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German Pages 307 [473] Year 1982
DIE LIEDER DES BAKCHYLIDES ERSTER TEIL
DIE SIEGESLIEDER I. EDITION DES TEXTES MIT EINLEITUNG UND ÜBERSETZUNG
VON
HERWIG
LEIDEN
E.
MAEHLER
J. BRILL
1982
DIE LIEDER
DES BAKCHYLIDES ERSTER TEIL
DIE SIEGESLIEDER
MNEMOSYNE BIBLIOTHECA
CLASSICA BATAVA
COLLEGERUNT A. D. LEEMAN · H. W. PLEKET · W.
BIBLIOTHECAE W.
J. VERDENIUS
FASCICULOS EDENDOS CURAVIT
J. VERDENIUS, HOMERUSLAA..1\!53, ZEIST
SUPPLEMENTUM
SEXAGESIMUM SECUNDUM
HERWIG MAEHLER (ED.)
DIE LIEDER DES BAKCHYLIDES ERSTER TEIL
DIE SIEGESLIEDER I
LUGDUNI BATAVORUM
E.J. BRILL
MCMLXXXII
DIE LIEDER DES BAKCHYLIDES ERSTER TEIL
DIE SIEGESLIEDER I. EDITION DES TEXTES MIT EINLEITUNG UND ÜBERSETZUNG
VON
HERWIG
LEIDEN
MAEHLER
E. J. BRILL
1982
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
ISBN 90 04 06409 5 90 04 06410 9 Copyright 1982 ~y E. J. Brill, Leiden, The Netherlands All rights reserved.No part oJthis book m~y be reproducedor translated in al!,Y form, ~y print, photoprint, microfilm, microficlze or any other means without written permissionfrom the publisher PRINTED IN GERMA.\'Y
BRUNO SNELL GEWIDMET
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
..........................................
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
..............
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die lyrische Chordichtung
rx XIII
1
in der Gesellschaft . . . . . . . . .
1
über Leben und Dichtung des Bakchylides . .
6
3. Bakchylides' Sprache: Dialekt und Prosodie . . . . . . . . . . a) Dialekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prosodie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9 12
4. Die Versmaße
14
2. Nachrichten
.................................
5. Bakchylides' Stil ..........................
.'. . . .
23
6. Die Tätigkeit der Grammatiker und die Verbreitung des Werkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
7. Die handschriftliche Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Papyrus A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die übrigen Papyri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 36 41
Conspectus siglorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
Text und Übersetzung
48
...............................
VOR\VORT Der Kommentar zu den Siegesliedern des Bakchylides, der hier zusammen mit einer allgemeinen Einleitung, dem griechischen Text und einer deutschen Übersetzung in Prosa vorgelegt wird, bildet den ersten Teil eines neuen Gesamtkommentars. Der zweite Teil wird den Kommentar zu den Dithyramben und Fragmenten enthalten, wiederum mit Text und Übersetzung, sowie die Indices zum Gesamtwerk. Dem Text liegt die 10. Auflage der Teubner-Ausgabe zugrunde1; die Abweichungen im Text und die zahlreichen Änderungen im kritischen Apparat gi:genüber der Teubner-Ausgabe ergaben sich teils aus erneuten Nachprüfungen der Papyri, teils aus der seit 1970 erschienenen Literatur, teils aus der Arbeit am Kommentar. Die Übersetzung ist eine an vielen Stellen veränderte Neubearbeitung meiner Prosaübersetzung aus der zweisprachigen Ausgabe, die in den „Schriften und Quellen der Alten \Velt" erschienen ist 2 . Sie erhebt keinerlei künstlerischen Anspruch, sondern ist in erster Linie als Hilfe zum leichteren Verständnis des griechischen Textes gedacht. Seit dem Erscheinen des großen, noch immer bewundernswerten Kommentars von Sir Richard Jebb 3 sind 76 Jahre vergangen. Vieles von dem, was Jebb und andere zur Erklärung der Gedichte in jenem Kommentar zusammengetragen haben, habe ich übernommen, da es auch heute noch gültig und von Belang ist. Manches andere, was mir überholt, unzutreffend oder nicht wichtig genug zu sein schien, habe ich übergangen. Darüber hinaus unterscheidet sich der hier vorgelegte Kommentar von Jebbs Werk in der Zielrichtung. Es ging mir nicht nur um sprachliche und sachliche Erläuterungen, so wichtig diese auch sind, sondern ebenso sehr um die literarische Würdigung der besonderen Qualitäten der bakchylideischen Dichtung. Dazu gehören die Fragen nach dem Stil und der formalen Komposition ebenso wie die nach dem Verhältnis zwischen der Mythenerzählung und dem Anlaß des Siegesliedes. Die Fragen nach der dichterischen Einheit des Siegesliedes und nach der Relevanz des Mythos stehen bekanntlich im Mittelpunkt der Diskussion, die seit üb~r 150 Jahren einen großen Teil der gelehrten 1
Bacchylidis carmina cum fragmentis post B. Snell ed. H. Machler, Leipzig 1970. Die Übernahme erfolgt mit Genehmigung des BSB B. G. Teubner Verlagsgesellschaft, Leipzig. 2 Bakchylides, Lieder und Fragmente, griechisch und deutsch von H. Maehler, Berlin 1968 (Schriften und Quellen der Alten Welt Bd. 20). 3 R. C. Jebb, Bacchylides, The Poems and Fragments, Cambridge 1905.
VORWORT
X
Literatur zu Pindar beherrscht4. Dieser Diskussion war die fast ausschließliche Beschränkung auf Pindars Epinikien zweifellos nicht förderlich. Epinikien des Bakchylides wurden und werden meist nur als zusätzliches Material herangezogen, um etwas zu beweisen oder zu 5 erhärten, was eigentlich an Pindars Epinikien gezeigt werden soll . Eine der wenigen Ausnahmen stellt B. A. van Groningens „La compo1958, 2. Aufl. sition litteraire archai:que grecque" dar (Amsterdam 1960): die dort auf S. 189-200 gegebenen Interpretationen stellen bei aller Kürze einen beachtenswerten Versuch dar, Bakchylides als eigenständigen Dichter, unabhängig von Pindar, zu würdigen und dem besonderen Charakter seiner Dichtung durch die Untersuchung ihrer Form gerecht zu werden. Die literarische Einschätzung der bakchylideischen Dichtung seit dem Erscheinen der Editio princeps 6 im Dezember 1897 ist fast allgemein, nicht nur in Deutschland, durch Wilamowitz' Verdikt bestimmt worden, daß mancher Philologe von dem neuen Fund enttäuscht sein werde, der sich „einen großen Dichter" erwartete, ,,der denn freilich nicht erschienen ist" 7• Für Wilamowitz, der dieses schnelle Urteil auch später nie revidiert hat, war der Vergleich mit Pindar ausschlaggebend: wie schon für den Autor :rtEQl Ü'!}oui; (33.5) und noch für Hermann Fränkel 8 , ist auch für Wilamowitz Pindar das Genie, der wahre Dichter, dem gegenüber Bakchylides nur als das gefällige, glatte, bloß handwerklich untadelige Talent erscheint 9 . Wer Bakchylides' Dichtung, und vor allem seine Epinikien, von vornherein nicht anders als unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten vermag, wird kaum zu einem unvoreingenommenen V crständnis ihrer Eigenart finden können. Aber auch dem Verständnis der pindarischen Epinikiendichtung haben sich in den letzten Jahren, namentlich durch die Untersuchun4
Vgl. darüber die ausgezeichnete Übersicht von D. C. Young, WdF 1-95. Auch E. L. Bundy verfährt so in seinen epochemachenden „Studia Pindarica"; allerdings hat er dort auch sehr wichtige Beobachtungen zu Bakchylides mitgeteilt. 6 The Poems of Bacchylides from a Papyrus in the British :Museum, ed. by F. G. Kenyon, London 1897. Gleichzeitig erschien die Facsimile-Ausgabe des Papyrus A mit 21 Lichtdrucktafeln in Folio. 7 U. v. Wilamowitz-MoellendorlT, Bakchylides, Berlin 1898 - geschrieben „Weihnachten 1897", d. h. nur wenige Tage nachdem \Vilamowitz die neue Edition zu Gesicht bekommen hatte. 8 H. Fränkel, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums, 2. Aufl. München 1962, 516. 9 Zur Geschichte der philologischen Auseinandersetzung mit Bakchylides vgl. den brillanten Essay von Jacob Stern, WdF 290-307. 5
VORWORT
XI
10
gen von Bundy , Young 11, Thummer 12 und Köhnken 13, neue Wege geöffnet. Es scheint daher an der Zeit zu sein, auch die Gedichte des 14 Zeitgenossen Bakchylides zum Gegenstand einer neuen Untersuchung zu machen. Sie wird beim Epinikion außer nach den äußeren Daten (Anlaß, Person des Siegers usw.) in erster Linie nach seiner dichterischen Intention fragen und die dafür eingesetzten Stilmittel aufzuzeigen versuchen. Da Epinikien ihrer Natur nach Enkomien sind, ist ihre wesentliche Absicht das Lob des Siegers - in Bundys Worten: ,,There is no passage in Pindar and Bakkhulides that is not in its primary intent enkomiastic - that is, designed to enhance the glory of a particular patron" 15 . Darin liegt der Sinn des Siegesliedes, und unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Funktion seiner einzelnen Elemente - wie etwa die des Mythos - und deren Beziehung zum Ganzen zu sehen. Aus diesem Grund habe ich jedem Siegeslied jeweils einen Abschnitt mit den wesentlichen Fakten zur Datierung des Sieges und zur Person, Karriere, Familie, Heimat usw. des Gefeierten vorangestellt, dann eine Untersuchung der Mythenerzählung(en), sofern vorhanden, und schließlich eine Analyse des Aufbaus, die besonders die sorgfältig ausgewogenen formalen Symmetrien und wechselseitigen Entsprechungen herauszuarbeiten versucht. Da die meisten der dort verwendeten Beobachtungen auch in den Einzelbemerkungen des Kommentars nicht fehlen sollten, bloße Querverweise aber nicht ausgereicht hätten, wurden manche Wiederholungen in Kauf genommen. Die Namen antiker Autoren und die Titel ihrer Werke sind so abgekürzt, wie es das „Greek-English Lexicon" von Liddell-ScottJones (LSJ) tut, jedoch werden die Bücher der Ilias mit großen, die der Odyssee mit kleinen griechischen Buchstaben zitiert, Alkaios und Sappho nach Label-Page (Poetarum Lesbiorum fragmenta, Oxford 1955), die übrigen Lyriker nach West (Iambi et elegi graeci I-II, Oxford 1971-72) und nach PMG. Auch Zeitschriften, Papyri und Inschriften werden nach den Listen des LSJ (9. Aufl. Oxford 1940, S. XLI-XLVI) und des „Supplement" (Oxford 1968, S. X-XI) 10
S. oben S. X Anm. 5. Daß die Anstöße, die Bundys Studie der Pindarforschung gegeben hat, auch für die Bakchylides-lnterpretation von großer Bedeutung sind, wird an vielen Stellen des Kommentars deutlich. 11 David C. Young, Three Odes of Pindar, Leiden 1968 (Mnemosyne Suppl. 9); ders., Pindar lsthmian 7: Myth and Exempla, Leiden 1971 (Mnemosyne Suppl. 15). 12 E. Thummer, Pindar, Die isthmischen Gedichte 1-11, Heidelberg 1968-69. 13 A. Köhnken, Die Funktion des Mythos bei Pindar, Berlin 1971. 14 S. unten Seite 6-7. 15 E. L. Bundy, Studia Pindarica 3.
XII
VORWORT
angeführt. Zeitschriften, die in diesen Listen nicht enthalten oder hier anders zitiert sind, habe ich im Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur auf S. XIII-XVII aufgeführt. Der Kommentar zu den Epinikien 3, 5, 9, 11 und 13 ist 1975 vom Fachbereich 14 (Altertumswissenschaften) der Freien U nivcrsität Berlin als Habilitationsschrift angenommen worden. Den Kommentar zu den übrigen Epinikien habe ich im wesentlichen während eines viermonatigen Forschungsurlaubs in Edinburgh im Sommer 1977 fertiggestellt, den mir ein „Visiting Research Fellowship" des Institute for Advanced Studies in the Humanities der Universität Edinburgh ermöglicht hat. Dem Institute und dem Department of Classics der Universität Edinburgh weiß ich Dank für ihre Gastfreundschaft. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für ihre großzügige finanzielle Unterstützung während meines Aufenthalts in Edinburgh sowie für einen namhaften Zuschuß zu den Druckkosten. Ich danke allen Freunden und Kollegen, die meine Arbeit mit Auskünften, Rat und Kritik gefördert haben, namentlich Joachim Ebert in Halle, Gordon Howie in Edinburgh und Tilman Krischer in \VestBerlin. Besonderen Dank schulde ich Spencer Barrett in Oxford, mit dem ich manche Probleme der Textgestaltung und der Interpretation besprechen konnte und der mir in sehr großzügiger Weise seine noch unveröffentlichten Arbeiten zu den Epinikien 10 und 13 zur Verfügung gestellt hat. Gewidmet habe ich dieses Buch meinem Lehrer Bruno Snell in Hamburg: was ich ihm verdanke, ist mehr als ich mit Worten ausdrücken könnte. Auf seine Anregung hin habe ich die Arbeit begonnen, er hat eine frühe Fassung des Kommentars zum 5. Epinikion und die ganze Einleitung kritisch durchgesehen, er hat mir seine Notizen zum Text für die Teubner-Ausgabe überlassen, und über viele Jahre hin hat er das Entstehen des Kommentars mit freundschaftlicher Anteilnahme und Kritik begleitet. Meiner Frau danke ich für das Mitlesen der Korrekturen. Schließlich möchte ich auch den Herausgebern der „Mnemosyne" sowie dem Verlag E. J. Brill und seinen Mitarbeitern, namentlich Herrn T. A. Edridge, für die sorgfältige Betreuung des Manuskripts Dank sagen.
University College London 3. Juli 1981
H.M.
VERZEICHNIS DER ABGEKÜRZT ZITIERTEN LITERATUR AA A&A Allen-Halliday-Sikes AM ASNP Barrett zu E. Hipp. BB Beazley, ABV Beazley, ARV 2 Bechtel Bechtel, Lexil. Blass 1, Blass 3 Brommer, Denkmälerlisten
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XIV
VERZEICHNIS
DER ABGEKÜRZT ZITIERTEN
LITERATUR
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Disep
VERZEICHNIS
Heydemann Housman HSCP Hymn. ls. Illig JAC Jebb Jurenka Kaibel Kenyon Kienzle Kinkel Kirkwood Klee Knab Köhnken Körte Krause Kriegler Kühner-Blass
K ühner-Gerth Leumann, Horn. Wörter LfgE Lippold, Griech. Plastik Ludwich Maas, Kl. Sehr. Maas, Metrik Maas, Resp. Marg, Charakter Mayser-Schmoll
Meiser Meyer, Forsch.
DER ABGEKÜRZT ZITIERTEN LITERATUR
XV
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XVI
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Sprachliche Untersuchungen zu Homer, Göttingen 1916 Wackernagel, Syntax J. Wackernagel, Vorlesungen über Syntax 1-11, 2. Aufl. Basel 1926-28 R. J. Walker, The Athenaeum 18. 12. 1897, 856 Walker Pindaros und Bakchylides, Wege der Forschung Bd. 134, hrsg. von WdF W. M. Calder III undj. Stern, Darmstadt 1970 H. Weil, Journal des savants, 1898, 174-84 Weil Simonides, Bakchylides, Gedichte, griechisch und deutsch von Werner 0. Werner, München 1969 Hesiod, Theogony, ed. M. L. West, Oxford 1966 West zu Hes. Th. Westermann, A. Westermann, Paradoxographoi: scriptores rerum mirabilium Paradoxogr. graeci, Braunschweig 1839
XVIII
Wilamowitz, GI. d. Hell. Wilamowitz, Gr. Versk. Wolff Zuntz, lnquiry
VERZEICHNIS DER ABGEKÜRZT ZITIERTEN LITERATUR
U. von Wilamowitz-Moellendorff, Berlin 1926--32
Der Glaube der Hellenen, 1-11,
U. von Wilamowi tz- Moellendorff, Griechische Verskunst, Berlin 1921 A. Wolff, Bacchylidea, Padova 1901 G. Zuntz, An lnquiry into the Transmission of the Plays of Euripides, Cambridge 1965
EINLEITUNG
1. Die lyrische Chordichtungin der Gesellschaft Lyrik ist in der Antike die gesungene Dichtung, also das Lied, im Unterschied zur gesprochenen 1• In der Ilias heißt das Lied amö~ ( Q 721, vom Klagelied, dem 8gf]vo~) und µ01.n~ (A 472, vom Paian), und dieselben Wörter bezeichnen die Tätigkeit des Singens. In der Odyssee ist amö~ darüber hinaus auch die Fähigkeit des Singens, die Sangesgabe (8 44, 64, 498 von Demodokos, vgl. h. Ap. 519, h. Merc. 442). Erst Alkman und Archilochos unterscheiden davon das Lied als solches und nennen es µEAO~,und dieser Begriff hat sich eingebürgert; der Dichter heißt µEAOJtOLO~ oder µEALXO~ (seil. JtOLY]'t~~); das Wort 2 AUQLXO~ findet sich erst seit der Zeit der Alexandriner . Die lyrische Dichtung wird in der antiken Theorie meist nach inhaltlichen Kriterien eingeteilt, gelegentlich auch nach metrischen 3. Dagegen ist die heute übliche Einteilung in Lieder, die von Einzelsängern, und solche, die von Chören vorgetragen wurden, nicht antik. Sie ist auch nicht immer eindeutig, denn zum einen kann derselbe Dichter sowohl für Chöre wie für den Einzelvortrag gedichtet haben, wie es z. B. Alkaios und Simonides getan haben, zum anderen ist auch mit gemischten Formen des Vortrags zu rechnen, dergestalt, daß Teile des Liedes vom Vorsänger oder Chorführer solo gesungen wurden, während dazwischen der Chor mit dem Refrain einfiel4. Die grundlegenden Unterschiede zwischen den monodischen Liedern von Archilochos, Alkaios und Sappho einerseits und den Chorliedern des Ibykos, Simonides, Pindar und Bakchylides andererseits liegen weniger in der Vortragsweise begründet als vielmehr in ihrem Anlaß und ihrer Funktion 5 • Die monodischen Lieder haben private Anlässe: Archilochos' Lieder entspringen persönlichen Empfindungen und Gedanken des Dichters, die dieser einem Freund oder auch seinem eigenen 8uµ6~ gegenüber ausspricht, Alkaios singt und trinkt zu1
Über die antiken Einteilungen der Dichtung Im allgemeinen und der Lyrik Im besonderen vgl. Färber I 3ff. und II 5ff. 2 Vgl. Färber I 7 und die Zeugnisse II 7-11. 3 Vgl. Färber I I 6ff. und II 12-22. 4 Vgl. II. Q 720--722, dazu Pickard-Cambridge, Dithyramb 9 und 90 Anm. 2. Entsprechendes gilt vielleicht auch für B.Fr. 18 und Fr. 19, wie Jebb S. 43 vermutet. 5 Über die äußeren Voraussetzungen der Chordichtung, vor allem der Epinikiendichtung Pindars, vgl. H. Fränkel, DuPh 487ff.
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sammen mit seinen Freunden, mit denen ihn gemeinsame politische Ziele und Überzeugungen verbinden, und Sappho nennt in ihren Liedern die gemeinsamen Freuden und Erinnerungen, die sie und die Mädchen ihres Kreises verbinden, und gibt ihrem Schmerz über die Trennung Ausdruck. Diese Dichtung ist ihrem Wesen nach privat und persönlich 6 • Die Chorlyrik dagegen ist öffentlich und repräsentativ. Soweit sie Kultlyrik ist, sind ihre Themen durch den Mythenkreis des jeweiligen Kultes oder Kultortes bestimmt. Das Kultlied wird zur Ehre und zur Freude des Gottes gesungen, es ist Ausdruck der Verehrung der ganzen Gemeinde; der Chor, der in Delos oder Athen einen Paian oder Dithyrambus aufführt, singt dort stellvertretend für seine Stadt. Dementsprechend muß auch das Chorlied allgemeingültig und gewissermaßen „objektiv" sein. Das gilt nicht nur für die für Götterfeste ( di; 8rnui;) verfaßten Chorlieder, sondern in etwas geringerem Maße auch für die Lieder auf Menschen ( di; av8gwnoui;). Auch Epinikien, Enkomien oder Threnoi sind für öffentliche Anlässe bestimmt. Ein Erfolg in einem der großen Wettkämpfe war ein Ereignis, das die ganze Stadt anging: so, wie der siegreiche Athlet am Wettkampfort als Vertreter seiner Heimatstadt ausgerufen wurde, so nahm nach seiner Heimkehr auch die Stadt Anteil an der Siegesfeier, auch wenn diese nicht von Prytanen, sondern von der Familie des Siegers veranstaltet und bezahlt wurde. Daraus erklärt sich das jedenfalls bei Bakchylides und Pindar 7 deutliche Bestreben, den Sieg als ein allgemein gültiges Beispiel menschlicher Leistung und göttlicher Gunst darzustellen, etwa indem sie ihn mit Mythen in Beziehung setzen, die mit der Heimat des Siegers oder dem Ort des Wettkampfes verbunden waren. Der Sieg kann so gewissermaßen als Beweis dafür erscheinen, daß der Sieger - beispielhaft für seine Mitbürger - an die Ruhmestaten mythischer Helden angeknüpft und sich als ihrer würdig erwiesen habe: der Mythos aber hat allgemeine Gültigkeit, er gibt dem Lied über den persönlichen Anlaß hinaus einen gleichsam objektiven Charakter. Auch die Sentenzen (Gnomai), die oft den Übergang von einem Teil des Liedes zum näch6
Das gilt nicht in gleicher Weise von den Hymnen des Alkaios, von denen leider nur wenig kenntlich ist; zu seinem Dionysos-Hymnus (Fr. 349 und 381) vgl. Snell, Ges.Schr. 102-104. 7 _
Als e~s~e~ hat Simonides Chorlieder auf Sportsieger verfaßt; zur Charakterisierung semer Epm1k1en vgl. H. Fränkel, DuPh 493-496. Der Eindruck des persönlichen Tons u~d der geist~eichen Spielerei, den einige der als Zitate überlieferten Verse vermitteln, wird durch die Papyrus-Bruchstücke nicht bestätigt. Die Reste sind allerdings immer noch so gering, daß ein allgemeines Urteil kaum möglich erscheint.
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sten bilden, sind keineswegs als persönlich-subjektive Äußerungen des Dichters gemeint, sondern als allgemeine ·Wahrheiten, denen jeder zustimmen kann. Ohne Zweifel sind auch Enkomien, Threnoi und andere Chorlieder dieser Art für Anlässe verfaßt worden, die jedenfalls insofern öffentlich waren, als die Mitbürger - zumindest die der Oberschicht - daran Anteil nahmen. Ibykos' Enkomion auf Polykrates kann man sich nur für ein Fest am Hof des Tyrannen in Samos komponiert denken, und die Art, wie der Dichter dem Fürsten huldigt, trägt durchaus höfische Züge 8 . Bei aller dezenten Schmeichelei offenbart gerade dieses Lied ein sehr starkes Selbstbewußtsein des Dichters: Ibykos sagt am Schluß, Polykrates werde „unvergänglichen Ruhm" (xAfo~ acp8rrov) haben, ,,soweit das am Gesang und an meinem Ruhm liegt" ( w~xa-r' amöav xai, lµov xAfo~). Der große Mann, die große Tat würden vergessen werden, wenn sie nicht im Lied fortlebten - sie sind auf den Dichter angewiesen, dessen Lied ihnen das gebührende Prestige schaffen und den Nachruhm sichern kann. Auf diesem Gedanken der Korrelation von Tat und Lied, der vor allem in Pindars und Bakchylides' Epinikien in immer neuen Abwandlungen begegnet, beruht das erstaunliche Selbstbewußtsein der Chorlyriker. Schon Alkman stellte ja dem Kriegshandwerk in Sparta die Musik als gleichrangig gegenüber9. Bei Bakchylides und noch stärker bei Pindar kommt zum Bewußtsein vom Rang und der Würde der Dichtung noch das Bewußtsein von der Berufung des Dichters hinzu, dem, was wahrhaft groß ist, zu Anerkennung und Ruhm (und damit zu dauerndem Bestand) zu verhelfen. Dieses Sendungsbewußtsein geht einher mit dem bei beiden Dichtern deutlichen Bewußtsein, das musikalische Handwerk virtuos zu beherrschen, nach Belieben verschiedene „Wege" meistern zu können und über die traditionellen Formen und Inhalte hinaus Neues zu erschließen, und zwar Kostbares, Erlesenes, Exklusives 10. Mit diesem hohen Anspruch war nun offenbar die banale Tatsache, daß das Lied wie eine Ware vom Auftraggeber bestellt und bezahlt wurde, nicht leicht in Einklang zu bringen. Pindar sagt (Is. 2. lff.), wie es scheint nicht ohne Bitterkeit, die Männer von einst (o[ µEv JtO.Am) PMG 282, vgl. dazu Snell, Dichtung u. Ges. l 19fT.;J. P. Barron, BICS 16, 1969, 119-149; H. Fränkel, DuPh 322fT. 9 PMG 41 EQJtfL ya.g avi:a 1:W möagw TO xaAwi; Xt8ag(aöriv, vgl. auch Snell, Dichtung u. Ges. 130. w Vgl. besonders Pind.Ne. 7.77-79 ELQELV awpavoui; EAaqig6v, avaßaAEO' Moiaa TOL xoAAät XQUOOVEV '"[f /1.EUXOV EAEqiav8' aµä xal, AELQLOV av8Eµov nov,:(ai; UqJEAoi:a' Ugaai;, dazu Dichterberuf 92-93. 8
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„abgeschossen" (nmödou~ sei die Muse noch nicht auf Gewinn versessen ( cpLAOXEQÖ'Y]~) und für Geld dingbar (Egyan~) gewesen, jetzt aber gelte das Wort „Geld macht den Mann" (xgiJµa,:a xgiJµa,:' aviJg). Die bekannten Anekdoten von der Geldgier des Simonides 11 sind vielleicht aus dem Erstaunen darüber hervorgegangen, daß eine so anspruchsvolle Kunst um Geld zu haben und auch dem Fremden, dem „Ausländer", zu Diensten war, wenn er dafür bezahlte. Die Epinikiendichter weisen selbst gelegentlich darauf hin, daß Freigiebigkeit gegenüber dem Dichter und Chor eine lohnende Investition sei 12, was sicher als diskrete Mahnung zu verstehen ist, den Dichter großzügig zu entlohnen. Obwohl der Chordichter in der ersten Hälfte des 5. Jhs. sich im Grunde in der gleichen Position befindet wie Demodokos bei den Phaiaken, der als ein Ör]µLOEQYO~wie ein Arzt oder Handwerker bei Bedarf beauftragt wird 13, wird doch die Tatsache der Bezahlung, also der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Dichters vom Auftraggeber 14, im allgemeinen verschwiegen oder durch die Fiktion der „Gastfreundschaft" überdeckt. Der Dichter schickt sein Lied als (X