextuell unterschiedlichen Prozesse der Bedeutungsproduktion, die durch Enttraditionalisierung, Vermischung, Wandel und Konflikt gekennzeichnet sind. Ausgangspunkt sind die sozialen Alltagspraktiken, die Kulturen schaffen und soziale Wirklichkeiten hervorbringen« (Hörning/Winter 1999: 9).
Anliegen der Cultural Studies ist es also, populärkulturelle Praktiken und Erfahmngen genauso ernst zu nehmen, wie jene im Umgang mit >hoher< Kultur (vgl. Winter 2001: 329). Sie sind dabei aber nicht an Fernsehen oder Popmusik an sich interessiett, »sondern an deren Rolle und Funktion in der Produktion sowie Zirkulation sozialer Bedeutungen, Beziehungen und Subjektivitäten. Sie streben kein umfassendes Wissen ihres jeweiligen Gegenstandes an, sondern entnehmen Extrakte aus dem sozialen Geschehen, zeigen, wie kulturelle Texte und Prozesse in Machtstmkturen und gesellschaftliche Auseinandersetzungen eingebettet sind« (Winter 2001: 344). Ziel der einzelnen Analysen ist es allerdings nicht, die >Wahrheit< zu definieren, sondern zum Prozess des Verstehens beizutragen und andere, möglicherweise konträre Beiträge hervorzubringen (vgl. Fiske 1999: 252). Cultural Studies haben sich zum Ziel gesetzt, den unterschiedlichen Wissensformen, lokalen Geschichten, Ritualen, Erinnerungen und Praktiken von Personen und sozialen Gruppen Gehör zu verschaffen, sowie deren auf Erfahmng und Wissen basierende kultmelle Praktiken aufzuzeigen. Kultur kann demnach als ein Medium verstanden werden, das zum einen unterschiedliche Machtverhältnisse offen legt und zum anderen verschiedenen sozialen Gruppierungen die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken, sich gegen andere abzugrenzen oder sich zu behaupten (vgl. Höming/Winter 1999: 10). Gerade aus diesem Grund ist die Analyse der heutigen Populärkultur entscheidend und gewinnt auch zunehmend politische Bedeutung (vgl. Winter 2001: 330). Die Produktion, Zirkulation und Rezeption von Kultur hat sich durch die Entwicklun-
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genvon neuen Kommunikationstechnologien und der >lnformationsrevolution< in einer Art und Weise verstärkt und ausgeweitet, dass es notwendig wird, das Verhältnis von Kultur und Gesellschaft neu zu bestimmen. Aus diesem Grund darf Kultur nicht als sekundäres Phänomen betrachtet werden, sondern ist für die Struktur und Organisation der heutigen Gesellschaften von zentraler Bedeutung (vgl. ebd.). Die neuen Entwicklungen und Technologien führen nicht von sich aus zu einem sozialen Wandel, sie können diesen aber sehr wohl erleichtern und tun dies auch (vgl. Fiske 1999: 139). Medien werden in diesem Zusammenhang als kultureller Bestandteil betrachtet und zeigen sich in dem Kräftemessen und Kampf um die Machtpositionen als sehr aktiv. Sie durchdringen das Alltagsleben der Menschen und liefern »das >MaterialWahren< zu definieren, wobei sie gleichzeitig Macht über diejenigen ausüben, die diese Bedeutungsrahmen anwenden, um mit ihrem alltäglichen Leben zurechtzukommen (vgl. Winter 1999: 57). Legt man einen Schwerpunkt auf die Fernsehrezeption, so ist diese gewöhnlich ein Aushandlungsprozess zwischen dem jeweiligen Text und den unterschiedlich gesellschaftlich situierten Leserinnen (vgl. ebd.), wobei es wiederum nicht um die Frage der Beurteilung von Menschen geht, als viel mehr »um den Versuch zu beschreiben, wie ihr Alltagsleben mit und durch Popularkultur artikuliert wird, wie sie durch die besonderen Strukturen und Kräfte, die ihr Leben organisieren - auf stets widersprüchliche Weise - Macht gewinnen oder verlieren und wie ihr Alltag seinerseits mit und durch die Trajektorien ökonomischer und politischer Macht artikuliert wird« (Grossberg 2000: 34). Zentral ist der Versuch, das jeweils Besondere des Erlebens zu verstehen (vgl. Fiske 1999: 238) und nicht eine Rechtfertigung des persönlichen Geschmacks (vgl. Grassberg 2000: 34). In diesem Zusammenhang kommt der Erforschung von Fangemeinschaften besondere Bedeutung zu. Fans populärkultureller Produktionen werden im Rahmen der Cu/tura! Studies mit ihren Anliegen ernst genommen und ihre Fankultur bzw. die Produktion neuer kultureller Formen als Ausdruck der Auseinandersetzung mit Kultur betrachtet. Winter spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer >kulturellen ReflexivitätFan< von etwas oder jemandem zu sein, eine besondere Art der Beziehung zwischen Rezipientinnen und dem jeweiligen Text, der jeweiligen Produktion, voraussetzt - eine Beziehung, die zwar nicht immer von allen verstanden wird, die sich dafür aber als umso wirkungsvoller zeigt. Fanturn, diese besondere Auseinandersetzung mit medialen Inhalten, ändert
Bedeutungskonstruktionen
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sich in dem Maße, in dem sich die Inhalte und Medien selbst weiterentwickeln. Wie bereits erwähnt, tragen neue Entwicklungen und Technolagien durchaus zu einem sozialen Wandel bei, aber eben nicht von sich aus, weshalb es von Bedeutung ist, eben diese parallelen Änderungen und Entwicklungen stets neu zu betrachten. Speziell die Entwicklung des Intemets hat neue Potenziale freigelegt, die viele Fans gleich in mehrfacher Hinsicht zu nutzen wissen. Auch wenn sie natürlich auf einem sehr starken persönlichen Aspekt aufbaut, so kann die Nutzung dieses Potenzials doch nicht in erster Linie als selbstbezogen bezeichnet werden, sondern zeichnet sich eher durch selbstlose Aktivitäten aus. Auf diese Weise wird Fanverhalten gleich mehrfach bedeutend.
BEDEUTUNGSKONSTRUKTIONEN Bedeutungen helfen den Menschen die Welt zu interpretieren und in Dingen und Geschehnissen einen Sinn zu sehen. Ein bestimmtes Wort lässt ein Bild in uns entstehen, eine Idee, ein Konzept, das wir dazu nutzen kö1men, mit anderen darüber in unterschiedlichen Kontexten zu sprechen. Ein Ding gehört zu unserer Kultur, weil wir ihm innerhalb unserer Kultur dafür einen Bedeutungsrahmen geschaffen haben (vgl. du Gay 1997: 10). Dinge besitzen also keine immer schon da gewesene Bedeutung, sondern Bedeutungen werden in spezifischen Kontexten produziert und konstruiert und zwar durch kulturelle bzw. soziale Praktiken (vgl. du Gay 1997: 14; Baldwin et al. 1999: 32; Schirato/Yell 2000: 106). Indem wir mit Dingen oder Themen in einer bestimmten Art und Weise umgehen, verleihen wir ihnen Bedeutung. Es ist also nicht eine Sache an sich, die wertvoll für uns ist, sondern die Bedeutung, die wir ihr zuschreiben (vgl. du Gay 1997: 17f.). So zeigt sich eben die Frage nach der Bedeutung der Inhalte aus »Charmed« bzw. nach der Teilnahme an Fangemeinschaften als besonders interessant, weil weder Inhalte noch Gemeinschaften von sich aus eine Bedeutung haben, sondern ihnen erst durch die Fans Bedeutung verliehen wird. Durch die Art und Weise, wie »Charmed« Fans mit den Inhalten der Serien umgehen, verleihen sie ihnen eine bestimmte Bedeutung. Ebenso verhält es sich mit der Teilnahme an Fangemeinschaften. Für Fans werden die Gemeinschaften durch die Aktivitäten innerhalb dieser Gruppen und rund um sie bedeutsam. Von sich aus hat Gemeinschaft keine Bedeutung, von sich aus existiert Gemeinschaft nicht einmal. Sie entsteht erst durch die unterschiedlichen Handlungen der Fans und somit auch durch die jeweiligen Bedeutungszuschreibungen. Zwei Prozesse fließen in der Bedeutungskonstruktion ineinander, zwei Systeme von Repräsentationen: Das erste System ist dafür verantwortlich, dass alle Objekte der Welt, alle Menschen und sämtliche Ereignisse mit einer Reihe von gedanklichen Konzepten in Verbindung ge-
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bracht werden, die uns helfen, die Welt zu interpretieren. Bedeutung hängt zum einen also von den Verbindungen zwischen Objekten der Welt und ihren gedanklichen Repräsentationen ab (vgl. Hall1997: 17f.). Um Inhalte und Bedeutungen so ausdrücken und mitteilen zu können, dass sie von den Kommunikationspartnerinnen in ähnlicher Weise verstanden werden, müssen die Menschen Zugang zu den gleichen gedanklichen Konzepten haben, sie müssen zur gleichen Kultur gehören, um einen ähnlichen Sinn zu erkennen (vgl. ebd.). Zum anderen ist es auch notwendig, dass sie Anteil an einem zweiten System haben, einer gemeinsamen Sprache. Ohne gemeinsame Sprache ist es unmöglich, Bedeutungen auszutauschen (vgl. ebd.). Eine gemeinsame Vorstellung von Dingen und Geschehnissen in der Welt sowie eine gemeinsame Sprache, um sich mitzuteilen, bilden die Grundlage der Bedeutungskonstruktion, allerdings nicht die alleinige: Bedeutungskonstruktion findet auch durch soziale Praktiken statt. Dinge erhalten durch die Art und Weise, wie wir mit ihnen umgehen, Bedeutung. In dem Moment, indem wir beispielsweise ein Objekt nutzen, erhält es eine ganz spezifische Bedeutung und einen eigenen kulturellen Wert, wobei nicht zu vergessen ist, dass diese Handlungen an sich bereits bedeutend sind (vgl. du Gay 1997: 17f.). Bedeutungen werden also konstruiert, und zwar durch den Prozess der Verwendung von Wörtern und Bildern, welche die Konzepte in unserem Kopf entstehen lassen, die sich auf Objekte der wirklichen Welt beziehen, sowie durch soziale Praktiken, die kulturelle Werte deutlich machen (vgl. ebd.). Bedeutungen sind allerdings nicht frei wählbar. Die Menschen können sich nicht wirklich frei entscheiden, was und wie viel ihnen eine Sache wert ist. Wohl haben sie eine Auswahl möglicher Bedeutungen zur Verfügung, ihre Wahl kann aber nie völlig frei sein, weil sie vomjeweiligen Zugang und Kontext abhängig ist (vgl. Schirato/Yell 2000: 107f.). Nicht jeder Mensch hat den gleichen Zugang zu Arten des Sprechens oder Schreibens, weil sich beispielsweise nicht für jeden Menschen der gleiche Zugang zur Bildung öffnet. Bedeutungen sind zudem kontextabhängig. Sie hängen davon ab, in welcher Kultur sie geschaffen werden, in welcher Umgebung, und so sind Bedeutungen immer nur aus einer Reihe von Bedeutungsangeboten wählbar, aus einem Bedeutungsrahmen, innerhalb dessen man sich befindet (vgl. ebd.). Ein bestimmter Bedeutungsrahmen verweist aber keineswegs darauf, dass Bedeutungen innerhalb dieses Rahmens fixiert sind. Bedeutungen sind nicht für alle Zeit festgelegt, sie haben nicht einmal einen festlegbaren Entstehungspunkt oder ein Ende, sondern sie entstehen und wandeln sich durch soziale Diskurse und Praktiken (vgl. du Gay 1997: 14). In diesem Sinne wird in der Auswertung der InternetStudie zum einen der kulturelle Kontext mitberücksichtigt, der einen jeweils eigenen Rahmen an Bedeutungsangeboten zur Verfügung stellt, zum anderen ist festzuhalten, dass die Studie in Bezug auf die Bedeutungskonstruktionen eben nur eine Momentaufnahme darstellt und keine
Bedeutungskonstruktionen
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endgültige und fixierbare Wahrheit. Die Bedeutungen, die Fans »Charmed« zuschreiben, die Art und Weise, wie sie mit den Inhalten der Serie umgehen, die Praktiken, die in der Auseinandersetzung mit »Charmed« entstehen, können bereits am nächsten Tag anders aussehen, als sie am Tag der Befragung beschrieben wurden. In dieser Hinsicht bleibt die Studie offen, aber nicht uninteressant, denn die Diskurse, die Fans aus der Serie aufgreifen, die Bedeutungen, die sie ihren Inhalten und Charakteren zuschreiben, spiegeln unter anderem ein aktuelles gesellschaftliches Bild, welches sich immer lohnt, betrachtet zu werden. Diskurse Bedeutungskonstruktionen, wie eben beschrieben, finden innerhalb jeweils spezifischer Diskurse statt. Michel Foucault definiert Diskurse als Repräsentationssysteme, die durch Sprache und Praktiken wirksam werden und so kann, nach Foucault, Bedeutung nur innerhalb von Diskursen entstehen (vgl. Hall 1997: 44). »Die Sprache existiert nur als Konstruktionssystem für mögliche Aussagen« (Foucault 1999: 54). Erkennt man Bedeutungen als konstruiert, so ist für Foucault die Sprache selbst ein Konstruktionssystem dafür. Diskurse sind die Art und Weise, wie in einer bestimmten Gesellschaft an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit über ein bestimmtes Thema gesprochen und gedacht wird. In anderen Worten, ein Diskurs ist ein spezifisches Wissen über die Welt, das mitverantwortlich dafür ist, wie die Welt verstanden wird und wie die Menschen in ihr handeln (vgl. Rose 2001: 136). »A discourse [... ] govems the way that a topic can be meaningfully talked about and reasoned about. It also influences how ideas are put into practice and used to regulate the conduct of other« (Hall 1997: 44 ). In diesem Sinne erfahren wir durch die Diskurse, die von den Fans in Bezug auf »Charmed« aufgegriffen werden, welchen Themen zur Zeit der Befragung welche Bedeutung zukommt und wie die Fans die Welt verstehen. Rita Seitz (1994) beschreibt Diskurse als ein kohärentes System von Bedeutungen. Hinter Diskursen findet sich ein bestimmtes Weltbild, bestimmte Ideologien und Bedeutungen, die es herauszufiltern gilt. Diese Diskurse stehen immer in Beziehung zu anderen Diskursen, müssen gegen diese antreten und versuchen sich gegen sie durchzusetzen (vgl. Seitz 1994: 193). In diesem Machtkampf um Diskurse findet sich der Kampf um Bedeutungen. »Diskurse sind zum einen Gegenstand von Konflikten, weil in und mit Diskursen Deutungsvorgaben für politische und soziale Ereignis- und Handlungszusammenhänge produziert werden, die darüber entscheiden, wie diese Ereignis- und Handlungszusammenhänge wahrgenommen und bewertet werden« (Schwab-Trapp 2001: 263). Diskurse versuchen Deutungsvorhaben durchzusetzen. Sie sind deshalb so umkämpft, weil sie damit gleichzeitig >richtig< von >falsch< trennen oder das >Normale< vom >Abweichenden< (vgl. Schwab-Trapp 2001:
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263). Sie definieren somit, was gut und was schlecht, was erwünscht und was unerwünscht ist. Die Schwierigkeit ergibt sich schließlich daraus, dass Diskurse innerhalb eines Diskursfeldes nicht gleichwertig sind, nicht dasselbe Gewicht haben (vgl. Weedon 1991: 52) und so wird um Diskurse bzw. mit Diskursen gekämpft, denn der vorherrschende Diskurs ist der mächtigere Diskurs: »Er ist die Macht, derer man sich zu bemächtigen sucht« (Foucault 1999: 55). Kultur, Diskurse bzw. Bedeutungen versuchen sich durchzusetzen und sind dabei ständig umkämpft. Der mächtigere Diskurs setzt seine Bedeutungskonstruktionen als wahr durch und gestaltet die vorherrschende Kultur, während unterdrückte Stimmen nur versuchen können, ihre Anliegen zu artikulieren und dem vorherrschenden Diskurs seinen Platz streitig zu machen. Welche Diskmse sich in »Charmed« durchsetzen und welche Bedeutungen demzufolge als wahr angesehen werden, veranschaulichen die Ergebnisse der Diskursanalyse, die im Rahmen der Studie durchgeführt wurde.
METHODEN Der forschungspraktische Teil dieser Arbeit ist von unterschiedlichen Methoden geprägt. Zunächst wird ein Überblick über die Serie »Charmed« gegeben, über die unterschiedlichen Themen bzw. Hauptcharaktere, um der Frage nach der Besonderheit der Serie nachzugehen. Für eine Analyse wurden aus der gesamten ersten Staffel (22 Folgen) einzelne Szenen transkribiert. Die vorherrschenden Inhalte bzw. Diskurse wurden herausgefiltert und zur Grundlage für die Analyse der Hauptcharaktere sowie als Basis zur Erstellung der Befragungswebsite herangezogen. Als methodische Grundlage diente hier die Diskursanalyse, da durch das Herausarbeiten sämtlicher Diskurse und einem Vergleich mit den von den Fans aufgenommenen Diskursen die vorherrschenden Bedeutungszuschreibungen sichtbar gemacht werden konnten. Das methodische Vorgehen orientiert sich an den Auswertungsschritten, die Rita Seitz (1994) in ihrem Artikel »Prisoner of Gender/Prisoner of Discourse« als mögliche Herangehensweise empfiehlt: Zunächst ist es bedeutend, die Objekte eines Textes zu erkennen und hinsichtlich der Frage zu untersuchen, worum es sich handelt. In einem zweiten Schritt wird geklärt, welche Subjekte den Text bestimmen, warum sie so dargestellt werden, wie sie dargestellt werden, welche Wünsche oder Fantasien dadurch möglicherweise angeregt werden, etc. Weiters ist herauszufinden, welches Weltbild hinter einem Diskurs steckt, welche verschlüsselten Ideologien oder Symbole, welche Widersprüche und Argumentationslinien, und in einem vierten Schritt schließlich werden Diskurse einander gegenübergestellt und diskutiert. Die jeweilige Textform sollte außerdem mit anderen verglichen werden, die historische
Methoden
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Verankerung herausgearbeitet sowie unterstützende Institutionen und die reproduzierten Machtbeziehungen aufgezeigt werden (vgl. Seitz 1994 183ff.). Diesen Analyseschritten folgend wurden sowohl die für die Fans in erster Linie bedeutenden Diskmse herausgearbeitet als auch gegenläufige Diskurse, die entweder abgelehnt oder gar nicht erst aufgegriffen wurden. Parallel zu diesen Untersuchungen wurde eine Genreanalyse zum Bereich Mystery durchgefiihrt, dem die Serie »Charmed« zugeordnet werden kann. Diese Analyse zeigte sich als grundlegend, da ein großer Teil des Fernsehvergnügens erst durch das Wiedererkennen bestimmter Genrekonventionen entsteht. Ein Wiedererkennen ermöglicht ein Zurechtfinden in der jeweiligen Film- oder Fernsehwelt und gestattet es den Rezipientinnen auf diese Weise, einzelne Elemente von Filmen vorherzusehen und sie so verständlicher und erklärbarer wahrzunehmen (vgl. Winter 1995: 177). Genres bieten einen Rahmen der Wiedererkennung. In dieser Funktion spiegeln sie auch gesellschaftliche Schwierigkeiten, Erwartungen, Wünsche und Ängste. Durch die ständigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Weiterentwicklungen rollen Genres immer neue Themen auf und bearbeiten sie in veränderter Form. Sie nehmen sich bestimmter Themen und Konflikte an, die spezifisch aufgearbeitet werden und schaffen auf diese Weise auch Befriedigung, da sie eben diese speziellen Themen aufgreifen, sie ausführen und schließlich auf die eine oder andere Art auflösen. Gemes sind aufgrund der vielen Veränderungen und Entwicklungen nie wirklich abgeschlossen und so sind auch Genreanalysen nie endgültig und klar eingegrenzt. Trotzdem ist es, wie bereits ausgefllhrt wurde, fllr ein Film- oder Fernseherlebnis von zentraler Bedeutung, Produktionen einordnen zu können. Aus diesem Grund wurde in der vorliegenden Arbeit der Bereich Mystery als Geme definiert und seine möglichen Grenzen diskutiert. Als Basis fiir die Genreanalyse dienten die Arbeiten von Andrew Tudor (1989) und Rainer Winter (1992), die sich zwar ausführlich mit dem Genre Horror beschäftigten, aber trotzdem allgemein anwendbare Rahmenbedingungen zur Einordnung von Genres zur V erfligung stellen. Diese Rahmenbedingungen, die in Kapitel 4 genauer erläutert werden, wurden herangezogen, um das Genre Mystery anhand einzelner Serien und Spielfilme nachzuzeichnen und »Charmed« somit einordnen zu können. Im Anschluss an die Genreanalyse und unter Einbeziehung der Ergebnisse der Serienanalyse wmde ein Befragungsmodell entworfen, um eine Fanbefragung im Internet durchzuführen. An dieser Befragung beteiligten sich über 700 »Charmed« Fans aus der ganzen Welt. Auf eine speziell für dieses Projekt programmierte Website wurden Fragen gestellt, die von den Fans in ein E-Mail kopiert und dort individuell beantwortet wurden. Insgesamt antworteten ca. 700 Fans auf die Fragen. 660 ihrer E-Mails enthielten mehrfach auswertbare Informationen, die in die Analyse miteinbezogen werden konnten. Jedes E-Mail wurde von mir
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individuell beantwortet und die einzelnen Stellungnahmen in eine Datenbank eingetragen. Die Datenbank wurde zu dem Zweck erstellt, einzelne Kategorien miteinander vergleichen zu können. Als Kategorien wurden gewählt: weiblich, männlich, Altersgruppen, Herkunft sowie die einzelnen Fragen. Somit wurde es möglich, beispielsweise Frage 15 in der Kategorie Europa, bis 16 Jahre, weiblich mit der Kategorie Europa, bis 16 Jahre, männlich, zu vergleichen und nach signifikanten Merkmalen, Unterschieden und Übereinstimmungen zu durchsuchen. In meiner Studie sollte aber nicht nur der Umgang mit Fanpages untersucht werden, sondern auch die Fanpages an sich. Zur Analyse derselben wurde ein Modell aufgestellt, das die Fan-Websites in drei Ebenen einer möglichen Teilnahme an Online-Fansozialwelten einteilt und deren Bedeutung ftir die Fans und Nutzung durch dieselben beschreibt. Es zeigt die Möglichkeiten auf, die Fans auf Websites vorfinden bzw. deren Bereitschaft, sich auf die jeweilige Fansozialwelt einzulassen und sich selbst zu positionieren. Außerdem lässt es auf jeder Ebene Formen von Bedeutungskonstruktionen deutlich werden, die von Fans genutzt bzw. geschaffen werden. Insgesamt wurden über 200 Websites von Fans auf ihre Inhalte hin untersucht und die einzelnen Elemente nach Themenbereichen und Häufigkeiten sortiert. In Kombination mit Informationen über die Nutzung der unterschiedlichen Bereiche, kristallisierten sich deutliche Strukturen heraus, die sich schließlich in ein Modell fassen ließen. Das Modell umfasst drei Ebenen, die aufeinander aufbauen bzw. von einander abhängig sind und unterschiedliche Stufen von Fanintensität zeigen: Die erste Stufe ist dlU'ch Kommunikation und Wissensaneignung gekennzeichnet, die zweite Stufe lädt Fans bereits zur spielerischen Auseinandersetzung mit den Inhalten ein und auf der dritten Stufe nehmen Fans bewusst und aktiv bestimmte Positionen ein und lassen sich emotional auf unterschiedliche Thematiken ein. Methodisch basiert dieses Vorgehen auf der »Grounded Theory«. Nach dieser Theorie wird davon ausgegangen, dass sich während der Auseinandersetzung mit dem gewonnenen Datenmaterial theoretische Konzepte und Zusammenhänge herauskristallisieren. Das Datenmaterial steuert den Forschungsprozess und es liegt an den Forscherlnnen, die Strukturen herauszuarbeiten (vgl. Hildenbrand 2000: 33). In diesem Sinne wurde sämtliches Datenmaterial nach AuffäHigkeiten und Zusammenhängen untersucht, die sich am Ende zu aussagekräftigen Ergebnissen fassen ließen.
2.
FAN-KONZEPTE UND DIE ROLLE DER MEDIEN IN DER BILDUNG VON FANGEMEINSCHAFTEN
Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich die Konzepte von Fans und Fangemeinschaften stark gewandelt. In der wissenschaftlichen Diskussion hielt sich lange Zeit eine äuße1t negative Darstellung von Fans und deren Verhaltensweisen. Trotzdem konnten viele neue Ansätze und Sichtweisen entwickelt werden, die Fans nicht nm mit negativen Eigenschaften in Zusammenhang bringen, sondern deren Aktivität, Kreativität und Produktivität hervorstreichen. In jüngerer Zeit, vor allem auch in Bezug auf die vielfältig entstandenen Internet-Gruppierungen, ist das Interesse an Fangemeinschaften - Communities - wieder zunehmend in den Blickpunkt der Forschung getückt. Da der Gemeinschaftsbegriff, vor allem im Hinblick auf das Internet, heftig umstritten ist, soll dieses Problemfeld zunächst kurz dargelegt werden, um schließlich auch zu einem für diese Arbeit grundlegenden Verständnis von Gemeinschaft zu kommen.
GEMEINSCHAFTEN- COMMUNITIES
Der Begriff der Gemeinschaft zeigt sich schon seit langem viel diskutiert. Mit dem Aufkommen der neuen Medien bzw. dem Internet hat die Diskussion allerdings einen neuen Aufschwung erfahren. Kann im Internet, einem virtuellen Ort, von Gemeinschaft überhaupt noch die Rede sein? Bezeichnet der Begriff Community 1 zu Recht eine tatsächliche Gemeinschaft oder handelt es sich hierbei nur um lose Gruppierungen? Im Cyberspace haben sich tausende Gruppierungen von Menschen gebildet, die Informationen austauschen, diskutieren, spielen, Geschäftliches erledigen, etc. Viele dieser Gruppen sind gut organisiert, allerdings argumentieren Kritikerinnen dennoch, dass diese Gruppen keine wirklichen Gemeinschaften darstellen, weil ihnen etwas fehlt, das sie nur zu einem 1 Die Begriffe Gemeinschaft und Community werden im Folgenden synonym verwendet, wie es auch in zahlreichen anderen Arbeiten gehandhabt wird.
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schwachen Abklatsch von traditioneller Face-ta-face-Kommunikation macht (vgl. Kollok/Smith 1999: 16). Christian Stegbauer (2001) beispielsweise zweifelt daran, dass aus internetbasierenden Kommunikationsgruppen je Gemeinschaften werden können, da seiner Meinung nach die Verbindungen, die über das Internet geschaffen werden, nur auf einigen wenigen gemeinsamen lnteressensgebieten beruhen. Zudem erschwert die jeweils unterschiedliche Herkunft die Kommunikation untereinander, bestehende Verbindungen zeigen sich als nicht allzu stabil und so scheint der Gemeinschaftsbegriff nicht angebracht. Stegbauer geht zudem davon aus, dass die jeweiligen Teilnehmerinnen der Kommunikationsgruppen nur am Austausch von Informationen interessiert sind und nicht an den Beziehungen zu anderen Personen selbst. In diesem Sinne handelt es sich für ihn an dieser Stelle noch nicht einmal um Wertegemeinschaften (vgl. Stegbauer 2001: 67f.). Er schließt seine vorläufige Diskussion um Gemeinschaften mit folgenden Worten: »Um Verständigung zu erleichtern, sollte man sich in der soziologischen Diskussion an möglichst klare, an das klassische begriffliche Fundament anknüpfende Definitionen halten. Vor dem Hintergrund der mehr als ein Jahrhundert alten sozialwissenschaftliehen Diskussionen halten wir fest: praktisch kein einziger internetbasierender Kommunikationsraum lässt sich als Gemeinschaft bezeichnen« (Stegbauer 2001: 71 ).
Auch wenn möglichst klare Definitionen oft gewünscht sind, so sollten theoretische Überlegungen zeitliche Entwicklungen und Veränderungen nicht aus dem Blick verlieren und Wissenschaftlerinnen nicht zwangsläufig an alten Konzepten und Definitionen festhalten, nur weil schon seit Jahren mit ihnen gearbeitet wurde. Die raschen Entwicklungen der letzten Jahre dürfen nicht übergangen werden, sondern verlangen eher den BegriffCommunity erneut zu betrachten (vgl. Watson 1997: 103). Mancherorts findet sich auch das Argument, dass Mitglieder von Gemeinschaften eine gewisse physische Nähe zueinander aufweisen müssten, um als Gemeinschaft zu gelten. Dies wäre im Internet nicht gegeben und so könnten, dieser Sichtweise folgend, Gemeinschaften im Internet nicht als solche bezeichnet werden. Dieses Argument wird von anderen Seiten dadurch entkräftet, dass Gemeinschaften, Communities, als soziale Netzwerke gesehen werden. Diese Netzwerke können durchaus in unterschiedlicher Zusammensetzung auftreten, wobei deren Mitglieder nicht zwangsläufig in der unmittelbaren Nachbarschaft leben müssen (vgl. Wellman/Gulia 1999: 333). Watson beispielsweise geht davon aus, dass Communities auf der einen Seite von einfacher Kommunikation abhängen, von einer Verständigung untereinander. Auf der anderen Seite gestalten sich Gemeinschaften aber auch über gemeinsame Interessen und emotionale Gefühle, die während kommunikativer Vorgänge auf-
Vorurteile gegenüber Fans
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kommen und miteinander geteilt werden. Das zentrale Element zur Aufrechterhaltungvon Communities, online und offline, sieht Watson in diesen Formen der Kommunikation (vgl. Watson 1997: 104). Sypher und Collins unterstützen diese Ansichten, wenn sie davon ausgehen, dass das Internet nicht nur zur Informationsbeschaffung genutzt werden kann, sondern durchaus auch soziale Aktivitäten ern1öglicht: »Internet not only allows for passive reception of information, but active engagement in social activities of its own kind« (Sypher/Collins 2001: 193). Gemeinsames Erleben und soziale Beziehungen werden auch von Howard Rheingold als zentrale Elemente von Gemeinschaften erkannt. Virtuelle Gemeinschaften definiert er folgend: »Virtuelle Gemeinschaften sind soziale Zusammenschlüsse, die dann im Netz entstehen, wenn genug Leute diese öffentlichen Diskussionen lange genug führen und dabei ihre Gefühle einbringen, sodass im Cyberspace ein Geflecht persönlicher Beziehungen entsteht« (Rheingold 1994: 16). Rheingolds Definition virtueller Gemeinschaften legt sicherlich einige Diskussionspunkte offen, wie zum Beispiel die Frage, wie viele Leute denn >genug Leute< sind oder wie lange >lange genug< ist. Trotz allem scheint diese Definition geeignet, da sie auf die besonderen Beziehungsverflechtungen verweist, die durch den Austausch von Gefühlen aufkommen und dadurch eine eigene Bedeutung erlangen. Nicht zu vernachlässigen ist außerdem die Tatsache, dass sich Mitglieder von Communities als Teil einer Gemeinschaft fühlen (vgl. Watson 1997: 105). Die Besonderheit von Gemeinschaften ergibt sich schlussendlich nicht durch festgeschriebene Regeln oder Richtlinien der Teilnahme, sondern durch ein Gefühl der Zugehörigkeit, Zusammengehörigkeit und Akzeptanz durch andere. Im Folgenden wird, Bezug nehmend auf Rheingold, unter Gemeinschaft oder Community also ein Geflecht persönlicher Beziehungen verstanden, das durch das Einbringen von Gefühlen zur jeweiligen Besonderheit gelangt. An dieser Stelle sei aber bereits auch angemerkt, dass nicht jeder Besuch einer Website automatisch mit einer Teilnahme an einer Community gleichgesetzt werden darf. Um Teil einer Gemeinschaft zu sein, muss auch wirklich aktiv und bewusst an der Konstruktion der Beziehungsgeflechte gearbeitet und die eigenen Gedanken und Gefühle eingebracht werden.
VORURTEILE GEGENÜBER FANS
Es gibt viele unterschiedliche Arten von Fans: Sport- und Musikfans, Fans von Film und Theater - fast jede Richtung hat ihre Anhängerlnnen, ihre Fans. Nicht jede Richtung weiß ihre Fans aber als das zu schätzen, was sie sind: begeisterte Liebhaberinnen. Vor allem Fans von Film und Fernsehen sehen sich immer wieder mit schweren Vorurteilen konfrontiert. Henry Jenkins (1992) hat in seinem Buch »Textual Poachers« die
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alten Konzepte und Sichtweisen des medialen Fantums zusammengefasst. Er erklärt, dass Fans oft als Psychopathinnen bezeichnet wurden, deren Handlungen sogar gewalttätige Formen annehmen könnten und er verweist hierbei auf Fälle, in denen Fans sogar versucht haben, ihre Idole zu ermorden. Erklärt wurde ein derartiges Verhalten stets mit dem stereotypen Konzept, dass Fans emotional unstabile Personen seien, die aus einem schwierigen sozialen Milieu stammten und Probleme mit der Realität hätten (vgl. Jenleins 1992: 13). Auch Joli Jenson spricht in dem Aufsatz »Fandom as Pathology« von einer ähnlichen, nicht haltbaren Sichtweise: »The fan is consistently characterized (referring to the term's origins) as a potential fanatic. This means that fandom is seen as excessive, bordering on deranged behaviour« (Jenson 1992: 9). In Bezug auf die so genannten »Trekkies«, Fans der Reihe »Star Trek«, fasst Jenleins außerdem folgende Vorurteile zusammen, denen Fans immer wieder gegenüberstehen: hirnlose Zuschauerlnnen, die alles kaufen, was mit dem Film oder den Schauspielerinnen zu tun hat; widmen ihr Leben der Wissensaneignung von unwichtigen Filmdetails; soziale Außenseiterinnen die so besessen sind, dass sie an keinen anderen Aktivitäten Interesse zeigen; infantil, emotional und intellektuell unreif; unfähig, Realität und Fantasie zu unterscheiden (vgl. Jenleins 1992: 10). Viele dieser Vorurteile haben sich als nicht haltbar erwiesen. Fans sind nicht zwangsläufig Außenseiterlnnen, sie sind nicht automatisch Menschen, die anderen intellektuell unterlegen sind. Diese stereotypen Zuschreibungen sind Vorurteile, die aus unterschiedlichen Begründungen konstruiert werden. Rainer Winter beispielsweise hat sich näher mit diesen Vorurteilen gegenüber Fans beschäftigt und auf die Suche nach den Ursachen daflir gemacht. Als eine wichtige Begründung nennt er: »Im wesentlichen ist diese Ausgrenzung und Stigmatisierung darauf zurückzuführen, dass sich die Personen, die als Fans bezeichnet werden, mit Produkten der Populärkultur auseinandersetzen. Wenn sich jemand mit den Werken von Shakespeare, Goethe oder Beethoven beschäftigt, ist seine Tätigkeit bereits durch ihren Gegenstand nobilitiert. Man wird ihm lntellektualität und Vernunft zuschreiben. Ein Madonna-Wannabe oder ein Batman-Fan werden dagegen in der Regel als emotional unreif und kindisch betrachtet« (Winter 1997: 41 ).
In den Studien zur TV-Serie »Charmed« finden sich in dem einen oder anderen E-Mail ebenfalls immer wieder Aussagen, die sich den negativen Sichtweisen anschließen und Fanverhalten als unreif abwerten. So schrieben beispielsweise zwei der Befragten: »Ich weiß nicht, warum man auf >Fan-Sein< stolz sein sollte.« E-Mail D11/06/1
Neue Fankonzepte
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»Stolz?? Wie könnte man drauf stolz sein, seine Zeit vorm Fernseher zu vergeuden?« E-Mail 003/05/1
Besonders Vorlieben, die mit bestimmten Filmen oder Fernsehserien in Zusammenhang stehen, werden oft als dumm, unreif oder unbedeutend abgetan, aber auch wenn Fans zum Teil immer noch negative Eigenschaften zugeschrieben werden, so hat sich zumindest ihr wissenschaftliches Bild doch etwas gewandelt und Fanwelten als interessante und spannende Bereiche erkannt.
NEUE FANKONZEPTE
Mittlerweile haben sich viele Wissenschaftlerinnen von den alten Ansätzen und Sichtweisen distanziert und Fans als sogar besonders kritische, aktive und produktive Rezipientinnen erkannt. In ihrem Buch »Reading the Romance« setzt sich Janice Radway (1984) mit weiblichen Fans von Liebesromanen auseinander. Durch Interviews und mittels Fragebögen versuchte sie zu ergründen, worin der Reiz des Lesens dieser Bücher besteht und wie die Frauen mit ihren Leseerlebnissen umgingen. Bei ihren Untersuchungen fand sie unter anderem heraus, dass das Lesen der Liebesromane für die Frauen in erster Linie eine Flucht aus dem Alltag darstellte. Überdies brachte sie in Erfahrung, dass die betreffenden Frauen nicht nur gerne über ihre Bücher redeten, manche gaben sogar an, sich an ihren fiktiven Vorbildern orientiert und ihr Leben nach den Lebensweisen ihrer Idole geändert zu haben (vgl. Radway 1984: 96f.). Janice Radway erkennt Fans als aktive und bewusste Leserinnen, die sich aus persönlichen Gründen gezielt mit einer bestimmten Thematik auseinandersetzen. Gerade aufgrund ihrer aktiven Auseinandersetzung stellen sie sich nicht als emotional oder intellektuell unreif dar, sondern vielmehr als äußerst kritisch und anspruchsvoll. In ihrem Buch »Watching Dallas« spricht Ien Ang (1986) in Bezug auf Fans der TV-Serie »Dallas« über ähnliche Erkenntnisse. In 42 Briefen legten »Dallas« Fans ihre Einstellungen und GeHihle in Bezug auf die Serie offen und ermöglichten Ien Ang erste Fananalysen. Ähnlich wie Radway erkannte Ang, dass für viele Fans das Fernsehen Erholung und Entspannung nach einem harten Arbeitstag brachte (vgl. Ang 1986: 30f.). Für »Dallas« Fans bestand das allgemeine Vergnügen aber in erster Linie darin, dass sie sich mit den Charakteren identifizieren und sie auf die eine oder andere Art und Weise in ihr Alltagsleben integrieren konnten. Sie konnten sie als >reale< Personen erkennen bzw. wiedererkennen (vgl. ebd.). Die Schwierigkeiten und Probleme, die sich im Leben der Darstellerinnen ergaben, konnten von den Fans als realistisch empfunden werden und so schrieben sie den Geschehnissen emotionale Bedeutungen zu. Die Ereignisse waren für die Fans in der Weise real, als sie die Gefühle
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und Emotionen der Situationen erkennen und sich selbst darin wiederfinden konnten. Damit lebten sie sozusagen mit ihren Charakteren in einer >emotionalen Realität< mit (vgl. ebd.). Dieses Erleben der persönlichen, individuellen Wirklichkeit ist entscheidend für eine vergnügliche Rezeption. Radway und Ang folgten, wie auch einige andere es taten, neuen Ansätzen, die davon ausgingen, dass die Bedeutung von Kultur bzw. Populärkultur viel besser erfasst werden könnte, wenn die jeweiligen Rezipientinnen selbst nach ihren eigenen Interpretationen, Erfahrungen und ihrem Umgang mit den medialen Inhalten befragt würden (vgl. van Zooneu 1994: 106). Fans sind auf ihrem Gebiet quasi Expertinnen und verleihen den Produktionen erst ihre Bedeutungen. Serien oder Filme werden erst erfolgreich, wenn ihnen die Zuschauerinnen besondere Bedeutungen verleihen. Henry Jenkins ging einen Schritt weiter und versuchte Fangemeinschaften als Fankulturen zu beschreiben. Zunächst definierte er den grundlegenden Unterschied zwischen eine Serie einfach anzusehen oder ein Fan einer Serie zu sein. Ein Fan zu sein bedeutete für ihn, dass sich die Rezipientinnen auf unterschiedlichen Ebenen emotional und intellektuell in ein Geschehen verwickeln lassen (vgl. Jenkins 1992: 56). In dieser Art sind Fans schließlich nicht mehr nur Adressatinnen von Texten, sondern werden, im Sinne der Cultural Studies, zu aktiven Mitspielerinnen im Kampf um Bedeutungen (vgl. Jenkins 1992: 24). Fansein endet nicht mit der Rezeption. Die Involviertheil in das mediale Geschehen wird von den Fans aus der Rezeptionssituation heraus mit in den Alltag genommen und erhält dort wiederum eigene Bedeutungen. Es entstehen in vielen Fällen sogar große Fankulturen, innerhalb derer Jenkins ftinf Dimensionen identifiziert. Fünf Dimensionen von Fankultur nach Henry Jenkins
1) Fanturn beinhaltet eine spezielle Art der Rezeption Fans nehmen das mediale Geschehen mit besonderer Aufmerksamkeit, einer Mischung aus emotionaler Nähe und kritischer Distanz, wahr. Sie sehen sich Folgen immer wieder an, um bedeutende Details herauszufiltern und um die Erzählung zunehmend unter ihre Kontrolle zu bringen. Mit Vorliebe tauschen sie sich mit anderen Fans aus und wandeln in diesem Sinne die Rezeptionssituation in soziale Interaktionen um, in denen sie durch den gemeinsamen Austausch Bedeutungen konstruieren. Für Fans ist die Rezeption einer Serie erst der Anfang und nicht das Ende des Mediengebrauchs (vgl. Jenkins 1992: 277ff.). 2) Fanturn schafft die Grundlage for die Tatkraft des Einzelnen Fans sind Zuschauerlnnen, die den Produzentinnen auch Rückmeldungen geben. Sie glauben ein Recht darauf zu haben, Urteile abzugeben und ih-
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re Meinungen über die Entwicklungen der einzelnen Serien kund zu tun. Fanturn entsteht zum Teil auch als Antwort auf die augenscheinliche Machtlosigkeit im Vergleich zur Macht der Produzentlnnen. Es bietet eine Plattform, auf der sich Fans über Vorlieben, Abneigungen und Alternativen austauschen können (vgl. ebd.). 3) Fanturn nutzt ein spezielles Methodenset zur Kritik und Interpretation Unterschiedliche Fangemeinschaften haben jeweils spezifische Methoden der Interpretation. Fankritik ist spielerisch, spekulativ und subjektiv. Es werden Parallelen zwischen Episoden und dem eigenen Leben gezogen und oftmals kommt es sogar zur Konstruktion eines Meta-Textes (vgl. ebd.). 4) Fanturn besitzt eigene Formen kultureller Produktion, ästhetischer Traditionen und Praktiken Unter den Fans finden sich immer wieder Künstlerinnen, Schriftstellerlnnen, Filmemacherinnen und Musikerlnnen, die eigene Werke ganz nach dem spezifischen Interesse der Fangemeinschaften schaffen und dieser auch zur Verfügung stellen. Damit entwickelt Fanturn alternative Formen von Produktion und Distribution. Fans sind nicht auf Profit aus, sondern bemühen sich im Gegenteil meist darum, den freien Zugang zu ihren Werken zu erweitern. Oft entdecken einzelne Fans ihr kreatives Potenzial erst, wenn Fanarbeit geleistet und von anderen anerkannt wurde (vgl. ebd.). 5) Fanturnfungiert als alternative soziale Gemeinschaft Fanturn ist weniger eine Fluchtmöglichkeit aus der Realität, als eine alternative Realität, deren Werte oft humaner und demokratischer sind, als in unserer Gesellschaft. »Popular culture« hat eine Dimension, die es ermöglicht, symbolische Lösungen flir wirkliche Probleme und Bedürfnisse zu geben und eine Möglichkeit zu bieten, alternative Kulturen zu konstruieren. Fanturn stellt eine Plattform dar, bestimmte Probleme und Sorgen zu diskutieren, Für und Wider abzuwägen und innere Konflikte zu verarbeiten (vgl. ebd.). Fans und Fankulturen sind für Jenkins weder minderwertig noch unsinnig. Er sieht in Fans aktive Rezipientlnnen, die ihre Filme oder Serien aus einer ganzen Reihe an Angeboten wählen, weil sie für sie persönlich ein besonderes Potenzial bergen, das Ausdruck ihrer kulturellen Interessen ist (vgl. Jenkins 1992: 35). Fans sind nicht emotional oder intellektuell unreif, sondern oftmals sogar Menschen, die in ihren beruflichen Bereichen überqualifiziert sind und deren intellektuelle Fähigkeiten im Job nicht genügend gefordert werden. Sie reagieren darauf, indem sie sich eine >Wochenend-Welt< schaffen, die ihre Kreativität fördert (vgl. Jenkins 1992: 282).
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Jenleins konzentrierte sich in seinen Untersuchungen aber nicht nur auf kleine Fangruppen, er versuchte Fanturn als Fankultur zu beschreiben, die sehr weit reicht und ein großes Potenzial in sich birgt. Vor allem erkannte er im Fanturn soziale Gemeinschaften und nicht nur Einzelpersonen. Gerade im Rahmen dieser sozialen Gemeinschaften bieten sich flir Fans einerseits viele Möglichkeiten der kreativen Auseinandersetzung, andererseits stellen die Gemeinschaften aber auch Orte dar, an denen die Fans diese unterschiedlichen Möglichkeiten unbefangen nutzen können. John Fiske wendet sich ebenfalls gegen die stereotypen, negativen Darstellungen von Fans, in denen sie als hirnlose Zuschauerinnen beschrieben werden, die unkritisch alles aufnehmen und glauben, was ihnen geboten wird. Er ist vielmehr vom Gegenteil überzeugt: »Sie lehnen aber sehr viel mehr ab, als sie annehmen. Fans gehören zu den urteilsstärksten und wählerischsten Gruppierungen. Das kulturelle Kapital, das sie hervorbringen, ist hoch entwickelt und unübersehbar« (Fiske 1997: 71 ). Im Gegensatz zu Jenkins, der die Ansicht vertritt, dass viele Leute sich an der Fankultur beteiligen um ihre Potenziale ausschöpfen zu können, geht Fiske davon aus, dass Fanturn seine Anziehungskraft vor allem auf Menschen in sozial unterprivilegierten Positionen ausübt, »ganz besonders auf jene, die durch eine Kombination der Faktoren Geschlecht, Alter, Klasse oder ethnische Zugehörigkeit gesellschaftlich benachteiligt sind« (Fiske 1997: 54). Er filtert drei Kennzeichen bzw. Merkmale von Fanturn heraus, betont aber gleichzeitig, dass nicht bei allen Fangemeinden diese drei Merkmale in gleicher Weise ausgeprägt sein müssen. Drei Merkmale von Fanturn nach John Fiske
I) Abgrenzung und Unterscheidung Fans ziehen oft ganz genaue Grenzen zwischen der Fangemeinde und dem Rest der Welt und überwachen diese auch. Beide Seiten investieren in die Aufrechterhaltung dieser Unterscheidung viel Arbeit (vgl. Fiske 1997: 58ff.). 2) Produktivität und Partizipation Fans sind außerordentlich produktive Rezipientinnen und äußern ihre Kreativität vielfach durch semiotische, enuntiative2 oder textuelle3 Produktivität (vgl. ebd.).
2 Einzelne Bedeutungen werden im Inneren der Fans erzeugt. Sobald sie allerdings ausgesprochen werden und in Wechselwirkung mit anderen treten, erhalten sie eine öffentliche Form, die als sogenannte enuntiative Produktivität bezeichnet werden kann. Enunziation passiert nur im Moment des Sprechens und erzeugt somit kulturelles Kapital. 3 Fans werden aber auch textuell produktiv. Sie stellen Texte her und tauschen sich untereinander aus, wobei sie hierbei nicht auf Gewinn aus sind, sondern tendenziell selbst viel mehr investieren, um eine Verbreitung ihrer Texte zu ermöglichen.
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3) Kapitalakkumulation Das kulturelle Kapital der Fans besteht »in der genauen Kenntnis und Wertschätzung von Texten, Künstlern und Ereignissen« (vgl. ebd.). Fans versuchen soviel Wissen wie nm möglich anzuhäufen, da diejenigen, die das größere Wissen besitzen, als Meinungsführerinnen anerkannt und geschätzt werden. Dazu zählt auch das Sammeln von allem, was mit den Objekten ihrer Leidenschaft zusammenhängt. Hierbei liegt die Besonderheit aber nicht im materiellen Wert der Dinge - es geht vielmehr um die Größe oder Vielfalt einer Sammlung, um einzigartige Stücke, die für Fans einen immensen immateriellen Wert besitzen. Mit den drei Merkmalen von Fanturn beschreibt Fiske, dass Fans zum einen besonderen Wert auf abgegrenzte Fangemeinschaften legen, also darauf, unter sich und unbeobachtet zu sein. Zum anderen haben Fans einen besonderen Umgang mit Medienproduktionen entwickelt. In ihrem Fanverhalten zeigen sie, dass sie in ihrer Auseinandersetzung mit den medialen Inhalten kreatives Potenzial freilegen und dieses auch produktiv, in einer Herstellung von Texten, äußern können und wollen. Durch ihr Wissen und ihre Beschäftigung mit den Inhalten schaffen sie ein außerordentliches kulturelles Kapital, das ihnen innerhalb ihrer Fankulturen bestimmte Positionen zuweist und somit einen gewissen Grad an Anerkennung zukommen lässt. Rainer Winter hat diese außergewöhnliche Produktivität der Fans besonders hervorgehoben und eines seiner Bücher in diesem Sinne auch »Der produktive Zuschauer« (1995) betitelt. In diesem Buch beschreibt er Fansozialwelten von Horror Fans und identifiziert ebenfalls besondere Kennzeichen von Fanturn bzw. von Fansozialwelten. In seinen Untersuchungen geht Rainer Winter, wie viele andere, von einem sehr produktiven und aktiven Fanbild aus. Fans setzen sich mit Produkten der Kultru-industrie auseinander und schaffen in ihrer Auseinandersetzung damit quasi eine eigene Kultur (vgl. Winter 1993: 282). Sie verfügen über ein großes populärkulturelles Kapital, »das aber nur im Rahmen ihrer Fankultur Anerkennung findet« (Winter 1995: 213) und von vielen außerhalb dieser Kultm stehenden Menschen als lächerlich oder unwichtig abgetan wird. Fans sind jedoch keineswegs ungebildet oder ihre Beschäftigungen lächerlich, im Gegenteil: Gerade weil sie sich sehr intensiv mit Produkten der Kulturindustrie auseinandersetzen, sind sie auf dieser Ebene sehr >gebildetUnechten< Fans oder Außenstehenden ist flir die Horror Fans von großer Bedeutung. Vor allem bei großen Fantreffen (Conventions) sind unbeteiligte Besucherlnnen, all jene, die nicht zur Gemeinschaft gehören, entweder nicht gerne gesehen oder sie werden sogar ausgeschlossen (vgl. Winter 1992: 124). 3) Teilnahme an der Sozialwelt Während seiner Studien im Bereich der Horror Fans konnte Rainer Winter außerdem vier Idealtypen von Fans identifizieren, die sich durch eine besondere Form der Auseinandersetzung und ein spezifisches Handeln in diesem Zusammenhang auszeichnen: a) Fremde oder Novicen Sie können im eigentlichen Sinn noch nicht als Fans bezeichnet werden, sondern halten sich eher am Rande der Sozialwelt auf. Sie sind an Ereignissen und Aktivitäten innerhalb der Sozialwelt nicht sonderlich interessiert (vgl. Winter 1995: 162ff.). b) Touristinnen Sie betreten zunächst die Sozialwelt und zeigen Interesse an den Ereignissen und Aktivitäten der Fans. Für Touristinnen steht die Neugier im Vordergrund, alles kennen zu lernen und hinter die Kulissen der Produktion blicken zu können. Touristinnen sind zwar interessiert, aber noch keine richtigen Expertinnen für die Themen und Inhalte (vgl. ebd.). c) Buffs Sie sind bereits wesentliche Trägerinnen der Fansozialwelt Es besteht ein dauerhaftes Interesse an den Filmen, aber auch an verschiedenen weiteren Aktivitäten und unterschiedlichen Fanproduktionen. Die Bindung an die Sozialwelt ist bereits so stark, dass sich viele der Mitglieder untereinander kennen (vgl. ebd.).
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d) Freaks Sie stehen mitten im Zentrum der Sozialwelt, gehören aber gleichzeitig der kleinsten Gruppe von Fans an. Freaks bilden eine Art >Elite< und organisieren Treffen, Festivals oder geben Fanzines heraus. Vom Buffunterscheiden sie sich in erster Linie dadurch, dass die eigene Produktivität den gleichen Stellenwert einnimmt, wie die Rezeption. Freaks pflegen sehr enge Kontakte zu anderen Fans und stehen auch in der Außenwelt zu ihren Vorlieben (vgl. ebd.). 4) Produktivität in Bezug auf Bedeutung und Vergnügen Fans sind, wie schon so oft betont, äußerst produktiv. Sie geben Fanzines heraus, veranstalten Treffen, verfassen eigene Werke oder gestalten Rätsel und Quizspiele. Sie interpretieren Filme oder schreiben Fortsetzungen, versuchen amateurwissenschaftliche Analysen, zeichnen Comics, verfilmen kurze Sequenzen oder kombinieren unterschiedliche Elemente neu (vgl. Winter 1997: 49ff.).
Mit diesen vier Bereichen beschreibt Winter eine Fansozialwelt, die zwar in erster Linie auf Horror Fans zugeschnitten, aber nicht auf sie begrenzt ist. Das Neue an seinen Erkenntnissen ist unter anderem, dass die heutigen Fansozialwelten ein weltweites Netz aufbauen und sich über computervermittelte Kommunikation und Interaktion austauschen bzw. Wissen aneignen. Außerdem zeigen Fans Formen von Produktivität, wie sie bisher kaum erlebbar waren. Gerade in diesen besonderen Formen von Produktivität werden Fans aufs Neue als aktive und kreative Rezipientinnen erkannt, die sich bewusst und konzentriert bestimmten Medieninhalten zuwenden. In seinem Buch »Fan Cultures« setzt sich Matt Hills (2002) mit vielen bisherigen Theorien zu Fans und Fanturn auseinander und zeigt deren Möglichkeiten und Grenzen auf. Unter folgenden Aspekten versucht er eine Annäherung an Fankulturen: 1) Fankulturen zwischen >Konsum< und >Widerstand< 2) Fankulturen zwischen >Gemeinschaft< und >Hierarchie< 3) Fankulturen zwischen >Wissen< und >Rechtfertigung< 4) Fankulturen zwischen >Fantasie< und >Realität< 1) Fankulturen zwischen >Konsum< und> Widerstand< Fans finden sich an einem Schnittpunkt, an dem sie einerseits als Konsumentinnen gesehen werden, andererseits aber gerade auch als widerständig gegen die Einflüsse der kapitalistischen Gesellschaft. Sie kaufen Bücher, Comics und Videos, drücken aber gleichzeitig auch ihre nichtkommerziellen Orientierungen aus (vgl. Hills 2002: 27ff.).
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2) Fankulturen zwischen >Gemeinschaft< und >Hierarchie< Jede Fankultur schafft nicht nur eine Gemeinschaft, sondern auch soziale Hierarchien, in denen Fans ihre Interessen austauschen, gleichzeitig aber auch um Fanwissen und Status wetteifern (vgl. ebd.). 3) Fankulturen zwischen >Wissen< und >Rechtfertigung< Fans selbst zu befragen ist in vielerlei Hinsicht wichtig flir die Betrachtung von Fankulturen. Allerdings ist das, was Fans äußern, noch kein Fachwissen über Fankulturen an sich, sondern muss erst interpretiert werden, bevor Fankulturen genauer beschrieben werden können (vgl. ebd.). 4) Fankulturen zwischen >Fantasie< und >Realität< Ohne die Leidenschaft der Fans, deren emotionales Mitleben, könnten Fankulturen, wie wir sie heute vorfinden, nie entstehen. Die Begeisterung von Fans hat eine spielerische Ebene, auf der Fankulturen nicht nur kreiert, sondern Fans auch emotional >eingefangen< werden können (vgl. ebd.). Hills diskutiert in diesen vier Bereichen unterschiedliche Konzepte von Fans und Fankulturen und zeigt die Schwächen bisheriger Modelle auf sowie Sichtweisen, die lange Zeit vernachlässigt wurden. Aufgrund der raschen technischen Entwicklungen geht er außerdem aufneue Fragestellungen ein, die das Internet und im Speziellen die news groups mit sich gebracht haben. Er sieht Fankulturen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt und Fans damit quasi oftmals als >Grenzgängerlnnenwirkliche< Leben dienen, die Menschen Gefahr liefen, ihre sozialen Kontakte zu verlieren und vor dem Computer zu vereinsamen. Diese Befürchtungen bestätigten sich nicht, im Gegenteil, es wurden viele Anzeichen dafür gefunden, dass die Entwicklungen in ganz andere Richtungen verlaufen (vgl. Baym 2000: 204). Das Online-Verhalten der Userinnen spiegelt deren Verhalten offline wider. Interessen oder Sorgen, die im eigenen Leben auftreten, werden online nicht nur durch die Art der Kommunikation spürbar, sondern oftmals sogar konkret angesprochen. Umgekehrt nimmt die Online-Kommunikation auch Einfluss auf das Leben offline. Ausgesprochenes wird überdacht und man sorgt sich um andere oder freut sich mit anderen, noch lange Zeit nachdem die Unterhaltung stattgefunden hat (vgl. ebd.): »Ünline worlds develop affective dimensions and experiences, and these feelings, situated in the bodies of group members, do not distinguish between virtual und real« (Baym 2000: 205). Mit aufkommender Aktualität bezog auch Henry Jenleins das Internet in seine Überlegungen mit ein. Das Internet stellt ftir ihn eine ideale Grundlage des Austausches und der Schaffung einer Fankultur dar. Im Besonderen streicht er hervor, dass die Mitglieder von Communities auf den Ideen und Fantasien der anderen aufbauen, sie in ihre eigenen Texte integrieren und auf diese Weise einen gemeinsamen Raum konstruieren. So birgt das Web ein enormes Potenzial für die Schaffung einer vielfseichte Massenunterhaltung< ab, weil sie ihre >passiven Zuschauerinnen< in schädlicher Weise beeinflussten (vgl. ebd.). Ein großer Entwicklungsschritt vollzog sich in den 70er-Jahren, als man nicht mehr danach fragte, was denn die Medien mit den Rezipientinnen machen, sondern was die Rezipientinnen mit den Medien machen (vgl. ebd.). Diese neue, aktive Sichtweise von Rezipientinnen brachte viele weitere interessante Konzepte mit sich. Den medienpädagogischen Geschichtsverlauf mitberücksichtigend, ergeben sich in Bezug auf die Fangemeinschaftsbildung durch Medien einige interessante Punkte:
Gemeinschaftsbildung
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Mit den ersten Filmen und Fernsehserien meldeten sich auch die ersten Fans zu Wort- wenn zu Beginn auch noch sehr leise. Da die Inhalte von Film und Fernsehen lange Zeit äußerst umstritten und viel kritisiert waren, zeigte es sich bei den meisten selbstverständlich nicht als vordringlichster Wunsch, sich öffentlich zu derartigen Produktionen zu bekennen und sich als stolzer Fan zu präsentieren. Es gestaltete sich als mühsam, mit Fans in Kontakt zu treten - wie sollte man zu Namen und Adressen gelangen? In zufälligen Gesprächen entdeckte man natürlich leicht gemeinsame Interessen, darüber hinaus erwies es sich aber als schwierig, andere Fans kennen zu lernen. Erleichtert wurde die Kontaktaufnahme sowie die Informationsbeschaffung durch vereinzelt entstandene Fanzines, die über Neuigkeiten berichteten, gemeinsame Treffen arrangierten oder Briefkontakte ermöglichten. Das älteste bekannte Fanzine stammte aus dem Jahr 1930 und hieß »Comet«. Es handelte sich dabei um eine britische Zeitschrift für Science-Fiction Fans (vgl. http://www.yourency clopedia.net). Mit der Anerkennung als aktive Rezipientinnen in den 70er-Jahren erlangten auch die Fans einen bedeutend positiveren Status und traten stärker in den Vordergrund. Die technischen Entwicklungen erleichterten den Fans vieles, zum Beispiel auch die Produktion von Fanzines, und die Menschen äußerten sich deutlicher und bekannten sich zusehends zu ihren bevorzugten medialen Produktionen. Zu dieser Zeit schienen die Fangemeinschaften zu wachsen und so kam es 1972 bereits zu einem ersten großen Treffen, einer Convention zur Serie »Star Trek«, die hunderte von Anmeldungen aus den unterschiedlichsten Ländern zu verzeichnen hatte (vgl. http://www.members.aol.com/t:rexnexus). In dieser ersten langen Phase, von den Anfängen des Films weg, änderten sich natürlich die Formen der Fangemeinschaftsbildung. DieMedien spielten in der Pangemeinschaftsbildung aber insofern immer eine ähnliche Rolle, als es sich um Gmppiemngen um ein bestimmtes Medium bzw. Gruppenbildungen über ein Medium handelte. Ein zentraler Punkt des Fanseins ist das Interesse an einem, in diesem Fall, medialen Produkt. So spielen die Medien zum einen also eine Rolle, als sich die Fans ihrer Inhalte wegen um sie gruppieren. Zum anderen ermöglichen unterschiedliche Medien, wie beispielsweise Briefe, Kontakt zu anderen Fans zu halten, weshalb von einer Gruppenbildung über Medien gesprochen werden kann. Ein großer Entwicklungsschritt vollzog sich durch die Nutzung des lntemets. Das Schreiben von Briefen wurde in vielen Fällen durch das Schreiben von E-Mails ersetzt, was flir viele wesentlich einfacher und schneller ging. Außerdem wurden Treffen in virtuellen Räumen mnd um die Uhr möglich und Fans, die über einen Internetzugang verfügten, mussten nicht mehr hunderte Kilometer zu einer Convention fahren oder gar fliegen.
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Die Rolle der Medien änderte sich in dieser zweiten großen Phase der Pangemeinschaftsbildung nun insofern, als nicht mehr nur Gemeinschaftsbildungen über ein Medium, sondern in einem Medium möglich wurden. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass bisherige Formen von Pangemeinschaftsbildung ersetzt wurden, sie wurden vielmehr um eine weitere bereichert. Nach wie vor treffen sich Fans in >real lifekreativ< bezeichnet, weil moderne Hexen nicht einfach nur gut, sondern mit vielen besonderen Eigenschaften und Bedeutungen ausgestattet sind, die Hexen früherer Zeiten in dieser Art nicht zugeschrieben wurden.
3. DER HEXENGLAUBE IM WANDEL DER ZEIT Am 4. Juli 2003 war in den »Salzburger Nachrichten«, einer Österreichischen Tageszeitung, folgender Artikel zu lesen: »Zwei Hexen erschlagen. Elf Inder wurden wegen Mordes angeklagt. Wegen angeblicher Hexerei sind zwei Frauen in Indien erschlagen und ihre Leichen verbrannt worden. Der Dorfrat (Panchayat) von Auratar im zentralindischen Bundesstaat Jharkhand habe befunden, die beiden Frauen seien Hexen, sagte der Polizeichef. Daraufhin hätten die Dorfbewohner sie erschlagen, die Leichen zu einem nahe gelegenen Feld gebracht und sie verbrannt.« (http://www.salzburg.com)
Der Glaube an Hexen hat den Menschen schon seit Jahrhunderten immer wieder große Angst eingejagt. Aus diesem Grund wurden sie verfolgt, getötet und verbrannt. Nicht einmal in unserer >aufgeklärten< Zeit scheinen diese V orgehensweisen ein Ende gefunden zu haben. Doch sind Hexen in den Vorstellungen der Menschen immer noch ausschließlich der Inbegriff des Bösen? Über die Jahrhunderte stellten Hexen für viele Menschen tatsächlich den Inbegriff des Bösen dar. Erst in der zweiten Hälfte der 20. Jahrhunderts fand ein deutlicher Wandel des Hexenbildes statt. Die Figur der Hexe wurde für Frauen zum Symbol des Widerstandes, der Macht und die Entwicklungen führten sogar so weit, dass die guten Superhexen des heutigen Fernsehens zu Vorbildern für junge Leute beiderlei Geschlechts wurden. Wie ist dieser Wandel zu verstehen? Wie konnten es die Hexen so weit bringen, zumindest in den westlichen Ländern als gute und starke Frauen anerkannt zu werden? Um diese Fragen zu beantworten wird in diesem Kapitel in groben Zügen die Entwicklung des Hexenbildes nachgezeichnet- beginnend mit den dunklen Zeiten der Verfolgung und Ermordung.
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TRADITIONELLER HEXENGLAUBE
Die Zeit der legalen Hexenverfolgungen begann in Europa um 1430, endete um 1780 (vgl. Behringer 2002: 53) und umfasste somit einen Zeitraum von ca. 350 Jahren. Entscheidend flir die Entstehung der Hexenverfolgung waren die Entwicklungen des ausgehenden 14. und des beginnenden 15. Jahrhunderts (vgl. ebd.). Diese Zeit war gekennzeichnet von einer hohen Säuglingssterblichkeit, Seuchen und zahlreichen anderen Plagen, von denen die Menschen heimgesucht wurden. Nicht jedes Unwetter oder jede Erkrankung wmde sofort auf das Werk von Hexen zuJückgeführt, aber wenn plötzliche und unvorhersehbare Ereignisse den Alltag der Menschen unterbrachen, konnte wohl nichts anderes als Hexerei dahinter stecken (vgl. Draxelmüller 2001: 176). Als Hexen wurden zunächst Frauen und Männer bezeichnet, denen man zuschrieb schadensstiftende Magie anzuwenden, um die Mitmenschen zu plagen oder sie zu bestrafen (vgl. Levack 1995: 14). Mit allen Mitteln- von der Kirche unterstützt- machten sich einige >Auserwählte< daran, die Schadensstifterinnen aufzuspüren. Einmal eingefangen, wurden sie psychisch und physisch gefoltert, um die Namen weiterer Hexen preiszugeben, die daraufhin ebenfalls gejagt, verhaftet und in vielen Fällen verbrannt wurden. Brian Levack (1995) hat in seinem Buch »Hexenjagd« die sozialen Hintergründe der Hexenverfolgung erforscht. Er fand Unterschiede in der ländlichen und städtischen Hexenverfolgung, die zwar nicht immer zu hundert Prozent zutrafen, aber doch jeweils andere Motive der Verfolgung aufdeckten. Im ländlichen Bereich waren die meisten Anklagen wegen Hexerei auf Aberglauben und ein zu enges Zusammenleben zurückzuführen. Man konnte unerwünschten Personen nicht so leicht aus dem Weg gehen und so fand man in den Anschuldigungen der Hexerei andere Wege, um unangenehme Mitmenschen zu beseitigen. In den städtischen Bereichen ließ sich die Hexenverfolgung weniger auf Aberglauben, als auf unterschiedliche politische Hintergründe zurückführen und so finden sich immer wieder Parallelen zwischen politischen Karrieren und Anklagen wegen Hexerei (vgl. Levack 1995: 128ff.). Die typische Hexe scheint immer schon weiblich gewesen zu sein, obwohl sich immer wieder auch Männer wegen Hexerei vor Gericht verantworten mussten. Frauen galten als moralisch nicht so gefestigt wie Männer und aus diesem Grund auch für die Versuchungen und Verführungen des Teufels anfalliger. Außerdem sah man sie als intellektuell unterlegen und abergläubisch an, was sie in den Augen vieler für die Verlockungen des Bösen empfänglicher machte. Zudem galten Frauen als sexuell zügelloser und gieriger auf sexuelle Befriedigung als Männer, was als ein weiteres Hauptmotiv der Hexerei angesehen wmde (vgl. ebd.).
Hexenglaube
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Gefahrdet waren in erster Linie Frauen, die einem >gefahrlichen< Berufsstand angehörten, wie zum Beispiel Hebammen. Totgeburten und hohe Säuglingssterblichkeit waren in diesen Zeiten selbstverständlich, doch verloren sie in dem Augenblick, als sie als Folge bösen Zaubers gedeutet wurden, ihre Normalität und die Menschen gingen auf die Suche nach den Schuldigen (vgl. Draxelmüller 2001: 176). Außerdem gefahrdet waren Köchinnen und Heilkundige. Köchinnen verfügten über die Fähigkeiten und Gelegenheiten, Tränke und Salben zu mischen, und Heilkundige konnten diese Salben und Kräuter während ihrer Behandlungen leicht anwenden, was sie zu potenziellen Hexen machte. Auf diese V orstellungen sind auch die vielen Darstellungen, die Hexen vor ihren Hexenkesseln bei der Zubereitung ihrer teuflischen Tränke und Salben zeigen, zurückzuführen (vgl. Levacl< 1995: 136f.). Frauen gestand man früher keinerlei Rechte oder Macht zu und so wurde ihnen angelastet, aus Rache dafür Hexerei zu betreiben - die einzige Machtquelle, die ihnen noch offen stand. Anschuldigungen dieser Art lassen erkennen, dass die Angst vor der Macht der Frauen bereits mehrere hundert Jahre alt ist (vgl. ebd.). Nach und nach wurden nicht mehr nur in erster Linie Frauen, sondern auch gezielt Angehörige unterschiedlicher sozialer Gruppen mit politischer Verantwortung verfolgt und getötet - also weniger bäuerliche oder allein stehende Frauen, sondern vor allem reiche Bürger und Adelige, Klerikale oder Angehörige der Regierung (vgl. Behringer 2002: 68), was, wie bereits erwähnt, die politischen Motivationen wieder stärker in den Vordergrund rückt. In den Hexenverfolgungen und Hexenverbrennungen ging es also sehr wohl um politische Macht und Kämpfe um die Vorherrschaft, die vor allem Frauen nicht gewinnen durften. Mary Daly schreibt über die Zeit der Hexenverfolgung: »Das Ziel des Angriffs im Hexenwahn waren Frauen, die nicht durch ihre Assimilation in die patriachale Familie zu definieren waren. Der Hexenwahn richtete sich vielmehr in erster Linie gegen Frauen, die die Ehe abgelehnt hatten (Spinsters) und Frauen, die sie überlebt hatten (Witwen). Die Hexenjäger wollten ihre Gesellschaft (den mystischen Leib) von diesen >unverdaulichen< Elementen reinigen- Frauen, deren physische, intellektuelle, ökonomische, moralische und geistige Unabhängigkeit und Aktivität von Grund auf das auf allen Gebieten herrschende männliche Monopol gefährdete« (Daly 1980: 204).
Mary Daly wurde, als radikale Feministin, in ihren Äußerungen von vielen nicht ernst genommen. Ihre Aussagen galten sehr schnell als übertrieben und wurden als unkritisch abgetan, ihre Sichtweisen und Forderungen nicht weiter berücksichtigt. Dabei war sie nicht die Einzige, die den Hexenwahn und somit die Stellung der Frau unter einem völlig neuen Licht betrachtete. Auch Claudia Honegger (1978) versuchte sehr früh herauszustreichen, dass die Hexenverfolgungen als Ausdruck einer sich bedroht fühlenden patriarchalen Herrschaft verstanden werden sollten.
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Abgesehen davon, dass Frauen zu Zeiten der Hexenverfolgungen in der Überzahl waren und vor allem allein stehende Frauen oder Witwen von der Gesellschaft nicht gerne mitgetragen wurden, fühlte sich auch die entstehende männliche Schulmedizin von dem alten Wissen der Frauen bedroht (vgl. Honegger 1978: 75). Eine aktuelle Definition aus der »International Encyclopedia of Women« aus dem Jahr 2002 unterstreicht schließlich das Phänomen des geziehen Vorgehens gegen Frauen: »The majority of those accused and murdered were women, primarily older, lower-class, single, or widowed. The murder of women Iabeiied as witches was a product of a sociohistorical period in European culture when important religious, economic, and political changes were occurring that threatened the male status quo« (»International Encyclopaedia ofWomen« 2002: 701).
Auch wenn es diese sehr deutlichen Stimmen gab, die in der Hexenverfolgung ein gezieltes Vorgehen gegen bestimmte Gruppen von Frauen sahen, wurden und werden diese doch oft übertönt von Gegenstimmen, die von nicht haltbaren Sichtweisen sprechen. So schreibt Keith Thomas: »Der Gedanke, dass die Hexerei den Kampf zwischen den Geschlechtern widerspiegelte, muss wohl fallengelassen werden, nicht zuletzt deshalb, weil selbst die Opfer und die Zeugen ebenso gut Männer wie Frauen sein konnten« (Thomas 1978: 297). Auch Arno Borst meint in seinem Aufsatz »Anfänge des Hexenwahns in den Alpen«: »Als Hauptbeteiligte treten nämlich in den frühesten Fällen Männer auf, nicht Frauen« (Borst 1990: 4 7). Sich auf dieses Argument stützend, wird in vielen Darstellungen versucht aufzuzeigen, dass weniger Frauen im Mittelpunkt der Verfolgungen standen, als vielmehr Männer. Dieser Versuch scheint allerdings nicht zu gelingen, da sämtliche Fallbeispiele doch wiederum fast ausschließlich Frauenschicksale beschreiben. Über die genaue Zahl der ermordeten Hexen wird ebenso diskutiert, wie über den Prozentsatz der weiblichen und männlichen Angeklagten. Behringer schreibt, dass etwa 75% bis 80% der Angeklagten im europäischen Raum Frauen waren (vgl. Behringer 2002: 67). Trotzdem kommt auch er nicht umhin, an vielen Stellen seines Buches »Hexen. Glaube. Verfolgung. Vermarktung« (2002) darauf hinzuweisen, wie viele Männer angeklagt und getötet wurden: »Kennzeichnend fl.ir die frühen Hexenverfolgungen ist, dass sie sich[ ... ] gegenMännerund Frauen gleichermaßen richteten« (Behringer 2002: 40). Erstaunlicherweise wird in der Folge aber auch in seinen Darstellungen in erster Linie von weiblichen Hexenprozessen und Verbrennungen berichtet. Keiner möchte bestreiten, dass auch Männer dem Hexenwahn zum Opfer fielen, aber es scheint fast so, als wollten manche von der Tatsache, dass die Hexenverfolgung in erster Linie gegen Frauen gerichtet war, ablenken. Hierzu werden auch mit Vorliebe Statistiken aus ande-
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ren Teilen der Welt herangezogen, nach denen angeblich Männer den Kreis der am häufigsten Verurteilten darstellen. Die Zahlen der tatsächlich Verurteilten schwanken. Laut Behringer (2002) wurden in Europa 50.000 Hexen hingerichtet, Levade (1995) spricht von 60.000 Hinrichtungen in Europa, aber auch von nahezu 110.000 Hexenprozessen weltweit und wieder andere Schätzungen Hiliren uns in die Hunderttausende oder Millionen von Menschen, die nicht nur verurteilt, sondern auch hingerichtet wurden. Unabhängig von den genauen Zahlen der Hingerichteten, stellt die Zeit des Hexenwahns eine Periode grausamer Verfolgung, Folter und Tötung von in erster Linie Frauen dar. Oft wird an dieser Stelle die Frage gestellt, ob es denn keine Verfolgungsgegner gegeben habe. Natürlich gab es diese, doch wagten viele nicht öffentlich zu sprechen, aus Angst, sie könnten selbst angeklagt und verurteilt werden. Die ersten Verfolgungsgegner, die öffentlich sprachen, wurden kaum gehört und andere erst sehr spät ernst genommen. Behringer nennt vier starke Verfolgungsgegner, die sich für das Ende der Verfolgungen einerseits und für ein verändertes Hexenbild andererseits einsetzten: 1) Johann Weyer (1515-1588) sah in Hexen melancholische Frauen, die unter Wahnvorstellungen litten 2) August Ludwig Schlözer (1735-1809) erklärte Hexerei für inexistent 3) Jacob Grimm (1784-1863) erkannte in Hexen weise Frauen, die Geheimnisse der alten Volkskultur bewahrten 4) J ules Michelet ( 1798-1874) nannte Hexen >Ärztinnen des Volkes< (vgl. Behringer 2002: 9) Trotz zahlreicher Bemühungen begann die wirkliche Umprägung des Hexenbildes erst in der Zeit der Romantik, in der Jacob Grimm und Jules Michelet lebten (vgl. Behringer 2002: 92). Die Verfolgungen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig zu Ende, aber ein verändertes Bild der Hexen begann sich langsam in den Köpfen der Menschen zu entwickeln und dmchzusetzen. Die weisen Frauen und Heilerinnen rückten in den Vordergrund. Die Angst vor Hexen lebt nach wie vor, wie der Artikel der »Salzburger Nachrichten« zeigt, wenn auch in geringeren Ausmaßen als bisher. In den westlichen Ländern setzt sich zunehmend ein neues Hexenbild durch, in dem Hexen starke und selbstbewusste Frauen verkörpern, die um ihre Kraft und Stärke wissen und im Einklang mit der Natur leben, anstatt, wie fiüher gefürchtet, mit dem Teufel paktieren.
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MODERNE HEXEN UND WICCA
In den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts bekamen die Hexen ein neues Gesicht und erfuhren einen positiven Aufschwung. Vor allem feministische Richtungen wählten die Hexe zur Symbolfigur und trugen sie mit den Worten »Zittert, zittert, die Hexen sind zurückgekehrt!« stolz vor sich her (vgl. Unverhau 1990: 158). Der traditionell negativ besetzte Begriff >Hexe< wurden von Feministinnen bewusst gewählt, um den Widerstand gegen ein Frauenideal zu demonstrieren, mit dem sie sich nicht mehr identifizieren wollten und konnten. Sie waren nicht mehr bereit, ihre Entmachtung hinzunehmen und als brave, ungebildete Frauen ihren Männern zu Diensten zu sein. In der Hexe als Symbolfigur erkannten sie ihre eigene Macht und Weisheit, die sie auch leben wollten (vgl. Treiber 1991: 147). Einer der vielen Zweige der Frauenbewegungen stellte die Spiritualität der Hexen in den Vordergrund. Ihre Anhängerinnen bezeichneten sich als >Wicca< - das altenglische Wort für >witch< (vgl. Unverhau 1990: 259). Wicca treffen sich in unterschiedlicher Regelmäßigkeit überall auf der ganzen Welt, um sich auszutauschen, sich beizustehen und gemeinsame Feste der weiblichen Macht zu feiern. Starhawk, die als führend im Hexen- und Wieca-Kult angesehen wird, schreibt über das Leitmotiv des Wicca-Kults: »Alles hat seinen Ursprung in der Liebe. Alles sucht zur Liebe zurückzukehren. Liebe ist das Gesetz, die Mutter der Weisheit, die große Offenbarende der Mysterien« (Starhawk 1992: 33). Der Unterschied zwischen den Hexen früher und heute besteht in erster Linie in der Öffentlichkeit. Zwar behalten Frauen und Männer, die sich als Wicca oder Hexen bezeichnen, diese Tatsache meist immer noch für sich- von manch anderen wird die Bezeichnung Hexe aber mit einem gewissen Stolz getragen, auch öffentlich. Es gibt in unserer Gesellschaft keine rechtlichen Konsequenzen mehr fiir jene, die sich öffentlich als Hexen bezeichnen. Oft sind die heutigen Hexen auch in einem großen Rahmen recht gut organisiert und gehören mitunter sogar sehr hohen gesellschaftlichen Schichten an, besonders auch Schichten mit universitärer Bildung (vgl. Levack 1995: 238f.). Die durchgeführten Rituale sollen keine Geister beschwören oder Regen herbeizaubern, sondern dienen dazu, ein Verständnis des eigenen Selbst zu entwickeln und die Geheimnisse der Natur erneut zu entdecken und zu nutzen (vgl. Anthea 2000: 21). Einige Frauen haben das Bild der Hexe zu ihrer Symbolfigur gemacht. Allerdings gibt es durchaus auch Kritik an eben diesem Symbolsogar aus den eigenen Reihen. Den Anhängerinnen des Hexenkults wird oft vorgeworfen, die politischen und sozialen Ziele der Frauen aus den Augen zu verlieren, weil sie stattdessen lieber die Kräfte des Mondes beschwören (vgl. Unverhau 1990: 260f.).
Moderne Hexen
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Als Autorirr möchte ich mich nicht der Meinung anschließen, dass Frauen, die sich mit Hilfe des Hexenglaubens ihrer Stärke und Macht bewusst werden, automatisch politische und soziale Ziele aus dem Blick verlieren, im Gegenteil, nur wer innerlich selbstsicher und gestärkt ist, kann auch selbstsicher und gestärkt nach außen treten und soziale und politische Verantwortung übernehmen. Frauen haben die alten Zuschreibungen nicht behalten. Sie haben sie geändert und sich einen eigenen kulturellen Lebensraum geschaffen. Der Begriff Hexe steht dabei immer noch im Vordergrund - als wäre er ein Mahnmal, die Stärke und Macht der Frauen nie wieder mit Füßen zu treten. Fast zeitgleich mit dem gesellschaftlichen Wandel des Hexenbildes zeigten sich auch in den Medien neue Repräsentationen von Hexen. 1964 wurde erstmals sehr erfolgreich eine Serie mit positiven Hexendarstellungen ausgestrahlt: »Bewitched«, zu Deutsch »Verliebt in eine Hexe«. Aufgrund der großen Beliebtheit wurde diese Serie bis 1972 in acht Staffeln produziert, wobei Wiederholungen einzelner Folgen nach wie vor gesendet werden.
Serienbeschreibung: »Verliebt in eine Hexe« Samantha und Darrirr sind ein jung verheiratetes Ehepaar. Darrirr kann allerdings nur schwer akzeptieren, dass seine Frau eine Hexe mit magischen Fähigkeiten ist, deshalb gilt Zuhause: Zauberverbot, was sich natürlich als äußerst schwierig erweist; vor allem, weil Schwiegermutter Endara nichts unversucht lässt, die Zauberei doch zum Alltag werden zu lassen. Diese erstmals positive Darstellung einer Hexe vermittelt, dass Hexen keine bösen, alten und hässlichen Frauen sind, deren einziges Ziel es ist, anderen Schaden zuzufügen, sondern dass Hexen auch hübsche, j unge Frauen sein können, die um ihre besonderen Kräfte und Fähigkeiten wissen und diese auch einsetzen wollen und das auch noch zum Wohle aller, nicht nur zum eigenen. Im übertragenen Sinn geht es nicht um ein Sprechen von Zauberformeln oder Verhexen von Gegenständen, sondern um ein Ausbrechen aus den traditionellen Rollen und Aufgabengebieten von Frauen und eine Akzeptanz weiblicher Kompetenzen. Durch die Serie wird aber auch deutlich, dass Männer mit diesen Besonderheiten nicht umgehen können bzw. diese nicht wahrhaben wollen und aus diesem Grund versuchen, Frauen in der Ausübung ihrer Fähigkeiten einzuschränken oder dies gar zu verhindern. Hierin spiegelt sich der Kampf, den feministische Richtungen in den 60er- und 70er-Jahren aufgenommen und für den sie die Hexe als Symbolfigur herangezogen haben. Ihre Machtlosigkeit waren sie nicht mehr bereit hinzunehmen und viele Frauen begannen mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten aus dem häuslichen Bereich in die Öffentlichkeit zu treten. In dieser Hinsicht spiegelt die Serie die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse: den Versuch vieler Frauen, mit ihren Fä-
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higkeiten akzeptiert und geschätzt zu werden, sowie den Versuch vieler Männer, genau dies zu verhindern und Frauen in ihren alten Positionen fest zu halten. Nach »Verliebt in eine Hexe« ist die nächste auffällig erfolgreiche Hexenserie »Sabrina, the Teenage Witch« (1996). Diese ist erstmals auf ein viel jüngeres Publikum zugeschnitten und präsentiert sich in einem völlig neuen Rahmen. In Bezug auf die Inhalte der Serie zeigt sich vor allem der historische Kontext beachtenswert, denn »Sabrina« wird erst 32 Jahre nach »Verliebt in eine Hexe« zum ersten Mal ausgestrahlt. Serienbeschreibung: »Sabrina« Sabrina ist ein junges Mädchen, das am Tag ihres sechzehnten Geburtstags erfahrt, dass sie und ihre Tanten, bei denen sie lebt, Hexen sind. Nun muss sie lernen, mit ihren Zauberkräften umzugehen und diese richtig einzusetzen, um keinen Schaden anzurichten. Dass das nicht immer so leicht ist, vor allem, weil gute Ratschläge der Tanten gerne in den Wind geschlagen werden, zeigt sich in jeder einzelnen Folge aufs Neue. Der bedeutende Unterschied zu »Verliebt in eine Hexe« besteht darin, dass Sabrina und ihre Tanten ihre Zauberkräfte ständig, in allen erdenklichen Situationen anwenden und sie vor allem auch anwenden dürfen. Zwar gibt es auch im Reich der Magie Regeln, an die sich Hexen und Zauberer halten müssen, im Allgemeinen ist Zaubern aber durchaus gestattet und wird sogar gefördert. Sabrina muss beispielsweise ihre >Hexenlizenz< erst erwerben, wofllr sie immer wieder schwierige Prüfungen ablegen muss. Sie wird zudem immer wieder dazu angehalten zu üben, zu lernen und zu experimentieren. Interessant zeigt sich auch, dass in »Sabrina« Männer quasi nur Nebenrollen spielen und dementsprechend nie derart in die individuellen Hexereien der Frauen eingreifen oder sie so zu bestimmen versuchen, wie Darrin bei Samantha. Eine interessante Parallele ist allerdings doch zu erkennen: Wie auch bei »Verliebt in eine Hexe«, ist es Sabrina nicht erlaubt, den Sterblichen von ihren Hexenkräften und magischen Fähigkeiten zu erzählen, nicht einmal ihren besten Freundinnen und Freunden. Somit darf sie ihre besonderen Kräfte nur im Geheimen und im Reich der Magie, in der Gesellschaft anderer Hexen und Zauberer, anwenden, was ihr oftmals wirklich schwer fallt. Dieser spezielle Punkt, das Geheimhalten der magischen Fähigkeiten, ist Thema beinahe aller Hexenserien und Hexenfilme, wie zum Beispiel auch in »Practical Magie« (1998) und in »Charmed« (1998). Hexen müssen ihre Kräfte und magischen Fähigkeiten scheinbar stets verbergen und geheim halten, weil sie nie sicher sein können, wie die Menschen um sie herum auf solche Kräfte reagieren. Manche könnten unter Umständen Angst bekommen und sie als böse betrachten, als Gehilfinnen des Teufels, was neue Verfolgungen auslösen könnte. Natürlich könnten sie auch als gut und hilfsbereit erkannt werden und ihre Fähigkeiten nicht nur ak-
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zeptiert, sondern sogar geschätzt werden, aber dieses Risiko sind sie nicht bereit einzugehen - zu viel Schlimmes könnte geschehen. Diese Tatsache, nicht zu wissen, wie die Menschen auf sie reagieren, lässt die Hexen ihr Geheimnis stets für sich behalten. Übertragen findet sich an dieser Stelle der jahrelange Zwang bzw. die Notwendigkeit, weibliche Fähigkeiten und Stärken verbergen zu müssen, weil sie nicht akzeptiert und nicht gutgeheißen wurden. Es gab kaum Platz für die Entfaltung der individuellen Stärken, keinen Rahmen, der Frauen diese Positionen zur Verfügung stellte. Nach wie vor gibt es Rahmen, innerhalb derer Frauen und Männer Positionen zugewiesen bekommen und die definieren, wie >normale< Frauen und mormale< Männer zu sein haben, was sie zu können haben. Ohne jeglichen Rahmen würde eine gesellschaftliche Ordnung nicht funktionieren. Nach wie vor zeigen sich die Rahmen für Frauen aber eingeschränkter und schwerer zu erweitern, als für Männer. In »Practical Magie«, einem amerikanischen Hexenfilm aus dem Jahre 1998, unter der Regie von Griffin Dunne, wird der Versuch unternommen einen neuen Rahmen zu schaffen, der weiblichen Fähigkeiten und der individuellen Entfaltung der Frauen mehr Platz zur Verfügung stellt. Filmbeschreibung: »Practical Magie« Die zwei Schwestern in »Practical Magie« sind von klein auf Hexen. Als erwachsene Frauen versuchen sie möglichst nicht aufzufallen und sich dem Dorf, in dem sie leben, anzupassen. Aufgrund verschiedenster Vorkommnisse häufen sich die Verdachtsmomente der Einwohnerinnen gegen die Schwestern und schließlich fürchten sich beinahe alle Dorfbewohnerlnnen vor den beiden Hexen. Gegen Ende der Geschichte befinden sich die Schwestern in einer Notsituation. Trotz der vielen Gerüchte kommen doch einige Frauen aus dem Dorf zu Hilfe und erfahren dabei, dass die Schwestern keine bösen Hexen sind und ihre Kräfte auch nicht zum Schaden anderer einsetzen. Von da an feiert das gesamte Dorf mit ihnen Halloween und akzeptiert und schätzt sie als Frauen mit besonderen Fähigkeiten. In diesem Film erfährt ein ganzes Dorf von der Existenz guter Hexen und schätzt diese Tatsache, trotz anfänglicher Ablehnung. Die besonderen Fähigkeiten und Kräfte der Schwestern werden mit der Zeit überaus geschätzt und von vielen erbeten. Zwar beschränkt sich in diesem Film das Wissen um gute Hexen auf die Bewohnerinnen des Dorfes, jedoch zeigt sich eindeutig, dass in diesem Rahmen ein Raum für die speziellen weiblichen Fähigkeiten geschaffen wurde und sie als normal und gut in den Alltag integriert wurden. In »Charmed« erfahren ebenfalls immer wieder Menschen - in erster Linie Unschuldige, die beschützt werden müssen - von den besonderen Mächten der drei Schwestern, schätzen diese selbstverständlich und sind
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für deren Hilfe unendlich dankbar. Trotzdem müssen sie immer wieder versprechen, niemand anderem von den magischen Fähigkeiten zu erzählen, also das Geheimnis für sich zu behalten, weil alles andere schlimme Folgen nach sich ziehen könnte. In zwei Episoden wird schließlich besonders deutlich, was passieren könnte, sollte die Öffentlichkeit von ihren Hexenkräften erfahren: In Folge 2x02, »Hexenjagd«, finden sich die drei Schwestern in einer möglichen Zukunft, in der die jüngste Schwester, Phoebe, als Hexe öffentlich verbrannt wird, und in Episode 3x22, »Das Ende«, werden die Schwestern ebenfalls von der Polizei verfolgt und Piper sogar angeschossen, kurz nachdem die Öffentlichkeit durch die Medien von ihrem Hexendasein erfuhr. Wie zu Beginn der ersten Hexenserien müssen die meisten MedienHexen nach wie vor ihr Geheimnis für sich behalten und mit ihren Kräften vorsichtig umgehen. Im Unterschied zu den anderen Produktionen zeigt »Charmed« aber erstmals junge, selbständige und unabhängige Frauen, die mit besonderen magischen Fähigkeiten geboren wurden. Die drei Hexenschwestern haben keine Ehemänner, die ihnen das Zaubern verbieten, und sie müssen auch nicht mehr geduldig zur Hexe erzogen werden, wie Sabrina. Prue, Piperund Phoebe sind drei junge Frauen, die unabhängig leben und sich gegenseitig beschützen. Sie verfügen über besondere Fähigkeiten und magische Kräfte, die sie zwar erst zu kontrollieren lernen müssen, schließlich aber gezielt einsetzen können. In dem Maße, in dem sie sich persönlich weiterentwickeln, entwickeln sich auch ihre magischen Fähigkeiten weiter - dieser Zusammenhang erweist sich wohl als einer der interessantesten. Entgegen den alten Hexenbeschreibungen sind die neuen MedienHexen nicht mehr alt und hässlich, sondern verkörpern Frauen, die selbständig und unabhängig leben, und auch finanziell unabhängig von Männern sind. Die neuen Hexen sind durchaus auch hübsche, junge Frauen, die um ihre besonderen Kräfte und Fähigkeiten wissen und diese auch nutzen wollen. Sie sind nicht bereit, ihre Macht aufzugeben oder ruhen zu lassen, im Gegenteil, sie setzen alles daran, ihre Kräfte auszubauen, zu verstärken und gekonnt einzusetzen. Dabei steht nicht der eigene V orteil oder gar Schaden für andere im Vordergrund, sondern vielmehr das SichBeistehen und anderen Menschen aus schwierigen Situationen helfen. Die Zutaten und Mittel, die sie für ihre Tränke und Essenzen brauchen, stammen aus der Natur und setzen sich nicht aus Krötenaugen oder Ähnlichem zusammen, wie es in früheren Filmen gerne dargestellt wurde. Außerdem wenden sie ihre Mittel nur an, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sehen, ihre Schwierigkeiten zu lösen. Das neue Hexenbild verkörpert die Stärke und die besonderen Fähigkeiten von Frauen. Hexen repräsentieren selbstbewusste, aktive und kluge Frauen, die ihre Ziele kennen und auf sie zugehen, ohne sich von anderen Vorschreibungen machen zu lassen, Frauen, die ihre eigene Stärke
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erkannt haben, ihre Fähigkeiten als wichtigen Teil von sich annehmen und ihre Macht auch einsetzen wollen. Geleitet werden sie dabei nicht von dem Wunsch nach weiterer Macht oder materiellem Gewinn, sondern vielmehr von dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Sie wollen so sein und leben dürfen, wie sie es selbst als gut und richtig ansehen, mit all ihren Stärken und Schwächen. In der Umformung des Hexenbildes und den entsprechenden medialen Repräsentationen finden sich vielerlei Ansichten, die speziell postfeministisches Gedankengut beinhalten. So werden immer wieder Themen aufgegriffen wie die Chancengleichheit (vgl. Brooks 1997: 3f.), Selbstbestimmung und Empowerment von Frauen (vgl. Gamble 1998: 43f.) sowie die Befreiung aus festgeschriebenen, eingeschränkten Positionen (vgl. Humm 2000: 706). Was vor allem die »Charmed« Fans in diesem Zusammenhang herausgreifen, sind die neuen, starken Positionen von Frauen, die sowohl geistige als auch körperliche Stärke in sich vereinen und den Männern >zeigen, wo's lang geht»Girl Power< and >Girls Kick Butt< are familiar phrases on magazine covers, bumper stickers and T-Shirts, one sign of the ways the Second Wave has changed the world young women are growing up in« (http://www.genders.org/g38/g38_ karlyn.txt). Dieser Wandel lässt sich anhand der beschriebenen Serien gut verdeutlichen: Angefangen bei Samantha, die es noch nicht ganz aus der ihr zugewiesenen Rolle schafft, sich scheinbar den Wünschen ihres Mannes fügt und ihre Zauberkräfte im Geheimen nutzt, bis hin zu den drei Schwestern aus »Charmed«, die sehr wohl ihr Leben selbst in die Hand nehmen und sich in keine Positionen zwingen lassen. Sie müssen sich niemandem mehr unterordnen und bestimmen selbst über ihre Kräfte. Zwar gibt es in jeder magischen Welt Regeln, aber sogar diese werden zum Teil von den Hexen umgestaltet. Nicht ganz so positiv sieht allerdings Linda Badley die postfeministischen Hexen und deren Verhalten, wenn sie schreibt: »But postfeminist witchcraft in the late 1990s was more often airbrushed, domesticated, and self-congratulatory than genuinely subversive or even exploratory, reflecting feminism's current incorporation within the canon and Containment within patriarchy. [ ...] Postferninist witches invariably use their charms to attract men but are consequently domesticated.« (http://www.cult-media.com/issue3/Abad.htm)
Ich möchte Badley an dieser Stelle nicht ganz recht geben, da gerade »Charmed« in dieser Hinsicht eindeutige Positionen anbietet: In einer einzigen Folge experimentieren Piper und Phoebe mit einem Liebeszauber, der allerdings vollkommen misslingt und die Schwestern zu der Erkenntnis führt, dass sich Zauberei eben nicht für jede Situation eignet und schon gar nicht für die Liebe. Abgesehen davon legen die Mädchen
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zwar Wert darauf, anderen zu gefallen, >zähmen< lassen sie sich dabei aber noch lange nicht. Die älteste Schwester verlässt beispielsweise ihren Freund, weil dieser mit der Tatsache, dass sie eine Hexe ist, nicht zurechtkommt. Prue verzichtet nicht auf ihre Fähigkeiten, nur um bei ihrem Partner bleiben zu können, sie schränkt sie auch nicht ein, nm um ihm zu gefallen, stattdessen zieht sie die Konsequenzen und geht ihren eigenen Weg, auch wenn das bedeutet, ihn zu verlassen. Die jüngste Schwester, Phoebe, dreht die Rolle sogar um und wandelt ihren Freund, der zm Hälfte Mensch und zur Hälfte Dämon ist, beinahe vollständig. Dieser fallt zwar in die Rolle des Dämons zurück, wird von ihr aber schlussendlich sogar vernichtet. Sie folgt ihm nicht und ist nicht bereit, ihr Leben und ihre Kräfte für ihn aufzugeben. »Charmed« beinhaltet mit seinen Repräsentationen von Hexen bzw. Frauen also durchaus mehr, als nur Männern gefallen zu wollen, was mitunter auch einer der Punkte ist, warum »Charmed« so viele Fans zählt. Mit dem neuen Hexenbild, das in »Charmed« vorgestellt und verbreitet wird, können sich viele Frauen und auch Männer unterschiedlichen Alters identifizieren. Sie leben mit den Charakteren der Serie mit und erkennen sich in einzelnen Situationen wieder. Dieses Wiedererkennen besitzt einen besonderen Stellenwert, wobei es nicht nur von Bedeutung ist, sich selbst in einzelnen Situationen wiederzuerkennen, sondern ganz allgemein auch den Rahmen der Serie wiederzuerkennen. Für eine vergnügliche Rezeption ist dieser Faktor unerlässlich, da er in einem gewissen Maße ein Zurechtfinden in der jeweiligen Welt garantiert. Diese großen, oft schwer abzusteckenden Rahmen werden Genres genannt. Um dem Vergnügen der Rezeption auf die Spur zu kommen, war es also bedeutend, »Charmed« einem Genre zuzuordnen. Der Bereich des Mystischen, Geheimnisvollen, Mystery, bot sich an, doch dieser Bereich musste erst als Genre definiert werden.
4.
DER BEDEUTUNGSRAHMEN
MYSTERY- EINE GENREANALYSE »TV-Serien werden unter Berücksichtigung bestimmter Regeln und Konventionen produziert, die zu einem bestimmten Genre gehören. Ein Genre ist ein Komplex von bestimmten Themen, Erzählstrukturen und Stilen, die Gruppen von einzelnen Filmen oder Serien gemeinsam haben. Weil wir diese Regeln und Konventionen kennen, und vertraut mit ihnen sind, wissen wir oft sehr schnell, ob ein Film ein Western oder ein Thriller ist und haben dementsprechende Erwartungen an den Film« (Ang 1986: 51).
Ein großer Teil des Vergnügens am Fernsehen entsteht durch das Wiedererkennen bestimmter Muster, bestimmter Genrekonventionen. Ein Wiedererketmen ermöglicht ein Zurechtfinden in der betreffenden Filmwelt und ein dementsprechendes Wohlgefühl (vgl. Winter 1992: 37f.). Das Wissen um Genrekonventionen macht die einzelnen Elemente von Filmen vorhersehbarer, verständlicher, erklärbarer und somit leichter wahrnehmbar (vgl. Winter 1995: 177). Der Rahmen, der sich aus dem Erkennen von Genrekonventionen ergibt, ist für ein vergnügliches Erlebnis also quasi unerlässlich. Während meiner Forschungen fielmir auf, dass diverse Fernsehzeitschriften »Charmed« abwechselnd als Fantasy oder Mystery bezeichneten. Diese Zuordnungsschwierigkeiten waren unter anderem Anlass flir mich, den Bereich Mystery genauer zu betrachten und schließlich eine Genreanalyse durchzuführen, denn wenn das Erkennen von Genrekonventionen für eine genussvolle Rezeption Voraussetzung ist, so kommt der Einordnung von »Charmed« ja wohl eine besondere Bedeutung zu. Vor allem war es mein Anliegen, Mystery gegen Fantasy abzugrenzen, da diese Trennlinien wohl die fließendsten und gleichzeitig auch die bedeutendsten sind. Genres definieren sich einerseits durch filmische Merkmale, andererseits sind sie aber auch abhängig von der jeweiligen Kultur, in der sie funktionieren (vgl. Schneider 2001: 93f.). So stellen sie eine Art Spezialkultur dar, die durch die Erzählstruktur, das Setting, die Charaktere, iko-
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nografische Merkmale, usw. geformt wird. Genres sind nie wirklich abgeschlossen oder endgültig, da sie als soziale Konstruktionen immer neu definiert werden können (vgl. Tudor 1989: 5f.). Die jeweiligen Genrerahmen schaffen Platz für historisch spezifische gesellschaftliche Fragen, Erwartungen oder Ängste, die in den jeweiligen Produktionen zum Ausdruck gebracht werden und so finden sich in den unterschiedlichen Genres auch soziokulturelle Bedeutungen und Funktionen (vgl. Neale 2000: 220ff.). Genres nehmen sich bestimmter Themen und Konflikte an und bearbeiten sie in spezifischer Weise. Sie schaffen Befriedigung, indem sie einzelne Themen aufgreifen, sie ausführen und schließlich auf die eine oder andere Weise auflösen. In ihren Ausführungen unterstützen sie aber stets die Interessen dominierender Gruppen oder Schichten und sind somit auch in der Lage, aufkommende gegenläufige Ideologien zu unterdrücken (vgl. Wright 1995: 41). In Genres spiegeln sich gesellschaftliche Probleme, Ängste, Wünsche und Erwartungen. Allerdings vermeiden sie zu direkte Auseinandersetzungen mit aktuellen Problemen bzw. distanzieren sich ein wenig von ihnen. Durch die ständigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Weiterentwicklungen rollen Genres immer neue Themen auf und bearbeiten sie neu. Sie sind also nie wirklich abgeschlossen und so sind auch Genreanalysen nie endgültig und klar abgrenzbar. In diesem Sinne ist die hier vorliegende Genreanalyse ebenfalls nicht als abgeschlossen oder endgültig zu betrachten, sondern sie liefert eine Beschreibung einer bestimmten Subkultur, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in unserer Gesellschaft entstanden ist. Für die Genreanalyse wurden sieben Serien ausgewählt, die in den unterschiedlichsten Medien mehr oder weniger deutlich als Mystery bezeichnet wurden: »Akte X« (1993), »Buffy« (1997), »Charmed« (1998), »Prey« (1998), »Roswell« (1999), »Angel« (1999) und »Dark Angel« (2001). Der erste Schritt der Analyse bestand darin, anhand unterschiedlichster Anhaltspunkte das Besondere an den Serien zu erfassen und zu beschreiben. Dabei wmde in den Serien nach Übereinstimmungen und Unterschieden in folgenden Bereichen gesucht:
• • • • • • • • •
Darstellerinnen Schauplätze Zufluchtsorte Besonderheiten Regeln und Gesetze Symbole Größter Wunsch Arten von Bedrohungen Sonstiges
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Im Anschluss daran wurden die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur miteinander, sondern auch mit Analysen einzelner Spielfilme verglichen und in sechs Kategorien, die nach Tudor (1989) und Winter (1992) für eine Genreanalyse von besonderer Bedeutung sind, neu zusammengefasst und ausgewertet. Die Kategorien, nach denen in weiterer Folge das Genre Mystery definiert wurde, lauten: • • • • • •
Mystery im Kontext anderer Genres Sammlung erzählbarer Geschichten Erzählstruktur Arten von Bedrohung Muster, die der Wiedererketmung dienen Image
Die folgenden Ergebnisse sind ausschließlich durch eigene Forschungen, Beobachtungen und Analysen zustande gekommen. Die V orgehensweise orientiert sich allerdings an den von Andrew Tudor und Rainer Winter beschriebenen Richtlinien und Kategorien.
Mystery im Kontext anderer Genres Jeder Film, jede Serie steht in Beziehung zu anderen Filmen und Serien und wird vor diesem Hintergrund auch wahrgenommen. Mit den Welten von anderen Filmen oder Serien vertraut zu sein ist wichtig für das tiefere Verständnis der jeweiligen Produktion (vgl. Winter 1995: 103). So ist es schließlich notwendig, das Genre Mystery gegen andere Genres abzugrenzen, um seine besonderen Formen und Elemente identifizieren zu können. Keiner genaueren Erklärung bedarf sicherlich die Abgrenzung zur Komödie, zum Western oder ähnlichen Genres, denn hier liegen die Unterschiede auf der Hand. Mystery gegen Science Fiction, Horror und Fantasy abzugrenzen ist wohl schwieriger und darum auch von größerer Bedeutung. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die gezogenen Linien keineswegs klar abgrenzbar oder eindeutig festlegbar sind, sondern lediglich tendenzielle Zuordnungen darstellen, da Genres, wie bereits erwähnt, einem ständigen gesellschaftlichen und zeitlichen Wandel unterworfen sind und somit niemals endgültig fixiert werden können. Die Abgrenzung zu Science Fiction scheint recht deutlich und einfach. Science Fiction Themen haben sich, die geografisch-räumliche Situation betreffend, in erster Linie in das Weltall verlagert. Dieses Genre arbeitet mit hoch entwickelter Technik, Raumschiffen und fremden Planeten. Keines dieser Merkmale ist typisch für Mystery oder von besonderer Bedeutung. Das Horror-Genre erschwert eine Grenzziehung bereits, lässt aber doch noch einige Unterscheidungen zu: Horror scheint sich zunächst in erster Linie für Filme anzubieten und nicht so sehr für Serien - im Gegensatz zu Mystery. Davon abgesehen spielt das Horror-Genre überwie-
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gend mit der Angst der Menschen, der menschlichen Psyche und lässt sehr viel Blut fließen. Blut ist hingegen kein wesentlicher Bestandteil des Mystery-Gemes. Natürlich ergeben sich da und dort blutige Szenen, im Wesentlichen werden Dämonen und teuflische Kreaturen allerdings >blutfrei< vernichtet: Sie zerfallen zu Staub, verbrennen im Feuer, explodieren in kleine leuchtende Teilchen oder verschwinden einfach geräuschlos oder mit einem lauten Knall. Als allerschwierigste erweist sich die Abgrenzung zum Geme Fantasy. Hier trifft man auf sehr unterschiedliche Meinungen über die Kriterien und Kennzeichen von Fantasy an sich. Trotz aller Diskussionen zeigen sich Unterschiede zu Mystery, die es wert sind, hervorgehoben zu werden. In vielen Punkten gleichen sich Fantasy und Mystery. Sie offenbaren eine ähnliche Sammlung erzählbarer Geschichten, eine ähnliche Erzählstruktur und spielen mit den gleichen Arten von Bedrohungen. Die Charaktere verfUgen über ein besonderes Wissen oder besondere Fähigkeiten, die Personen finden Wege die Naturgesetze zu überwinden oder zu beherrschen und alle möglichen Formen von guten und bösen Kreaturen betreten die Bühne. Eine wesentliche Unterscheidung lässt sich aber doch treffen: Fantasy greift mit Vorliebe auf alte Sagen und Märchenstoffe zurück, Legenden von Einhörnern oder auch historische Legenden, wie die von König Arthur oder dem Zauberer Merlin. In den Geschichten leben die Menschen in einer Welt, in der alle von Zauberei und Magie wissen. Es ist selbstverständlich, dass es Feen, Elfen und Trolle gibt, dass Magier übernatürliche Fähigkeiten besitzen, Kobolde Schätze hüten und Geister den Menschen zur Seiten stehen oder sie heimsuchen. All das ist für sämtliche Charaktere der jeweiligen Welt vollkommen normal. Hierin liegt die wesentliche Unterscheidung zum Geme Mystery: In MysterySerien oder -Filmen ist nämlich jeglicher Zauber, alles Übernatürliche und Magische geheim. Nur eine kleine Gruppe von Menschen ist eingeweiht, weiß Bescheid über die Regeln und Gefahren und behält diese Geheimnisse für sich - zum eigenen Schutz und zum Schutze aller anderen. Niemand darf erfahren, dass die drei Schwestern aus »Charmed« Hexen, die ftinf jungen Leute aus »Roswell« Außerirdische sind und dass in »Dark Angel« genmanipulierte Menschen in der Stadt Seattle leben. Nur eine kleine Gruppe von Menschen kennt die Geheimnisse. In manchen Folgen von »Buffy« oder »Angel« scheint es, als wüssten alle Menschen Bescheid - diese Linie wird aber nicht konsequent eingehalten, was daran zu erkennen ist, dass immer wieder überraschte Gesichter auftauchen, sobald sich jemand in einen Vampir verwandelt oder ein solcher zu Staub zerfallt. Dieses Geheimnis, das Wissen einer kleinen Gruppe gegenüber dem sorglosen Leben der restlichen Menschen, ist zwar nicht das alleinige, aber doch das entscheidende Kriterium, um Mystery von Fantasy abzugrenzen. Trotz dieses Unterscheidungsmerkmals kommt es natürlich immer wieder zu Überschneidungen, vor allem, da Fantasy noch einmal
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in historische Fantasy und die Fantasykomödie unterteilt werden müsste. Auf den Bereich der historischen Fantasy treffen die identifizierten Kriterien der Abgrenzung noch genauer zu, als auf die Fantasykomödie, die wiederum eher die Eigenheiten und besonderen Kennzeichen einer Komödie aufweist. Diese neuerliche Unterscheidung würde an dieser Stelle sicherlich vieles klarer werden lassen, ist aber nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Sammlung erzählbarer Geschichten Zunächst weist auch das Genre Mystery, wie jedes andere Genre, eine bestimmte Sammlung erzählbarer Geschichten auf, die es von anderen Genres unterscheidet. In sämtlichen Serien und Filmen des Genres Mystery werden im Wesentlichen folgende erzählbare Geschichten in den unterschiedlichsten Variationen ausgeführt: • • • • • • • • •
jemanden beschützen, Unschuldige oder sich gegenseitig das Böse bekämpfen unerklärliche Phänomene aufdecken, analysieren, verstehen Gleichgesinnte finden für Gerechtigkeit sorgen die Welt retten in Versuchung geführt werden nicht auffallen oder enttarnt werden dürfen wieder gut machen, was andere angerichtet haben
Die drei Hexenschwestern in »Charmed« treffen in fast jeder Folge auf Unschuldige, die sie schützen sollen und sie kämpfen stets gegen das Böse, das ihnen in Form von Dämonen oder der »Quelle«, der Urform des Bösen, entgegentritt. Zu ihrem eigenen Schutz müssen sie dabei immer darauf achten, nicht enttarnt zu werden, da die Folgen unabsehbar wären. Auch Buffy kämpft gegen Dämonen bzw. Vampire und versucht Unschuldige zu schützen. Ebenso Angel: Wie Buffy kämpft auch er, obwohl er selbst ein Vampir ist, gegen andere Vampire und Dämonen, um die Menschen vor ihnen zu bewahren. In »Dark Angel« und »Prey« handelt es sich weniger um Dämonen, die gefahrlieh werden, als viel mehr um genetisch veränderte oder manipulierte Menschen, die quasi gegen die eigenen Leute antreten, um die Menschen zu schützen. Auch sie arbeiten unentdeckt im Geheimen und versuchen nicht weiter aufzufallen, um so weiterhin in Freiheit leben zu können. »Roswell« und »Akte X« schließlich bringen auch noch übernatürliche Elemente ins Spiel. Aber wiederum: In »Rosweli« versuchen sich die außerirdischen jungen Leute, die versteckt unter den Menschen aufgewachsen sind, gegenseitig zu schützen und ihre wahre Abstammung geheim zu halten. Nur einige wenige andere junge Leute wissen um ihre wahre Identität. Scully und Mulder aus »Akte X« bemühen sich nach Kräften, das Übernatürliche aufzude-
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cken, sie scheitern allerdings immer wieder und sehen ihre Erkenntnisse und Erlebnisse zu Verschlusssachen erklärt. Nicht selten treffen sie bei ihren Untersuchungen aber auch auf Phänomene, die sie nicht nur aufklären sollen, sondern sie stoßen auf gefährliche außerirdische Aktivitäten, die sie verhindern müssen, um die Menschen zu schützen und die Welt zu retten. Innerhalb dieser Sammlung erzählbarer Geschichten gibt es natürlich unzählige Varianten. Die Grundstrukturen, die wesentlichen Geschichten, bleiben aber immer dieselben. Ebenso wie diese Geschichten ähnelt sich auch die Erzählstruktur der Serien: Erzählstruktur Das Genre Mystery zeichnet sich durch Erzählstrukturen in einer geschlossenen Form aus, die im Wesentlichen nach den immer gleichen bzw. ähnlichen Mustern ablaufen: ein Problem taucht auf, wird bearbeitet, wird bewältigt; jemand wird angegriffen, verteidigt sich, der Kampf wird gewonnen, wenn auch manchmal unter Verlusten; auf die Suche gehen, finden und kämpfen, gewinnen. Die Probleme, die Angriffe oder die Suchen nach etwas Bestimmtem tauchen in verschiedenen Varianten und in unterschiedlicher Intensität auf. Deutlich erkennbar bleibt aber überall der >Wegnormale< Menschen, die aus dem einen oder anderen Grund zur Gefahr werden alle Arten von Geistern, Erscheinungen und Außerirdischen
In den meisten der analysierten Serien bekommen es die Darstellerinnen abwechselnd mit allen drei Fonnen von Bedrohungen zu tun. »Roswell«
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und »Prey« bilden hier die Ausnahme - ebenso wie manche MysterySpielfilme. Für diese scheint die dämonische Ebene weniger von Bedeutung zu sein als vielmehr die übernatürliche. In »Roswell« und »Prey« lauem keine Dämonen im Hintergrund, dafl.ir gibt es aber unzählige menschliche und übernatürliche Gefahren. Die Filme »Die Farm der Geister« (1996), »Die neun Pforten« (1999) oder auch »Im Schatten der Geister« (200 1) setzen ebenfalls hauptsächlich auf das Übernatürliche. Muster, die der Wiedererkennung dienen Abgesehen von der Sammlung erzählbarer Geschichten finden sich auch bestimmte Muster der Wiedererkennung, nach denen sich die Serien und Filme leicht in das Genre Mystery einordnen lassen. Diese Muster der Wiedererkennung bzw. die filmischen Merkmale betreffen zwar unterschiedliche Ebenen der TV-Produktionen, sind aber fester Bestandteil der einzelnen Serien und Filme. Eigene Analysen der bereits angegebenen Serien führten zu folgender Aufstellung von Mustern:
• • • • • •
Besitz übernatürlicher Fähigkeiten unerklärliche Phänomene Dämonen und missgestaltete Kreaturen absolute Geheimhaltung: Außenstehende dürfen nichts erfahren ständige Bedrohung ikonografische Merkmale wie dunkle und düstere Räume, Gewölbe, Friedhöfe
Ein Zusammenspiel dieser Merkmale lässt relativ schnell erkennen, dass es sich bei einem entsprechenden Film oder einer entsprechenden Serie um Mystery handelt. Übernatürliche Fähigkeiten an sich können natürlich auch in einer Komödie auftreten oder in Horror-Filmen, magische Fähigkeiten in Fantasy-Produktionen - ein Zusammenwirken mehrerer dieser Merkmale lässt aber schnell aufMystery schließen. Winter geht davon aus, dass jeder Genrefilm auch etwas Neues, Besonderes bietet (vgl. Winter 1992: 42). Ganz in diesem Sinne bauen natürlich gerade Serien darauf auf, dem Publikum etwas Neues und vielleicht besser Verkaufbares zu bieten. Die früheste der untersuchten Serien ist »Akte X« (1993). Das Besondere und vor allem Neue an dieser Serie war in dem Umstand zu finden, dass sie von unerklärlichen Phänomenen berichtet, die angeblich auf wahren Begebenheiten beruhen. Die Hauptcharaktere sind mittleren Alters, was ein weiteres Kennzeichen der frühen Mystery-Serien zu sein scheint. Mit »Buffy« (1997) begannen erstmals junge Frauen das Feld zu erobern. Das Neue an dieser Serie zeigt sich sicherlich im Wiederaufgreifen der alten Geschichten um Vampire und deren Jäger bzw. in diesem Fall einer ganz besonderen Jägerin, die auserwählt ist, die Menschheit zu retten und die Vampire zu vernichten. Das Besondere an »Charmed« (1998) sind die drei jungen
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Hexenschwestern. Zwar gab es bisher bereits Hexenserien, »Verliebt in eine Hexe« und »Sabrina«, doch eröffnet »Charrned« völlig neue Perspektiven: Drei junge, unabhängige, starke Frauen treten gemeinsam gegen das Böse an. »Prey« (1998) war ein weniger erfolgreicher Versuch einer Mystery-Serie. Der neue Gedanke lag darin, dass sich aus den Menschen eine völlig neue Spezies entwickelt, die, mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet, nun die Menschheit auszurotten versucht - ganz nach dem Prinzip »Nur die Stärksten überleben«. Erfolgreicher zeigte sich »Angel«, eine Serie, die als Spinoff von »Buffy« produziert wurde: Ein junger Vampir mit einer Seele tritt gegen das Böse an und vernichtet die, auf deren Seite er früher einmal stand. Hier scheint eine zusätzliche Besonderheit schon fast darin zu liegen, dass die Hauptrolle männlich besetzt wurde. Die Idee von »Roswell« (1999) steckt in dem Konzept, dass Außerirdische, die im Äußeren völlig den Menschen gleichen, allerdings über besondere Kräfte und Fähigkeiten verfügen, unerkannt unter den Menschen leben. Ihr größter Wunsch besteht darin, etwas über ihre Heimat zu erfahren. »Dark Angel« (2001) schließlich war nur mäßig erfolgreich. Genmanipulierte Menschen, die als perfekte Soldatinnen erschaffen wurden, fliehen aus dem Lager und mischen sich unter die Menschen, um ein normales Leben führen zu können. Sie müssen sich allerdings unauffällig verhalten, da sie von ihren >Schöpfern< gesucht bzw. gejagt werden. Das äußere Kennzeichen ihrer Andersartigkeit besteht in einem Strichcode, den sie im Genick tragen. Trotz dieser Besonderheiten und neuen Ideen finden sich in allen Serien die gleichen Muster der Wiedererkennung, es beinhalten alle dieselben Erzählstrukturen und ähnliche Formen der Bedrohung. Image der Serien Auch das Image der Serien gleicht sich und kündigt die Produktionen als spannend, sexy, gefährlich, jung, mystisch und unerklärlich an. Speziell Serien mit weiblichen Hauptdarstellerinnen werden oft mit >jung< und >sexy< angekündigt, wie zum Beispiel »Charmed«, »Buffy« und »Dark Angel«. Interessant zeigt sich an dieser Stelle, dass die Schlüsselbeschreibungen, das Image, das von den Produzentinnen entworfen wird, nicht zwangsläufig dem gleicht, was die Fans herauslesen. Gerade wenn es um weibliche Stärke geht, steht für viele Fans tatsächlich diese im Vordergrund und weniger das >sexy< Image. Allen gemeinsam ist die Ankündigung des Mystischen, Unerklärlichen und Geheimnisvollen, des Rätsels, das es zu lösen gilt. Dieses Image kennzeichnet das Genre Mystery und hebt es von anderen ab. »Charmed« lässt sich auf Grund der aufgelisteten Merkmale sehr leicht dem Mystery-Geme zuordnen. Die Serie zeigt stets Variationen der bereits aufgestellten Sammlung erzählbarer Geschichten, die Erzählstruktur funktioniert nach gleich bleibenden Mustern, die Arten von Bedrohungen finden sich in unterschiedlichen Ausführungen und die Mus-
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ter, die der Wiedererkennung dienen, stimmen mit der Genredefinition ebenso überein, wie das Image der Serie. Bleibt nur noch die Frage offen, warum gerade in unserer Zeit diese Themen von so großer Bedeutung sind und so viele Menschen beschäftigen. Speziell diese Frage ist wohl am schwersten zu beantworten und lässt viel Platz für Spekulationen. Den Kontext berücksichtigend, lässt sich jedoch Folgendes dazu sagen: Das immer wiederkehrende Thema der kleinen Gruppe, die über alles Bescheid weiß, kann als Ausdruck dessen gelesen werden, dass wir Menschen zu eben diesen Wissenden zählen wollen. »Wissen ist Macht«, heißt es in einem Sprichwort. >Zu wissen< bedeutet, vorbereitet zu sein und selbstbestimmt zu leben - keine Marionette zwischen den Kräften des Guten und des Bösen zu sein. Menschen wollen keine Marionetten sein, vielmehr sind sie daran interessiert zu erfahren, was sie erwartet, wie sie sich vorbereiten oder was sie notfalls gegen bestimmte Ereignisse tun können. Zu den Eingeweihten oder Vertrauten eines kleinen Kreises zu gehören, empfinden überdies viele Menschen als große Macht oder auch Auszeichnung, wie im Rahmen der Internet-Studie deutlich wurde. Auf der anderen Seite scheint es, als hätten die Menschen erkannt, dass es mehr auf dieser Welt gibt, als mit bloßem Auge zu sehen ist. Die Erklärungen der bisher dominierenden Institutionen reichen nicht mehr aus und so suchen sich die Menschen andere Wege, beschreiten neue Pfade, um zu neuen und befriedigenden Antworten zu kommen. Selbstverständlich spielen auch die Ereignisse der letzten Jahrzehnte eine bedeutende Rolle. Gerade die Postmodeme wird als Zeit sozialer und kultureller Entwicklungen, Verschiebungen, Verwerfungen und Brüche bezeichnet (vgl. Zima 1997: 18). Diese Entwicklungen und Brüche werden von den Medien aufgenommen und in bearbeiteter Form wieder dargestellt. Somit spiegeln sie natürlich auch die Vorstellungen und Ängste der Menschen - Ängste vor Katastrophen, Krankheiten, Ängste vor dem, was noch kommen kann oder vor einer Wiederholung dessen, was schon geschehen ist. Auch der Wunsch aus bisherigen Abhängigkeiten und Zwängen zu entfliehen, Wahlmöglichkeiten zu haben und sich seine Lebenssituation selbst zu gestalten ist Ausdruck der postmodernen Zeit (vgl. Eickelpasch 1997: 15). Eine Zeittafel im Anhang A zeigt einige bedeutende Ereignisse des letzten Jahrhunderts, die sich immer wieder in einzelnen Folgen der besprochenen Serien spiegeln: Frauen, die die Welt erobern stehen hier sicherlich im Vordergrund, aber auch Geschehnisse wie Umweltkatastrophen, Reaktorunfälle, UFO Sichtungen und erfolgreiches Klonen hinterlassen ihre Spuren in unterschiedlichen Produktionen. Warum gerade auch Hexen eine so zentrale Stellung einnehmen, wurde bereits im ersten Kapitel erörtert und wird in der Analyse der Fanbefragung nochmals aufgegriffen.
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»CHARMED« -DIE SERIE
»Charmed« ist eine von Aaron Spelling produzierte Serie aus dem Jahr 1998, die bereits in mehreren Staffeln zu sehen ist. Als HauptdarstellerInnen fungieren Shannen Doherty als Prue Halliwell, Holly Marie Combs als Piper Halliwell, Alyssa Milano als Phoebe Halliwell, Rose McGowan als Paige Matthews, Brian Krause als Leo Wyatt und Julian McMahon als Cole Turner. Die Geschichte Prue, Piper und Phoebe sind drei Schwestern, die gemeinsam im Haus ihrer verstorbenen Großmutter leben. Von ihr wurden sie auch groß gezogen, da ihre Mutter bereits früh starb und ihr Vater die Familie schon lange verlassen hatte. Phoebe, die jüngste, kann sich nicht einmal mehr an ihn erinnern. So haben sie niemanden mehr, außer einander. Einem glücklichen Umstand verdanken sie es, dass sie nach dem Tod ihrer Großmutter magische Kräfte erlangen und erkennen, dass alle drei Hexen sind, wie auch ihre Mutter und Großmutter es gewesen waren. Prue verfügt über die Macht, mit ihren Gedanken Gegenstände zu bewegen, Piper kann die Zeit anhalten und Phoebe bekommt Visionen aus der Zukunft oder der Vergangenheit. Gemeinsam nehmen sie nun ihr Schicksal an, kämpfen gegen das Böse und beschützen die Unschuldigen. Die größte Hilfe ist ihnen dabei das »Buch der Schatten« - ein Zauberbuch, das von Generation zu Generation, immer von Mutter zu Tochter, weitergegeben wurde und jeder neuen Generation mit Dämonenbeschreibungen und Anweisungen für Zauberelixiere und -sprüche hilfreich zur Seite steht. So ist es auch dem ersten Spruch aus dem Zauberbuch zu verdanken, dass die besonderen Kräfte in den Schwestern freigesetzt werden: »Die Macht von Dreien kann keiner entzweien!«
Egal ob alleine, zu zweit oder zu dritt - ihre Kräfte wirken überall und jederzeit. Am stärksten sind sie allerdings, wenn die drei Schwestern zusammen sind, denn dann verfügen sie über die besondere und nahezu unbesiegbare >Macht der DreiMacht der Drei< ist somit wieder auferstanden.
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Prudence Halliwell: Kurzbeschreibung Prue ist die älteste der drei Schwestern. Nach zwei erfolgreichen, aber unbefriedigenden Jobs macht sie sich als Fotografin selbständig und erfüllt sich damit einen lange gehegten Wunschtraum. Seit dem Tod ihrer Mutter hat sie sich stets um ihre Schwestern gekümmert und flir sie gesorgt. Diese GeHihle der Verantwortung stecken tief in ihr und lassen sie oft ernst und besorgt erscheinen. Ihre Schwestern äußern ihr gegenüber oft, dass sie nun keine Mutter mehr bräuchten, sondern vielmehr eine Schwester. Prue besitzt die Kraft, mit ihren Gedanken Gegenstände zu bewegen. In späteren Folgen erhält sie außerdem die Fähigkeit der Astralprojektion, was bedeutet, dass sie sich an einer beliebigen Stelle, quasi als Geist, verdoppeln kann. Charakter und Fähigkeiten: Lässt man sich auf die dargebotene Vorzugslesart der jeweiligen Person ein, so spiegelt sich in Prue die klassische >älteste SchwesterKarrierefrau< verleiht. Sie spricht ernst und gebildet, erscheint zur Arbeit in dezenten, aber eleganten Zweiteilern, weiß auf fachliche Fragen stets eine Antwort und lässt sich von anderen nicht hinters Licht führen. Pmes Charakter folgt dem Diskurs der starken, unabhängigen Frau, die selbständig arbeitet und sich selbst zu helfen weiß. Sie handelt selbstbestimmt und zeigt bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten, dass ihr weder Männer noch andere Frauen das Wasser reichen können. Vorschreiben lässt sie sich gmndsätzlich nichts, was sie nicht selbst für wichtig oder richtig erachtet. Alles in allem präsentiert sich Prue als starke und selbstbewusste Frau, die in jeder Situation erreicht, was sie erreichen möchte - zumindest bemflich. Privat stellt sich die Situation ein wenig anders dar. Ihre Beziehung zu Andy, einemjungen Polizisten, zerbricht schließlich daran, dass Andy, als er von ihrem Hexendasein erfährt, nicht mit dieser neuen Erkenntnis umgehen kann. Auch andere Beziehungen halten nicht lange und so flüchtet sich Pme immer wieder in ihre Arbeit. Ein nahe liegender Schluss, den man daraus ziehen könnte, ist, dass sich Karriere und privates Liebesglück nicht vereinen lassen. Dieser stellt sich aber als trügerisch dar. Ihre Beziehung zu Andy geht nicht aufgmnd von Pmes Karriere zugmnde, sondern weil Andy mit der Tatsache, dass Prue eine Hexe mit besonderen Kräften ist, nicht umgehen kann. Prue ist nicht bereit, ihre besondere Macht Andy zuliebe aufzugeben, sondern erkennt sie als Teil von sich selbst an und entscheidet sich dementsprechend nicht dafUr, ihre Kräfte zu verleugnen, nur um bei
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einem Mann bleiben zu können, sondern für sich selbst. Auch hier nimmt sie die Haltung einer von Männern unabhängigen Frau ein, die ihre zurückgewonnene Macht nicht mehr aufgeben möchte, auch nicht für die Liebe, denn Liebe bedeutet gegenseitige Akzeptanz und Anerkennung, und nicht Unterdtückung. Der Umstand, dass die Schwestern ihre besonderen Kräfte und Mächte zurückgewinnen mussten, zeigt sich an sich schon äußerst symbolträchtig: Wie in Folge lxl7, »Zurück in die Vergangenheit«, deutlich wird, hatten die drei Schwestern eigentlich schon als Kinder ihre besonderen Kräfte. Um sie vor einem Dämon zu schützen, musste ihre Großmutter damals allerdings ihre Kräfte blockieren und erst als alle drei im Erwachsenenalter wieder zueinander finden, erlangen sie ihre Kräfte aufs Neue. In der Thematik der wiedererlangten Kräfte lassen sich Parallelen zur wiedererlangten Macht der Frauen im 20. Jahrhundert finden. Lange Zeit kämpften Frauen um ihre Rechte und die Anerkennung ihrer Fähigkeiten. Folgende Generationen hielten an ihrer wiedererlangten Macht fest und versuchten sie auszubauen, worum sich auch die drei Schwestern aus »Charmed« bemühen. In diesem Sinne kann die wiedergewonnene Macht der drei Hexenschwestern als Symbol für die Macht der Frauen verstanden werden, die erst erkämpft werden musste und die sie unter keinen Umständen mehr bereit sind aufzugeben. Prue verfügt bis zum Ende der dritten Staffel, wie bereits erwähnt, über zwei Fähigkeiten: die Telekinese und die Astralprojektion. Die Fähigkeit der Telekinese bringt Prue die Macht, Objekte, Gegenstände, aber auch Tiere und Menschen mit ihren Gedanken zu bewegen. Diese Kraft legt die Interpretation nahe, dass Frauen nicht nur über körperliche, sondern auch über geistige Kräfte verfUgen, die sie gezielt und wirkungsvoll an verschiedenen Orten und in jedweder Situation einzusetzen im Stande sind. Sie können quasi alles in Bewegung versetzen, wenn sie es nur wollen. Dazu müssen sie nicht einmal physische Kräfte oder gar Gewalt anwenden, allein durch ihre Gedanken erreichen sie Unglaubliches. Die Fähigkeit der Astralprojektion kann als symbolischer Ausdruck dafür verstanden werden, dass Frauen sich trauen sollten, aus sich herauszugehen, um weiterzukommen und Lösungen zu finden. Eigene Weiterentwicklung und eigener Perspektivenwechsel sind der Schlüssel zur Selbstverwirklichung. Piper Halliwell: Kurzbeschreibung Piper nimmt die Position der mittleren Schwester ein. Sie ist leidenschaftliche Köchin, weshalb sie sich diese Vorliebe auch zum Beruf macht. Als Geschäftsführerirr führt sie zunächst ein Restaurant, eröffnet aber später einen eigenen Club, das »P3«. Mit diesem Schritt erfüllt sie sich ebenfalls einen alten Kinderwunsch und wird von ihren Schwester in jeglicher Hinsicht unterstützt.
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Piperist diejenige, die Phoebe wieder nachhause holt und zwischen ihren Schwestern vermittelt, denn Phoebe und Prue sind aufgrund vergangener Ereignisse nicht besonders gut aufeinander zu sprechen. Piper hilft den Streit der beiden beizulegen und ein starkes schwesterliches Band zu knüpfen. Dieser starke Zusammenhalt ist es schließlich auch, der die Schwestern sämtliche Situationen meistem lässt und ihre Beziehung zu etwas Besonderem macht. Piper besitzt die Kraft, mit einer Bewegung ihrer Hände Personen oder Objekte erstarren zu lassen: Dämonen, fahrende Autos, herunterfallende Gläser, usw. Mit der Zeit erhält sie außerdem die Fähigkeit, Gegenstände explodieren zu lassen, was sich für die Dämonenjagd als äußerst nützlich erweist.
Charakter und Fähigkeiten: Piper zeigt sich als Vermittlerinzwischen Prue und Phoebe. Sie entspricht zunächst ein wenig dem Image der braven, fleißigen Hausfrau, auch wenn sie eigentlich in ihrem Job- sie ist ja Köchin und später auch Geschäftsführerin bzw. Club-Besitzerin - sehr erfolgreich ist. Piper ist diejenige, die das Haus sauber hält, einkaufen geht, kocht und sich auch um alle anderen häuslichen Angelegenheiten kümmert. Sie ist die Vorsichtige in der Familie, zurückhaltend und leise, verantwortungsbewusst, liebevoll und fürsorglich - allen gegenüber. Immer wieder fungiert sie als Bindeglied zwischen den Schwestern und versucht, gegenseitiges Verständnis ftir einander zu erwecken. Fast scheint es so, als hätte Piper zum Dank daftir, dass sie ein so liebevoller und fürsorglicher Mensch ist, auch den einzig wirklich liebevollen Mann an ihrer Seite, Leo. Weder Prue noch Phoebe gehen ähnlich intensive und gleichzeitig so vertrauensvolle und lang anhaltende Beziehungen ein, wie Piper. Dieser Umstand könnte nahe legen, dass nur liebevolle Frauen auch liebevolle Männer bekommen. Aus einer anderen Perspektive ist aber zu berücksichtigen, dass Leo der einzige Mann ist, der um die Situation der drei Schwestern und ihre magischen Kräfte vollständig Bescheid weiß und sie nicht nur akzeptiert, sondern auch noch fördert. Hierin zeigt sich abermals, dass glückliche Beziehungen nur dann geführt werden können, wenn Männer ihre Partnerinnen nicht nur akzeptieren, sondern deren Fähigkeiten lieben, schätzen und fördern, statt sie zu ignorieren oder zu blockieren. Nicht nur Prue, auch Piper verkörpert ein sehr starkes Frauenbild. Sie stellt eine Frau dar, die sowohl Karriere machen (sie führt einen eigenen, gut gehenden Club) als auch in einer funktionierenden Beziehung leben kann. Gleichzeitig kann aus ihrem Charakter gelesen werden, dass sich Frauen nicht entscheiden müssen, entweder stark oder schwach zu sein, sondern trotz, oder gerade aufgrund ihrer Stärke anderen Liebe und Fürsorge entgegen bringen können. Stärke und Liebe sind keine Gegensätze, Fürsorge und Vorsicht keine Schwächen, sondern Fähigkeiten, die einander ergänzen und jemanden zu etwas Besonderem machen.
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Piper verfügt mit der Zeit ebenfalls über zwei Kräfte: Objekte bzw. Personen erstarren oder aber auch explodieren zu lassen. Symbolisch gesehen ist Piper diejenige, die den Spieß umdreht: Nun ist es nicht mehr sie, sind es nicht mehr die Frauen, die bewegungslos und erstarrt in ihren Rollen feststecken, Piper lässt die anderen erstarren und bewegungsunfahig zusehen, wie die drei Schwestern aktiv ihr Leben in bestimmte Bahnen lenken und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Die Fähigkeit, alles explodieren zu lassen, zu zerstören, spiegelt ftir Frauen die Möglichkeit, Gefahren oder Hindernisse aus dem Weg zu räumen, Richtlinien oder Regeln zu brechen, die andere aufgestellt haben, um sie an ihren Aktivitäten, ihrem Fortkommen zu hindem und an die sie sich aus diesem Grund nicht zu halten gedenken. Auch in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen der Frauenbewegungen haben Frauen immer wieder Regeln und Richtlinien umgestoßen und neu definiertalte Muster vernichtet, um neue einzuführen und sich so die Positionen zu schaffen, die ihnen zustehen und die sie selbst einnehmen wollen. Phoebe Halliwell: Kurzbeschreibung Phoebe ist die jüngste der drei Schwestern. Sie erscheint sorglos, ausgelassen und nimmt das Leben nicht ganz so schwer. Ihre anfangliehe Unzuverlässigkeit stellt die schwesterlichen Beziehungen immer wieder auf eine harte Probe. Phoebe besitzt die Gabe, in die Zukunft oder die Vergangenheit zu sehen. Diese Fähigkeit lässt sich allerdings nicht gut steuern, denn sie erhält ihre Visionen nur dann, wenn sie Gegenstände oder Personen berührt, die in ein gefahrliches Geschehen verwickelt sind. In einer Auseinandersetzung mit einem Dämon wird unbeabsichtigt dessen Fähigkeit zu >schweben< auf Phoebe übertragen, was bedeutet, dass sie zwar nicht richtig fliegen, aber immerhin kurzzeitig in der Luft schweben kann. Im direkten Kampf gegen Dämonen verschafft ihr das natürlich gewisse Vorteile und sie verfügt nun endlich auch über eine >aktive Kraftvon oben< zu betrachten. Ein gewisser Abstand zu Dingen und Geschehnissen bringt die nötige Distanz, um zu klaren Einsichten zu kommen und entsprechende Handlungen in die Wege zu leiten.
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Paige Matthews: Kurzbeschreibung Nach Prues Tod tritt Paige in das Leben von Piper und Phoebe, eine Halbschwester. Sie entstammt einem heimlichen Verhältnis ihrer Mutter mit ihrem Wächter des Lichts, ihrem Schutzengel. Paige nimmt nun den Platz der jüngsten Schwester ein. Sie besitzt die Fähigkeit des >OrbensSchönheitsfehlerOrbens< könnte in gewisser Weise für die Flexibilität von Frauen stehen. Sie sind nicht an einen Ort gebunden, sondern können sich frei nach ihren Vorstellungen überall hin bewegen. Unerwartet tauchen Frauen so mitunter an Orten und Plätzen auf, die ihnen lange Zeit verwehrt waren und sie entscheiden selbst, wann sie wohin gehen und wann sie bestimmte Orte auch wieder verlassen. Der zentrale Punkt steckt in der Möglichkeit, sich frei zu bewegen.
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Paiges Fähigkeit Objekte in ihre Hand zu zaubern bringt deutlich zum Ausdruck, dass Frauen ihr Leben selbst in die Hand nehmen und selbständig handeln sollten, anstatt sich zu verstecken und auf Hilfe zu warten. Gerade dieser Umstand des aktiven Handeins wird auch in sehr vielen Folgen als direktes Thema aufgegriffen. Die Schwestern warten nicht ab, was auf sie zukommt, sondern sie handeln - überlegt, aber doch schnell und aktiv, anstatt sich passiv ihrem Schicksal zu ergeben und zuzusehen, was mit ihnen geschieht. Leo Wyatt: Kurzbeschreibung Leo ist ein »Wächter des Lichts« - ähnlich einem Schutzengel, der auf die Hexenschwestern achtet. Er besitzt die Fähigkeit zu >orben< und mit seinen Händen zu heilen. Ziemlich bald, nachdem er das erste Mal bei den Schwestern auftaucht, verliebt er sich in Piper. In der dritten Staffel gelingt es den beiden endlich auch, nach vielen Schwierigkeiten und Hindernissen, zu heiraten. Charakter und Fähigkeiten: Leo ist nicht nur »Wächter des Lichts« flir die Schwestern, er ist auch Freund bzw. Ehemann. Seine Aufgabe besteht darin, den Schwestern zur Seite zu stehen, sie zu beraten und zu beschützen. Leo tritt als sehr feinflihliger und sensibler Mann auf, der viel Verständnis für die Schwestern zeigt und sie bei all ihren Schwierigkeiten unterstützt. Im übertragenen Sinn ist er jemand, der die Macht der Frauen nicht nur akzeptiert, sondern schätzt und sogar fördert. Er weiß um ihre Stärke, fürchtet sie aber nicht als Konkurrenz, sondern erkennt die Bedeutungen und Potenziale, die in einem gemeinsamen Vorgehen liegen. Mit seinen Aufgaben und Fähigkeiten streift Leo ein wenig das ldassische Muster des beschützenden Mannes und des heilenden Arztes, der er früher tatsächlich von Beruf war. In manchen Situationen hätten es die Schwestern ohne Leo nicht geschafft, allerdings ist es nie Leo selbst, der aktiv wird, Schwierigkeiten überwindet und Dämonen besiegt. Seine Aufgaben liegen mehr im Unterstützen der Schwestern. Diese wissen, dass sie sich auf Leo verlassen können und sehen in ihm einen der wenigen, der sie versteht und schätzt, wie sie sind. Cole Turner: Kurzbeschreibung Cole ist halb Mensch und halb Dämon. Eigentlich sollte er die »Mächtigen Drei« vernichten, doch verliebt sich seine menschliche Seite so sehr in Phoebe, dass er mit ihrer Hilfe alles versucht, um seine dämonische Hälfte auszulöschen. Nur Phoebes Schwestern bleiben Cole gegenüber immer ein wenig skeptisch und vorsichtig. Charakter und Fähigkeiten: Cole stellt in sich bereits einen ambivalenten Charakter dar, der mal der einen, mal der anderen Seite verfällt. In den ersten Folgen zeigt er sich als jemand, der die Hexenschwestern ver-
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nichten und ihre Kräfte auslöschen möchte. Viele Dämonen versuchen ständig sich die Macht der Hexen anzueignen, also den Frauen ihre Macht wieder zu nehmen, aber weder ihnen noch Cole gelingt es, die Kräfte an sich zu reißen und die Schwestern endgültig zu vernichten. Auch hier findet sich im übertragenen Sinn der Kampf der Frauen um ihre Macht und die Akzeptanz und Anerkennung ihrer Fähigkeiten. Immer wieder sehen sie sich Menschen oder Dämonen gegenüber, die ihnen ihre Macht streitig machen, oder sie aus Furcht vor ihrer Stärke zu vernichten versuchen. Cole ist zu Beginn tatsächlich jemand, der die Mächte der Schwestern fUrchtet und sie aus diesem Grund bekämpft. Erst durch die Liebe zu Phoebe beginnt er sich zu ändern und die Schwestern mehr oder weniger zu unterstützen. Die ganze Zeit über bleibt er allerdings bis zu einem gewissen Grad undurchschaubar und ambivalent in der Akzeptanz der magischen Fähigkeiten der Schwestern. Von seiner >dunklen Seite< kann er sich nie vollständig befreien, so sehr er es auch möchte. Dieser Umstand zeigt, dass Menschen in ihren Vorstellungen und Werten oftmals so festgefahren sind, dass sie es nicht schaffen, sich gänzlich von diesen zu lösen und sich neue Muster anzueignen. Diese flinf bzw. sechs Hauptcharaktere bestimmen das Geschehen der Serie. Jede Folge wird auf eine Schwester und deren Umfeld abgestimmt, wobei sich hier keine Regelmäßigkeiteil zeigen, manche Themen aber über mehrere Folgen aufgebaut und bearbeitet werden. In welcher Weise die einzelnen Themen aufgegriffen werden und welche Bedeutungen sowohl den Charakteren als auch den Inhalten zugeschrieben werden, ist Gegenstand des Forschungsprojekts, das in den folgenden Kapiteln ausgeführt wird.
5.
DIE INTERNET-BEFRAGUNG
FORSCHUNGSDESIGN UND DURCHFÜHRUNG
»Charmed« ist zweifellos eine Serie mit neuen Ideen und neuen Inhalten, die in vielen Teilen der Welt von unzähligen Fans mit Spannung und Freude mitverfolgt wird. Die Fangemeinde im Ganzen lässt sich schwer fassen, die Einschaltquoten sprechen aber für sich. Die ersten Staffeln von »Charmed« haben im deutschen Sprachraum bereits mehrere Wiederholungen erfahren und amerikanische Fans berichten, dass die Serie auf unterschiedlichen Sendern mehrmals täglich zu sehen ist. Die Fans lieben die Hexenschwestern und haben eine unwahrscheinlich große Fankultur entwickelt, an der sich viele tausend Fans regelmäßig beteiligen. Diese Tatsache veranlasste mich zu dem Schritt, mein Forschungsprojekt mit der Frage zu beginnen, was denn die Serie »Charmed« so besonders werden lässt, welche Inhalte und Darstellungen sie wiedergibt, dass sich so viele Menschen jeden Alters und Geschlechts als treue Fans bekennen und sich aktiv am Aufbau und der Aufrechterhaltung einer solch großen und kreativen Fankultur beteiligen. Des Weiteren erwies es sich als besonders interessant herauszufinden, was es für die einzelnen Fans bedeutet, Teil dieser Fangemeinschaft zu sein. Eine Analyse der Serieninhalte und Charaktere allein schien mir dieses Phänomen nicht ausreichend zu erfassen. Ich wollte mit den Fans selbst in Kontakt treten und auch mit Betreiberinnen von Fanpages über ihre Liebe zu »Charmed« diskutieren, denn schließlich sind es ja zu einem überwiegenden Teil die Fans, die einer Serie ihre Bedeutung verleihen. Davon abgesehen wollte ich herausfinden, inwieweit sich die Ergebnisse der von mir durchgeführten Analysen mit den Inhalten decken, die von den »Charmed« Fans aus der Serie herausgelesen werden. Zu diesem Zweck besuchte ich unterschiedliche Fanpages im Internet und traf eine engere Auswahl an Seiten, mit deren Betreiberinnen ich Kontakt aufnehmen wollte. Zunächst wandte ich mich an Andrea, eine junge Webdesignerin aus den USA, die die Seite, www.thecharmedones.com betreut. Auf ihrer Fanpage bewegen sich täglich mehrere hundert Fans
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und sie erklärte sich gerne bereit, mir weiterzuhelfen und mich mit anderen Fans in Kontakt zu bringen. Nun stellte sich mir nur noch die Frage, wie dieser Kontakt genau aussehen sollte und welche Art der Befragung am geeignetsten wäre: E-Mail, Formularfelder, Chatrooms, Foren? 1998 führten David R. Schaefer und Don A. Dillman ein Experiment zu unterschiedlichen Formen von Befragungen durch. Ihre Untersuchung zielte darauf ab herauszufinden, ob auf E-Mails basierende Befragungen ausführlicher und schneller beantwortet werden und ob sie höhere Rücklaufquoten erreichen würden, als bisherige Standartbefragungen per Post. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass auf E-Mails basierende Befragungen eine leicht höhere Rücklaufquote erreichen, um einiges ausführlicher beantwortet und auch schneller zurückgesendet werden als Fragebögen, die per Post ausgeschickt werden (vgl. http://survey.sesrc.wsu.edu/dillman/ papers/E-Mail ppr.pdf). Chris Mann und Fiona Stewart (2000) zählen zu den Vorteilen von E-Mail Befragungen, dass sie zunächst einmal, was die Handhabung betrifft, für beide Seiten eine sehr praktische Methode darstellen und sich mit anderen Methoden gut kombinieren lassen. Kosten und Zeitaufwand sind relativ gering und mehr und mehr Menschen erhalten Zugang zu dieserneuen Form der Kommunikation, mehr und mehr Menschen sind also über E-Mail erreichbar (vgl. ManniStewart 2000: 67ff.). An dieser Stelle muss natürlich darauf hingewiesen werden, dass bereits die Zuwendung zum Medium Internet eine Selektion darstellt, da selbstverständlich lange nicht alle Menschen über einen Zugang zum Internet verfügen. Nicht nur, dass sich schlussendlich auch finanzielle Hürden offenbaren, oft fehlen die notwendigen Kompetenzen mit dem Medium umzugehen und so ergeben sich mitunter natürlich auch geschlechts- und altersspezifische Unterschiede in der Internetnutzung. E-Mail Befragungen bringen aber auch Nachteile mit sich, wie etwa die Handhabung unterschiedlicher Betriebssysteme und Programme. Je nach Betriebssystem und Programm kann es zu Schwierigkeiten mit Attachments kommen, bei einem schlechten Internetzugang nimmt der Vorgang des Henmterladens viel Zeit in Anspruch und die Auswertung bedeutet für die jeweiligen Forscherinnen sehr viel Arbeit und Zeit. Jedes E-Mail verlangt individuell bearbeitet zu werden, im Gegensatz zu vorgefertigten Formularfeldern, deren Inhalt automatisch in eine entsprechende Datenbank eingetragen werden kann und die auch automatische Antworten generieren. Auf Webseiten basierende Befragungen bergen vielleicht weniger Nachteile, dafür aber möglicherweise mehr Hürden. Für Forscherinnen ist ein spezifisches technisches Wissen notwendig, um die Websites zu erstellen, des Weiteren nimmt die Programmierung sehr viel Zeit in Anspruch und so kann das Einrichten einer solchen Seite mitunter eventuell doch auch zu einer Kostenfrage werden (vgl. ebd.). Sheehan und Hoy nennen aber auch zahlreiche V orteile von Befragungen, die auf Websei-
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ten basieren: Gut programmierte Websites können sehr ansprechend und interessant gestaltet werden, was viele Personen animiert, an den entsprechenden Befragungen teilzunehmen. Antworten werden direkt gegeben und können quasi aus der ganzen Welt eintreffen. Je nach Bedarf kann eine Untersuchung den Befragten vollständige Anonymität bieten oder aber auch zu weiteren Kontakten einladen. Die Kosten dieser Methode sind, sollte man selbst in der Lage sein, eine entsprechende Seite zu gestalten, relativ gering, vor allem im Vergleich zu notwendigen Papier- und Briefinarken-Kosten, müssten sämtliche Unterlagen per Post versendet werden (vgl. http://www.ascusc.org/jcmc/vol4/issue3/sheehan. html). Da ich für meine eigene Untersuchung keine Adressen zur Verfügung hatte, wie Schaefer und Dillman, und außerdem einen möglichst breiten Personenkreis ansprechen wollte- es lag ja beispielsweise durchaus in meinem Interesse herauszufinden, welcher Altersgruppe die meisten Fans zuzuordnen wären - schien die Methode der E-Mail Befragung mit der auf Webseiten basierenden Befragung zu kombinieren, nahe liegend, was bedeutet, dass ich sämtliche meiner Fragen (siehe Anhang B) sowie meine eigene E-Mail Adresse auf eine eigene Website stellte, die ich für »Charmed« Fans durch Bilder und farbige Gestaltungen so ansprechend wie möglich gestaltete. Anschließend bat ich Andrea, die Betreuerin der US-amerikanischen »Charmed« Seite, auf ihrer Startseite einen deutlichen und gut leserlichen Link zu meiner Befragung zu setzen. Die Fans sollten so auf meine Website gelangen, die von mir gestellten Fragen in ein E-Mail kopieren, dort beantworten und an mich zurücksenden. Meine Überlegungen und Gründe, mit dieser kombinierten Methode zu arbeiten, waren folgende: In der heutigen Zeit wird der >Posteingang< von unzähligen WerbeMails oder anderen E-Mails überflutet, die sehr schnell gelöscht werden, ohne gelesen worden zu sein. Mit meiner Befragung wollte ich vermeiden, zu eben diesen gezählt zu werden. Zwar besteht die Möglichkeit, sich in >mailing lists< einzutragen und sich somit zu vergewissern, dass eine zumindest am Thema interessierte Fangruppe das E-Mail erhält - allerdings wäre eine solche Befragung schon im Vorfeld sehr eingeschränkt gewesen. Meine Fragen auf eine eigene Website zu stellen und Links dorthin setzen zu lassen, würde auch all den Fans, die sich nie in Foren aufhalten, in keinen mailing lists eingetragen sind und die keine Chatrooms besuchen die Möglichkeit geben, an meiner Befragung teilzunehmen. Es lag mir außerdem fern, typische Online-Formulare oder Felder zu erstellen, in denen die Antworten einfach nur anzuklicken wären. Die Fragen sollten möglichst offen bleiben und die Antwortmöglichkeiten erweitern, anstatt sie durch bereits bestehende Antworten einzuschränken. Abgesehen davon sollten sich die Fans frei fühlen, so viel oder so wenig zu schreiben, wie sie eben wollten. Ein fertiges Textfeld kann mitunter das Gefühl vermitteln, entweder alles ausfüllen zu müssen,
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was unter Druck setzen kann, oder aber zuwenig Platz zu haben, die eigenen Gedanken weiter auszuführen. Auch diese möglichen Hindernisse sowie einen eventuellen Druck wollte ich weitgehend vermeiden. Allerdings musste ich auch damit rechnen, dass sich manche Fans von eben diesem vielen Platz abgeschreckt fühlten und vielleicht nicht die Zeit erübrigen konnten oder wollten, detaillierte Antworten zu verfassen. Trotz der jeweiligen Vor- und Nachteile hielt ich diese Methodenkombination der Forschungsfrage angemessen. Da Viren und unerwünschte E-Mails eine recht große Gefahr für einen Computer und sämtliche der vorhandenen Dateien darstellen, legte ich mir ftir die Internet-Befragung eine eigene E-Mail Adresse zu, die ich relativ gefahrlos im Netz abrufen und nach meiner Studie wieder aufgeben konnte. Meinem Forschungsinteresse entsprechend formulierte ich Fragen, die einerseits die Serie selbst betrafen, andererseits die Rezeptionssituation der Fans, die alltägliche Bedeutung der Inhalte aus »Charmed« und die Nutzung des Mediums Internet in Bezug auf »Charmed«. Für meinen Probedurchlauf mit der Befragung erstellte ich eine englischsprachige Website, die Andrea auf ihrer Startseite in ihren eigenen Worten folgend ankündigte: »CHARMED as a University Research Subject Charmed is entering into our everyday mainstream of a popular cult topics. Because of this, a new research on this subject is being conducted for an University Thesis. This is not for fun, but an actual research subject! Johanna Mutzl, a Austrian communications researcher/scientist will be conducting an in-depth research on Charmed fans and the effects it has on our everyday lives. The internet is a new field for researchers but most of them are only interested in chat rooms, mailing lists of whether an internet community is a real community or not. The things Johanna wants to find out about are: what is so special about charmed that fans use fanpages, and what do they like most of all (and why). We need fans to got to the website and answer a few questions on how this show impacts your life. lt is open to everyone around the world and we would appreciate if you can take a few minutes to answer the questions. Thank you. « http://www.thecharmedones.com
Die Testphase von einigen Tagen war ein so großer Erfolg, dass die Befragung bis auf kleine Änderungen in der gleichen Weise weiterlaufen konnte. Es war auch nicht notwendig, wie zuerst geplant, weitere Webdesignerinnen anzuschreiben und um Hilfe zu bitten. Die Ankündigung der Studie verselbständigte sich innerhalb kürzester Zeit und wurde von diversen anderen Seiten ohne jegliches Zutun meinerseits aufgenommen. So las ich in unterschiedlichsten Foren meine Ankündigungen bzw. Hinweise auf die Studie, die ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie besucht hatte. Abgesehen von den meist sehr ausführlichen Antworten auf meine Fragen bekam ich auch viele erfreute und begeisterte Rückmeldungen zur Studie selbst:
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»lnteresting project, I wish I had thought of it first!!! Good Luck.« 27/04/24 »Thank you for the opportunity to comment on the show.« 19/04/24 »I think your research is a great project. You have really taken your interest in Charmed to another Ievei by surveying and analysing what you found. I hope when you finish this project, you can post a synopsis on the site.« 23/05/8 »Thank you for putting out your survey. I live in the U.S.A. and with war going on right now, it is nice to see something as fun and refreshing as your study. Thanks again!« 22/04/3
So groß das Interesse und die Begeisterung an meiner Befragung auch war, einige Fans äußerten sich doch skeptisch bzw. konnten gar nicht glauben, dass sich Wissenschaftlerinnen an Universitäten mit Themen der Populärkultur beschäftigen und entsprechende Studien durchführen, was wiederum zeigt, wie wenig Ansehen Populärkultur bzw. die Beschäftigung mit derselben immer noch genießt. »First of alll think this is a little weird. People are fans of all sorts of shows and it doesn't generate any research!« 24/04/8 »I can't believe you' re gonnaget a degree for this!« 26/04/28 »To whom it may concern: Don't be ridiculous- The Charmed TV show is just that, Charmed, so to speak. lt is just another fun show that comes around every so often and it started off good and now the writers are running out of material and the episodes are getting very silly. As most shows the main characters get bored and leave the show and the rest of the cast struggle to stay interesting. Maybe it is time for the show to end ... « 16/05/2
Abgesehen von diesen wenigen kritischen Kommentaren erstaunte mich vor allem folgendes E-Mail, das sowohl die Absicht hinter meiner Studie als auch die Verwendung der Ergebnisse in Zweifel zog: »I am a huge charmed fan but am very sceptical about a survey for people who like an occult show like Charmed. Especially a show like Charmed. There is a Iot of truth in Charmed! What exactly is it that you are trying to find?« 22/04/19
Skepsis ist gerade im Internet durchaus angebracht. Die Unsicherheiten meiner Studie gegenüber zeigen aber natürlich auch ganz deutlich, dass das Thema >Hexen< und >Okkultismus< nach wie vor sehr umstritten und aus diesen Gründen vorsichtig zu bearbeiten ist. Im Allgemeinen war das Vertrauen zu meiner Befragung aber sehr groß - sicherlich nicht zuletzt aus dem Grund, weil Andreas Seite als seriös gilt und ich meine Studie unter keinem Pseudonym durchführte, sondern meine Person und meine Absichten recht deutlich zum Ausdruck brachte.
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Die gesamte Befragung, mit dem Link auf Andreas Seite, dauerte vom 18. April bis zum 06. Juni 2003. Auf den deutschsprachigen Seiten lief die Befragung vom 02. Mai bis zum 15. Juni 2003. In diesem Zeitraum besuchten mehrere tausend Fans die Website. Allein im Monat April wurden über 11.000 Anfragen mitprotokolliert Im Monat Mai zählte die Statistik weitere 18.700 Anfragen, was einem Durchschnitt von 600 Anfragen pro Tag entspricht. Die deutschsprachigen Befragungsankündigungen wurden ebenfalls von den Fans selbst gestaltet; in keinem der Fälle wurden von meiner Seite irgendwelche Vorgaben hinsichtlich der Ankündigung gemacht. Die Fans gestalteten die Ankündigungen ganz nach ihrem persönlichen Interesse. Es war spannend zu beobachten, welche Bedeutung sie meiner Studie beimaßen und in welcher Weise sie diese demzufolge ankündigten. Auf der Seite http://www.a-s-charmed.de war zu lesen: »Eine Kommunikationswissenschaftlerin aus Österreich namens Johanna führt momentan ein Forschungsprojekt zu Charmed durch und braucht die Hilfe möglichst vieler Fans. Sie bat in unserem Forum um Teilnahme an einer von ihr erstellten Umfrage. Wir finden, dass solche Projekte unsere Unterstützung verdienen. Wenn ihr also Lust und ein bisschen Zeit habt, dann könnt ihr ja hier an ihrer Umfrage teilnehmen.«
In der Zeit zwischen 18. April und 15. Juni erhielt ich insgesamt über 700 E-Mails. Ein einziges davon konnte ich mit meinen Programmen nicht öffnen, drei waren mit spöttischen Inhalten versehen und insgesamt 12 E-Mails beinhalteten Viren. Davon ausgehend, dass nicht alle Viren immer absichtlich versendet werden, war das ein sehr gutes Ergebnis. Natürlich hätte ich viel mehr Antworten erhalten, hätten die Befragten nur einiges anklicken und nicht selbst schreiben müssen, was mir manche in wenigen Worten auch mitteilten. Sie hätten sich durchaus die Zeit genommen einen Fragebogen durchzuklicken, aber selbst zu schreiben wäre zu zeitaufwändig gewesen. Da mir in diesem Fall aber die qualitative Auswertung am Herzen lag, war die bereits erreichte Anzahl an Antworten mehr als ausreichend und ich ließ meine Befragung weiterhin offen. In die Analyse konnte ich 532 englischsprachige und 118 deutschsprachige vollständige E-Mails einbinden. Eine exakte Auflistung von Zugriffen nach Ländern ist in Anhang C nachzulesen. Von den erhaltenen E-Mails waren insgesamt 531 von weiblichen und 119 von männlichen Fans. Einige E-Mails beinhalteten nur Fragen oder Rückmeldungen in wenigen kurzen Sätzen. Diese werden in der folgenden Statistik zwar aufgelistet, konnten in die Auswertung selbst aber natürlich nicht miteinbezogen werden. Generell sollte an dieser Stelle noch angemerkt werden, dass auch in manchen sehr ausführlichen E-Mails nicht immer alle Fragen beantwortet wurden. Aus diesem Grund schwankt die Grundgesamtheit der gegebenen Antworten je nach behandelter Frage.
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Die Länge der E-Mails bewegte sich zwischen einer halben Seite und zwölf Seiten, was mir bestätigte, wie wichtig es war, nicht nur die Fragen offen zu halten, sondern auch genug Platz für die Antworten zur Verfügung zu stellen. Immer wieder wurde mir außerdem im Anhang Fanfiction oder andere künstlerische Fanproduktionen gesendet, zu denen ich mitunter auch erbetene Rückmeldungen gab. Jedes erhaltene E-Mail wurde innerhalb kürzester Zeit (1-3 Tage) von mir persönlich individuell beantwortet. Fragen, die an mich gerichtet wurden, griff ich ebenso auf wie Amegungen und ich bedankte mich in jedem einzelnen Fall für die Teilnahme an meiner Studie. Daraufhin schrieben viele Fans ein weiteres Mal und teilten mir mit, wie sehr sie sich über die nicht erwartete Antwort gefreut hatten, ich sollte sie unbedingt über den Stand meiner Forschungen auf dem Laufenden halten und sie würden sich freuen, die Ergebnisse schließlich auch im Internet nachlesen zu können. Einerseits scheint es aufwändig, beinahe 700 E-Mails individuell zu beantworten, andererseits ist es aber ein wichtiges Zeichen gegenseitiger Wertschätzung, die unbedingt zum Ausdruck gebracht werden sollte, wie es unter anderem auch Virginia Nightingale (1996) in ihren Buch »Studying Audiences« klar darlegt. Für sie ist ein wichtiger Punkt in der Beziehung zwischen »researcher« und »audience«, dass es letztere in ihren Meinungen und Äußerungen nicht nur verdient angehört und ernst genommen zu werden, sondern sogar einen ganz besonderen Anspruch darauf hat (vgl. Nightingale 1996: 64). Im Falle meiner Studie führte der Versuch, eine in diesem Sinne positive Beziehung aufzubauen dazu, dass sich einige Fans nicht nur ebenfalls mit Dank ein zweites Mal an mich wandten, sondern auch mit dem Angebot, für weitere Fragen oder Anliegen gerne zur Verfügung zu stehen. In manchen Fällen entwickelten sich sogar sehr interessante E-Mail Freundschaften, die immer noch bestehen und meine Studie mit vielen Amegungen bereicherten. Nach Abschluss der Befragung wurden sämtliche Antworten in eine Datenbank eingetragen, und zwar, soweit erkennbar, nach Geschlecht, Alter und Herkunft und der jeweiligen Frage. An Altersgruppen ergaben sich, vom Datenmaterial ausgehend, zunächst sechs unterschiedliche Kategorien, die in der Endanalyse allerdings zum Teil wieder zusammengefasst wurden:
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Alterskategorien: bis 12 Jahre: 26 13-16 Jahre: 277 17-29 Jahre: 252 74 30-39 Jahre: 40-49 Jahre: 11 über 50 Jahre: 6
Antworten Antworten Antworten Antworten Antworten Antworten
Für die vollständige Analyse fasste ich erneut zusammen und nutzte die folgenden Kategorien: Kategorie 1: Kategorie 2: Kategorie 3: Kategorie 4:
bis 16 Jahre: 17-29 Jahre: 30-39 Jahre: über 40 Jahre:
303 252 74 17
Antworten Antworten Antworten Antworten
Diese Aufteilung ergab sich einerseits aus dem Datenmaterial, das deutliche altersbedingte Abstufungen aufzeigte und andererseits aus der allgemein anerkannten wissenschaftlichen Einteilung von Kindes-, Jugendund Erwachsenenalter, wie sie beispielsweise in dem von Oerter Montada (1995) herausgegebenen Buch »Entwicklungspsychologie« angegeben werden bzw. auch nach den einzelnen von Erikson (1988) aufgestellten Entwicklungsstufen. Erikson unterscheidet acht Entwicklungsstufen: Säuglingsalter, frühe Kindheit, Spielalter, Schulalter, Adoleszenz, frühes Erwachsenenalter, Erwachsenenalter und Alter. Da in meinen Untersuchungen die ersten drei Stufen keinerlei Rolle spielen, denn die Fähigkeiten und Fertigkeiten mit dem Internet in dieser Weise umzugehen sind einfach noch nicht gegeben, lässt sich die erste meiner Kategorien mit der Stufe des Schulalters vergleichen. In der Kategorie »über 40 Jahre« werden gleichsam die beiden Kategorien des Erwachsenenalters und Alters zusammengefasst, da auch für die letzte Stufe kein ausreichendes Datenmaterial zur VerfUgung stand. So ergaben sich die vier aufgestellten Kategorien. Erikson versuchte außerdem zu erklären, dass die einzelnen Entwicklungsphasen nicht eindeutig durch exakte Altersbegrenzungen zu bestimmen sind, sondern vielmehr von dem Beginn und Ende einer Phase gekennzeichnet sind (vgl. Erikson 1988: 86). Ganz in diesem Sinne sind die aufgestellten Grenzen auch nur als Richtwerte zu betrachten, die zur Analyse des Datenmaterials notwendig waren bzw. sich zu einem gewissen Teil aus demselben ergaben. Weitere interessante Ergebnisse wurden durch eine Unterteilung nach Kontinenten erhofft. Hierbei ergab sich aber nur ein einziger signifikanter Unterschied, der sich durch viele Fragen zog und deshalb als einziger berücksichtigt wurde: der Unterschied zwischen dem deutschen und englischen Sprachraum.
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Sämtliche E-Mails wurden von mir nach dem Datum kodiert (Tag/Monat/als wievieltes erhalten), da es sich als unmöglich erwies, für ca. 660 Fans Pseudonyme zu finden. Mit diesen Angaben werden sie in der Folge auch beim Zitieren angeführt. Erste Analyseergebnisse wmden am 16.07.2003 ins Netz gestellt die Fans sollten ja schließlich auch an den Ergebnissen teilhaben können, wie sie es sich so ausdrücklich erhofft hatten. Im Sinne der Cultural Studies erachtete ich es als bedeutend, einen groben Überblick über die Analyseergebnisse zu geben, da es genau genommen ja die Arbeit der vielen Fans war, die diese Untersuchung erst ermöglichte. In diesem Sinne sind die vielen Befragten ja auch keineswegs vernachlässigbare Forschungsobjekte sondern Expertlnnen, deren Aussagen als ernstzunehmende Statements zu sehen sind und deren Anrecht und Reaktionen auf die Studie nicht vernachlässigt werden sollten. Auf keinen Fall sollte in der Euphorie der Analyse darauf vergessen werden, welchen Stellenwert meine Interviewpartnerlnnen in diesem Projekt einnehmen. Die Befragungswebsite wurde also geändert und die wichtigsten Analyseergebnisse auf sehr einfache und verkürzte, dafür aber auf umso nachvollziehbarere Art und Weise dargestellt. Zudem wurde den Fans eine neuerliche Kontaktmöglichkeit geboten, um bei Bedarf auch zu den Ergebnissen Stellung nehmen zu können. Des Weiteren bekamen alle Fans, die um Benachrichtigung gebeten hatten, sobald erste Ergebnisse im Internet abrufbar waren, neuerlich ein E-Mail, was viele freute: »That's so great Johanna! The survey results were both interesting and fun to read! Thanks so much from a huge Charmed fan!« 23/07/1 »Thank you Johanna for letting me us know the results of your study. The responses were very interesting. lt is great to know what other people araund the world think of Charmed. Thanks again.« 20/07/1
In den Monaten Juli, August und September mehrten sich die Anfragen auf der Website, die nun statt der Fragen die Ergebnisse zur Verfügung stellte. Diejenigen, die für eine direkte Teilnahme an der Studie scheinbar keine Zeit oder kein Interesse gehabt hatten, zeigten sich an den Ergebnissen dafür umso interessierter. So verzeichnete die Statistik im Juli 20.446 Anfragen, im August 37.089 und im September 25.408 Anfragen. Manche Fans, die von meiner Studie offensichtlich zu spät erfahren hatten, um daran teilnehmen zu können, schrieben mir, wie sehr sie diesen Umstand bedauerten bzw. auch, in welchem Maße sie die Analyseergebnisse für gültig erachteten.
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»Hello, My name is Misty. I really enjoyed reading your results of your research. I am sorry to say that I didn't get to participate in the survey do to working so much. But, you can add me to the Iist of all the female opinions. I thought your information was very interesting. I have watched this so much that I have a 5 yr. old daughter whom loves the show too. She is always asking me when is it going to be on again. Thank you for your sharing your results. And I hope this show continues foralang time.« 18/08/1 »This page is soo very cool! I myself am a charmed fan and all the answers the other people gave I had to agree with most of them.« 10/08/1
Rückblickend bin ich davon überzeugt, dass die Methodenkombination für meine Forschungsfrage genau richtig gewählt war. Antworteten manche Fans nur mit jeweils einem Stichwort, so nutzten andere wieder den zur Verfügung stehenden Raum, um sich quasi am Papier Gedanken über ihre Lieblingsserie zu machen, oder sich manches von der Seele zu schreiben. Die Befragungswebsite war außerdem leicht zu finden, da sich die Ankündigung verselbständigte und somit viele Teile der Welt erreichte. Einige Fans schrieben bereits während der Befragung, wie toll sie diese Studie fanden und mit ihr die Möglichkeit, sich nicht nur ernsthaft Gedanken über ihre Lieblingsserie zu machen, sondern diese auch aussprechen zu dürfen und damit ernst genommen zu werden. Damit wurde durch die Studie deutlich, wie positiv der letzte Schritt, sich für die Hilfe zu bedanken und abschließend die Ergebnisse mit allen zu teilen, aufgenommen wurde. » Thank you for taking the time to read this.« 27/04/5 »Thanks 4 readin and bye!« 01/06/1 »Ja, möchte dir mitteilen, dass das ein super Fragebogen ist *klatsch* hat mir Spaß gemacht, danke!« D14/05/8 »Ja, ich möchte sagen, dass ich es toll finde dass Sie sich eingehend mit den Gedanken von >Schulkindern< auseinander setzen. Wen interessiert das sonst als Erwachsenen, außer mein Tagebuch? Außerdem sind die Fragen echt süß ausgedacht, manchmal muss man auch selber nachdenken... :-)« D26/05/3
Auf einen interessanten Umstand sollte schlussendlich noch hingewiesen werden: Obwohl auf meiner Befragungsseite deutlich zu lesen war, wer ich bin und mit welchem Anliegen ich mich an die Fans wende, schienen doch einige zu denken, ich gehöre zum »Charmed«-Team oder den Produzentlnnen. Immer wieder kamen Anfragen zur Serie, dem DVD Verkauf, der Storyline, dem Ausstieg von Shannen Doherty, oder ähnlichem. Immer wieder musste ich folglich enttäuschten Fans antworten, dass ich
Reflexive Gedanken
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leider in keiner Weise Einfluss auf den DVD Verkauf oder die weiterführenden Folgen habe, und dass ich auch niemandem zu einer Statistinnenrolle in »Charmed« verhelfen könnte. Diese Situation zeigt natürlich auch deutlich das Potenzial, das in der Betreuung spezifischer Websites liegt und genau genommen nur darauf wartet, entsprechend genutzt zu werden.
REFLEXIVE GEDANKEN
Meine eigene Rolle in diesem Forschungsprozess war allen Beteiligten gegenüber stets eine offene, was den Aufbau der unterschiedlichen Beziehungen erleichterte. So schätzten die Fans beispielsweise die Offenheit, mit der ich meine Identität und mein Anliegen vorbrachte, sowie den Umstand, dass ich selbst Liebhaberin der Serie bin und nicht nur eine Forscherio auf der Suche nach Forschungsobjekten. Aus einigen Antworten konnte ich durchaus herauslesen, dass sich manche Fans durch mein eigenes Bekenntnis in ihrem Fansein bestätigt fühlten, während es für andere den einzigen Grund darzustellen schien, mir überhaupt zu antworten. Reflexiv betrachtet waren meine Äußerungen für manche Fans sicherlich bereits gedankliche Wegweiser in eine bestimmte Richtung. Der Rahmen, der dadurch aber geschaffen wurde, bot viel Sicherheit und Vertrauen. In meiner eigenen Vorliebe für »Charmed« versuchte ich gerade aus diesem Grund auf meine innere Distanz zum Thema und zu den Aussagen der Fans zu achten, um eine kritische Auseinandersetzung mit den diversen Inhalten nicht zu gefährden. Die Fans zeigten eine überaus hohe Bereitschaft, mein Projekt zu unterstützen, was ich auf folgende Gründe zurückführe: Einerseits wussten die Fans über die Hintergründe und die Motivation meines Projekts Bescheid und waren auf diese Weise in der Lage, ein gewisses Vertrauen aufzubauen. Auf der anderen Seite schätzten sie nicht nur die Möglichkeit sich zu äußern, sondern auch gehört und mit ihren Aussagen ernst genommen zu werden. Die Frage nach der eigenen Meinung zu gewissen Themen brachte viele Fans dazu, sich erstmals ernsthaft und teilweise auch längerfristig Gedanken über die Inhalte aus »Charmed« bzw. ihr Fansein zu machen. Ein schwieriger Punkt bleibt an dieser Stelle allerdings offen: Die ernsthafte Beschäftigung mit den gestellten Fragen und relevanten Themen wirft unter Umständen neue Fragen und Gedanken auf, die von mir nicht mehr nachbearbeitet werden konnten. Zwar antwortete ich auf jedes einzelne E-Mail sowie auf jede darin gestellte Frage, jedoch endete meine Begleitung in den meisten Fällen mit meinem Dank für die Teilnahme an dem Projekt. Als eine Möglichkeit, dieser Entwicklung des >AlleinGelassen-Werdens< zumindest in einer Form entgegenzutreten, führte ich meine E-Mail Adresse auf der Website mit den Ergebnissen der Untersu-
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»Die Macht von Dreien ... «
chung nochmals an. Trotzdem bleibt an dieser Stelle die Frage offen, inwieweit derartige Maßnahmen ausreichend oder natürlich auch notwendig sind. In den individuell verfassten jeweiligen ersten Antworten versuchte ich mich weitestgehend neutral zu positionieren, abgesehen von den wenigen Angaben zu meiner Person und meiner Vorliebe für »Charmed«. Auf dieser Basis entstand mit einigen Fans ein längerfristiger Austausch, der interessante Diskussionen zu einzelnen Themen ermöglichte, deren Inhalte mitunter ebenfalls in die Analyse einflossen. Trotz der den Erfolg ermöglichenden Methodenkombination, brachte dieser gleichzeitig aber auch einen hohen Arbeitsaufwand mit sich. Ausgedruckt ergaben die 700 E-Mails einen ganzen Karton voll Datenmaterial. Nachdem ich mit wesentlich weniger Antworten gerechnet hatte, sah ich mich nun der Herausforderung gegenüber, mit dieser Fülle an Material zu Rande zu kommen. Wo menschliche Kapazitäten beschränkt sind, bietet sich eine Computerunterstützung an, weshalb die Entscheidung zugunsten der Verwendung einer Datenbank fiel, die eigens dafür programmiert wurde. Das somit auf einen Klick vergleichbare Datenmaterial konnte in der Folge leichter und sinnvoller bearbeitet werden. Abschließend bleibt noch zu sagen, dass sich vor allem auch der Kontakt zu den Webdesignerinnen sowohl informativ als auch inspirierend gestaltete. Abgesehen von den vielen Fans, die auf meine Fragen antworteten, tauschte ich mich auch mit all jenen Betreiberinnen von Fanpages aus, die meine Ankündigung für ihre Seite aufgenommen hatten. Deren Antworten waren vor allem für das in weiterer Folge von mir entwickelte und aufgestellte Modell interessant, das Websites von Fans in drei Ebenen der Intensität bzw. der Bedeutungskonstruktion unterteilt. Bevor dieses Modell vorgestellt wird, soll noch auf die innerseriellen Themen und die Fangemeinschaften eingegangen werden.
6.
»WITHIN« -
INHALTE UND CHARAKTERE
Die ersten Ergebnisse der Studie beziehen sich auf innerserielle Themen, weshalb sie mit >>Within« betitelt werden. Es handelt sich hierbei ausschließlich um Themenbereiche, die direkt mit der Serie und ihren Inhalten in Zusammenhang stehen, also um Bereiche wie das Interesse am Thema und die Repräsentationen der Schwestern. Die Aussagen der Fans gestalten sich insofern als spannend, als nicht zwingend vorausgesagt werden konnte, welche Diskurse die Fans aufgreifen und welchen Sinn bzw. welche Bedeutungen sie den einzelnen Elementen verleihen würden. Nicht alle Fans sehen in der Serie das Gleiche, nicht fl.ir alle bedeutet sie das Gleiche, denn die Zuschauerinnen bringen unterschiedliche Erfahrungen und Einstellungen in die Rezeptionssituationen mit, die zu unterschiedlichen Sinnkonstruktionen führen können (vgl. Winter 1993: 94), ganz nach der Einsicht, dass weder der Sinn noch die Verwendungsweisen von medialen Produkten jemals starr festgelegt sind. Ob man nun eine Serie >hasst< oder >liebt< ist nur ein Ausdruck flir das eigene Erleben, welches mitunter ambivalent und widersprüchlich sein kann (vgl. Ang 1986: 13). Je positiver Zuschauerinnen in ihren Erfahrungen und Gefühlen angesprochen werden, desto größer ist das Vergnügen der Rezeption (vgl. Faulstich 1995: 11). Medien bieten mit ihren Inhalten eine Vielzahl möglicher Bedeutungen, die eben erst in der Rezeption Gestalt annehmen (vgl. Hipfl1995: 151) und die niemals endgültig fixiert oder abgeschlossen sind (vgl. Winter 1995: 222). Auf diese Weise werden unter anderem auch Geschlechterverhältnisse in unterschiedlichen Kontexten immer wieder mit neuen Bedeutungen versehen (vgl. Dorer 2001 : 244) und stellen somit bestimmte und sich stets erneuernde soziale Konstruktionen dar ( vgl. Schneider 2001: 199). Vor allem jugendliche Fans konstruieren ihre Identität, indem sie sich mediale Bilder borgen (vgl. Jenkins 1992: 23; Winter 1995: 117). Bleibt also herauszufinden, welche medialen Bilder von »Charmed« aufgegriffen werden um als Leitbilder zu dienen, welche Positionen Frauen und Männern in »Charmed« angeboten werden, welche Geschlechterverhältnisse konstruiert und wie diese von den Fans aufgenommen und verarbeitet wer-
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»Die Macht von Dreien ... «
den. Sämtliche Antworten der Fans stellen mögliche Lesarten dar. Es sind Sichtweisen der Fans, bestimmte Diskurse, die sie aufgreifen, aber keinesfalls absolut gültige Wahrheiten. Fans wählen aus Bedeutungsangeboten, je nach persönlichem Kontext und Hintergrund. Auf den folgenden Seiten ist in dieser Hinsicht also keine absolut gültige, objektive Wahrheit zu lesen, sondern eine Auswahl an unter den Fans vorherrschenden Diskursen.
DAS INTERESSE AM THEMA
Die meisten »Charmed« Fans verfolgen die Serie seit ihrer Erstausstrahlung im Jahr 1998 und bezeichnen sich als Fans der ersten Minute, die kaum jemals eine Folge verpasst haben. Für sie selbst erstaunlich war, dass sie »Charmed« in vielen Fällen wirklich von der ersten Folge an außergewöhnlich gut fanden, im Gegensatz zu anderen Serien, die erst nach mehreren gesehenen Folgen interessant wurden. In diesem Sinne bezeichnen die Fans »Charmed« oft auch als >andersgefahrlosen Inhalten< der Serie überzeugt hatten. »l've been a Charmed fan for four years, l've seen all the episodes more than once. l'm a huge fan. I didn't watch the first year because I thought it was gonna be scary, but once I saw it the firsttime I was hooked.« 28/04/17 »Since half way through Season 1 coz that is how long it took me to convince my parents to Iet me watch it.« 22/04/11
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Interesse am Thema
»I actually started watehing >Charmed< because of my job. The child I was a nanny for a few years ago wanted to watch >Charmed< and her parents weren't sure it was appropriate so I tape the episodes, watch them first, and if there isn't anything inappropriate in them, according to her parents, I allow her to watch the tape. I got hooked.« 27/04/30
Die Gründe filr das große und andauernde Interesse an »Charmed« sind vielfältig. In den Antworten der Fans zur Frage nach der Besonderheit der Serie kam es zu Mehrfachnennungen, die in der Analyse berücksichtigt wurden, da Bedeutungskonstruktionen immer ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren darstellen und keine einzelnen isolierten Phänomene. Die folgenden Tabellen Iisten in Stichworten auf, warum »Charmed« von den Fans mit solcher Begeisterung aufgenommen wird und welche Themen sich für sie als besonders relevant erweisen. Hierbei ist anzumerken, dass die Bezeichnungen, die das Besondere definieren, von den Fans selbst gefunden und von mir lediglich zusammengefasst wurden. Im Anschluss werden die ausführlichen Antworten der Fans diskutiert.
Tabelle 1: Das Besondere an »Charmed« - nach Alter und Geschlecht bis 29Jahre Themen Hexen u. magische Elemente Schauspielerinnen Schwestem und Familie Frauen-Power Entwicklung der Charaktere Bezug zur realen Welt Serie ist anders hat von allem etwas spannend & mystisch lustig kann mich identifizieren Flucht interessant Kampf gegen das Böse Action und Kampfszenen macht mich nachdenklich Kleidung und Mode Effekte Botschaften der Serie beschützen Unschuldige Musik und Bands
Antw. bis 16 Jahre Antw. 17 bis 29 Jahre m ges. m ges. w w 90 53 53 21 19 19 18 17 18 18 17 9 10 9 9 5 5 5
25 7
II 2 6 5 4 5 3 2
115 60 64 23 25 24 22 22
3 4
21 20 12 II 13 13
1
9 5 5 6
2
3
3
2 I
2 I
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22
30 48 18 26 30 8 13
10
15 20 13 26
6 6 3 3 3 2 2
3 7 6
5 3 8 8
I 4
21 26 16 29 6 9
I
8 2
2
5 3 3
I
I
5 3
1
111 40 53 21 34 38 9 17
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Tabelle 2: Das Besondere an »Charmed«- nach Alter und Geschlecht ab 30Jahre Themen
Schwestem und Familie Hexen u. magische Elemente lustig Entwicklung der Charaktere Flucht Schauspielerinnen Bezug zur realen Welt Frauen-Power spannend & mystisch kann mich identifizieren Kleidung und Mode Serie ist anders Action und Kampfszenen Musik und Bands interessant beschützen Unschuldige hat von allem etwas Effekte Botschaften der Serie macht mich nachdenklich Kampf gegen das Böse
Antw. 30 bis 39 Jahre w m ges. 21 22 9 9 8 7 6 6 4 4 3 3 2 I I I
2 I 1 2 3 I I 3 1 3
I
23 23 9 10 10 10 7 7 7 5 3 6 2 1 I I I
Antw. über 40 Jahre w m ges. 6 4 5 4 I 3 2
1 1
6 4 5 5 1 4 2
3
3
1
1
1
1
I
I
I I
1 1
Zusammengefasst spiegeln die folgenden sechs Bereiche das Hauptinteresse an »CharmedHexen und magische Elemente< sowohl von den männlichen als auch von den weiblichen Befragten doppelt so oft als die Besonderheit von »Charmed« angegeben. Diese Zahlen verdeutlichen natürlich den Stel-
Interesse am Thema
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lenwert, den die Magie, die Zauberei und die übernatürlichen Fähigkeiten bei den Fans einnehmen. Die Serie bereitet die alten Geschichten um Hexen und den Umgang mit Übernatürlichem völlig neu auf und verleiht ihnen W ertigkeiten, die bisher in dieser Weise kaum aufzufinden waren. Hexen und magische Elemente: Das Interesse an Hexen an sich, die besonderen Kräfte der Schwestern und ihrer Helferlnnen, die Rituale, Zaubersprüche und Zaubertränke. Das große Interesse an diesem Themenbereich scheint vor allem einen Wunsch der Fans besonders deutlich zu machen, nämlich aktiv und selbstbestimmt in jeder Situationen handeln und Geschicke selbst lenken zu können. Mit magischen Fähigkeiten und Kräften ausgestattet, würden sie sich nicht mehr so hilflos unterschiedlichen Situationen ausgeliefert fühlen, sondern sie würden auf die Möglichkeit hoffen, sich verschiedenster Hilfsmittel bedienen zu können und damit nicht mehr ohnmächtig jeglichem Unheil gegenüber zu stehen. Auch die Vorstellung, dass es mehr gibt, als das Auge sehen kann, ist für viele Fans eine große Hilfe, Phänomene oder Geschehnisse zu beschreiben und zu verstehen, flir die sie sonst keine Erklärungen finden. Gerade hier drückt sich auch der Wunsch oder die Vorstellung aus, dass wir Menschen wohl nicht >alleine< auf der Welt sind, sondern dass es eben noch viel mehr geben muss Wesen, die auf uns achten, uns beschützen und uns zur Seite stehen, wenn wir >gegen das Böse kämpfenschwesterliche Bandwo's lang gehtin den Hintern tretenkick assSpiegelung des Lebens< ist ftir viele Fans gut nachvollziehbar, verständlich und aus diesem Grunde auch gerne gesehen. Als interessantes Detail scheint hierbei, dass die Fans aus dem deutschsprachigen Raum mehr auf das Element der Spannung eingehen - im Gegensatz zu
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vielen englischsprachigen Befragungsteilnehmerlnnen, denen der leichte Witz und die lustigen Elemente mehr bedeuten, als die Spannung. Im Allgemeinen ist es aber für alle gerade diese besondere Mischung, die »Charmed« nie langweilig oder vorhersehbar, sondern zu etwas Besonderem werden lässt. »I like it because of its combined elements of drama, comedy, action, horror, and magic.« 19/04/19 »I Iove Charmed because it has a bit of everything. Comedy, romance, action, drama, etc.« 02/05/11 »Es ist einfach die beste Serie der Weit, weil es genau die richtige Mischung aus Spannung, Action, Liebe und Dramatik hat!« D02/06/3
»Das Gute siegt immer« Dieser Diskurs steht bei sämtlichen Folgen im Vordergrund und ist für Fans ein wichtiger Bestandteil der Serie. Ohne dieses Wissen im Hintergrund und die wiederholte Bestätigung dieser >Tatsache< wäre die Serie für viele uninteressant. Der Glaube an das Gute im Menschen und die Vorstellung, dass das Gute und die Gerechtigkeit schlussendlich immer siegreich sein werden, wirkt beruhigend und schafft eine Ordnung, auf die sich die Fans verlassen und auf die sie zurückgreifen können. Es gibt noch viele weitere Elemente, die Fans aus der Serie aufgreifen. So steckt für sie in jeder einzelnen Folge eine ganz besondere Botschaft, neue Bands werden vorgestellt und manche holen sich auch Mode-Tipps. Von grundlegender Bedeutung zeigt sich aber, dass sich sehr viele Fans, Frauen wie Männer, mit den Charakteren identifizieren können und mit ihnen >mitlebenPersönlichkeitbrave Älteste< - >ausgleichende Mittlere< - >Unzuverlässige Jüngste< ausgeführt. Eine letzte interessante Aussage der Fans bezieht sich auf die Schauspielerinnen. Viele Fans schreiben, sie würden die eine oder andere Hexenschwester besonders bevorzugen, weil sie von einer so großartigen Schauspielerin dargestellt werde. Für Fans ist eine Serie oder Folge dann gut, wenn die Emotionen und Verhaltensweisen der Darstellerinnen >real< sind und auf diese Weise miterlebbar. Fans schätzen folglich in erster Linie die Schauspielerinnen, die sie emotional >verzaubern< können. Realität bedeutet in diesem Zusammenhang nicht objektives Wissen über die Welt, sondern beschreibt subjektive Erfahrungen von Menschen, die für die jeweiligen Personen in konkreten Situationen >Wirklichkeit< sind ( vgl. Ang 1986: 58). Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Wirklichkeit, die sich aus seinen Gefühlen und Emotionen zusammensetzt. In dieser Weise sind auch die Personen und Geschehnisse in der Serie für Fans >real< und nachvollziehbar und in diesem Sinne erkennen sie sich auch selbst wieder. »Piper. She's down to earth, and seems the most real.« 26/04/19 »Piper. Why? She's the most realistic. « 27/04/2
Im Zuge der Befragung wurde nicht nur deutlich, welcher Charakter der beliebtesten Schwester entspricht, sondern auch, wer in der Reihung die
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letzten Plätze zugewiesen bekommt. In 3,7% der Fälle wurde Piper zum Schluss gereiht und in diesem Zuge als launisch, bissig und zu vernünftig beschrieben. Stets möchte sie lieber abwarten und den sichersten Weg gehen, was aufmanche Fans übertrieben vorsichtig wirkt. 43 % weisen Prue den letzten Platz zu. Prues Charakter ist in den Augen der Fans zu ernst, zu dominant und zu stolz. Sie steht viel zu stark im Vordergrund und lässt nur wenig Licht auf ihre Schwestern fallen. Auf Pipers erzielte Wertung von 3,7 % blickend lässt sich sagen, dass Piper, die beliebteste der Schwestern, als ein sehr herzlicher und liebevoller Charakter dargestellt wird. Sie liebt es zu kochen, führt einen gut gehenden Club und ist stolze Mutter. Sie muss mit den Höhen und Tiefen des Lebens zurechtkorrunen, vergisst dabei aber nicht, was für sie selbst und für ihre Schwestern wichtig ist. Gegen Ende der ersten Folge lxOl »Das Buch der Schatten« sagt Phoebe zu Piper: »Ich kenne keinen liebevolleren und fürsorglicheren Menschen als dich- nein, ich mein das ernst, ehrlich. Immer bist du da, um anderen zu helfen, sogar Fremden, und das machst du schon dein Leben lang. Und deshalb kann es unmöglich anders sein, als dass dir diese Gabe geschenkt wurde, um Gutes zu tun: damit du die Unschuldigen beschützen kannst - so wie es im Buch der Schatten steht.«
Piper Halliwell Piper ist die mittlere der drei Schwestern. Sie wird von den Fans als lustig, psychisch stark, klug und emotional bezeichnet. Mitunter wirkt sie äußerst nüchtern und sarkastisch, bleibt aber stets vernünftig und kümmert und sorgt sich nicht nur um ihre Schwestern, sondern auch um alle anderen, die in ihr Leben treten. »I Iove Piper!!! She's so strong, intelligent, and sensitive. She' s a sweetie, she's so caring. I just Iove how she's stubborn and sarcastic but never forgets to Iove, cherish, and respect the people araund her.« 19/04/11 »Ich mag Piper am meisten. Mit ihr kann ich mich am meisten vergleichen. Außerdem behält sie immer einen klaren Kopf, ist bodenständig, hat sich in ihrem Beruf selbstständig gemacht, ist total hübsch (aber auch nicht spindeldürr, was auch gut ist - wer will schon perfekt sein?), mit Leo ein supersüßes Paar, hat aber auch manchmal so ihre Panikattacken, was sie auch noch liebenswerter macht. Und sie hat bedürftigen Menschen schon immer geholfen, hat also auch ein sehr großes und gutes Herz. Ach, ich hör jetzt lieber auf, sonst komm ich aus dem Schwärmen nicht mehr raus.« 004/06/2
In der Rolle der mittleren Schwester ist Piper gleichzeitig auch Mediatorin. Sie vermittelt zwischen ihren beiden Schwestern, die nicht immer gut
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aufeinander zu sprechen sind. In vielen Situationen ist es Piper, die die Familie zusammenhält und die Gemüter beruhigt. »I like Piper the most because she is the family mediator, much like myself, who had to take charge of the family.« 27/05/4 »Piper. Why? She's the most like my sister Caroline, always making everyone get along, she's like the glue ofthe family.« 05/05/8
Als Beleg für ihre Sichtweise - Piper als Vermittlerin zwischen ihren Schwestern- fUhren viele Fans folgende Szene an: Gleich zu Beginn der allerersten Folge (lxül) wird Pipers Rolle als Mediatorin bereits besonders deutlich. Phoebe möchte wieder zu ihren Schwestern nach San Francisco ziehen. Ein alter Streitfall mit Prue ist aber immer noch nicht aus der Welt geschafft und so hat Piper den Kontakt zu ihrer Schwester Phoebe heimlich aufrechterhalten. Aufgrund der alten Konflikte haben weder Phoebe noch Piper Prue erzählt, dass Phoebe wieder nach Hause kommen und mit ihren beiden Schwestern in dem großen Haus ihrer Großmutter leben möchte. Draußen ist es bereits dunkel und ein starkes Gewitter zieht über die Stadt: »Prue: Ich versteh' das nicht, die Sicherung und der Schalter sind in Ordnung, eigentlich müsste dieser verdammte Kronleuchter funktionieren! Piper: Erinnerst du dich, dass wir uns darüber unterhalten haben, was wir mit dem leeren Zimmer machen? Du hast recht, wir sollten es vermieten. Prue: Gut, wir könnten etwas weniger nehmen - als Gegenleistung hilft sie uns bei der Hausarbeit. Piper: Phoebe könnte den Kronleuchter reparieren! Prue: Phoebe lebt in New York. Piper: Nein, nicht mehr. Prue: Was? Piper: Sie will wieder nach San Francisco ziehen, zu uns. Prue: Das kann doch nicht dein Ernst sein! Piper: Genauer gesagt, sie ist schon unterwegs! Ich konnte ja wohl schlecht nein sagen, wir haben das Haus zusammen geerbt. Prue: Woher weiß sie das überhaupt? Wir haben seit Monaten nicht mehr mit ihr gesprochen! Piper: Du hast nicht mehr mit ihr gesprochen. Prue: Aus gutem Grund! Sie hat sich unmöglich benommen, das weißt du doch! Piper: Ja sicher, aber sie wusste nicht wohin. Sie hat grade ihren Job verloren und sie hat Schulden!!
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Prue: Das ist ihr Normalzustand! ... Wie lange weißt du eigentlich schon davon? Piper: Ein paar Tage, länger nicht! ... Eine Woche vielleicht, oder zwei. Prue: Toll, vielen Dank. Und wann kommt sie an? Phoebe: Ich bin daaaa! (zu Piper) Ach ja, vielen Dank flir den Schlüssel! Piper: Willkommen Zuhause, Phoebe! Phoebe: Hallo Piper, wie geht's? Piper: Wir haben uns schon so auf dich gefreut, nicht wahr, Prue? Prue: Ich bin sprachlos.«
Diese Szene macht deutlich, wie viel Spannung zu Beginn der Serie zwischen Prue und Phoebe herrscht und wie sehr sich Piper darum bemüht, eben diese Spannungen abzubauen und ein familiäres Verhältnis herzustellen. Natürlich bessert sich das Verhältnis zwischen Prue und Phoebe, Piper bleibt aber doch immer diejenige, die versucht alle zusammenzuhalten. Sie kümmert und sorgt sich aber nicht nur um beide Schwestern, sondern auch um all die Unschuldigen, die von den drei Schwestern beschützt werden sollen. »Piper is my favourite character. She cares much about her family and friends, always placing them before herself. She is always juggling her career (Club Owner), her duties (witch) and her family. This reminds me of myself.« 24/04/2 »Piper because she's the one who really cares about people.« 20/04/15 »Piper, weil sie einfach am liebsten ist und weil sie immer und für jeden da ist.« 010/05/5 Piper ist nicht nur ftir ihre Schwestern da, sie ist zumeist auch die einzige, die für den Haushalt sorgt. Trotz ihres Jobs versucht sie alles in Ordnung zu halten, kocht und säubert das Haus, was nicht immer von allen genügend anerkannt bzw. oft auch ausgenutzt wird. In dieser Rolle sehen sich auch heute noch viele Frauen bzw. wird eben das von ihnen erwartet - das Haus in Ordnung zu halten, zu kochen und zu putzen. Allerdings übernimmt Piper keineswegs die Rolle des >braven Hausmütterchensnatürlicher Schönheit< in diesem Zusammenhang lässt sich aber kommentarlos aus den Antworten der Fans ablesen. Wobei an dieser Stelle natürlich gesagt werden muss, dass auch >natürliche Schönheit< eine Konstruktion von Weiblichkeit ist, die sich aus einer Fülle von unterschiedlichen Diskursen zusammensetzt. Tatsache ist, dass viele Fans genau diese Diskurse aufgreifen und dabei äußern, sie fanden es toll, einmal nicht aufwendiges und teures Make-up auflegen zu müssen, sondern einfach so zu gefallen, wie sie sind.
Phoebe Halliwell Phoebe ist die jüngste der drei Schwestern und entspricht zu Beginn dem Klischee der ausgelassenen, unvernünftigen und unzuverlässigen jüngsten Schwester. Ständig borgt sie sich Kleider von Prue, sie geht keiner geregelten Tätigkeit nach und zeigt auch kaum Interesse, einen geeigneten Job zu suchen. Keine Arbeit scheint interessant genug oder zumindest eine Herausforderung für sie darzustellen. Zudem wird sie immer wieder
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an ihre sehr sorglose und leicht zwielichtige Vergangenheit erinnert, wie folgende Szene in Folge lxl7 »Zurück in die Vergangenheit« zeigt: Phoebe bricht in ein Hotelzimmer ein, das von einem Dämon bewohnt wird. Prue begleitet Phoebe und meint: »Prue: Warum überrascht es mich nicht, dass du weißt, wie man so etwas macht!«
Phoebe stellt sich zu Beginn als ausgelassener und sorgloser >Freigeist< dar. Sie lebt relativ unbekümmert in den Tag hinein, lässt das Leben auf sich zukommen und sorgt sich kaum um ihre Zukunft. Ihr Interesse an der Magie und der Hexerei scheint grenzenlos und sie hat Freude und Spaß an ihrer neuen Lebenssituation und ihren Kräften. Genau das ist es, was viele Fans an ihr lieben: »Phoebe, weil sie so sorgenlos und unkompliziert ist!« D06/05/4 »Eigentlich Phoebe, sie ist aufgeweckt und lebenslustig.« D04/05/2 »Phoebe, hands-down. llike her because she's rebellious, free spirited, carefree - but she's also a very strong person.« 28/05/1
Phoebe lebt zu Beginn der Serie gleichsam nach dem Motto »carpe diem«. Ihre Figur folgt damit dem Diskus, Spaß am Leben zu haben, solange man die Möglichkeit dazu hat, nicht alles so ernst zu sehen und das Leben ruhig auch einmal locker zu nehmen. Zumindest ist das der Diskurs, den die Fans herausgreifen. Frei zu sein, keine Verpflichtungen zu haben, das Leben genießen zu können und seine eigenen Wege zu gehen. Gegendiskurse werden auch hier kaum aufgegriffen. So thematisieren die Fans nicht, dass Phoebe ja eigentlich nicht immer so frei ist und schon gar nicht sorglos. Sie macht sich viele Gedanken über ihren weiteren Lebensweg, versucht sich an diversen Jobs und oft genug wird in der Serie zum Ausdruck gebracht, dass die Schwestern in vielen Fällen eigentlich nicht viele Wahlmöglichkeiten haben. Diese Aspekte werden zu Gunsten der Freiheit und der Freude aber beiseite geschoben. Phoebe wandelt sich im Laufe der Staffeln, wird ernsthafter und etwas ruhiger. Nach vielen Jobs, die ihr nie wirklich liegen und auch nicht viel Spaß machen, geht sie schließlich wieder aufs College. Sie hat vom >Nichtstun< genug und möchte etwas Sinnvolles aus ihrem Leben machen. Das Thema >Arbeit< spielt in »Charmed« generell eine bedeutende Rolle. Vor allem für die älteren Schwestern ist dies ein wesentlicher Punkt und sie weisen auch immer wieder darauf hin, dass es ohne Job eben auch kein Geld gibt. Wohl aber ist es den Schwestern wichtig, einem Beruf nachzugehen, der ihnen Freude bereitet. Dafür sind sie auch bereit, Risiken einzugehen. Was vor allem Prue aber schwer akzeptieren
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kann ist, dass Phoebe zu Beginn der ersten Staffel überhaupt nicht arbeitet, was immer wieder zu Spannungen zwischen den beiden fUhrt: Folge lx20: »Ein Geist, zwei Schwestern« Phoebe hat, anstatt die ihr aufgetragenen Aufgaben zu erledigen, einen Ausflug nach Alcatraz unternommen. Als Prue am Abend nachhause kommt, sieht sie keinen Punkt auf der Aufgabenliste erledigt. Am folgenden Tag beginnt eine heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden: »Prue: Ich versteh' nicht, warum du mir nicht die Wahrheit sagen konntest. Vor allem wenn es um so eine Kleinigkeit geht wie nach Alcatraz zu fahren! Phoebe: Das kann ich dir erklären: Es war mir klar, dass du ausflippen würdest! Und weißt du, ich wollte mir deine Predigt einfach nicht anhören, kapiert? Prue: Wieso sollte ich ausflippen, wenn du dahin fährst? Phoebe: Komm schon, Prue, das wissen wir beide. Sag' mir jetzt den wahren Grund, warum du sauer auf mich bist. Prue: Wegen der Lüge, Phoebe. Phoebe: Nein. Du bist sauer auf mich, weil ich mich gestern deiner Ansicht nach wieder auf die faule Haut gelegt habe und nicht im Supermarkt war- hab' ich recht? Prue: Du lenkst doch nur vom Thema ab! Phoebe: Nein, Prue, gib doch wenigstens jetzt zu, dass du sauer bist, weil ich nicht bei der Reinigung gewesen bin, die Glühbirnen vergessen hab' und auch sonst nichts getan hab ', was auf dieser dämlichen Liste stand! Prue: Gut, tut mir Leid, ich werde dich nie wieder bitten, für mich was zu erledigen, während ich arbeiten bin! Phoebe: Aha! Siehst du, noch nicht mal eine kleine Minute ist vergangen und du suchst dir von allen Argumenten, die du mir an den Kopf werfen könntest, dieses eine aus! Prue: Wovon redest du? Phoebe: Als ob du das nicht wüsstest, Prue! Du und Piper, ihr geht doch automatisch davon aus, dass ich den ganzen Haushalt schmeiße, bloß weil ich keinen richtigen Job hab'. Prue: Das ist nicht wahr. Phoebe: Ach nein? Prue, wann warst du das letzte Mal einkaufen, wann hast du das letzte Mal Staub gesaugt? Wer kümmert sich um den Gärtner? Weißt du, wenn ihr für all das, was ich hier mache, bezahlen müsstet, dann hätte ich bestimmt schon längst eine gute Million auf meinem Konto! Prue: Es ist unglaublich, wie du alles verdrehst.
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Phoebe: Oh nein, es ist unglaublich, dass du dir nicht mal eingestehen kannst, weswegen du sauer bist. Prue: Du irrst dich! Phoebe: Natürlich, das ist alles nur ein Hirngespinst von mir! Und um das weiter zu spinnen, ist dir schon aufgefallen, dass ich nie ... ein einziges Dankeschön für irgendwas kriege? Nein, alles ist selbstverständlich und du kannst auch noch Witze druüber machen, wie die Bemerkung gestern Vormittag: Keine Sorge Piper, Phoebe macht das schon, sie hat ja Zeit! Prue: Hast du auch. Phoebe: Ja, genau das ist es doch, davon hab ich gesprochen, kapierst du' s denn immer noch nicht?! Du bist wütend auf mich, ... weil ich nicht ru·beiten gehe! ... Hm! Prue: OK, das sti111111t vielleicht. Phoebe: Und deswegen hab' ich dich angelogen.«
In dieser Szene wird deutlich, welchen Stellenwert eine geregelte Arbeit einnimmt, und wie sich darüber ein Schwesternverhältnis definieren kann: die Älteste, die einer geregelten Tätigkeit nachgeht - die Jüngste, die ihre Zeit nur zu vertrödeln scheint, nicht das geringste Interesse an einer Arbeit zeigt und nur an den Spaß im Leben denkt. Phoebe wehrt sich zwar i111111er gegen die ihr von ihren Schwestern zugeschriebene Rolle, kann den Kampf aber nicht gewinnen, da das Thema >Arbeit< einen viel zu hohen Stellenwert einnimmt. Mit der Zeit versucht sich Phoebe an vielen Jobs, doch erst in der vierten Staffel wird ihr eine Tätigkeit angeboten, die sie auch glücklich zu machen scheint: Sie antwortet Leserinnen als Ratgeberin in einer Kolumne auf ihre Fragen und Schwierigkeiten. Phoebe erscheint während der ersten Staffeln fast immer gut gelaunt und zeigt zu Beginn als Einzige reges Interesse an der Magie. Außerdem hält sie sich körperlich sehr fit und beginnt Kampfsport zu trainieren, damit sie sich gegen Dämonen besser zur Wehr setzen kann. Zunächst besitzt sie ja keine >aktive Kraftunreif< und sah alles als ein Spiel an. Erst im Laufe der Zeit merkt man ihr jetzt eine gewisse Ernsthaftigkeit an, die ich toll finde. Im Gegensatz zu Piper ist sie aber nicht immer streng, sondern oft auch lustig und strotzt vor Energie. Sie ist so lebhaft.« 017/05/2 »Phoebe was an excellent role model for anyone right from the first season. She started out flaky and utterly irresponsible. She picked herself up and worked as hard as she could to develop herself to the greatest extent.« 23/05/6
Für manche Fans ist Phoebe allerdings von Zeit zu Zeit ein wenig anstrengend - vor allem, wenn es um ihre Beziehung zu Cole geht. Immer wieder scheint die Beziehung zu zerbrechen, lässt sich aber doch wieder aufrecht erhalten, immer wieder ist Cole tot geglaubt, taucht aber wieder auf. Dieses Spiel scheint schon zu lange gespielt zu werden. Abgesehen davon empfinden manche »Charmed« Fans Phoebe als einen Charakter, der immer im Vordergrund stehen muss und dabei die anderen Schwestern in den Hintergrund drängt. Außerdem schätzen sie die Art und Weise nicht, mit der sie Cole in der letzten Staffel zurückweist- eine Aussage, die in erster Linie von Männem kommt (!). Alles in allem schätzen die Fans aber Phoebes Stärke. Was vor allem weibliche Fans als unglaubliche Stärke ihrerseits ansehen ist, dass sie Cole, der eigentlich ihre jahrelange Liebe war, in der 100. Folge endgültig vernichtet. »My favourite episode is the one where Phoebe and her sisters finally vanquish Cole once and for all. lt proves that no matter the circumstances every woman knows whether the man that she is with is the right one for her, and if he isn't, then she should get rid of him no matter how afraid she is to be alone or never find Iove again.« 19/04/21
Prue Halliwell Prue, die älteste Schwester, hebt sich wohl am deutlichsten von den anderen ab. Während Paige, Phoebe und Piper durchwegs als >witzig< bezeichnet werden, wird diese Eigenschaft Prue kaum zugeschrieben. Zu-
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meist wird sie als stark und tatkräftig empfunden, als selbstbewusst, vernünftig und als jemand, der stets die Kontrolle behält. Ihr Charakter steht ganz im Diskurs der >modernen Karrierefraubraven Ältestenunzuverlässigen Jüngstenverrückte Anfänger-Hexe< war und jetzt sozusagen erwachsen wird.« D04/05/5
Paige übernimmt in der vierten Staffel auch Schritt für Schritt die Aufgabe, die Familie zusammenzuhalten und sie bewahrt oft als Einzige das Interesse an der Magie. Als sich nach Prues TodPiperund Phoebe nicht mehr so sicher sind, ob sie überhaupt noch Hexen sein wollen, ist es Paige, die ihnen wieder Mut macht und ihren Enthusiasmus weckt. Durch ihren Einsatz für ihre Schwestern und ihr zunehmendes Interesse an der Zauberei hat sich Paige bei den Fans bewährt. Sie akzeptieren sie als neue Schwester, als eine der >Mächtigen DreiMächtigen Drei< anerkannt, doch wird sie wohl noch eine zeitlang Gesprächsthema der Fans bleiben. Schlussendlich scheint mir zu den Schwestern und dem Interesse an »Charmed« noch ein Ergebnis ganz besonders interessant: Die Frage nach der Lieblingsfolge sollte prüfen, ob sich Fans besonders gerne diejenigen Folgen ansehen, in denen ihre jeweilige Lieblingsschwester eine zentrale Rolle spielt. Fast jede Folge ist abwechselnd speziell auf eine der Schwestern ausgerichtet und so schienen diese Antworten naheliegend. Doch entgegen meinen Erwartungen waren die Übereinstimmungen nicht so deutlich, wie ursprünglich angenommen. Tabelle 4: Die beliebtesten Folgen aus »Charmed« Folgen
3x22: Das Ende 2x02: Hexenjagd 5xl5: Ein magisches Geschenk 3xl5: Trauung mit Hindernissen lx17: Zmiick in die Vergangenbei 3x04: Das Zeitportal 4x0 I: Die neue Macht der Drei 3x09: Besessen 4x03: Die drei Furien
Nennungen
50 48 34 31 31 26 26 20 19
Sehr viele Fans, unabhängig davon, mit welcher Schwester sie sich am meisten identifizieren konnten, empfanden die Folge 3x22: »Das Ende«, als ganz besonders gelungen. Natürlich nicht, weil es sich um die Folge handelt, in der Prue von einem Dämon getötet wird, sondern weil in dieser Folge so viele Emotionen frei werden. Es geht ganz offen um Verzweiflung und Leiden, viele Tränen werden vergossen und Trauer geäußert. In dieser Folge wird zuerst Piper durch einen Schuss lebensgefährlich verletzt und schließlich Prue getötet, obwohl es für die Zuschauerinnen erst in der nächsten Folge deutlich wird, dass sie wirklich stirbt. Die starke Spannung und Verzweiflung dieser Folge ist für viele real spürbar und aus diesem Grund von besonderer Bedeutung und Tiefe. In diesem Zusammenhang sind auch die Nennungen der Folgen 4x01 »Die neue Macht der Drei« und 4x03 »Die drei Furien« zu sehen. Diese wurden ebenfalls aufgrund der starken Emotionen genannt, die vor allem Piper bei Prues Beerdigung in 4x01 und an ihrem Grab in 4x03 zeigt.
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»Die Macht von Dreien ... «
»My favourite episode is All Hell Breaks Loose. The whole scene with Piper and Prue after Piper got shotwas sad. I actually cried and I hardly cry.« 27/04/6 »Prue's funeral is a big favourite that comes to mind. The scene where their dodging fireballs right after the funeral ceremony, or where Piper is calling for Grams to get answers was great! I thought Piper was great, and I liked how the show allowed them time to grieve.« 01/05/1 »Die, wo Piper so um Prue trauert und am Schluss an ihrem Grab ist und heult (die Folge mit den Furien). Gefällt mir sehr weil es so schön traurig ist und weil das mit den Furien gut gemacht ist.« D17/05/1
Die Fans schätzen ganz besonders, dass den Schwestern Zeit zur Trauer gegeben wurde und nicht kommentarlos eine neue Schwester in ihr Leben trat. Piper und Phoebe vergießen nach Prues Tod viele Tränen und sie fragen sich lange Zeit, wie es ohne Prue weitergehen soll, auch noch, als Paige bereits bei ihnen ist. Diese längere Phase der Trauer stellt für die Fans wieder einen ganz starken Bezug zur >Realität< dar. In dieser Zeit nehmen auch viele Fans von der ältesten Schwester Abschied und empfinden die Zeit als Trauerzeit für sich selbst. An dieser Stelle tritt ein von den Fans sehr stark aufgenommener Diskurs zu Tage: Der Tod eines Menschen verlangt eine gewisse Trauerzeit für die Hinterbliebenen und niemand anderer wird je diese Lücke schließen können. Als liebste Folge ist »Das Ende« aber mit 56 Nennungen gleichzeitig auch die am wenigsten gemochte Folge: Einerseits weil Prue stirbt, andererseits aber, weil man nichts über ihren Tod erfährt. Erst im Lauf der Folge 4x01 wird deutlich, dass Leo zu spät gekommen ist und nur mehr Piper retten konnte. Prue war bei seinem Eintreffen schon tot und Leo hat nur die Macht, Menschen zu heilen, die noch am Leben sind. Er kann keine Verstorbenen wieder zum Leben erwecken. Diese Erklärung, die so nebenbei eingeflochten wird, ist den Fans zu wenig. Die nächst genannten Folgen, 5x15 »Ein magisches Geschenk« und 3x15 »Trauung mit Hindernissen« sind Folgen, in denen Piper im Mittelpunkt steht. In Folge 5xl5 bringt sie ihren Sohn zur Welt und in Folge 3x15 findet ihre Hochzeit mit Leo statt. Wiederum finden diese Folgen bei allen, nicht nur bei Pipers Fans, Gefallen. Auch männliche Fans lieben Pipers Hochzeit, allerdings gab keiner der Männer die Folge der Geburt ihres Sohnes als Lieblingsfolge an! Folgen, die Piper in den Mittelpunkt stellen und die viele Emotionen preisgeben, zählen generell zu den beliebtesten, egal welche Schwester als liebste empfunden wird. Abgesehen davon lieben die Fans sämtliche Folgen, in denen die Schwestern entweder in die Zukunft oder die Vergangenheit reisen, was einerseits durch die Nennungen von 2x02 »Hexenjagd«, einer Zukunftsfolge, den Vergangenheitsfolgen lxl7 »Zurück in die Vergangenheit« und 3x04 »Das Zeitportal« deutlich wird, und andererseits von den Fans selbst oft direkt angesprochen wird:
Die vier Schwestern
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»I Iove the time travel one and the ones they get introduced to other Halliwells.« 23/05/3 »I think my favourites are the ones where they time travel.« 10/05/11
Es war eine übenaschende Erkenntnis für mich, dass die beliebtesten Folgen nicht zwingend mit den Lieblingsschwestern übereinstimmten. Den Großteil der beliebtesten Folgen bildeten generell sehr emotionale Folgen, egal auf welche Schwester sie ausgerichtet sind und nicht etwa sehr actionreiche. In Auseinandersetzung mit den Briefen der Dallas Fans bemerkte ja bereits Jen Ang, dass die Fans ihrer jeweiligen Lieblingsserie in erster Linie emotionale Bedeutungen zuschrieben und sie in diesem Sinne als realistisch ansahen. Sie erkannten die subjektiven Erfahrungen und die Gefühlswelten mit ihren Höhen und Tiefen, die starke Eindrücke hinterließen, als wirklich, als >realMächtigen DreiTraummann< gefunden zu werden, sondern werden selbst aktiv, wobei sie immer wieder zu verstehen geben, dass sie Männer zwar lieben, sich aber nie von ihnen abhängig machen würden. Die Folge 3x 15: »Trauung mit Hindernissen« bietet eine Szene, aus der sehr deutlich hervorgeht, bei wem die Entscheidungsgewalt liegt: Am Tag ihrer Hochzeit mit Leo meint Pipers Mutter, die als Geist der Hochzeit beiwohnen darf, zu ihr: »Mutter: Du hast lange auf diesen Augenblick gewartet ... und du hast gut gewählt, Piper.«
Die Schwestern wählen, niemand anderer. Nicht Leo nimmt Piper zur Frau, Piper nimmt Leo zu Mann. Diese Botschaft wird vor allem von den Fans deutlich herausgelesen. Die Halliwell-Hexen entscheiden, sie haben ihr Leben selbst in der Hand und gestalten es nach ihrem Willen. Sie sind von niemandem abhängig. Das Einzige, was sie brauchen, ist einander, ihre besondere >Macht der Drei-IRE:'it .5c.ll,;,_.ll4•.,.. "3f..1)~N H/.##1..1