Die Konkurrenzen der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern [1 ed.] 9783428534852, 9783428134854

Die Gesetzgebungskompetenzen im Bund-Länderverhältnis sind in der Vergangenheit des Öfteren Gegenstand von wissenschaftl

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German Pages 320 Year 2011

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Die Konkurrenzen der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern [1 ed.]
 9783428534852, 9783428134854

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1181

Die Konkurrenzen der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern

Von Roland Wagner

Duncker & Humblot · Berlin

ROLAND WAGNER

Die Konkurrenzen der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1181

Die Konkurrenzen der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern

Von Roland Wagner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Sommersemester 2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 29 Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13485-4 (Print) ISBN 978-3-428-53485-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-83485-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 2010 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg als Dissertation angenommen. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Heinrich de Wall, der die Arbeit anregte, sie betreute und mir stets mit Rat zur Seite stand. Herrn Prof. Dr. Matthias Jestaedt danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern, Sieglinde und Karl Wagner. Sie haben mich während meiner Ausbildung und Promotion immer in vollem Maße unterstützt. Ganz besonderen Dank möchte ich meiner Ehefrau Carolin aussprechen, die mir in allen Phasen meiner Promotion wichtigster Rückhalt und Ansprechpartner war. Erlangen, im Oktober 2010

Roland Wagner

Inhaltsverzeichnis Einführung A. Die Bundesrepublik Deutschland als föderalistischer Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

B. Die grundgesetzliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen . . . . . . . . . . . .

15

C. Jüngere Entwicklungen im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . .

16

D. Ansatz und Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

1. Teil Überblick: Vorgang und Schwierigkeiten der kompetenziellen Qualifizierung A. Der Vorgang kompetenzieller Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schwierigkeiten im Rahmen der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegungsimmanente Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiedliche Gewichtung der Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen des Perspektivenstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art und Weise der kompetenziellen Auflistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beidseitigkeit der Kompetenzverteilung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiedliche Art und Weise der Katalogisierung der Bundeskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Blickwinkel des Detaillierungsbestrebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Mögliche Folge: Konkurrenz der Gesetzgebungskompetenzen . . . . . . . . . . . V. Dogmatische Unsicherheiten im Rahmen des Art. 72 I und II GG . . . . . . . . 1. Art. 72 I GG: Abschließende bundesrechtliche Regelung? . . . . . . . . . . . 2. Art. 72 II GG: Umfang der Erforderlichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . .

26 26 26 30 31 33 33 37 38 40 41 41 43

2. Teil Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen A. Klarstellung: Primat der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Subjektive oder objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 56 63

8

Inhaltsverzeichnis 1. Darstellung der allgemeinen Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegung nach dem Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Logische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Historische Auslegung im engeren und weiteren Sinne . . . . . . . . . . . aa) Historische Auslegung im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Historische Auslegung im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Komparative Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergänzungsmöglichkeiten zu den traditionellen Auslegungsmethoden 3. Sonderfall: Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, Annexkompetenz und Kompetenz kraft Natur der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit ungeschriebener Bundeskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . b) Unterscheidung von Sachzusammenhang, Annex und Natur der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Funktion der ungeschriebenen Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gewichtung der Auslegungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Besonderheiten bei der Auslegung von Verfassungsnormen . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Offenheit der Verfassung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Legislative . . . . . . . 3. Kompetenznormen als „bestimmtes, vorgeprägtes Verfassungsrecht“ . . IV. Generelle Auslegungsgewichtung zu Gunsten des Bundes oder der Länder? V. Konkurrenzauflösung mittels Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemein: Mögliche Auflösungskriterien im Rahmen der Auslegung und der Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geeignetheit der Auslegung als Ort der Konkurrenzauflösung . . . . . . . . VI. Fazit zum Bereich der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 64 66 68 69 69 70 73 74 75 77 77 81 85 88 91 91 93 99 101 106 107 107 116

B. Kompetenzrechtliche Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Kriterien und Inhalt kompetenzrechtlicher Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 II. Konkurrenzauflösung mittels kompetenzrechtlicher Zuordnung . . . . . . . . . 120 C. Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Auslegungs-, Zuordnungs- und Auflösungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Unterscheidungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

3. Teil Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung A. Abstrakte Darstellung: Identität, Heterogenität, Subordination und Interferenz

129

B. Konkrete Unterscheidung der Konkurrenzarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

Inhaltsverzeichnis I.

„Verborgene“ Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Echte Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Doppelkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auslegungskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige widersprüchliche Regelungskonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderfall: Konzeptionierung durch Regelungsverzicht . . . . . . . . . . c) Exkurs: Sperrwirkung durch verfassungswidriges Bundesrecht, Nichtigkeitsdogma und Vorfragenkompetenz des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einordnung und Unterscheidung der Konkurrenzarten . . . . . . . . . . . . . . II. „Offene Konkurrenzen“: Sonderproblem der Abweichungskompetenz des Art. 72 III GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 132 132 133 133 142 144 144 153

155 161 162 163 164 166 168

4. Teil Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken A. Auflösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Auflösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kooperation und Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staatsvertrag als mögliche Kooperationsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulässigkeit kooperativen Handelns zwischen Bund und Ländern im Bereich legislativer Kompetenzkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Generelle Zulässigkeit kooperativen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . bb) Möglichkeit der Kompetenzübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kompetenzverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zulässigkeit dynamischer Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Staatsvertragliche Vereinbarung eines Auslegungsergebnisses . . c) Probleme der Auflösung von Kompetenzkonflikten durch BundLänder-Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Koordination zwischen den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung kooperativer Auflösungsmöglichkeiten . . . . . . . . 2. Kompetenzvermutung zu Gunsten des Bundes oder der Länder? . . . . . . a) Vermutung zu Gunsten des Bundes: Anwendung des Art. 31 GG . . b) Vermutung zu Gunsten der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171 174 175 175 176 177 180 182 183 186 187 189 192 193 194 201 203

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Inhaltsverzeichnis II. Differenzierte Auflösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegungskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Doppelkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nochmals: Primat der Auslegung auch bei Doppelkompetenzen . . . b) Behandlung echter Doppelkompetenzen im Sinne von idealkonkurrierenden Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die leges-Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Art. 31 GG als Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Möglichkeit der Mehrfachqualifizierung – Art. 31 GG als Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausgeschlossenheit der Mehrfachqualifizierung und sonstige Kritik zur Anwendung des Art. 31 GG . . . . . . . . . . . . . (3) Modifizierte Anwendung des Art. 31 GG . . . . . . . . . . . . . . . (4) Eignung des Art. 31 GG zur Auflösung von Kompetenzkonkurrenzen auch ohne vorhandene einfachgesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Sonderfall: Pflicht zur Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Art. 31 GG als Kollisionsnorm – zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) „Erforderlichkeit“ bundeseinheitlicher Regelung als Auflösungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Generelle Abkehr von Abgrenzung hin zu Kooperation und Integration – angezeigt durch die Föderalismusreform 2006 . . . c) „Janusköpfige Gesetze“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Widersprüchliche Regelungskonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Grundsatz der „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“ . . (1) Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Erforderlichkeit zusätzlicher Sachkompetenz . . . . . . bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erforderlichkeit einer Doppelkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sonstige Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204 204 206 206

B. Kompetenzausübungsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten als Kompetenzausübungsschranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anknüpfungspunkt der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grenzen der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wirkung der Bundestreue als Kompetenzausübungsschranke . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259 261 261

210 210 213 213 215 222

230 234 235 237 240 242 244 245 245 248 250 250 251 255

263 266 267 268 270 271

Inhaltsverzeichnis

11

5. Teil Praktische kompetenzielle Probleme im Grundgesetz – exemplarische Darstellung und Auflösung A. Auslegungskonkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 I. Art. 74 I Nr. 27 GG: Statusrechte und -pflichten der Länderbeamten . . . . . 275 II. Art. 72 III GG: Umfang der abweichungsfesten Kerne . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 B. Doppelkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rauchverbot in Gaststätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mögliche Landeskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mögliche Kompetenztitel des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. 74 I Nr. 19 letzte Alt. GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 74 I Nr. 24 2. Alt. GG: Luftreinhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art. 74 I Nr. 20 GG: Recht der Genussmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Art. 74 I Nr. 19 1. Alt. GG: Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Art. 74 I Nr. 12 GG: Recht des Arbeitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Art. 74 I Nr. 7 GG: Öffentliche Fürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kompetenzabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Schwangerenhilfeergänzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Art. 74 I Nr. 11 GG: Ladenschluss als Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung der Kompetenztitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Landesrechtliches Ladenschlussrecht mit Arbeitsschutzcharakter . . aa) Art. 74 Nr. 11 GG: Ladenschluss als normativ geprägter Kompetenzbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Exemplarische Betrachtung der Genese des Gesetzes über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitsschutz als Bundeskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kompetenzabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279 279 280 281 281 282 283 283 285 286 287 289 292 293 293 293 295 297 297

Schlussbetrachtung A. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 B. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

„Es scheint [. . .], daß die Menschen am Ende genötigt gewesen wären, immer unter der Regierung eines einzelnen zu leben, wenn sie nicht eine Verfassungsart erdacht hätten, welche alle inneren Vorzüge der republikanischen Regierung mit der äußeren Kraft der monarchischen Regierung verbindet. [. . .] Diese Regierungsform ist eine Vereinbarung mehrerer Staatswesen dahin, Bürger eines größeren, gemeinschaftlich zu gründenden Staates zu werden.“1 „Die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern ist seit jeher die ,grande affaire‘ des Föderalismus, und ebenso traditionell gilt die Hauptaufmerksamkeit föderaler Balance-Akte den Zuständigkeiten zur Gesetzgebung.“2

Einführung A. Die Bundesrepublik Deutschland als föderalistischer Staat Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Diese, sich in Art. 20 I GG wiederfindende Staatsfundamentalnorm3 schreibt die Bundesrepublik unter anderem als föderalen Staat fest. Darüber hinaus stellen die bundesstaatlichen4 Grundsätze unter anderem den durch Art. 79 III GG vermittelten unberührbaren Kern des grundgesetzlichen Systems dar. Der für Deutschland so prägende „Eckpfeiler der staatlichen Ordnung“5 entspricht auch in der Fassung des Grundgesetzes der Fortführung eines in Deutschland verwurzelten traditionellen Föderalismus.6 Bereits der Paulskirchenverfassung7, der 1 Montesquieu, Der Geist der Gesetze, S. 111. Hierzu auch Isensee, in: HdBStR IV, S. 650. 2 Pestalozza, DÖV 1972, S. 181. 3 Hierzu Herzog, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20, Rdnr. 7. 4 Auf den Unterschied zwischen Föderalismus und Bundestaatlichkeit sei an dieser Stelle hingewiesen. Während der Begriff des Föderalismus für „eine dezentrale politische Ordnung mit regionaler und kommunaler Selbstverwaltung steht“, bezieht sich der Begriff des Bundesstaates nur auf den Staatsaufbau und den bestehenden „Dualismus von Bund und Ländern“ (Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 143). Für die folgende Untersuchung stehen jedoch Bund und Länder und die zwischen ihnen bestehende Kompetenzverteilung im Mittelpunkt, weshalb auf diese Differenzierung nicht weiter einzugehen ist. 5 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 33. 6 Zur Ausprägung des Bundesstaatsprinzips durch das Bundesverfassungsgericht vgl. Maunz, in: HdBStR IV, S. 428. Vgl. dazu auch BVerfGE 1, 14 (18, 34); 1, 97 (99); 42, 103 (112). 7 Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 25 f. Vgl. hierzu auch § 5 dieser Verfassung: „Die einzelnen deutschen Staaten behalten ihre Selbständigkeit, soweit dieselbe

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Einführung

Verfassung des Norddeutschen Bundes sowie der Verfassung des Deutschen Reiches von 18718 und der Weimarer Reichsverfassung9 lassen sich bundesstaatliche Elemente entnehmen.10 Es handelt sich bei der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland daher keineswegs nur um „oktroyierte[n] Import aus der [sic] Repertoire der Besatzungsmächte“11. Auch nach der Wiedervereinigung 1990 erwies sich der föderale Staatsaufbau als sehr geeignet, den Zusammenführungsprozess zu unterstützen. Den fünf neu gegründeten Ländern Ostdeutschlands verblieb durch die jeweilige Souveränität ein gehöriges Maß an Selbstbestimmung und auch die Ausführung der Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten12 trug dazu bei, die Wiedervereinigung nicht als Annexion, sondern als tatsächliche Vereinigung ohne einseitige Bevormundung anerkennen zu können.13 Wesen eines föderal aufgebauten Staates ist es in Abgrenzung zu Staatenbund und Einheitsstaat jedoch, dass sowohl den Teilverbänden als auch dem Gesamtverband durch die gesamtstaatliche Verfassung ein „Hausgut“14 an Aufgaben und Befugnissen verbleibt: „Föderative Ordnung bedeutet die Existenz ,doppelter Entscheidungszentren‘, das Vorhandensein [. . .] von ,zwei verschiedenen Reihen von Regierungseinrichtungen‘ “15. Insoweit verbindet und vermittelt der bundesstaatliche Aufbau zwischen den Interessen der Gliedstaaten, möglichst viel Eigenständigkeit zu behalten, und dem unitaristischen Streben des Gesamtstaates, welches in Richtung zentral organisierter Staatlichkeit geht.16 „Ohne das föderale Element kein Bundesstaat, ohne das unitarische kein [Gesamt-]Staat.“17

nicht durch die Reichsverfassung beschränkt ist; sie haben alle staatlichen Hoheiten und Rechte, soweit diese nicht der Reichsgewalt ausdrücklich übertragen sind.“ 8 Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 29 ff., 34. 9 Vgl. Art. 5 WRV: „Die Staatsgewalt wird in Reichsangelegenheiten durch die Organe des Reichs aufgrund der Reichsverfassung, in Landesangelegenheiten durch die Organe der Länder aufgrund der Landesverfassungen ausgeübt.“ Zudem deutet die Aufzählung der Gesetzgebungskompetenzen des Reiches in Art. 6 ff. WRV auf einen bundesstaatlichen Charakter hin. Auch hierzu Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 53 ff. 10 Zur historischen Entwicklung des Bundesstaats in Deutschland überblicksweise auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 2 ff. Weitergehend Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee; Sturm: Föderalismus in Deutschland. 11 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 33. So auch Isensee, in: HdBStR IV, S. 519: „Der Bundesstaat des Grundgesetzes ist Staatsform deutscher Herkunft und deutscher Prägung“. Jestaedt, in: HdBStR II, S. 787 f. 12 Vgl. Art. 83 GG. 13 Vgl. hierzu auch Starck, 1. Teil, Einführung, S. 1. Ebenso Kloepfer, DÖV 2004, S. 567. 14 Vgl. hierzu bereits mehrfach die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung BVerfGE 87, 181 (191); 34, 9 (19 f.); 111, 226 (235). 15 Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 657. 16 Vgl. hierzu auch BVerfGE 72, 330 (398). 17 Isensee, in: HdBStR IV, S. 521.

B. Die grundgesetzliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen

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Das Grundgesetz weist Bund und Ländern im Rahmen ihrer Kompetenzen dementsprechend die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben selbständig zu.18 Sowohl Bund als auch Ländern kommt eigene Staatsqualität zu.19 Die Staatsgewalt selbst wird gemäß Art. 20 II 2 GG durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Grundlage der Verteilung der jeweiligen Aufgaben von Bund und Ländern in diesen drei zentralen Bereichen staatlicher Tätigkeit ist wiederum die Kompetenzverteilung im Grundgesetz. So regeln Art. 70 ff. GG die Gesetzgebungskompetenzen, Art. 83 ff. GG befassen sich mit exekutivischen Kompetenzfragen und Art. 92 ff. GG regeln die grundgesetzlichen Vorgaben bezüglich der Rechtsprechung. Die so gefasste Kompetenzordnung stellt den „,harten juristische[n] Kern‘ der Zwei-Ebenen-Staatlichkeit“20 dar.

B. Die grundgesetzliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen Dem Titel der Arbeit folgend werden die Legislativkompetenzen der Art. 70 ff. GG im Fokus der nun folgenden Betrachtungen stehen. Auf die Darstellung des Verteilungssystems der Art. 84 ff. GG und der Art. 92 ff. GG soll daher verzichtet werden. Ausgangsnorm einer jeden (legislativ-)kompetenzrechtlichen Betrachtung muss Art. 70 I GG sein. Der hier verankerte Grundsatz ist prägend für die gesamte Verteilung der Legislativkompetenzen im Grundgesetz. So normiert Art. 70 I GG, dass grundsätzlich die Länder das Recht zur Gesetzgebung haben, soweit das Grundgesetz nicht dem Bunde die Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Die demgemäß notwendige Verleihung der Bundeskompetenzen besorgt das Grundgesetz hauptsächlich21 in den Kompetenzkatalogen der Art. 73 und 74 GG. Zu beachten ist hierbei, dass die in Art. 73 GG enumerierten Materien solche der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes sind. Diese Materien sind demzufolge ausschließlich dem Bunde zugewiesen, wenn und soweit nicht der Bund die Länder zur Regelung ermächtigt.22 Im Bereich der konkurrierenden Bundeskompetenz, für Bereiche also, die in Art. 74 GG aufgezählt sind, haben die Länder die Gesetzgebungszuständigkeit, solange und soweit nicht der Bund von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat, vgl. Art. 72 I GG. Etwas erschwert wird diese Gebrauchmachung des Bundes für 18

Vgl. hierzu auch die grundlegende Verteilungsnorm Art. 30 GG. Hierzu Maunz, in: HdBStR IV, S. 428 f. 20 Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 739. 21 Eine Aufzählung der sich außerhalb der Kataloge der Art. 73, 74 GG befindlichen Bundeskompetenzen findet sich bei Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 71, Rdnr. 3. 22 Vgl. Art. 71 GG. 19

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Einführung

einige der konkurrierenden Kompetenzen jedoch durch die zusätzliche Notwendigkeit einer Erforderlichkeitsprüfung. Gemäß Art. 72 II GG besteht für den Bund nämlich nur dann das Gesetzgebungsrecht für die dort genannten Nummern des Art. 74 I GG, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.23 Mit der Föderalismusreform 200624 wurde neben ausschließlicher und konkurrierender Zuständigkeit mit Art. 72 III GG n. F. ein weiterer Typ von Gesetzgebungskompetenzen eingeführt.25 Hiernach haben die Länder die Möglichkeit, von bundesgesetzlichen Regelungen durch eigene gesetzgeberische Tätigkeit abzuweichen. Dieses Abweichungsrecht ist jedoch nur auf einzelne, in Art. 72 III GG enumerierte Bereiche beschränkt. Kein Abweichungsrecht besteht wiederum für ausdrücklich benannte „abweichungsfeste Kerne“. Da jedoch auch das vorangehend schlaglichtartig dargestellte legislative Kompetenzverteilungssystem nur Resultat einer längerfristigen Entwicklung des föderalen Gefüges der Bundesrepublik ist, erscheint es notwendig, diese für die vorliegende Arbeit mitunter grundlegenden Entwicklungen zu berücksichtigen und nicht sofort mit einer isolierten Betrachtung einzelner kompetenzrechtlich relevanter Regelungen zu beginnen. In verstärktem Maße gilt dies vor dem Hintergrund der erst im Jahre 2006 erfolgten Föderalismusreform.

C. Jüngere Entwicklungen im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes Einzelne grundgesetzliche Regelungen wie Art. 84 I 1 GG a. F.26, aber auch die Entwicklung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 72 II GG führten in jüngerer Vergangenheit, trotz des grundsätzlich auf föderaler Zusammenwirkung beruhenden grundgesetzlichen Kompetenzverteilungssys23 Durch die Föderalismusreform 2006 wurde das nach Art. 72 IV GG grundsätzlich notwendige Öffnungsgesetz des Bundes nach Wegfall der gegenständlichen Erforderlichkeit um die Möglichkeit der Länder erweitert, bezüglich des Vorliegens der Erforderlichkeit bundeseinheitlicher Regelungen auch das Bundesverfassungsgericht anrufen zu können. Vgl. Art. 93 II GG. 24 Zum Inhalt der Föderalismusreform vgl. beispielsweise die von Starck herausgegebene Einführung. Die legislativkompetenzrechtlich relevante Seite der Reform wurde in einer Vielzahl von Beiträgen beleuchtet. Vgl. exemplarisch Degenhart, NVwZ 2006, S. 1210 ff.; Försterling, ZG 22 (2007), S. 36 ff.; Hansmann, NVwZ 2007, S. 17 ff.; Hansalek, NVwZ 2006, S. 668 ff.; Ipsen, NJW 2006, S. 2801 ff.; Knopp, NVwZ 2006, S. 1216 ff.; Kotulla, NVwZ 2007, S. 489 ff.; Mammen, DÖV 2007, S. 376 ff.; Nierhaus/Rademacher, LKV 2006, S. 385 ff. 25 Hierzu ausführlicher unter 3. Teil B. II. 26 Gemeint ist hier die Fassung vor der Föderalismusreform 2006.

C. Jüngere Entwicklungen im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes

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tems, zu sehr schwierigen Konstellationen im bundesstaatlichen Kompetenzgefüge. So war es durch die starke Zunahme an zustimmungsbedürftigen Gesetzen den im Bundesrat befindlichen Landesvertretungen möglich, einer Vielzahl von Gesetzgebungsvorhaben des Bundes durch Verweigerung der Zustimmung entgegenzutreten und das Zustimmungserfordernis so als politisches Instrument einzusetzen. Im Gegenzug wurden die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder durch die immer stärkere Gebrauchmachung des Bundes von seinen umfassend bestehenden Kompetenzen zurückgedrängt. Verstärkend treten hier immer wieder durchgeführte Verfassungsänderungen hinzu, durch welche dem Bund neue Kompetenzen zugesprochen wurden.27 Die erfolgte Änderung des Art. 72 II GG im Jahre 199428 und die damit verbundene Änderung der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung29 führte zu einer weitreichenden Blockadesituation: Während die Länder über das Instrument der Zustimmungsverweigerung weiterhin bundesgesetzliche Regelungen verhindern konnten, war es dem Bund aufgrund der nun erheblich verschärften Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen des Art. 72 II GG nicht möglich, neue Regelungen zu schaffen. Auf der anderen Seite waren die Länder jedoch auch nicht in der Lage, die bundesgesetzlichen Regelungen abzulösen. Hierfür wäre eine bundesgesetzliche Regelung im Sinne des Art. 72 III, 125 a II 2 GG a. F. nötig gewesen, welche – vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen Bund und Ländern – nur selten erging. Der große Vorteil eines bundesstaatlichen Aufbaus – gliedstaatliche Eigenständigkeit einerseits, gesamtstaatliche Zusammengehörigkeit andererseits – offenbarte hier eine in kompetenziellen Randbereichen gleichfalls bestehende Schwäche. Am 1. September 2006 trat schließlich mit der Föderalismusreform die größte Grundgesetzänderung seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Die soeben dargestellte Blockadesituation zu beseitigen und für die Zukunft zu verhindern, war Hauptintention des Gesetzeswerkes.30 Zentrales Ziel der Reform war also: „weniger Einfluss der Landesexekutive über den Bundesrat auf die Bundesgesetzgebung gegen Stärkung der Landeslegislative durch Vermehrung der Landeskompetenz.“31 Erreicht werden sollte dies vor allem durch eine umfangreiche Änderung des Katalogs der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes zu Gunsten der Länder und eine Reduzierung des Zustimmungsbedürfnisses des Bundesrates zu bundesgesetzlichen Vorhaben. Neben der durchaus kontrovers 27

Kloepfer, DÖV 2004, S. 568. Hierzu Rybak/Hofmann, NVwZ 1995, S. 230 ff. 29 Hierzu überblicksartig Jochum, NJW 2003, S. 28 ff. 30 Bezüglich der eben angesprochenen Problematik des unterbleibenden bundesrechtlichen Freigabegesetzes wurde ebenfalls reagiert. Mit Art. 93 II GG wurde den Ländern die Möglichkeit zur verfassungsgerichtlichen Feststellung der Erforderlichkeit an die Hand gegeben. Hierzu Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 125a, Rdnr. 11. 31 Starck, 1. Teil, Einführung, S. 3. 28

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Einführung

diskutierten Eignung32 der Föderalismusreform zur Erreichung ihrer selbst gesteckten Ziele allgemein, ergaben sich durch die relativ umfassende Änderung der Vorschriften über die Gesetzgebungskompetenzen recht schnell ebenfalls heiß diskutierte Fragen bezüglich der bestehenden Gesetzgebungskompetenzen. Als Beispiel sei an dieser Stelle nur die umfassende Kontroverse erwähnt, die rund um die gesetzliche Regelungsmöglichkeit eines Rauchverbotes, speziell in Gaststätten, geführt wurde, und über welche mittlerweile auch das Bundesverfassungsgericht entscheiden musste.33 Ausgehend von diesen, sich aktuell zeigenden Kompetenzfragen, erscheint auf einen zweiten Blick auch die Lösung schon länger bestehender Kompetenzfragen nicht eindeutig. Die Regelung des Art. 70 I GG im Zusammenspiel mit den Anordnungen der Art. 71 und 72 GG sowie den Kompetenzkatalogen der Art. 73 und 74 GG ermöglicht durch ihr Regel-Ausnahme-Verhältnis und die unterschiedliche Weite der enumerierten Bundeskompetenzen mannigfaltige Berührungen von Bundes- und Landeskompetenzen: „Mag die formale Strukturierung der staatlichen Organisation [. . .] weitgehend auf Reibungs- und Friktionslosigkeit ausgerichtet sein, Prestigedenken, Ressortegoismus, [. . .] aber auch schlicht guter Glaube an das eigene Recht oder Fehlbeurteilung der Rechtslage werden immer wieder dazu beitragen, pathologische Störungsfälle [und damit Unklarheiten in der Kompetenzordnung] zu schaffen.“34 Speziell im Bereich der Legislativkompetenzen kommt entscheidendes Gewicht also der Frage zu, ob das Grundgesetz dem Bunde Kompetenz „verleiht“, Art. 70 I GG. Neben einer denkbaren tatsächlichen Überschneidung von Bundes- und Landeskompetenzen, etwa im Bereich des Presserechts35, ist auch die bloße Widersprüchlichkeit einzelner landes- und bundesgesetzlicher Regelungen denkbar. Letzteres, um auch hierfür ein Beispiel zu nennen, war im Streit um das bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz36 der Fall. Schließlich besteht noch die Möglichkeit, im Rahmen der Auslegung einzelner Gesetzesbegriffe zu unterschiedlichen Ergebnissen zu gelangen, je nachdem welcher Methode und Sichtweise man den Vorrang einräumt. Die so erhaltenen unterschiedlichen Ergebnisse können wiederum zu Unklarheiten im Rahmen des Qualifizierungsvorgangs füh32 Vgl. hierzu allein die unterschiedlichen Stellungnahmen im Rahmen der Sachverständigenanhörung im Vorfeld der Föderalismusreform, abrufbar unter http://www. bundestag.de/ausschuesse/a06/foederalismusreform/Anhoerung/01_Allgemeiner_Teil/in dex.html (Abrufdatum: 14.02.2009). 33 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hatte im Kern zwar materielle Fragen zu beantworten. Dennoch handelte es sich hierbei streitgegenständlich um landesrechtliche Vorschriften, welche auf Kompetenzen gestützt wurden, die den Ländern aufgrund der Föderalismusreform zugesprochen wurden. Vgl. hierzu BVerfG, 1 BvR 3262/07 vom 30.7.2008. 34 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 374. 35 Vgl. dazu BVerfGE 7, 29 (38 ff.). 36 Verfassungsgerichtliche Behandlung erfuhr dieser Streit in BVerfGE 98, 265 ff.

D. Ansatz und Aufbau der Untersuchung

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ren. Ein aktuelles, hier zu erwähnendes Beispiel stellt die Frage der Auslegung des Begriffs der beamtenrechtlichen Statusrechte und -pflichten37 dar.

D. Ansatz und Aufbau der Untersuchung Die Untersuchung sich auf diese oder andere Weise stellender Konkurrenzen von Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern wird daher Inhalt der vorliegenden Arbeit sein.38 Ein bundesstaatliches Gefüge wie das der Bundesrepublik Deutschland kann nur sinnvoll und in rechtsstaatlicher Weise existieren, wenn die kompetenzielle Verteilung zwischen den jeweiligen Kompetenzträgern zumindest ein Niveau erreicht, das die Normadressaten nicht in eine ausweglose Lage bringen kann, indem ein Kompetenzträger etwas fordert, was der andere gerade verbietet. Auch für die Verwaltung und Rechtsprechung ergäben sich durch bestehende Doppelkompetenzen aufgrund der grundgesetzlich angeordneten Gesetzesbindung, Art. 20 III GG, nur schwer oder nicht lösbare Probleme. Die Analyse des bundesstaatlichen Kompetenzverteilungssystems im Bereich der Gesetzgebung, die Herausarbeitung pathologischer Fälle und die sachgerechte Behebung dieser ist daher Hauptanliegen dieser Arbeit. Bei diesen Betrachtungen gilt es dennoch, das bundesstaatliche Gefüge im Gedächtnis zu behalten und gegebenenfalls existierende Kompetenzen nicht radikal ohne Rücksicht auf dieses, zu Gunsten des einen oder anderen Kompetenzträgers, aufzulösen. Um zu derart sachgerechten Lösungen zu gelangen, ist es zunächst nötig, nach einer knappen, überblicksartigen Darstellung des kompetenziellen Qualifizierungsvorganges, die sich im Rahmen der kompetenziellen Qualifizierung stellenden Schwierigkeiten herauszuarbeiten. In einem Grobraster wird hierbei zwischen Schwierigkeiten zu unterscheiden sein, die sich im Laufe des eigentlichen Vorgangs der kompetenziellen Qualifizierung stellen, und solchen Problemen, die gewissermaßen von außen auf die jeweilige kompetenzrechtliche Lage einwirken. Speziell zu erwähnen sind hier die Regelungen des Art. 72 I und II GG. Im Rah37

Vgl. hierzu den durch die Föderalismusreform geänderten Art. 74 I Nr. 27 GG. Sich verschiebende Gewichtungen der jeweiligen Kompetenzen durch europarechtliche Einflüsse, speziell die oftmals zitierte „Föderalismusblindheit“ des Europarechts, müssen im Rahmen dieser Arbeit außer Betracht bleiben. Hingewiesen sei jedoch auf den Umstand, dass durch die aus Art. 23 I 2 GG resultierende Möglichkeit des Bundes zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union, egal ob es sich dabei um innerstaatliche Bundes- oder Landeskompetenzbereiche handelt, und die bestehende Pflicht zur Umsetzung europarechtlicher Vorgaben eine kompetenzielle Entwicklung zu Lasten der Länder durchaus zu befürchten ist. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang verwiesen auf Eiselstein, NVwZ 1989, S. 323 ff.; Jennert, NVwZ 2003, S. 936 ff.; Scholz, NVwZ 1993, S. 817 ff.; Erbguth, in: FS Carl Heymanns Verlag, S. 549 ff. Im weiteren Zusammenhang: Pernice, JZ 2000, S. 866 ff.; Rehbinder/Wahl, NVwZ 2002, S. 21 ff. 38

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Einführung

men des Art. 72 II GG wiederum bedarf die durch die Föderalismusreform erfolgte Beschränkung der Erforderlichkeitsprüfung auf dort aufgezählte Kompetenznummern im Zusammenspiel mit in Art. 72 II GG nicht erwähnten Nummern gesonderter Betrachtung. Anschließend gilt es, den eigentlichen Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung genauer zu untersuchen und in einzelne Teilbereiche zu zerlegen. Hierbei rücken auf einer ersten Stufe die Auslegung der Kompetenznormen mit all ihren Besonderheiten, die Auslegung der (soweit vorhandenen) einfachgesetzlichen Regelung und die gegebenenfalls erforderliche Formulierung eines juristisch handhabbaren Sachverhalts in den Mittelpunkt. Die zweite Stufe der kompetenziellen Qualifizierung ist die nach der Auslegung stattfindende Subsumtion des zu regelnden Sachverhaltes unter eine Kompetenznorm. Schließlich – soviel sei im Vorgriff bereits erwähnt – wird es nötig werden, bei bestimmten Kompetenzkonkurrenzen eine weitere, dritte Stufe einzuführen, auf welcher die Auflösung der gegebenenfalls bestehenden Konkurrenzen erfolgt. Es wird sich zeigen, dass das Grundgesetz hierzu mit Art. 31 GG ein geeignetes Instrument bereit hält. Die Darstellung sowohl des kompetenziellen Qualifizierungsvorgangs als auch der bestehenden Schwierigkeiten innerhalb desselben eröffnen dann die Möglichkeit, die jeweiligen Schwierigkeiten einer der angesprochenen Stufen zuzuordnen. Aufgrund dieser Zuordnung kann wiederum in einem nächsten Schritt dazu übergegangen werden, die bereits angesprochenen, vielfältig denkbaren Kompetenzkonkurrenzarten in Obergruppen einzuteilen. Hierdurch erhält man die Möglichkeit, nicht nur die einzelnen Defekte einer Stufe der kompetenziellen Qualifizierung zuordnen zu können. Vielmehr ist man dadurch auch in die Lage versetzt, die daraus resultierenden Konkurrenzarten den jeweiligen Stufen des Qualifizierungsvorganges zuzuordnen. Mit anderen Worten zeichnet sich ein Bild, auf dem man erkennen kann, welcher Defekt auf einer bestimmten Stufe eine bestimmte Konkurrenzart nach sich zieht. Erst aufgrund dieser analytischen Vorgehensweise wird es möglich, für die unterschiedlichen Konkurrenz- und Berührungsarten jeweils sachgerechte Auflösungs- und Handhabungsregeln aufzustellen. Dennoch ist – auch hier im Vorgriff – davon auszugehen, dass es sich bei diesem Vorgehen um ein idealtypisches handelt. Die verschiedenen auftretenden Defekte werden sich nicht immer mit erwünschter Klarheit voneinander unterscheiden. Entsprechendes muss auch für die unterschiedlichen Konkurrenzarten gelten. Schließlich gilt es, in einem letzten Schritt nicht auf das alternative Vorliegen einer Kompetenz, also das „Ob“ einer Kompetenz, sondern auf das „Wie“ der Kompetenzausübung Bezug zu nehmen. Kompetenzberührungen, welche nicht durch eindeutige Auflösung hin zum einen oder anderen Kompetenzträger aufgelöst werden können, bedürfen ausgleichender Behandlung in diesem Sinne.

D. Ansatz und Aufbau der Untersuchung

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Abschließend sind die gefundenen Ergebnisse durch exemplarische Anwendung auf die aufgefundenen Konkurrenzarten anzuwenden. Idealiter ergäbe sich dann eine Situation, welche ein Niveau beschreibt, das keine der oben beschriebenen unausweichlichen Verhaltensdilemmata für die Normadressaten nach sich ziehen würde. Über die bloße technische Lösbarkeit von Kompetenzkonkurrenzen hinaus lässt sich aufgrund der gegebenenfalls bestehenden grundgesetzlichen Lösungsmöglichkeiten in gewissem Umfang auch eine Aussage über den Zustand des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland allgemein treffen: „Die grundgesetzlichen Vorschriften über die Gesetzgebungskompetenzen sind nicht nur gesetzestechnische Regeln. Sie geben vielmehr Aufschluß über die Verteilung der Staatsfunktionen zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten, insbesondere über die konkrete Gestalt des deutschen Bundesstaates.“ 39

39

Rengeling, in: HdBStR IV, S. 729.

1. Teil

Überblick: Vorgang und Schwierigkeiten der kompetenziellen Qualifizierung A. Der Vorgang kompetenzieller Qualifizierung „Staatliche Macht ist nur legitimiert, wenn sie sich auf die Verfassung stützen kann. Das ist die große Errungenschaft des Verfassungsstaates gegenüber dem absoluten Staat. Auf die Verfassung müssen sich alle pouvoirs constitués1 zurückführen lassen; sie ist die Grundlage der gesamten Rechtsordnung, die mit ihr nicht in Widerspruch stehen darf.“2 „Soweit die Verfassung Organisation, Kompetenzen und Verfahren der Staatsorgane und die staatsbürgerlichen Rechte des status activus regelt, ist sie Grundlage der Konstitution der staatlichen Organe und ihrer Tätigkeit; Kompetenznormen sind Grundlage und Grenzen zugleich.“3

Staatliche Macht muss sich auf die Verfassung stützen. Anders ausgedrückt: Die Verfassung muss den staatlichen Stellen die Kompetenz verleihen, tätig zu werden.4 Für den Bereich der Legislative, die bis auf wenige Ausnahmen die hauptsächlich zu betrachtende Gewalt sein wird, ergeben sich die Kompetenzvorschriften hauptsächlich aus den Art. 70 ff. GG des siebten Abschnitts des Grundgesetzes. Dementsprechend ist ein Gesetz5 also nur in dem Umfang verfassungs1 „Pouvoir constitué“ ist die konstituierte, die verfasste Gewalt. Treffender formuliert handelt es sich hier um die verfassten Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative. „Pouvoir constituant“ bezeichnet die konstituierende Gewalt, die nur dem Volk zukommen kann (vgl. dazu auch die Präambel des Grundgesetzes und Art. 20 II 1 GG). Die verfassunggebende Gewalt ist als vorverfassungsrechtliche Größe dazu berufen, durch eine Verfassung die Grundlagen eines Staates zu bestimmen; die verfassten, konstituierten Gewalten sind die Organe, die durch die Verfassung begründet wurden. Vgl. Maurer, Staatsrecht I, S. 13. Dazu auch Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 237. 2 Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 82. 3 Starck, in: HdBStR VII, S. 192. 4 Im Grunde ergibt sich dies allein aus dem Begriff „Kompetenz“ selbst: „Der Begriff der Kompetenz meint rechtlich gesehen die (Zuständigkeits-)Zuweisung einer Aufgabenwahrnehmung an Träger der öffentlichen Gewalt“ (Erbguth, DVBl. 1988, S. 317). Zuständigkeit und Kompetenz werden hier, trotz vereinzelter Divergenzen im Schrifttum, unterschiedslos verwendet. Siehe hierzu auch S. 24 ff. bei Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, mit weiteren Hinweisen. 5 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf formelle Gesetze, da die Art. 70 ff. GG nur die Befugnis zum Erlass formeller, nicht (oder zumindest nur mittelbar) auch

A. Der Vorgang kompetenzieller Qualifizierung

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gemäß, in dem der jeweilige Gesetzgeber Materien regelt, die in seine Verbandskompetenz6 fallen.7 Ob wiederum ein Gesetz kompetenzgemäß erlassen wurde, ob sich also die staatliche Rechtsetzung auf die Verfassung stützen kann, wird über den Grundsatz hinaus in nahezu allen Bereichen des (Verfassungs-)Rechts relevant. Die Legislativkompetenzen sind sowohl für den Bürger, auf den sich die abstrakt generelle Wirkung der meisten Gesetze erstreckt, als auch für die (gegebenenfalls) legitimierten Kompetenzträger von Bedeutung: Will sich ein Bürger gegen einen hoheitlichen Akt wehren, so ist im Rahmen des Grundsatzes des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes neben der Einhaltung der Voraussetzungen der Rechtsgrundlage zusätzlich diese Rechtsgrundlage auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht hin zu überprüfen. Schließlich landet man im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeitsprüfung bei der Frage, ob das als Rechtsgrundlage für den Hoheitsakt geltende Recht kompetenzgemäß erlassen worden ist.8 Von der anderen, der staatlichen Seite her gedacht, ist es für die Organe der Legislative, sei es auf Bundes- oder Landesebene, im Vorfeld eines Gesetzesvorhabens von entscheidender Bedeutung zu wissen, für welche Bereiche sie die Gesetzgebungszuständigkeit, die Kompetenz, haben, ob sich also das Vorhaben auf die Verfassung stützen lässt. Denn: „Regieren bedeutet im modernen Staatswesen der Gegenwart in erster Linie ,Gesetze machen‘.“9 Es ist somit in beiden Fällen zu prüfen, ob ein bestimmter Lebensvorgang von einer grundgesetzlichen Kompetenznorm gedeckt ist. Ein Unterschied besteht allerdings dahingehend, dass im ersten Fall bereits ein Gesetz als „Verbindung“

materieller Gesetze regeln. Vgl. dazu BVerfGE 55, 7 (21); Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 21. 6 Mit der hier gewählten Formulierung soll klargestellt werden, dass vorliegend nichts über die materielle Rechtmäßigkeit ausgesagt wird. Im Folgenden wird unter anderem der Begriff der Gesetzgebungsbefugnis verwendet werden. „Befugnis“ bedeutet jedoch, beispielsweise im Polizeirecht, nicht nur formelle Berechtigung, sondern sie beinhaltet dort auch die materielle Berechtigung. Hier bezeichnet „Gesetzgebungsbefugnis“ jedoch nur die Verbandskompetenz des Bundes oder der Länder. Es geht also lediglich um die Frage der Zuständigkeit. Vgl. hierzu Kunig, Jura 1996, S. 254 f. 7 Cremer, ZG 20 (2005), S. 33. 8 Diese Überprüfung findet in derartigen Konstellationen unter anderem mittels einer konkreten Normenkontrolle (vgl. Art. 93 I Nr. 5, 100 GG) durch das Bundesverfassungsgericht statt. Von „föderativer Relevanz“ sind jedoch auch andere Verfahrensarten wie die Bund-Länder-Streitigkeit nach Art. 93 I Nr. 3 GG, die abstrakte Normenkontrolle (Art. 93 I Nr. 2 und 2a GG) und die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG), in deren Rahmen inzident die Vereinbarkeit eines Gesetzes mit der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung überprüft werden kann (zu Letzterem: BVerfGE 1, 264 (270 f.). Dazu Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 726. Das Verfahren nach Art. 93 I Nr. 4 GG bietet, wie § 71 I Nr. 1 und II BVerfGG klarstellen, keine über Art. 93 I Nr. 3 GG hinausgehende Möglichkeit, die Kompetenzwidrigkeit feststellen zu lassen. Dazu und bezüglich möglicher Verfassungsrechtsbehelfe in diesem Zusammenhang Menzel, DVBl. 1997, S. 640 ff. 9 Kenntner, NVwZ 2003, S. 821.

24

1. Teil: Überblick

zwischen Lebensvorgang und Kompetenznorm zwischengeschaltet ist. Es ist hier also zu untersuchen, ob das Gesetz kompetenzgemäß erlassen wurde. Im zweiten Fall ist zu prüfen, ob der entsprechende Sachverhalt durch einen speziellen Hoheitsträger geregelt werden darf.10 Folglich ist eine vergleichende Betrachtung und Beurteilung der Lebenswirklichkeit am Maßstab normativer Kriterien, hier der Kompetenznormen, durchzuführen.11 Diese vergleichende Zuordnung von Wirklichkeit und Kompetenznormen vollzieht sich in mehreren Schritten. Zunächst muss der zu beurteilende Lebensvorgang erfasst und in eine für die kompetenzielle Qualifikation geeignete sprachliche Form gebracht werden. Dies ist der „Sachverhalt“.12 Sodann ist der Inhalt der in Frage kommenden Kompetenznormen zu ermitteln. Schließlich ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob der Sachverhalt dem Tatbestand der einschlägigen Kompetenznorm unterfällt.13 Die Feststellung, dass ein bestimmter Sachverhalt bzw. eine Materie einer speziellen Kompetenznorm des Grundgesetzes unterliegt, erfordert also grundsätzlich zwei Schritte.14 Zum einen ist dies die Auslegung15 der Kompetenznorm, zum anderen die kompetenzmäßige Zuordnung der Materie.16 Anders ausgedrückt: „Am komplexen Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung eines Sachverhalts sind zwei konzeptionelle Teile zu unterscheiden, auch wenn sie in der juristischen Argumentation oft ineinander verwoben sind. Das eine ist die Auslegung: Das Entfalten des Kompetenzinhalts zur aktuellen, einschlägigen Prämisse. Das andere ist die Subsumtion des Sachverhalts: Die Falltatsachen werden zur subsumierbaren Fallgeschichte zurechtgelegt, die Fakten abstrakter beschrieben, um der Prämisse entgegen zu gehen, während abstrakter Prämissentext konkretisiert wird, um auf die Fakten zuzulaufen.“17 Diese, von Gast zur allgemeinen Gesetzesanwendung gedachte Beschreibung des Subsumtionsvorgangs, gilt für die vorliegende Problematik der Subsumtion eines Sachverhaltes unter eine Kompetenznorm gleichermaßen. Der Schritt der „Umwandlung“ des Lebensvorgangs in einen Sachverhalt muss jedoch modifiziert werden, soll ein Gesetz auf die Kompetenzgemäßheit überprüft werden. Dies deshalb, da weder die geregelte Materie direkt (auch nicht als 10 Anders formuliert, ist im Falle des Bestehens eines Gesetzes eine konkrete kompetenzrechtliche Überprüfung, im Falle des Nichtbestehens eines Gesetzes eine abstrakte Untersuchung anzustellen. Ähnlich für einfachgesetzliche Regelungen Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 34 f. 11 Rüthers, Rechtstheorie, S. 384. 12 Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 35. 13 Rüthers, Rechtstheorie, S. 385. 14 Zwar von der folgenden Terminologie abweichend, in der Sache jedoch übereinstimmend Rengeling, in: HdBStR IV, S. 735; Wolfrum, DÖV 1982, S. 677. 15 „Auslegung“ und „Interpretation“ werden hier auf dieselbe Weise verwendet. Auch „Verfassungskonkretisierung“ bezeichnet denselben Vorgang. 16 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 50. 17 Gast, Juristische Rhetorik, S. 293.

A. Der Vorgang kompetenzieller Qualifizierung

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„Sachverhalt“), sie ist sozusagen im Gesetz „verpackt“, noch das Gesetz unmittelbarer Subsumtion zugänglich ist. Das Gesetz ist ein Konstrukt aus Tatbestand und Rechtsfolge und daher nicht subsumtionstauglich. Vielmehr ist in derartigen Fällen ein subsumtionsfähiger Inhalt zu gewinnen. Als ein solcher bietet sich grundsätzlich der Gesetzeszweck an. Dieser ist wiederum durch Auslegung des Gesetzes zu ermitteln. Zudem wird teilweise auf die Gesetzeswirkung, die funktionalen Rechtsfolgen eines Gesetzes, abgestellt, da der Zweck eines Gesetzes sich nicht ohne Blick auf seine zweckkonkretisierenden Rechtsfolgen erfahren lasse.18 Es gilt also weiterhin, den Inhalt beziehungsweise den Umfang der Kompetenznorm durch Auslegung zu ermitteln. Da eine direkte Zuordnung eines Gesetzes zur einschlägigen Kompetenznorm hier jedoch, wie dargestellt, noch nicht möglich ist, ist als Zwischenschritt zumindest die Ermittlung des Gesetzeszwecks nötig.19 Die oben dargestellten Schritte der kompetenziellen Qualifizierung sind in derartigen Fällen in diesem Sinne zu modifizieren. Zusammenfassend besteht die kompetenzielle Qualifizierung einer Materie also zum einen aus der Auslegung der Kompetenznorm, zum anderen aus einer Zuordnungskomponente.20 Ist die zu qualifizierende Materie noch nicht in einem Gesetz geregelt, so ist der aus der Materie gewonnene Sachverhalt der Kompetenznorm zuzuordnen. Besteht dagegen ein Gesetz, so ist der Inhalt, der Zweck des Gesetzes, zu ermitteln und dieser dann in das Kompetenzsystem einzuordnen. Es ist also nötig, der jeweiligen Kompetenznorm und der zu behandelnden Materie vor dem Zuordnungsvorgang schärfere Konturen zu verleihen. Einerseits geschieht dies durch Auslegung, andererseits durch Bestimmung des Sachverhalts beziehungsweise durch die Ermittlung des Gesetzeszwecks, also ebenfalls durch Auslegung. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang jedoch darauf, dass sich Auslegung und Zuordnung neben argumentativer Vermengung auch tatsächlich oftmals bedingen und miteinander verbunden sind. So werden für künftige Auslegungen einer Kompetenznorm die bisherigen kompetenziellen Qualifizierungen und damit die bisherigen Auslegungen und Zuordnungen eine Rolle spielen. Beide Schritte, also Auslegung und Zuordnung, „treffen“ sich bei Typisierungen, Fallgruppenbildungen etc. und bedingen sich daher ein Stück weit gegenseitig.21 Trotz dieses Übergangs beziehungsweise der gegenseitigen Einflussnahme der verschiedenen Schritte der kompetenziellen Qualifizierung aufeinander soll aufgrund der dennoch bestehenden Unterschiede22 – die Auslegung dient 18

Pestalozza, DÖV 1972, S. 183. Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 252 ff., S. 268. 20 Rengeling, in: HdBStR IV, S. 735; Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 47. 21 Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 86. Dazu auch Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 65, 81. 22 Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 94: „Die Auslegung der Kompetenzvorschriften schafft die Grundlage, um das Gesetz zuordnen zu können.“ 19

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1. Teil: Überblick

der Inhaltsermittlung, die Zuordnung der Subsumtion des jeweiligen Gesetzes oder Sachverhalts unter den durch Auslegung ermittelten Inhalt – an der Unterscheidung festgehalten werden.23 Die Begrifflichkeiten in dieser Arbeit werden sich hieran orientieren. Der Begriff der kompetenziellen Qualifizierung bezeichnet daher den gesamten Vorgang, bestehend aus kompetenzieller Zuordnung, der Auslegung der Kompetenznorm und der Konkretisierung der zu qualifizierenden Materien, also der Auslegung des Gesetzes mit dem Ziel der Gesetzeszweckermittlung oder der Definition beziehungsweise Benennung des Sachverhalts. Doch auch wenn sich der komplexe Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung in die angesprochenen Unterschritte zerlegen lässt, bestehen – wie zu zeigen sein wird – einige Schwierigkeiten.

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung Um den Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung näher beleuchten zu können, aber auch um Kompetenzkonkurrenzen richtig diagnostizieren und gegebenenfalls auflösen zu können, müssen die sich stellenden Probleme im Rahmen der kompetenziellen Qualifizierung kurz aufgezeigt werden.

I. Schwierigkeiten im Rahmen der Auslegung 1. Auslegungsimmanente Probleme Zunächst bestehen Unsicherheiten, die jeder Form der Auslegung immanent sind. Die Wirkkraft von Argumenten für ein bestimmtes Textverständnis ist immer abhängig davon, wie der Interpret diese heranzieht und einsetzt.24 Es ist daher jedem Interpreten möglich, das Verständnis einer Norm in gewissen Grenzen argumentativ zu beeinflussen. Diesen Einfluss nimmt der Interpret zwar nicht auf den auszulegenden, sondern erst auf den ausgelegten Text. Da aber der Textinhalt immer im Sinne der Auslegung erfasst und aufgefasst, also verstanden wird, geht der gegebene Sinn sozusagen im verstandenen Sinn auf.25 Es ist daher durchaus möglich, dass mehrere Interpreten zu unterschiedlichen Ergebnissen (zu unterschiedlich verstandenen Sinninhalten) kommen. Entscheidendes Moment ist demzufolge – geht man davon aus, alle Interpreten verwendeten dieselben Auslegungsmethoden mit gleicher Gewichtung – das jeweilige Vorverständnis26 der 23 Zudem darf es zu keiner einfachgesetzlichen Determination von Verfassungsrecht kommen. Auch wenn sich die Auslegung von Kompetenznormen ein Stück weit an bisher erfolgten Qualifizierungen orientiert, bleibt die Auslegung von Verfassungsrecht grundsätzlich unabhängig von einfachgesetzlichen Regelungen. 24 Gast, Juristische Rhetorik, S. 244. 25 Gast, Juristische Rhetorik, S. 245.

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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Interpreten.27 Durch die untrennbare Verknüpfung der Auslegung mit dem individuellen Vorverständnis eines jeden Interpreten zeigen sich die möglichen Bedeutungsangebote eines Textes.28 Jeder Interpret wird das für sich (auch durch das Vorverständnis geprägte) plausibelste Ergebnis wählen. Durch dieses Ergebnis wird folgerichtig auch die kompetenzielle Qualifizierung berührt. Sowohl bei der Auslegung der Kompetenznorm als auch bei der gegebenenfalls nötigen Zweckermittlung eines Gesetzes durch Auslegung werden die subjektiven Vorverständnisse der verschiedenen Interpreten in den Qualifizierungsprozess einbezogen. Dies erschwert eine eindeutige, objektive Zuordnung, kommen zwei Interpreten zu unterschiedlichen Ergebnissen.29 Zudem ist zu beachten, dass die jeweils anzuwendenden Kompetenzvorschriften der Art. 70 ff. des Grundgesetzes Bestandteil der Verfassung sind. Bedeutung, Rang und Eigenart des Verfassungsrechts geben der Verfassungsauslegung in der juristischen Hermeneutik ein besonderes Gewicht30 und wohl auch ein besonderes Gesicht.31 Berücksichtigt werden muss hierbei, dass die Verfassung die rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens ist32, die viele Grundentscheidungen und Wertvorstellungen enthält. Sie versucht, einen festen Bestand dessen zu schaffen, was als elementar, als entscheidend anzusehen ist.33 Wesen einer derartigen Grundordnung aber ist es, nicht alle Fragen bis ins Detail zu regeln. Im Gegenteil: Eine Grundordnung muss auf einem Abstraktionsgrad bleiben, der eine gewisse Offenheit für Entwicklungen auf der einen Seite34 ermöglicht35, auf der anderen Seite aber auch die Grundlagen der 26 „Vorverständnis und Methodenwahl sind wohl in keinem Rechtsgebiet so sehr ein Problem, wie gerade im Verfassungsrecht des Typus Verfassungsstaat“ (Häberle, JöR 45 (1997), S. 102). 27 Dieses Vorverständnis ist jedoch als Schlüssel zum Verständnis eines Textes zwingend nötig: „Denn alles, was dem Ausleger (von außerhalb auf ihn zukommend) helfen soll, um ein Textstück zu verstehen, begegnet ihm nur in Textgestalt. Der Kontext, den [die klassischen Auslegungsmethoden] jedem auszulegenden Wort [beigeben], ist Text, also prinzipiell selbst auslegungsbedürftig . . . Ein unendlicher Regress auf immer neue Kontexte scheint angelegt zu sein; die Texte bleiben letztlich unter sich und verschlossen. Es sei denn, ein anders gearteter Schlüssel, ein Nicht-Text, bricht das hermetische Gebilde auf. Den Schlüssel kann nur der Interpret besitzen; er ist: das Vorverständnis, mit dem der Ausleger allen Text angeht“ (Gast, Juristische Rhetorik, S. 245). Zum Vorverständnis und der Notwendigkeit der Offenlegung auch Sendler, in: FS Kriele, S. 481. Zudem ist für das Verständnis juristischer Texte natürlich zwingend juristische Vorbildung – zumindest Kenntnis der Gesetzessprache – nötig (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 31). 28 Gast, Juristische Rhetorik, S. 245. 29 Dies wird später unter dem Begriff der „Auslegungskonkurrenz“ behandelt. Zu den genauen Begriffsbestimmungen aber unter 3. Teil B. 30 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 123. 31 Dies im Vergleich zur Auslegung einfachen Gesetzesrechts. 32 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 10. 33 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 12. 34 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 11. Ebenso Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 84.

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1. Teil: Überblick

Ordnung des Gemeinwesens verbindlich regelt. Sie hat zu regeln, was nicht offen bleiben soll.36 Hierzu gehören nach Stern37 Regelungen der Staatsorganisation, der Staatsform, der Verteilung der Kompetenzen – die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen – und der grundlegenden Strukturprinzipien. Dieser Aufgabe ist der Verfassunggeber grundsätzlich und gerade im Bereich der Legislative mit der Verteilung der Staatsaufgaben auf zwei staatliche Ebenen38, dem Bund einerseits und den Ländern andererseits, nachgekommen.39 Die hier zu fokussierende Regelung der Kompetenzverteilung erfolgt für den Bereich der Legislative im siebten Abschnitt des Grundgesetzes in den Artikeln 70 ff. GG, speziell mit den Katalogen der Art. 73 und 74 GG, in einer für eine Verfassung40 ausführlichen Weise. Verbindliche Entscheidungen für die grundsätzliche Kompetenzverteilung wurden somit getroffen. Zusätzlich muss hier allerdings beachtet werden, dass Regelungen über Gesetzgebungskompetenzen für die ganze Lebenswirklichkeit zu treffen sind. Dieser Vielzahl von Sachverhalten steht jedoch aus vielen Gründen, wie beispielsweise der generellen Anwendbarkeit des Rechts oder der Rechtsklarheit, nur eine begrenzte Zahl gesetzlicher Vorschriften entgegen. Aus diesem Grund muss schon das einfache Gesetz mittels abstrakt-genereller Formulierung und der Verwendung von generellen Beurteilungsmaßstäben, wie etwa unbestimmten Rechtsbegriffen, handhabbar gemacht werden.41 Muss jedoch schon der einfache Gesetzgeber auf eine derartige Abstrahierung zurückgreifen, so gilt dies umso mehr für den Verfassunggeber42 der wiederum nur eine kleinere Anzahl von Kompetenznormen schaffen darf, will er zum einen der Vielzahl von Sachverhalten und Gesetzen, zum anderen der Praktikabilität der Gesetze und der Rechtsklarheit gerecht werden.43 Man kann daher auch und gerade im Bereich der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung von einer beabsichtigten und nötigen kalkulierten Unbestimmtheit und Offenheit sprechen.44 Wie gezeigt, ist daher die Verwendung von Begriffen relativ

35 Dies ist nötig, um nicht dem ständigen Prozess der Verfassungsänderung unterworfen zu sein, was wiederum der Stabilisierungsfunktion der Verfassung widersprechen würde. 36 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 84, dort mit Verweis auf Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 24. 37 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 84. 38 Starck, 1. Teil, Einführung, S. 1. 39 Maurer, Staatsrecht I, S. 310. 40 Zu den zu berücksichtigenden Besonderheiten bei der Verfassungsauslegung siehe unten 2. Teil A. III. 41 Rüthers, Rechtstheorie, S. 125. 42 Schneider, in: FS Stern, S. 904. 43 So auch Zweigert, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 64. Differenziert bei Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 82. 44 Rüthers, Rechtstheorie, S. 125.

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

29

hohen Abstraktionsgrades unumgänglich.45 Durch die Unbestimmtheit und die mangelnde Exaktheit im Detail werden die Normen bei der kompetenziellen Qualifizierung eines Sachverhalts allerdings in höherem Maße konkretisierungsbedürftig.46 Dadurch ist die Auslegung der verwendeten Begriffe schwierig.47 Probleme ergeben sich hier also in doppelter Hinsicht: Zum einen handelt es sich auch bei der Kompetenzregelung des Grundgesetzes um Verfassungsrecht, welches aufgrund seiner Eigenschaft als lex fundamentalis viele Grundentscheidungen, Direktiven und Programme enthält, die nicht isoliert betrachtet werden können. Daraus ergeben sich einige bei der Auslegung zu berücksichtigende Besonderheiten. Zum anderen ist es, einmal aufgrund des Wesens der Kompetenzordnung als Verfassungsrecht, einmal aufgrund der Unendlichkeit der zu regelnden Lebenssachverhalte, nicht möglich, hier eine bis ins Detail gehende Regelung zu treffen. Die verwendeten Begriffe bleiben daher relativ abstrakt, die Auslegung wird zusätzlich erschwert.48, 49 45

Das grundsätzliche Regelungsbedürfnis ändert hieran nichts. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 83. 47 Einer Kompetenznorm, wie oben gefordert, schärfere Konturen zu verleihen, wird daher schwieriger. Dies deshalb, da der individuelle Einschlag bei „längeren Konkretisierungswegen“, also bei der Bestimmung eines konkreten Inhalts aus einer sehr abstrakten Norm, größer wird: „Die Normen des Grundgesetzes sind zum Teil aber weit, unbestimmt, offen und einer dynamischen Interpretation zugänglich“ (Schlaich/Korioth: Das Bundesverfassungsgericht, S. 8). 48 Dies auch nicht zuletzt deshalb, da bei erhöhtem Auslegungsbedarf (aufgrund des aufgezeigten weiteren Weges vom Abstrakten hin zum Konkreten) dem individuellen Vorverständnis ebenfalls proportional eine größere Bedeutung zukommt. 49 Die Schwierigkeit der Auslegung wird auch durch die Möglichkeit der Richter des Bundesverfassungsgerichts zur Abgabe eines Sondervotums zu Entscheidungen oder zu Entscheidungsbegründungen deutlich (§ 30 II 1 BVerfGG). Zwar hat das Sondervotum keinen Einfluss auf die getroffene, konkrete Entscheidung. Die umstrittene Frage ist durch das entsprechende Mehrheitsvotum entschieden. Die Offenlegung verschiedener Ansichten und Begründungen macht jedoch deutlich, dass die dahinterstehende Auslegung der Verfassung keinesfalls nur auf die durch die Mehrheitsentscheidung gebilligte Weise ausfallen kann (vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 30). Auch die Tatsache, dass die Zahl der zur Äußerung Berechtigten bei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sehr viel größer und flexibler gehalten ist, als bei anderen Gerichtsverfahren (beispielsweise: § 27a BVerfGG, § 77 BVerfGG, § 82 III BVerfGG, § 82 IV BVerfGG, § 94 I, II, IV BVerfGG), ist Ausdruck für die Eigenart des Verfassungsrechts und kann als Indiz für die mögliche Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten gesehen werden: „Interpretation, Wandel und Fortbildung des Verfassungsrechts sind ein Teil auch des politischen Prozesses, an dem alle interessiert und beteiligt sind. Der Interessenten- und Interpretenkreis der Verfassung ist pluralistischer als derjenige anderer Kodifikationen“ (Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 37). Vorliegend hat die Vielzahl der Äußerungsmöglichkeiten jedoch nur Indizwirkung. Auf die Frage der jeweiligen Legitimation der Beteiligten zur (verbindlichen) Verfassungsauslegung kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Dazu Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 155 ff., speziell zur Legitimation S. 164 ff. Auch Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 36, 37. Auszugehen ist jedoch von der letztverbindlichen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht. Dazu auch an späterer Stelle. 46

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1. Teil: Überblick

2. Unterschiedliche Gewichtung der Auslegungsmethoden Bezüglich der Auslegung sei zunächst allgemein festgestellt, dass im Rahmen der Auslegung der Kompetenznormen neben den erwähnten, bei der Verfassungsauslegung gegebenenfalls zu beachtenden Besonderheiten, die traditionellen Auslegungsmethoden gelten. Zu nennen wären – vereinfacht, und hier nur zur Übersicht – die grammatische, die teleologische, die systematische und die historische Auslegungsmethode.50 Für die Auslegung eines Gesetzes zur Ermittlung des Gesetzeszwecks gelten diese ohnehin. Werden zur Auslegung eines Begriffes oder einer Vorschrift jedoch mehrere Methoden herangezogen, so stellt sich die Frage nach der Gewichtung der einzelnen Methoden. Dies ist zunächst für den Auslegungsvorgang selbst interessant. Mittelbar wird dadurch jedoch auch die kompetenzielle Qualifizierung berührt. Dies geht Hand in Hand mit der angesprochenen Möglichkeit der argumentativen Beeinflussung des Auslegungsergebnisses durch den jeweiligen Interpreten. Besteht die Möglichkeit, die jeweils bestehenden Auslegungsmethoden unterschiedlich zu gewichten, so besteht zugleich die Gefahr, diese Gewichtung nach dem jeweils erwünschten Ergebnis auszurichten. Da es sich dabei jedoch um ein weitläufiges Problem handelt, das bei jeglicher Rechtsanwendung eine Rolle spielt, soll hier nur in wenigen Sätzen die bestehende Problematik aufgezeigt werden. Gleichfalls wird an mehreren Stellen dieser Arbeit in unterschiedlichem Rahmen die Gewichtungsfrage berührt werden. Zentrale Frage ist zunächst, ob mit einer bestimmten Methode zu beginnen ist. Trifft dies zu, ist also mit einer bestimmten Methode zu beginnen, und nur falls diese zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, ein andere Methode heranzuziehen, wird man der zuerst anzuwendenden ein größeres Gewicht beimessen als der Methode, die in der Reihe als letzte steht. Unterstellt, es sei keine vorgegebene Reihenfolge einzuhalten, könnte der Interpret mit jeder beliebigen Auslegungsmethode beginnen. Offen bleibt, ob er, ist er zu einem Ergebnis gelangt, alle anderen Methoden zur Bestätigung des Ergebnisses heranzuziehen hat oder ob die Betrachtung mittels einer Methode genügt. Schließlich ist die Konstellation denkbar, dass – selbst wenn man davon ausgeht, dass alle Methoden angewandt wurden – die verschiedenen Methoden unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen.51 Zu fragen ist dann wiederum nach der Gewichtung der einzelnen Methoden. Auch in dieser Gestalt stellt sich also wieder die Frage, inwieweit die subjektive Sichtweise, das Vorverständnis des Interpreten, in das Ergebnis eingehen darf. Gestattet man dem Interpreten die Aus-

50 Auch die traditionellen Auslegungsmethoden werden später genauer behandelt (2. Teil A. II. 1.). 51 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 100.

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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wahl unter den bestehenden Methoden oder überlässt man ihm die Gewichtung der Methoden untereinander, so wird das Ergebnis verstärkt durch das subjektive Vorverständnis geprägt. Dieses findet dann nicht nur in den eigentlichen Auslegungsvorgang Eingang, sondern spielt zudem bei der Feststellung des Ergebnisses eine Rolle. Es fände demzufolge eine Art subjektive Ergebniskontrolle statt. Dass dies einer durch das Rechtsstaatsprinzip geforderten, größtmöglichen Objektivität52 zuwiderlaufen würde, liegt auf der Hand. Im Rahmen dieser kurzen Problemübersicht soll jedoch auch auf diese Schwierigkeit hingewiesen werden. Ein Lösungsversuch wird unten nach der genaueren Betrachtung der einzelnen Auslegungsmethoden erarbeitet werden. 3. Folgen des Perspektivenstreits Auch der lange währende Methodenstreit über die im Rahmen der Auslegung anzuwendende Perspektive wirkt sich auf das Auslegungsergebnis und dadurch mittelbar auch auf die kompetenzielle Qualifizierung aus. Trotz einer Vielzahl an bestehenden Unterarten lassen sich hier zwei Hauptstränge an Ansichten feststellen. Während die subjektiv ausgerichtete Theorie das entscheidende Gewicht auf den Regelungswillen des (historischen) Gesetzgebers53 legt, stellt die objektive

52 Zur Notwendigkeit der Berechenbarkeit der Zuständigkeitsgrenzen auch schon BVerfGE 61, 149 (175 f.). 53 Die Frage, wer beziehungsweise welche Personen sich hinter dem Begriff des „historischen Gesetzgebers“ verbergen und auf wessen Vorstellung demzufolge abzustellen ist, ist nicht leicht zu beantworten. „Es wäre [allerdings] ersichtlich ergebnislos, nach den Vorstellungen zu forschen, die sich alle an der Beschlußfassung beteiligten Personen, die dem Gesetzentwurf zugestimmt haben, von der Bedeutung dieser oder jener Gesetzesbestimmung im einzelnen gemacht haben. Solche Vorstellungen lassen sich nicht ermitteln und wenn sie sich ermitteln ließen, welche sollten maßgebend sein, wenn sie auseinander gehen?“ (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 328 f.). Zudem ist nicht davon auszugehen, dass sich jeder einzelne Abgeordnete über alle Bedeutungsinhalte der einzelnen Worte Gedanken gemacht hat und somit festgestellt hat, welche er billigt und welche nicht. „Worüber sie [die Abgeordneten] sich [aber] eine Meinung bilden und was sie in Wahrheit allein billigen, das sind die Regelungsabsicht und die Zwecke des Gesetzes, [. . .] die gesamte ,Tendenz‘ des Gesetzes“ (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 329). Somit ist lediglich die dem Gesetz zu Grunde liegende Wertung als Wille des Gesetzgebers in diesem Sinne zu qualifizieren. Mit anderen Worten könnte man hier vom historischen Sinn und Zweck der Norm sprechen (so sinngemäß auch Schneider, in: FS Stern, S. 907). Die Meinungen, Protokolle und Stellungnahmen der Mitglieder in (vorbereitenden) Kommissionen und Ausschüssen können hier zwar als Indiz herangezogen werden, verbindliche Richtschnur für den Ausleger dürfen sie mangels Identität mit „dem Gesetzgeber“ jedoch nicht sein (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 329). Ebenfalls zur Frage, wer als Verfassunggeber zu verstehen ist, Krüger, in: Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 142 ff., der als „Verfassunggeber“ eine von den tatsächlichen Volksvertretungen losgelöste Idealfigur sieht (S. 147), konstruiert aus Wirklichkeit, Staatlichkeit und Verfassungstelos (S. 153).

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1. Teil: Überblick

Theorie auf den „Willen des Gesetzes“ ab.54 Das Gesetz sei daher nach letzterer Auffassung als vom Gesetzgeber losgelöst zu betrachten.55 Es sei oft klüger als sein Verfasser56 (und müsse es sogar sein).57 Ein Gesetz entfalte, sobald es angewandt werde, eine ihm eigene Wirksamkeit, die über das hinausgehe, was der Gesetzgeber beabsichtigt hatte.58 Es gebe Antworten auf Fragen, die der Gesetzgeber sich noch nicht gestellt habe und gewinne dadurch mit der Länge der Zeit mehr und mehr gleichsam ein eigenes Leben und entferne sich damit von der Vorstellung seiner Urheber.59 Die objektive Auslegung sucht demnach nicht danach, den historisch realen Willen der Normsetzer zu ermitteln, vielmehr gelte es, den Willen des Gesetzes selbst zu ergründen.60 Demgegenüber sieht die subjektive Theorie es als Ziel der Auslegung an, den historischen, den ursprünglichen Normzweck zu ermitteln. Das Gesetz lasse sich nicht als Kind des Gesetzgebers leugnen.61 Es sei vielmehr von Menschen für Menschen gemacht und Ausdruck eines auf die Schaffung einer nach Möglichkeit gerechten und den Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechenden Ordnung gerichteten Willens des Gesetzgebers.62 Daher stehe hinter dem Gesetz eine bestimmte Regelungsabsicht, bestimmte Wertungen, Bestrebungen und Überlegungen derer, die an ihm mitgewirkt haben.63 All diese gelte es bei der Auslegung eines Gesetzes zu berücksichtigen. Verfolgt man nur streng die eine oder die andere Sichtweise, so liegt es auf der Hand, dass die Ergebnisse einer Auslegung das eine Mal zu Gunsten der historischen Sichtweise, das andere Mal wegen losgelöster Interpretation des Gesetzes selbst, divergieren können.Die jeweils zu Grunde liegende Sichtweise nimmt auf diese Weise folglich auch Einfluss auf die kompetenzielle Qualifizierung.

54 Die Frage, welche Ansicht für die Auslegung der Kompetenznormen beziehungsweise welche Ansicht zur Auslegung von Gesetzen insgesamt als die geeignetere erscheint, wird an späterer Stelle zu beantworten sein. 55 Rüthers, Rechtstheorie, S. 452. 56 BVerfGE 36, 342, 362. 57 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 125. 58 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 138. 59 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 138. 60 Rüthers, Rechtstheorie, S. 453. 61 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 125. 62 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 137 f. 63 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 138.

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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II. Art und Weise der kompetenziellen Auflistung 1. Beidseitigkeit der Kompetenzverteilung? Eng verknüpft mit den auslegungsimmanenten Problemen bestehen jedoch noch weitere Schwierigkeiten. Diese entstehen durch die vom Verfassunggeber gewählte Art der Regelung der Kompetenzverteilung im Bereich der Legislative. So wurde in Art. 70 I GG die Grundregel für die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten aufgestellt. Nach dieser haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.64 Angesprochene Verleihungsnormen finden sich hauptsächlich65 in den Art. 71 ff. GG. Hier besteht das System jeweils aus einer Umschreibung des jeweiligen Kompetenztypus – Art. 71 GG für die ausschließliche, Art. 72 GG für die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit – und einer enumerativen Aufzählung der einzelnen Zuständigkeiten in den Art. 73 und 74 GG.66 Auffällig an dem bestehenden Kompetenzverteilungssystem ist jedoch, dass nur die Bundeskompetenzen enumerativ aufgelistet sind. Art. 70 I GG weist den Ländern lediglich eine grundsätzliche Zuständigkeit zu. Probleme entstehen dadurch in zweifacher Hinsicht: Zum einen lassen sich geschriebene Kompetenznormen wesentlich leichter Auslegen als ungeschriebene, da Ausgangspunkt jeder Auslegung grundsätzlich der Wortlaut einer Norm sein muss, wie noch zu zeigen sein wird. Nicht wörtlich benannten Kompetenzen wird daher wesentlich schwerer Kontur zu verleihen sein, was diese in der argumentativen Abgrenzung zu geschriebenen Bundeskompetenzen wohl als schwächer erscheinen lässt. Weitergehend ist zum anderen fraglich, ob das bestehende System der Art. 70 ff. GG durch diese Regelungstechnik tatsächlich von einer Beidseitigkeit der Kompetenzverteilung ausgeht, den Ländern also einzelne Materien kompetenziell zuordnet, oder ob Landeskompetenzen nur gegenständlich unbestimmte Residualkompetenzen67 sind.68 Geht man vom Wortlaut der Art. 30, 70 GG aus, so spricht auf den ersten Blick vieles für die Annahme bloßer unbestimmter Residualkompetenzen. Die Verwendung einer Kompetenzgeneralklausel in Art. 70 I GG legt dies zunächst nahe. In diesem Fall wäre es denkbar, dass den Landeskompetenzen faktisch lediglich eine durch Art. 70 I GG vermittelte Auffangfunktion zukommt. Träfe dies 64 Ob sich hieraus eine Auslegungsregel zu Gunsten der Länder oder gar eine Vermutungswirkung ergibt, muss später geklärt werden. 65 Zusätzlich enthält das Grundgesetz auch außerhalb der Kataloge der Art. 71 ff. GG weitere Kompetenztitel für den Bund. Diese sind teils als ausdrückliche Kompetenzzuweisung, teilweise als Vorbehalt eines Bundesgesetzes formuliert (Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 10). 66 Dazu auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 3. 67 Der Begriff der Residualkompetenz wird in diesem Sinne verwendet werden. Bezeichnet wird damit die unbestimmte, unkonturierte (Gesamt-)Landeskompetenz. 68 Ähnlich findet sich dieser Problemaufriss bei Heintzen, DVBl. 1997, S. 689.

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1. Teil: Überblick

zu, ginge nach dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ die Bundesgesetzgebungskompetenz aufgrund speziellerer Zuweisung verfassungssystematisch gegenüber den allgemeineren Restkompetenzen der Landesgesetzgeber vor. Aufgrund dessen wäre es dem Bund möglich, den sachlichen Überschneidungsbereich abschließend und vollständig zu regeln.69 Dem Bundesgesetzgeber wäre es unbenommen, in nahezu jedem Falle die eigene Kompetenz als die speziellere vorgehen zu lassen. Problematisch an dieser Ansicht ist jedoch allein schon die Existenz des Kompetenzverteilungssystems des Grundgesetzes. Die legislative Kompetenzverteilung wäre unnötig und konterkarierte sich durch diese Interpretationsweise selbst. Zudem widerspräche dies dem in Art. 20 I und 79 III GG kodifizierten Bundesstaatsprinzip, aus dem hervorgeht, dass Bund und Länder Staaten sind.70 Die Gliedstaaten dürfen nicht lediglich Selbstverwaltungskörper, sondern müssen Staaten mit allen Merkmalen der Staatsqualität71 sein.72 Hierzu gehört auch eine gewisse Grundausstattung, ein „Hausgut“73, mit eigenen Kompetenzen exekutiver und legislativer Art, was sich auch in der Formulierung der Art. 30 und 70 GG widerspiegelt.74 Nach richtiger Ansicht muss Basis einer Betrachtung daher sein, dass den Regeln über die Kompetenzverteilung im Grundgesetz gewisse Prinzipien zugrunde liegen, welche selbst nicht konkretisiert, jedoch Ausfluss und Konkretisierung des Bundesstaatsprinzips sind.75 Auch das Bundesverfassungsgericht sieht die „Kompetenzaufteilung [als] eine wichtige Ausformung des bundesstaatlichen Prinzips im Grundgesetz und [in ihr] zugleich ein Element zusätzlicher [. . .] Gewaltenteilung.“ 76 In diesem Zusammenhang werden unter anderem genannt die Zweigliedrigkeit des Bundesstaates, die Relativität, die Ausschließlichkeit und Alternativität der Kompetenzzuweisungen, Vollständigkeit, die Unverfügbarkeit der Kompetenzzuweisungen, jedoch auch die Beidseitigkeit der Kompetenzordnung.77 Besteht ein derartiges Prinzip der Beidseitigkeit der Kompetenzverteilung, so ließe sich davon ein Rückschluss auch auf die legislative Kompetenzordnung insoweit zu, als dass die „Kompetenzverteilungsregeln des Grundgesetzes nicht nur den Bund, sondern auch die Länder, mithin beide Seiten des föderalen duplex regimen, in gegenständlich bestimmte Kompetenzbereiche einweisen“78.

69 70 71 72 73 74 75 76 77 78

Vgl. dazu die Darstellung bei Brohm, DÖV 1983, S. 527. BVerfGE 36, 342 (360 f.). Hierzu Barschel, Die Staatsqualität der deutschen Länder, speziell S. 167 ff. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 645. BVerfGE 34, 9 (20). Heintzen, DVBl. 1997, S. 692. Heintzen, DVBl. 1997, S. 689. BVerfGE 55, 274 (318 f.). Die vollständige Aufzählung findet sich bei Heintzen, DVBl. 1997, S. 689. Heintzen, DVBl. 1997, S. 689.

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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Die Behauptung, alle Landeskompetenzen seien ähnlich bestimmt wie die des Bundes, ginge dagegen fehl. Das Kompetenzverteilungssystem des Grundgesetzes formuliert die Landeskompetenzen in Art. 70 I GG beweisbar offen. Dies ist Folge einer intendierten vollständigen Kompetenzverteilung zur Vermeidung von Kompetenzlücken aufgrund negativer Abgrenzungsprobleme, wie sie etwa durch die Enummerierung sowohl der Bundes- als auch der Landeskompetenzen auftreten könnten.79 Daraus darf jedoch nicht etwa auf einen generellen Vorrang der Bundeskompetenzen oder auf eine Minderwertigkeit der Landeskompetenzen geschlossen werden. Vielmehr ergibt sich durch das bestehende Regelungssystem zunächst eine „Landeskompetenzmasse“, aus der im jeweiligen Einzelfall konkrete Kompetenzmaterien zu entnehmen sind und aus welcher im Einzelfall ein konkreter Kompetenztitel geformt werden muss. Der anfängliche Umfang dieser Kompetenzmasse wird freilich durch negative Abgrenzung zu den bestehenden Bundeskompetenzen bestimmt werden müssen. So ergibt sich beispielsweise durch die bloße Erwähnung des Bodenrechts in Art. 74 I Nr. 18 GG, dass lediglich Sachverhalte mit bodenrechtlicher Relevanz bundesrechtlich geregelt werden dürfen. Andere Bereiche des öffentlichen Baurechts werden hiervon nicht erfasst. Negativ abgegrenzt, besteht somit eine Kompetenzmasse, die die Möglichkeit zur Regelung aller Bereiche des öffentlichen Baurechts – mit Ausnahme des Bodenrechts – ermöglicht. Aus dieser Masse ist es sodann möglich, einen bestimmbaren Kompetenztitel zu formen. Um im Beispiel des öffentlichen Baurechts zu bleiben: Aus der Kompetenzmasse der Länder wurde die entsprechende Kompetenz zur Regelung des Bauordnungsrechts herausgehoben und entsprechend geformt. Auf diese Weise besteht nicht nur eine unförmige, unbestimmbare und jederzeit durch speziellere Bundeskompetenzen verdrängbare Landeskompetenz, sondern aus der Kompetenzmasse der Länder sind eigenständige, bestimmbare Kompetenztitel entstanden. Natürlich werden bei der Formung entsprechender Landeskompetenzen historische und in gewissem Maße gewohnheitsrechtliche Aspekte eine größere Rolle spielen. So werden die Polizeiaufgabengesetze der Länder grundsätzlich nicht auf eine unbestimmte Kompetenz aus Art. 70 I GG, sondern auf die Kompetenz der Länder für das Polizei- und Sicherheitsrecht gestützt. Ähnliches gilt für die Landespressegesetze und das jeweilige Schulrecht der Länder, das auf die Landeskompetenz für Bildung und Kultur gestützt wird. Zusätzlich lässt sich auch im Grundgesetz selbst ein Hinweis auf die Notwendigkeit der Bestimmbarkeit der Landeskompetenzen finden. Die Formulierung des Art. 23 V GG spricht von „Gesetzgebungsbefugnissen der Länder“. Die Landeskompetenzen liegen demnach nicht nur in Form einer unbestimmten Landeskompetenz vor, sondern setzen sich aus einzelnen, bestimmbaren Befugnissen zusammen. In ähnlicher

79

Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 673.

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1. Teil: Überblick

Weise erfolgt zudem die „kompetenzielle Fixierung“ 80 sich neu stellender Staatsaufgaben. Die neuen Problemfelder werden zunächst in einem politischen, gewissermaßen kompetenzfreien Raum diskutiert und so gegenständlich umschrieben. Dieser Prozess führt zur Formung neuer, zu regelnder Sachverhalte, was wiederum zur Folge hat, dass – das Nichtvorliegen einer Bundeskompetenz vorausgesetzt – der Landesgesetzgeber aus seiner Kompetenzmasse eine entsprechend konkretisierte Kompetenz bemüht.81 Durch diese Herangehensweise wird einiges gewonnen. Zum einen fördert die Bestimmbarkeit der Landeskompetenzen die Staatlichkeit der Länder, trägt dadurch also dem Bundesstaatsprinzip Rechnung. Zum anderen sind Kompetenzkonflikte, Probleme also, die dadurch entstehen, dass Materien zunächst nicht eindeutig einer Bundeskompetenz zugerechnet werden können, durch die Handhabbarmachung der Landeskompetenzen besser in den Griff zu bekommen, da nun anhand von bestimmbaren, konturierten Kompetenzblöcken eine Abgrenzung erfolgen kann. Zudem ist die kompetenzielle Qualifizierung anhand einer nicht trennscharfen Einheitskompetenz auf Länderseite schier unmöglich. Sowohl die Auslegung als auch eine eindeutige Zuordnung wären – wenn überhaupt – nur unter größten Anstrengungen und verbunden mit großen Unsicherheiten möglich. Dass entsprechend geformte Landeskompetenzen bereits bestehen, zeigen auch die Formulierungen in den jeweiligen Bundeskompetenzkatalogen. Zusätzlich lassen Streichungen und Umstrukturierungen sowie das Herausnehmen einiger Materien aus den Kompetenzkatalogen des Bundes durch Verfassungsänderungen – zuletzt umfangreich geschehen durch die Föderalismusreform im September 2006 – auf bestimmbare Landeskompetenzen schließen. So wurden beispielsweise das Recht des Strafvollzugs (Art. 74 I Nr. 1 GG) und das Versammlungsrecht (Art. 74 I Nr. 3 GG) aus dem Katalog der konkurrierenden Bundesgesetzgebung gestrichen, das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und das Recht der Märkte ausdrücklich aus Art. 74 I Nr. 11 GG ausgenommen sowie der Schutz vor verhaltensbezogenem Lärm aus Art. 74 I Nr. 24 GG.82 Diese bereits bestimmten Gesetzgebungsmaterien gehen daher, der Regel des Art. 70 I GG folgend, in die Kompetenz der Länder über. Wenig Sinn hätte hier die Annahme, die Herausnahme der Kompetenztitel aus dem Katalog des Art. 74 GG führe zur 80 Dies beansprucht allgemeine, kompetenzunabhängige Geltung. Sich neu stellende Problembereiche bedürfen – egal ob sie später in die Bundes- oder Landeskompetenz fallen – einer vorherigen Handhabbarmachung. Im Rahmen der Darstellung des Vorgangs der kompetenziellen Qualifizierung wurde dies als Sachverhaltsformulierung beschrieben. 81 Dazu auch Heintzen, DVBl. 1997, S. 692. 82 Eine Auflistung findet sich auch bei Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf: GG, Art. 70, Rdnr. 20.

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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Auflösung dieser Titel und zur Verschmelzung in eine unbestimmte Residualkompetenz. Auch die Regelung des neu eingeführten Art. 72 III 1 GG83 bietet formulierte, bereits bestimmte Landeskompetenzen. Zwar fallen das Jagdwesen, der Naturschutz und die Landschaftspflege, die Bodenverteilung, die Raumordnung und der Wasserhaushalt zunächst in die konkurrierende Bundeszuständigkeit. Dem Zugriff der Länder sind sie nach der Regelung des Art. 72 III 1 GG jedoch ebenso (im Ergebnis wohl noch mehr84) ausgesetzt. Unabhängig von der hier angestellten Betrachtung, wird der Begriff der Residualkompetenzen jedoch auch in etwas anderer Form verwendet. So ist es durchaus möglich, unter Residualkompetenzen lediglich die gerade beschriebene Kompetenzmasse zu verstehen, ohne hierin jedoch eine Abwertung der Landeskompetenzen oder eine wie auch immer geartete Ausrichtung der Kompetenzverteilung oder des bundesstaatlichen Prinzips zu sehen.85 Um Verwechslungen und Unklarheiten vorzubeugen, soll der Begriff der Residualkompetenz hier jedoch nur in der oben beschriebenen Weise verwendet werden. Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Landeskompetenzen aufgrund der Regelungstechnik des Grundgesetzes und der Formulierung in Art. 70 I GG nicht grundsätzlich hinter den Bundeskompetenzen zurückstehen. Die Landeskompetenzen sind den Bundeskompetenzen in ihrem Bestand daher gleichwertig86, die Kompetenzverteilung erfolgt an beide Kompetenzträger gleichermaßen.87 Durch die fehlende ausdrückliche Regelung des Grundgesetzes ist eine gewisse Unschärfe der Landeskompetenzen sicherlich zu verzeichnen. Diese Unschärfe kann jedoch durch die angezeigte Verdichtung der jeweiligen Kompetenzmasse zu Kompetenztiteln mit Kontur in gewisser Weise ausgeglichen werden. 2. Unterschiedliche Art und Weise der Katalogisierung der Bundeskompetenzen Jedoch nicht nur durch die eben dargestellte unterschiedliche Formulierung der jeweiligen Kompetenzzuweisungsnormen an Bund und Länder entstehen Schwierigkeiten. Auch die Beschreibung der jeweiligen Kompetenzmaterien in den jeweiligen Kompetenznormen der Art. 73 und 74 des Grundgesetzes sind oftmals 83

Ausführlich dazu unter 3. Teil B. II. Auch hierzu ausführlich unter 3. Teil B. II. 3. 85 So bei Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 7. 86 Friauf, Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenkung, S. 27. 87 Im Ergebnis so auch Heintzen, DVBl. 1997, S. 693; Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 741; Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 10. Ähnlich auch Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1094; Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 139. Für diese Auffassung sprechen auch die Formulierungen bei Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 460 und 465. 84

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1. Teil: Überblick

uneinheitlich.88 Die Regelung geschieht teils beschreibend, also faktisch-deskriptiv (z. B.: Art. 73 I Nr. 6 GG: Luftverkehr oder Art. 74 I Nr. 24 GG: Abfallwirtschaft), teils unter gewisser Wertung normativ-rezeptiv (z. B.: Art. 74 I Nr. 12: Arbeitsrecht).89 Auch der Umfang der einzelnen Normierungen ist nicht immer derselbe. Manche Regelungen sind eher weit gehalten (z. B.: Art. 74 I Nr. 11 GG: das Recht der Wirtschaft oder Art. 74 I Nr. 1 GG: das bürgerliche Recht)90, andere wiederum eng (z. B.: Art. 74 I Nr. 10 GG: die Kriegsgräber oder Art. 74 I Nr. 9 GG: die Kriegsschäden).91 Diese unterschiedliche Regelungstechnik erschwert die Zuordnung der einzelnen Sachverhalte merklich. Als Beispiel sei hier die (derzeit viel diskutierte und später noch endgültig zu klärende92) kompetenzielle Zuordnung einer Änderung der Ladenschlusszeiten zu erwähnen. Während in Art. 74 I Nr. 11 GG der Ladenschluss aus dem Bereich der Wirtschaft punktuell ausdrücklich ausgenommen wurde, dem Bund die Kompetenz hierfür also fehlen würde und die Länder zuständig wären, lässt sich die Frage möglicherweise ebenso als Problem des Arbeitsrechtes auffassen. Für dieses hätte der Bund jedoch wiederum die Regelungskompetenz. Es besteht die Möglichkeit, dass das Grundgesetz ihm durch die weite Formulierung des Art. 74 I Nr. 12 GG die Kompetenz hierfür gibt. Auf den ersten Blick subsumierbar wäre der Begriff „Ladenschluss“ in beiden Fällen.

III. Blickwinkel des Detaillierungsbestrebens Beim Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung ist es gebräuchlich93, zunächst nach dem herkömmlichen Verständnis einer Materie und der Kompetenznorm vorzugehen. Das historische Verständnis ist also hier in doppeltem Sinne zu beachten. Zum einen ist das historische Verständnis der Kompetenznormen zu berücksichtigen, was den Problemkreis freilich in die Nähe des dargestellten Perspektivenstreits rückt und in engem Zusammenhang mit der Auslegung (speziell 88 Erbguth, DVBl. 1988, S. 319; Wolfrum, DÖV 1982, S. 674; Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 92. Natürlich muss sich auch die jeweilige Auslegung der einzelnen Normen an den verschiedenen Regelungsarten orientieren, vgl. Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 51. Auf die jeweils korrekte Auslegung der Kompetenznormen wird an späterer Stelle eingegangen. 89 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 51. Zu den Begrifflichkeiten siehe auch Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 62; BVerfGE 109, 190 (218). 90 In diesem Zusammenhang spricht Maunz von den „fünf großen Bereichen“ des Bundes im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeiten (Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 74, Rdnr. 41). 91 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 412. 92 5. Teil B. III. 93 BVerfGE 33, 125 (152); 41, 205 (220); 61, 149 (175 ff.); 67, 299 (315). Zur vorrangigen Beachtung des historischen Verständnisses auch Jarass, NVwZ 2000, S. 1089.

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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der historischen Auslegungsmethode) der Kompetenznorm steht.94 Zum anderen werden die schon vorgenommenen Qualifizierungen verwandter Sachverhalte bei der vorzunehmenden kompetenziellen Zuordnung Berücksichtigung finden. Bei dem Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung wird man also versuchen, ähnliche oder verwandte Problemkreise zu finden, bestehende Zuordnungen heranziehen, um die eigene Zuordnung zu erleichtern, wenigstens aber um ein zusätzliches Argument für diese zu bekommen und sich abzusichern. Der jeweiligen Einteilung der Materien beziehungsweise deren Zuordnung zu den verschiedenen Kompetenztiteln in der Vergangenheit liegt indes ein ganz bestimmtes, nämlich zur Zeit des Erlasses des Kompetenztitels oder zur Zeit der Vornahme der Zuordnung vorherrschendes politisches, technisches und sozioökonomisches Verständnis zu Grunde.95 Fundament einer historischen Qualifizierung bilden also in der Regel andere Wertvorstellungen und Verständnisweisen als bei einer aktuell vorzunehmenden Qualifizierung. Natürlich wird die Differenz der jeweiligen Verständnisse und Wertvorstellungen in der Intensität variieren, je nachdem wie viel Zeit vergangen ist und um welche Art von Verständnis oder Wertvorstellung es geht. Technische Gegebenheiten einer Gesellschaft werden sich beispielsweise schneller ändern als die sozialen. Diesem Umstand ist in jedem Falle Rechnung zu tragen. Gewährt man nun jedoch diesem historischen Vergleich ohne Berücksichtigung der gewandelten Verhältnisse großes Gewicht, so ergeben sich zwei Probleme. Zum einen besteht die Gefahr, schließt man von in der Vergangenheit getätigten Qualifizierungen bzw. Zuordnungen im Gegenschluss auf den Inhalt einer Kompetenznorm, einfachgesetzliche Regelungen als Maßstab zur Bestimmung einer Verfassungsnorm heranzuziehen.96 Geschieht dies, wird man bald nicht mehr von der „Verfassungsgemäßheit der Gesetze, sondern von der Gesetzmäßigkeit der Verfassung“ sprechen müssen.97 Zum anderen ist der strenge Vergleich mit vergangenen Zuordnungen als Ausgangspunkt für die anstehende Zuordnung bei fehlender Berücksichtigung der Entwicklung hinderlich für eine zeitgemäße 94 Zum Zusammenhang von Auslegung und Zuordnung auch Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 86; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 65, 81. 95 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 413. 96 Zur Klarstellung: Die oben angesprochene subjektive Theorie ist von dieser Betrachtungsweise zu unterscheiden. Während die subjektive Theorie auf den gesetzgeberischen Willen, im hiesigen Fall auf den Willen des Verfassunggebers, als Auslegungsziel abstellt, dient der angesprochene Schluss von getätigten Qualifizierungen auf den Inhalt einer Kompetenznorm sowohl der Auslegung als auch der Zuordnung. Für den Bereich der Auslegung kann man dies als Teil der historischen Auslegungsmethode verstehen oder man kann diesen Umkehrschluss bei der Betrachtung des Wortlauts und des Telos heranziehen. Die subjektive Theorie ist als der gesamten Auslegung zu Grunde liegende Sichtweise zu qualifizieren, während der angesprochene Umkehrschluss nur ein Mittel der Auslegung ist. 97 Hierzu im Ganzen Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze.

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1. Teil: Überblick

Qualifizierung eines Sachverhalts. Allzu großes Gewicht der vergangenen Qualifizierungen würde insgesamt einem für Entwicklungen offenen Verfassungsverständnis zuwiderlaufen.98

IV. Mögliche Folge: Konkurrenz der Gesetzgebungskompetenzen Erweist sich also durch einen der aufgezeigten Umstände die Auslegung einer Kompetenznorm als schwierig oder ist es nicht möglich, die Gesetzgebungsmaterie eindeutig zuzuordnen, so können dadurch im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes Schwierigkeiten entstehen. Dies natürlich nicht, wenn die in Frage kommenden Qualifizierungen ein und denselben Hoheitsträger legitimieren. Das jeweilige Gesetz kann dann lediglich auf mehrere Kompetenzen gestützt werden, der Hoheitsträger hätte somit eine Mehrfachkompetenz.99 Probleme entstehen vielmehr in Situationen, in denen ein und dieselbe Materie unterschiedlich kompetenziell qualifiziert werden kann und die Kompetenznormen unterschiedliche Hoheitsträger legitimieren. Die Hoheitsträger treten bezüglich einer Regelungsmaterie in diesem Fall in Konkurrenz. Derartige Konkurrenzen können sich also ergeben, wenn die Auslegung der Kompetenznormen (und gegebenenfalls der Gesetzgebungsmaterie) auf verschiedene Weise möglich ist und je nach Auslegungsergebnis die Zuordnung eines Regelungsbereichs zur einen oder zur anderen Kompetenznorm und dadurch zu unterschiedlichen Kompetenzträgern erfolgt. Dies soll als „Auslegungskonkurrenz“ bezeichnet werden. Des Weiteren kann sich ein Konkurrenzverhältnis dadurch ergeben, dass eine Gesetzgebungsmaterie mehreren Gesetzgebungskompetenzen – trotz vorheriger Bestimmung des Sachverhalts oder Ermittlung des Gesetzeszwecks und eindeutiger Auslegung der Kompetenznormen – zugeordnet werden kann. Im Folgenden werden derartige Konstellationen „Doppelkompetenzen“100 genannt werden.101 98 In ähnlichem Maße auch die Kritik an der subjektiven Theorie. Es sei jedoch noch einmal verdeutlicht, dass sich die vorliegende Betrachtung auch auf die Ebene der kompetenziellen Zuordnung bezieht, während die subjektive Theorie für die Berücksichtigung des Willens des historischen Gesetzgebers bei der Auslegung plädiert. Die jeweilige Stufe der kompetenziellen Qualifizierung ist somit für diesen Teilaspekt unterschiedlich. Zu den jeweiligen Begrifflichkeiten bereits oben. 99 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 72, Rdnr. 7. Auch Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 42; Jarass, NVwZ 2000, S. 1090. Dies wird auch „Mosaikkompetenz“ genannt (vgl. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1210, dort Fn. 20). 100 Ob entsprechende Doppelkompetenzen überhaupt möglich sind, ist jedoch bereits umstritten und muss an gesonderter Stelle geklärt werden [3. Teil B. I. 2. a) sowie 4. Teil A. II. 2.]. 101 Die jeweils möglichen Konkurrenzarten, neben Auslegungskonkurrenz und Doppelkompetenz und deren Unterarten auch die Figur widersprüchlicher Regelungskon-

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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Bereits an dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass eine strikte Trennung beider Konkurrenzarten nur schwer möglich ist.102 Dies deshalb, weil auch für die Zuordnung eines Sachverhalts zu einem bestimmten Kompetenztitel Kriterien wie inhaltliche Identität, Systemkonformität, historische Entwicklung und Tradition, Gesetzeszweck und Spezialität eine Rolle spielen.103 Die eindeutige Einordnung von bestehenden, strittigen Gesetzgebungskonkurrenzen in die Kategorien „Auslegungskonkurrenz“ und „Doppelkompetenz“ wird daher aufgrund der Nähe der Zuordnungskriterien zu den Auslegungsregeln sehr schwierig.104 Bevor jedoch eine Auseinandersetzung mit den angesprochenen Konkurrenzen erfolgt, sollen in einem weiteren Schritt einige zusätzliche Probleme aufgezeigt werden, die im Rahmen der Feststellung der Gesetzgebungskompetenzen bestehen. Diese führen zwar nicht zwangsläufig zu angesprochenen Konkurrenzen, beeinflussen jedoch den Qualifizierungsvorgang. Danach werden die dargelegten Kriterien zur Auslegung von Kompetenznormen und zur kompetenzrechtlichen Zuordnung genauer betrachtet werden, bevor schließlich auf die unterschiedlichen Konkurrenzen – zunächst abstrakt, dann konkret – eingegangen wird. Nur dadurch lassen sich die hier entstehenden Probleme erfassen und Lösungsansätze entwickeln.

V. Dogmatische Unsicherheiten im Rahmen des Art. 72 I und II GG Im Rahmen der kompetenziellen Qualifizierung ist nicht nur der soeben beschriebene Vorgang zu beachten. Vielmehr sind auch andere verfassungsrechtliche Vorgaben, die gewissermaßen von außen auf den Qualifizierungsvorgang einwirken, zu befolgen. Zu nennen sind vor allem Art. 72 I und II GG. 1. Art. 72 I GG: Abschließende bundesrechtliche Regelung? Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung wirkt sich die Regelung des Art. 72 I GG dergestalt auf die kompetenzrechtliche Lage aus, dass die Länder insoweit von der Gesetzgebung ausgeschlossen sind, als der Bund eine abschließende Regelung geschaffen hat. Die Feststellung der Abgeschlossenheit bundesrechtlicher Regelungen hat für die Länderkompetenz große Bedeutung, da gemäß Art. 70 I GG bei fehlender Abgeschlossenheit selbige begründet wäre. Im Rah-

zeptionen, werden unter 3. Teil ausführlicher behandelt. Die hier getätigte Darstellung dient lediglich der Überblicksgewinnung. 102 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 50. 103 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 61. 104 Genauer wird auf die Unterscheidungsproblematik unter 2. Teil C. und 3. Teil eingegangen.

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1. Teil: Überblick

men dieser Feststellung bestehen einige sehr umstrittene Probleme.105 Zum einen ist die Bestimmung der Reichweite der Abgeschlossenheit selbst nicht einfach. Erschwerend hinzu kann kommen, wie in einigen Beispielen an späterer Stelle106 zu belegen sein wird, dass durch die bundesgesetzliche Regelung eine Abgeschlossenheit auch durch bewusste Nichtregelung entstehen kann. Vor allem welche Anforderungen an eine entsprechende Regelung durch Nichtregelung zu stellen sind, welche Voraussetzungen also für die Sperrwirkung nötig sind, bleibt darzustellen. Ebenfalls umstritten ist die Frage, welche Voraussetzungen an das Sperrwirkung entfaltende Gesetz zu stellen sind. So scheint das Bundesverfassungsgericht in einer neueren Entscheidung zum bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz107 die Auffassung zu vertreten, dass auch (materiell) verfassungswidrige Bundesgesetze zunächst sperrwirkungsfähig im Sinne des Art. 72 I GG sind. Auch scheint ein Unterschied zwischen formeller und materieller Verfassungswidrigkeit gemacht zu werden.108 Schlussendlich muss in diesem Rahmen auch die Frage erörtert werden, ob verfassungswidrige Gesetze eo ipso nichtig sind, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts also lediglich deklaratorischen Charakter hätte, oder ob diesem konstitutive Wirkung im Sinne einer „Vernichtbarkeitslehre“ zukommen muss. Bei den dargestellten Problemen handelt es sich zum Teil – es sei etwa die Problematik um die Wirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts genannt – nicht um unmittelbar mit dem Qualifizierungsvorgang verbundene Probleme. Diese wirken eher mittelbar auf den Vorgang ein, und bestimmen so die Verbandskompetenz mit. Wäre beispielsweise ein Bundesgesetz eo ipso nichtig, entfaltete es keine Sperrwirkung. Als Folge dessen wäre der Landesgesetzgeber frei, eine Regelung im Bereich konkurrierender Gesetzgebung zu treffen. Gilt dies nicht, ist das entsprechende Bundesgesetz also durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur vernichtbar, so bestünde auch durch verfassungswidrige Bundesgesetze eine Sperrwirkung für den Landesgesetzgeber. Eine landesrechtliche Regelung wäre in diesem Falle nicht denkbar. Da sich auch dies auf das Spannungsverhältnis kompetenzieller Verteilung auswirkt, bedarf es auch hier einer, wenn auch knappen, Behandlung. Die Frage jedoch, ob Sperrwirkung besteht, kann durchaus zu Konkurrenzen im oben genannten Sinne führen. Vorausgesetzt, diese Frage des Bestehens und des Umfangs der Sperrwirkung wäre eine Auslegungsfrage109, könnte die Auslegung sowohl zu Gunsten einer Sperrwir105

Hierzu auch Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen. 3. Teil B. I. 3. b). 107 BVerfGE 98, 265 ff. Diese Entscheidung wird an späterer Stelle als Beispiel und auch als Grundlage für die Lösung der hier aufgeworfenen Fragen dienen. 108 BVerfGE 98, 265 ff., 4. Leitsatz. 109 Auch dies wird unten im Rahmen der Auflösung zu klären sein. 106

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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kung bundesfreundlich als auch gegen eine Sperrwirkung landesfreundlich ausfallen. Es bestünde damit die Konstellation einer Auslegungskonkurrenz. 2. Art. 72 II GG: Umfang der Erforderlichkeitsprüfung110 Ein weiteres Problem im Rahmen der kompetenziellen Qualifizierung ergibt sich durch die Neufassung von Art. 72 II GG durch die Föderalismusreform vom 28.8.2006. In der vorher geltenden Fassung hatte der Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nur dann das Recht zur Gesetzgebung, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machte. Diese Erforderlichkeitsklausel und die sehr strenge Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht111 machte es für den Bundesgesetzgeber schwer, von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch zu machen. Bisher bestehendes Bundesrecht galt zwar nach Art. 125 a II GG weiterhin als Bundesrecht fort und konnte in begrenztem Rahmen durch den Bundesgesetzgeber modifiziert werden. Grundlegende Neukonzeptionierungen waren jedoch sowohl dem Bundes- als auch dem Landesgesetzgeber verwehrt.112 Der Bundesgesetzgeber wurde durch die fehlende Erforderlichkeit in oben genanntem Sinne, die Länder durch die fehlende, jedoch grundsätzlich notwendige, bundesgesetzliche Ermächtigung nach Art. 125 a II 2 GG gehindert.113 Diese Blockadesituation114 versucht nun der geänderte Art. 72 II GG dahingehend zu vermeiden115, dass eine Erforderlichkeitsprüfung nur für vereinzelte, in Art. 72 II GG aufgeführte Kompetenztitel durchzuführen 110 Im Gegensatz zu den anderen in diesem Abschnitt aufgeführten Problemen, welche sich im Rahmen der kompetenziellen Qualifizierung finden, soll dieser Punkt vorliegend ausführlicher behandelt werden. Dies hat seine Ursache in dem Umstand, dass der Umfang der Erforderlichkeitsprüfung in keinem der folgenden Abschnitte eine sinnvolle umfangreichere Berücksichtigung finden könnte. Die sonst recht knapp gehaltene Problemübersicht der einzelnen anderen Schwierigkeiten dagegen gründet sich auf eine vertiefte Behandlung an späterer Stelle. 111 Die strenge Auslegung seitens des Bundesverfassungsgerichts zeigte sich in den Urteilen zum Altenpflegegesetz vom 24.10.2002 [vgl. BVerfGE 106, 62 (136 ff.)] und zum 5. Änderungsgesetz zum Hochschulrahmengesetz vom 27.7.2004 (vgl. BVerfGE 111, 226 ff.). Dazu auch Kenntner, NVwZ 2003, 821 ff. 112 Vgl. dazu BVerfGE 111, 10, Leitsatz 1. 113 Vgl. BTDrucks. 16/813, S. 7. 114 Entstanden war diese Blockadesituation jedoch zunächst durch eine vorhergehende Grundgesetzänderung im Jahre 1994. Hierbei wollte man gerade die ausufernde Bundeskompetenz durch eine Umformulierung des ursprünglichen Art. 72 II GG von einer nicht justiziablen Bedürfnisregelung zu einer Erforderlichkeitsprüfung begrenzen (vgl. dazu BTDrucks. 12/6633, S. 8). „Etwas kurios wirkt [daher], dass der verfassungsändernde Gesetzgeber die neuerliche Änderung gerade damit begründet, dass das BVerfG seine 1994 vorgenommene Änderung sehr ernst nahm“ (Häde, JZ 2006, S. 932). Dazu auch Kenntner, NVwZ 2003, hier insbesondere S. 822 ff. 115 Kloepfer, ZG 21 (2006), S. 256.

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1. Teil: Überblick

ist. Die übrigen, nicht in Art 72 II GG aufgeführten Kompetenzbereiche unterfallen ohne weitere Voraussetzungen nun dem Zugriff des Bundesgesetzgebers, was entsprechende Materien der ausschließlichen Bundeszuständigkeit naherückt.116 Die kompetenzrechtliche Lage scheint sich durch den Wegfall der Erforderlichkeitsprüfung auf den ersten Blick zu vereinfachen. Auf den zweiten Blick jedoch zeigen sich auch hier Probleme mit Auswirkung auf das kompetenzrechtliche Verhältnis zwischen Bund und Ländern: Denkbar ist die Existenz eines bundesgesetzlichen Regelungswerkes, das sich nicht ausschließlich auf einen Titel stützen kann, welcher der Erforderlichkeitsprüfung unterfällt oder nicht unterfällt. Vielmehr ist es möglich, dass umfassende Regelungswerke kompetenziell auf mehrere Titel gestützt werden können oder müssen, mithin eine sogenannte „Mosaikkompetenz“117 besteht. Dies ist vor allem im Zusammenhang mit dem weitreichenden Bereich des Rechts der Wirtschaft (Art. 74 I Nr. 11 GG) zu erwarten, da wirtschaftlich-gewerbliche Betätigung eine Vielzahl an Kompetenznormen tangieren kann.118 Weitergedacht besteht dann die Möglichkeit, dass ein berührter Kompetenztitel der Erforderlichkeitsprüfung des Art. 72 II GG unterfällt, der andere aber nicht in Art. 72 II GG aufgelistet ist, was für diesen Titel keine Erforderlichkeitsprüfung nötig machen würde. Fraglich ist nun, ob für das gesamte Regelungswerk eine Erforderlichkeitsprüfung durchzuführen ist oder ob das gesamte Regelungswerk ohne weitere Voraussetzungen bestehen kann. Diese Entscheidung hat mittelbar auch Auswirkungen auf die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Würde eine Erforderlichkeitsprüfung für die gesamte Regelung nötig, so wäre im Anschluss an die strikte Auslegung des Art. 72 II GG durch das Bundesverfassungsgericht119 ein größerer landesrechtlicher Spielraum eröffnet. Fällt die Erforderlichkeitsprüfung in derartigen Fällen dagegen weg, so würde dem Bundesgesetzgeber eine weit größere Kompetenzbreite zugestanden. Zunächst ist zur Lösung dieses Problems dem Wortlaut des Art. 72 II GG wenig zu entnehmen. Die Formulierung: „auf den Gebieten des Art. 74 I Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25 und 26“, lässt nicht auf die Behandlung von Kompetenzlagen schließen, bei welchen sowohl hier enumerierte als auch nicht von der Erforderlichkeitsprüfung erfasste Kompetenztitel berührt sind.

116 Wieland, Anhörung Föderalismusreform, S. 3 (Ziffer 20); Oeter, 2. Teil. Die Änderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, S. 14. Zum Ganzen auch Häde, JZ 2006, S. 932. 117 Rozek, in: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70 II, Rdnr. 54. 118 Degenhart, NVwZ 2006, S. 1210. 119 Da der Wortlaut des Prüfungsumfangs des Art. 72 II GG im Zuge der Föderalismusreform nicht geändert wurde und auch der Begründung nur die Begrenzung des Anwendungsbereichs der Klausel des Art. 72 II GG zu entnehmen ist (BTDrucks. 16/813, S. 8, 11), ist von einem Festhalten an der bisherigen Auslegung des Art. 72 II GG durch das Bundesverfassungsgericht auszugehen.

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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Anhaltspunkte für eine bundes- oder landesfreundliche Lesart des Art. 72 II GG könnten sich jedoch durch systematische Erwägungen ergeben. Ließe sich dem Grundgesetz allgemein ein Gebot zur Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse entnehmen, so könnten sich hieraus Rückschlüsse auch für Art. 72 II GG ergeben. Bestünde ein entsprechendes Gebot, so spräche dies gegen die Ausweitung und für eine restriktive Anwendung der Erforderlichkeitsprüfung, da auf diese Weise leichter einheitliche Lebensverhältnisse geschaffen werden könnten und dadurch einem entsprechenden Gebot Rechnung getragen würde. Für ein verfassungsrechtliches Postulat zur Errichtung einheitlicher Lebensverhältnisse werden verschiedene Normen des Grundgesetzes herangezogen. Zuvorderst ist Art. 72 II GG selbst zu nennen. Einige Autoren vertreten die Auffassung, „aus dieser Kompetenznorm selbst könne und müsse man einen Verfassungsauftrag zur Förderung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ableiten“120. Hierbei wird jedoch verkannt, dass Art. 72 II GG eine Kompetenznorm ist, die dem Bundegesetzgeber eine Befugnis und keinen Gesetzgebungsauftrag zukommen lässt. Im Gegenteil ist aus der Entwicklung des Art. 72 II GG und auch aus der gerade erst vollzogenen Änderung im Rahmen der Föderalismusreform zu entnehmen, dass die in dieser Norm durch Aufzählung verbliebenen Kompetenztitel gerade einer speziellen Voraussetzung zu bundesgesetzgeberischem Tätigwerden unterliegen. Im Bereich des Art. 72 II GG muss „Vereinheitlichung und nicht die Vielfalt“ 121 gerechtfertigt werden. Des Weiteren werden einige finanzverfassungsrechtliche Vorschriften als Verankerung des Gebots zur Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse angeführt. Genannt werden Art. 104a IV a. F. (jetzt Art. 104 b IGG), 106 III und 107 II GG. Ohne im Einzelnen tiefer auf die jeweiligen Vorschriften einzugehen122, muss für Art. 106 III GG gelten, dass dieser nur Aussagen über die Frage der Umsatzsteuerverteilung trifft. Hiervon kann kein verallgemeinerungsfähiges, auf das Grundgesetz im Ganzen wirkendes Gebot zur Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse abgeleitet werden. Den Vorschriften der Art. 104 b I GG und Art. 107 II GG sind ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Gebote in diesem Sinne zu entnehmen. Dies ergibt sich bei Art. 104 b I GG bereits aus dem Wortlaut. Art. 107 II GG fordert zwar einen angemessenen Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder, ein Gebot zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse kann hieraus jedoch ebenfalls nicht gewonnen werden. „Der Finanzausgleichsgeber kann daher den Finanzausgleich am Leitbild der Einheitlichkeit der Lebensver-

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Hebeler, ZG 21 (2006), S. 305. Vgl. Bumke, ZG 14 (1999), S. 384, der zwar auf Art. 72 II GG a. F. Bezug nimmt, dessen Aussage jedoch unter dem nun begrenzten Anwendungsbereich ebenfalls durchaus zutrifft. 122 Genauer beschäftigt sich Hebeler mit entsprechenden Normen (Hebeler, ZG 21 (2006), S. 306 ff.). 121

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1. Teil: Überblick

hältnisse ausrichten, muss dies aber nicht.“123 Zudem handelt es sich bei dem Bereich des Finanzwesens, der in Abschnitt X des Grundgesetzes in den Art. 104a ff. GG geregelt ist, um einen gesonderten Bereich der Staatsorganisation. Unzweifelhaft ist auch dieser Bereich Teil der Verfassung, (systematische) Aussagen und Auswirkungen lassen sich im Bezug auf andere Bereiche der Staatsorganisation, speziell für die hier zu behandelnden Gesetzgebungskompetenzen, aber wohl nur in begrenztem Maße gewinnen. Auch die Bemühung allgemeiner Prinzipien führt nicht zur Gewinnung eines Gebotes zur Vereinheitlichung.124 Zwar ist eine Verpflichtung zu bejahen, wonach der Staat als Ausfluss des Sozialstaatsgebots für ganz grundlegende Dinge bundesweit einheitliche Standards herstellen muss. Dieser sozialstaatliche Mindeststandard hat jedoch mit der Schaffung substanzieller Gleichheit im Sinne einer Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nichts zu tun.125 Mit anderen Worten kann die staatliche Verpflichtung zur Schaffung gewisser Mindeststandards nicht in einem Maße auf die sonstige legislative Tätigkeit durchschlagen, mithin auch kein Gebot für den Gesetzgeber entwickeln, nun alle gesetzgeberischen Bereiche möglichst zu vereinheitlichten. Zuletzt sei noch Art. 3 I GG angeführt. Grundrechtlich könnte sich ein Gebot zu bundesweiter Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse aus dieser Vorschrift ergeben. Nach absolut gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts126 und auch sonst überwiegender Meinung127 ist allerdings anerkannt, dass verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlungen durch einen Träger öffentlicher Gewalt überhaupt nur in den Grenzen seiner eigenen Zuständigkeit, mithin seiner Gesetzgebungskompetenz gegeben sein kann. Nach alldem wird deutlich, dass systematische Gesichtspunkte zur Klärung wieweit sich die Erforderlichkeitsprüfung erstreckt, aus dem übrigen Grundgesetz nicht zu entnehmen sind. Dementsprechend ist vornehmlich das in Art. 72 II GG bestehende Kompetenzverteilungssystem des Grundgesetzes und die dort verwirklichte verfassunggeberische Wertung zu beleuchten. Der Betrachtung zu Grunde zu legen ist also hauptsächlich die Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers, der den Art. 72 II GG grundlegend umgestaltet hat. Wie oben dargestellt, sollte durch die Ausnahme vieler Bereiche aus dem Anwendungsbereich des Art. 72 II GG die bestehende Blockadesituation ab123

Hebeler, ZG 21 (2006), S. 306 ff. Auch hierzu genauer Hebeler, ZG 21 (2006), S. 310 ff. 125 Boysen, Gleichheit im Bundesstaat, S. 122 f. 126 Vgl. nur BVerfGE 16, 6 (24); 33, 224 (231); 42, 20 (27); 52, 42 (57 f.); 76, 1 (73); 79, 127 (158); 93, 319 (351); 106, 225 (241). 127 Osterloh, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 3, Rdnr. 81; Dürig, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 3, Rdnr. 233; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 3, Rdnr. 23. 124

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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gebaut und die Wahrnehmung der jeweiligen Kompetenztitel vereinfacht werden128, was eher gegen eine Durchführung der Erforderlichkeitsprüfung in Fällen der „Mosaikkompetenzen“ sprechen würde. Auf der anderen Seite wären nach neuerer Gesetzeslage die Länder auch nicht mehr in gleichem Maße auf eine bundesrechtliche Ermächtigung nach Art. 125 a II 2 GG angewiesen, da – ebenfalls eingeführt durch die Föderalismusreform 2006 – nun die Möglichkeit besteht, nach Art. 93 II GG das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über das Bestehen der Erforderlichkeit in oben genanntem Sinne anzurufen. Eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen die Erforderlichkeit ersetzt dann das grundsätzlich nötige Bundesgesetz, Art. 93 II 2 GG. Die beabsichtigte Beseitigung der Blockadesituation spricht demzufolge nicht zwingend für eine bundesfreundliche Auslegung des Art. 72 II GG. Zudem ist der Regelungswille des verfassungsändernden Gesetzgebers zu berücksichtigen, der für die in Art. 72 II GG aufgelisteten, teilweise sehr weitreichenden Befugnisse – als Beispiel sei wiederum Art. 74 I Nr. 11 GG, das Recht der Wirtschaft, genannt – trotz der vorgenommenen Reduzierung des Anwendungsbereichs dennoch das Korrektiv einer Erforderlichkeitsprüfung vorsah.129 Auch aus dem Regelungssystem des Art. 72 II GG und dem verfassunggeberischen Willen lässt sich somit keine eindeutige Aussage zur Lesart des Art. 72 II GG in den dargestellten problematischen Fällen gewinnen. Auch ein Blick auf den Sinn und Zweck der Norm, der neben dem erwähnten Abbau der Blockadesituation auch die Stärkung der Bundeskompetenz beinhaltet, ergibt keinen eindeutigen Ansatzpunkt. Dargestelltem Dilemma entginge man gänzlich, ordnete man ein spezielles Regelungswerk nur einer speziellen Regelung zu.130 Das Hauptaugenmerk müsste dann zunächst auf der Abgrenzung der einzelnen Kompetenztitel des Art. 74 I GG liegen.131 Es stellte sich dann innerhalb des Katalogs des Art. 74 I GG (also innerhalb der konkurrierenden Bundeskompetenz!) wiederum die Frage nach dem Vorrang einer Kompetenznorm. Eine ähnliche Lage wäre geschaffen, wie sie bei Unsicherheiten der kompetenziellen Qualifizierung als Landes- oder Bundeskompetenz besteht. Als Folge daraus wäre eine „doppelte Konkurrenzauflösung“ in den Fällen nötig, in denen sowohl die Frage nach einer Bundes- oder Landeskompetenz beantwortet werden müsste als auch Bundeskompetenzen berührt werden könnten, von denen eine der Erforderlichkeitsprüfung des Art. 72 II GG unterfällt, die andere jedoch nicht. Zunächst müsste festgestellt werden, welche Bundeskompetenz überhaupt einschlägig wäre, dann – auf Grundlage dieser Entscheidung – wäre zu klären, ob tatsächlich Bundes- oder Landeskompetenz besteht. Die Entscheidung, welcher Kompetenztitel im „bundesinternen Kompe128

BTDrucks. 16/813, S. 8, 11. In Grundzügen zu den verschiedenen Ansätzen Degenhart, NVwZ 2006, S. 1210. 130 Für diese Lösung spricht sich Degenhart aus (Degenhart, NVwZ 2006, S. 1210). 131 So Oeter, 2. Teil. Die Änderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, S. 14, der damit wohl der Ansicht Degenharts zustimmt. 129

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1. Teil: Überblick

tenzkonflikt“ zum Tragen kommt, müsste zwingend vor der Behandlung des Kompetenzkonflikts zwischen Bund und Ländern behandelt werden, da erst dadurch der mögliche Umfang und die notwendigen Voraussetzungen der Bundeskompetenz ermittelt werden können, die für die Bund-Länder-Abgrenzung nötig sind. Auf den ersten Blick erscheint dies wie ein Zirkelschluss: Man bestimmt zunächst die vermeintlich einschlägige Bundeskompetenz, um dann, bei der Entscheidung zwischen Landes- und Bundeskompetenz doch die Landeskompetenz vorgehen zu lassen, weil die Bundeskompetenz (beispielsweise) am Erforderlichkeitskriterium scheitert. Bei genauerem Hinsehen ist dies jedoch nicht der Fall. Die Abgrenzung der einzelnen Bundeskompetenzen voneinander erfolgte unter Ausblendung sämtlicher zu berücksichtigender Normen im sonstigen Qualifizierungsprozess. Das Vorliegen einer Bundeskompetenz müsste für diesen ersten Schritt sozusagen vermutet oder als gegeben vorausgesetzt werden und der Fokus ganz auf die Bestimmung des richtigen Bundeskompetenztitels gelegt werden. Dementsprechend bliebe beispielsweise Art. 70 I GG ausgeblendet. In einem zweiten Schritt wäre dann die tatsächliche kompetenzielle Lage zwischen Bund und Ländern zu klären, wobei nun alle kompetenzrechtlich relevanten Normen berücksichtigt werden müssten. Durch diese Maßstabsverschiebung bestünde somit kein Zirkelschluss. Probleme ergeben sich jedoch in Fällen umfassender Regelungswerke. Nur in Konstellationen, in welchen das Bundesgesetz auf entweder eine oder eine andere Bundeskompetenz gestützt werden kann, lassen sich mit obiger Abgrenzung eindeutig in den Griff bekommen. Echte Mosaikkompetenzen, Fälle also, in denen ein Gesetz auf mehrere Kompetenzen gleichzeitig gestützt werden muss, können mit einer eindeutigen Zuordnung nicht gelöst werden. Ist im Falle zweier einschlägiger Kompetenztitel noch die Untersuchung des Schwerpunkts der Regelung und die dem entsprechende Lösung ähnlich der vertretenen Auffassung132 zur Auflösung kompetenzrechtlicher Friktionen zwischen Bund und Ländern denkbar, so muss dies scheitern, wenn mehr als zwei Kompetenznormen beteiligt sind.133 Gerade durch den sehr weit gefassten Bereich des Art. 74 I Nr. 11 GG sind Überschneidungen mit diesem und die Bildung von echten Mosaikkompetenzen nicht gerade unwahrscheinlich. Zusätzlich entstünde noch ein weiterer Problempunkt, auf den hier nur am Rande eingegangen werden kann. Führte man die Abgrenzung der Bundeskompetenzen anhand der gleichen Kriterien durch, wie sie im Rahmen der Abgrenzung der Landeskompetenzen von den Kompeten132 Dies sei an dieser Stelle nur beiläufig erwähnt. Eine vertiefte Behandlung dieses Ansatzes erfolgt an späterer Stelle. 133 Dass dies durchaus denkbar ist, zeigt das an späterer Stelle noch genauer behandelte Beispiel des bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht nahm hier eine Bundeskompetenz aus Art. 74 I Nr. 1, 7, 11, 12 und 19 sowie aus zusätzlichen Erwägungen des Sachzusammenhangs an.

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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zen des Bundes verwendet werden, wären auch die Figuren der ungeschriebenen Kompetenzen zu berücksichtigen134. Bei der Abgrenzung der Bundeskompetenzen voneinander stellte sich die erneute Frage, wie weit ungeschriebene (Bundes-) kompetenzen reichen, wie weit also ein Bundeskompetenztitel in den Bereich eines anderen eingreifen darf, ohne dann die Erforderlichkeitsprüfung auszulösen oder aus ihr herauszufallen. Betrachtet man allein die Definition der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, nach der „eine Zuständigkeit nur dann besteht, wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerläßliche Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie“135, so wird selbst bei einer entsprechenden Modifikation dieser Formel auf die Abgrenzung der Bundeskompetenzen untereinander deutlich, dass diese Figur nicht auf die Abgrenzung von Bundeskompetenzen untereinander passen kann. Weder würde es für eine Bundeskompetenz unerlässliche Voraussetzung sein, in eine andere Materie der Bundeskompetenz einzugreifen, um ein sinnvolles Regelungswerk hervorzubringen, noch erschiene dieser Übergriff innerhalb des Zuständigkeitsbereichs eines Kompetenzträgers überhaupt zulässig. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich für eine ausdifferenzierte Regelung und Trennung der Bundeskompetenzen in solche mit Erforderlichkeitsprüfung und solche ohne zusätzliche Voraussetzungen entschieden. Die Annahme der Unerlässlichkeit in oben genanntem Sinne wäre nicht nötig, um die Kompetenz des Bundes zu begründen, sondern um Unsicherheiten bezüglich des Erforderlichkeitskriteriums auszuräumen beziehungsweise um dieses zu umgehen. Der Übergriff einer Bundeskompetenz auf eine andere ist demzufolge nicht Voraussetzung, um eine sinnvolle Regelung im Sinne der obigen Definition zu treffen. Der Bund hat in diesen Fällen gerade die Möglichkeit, sich auf mehrere Kompetenztitel zu stützen. Obige, anerkannte Definition würde als Begründung zur Überwindung der Schwierigkeiten der Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen des Art. 72 II GG überstrapaziert und die verfassungsrechtlichen Vorgaben unzulässig umgangen. Die ohnehin in ihrem Umfang und Bestand fraglichen Grundsätze136 zur Zuordnung der Kompetenztitel im Verhältnis von Bund und Ländern sind für eine abschließende Zuordnung zu jeweils einem Kompetenztitel eines Kompetenzträgers daher allenfalls beschränkt anwendbar.

134 Auf die ungeschriebenen Kompetenzen und ihre Rolle bei der Behandlung von Konkurrenzen von Gesetzgebungskompetenzen wird an später Stelle ausführlich einzugehen sein [2. Teil A. II. 3. und 4. Teil A. II. 2. b) bb) (2)]. 135 BVerfGE 7, 407 (421). 136 Zu diesen Grundsätzen wird im Laufe dieser Arbeit im Rahmen der Darstellung der einzelnen Schritte des Qualifizierungsvorgangs Stellung bezogen (2. Teil).

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1. Teil: Überblick

Ansatzpunkte zur Behandlung der Frage des Umfangs der Erforderlichkeitsprüfung könnten sich jedoch auch aus Argumentationsmustern zum länger bestehenden Streitstand um die Reichweite der Zustimmungsbedürftigkeit bei Gesetzen ergeben, bei denen ein Teil zustimmungsbedürftig, ein anderer Teil nicht zustimmungsbedürftig ist. Durch die Föderalismusreform wurde zwar Art. 84 I GG ebenfalls grundlegend verändert und das hier erwähnte Zustimmungserfordernis (Art. 84 I 2. HS GG) gestrichen. Auch handelt es sich hierbei nicht um Fragen der Kompetenzabgrenzung, sondern um eine Frage des Gesetzgebungsverfahrens. An der Vergleichbarkeit der Situation des Art. 84 GG a. F. und Art. 72 II GG ändert dies jedoch nichts. Es zeigen sich einige Parallelen. So ist (war) hier wie da strittig, ob sich bei umfassenderen Regelungswerken, die aus einem Teil mit strengeren Voraussetzungen und einem Teil mit weniger strengen Voraussetzungen bestehen, die strengeren oder die weniger strengen Voraussetzungen für das gesamte Regelungswerk durchsetzen. Dort war strittig, ob sich die Zustimmungsbedürftigkeit auf die gesamte Regelung erstreckt oder ob die Zustimmungsbedürftigkeit gänzlich entfällt, hier ist der Umfang der Erforderlichkeitsprüfung Streitgegenstand. Das Bundesverfassungsgericht137 und ihm folgend die herrschende Lehre138 waren bezüglich des Zustimmungserfordernisses der Meinung, dass ein Gesetz insgesamt zustimmungsbedürftig gewesen sei, auch wenn nur eine einzige (Teil-)Vorschrift die Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 84 I GG a. F. auslöste. Hier sollte sich also der Teil mit strengeren Voraussetzungen gegenüber dem weniger strengen Teil durchsetzen. Begründet139 wurde dies mit dem Hinweis auf die gesetzestechnische Einheit der Gesetze, die es ausschließe, dass durch die Versagung der Zustimmung für einen Teil dieser Teil aus dem Gesetz herausgebrochen würde. Vor allem aus Art. 78 GG gehe hervor, dass „das vom Bundestage beschlossene Gesetz“140 vom Bundestag zu einer Einheit zusammengefasst und als Ganzes anzusehen sei.141 Ähnliches könnte auch für die Frage der Erforderlichkeitsprüfung gelten. Auch hier wird ein Gesetz erlassen, auch hier wird es sich regelmäßig um eine regelungstechnische Einheit handeln. Ebenso wäre es möglich, dass für den Fall einer nur auf einen Teil begrenzten Erforderlichkeitsprüfung der zu prüfende Teil den Anforderungen des Art. 72 II GG nicht standhält und dadurch die regelungstechnische Einheit zerrissen und das Gesetz teilweise nichtig wäre, weil dadurch die Gesetzgebungskompetenz fehlen würde. 137

BVerfGE 8, 274 (294 f.); 55, 274 (318); 37, 363 (381). So Maurer, Staatsrecht I, S. 580, mit Hinweisen auf Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 145 und Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 77, Rdnr. 8. 139 Hier soll nur auf den für die Beantwortung der Frage, wieweit sich die Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen der Art. 72 II GG erstreckt, relevanten Teil der Begründung eingegangen werden. 140 Vgl. den Wortlaut des Art. 78 GG. 141 BVerfGE 8, 274 (294 ff.). 138

B. Die Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung

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An der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts wurde jedoch auch umfangreiche Kritik142 geübt. So wurde angeführt, dass „die Rechtsprechung und die h. L. [. . .] zu einer weiteren Zunahme der zustimmungsbedürftigen Vorschriften [führen würden], da zahlreiche Gesetze gegen Ende eine gem. Art. 84 I GG zustimmungsbedürftige Verfahrensregelung enthalten.“143 Übertragen auf das Problem der Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen des Art. 72 II GG kann dieses Argument jedoch nicht vollständig überzeugen. Zuzugeben ist, dass die Erforderlichkeitsprüfung eine leichte Ausweitung erfahren dürfte, nähme man deren Notwendigkeit auch für Regelungen an, an denen ein in Art. 72 II GG enumerierter Kompetenztitel auch nur beteiligt ist. Nicht vergleichbar ist jedoch der Umstand, dass bei vorheriger Rechtslage nahezu jedes Gesetz eine Verfahrensregelung nach Art. 84 I GG beinhaltete. Auf das vorliegende Problem projiziert bedeutete dies eine Berührung nahezu jeder bundesgesetzlichen Regelung mit einem in Art. 72 II GG enumerierten Titel. Dafür erscheinen diese jedoch nicht umfangreich genug zu sein. Im Gegenteil sind die weitreichendsten Befugnisse ohnehin von Vornherein von der Erforderlichkeitsprüfung ausgenommen.144 Dementsprechend werden nur die wenigsten Bundesgesetze auch Regelungen betreffen, die sich auch auf einen in Art. 72 II GG enumerierten Kompetenztitel beziehen oder einen dieser Titel berühren. Einer Übertragung der Argumentationsmuster des Bundesverfassungsgerichts auf die hier bestehende Frage des Umfangs der Erforderlichkeitsprüfung steht daher weniger im Wege als in der Vergangenheit zum Problem des Umfangs der Zustimmungsbedürftigkeit. Sicherlich ist Ziel der Föderalismusreform die Stärkung beziehungsweise Vereinfachung der jeweiligen Kompetenzwahrnehmung gewesen. Eine übertriebene Inanspruchnahme der Erforderlichkeitsprüfung würde diesem Ziel daher zuwiderlaufen. Auf der anderen Seite sollte jedoch auch berücksichtigt werden, dass absichtlich gewisse Bereiche im Anwendungsbereich des Art. 72 II GG verblieben sind. Hier nun eine Ausnahme von der Erforderlichkeitsprüfung durch eine Verknüpfung mit im Grunde nicht von Art. 72 II GG erfassten Titeln zu erreichen, würde wiederum Art. 72 II GG konterkarieren. Festzustellen bleibt, dass die wichtigeren Kompetenzen zur Vorranggesetzgebung zu rechnen sind. Für diese Vorrangkompetenzen ist jedoch ohnehin keine Prüfung nach Art. 72 II GG durchzuführen. Aufgrund dessen und durch den Umstand, dass es dem Bund unbenommen bleibt, enger begrenzte, „kleinere“ Regelungen zu treffen, die sich jeweils nur auf einen Kompetenztitel stützen und somit dem Problem der Ausweitung der Erforderlichkeitsprüfung aus dem Wege gehen, erscheint es sinnvoll, in all den Fällen einer Mosaikkompetenz, an der Kompetenzen mit und solche ohne Erforderlichkeitsprüfung beteiligt sind, die Anforderungen des Art. 72 II GG auf die gesamte Regelung ähnlich der bun142

Nachweise finden sich bei Maurer, Staatsrecht I, S. 581. Maurer, Staatsrecht I, S. 581. 144 Oeter, 2. Teil. Die Änderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, S. 12 f.; Scharpf, Thesenpapier, S. 10; Degenhart, NVwZ 2006, S. 1210. 143

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1. Teil: Überblick

desverfassungsgerichtlichen Regelung zum Umfang des Zustimmungserfordernisses auszudehnen. Die Betrachtung der möglichen Probleme der kompetenziellen Qualifikation insgesamt soll mit diesem kurzen Überblick sein Bewenden haben. Im Folgenden wird zunächst dezidiert auf die einzelnen Komponenten des Qualifizierungsvorgangs einzugehen sein. In einem weiteren Schritt müssen die verschiedenen Konkurrenzarten herausgearbeitet werden, um letztendlich Lösungswege zur Auflösung bestehender Konkurrenzen aufzuzeigen.

2. Teil

Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen A. Klarstellung: Primat der Auslegung1 „Die Verfassung besteht aus Rechtssätzen. Um sie zu verstehen und auf den konkreten Fall anwenden zu können, bedürfen sie regelmäßig der Interpretation. Diese Notwendigkeit teilen sich die Verfassungsnormen mit allen Rechtsnormen. Aber Bedeutung, Rang und Eigenart des Verfassungsrechts geben der Verfassungsauslegung in der juristischen Hermeneutik ein besonderes Gewicht. Dies liegt weniger in den anzuwendenden Auslegungsmitteln – sie sind stets diejenigen, die für die Rechtsdogmatik allgemein gelten – als im auszulegenden Normgefüge, seiner Funktion und seinem Charakter.“ 2

Wie dargestellt, gilt auch im Rahmen der kompetenziellen Qualifizierung der Primat der Auslegung.3 Auslegen heißt, herauszuarbeiten, was ein Text bedeutet. Ein abstrakter Normtext wird durch den Interpretationsakt konkretisiert.4 Ziel ist es daher, den Sinngehalt, also den Normzweck, der jeweils auszulegenden Norm zu ermitteln.5 Dies gilt sowohl für die Auslegung einfachen Rechts als auch für

1 Obwohl die folgende Darstellung eher beschreibenden Charakter hat, erscheint sie dennoch aus mehreren Gründen geboten. Zum einen ist die Auslegung als erste Stufe der kompetenziellen Qualifizierung elementarer Ausgangspunkt. Des Weiteren – dies sei im Vorgriff bereits erwähnt – wird sich die Auslegung bezüglich einiger Konkurrenzarten als geeignet erweisen, diese aufzulösen. Schließlich bildet die Auslegung die Grundlage der Argumentation für diejenigen, die auch Doppelkompetenzen als eindeutig zuordenbar ansehen. Insbesondere wird von Vertretern dieser Ansicht die Figur des Sachzusammenhangs sehr häufig herangezogen. Um diese Argumentationsmuster zu verstehen, aber auch um die Geeignetheit der Auslegung zur Auflösung von Konkurrenzen an späterer Stelle prüfen zu können, bedarf es der nun folgenden Behandlung. 2 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 123. 3 Ebenso Rengeling, in: HdBStR IV, S. 731; Jarass, NVwZ 2000, S. 1089. Diese Vorrangstellung der Auslegung besteht natürlich in unterschiedlichem Maße: Eine allzu ausführliche, bis ins Detail gehende Auslegung unter Heranziehung aller in Frage kommender Methoden entfällt, wenn die zu behandelnde Kompetenznorm keinen Anlass dazu gibt. Der Begriff der „Kriegsgräber“ in Art. 74 I Nr. 10 GG beispielsweise wird nicht eine allzu zweideutige oder verschiedentlich zu interpretierende Materie aufweisen. Lediglich Problemfälle (hier etwa, welche Gräber unter den Begriff „Kriegsgräber“ fallen) sind dann durch Auslegung zu ermitteln. 4 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 128. 5 Rüthers, Rechtstheorie, S. 412.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

die Auslegung des Verfassungsrechts6. Idealerweise wäre von dem Sinngehalt, nur einem möglichen Verständnis einer Norm auszugehen.7 In jedem Fall der Interpretationsbedürftigkeit enthält die auszulegende Norm aber gerade keine eindeutigen Maßstäbe. Wo jedoch nichts „Eindeutiges gewollt ist, kann kein wirklicher, sondern allenfalls ein vermuteter oder fiktiver Wille ermittelt werden.“8 Es ist einem Interpreten daher nicht möglich, den Inhalt einer Norm gänzlich objektiv zu betrachten.9 Vielmehr werden die bisherige (juristische) Vorprägung und die konkrete Situation der Auslegung Auswirkungen auf die Herangehensweise des Interpreten haben.10 Schon durch die Möglichkeit des Bestehens unterschiedlicher Vorverständnisse11 bei den jeweiligen Interpreten scheint die Annahme nur eines möglichen Normverständnisses daher wirklichkeitsfremd.12 Als Indiz (und nur als Indiz) für die Möglichkeit verschiedener Auffassungen bezüglich bestimmter Begriffe lässt sich der anerkannt unterschiedliche Gebrauch gleicher Begriffe an verschiedenen Orten der Verfassung anführen. So sind unter dem Begriff der „verfassungsgemäßen Ordnung“ in Artikel 2 I GG alle formell und materiell verfassungsmäßigen Rechtssätze zu verstehen13, während Art. 20 III GG die Gesamtheit der gültigen Bestimmungen des Grundgesetzes und gegebenenfalls der Landesverfassungen damit bezeichnet14 und unter der „verfassungsmäßigen Ordnung“ im Sinne des Art. 9 III GG – unter Beschränkung auf elementare Grundsätze der Verfassung15 – die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ zu verstehen ist.16 Natürlich handelt es sich bei der in diesem Abschnitt behandelten Situation nicht um eine mit der „verfassungsgemäßen Ordnung“ völlig identische. Während hier unterschiedliche Verständnisse einer Norm im Mit6 Inwieweit Besonderheiten für die Auslegung von Verfassungsrecht gelten, bleibt später zu klären, vgl. 2. Teil A. III. 7 Im Vorgriff ist hier zu erwähnen, dass dies nur nach der rein subjektiven Theorie möglich wäre. Nach ihr muss der durch den historischen Gesetzgeber vorgegebene Inhalt offengelegt werden. Dieser Inhalt kann entweder „getroffen“ oder „verfehlt“ werden. Mehrere unterschiedliche Verständnisse sind nicht möglich. Vgl. hierzu auch Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 17 f. sowie These Nr. 2 auf S. 58. 8 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 22. 9 Ähnlich auch Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 407. 10 So auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 24. Für das unterschiedliche Verständnis von Normen gerade im Bereich der Kompetenzkonflikte vgl. Menzel, DVBl. 1997, S. 646. 11 Hinsichtlich der Verfassungsauslegung: „Bei der Verfassungsauslegung kommt dem Vorverständnis des Richters, nicht zuletzt auch in politischer Hinsicht, ein besonderes Gewicht zu.“ (Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 30) 12 Diese „Entwicklung“ des Methodenverständnisses zeichnet unter anderem Wolff in knappem Umfang nach (Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, S. 159 ff.). 13 Murswiek, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 2, Rdnr. 89; BVerfGE 80, 137 (153). 14 Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 20, Rdnr. 101. 15 Vgl. BVerfGE 6, 32 (38). 16 Höfling, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 9, Rdnr. 44.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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telpunkt stehen, geht es im Rahmen der „verfassungsgemäßen Ordnung“ um unterschiedliche Verwendungen eines Begriffs in unterschiedlichen Normen.17 Dargestellt sollte nur werden, dass es durchaus denkbar ist, in jeweils unterschiedlichen Konstellationen unter gleichen Begriffen jeweils etwas anderes zu verstehen.18 Dass nicht immer ein eindeutiges, zwangsläufig richtiges Ergebnis besteht, zeigt auch die Existenz der Sondervoten19 im Bereich der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, die es einzelnen Richtern ermöglicht, die eigene – von der Meinung des Senats abweichende – Meinung kundzutun. Der Umfang des Sondervotums ist zwar nicht zwangsläufig auf Auslegungsprobleme beschränkt, abweichende Meinungen können zu der Entscheidung oder zu deren Begründung20 insgesamt geäußert werden. Die Einführung des Sondervotums ist im Grunde jedoch „Ausdruck für den in den Fragen des Verfassungsrechts vorhandenen Pluralismus in Methode und Ergebnis der Verfassungsinterpretation“.21 Für den Bereich der Verfassungsinterpretation muss jedoch noch angeführt werden, dass zwar unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten durch verschiedene Interpreten gegeben sind, die alleinige Kompetenz zur verbindlichen Auslegung jedoch beim Bundesverfassungsgericht liegt.22 Dies folgt daraus, dass das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz nicht nur mit verbindlicher Wirkung für die Bürger, sondern auch für die übrigen Staatsorgane interpretiert.23 Durch die Bindung aller Staatsorgane an die Verfassung24, deren Konkretisierung, wie dargestellt, durch das Bundesverfassungsgericht erfolgt, resultiert ebenfalls eine Bindung an die Auslegung des Bundesverfassungsgerichts.25 Unabhängig von der angesprochenen Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts zur letztverbindlichen Auslegung von Verfassungsrecht muss jedoch unterschieden werden, in welcher Phase der kompetenziellen Qualifizierung man sich 17 Karl Engisch bezeichnet dies als „gesetzestechnische Widersprüche“ (Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 211 f.). 18 Unterschiedlich wird auch der Begriff der öffentlichen Gewalt in Art. 93 I Nr. 4a GG und Art. 19 IV GG verstanden. Während von Art. 93 I Nr. 4a GG alle drei Gewalten umfasst sein sollen, fällt die formelle Gesetzgebung aus Art. 19 IV GG heraus. Vgl. dazu mit weiteren Nachweisen Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 19, Rdnr. 124 und Art 93, Rdnr. 87. 19 Vgl. hierzu § 30 II BVerfGG und § 56 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts. Umfassender zum Bereich der Sondervoten bei Roellecke, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 363 ff. 20 Vgl. § 30 II 1 BVerfGG sowie Roellecke, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 365. 21 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 30. 22 Die Darstellung und Begründung der Vorrangstellung erfolgt teils auch unter 2. Teil A. III. 2. Vgl. aber auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 20; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 130; Böckenförde, NJW 1976, S. 2089. Ebenso BVerfGE 36, 1 (14). 23 Vgl. § 31 BVerfGG. 24 Vgl. Art. 1 III GG sowie Art. 20 III GG. 25 Probleme diesbezüglich werden ebenfalls unter 2. Teil A. III. 2. angesprochen.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

befindet. Legt man einen Kompetenztitel, also einen Teil der Verfassung, aus, so ist Auslegungsziel die Ermittlung der Zielsetzung der Verfassung im konkreten Fall.26 Bedeutung, Rang und Eigenart des Verfassungsrechts geben der Verfassungsauslegung insoweit nicht nur besonderes Gewicht27, sondern auch ein besonderes Gesicht.28 Ist es jedoch nötig, den Zweck eines einfachen Gesetzes zu ermitteln, so kommt es nur auf die Zielsetzung, auf den Sinn und Zweck, des einfachen Gesetzes an.29 Die jeweiligen Maßstäbe und die systematischen Grundlagen sind insoweit andere: Während bei der Auslegung der Kompetenznorm die Besonderheiten der Verfassungsauslegung zu berücksichtigen sind, gelten bei der Zweckermittlung des einfachen Gesetzes die allgemeinen Auslegungsgrundsätze allein. Unabhängig von der Frage jedoch, ob Verfassungsrecht oder einfachgesetzliches Recht ausgelegt wird, gilt es, für die Auslegung allgemein zu klären, aus welcher Perspektive dies zu geschehen hat. Dass sich durch die Heranziehung jeweils unterschiedlicher Perspektiven andere Ergebnisse bei der Auslegung und dadurch bei der kompetenziellen Qualifizierung im Ganzen ergeben können, wurde bereits oben dargestellt.

I. Subjektive oder objektive Theorie Als mögliche Alternativen kommen hier die Ermittlung des Willens des (historischen) Gesetzgebers (subjektive Theorie) als Auslegungsziel oder die verobjektivierte Sichtweise30, die auf den „selbständigen Willen des Gebotstextes“ abstellt, in Frage.31 Eine detaillierte Betrachtung des Problemkreises, der aufgrund seines Umfangs als „Kardinalproblem der Interpretation in der Rechtswissenschaft“32 bezeichnet wurde, kann im Rahmen dieser Arbeit ebenso wenig erfolgen, wie die ins Detail gehende Auseinandersetzung mit den einzelnen Auslegungsmethoden unten. Aufgrund der Relevanz für die kompetenzielle Qualifizierung sollen jedoch in grobem Maße die jeweilige Grundstruktur und die hier vertretene Auffassung kurz dargelegt werden.

26

Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 50. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 123. 28 Ob hier andere beziehungsweise zusätzliche Kriterien heranzuziehen sind, wird unter 2. Teil A. III. geklärt. 29 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 50. 30 Vgl. etwa Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Einführung, Rdnr. 37; Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 124 f.; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 299. So auch das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 85, 238 (245); 67, 70 (87); 51, 1 (26 f.). 31 Rüthers, Rechtstheorie, S. 453. 32 Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 124. 27

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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Auszugehen ist bei der Betrachtung der Streitfrage zunächst von der Grundlage eines jeden demokratischen Verfassungsstaates, wonach staatliche Macht nur legitimiert ist, wenn sie sich auf die Verfassung stützen kann.33 Gesetze werden demgemäß gestützt auf eine Kompetenz vom zuständigen Gesetzgebungsorgan erlassen. Dies gilt zunächst für Gesetze jeglichen Ranges.34 Aufgrund der Übersichtlichkeit werden aber nun die einfache Gesetzgebung und die Verfassungsgesetzgebung getrennt betrachtet. Zunächst soll einfaches Gesetzesrecht im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Die jeweilige Kompetenz ergibt sich in der Bundesrepublik Deutschland aus den Artikeln 70 ff. des Grundgesetzes, das Gesetzgebungsverfahren richtet sich nach den Artikeln 76 ff. des Grundgesetzes.35 Das Grundgesetz wiederum ist Ausfluss beziehungsweise Entscheidung der verfassenden Gewalt.36 Somit legitimiert die verfassende Gewalt den Gesetzgeber zur Festschreibung verbindlicher Regeln für die Allgemeinheit durch das Grundgesetz. Diese Legitimationswirkung ist am stärksten zum Zeitpunkt des Erlasses einer Norm: Hier hat der Gesetzgeber eine gewisse Vorstellung von dem Regelungsbereich und dem Gegenstand des zu erlassenden Gesetzes einerseits, vom Umfang der Kompetenznorm andererseits. Er stützt sich also nach seiner Vorstellung auf eine zum Zeitpunkt des Erlasses für den in Frage stehenden Regelungsbereich geltende Kompetenznorm. Der Gesetzgeber wird also (von hier nicht zu betrachtenden Missbrauchsfällen abgesehen) die ihm gegebene Kompetenz im vorgegebenen Rahmen nutzen und einen bestimmten Bereich durch Gesetz regeln (wollen). Wie diese Ausführungen schon zeigen, rückt hierbei der Regelungswille des Gesetzgebers stark in den Mittelpunkt. Kann der Wille des (historischen) Gesetzgebers ermittelt werden und ist die Regelungsabsicht von der entsprechenden Kompetenznorm gedeckt, so ist das Gesetz verfassungsgemäß. Die Legitimationswirkung wäre also bei der Ermittlung des (unterstellt zutreffenden) Willens des historischen Gesetzgebers am größten. Über die Perspektive bei der Auslegung von Verfassungsnormen ist hierdurch jedoch noch nichts gesagt. Im Ergebnis muss allerdings das Gleiche gelten. Die hier zu betrachtende Kompetenz ist eine ursprüngliche und umfassende. Die verfassende Gewalt hat die Kompetenz zur Regelung der Kompetenzen, auch der Kompetenzen für die Legislative. Auch hier ist also zu ermitteln, welchen Be33

Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 82. Da diese Arbeit die Konkurrenzen der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern untersucht, ist die Unterscheidung von Gesetzen im materiellen und formellen Sinne hier ohnehin irrelevant. Untersucht werden Kompetenzen der „originären“ Gesetzgebungsorgane. In Frage stehen damit nur Gesetze im formellen Sinne. Hierzu Maurer, Staatsrecht I, S. 546 ff. 35 Ergänzt durch die Geschäftsordnungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane (vgl. Maurer, Staatsrecht I, S. 572). 36 Hierzu bereits oben zu Beginn des 1. Teils unter A. 34

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

reich die verfassende Gewalt regeln wollte. Der Wille spielt hier also ebenfalls eine entscheidende Rolle. Beachtung bedarf jedoch der Umstand, dass Verfassungsänderungen auch und gerade im Kompetenzbereich nicht unmittelbar durch das Volk, sondern durch die zur Gesetzgebung beauftragten Organe im Rahmen des Artikels 79 III des Grundgesetzes geschehen. Die Situation ändert jedoch ebenfalls nichts an der Abhängigkeit der Legitimationswirkung vom Willen des Verfassunggebers. Der Verfassunggeber, diesmal wie dargestellt in Gestalt der zur Gesetzgebung berufenen Organe, erhielt die Kompetenz zur Verfassungsänderung durch die verfassende Gewalt, das Volk. Die Art und Weise der Kompetenzausübung, also auch die Reichweite der Legitimation des Verfassunggebers, wird auch hier – entsprechend der obigen Begründung – entscheidend vom Willen des Gesetzgebers beeinflusst. Nach alledem wäre somit der subjektiven Sichtweise der Vorzug zu geben. Nachteilig wirkt sich jedoch aus, dass es dem historischen Gesetzgeber nicht möglich war, neuere Entwicklungen vorherzusehen. Dies gilt sowohl für den Bereich der einfachen Gesetzgebung als auch für den Bereich der Verfassungsgesetzgebung. Das Detaillierungsbestreben der Art. 73 ff. GG geht sachlich von einem ganz bestimmten Stand der politischen, sozialen und technischen Entwicklung zum Zeitpunkt des Erlasses der Normen aus.37 Wären die Gerichte aber ausschließlich an die Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers bei der Gesetzesauslegung gebunden, so wären sie nicht in der Lage, neuere Fallgestaltungen und Entwicklungen zu subsumieren.38 Die entsprechenden Gesetze wären auf derartige Fälle schlicht nicht anwendbar und „die Verfassung im Kompetenzbereich ,eingefroren‘“39. Die Konsequenz wäre daher die Erforderlichkeit ständiger, die aktuelle Entwicklung berücksichtigender Gesetzesnovellierungen oder die richterliche Rechtsfortbildung. Ersteres ist jedoch allein aufgrund der Regelungsdichte der bestehenden Rechtsordnung nicht praktikabel, zweiteres lässt schon aus dem Blickwinkel des Gewaltenteilungsgrundsatzes große Zweifel an der Legitimation der Richter zu derartiger Rechtsfortbildung aufkommen. Eine Aufweichung des Gewaltenteilungsgrundsatzes wäre die unweigerliche Folge. Berücksichtigung muss zudem finden, dass „Politik [. . .] stets etwas Verlaufsmäßiges oder Prozesshaftes inne[wohnt].“40 Politische Entscheidungen sind es jedoch, die am Ende zu Gesetzesbeschlüssen führen. Hierbei wird nicht jede Ansicht und jeder Hintergedanke offengelegt. Vielmehr bestimmen oftmals nicht geäußerte Strategien und Kompromisse das jeweilige Abstimmungsergebnis und die jeweilige Letztfassung des Gesetzes. Als Folge dessen wird gegen die Be37

Ähnlich Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 413. So auch Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 21. 39 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 413. Eine entsprechende Sichtweise herrscht beispielsweise in Österreich mit der „Versteinerungstheorie“. Zu dieser überblicksweise Wimmer, Materiales Verfassungsverständnis, S. 32 ff. 40 Ipsen, in: FS Starck, S. 270. 38

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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rücksichtigung des gesetzgeberischen Willens im Sinne der subjektiven Theorie ins Feld geführt, dass diese eine politische Beeinflussung des Schöpfungsprozesses nach sich zöge und es damit zu einer Art ethischen Überprüfung des Gesetzes kommen könnte.41 Aufgrund dessen wird von den Vertretern der objektiven Theorie gefordert, den Gesetzeszweck losgelöst vom Willen des historischen Gesetzgebers zu ermitteln.42 Das Gesetz sei mit der Publikation selbständig, der Wille des Gesetzgebers werde gleichgültig.43 Das Gesetz wäre insoweit klüger als der Gesetzgeber44, es müsse sogar klüger sein.45 Mit dieser Loslösung des Gesetzeszwecks von dem Willen des Normgebers wird eine flexiblere Anwendung des Rechts gewährleistet, neuere Entwicklungen können berücksichtigt werden – unabhängig davon, ob sich der historische Gesetzgeber über diese im Klaren war (es überhaupt sein konnte) oder nicht.46 Gerade diese Flexibilität gibt jedoch wiederum Anlass zur Kritik. „Die Verfassungsgrundsätze der Demokratie, der Gewaltenteilung und der richterlichen Gesetzesbindung verlangen von den Gerichten, dass sie vorhandene gesetzliche Wertungen beachten.“47 Diese gesetzlichen Wertungen äußern sich allerdings gerade im Willen des Gesetzgebers. Betrachtet man nun das jeweilige Gesetz völlig losgelöst von den historischen Erwägungen des Normgebers, besteht die Gefahr, dass das Gesetz zur bloßen Worthülse wird, denn das Wort an sich kann, ebenso wenig wie der Wortlaut des Gesetzes, einen Willen haben.48 Dies beinhaltet wiederum, dass durch die objektive Theorie nicht zusätzliche Objektivität in die Auslegung eingebracht wird, dem Rechtsanwender jedoch die Möglichkeit eröffnet wird, den Inhalt der Rechtsnorm zu korrigieren, schlimmstenfalls sogar zu definieren. Hierdurch ist keine klare Unterscheidung von Auslegung und Rechtsfortbildung mehr möglich.49 Eine zeitgemäße Antwort aus einem Gesetz zu finden ist nur möglich, wenn das Gesetz für entsprechende Fälle auch konzipiert war. Andernfalls ist lediglich durch eine schöpferische Geistestätigkeit im Sinne einer interpretativen Normsetzung ein entsprechendes Ergebnis konstruierbar.50 Ausgelegt kann nur werden, was sich von vornherein „im“ Gesetz befunden hat. Als Konsequenz dessen droht die notwendige demokratische 41

Ipsen, in: FS Starck, S. 267. Weswegen nach der objektiven Sichtweise der historischen Auslegungsmethode keine oder nur sehr geringe Bedeutung zukommt. 43 Rüthers, Rechtstheorie, S. 452. 44 BVerfGE 36, 342, 362. 45 Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 125. 46 Mit Einschränkungen gilt dies auch für das Bundesverfassungsgericht, vgl. Hesse, JZ 1995, S. 266. 47 Rüthers, Rechtstheorie, S. 460. 48 Rüthers, Rechtstheorie, S. 453. 49 Rüthers, Rechtstheorie, S. 460. 50 Rüthers, Rechtstheorie, S. 461. 42

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

Legitimation (die oben als Grundlage (!) des Verfassungsstaates bezeichnet wurde) zu entfallen. Dies geschähe zunächst durch die angesprochene inhaltliche Veränderung des Gesetzes. Zudem ist für das erlassene Gesetz nur der historische Gesetzgeber mit dem von ihm intendierten Gesetzeszweck legitimiert. Wird nun in das vorhandene Gesetz ein neuer Inhalt „hineingelegt“, „kann es zu dem eigenartigen Vorgang kommen, daß zunächst die Geltung der Norm auf die spezifische Legitimation des Normgebers gestützt, sodann der Normtext für allein maßgeblich erklärt wird, für die (Neu-)Interpretation aber gleichwohl die Legitimation des für unerheblich erklärten Normgebers in Anspruch genommen wird.“51 Mit anderen Worten wird die durch den vom historischen Gesetzgeber beabsichtigten Normzweck legitimierte Worthülse verwendet, um ihr einen neuen, aktualisierten Inhalt zu geben. Dieser Inhalt wird jedoch nicht erneut (etwa durch eine Gesetzesnovelle) durch die Legislative erlassen und dadurch legitimiert, sondern schlicht durch den Interpreten unter Berufung auf die ursprüngliche Legitimation des Gesetzgebers verwendet und angewendet. Die objektive Auslegung fördert also den subjektiven Regelungswillen des Rechtsanwenders zutage52, wenn sie vom ursprünglichen Regelungszweck abweicht. Daraus ergibt sich zudem das Problem der fehlenden Kontrollierbarkeit der durch die objektive Sichtweise gefundenen Ergebnisse.53 Während es nach der subjektiven Theorie nur einen Gesetzeszweck, nämlich den durch den Gesetzgeber gewollten, geben kann, sind nach der objektiven Theorie die verschiedensten Inhalte denkbar. Grenze für die möglichen (neuen) Inhalte eines Gesetzes kann nur der Wortlaut des Gesetzes sein, dessen objektiver Inhalt zu ermitteln ist. Lediglich was von diesem nicht gedeckt ist, muss zwingend als nicht von dem entsprechenden Gesetz umfasst angesehen werden.54 Wenn jedoch alles, was mit dem Wortlaut der Verfassung vereinbar ist, verfassungsrechtlich legitimiert ist, dann folgt daraus, dass verfassungsrechtlich nicht mehr der Weg zum allein richtigen Ergebnis (= Methodik) entscheidend ist, sondern allein, ob sich das Auslegungsergebnis noch im Rahmen des sprachlich Möglichen hält.55 Das Bundesverfassungsgericht sei infolgedessen nicht mehr „Hüter der Verfassung“, sondern „Hüter des Wortes“,56 wenn es doch lediglich seine Aufgabe sei, die möglichen Sinngehalte der Verfassung zu hüten.57 Ob dazu nicht „philologisch geschulte Germanisten“ 58 besser berufen wären, ist eine berechtigte Frage. 51

Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 43. Rüthers, Rechtstheorie, S. 453. 53 Was im Ergebnis zu einem größeren Spielraum für die Auffassungen des Rechtsanwenders führt. Vgl. dazu Rüthers, Rechtstheorie, S. 457 ff. Zur geschichtlichen Betrachtungsweise des Problems, Rüthers: „Wir denken Rechtsbegriffe um . . .“ 54 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 25 ff. 55 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 47. 56 So Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 49 ff. 57 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 50. 58 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 50. 52

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Welche Perspektive ist also dem Auslegungsvorgang zu Grunde zu legen? Es muss klar sein, dass eine rein objektive Betrachtungsweise aufgrund der genannten Kritikpunkte, speziell wegen der zweifelhaften demokratischen Legitimation und dem dadurch drohenden Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip, nicht herangezogen werden kann. Aber auch die rein subjektive Sichtweise vermag nicht allen Anforderungen zu genügen. Gerade aufgrund der Vielzahl von existierenden Normen wäre es gänzlich unpraktikabel, müsste der Gesetzgeber bei jeglicher Veränderung, die bei Normerlass noch nicht absehbar war, tätig werden. Gleiches gilt im Falle eines Streits um einen Umstand, dessen sich der Gesetzgeber bei Normerlass nicht bewusst war, der jedoch ohne weiteres vom Normtext gedeckt wäre. Im Ergebnis sind beide Ansichten zu kombinieren59, denn „das Gesetz lässt sich nicht als Kind des Gesetzgebers leugnen, aber es ist ein Kind, das in der Zukunft lebt, sogar mit dem Willen seines Schöpfers; denn der Gesetzgeber will seine Normen in die Zeit hinein angewendet wissen.“60 Die schon mehrfach genannten Grundsätze der Demokratie, der Gewaltenteilung und der richterlichen Gesetzesbindung verlangen zunächst die Berücksichtigung der vorhandenen gesetzlichen Wertungen.61 Zu ermitteln ist also zunächst die Wertung beziehungsweise der Wille des historischen Gesetzgebers.62 Aufgrund der mangelnden Flexibilität und der Unpraktikabilität ständiger Gesetzesänderungen ist jedoch nicht starr an der historischen Vorgabe festzuhalten, um durch eine „zeit- und folgengerechte Aufschließung der Kompetenznormen des Grundgesetzes eine befriedigende Beantwortung der staatspraktischen Alltagsfragen zu ermöglichen und an der Weiterentwicklung der Verfassung zu arbeiten.“63 Den Gesetzestext nun aber gänzlich losgelöst von seinem Schöpfer zu betrachten, würde zum Verlust demokratischer Legitimation führen. Deshalb sind die historischen Wertungen als Grundlage nach wie vor wichtig. Auf dieser Basis (und nur auf dieser) kann dann ermittelt werden, ob der historische Gesetzestext auch ohne ausdrückliche Erwägung und Erwähnung damals absehbarer Entwicklungen durch den historischen Gesetzgeber auf aktuelle Fälle und Entwicklungen anwendbar ist.64 Bei dieser 59 Dem entsprechend: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 125. Ebenso Rüthers, Rechtstheorie, S. 465; Sendler, in: FS Kriele, S. 472. 60 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 125. 61 Rüthers, Rechtstheorie, S. 460. 62 Rüthers, Rechtstheorie, S. 460. 63 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 413. 64 Siehe hierzu auch die Ausführungen im Bereich der teleologischen Auslegung und im Bereich der Gewichtung der Auslegungsmethoden als „Ausführung“ des hier Postulierten. Depenheuer formulierte dies für den Fall der Verfassungsinterpretation: „[. . .] der Interpret muß die Verfassung zur Sprache und praktisch zur Anwendung bringen. Als solches ist es in erster Linie ein umgekehrtes Kommunikationsproblem, eine Decodierungsaufgabe: es muß die zeitliche und sachliche, sprachliche und kontextuelle Differenz von Normsetzer und Anwender überbrücken und kompensieren“ (Depenheuer,

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

Feststellung müssen jedoch unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, abhängig davon, wie lange ein bestimmtes Gesetz schon in Kraft ist. Bei sehr alten Gesetzen ist die Feststellung der Anwendbarkeit sicher schwieriger zu begründen als bei jüngeren. Zudem ist bei der Auslegung einfachen Gesetzesrechts zu beachten, dass dies durch den (aktuellen) Gesetzgeber – wohlgemerkt in Einzelfällen – relativ zügig geändert werden kann. Läuft also eine gewisse Interpretation oder Anwendungspraxis dem Interesse des Gesetzgebers zuwider, hat er die Möglichkeit das Gesetz demokratisch legitimiert zu ändern. Anders zu behandeln ist die Auslegung von Verfassungsrecht. Die hier nötige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat65 ist wesentlich schwieriger herzustellen als die einfache Mehrheit bei einfachen Gesetzen. Dem Verfassunggeber ist damit ein verfassungsänderndes Entgegenwirken nicht in gleichem Maße möglich wie dem einfachen Gesetzgeber. Als Folge daraus ist im Bereich der einfachgesetzlichen Auslegung jüngerer Gesetze wohl größere Flexibilität gegeben als bei der Auslegung von älteren Gesetzen und Verfassungsrecht. Jedoch bleibt auch bei einer relativ flexiblen Handhabung der Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung klar, dass „die Summe der vorhandenen gesetzlichen Regelungen [. . .], wie die Erfahrung in allen überschaubaren Verfassungsepochen gezeigt hat, immer unvollständig [ist].“66 Kann eine zu behandelnde einfachgesetzliche Regelung daher nicht, auch nicht durch die oben aufgezeigte Art der Auslegung, auf den zu lösenden Streitfall angewendet werden, so muss klar gemacht werden, dass es sich in diesem gesetzlich nicht geregelten Bereich um eine Form von (richterlicher) Rechtsfortbildung handelt. Legitimationsgrundlage67 ist dann nicht mehr das Gesetz selbst – der Interpret kann in diesem Bereich nicht auf die Verantwortlichkeit des Normgebers verweisen68 – sondern die durch den Anwender aufgestellte Analogie, die dementsprechend ei-

in: FS Kriele, S. 488). Dies stützend BVerfGE 82, 6 (12): „Die tatsächliche oder rechtliche Entwicklung kann eine bis dahin eindeutige und vollständige Regelung lückenhaft, ergänzungsbedürftig und zugleich ergänzungsfähig werden lassen. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Lückensuche und -schließung findet ihre Rechtfertigung unter anderem darin, daß Gesetze einem Alterungsprozeß unterworfen sind. Sie stehen in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern kann [. . .]. In dem Maße, in dem sich auf Grund solcher Wandlungen Regelungslücken bilden, verliert das Gesetz seine Fähigkeit, für alle Fälle, auf die seine Regelung abzielt, eine gerechte Lösung bereit zu halten. Die Gerichte sind daher befugt und verpflichtet zu prüfen, was unter den veränderten Umständen ,Recht‘ im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG ist.“ Für einen Ausgleich von „Innovation und Beharrung“ spricht sich auch Bethge, in: Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, Rdnr. 7, aus. 65 Vgl. Art. 79 II GG. 66 Rüthers, Rechtstheorie, S. 462. 67 Hier zu verstehen als Legitimationsgrundlage für die Entscheidung des Rechtsanwenders. 68 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 11.

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nes größeren Begründungsaufwandes bedarf69 als die reine Rechtsanwendung durch Subsumtion.70 Auch gesetzlich nicht geregelte Fälle müssen gelöst werden. Durch das beschriebene Vorgehen lässt sich dies bei zusätzlicher Gewinnung größerer Methodenehrlichkeit verwirklichen.71 Im Vorgriff muss hier erwähnt werden, dass gleiches für den Fall gilt, in dem die grundgesetzliche Kompetenzverteilung nicht eindeutig ist. Auch hier sollte nicht durch eine verschleiernde Auslegung und die dadurch entstehende Aus- beziehungsweise Überdehnung der Auslegungsmittel die entstandene Konkurrenz unterdrückt, sondern durch ausdrückliche Analyse die Konkurrenz aufgelöst werden. Der konkrete Vorgang der Prüfung, ob eine Fallgestaltung von einem Gesetz noch gedeckt ist oder nicht, erfolgt grundsätzlich anhand der hergebrachten Auslegungsregeln. Der hier behandelte Bereich legt insoweit, wie die alleinige subjektive und die alleinige objektive Theorie auch, lediglich die grundlegende Perspektive fest. Nichtsdestotrotz wirkt sich dies auch auf den konkreten Vorgang der Auslegung aus. Hierdurch sind neben der grundlegenden Perspektive die Gewichtung und die Reihenfolge der verschiedenen Auslegungsmethoden determiniert. Die zugrunde zu legende Perspektive ist (muss) eng mit der Herangehensweise der Auslegung verknüpft (sein).

II. Allgemeine Auslegungsmethoden 1. Darstellung der allgemeinen Auslegungsmethoden Mittels der soeben dargestellten Perspektive ist es nach dem bisher Gesagten im Rahmen der kompetenziellen Qualifizierung also Aufgabe der Auslegung, zum einen der verfassungsrechtlichen Kompetenznorm schärfere Konturen zu geben, zum anderen, falls ein Sachverhalt schon durch ein Gesetz geregelt ist, dessen Sinn und Zweck zu beschreiben. Zentrales Element ist somit die Zweckermittlung der wie auch immer gearteten Regelung. Grundsätzlich gelten für alle derartigen Auslegungsvorgänge zunächst die hergebrachten Auslegungsgrundsätze. Zu nennen sind die Elemente der grammatischen, logischen, historischen und der systematischen Auslegung, welche auf Friedrich Carl von Savigny zu69 Rüthers, Rechtstheorie, S. 463. Zumindest muss eine planwidrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage festgestellt werden. Des Weiteren ist zu klären, ob die Lücke bewusst oder unbewusst existiert. Vgl. dazu auch Vogel, Juristische Methodik, S. 133 ff. 70 Dazu auch BVerfGE 82, 6 (12 f.): „Die Methode der Analogie [. . .] geht zwar über die Auslegung im engeren Sinne hinaus, indem sie den Anwendungsbereich einer Norm auf den Fall erstreckt, der von ihrem Wortlaut nicht erfaßt wird. Diese Rechtsfortbildung geschieht jedoch innerhalb des [. . .] verfassungsrechtlichen Rahmens, [wenn] aus den Wertungen des Gesetzes entnommen [und ausführlich begründet wird], ob eine Lücke besteht und in welcher Weise sie geschlossen werden soll.“ 71 Rüthers, Rechtstheorie, S. 463 f.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

rückgehen72 und bis heute73 als gültig angesehen werden.74 Zusätzlich findet die genetische, komparative und teleologische Auslegung Beachtung.75 Die genannten Bezeichnungen sind nicht immer eindeutig. So werden teilweise mehrere Methoden unter einer Bezeichnung zusammengefasst. Ebenso tauchen unterschiedliche Formulierungen auf, die jede für sich, dieselbe Auslegungsmethode beschreibt.76 Neben den hergebrachten Auslegungsmethoden wird dann auch auf den Ansatz einzugehen sein, nachdem die sogenannten ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes, die Kompetenz kraft Sachzusammenhang, die Annexkompetenz und die Kompetenz kraft Natur der Sache77 nicht als vollwertige eigenständige Kompetenzen verstanden werden, sondern lediglich als Auslegungsmittel für eine bestehende (geschriebene) (Bundes-)Kompetenz. Die folgende Darstellung geht auch hier notwendigerweise nur in einem für die kompetenzielle Qualifizierung nötigen Rahmen auf die sich stellenden Probleme ein. a) Auslegung nach dem Wortlaut Jede Auslegung wird mit dem grammatischen Element, dem Wortsinn, beginnen.78 Er zieht die Grenze für die durch die Auslegung überhaupt möglichen Ergebnisse,79 zugleich ist er Ausgangspunkt für die Sinnermittlung.80 Grundsätzlich muss gelten: „Eine Deutung, die nicht mehr im Bereich des möglichen Wortsinns liegt, ist nicht mehr Ausdeutung [Auslegung], sondern wäre Umdeutung.“81 Diese Gefahr der Umdeutung bergen jedoch die oben aufgeführten Probleme der kompetenziellen Qualifizierung im Bereich der Auslegung, also die argumentative Beeinflussung der einzelnen Auslegungsmethoden, wie auch die unterschiedliche Gewichtung der Auslegungsmethoden durch die genannte subjektive Kom72

Rüthers, Rechtstheorie, S. 415. Mit durchaus unterschiedlichen Modifizierungen und Ergänzungen, vgl. beispielsweise Schneider, in: FS Stern, S. 905; Gast, Juristische Rhetorik, S. 261 ff. 74 Rüthers, Rechtstheorie, S. 402 mit weiteren Nachweisen. Gast, Juristische Rhetorik, S. 248; Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Einführung, Rdnr. 38. 75 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 126. 76 Rüthers, Rechtstheorie, S. 402 ff. Siehe hierzu auch die Behandlung von logischer, grammatischer und systematischer Auslegung einerseits und der historischen und genetischen Auslegung andererseits. 77 Auch inwieweit die einzelnen ungeschriebenen Kompetenzen eigenständig oder deckungsgleich sind, wird dann zu klären sein. 78 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 320. „Der Ausleger hält sich an das, was er besitzt, ,in den Händen hält‘: zuallererst ein Textstück aus dem Gesetzbuch“ (Gast, Juristische Rhetorik, S. 240). 79 Gast, Juristische Rhetorik, S. 248. Kritisch dazu Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze. 80 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 322. 81 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 322. 73

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ponente.82 „Ein Gesetzesstaat, wie die Bundesrepublik Deutschland einer ist83, sieht sich also immer der Gefahr gegenüber, ein Staat der Interpreten zu werden.“84 Als (objektiver) Fixpunkt85 bleibt allein der Wortlaut des auszulegenden Gesetzes.86 Innerhalb dieser Wortlautgrenze87 sind allerdings durchaus unterschiedliche88 Wortverständnisse denkbar. Ist dies im Rahmen einer Auslegung der Fall, so hat grundsätzlich der speziellere Sprachgebrauch Vorrang vor dem allgemeineren.89 Bei der Auslegung einfachen Gesetzesrechts wird daher die Suche nach einer gesetzlichen Definition einzelner Ausdrücke, die hier das speziellste Element darstellt, am Anfang stehen. Für auszulegendes Verfassungsrecht hingegen mag dies schwierig werden. Findet sich nämlich in der Verfassung 82

Siehe oben unter 1. Teil B. I. Dies zeigen allein die Artikel 1 III und 20 III des Grundgesetzes. 84 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 2. 85 Für eine entsprechende Gewichtung des Wortlautes spricht auch die Notwendigkeit der Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes nach Art. 79 I 1 GG für den Fall einer Grundgesetzänderung, vgl. Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Einführung, Rdnr. 40. 86 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 3. 87 Ob eine derartige Grenze starr besteht und ob sie überhaupt oder nur mittels einer Analogiebildung überwunden werden kann, ist fraglich. Den Wortlaut als absolute Grenze der Interpretation zu sehen, macht nur für die Vertreter der objektiven Theorie Sinn. Nach der subjektiven Theorie bedarf es keiner Grenze, da ohnehin nur der eine Wille des historischen Gesetzgebers zu ermitteln wäre. Den Wortlaut als Grenze für verschiedene Interpretationsmöglichkeiten anzusehen, wäre demnach sinnlos. Jedoch muss insgesamt an der Fähigkeit des Wortlauts gezweifelt werden, eine vernünftige Grenze für mögliche Inhalte einer Norm zu ziehen. Wären doch verschiedenste Inhalte einer Norm denkbar, die zumindest noch dem Wortlaut entsprechen. Das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassungsinhalte wäre somit (nur noch) Hüter der Bedeutungsinhalte (Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 50). Zur Wortlautgrenze „mit all ihren möglichen Bedeutungen“ ebenfalls in sehr weitem Sinne vgl. Schneider, in: FS Stern, S. 905. Kritisch zur Bezeichnung des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung äußert sich Häberle, JöR 45 (1997), S. 92 und 101. Als zentrales Element bleibt somit der Gesetzeszweck bestehen. Diesen gilt es, auf Grundlage der Auffassung des historischen Verfassunggebers jedoch unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen zu ermitteln. Die oben gefundenen Ergebnisse im Bereich der Auseinandersetzung zwischen subjektiver und objektiver Theorie gelten, da sie die der Auslegung zu Grunde liegende Perspektive bezeichnen, als logische Konsequenz auch hier. Insoweit ist der Interpretationstopos des Wortlauts als Grenze zu verabschieden. Dem entsprechend auch Rüthers, Rechtstheorie, S. 423, der sich für die Ermittlung des Normzwecks als zentralen Punkt ausspricht und gegen übertriebenen Buchstabengehorsam angeht. 88 Zum Verständnis der „Verfassung als öffentlichen Prozeß“, der „Verfassung des Pluralismus“ und der „offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“ bei Häberle, JöR 45 (1997), S. 97, 99, 103 sowie bei Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß. Zwar besteht durchaus die Möglichkeit unterschiedlicher Interpretationen. Der von Häberle vertretenen Ansicht, nach der sich der Kreis der Interpreten stark erweitert, muss entgegengehalten werden, dass dadurch der Rahmencharakter der Verfassung gänzlich verschwimmen würde. Vgl. weiterführend zu dementsprechender Kritik Starck, in: HdBStR VII, S. 205 f. 89 Gast, Juristische Rhetorik, S. 249. 83

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

selbst keine entsprechende Definition, so darf man nur in begrenztem Maße auf einfachgesetzliche Definitionen (falls vorhanden) zurückgreifen, will man nicht eine Verfassungswirklichkeit schaffen, die stark durch einfachgesetzliche Wertungen geprägt ist.90 Wurde keine treffende Definition gefunden, so ist in einem zweiten Schritt der Wortsinn mittels einschlägiger Fachsprachen zu suchen. Dies mag im Regelfall die juristische Terminologie sein, einzelne Begriffe können jedoch durchaus auch auf Fachsprachen anderer Herkunft verweisen.91 Zuletzt92 ist der allgemeine Sprachgebrauch ausschlaggebend.93 Da es die Auslegung nach dem Wortlaut jedoch im Zweifel nur vermag, die Grenzen einer möglichen Bedeutungsmehrheit zu bestimmen, müssen zu dieser andere Elemente hinzutreten. Selbst wenn man von dem Umstand ausgeht, der Gesetzestext ließe nur ein spezielles Verständnis zu, so wäre ein derartiger Wortlaut in dem Maße abstrakt und konturlos, sodass der Inhalt für den konkreten Fall zu vage wäre und eine zufriedenstellende Gesetzesanwendung, in unserem Fall eine kompetenzielle Zuordnung, daher nicht möglich wäre.94 Zur Auslegung nach dem Wortlaut müssen daher noch andere Auslegungskriterien hinzutreten, die die Möglichkeiten des Wortlauts weiter bis zum konkreten Sinn und Zweck der Norm eingrenzen.95 b) Systematische Auslegung Geeignet erscheint hier die Betrachtung des Sachzusammenhangs, in dem der jeweils auszulegende Begriff gebraucht wird.96 Das auszulegende Wort befindet sich in dem größeren System eines Satzes, dieser wiederum ist Teil eines Paragraphen, während dieser Element eines Gesetzeswerkes ist.97 Die Betrachtung des auszulegenden Wortes in der Systematik der jeweils höheren Ebenen ist Inhalt der systematischen Auslegungsmethode.98 In der jeweiligen Einordnung ei90 Hierzu Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Auch hier spiegeln sich die obigen Feststellungen wieder, die im Rahmen des „Blickwinkels des Detaillierungsbestrebens“ und im Rahmen der Behandlung von subjektiver und objektiver Theorie getroffen wurden: Verfassungsrecht ist als Grundordnung weniger flexibel als einfaches Gesetzesrecht und darf aufgrund dessen auch nicht zu sehr von einfachgesetzlichen Wertungen geprägt werden. Aufgrund dessen gelten für die Auslegung von Verfassungsnormen auch Besonderheiten, auf die noch einzugehen sein wird. 91 Gast, Juristische Rhetorik, S. 249. 92 Für eine entsprechende Dreiteilung ist auch Vogel, Juristische Methodik, S. 114. 93 Vogel, Juristische Methodik, S. 115; Gast, Juristische Rhetorik, S. 249. 94 Depenheuer, Der Wortlaut als Grenze, S. 4 f. mit weiteren Nachweisen. 95 Gast, Juristische Rhetorik, S. 249. 96 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 324, 328. 97 Gast, Juristische Rhetorik, S. 249. 98 Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Einführung, Rdnr. 42. Natürlich ist das Wortumfeld auch bei der grammatischen Auslegung von Nöten. Erst aufgrund der Umstände wird sich ergeben, ob das Wort im juristischen Sinne zu verstehen ist oder ob es ledig-

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ner Regelung in ein bestehendes System spiegelt sich zudem in gewissem Maße die Intention des historischen Gesetzgebers wider. Durch die systematische Betrachtung kann beispielsweise (freilich mit unterschiedlicher Aussagekraft) darauf geschlossen werden, ob der Gesetzgeber tendenziell ein weites oder ein enges Verständnis der auszulegenden Norm zu Grunde gelegt hat.99 Es sind also der Kontext, in dem die auszulegende Bestimmung verwendet wird, die sachliche Übereinstimmung der Bestimmungen innerhalb einer Regelung, ferner die Berücksichtigung der äußeren Anordnung des Gesetzes und der ihr zugrunde liegenden begrifflichen Systematik zu beachten.100 Den letzten beiden Punkten kommt jedoch nur ein begrenzter Wert für die Auslegung zu.101 So lassen sich Regelungskomplexe finden, die nicht in bestehende begriffliche Systeme eingeordnet werden können.102 Als allumfassendes, letztes System besteht die Verfassung. Gesetze dürfen nur in verfassungskonformer Weise erlassen werden. Dies gilt im formellen Bereich, zu dem die hier zu behandelnden Gesetzgebungskompetenzen gehören, genauso wie im materiellen Bereich, in dem der gesetzliche Inhalt auf die Verfassungsgemäßheit hin überprüft wird. Auch die Auslegung bestehender Gesetze wird hiervon berührt. Verfassungswidrige Auslegungsergebnisse sind per se unbeachtlich. Einfache Gesetze sind daher verfassungskonform auszulegen.103 Dieser letzte Schritt der verfassungskonformen Auslegung mag hauptsächlich für die Fälle gelten, in denen man durch die sonstige systematische Betrachtung noch zu keinem Ergebnis gefunden hat. Aber auch in den Fällen, in denen die systematische Betrachtung bereits ein Ergebnis herbeiführt, ist die Verfassungskonformität stets zu berücksichtigen, denn verfassungswidrige Ergebnisse sind, wie dargestellt, per se nichtig. Die entsprechende Betrachtung ist jedoch wiederum zu modifizieren, wenn Normen des Verfassungsrechts ausgelegt werden. Handelt es sich um die Auslegung einer Verfassungsnorm – wie es bei Kompetenznormen der Fall ist – so wäre die verfassungskonforme Auslegung schon in sich widersprüchlich. Es kann kein Teil eines bestehenden Systems systemkonform ausgelegt werden, da er bereits Teil des Systems ist. Auslegungsgegenstand und Auslegungsmaßstab lich Bedeutung in übertragenem Sinne hat. Ein völlig isoliertes Wort ohne jeglichen Kontext ist nicht richtig oder gar nicht verstehbar (Gast, Juristische Rhetorik, S. 249; ebenso Vogel, Juristische Methodik, S. 116). 99 Für ein weites Verständnis spricht beispielsweise die Einordnung im allgemeinen Teil eines Regelungswerkes, für ein enges Verständnis die Platzierung in Ausnahmevorschriften. Zur Analogiefähigkeit Letzterer vgl. Würdinger, JuS 2008, S. 949 ff. 100 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 328. 101 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 326 ff. 102 Ein Beispiel hierzu findet sich bei Larenz für den Bereich des Sachenrechts (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 326 f.). 103 Siehe hierzu bereits die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 2, 266 (282). Später BVerfGE 64, 229 (242); 69, 1 (55); 74, 297 (299, 345, 347); 88, 203 (331).

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

wären dadurch gleichartig. Die Auslegung wäre gegenstandslos. Zusätzlich wird die systematische Auslegung der Gesetzgebungskompetenzen durch die inhomogene Festschreibung104 der einzelnen Kompetenztitel erschwert. Nichtsdestotrotz können auch hier gewisse systematische Anknüpfungspunkte bestehen. Zum einen soll die Wortgleichheit mit Verfassungsnormen außerhalb der Kompetenzordnung105, zum anderen die Gruppenbildung mehrerer in verschiedenen Titeln beheimateter Materien Beachtung finden.106 Die systematische Auslegung kann hier demzufolge dahin gehen, dass ein möglichst homogenes Bild, eine Einheit entsteht. Auch ist es möglich, die verschiedenen Teilbereiche der Verfassung zu einer systemgerechten Auslegung eines Begriffs heranzuziehen. Die Besonderheit ergibt sich also daraus, dass die Verfassung an sich schon das umfassendste System unserer Rechtsordnung ist.107 Ein Abgleich mit höherrangigen Systemen wie etwa bei einem Wort mit dem ihn umfassenden Satz oder bei einem einzelnen Paragraphen mit dem gesamten Gesetzeswerk muss hier also zwingend entfallen. Gleiches gilt für die verfassungskonforme Auslegung des Verfassungsrechts. c) Logische Auslegung Während die grammatische Interpretation den Wortsinn erforscht, ist es Aufgabe der logischen Auslegungsmethode, den Textsinn zu ermitteln.108 Im Ergebnis kommt der logischen Methode neben der grammatischen und systematischen Auslegung jedoch keine besondere Bedeutung zu.109 Der Textsinn geht ebenfalls vom Sinn der ihn bildenden Worte aus. Veränderungen oder unterschiedliche Verständnisse des Textes, die durch unterschiedlichen Sprachgebrauch – etwa durch Fachsprachen110 – hervorgerufen werden, sind von der grammatischen 104

Dazu bereits oben unter 1. Teil B. II. 2. Als Beispiel kann die Erwähnung des Begriffs der Freizügigkeit in Art. 73 I Nr. 3 GG und in Art. 11 I GG genannt werden. 106 Dazu auch Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 79. Hier sei jedoch darauf verwiesen, dass auch diese nur einzelne Indizien darstellen kann. Eine (wie auch immer begründete) Pflicht identischer Auslegung von Kompetenznormen und anderweitig verfassungsrechtlich erwähnten wortlautidentischen Begriffen besteht nicht. 107 Unter anderem daraus resultiert auch der hohe Abstraktionsgrad der Verfassungsnormen (vgl. dazu oben) und die zu beachtenden Besonderheiten bei der Auslegung. 108 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 125. 109 Dies sei schon vorab als Hinweis zu verstehen, dass die einzelnen Auslegungsmethoden ohnehin nicht für sich alleine stehen können, sondern immer in der Zusammenschau mit den anderen Methoden zu sehen sind. Vgl. hierzu auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 328. Auch die grammatische Auslegung kann, wie gezeigt, nicht ohne eine gewisse systematische Betrachtung bestehen. So auch Gast, Juristische Rhetorik, S. 249. 110 Anders Stern, der die Auswirkung der juristischen Fachsprache hier gesondert untersucht (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 126). 105

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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Auslegung erfasst. Abweichende Textbedeutungen durch das Zusammenwirken mit anderen Regelungswerken oder durch die Stellung der auszulegenden Norm in Regelungskomplexen oder der Rechtsordnung allgemein werden durch die systematische Auslegung erfasst. Die logische Veränderung eines Wort- oder Textsinnes wird daher bereits durch die genannten Auslegungsmethoden erfasst. Eines eigenen, selbständigen Kriteriums bedarf es daher nicht.111 d) Historische Auslegung im engeren und weiteren Sinne Ziel der Auslegung ist die Ermittlung des Normzwecks. Wie bereits erörtert, ist hierbei von dem Willen des historischen Gesetzgebers112 auszugehen. Zur Ermittlung dessen ist wiederum ein Blick auf die jeweiligen Umstände und die Situation hilfreich, in der die auszulegende Norm entstanden ist. Hiervon können wichtige Anhaltspunkte für das vom Gesetzgeber Gewollte abgeleitet werden.113 Der historische Blickwinkel ermöglicht daher zweierlei: Zum einen kann der Interpret Informationen über die Absichten des historischen Gesetzgebers einholen, zum anderen kann das bisher durch anderweitige Auslegungsmethoden gefundene Ergebnis an den historischen Regelungsabsichten „kontrolliert“ werden.114 Zu unterscheiden sind jedoch zwei Arten von historischen Umständen, aus denen sich auch für die Auslegung die Notwendigkeit unterschiedlicher Betrachtung ergibt. aa) Historische Auslegung im weiteren Sinne Die historische Auslegung im weiteren Sinne greift beispielsweise auf Vorläufer des jetzt auszulegenden Gesetzes zurück, sie betrachtet also die frühere Rechtslage. Soweit Vorgängerregelungen mit aktuellen Regelungen übereinstimmen, kann dies als Indiz für die inhaltliche Identität von alter und neuer Regelung sprechen. Die so ermittelten Übereinstimmungen finden unter dem Stichwort der „kompetenziellen Kontinuität“115 Beachtung im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen. Übereinstimmung der Regelungen der Art. 73, 74 GG mit den Vorgängern in der Weimarer Verfassung und (teilweise) der Reichsverfassung von 1871 können demnach für eine Auslegung der Vorschriften des Grundgesetzes im Lichte der historischen Vorgängerregelungen sprechen.116 Deutlich 111

So auch Rüthers, Rechtstheorie, S. 405. Unter Gesetzgeber kann hier ebenso der Verfassunggeber verstanden werden. 113 Schneider, in: FS Stern, S. 907. So auch Sendler, in: FS Kriele, S. 472. 114 Schneider, in: FS Stern, S. 917. 115 Vgl. BVerfGE 2, 213 (220 ff.); 3, 407 (414 f.); 7, 29 (44). Die kompetenzielle Kontinuität als wichtiges Gut erachtend auch Jarass, NVwZ 2000, S. 1089. 116 Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 252 ff., 265. Mit dem Beispiel des kompetenzrechtlichen Verständnisses des Gewerbebegriffs im Rahmen des Art. 74 I Nr. 11 GG Jarass, NVwZ 2000, S. 1089. 112

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

gemacht sei jedoch, dass derartigen Vergleichen grundsätzlich lediglich eine Indizwirkung zukommen kann. Starke Gewichtung derartiger historischer Aspekte würde zu statischen und für eine moderne Entwicklung wenig bis gar nicht offenen Ergebnissen führen.117 Zudem müssen die jeweiligen Eigenständigkeiten der verschiedenen bundesstaatlichen Ordnungen berücksichtigt werden: „Ein Rückgriff auf andere Ordnungen bedarf der Rechtfertigung und muß den Beweis erbringen, daß die interpretatorisch ermittelte Kompetenzzuweisung den tragenden Elementen der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes entspricht.“118 bb) Historische Auslegung im engeren Sinne Während bei der historischen Betrachtung im weiteren Sinne also eher die frühere Rechtslage mit der bestehenden verglichen wird, stehen bei der historischen Auslegung im engeren Sinne Umstände aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes im Mittelpunkt.119 Dies sind etwa Protokolle der Gesetzesberatung, Stellungnahmen, Einwände, Verteidigungen oder Kommentare von Beteiligten.120 Während der logischen Auslegungsmethode neben der systematischen und der grammatischen keine eigenständige Bedeutung zukommt, werden die historische Auslegungsmethode im weiteren und im engeren Sinne zwar oftmals unter dem Begriff der historischen Auslegung zusammengefasst121, beide haben aber, wie dargestellt, deutlich unterschiedliche Betrachtungen zum Gegenstand. Da es sich also um zwei verschiedene Aspekte handelt, sollten122 beide getrennt werden.123 Dies auch deshalb, da sowohl der historischen Betrachtung124 als auch der genetischen Auslegung125 bei der kompetenziellen Qualifizierung große Bedeutung126 zukommt.127 117 Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 252 ff., 265; Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze, S. 42 ff. 118 Wolfrum, DÖV 1982, S. 676. Ähnliches hat auch im Rahmen der komparativen Auslegung zu gelten. 119 So auch Schneider, in: FS Stern, S. 905. 120 Gast, Juristische Rhetorik, S. 250. 121 Ein Hinweis darauf findet sich bei Schneider, in: FS Stern, S. 905. 122 Schneider, in: FS Stern, S. 905. 123 Dementsprechend wird im Folgenden zwischen historischer Auslegung im engeren und weiteren Sinne unterschieden. Für die historische Auslegung im engeren Sinne wird der Begriff der genetischen Auslegung verwendet werden, für die historische Auslegung im weiteren Sinne der Begriff der historischen Auslegung beibehalten. 124 Hierzu Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 265. 125 Da vom Willen des historischen Gesetzgebers auszugehen ist, eignet sich die genetische Auslegung hierfür besonders: Es können sich aus den Beratungen bei bzw. vor Gesetzeserlass Zweckbestimmungen oder Zielrichtungen eines Gesetzes ergeben; auch kann durch die Gesetzgebungsmaterialien auf das Verständnis einer speziellen Kompetenznorm geschlossen werden. „Dadurch fällt der genetischen Interpretation [. . .] gleichsam von der ,Natur der Sache‘ her eine gewisse Vorrangstellung zu“ (Schneider, in: FS Stern, S. 906).

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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Um jedoch eine möglichst verobjektivierte Sichtweise bezüglich der historischen und genetischen Auslegung zu gewährleisten, sind objektive Bedingungen für diese nötig.128 So ist immer der gesamte Entstehungsprozess129 einer Norm im Rahmen der genetischen und die ganze (rechtliche) Vorgeschichte im Bereich der historischen Auslegung zu betrachten. Die alleinige Beachtung einzelner Äußerungen oder die Auswahl nur bestimmter Materialien würde das Auslegungsergebnis verzerren. Ebenso müssen die entsprechenden Materialien „vor dem Hintergrunde des damaligen Sprachverständnisses130, der damaligen Lehre und Rechtsprechung, soweit die Verfasser des Gesetzes sie ausdrücklich übernehmen wollten oder ersichtlich von ihnen beeinflußt waren“131, „aus dem gesamten historischen Umfeld heraus verstanden und in ihrer Zeitbedingtheit wahrgenommen werden, bevor sie in eine rechtliche Argumentation eingebaut werden können“.132 Ähnlich wie im Bereich der Auslegung nach dem Wortlaut bedarf die juristische Arbeit hier der Hilfe anderer Wissenschaften133 (etwa der Hilfe von Historikern oder Sozialwissenschaftlern).134 Zudem müssen auch und gerade die von der Mehrheitsmeinung in der Gesetzesbegründung (oder Beratung) abweichenden Ansichten und Argumente berücksichtigt werden.135 Diese deuten je nach Gewicht und Vielfalt auf eine eher weite oder enge Interpretationsmöglichkeit der Norm hin. Neben dieser Indizwirkung zur Auslegungsweite bietet sich nur durch das Nachvollziehen des ganzen Beratungs- und Begründungsdiskurses die Möglichkeit, die nach der historischen und genetischen Auslegung gefunde126 Schneider, in: FS Stern, S. 904; Rengeling, in: HdBStR IV, S. 740. Im Grunde handelt es sich hierbei um die Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers. Vertreter der rein subjektiven Theorie werden demnach diese Auslegungsmethode(n) als die zentrale(n) Methode(n) betrachten. Auch nach der hier vertretenen Auffassung, wonach zunächst vom Willen des historischen Gesetzgebers auszugehen ist, um dann aktuellen Bezug herzustellen, liegt hierauf einiges Gewicht. 127 Umfangreiche kritische Stimmen zu diesem Kernaspekt des Streits um subjektive oder objektive Auslegungsperspektive sind sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur zu finden. Vgl. Schneider, in: FS Stern, S. 908 ff. Zum Ganzen Christensen, Was heißt Gesetzesbindung, S. 45 ff. Zur – im Gegenteil zur theoretischen Grundlage – tatsächlich teils starken Gewichtung der historischen Aspekte durch das Bundesverfassungsgericht jedoch später. 128 Schneider, in: FS Stern, S. 915. 129 Schneider bezeichnet dies als die „historische Gesamtschau“ (Schneider, in: FS Stern, S. 916). 130 Zur Wandelbarkeit des Sprachverständnisses vgl. § 5 Recht und Sprache bei Rüthers, Rechtstheorie, S. 100 ff., speziell S. 112 und 117 ff. 131 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 330. 132 Schneider, in: FS Stern, S. 916. 133 Zur interdisziplinären Berücksichtigung anderer Wissenschaften, mit dem Schwerpunkt auf den Sozialwissenschaften, siehe Lepsius, JZ 2005, 1 ff. 134 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 330; Schneider, in: FS Stern, S. 916. 135 Von Schneider als diskursive Gesamtschau bezeichnet (Schneider, in: FS Stern, S. 916 f.).

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

nen Ergebnisse sinnvoll in die gegenwärtige Diskussion zu übertragen. Die nur einseitige Betrachtung der historischen Mehrheitsmeinung würde also sowohl bei der historischen und genetischen Auslegung zu verfälschten Ergebnissen führen als auch die darauf folgende Übertragung des Ergebnisses in die Gegenwart erschweren. Gerade die Übertragung des gefundenen Ergebnisses in die Gegenwart birgt jedoch Schwierigkeiten. Zum einen ist unsicher, in welchem Umfang die gefundenen Ergebnisse an sich in die Gegenwart übertragbar sind, zum anderen ist die Gewichtung des gefundenen Ergebnisses im Zusammenspiel der verschiedenen Auslegungsmethoden fraglich. Mit Schneider136 sind drei Voraussetzungen für die Übertragbarkeit der Erwägungen des Gesetzgebers nötig: Erstes Kriterium stellt die „Problemanalogie“ dar. Nötig ist demnach „die Feststellung, daß die Schöpfer der Verfassung137 das aktuelle Rechtsproblem nicht nur erkannt und vorausgesehen haben, sondern es auch in einem nachvollziehbaren Sinne regeln wollten.“138 Als zweites muss „Konfliktkonvergenz“ bestehen. Neben dem Vergleich von Rechtspositionen im Bereich der Problemanalogie ist es hier nötig festzustellen, dass die aktuell bestehende Situation einer im Entstehungsprozess als regelungsbedürftig angesehenen Situation ähnelt.139 Drittes Kriterium ist die „Sinnkongruenz“. Hier muss betrachtet werden, ob den einzelnen Begriffen aktuell noch dieselbe Bedeutung innewohnt wie zur Zeit des Erlasses.140 Dies korrespondiert mit dem oben aufgeführten Erfordernis, dass die jeweiligen Normen nur unter dem jeweiligen Sprachverständnis und unter der jeweiligen Zeitbedingtheit verstanden werden dürfen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass (wie bereits oben im Bezug auf die der Auslegung zu Grunde liegenden Perspektive deutlich gemacht) dem subjektiven Willen des Gesetzgebers eine gewisse Ausgangsfunktion zukommt. Die maßgeblichen Umstände der Willensbildung festzustellen, ist Aufgabe der historischen und der genetischen Auslegungsmethode. Um jedoch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der „Wille des Gesetzgebers“ schwer feststellbar ist, wird es gerade im Bereich der genetischen Auslegung nötig, eine Art Zusammenschau anzustellen. Dies gilt sowohl für den historischen als auch für den diskursiven Bereich. Zur Gewährleistung einer sinnvollen Übertragung der gefundenen Ergebnisse in die Gegenwart ist zusätzlich die substanzielle Entsprechung anhand von Problemanalogie, Konfliktkonvergenz und Sinnkonvergenz festzustellen.

136 137 138 139 140

Schneider, in: FS Stern, S. 918 ff. Dies gilt in gleichem Maße für den einfachen Gesetzgeber. Schneider, in: FS Stern, S. 919. Schneider, in: FS Stern, S. 919. Schneider, in: FS Stern, S. 920.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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e) Komparative Auslegung Neben den bisher genannten Auslegungsmethoden können zusätzliche Aspekte für die Auslegung durch eine rechtsvergleichende Sichtweise gewonnen werden. Hierbei werden ähnliche Regelungskomplexe in anderen, vergleichbaren Rechtsordnungen gesucht und das zu behandelnde Regelungswerk mit dem der anderen Rechtsordnung verglichen.141 Je nach Handhabung des Problembereichs in der zu vergleichenden Rechtsordnung können so Parallelen gefunden werden, die einzelne Aspekte für die zu tätigende Auslegung liefern. Fundstellen für derartige Rechtsvergleiche müssen nicht zwangsläufig ausländische Rechtsordnungen sein. Auch der Vergleich von Bundes- und Landesverfassungen wäre hier möglich.142 Zwar hat die Rechtsvergleichung eher die Nutzung andersartiger Rechtserfahrung ohne direkte Einwirkung143 des fremden Rechtes auf die eigene Rechtsordnung zum Ziel.144 Die sich verstärkenden supra- und internationalen Verflechtungen, welchen sich der nationale Gesetzgeber zunehmend gegenüber sieht145, erhöhen jedoch auch das Gewicht grenzüberschreitender Zusammenhänge – hier des Vergleichs der deutschen Rechtsordnung mit der, anderer Staaten.146 Nichtsdestotrotz kommt der rechtsvergleichenden Methode im hier hauptsächlich zu behandelnden Verfassungsrecht nur eine geringe Bedeutung zu. Dies deshalb, da trotz aller Gemeinsamkeiten verschiedener Staaten doch jeder seine individuelle147 Geschichte und Entwicklung hat und die entsprechenden Normen somit durch eben diese Entwicklungen geformt und verstanden werden.148 In verstärktem Maße gilt dies für grundlegende Normen wie solche einer Verfassung. Diese sind gerade Ausfluss einer bestimmten landestypischen Entwicklung 141 Für die bundesstaatlichen Kompetenzstrukturen wurde dies von Michael Bothe durchgeführt (Bothe, Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in rechtsvergleichender Sicht). 142 Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Einführung, Rdnr. 44. Für den Bereich des einfachen Gesetzesrechts sind derartige Vergleiche zwischen Bund und Land nur in drei Fällen denkbar: Zum einen bei bestehender Gesetzeskonkurrenz und Annahme der Möglichkeit des Bestehens einer Doppelkompetenz, in Fällen der Abweichungsgesetzgebung nach Art. 72 III GG, wobei hier der Vergleich mit und die Orientierung an einer Regelung, von der gerade abgewichen werden soll, wenig Sinn machen dürfte. Zudem ist eine derartige Orientierung möglich, wenn Bund und Länder die sie betreffenden Bereiche jeweils selbst regeln wie beispielsweise bei Teilen des Beamtenrechts. 143 Zur Klarstellung: Gegenstand der hier angestellten Betrachtung ist also nicht primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht. Vielmehr steht hier der vergleichende Blick in andere Rechtsordnungen im Mittelpunkt. 144 Klein, in: FS Stern, S. 1301. 145 Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Einführung, Rdnr. 44. 146 So auch Häberle, JöR 45 (1997), S. 92. 147 Bezüglich der Bundesstaatseigenschaft der Bundesrepublik Deutschland Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 719. 148 „Bei aller Gemeinsamkeit der grundsätzlichen Struktur ist doch jeder [Staat] eine konkret-geschichtliche Individualität“ (Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 84).

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

und daher nur in äußerst begrenztem Maße der rechtsvergleichenden Auslegung zugänglich.149 Ähnliches muss für den Vergleich von Bundes- und Landesverfassungen gelten. Die Landesverfassungen sind geschaffen, um die Grundordnung kleinerer Einheiten zu sein. Der deutsche Föderalismus ist gekennzeichnet durch die Pluralität der Rechtskulturen der Länder.150 Sie haben die Möglichkeit, innerhalb der Homogenitätsanforderungen151 auf landestypische Besonderheiten einzugehen, während das Grundgesetz jedoch Grundordnung für den Staat der Bundesrepublik insgesamt sein muss und die Verhältnisse zwischen dem Bund und den Ländern zu regeln hat.152 Der rechtsvergleichende Blick eignet sich in diesem Bereich eher als Inspiration für Neuerungen und Verbesserungen als zur Auslegung bestehenden Rechts.153 f) Teleologische Auslegung „Normtexte sind Texte besonderer Art. Sie unterscheiden sich von literarischen, historischen, philosophischen Texten dadurch, daß sie etwas anordnen, was gelten soll. [. . .] Hinter jeder Rechtsnorm steht [also] ein rechtspolitischer Gestaltungswille der Normgeber, der auf bestimmte Zwecke und Ziele gerichtet ist.“154 Unabhängig von grammatischen, historischen oder systematischen Gesichtspunkten, ist es Aufgabe der teleologischen Auslegungsmethode, allein den Sinn und Zweck einer Norm zu ergründen.155 Zwar ist das Fernziel auch der anderen Auslegungsmethoden der Sinn und Zweck, die teleologische Auslegungsmethode hat dies jedoch als alleinigen Mittelpunkt. Es besteht somit kein eigener Anknüpfungspunkt, die teleologische Betrachtung baut vielmehr auf die anderen Aspekten auf156, greift sozusagen die durch die anderen Methoden gefundenen (Teil-)Ergebnisse auf und erschließt aus diesen den Zweck der Norm. Durch die genetische Auslegung werden beispielsweise aus den dokumentierten Beratungen gewisse Absichten und Regelungsziele des entsprechenden Gesetzes deutlich. Gleiches gilt für die Analyse der systematischen Stellung eines Gesetzes im jeweils größeren Zusammenhang. Diese werden dann mit den Ergebnissen 149 Vgl. auch Häberle, JöR 45 (1997), S. 91: „Die einzelnen Nationen variieren den Typus Verfassungsstaat je nach individueller Politik- und Kulturgeschichte.“ 150 Siehe dazu Häberle, JöR 45 (1997), S. 106. 151 Vgl. Art. 28 I GG. 152 Vgl. hierzu gerade die Kompetenzordnung. Außerdem gelten für die bestehenden Verhältnisse zwischen Bund und Ländern die Art. 31 und 142 GG. 153 Für die Eignung rechtsvergleichender Untersuchungen als Hilfestellung für künftige Entwicklungen und Verbesserungen vgl. Lepsius, JZ 2005, 1 ff. Dies jedoch wiederum als Beispiel für die internationale Rechtsvergleichung. 154 Rüthers, Rechtstheorie, S. 412. 155 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 126. 156 Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Einführung, Rdnr. 43.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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der anderen Methoden durch die rein teleologische Betrachtung zu einem „großen Ganzen“ zusammengefügt und so der Gesetzeszweck ermittelt. Hier bleibt die teleologische Auslegung jedoch nicht stehen. Sie berücksichtigt ebenfalls „objektiv-teleologische Kriterien“, die über die subjektiven Zweckgedanken157 des Normgebers (die hauptsächlich mittels historischer und genetischer Auslegung ermittelt wurden) hinausgehen.158 Dies ist die Stelle der „Transformation“ der für den historischen Gesetzgeberwillen gefundenen Ergebnisse in die gegenwärtige Problembehandlung. Berücksichtigt werden müssen hier auch (und gerade) jene Entwicklungen, an die der historische Gesetzgeber nicht dachte oder an die er beispielsweise aufgrund technischer oder sozialer Entwicklungen nicht denken konnte.159 Der Zweck des Gesetzes ist somit in objektivem Sinne auf die aktuellen Probleme zu übertragen. Nicht vergessen werden darf jedoch, dass der Gesetzeszweck nicht völlig losgelöst von jeglicher Sichtweise des historischen Gesetzgebers „verwendet“ werden darf. Der Gesetzeszweck wird aus einer Synthese der verschiedenen Auslegungsmittel gewonnen und ist dementsprechend auch von den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers vorgeprägt. Lediglich in diesen Grenzen darf sodann der „modernisierte“ Gesetzeszweck, sozusagen als weitere Synthese von tradiertem Normverständnis und objektiv-teleologischen Kriterien, als das Auslegungsergebnis präsentiert werden. 2. Ergänzungsmöglichkeiten zu den traditionellen Auslegungsmethoden Neben der unstreitigen Existenz der allgemeinen Auslegungsmethoden wird teilweise eine Ergänzung dieser Methoden gefordert.160 Genannt werden unter anderem die „Wirkungsgeschichte eines Gesetzes“161, der „Wandel der Normsituation“, die „Beihilfe der Autoritäten“ und eine „ergänzende Interessenabwägung“.162 Um wirklich eigenständige Ergänzungen der herkömmlichen Auslegungsmethoden handelt es sich indes nicht. Die meisten Aspekte sind bereits vollumfänglich in den bestehenden Auslegungsmethoden enthalten und bieten allenfalls zusätzliche Argumentationsquellen. So handelt es sich bei der Berücksichtigung des „Wandels der Normsituation“ lediglich um die Berücksichtigung neuerer, zum Zeitpunkt des Gesetzeserlasses nicht berücksichtigter Entwicklungen im Bereich 157 Als Synonym für diesen subjektiven Zweckgedanken kann man den Willen des historischen Gesetz- beziehungsweise Verfassunggebers bezeichnen. 158 Gast, Juristische Rhetorik, S. 250. 159 Gast, Juristische Rhetorik, S. 250 f. 160 Vogel, Juristische Methodik, S. 143 ff.; Gast, Juristische Rhetorik, S. 261 ff. 161 In ihr kann auch eine Art Fallgruppenbildung gesehen werden, so Vogel, Juristische Methodik, S. 145. 162 Gast, Juristische Rhetorik, S. 262 ff.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

der teleologischen Auslegung.163 Die „Beihilfe der Autoritäten“ ist ein Rückgriff auf Beiträge anerkannter Stellen164 wie Gesetzeskommentare oder andere Autoren, also ein Rückgriff auf einen größeren Argumentationsfundus. Argumente für oder gegen die jeweilige Sichtweise sind jedoch keine Ergänzungen der Methoden, sondern Inhalt des eigentlichen Auslegungsvorgangs. Je nach Stichhaltigkeit der einzelnen Argumente wird man sich für die eine oder andere Sichtweise im Bereich der einzelnen Auslegungsmittel oder im Rahmen der gesamten Auslegung entscheiden. Lediglich der „Wirkungsgeschichte eines Gesetzes“, die mit dem Zeitpunkt des in Krafttretens des Gesetzes beginnt165 und durch die Anwendungspraxis der Gerichte (im Falle der Auslegung von Kompetenznormen des Bundesverfassungsgerichts) Konturen erlangt, kann man eine gewisse Ergänzungsfunktion zusprechen. Auch dies jedoch in sehr begrenztem Maße. Zum einen sind auch die zu betrachtenden Anwendungen der Gerichte lediglich Ergebnisse der von ihnen getätigten Auslegungen. Mithin kann sich in der Wirkungsgeschichte kein zusätzliches Auslegungsmittel finden lassen, sondern wiederum (ähnlich der oben erwähnten „Autoritäten“ – hier bestehen die Gerichte als Autoritäten) nur Argumente für die eigene Auslegung.166 Zum anderen ist vor einer zu sehr rückwärtsgewandten Auslegung im Hinblick auf die Entwicklungsoffenheit der Gesetze zu warnen.167 Dennoch ist der Wirkungsgeschichte eine etwas weitergehende Funktion zuzusprechen. Zum einen erlangt der auszulegende Text von Fall zu Fall mehr Kontur, zum anderen lässt sich durch die Entscheidungspraxis eine Tendenz hin zu einem engen oder weiten Verständnis der Norm feststellen. Gerade bei einfachgesetzlichen Generalklauseln und im Verfassungsrecht aufgrund der herausragenden Stellung des Bundesverfassungsgerichts und dem hohen Abstraktionsgrad der Verfassungsnormen kommt dieser Tendenz eine erhöhte Bedeutung zu. Völlig eigenständige Bedeutung erlangt jedoch auch die Wirkungsgeschichte nicht. Vielmehr ist die Beachtung bereits vollzogener Auslegungen und die Einordnung des eigenen Problemfeldes in ein bestehendes Fallsystem ein Vorgang im Bereich der teleologischen Auslegung. Hierbei wird festgestellt, inwieweit sich das Normverständnis aktuell (gegebenenfalls auch vom ursprünglichen Verständnis weg) entwickelt hat. Kern ist die Betrachtung der Norm im Rahmen der (auch) durch die Gerichte geformten Entwicklung des Normverständnisses. Diese Berücksichtigung objektiver Kriterien und Entwicklungen ist jedoch nach der hier vertretenen Auffassung (Haupt-)Bestandteil der teleologischen Auslegung. 163

Vgl. dazu auch 2. Teil A. I. und A. II. 4. So Gast, Juristische Rhetorik, S. 264. 165 Gast, Juristische Rhetorik, S. 262. 166 Vollzogen wird die Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte dann durch komparatives Denken. Die bereits entschiedenen Fälle werden mit dem zu entscheidenden verglichen (vgl. Vogel, Juristische Methodik, S. 146). 167 Dazu auch oben in 1. Teil B. III. 164

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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Sie darf aufgrund der nötigen demokratischen Legitimation des Gesetzes auch nicht im Gewand der Wirkungsgeschichte losgelöst von jeglicher historischer Sichtweise erfolgen. Mithin kommt den genannten „Ergänzungen“ zwar keine eigenständige Bedeutung zu, im Rahmen der allgemeinen Auslegung, speziell im Bereich der teleologischen, finden sie jedoch Berücksichtigung. 3. Sonderfall: Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, Annexkompetenz und Kompetenz kraft Natur der Sache Nach der knappen Darstellung der zu verwendenden Auslegungsmethoden muss an dieser Stelle noch auf das Problem der „ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen“168 eingegangen werden, das sich bei der Auslegung von Verfassungsrecht im Zusammenhang mit der zu behandelnden Materie der Kompetenzverteilung ergibt. a) Zulässigkeit ungeschriebener Bundeskompetenzen Nach der Grundnorm für die Gesetzgebungskompetenzen, Art. 70 GG, der den in Art. 30 GG aufgestellten Grundsatz der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern leicht verändert wiederholt169, haben die Länder die Kompetenz zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bunde die Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.170 Die dem entsprechende ausdrückliche Verleihung erfolgt zum größten Teil171 durch die Art. 71 ff. GG, aufgeteilt in ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit.172 Neben der ausdrücklichen Benennung der Kompetenzen des Bundes zur Gesetzgebung existieren jedoch anerkannt auch ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen.173 Dies erscheint zu168 Kritisch zum Begriff der „ungeschriebenen Kompetenzen“ Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 609 ff., der für die (durchaus zutreffende) Bezeichnung als „stillschweigend mitgeschriebene Kompetenzen“ eintritt. 169 Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 28. 170 Im Gegensatz zu Art. 30 GG muss das Grundgesetz die Befugnis verleihen; ein bloßes „Zulassen“ wie in Art. 30 GG genügt nicht (Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 28). 171 Im Grundgesetz finden sich auch außerhalb der Kataloge von Art. 73 und 74 GG Kompetenzzuweisungen an den Bund, vgl. Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 10 ff. und Art. 71, Rdnr. 3, sowie ausführlich Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 71, Rdnr. 22–28. Eine Aufzählung findet sich auch bei Kunig, Jura 1996, S. 256. Bei derartigen Zuweisungen handelt es sich in der Regel um ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen, vgl. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 34. 172 Die nach der Föderalismusreform gegebene Möglichkeit zur Abweichungsgesetzgebung soll an dieser Stelle noch außer Acht gelassen werden. Auf sie wird an späterer Stelle genauer einzugehen sein, vgl. 3. Teil B. II. 173 Vgl. dazu exemplarisch die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfGE 3, 407 (424 ff.); 15, 1 (22); 12, 205 (237); 41, 291 (312); 106, 62 (91 ff.); 109, 190 (210).

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

nächst paradox, gilt doch der eben besprochene Grundsatz, wonach die Länder die Gesetzgebungskompetenz haben und die Bundeskompetenz extra bestimmt sein muss.174 Daraus ergibt sich, dass die gesamte Fülle von denkbaren Landeskompetenzen nicht wörtlich im Grundgesetz verfasst ist.175 Die Landeskompetenzen, nicht die Bundeskompetenzen, bestehen nach der Regelung des Grundgesetzes ungeschrieben. Von dem Erfordernis der ausdrücklichen Zuweisung der Kompetenz an den Bund wird jedoch dann eine „Ausnahme“ gemacht, „wenn Einzelregelungen, für die der Bund an sich nicht zuständig wäre, auf Grund ,enger Verzahnung‘ mit einer Gesamtregelung, für die der Bund eine Zuständigkeit hat, dieser Gesamtmaterie zugeschlagen werden“176. Dies ist die Konsequenz aus der bestehenden Vielschichtigkeit der Lebensverhältnisse, für die der Verfassunggeber Kompetenznormen schaffen musste oder zu schaffen hat, da all diese regelungsbedürftigen Sachverhalte nur begrenzt enumerierbar und daher von einem bestehenden System wie dem des Grundgesetzes niemals vollständig erfassbar sind.177 Kompetenzielle „Behelfsmittel“ 178 sind daher nötig. Obwohl grundsätzlich die Landeskompetenzen ungeschrieben, die Bundeskompetenzen geschrieben bestehen und somit die Betrachtung der ungeschriebenen Kompetenzen als Ausnahme eigentlich nur auf Bundesebene Sinn zu machen scheint, erlangen die Figuren des Sachzusammenhangs, des Annexes und der Natur der Sache im Bereich der Landeskompetenzen ebenfalls Bedeutung. Ist nämlich eine Materie zu regeln, die sowohl einer Bundeskompetenz als auch dem Bereich einer anerkannten Landeskompetenz zugeordnet werden kann, so können die angesprochenen Figuren hier ebenfalls zur Lösung beitragen.179 Bereits hier zeigt sich die Möglichkeit der Konkurrenz zwischen Bundes- und Landeskompetenz. Inwieweit die „ungeschriebenen Kompetenzen“ hier weiterhelfen können, ob sie als eigenständige Kompetenz, als Auslegungsmittel oder als Mittel zur Auflösung entsprechender Konkurrenzen dienen, muss aber an späterer Stelle geklärt werden. Hier sei nur die mögliche Auswirkung der ungeschriebenen Kompetenzen auch auf die Landeskompetenzen angesprochen. Um jedoch die Begrifflichkeiten und die Abgrenzung der einzelnen Figuren zu verdeutlichen, sollen hier die Bundeskompetenzen betrachtet werden, da hier sozusagen als sichtbares Grundgerüst die geschriebenen Kompetenzen bestehen, an die dann – mit Blick auf die ungeschriebenen Kompetenzen – angeknüpft werden kann.

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Ähnlich auch Bullinger, AöR 96 (1971), S. 237. Dass sich hieraus jedoch nichts über die Wertigkeiten von Bundes- und Landeskompetenzen aussagen lässt, wurde bereits unter 1. Teil B. II. 1. geklärt. 176 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 29. 177 Vgl. auch Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 423 f. 178 Der Begriff wird an dieser Stelle absichtlich noch vage formuliert. 179 Vgl. hierzu Bullinger, AöR 96 (1971), S. 238, mit Beispielen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 175

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen bestehen in Form der Zuständigkeit kraft „Natur der Sache“, der „Annexkompetenz“ und der „Kompetenz kraft Sachzusammenhangs“.180 Unabhängig von der Unterscheidung der drei Arten ungeschriebener Zuständigkeit ist deren Zulässigkeit als Ausnahme zum System der geschriebenen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes allgemein fraglich. Im Grunde kann es keine völlig eigenständige, ungeschriebene Kompetenz geben: „Dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz zuzuordnen, ohne hierbei im Ansatz an die ausdrücklich im [Grundgesetz] festgelegte Kompetenzordnung anzuknüpfen, stünde im Widerspruch zu der durch Art. 70 ff. positiv festgelegten [Kompetenzverteilung].“181 Die Abhängigkeit der ungeschriebenen Kompetenzen im Bereich der Annexkompetenz und der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs ergibt sich bereits aus den Begriffen selbst: Annex bedeutet wörtlich „Anhängsel“ oder „Zubehör“ – die jeweils ungeschriebene Kompetenz ist also Anhängsel einer geschriebenen Kompetenz. Ähnliches ergibt sich für die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs: Die ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz resultiert aus einem engen Zusammenhang sachlicher Art mit bestehenden, geschriebenen Kompetenzen. Die Annexkompetenz und die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs sind somit nicht völlig eigenständig und ungeschrieben, sondern bereits in den Normen enthalten und damit „mitgeschrieben“, zu denen sie ein Anhängsel bilden oder in engem sachlichen Zusammenhang stehen.182 Etwas anderes könnte sich bei der Betrachtung des Begriffs der Kompetenz kraft Natur der Sache ergeben. Naheliegend wäre es, hier aus der Natur des zu regelnden Sachverhalts auf eine eigenständige, originäre Kompetenz zur Regelung zu schließen. Bei genauerer Analyse trifft jedoch auch dies nicht zu. „Eine Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache wird angenommen, wenn ein Gegenstand begriffsnotwendig nur durch ein Bundesgesetz geregelt werden kann. [Bloße] Zweckmäßigkeit genügt nicht.“183 Diese Begriffsnotwendigkeit, die Na180 Durchaus bestehen auch hier verschiedene Begrifflichkeiten. Eine ältere, kurze Übersicht findet sich bei Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 424 f. Die folgenden Ausführungen halten jedoch zunächst an den eingeführten Begriffen fest. 181 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 29. Ähnlich Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 28; Rozek, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 36. Ebenso Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 613: „Es gibt nur aus der Verfassung heraus begründbare Kompetenzen“, sowie Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 92: „Das erscheint dann möglich, wenn das Grundgesetz dem Bund eine Zuständigkeit zwar nicht ausdrücklich, aber doch implizit zuweist – wobei es sich in Wahrheit freilich nur bedingt um eine ,ungeschriebene‘ Zuständigkeit handelt, ein Sachverhalt, den der Terminus ,implied powers‘ des amerikanischen Verfassungsrechts sehr viel besser zum Ausdruck bringt“. Dem entsprechend Ehlers, Jura 2000, S. 323. 182 So auch Kunig, Jura 1996, S. 257. 183 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 31. So auch das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 11, 89 (98 f.): „Schlußfolgerungen ,aus der Natur der Sache‘ müssen begriffsnotwendig sein und eine bestimmte Lösung unter Ausschluß anderer

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

tur des zu regelnden Sachverhalts, ergibt sich jedoch wiederum nur aus dem bestehenden System.184 Nur durch einen Blick auf die bestehende Ordnung des Staates, den Gesamtsinn der Verfassung185 beispielsweise die Staatszielbestimmungen, die Aufteilung des Gesamtstaates in Bund und Länder, die Festlegung der Verwaltungszuständigkeiten oder sonstige Aufgabenverteilungen – mit anderen Worten: Nur durch einen Blick auf die (Gesamt-)Verfassung und die durch sie entstehende staatliche Ordnung wird es ermöglicht, die Begriffsnotwendigkeit festzustellen.186 Voraussetzung ist also auch für die Kompetenz kraft Natur der Sache, dass diese mit der bestehenden Ordnung verknüpft ist. Die Verknüpfung besteht hier jedoch nicht mit anderen geschriebenen Kompetenznormen, wie es bei Annex und Sachzusammenhang der Fall ist, sondern in einer Verbindung mit dem Grundgesetz im weiteren, über die Kompetenzordnung hinausgehenden Sinne. Denknotwendig ist eine entsprechende Verknüpfung jedoch Voraussetzung, um überhaupt die „Natur der Sache“ feststellen zu können.187 Andernfalls wäre keine „Sache“ existent, deren Natur es festzustellen gäbe. Die Existenz188 der ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes als Ausnahme zum geschriebenen System der Art. 70 ff. GG kann hiermit bejaht werden, sind entsprechende Kompetenzen doch weniger ungeschrieben als durch andere Kompetenznormen oder die Verfassung an sich mitgeschrieben.189 Zu untersuchen bleibt noch die Eigenart und die Funktion der einzelnen un- oder mitgeschriebenen Kompetenzen.

Möglichkeiten sachgerechter Lösung zwingend fordern.“ Ähnlich BVerfGE 26, 246, 257. Hieraus ergibt sich auch, dass eine Kompetenz des Bundes nach Natur der Sache nur eine ausschließliche Bundeskompetenz sein kann. Konkurrierend wären schließlich die Länder per definitionem nicht einmal in der Lage, die entsprechende Materie zu regeln. 184 Von den eigentlichen Gesetzgebungszuständigkeiten nach Art. 70 ff. GG ist diese Figur jedoch im Unterschied zu der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs und Kraft Annexes entrückt. Vgl. auch Cremer, ZG 20 (2005), S. 33. 185 Bullinger, AöR 96 (1971), S. 238. 186 So auch Ehlers, Jura 2000, S. 325; Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 37. Teilweise wird vor der Bejahung der Notwendigkeit bundesrechtlicher Regelung die Prüfung einer Koordinationslösung gefordert (Erbguth, DVBl. 1988, S. 327). Auf Kooperations- und Koordinationslösungen wird an späterer Stelle noch einzugehen sein (4. Teil A. I. 1.). 187 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 30 und 34. 188 Ob die un- beziehungsweise mitgeschriebenen Bundeskompetenzen tatsächlich als Kompetenzen gewertet werden können oder welche Funktion sie sonst erfüllen, ist hierdurch noch nicht geklärt. Hierzu 2. Teil A. II. 3. c). 189 Zur Begrifflichkeit auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 609 ff.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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b) Unterscheidung von Sachzusammenhang, Annex und Natur der Sache Sachzusammenhang190 und damit die entsprechende Kompetenz des Bundes besteht dann, „wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mit geregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerläßliche191 Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie.“192 Mit anderen Worten wird mit der Begründung mangelnder Regelungsmöglichkeit ein zunächst nicht von geschriebenen Kompetenznormen erfasster Bereich durch die Figur des Sachzusammenhangs von der bestehenden Kompetenznorm annektiert. Diese recht engen193, durch das Bundesverfassungsgericht im Baurechtsgutachten194 erstmals aufgestellten Voraussetzungen wurden jedoch nicht immer in dieser Weise und Strenge beibehalten. In verschiedenen darauf folgenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts wich das Gericht selbst von ihnen ab.195 Trotzdem soll schon hier im Rahmen der Definition eine eher restriktive Handhabung der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs196 zu Gunsten des Bundes erfolgen.197 Zum einen folgt dies aus dem Ausnahmecharakter198, der den ungeschriebenen Kompetenzen im Vergleich zur geschriebenen Systematik der Bundeskompetenzen nach Art. 70 ff. GG zukommt, zum anderen aus der sich aus dem System der Art. 70 ff. GG ergebenden starken Stellung des Bundesgesetzgebers gegenüber

190 Eine neuere monographische Darstellung der Sachzusammenhangskompetenz wurde von Schröder verfasst (Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs). 191 Ähnliche Formulierungen finden sich auch in BVerfGE 97, 332 (342: „untrennbare Verbindung“), in BVerfGE 98, 265 (300: „zwingender Konnex“) und in BVerfGE 97, 228 (252: „enge Verzahnung“). 192 BVerfGE 3, 407 (421). Vgl. auch BVerfGE 98, 265 (299). 193 Gefordert wird die „Unerläßlichkeit“ der Mitregelung des nichterfassten Gebietes zur sinnvollen Regelung der zugewiesenen Materie, vgl. BVerfGE 3, S. 407 (421) und BVerfGE 98, S. 265 (299) sowie Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 45, mit dem Hinweis auf die Abkehr der in der Weimarer Verfassung gängigen Praxis zur Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, nach der die Zweckmäßigkeit der Regelung ausschlaggebend war. 194 BVerfGE 3, S. 407 ff. 195 Dies gilt insbesondere für die Abschwächung der „Unerläßlichkeit“, vgl. BVerfGE 4, S. 74 (84), BVerfGE 22, S. 181 (212 f.). Bullinger, AöR 96 (1971), S. 241 ff. spricht daher von formelhaftem und nicht formelgebundenem Sachzusammenhang. Ebenso Ehlers, Jura 2000, S. 324. 196 Im Ergebnis muss dies für alle ungeschriebenen Kompetenzen gelten. 197 So auch Ehlers, Jura 2000, S. 324. 198 Zur nochmaligen Klarstellung: Ob die ungeschriebenen Kompetenzen tatsächliche Ausnahmen zum geschriebenen Katalog der Art. 73, 74 GG sind oder welche Funktion ihnen sonst zukommt, wird erst unter 2. Teil A. II. 3. c) geklärt.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

den Landesgesetzgebern in der Rechtswirklichkeit199, dessen Einfluss durch eine extensive Auslegung der Sachzusammenhänge in zunehmendem Maße verstärkt würde. Umso größeres Gewicht erlangt dies, als es sich bei den hier in Frage stehenden Regelungsbereichen um ungeschriebene Inhalte handelt, die auf geschriebenes Verfassungsrecht einwirken. Durch einen extensiven Gebrauch der Figur des Sachzusammenhangs würde der Kompetenzkatalog des Bundes vergrößert. Ausdrückliche Änderungen des Kompetenzkataloges bedürfen jedoch – wie jede Verfassungsänderung – der Form des Art. 79 GG. Gemäß Art. 79 I GG muss jede Verfassungsänderung den Wortlaut der Verfassung ausdrücklich ändern. Dementsprechend schwerer wiegt es also, dass hier bestehende, geschriebene Verfassungsnormen durch die ungeschriebene Figur des Sachzusammenhangs erweitert werden. Dies sollte die restriktive Handhabung der ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen, gerade auch im Bezug auf die Beachtung der hier häufig angesprochenen Unerlässlichkeit200 im Rahmen der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, zur Folge haben.201 Im Gegensatz zur Kompetenz kraft Sachzusammenhangs ist es Inhalt der Annexkompetenz, Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes von ausdrücklich ihm zugewiesenen Kompetenzmaterien nicht in die Breite – also bezüglich des Umfangs der abgedeckten sachlichen Kompetenzmaterie 202 – sondern in die Tiefe, auf Stadien der Vorbereitung203 und Durchführung, auszuweiten.204 Von dieser 199 Vgl. hierzu auch die Begründung der Föderalismusreform, BTDrucks. 16/813, S. 7.: „[Es] wurden die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder im Laufe der Zeit immer weiter zurückgedrängt. Teils sind neue Kompetenzen für den Bund im Wege der Verfassungsänderung begründet worden, vor allem aber hat der Bundesgesetzgeber bestehende konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeiten nahezu vollständig ausgeschöpft und auch in der Rahmengesetzgebung vielfach in Einzelheiten gehende und unmittelbar geltende Regelungen getroffen.“ So auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 7; Bullinger, AöR 96 (1971), S. 239, mit dem Argument „elastischer Generalklauseln – wie [. . .] das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Nr. 11 GG)“. Die entsprechend restriktive Handhabung dürfte trotz den Veränderungen der am 1. September 2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform mit den hier genannten Argumenten aufrecht erhalten werden. Dem unter anderen genannten Ziel der Föderalismusreform, einen Ausgleich zwischen den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder herbeizuführen, liefe eine extensive Handhabung gerade zuwider. Auf der anderen Seite spricht die für Verfassungsrecht reichlich umfassende Neuordnung auch gegen eine extensive Anwendung der ungeschriebenen Kompetenzen zu Gunsten der Länder, da anzunehmen ist, dass die nun bestehende Ordnung nicht durch Sachzusammenhänge oder Annexkompetenzen wieder aufgeweicht werden soll. Zu den Problemen im Rahmen des Art. 72 III GG und der sich daraus ergebenden Abweichungsmöglichkeit sowie den Zielen und Auswirkungen der Föderalismusreform auf Kompetenzen und Konkurrenzen im Einzelnen vgl. die Einführung und Punkt 3. Teil B. II. 200 Mit Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 45, darf daher die Zweckmäßigkeit nicht genügen. 201 Dem entsprechend auch Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 48. 202 Stettner, in: Dreier: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 18. 203 BVerfGE 3, 428.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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Tiefenwirkung sind alle Realisierungsphasen umfasst, angefangen bei der angesprochenen vorbereitenden Planung bis hin zur Durchführung und Durchsetzung.205 Demnach setzt eine Annexkompetenz voraus, dass zwar ein Kompetenztitel nach dem Grundgesetz besteht, dieser die fragliche Kompetenzmaterie jedoch nicht ausdrücklich umfasst, der Kompetenztitel mit der Materie aber derart in funktionaler Beziehung steht, dass sie der Vorbereitung und Durchführung dient, die für den wirksamen Vollzug erforderlich ist206 und der Sachkompetenz zu realer Wirkungskraft verhilft.207 Zusätzlich darf die Annexmaterie nicht zur Hauptmaterie werden. Sie ist also auf die Vorbereitungs- und Durchsetzungsfunktion für die mit ihr verbundene Kompetenz beschränkt.208 Trotz der augenscheinlich einfachen Unterscheidung von Breitenwirkung und Tiefenwirkung und damit von Sachzusammenhang und Annex bestehen in diesem Bereich erhebliche Schwierigkeiten.209 Auch durch das Bundesverfassungsgericht erfolgte keine klare Abgrenzung.210 „Zum Teil sieht man in ihnen sich gegenseitig ausschließende Figuren211, zum Teil wird die Annexkompetenz als Unterfall der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs eingestuft212, zum Teil die Figur der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs gar für unnötig gehalten, und ihr Gehalt [entweder] der Annexkompetenz213,“214 oder der allgemeinen Verfassungsinterpretation215 204 Stettner, in: Dreier: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 64, der auf BVerfGE 24, 300 (354) verweist, worin das Bundesverfassungsgericht entsprechende Ausführungen zum Annex bezüglich des Wahlrechts macht: „[. . .] zum Wahlrecht zählen [. . .] die Vorschriften, welche die Vorbereitung, Organisation, Durchführung und Überprüfung der Wahlen durch die staatlichen Organe regeln“. Vgl. zur Annexkompetenz auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 37; Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 49. 205 Die Tiefenwirkung erstreckt sich natürlich nicht auf Verwaltungskompetenzen. Die bestehenden geschriebenen verfassungsrechtlichen Regelungen werden nicht von den Möglichkeiten der Annexkompetenz überlagert. Hierzu Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 431, auf S. 433 mit einer Aufzählung möglicher Realisierungsmodalitäten in diesem Sinne. Ebenso Stettner, in: Dreier: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 66; Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 37 und 39. Dazu beispielhaft für den Bereich des Wahlrechts auch BVerfGE 24, 300, 354. 206 Vgl. inhaltlich auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 38. 207 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 431. 208 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 38. 209 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 43; Stettner, in: Dreier: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 60. 210 Jarass, NVwZ 2000, S. 1090; Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 42. BVerfGE 98, 265, (299). 211 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 43; Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 49. Ebenso Ehlers mit dem Argument der ausreichenden typologischen Unterscheidbarkeit (Ehlers, Jura 2000, S. 325). 212 So Bullinger, AöR 96 (1971), S. 243; Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 42; Schneider, Gesetzgebung, S. 57. Dies ausdrücklich verneinend Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 43. 213 Stettner, in: Dreier: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 64. Für die Entbehrlichkeit der Figur des Sachzusammenhangs Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 429.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

zugewiesen. Im Einzelnen ist hier vieles strittig. Von der begrifflichen Unterscheidung abgesehen, ergibt sich jedoch meist keine relevante Auswirkung, ob man die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs oder die Annexkompetenz als die jeweils andere umfassende Kompetenz ansieht oder ob man beide nebeneinander bestehen lässt. Natürlich lassen sich Annexkompetenz und die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs aufgrund der verschiedenen „Wirkungsrichtungen“ – in die Tiefe beziehungsweise in die Breite typologisch ausreichend unterscheiden.216 Beiden gemeinsam ist jedoch die Verknüpfung mit einer geschriebenen Kompetenznorm. Diese Kompetenznorm wird in ihrem Wirkungsbereich in die sachliche Breite oder die organisatorische Tiefe erweitert – ausdrücklich nicht von ihr erfasste Bereiche werden also mit ihr in Zusammenhang gebracht. Diese Verknüpfungswirkung ist Sinn sowohl der Annexkompetenz als auch der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs. Voraussetzung beider ist jedoch, dass die geschriebene Kompetenz nicht sinnvoll ohne eine derartige Erweiterung geregelt werden kann. In derart gelagerten Fällen ist also nur festzustellen, dass ein Übergreifen beispielsweise auf die Landeskompetenz unerlässlich217 ist, um sinnvoll die geschriebene Kompetenz ausfüllen zu können. Über die jeweilige „Wirkungsrichtung“ hinaus lässt sich jedoch kein weiterer Unterschied feststellen.218 Verzichtet man auf eine derartige Unterscheidung der Erweiterung in die Tiefe oder in die Breite, so ist das Phänomen der mitgeschriebenen Kompetenzen als Mittel zu sehen, um eine Kompetenz im Hinblick auf die durch sie berührten Kompetenzen des anderen Kompetenzträgers abzugrenzen.219 Durch sie erhalten die geschriebenen Kompetenzen einen in geringem Maße erweiterten Wirkungsbereich, bildlich gesprochen eine Aura, für den Fall, dass die in der Kompetenznorm beinhaltete Materie nicht sinnvoll geregelt werden kann. Dementsprechend ist vorliegend eine Unterscheidung von Annexkompetenz und Kompetenz kraft Sachzusammenhangs nicht zwingend nötig.220 Annexkompetenz und Kompetenz kraft Sachzusammenhangs können (beide) schlicht als „mitgeschriebene Kompetenz“ bezeichnet werden.221 Auch das Bundesverfassungsgericht unterscheidet nicht immer eindeutig: „Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen des Bundes sind

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Jarass, NVwZ 2000, S. 1090. So Stettner, in: Dreier: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 60 und 64. 216 Ehlers, Jura 2000, S. 325. 217 Ebenso BVerfGE 98, 265 (299). 218 Ähnlich auch Rengeling, HdBStR IV, S. 746, der in Annexkompetenz und Kompetenz kraft Sachzusammenhangs keinen Unterschied erblickt. 219 Wie dieses Mittel zu qualifizieren ist – ob als Auslegungs- oder Auflösungskriterium – ist dadurch jedoch noch nicht gesagt. 220 Im Ergebnis so auch Jarass, NVwZ 2000, S. 1090. 221 Die hier erfolgte Aufhebung der Unterscheidung ändert jedoch nichts daran, dass jegliche ungeschriebene Kompetenz restriktiv gehandhabt werden sollte. 215

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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dagegen nur in äußerst engen Grenzen anerkannt. Sie bestehen zum einen, wenn nach der Natur der Sache allein eine Bundesregelung in Betracht kommt, zum anderen wenn der Bund von einer ihm ausdrücklich eingeräumten Kompetenz nicht ohne Zugriff auf eine den Ländern zustehende Materie sinnvoll Gebrauch machen kann (Annexkompetenz und Kompetenz kraft Sachzusammenhangs).“222 Die Kompetenz kraft Natur der Sache beruht, wie oben dargestellt, nicht auf einzelnen Kompetenznormen, mit denen sie verknüpft ist, sondern sie entsteht aus Betrachtungen des Gesamtsystems.223 Dementsprechend fehlt ihr die durch eine Kompetenznorm vermittelte Verbindung zur Annexkompetenz oder Kompetenz kraft Sachzusammenhangs. Im Rahmen der Kompetenz kraft Natur der Sache kann man aufgrund dessen von einer eigenständigen, durch die Verfassung mitgeschriebenen Kompetenz ausgehen. Anwendungsfälle der Kompetenz kraft Natur der Sache werden jedoch, „nicht zuletzt wegen des Mangels an hinreichend evidenten Aussagen über den grundgesetzlichen Bundesstaat“224 und die dadurch seltenen Fälle der unbedingten Notwendigkeit bundesstaatlicher Regelung, hauptsächlich auf Bereiche der nationalen Selbstdarstellung und Repräsentation sowie raumbedeutsame gesetzliche Entscheidungen für die gesamte Bundesrepublik beschränk bleiben.225 c) Funktion der ungeschriebenen Kompetenzen Für jede Art der erwähnten ungeschriebenen Kompetenzen226 ist eine Verknüpfung mit bestehenden Kompetenznormen einerseits und die Anlage im System des Grundgesetzes andererseits nötig. Daher liegt es zumindest für die mitgeschriebene(n) Kompetenz(en) nahe, diese nicht als Kompetenz im eigentlichen Sinne, also als eigenständige Kompetenznorm, zu verstehen, sondern entsprechend ihrer Natur als Erweiterung bestehender Wertungen lediglich ein Interpretationsmittel zur zweckgerechten und effektiven Entfaltung bestehender Kompetenzmaterien227 in ihr zu sehen.228 Teilweise wird der in Art. 30 GG verwendete 222

BVerfGE 98, 265 (299), Hervorhebung des Verfassers. So auch Stettner, in: Dreier: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 57 f. 224 Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 40. 225 Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 40 f., mit Beispielen für letztere Anwendungsgruppe: Raumordnung für den Gesamtstaat (BVerfGE 3, 407, 427 f.); Linienführung der Bundesfernstraßen. 226 Dies gilt unabhängig davon, ob man mit der hier vertretenen Ansicht die Unterscheidung von Annexkompetenz und Kompetenz kraft Sachzusammenhangs annimmt. 227 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 611. 228 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 383. Dem entsprechend auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 29, der feststellt, dass entsprechende Kompetenzen aus dem geschriebenen Verfassungsrecht mit den allgemeinen Auslegungsmitteln abgeleitet werden können. So auch Ehlers, Jura 2000, S. 324; Bullinger, AöR 96 (1971), S. 247 ff.; Stettner, in: Dreier: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 18 und 60 223

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

Begriff des „Zulassens“ als eine entsprechende Auslegungsdirektive gesehen, in der stillschweigend mitgeschriebene Kompetenzen angesprochen seien. Das Erfordernis des in Art. 70 GG aufgestellten „Verleihens“ sei dadurch beeinflusst und die Bundeskompetenzen vor zu enger Auslegung zu schützen.229 Hauptsächlicher Standort einer entsprechenden Betrachtung wird im Kanon der herkömmlichen Auslegungsmittel230 die systematische oder auch teleologische Auslegung231 sein. Historische Beobachtungen wie beispielsweise die Behandlung entsprechender Materien in der Vergangenheit fließen sicherlich mit in eine entsprechende Betrachtung ein. Ihnen kommt jedoch aufgrund der eigenen restriktiven Handhabung für die anstehende Analyse des (ebenfalls restriktiv zu handhabenden) Sachzusammenhangs eher geringe Bedeutung zu. Grundsätzlich gilt es, die bestehenden Normen in ein übergeordnetes System einzuordnen beziehungsweise auf Verfassungsebene die Normen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Wertungen in ein Verhältnis zueinander zu setzen. Dies unterstützt die Berücksichtigung des Sachzusammenhangs. Ein Ansatz wäre es dementsprechend, der traditionell bestehenden systematischen Auslegungsmethode eine zusätzliche Komponente hinzuzufügen, die bei der Auslegung einer Kompetenznorm nun speziell die Berücksichtigung von Kompetenznormen des anderen Kompetenzträgers beinhaltet und deren Sachzusammenhang mit dem der eigenen Kompetenznorm vergleicht. Festzustellen wäre demnach im Rahmen dieser Auslegung, ob die zu regelnde Materie unerlässlich232 für die sinnvolle Regelung durch den Bundes- oder den Landesgesetzgeber ist. Eine derartige Einordnung als Aspekt der Auslegung scheint seit der Behandlung durch Bullinger233 anerkannt.234 Im gewissen Vorgriff sei angemerkt: Will man der Figur der ungeschriebenen Kompetenzen jedoch darüber hinaus auch für den Fall von Gesetzgebungskon(jedenfalls für die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, die von Stettner von der Annexkompetenz unterschieden wird). Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 42; Erbguth, DVBl. 1988, S. 324; Jarass, NVwZ 2000, S. 1090. 229 Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 698. An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass diese Annahme im Widerspruch zur eigentlichen Regelung des Art. 30 GG und zu dem durch das lex specialis Art. 70 GG aufgestellte Erfordernis des „Verleihens“ stünde und in letzter Konsequenz wohl auch im Widerspruch zu Art. 79 I GG. 230 Dem entsprechend auch Bullinger, AöR 96 (1971), S. 247 mit weiteren Nachweisen. 231 Für die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs als teleologisches Auslegungsmittel siehe Ehlers, Jura 2000, S. 324. Entsprechend Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 28. 232 Vgl. auch hierzu die Formel des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 3, S. 407 (421); BVerfGE 98, S. 265 (299). 233 Bullinger, AöR 96 (1971), S. 247 ff. 234 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 383. Dem entsprechend auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 29; Ehlers, Jura 2000, S. 324.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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kurrenzen auflösende Funktion zusprechen235, so wäre es Voraussetzung hierfür, dass eine entsprechende Auflösung unter Berücksichtigung der mitgeschriebenen Kompetenz überhaupt Teil der Auslegung sein kann. Ziel der Auslegung einer hier zu betrachtenden Kompetenznorm ist es, deren Sinn und Zweck zu ermitteln. Der Inhalt der Norm soll hierdurch offengelegt werden. Ergibt sich jedoch durch die Auslegung ein Ergebnis, durch das sich der Inhalt von Bundes- und Landeskompetenzen überschneidet, so ist nicht ersichtlich, inwiefern es möglich sein sollte durch eine (weitere) Auslegung, (also durch eine bloße Offenlegung der Inhalte der widerstreitenden Normen) eine Lösung herbeizuführen, die es ermöglichen würde, eine derartige Konkurrenz zu Gunsten einer Seite aufzulösen. Die durch den Sachzusammenhang geforderte Unerlässlichkeit der Regelung durch einen der beiden Kompetenzträger zur sinnvollen Regelung durch ihn selbst mag durchaus gegeben sein. Die Auslegung ist jedoch allein durch ihre Funktion nicht in der Lage für eine Berücksichtigung der mitgeschriebenen Kompetenz und mithin der falsche Ort, um ein derartiges Übergreifen durch die eine auf die andere Kompetenz festzustellen. Erst recht ist die Auslegung der falsche Ort dies zu rechtfertigen: Denn grundsätzlich „[u]nzulässig ist eine extensive Auslegung einzelner Kompetenztitel, die dazu führt, dass differenzierte Kompetenzzuweisungen an anderer Stelle überspielt werden.“236 Genau dies geschieht jedoch durch die Berücksichtigung mitgeschriebener, den ausdrücklich geschriebenen Bereich erweiternder „Kompetenzen“ im Rahmen der Auslegung.237 Zudem sind Ausnahmen von der „prinzipiell abschließenden und lückenlosen Kompetenzverteilung [. . .] des Grundgesetzes“238 aufgrund des Bedürfnisses einer einheitlichen Regelung239 oder deren Zweckmäßigkeit (zu der die Effektivität durchaus gezählt werden kann) nicht ausreichend, um für nach dem Grundgesetz kompetenziell gespaltene Materien eine Gesamtkompetenz zu 235 So Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 144. 236 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 56. Beispielhaft sei auch auf BVerfGE 88, 203, (330) verwiesen: „Die Entscheidung der Verfassung (Art. 74 Nr. 19 und Art. 74 Nr. 19a), dem Bund für das Gesundheitswesen nur in eingeschränktem Maße Gesetzgebungskompetenzen zuzuweisen, darf nicht durch eine erweiternde Auslegung der Gesetzgebungskompetenz für die öffentliche Fürsorge unterlaufen werden.“ 237 Vgl. Jarass, NVwZ 2000, S. 1090. Außerdem ist sehr fraglich, ob „Gesichtspunkte der Effektivität, wie sie von der Lehre vom ,Sachzusammenhang‘ eingebracht werden“, tatsächlich im Rahmen der allgemeinen Verfassungsinterpretation legitim sind, wie Stettner ausführt (Stettner, in: Dreier: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 60). Dies zum einen deshalb, da das vom Bundesverfassungsgericht eingeführte und mehrfach bestätigte Kriterium der „Unerlässlichkeit“ im Rahmen des Sachzusammenhangs gerade keine schlichten Effektivitätsgedanken berücksichtigt, zum anderen, weil extensive Auslegung von Kompetenznormen zu unterbleiben hat, wenn sie in differenzierte Kompetenzzuweisungen an anderer Stelle eingreift. Dies muss auch und gerade für die extensive Auslegung aufgrund größerer Effektivität gelten. 238 Cremer, ZG 20 (2005), S. 33. 239 Vgl. BVerfGE 98, 265 (299).

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

begründen.240 Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht im schon erwähnten Baurechtsgutachten deutlich gemacht: „Soviel steht jedenfalls fest, daß die bloße Erwägung, es sei zweckmäßig, mit einer dem Bund ausdrücklich zugewiesenen Materie gleichzeitig auch eine verwandte Materie zu regeln, nicht zur Begründung einer Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ausreicht.“241 Natürlich müssen entsprechende Konstellationen aufgelöst werden. Doppelzuständigkeiten sind prinzipiell ausgeschlossen.242 Ähnlich den Ausführungen zur Methodenehrlichkeit im Rahmen der einfachgesetzlichen Analogiebildung gilt es aber auch hier, klar zu machen, dass durch die möglichen Verständnisweisen der in Frage stehenden Normen, also durch die möglichen Auslegungsergebnisse, eine Konkurrenz von Gesetzgebungszuständigkeiten entstanden ist, die es nun aufzulösen gilt. Richtiger Standort dafür ist jedoch nicht die Auslegung der Norm, was noch genauer aufzuzeigen ist, demzufolge ebenso wenig die Berücksichtigung ungeschriebener Zuständigkeiten im Rahmen der Auslegung. Die ausführliche Behandlung sowie die weitere Abgrenzung der Auslegungs- und Auflösungskriterien (sowie der Zuordnungskriterien) erfolgt weiter unten, nach der abschließenden Behandlung der Auslegung. Da hier jedoch die Funktion ungeschriebener Kompetenzen behandelt wurde, erschien es angemessen – auch unter einem gewissen Vorgriff – auf die generelle Geeignetheit der Auslegung zur Konkurrenzauflösung kurz einzugehen. Abschließend sei noch einmal betont: Die Geeignetheit ungeschriebener Kompetenzen zur konkurrenzauflösenden Auslegung von Kompetenzkollisionen wird ausschließlich für den Fall von tatsächlich bestehenden Doppelkompetenzen bezweifelt. Für Auslegungskonkurrenzen kann diese Möglichkeit durchaus bestehen, gilt doch der Primat der Auslegung. Es ist also denkbar, durch die Berücksichtigung von Sachzusammenhang und Annex beziehungsweise eines Schwerpunkts der Regelung zu befriedigenden Ergebnissen (für Auslegungskonkurrenzen!) zu gelangen.243 4. Gewichtung der Auslegungsmethoden Nachdem festgestellt wurde, dass Annexkompetenz und Kompetenz kraft Sachzusammenhangs im Rahmen der Auslegung als Erweiterung der bestehenden Auslegungsmittel Berücksichtigung finden, es sich also um Auslegungsmittel (im weiteren Sinne) handelt, ist für die bestehenden Auslegungsmethoden 240

Vgl. Cremer, ZG 20 (2005), S. 33, Fn. 16. BVerfGE 3, 407 (421). 242 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 62. Vgl. auch BVerfGE 106, 62 (114) und BVerfGE 36, 193 (203), mit dem Hinweis, dass eine Doppelzuständigkeit mit der Abgrenzungsfunktion des Art. 70 II GG unvereinbar wäre. 243 Dazu 2. Teil A. V. und 4. Teil. 241

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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eine Gewichtung untereinander zu bestimmen. Denn es können sich, wie oben bereits aufgeworfen244, durch die jeweils vorgenommene Gewichtung Auswirkungen auf die Auslegung245 und somit auf den gesamten Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung ergeben. Die entsprechende Gewichtung ist indes stark durch die angewandte Sichtweise im Rahmen der Auslegung allgemein geprägt. So werden für die Vertreter der rein subjektiven Theorie eher historische und genetische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, während für die Vertreter der objektiven Theorie hauptsächlich grammatische, systematische und teleologische Argumente eine Rolle spielen246und die übrigen Auslegungsmittel in den Hintergrund treten, um allenfalls zur Bestätigung247 der gefundenen Ergebnisse herangezogen zu werden. Vorliegend soll auf die ausführliche Darstellung der verschiedenen Ansichten248 verzichtet werden und lediglich entsprechend des im Rahmen der Betrachtung der jeweiligen Theorien gefundenen Ergebnisses auf die anzuwendende Gewichtung eingegangen werden. Auszugehen ist hierbei von der Vorstellung, dass jedes Auslegungsmittel „einem Fort-Schritt im Gang der Auslegung“ 249 dient. Kein Auslegungsmittel darf (und kann250) alleine stehen.251 Dementsprechend ist im Anschluss an die oben getroffene Entscheidung bezüglich der der Auslegung zu Grunde zu liegenden Sichtweise folgendermaßen zu verfahren: Ausgangspunkt252 muss die Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers sein. Hierzu bedarf es jedoch nicht nur der hauptsächlichen Betrachtung der historischen Materialien (genetisch wie historisch). Zunächst ist der Wortlaut zu betrachten. Er ist der Träger des Inhalts, ihn hält man „in den Händen“.253 In den seltensten Fällen lässt sich bereits hieraus ein konkretes Ergebnis entnehmen, 244

Vgl. 1. Teil B. I. 2. So auch Roellecke, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 25. 246 Vgl. BVerfGE 11, 126 (130); 1, 299 (312); 10, 234 (244); 62, 1 (45). 247 Als Beispiel hierfür sei BVerfGE 11, 126 (130) und BVerfGE 1, 299 (312) genannt. Vgl. auch Müller/Christensen: Juristische Methodik, S. 406. 248 Einen Überblick zum (wohl am heftigsten umstrittenen und deshalb hier aufgeführten) Streitstand um die Gewichtung der genetischen und historischen Auslegungsmethode gibt Schneider, in: FS Stern, S. 908 ff. Im Ergebnis sind jedoch mit den unterschiedlichen Begründungen der subjektiven oder objektiven Theorie die verschiedensten Gewichtungsmöglichkeiten denkbar. 249 Gast, Juristische Rhetorik, S. 248. Im Ergebnis auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 126. 250 Weder aus grammatischer noch aus genetischer, historischer, systematischer oder teleologischer Sicht (die Begriffe werden, wie gezeigt, unterschiedlich verwendet) können für sich alleine stehend verbindliche Aussagen über den konkreten Norminhalt getroffen werden. 251 BVerfGE 11, 126 (130); Rüthers, Rechtstheorie, S. 460; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 126. 252 Übereinstimmend Rüthers, Rechtstheorie, S. 460. 253 Gast, Juristische Rhetorik, S. 240. 245

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

denn grundsätzlich sind mehrere Bedeutungsinhalte möglich.254 Eingrenzen lassen sich diese möglichen Bedeutungsinhalte sodann durch einen Blick auf das die betreffende Norm umgebende System. Die zu untersuchende Norm ist (durch den Gesetzgeber bewusst) eingebettet in einen gewissen Kontext. Aus dieser Stellung der Norm in dem entsprechend größeren System kann gegebenenfalls ein Hinweis auf das Normverständnis des Gesetzgebers gefunden werden oder es können im Gegenschluss bestimmte Inhalte ausgeschlossen werden. Von diesem durch die systematische Betrachtung eingegrenzten Wortlaut ausgehend ist sodann durch die Betrachtung der Gesetzesmaterialien und Beratungsprotokolle im Rahmen der genetischen Auslegung und durch die Berücksichtigung der Vorgängerregelungen durch die historische Auslegungsmethode255 der Bedeutungsinhalt256 zu ermitteln, der dem Willen des historischen Gesetzgebers am nächsten kommt.257 Als zusätzliche Komponente kann, jedoch mit sehr restriktivem Anwendungsbereich, an dieser Stelle die komparative Auslegungsmethode herangezogen werden. Bis hierher erfolgte damit jedoch nur die Ermittlung des historischen Zwecks, es wurde das Schwergewicht auf die subjektive Komponente gelegt. Um die erwähnten Schwächen der subjektiven Theorie im Bereich der Normanwendung neuerer, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht bedachter Sachverhalte auszugleichen, ist nun die objektive Komponente zu berücksichtigen. Dies geschieht im Rahmen der teleologischen Auslegungsmethode. Hier wird untersucht, ob der Sinn und Zweck der gegebenen Norm auf den aktuellen, ursprünglich nicht bedachten Sachverhalt passt, ob also der historische Gesetzgeber den vorliegenden Sachverhalt, hätte er an diesen gedacht, in den Anwendungsbereich der entsprechenden Norm einbezogen hätte.258 Durch diese Vorgehensweise im Rahmen der Auslegung ist es möglich, sowohl die subjektive als auch die objektive Theorie zu verbinden, die jeweiligen Schwächen beider Ansichten zu minimieren und dadurch den oben im Rahmen der Behandlung der bestehenden Kontroverse zwischen subjektiver und objektiver Sichtweise aufgestellten „Programmsatz“ zu verwirklichen.259 254

Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 396. Zur Unterscheidung von genetischer und historischer Auslegungsmethode unter 2. Teil A. II. 1. d). 256 Für die Eignung der historischen und genetischen Methoden als Hinweis auf den Sinn und Zweck einer Norm auch Sendler, in: FS Kriele, S. 472. 257 Zur etwas verstärkten Bedeutung der historischen und genetischen Methode im Bereich der Verfassungsauslegung auch im Folgenden. 258 Im Ergebnis für den Bereich der Verfassungsauslegung auch Starck, in: HdBStR VII, S. 202. 259 Ein wirkliches Rangverhältnis zwischen den verschiedenen Auslegungsmethoden besteht daher nicht. Vielmehr ist von einem Zusammenspiel der verschiedenen Methoden auszugehen. Wie das Bundesverfassungsgericht betont, ergänzen sich die einzelnen Methoden, sie schließen sich nicht aus. Vgl. BVerfGE 11, 126 (130), 50, 177 (194). 255

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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III. Besonderheiten bei der Auslegung von Verfassungsnormen 1. Die „Offenheit260 der Verfassung“ Bisher wurde hauptsächlich auf die allgemeinen, für die Rechtsdogmatik insgesamt gültigen261 Auslegungsmittel eingegangen. Verfassungsrechtliche Besonderheiten wurden nur teilweise berücksichtigt.262 Wie schon angesprochen, ist es jedoch möglich263, dass „Bedeutung, Rang und Eigenart des Verfassungsrechts [. . .] der Verfassungsauslegung in der juristischen Hermeneutik [nicht nur] ein besonderes Gewicht“264, sondern auch ein besonderes Gesicht geben. Eigenart des Verfassungsrechts ist es nämlich, teilweise fragmentarischen265 und teils politischen266 Charakter zu haben sowie durch einen hohen Grad an Allgemeinheit und Abstraktion gekennzeichnet zu sein.267 „Zielbestimmungen, die nur das – zuweilen in sich nicht eindeutige – Ziel festlegen, aber Wege, Mittel und Intensität der Verwirklichung offenlassen; Lapidarformeln, die – oft aus der VerfasFehlt auch ein striktes Rangverhältnis, so ist das Gewicht der Auslegungsmethoden nicht nach der jeweiligen Ergiebigkeit im Einzelfall zu bestimmen (so aber Vogel, Juristische Methodik, S. 120). Dies ließe starke Zweifel an der Vereinbarkeit einer solchen Vorgehensweise mit dem Rechtsstaatsprinzip aufkommen. Methodenehrlichkeit und voraussehbare Rechtsanwendung vermittelte dies sicherlich nicht. Dass eine Methode im Einzelfall mehr „hergibt“ – also mehr oder bessere Argumente aus ihr gewonnen werden können – als die andere, kann nicht geleugnet werden. Die grundsätzliche Gewichtung der Methoden zueinander ergibt sich daraus jedoch nicht. Das fehlende (strikte) Rangverhältnis sagt im Gegenteil nichts über die Reihenfolge der Auslegung aus. So sind systematische Erwägungen lediglich aufgrund der durch die grammatische Auslegung gewonnenen Ergebnisse denkbar. Ebenso sind teleologische Erwägungen nicht losgelöst von historischen Absichten des Gesetzgebers möglich. Eine Beeinflussung und Überlagerung der einen durch die andere Methode ist daher vorhanden. Auch wird der historischen Komponente aufgrund der durch den historischen Gesetzgeber vermittelten demokratischen Legitimation ein etwas größeres Gewicht beizumessen sein. Obwohl also ein striktes Rangverhältnis fehlt, ist doch an der „zeitlichen Hierarchie“ gemäß dem oben genannten Vorgehen festzuhalten. 260 Zum Begriff der „Offenheit“ in der verfassungstheoretischen Diskussion vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 80, Fn. 1. Vorliegend ist von „sprachlicher Offenheit“ die Rede. 261 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 123. 262 Zur methodischen Rückbindung der Verfassungsinterpretation Herdegen, JZ 2004, S. 873 ff. 263 Dies bejahend Schneider, in: FS Stern, S. 904; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 123 ff., insbesondere S. 127 ff. 264 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 123. 265 „Fragmentarisch“ darf hier nicht im Sinne eines Bruchstücks eines Ganzen gesehen werden. Gemeint ist vielmehr die nur wenige konkrete Vorgaben enthaltende Regelung der Verfassung. Gesprochen werden kann hier daher auch von einem „Rahmencharakter“ der Verfassung. So auch Starck, in: HdBStR VII, S. 193. Von einer „Rahmenordnung“ spricht auch Böckenförde, NJW 1976, S. 2091. 266 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 126. 267 Schneider, in: FS Stern, S. 904. Vgl. auch BVerfGE 62, 1 (45).

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

sungstradition überkommen – für etwas stehen, das in ihrer Wortfassung keinen annähernden Ausdruck findet“268, machen eine Auslegung anhand der Beachtung der hergebrachten Auslegungsmittel und Methoden schwierig.269 Doch nicht nur Zielbestimmungen oder Programmsätze erschweren die Auslegung des Verfassungsrechts, auch die Auslegung wertungsgebundener Normen, beispielsweise die Definition der verschiedenen Schutzbereiche der Grundrechte, gestalten sich oft schwierig und auf Grund des jeweils herrschenden Vorverständnisses des Interpreten zunehmend unterschiedlich.270 Zudem muss beachtet werden, dass grundsätzlich ein Akt der verfassunggebenden Gewalt271 interpretiert wird, der eine höhere Legitimationskomponente hat, als einfaches Gesetzesrecht.272 Die dargestellte „Offenheit“ – und die mit ihr verbundenen Probleme – stellen sich jedoch hauptsächlich „nur in dem Maße, in dem eine Verfassung (als materielle Verfassung) beansprucht, inhaltliche Maßstäbe für die Bewältigung unterschiedlicher gesellschaftlicher Situationen aufzustellen. Demgegenüber kann eine nur als ,Organisationsstatut‘ verstandene Verfassung, die darauf verzichtet, inhaltliche Lösungen gesellschaftlicher Probleme vorzuschreiben, und sich statt dessen darauf beschränkt, eine Staatsorganisation zu errichten und das Verfahren festzulegen [. . .] mit sehr viel dichteren und eindeutigeren Normtexten arbeiten.“273 Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland weist Elemente sowohl materieller als auch formeller Art auf. Es ist zum einen, „vor allem durch die umfangreiche Normierung von Staatszielbestimmungen und Verfassungsprinzipien (Art. 1, 20 GG)“274 in hohem Maße konkretisierungsbedürftig, andererseits enthält es organisatorische Vorschriften, die wenig Auslegungsprobleme im oben genannten Sinne aufweisen. Hier soll überwiegend die Kompetenzordnung des Grundgesetzes untersucht werden. Diese besteht in den Artikeln 70 ff. des Grundgesetzes und ist speziell durch die Kataloge der Art. 73 und 74 GG vergleichsweise275 detailliert276 und

268

Böckenförde, NJW 1976, S. 2091. Eine übersichtliche Zusammenschau auch der Entwicklung der Verfassungsinterpretation findet sich bei Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, S. 159 ff. 270 Als Beispiel sei die Möglichkeit der Berücksichtigung des christlich-abendländischen Vorverständnisses als Topos der Verfassungsinterpretation genannt. Dazu Schwarz, in: FS Starck, S. 419 ff. 271 Zu den Begrifflichkeiten bereits zu Beginn der Arbeit. 272 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 128. 273 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 82. 274 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 89. 275 In einer Gesamtschau kann dies als Ausnahme zur sonst generell hohen Konkretisierungsbedürftigkeit des Grundgesetzes angesehen werden. Dem entsprechend Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 93. 276 So auch Böckenförde, NJW 1976, S. 2091; Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 720. 269

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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somit der Besonderheit und Offenheit des Verfassungsrechts etwas entrückt277: „Grob holzschnittartig läßt sich sagen, bei den Art. 1 GG – Art. 29 GG überwiegen die unbestimmten und bei Art. 30 GG – Art. 146 GG die bestimmten Verfassungsnormen. Art. 70 I GG [besitzt] z. B. eine atemberaubende Klarheit“278. Auch das Bundesverfassungsgericht scheint zumindest die Kompetenzordnung des Grundgesetzes als überwiegend konkretes Verfassungsrecht anzusehen.279 Staatszielbestimmungen, also grundlegende Prinzipien, die in erhöhtem Maße abstrakt und bruchstückhaft wirken und deswegen verstärkt ausfüllungs- und konkretisierungsbedürftig sind, spielen hier nur eine Nebenrolle, beispielsweise im Rahmen der systematischen Auslegung.280 Die Besonderheiten der Verfassungsauslegung in diesem Sinne, insbesondere Ansätze, die sich gegenständlich mit der Problematik der Auslegung besonders offener Bereiche der Verfassung beschäftigen, werden deshalb vorliegend nur in dem für die Behandlung der Kompetenznormen relevanten (und daher geringem) Maße behandelt.281 2. Das Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Legislative Neben der prinzipiellen Offenheit der Verfassung ergibt sich jedoch ein weiteres Problem aus der Tatsache, dass es sich bei der zu behandelnden Kompetenzordnung um Verfassungsrecht handelt. Die Verfassung hat, wie oben erörtert, Rahmencharakter.282 „Die auf Basis der Volkssouveränität283 geschaffene Verfassung begründet und begrenzt die Staatsgewalt, organisiert sie und legt deren Aufgaben und Pflichten fest, verleiht Kompetenzen und bestimmt die Verfahren, in 277 Im Ergebnis auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 92. Dass die „Gesetzgebungskompetenz-Zuordnung [immer in gewissem Umfang auch] Ausfluss des materiellrechtlichen Gehalts einer Regelung [ist und deswegen] nicht gänzlich isoliert betrachtet werden“ (Gärditz, DÖV 2001, S. 545) kann, trifft sicherlich zu. Die weit überwiegende Prägung der Kompetenznormen ist jedoch formeller Art, was sie von materiellen Vorschriften des Grundgesetzes doch deutlich unterscheidbar macht (Starck, in: HdBStR VII, S. 226). 278 Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, S. 166 (Hervorhebung durch den Verfasser). Diese Deutlichkeit ist im Rahmen des Art. 70 I GG freilich ein Stück weit zu relativieren, was noch zu zeigen sein wird [4. Teil A. II. 2. b) bb) (2)]. 279 Entsprechend BVerfGE 34, 216 (232). 280 Natürlich wirken entsprechende Prinzipien auf die Kompetenzordnung ein. Dies wird speziell unten im Rahmen der Auflösung bestehender Konkurrenzen, aber auch bei der Betrachtung von Kompetenzausübungsschranken deutlich werden. Hier wird die Auslegung der Prinzipien jedoch nicht derart ins Gewicht fallen, dass die speziellen Probleme bei der Auslegung dieser hier ausführlich zu erörtern wären. 281 Eine etwas ältere Übersicht über relevante Ansätze und Methoden zur Auslegung dieser Bereiche findet sich bei Böckenförde, NJW 1976, S. 2089 ff. Dazu auch Starck, in: HdBStR VII, 189 ff. 282 So auch Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 724. 283 Dazu auch oben 1. Teil A.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

denen die Staatsgewalt tätig wird.“284 Die Regelungen der Verfassung gehen aufgrund dessen denknotwendig den einfachgesetzlichen Regelungen vor.285 Die Überwachung dieses Grundsatzes ist zwar grundsätzlich allen Gerichten und Behörden aufgegeben. Sie sind dazu legitimiert und verpflichtet einschlägiges Verfassungsrecht zu interpretieren und einfachgesetzliches Recht verfassungsgemäß auszulegen.286 Nahezu jede Verfassungsfrage kann287 jedoch an das Bundesverfassungsgericht herangetragen werden, das dann nach § 31 BVerfGG288 und Art. 94 II GG für alle Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden verbindlich entscheidet.289 Zudem kommt ihm als Ausfluss des Gewaltenteilungsprinzips im Bereich der Überprüfung formeller Gesetze eine Monopolstellung bezüglich der Verwerfung formeller Gesetze zu.290 Der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist dadurch grundlegende Bedeutung beizumessen.291 Im Rahmen dieser Arbeit soll die Kompetenzordnung des Grundgesetzes im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Hauptsächlich wird also das Verhältnis292 284

Starck, in: HdBStR VII, S. 195. Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Einführung, Rdnr. 8. Vgl. auch Art. 1 III und Art. 20 III des Grundgesetzes. 286 Vgl. auch Stern, in: FS Kriele, S. 417; Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 316; Ossenbühl, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 35. Auch der Gesetzgeber ist zur Auslegung des Verfassungsrechts verpflichtet. Er ist sogar „erstzuständig“, vgl. BVerfGE 101, 158 (217 ff.). 287 Im Fall des Art. 100 I 1 GG besteht hierzu sogar eine auch aus Art. 101 I 2 GG resultierende Pflicht. 288 Hierzu auch Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, speziell Rdnr. 2. 289 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 130; Böckenförde, NJW 1976, S. 2089. Vgl. auch BVerfGE 36, 1 (14); Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 723. Diese Verbindlichkeit kann auch nicht mit dem Hinweis auf eine fehlerhafte Interpretation der Verfassung durch das Bundesverfassungsgericht in Frage gestellt werden: „[D]ie inhaltliche Richtigkeit verfassungsgerichtlicher Entscheidungen ist strukturell von der Kompetenz des Gerichts zur verbindlichen Letztentscheidung abgekoppelt“ (Depenheuer, in: FS Kriele, S. 489). 290 Vgl. hierzu Art. 100 I GG. Zum Verwerfungsmonopol auch Maunz, in: Maunz/ Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 100, Rdnr. 1 ff.; Sturm, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 100, Rdnr. 2 ff. 291 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 126. Außerdem Stern, in: FS Kriele, S. 412: „Fragen wir nach der Rechtfertigung für den verfassungsgerichtlich geprägten Verfassungsstaat, so ist sie darin zu erblicken, daß die Verfassung als oberste Norm die Ausübung aller Staatsgewalt bestimmt. Ist es aber eine Rechtsnorm, die Richtschnur staatlichen Handelns ist, so ist es konsequent, daß die Interpretation und Wahrung dieses Rechts in die Hand eines Organs der rechtsprechenden Gewalt gelegt wird, d.h. einer spezifisch für die Rechtskontrolle eingerichteten Institution und nicht eines genuin politischen Organs“ (vgl. auch S. 417). Ebenso Ossenbühl, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 33. Zur herausragenden Bedeutung speziell im Bereich der föderalistischen Streitigkeiten auch Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 721. Besonders zur Wechselwirkung zwischen Verfassungsrecht, dem Bundesverfassungsgericht und der Politik Ipsen, in: FS Starck, S. 263 ff. 292 Vgl. dazu auch § 1 BVerfGG. 285

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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des Bundesverfassungsgerichts zur Legislative (sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene) zu behandeln sein. Betrachtet wird hierbei die Ebene formeller Verfassungsgemäßheit, speziell des kompetenzgemäßen Gesetzeserlasses.293 Unter Berücksichtigung des Gewaltenteilungsgrundsatzes zeichnet sich in diesem Verhältnis folgendes Problem ab: Die Verfassung bildet als Rahmenordnung den Rahmen294 für legislatives Handeln. Diesen Rahmen zu überwachen und seine Einhaltung zu kontrollieren295, obliegt letztverbindlich296 dem Bundesverfassungsgericht.297 Eine entsprechende Kontrolle gebietet jedoch zwangsläufig auch die Auslegung der einschlägigen Normen. Daraus folgt also: Je nachdem, ob Verfassungsrecht (hier also die kompetenzrechtlichen Vorschriften) durch das Bundesverfassungsgericht298 eng oder weit ausgelegt wird, wird der legislative Handlungsspielraum enger beziehungsweise weiter gefasst.299 „Ein Verfassungsgericht mit den weit gesteckten Normenkontrollbefugnissen des BVerfG wird [infolge dessen] dem Vorwurf nicht entgehen, die Grenze zur Gesetzgebung300 zu verschieben.“301 Soll das Bundesverfassungsgericht jedoch nur den Rahmen 293 Zu anderen Spannungsfeldern zwischen Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber vgl. Ossenbühl, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 39 ff. 294 Den formellen und hier zu betrachtenden Rahmen bilden (unter anderem) die Gesetzgebungskompetenzen, den materiellen Rahmen die Grundrechte und die einschlägigen Verfassungsprinzipien. 295 Zur Legitimation des Bundesverfassungsgerichts zur letztverbindlichen Kontrolle, die zutreffend aus Art. 92 GG gewonnen werden kann, Ossenbühl, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 34 f. 296 BVerfGE 36, 1 (13 f.); Ossenbühl, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 35. Für die Letztverbindlichkeit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gerade in Kompetenzkonflikten Menzel, DVBl. 1997, S. 640. 297 Schlaich/Korioth: Das Bundesverfassungsgericht, S. 281; Ossenbühl, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 34. 298 Vgl. hierzu auch BVerfGE 77, 84 (104): Aufgabe und Befugnis des Bundesverfassungsgerichts sei es, die Verfassung rechtsverbindlich auszulegen und wirksamen verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren. Hinweise auf weitere Urteile in diesem Sinne finden sich bei Sachs, in: FS Kriele, S. 439, Fn. 24. Vgl. auch Depenheuer, in: FS Kriele, S. 486. 299 Dieses Problem im Rahmen der Gewaltenteilung besteht im gesamten Kontrollbereich des Bundesverfassungsgerichts. Element jeder verfassungsgerichtlichen Überprüfung ist jedoch auch und gerade die Auslegung. 300 Für die vorliegende Untersuchung geht es in leichter Modifikation dieses Satzes nicht um die Verschiebung der Grenzen zur Gesetzgebung direkt, sondern um die Beeinflussung der legislativen Zuständigkeiten durch die Auslegung der Kompetenznormen. Jedoch auch für die aus Art. 31 I und II BVerfGG resultierende Bindungswirkung beziehungsweise die dort erwähnte Gesetzeskraft gilt, dass es sich hierbei nicht um Gesetzgebung an sich, auch nicht um Negativgesetzgebung handelt. „Gerichtsförmigkeit und Maßstabsgebundenheit [. . .] garantieren, daß das Verfassungsgericht im Verhältnis zum Gesetzgeber nicht zum Mitproduzenten wird (,Materialprüfung bedeute nicht Produktion‘)“ (Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Art. 31 Rdnr. 158). 301 Schlaich/Korioth: Das Bundesverfassungsgericht, S. 280. Vgl. hierzu auch das Sondervotum von Böckenförde in BVerfGE 93, 121 (151 f.), speziell (152): „autorita-

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

kontrollieren, in dem die Legislative tätig werden darf, so ist es ihm gerade aus Gründen der Gewaltenteilung auch verwehrt, die politischen Prozesse und die dadurch getroffenen Entscheidungen der Legislative durch ein allzu enges Verständnis302, eine zu enge Interpretation dieses Verfassungsrahmens zu ersetzen oder zu beeinflussen.303 Dies gilt auch für eine interpretative Beeinflussung der grundgesetzlich vorgesehenen Kompetenzverteilung und eine damit verbundene Verschiebung des Verhältnisses zu Gunsten des einen oder anderen Kompetenzträgers. Eine Beschränkungsmöglichkeit304 der „weit gespannten Zuständigkeiten des BVerfG, seine[r] großen Möglichkeiten und ,Freiheiten‘ in der Interpretation der Verfassung“305, besteht zum einen in richterlicher „Selbstbeschränkung“306. Nach zutreffender Ansicht ist diese Beschränkung jedoch keine durch das Gericht selbständig vollzogene Beschränkung. Vielmehr ist sie durch die dem Bundesverfassungsgericht zur Verfügung stehenden Kontrollmaßstäbe (die aus der Verfassung gewonnen werden) geprägt.307 Im Ergebnis308 stimmt dies daher mit dem funktiver Praeceptor“. Zum „praeceptor legislatoris“ auch Ossenbühl, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 42 ff. Sehr deutlich in diesem Rahmen auch Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 300. Beispiele finden sich bei Stern, in: FS Kriele, S. 423 f. Ebenfalls dazu Schneider, ZRP 323 ff. 302 Ein Beispiel für die „Verschärfung“ des gerichtlichen Kontrollrahmens ist die bundesverfassungsgerichtliche Einführung des Prinzips der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Auf dieses Prinzip wird im Rahmen der Auflösungskriterien einzugehen sein und auf die einschlägigen Fälle, anhand derer das Bundesverfassungsgericht dieses Prinzip entwickelte (im Rahmen einiger erläuternder Beispiele). Bereits hier kann jedoch erwähnt werden, dass auch wegen der fraglichen Auswirkungen auf das Gewaltenteilungsprinzip Kritik an dieser Rechtsprechung besteht. Hierzu (mit weiteren Hinweisen): Brüning, NVwZ 2002, S. 36, insbesondere S. 37. 303 Ähnlich auch Badura, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 893. Gegen das Bundesverfassungsgericht als „politischen Akteur“ für den Fall der Überprüfung der Verfassungsgemäßheit der Vertrauensfrage Ipsen, in: FS Starck, S. 273 f. 304 Die folgende Darstellung muss sich im Rahmen dieser Arbeit auf ein absolutes Mindestmaß beschränken. Ausführlicher hierzu Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 279 ff.; Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation; Stern, in: FS Kriele, S. 411 ff.; Sendler, in: FS Kriele, S. 457 ff.; Starck, in: HdBStR VII, 189 ff., speziell S. 197 f. 305 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 279. 306 BVerfGE 39, 1 (69 f.); 36, 1 (14). Hierzu auch die Sondervoten von Haas in BVerfGE 115, 320 (381) und Böckenförde in BVerfGE 93, 121 (151). Aufgrund der Konturlosigkeit des Begriffs besagt die Selbstbeschränkung inhaltlich nicht viel. Wann die Selbstbeschränkung überschritten ist, lässt sich schwerlich objektiv feststellen. Zu entsprechenden Streitpunkten vgl. auch die oben angesprochenen Sondervoten von Haas und Böckenförde. Dazu auch Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 281 f. 307 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 282. 308 Auch in BVerfGE 36, (14 f.) bleibt der Unterschied im Ergebnis offen: „Der Grundsatz des judicial self-restraint, den sich das Bundesverfassungsgericht auferlegt, bedeutet nicht eine Verkürzung oder Abschwächung seiner eben dargelegten Kompetenz, sondern den Verzicht, ,Politik zu treiben‘, d.h. in den von der Verfassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugreifen. Er zielt

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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tionell-rechtlichen Ansatz überein, der in einer traditionellen Variante die Beschränkung des Bundesverfassungsgerichts aus der Auslegung des Verfassungsrechts309 gewinnen will und in einer moderneren Variante (freilich auch durch Auslegung) auf die Rollenverteilung zwischen den Staatsorganen abstellt.310 Ohne im Einzelnen auf die verschiedenen Ansätze eingehen zu können, muss letztendlich anerkannt werden, dass dem Bundesverfassungsgericht, sei es im Rahmen der Bestimmung der Funktionen und der Abgrenzung der Staatsorgane, sei es im Rahmen der Auslegung des die Kontrolldichte bestimmenden Verfassungsrechts oder der Ausübung der Selbstbeschränkung, ein Beurteilungsspielraum im Bereich der Verfassungsauslegung verbleibt. Letztverbindlich entscheidet über alle genannten Ansätze das Bundesverfassungsgericht.311 Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes ist es jedoch, Verstöße gegen die Verfassung festzustellen, also die Wahrung des viel zitierten Rahmens legislativer Tätigkeit sicherzustellen. Die Verfassung allein312 kann daher die Kontrolldichte des Bundesverfassungsgerichts bestimmen: „Allein dort, wo verfassungsrechtliche Maßstäbe für politisches Verhalten normiert sind, kann [eigentlich: muss] das BVerfG ihrer Verletzung entgegentreten.“ 313 Auch der Umfang der jeweiligen Kontrolle ist abalso darauf ab, den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung offenzuhalten“ (Hervorhebungen durch den Verfasser). Der das Bundesverfassungsgericht beschränkende Raum freier politischer Gestaltung ist in jedem Falle gleich. Nur die Begründung wird einmal auf eine Selbstbeschränkung („sich“), das andere Mal auf eine „von der Verfassung“ vorgegebene Beschränkung zurückgeführt. 309 Auch dieser Ansatz beschränkt die Kompetenz des Verfassungsgerichts faktisch nicht, verbleibt doch dem Bundesverfassungsgericht die letztverbindliche Auslegungskompetenz selbst. Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 282. 310 Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 334 f.; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 283, mit weiteren Nachweisen auch bezüglich verschiedener Ansätze im Rahmen des funktionell-rechtlichen Ansatzes. Kritisch zur funktionellen Zuordnung: Stern, in: FS Kriele, S. 416. 311 Vgl. auch Roellecke, in: HdBStR III, S. 1215. 312 Insoweit gegen den Ansatz der Selbstbeschränkung und für die Begrenzung durch die Verfassung: „[. . .] erst weil und insoweit sich das Gericht für seine Entscheidung auf die Verfassung stützen kann, partizipiert es an Autorität und Vorrang der Verfassung“ (zitiert nach Depenheuer, in: FS Kriele, S. 487). Vgl. auch Stern, in: FS Kriele, S. 416 und S. 429. Ebenso Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 309. 313 BVerfGE 62, 1 (51) (Hervorhebung durch den Verfasser). Vgl. auch BVerfGE 77, 84 (104): „[. . .] daß das Bundesverfassungsgericht Akte der gesetzgebenden Gewalt an der Verfassung selbst und nicht an verfassungsgerichtlichen Präjudizen zu messen hat“. Zudem BVerfGE 5, 85 (197 ff.), speziell (198 f.): „Die staatliche Ordnung der freiheitlichen Demokratie muß demgemäß systematisch auf die Aufgabe der Anpassung und Verbesserung und des sozialen Kompromisses angelegt sein; sie muß insbesondere Mißbräuche der Macht hemmen. Ihre Aufgabe besteht wesentlich darin, die Wege für alle denkbaren Lösungen offenzuhalten, und zwar jeweils dem Willen der tatsächlichen Mehrheit des Volkes für die einzelnen Entscheidungen Geltung zu verschaffen, aber diese Mehrheit auch zur Rechtfertigung ihrer Entscheidung vor dem ganzen Volke, auch vor der Minderheit zu zwingen. Dem dienen die leitenden Prinzipien dieser Ord-

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

hängig vom jeweils einschlägigen Verfassungsrecht. Zwar bestimmt sich der Umfang der Nachprüfung nach der Eigenart des jeweils in Rede stehenden Sachbereichs314, diese Eigenart wiederum bestimmt sich jedoch nach den einschlägigen Verfassungsnormen.315 Von richterlicher Selbstbeschränkung kann daher nur in faktischer, nicht in rechtlicher Sicht (denn sie besteht durch die Verfassung selbst) und nur insoweit gesprochen werden, als es gilt, die dargestellte, dem Bundesverfassungsgericht zukommende Interpretation316 des Kontrollrahmens Verfassung (sei es im Sinne einer Auslegung, einer Abgrenzung der Funktionen der Staatsorgane etc.) maßvoll317 auszuüben318. Eine Kontrollinstanz für derart getroffene Entscheidungen fehlt.319 Letztlich litte durch die allzu starke Ausweitung des Kontrollmaßstabes durch das Bundesverfassungsgericht die Akzeptanz320 verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, das Bundesverfassungsgericht schadete sich somit selbst.321

nung wie auch ihre einzelnen Institutionen“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Sowie BVerfGE 92, 365 (396): „[Es] ist von der Einschätzung durch den Gesetzgeber auszugehen. [. . .] In einer solchen Lage trifft den Gesetzgeber die politische Verantwortung für eine zutreffende Erfassung und Bewertung der maßgebenden Faktoren. Das Bundesverfassungsgericht kann sich nicht durch eine eigene Einschätzung an seine Stelle setzten. Die Grenze der Verfassungswidrigkeit ist daher erst dann überschritten, wenn sich deutlich erkennbar abzeichnet, daß eine Fehleinschätzung vorgelegen hat oder die angegriffene Maßnahme von vornherein darauf hinauslief, ein vorhandenes Gleichgewicht der Kräfte zu stören oder ein Ungleichgewicht zu verstärken“. Bethge, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, Rdnr. 16: Das Bundesverfassungsgericht ist der „Hüter der Verfassung unter dem Vorbehalt der Verfassung“. 314 BVerfGE 57, 139 (159). 315 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 295. 316 „Entscheidend ist die Analyse der einschlägigen Verfassungsrechtsnorm und deren Interpretation oder, wie es besser heißen könnte, deren Konkretisierung“ (Stern, in: FS Kriele, S. 416). 317 Im Ergebnis so auch Stern, in: FS Kriele, S. 428 f. Zur entsprechenden Wahrung gesetzgeberischer Intentionen bestehen beispielsweise das Prinzip der verfassungskonformen Auslegung, die abgestufte Kontrolle bei gesetzgeberischen Prognoseentscheidungen und der strenge Prüfungsmaßstab bei einstweiligen Anordnungen. Zudem besteht die Möglichkeit, verfassungswidrige Gesetze nicht für nichtig zu erklären (soweit anerkannt wird, dass dies nötig und möglich ist), sondern (nur) für unvereinbar oder einen Änderungsappell an die Gesetzgeber zu richten. Vgl. dazu Stern, in: FS Kriele, S. 418 f. sowie Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 216 ff., speziell S. 225 ff. und S. 241 ff. Eine gewisse Beeinflussung der Rechtsbildung bleibt jedoch auch in diesen Fällen bestehen, vgl. Stern, in: FS Kriele, S. 428. 318 So im Ergebnis und für eine zurückhaltende Praxis auch Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 301 und Ossenbühl, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 53. 319 Vgl. auch Depenheuer, in: FS Kriele, S. 489 und S. 501. Ebenso Doehring, in: FS Stern, S. 1060 und 1069. Doehring weist auch darauf hin, dass bei fehlender Kontrollmöglichkeit des Bundesverfassungsgerichts durchaus über die Besetzung des Gerichts und das Ernennungsverfahren nachgedacht und gegebenenfalls eine Reform durchgeführt werden müsste.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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3. Kompetenznormen als „bestimmtes, vorgeprägtes Verfassungsrecht“ Jedoch ist auch für die Betrachtung des Verhältnisses von Legislative und Bundesverfassungsgericht zu beachten, dass es sich bei den Kompetenznormen um für Verfassungsrecht relativ bestimmte, der interpretativen Beeinflussung nicht im selben Maße ausgesetzte Normen handelt wie bei „offenen Verfassungsbereichen“.322 Zudem handelt es sich bei den in Rede stehenden Kompetenznormen um Fragen der formellen Verfassungsmäßigkeit. Unterschiedliche Kontrolldichten aufgrund jeweils unterschiedlich zu bewertender Eigenarten des betroffenen Sachbereichs sind hauptsächlich Fragen der materiellen Verfassungsgemäßheit.323 Im Grundsatz gelten für die Auslegung der verschiedenen Kompetenznormen daher die oben dargestellten Interpretationsregeln in der beschriebenen Reihenfolge.324 Eine etwas verstärke Stellung325 kommt der geschichtlichen Betrachtung in Form der historischen und genetischen Auslegung zu, da „der Gesetzgebungskatalog des Grundgesetzes im steten Rückblick auf die Weimarer Reichsverfassung formuliert worden“326 ist.327 Auch das Bundesverfassungsgericht, das der historischen und genetischen Sichtweise grundsätzlich nur nachrangigen Charakter 320 Beispiele für teils sehr kritische Äußerungen finden sich bei Depenheuer, in: FS Kriele, S. 485, Fn. 3. In diesem Zusammenhang sei auch nochmals das Sondervotum von Böckenförde in BVerfGE 93, 121 (151) erwähnt. 321 Die Autorität des Bundesverfassungsgerichts und die Akzeptanz der Entscheidungen hängt stark vom Ansehen des Gerichts ab: „Das Vertrauen der Bürger ist letztlich das einzige Kapital dieser Institution“ (Herzog, in: FS Stern, S. 164). Zum Ansehen des Bundesverfassungsgerichts allgemein vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 301 ff. Hierzu auch Depenheuer, in: FS Kriele, S. 486: „[. . .] tatsächlich beruht insbesondere das System der Verfassungsgerichtsbarkeit auf der freiwilligen Akzeptenz und Anerkennung der Autorität des Gerichts.“ Und weiter auf S. 501: „Dem ,einfältigen Verfassungsverständnis‘ des Volkes kommt insoweit eine in seiner verfassungstheoretischen Bedeutung noch kaum ausgeleuchtete Wächterfunktion zu.“ Zur Voraussetzung, aber auch zur Gefährlichkeit der freimütigen Akzeptanz des Bundesverfassungsgerichts und seiner Entscheidungen siehe Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, Rdnr. 8. 322 Dazu Starck, in: HdBStR VII, S. 227; Roellecke, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 46; Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 30, Rdnr. 1. Ebenso Stern, in: FS Kriele, S. 422, der zwischen einer ersten Stufe, der Auslegung bestimmter Verfassungsnormen, einer zweiten Stufe, der Auslegung unbestimmter Verfassungsrechtsbegriffe, und einer dritten Stufe, der Verfassungsrechtsfortbildung, unterscheidet. 323 Vgl. Ossenbühl, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 52. 324 Anderer Ansicht hierzu ist Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 379 ff. 325 So auch Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 48 f. 326 BVerfGE 3, 407 (414 f.); BVerfGE 33, 52 (61); BVerfGE 77, 1 (45 und 49 f.). 327 Ebenso Starck, in: HdBStR VII, S. 226 und Roellecke, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 46.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

zugesteht328, bezieht sich im Bereich der Rechtsprechung zum Kompetenzkatalog des Grundgesetzes auffallend oft auf die Weimarer Verfassung329, die Verfassung von 1871330 oder sogar die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867331. Beispielsweise „bei der Bestimmung von Inhalt und Umfang der Materie im Sinne des Art. 74 Nr. 1 GG [und unter der Berücksichtigung der oben zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wohl bei allen Kompetenzfragen] kommt daher neben dem Grundsatz des Art. 30 GG dem Merkmal des ,Traditionellen‘ und ,Herkömmlichen‘ wesentliche Bedeutung zu. Der historische Zusammenhang in der deutschen Verfassungsentwicklung und Gesetzgebung ist zu beachten; Entstehungsgeschichte und Staatspraxis gewinnen für die Auslegung besonderes Gewicht.“332 Dies kann naturgemäß nur für die Kompetenztitel gelten, die unter entsprechendem historischen Einfluss gestanden haben. Neuere, hauptsächlich in Reaktion auf aktuelle Entwicklungen eingefügte333 oder geänderte Kompetenznormen entziehen sich dem gesteigerten historischen Einfluss in oben genanntem Sinne. Auch die Formulierung des jeweiligen Kompetenztitels hat Einfluss auf den Stellenwert der geschichtlichen Betrachtung. Während faktisch-deskriptiv334 formulierte Bereiche335 dem traditionellen Einfluss eher entzogen sind, stehen normativ-rezeptiv ausgeformte Kompetenznormen336 diesem tendenziell offen gegenüber.337 Zudem sei an die eine Entwicklung hemmenden Faktoren einer zu sehr traditionell geprägten Sichtweise erinnert.338 Einwirkungen des übrigen Verfassungsrechts, beispielsweise verfassungsrechtlicher Strukturprinzipien, auf das jeweilige Verständnis einer Kompetenznorm

328 Vgl. nur BVerfGE 62, 1 (45 f.); BVerfGE 1, 299 (312); BVerfGE 6, 55 (75); BVerfGE 41, 291 (309). 329 BVerfGE 3, 407 (415 ff.); BVerfGE 26, 338 (373 ff.); BVerfGE 61, 149 (190 ff.). 330 BVerfGE 42, 20 (29 f.); 61, 149 (177 f.). 331 BVerfGE 12, 205 (226). 332 BVerfGE 61, 149 (175). Die Entscheidung weist sodann noch auf BVerfGE 33, 125 (152 f.) und BVerfGE 42, 20 (29) hin. In BVerfGE 42, 20 (29) heißt es: „Der Gesetzgebungskatalog des Grundgesetzes ist weitgehend im Hinblick auf die Weimarer Reichsverfassung formuliert worden. Soweit das Grundgesetz Materien aus dieser übernommen hat, kann daher grundsätzlich angenommen werden, daß sie in demselben Sinn zu verstehen sind, wie dies dort der Fall war.“ 333 Beispielsweise sei hier die Nutzung der Kernenergie in Art. 73 I Nr. 14 GG genannt. 334 Zu den verwendeten Begriffen vgl. auch die Ausführungen oben im Rahmen von 1. Teil B. II. 2. 335 Als Beispiel hierfür sei Art. 73 Nr. 6 GG: Luftverkehr genannt. 336 Beispielsweise Art. 74 I Nr. 1 GG: Das bürgerliche Recht. 337 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 51 ff. Dem entsprechend unter Verwendung leicht divergierender Begriffe auch Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 50. 338 Dazu bereits oben unter 2. Teil A. I. und II. 1. d) sowie VI.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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sind, wie erwähnt, im Rahmen der systematischen Auslegung339 oder der Auflösung bestehender Konkurrenzen zu berücksichtigen.340

IV. Generelle Auslegungsgewichtung zu Gunsten des Bundes oder der Länder? Ein Einfluss anderer Verfassungsnormen auf die Auslegung einzelner Kompetenztitel wird in Zweifelsfragen auch für eine grundsätzliche Auslegungsgewichtung341 in Richtung des Bundes oder der Länder gesehen. Zu nennen sind hier Art. 31 GG zu Gunsten des Bundes und Art. 30 GG beziehungsweise als dessen lex specialis342 Art. 70 GG zu Gunsten der Länder. Konsequenz aus der Annahme einer entsprechenden Vorgewichtung der Auslegung wäre, dass Kompetenzkonflikte von Vornherein, können sie schon nicht durch die hergebrachten Auslegungsmethoden beseitigt werden, durch die entsprechende Vorgewichtung zu Gunsten des Bundes oder der Länder entschieden würden. Eine Auflösung der Kompetenzkonkurrenzen auf einer dritten Stufe wäre folgedessen nicht mehr nötig, da schon durch die Auslegung, die die erste Ebene der kompetenziellen Qualifizierung darstellt, die Weichen zu Gunsten der Bundes- oder der Landeskompetenz gestellt wären. Fraglich bleibt jedoch, ob eine entsprechende Auslegungsgewichtung besteht und, falls sie besteht, ob sie, vermittelt durch die genannten Normen, fähig ist, eine entsprechende Auflösung von Kompetenzkonkurrenzen schon auf der Auslegungsebene zu leisten. Von einer Vermutung zu Gunsten des Bundes, vermittelt durch Art. 31 GG, geht beispielsweise Erbguth aus343, wenn er davon spricht, dass Abgrenzungspro339

So Starck, in: HdBStR VII, S. 201. Zur Unterscheidung von Auflösungs- und Auslegungskriterien sogleich unter 2. Teil C. Das Bundesstaatsprinzip wird im Rahmen der Auflösung noch eine gesteigerte, abschließende Rolle spielen. 341 Dem dieser Arbeit zu Grunde gelegten Qualifizierungsvorgang – bestehend aus Auslegung, Zuordnung und Auflösung – folgend, soll hier zwischen einer Auslegungsgewichtung und einer Vermutungswirkung im Rahmen der Auflösungskriterien unterschieden werden. Während Art. 31 GG und Art. 30, 70 GG auf Auslegungsebene zu einer Vorgewichtung zu Gunsten von Bundes- oder Landeskompetenz wirken könnten, so besteht auch die Möglichkeit, eine entsprechende Vermutungswirkung erst auf der dritten Ebene, der Auflösungsebene, anzunehmen. Die Entscheidung über die jeweils bestehende Kompetenz fiele im ersten Fall auf erster Ebene, der Auslegung, während im zweiten Fall die Entscheidung erst im Rahmen der Auflösungsebene gefunden würde. Eine ähnliche Unterscheidung trifft Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 13. 342 Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 696. Widersprüchlich Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 6. 343 Ebenso Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 256. Für eine Berücksichtigung des Art. 31 GG in diesem Zusammenhang auch Rengeling, in: HdBStR IV, S. 745 und Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 2, wobei den jeweiligen Ausführungen nicht zu entnehmen ist, ob eine Auslegungsgewichtung oder eine Vermutungswirkung im hier verwendeten Sinne angenommen wird. Im Ergebnis auch 340

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

blematiken zwar „Auslegungsfragen im Verhältnis der Zuständigkeiten des Bundes zu jenen der Länder“344 seien, „i. Ü. [aber] Art. 31 nicht zu bereinigende Auslegungs- und Zuordnungsfragen im Bereich der Gesetzgebung zugunsten des gesamtstaatlichen Rechts“345 löse. Zunächst wird die Frage der Kompetenzüberschneidung also grundsätzlich dem Bereich der Auslegung zugerechnet, nicht durch herkömmliche Auslegung lösbare Zweifelsfragen dann einer Vermutung zu Gunsten der Bundeskompetenz überantwortet. Indessen hat Art. 31 GG jedoch anderen Inhalt. Nur kompetenzgemäß erlassenes Gesetzesrecht kann überhaupt Gegenstand der Regelung sein.346 „Art. 31 setzt die Existenz gültigen Bundesrechts voraus. Er erfasst deshalb nur Normen, die formell und materiell mit höherrangigem Recht übereinstimmen“347. Wenn nun aber von der Prämisse auszugehen ist, dass Doppelzuständigkeiten vermieden werden sollen, Gegenstand der Regelung des Art. 31 GG aber nur kompetenzgemäß erlassenes Gesetzesrecht sein kann, ist die Feststellung der tatsächlichen Kompetenzen schon vor der Anwendung des Art. 31 GG durchzuführen. Kompetenzwidrig erlassenes Gesetzesrecht ist also schon wegen des Verstoßes gegen die Kompetenzvorschriften (Art. 70 ff. GG) verfassungswidrig.348 Der Wirkbereich des Art. 31 GG erstreckt sich somit nicht auf die Ermittlung der jeweiligen Kompetenz, sondern folgt dieser nach.349 Ist dagegen keine eindeutige Abgrenzung von Bundes- und Landeskompetenzen durch eine Auslegung möglich, so kann Art. 31 GG auch nicht – sozusagen in einem Nachspiel – auf die Auslegung einwirken und dadurch die (eindeutige) Kompetenzgemäßheit, die Voraussetzung für Art. 31 GG ist350, nachträglich aufgrund einer Vermutung festlegen.351 Es folgte also der Annahme einer entsprechenden Vermutung ein Zirkelschluss in der AnPestalozza, DÖV 1972, S. 181 ff., wobei seinem Ansatz eher die Annahme einer Vermutungswirkung und nicht die einer Auslegungsgewichtung in diesem Sinne gleichkommt. Zur Vermutungswirkung als Auflösungskriterium jedoch später unter 4. Teil A. I. 2. Ein Hinweis auf das Verständnis des Art. 31 GG als „Interpretationstopos“ findet sich auch bei Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 27, dort mit Hinweisen auf dementsprechende fachgerichtliche Rechtsprechung. 344 Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 27. 345 Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 17. Fraglich und ungelöst bleibt allerdings das Verhältnis dieser Annahme zur länderfreundlichen Auslegungsrichtlinie, die aus Art. 30 GG resultieren soll, vgl. Art. 30, Rdnr 9. Gegen jegliche Auslegungsgewichtung dagegen Erbguth, DVBl. 1988, S. 319. 346 Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 10; BVerfGE 98, 145 (159); 26, 116 (135); 36, 342 (363); 96, 345 (364); Wolfrum, DÖV 1982, S. 676; Menzel, DVBl. 1997, S. 643; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 153. 347 Huber, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 31, Rdnr. 11. 348 Dem entsprechend: Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 1. 349 Müller/Pieroth/Rottmann: Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 51 ff. 350 So auch Huber, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 31, Rdnr. 14. 351 Dem entsprechend auch Wolfrum, DÖV 1982, S. 678.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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wendung des Art. 31 GG, da Voraussetzung und Wirkung in diesem Fall identisch wären.352 Zusätzlich wäre problematisch, wie sich eine Auslegungsgewichtung pro Bundeskompetenz nach Art. 31 GG im Verhältnis zu einer möglichen Auslegungsgewichtung aus Art. 30 GG beziehungsweise aus Art. 70 GG zu Gunsten der Länder353 verhalten würde.354 Denn wenn „verbreitet [. . .] Art 30 GG die Funktion zugeschrieben [wird], als methodischer Maßstab die Interpretation der Bestimmungen anzuleiten, die die Verfassung über die Verwaltungs- und Gesetzgebungskompetenzen trifft“355, so ergäbe sich hierdurch ein Widerspruch beider Auslegungsgewichtungen, mit der Folge, dass sich beide gegenseitig aufzuheben drohten. Eine entsprechende Kollision bestünde jedoch nur, wenn den Art. 30, 70 GG auch eine entsprechende Gewichtungswirkung zukäme. Auf den ersten Blick lässt der Wortlaut eine entsprechende Gewichtung356 annehmen, wenn es in Art. 30 GG für die grundsätzliche Verteilung der Aufgaben und Befugnisse357 heißt: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Er352 Gegen eine entsprechende Wirkung des Art. 31 GG ist auch Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 706 f. 353 Eine entsprechende Auslegungsgewichtung wird oftmals verbunden mit der Forderung „einer strikten Interpretation“ (BVerfGE 42, 20 (28)) von Bundeskompetenzen. Es müsse „gewissermaßen der ,Nachweis‘ geführt werden, daß die geregelte Materie einem der [. . .] Sachbereiche der [Bundeskompetenz] zugeordnet ist“ (BVerfGE 42, 20 (28)). Vgl. auch Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 30, Rdnr. 25. 354 Offen bleibt dies auch bei Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 9 bzw. 17. 355 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 30, Rdnr. 25. 356 Aus einer entsprechenden Gewichtung zu Gunsten der Länder folgte ebenfalls das Erfordernis einer strikten Interpretation der Art. 73 ff. GG, vgl. BVerfGE 12, 205 (228 ff.); 33, 125 (152). Als weiteres Argument für die strikte Interpretation der Bundeskompetenzen wird herangezogen, dass Ausnahmen immer restriktiv zu handhaben seinen. Ausnahme zur grundsätzlich bestehenden Landeskompetenz sei die Bundeskompetenz, da diese durch das Grundgesetz ausdrücklich benannt werden müsse (vgl. Art. 70 I GG: „soweit nicht“). Dieser Grundsatz kann in dieser Allgemeinheit jedoch generell nicht, falls überhaupt nur für ungeschriebene Ausnahmen und Analogien, gelten, da sich der Gesetzesanwender hier über geschriebenes Recht hinwegsetzt beziehungsweise das geschriebene Recht auf nicht vorhergesehene Fälle anwendet. Gesetzlich normierte Ausnahmen sind dagegen wie jedes Gesetzesrecht auch nach den oben beschriebenen Regeln auszulegen. Für eine restriktive Anwendung, die sich nur aus dem Ausnahmecharakter einer Norm begründen lässt, besteht kein Grund, denn dies setze „stillschweigend die Behauptung voraus, je weniger eine Regel durchbrochen werde, desto besser sei es, und impliziert damit, daß die Ausnahme von einer Regel notwendig ,unrichtiger‘ als die Regel sei“ (Rinck, in FS Müller, S. 295; zum Ganzen S. 293 ff. mit einigen Hinweisen auf gleichlautende Ansichten der Rechtsprechung). Ablehnend zum Grundsatz der restriktiven Interpretation und zum Analogieverbot für Ausnahmevorschriften Würdinger, JuS 2008, S. 949 ff. 357 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 30, Rdnr. 1; Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 7: „Generalklausel der Kompetenzverteilung“. Heintzen, DVBl. 1997, S. 698: „Kompetenzgeneralklausel des Art. 30 GG“.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

füllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt“, und Art. 70 GG dies für die Gesetzgebung konkretisiert358: „Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.“ Ob sich jedoch aus diesen Formulierungen eine grundsätzliche Auslegungsregel zu Gunsten der Länder gewinnen lässt, ist höchst zweifelhaft.359 Als Argument für eine entsprechende Vermutung wird angeführt, dass trotz der beabsichtigten, lückenlosen Regelung der Kompetenzverteilung durch den Verfassunggeber durch technische und gesellschaftliche Entwicklungen immer wieder Neuerungen auftreten, die nicht eindeutig in das bestehende System passen. Um diese regeln zu können, bleibe „offensichtlich nichts anderes übrig als zu einer Zuständigkeitsvermutung360 zu greifen.“361 Hiergegen ergeben sich jedoch Bedenken. Zunächst ist zwischen „Neuerungen“362 zu unterscheiden, die nicht in den Katalogen der Art. 73, 74 GG gelistet sind und die auch nicht durch die Auslegung der Bundeskompetenzen zu den dort genannten Bereichen gezählt werden können, und solchen Bereichen, die sowohl eine Kompetenz des Bundes als auch eine Kompetenz der Länder berühren, bei denen mithin eine Konkurrenz besteht. Für erstere Bereiche, die nicht in die Zuständigkeit des Bundes fallen, sind schon in direkter Anwendung des Art. 70 GG die Länder kompetent. Im Gegen358 Art. 70 GG ist insoweit lex specialis zu Art. 30 GG. So auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 9. 359 Verneinend auch Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 252 ff., speziell S. 253 und S. 257; Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 13; Rengeling, in: HdBStR IV, S. 735 f.; Pestalozza, DÖV 1972, S. 181; Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 390. Zweifel bestehen auch dadurch, dass das Grundgesetz bewusst durch die recht umfassenden Kataloge der Art. 73 und 74 GG das Schwergewicht der Gesetzgebungskompetenzen beim Bund festschreibt. So auch Rinck, in: FS Müller, S. 298. Gegen eine Vermutungsregel des Art. 30 GG – jedoch mit anderer Begründung: Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 703 f. 360 Hier wird abweichend zu der obigen Unterscheidung zwar nicht von einer „Auslegungsgewichtung“, sondern von einer „Zuständigkeitsvermutung“ gesprochen, die nach der hier getroffenen Einteilung eher unter den Bereich der Auflösungskriterien falle würde. Da Maunz jedoch die entsprechende Unterteilung nicht vornahm, wird unter dem Begriff hier die Auslegungsgewichtung verstanden. Dass der Begriff der „Zuständigkeitsvermutung“ sowohl als „Auslegungsgewichtung“ als auch als eigentliche „Zuständigkeitsvermutung“ verstanden wurde, zeigt die Ausführung bei Rdnr. 29: „Die Zuständigkeitsvermutung ist ein Auslegungsbehelf und eine Beweislastregelung“. Auf eine Vermutungswirkung im Rahmen der Auflösung wird im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls noch einzugehen sein (4. Teil A. I. 2.). Ähnlich der hier getroffenen Unterscheidung findet sich eine Unterscheidung von „Zuständigkeitsvermutung“ und „Auslegungsrichtlinie“ auch bei Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 8 und 9. 361 Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 30. 362 Da vorliegend nicht nur neue Entwicklungen, sondern auch schon bestehende Unsicherheiten in der Kompetenzverteilung behandelt werden, wird nun auch im Zusammenhang der Neuerungen von „Bereichen“ gesprochen.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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satz zu den Bundeskompetenzen sind die Landeskompetenzen gerade nicht enumerativ aufgelistet. Der Grundsatz des Art. 70 I GG, nach dem das Grundgesetz dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleihen muss und, falls nicht, die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne haben, besteht. Einer Vermutungswirkung über den Wortlaut des Art. 70 I GG hinaus bedarf es daher nicht.363 Allenfalls Bereiche, die nach einer Auslegung sowohl in die Bundeskompetenz als auch in die Landeskompetenz fallen, wären einer Vermutungswirkung zugänglich.364 Dies käme jedoch einer allgemeingültigen Auslegungsregel in Form einer Zweifelsfallregelung gleich. Regelungen anderer Verfassungsnormen im Rahmen der Auslegung der einzelnen Kompetenztitel der Kataloge der Art. 73 und 74 GG wären jedoch nicht als allgemeingültige Gewichtungsregel, sondern im Rahmen der systematischen Auslegung zu berücksichtigen, die zwar einen Hinweis auf den Sinn und Zweck der entsprechenden Norm gibt, jedoch immer im Zusammenspiel mit allen anderen Auslegungsmethoden zu sehen ist.365 Für eine methodologische Sonderbehandlung der Art. 30 und 70 GG im Rahmen der Auslegung der einzelnen Kompetenztitel besteht kein Grund.366 Folge einer entsprechend globalen Berücksichtigung der Art. 30 und 70 GG im Rahmen der Auslegung wäre hingegen eine Übergewichtung systematischer Gesichtspunkte, die es aufgrund der oben ausgeführten Grundsätze zu vermeiden gilt. Die Notwendigkeit einer Entscheidung zur Vermeidung von Doppelzuständigkeiten und dem damit verbundenen Verstoß gegen die Abgrenzungsfunktion des Art. 70 II GG darf nicht dazu führen, dass das Zusammenspiel der Auslegungsmethoden außer Kraft gesetzt oder das Auslegungsergebnis vorweggenommen367 wird.368 Im Gegenteil: Ist es Gegenstand der Auslegung, den Inhalt und somit den Sinn und Zweck einer Norm zu ermitteln, so widerspräche es diesem Ziel der Auslegung, in dem Fall, dass es gerade Sinn und Zweck sowohl einer Bundes- als auch einer Landeskompetenz sein kann, einen bestimmten Sachverhalt zu regeln, durch eine Gewichtungsregel dem einen den Vorrang vor dem anderen einzuräumen.

363 So auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 7. Ebenso Rinck, in: FS Müller, S. 291. 364 Jedoch ist auch hier sehr zweifelhaft, ob eine Vermutung überhaupt im Rahmen der Auslegung herangezogen werden kann, vgl. Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 13, mit weiteren Hinweisen. 365 Dazu bereits oben unter 2. Teil A. II. 4. 366 Im Ergebnis so auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 9. 367 Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 13. 368 Im Ergebnis ebenfalls gegen eine Auslegungsgewichtung – dies jedoch mit jeweils etwas anderer Begründung Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 275; Rinck, in: FS Müller, S. 293 ff., speziell S. 298.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

V. Konkurrenzauflösung mittels Auslegung Während in den vorhergehenden Betrachtungen die Darstellung der einzelnen Auslegungskriterien im Mittelpunkt stand, so gilt es nun, der Funktion der Auslegung gerade im Hinblick auf bestehende Konkurrenzen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen Aufmerksamkeit zu schenken. Im Verlauf der Arbeit, wurde bereits mehrfach auf das Ziel der Auslegung hingewiesen. Zentrale Aufgabe der Auslegung ist die Ermittlung des Inhalts einer Norm. Dies gilt sowohl für einfachgesetzliche Regelungen als auch für Verfassungsrecht. Der Sinn und Zweck spielt damit die entscheidende Rolle. Fraglich ist nun, ob sich über diese Zweckermittlung hinaus, respektive durch diese, aus der Auslegung Anhaltspunkte für die Behandlung eventueller Kompetenzüberschneidungen gewinnen lassen. Kernfrage ist also, ob durch die Auslegung Kompetenzüberschneidungen vermieden werden können beziehungsweise ob durch die „richtige“ Auslegung entsprechende Konkurrenzen zwangsläufig ausscheiden.369 Dass es eine alleinige richtige Auslegung nicht geben kann, zeigen obige Ausführungen. Schon das bestehende und zur Durchbrechung des hermeneutischen Zirkels notwendige Vorverständnis des jeweiligen Interpreten macht ein einzig richtiges, allein geltendes Ergebnis unmöglich. Nichtsdestotrotz könnte die Möglichkeit bestehen, über Erwägungen bezüglich des Sinns und Zwecks widerstreitender Kompetenznormen diesbezügliche Konkurrenzen aufzulösen und Überschneidungen zu vermeiden. Ansätze hierzu werden in der Literatur und auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertreten.370 Nicht immer wird jedoch klar zwischen den einzelnen Elementen der kompetenziellen Qualifizierung im hier verwendeten Sinne unterschieden. Die Bereiche der Auslegung und der kompetenziellen Zuordnung werden in den jeweiligen Lösungsansätzen häufig vermischt. Die Unterscheidung von Auslegung und Zuordnung insgesamt gestaltet sich schwierig, weshalb auch die Einordnung der jeweiligen Ansätze zur Konkurrenzauflösung schwer fällt. Dies ist sowohl Konsequenz aus der teilweise nicht erfolgten Trennung der entsprechenden Bereiche der kompetenziellen Qualifizierung (Auslegung und Zuordnung) als auch aus der Fülle der verwendeten Begriffe. Eine weitere Ursache ist die im Rahmen der kompetenziellen Qualifizierung angezeigte Vorgehensweise, wonach zunächst Sinn und Zweck der Kompetenznormen – sowie gegebenenfalls des zu qualifizierenden Gesetzes – zu ermitteln und dann aufgrund dieser Auslegung die Zuordnung vorzunehmen ist. Dass somit der ausgelegte Inhalt der Norm Einfluss auf die eigentliche Zuordnung nimmt, liegt auf der Hand. 369 „[V]ielmehr geht es allein um – zugegebenermaßen nicht einfache – Auslegungsfragen im Verhältnis der Zuständigkeiten des Bundes zu jenen der Länder“ (Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 27). 370 So auch Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 3 f.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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In einem ersten Schritt sind daher alle insgesamt verwendeten Begriffe – soweit ersichtlich – zu sammeln. Durch die Betrachtung einiger Ansätze zur Konkurrenzauflösung werden die verwendeten Begriffe dann nach und nach den jeweiligen Bereichen zugeordnet. Neben dieser Einordnung hat hauptsächlich die Auseinandersetzung mit der generellen Geeignetheit der Auslegung als Ort der Konkurrenzauflösung zu erfolgen. Weiter unten gilt es, gleiche Überlegungen bezüglich der Zuordnung anzustellen. 1. Allgemein: Mögliche Auflösungskriterien im Rahmen der Auslegung und der Zuordnung Zunächst gilt es also, sich einen Überblick über die bestehende Fülle der verwendeten Begriffe zu verschaffen: Die Kompetenzielle Qualifizierung – der Begriff wird (nur !) in diesem Moment ohne die erforderliche Unterscheidung von Auflösung und Zuordnung gebraucht – soll anhand des Schwerpunkts der Regelung, dem überwiegenden Sachzusammenhang, eines Unmittelbarkeitskriteriums, effektuierender Auslegung, der Unterscheidung von Haupt- und Nebenzweck, inhaltlicher Identität, Systemkonformität, der Einfügung in die historische Entwicklung, der Identität von Gesetzeszweck des zu qualifizierenden Gesetzes und der Kompetenznorm, nach der Funktion und mittels einer Sonderrechtstheorie erfolgen. Ebenfalls wird als Qualifikationskriterium verwendet, ob die Regelung bloßer Reflex oder Hauptbestimmung einer Kompetenznorm ist. 2. Geeignetheit der Auslegung als Ort der Konkurrenzauflösung Vorrangig sollen in diesem Abschnitt zwar diejenigen Ansätze behandelt werden, die die Auflösung bestehender Konkurrenzen als eine Frage der Auslegung betrachten. Kleinere Überschneidungen mit Ansätzen, die in der Zuordnung den richtigen Ort der Konkurrenzauflösung sehen, werden jedoch, wie aufgezeigt, möglich und wohl nicht vermeidbar sein. Eine eingehendere Behandlung letzterer Ansätze wird trotzdem getrennt an späterer Stelle erfolgen. Im Grunde würde die pauschale Behandlung der Geeignetheit der Auslegung als Auflösungsebene die sich stellenden Probleme zu stark vereinfachen. Es besteht die Gefahr, die durchaus bestehenden Nuancen zwischen den Konkurrenzarten zu verwischen und eine differenzierte, auf die einzelnen Konkurrenzarten abgestimmte Behandlung und Auflösung zu erschweren. Dennoch sehen einige Autoren ausschließlich die Auslegung als den Ort der Auflösung an. Um im Rahmen dieser Arbeit die Darstellung der Auslegung und der Auflösung nicht über das erforderliche Maß hinaus zu zerreißen und zu vermischen, soll hier dennoch allgemein auf einige Auflösungsansätze eingegangen werden. Eine endgültige Behandlung kann und soll hier jedoch nicht erfolgen. Nötig ist, wie angedeutet,

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

eine dezidiertere Betrachtung. Diese erfolgt an späterer Stelle, differenziert nach den jeweiligen Konkurrenzarten. Die Auslegung als Ort der Konkurrenzauflösung sieht beispielsweise Stettner. Nachdem die grundgesetzliche Kompetenzverteilung von einer lückenlosen Abschichtung der Kompetenzen von Bund und Ländern im Bereich der Gesetzgebungszuständigkeiten ausgehe, sei es systeminkonform, begnüge man sich mit einem „Unentschieden“ auf der Ebene der Kataloginterpretation.371 Folgerichtig wäre demnach eine Kompetenzabgrenzung – und damit eine Auflösung entsprechender Konkurrenzen bereits auf der Auslegungsebene. Hierbei gelte es jedoch, das vom Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit ausgehende Postulat der Rationalität des Rechts und seiner Auslegung zu wahren und das Vorgehen bei der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern diskutierbar und methodisch kalkulierbar zu halten. Zudem sei die Auslegung der Kompetenztitel an die vorausliegenden Sachstrukturen ihres Gegenstandes gebunden, mithin Besonderheiten der Verfassungsauslegung zu berücksichtigen.372 Dies seien (beispielsweise) neben dem auf die gesamte Auslegung einwirkenden Grundsatz der „Einheit der Verfassung“ die strikte Interpretation der Kompetenztitel, die Berücksichtigung der Wirkgeschichte eines Gesetzes in Form der Staatspraxis, die Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit und die Effizienz.373 Die „kompetenzrechtliche Einstufung einer gesetzlichen Regelung [wäre nach korrekter Auslegung im dargestellten Sinne] nach ihrem alleinigen oder hauptsächlichen Zweck und dem realen, abschätzbaren Effekt“374 durchzuführen. Stettner stimmt zwar der Auffassung von Müller/Pieroth/Rottmann375 zu, wonach die bundesstaatliche Verteilungsregel des Art. 70 I GG greife, falls eine Zuständigkeitsverleihung an den Bund normativ nicht auszumachen sei, jedoch ein gleichgewichtiger Bezug zu einer Bundeszuständigkeit ausreiche, um diesem die Regelungszuständigkeit zuzusprechen, weil hier für die „Verleihung“ von Gesetzgebungsbefugnissen im Sinn von Art. 70 GG ausreichend Nachweis erbracht sei.376 Dies weist in die Richtung gewisser, aus Art. 30 und 70 GG beziehungsweise Art. 31 GG hergeleiteter Vermutungsregeln.377 Die Auflösung erfolgt hier im Grunde dennoch auf Grundlage der Auslegung, da der oben erwähnte – als Weichenstellung hin zur

371

Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 423. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 420. 373 Dies sowie der vollständige Katalog der nach Stettner zu berücksichtigenden Besonderheiten findet sich in Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 383 ff. sowie die Thesen Nr. 34 ff. ab S. 449. 374 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 422. Ebenso Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 27. 375 Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 49 f. 376 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 423. 377 Zur Auslegungsgewichtung bereits oben. Die Figur der konkurrenzauflösenden Vermutungswirkung wird später genauer erörtert (4. Teil A. I. 2.). 372

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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Verleihung von Bundeskompetenzen dienende – „gleichgewichtige Bezug“ wiederum mittels Auslegung festgestellt wird. Eine weitere Facette im Bereich der Konkurrenzauflösung mittels Auslegung zeigt sich durch die starke Gewichtung systematischer Gesichtspunkte. Die jeweiligen Kompetenznormen beschränkten sich nach diesem Verständnis selbst und untereinander.378 Zuständigkeitsnormen seien demnach „so zu deuten, daß sie zur Gestaltung von vornherein nur in ihrem Binnenbereich befugen. Fremde Befugnisse [also systematische Gesichtspunkte im weiteren Sinne] wären dann ein entscheidendes Kriterium der Auslegung der eigenen Zuständigkeit. [. . .] [J]enseits der Beeinträchtigungsgrenze wäre der übergreifend tätig gewordene Gesetzgeber von vornherein unzuständig“379. Von einer derartigen Beschränkung durch die Wechselwirkung380 mit anderen Zuständigkeitsnormen erfasst sind (selbstverständlich) die Tatbestände, betrachtet werden soll aber auch die Wirkung, die eine Norm entfaltet.381 Eine gegenseitige Begrenzung erfolge neben der soeben angesprochenen Binnenbeschränkung auch durch die die auszulegende Norm umgebenden kompetenzrechtlichen Nachbarnormen. Eine Trennung beider Bereiche (Selbst- und Fremdbeschränkung) erscheint jedoch sehr schwer möglich und auch nicht nötig.382 Allein durch die Auslegung wären nach diesem Ansatz Überschneidungen von der (ausgelegten) Kompetenzordnung selbst behoben.383 Bereits hier darf jedoch an der Praktikabilität dieses Ansatzes gezweifelt werden. Sollten tatsächlich zwei Kompetenzen denselben Sachverhalt erfassen, so ist nicht klar, welche der Kompetenzen sich zu Gunsten der anderen oder durch die andere selbst beschränken beziehungsweise beschränkt werden sollten. Nur für den (utopischen384) Fall, dass kein Sachverhalt von zwei Kompetenzen erfasst wäre, stellte die strikte Interpretation der jeweiligen Kompetenzen eine ausreichende Richtschnur zur Abgrenzung dar. Dann wäre eine kompetenzielle Überschneidung tatsächlich durch eine methodisch korrekte Auslegung als erste Stufe kompetenzieller Qualifikation verhindert. Es handelte sich somit um eine Situation, für die ein in dieser Arbeit schon verwendeter und noch häufiger auftretender Begriff gebraucht werden soll: die „Scheinkonkurrenz“. Dennoch sucht das Bundesverfassungsgericht die Auflösung entsprechender Kompetenzkonflikte (freilich durch die Zuhilfenahme zusätzlicher Kriterien) 378

Brohm, DÖV 1983, S. 528. Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 98. 380 Brohm spricht hier von einer Vergleichbarkeit mit der Situation bei Grundrechtskollisionen, die mittels praktischer Konkordanz zu lösen ist, vgl. Brohm, DÖV 1983, S. 528. 381 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 98. 382 Ebenso Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 99. 383 Brohm, DÖV 1983, S. 528. 384 So auch Brohm, DÖV 1983, S. 525; Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 375 f. 379

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

ebenso im Bereich der Auslegung. Demnach erfolgt die „Qualifikation von Gesetzen als kompetenzthematische[s] Sonderrecht [. . .] in der Rechtsprechung des BVerfG [. . .] zumeist über den Gesetzeszweck.“385 Nötig für die eindeutige kompetenzielle Qualifizierung und die dadurch erfolgende Auflösung etwaiger Konkurrenzen nach dem Bundesverfassungsgericht ist, dass der zu regelnde Sachverhalt dem grundgesetzlichen Kompetenzthema „unmittelbar und nicht nur mittelbar“386 unterfällt, die Einstufung nach dem „Haupt- und nicht nur nach dem Nebenzweck“387 erfolgt und dass der Kompetenzgegenstand „als solcher“388 und nicht nur „als Reflex“389 geregelt wird.390 Auch die Ausführungen des Gerichts sind in diesem Bereich nicht eindeutig und vereinzelt391 auch nicht widerspruchsfrei. Mehrdeutigkeiten entstehen beispielsweise durch die Verwendung des Begriffs des „Schwerpunkts der Regelung“392. Unklar erscheint hierbei, ob dieses Kriterium als Zuordnungsgesichtspunkt auf einer der Auslegung nachgelagerten Stufe zur Auflösung dient oder ob dadurch nur ein anderer, zusätzlicher Begriff identischen Inhalts für die oben aufgeführten Kriterien besteht. Für Letzteres sprechen die besseren Argumente. Gerade die zahlreichen Entscheidungen des Gerichts393 zum Problembereich der mitgeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen zeigen, dass beispielsweise unter „Sachzusammenhang“ nicht ein eigenständiger Kompetenztypus verstanden wird, sondern vielmehr die Frage geklärt wird, ob die betreffende Regelungsbefugnis des Bundesgesetzgebers noch Bestandteil einer speziellen Gesetzgebungsbefugnis ist, ob mithin größere Sachnähe zu Bundeskompetenzen besteht.394 Dies entspricht der in obigen Ausführungen dargestellten Ansicht, die in Annex- und Sachzusammenhangskompetenz ein Auslegungsmittel erblickt. „Damit ist aus verfassungsgerichtlicher Sicht letztlich Sinn und Zweck der Regelungsmaterie im Verhältnis zu Sinn und Zweck der beteiligten Kompetenznormen, mithin [hauptsächlich] die teleologische Auslegung maßgeblich.“395

385 Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 268. Vgl. auch BVerfGE 14, 76 (99); 13, 367 (371 f.). Zur zweckbezogenen Argumentation auch BVerfGE 15, 1 (18). 386 BVerfGE 36, 193 (205); 34, 139 (144); 29, 402 (409). 387 BVerfGE 14, 76 (99); 109, 190 (208). 388 BVerfGE 29, 402 (409); 97, 228 (251 f.). 389 BVerfGE 28, 119 (149); 97, 228 (251 f.). 390 Ähnliche Ausführungen finden sich bei Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 267 sowie bei Erbguth, DVBl. 1988, S. 320. 391 Vgl. hierzu BVerfGE 30, 1 (29), in der das Gericht eine nur mittelbare Beziehung für die Qualifizierung als Bundeskompetenz nach Art. 74 I Nr. 1 GG genügen lässt. 392 BVerfGE 97, 228 (251 f.). 393 Vgl. nur beispielhaft BVerfGE 3, 407 (421); 15, 1 ff.; 22, 180 ff.; 28, 112 ff.; 97, 228 (251 ff.); 98, 265 ff. 394 Entsprechend auch Bullinger, AöR 96 (1971), S. 246 ff., speziell 249. 395 Erbguth, DVBl. 1988, S. 320.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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Die Anzahl der verwendeten Begriffe396 verringert sich deutlich, trägt man dem Umstand Rechnung, dass das Bundesverfassungsgericht mit dem Unmittelbarkeitskriterium, der Einstufung nach Haupt- und Nebenzweck, der Feststellung des Schwerpunkts der Regelung, dem Erfordernis, dass ein Kompetenzgegenstand als solcher und nicht nur als Reflex geregelt sein darf, insgesamt festgestellt wissen will, zu welchem Kompetenzgegenstand ein überwiegender Sachzusammenhang besteht, welchem Kompetenztitel der zu regelnde Sachverhalt also dem telos nach am ehesten entspricht. Die verwendeten Begriffe erscheinen dementsprechend synonym. Problematisch hieran ist jedoch, dass lediglich Bundeskompetenzen in Form geschriebener Kompetenzen bestehen. Nur der Zweck dieser Normen kann also festgestellt werden. Dadurch, dass die Landeskompetenzen meist nicht geschrieben existieren, fällt es ungleich schwerer, Sinn und Zweck der Landeskompetenzen festzustellen. Zwar bestehen gewisse Kernbereiche landeskompetenzlicher Prägung, wie beispielsweise das Sicherheits- und Polizeirecht oder das Bauordnungsrecht.397 Die präzise Abgrenzung entsprechender Materien zu Bundeskompetenzen unter gleichwertigen Voraussetzungen398 scheint daher nicht gegeben.399 Zusätzlich verschoben wird das Gleichgewicht, wenn versucht wird, dem festgestellten Gesetzeszweck durch effektuierende Gesetzesauslegung Geltung zu verschaffen: „Effektuierende Auslegungen dieser Art bevorzugt das BVerfG vor allem dort, wo es bestimmten materiell-rechtlichen Gesetzgebungen und Kompetenzgehalten konkret auch die verfahrens- und organisationsrechtlich erforderlichen oder effektivitätssteigernden (Neben-)Regelungen gestattet. Das gleiche gilt z. B. für Regelungen gebühren- und sonstig abgabenrechtlicher Art sowie vor allem für die annexweise verbundenen Sanktions- oder Schutzsysteme polizei- und ordnungsrechtlicher oder strafrechtlicher Art.“ 400 Ähnliche Effektivitätsgedanken kommen bereits der Figur des Sachzusammenhangs bei, misst man Annex und Sachzusammenhang im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung globale Wirkung im Bereich der Auslegung als Auflösungsmittel im oben gezeigten Sinne zu. Sachzusammenhang und Annex sprechen dann verschiedene, von der geschriebenen Kompetenznorm ausdrücklich nicht umfasste Bereiche jener Kompetenznorm zu, die auf andere Weise sinn396

Vgl. die Aufzählung oben unter 2. Teil A. V. 1. Ob diese Kernbereiche landeskompetenzieller Prägung (nur) als Residualkompetenzen angesehen werden dürfen oder ob es sich – auch unter dem Einfluss der Föderalismusreform – um „gleichwertige“ Kompetenzen handelt, wurde bereits oben unter 1. Teil B. II. 1. behandelt. Hierdurch ändert sich jedoch nichts an der etwas schwächeren Stellung der Landeskompetenzen, was die Zweckermittlung in diesem Sinne angeht. 398 Dass grundsätzlich keine Vorgewichtung im Bereich der Auslegung besteht, kann dem Punkt 2. Teil A. IV. entnommen werden. 399 Im Ergebnis kann in Folge entsprechender Betrachtungen dann doch von einer faktischen Vorgewichtung gesprochen werden. 400 Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 269 (Hervorhebungen durch den Verfasser). 397

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

voll401 nicht geregelt werden könnte. Auch die übrigen vom Bundesverfassungsgericht verwendeten Kriterien, von denen bereits weiter oben die Rede war, befinden sich im Dunstkreis des Sachzusammenhangs. Anders ausgedrückt: Die synonym verwendeten Kriterien zur Ermittlung des Schwerpunkts der Regelung und die Berücksichtigung des Effektivitätsgedankens stellen im Grunde nicht mehr da als die Berücksichtigung mitgeschriebener Kompetenzen im oben genannten Sinne im Bereich der teleologischen Auslegung. Ziel ist es, durch diese Auslegung zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen und dadurch in die Lage versetzt zu werden, einen zu regelnden Sachverhalt eindeutig einem Kompetenzträger zuschreiben zu können. Konkurrenzauflösungen und entsprechend Kompetenzabgrenzungen erfolgten hier also anhand wertungsmäßiger Erwägungen in Gestalt von Effektivitätsgedanken im weiteren Sinne. Dies hätte jedoch zur Folge, dass die herausgearbeiteten Auslegungsgrundsätze durch ein stark überdimensioniertes teleologisches Element überlagert würden und dadurch ein methodisch nicht gesichertes Element in den Vorgang der Interpretation eingebracht würde.402 Abgesehen von den hier anklingenden Problemen einer faktischen Vorgewichtung, der übermäßigen Berücksichtigung von Annex und Sachzusammenhang sowie des starken wertungsmäßigen Einflusses auf den Bereich der Auslegung insgesamt bleibt fraglich, ob die Auslegung überhaupt in der Lage wäre, entsprechende Auflösungsleistungen zu erbringen. Das Gegenteil scheint zumindest für die Fälle von Idealkonkurrenzen403 zuzutreffen. Ist es Gegenstand der Auslegung, den Inhalt und somit den Sinn und Zweck einer Norm zu ermitteln, so widerspräche es diesem Ziel, in dem Fall, dass es Sinn und Zweck sowohl einer Bundes- als auch einer Landeskompetenz sein kann, einen bestimmten Sachverhalt zu regeln, durch wertungsmäßige Erwägungen der einen den Vorrang vor der anderen einzuräumen. Die Ermittlung des Vorrangs kann unter Berufung auf das Ziel der Auslegung (nur die Inhalts-, mithin die Sinn und Zweckermittlung!) nicht Gegenstand der Auslegung sein.404 Die Folge wäre eine Verwässerung des methodisch korrekt gefundenen Ergebnisses zu Gunsten einer wertungsmäßigen Korrektur basierend auf Effektivitätsgedanken. Gerade diese Effektivitätsgedanken können jedoch ohnehin nicht Inhalt einer Norm, und somit auch nicht Teil der Auslegung sein. 401

Bullinger, AöR 96 (1971), S. 251. Ähnlich Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 430, gegen die Berücksichtigung (nur) des Sachzusammenhangs. Dieses Argument vermag jedoch durchaus auf Sachzusammenhang und Annex zu wirken. 403 Dieser Begriff sei hier im Vorgriff auf die später vorgenommene Unterscheidung der einzelnen Konkurrenzarten eingeführt. Zu verstehen ist darunter der jeweils absolut gleichwertige Bezug sowohl der Bundes- als auch der Landeskompetenz zu einer Regelungsmaterie. 404 Ebenso Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 59. Anders aber Rinck, in: FS Müller, S. 291. 402

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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Nicht bestritten werden soll hierdurch der grundsätzlich bestehende Zusammenhang von Auslegung und Zuordnung (Subsumtion) beziehungsweise die bestehende Notwendigkeit fallbezogener Auslegung eines Gesetzes mittels „Hinund Herwandern des Blicks“405 allgemein. Jeder Subsumtionsvorgang hängt mit der vorher gefundenen Auslegung und diese wiederum mit vorherigen Zuordnungen zusammen. Die Auslegung an sich darf nicht abstrakt, losgelöst vom Einzelfall erfolgen, sondern muss im Blick auf den konkreten Fall geschehen. Für den Fall der kompetenziellen Qualifizierung bedeutet dies, dass die Interpretation der Kompetenznorm mit Blick auf das zu qualifizierende Gesetz beziehungsweise den zu regelnden Sachverhalt zu erfolgen hat. Zu weit ginge es jedoch, wenn durch diese „Fixierung“ auf den konkreten Fall die dargestellten Methoden und deren grundsätzlich gleichwertige Beachtung in den Hintergrund gedrängt würden, um eine eindeutige kompetenzielle Qualifizierung im Rahmen der Auslegung zu erreichen. Die Forderung des Grundgesetzes zur letztendlich eindeutigen Qualifizierung kann auf dieser Stufe nicht immer erfüllt werden. Sicherlich gilt der Grundsatz des Primats der Auslegung. Sicherlich können viele vermeintliche Konkurrenzen durch einen Blick auf den Sinn und Zweck einer Norm, also durch methodisch korrekte Auslegung, beseitigt und aufgeklärt werden. Dies gelingt jedoch nicht in den Fällen, in denen es sowohl der (vollständige) Sinn und Zweck einer Landeskompetenz als auch der einer Bundeskompetenz ist, einen speziellen Sachverhalt zu regeln. Noch deutlicher wird dies, will man die Kompetenzfrage klären, ohne dass bisher eine Bundes- oder Landesregelung besteht. Ein Hin- und Herwandern des Blicks ist dann nur zwischen den Kompetenztiteln und einer zu regelnden Materie möglich, ohne dass diese schon eine „Ausformung“ durch ein Gesetz erfahren hätte. Stellt sich nach erfolgter Auslegung der Kompetenznormen heraus, dass die Materie weder in stärkerem Maße zum einen noch zum anderen Kompetenzträger gerechnet werden kann, ist die Auslegung in ihrem Wirkbereich am Ende406: Ein stärkerer Bezugspunkt der Materie (in Fällen der bereits erfolgten Gesetzgebung der „Schwerpunkt der Regelung“) kann in solchen Fällen nicht festgestellt werden.407 Hier nun durch (spezielle) Auslegungskriterien, etwa durch eine sehr starke Gewichtung teleologischer Gesichtspunkte oder Sachzusammenhang und Annex, die vorhandenen Konturen der Auslegung zu verwischen und dadurch zu einem vermeintlich eindeutigen Ergebnis zu kommen, ist nicht Aufgabe der Auslegung.408 Der Preis, der hier zur Befriedigung des Verlangens nach eindeutiger 405

Vgl. hierzu schon Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 15. Freilich bleiben solche Ergebnisse die starke Ausnahme. Gerade diese Ausnahmen stellen jedoch Kompetenzkonkurrenzen im eigentlichen Sinne dar. 407 Dem entsprechend Lerche, JZ 1972, S. 471. 408 Anders dagegen Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, speziell S. 21, 28, 88. Mit den Argumenten Schröders wird sich unten im Rahmen der Auflösung (4. Teil) noch genauer zu befassen sein. 406

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

kompetenzieller Qualifizierung zu zahlen ist, wäre zu hoch.409 Dieses Argument wird deutlich verstärkt durch die Möglichkeit auf gesonderter Ebene bestehende Kompetenzkonflikte offen anzusprechen und diese wertungsmäßig aufzulösen. Verdeutlicht werden kann dies an einem Beispiel: Durch die im Jahre 2006 erfolgte Föderalismusreform wurde aus dem Kompetenztitel des Art. 74 I Nr. 11 GG das Ladenschlussrecht ausdrücklich ausgenommen.410 Gemäß Art. 70 I GG besteht nun eine Landeskompetenz hinsichtlich dieses Bereichs. Art. 74 I Nr. 12 GG gewährt dem Bund jedoch nach wie vor die Kompetenz zur Regelung des Arbeitsrechts einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung. Legt man nun die angesprochenen Titel aus411, betrachtet man also deren Sinn und Zweck, so ergibt sich für den Bereich des Ladenschlusses, dass Inhalt dieser Kompetenz die Regelung der Öffnungszeiten von Verkaufsstellen ist. Dem Arbeitsschutz als Unterfall des Arbeitsrechts, das umfassende Bundeskompetenz412 ist, unterfällt dagegen der Schutz der Arbeitnehmer. Bestandteil dessen sind auch die Regelungen der täglichen Arbeitszeit.413 Der aktuellen Kompetenzverteilung ist – wie dargestellt – zwar zu entnehmen, dass Ladenschlussregelungen nicht mehr unter die Bundeskompetenz des Art. 74 I Nr. 11 oder Nr. 12 GG414 fallen. Auswirkungen eines Landesladenschlussgesetzes auf die tägliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers sind jedoch je nach Ausgestaltung des Ladenschlussgesetzes durchaus denkbar. Auch umgekehrt sind Einwirkungen eines Bundesarbeitszeitgesetzes auf die Ladenöffnungszeiten möglich, 409 Vgl. hierzu auch Lerche: „Ließe sich ein Schwerpunkt [im Sinne einer prägenden Funktion] festlegen, so wäre der hier interessierende Bereich tatbestandlich erst gar nicht gegeben. [Es läge also gar keine Konkurrenz vor; es gilt der Primat der Auslegung.] Ein Schwerpunkt läßt sich in diesen Fällen schlechterdings nicht feststellen; jede Dezision im Sinne eines Schwerpunkts ist hier in Wahrheit eine beliebige und zufällige“ (Lerche, JZ 1972, S. 471). 410 Durch diese geschriebene Ausnahme kann man vorliegend von dem Sonderfall einer geschriebenen Landeskompetenz ausgehen. 411 Die Auslegung müsste, gerade da es sich um einen recht offensichtlichen Fall einer Konkurrenz handelt, wesentlich ausführlicher anhand obiger Grundsätze durchgeführt werden. Da es sich hier jedoch nur um ein erläuterndes Beispiel handelt, muss eine oberflächliche Betrachtung genügen. Die genauere Behandlung auch dieser Konkurrenz erfolgt im weiteren Verlauf gesondert. 412 Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 74, Rdnr. 165. 413 Dies geschieht hauptsächlich, von Sonderregelungen für Jugendliche und andere besonders schutzwürdige Gruppen abgesehen, im Arbeitszeitgesetz. „[I]hm sind auch Arbeitszeitbestimmungen und wohl auch Beschäftigungsverbote an Feiertagen zuzurechnen“ (Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 54). 414 Maunz sah den Bereich des Ladenschlusses in Art. 74 I Nr. 12 GG verortet – im Gegenteil zum Verfassunggeber, der die aktuelle Ausnahmeregelung als Teil des Art. 74 I Nr. 11 GG sieht, vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 74, Rdnr. 163.

A. Klarstellung: Primat der Auslegung

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käme doch beispielsweise ein generelles Nachtarbeitsverbot einem faktischen Ladenschluss gleich. Sinn und Zweck beider Kompetenzen ist im weitesten Sinne der Arbeitnehmerschutz. Die Beschränkung der Arbeitszeit allgemein und die Bestimmung des täglich „möglichen Fensters“ der Erbringung der Arbeitsleistung ist zwar ein weiteres, zweckgerichtetes Unterscheidungskriterium. Die Abgrenzung anhand von Sinn und Zweckerwägungen wäre jedoch nicht in der Lage, Überschneidungen gänzlich zu vermeiden. Gleiches gilt für Effizienzerwägungen. Durch die Konkurrenzauflösung im Rahmen der Auslegung entstünden Probleme in Gestalt einer faktischen Vorgewichtung, der nicht angezeigten übermäßigen Berücksichtigung von Annex und Sachzusammenhang sowie des starken wertungsmäßigen Einflusses auf den Bereich der Auslegung. Darüber hinaus ist die Auslegung ohnehin gegenständlich als „Inhaltsermittlungstechnik“ nicht in der Lage, zwei gewonnene Inhalte gegeneinander abzugrenzen beziehungsweise der einen den Vorrang vor der anderen zu gewähren, weshalb sie als generelle Auflösungsstufe zu verwerfen ist.415 Die Lösung derartiger Fallgestaltungen hat daher in einem von der Auslegung unabhängigen Schritt, der hier „Konkurrenzauflösung“ genannt werden soll, zu erfolgen. Die Auslegung ist schon gegenständlich nicht in der Lage, einen entsprechenden Vorrang zu konstruieren oder auch nur zu begründen. Dies gilt zunächst für die Auslegung allgemein, speziell aber auch für die Annahme von ausdrücklichen oder faktischen Vorgewichtungen im Auslegungsvorgang. Ein anderes – oben bereits gezeichnetes – Bild ergibt sich jedoch in Fallkonstellationen, in denen nur vordergründig eine Kompetenzüberschneidung besteht. Auf den ersten Blick ergeben sich hier bezüglich eines Sachverhalts sowohl die (gleichwertige) Zuständigkeit des Bundes als auch die der Länder. Nach methodisch korrekter Auslegung – ohne wertungsmäßige Einflüsse in oben genanntem Sinne – stellt sich jedoch in diesen Fällen heraus, dass eine entsprechende Konkurrenz nicht bestand, eine in Frage kommende Kompetenznorm den entsprechenden Sachverhalt nicht erfasst und dieser also einem Kompetenzträger eindeutig zugeordnet werden kann. Nur hier kommt der Auslegung „konkurrenzauflösende Funktion“ zu. Dies freilich nur in sehr beschränktem Maße, handelte es sich doch in diesen Fällen gerade nicht um echte Konkurrenzen, sondern um „Scheinkonkurrenzen“. Ähnliches gilt für die Behandlung von Auslegungskonkurrenzen. Hier handelt es sich um Fallgestaltungen, in welchen ein Begriff unterschiedlich ausgelegt und je nach Auslegung dem einen oder anderen Kompetenzträger zugeordnet werden kann. Es handelt es sich folgedessen unbestreitbar

415 Nochmals: Hier soll nur die pauschale Eignung der Auslegung als Auflösungsebene behandelt werden. Einzelne Konkurrenzen beziehungsweise einzelne Konkurrenzarten können durchaus mittels methodisch korrekter Auslegung eine zufriedenstellende Auflösung finden. Abermals muss hier jedoch auf die späteren Ausführungen im 4. Teil verwiesen werden.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

um Fragen der Auslegung. Auslegungskonkurrenzen sind daher auf der Ebene der Auslegung zu lösen.

VI. Fazit zum Bereich der Auslegung Die erste Stufe der kompetenziellen Qualifizierung stellt die Auslegung im hier beschriebenen Sinne dar. Es besteht also zunächst der Primat der Auslegung. Allein durch eine methodisch korrekt durchgeführte Auslegung lässt sich der Sinn und Zweck einer Kompetenznorm und somit der Umfang der Gesetzgebungskompetenz für den Bund oder die Länder ermitteln. Erst nach erfolgter Auslegung kann daher festgestellt werden, ob überhaupt Kompetenzen zweier verschiedener Kompetenzträger konkurrieren oder ob es sich nur um eine „Scheinkonkurrenz“ gehandelt hat, die schon durch die Zweckermittlung aufgelöst werden konnte. Besonderheiten der Verfassungsauslegung sind im Bereich der Kompetenzordnung hingegen nur bedingt zu berücksichtigen. Im Gegensatz zu sehr offen formulierten Verfassungsprinzipien handelt es sich im Rahmen des Kompetenzkatalogs der Art. 73 und 74 des Grundgesetzes zwar um Verfassungsrecht, dies jedoch in der Form relativ bestimmter Organisationsnormen. Generell gelten somit auch für die Kompetenznormen die hergebrachten Interpretationsmethoden, wobei für den gesamten Auslegungsvorgang subjektive und objektive Gesichtspunkte bei der Zweckermittlung zu berücksichtigen sind und keine der Auslegungsmethoden vollständig für sich alleine stehen darf. Findet die kompetenzielle Überprüfung aufgrund eines schon bestehenden (einfachen) Gesetzes statt, so ist auch dieses zunächst auszulegen und der Sinn und Zweck zu ermitteln. Dies erfolgt ebenfalls anhand der hergebrachten Interpretationsmethoden. Da Ziel der Auslegung jedoch die Ermittlung des Sinns und Zwecks einer Norm ist, kann es durchaus geschehen, dass, trotz methodisch korrekten Vorgehens im oben genannten Sinne, einer zu behandelnden Norm mehrere Sinninhalte beigemessen werden können416 beziehungsweise ein Sachverhalt jeweils einer Kompetenznorm unterschiedlicher Kompetenzträger zugeordnet werden kann. Verschiedene Auslegungsergebnisse sind gerade auch aufgrund unterschiedlicher Vorverständnisse denkbar. Die Auslegungsmethoden liefern für diese Zweckermittlung (nur) das methodische und argumentative417 Handwerkszeug. Den Sinninhalt in Form einer umfassenden alleinigen Wahrheit einer Norm zu präsentieren, vermögen sie nicht. Aufgrund des generell bestehenden Grundsatzes lückenloser und strikter Kompetenzverteilung418 sind Doppelzuständigkei416 Diese Möglichkeit besteht ungeachtet der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts zur letztverbindlichen Auslegung. Dass aufgrund dessen die von der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts abweichenden Meinungen hauptsächlich theoretische Bedeutung haben, ist systembedingt. 417 Dazu speziell Gast, Juristische Rhetorik, S. 237 ff. 418 Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 17.

B. Kompetenzrechtliche Zuordnung

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ten dem Grundgesetz jedoch grundsätzlich419 fremd420 und widersprächen zudem der Abgrenzungsfunktion des Art. 70 II GG.421 Bestehen daher nach einer Auslegung in Frage kommender Kompetenznormen und der Zuordnung des zu regelnden Sachverhalts zu einer Kompetenznorm noch Zweifel an der kompetenziellen Lage, so muss durch mit den Auslegungsregeln nicht identische Kriterien422 und nicht durch nachträgliche (teleologische) Beeinflussung und Korrektur des methodisch korrekt gefundenen Auslegungsergebnisses, auch nicht aufgrund von (Vor-)Gewichtungen, eine Beseitigung dieser Zweifel erfolgen. Nur dadurch ist eine methodisch einwandfreie, eindeutige Kompetenzzuweisung möglich, wodurch die Auflösung bestehender Konkurrenzen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen erfolgen kann. Die Auslegung ist, wie gesehen, schon gegenständlich in diesen Fällen nicht in der Lage, eine Entscheidung zu Gunsten der einen oder anderen Kompetenz herbeizuführen. Auch mitgeschriebene Kompetenzen sind aufgrund dessen kein Bestandteil der Konkurrenzauflösung im Bereich der Auslegung. Da es Ziel der Auslegung ist, den Sinn und Zweck einer Norm aufzudecken, kommt auch den mitgeschriebenen Kompetenzen „konkurrenzauflösende“ Funktion allenfalls in den Fällen zu, in denen sich keine „gleichwertigen“ Kompetenzen gegenüberstehen.

B. Kompetenzrechtliche Zuordnung Während im obigen Abschnitt Kriterien zur Auslegung, mithin zur Konkretisierung von Kompetenznormen und gegebenenfalls zur Ermittlung von Sinn und Zweck eines bestehenden Gesetzes, im Mittelpunkt standen, so ist nun zu betrachten, wie nach erfolgter Konkretisierung der entsprechenden Normen die Zuordnung des Sachverhalts zur in Frage kommenden Kompetenznorm zu erfolgen hat. Es gilt also, die zweite Stufe der kompetenziellen Qualifizierung im hier verwendeten Sinne zu untersuchen.423

I. Kriterien und Inhalt kompetenzrechtlicher Zuordnung Im Grunde handelt es sich bei dem Schritt der Zuordnung jedoch weniger um die Anwendung verschiedener Zuordnungskriterien wie beispielsweise oben im

419

Ähnlich Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 374. Jarass, NVwZ 1996, S. 1041. 421 Vgl. BVerfGE 36, 193 (202 f.). 422 Diese sollen im Folgenden „Auflösungskriterien“ genannt werden. 423 So auch Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 53. 420

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

Bereich der Auslegung, sondern um klassische Rechtsanwendung, mithin um Subsumtion424: Der vorhandene Sachverhalt (gegebenenfalls der Gesetzeszweck) muss nun durch „vergleichenden Blick“ einer Kompetenznorm zugeordnet werden.425 Mit anderen Worten erfolgt nach der Auslegung die kompetenzrechtliche Zuordnung anhand der Feststellung der Subsumierbarkeit unter ein spezielles Kompetenzthema.426 Dabei kann sich durchaus ergeben, dass der zu behandelnde Sachverhalt mehrere Kompetenzmaterien berührt. Dies hat seinen Grund vor allem in der uneinheitlichen Strukturierung der Begriffe innerhalb des Kompetenzkatalogs.427 Problematisch wird dies wie erwähnt freilich nur, wenn nicht mehrere Kompetenztitel eines Kompetenzträgers, sondern Kompetenztitel verschiedener Kompetenzträger in Frage kommen. Erst dann besteht die hier zu untersuchende Figur der Konkurrenz von Gesetzgebungskompetenzen. Wie im Rahmen der Auslegung versucht wird, entsprechende Kompetenzkonkurrenzen zu beseitigen, bestehen auch im hier zu untersuchenden Bereich der Zuordnung Ansätze428, die entstandenen Konkurrenzen aufzulösen. Während ein alleiniges Abstellen auf den Gesetzeszweck429 – und somit die Auslegung als solche – nicht als geeignet angesehen werden kann, ein Abgrenzungskriterium darzustellen430, sollen zur Beseitigung der Konkurrenzen im Rahmen der kompetenziellen Zuordnung Kriterien wie inhaltliche Identität, Systemkonformität, die Tradition der Materie, Spezialität und der Schwerpunkt der Regelung431 Berücksichtigung finden.432 Teilweise wird auch in diesem Bereich von überwiegendem Sachzusammenhang433 oder „enger Verzahnung“434 gesprochen. Wie bereits mehrfach erwähnt, fällt die Unterscheidung der Kriterien beziehungsweise die Festlegung des richtigen Ortes ihrer Berücksichtigung nicht leicht. Ausführungen beispielsweise zum überwiegenden Sachzusammenhang finden sich, wie dargestellt, auch im Bereich der Auslegung.435 Ausdrücklich als 424 So auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 57; Rozek, in: v. Mangoldt/Klein/Starck: Das Bonner Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 47. 425 Pestalozza, DÖV 1972, S. 182. 426 Ähnlich ist dies bei Rupert Scholz zu finden: „Unter Ermittlung des (alleinigen oder hauptsächlichen) Zwecks des Gesetzes und dessen unmittelbarer oder primärer Subsumtion (Subsumierbarkeit) unter ein spezielles Kompetenzthema erfolgt die kompetenzrechtliche Qualifikation des Gesetzes.“ (Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 268; Hervorhebungen durch den Verfasser) 427 Erbguth, DVBl. 1988, S. 319. Dazu auch bereits oben unter 1. Teil B. II. 428 So beispielsweise bei Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 58 ff.; Wolfrum, DÖV 1982, S. 677; Pestalozza, DÖV 1972, S. 181. 429 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 59. 430 Vgl. auch die Ausführungen oben unter 2. Teil A. V. 431 BVerfGE 97, 228 (251 f.). 432 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 61. 433 Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 3 ff. 434 BVerfGE 98, 265 (303).

B. Kompetenzrechtliche Zuordnung

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Fall der Zuordnung werden jedoch Kriterien wie inhaltliche Identität, Systemkonformität im Verhältnis zu einer bereits ausgeformten Normierung einer Kompetenzmaterie, die Tradition der Materie, die Identität des Gesetzeszwecks im Verhältnis der fraglichen Regelung zur Kompetenznorm und die Spezialität der Regelung für das Kompetenzthema angesehen.436 Subsidiär sei – lasse sich eine Zuordnung nach den genannten Kriterien nicht erzielen – jedoch auch hier auf den Schwerpunkt der Regelung beziehungsweise den überwiegenden Sachzusammenhang abzustellen.437 Letztgenannte Kriterien wie auch die Figur der Spezialität entsprechen inhaltlich der von Pestalozza aufgestellten „Sonderrechtstheorie“: „Eine Regelung ist [demnach] nicht schon dann Gesetz über eine Materie, wenn sie sie in irgendeiner Weise berührt. Die Überschneidungen der Katalogpunkte und die abstrakte Fassung des gesetzlichen Tatbestandes würden sonst fast stets zur mehrfachen Qualifikation der Norm führen, die, zur Regel gemacht, der Ordnungsfunktion des Kompetenzschemas zuwiderliefe.“438 Es sei daher in Anlehnung an Regelungen anderer Bundesstaaten439 die beiläufige Berührung einer Kompetenzmaterie für die kompetenzrechtliche Qualifikation nicht ausreichend. „Ein Gesetz ist [vielmehr] (nur) derjenigen Materie zuzuordnen, die es sonderrechtlich regelt; eine Materie, die von einem Gesetz nicht in ihrer Besonderheit, sondern gerade ohne Rücksicht darauf getroffen wird, für die sich die Regelung also als allgemeines, insoweit ,für alle‘ geltendes Recht darstellt, gibt für die kompetenzrechtliche Qualifikation keinen Ausschlag.“440 Diese sonderrechtlichen Betrachtungen sind nach Pestalozza im Bereich der Zuordnung zu berücksichtigen. Dies ergibt sich zum einen aus der Verwendung des Begriffs der Zuordnung in obigem Zitat, zum anderen aus der auch durch Pestalozza vorgenommenen Zweiteilung des kompetenziellen Qualifizierungsvorgangs in Auslegung und Zuordnung. Daher wird durch die Erwähnung des Sonderrechtsgedankens im Zusammenhang mit der Zuordnungskomponente der Unterschied zur Auslegung klar. Nichtsdestotrotz ergeben sich auch hier Verbindungen zur Auslegung, entscheiden über die Sonderrechtseigenschaft und damit über die Zuordnung doch „objektive Kriterien, die sich unter dem Begriff der Funktion zusammenfassen lassen, insbesondere Zweck und Wirkung der fraglichen Norm also.“441 Eine zusätzliche Verklä435 Wie im Rahmen der Auslegung aufgezeigt, dient der Sachzusammenhang dort durchaus auch als Hauptargument. 436 Diese Aufzählung findet sich bei Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 61. 437 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 62. 438 Pestalozza, DÖV 1972, S. 182. 439 Genannt werden die australische und die indische Verfassung, vgl. Pestalozza, DÖV 1972, S. 182. 440 Pestalozza, DÖV 1972, S. 183. 441 Pestalozza, DÖV 1972, S. 183.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

rung erfolgt durch die Bezugnahme auf die in dieser Arbeit bereits im Rahmen der Auslegung erörterten Kriterien des Bundesverfassungsgerichts. Auch die oben genannten Kriterien der norminternen Systemkonformität, mithin die Beachtung der Tradition der Materie, lassen eine klare Trennung von der Auslegung vermissen. Ebenso wäre es möglich, diese im Rahmen der historischen Auslegung und/oder der Wirkungsgeschichte zu berücksichtigen. Lediglich Kriterien wie die inhaltliche Identität beziehungsweise die Überprüfung der Übereinstimmung von Gesetzeszweck und Sinn und Zweck der Kompetenznorm entsprechen dem eigentlichen Inhalt der kompetenzrechtlichen Zuordnung: der Subsumtion. Die Feststellung der Subsumierbarkeit eines Regelungsgegenstandes unter eine Kompetenznorm ist die eigentliche, elementare Aufgabe der kompetenzrechtlichen Zuordnung.

II. Konkurrenzauflösung mittels kompetenzrechtlicher Zuordnung Ohne hier442 im Detail auf die einzelnen Kriterien einzugehen, muss daher grundsätzlich in Frage gestellt werden, ob entsprechende konkurrenzlösende Betrachtungen Teil der kompetenziellen Zuordnung sein können oder ob auch hier – wie im Bereich der Auslegung – Gründe gegen die Beseitigung der Konkurrenzen im Rahmen der Zuordnung sprechen. Wie auch die Auslegung nicht in der Lage ist, Konkurrenzen zu beseitigen, könnte der Bereich der Zuordnung dazu ebenfalls nicht in der Lage sein, handelt es sich hierbei doch (nur) um die Feststellung der Subsumierbarkeit. Subsumieren bedeutet, den zu behandelnden Sachverhalt dem Anwendungsbereich einer Norm zu unterstellen.443 Subsumieren heißt zu prüfen, ob der festgestellte Sachverhalt (der ermittelte Gesetzeszweck) den Tatbestand einer Kompetenznorm erfüllt444: „Der Rechtsanwender setzt [. . .] im Akt der Subsumtion die Sollensanordnung der abstrakt-generellen Norm um. In diesem Fall vollzieht er den Willensakt des Gesetzgebers nach.“445 Zwar ist grundsätzlich auch der Bereich der Subsumtion kein völlig wertungsfreier, isolierter Vorgang446, besteht doch ein jeweils individuelles Vorverständnis und lassen sich in vielen juristischen Tatbeständen zweck- und wertungsgebundene Merkmale finden. Zudem folgt die Zuordnung der Auslegung nach – es kann lediglich nach der Bestimmung des Sinns und Zwecks die Subsumierbar442 Die Behandlung eines Teils der Kriterien wird unten im Bereich der Auflösungskriterien stattfinden (4. Teil A.). 443 Lateinisch subsumere = unterziehen, unterstellen (vgl. Rüthers, Rechtstheorie, S. 385, Fn. 777). 444 Rüthers, Rechtstheorie, S. 385. 445 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 21. 446 Vgl. Rüthers, Rechtstheorie, S. 389 ff.

B. Kompetenzrechtliche Zuordnung

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keit festgestellt werden. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass es sich hier um die Anwendung von Verfassungsvorschriften handelt, die formelle Kompetenzen regeln. Dies ist relativ „bestimmtes Verfassungsrecht“447, welches wertungsmäßigen Modifikationen weniger unterfällt als anderes Verfassungsrecht. Ebenso ist das jeweilige Vorverständnis zwar bestehendes und, wie gesehen, teilweise nötiges Element. Methodisch korrektes Vorgehen darf dadurch jedoch nicht überspielt und als unmöglich betrachtet werden. Wurde also der Tatbestand durch methodisch korrekte Auslegung konkretisiert, so bleibt im Rahmen der Zuordnung für die Modifikation dessen kein Raum, denn dadurch würde die im Bereich der Auslegung gefundene Methode aus den Angeln gehoben. Auch der Sachverhalt wurde ermittelt, gegebenenfalls der Gesetzeszweck (her-)ausgelegt. Die nun folgende Suche nach der für den Sachverhalt „passenden“ Kompetenznorm lässt für die (wenn auch nur argumentative) Modifizierung beider Elemente keinen Raum.448 Metaphorisch: Stellten die Kompetenznormen verschiedene Schrauben dar und die Sachverhalte wären Muttern, so ist im Rahmen der Zuordnung lediglich die Feststellung zu treffen, auf welche Schrauben die Mutter passt. Ein Feilen an Mutter oder Schraube, um diese anzupassen, ist nicht erlaubt. Tritt der Fall ein, dass die Mutter auf verschiedene Schrauben zweier Hersteller passt, so ist der Rahmen der reinen Feststellung der Übereinstimmung (ebenfalls) nicht der richtige Platz, um zu entscheiden, welche von beiden die geeignetere ist. Die Verwendung von Schraubenkleber oder einer Beilegscheibe, mithin zusätzlicher Hilfsmittel und Argumente, darf, ebenso wenig wie bei der Auslegung hier im Rahmen der kompetenzrechtlichen Zuordnung verschleiert werden. Die endgültige Entscheidung für die eine oder andere Schraube, auf die die Mutter aufgepflanzt werden soll, muss in einem dritten Schritt erfolgen, der die Möglichkeit der verschiedenen Zuordnungen offenlegt. Im Zuge dessen müssen die Argumente und Umstände klar genannt werden, die für die eine oder andere Zuordnung sprechen. Im Rahmen der kompetenzrechtlichen Zuordnung, in dem die bloße Subsumierbarkeit festgestellt wird, wäre dieser Schritt nicht der richtige, würde doch suggeriert, man könne den zu behandelnden Sachverhalt nur einer bestimmten Kompetenz subsumieren. Da der Rechtsanwender im Bereich der Subsumtion jedoch nur den Willensakt des Verfassunggebers nachvollziehen soll, besteht für ihn im Rahmen der kompetenziellen Zuordnung nicht die Möglichkeit, eventuell vorhandene Konkurrenzen aufzulösen, wenn der Verfassunggeber diese Möglichkeit gerade übersehen hat. 447

Vgl. oben 2. Teil A. III. 3. Für den Bereich der Indemnitätsregelung für Abgeordnete in diesem Sinne auch Wolfrum, DÖV 1982, S. 678: „Scheidet damit die kompetenzielle Zuordnung [. . .] nach der einen oder anderen Seite aus, so gilt es die eingangs aufgeworfene Frage umzustellen. Es kann bei dieser Situation nicht die Aufgabe sein, einen Bezug herzustellen, der Aufschluß über die kompetenzrechtliche Zuordnung [. . .] gibt. Es gilt vielmehr die Frage zu beantworten, welchem kompetenziellen Bezug letztlich der Vorrang eingeräumt werden muss.“ (Hervorhebung durch den Verfasser) 448

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

Als Folge dessen würde die geforderte Methodenehrlichkeit durch das Einweben wertungsmäßiger Erwägungen in den Zuordnungsvorgang ein Stück weit verschleiert, der eigentliche Vorgang der Zuordnung sehr unscharf und undefiniert. Deswegen sollte an der klaren Trennung der Inhalts- und Zweckermittlung durch Auslegung als erstem Schritt, der Zuordnung als zweitem Schritt und der Auflösung bestehender Konkurrenzen als einem dritten Schritt festgehalten werden. Gegebenenfalls bestehende Doppelzuständigkeiten sind somit unter einem gesonderten Punkt „Auflösungsmöglichkeiten“ zu behandeln. Im Ergebnis soll in diesem Bereich eine eindeutige Einordnung der bestehenden Lösungsansätze in entweder den Bereich der Auslegung oder den der Zuordnung unterbleiben. Dies zum einen, weil einige Figuren tatsächlich auf beiden Seiten verwendet wurden und werden. Zum anderen würde eine strikte Einordnung von Kriterien, die nicht unter der Prämisse dieser Zweiteilung entstanden sind und entsprechende Verwendung finden, weder den jeweiligen Kriterien noch deren Schöpfern gerecht. Zusätzlich wäre eine entsprechende Einordnung auch wenig hilfreich für die eigentlich zu beantwortende Frage der Behandlung von Kompetenzkonflikten im Bereich der Legislative, da unter Berufung auf die getätigte Argumentation weder der Bereich der Auslegung noch der Bereich der Zuordnung der richtige Ort für die methodisch einwandfreie Auflösung derartiger Konkurrenzen wäre.

C. Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Auslegungs-, Zuordnungs- und Auflösungskriterien Da eine Einordnung im oben genannten Sinne wenig sinnvoll wäre, muss geklärt werden, welche Gesichtspunkte nun als Auflösungskriterien herangezogen werden können, welcher Art diese sein müssen und wodurch sie sich von Auslegungs- und soweit bestehend auch von Zuordnungskriterien unterscheiden. Letzteres soll zunächst in einem allgemeinen Versuch unternommen werden, bevor an späterer Stelle auf die bei der Auflösung heranzuziehenden Kriterien und deren Eigenart eingegangen wird.

I. Problemaufriss Schon im vorherigen Abschnitt wurde im Rahmen der Darstellung der Schwierigkeit der kompetenziellen Qualifizierung auf die mögliche Folge von Konkurrenzen hingewiesen. Dort wurde im Rahmen der (vorerst noch oberflächlichen) Unterscheidung von „Auslegungskonkurrenz“ und „Doppelkompetenz“ bereits deutlich, dass es nicht unproblematisch ist, zwischen Auslegungs- und Zuordnungskriterien zu unterscheiden. Da es, wie oben gezeigt, gerade nicht möglich ist, bestehende Überschneidungen von Gesetzgebungskompetenzen durch (teleo-

C. Auslegungs-, Zuordnungs- und Auflösungskriterien

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logische) Auslegung449 oder die Zuordnung von Sachverhalten zu in Frage kommenden Kompetenztiteln zu lösen, muss ein dritter Regel- beziehungsweise Kriterientyp450 benannt werden. Dieser ist nötig, um auf einer zusätzlichen Prüfungsstufe methodisch einwandfrei, bestehende Konkurrenzen aufzulösen, ohne dabei die Figuren der Auslegung und der kompetenziellen Zuordnung wertungsmäßig zu verformen oder durch die Konkurrenzauflösung zu überfordern und sie damit in ihrem Bestand zu gefährden. Lediglich für den Fall, dass das Grundgesetz eine Regelung trifft, bedarf es keiner eigenen Auflösungskriterien. An deren Stelle greift dann die grundgesetzliche Regelung. Derartige Regelungen finden sich nach der am 1. September 2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform in den Art. 72 III 3 GG und Art. 84 I 4 GG, der jedoch wiederum auf Art. 72 III 3 GG verweist.451 Während die einzelnen Auslegungskriterien oben behandelt worden sind und an späterer Stelle auf die verschiedenen Auflösungskriterien einzugehen sein wird, soll hier die Schwierigkeit verdeutlicht werden, zwischen den Arten der Kriterien zu unterscheiden. Es ist im Einzelfall fraglich, ob die jeweilige Konkurrenz durch Probleme (also Mehrdeutigkeiten) bei der Auslegung oder durch die Möglichkeit der Zuordnung einer Materie zu unterschiedlichen Kompetenznormen besteht. Dies hat seinen Ursprung in der Zielrichtung von Auslegung und Zuordnung. Im Rahmen der kompetenziellen Qualifizierung legt man entsprechend dem oben beschriebenen Verfahren einfache Gesetze aus und formt Gesetzgebungsmaterien zu juristischen Sachverhalten, um ein Ziel zu erreichen: Es sollen dem jeweils behandelten Stoff schärfere Konturen verliehen werden, um ihn gegenüber andern abgrenzen zu können und ihn handhabbar zu machen. Der Interpret wählt dabei aus mehreren Bedeutungsangeboten den für ihn plausibelsten. Dies gilt sowohl für die Gesetzeszweckermittlung als auch für die Sachverhaltsbildung. Mit der kompetenziellen Zuordnung verhält es sich ganz ähnlich. Auch hier hat derjenige, der die Zuordnung vornimmt, eine Materie beziehungsweise ein Gesetz einer be449 Auch Degenhart geht davon aus, dass allein der Gesetzeszweck als Abgrenzung nicht ausreiche, da es Sinn und Zweck sowohl einer Bundes- als auch einer Landeskompetenz sein kann, einen bestimmten Sachbereich zu regeln. Mit einem Beispiel für Art. 74 I Nr. 16 GG Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 59. 450 Was genau als Kriterium heranzuziehen ist, muss hier offen bleiben und wird unter 4. Teil A. spezifiziert. 451 Strittig ist dies im Falle des Art. 31 GG. Wie dargelegt setzt Art. 31 GG kompetenzgemäß erlassenes Recht voraus. Ob in der Vorschrift tatsächlich konkurrenzauflösender Charakter, eine bloße Rechtsfolgenanordnung oder eine Bekräftigung des Bundesstaatsprinzips zu sehen ist, muss im Rahmen der Darstellung an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Ausführlicher hierzu Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 705 ff. Pestalozza spricht Art. 31 GG in gewissen Fällen konkurrenzauflösende Funktion zu (vgl. Pestalozza, DÖV 1972, S. 181 ff., speziell S. 190). Da dieser jedoch tatsächlich auflösenden Charakter beinhaltet, soll hierauf erst im Rahmen der Darstellung der einzelnen Konkurrenzauflösungsmöglichkeiten eingegangen werden (4. Teil). Zu Art. 31 GG auch März, Bundesrecht bricht Landesrecht.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

stimmten Kompetenznorm zuzuordnen. Ziel ist es, aus mehreren eine bestimmte Kompetenznorm auszuwählen, unter die der Sachverhalt subsumierbar ist. Diese Feststellung der Subsumierbarkeit hat jedoch möglichst wertungsfrei zu geschehen. Ist der jeweilige Sachverhalt mehreren Kompetenznormen subsumierbar, so ist dies im Rahmen der Zuordnung festzustellen, eine endgültige Entscheidung aber (noch) nicht zu treffen. Ist nun die Zuordnung nicht eindeutig, so ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei einer Auslegung, die unterschiedliche Ergebnisse zulässt: Mehrere Ergebnisse sind gleichermaßen möglich und vertretbar. Der „Interpret“452 muss somit eine Auswahl aus mehreren Möglichkeiten treffen. Diese Auswahl jedoch in einem festgelegten Verfahren weitestgehend zu objektivieren und unabhängig von subjektivem Gutdünken des „Interpreten“ zu machen, ist Aufgabe der Auslegungsund der Zuordnungskriterien. Lässt sich jedoch keine eindeutige Auswahl treffen, besteht mithin nach der Anwendung des beschriebenen Verfahrens noch die Möglichkeit mehrerer Verständnisse, dürfen die Auslegungs- und Zuordnungskriterien nicht wertungsmäßig überspielt werden. Dass es sich bei der Zuordnung nicht um Kriterien im eigentlichen Sinne handelt, ändert daran nichts. Auch hier müssen um die Zuordnung nicht zu überfordern und konturlos werden zu lassen, wertungsmäßige Einflüsse auf ein Mindestmaß reduziert werden. Da es sich jedoch nur bei Auslegungs- und Auflösungskriterien um Kriterien im eigentlichen Sinne handelt, ist die Abgrenzung dieser von größerer Bedeutung. Auch den Auflösungskriterien kommt – will man die jeweilige Konkurrenz nicht bestehen lassen – eine ähnliche, in Einzelfällen noch viel größere Entscheidungs- und Abgrenzungsfunktion zu. Auflösungskriterien kommen zur Anwendung, wenn die Auslegung und/oder die Zuordnung kein eindeutiges Ergebnis erbracht haben. In diesem Fall bedarf es einer konkurrenzlösenden Behandlung, einer Auflösung dieser Konkurrenz. Es ist im konkreten Fall zwischen der Qualifizierung als Landeskompetenz oder Bundeskompetenz zu entscheiden. Wiederum sind mehrere Ergebnisse möglich und vertretbar und wiederum soll die Entscheidung – hier endgültig konkurrenzauflösend – zwischen diesen Ergebnissen nicht willkürlich ausfallen, sondern nach festen, verobjektivierten Regeln erfolgen. Damit kommt den Auflösungskriterien eine andere Qualität zu als den Auslegungs- oder Zuordnungskriterien. Während Auslegung und Zuordnung unmittelbare Elemente der kompetenziellen Qualifizierung sind, kommt es zwingend erst dann zur Notwendigkeit einer Konkurrenzauflösung, wenn tatsächlich eine echte Konkurrenz besteht, wenn also der Auslegungs- und Zuordnungsvorgang zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt hat, demzufolge also eine tatsächliche und keine „Scheinkonkurrenz“ besteht.

452 Der Begriff ist hier weit zu verstehen und umfasst sowohl die auslegende als auch die zuordnende Person.

C. Auslegungs-, Zuordnungs- und Auflösungskriterien

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Mithin stehen die Auflösungskriterien auf einer Art zweiten Stufe der kompetenziellen Qualifizierung – sie treten erst dann in Erscheinung, wenn Auslegung und/oder Zuordnung versagt haben.453 Deshalb sind Auflösungskriterien solche, die eine möglichst effektive Konkurrenzauflösung, also eine möglichst deutliche Entscheidung für die Bundes- oder Landeskompetenz, anhand feststehender Kriterien gewährleisten sollen. Dies gilt umso mehr, als durch die bereits erfolgte kompetenzielle Qualifizierung sowohl für die Auflösung zu Gunsten der Landesals auch für die Lösung zu Gunsten der Bundeskompetenz einige Argumente vorhanden sind. Dies auch deshalb, weil die oben dargestellten Ansätze und Argumente zur Konkurrenzauflösung in den Bereichen der Auslegung und Zuordnung hier durchaus – wenn auch in teils leicht modifizierter Weise – berücksichtigt werden können und müssen. Gerade dies macht eine eindeutige Unterscheidung jedoch wiederum schwer. Es ist beispielsweise denkbar, dass Elemente wie die aus dem Bundesstaatsprinzip herzuleitende Bundestreue, der Einfluss anderer Verfassungsprinzipien und gegebenenfalls grundrechtliche Einwirkungen im Rahmen der Auflösungskriterien eine Rolle spielen, obwohl sie auch im Rahmen der systematischen Auslegung schon gewisse Berücksichtigung gefunden haben. Zudem werden auch hier in gewissem Maße teleologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen sein. Entsprechende Betrachtungen berühren thematisch also ebenfalls den Bereich der Auslegung und erschweren dadurch eine eindeutige Unterscheidung.

II. Unterscheidungsmöglichkeit Ist auf den ersten Blick aufgrund der gegenständlichen Nähe eine Unterscheidung, ähnlich der endgültigen Differenzierung von Auslegungs- und Zuordnungskriterien, nahezu unmöglich, so gleichen sich Auflösungs- und Auslegungskriterien nicht in der jeweiligen Zielrichtung, was wiederum doch Auswirkungen auf die jeweilige Substanz und damit auf die Unterscheidungsmöglichkeit haben kann. Aufgabe der Auslegung ist die Inhalts- und Zweckermittlung einer Norm. Abzustellen ist hierbei zunächst auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers, freilich mit späterer Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte.454 Ziel der Auflösungskriterien ist jedoch nicht die Inhaltsermittlung einer Norm, fokussiert wird vielmehr die Auflösung einer bestehenden Konkurrenz. Nur diese ist Angriffspunkt der Auflösungskriterien. Aufgrund dieses eindeutig bestimmten Zieles, nämlich die Entscheidung zu Gunsten der einen oder der anderen Kompetenznorm, ist der 453 Zur Klarstellung: Nicht zu verwechseln ist diese „zweite Stufe“ mit den zwei Stufen der kompetenziellen Qualifizierung. Die Auflösung folgt der kompetenziellen Qualifizierung auf einer zweiten Stufe nach, während bereits die kompetenzielle Qualifizierung aus zwei Stufen – der Auslegung und der Zuordnung – besteht. 454 Zum Ganzen bereits unter 2. Teil A.

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

„Wirkungsgrad“ der auflösenden Betrachtung viel höher. Während die Auslegung den Anwendungsbereich einer Norm definieren muss, sozusagen die Grenzen der Norm abstecken soll und somit in die eine Richtung Breitenwirkung entfaltet, ist das Ziel der Auflösungskriterien die punktgenaue Trennung in Frage kommender Kompetenznormen im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt. Bestehen also inhaltlich auch Überschneidungen, haben beide Kriterien beispielsweise systematische oder teleologische Betrachtungen zum Gegenstand, so kann sich durch die jeweils zu Grunde liegende Zielrichtung doch ein anderer Gehalt beziehungsweise eine andere Wirkungsweise der Kriterien zeigen. Die Auswirkungen der jeweiligen Kriterien sind dadurch andere. Als mittelbare Folge der unterschiedlichen Zielsetzung von Auslegung und Auflösung und der Existenz der Auflösungskriterien auf einer der kompetenziellen Qualifizierung nachgelagerten „zweiten Stufe“ ergibt sich für die Auflösungskriterien von vornherein ein reduzierter Betrachtungsspielraum. Ob es sich im Ergebnis tatsächlich um Kriterien ähnlich denen der Auslegung handelt, kann bereits hier im Vorgriff bezweifelt werden. Zentrale Aussage dieses Abschnitts ist jedoch nicht die Herausarbeitung der einzelnen in Frage kommenden Auflösungskriterien, sondern die Unterstreichung des Unterschiedes zu Auslegungskriterien im Allgemeinen. Hauptargument dafür sind nicht nur die dargestellten Unterschiede, sondern die hierdurch erreichte methodische Klarheit. Denn „[d]ie bunte Vielfalt der im Justizalltag verwendeten Methoden bildet das Hauptproblem für die Juristen wie für die Bürger als Adressaten der juristischen Rechtsanwendungen“ 455. Durchaus wären auflösende Betrachtungen im Bereich der Auslegung – etwa durch die starke Gewichtung systematischer und teleologischer Gesichtspunkte – oder im Bereich der kompetenziellen Zuordnung möglich und denkbar, wie die bestehenden Ansätze zur Auflösung entsprechender Konkurrenzen in diesen Beriechen zeigen und zeigen werden. Durch die Vermengung der Auflösungskriterien mit Auslegungskriterien oder dem Bereich der Zuordnung würden die Konturen der verschiedenen Stufen allerdings verwischt. Die gerade im Bereich des Verfassungsrechts dringend nötige methodische Klarheit und Transparenz ginge dadurch verloren. „Das [kompetenzrechtliche] Trennungssystem hat mehr als organisatorische Bedeutung. Die klare Zuordnung der Kompetenz sichert die Verantwortung der handelnden Staatsorgane und ermög455 Rüthers, Rechtstheorie, S. 391. Freilich werden die Bürger als Adressaten bei der Lösung von Konkurrenzen bei Gesetzgebungskompetenzen nur mittelbar berührt, da die Gesetzgebungskompetenzen unmittelbar nur die Kompetenzträger legitimieren. Nicht zuletzt aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten und dem aus Art. 19 IV GG resultierenden Gebot effektiven Rechtsschutzes muss die Kompetenzverteilung (bzw. die Konkurrenzauflösung) auch in schwierigen Fällen anhand rationaler und transparenter Kriterien erfolgen: Die Möglichkeit (beispielsweise mittels einer Verfassungsbeschwerde) auch direkt gegen Gesetze vorzugehen, gebietet es, die Kompetenzabschichtung und die kompetenzrechtliche Grundlage eines Gesetzes auch für den Bürger nachvollziehbar zu halten.

C. Auslegungs-, Zuordnungs- und Auflösungskriterien

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licht [verfassungsgerichtliche] Kontrolle. Sie diszipliniert das staatliche Handeln, gibt Rationalität und Transparenz dadurch, daß sie Zielkonflikte [und] Doppelarbeit [. . .] bei der Wahrnehmung ein und derselben öffentlichen Aufgabe verhindert.“456 Diese ursprüngliche Bedeutung – gerade die für den Bürger sehr wichtige Transparenzwirkung – darf auch nicht durch die Art und Weise der Kompetenzabgrenzung und Konkurrenzauflösung überspielt oder konterkariert werden. Brächte man entsprechende Auflösungskriterien in die vorhergehenden Elemente der kompetenziellen Qualifizierung ein, gingen die einzelnen klaren Qualifizierungsschritte zu Lasten eines differenzierten Gesamtkonstrukts unter. Vielleicht mag eine wertungsmäßige Korrektur oder Auflösungsentscheidung allein aufgrund von Art. 70 II GG457 durch systematische oder teleologische Erwägungen von Nöten sein. Diese muss jedoch klar und offen zu Tage treten, sich als eine solche Auflösungsentscheidung zu erkennen geben. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Inhalt der Auslegung ist die Sinn- und Zweckermittlung einer Norm. Sinn der Zuordnung ist die Feststellung der Subsumierbarkeit eines Sachverhalts oder eines formellen Gesetzes unter eine Kompetenznorm. Ergibt der Sinn und Zweck die Offenheit mehrerer Kompetenztitel für ein entsprechendes Gesetz, so kann die reine Inhaltsermittlung hieran nichts ändern. Ihre Leistungsfähigkeit wäre durch eine Entscheidung zu Gunsten der einen oder anderen Kompetenz zu Lasten individueller Vorverständnisse und Ansichten des Interpreten bei weitem überschritten. Ähnliches gilt für den Bereich der Zuordnung. Soll nur die Subsumierbarkeit eines Sachverhalts unter eine Kompetenznorm festgestellt werden, so ist die Zuordnung zu einer Entscheidung zu Gunsten einer oder anderen Kompetenzträgers nicht in der Lage. Um das Beispiel der Schrauben aufzugreifen: Entweder passt die Schraube zur Mutter, oder nicht. Sie passt nicht mehr oder weniger, oder eher zur einen als zur anderen. Durchaus denkbar ist jedoch, dass die Mutter zu zwei Schrauben gleichzeitig passt. Die Entscheidung welche von beiden die geeignetere im konkreten Fall ist, muss getrennt hiervon erfolgen. Das hauptsächliche Unterscheidungskriterium ergibt sich hier also aus der Zielrichtung der Auflösungskriterien. Dadurch, dass ihnen ausdrücklich die Funktion der Konkurrenzauflösung zukommt, sie also nicht durch vordergründige Argumentation in das Zusammenspiel mit anderen Kriterien eingewoben werden müssen, ist es ihnen möglich, entsprechende Auflösungswirkung zu entfalten. Um wieder eine Metapher zu bemühen: Die Auflösungskriterien stellen gewissermaßen einen Schweißbrenner dar, der aufgrund seines kleinen Wirkbereichs die nötige Wirkkraft besitzt, um sauber und trennscharf die bestehende Überschneidung aufzulösen. Die Auslegung muss aufgrund des erforderlichen Zusammenspiels aller Kriterien ihren Wirkbereich demgegenüber in die Breite 456 457

Isensee, in: HdBStR IV, S. 624 (Hervorhebung durch den Verfasser). Dazu bereits oben und BVerfGE 106, 62 (114) sowie BVerfGE 36, 193 (203).

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2. Teil: Der kompetenzielle Qualifizierungsvorgang im Einzelnen

entfalten. Ihr fehlt daher die nötige Fokussierung auf die Trennungsaufgabe, sie besitzt, um im Bereich der Metapher zu bleiben, nicht die gebündelte Hitze, um sauber die sich überschneidenden Kompetenzen zu trennen. Eine entsprechende Aufspaltung wäre unscharf, die Schnittkante kurvig und ausgefranst. Eine ähnliche458 Betrachtung ist in einem anderen Bereich der Rechtsanwendung anerkannt. Stellt man bei der Anwendung einfachen Rechts fest, dass keine geschriebene Norm dem Wortlaut nach auf den zu lösenden Sachverhalt passt, so ist die Heranziehung ähnlicher, möglicherweise passender Normen sorgfältig zu begründen.459 Diese analoge Rechtsanwendung muss durch die Darlegung einer planwidrigen Regelungslücke und die Feststellung vergleichbarer Interessenlagen gründlich fundiert werden.460 Wer eine Norm analog anwendet, muss, da er sich in diesem Fall nicht mehr unmittelbar auf die demokratische Legitimation des Gesetzgebers als bloßer Rechtsanwender berufen kann, ausdrücklich offenlegen, dass der zu entscheidende Fall nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist und warum er die entsprechende Norm analog anwendet. Eine Verschleierung mittels extensiver Auslegung oder ähnlichem wäre weder förderlich für die argumentative Überzeugungskraft noch würde man dem Grundsatz des Art. 97 GG gerecht. Ähnlich verhält es sich im Bereich des Verfassungsrechts bezüglich der Auflösung von Konkurrenzen der Legislativkompetenzen. Aus all diesen Gründen ist an der Trennung von kompetenzieller Qualifizierung und Konkurrenzauflösung festzuhalten. Die gegebenenfalls nötige einseitige Auflösung in diesem Bereich schadet (im Gegensatz zur Auslegung) nicht, ist doch offengelegt, was Aufgabe der Auflösungskriterien ist und welche Funktion sie nachdem zu erfüllen haben.

458 Dies soll lediglich einen beispielhaften Vergleich darstellen. Die grundlegende Verschiedenheit von Konkurrenzauflösung und analoger Rechtsanwendung ist offensichtlich und unbestritten. 459 Hierzu im weiteren Sinne Rüthers, Rechtstheorie, S. 462 f.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 133 ff. 460 Hierzu speziell für das Öffentliche Recht: Hemke, Die Methodik der Analogiebildung im öffentlichen Recht.

3. Teil

Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung Nachdem bisher der Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung bestehend aus Auslegung und Zuordnung sowie die Unterscheidung der verschiedenen Kriterien im Zentrum der Untersuchung standen, soll nun die Eigenart der Kompetenzkollisionen näher betrachtet werden. Hierbei werden zum einen die verschiedenen Konstellationen zu unterscheiden sein, in denen sich entsprechende Konkurrenzen bilden, zum anderen, jedoch hiermit verknüpft, muss zwischen verschiedenen Konkurrenzarten differenziert werden. Obwohl der Wortlaut der Kompetenzverteilungsnorm des Art. 72 GG: „Konkurrierende Gesetzgebung“, bereits eine Behandlung konkurrierender Gesetzgebungskompetenzen nahelegt, sind vorliegend natürlich nicht nur Streitfälle im Rahmen des Art. 72 GG zu untersuchen. Vielmehr gilt es, im Rahmen dieser Arbeit sämtliche Kollisionen von Gesetzgebungskompetenzen, auch zwischen ausschließlichen Bundes- oder Landeskompetenzen, zu behandeln.

A. Abstrakte Darstellung: Identität, Heterogenität, Subordination und Interferenz Zunächst soll mit einer abstrakten Erfassung des Konkurrenzproblems begonnen werden.1 Im Kern steht immer das Problem, dass scheinbar zwei (Kompetenz-)Normen (A und B) denselben Sachverhalt erfassen. Fraglich ist also, welches Verhältnis die Normen A und B zueinander haben. Es können verschiedene Konstellationen unterschieden werden. Diese Unterscheidung wiederum kann zum besseren Verständnis auch für die Typisierung der Kompetenzkonkurrenzarten beitragen. Zum einen besteht die Möglichkeit der Identität: Die Tatbestände der Kompetenznormen A und B erfassen genau dieselbe Menge an Fällen.2 Auf das System des Grundgesetzes übertragen, beschreibt dies dem Grunde nach die Situation der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeiten im Sinne des Art. 72 I GG. Sowohl eine Bundes- als auch eine Landeskompetenz erfassen denselben Be1 Zum Ganzen und speziell zur Terminologie Rüthers, Rechtstheorie, S. 131 ff. Normkonflikte allgemein werden unter anderem auch von Wiederin, Rechtstheorie 21 (1990), S. 311 ff., und von Zoglauer, Normenkonflikte, behandelt. 2 Rüthers, Rechtstheorie, S. 134.

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

reich. Die Länder sind jedoch von der Zuständigkeit zur Gesetzgebung ausgeschlossen, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat.3 Von – im Rahmen dieser abstrakten Vorbehandlung nicht zu thematisierenden – Problemen abgesehen, wann der Bund abschließend von seiner Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat und unter welchen Voraussetzungen die Einschränkungen des Art. 72 II GG gelten, ist eine entsprechende Kompetenzidentität nicht auszumachen und damit nicht Element der vorliegenden Untersuchung. Die Figur der Heterogenität4, Konstellationen also, in denen die Kompetenztatbestände der Normen A und B keinen gemeinsamen Fall erfassen, sind für die vorliegende Untersuchung gänzlich uninteressant, da hier keinerlei Konkurrenzen denkbar sind. Möglich erscheinen Konstellationen der Subordination5, bei der alle Fälle, die von Norm B erfasst werden, gleichfalls in den Anwendungsbereich von Norm A fallen. Norm A hat darüber hinaus jedoch noch einen weiteren Anwendungsbereich als B. Strittig wäre in diesem Fall die generelle Frage, welche Norm vorginge. Dies ist jedoch nur dann möglich, betrachtet man die Grundnorm des Art. 70 I GG als allumfassendes „Fundament“ und die jeweiligen Bundeskompetenzen als Spezialregelungen zu den Landeskompetenzen, wobei das Verhältnis beider zueinander gänzlich offen sein müsste. Bei genauerem Hinsehen ergeben sich durch diese scheinbar vollständige Überlagerung einer Kompetenznorm durch eine Kompetenz eines anderen Kompetenzträgers jedoch – ähnlich wie im Bereich der Identität – keine Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der hier zu behandelnden Problematik.6 Dies deshalb, weil durch die grundgesetzliche Verteilungsregel Art. 70 I GG ausdrücklich geregelt ist, welche Kompetenz (global) einschlägig ist. Konkurrenzen entstehen daher nicht bezüglich eines ganzen (durch eine Bundeskompetenz definierten) Bereichs, sondern allenfalls wegen Unsicherheiten bezüglich einzelner Sachverhalte. Lediglich ob einzelne Teilbereiche von der Bundes- oder Landeskompetenz umfasst sind, wird je in Frage stehen. Bezüglich eines gesamten Kompetenzbereichs ist dies ausgeschlossen. Daher werden die hauptsächlich vorzufindenden Situationen von Kompetenzkollisionen die sein, in denen Norm A und B gemeinsam einige Fälle erfassen, jede Norm aber zusätzlich noch ihren eigenen Anwendungsbereich hat. Im Kern geht es also um punktuelle, nicht um globale Überschneidungen. Dieses Phäno3

Vgl. dazu den Wortlaut des Art. 72 I GG. Rüthers, Rechtstheorie, S. 134. 5 Rüthers, Rechtstheorie, S. 134. 6 Zur Klarstellung: Im Grunde handelt es sich hier um den Fall einer Spezialität. Die Figur der Spezialität kann im Bereich der Konkurrenzauflösung sehr wohl eine Rolle spielen [dazu unten 4. Teil A. II. 2. b) aa)]. Die Konstellation jedoch, in der eine Kompetenznorm vollständig von einer Kompetenz des anderen Kompetenzträgers erfasst ist, besteht im grundgesetzlichen Verteilungssystem nicht. 4

B. Konkrete Unterscheidung

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men wird Interferenz genannt.7 Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass sich die folgende Untersuchung auf Kompetenzkollisionen partieller Art zu fokussieren hat. Lediglich die Kompetenz bezüglich einzelner Sachverhalte wird je in Streit stehen, da Konkurrenzen nur bezüglich einzelner Sachverhalte bestehen. Die im Folgenden zu untersuchenden, sich jeweils zwischen den einzelnen Konkurrenzarten bildenden Unterschiede können daher mit dem abstrakten Oberbegriff der Interferenz beschrieben werden.

B. Konkrete Unterscheidung der Konkurrenzarten Nach der doch sehr abstrakten Darstellung möglicher Konstellationen des Aufeinandertreffens von Normen ist nun auf die eigentliche Unterscheidung der verschiedenen Konkurrenzarten einzugehen. Zwar war zu Beginn bereits von „Auslegungskonkurrenz“ und „Doppelkompetenz“ die Rede, wie auch im Verlaufe dieser Arbeit hin und wieder von „Kompetenzkollisionen“ oder „Kollisionen von Gesetzgebungskompetenzen“, ebenso wie von „Gesetzgebungskonkurrenzen“ oder „Konkurrenzen von Gesetzgebungskompetenzen“ gesprochen wurde. Eine Reduzierung auf diese angesprochenen Begriffe würde der Komplexität der Materie, „dem weiten Feld kompetentieller Friktionen“8 jedoch nicht gerecht. Diese dienten im Vorangegangenen eher der Beschreibung des allgemeinen Zustandes der möglichen Überschneidung von Kompetenzen allgemein, während nun zwischen verschiedenen speziellen Konkurrenzarten differenziert werden soll. Daher wird im Folgenden zunächst in einem Grobraster zwischen verborgenen und offenen Konkurrenzen unterschieden.9 Unter den Begriff der „verborgenen Konkurrenzen“ fallen die Konkurrenzen nach herkömmlichem Verständnis: Es besteht die Möglichkeit, dass ein bestimmter Sachverhalt sowohl unter eine Bundes- als auch unter eine Landeskompetenz fällt. Dem Verfassunggeber war dieser Umstand zum Zeitpunkt des Erlasses der jeweiligen Kompetenztitel nicht klar, zumindest befindet sich keine eindeutige 7 Rüthers, Rechtstheorie, S. 134. Ähnlich auch Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 67; Wiederin, Rechtstheorie 21 (1990), S. 319, der dies „partiellen Konflikt“ nennt. 8 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 372. 9 Von vornherein bleiben jedoch – von der Berücksichtigung der Kompetenz kraft Natur der Sache abgesehen, die unter Umständen durchaus als Fall des Gewohnheitsrechts angesehen werden kann, – gewohnheitsrechtliche Fragestellungen außer Betracht. Das kompetenzrechtliche System ist auf Vollständigkeit und mit der grundlegenden Norm des Art. 70 I GG auf Abgeschlossenheit ausgelegt. Abgesehen davon, dass sich Gewohnheitsrecht nur durch eine länger andauernde, stetige und allgemeine Übung bilden kann, welche von den Beteiligten als rechtsverbindlich angesehen werden muss (vgl. BVerfGE 57, 121 (134 f.)), kann es aufgrund der Abgeschlossenheit und Verbindlichkeit der Kompetenzkataloge der Art. 70 ff. GG nur schwerlich zu gewohnheitsrechtlichen Kompetenzen kommen. Gegenwärtig sind jedenfalls keine ersichtlich, weshalb dies außer Betracht bleibt.

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

Kompetenz-Kollisionsregel im Gefüge des Grundgesetzes.10 Die verwendeten Begriffe der Auslegungs- und Doppelkompetenz fallen hierunter. Zusätzlich werden Fallgestaltungen in diesem Bereich auftreten, bei denen nicht zwei Legislativkompetenzen unmittelbar miteinander konkurrieren, sondern zwei unterschiedliche, widersprüchliche Regelungskonzeptionen11 einander gegenübertreten. Der zu Beginn im Rahmen der Kompetenzverteilung etwas befremdlich wirkende Begriff der „offenen Konkurrenzen“ umfasst im Gegensatz dazu Konstellationen, die vom Verfassunggeber bewusst auf diese Art geregelt wurden. Hauptfall sind die gesetzgeberischen Abweichungsmöglichkeiten im Rahmen des Art. 72 III GG und des Art. 84 I GG. Letzterer wird, da Inhalt dieser Arbeit die Betrachtung der Gesetzgebungskompetenzen ist, nur eine untergeordnete Rolle spielen. Im Grunde handelt es sich im Bereich der „offenen Konkurrenzen“ hauptsächlich um Fragen, die durch die Föderalismusreform eingefügte Abweichungsmöglichkeiten betreffen. Im Rahmen dieses Grundmusters wird der Schwerpunkt der Betrachtung auf den verborgenen Konkurrenzen liegen. Nur die nicht verfassungsrechtlich geregelten Kompetenzkollisionen bedürfen einer tiefergehenden Behandlung durch eigens zu entwickelnde Auflösungskriterien. Mittelpunkt dieses Abschnitts wird also die Unterscheidung und Darstellung der verschiedenen (verborgenen) Konkurrenzarten sein. Im Rahmen dessen wird auch die Auseinandersetzung mit den ebenfalls bereits angesprochenen „Kollisionen“ stattfinden, die nicht ausschließlich auf die Konkurrenz von Legislativkompetenzen aus Art. 70 ff. GG zurückzuführen sind. Beispielsweise die widersprüchlichen Regelungskonzeptionen von Steuer- und Sachgesetzgeber oder die Einwirkung strafrechtlicher Vorschriften auf Bereiche des Sachgesetzgebers werden hier eine Rolle spielen.

I. „Verborgene“ Konkurrenzen 1. Darstellung Obiger Schwerpunktsetzung folgend, sollen zunächst die Darstellung und Unterscheidung der verborgenen Konkurrenzen betrachtet werden. Der Bereich der verborgenen Konkurrenzen umfasst jene Konstellationen, in denen ein spezieller Sachverhalt sowohl von einer Bundes- als auch von einer Landeskompetenz als erfasst angesehen werden kann. Im Gegensatz zur Figur der offenen Konkurrenzen ist dies jedoch vom Verfassunggeber nicht vorausgesehen oder beabsichtigt 10 Inwieweit Art. 31 GG hier unmittelbar oder zumindest mittelbar eine Rolle spielen kann, muss an späterer Stelle erörtert werden. Hier sei nur erwähnt, dass Art. 31 GG unmittelbar nur die Kollision von einfachem Recht zu lösen vermag. Unmittelbar auf die Kompetenznormen einzuwirken, ist Art. 31 GG nicht in der Lage. Dazu unter 4. Teil A. I. 2. a). 11 Im Allgemeinen hierzu Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen.

B. Konkrete Unterscheidung

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worden. Mithin bestehen keine ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Bewältigung dieser Kollisionslage. Wie oben bereits angemerkt, muss vorweg jedoch auch hier darauf hingewiesen werden, dass bezüglich der verschiedenen Konkurrenzarten eine Vielzahl von Begriffen kursiert. Teilweise betreffen diese synonym dieselbe Konkurrenzart, teils weichen sie nur in Nuancen voneinander ab, andere beschreiben jedoch auch gänzlich unterschiedliche Konstellationen. Demzufolge ist eine Unterscheidung mitunter sehr schwierig und eine absolut eindeutige Einordnung der gefundenen Konkurrenzen in die Bereiche der abstrakten Oberbegriffe zusätzlich erschwert. Gesprochen wird von „janusköpfigen Gesetzen“12, von „ideal- und real konkurrierenden Gesetzen“13, von „Normkonflikt und Normkonkretisierungskonflikt“14, von „primärer und sekundärer Kollision, Widerspruch und Zielkonflikt“15 sowie von einer „Regelung mit Doppelnatur“16, „kompetenztitelübergreifendem Widerspruch“17 und „kompetenztitelinternen Unvereinbarkeiten“18. Zudem werden „abstrakte und konkrete Regelkonflikte“19 unterschieden. Auch die oben verwendeten Begriffe der Doppelkompetenz und der Auslegungskonkurrenz werden eine Rolle spielen. Eine abstrakte Einordnung an dieser Stelle wäre wenig Erfolg versprechend. Daher sollen zunächst die einzelnen Konkurrenzarten dargestellt werden, sodann an passender Stelle auf die jeweiligen Begriffe eingegangen und somit entsprechende (Begriffs-)Gruppen gebildet werden. 2. Echte Konkurrenzen a) Doppelkompetenz Begonnen werden soll mit der Untersuchung des Falles einer Konkurrenz im eigentlichen Sinne. In der einfachgesetzlichen Rechtsanwendung bedeutet dies, dass zwei Normen existieren, die jeweils denselben Adressaten haben und dieselbe Materie regeln. Dem Titel dieser Arbeit folgend, interessieren vorliegend allerdings nur Fälle, in denen eine Norm durch den Bundesgesetzgeber, die andere durch den Landesgesetzgeber erlassen wurde. Die ebenfalls denkbare Konstellation, in der zwei von einem Kompetenzträger erlassene Gesetze demselben Adressatenkreis bezüglich derselben Materie unterschiedliche Verhaltenspflichten auferlegen, bleibt ausgeblendet. Auf den Bereich der verfassungsrechtlichen 12 13 14 15 16 17 18 19

Cremer, ZG 20 (2005), S. 29 ff. Pestalozza, DÖV 1972, S. 181 ff. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 375. Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 11 ff. Cremer, ZG 20 (2005), S. 32. Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 66. Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 68. Bumke, ZG 14 (1999), S. 378.

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

Kompetenzverteilung angewendet, bedeutet dies, dass jeweils eine Bundeskompetenz und eine Landeskompetenz bezüglich eines zu regelnden Sachverhaltes bestehen muss, die es dem jeweiligen Kompetenzträger erlaubt, ebendiesen zu regeln. Käme es zu einer Regelung durch beide Kompetenzträger, so wäre es für den Normadressaten bei abweichender20 Regelungsanordnung unmöglich, sich rechtstreu zu verhalten. Ob tatsächlich eine Regelung durch beide erfolgt ist, soll jedoch zunächst21 für die hier anstehende Untersuchung ebenfalls nicht von Belang sein. Gegenstand sind vielmehr Kompetenzlagen, nach denen es zu einer Konkurrenz im hier verwendeten Sinne kommen kann. Dass es zwangsläufig zu einer Regelung kommen muss oder eine Regelung bereits erfolgt ist, ist gegenwärtig nicht Voraussetzung für eine Berücksichtigung. Die derartige Konstellation soll „Doppelkompetenz“ genannt werden. Zur Verdeutlichung sei nochmals das oben bereits angeführte Beispiel aus dem Bereich des Arbeitsrechts bemüht: Nach Art. 74 I Nr. 12 GG besteht für das Arbeitsrecht einschließlich des Arbeitsschutzes Bundeskompetenz. Art. 74 I Nr. 11 GG wurde im Zuge der Föderalismusreform jedoch dahingehend modifiziert, dass aus dem Bereich des Regelungskomplexes der Wirtschaft, für den der Bund ebenfalls die Gesetzgebungskompetenz besitzt, die Regelungszuständigkeit für den Ladenschluss explizit ausgenommen wurde. Unstrittig22 besteht für den Bereich des Ladenschlusses daher Landeskompetenz23. Konsequenz daraus ist, dass für gewisse Tätigkeitsbereiche, auf die die jeweiligen Landesladenschlussgesetze Anwendung finden, Überschneidungen mit den Regelungen des Bundesarbeitszeitgesetzes denkbar sind: Auswirkungen eines Landesladenschlussgesetzes auf die tägliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers etwa sind je nach Ausgestaltung des Ladenschlussgesetzes durchaus denkbar. Auch umgekehrt sind Einwirkungen eines Bundesarbeitszeitgesetzes auf die Ladenöffnungszeiten möglich, käme beispielsweise ein generelles Nachtarbeitsverbot doch faktisch einem Ladenschluss gleich. Im Bereich dieser Überschneidungen bestünde daher eine Doppelkompetenz. Sowohl dem Bundes- als auch dem Landesgesetzgeber wäre es möglich, sich bezüglich entsprechender Regelungen auf eine Kompetenz zu berufen.24 20 Welche Auswirkung die inhaltsgleiche Regelung unterschiedlicher Normgeber haben kann, muss an späterer Stelle geklärt werden [4. Teil A. II. 2. b) bb) (3)]. 21 Es sei jedoch bereits an dieser Stelle vorweggenommen, dass sich hieraus durchaus Auswirkungen auf die anzuwendenden Auflösungsmittel ergeben können. 22 Sicherlich stellt diese Behauptung kein systematisch korrektes Vorgehen nach den oben aufgestellten Schritten kompetenzieller Qualifizierung dar. Nachdem der Begriff des Ladenschlusses jedoch sehr wenig Auslegungsspielraum hat und dieser einzelne Begriff explizit im Bereich des Art. 74 I Nr. 11 GG genannt wird, soll dies an dieser Stelle zur beispielhaften Erläuterung genügen. 23 Dies ergibt sich aus der expliziten Ausnahme des Ladenschlusses in Verbindung mit Art. 70 I GG. 24 Die Darstellung hier dient ausschließlich der Verdeutlichung des Begriffs der Doppelkompetenz. Die Notwendigkeit der Auflösung auch dieser Kompetenz bleibt unbe-

B. Konkrete Unterscheidung

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Im Zusammenhang mit der hier als Beispiel verwendeten Konstellation wird auch der Begriff der Normkollision verwendet.25 Dieser soll jedoch vom Begriff des Widerspruchs unterschieden26 und in primäre und sekundäre Normkollision eingeteilt27 werden. Nach Korioth soll die generelle Unterscheidung des Kollisionsbegriffs von dem des Widerspruchs der Herkunft der Begriffe entstammen. Während der Begriff des Widerspruchs in der Aussagenlogik seinen Ursprung nehme, mithin das Verhältnis zweier Aussagen bezeichne, die nicht gleichzeitig wahr sein könnten, sei höchst zweifelhaft, ob Normen als Aussagen in diesem Sinne anzusehen seien.28 Vor dem Hintergrund, dass Aussagen empirische Daten beschrieben, Normen hingegen nichts beschrieben, sondern an bestimmte Tatbestände Folgen knüpften, die bei Einhaltung aller Voraussetzungen eintreten sollten29, sei der Begriff des Widerspruchs für die hier zu betrachtenden Umstände der Konkurrenz von Gesetzgebungskompetenzen nicht eindeutig. Für die vorliegende Betrachtung erscheint die Verwendung zweier Begriffe in Gestalt von Normkollision und Widerspruch hinsichtlich einer weiterführenden Differenzierung der Konkurrenzarten nicht gewinnbringend. Korioth folgend soll daher künftig der Begriff des Widerspruchs in diesem Zusammenhang auch nicht mehr verwendet werden.30 Es bleibt somit der verwendete Kollisionsbegriff bestehen. Nötig ist jedoch, den Begriff der Kollision durch die Einteilung in primäre und sekundäre Kollisionen aufzuteilen und somit die Möglichkeit zu erhalten, bestehende Konkurrenzen treffender zu klassifizieren. Primäre Normkollision bezeichnet mithin den Zustand, der auch bereits unter dem Begriff der Doppelkompetenz beschrieben wurde: „Zwei Normen sind in Tatbestand und Rechtsfolge so gestaltet, dass an übereinstimmende Voraussetzungen Sollensanordnungen gebunden sind, die nur alternativ erfüllt werden können“31. Wiederum übertragen auf die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung rührt und erfolgt entsprechend den getätigten Ausführungen an separater, späterer Stelle unter 4. Teil A. Auch dem Umstand der expliziten Ausnahme des Ladenschlusses aus der Bundeskompetenz nach Art. 74 I Nr. 11 GG durch den Verfassunggeber und die eventuell damit verbundenen Auswirkungen auch auf den Bundeskompetenztitel aus Art. 74 I Nr. 12 GG werden dann Berücksichtigung finden. 25 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 8 ff. 26 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 9. 27 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 12. 28 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 9. 29 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 9. Dazu auch Zoglauer, Normenkonflikte, S. 23, 36 und 45. 30 Da hier lediglich die Begriffsklärung im Vordergrund steht, soll auf eine tiefergehende Unterscheidung von Aussagen und Normen sowie auf die Darstellung des weiterführenden philosophischen und rechtstheoretischen Hintergrundes verzichtet werden. Weiterführend dagegen beispielsweise Zoglauer, Normenkonflikte. Überblicksmäßig dazu auch Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 9. 31 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 12. Auch hier darf im Rahmen dieser Arbeit außer Betracht bleiben, ob bereits eine Regelung erfolgte

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

ergibt sich das Bild, das durch die Figur der Doppelkompetenz gezeichnet wurde: Jeweils eine Bundeskompetenz und eine Landeskompetenz bestehen bezüglich eines zu regelnden Sachverhaltes. Beide erlauben dem jeweiligen Kompetenzträger, ebendiesen zu regeln. Als sekundäre Normkollision hingegen sind Konstellationen zu bezeichnen, in denen sich nicht schon aus der Betrachtung des Normgefüges selbst, sondern erst durch die Rechtsanwendung ergibt, dass sich für den Einzelfall Sollensanordnungen zeigen, die sich ähnlich der primären Kollision überschneiden.32 Dies werden Fälle sein, in denen sich die vorhandenen Gesetze der verschiedenen Kompetenzträger nicht gänzlich, sondern nur in gesonderten Bereichen widersprechen. Wiederum auf verfassungsrechtliche Kompetenznormen angewendet: Nicht schon die Betrachtung der jeweiligen Kompetenztitel ergibt eine Überschneidung ihrer Anwendungsbereiche. Vielmehr zeigt sich erst durch die kompetenzielle Qualifizierung zu regelnder Sachverhalte die, meist auf Teilbereiche beschränkte, (Kompetenz-)Kollision. Für den Fall, dass der (oder die) Gesetzgeber bereits tätig geworden ist (sind), gilt dies für die Anwendung der aufgrund der in Frage stehenden Kompetenznormen erlassenen Gesetze. Eine dem entsprechende Beschreibung findet sich für den Begriff des konkreten Normen- oder Regelkonflikts bei Bumke. Demnach komme es zu diesem, wenn jemand in einer konkreten Situation entweder zwei Handlungspflichten zu erfüllen habe, von denen er nur eine erfüllen könne, oder eine Handlungspflicht mit einem Verbot konkurriere.33 Gleiches muss für das Aufeinandertreffen einer Erlaubnis und einer Verbotsnorm gelten. Nach Bumke sei es zudem kennzeichnend für einen konkreten Konflikt (in diesem Sinne), dass die zu beachtenden Gebote oder Verbote einander nicht generell, sondern nur in besonderen Situationen widersprächen.34 Im Grunde handelt es sich beim oben genannten Ladenschlussbeispiel um eine Kollision dieser Art, mithin um eine sekundäre Normkollision, in anderer Terminologie um einen konkreten Normkonflikt. Zur Verdeutlichung: Nicht schon durch die Regelung der jeweiligen Kompetenztitel, also durch die Begriffe des Ladenschlusses auf Länderseite oder den Begriff des Arbeitsrechts (einschließlich des Arbeitsschutzes) auf Bundesseite, lässt sich eine mögliche Konkurrenz dieser Kompetenzen erkennen (primäre Kollision). Vielmehr ergibt sich eine entsprechende Kollision erst durch die Anwendung der Kompetenznormen beziehungsweise der aufgrund der jeweiligen Kompetenz erlassenen Gesetze. Erst durch die Anwendung eines Landesladenschlussgesetzes und des Bundesarbeitszeitgesetzes ergibt sich die partiell mögliche Überschneidung beider Bereiche oder nicht. Vgl. auch Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 79: „echter Normkonflikt“. 32 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 12. 33 Bumke, ZG 14 (1999), S. 378. 34 Bumke, ZG 14 (1999), S. 378.

B. Konkrete Unterscheidung

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und das Übergreifen eines Kompetenztitels auf den Anwendungsbereich des anderen. Auf das konkrete Beispiel angewendet bedeutet dies: Gesetzt den Fall, der Bundesgesetzgeber entschließt sich für ein komplettes Nachtarbeitsverbot von 21.00 bis 06.00 Uhr, so liefe ein Landesladenschlussgesetz, das Öffnungszeiten von 06.00 bis 24.00 Uhr erlaubt, für die Zeit von 21.00 bis 24.00 Uhr quasi leer, da die entsprechenden Normadressaten35 sich nicht ohne Verstoß gegen das Bundesarbeitszeitgesetz auf die längeren Öffnungszeiten berufen könnten. Freilich ist es in der hier genannten Situation für die Normadressaten möglich, sich rechtskonform zu verhalten, indem die dem Ladenschlussgesetz unterworfenen Geschäfte nur bis 21.00 Uhr öffneten. Dies ergäbe sich hier daraus, dass eine gestattende Norm mit einer Verbotsnorm konkurriert. Das Ladenschlussgesetz erlaubt von 06.00 bis 24.00 Uhr, speziell für den Bereich von 21.00 bis 24.00 Uhr, zu öffnen, das Arbeitszeitgesetz verbietet für den Bereich von 21.00 bis 24.00 Uhr zu arbeiten.36 Die Normadressaten wären daher nicht verpflichtet, die volle Zeitspanne auszunutzen. Für den zu untersuchenden Problemkreis der Konkurrenzen von Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern ändert sich dadurch zunächst freilich nichts, geht es hier gerade nicht nur darum, durch die Anwendung mehrerer Normen entstandene Zwickmühlen für die Normadressaten zu vermeiden, sondern der Abgrenzungsfunktion des Art. 70 II GG gerecht zu werden und Kompetenzüberschneidungen generell zu vermeiden. Zudem besteht kein ungeschriebener Grundsatz, nachdem Verbote Erlaubnissen vorgingen. Es wäre durchaus denkbar, dass ein Normadressat unter Berufung auf die Erlaubnis gegen das Verbot verstieße.37 Für die verschiedenen Konkurrenzarten ergibt sich bis hierher demnach Folgendes: Die Begriffe der primären und sekundären Normkollision erfassen beide Konstellationen, in denen zwei Normen denselben Sachbereich regeln und denselben Adressatenkreis haben. Auf die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung übertragen bedeutet dies das Bestehen sowohl einer Bundeskompetenz als auch einer Landeskompetenz für einen identischen Sachverhalt. Ein Unterschied zwischen

35 Bereits hier sei klargestellt, dass es auch Verkaufsstellen geben kann, welche ohne Arbeitnehmer betrieben werden. Dies sind beispielsweise Ein-Mann-Betriebe wie Kioske, Buden etc. Die Betreiber dieser sind von vornherein nicht Normadressaten eines Arbeitsschutzgesetzes. Dennoch: Die weit überwiegende Zahl der Verkaufsstellen im Bundesgebiet wird mit und durch Arbeitnehmer betrieben. Daher erscheint die beispielhafte Betrachtung hier und die genauere Betrachtung unter 5. Teil B. III. angezeigt. 36 Dazu Haack, Stefan: Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 79. 37 Vgl. Bumke, ZG 14 (1999), S. 379, Fn. 13. Dass sich hieraus jedoch durchaus Auswirkungen auf die Anwendbarkeit einzelner Auflösungsnormen ergeben können, sei hier ausdrücklich erwähnt. Zum Erfordernis „sachlicher und zeitlicher Aktualität“ eines Konfliktes jedoch an späterer Stelle [4. Teil A. II. 2. b) bb)].

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

beiden besteht jedoch insoweit, als eine primäre Normkollision schon durch die Betrachtung des Normgefüges (hier: Kompetenznormgefüges) zu erkennen ist, während sich eine sekundäre Normkollision erst durch die Anwendung der Kompetenznormen oder erst (mittelbar) durch die Anwendung der aufgrund der jeweiligen Kompetenzen erlassenen Gesetze zeigt. Der Begriff der Normkollision bezeichnet somit nichts anderes als der Begriff der Doppelkompetenz. Der Ausdruck „Normkollision“ ist jedoch weiter gefasst und wurde hauptsächlich für den Bereich der Kollision einfacher Gesetze entwickelt, weshalb er einer der Kompetenzfrage nachgelagerten Stufe zuzuordnen ist.38 Da es sich bei Landeskompetenzen wie gezeigt aber nur in Ausnahmefällen um tatsächlich geschriebene Normen in diesem Sinne handelt39, soll für den zu untersuchenden Bereich der „Kompetenznormkollisionen“ der Begriff der Doppelkompetenz Verwendung finden. Eine Unterscheidung von primärer und sekundärer Doppelkompetenz erscheint dagegen durchaus sinnvoll und soll daher aufgegriffen werden. Ebenfalls im Rahmen der Doppelkompetenz zu erwähnen ist der Begriff des „echten Normkonflikts“.40 Normkonflikte seien solche, die „durch Inkompatibilität von so und nicht anders konkretisierbaren Zuständigkeitsnormen, also durch einen Normwiderspruch hervorgerufen werden“41. Hier ist bereits unmittelbar die Kollision, der Konflikt von verfassungsrechtlichen Kompetenznormen beschrieben. Bereits die Kompetenznormen an sich widersprechen sich. Es handelt sich somit um eine begrifflich andersartige Beschreibung einer primären Doppelkompetenz. Gleiches gilt für den Begriff des „abstrakten Regelkonflikts“.42 Auch die Begriffe des „kompetenztitelübergreifenden Widerspruchs“ und des „kompetenztitelinternen Konflikts“43 beschreiben Unterarten der Doppelkompetenz. Während jedoch die Umschreibung eines kompetenztitelübergreifenden Konflikts wenig anders ist als die Umschreibung der primären Doppelkompetenz44, bildet die Figur des kompetenztitelinternen Konflikts eine weitere Sonder38

Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 9 ff. Siehe hierzu die Ausführungen unter 1. Teil B. II. 1. 40 Die Verwendung des Begriffs „Konflikt“ anstelle von „Kollision“ oder „Konkurrenz“ ist hier rein begrifflicher Natur. Stettner bevorzugt „Konflikt“, da „Konkurrenz“ bereits von Art. 70, 72 GG verwendet werde und „Kollision“ im Gegensatz zu „Konflikt“ nicht gleichwertig traditionell mit dem Anwendungsfeld im Kompetenzbereich verknüpft sei. Vgl. dazu Stettner: Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 373. Wiederum etwas anders werden die Begriffe von Jarass verwendet, vgl. Jarass, Kartellrecht und Landesrundfunkrecht, S. 42 f. 41 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 375. 42 Bumke, ZG 14 (1999), S. 378. 43 Beide Begriffe bei Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 66 ff. 44 In idealkonkurrierender Variante vgl. Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 67: „Kompetenztitelübergreifende Konflikte entstehen an den Nahtstellen der Legislativzuständigkeitstitel [. . .], wo ein und derselbe Sachverhalt gleich starke Bezüge zu zwei Titeln besitzt, die nicht den gleichen Kompetenzträger zur Gestaltung berechtigen.“ 39

B. Konkrete Unterscheidung

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form aus. Kompetenztitelinterne Konflikte entstehen, „wo die Befugnis zur Gestaltung eines Regelungsfeldes beiden Legislativebenen – in konkurrierender Weise [. . .] – zugewiesen wird.“45 Im hier beschriebenen Fall handelt es sich daher nicht um Konkurrenzen im sonst verwendeten globalen Sinne, sondern nur um solche, die im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit der Art. 72, 74 GG entstehen. Entsprechende kompetenztitelinterne Konflikte entstehen also dann, wenn der Bund von seiner konkurrierenden Kompetenz nicht abschließend Gebrauch gemacht hat46, sich somit die Sperrwirkung des Art. 72 I GG nicht auf den gesamten Kompetenztitel erstreckt und sich den Ländern damit die Möglichkeit bietet, offen gebliebene Bereiche zu regeln.47 Dass hierbei Widersprüche in beiden Regelungskonzeptionen entstehen können, liegt auf der Hand. Der Begriff des kompetenztitelinternen Konflikts bezeichnet somit wiederum eine Form der Doppelkompetenz. Dies jedoch mit der Besonderheit der Beschränkung auf Konkurrenzen, die im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung auftreten. Erwähnt sei noch, dass durch die Einführung der Abweichungsmöglichkeit der Länder nach Art. 72 III GG durch die Föderalismusreform dieser Konkurrenzform einiges an Substanz abgeschnitten wurde. Um die Aufzählung der Begrifflichkeiten zu vervollständigen, die im Rahmen der durch die Doppelkonkurrenz beschriebenen Konstellationen (soweit ersichtlich) eine Rolle spielen, seien die Begriffe der „realkonkurrierenden“ und „idealkonkurrierenden Gesetze“48 genannt. Hierbei muss für die zu behandelnde Thematik der Konkurrenzen der Gesetzgebungskompetenzen jedoch zunächst die Perspektive geändert werden. Während zuvor von den Kompetenznormen her auf die zu regelnden Sachverhalte oder die kompetenziell zu überprüfenden Gesetze geblickt wurde, muss zum richtigen Verständnis dieser Begriffe von den jeweiligen einfachen Gesetzen her gedacht werden. Es muss – metaphorisch gesprochen – von den einfachen Gesetzen und Sachverhalten zu den Kompetenznormen aufgeblickt werden, anstelle von diesen herunterzusehen. Ist ein Perspektivwechsel erfolgt, stellen sich realkonkurrierende Gesetze als solche dar, die nebeneinander Bestimmungen für mehrere Materien enthalten.49 Unter dem Begriff der „Mate45 46

Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 68. Vgl. zu dieser Frage auch die Ausführungen unter 1. Teil B. V. 1. und 3. Teil B. I.

3. b). 47 Vgl. hierzu jedoch noch nach alter Rechtslage und somit unter zusätzlicher Berücksichtigung der Rahmenkompetenz des Art. 75 GG a. F.: Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 68. 48 Hier wird – die Ausführungen Pestalozzas etwas verkürzend – nur von konkurrierenden Gesetzen und nicht von konkurrierendem Sonderrecht gesprochen. Hierbei sollen keineswegs die ursprünglichen Begriffe verfälscht werden. Da es im vorliegenden Bereich jedoch hauptsächlich um die Unterscheidung verschiedener Konkurrenzarten geht, wird die von Pestalozza vorgenommene Differenzierung von Sonderrecht und allgemeinem Recht noch nicht an dieser Stelle, sondern erst im Bereich der Auflösungskriterien behandelt. 49 Pestalozza, DÖV 1972, S. 187 ff. Ebenso Rengeling, in: HdBStR IV, S. 745.

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rie“ ist in diesem Zusammenhang die durch die Kompetenznormen vermittelte Kompetenzmaterie gemeint. Demnach stellen sich realkonkurrierende Gesetze als solche dar, die nebeneinander Bestimmungen enthalten, die Kompetenzmaterien verschiedener Kompetenzträger regeln. Wendet man nun den Blick zurück auf die zu behandelnde Materie der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen, wechselt man also die Perspektive zurück und blickt von den Kompetenznormen herab, so ist festzustellen, dass in den Fällen der realkonkurrierenden Gesetze sowohl Bereiche einer Landeskompetenz als auch Bereiche einer Bundeskompetenz geregelt werden, wobei die jeweiligen Bereiche isoliert auf einen Kompetenztitel des jeweiligen Gesetzgebers gestützt werden können. Derartige Konstellationen werden auch als „janusköpfig“50 bezeichnet. Janusköpfigkeit wird den Gesetzen zugeschrieben, die Regelungen enthalten, welche bei isolierter Betrachtung nach dem Grundgesetz der Kompetenz des Bundes zufielen, die aber auch solche Regelungen beinhalten, die bei isolierter Betrachtung in die Landeskompetenz fielen.51 Schon die Definition macht die Nähe zur Realkonkurrenz im oben genannten Sinne deutlich. Im Ergebnis handelt es sich in den beschriebenen Konstellationen also um solche, bei denen wiederum diejenigen Kompetenzen in Konkurrenz stehen, auf die sich die jeweiligen Gesetze stützen lassen. Auch hier wird daher eine Form der Doppelkompetenz beschrieben.52 Einen Sonderfall bildet letztendlich die Konstellation, die als „Idealkonkurrenz“53 oder als „Regelung mit Doppelnatur“54 bezeichnet wird. Sie ist von der Figur der janusköpfigen beziehungsweise realkonkurrierenden Gesetze zu unterscheiden.55 Als Beispiel für diese Konstellation und für beide Bezeichnungen56 wird die Problematik um die kompetenzielle Behandlung der Verjährung der Pressedelikte57 genannt: „So kann die Verjährung der Pressedelikte oder das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen von Presse und Rundfunk eindeutig weder allein dem ,Verfahrensrecht‘, Art. 74 I Nr. 1 GG [, also der Bundeskompe50

Cremer, ZG 20 (2005), S. 29 ff., speziell S. 31 ff. Cremer, ZG 20 (2005), S. 30. 52 Dies zeigt sich durch die Betrachtung eines in diesem Zusammenhang vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Falles. Im Rahmen des Kindergartengebührenbeschluss (BVerfGE 97, 332 ff.) war zu entscheiden, ob der Schwerpunkt des Kindergartenwesens in einer fürsorglichen Betreuung liegt und der Bundeskompetenz zufallen muss oder ob der Bildungsauftrag im Vordergrund steht, was die Länderkompetenz begründen würde. Dazu Cremer, ZG 20 (2005), S. 36 ff. 53 Pestalozza, DÖV 1972, S. 187 ff., speziell 188. Rengeling, in: HdBStR IV, S. 745, benennt dies ausdrücklich als „Doppelkompetenz“. 54 Cremer, ZG 20 (2005), S. 30. 55 Cremer, ZG 20 (2005), S. 32. Sowie Pestalozza, DÖV 1972, S. 187. 56 Cremer, ZG 20 (2005), S. 32. Sowie Pestalozza, DÖV 1972, S. 188. 57 Vgl. BVerfGE 7, 29 (38 ff.). Die letztendliche kompetenzrechtliche Einordnung durch das Bundesverfassungsgericht soll an dieser Stelle noch außer Betracht bleiben. 51

B. Konkrete Unterscheidung

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tenz], noch dem Presse- oder Rundfunkrecht [und somit der Landeskompetenz] zugewiesen werden. Die Verjährung speziell der Pressedelikte ist Sonderrecht sowohl der Presse als auch des Straf(verfahrens)rechts.“58 Der Unterschied zu janusköpfigen Gesetzen besteht darin, dass die Regelungsmaterie als solche nicht getrennt werden kann. Eine einzige Regelungsmaterie berührt hierbei Gesetzgebungszuständigkeiten beider Kompetenzträger, wobei bei janusköpfigen Gesetzen Elemente von Kompetenzen beider Kompetenzträger enthalten sind, diese sich mithin als leichter teilbar erweisen. Zur Verdeutlichung: Bei der Auflösung einer Konkurrenz bezüglich eines janusköpfigen Gesetzes muss zwangsläufig ein Kompetenzträger den Bereich des anderen Kompetenzträgers an sich ziehen oder die Regelung müsste – wenn möglich – nach der jeweiligen Kompetenz aufgespalten werden. Bei idealkonkurrierenden Gesetzen beziehungsweise Materien verhält es sich jedoch anders. Die Materie ist nicht in verschiedene Bereiche trennbar, die isoliert betrachtet werden könnten. Die Materie als Ganzes muss entweder dem einen oder dem anderen Kompetenzträger zugeordnet werden. Eine Aufspaltung ist aus der Natur des Regelungsgegenstandes nicht möglich. Dies macht idealkonkurrierende Gesetze zum Prototyp von Gesetzgebungskonkurrenzen und zum Paradebeispiel für Doppelkompetenzen. Sachverhalte idealkonkurrierender Kompetenzen sind aufgrund ihrer Unteilbarkeit und aufgrund des absolut gleich starken Bezugs zu Bundes- und Landeskompetenz die wohl am schwierigsten zu behandelnden Konkurrenzen.59 Bewusst wurde zu Beginn der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Begrifflichkeiten die Formulierung der Doppelkompetenz gewählt. Sie bezeichnet als Oberbegriff all das, was durch die nachfolgenden Bezeichnungen ausdifferenziert oder auf andere Weise beschrieben wurde. Folgendes Resümee kann also festgehalten werden: Konstellationen, in denen ein Sachverhalt sowohl durch Bundesgesetz als auch durch Landesgesetz geregelt werden könnte, sollen im Folgenden „Doppelkompetenz“ genannt werden. Die Unterscheidung von Konkurrenz, Kollision und Konflikt ist rein begrifflicher Natur. Sie soll nicht weiter beibehalten werden. Durchaus sinnvoll, weil zur genaueren Typisierung gefundener Konkurrenzen dienlich, ist die Einteilung in primäre und sekundäre Doppelkompetenz. Erstere beschreibt dabei von vornherein offensichtliche Normkonflikte, Zweitere zeigt sich erst durch die Anwendung einschlägiger Gesetze und ist meist gekennzeichnet durch eine nur partielle Überschneidung. Die Begrifflichkeiten abstrakter und konkreter Normkonflikt beschreiben ebenfalls die hier erfolgte Einteilung, wobei der abstrakte Normkonflikt primärer Doppelkompetenz, der konkrete Normkonflikt sekundärer Doppelkompetenz entspricht. Ebenfalls unter den Oberbegriff der Doppelkompetenz fallen die Konstellationen, die realkonkurrierend/janus58 59

Pestalozza, DÖV 1972, S. 188. Dazu ausführlicher im Rahmen der Auflösung im 4. Teil.

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

köpfig und idealkonkurrierend beziehungsweise mit Doppelzuständigkeit beschrieben werden. Diese bezeichnen Unterfälle, in denen im ersten Fall eine Regelung Elemente von Kompetenzen beider Kompetenzträger enthält, im zweiten Fall eine Aufspaltung in jeweils unterschiedliche Bereiche nicht gelingt, es sich mithin um einen einheitlichen Regelungsgegenstand handelt. Bereits hier ergeben sich jedoch erste Folgen im Hinblick auf die Auflösung der jeweiligen Konkurrenzen. Es sei auf Folgendes hingewiesen: Kompetenzfragen im hier behandelten Sinne drehen sich alle um den Begriff des „Verleihens“ im Sinne des Art. 70 I GG. Konkurrenzen entstehen dann, wenn nicht eindeutig ist, ob das Grundgesetz dem Bund die Gesetzgebungskompetenz „verleiht“ oder ob die entsprechende Kompetenzausübung den Ländern überlassen bleiben soll. Bei der Prüfung des „Verleihens“ wird sich zeigen, dass es jedoch durchaus einen Unterschied machen kann, ob eine Materie überwiegend von einer Kompetenz, aber auch von der des anderen Kompetenzträgers berührt wird, oder ob keinerlei Schwerpunkt in die Richtung eines Kompetenzträgers (wie bei idealkonkurrierenden Kompetenzen) festgestellt werden kann. Letztgenannte Fälle sind die eindeutigsten, aber auch die am schwierigsten zu handhabenden Konkurrenzen. Da sich die zu regelnde Materie bei idealkonkurrierenden Kompetenzen jedoch exakt „zwischen“ beiden Kompetenzträgern befindet, erfordert es zur Auflösung dieser Konkurrenzen einer gesonderten Betrachtung. Die Einordnung gefundener Doppelkompetenzen in die jeweiligen Unterfälle kann sich teilweise als sehr schwierig erweisen. Sie soll daher – um Unklarheiten vorzubeugen – auch nur in eindeutigen Fällen geschehen. Falls sich allerdings für unterschiedliche Unterarten verschiedene Auflösungsmöglichkeiten ergeben sollten – was zumindest bei einigen, wie dargestellt, zu erwarten ist – wird eine Einteilung auch unter bestehenden Schwierigkeiten zwingend vorzunehmen sein. Bereits die hier gefundene Differenzierung deutet also darauf hin, dass idealkonkurrierende Zuständigkeiten beziehungsweise die hieraus entstehenden Kompetenzkonflikte wesentlich schwerer aufzulösen sein werden als Kompetenzprobleme, die aus realkonkurrierenden Zuständigkeiten bestehen. b) Auslegungskonkurrenz Mit der Behandlung der Figur der Doppelkompetenz sind jedoch noch nicht alle denkbaren Fälle verborgener Kompetenzkollisionen erfasst. Im nun folgenden Abschnitt soll das Hauptaugenmerk auf Konstellationen gerichtet werden, die als „Auslegungskonkurrenz“ bezeichnet werden. Während bisher im Rahmen der Doppelkompetenz im weitesten Sinne Konfliktsituationen besprochen wurden, die sich nach erfolgter Auslegung ergaben, sollen nun Konflikte in den Vordergrund treten, die sich während beziehungsweise im Rahmen der Auslegung ergeben. Erfasst sind somit Konstellationen, in denen ein Sachverhalt beziehungsweise der Sinn und Zweck eines Gesetzes so-

B. Konkrete Unterscheidung

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wohl auf eine Weise interpretiert werden kann, welche zur landesrechtlichen Qualifizierung führen würde, als auch auf eine Weise, die die Bejahung der Bundeskompetenz nach sich zöge. Zudem sind Probleme dahingehend denkbar, dass auch die jeweiligen Kompetenztitel verschiedentlich ausgelegt werden können, eine kompetenzielle Qualifizierung sich also auch von dieser Seite her als schwierig erweisen kann.60 In diesem Zusammenhang wird der Begriff des „Normkonkretisierungskonflikts“ 61 verwendet. Gemeint sind also „Streitigkeiten, die bei der Interpretation von Aufgabenzuweisungs- und Mittelzuteilungsnormen auftreten“ 62. Als Beispiel sei in diesem Fall eine beamtenrechtliche Problematik im Rahmen des Art. 74 I Nr. 27 GG bemüht. Im Zuge der Föderalismusreform 2006 wurde dem Bund konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Statusrechte und -pflichten der Beamten zugesprochen.63 Ausgenommen sind jedoch die Felder der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung, für die somit die Länder die ausschließliche Kompetenz haben.64 Im Übrigen, also in allen Bereichen, die keine Statusrechte betreffen, haben fortan die Länder ausschließliche Gesetzgebungskompetenz.65 Genau in dieser Abgrenzung liegt jedoch die Problematik. Im Gegensatz zur oben dargestellten Doppelkompetenz haben hier nicht Bund und Länder eine Regelungskompetenz inne, vielmehr geht es um die Auslegung des Begriffs der Statusrechte. Wird ein spezieller Sachverhalt als Statusrecht anerkannt, der natürlich nicht in die expliziten Ausnahmeregelungen des Art. 74 I Nr. 27 GG fallen darf, so hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz diesbezüglich. Das Grundgesetz „verleiht“ dem Bunde in diesem Falle die entsprechende Kompetenz. Sieht man jedoch den betreffenden Sachverhalt (z. B. eine entsprechende Beamtenpflicht) nicht als Statusrecht an, so hätten die Länder und nicht der Bund ausschließliche Regelungskompetenz.66 Somit tritt die Unterscheidung offen zu Tage: Nicht Bund und Länder, sondern je nach Einordnung der jeweiligen 60 Auch an dieser Stelle sei bereits ein Schlaglicht auf die Auswirkungen für die Auflösung entsprechender Konkurrenzen geworfen: Da es sich vorliegend um Fragen der Auslegung handelt, werden entsprechende Kompetenzfriktionen, anders als es im Falle der Doppelkompetenzen möglich war, ihre Behandlung auch auf der Stufe der Auslegung finden müssen. Zur Möglichkeit unterschiedlicher Auslegungsergebnisse auch bereits oben im 2. Teil. 61 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 375. 62 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 375. 63 Freilich handelt es sich bei der vorliegenden Regelung der Föderalismusreform im Ganzen nicht um einen Zugewinn an Bundeskompetenz. Gleichzeitig wurde Art. 74 a GG aufgehoben. 64 Zum Inhalt vgl. weitergehend Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 112 ff. 65 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 115. 66 Was im Einzelnen als Statusrecht und -pflicht anzusehen ist, bleibt im Verlauf der Auflösung unten zu klären. Die Darstellung hier gilt wiederum nur beispielhafter Verdeutlichung.

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

Pflicht beziehungsweise des jeweiligen Rechtes als Statusrecht haben entweder der Bund oder die Länder die Gesetzgebungskompetenz. Das entscheidende Augenmerk muss somit auf der jeweiligen Einordnung als Statusrecht/Statuspflicht liegen. Die Auslegung spielt dadurch eine entscheidende Rolle. Je nachdem wie also die Norm konkretisiert wird, besteht Bundes- oder Landeskompetenz. Natürlich müssen demzufolge auch die Auflösungskriterien andere sein. Da es sich vorliegend nicht um eine „sowohl-als auch“ Konstellation im oben genannten Sinne und somit um eine aufzulösende Konkurrenz handelt, sondern vielmehr eine „entweder-oder“ Situation besteht, die durch die Auslegung der jeweils zu betrachtenden Beamtenpflicht (des Beamtenrechts) gelöst werden kann, liegt es nahe, derartige Konstellationen als „Scheinkonkurrenzen“ anzusehen und eine „Auflösung“ tatsächlich bereits im Rahmen der Auslegung vorzunehmen. Es kann an dieser Stelle jedoch noch nicht ausgeschlossen werden, dass auch eine speziellere Behandlung im Rahmen der Auflösung nötig wird, sollte es sich herausstellen, dass im Rahmen der Auslegung unter Beachtung der herkömmlichen Methodik kein eindeutiges Ergebnis gefunden werden kann. Diese Entscheidung muss jeweils gesondert bezüglich jeder einzelnen gefundenen Auslegungskonkurrenz gefällt werden. 3. Sonstige widersprüchliche Regelungskonzeptionen67 Um die Aufzählung der verborgenen Konkurrenzen vollständig zu machen, soll hier noch auf eine – sich zumindest auf den ersten Blick von den bisher beschriebenen Kompetenzen unterscheidende – Art eingegangen werden, bei der sich, zumindest mittelbar, Landes- und Bundeskompetenzen überschneiden können. a) Allgemeine Darstellung Im Fokus soll hier nicht mehr der kompetenzrechtliche Qualifizierungsvorgang an sich stehen. Zwar sind auch die genannten Schwierigkeiten im Rahmen des Qualifizierungsvorgangs widersprüchliche Regelungskonzeptionen im weiteren Sinne. Dabei handelt es sich jedoch um direkte Friktionen bei der sachlichen Regelung eines Sachverhalts. Demgegenüber sollen hier Situationen betrachtet werden, in denen nicht unmittelbar zwei Sachgesetzgeber den selben Sachverhalt regeln wollen, sondern solche, in denen mittelbar Wertungen beziehungsweise das Konzept des Strafgesetzgebers oder Intentionen des Steuergesetzgebers68 den Regelungen und/oder dem Konzept des Sachgesetzgebers widersprechen. Im Ergebnis handelt es sich also auch hier um ein Phänomen der Doppelkompetenz. Dies 67 68

Zum Ganzen Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen. Als Stichwort kann hier der Begriff der Lenkungssteuer genannt werden.

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jedoch mit dem Unterschied zur obigen Konstellation, dass es sich hier um eine Art mittelbarer Kompetenzkollisionen handelt.69 Dementsprechend geht es im Rahmen des mit „widersprüchlichen Regelungskonzeptionen“ überschriebenen Bereichs neben dem oben mit „Doppelkompetenz“ und „Auslegungskonkurrenz“ bezeichneten Problembereich einer eindeutigen Zuweisung gesetzgeberischer Gestaltungsbefugnisse zu Bund oder Ländern also auch um die Problematik der möglichen Fremdbindung eines demokratisch zur Gesetzgebung legitimierten Hoheitsträgers durch bereits bestehende oder entstehende Regelungskonzeptionen eines anderen Legislativorgans.70 In Konkurrenz treten hier nicht eindeutig die jeweiligen Kompetenzen, sondern die jeweils entwickelten Regelungskonzeptionen. Deswegen wurde bereits von „mittelbarer Konkurrenz/Kollision“ gesprochen. Dies wird auch durch die bundesverfassungsgerichtlichen Ausführungen zum anschließend behandelten Beispiel der kommunalen Verpackungssteuer deutlich.71 Demnach scheint es, als ob nicht nur die offensichtlich kompetenzwidrige Rechtssetzung und die missbräuchliche Wahrnehmung einer Kompetenz, nicht nur der unmittelbare Widerspruch zwischen zwei Normen, sondern auch die inhaltliche, die konzeptionelle Unvereinbarkeit zweier Regelungen (die für den Bürger eine klare, aber in sich unstimmige Rechtsordnung schaffen) zu mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbaren (mittelbar) kompetenzrechtlichen Friktionen führen können.72 Abermals lässt sich noch weitergehend differenzieren: Es ist zum einen denkbar, dass schon die den Maßnahmen zu Grunde liegenden Zielvorstellungen73 divergieren (hier wird man auch von Wertungswidersprüchen sprechen können74) zum anderen, dass nicht75 (nur) die Zielvorstellungen, sondern (auch) die Mittel, Wertungen oder die Zweckvorstellung der Normen, mithin die staatlichen Strategien, widersprüchlich sind.76 Beachtung finden in diesem Rahmen also solche „widersprüchliche Konzeptionen“, bei denen sich zwar jeder Kompetenzträger innerhalb seiner Kompetenz befindet, die jeweiligen Regelungskonzeptionen sich jedoch widersprechen. 69 Anders ausgedrückt, widersprechen sich „parallel anwendbare Kompetenzen“ bezüglich der Konzeption. Vgl. Brüning, NVwZ 2002, S. 33. 70 Vgl. dazu auch Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 15. 71 BVerfGE 98, 106 ff. 72 Vgl. dazu Fischer, JuS 1998, S. 1099. Entsprechend auch Bumke, ZG 14 (1999), S. 376. 73 Korioth beschreibt dies als Zielkonflikt, wobei auch hier die Berücksichtigung der legislativen Zwecksetzung und der Mittelauswahl angezeigt sei, da die Evidenz eines derartigen Konflikts sehr selten der Fall sein dürfte. Vgl. Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 13. 74 Zur Terminologie Bumke, ZG 14 (1999), S. 378. 75 Entsprechendes zeigt auch das sogleich behandelte Beispiel der „kommunalen Verpackungssteuer“. 76 Auch hierzu Fischer, JuS 1998, S. 1099 f. In etwas anderer Terminologie findet sich die Beschreibung der unterschiedlichen Konstellationen auch bei Brüning, NVwZ 2002, S. 36.

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

Denkbar sind dabei mehrere Varianten: Zum einen stellen sich Überschneidungen des Straf- und des Sachgesetzgebers, zum anderen Divergenzen des Steuer- und des Sachgesetzgeber als problematisch dar. Ebenso gehörte die Auseinandersetzung mit den sich widerstreitenden Normierungen eines Verwaltungskompetenzträgers und solchen Verwaltungsvorschriften, die ein Sachgesetzgeber als Annex zu einer Sachgesetzgebungskompetenz erlassen hat, in den weiteren Dunstkreis der widersprüchlichen Regelungskonzeptionen. Letzteres wird im Rahmen dieser Arbeit jedoch außer Betracht bleiben müssen, zumal die Existenz einer Annexkompetenz in diesem Sinne ohnehin bestritten wird und auch sonst der Fokus dieser Arbeit auf Legislativkompetenzen liegt. Wie oben dargestellt, bilden auch widersprüchliche Regelungskonzeptionen zweier Sachgesetzgeber eine denkbare Variante in diesem Sinne. Eine Unterscheidung vom Phänomen der Doppelkompetenz mit ihren jeweiligen Varianten77 ist jedoch äußerst schwierig. Abermals bleiben – im Hinblick auf die thematische Begrenzung dieser Arbeit – Konstellationen außer Betracht, in denen ein und derselbe Normgeber Regelungen erlässt, die sich untereinander in ihren jeweiligen Konzeptionen widersprechen. Auch hier seien einige der zu betrachtenden Varianten „widersprüchlicher Regelungskonzeptionen“ mit einem Beispiel belegt: Als Paradefall des Widerspruchs zweier Regelungskonzeptionen kann der vom Bundesverfassungsgericht im Jahre 1998 entschiedene Fall78 der kommunalen Verpackungssteuer genannt werden.79 Hier standen sich eine Bundesregelung in Form des Abfallgesetzes beziehungsweise der auf dessen Grundlage ergangenen Verpackungsverordnung80 und eine kommunale Satzung über die Erhebung einer Verpackungssteuer81, welche sich auf Art. 105 II a GG und § 7 HessKAG stützen konnte, gegenüber. Zwar stehen hier eine kommunale Verpackungssteuersatzung und keine unmittelbar dem Landesrecht82 zuzuordnende Norm mit der bundesrechtlichen Regelung in Konflikt. Zum einen beruht die kommunale Verpackungssteuersatzung jedoch auf landesrechtlicher Gestattung83 und stellt damit 77

Dazu bereits oben 3. Teil B. I. 2. a). BVerfGE 98, 106 ff. Zuvor legte der nach § 47 I Nr. 2 VwGO angerufene VGH Kassel die Rechtssache dem BVerwG vor, das den Kommunen im Grundsatz das Recht zu derartiger Steuererhebung zusprach. Das BVerfG wiederum erklärte die Satzung für nichtig, weil mit dem Grundgesetz unvereinbar, nachdem es mit einer Verfassungsbeschwerde mit der Rechtssache befasst wurde. Vgl. auch Fischer, JuS 1998, S. 1096. 79 Vgl. dazu auch die Behandlungen von Konrad, DÖV 1999, S. 12 ff.; Brüning, NVwZ 2002, 33 ff.; Sendler, NJW 1998, 2875 ff.; Bothe, NJW 1998, 2333 ff.; Fischer, JuS 1998, 1096 ff.; Bumke, ZG 14 (1999), S. 376 ff. 80 Die Gesetzgebungskompetenz hierfür ergab sich aus Art. 74 I Nr. 24 1. Alt. GG, die Verordnung war gestützt auf § 14 II AbfG. 81 Diese findet sich abgedruckt in NVwZ 1992, S. 961 ff. 82 In einem ähnlichen Problemkreis bewegen sich jedoch auch unmittelbare landesrechtliche Regelungen. Vgl. dazu BVerfGE 98, 83 ff. 83 Vgl. § 7 HessKAG. 78

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auch, sozusagen mittelbar, einen Konflikt von Bundes- und Landesrecht84 dar, zum anderen dient die Darstellung hier nur der beispielhaften Veranschaulichung des Problems widersprüchlicher Regelungskonzeptionen, was eine unmittelbare Friktion von Bundes- und Landesrecht für diesen Zweck nicht unbedingt erforderlich machte. Nach der Bundeskonzeption85 wurde „zielgebundene Kooperation“86 in den Mittelpunkt gerückt. Dementsprechend lag dem AbfG die Auffassung zu Grunde, dass Abfallvermeidung und -verwertung nicht mit ordnungsrechtlichen Mitteln effektiv durchgesetzt werden könnten, vielmehr ein gesellschaftlicher Konsens notwendig sei, der ein Umdenken und ein verändertes Handeln aller gesellschaftlichen Gruppen voraussetze.87 Statt staatlicher Gebots- und Verbotsregelungen sollte soweit wie möglich das Kooperationsprinzip88 Anwendung finden.89 Die Verminderung beziehungsweise Behandlung großer Abfallmengen sollte also durch eigenes Tätigwerden der abfallproduzierenden Industrie und des Handels weitgehend ohne staatlichen Eingriff erfolgen.90 Vorgegeben – und damit verbindlich – war das Ziel der Abfallvermeidung, mittelbar das des Umweltschutzes. Die Wahl der Mittel blieb jedoch den Normadressaten überlassen.91 Dieses Vorgehen bezweckte vorrangig die Vermeidung von Abfällen als eine Facette des Umweltschutzes. Zugleich sollte jedoch auf die wirtschaftlichen Belange der Betroffenen Rücksicht genommen und ihnen die Möglichkeit offen gehalten werden, eine Lösung zu finden, die ihren „Bedürfnissen und Möglichkeiten am nächsten kommt“92. Es sollten dadurch die ökonomischen und ökologischen Auswirkungen berücksichtigt und ein Ausgleich zwischen diesen Belangen durch die Überlassung der Wahl der Mittel für die Betroffenen gewährleistet werden.93 Eine wahrnehmbare Verschärfung bestand in der Bundeskonzeption durch die 1991 erlassene Verpackungsverordnung, nach der sanktionsbewehrte Rücknahmepflichten unter anderem für Verkaufsverpackungen festgeschrieben 84

Ein Hinweis darauf findet sich auch bei Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1157. Diese Darstellung bezieht sich auf das AbfG und die Verpackungsverordnung, durch die das Konzept zwar veränderte Gestalt annahm, im Grunde jedoch an dem Kooperationsgedanken festgehalten wurde. Vgl. hierzu auch Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 25 f., mit weiteren Nachweisen. 86 BVerfGE 98, 106 (121). 87 BTDrucks 11/756, S. 5 f. Vgl. auch BVerfGE 98, 106 (128). 88 Zum Kooperationsprinzip, gerade auch in umweltrechtlicher Hinsicht, Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1153 ff. Zum Kooperationsprinzip allgemein Holzmann, Das Kooperationsprinzip. 89 BTDrucks 11/756, S. 12. Vgl. auch BVerfGE 98, 106 (128). 90 BVerfGE 98, 106 (127 ff.). 91 BVerfGE 98, 106 (121). 92 Vgl. Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 24. 93 BVerfGE 98, 106 (132). Haack spricht von „wirtschaftlicher Abfallvermeidung“ (Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 24). 85

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

wurden.94 Die eigenverantwortliche, interessengerechte Alternative zu dieser Verpflichtung blieb jedoch durch die Bestimmung des § 6 III VerpackV 1991 erhalten, da die Normadressaten der Rücknahmeverpflichtung durch die Beteiligung an einem selbst eingerichteten Sammelsystem95 entgehen konnten.96 Lediglich die Bandbreite, aus der die Mittel zur Zweckerreichung gewählt werden konnten, wurde durch die Verpackungsverordnung beschränkt, die wirtschaftliche Ausgestaltung jedoch blieb frei gestaltbar.97 Die Konzeption der kommunalen Verpackungssteuersatzung der Stadt Kassel verfolgte dagegen eine andere Richtung, die vom Bundesverfassungsgericht als „zielorientierte steuerliche Verhaltenslenkung“ bezeichnet wurde.98 Demgemäß wurde auf nicht wiederverwertbare Verpackungen und nicht wiederverwertbares Geschirr, sofern darin Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle verkauft wurden, eine Verpackungssteuer erhoben. Steuerschuldner waren die Endverkäufer der Speisen und Getränke.99 Befreit von der Verpackungssteuer waren jedoch Steuergegenstände, also Verpackungen und Geschirr, die vom Endverkäufer am Ausgabeort zurückgenommen und einer stofflichen Verwertung außerhalb der öffentlichen Abfallentsorgung zugeführt wurden.100 Beabsichtigt war also, durch zielgerichtete steuerliche Lenkung dem Steuerpflichtigen ein finanzwirtschaftliches Motiv zu geben, sich für eine staatlich erwünschte Verhaltensweise zu entscheiden. Die Wahl, sich der Steuerlast zu unterwerfen, das unerwünschte Verhalten gänzlich zu unterlassen oder aber dem staatlich erwünschten Verhalten, hier der abfallvermeidenden Verpackung der Erzeugnisse, zu entsprechen und so der Steuerbelastung zu entgehen, wurde dem Steuerpflichtigen jedoch belassen. Die Entscheidung zur steuerlichen Lenkung nimmt damit in Kauf, dass das Lenkungsziel nicht verlässlich erreicht wird; sie ist also nur ein Instrument zur Annäherung an ein Ziel.101 Verbindlichkeit beanspruchte hier daher eher das Mittel zur Verwirklichung des Zieles Abfallvermeidung/Umweltschutz, nicht dagegen das Ziel selbst.102

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Vgl. § 6 VerpackV 1991. Daraus resultierte das sogenannte „Duale System“, vgl. BVerfGE 98, 106 (130); Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 25, Fn. 27. 96 Zwar wurde das Duale System letztendlich vom Verordnungsgeber aufgenommen, die Entstehung dieses Systems ist jedoch auf ein Tätigwerden der beteiligten Kreise aufgrund des Entwurfs der Verpackungsverordnung zurückzuführen. Die Verpackungsverordnung sowie das Duale System sind daher das Ergebnis einer kooperativen Beteiligung der Betroffenen, vgl. BVerfG 98, 106 (130). 97 Vgl. Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 26. 98 BVerfGE 98, 106 (121). 99 Vgl. § 2 der Satzung. 100 § 3 der Satzung. Vgl. auch hierzu zusammenfassend BVerfGE 98, 106 (107 f.). 101 BVerfGE 98, 106 (121). 102 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 27. BVerfGE 98, 106 (131). 95

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Aus den unterschiedlichen Wahlmöglichkeiten erhellt der Widerspruch der Regelungskonzeptionen: Während durch die bundesrechtlich präferierte Kooperation die Wahl der Mittel dem Normadressaten überlassen103 bleibt, fällt diese Verantwortung in der steuerrechtlichen Variante an den Hoheitsträger. Ein Wahlrecht für den Steuerpflichtigen besteht in dieser, einer ordnungsrechtlichen Lösung angenäherten Konstellation nur in der Art und Weise der Umgehung des missbilligten Verhaltens: also entweder das missbilligte Verhalten gänzlich zu unterlassen, die Beteiligung an einem fremden, gleichwertigen Lösungskonzept oder die Zahlung der angesetzten Steuer.104 Der zugleich durch den Bundesgesetzgeber verfolgte Zweck des Interessenausgleichs105 wurde durch die Verpackungssteuer ebenfalls nicht berücksichtigt. Ebenso, so das Bundesverfassungsgericht106, unterschieden sich zielgebundene Kooperation und zielorientierte steuerliche Lenkung in der Sanktion: Wer der steuergesetzlich überbrachten Verhaltensempfehlung nicht folge, habe die rechtsverbindliche Zahlungsverpflichtung zu erfüllen; die Steuer wirke wie ein Zwangsgeld für die Nichtbefolgung des Umweltprogramms. Eine zielgebundene Kooperation hingegen bestimme rechtsverbindlich den zu erreichenden Umwelterfolg, verzichte dann aber selbst bei Zielverfehlung auf Sanktionen.107 Demgegenüber scheint es auch Übereinstimmungen zu geben. Zum einen besteht Einigkeit bezüglich des Fernzieles der Abfallreduzierung. Diese Einigkeit hilft jedoch im vorliegenden Falle nicht weiter, handelt es sich doch gerade um unterschiedliche Konzeptionen, also um unterschiedliche Auffassungen darüber, wie das entsprechende Ziel zu erreichen ist.108 Auf der anderen Seite könnte die von der Verpackungssteuersatzung geforderte Beteiligung an einem außerkommunalen Entsorgungssystem gerade den Zweck erfüllen, den die Normen des Bundes aufstellen, nämlich die Kooperation von abfallintensiven Betrieben zur Abfallvermeidung. Dies entspräche auf den ersten Blick der durch § 6 III Ver103 Kritisch zu dem den Normadressaten überlassenen Umfang der Entscheidungsfreiheit spricht Di Fabio von „erzwungener Kooperation“ (S. 1155), von „Kooperation als asymmetrische[r] Partnerschaft“ (S. 1156), von „Zwangszusammenarbeit“ (S. 1156) und letztlich in Anlehnung an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts vom „Knüppel im Sack“ (S. 1156) bei der Beschreibung des umweltrechtlichen Kooperationsprinzips (Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1153 ff.). 104 Zum Ganzen ebenfalls Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 27 f.; BVerfGE 98, 106 (131). 105 Dazu oben. 106 BVerfGE 98, 106 (122). 107 Kritisch dazu Bothe, NJW 1998, S. 2334, der darauf verweist, dass § 4 AbfG 1986 bei Zielverfehlung sehr wohl einseitige Maßnahmen vorsah. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts sind an dieser Stelle (BVerfGE 98, 106 (122)) jedoch recht allgemein gehalten, was darauf hindeutet, dass hier eine allgemeine Beschreibung der den verschiedenen Regelungen zu Grunde liegenden Konzeptionen vorliegt. 108 Bothe, NJW 1998, S. 2333.

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packV 1991 geforderten Verhaltensweise. Betrachtet man jedoch die vom Bund erlassene Verpackungsverordnung und das daraus erwachsene Duale System genauer, wird klar, dass diese vermeintliche Übereinstimmung im Ergebnis nicht besteht. So war dem Steuerpflichtigen eine gänzliche Steuerbefreiung aufgrund einer Beteiligung am Dualen System nicht möglich, da dieses zur vollständigen Verwertung der anfallenden Abfälle nicht in der Lage war.109 Die Steuerpflichtigen wurden daher dazu gedrängt, eigene Lösungen zu finden und sich nicht am kollektiven System zu beteiligen, für das sich der Bundesgesetzgeber durch die Verpackungsverordnung entschieden hatte und das wirtschaftlich auf eine möglichst breite Beteiligung angewiesen war.110 Um das Beispiel abzuschließen, sei hier noch erwähnt, dass das Bundesverfassungsgericht in der dargestellten Entscheidung die sich zeigende Konkurrenz über die Figur der „Widerspruchsfreiheit der Normgebung“111 löste. Da es sich dabei aber um ein Kriterium der Konkurrenzauflösung handelt, während hier die exemplarische Verdeutlichung sonstiger widersprüchlicher Regelungskonzeptionen im Vordergrund stehen soll, wird auf diesen Ansatz später gesondert112 einzugehen sein. Am Beispiel der kommunalen Verpackungssteuer verdeutlicht sich die Problematik widersprüchlicher Regelungskonzeptionen allgemein. Nicht zwei Gesetze – und damit die zum Gesetzeserlass legitimierenden Kompetenzen – widersprechen sich ausdrücklich. Auch wird nicht immer eindeutig aus der Anwendung zweier Gesetze klar, dass hier Widersprüche auftreten, sondern die jeweils zu Grunde liegenden Konzeptionen, die wie gesehen auch nur in der Art und Weise der Regelung113 hervortreten können, geraten hier in Berührung. Nichtsdestotrotz geraten mittelbar auch hier zwei Kompetenznormen in Konflikt, weil sich die zwischen den auf den Kompetenzen beruhenden Gesetzen ergebende Reibung auf sie übertragen. Eine Besonderheit widersprüchlicher Regelungskonzeptionen in diesem engeren Sinne ist, dass – noch deutlicher als in anderen Fällen – die Konkurrenz erst durch das vermittelnde Element der einfachen Gesetze entsteht. Die gesetzgeberischen Konzeptionen können per se erst durch gesetzgeberisches Tätigwerden ans kompetenzielle Tageslicht gelangen und so zu kompetenzrechtlichen Problemen führen. Da dieser Konflikt also ebenfalls erst bei der Normanwendung zu Tage tritt, kann man hier deshalb von einem weiteren Unterfall sekundärer Doppelkompetenz sprechen.

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BVerfGE 98, 106 (133). Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 29; BVerfGE 98, 106 (132 f.). 111 BVerfGE 98, 106. Dazu beispielsweise auch Frenz, DÖV 1999, S. 41 ff. 112 4. Teil A. II. 2. d) aa). 113 Auch Fischer spricht davon, dass sich ein offener Zielkonflikt nicht ausmachen lässt (Fischer, JuS 1998, S. 1097). 110

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Abrunden soll die Betrachtung widersprüchlicher Regelungskonzeptionen ein weiteres Beispiel. Diesmal handelt es sich um unterschiedliche Konzeptionen des Straf- und des Sachgesetzgebers. Wiederum soll hierzu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dienen, nämlich die Entscheidung zum Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz.114 Hierbei traten Regelungen des landesrechtlichen Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes in Widerspruch zu einzelnen Bereichen bundesrechtlicher Strafrechtskonzeption. Die bundesrechtlichen Regelungen wurden kompetenziell getragen von Art. 74 I Nr. 1 2. Alt. GG. Ergänzend sollten Art. 74 I Nr. 7, 11, 12 und 19 GG und Erwägungen des Sachzusammenhangs hinzutreten.115 Die landesrechtliche Zuständigkeit ergab sich aus Art. 70 I GG. Regelungsgegenstand waren Fragen des ärztlichen Berufsrechts. Wie auch die Darstellung des Falles der kommunalen Verpackungssteuer dient das vorliegende Beispiel lediglich der Verdeutlichung der abstrakten Figur der widersprüchlichen Regelungskonzeptionen. Eventuell nötige Ausführungen zur Konkurrenzauflösung sollen wiederum an späterer Stelle erfolgen. Ausgangslage war, dass der Bundesgesetzgeber aufgrund der Unvereinbarkeitserklärung des – damals mit einer sogenannten „Fristenlösung“116 geregelten – Abtreibungsrechts mit dem Grundgesetz durch das Bundesverfassungsgericht117 eine Umgestaltung desselben vornehmen musste. In dieser Neuregelung118 folgte man der sogenannten „Beratungslösung“119. Demnach ist § 218 StGB, der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs, nicht verwirklicht, wenn seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen verstrichen sind, ein Arzt den Abbruch vornimmt und die Schwangere ihn verlangt.120 Zusätzliche Anforderung ist, dass dem Arzt durch eine Bescheinigung nachzuweisen ist, dass eine Beratung121 spätestens drei Tage vor dem Eingriff stattgefunden hat. Näher geregelt sind die Anforderungen an Art und Inhalt der Beratung im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG). Zur Beschreibung des Regelungskonzeptes ist hier vor allem § 5 SchKG von Bedeutung, wonach die Beratung ergebnisoffen durchgeführt werden soll und eine Mitteilung der Gründe für den Schwangerschaftsabbruch zwar erwartet, nicht jedoch zwingend gefordert wird. Grundlage des Beratungsgesprächs soll eine offene und vertrauensvolle Atmosphäre sein, der 114 BVerfGE 98, 265 ff. Dazu auch die Besprechung von Demel, JA 1999, S. 754 ff. sowie Seckler, NJW 1996, S. 3049 ff. 115 BVerfGE 98, 265 (301). 116 Nach dieser sollten Abtreibungen innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft nicht rechtswidrig sein. 117 BVerfGE 88, 203 ff. 118 Dies erfolgte mittels des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG) 1995. 119 BVerfGE 98, 265 (322 f.). 120 Vgl. § 218a StGB. 121 Vgl. dazu § 219 StGB. Die Beratung dient gemäß § 219 I 1 StGB grundsätzlich dem Schutz des ungeborenen Lebens.

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

ein Zwang der Schwangeren zur Offenlegung ihrer Motive zuwiderliefe.122 Schon zuvor, im Rahmen des verfassungsgerichtlichen Verfahrens zu § 218a StGB, führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass eine Beratung ermutigen, nicht einschüchtern, Verständnis wecken, nicht belehren, die Verantwortung der Frau stärken, nicht sie bevormunden müsse.123 Dieser Auffassung ist der Bundesgesetzgeber mit der Regelung des Abtreibungsrechts, speziell durch die Regelungen der § 219 StGB, § 5 SchKG gefolgt. Zwar hat auch der den Eingriff vornehmende Arzt nach § 218c I Nr. 1 StGB die Pflicht, der Frau Gelegenheit zur Darlegung der Gründe für ihr Verlangen nach einem Abbruch der Schwangerschaft zu geben. Es ist jedoch nach bundesgesetzlicher Konzeption nicht seine Pflicht, erneut mit der Schwangeren nach Lösungen zu suchen oder zu versuchen, diese umzustimmen. Im Vordergrund steht hier allein der medizinische Aspekt.124 Demgegenüber nutzte der bayerische Gesetzgeber seine Kompetenz zur Regelung des ärztlichen Berufsrechts, um den nach seiner Meinung125 durch den Bundesgesetzgeber unzureichenden Schutz ungeborenen Lebens zu verbessern.126 So wurde in Art. 5 II BaySchwHEG der Gebührenanteil von Schwangerschaftsabbrüchen an den Gesamteinnahmen einer ärztlichen Einrichtung auf maximal ein Viertel beschränkt. Ziel war es, dadurch die Errichtung von Spezialeinrichtungen für Abtreibungen zu unterbinden und damit der Gefahr zu begegnen, dass entsprechende Organisationen aus wirtschaftlichen Erwägungen an hohen Eingriffszahlen interessiert sind, was zu einer Abweichung vom eigentlichen Ziel des Lebensschutzes führen würde.127 Art. 11 Nr. 1a BaySchwHEG untersagte Ärzten zudem die Mitwirkung an der Abtreibung, wenn sie diese nicht für verantwortbar hielten, insbesondere wenn die Frau ihre Beweggründe verschwieg. Neben der dadurch gewonnenen zusätzlichen Möglichkeit zur Umstimmung der Frau sollte auch hierdurch eine gewinnstrebende Motivation der Ärzte, Abtreibungen durchzuführen, verhindert werden.128 Entsprechend der Begründung der landesgesetzlichen Regelung sollte die bundesgesetzliche Regelung um einige wichtige Aspekte ergänzt werden. Ziel beider Regelungskonzeptionen war es, den Schutz des ungeborenen Lebens so umfangreich wie möglich zu gewährleisten. Beabsichtigt war somit zunächst keine Abweichung oder Widersprüchlichkeit. Vielmehr ging der Landesgesetzgeber davon aus, dass der Bundesgesetzgeber auch 122 Zur Gefahr für den vollständigen Lebensschutz durch unausgewogene Beratungen auch BVerfGE 98, 265 (304). Vgl. insoweit auch bereits BVerfGE 88, 203, 282 f. 123 BVerfGE 88, 203 (283). 124 Vgl. dazu auch Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 38. 125 BayLTDrucks. 13/4961, S. 1, 11. 126 Das im Folgenden Dargestellte beschränkt sich auf die offensichtlichsten Abweichungen. Dies soll dem Beispielszweck hier genügen. 127 Vgl. dazu auch BayLTDrucks. 13/4961, S. 9. 128 Dazu die allgemeine Begründung des Gesetzentwurfs in BayLTDrucks. 13/4961, S. 7, unter Bezugnahme auf BVerfGE 88, 203 ff.

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aufgrund mangelnder Gesetzgebungskompetenz nicht in der Lage war, entsprechende Inhalte zu normieren.129 Abweichungen ergaben sich, wie aus der knappen Darstellung der beiden Konzeptionen deutlich wird, hauptsächlich im Bereich der Begrenzung des durch Abtreibungen zulässigen Gebührenanteils, im Verbot der Errichtung von Spezialkliniken und in der Offenlegungspflicht der Beweggründe für die Abtreibung. Anders als in der obigen abfallrechtlichen Situation ist der Konflikt hier jedoch schon anhand der Normen erkennbar. Während nach Bundeskonzeption Spezialkliniken für Schwangerschaftsabbrüche und Abtreibungen ohne ausdrückliche Nennung des Grundes seitens der Frau zulässig sind, gilt entsprechendes nach der landesgesetzlichen Regelung nicht. Denkbar ist hier daher die Annahme einer primären Doppelkompetenz130, falls sich herausstellen würde, dass sowohl die Vorgänge kompetenzieller Qualifizierung fehlerfrei, als auch die sonstigen Voraussetzungen der Verfassung, speziell keine abschließende Regelung im Sinne des Art. 72 I GG, vorliegen.131 Ebenso möglich ist jedoch die Annahme einer sekundären Doppelkompetenz, da vorliegend erst durch die einfachgesetzliche Ausgestaltung die jeweils in Frage stehenden Kompetenzen (mittelbar) aneinander geraten. b) Sonderfall: Konzeptionierung durch Regelungsverzicht Eine weitere bisher nur im anfänglichen Überblick132 angesprochene Besonderheit besteht im Rahmen der kompetenzrechtlichen Problematik rund um das Schwangerenhilfeergänzungsgesetz und auch im obigen Beispiel der kommunalen Verpackungssteuer dahingehend, dass der Landesgesetzgeber Regelungsaspekte aufgegriffen hat, die der Bundesgesetzgeber teils ausdrücklich verworfen, teils ohne Begründung nicht aufgenommen hat. So hatte der Bund im abfallrechtlichen Regelungsbereich auch die Variante der Regelung über Lenkungssteuern in Erwägung gezogen, diese jedoch bewusst nicht umgesetzt.133 Ebenso beschäftigte man sich auf Bundesebene mit dem Gedanken, den Gebührenanteil für Abtreibungen zu begrenzen, verwirklichte aber auch dies nicht.134 Im Rahmen der Behandlung gesetzgeberischer Konzeptionen entsteht damit eine zusätzliche Frage. Zu klären ist, wie es sich auf die Konzeption eines Geset129

Vgl. BayLTDrucks 13/4961, S. 1, 7. Dies zeigt sich auch an den mehr als 100-stündigen Beratungen, in denen die kompetenzrechtliche Frage im Mittelpunkt stand. Vgl. Seckler, NJW 1996, S. 3050. 131 Die Prüfung dieser Schritte erfolgt nicht im Rahmen dieses erläuternden Beispiels, sondern anhand einer gesonderten Betrachtung an späterer Stelle (5. Teil B. II.). 132 Vgl. oben 1. Teil B. V. 1. 133 Vgl. Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 38. 134 BVerfGE 98, 265 (316). 130

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

zes und damit kompetenzrechtlich auswirkt, wenn ein Gesetzgeber gewisse Aspekte nicht regelt, obwohl er sie erkannt und erwogen hat, und wie wiederum die Situationen zu behandeln sind, in denen entsprechende Aspekte verkannt wurden und deshalb keinen Eingang in die Regelung gefunden haben. Es gilt hier also zu unterscheiden, ob eine Regelungsvariante vom Normgeber nicht erkannt und deshalb nicht geregelt wurde, ob eine Situation vorliegt, in der er eine erkannte Regelungsvariante schlicht nicht umgesetzt hat oder ob er diese Regelungsvariante erkannt, sie jedoch verworfen und die zu behandelnde Frage mittels einer anderen Regelung berücksichtigt hat. Die jeweiligen Varianten können unterschiedliche Auswirkungen auf die kompetenzrechtliche Lage bezüglich eines Regelungsgegenstandes schon deshalb haben, weil sich im Rahmen der Feststellung konkurrierender Landeskompetenzen bereits im Rahmen des Art. 72 I GG die Frage stellt, ob der Bund abschließend von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat. Besteht eine abschließende Regelung, so ist der Landesgesetzgeber gesperrt, eine auflösende Behandlung der sich vermeintlich ergebenden Konkurrenz ist nicht nötig, da die Landesregelung in diesem Fall ohne Kompetenz erlassen worden wäre und demzufolge gegen die Verfassung verstieße. Besteht eine abschließende Regelung nicht, so bleibt grundsätzlich landesrechtlicher Spielraum erhalten, gesetzgeberisch tätig zu werden. Aus diesem kompetenzrelevanten Grunde ist der Sperrwirkung und den sich aus ihr ergebenden weiteren Fragen einige Aufmerksamkeit zu schenken. Zur Feststellung der Abgeschlossenheit ist es nötig, dass entsprechend gewichtige Anhaltspunkte für eine bundeseinheitliche Regelung sprechen.135 Gewichtige Anhaltspunkte in diesem Sinne können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht nur aus positiver Regelung, sondern auch aus bewusster Nichtregelung gewonnen werden, solange es sich dabei um „absichtsvollen Regelungsverzicht“136, „beredtes Schweigen“137 oder „absichtsvolles Unterlassen“138 handelt. Inwieweit bundesgesetzliche Regelungen erschöpfend sind, könne jedoch nicht allgemein, sondern nur anhand der einschlägigen Bestimmungen und des jeweiligen Sachbereichs festgestellt werden. Es sei in erster Linie auf das Bundesgesetz selbst, sodann auf den hinter dem Gesetz stehenden Regelungszweck, ferner auf die Gesetzgebungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien abzustellen.139 Im Ergebnis handelt es sich daher sowohl bei der Feststellung der Abgeschlossenheit als auch bei der Bestimmung des Umfangs der Sperrwir135

BTDrucks. 12/6633, S. 8. BVerfGE 98, 265 (300); 32, 319 (327). 137 BVerfGE 109, 190 (229). 138 BVerfGE 113, 348 (371). 139 BVerfGE 113, 348 (371). Ebenso BVerfGE 109, 190 (371) und 67, 299 (324). Hierbei zeigt sich wiederum, dass das Bundesverfassungsgericht den Auslegungselementen geschichtlicher und genetischer Art zwar programmatisch keine Bedeutung beimisst, diese zumindest in hier erörterten Fällen jedoch durchaus herangezogen werden. 136

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kung140, abgesehen von eindeutig positiven Aussagen, um Fragen der Auslegung.141 Kompetenzrechtliche Auswirkungen hat dies also in doppelter Hinsicht: Zum einen ist die Frage zu klären, ob der Landesgesetzgeber durch die Bundesregelung in eigenen Regelungsansätzen überhaupt beschränkt ist, zum anderen, wie weit die entsprechende Sperre reicht. Das Auslegungsergebnis beeinflusst damit die Kompetenzverteilung: Möglich ist einmal eine bundesfreundliche Auslegungsvariante, in der man die bundesrechtliche Regelung als abgeschlossen ansieht. Andererseits wird es in einigen Fällen auch möglich sein, die entsprechende Regelung nicht als abgeschlossen anzusehen, was gegen eine Sperrwirkung und für eine landesfreundliche Ergänzungsgesetzgebungsbefugnis sprechen würde. Dies spricht dafür, in zweifelhaften Fällen von einer Auslegungskonkurrenz auszugehen.142 c) Exkurs: Sperrwirkung durch verfassungswidriges Bundesrecht, Nichtigkeitsdogma und Vorfragenkompetenz des Bundesverfassungsgerichts Umstritten ist im Vorfeld dieser Sperrwirkungsfrage zudem, ob es für die Sperrwirkung des Art. 72 I GG darauf ankommt, dass das entsprechende Bundesgesetz verfassungsgemäß ist.143 Eine hauptsächlich verfahrensrechtliche Begründung dafür, dass es nur auf eine faktische Gebrauchmachung ankommen soll, findet sich in der angesprochenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz.144 Hiernach kann die „ge140 Der Umfang der Sperrwirkung kann sowohl die Gesamtheit der Materie als auch nur Teile des Regelungsbereichs umfassen. Ebenfalls ist denkbar, dass Sperrwirkung für die Gesamtheit der Materie besteht, von dieser jedoch Ausnahmen für dem Landesrecht vorbehaltene Einzelfragen gemacht werden. In diesem Fall ist der Vorbehalt wohl gleichzeitig ein Indiz für die Absicht des Bundesgesetzgebers, die übrigen Regelungsbereiche abschließend zu regeln. Vgl. dazu Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 72, Rdnr. 29. 141 Da sich die hier stellenden Probleme besser durch Beispiele widersprüchlicher Regelungskonzeptionen im oben genannten Sinne illustrieren lassen, wurde die Frage abschließender Regelung erst an dieser Stelle und nicht allgemein oben im Zuge der Darstellung der Auslegung behandelt. 142 Wiederum handelt es sich um einen Sonderfall der soeben typisierten Konkurrenzarten. Während als Beispiel oben die beamtenrechtlichen Statusrechte eine Auslegungsfrage der Kompetenztitel selbst war, so zeigt sich hier die Auslegungskonkurrenz nur mittelbar. Es ist vorliegend nicht eine Frage der Auslegung der Bundes- oder Landeskompetenz, sondern eine Frage der Auslegung einer nur mittelbar auf die Kompetenzordnung einwirkenden Norm. Insofern kann, um die beschriebene Situation „griffiger“ zu machen, von einer „mittelbaren Auslegungskonkurrenz“ gesprochen werden. 143 Hierzu Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 72, Rdnr. 34. Gärditz misst dieser Frage Aussagegehalt von „erheblicher verfassungstheoretischer Tragweite“ zu, da es im Kern „vor allem um einen bundesstaatlichen Konflikt, um die Frage nach der Reichweite der Sperrwirkung des Bundesrechts“ gehe (Gärditz, DÖV 2001, S. 539). 144 Dies jedoch unter Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung, hierzu: „Im Apothekenurteil hatte das Gericht nur ausgeführt, daß ein Bundesgesetz, das nachträglich

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gebene Sperrwirkung des Bundesgesetzes [. . .] nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß der Freistaat Bayern und die im Bund unterlegenen Abgeordneten, die einen Minderheitenentwurf eingebracht hatten (vgl. BTDrucks 13/395 und 13/1850, S. 14), Zweifel daran geäußert haben, ob das Bundesrecht nach Erlaß des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes die aus Art. 2 Abs. 2 GG abgeleiteten Vorgaben erfüllt.“145 Weiter heißt es: „Aus den Vorschriften über die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts und über die Wirkung seiner Entscheidungen ist abzuleiten, daß Gesetzesnormen zu befolgen sind, solange das Bundesverfassungsgericht sie nicht für verfassungswidrig erklärt hat. [. . .] Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit kann nur im Rahmen der dafür vorgesehenen Verfahren getroffen werden [und] nicht durch eine Inzidentprüfung im Rahmen der Beurteilung der Gesetzgebungskompetenz der Länder ersetzt werden. Die Länder könnten sich einer Bundesregelung entziehen, indem sie diese mit der Behauptung, sie sei verfassungswidrig, durch eine eigene Regelung ersetzen. Damit würden sowohl die notwendige Abgrenzung und Balance zwischen den einzelnen Verfahrensarten als auch die Rechtssicherheit gefährdet, die darauf gründet, daß verkündete Gesetze beachtet werden.“146 Aus dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich zweierlei ableiten: Zum einen können offenbar auch verfassungswidrige Bundesgesetze Sperrwirkung nach Art. 72 I GG entfalten. Einschränkungen erfährt diese Aussage jedoch unmittelbar darauf durch das Bundesverfassungsgericht selbst, das davon ausgeht, dass „das im Rahmen der Kompetenzordnung erlassene Bundesrecht [. . .] Geltung gegenüber jedermann, auch gegenüber den Ländern“147 beansprucht. Zusätzlich spricht der Wortlaut des Art. 72 I GG eine eindeutige Sprache, wenn im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Länder die Kompetenz zur Gesetzgebung haben, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Insoweit kann auch auf die obigen Ausführungen zu Art. 31 GG verwiesen werden, in deren Rahmen dargelegt wurde, warum nur kompetenzgemäß erlassenes Bundesrecht Landesrecht brechen kann. Dementsprechend wäre zu modifizieren: Materiell verfassungswidriges, verbandskompetenzgemäß erlassenes Bundesrecht sei in der Lage Sperrwirkung nach Art. 72 I GG zu entfalten. Begründet wird dies für nichtig erklärt worden war (durch Entscheidung vom 30.6.1956), keine Sperrwirkung gegenüber einem vorher erlassenen Landesgesetz (bayerisches Gesetz vom 10.12.1955) entfalten könne“ (Rüfner, ZG 14 (1999), S. 373). Vgl. auch BVerfGE 7, 377 (387). 145 BVerfGE 98, 265 (318). 146 BVerfGE 98, 265 (318). 147 BVerfGE 98, 265 (318). Auch im weiteren Verlauf der zitierten Ausführungen stellt das Bundesverfassungsgericht dies klar: „Ob diese Gesetze auf einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs oder auf konkurrierender Gesetzgebungszuständigkeit beruhen ist hierfür unerheblich.“ Deutlich wird, dass entsprechende Sperrwirkung entfaltende Gesetze zumindest kompetenzgemäß erlassen sein müssen.

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mit der Balance der Verfahrensarten und der Rechtssicherheit. Zum anderen scheint sich das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Frage nach der Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes – ohne eine endgültige Festlegung148 – der Vernichtbarkeitslehre anzunähern149, wonach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts konstitutive Wirkung zukommt. Den angesprochenen Punkten ist hier einige Aufmerksamkeit zu schenken, obwohl sie nicht unmittelbar auf den Vorgang kompetenzieller Qualifizierung einwirken, so ist dennoch für die Sperrwirkung nach Art. 72 I GG eine abschließende Regelung eines Bundesgesetzes nötig. Ob ein derartiges Gesetz verfassungswidrig sein darf und ob diese Verfassungswidrigkeit zur sofortigen Nichtigkeit oder zur Vernichtbarkeit durch das Bundesverfassungsgericht führt, hat demzufolge auch Auswirkungen auf die kompetenzrechtliche Lage eines Regelungsbereichs. In der gebotenen Kürze ist daher zunächst das Problemfeld um die Nichtigkeit oder Vernichtbarkeit verfassungswidriger Gesetze zu beleuchten. Überwiegend wird eine verfassungswidrige Norm ipso iure und ex tunc für nichtig gehalten. Die Erklärung des Bundesverfassungsgerichts hätte demnach lediglich deklaratorische Wirkung, das Verwerfungsmonopol des Art. 100 I GG sei rein prozessual zu verstehen.150 Die sogenannte „Vernichtbarkeitslehre“ geht dagegen davon aus, dass verfassungswidrige Gesetze lediglich durch einen Spruch des Bundesverfassungsgerichts vernichtbar seien. Gestützt wird diese Ansicht hauptsächlich auf Art. 100 I GG, der gerade nicht nur rein prozessual zu verstehen sei, wodurch sich ergebe, dass verfassungswidrige Gesetze gerade nicht ipso iure nichtig seien.151 Ersterer Ansicht ist zuzugeben, dass durch eine ex tunc Nichtigkeit vermieden wird, den verfassungswidrigen Zustand bis zu einem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts quasi zu legalisieren, da ein vernichtbares Gesetz eben vernichtbar, aber noch existent und somit zu befolgen wäre. Gewonnen scheint damit aber nicht viel zu sein, da unterschiedliche Meinungen bezüglich der Verfassungsgemäßheit eines Gesetzes zu unterschiedlichen Auffassungen über die

148 BVerfGE 98, 265 (318): „Das gilt unabhängig davon, ob man der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts deklaratorische oder konstitutive Wirkung beimißt.“ 149 BVerfGE 98, 265 (318): „Aus den Vorschriften über die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts und über die Wirkung seiner Entscheidungen ist abzuleiten, daß Gesetzesnormen zu befolgen sind, solange das Bundesverfassungsgericht sie nicht für verfassungswidrig erklärt hat.“ (vgl. §§ 31, 78, 79, 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG); dazu auch Rüfner, ZG 14 (1999), S. 373. 150 Dazu Gärditz, DÖV 2001, S. 540, Fn. 18, mit weiteren Hinweisen. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 219 f.; Battis, in: HdBStR VII, S. 244 ff.; Ipsen, JZ 1983, S. 41, 45; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, Rdnr. 139 ff., speziell 142, 145. 151 Auch hierzu Gärditz, DÖV 2001, S. 540, zu dieser Ansicht in Fn. 20 mit weiteren Hinweisen bereits Hoffmann, JZ 1963, S. 193 ff.

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

Wirksamkeit allgemein führen würden. „Schwer erträgliche Unsicherheiten“152 wären die Folge, bis ein prüfungszuständiges Organ – unstreitig das Bundesverfassungsgericht – für Klarheit sorgen würde. Durch den Erlass einer Norm durch ein Legislativorgan entsteht damit zumindest ein Rechtsschein, den es bis zu dieser Entscheidung zu befolgen gilt. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist damit wohl „mehr als eine bloß deklaratorische Bedeutung“153 beizumessen.154 In den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung über das bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz wird verdeutlicht, dass nach der Auffassung des Gerichts eine Entscheidung zwingend nötig sei, diese jedoch die Nichtigkeit nicht erst mit dem Ausspruch der Entscheidung, sondern ex tunc bewirke.155 Eine andere, noch nicht beantwortete Frage ist, ob das vom Bundesverfassungsgericht herangezogene (und oben dargestellte) prozessuale Argument „notwendige[r] Abgrenzung und Balance zwischen den Verfahren“156 Auswirkungen dahingehend haben kann, dass zwar die Entscheidung des Gerichts konstitutiv wirke, das Gericht aber in gewissen Verfahren die materielle Verfassungswidrigkeit nicht prüfen, das Gesetz somit nicht verwerfen könne, materiell verfassungswidriges Bundesrecht also in der Lage wäre, die Kompetenz der Länder zu sperren. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit könne nur im Rahmen der dafür vorgesehenen Verfahren getroffen werden.157 Nach §§ 78, 82 I, 95 III BVerfGG stellen Verfahren in diesem Sinne die abstrakte und konkrete Normenkontrolle sowie die Verfassungsbeschwerde unmittelbar oder mittelbar158 gegen ein Gesetz dar. Die Nichtigkeitserklärung in anderen Verfahren ist gesetzlich nicht vorgesehen und nach der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts159 daher auch nicht möglich.160 Kritik hieran besteht jedoch, wenn man dem Bundesverfassungsgericht eine „eigene, umfassende Vorfragenkompetenz“161 zubilligt. Dies erscheint durchaus plausibel, hätte doch ein Fachgericht in Fällen des Art. 100 I GG, also bei ge152

Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 93, Rdnr. 34. Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 93, Rdnr. 34. 154 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 93, Rdnr. 34. So auch Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 95, Rdnr. 34. 155 Vergliche dazu auch Gärditz, DÖV 2001, S. 541, der hier zur Erläuterung Parallelen zur Wirkung des § 142 BGB zieht. 156 BVerfGE 98, 265 (319). 157 BVerfGE 98, 265 (318). 158 Dazu Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 95, Rdnr. 32. 159 Ebenso Bethge in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, Rdnr. 165. 160 Vgl. dazu auch Gärditz, DÖV 2001, S. 541. 161 Gärditz, DÖV 2001, S. 541. 153

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richtlicher Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit162, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Selbigem Vorgehen entspräche es in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, wenn bei offenkundigen Zweifeln das Bundesverfassungsgericht „– das sich selbst ja nicht selbst vorzulegen braucht – inzidenter die fraglichen Normen [auch auf die materielle Verfassungsgemäßheit hin über]prüfen würde.“163 Zugegeben waren im beispielhaft herangezogenen Verfahren die Beschwerdeführer durch das Bundesgesetz nicht beschwert – die Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen die landesrechtliche Regelung des Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes –, dennoch spielt auch die (materielle) Verfassungswidrigkeit des Bundesgesetzes eine Rolle in der zu entscheidenden Frage. So war das Schwangerenhilfeergänzungsgesetz auf seine Verfassungsgemäßheit hin zu überprüfen. Bestandteil dieser Prüfung war (und ist für alle Fälle der Prüfung der Verfassungsgemäßheit) grundsätzlich auch die Sondierung der kompetenzrechtlichen Lage. Landeskompetenz bestünde in diesem, sich im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung befindlichen Fall jedoch nur dann, wenn die Bundesregelung nicht abschließend wäre.164 Landesrechtliche Ergänzungen oder Verbesserungen wären in diesem Fall denkbar.165 Stellte sich nun heraus, dass die Bundesregelung verfassungswidrig wäre, so existierte (mit Urteil des Bundesverfassungsgerichts im entsprechenden Verfahren) keine Bundesregelung mehr, welche abschließend sein könnte. Insoweit ist die Überprüfung der bundesrechtlichen Regelung auch von verfassungsrechtlicher Relevanz, da sich erst durch sie die tatsächliche kompetenzielle Lage klären lässt. Zwar wäre das Bundesverfassungsgericht verfahrensrechtlich nicht in der Lage gewesen, die bundesrechtliche Regelung im bestehenden Verfahren aufzuheben166, da Verfahrensgegenstand nur das Landesgesetz, nicht das Bundesgesetz war167, die Vorfrage hätte jedoch als „tragender Grund“ des Urteils an der Bindungswirkung nach § 31 I BVerfGG teilgenommen.168 Beim nächsten Anlass hätte dann gemäß Art. 100 I GG vorgelegt werden müssen169, woraufhin mit der Richtervorlage ein Verfahren in Gang gesetzt worden wäre, in dem es dem Bundesverfassungsgericht möglich gewesen 162 Hierzu näher Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 100, Rdnr. 35. 163 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 72, Rdnr. 34. 164 Vgl. den Wortlaut von Art. 72 I GG: „solange und soweit“. 165 BVerfGE 98, 265 (303). 166 Für eine Inzidentkontrolle und eine damit verbundene Verwerfungskompetenz Rüfner, ZG 14 (1999), S. 373. 167 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, Rdnr. 165. BVerfGE 92, 91 (107). 168 Ausdrücklich besteht diese Möglichkeit für den Organstreit und die Bund-LänderStreitigkeiten, §§ 67 S. 3, 69 BVerfGG. 169 Dies ergibt sich gerade aus der Bindungswirkung des § 31 I BVerfGG, nimmt man diese für die tragenden Gründe an. Allerdings ist auch dies umstritten.

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wäre, die bundesgesetzliche Regelung (ex tunc) für nichtig zu erklären.170 Auf die bestehende Kontroverse, inwieweit tragende Gründe einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Bindungswirkung nach § 31 I BVerfGG unterliegen und was unter dem Begriff der „tragenden Gründe“ zu verstehen ist, kann hier nicht näher eingegangen werden.171 Erwähnt sei jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung eine Bindungswirkung auch bezüglich der die Entscheidung tragenden Gründe annimmt172, wobei „tragend für eine Entscheidung [. . .] jene Rechtssätze [sind], die nicht hinweggedacht werden können, ohne daß das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele.“173 Unabhängig davon spricht das Argument der Rechtssicherheit in diesem Rahmen für eine Vorfragenkompetenz des Bundesverfassungsgerichts. Nach Art. 20 III GG ist die Rechtsprechung, zu der das Bundesverfassungsgericht unstreitig174 zu zählen ist, an Gesetz und Recht gebunden. Für das Bundesverfassungsgericht bedeutet dies, dass es verfassungswidriges Recht nicht anwenden darf.175 Eine Verwerfung landesrechtlicher Regelungen aufgrund einer bestehenden Bundesregelung ohne vorherige Prüfung derselben widerspricht diesem Grundsatz.176 Noch stärker wiegt dieses Argument, stellt man sich eine Situation vor, in der das Bundesgesetz nicht nur nicht geprüft wurde, sondern in der sich tatsächlich herausstellt, dass es verfassungswidrig ist. Man würde dann Landesrecht für nichtig erklären, weil es gegen verfassungswidriges Bundesrecht verstößt, um später, beispielsweise in einer direkten Verfassungsbeschwerde gegen das Bundesgesetz, festzustellen, dass das Bundesgesetz ungültig ist. Dem Grundsatz der Rechtssicherheit ist somit eher gedient, geht man von einer entsprechenden Vorfragenkompetenz des Bundesverfassungsgerichts aus. Prozessuale Überlegungen zur Verwerfungsmöglichkeit dürfen hier nur eine untergeordnete Rolle spielen.177 Verstärkt muss dies gelten, berücksichtigt man zusätzlich die Wertigkeiten der zu beachtenden Normen. Das Bundesverfassungsgericht sieht sich an einer inzidenten Überprüfung des Sperrwirkung entfaltenden Gesetzes durch einfachgesetzliche Normen des BVerfGG gehindert und lässt dadurch Normen von Verfassungsrang – speziell unter Berufung auf einen Verstoß gegen die Normen des 170

Vgl. Gärditz, DÖV 2001, S. 542. Kritisch zu entsprechender Bindungswirkung Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 270 ff., mit Hinweisen auf den Meinungsstand in Fn. 121 (S. 271). 172 BVerfGE 1, 14 (37); 19, 377 (392); 20, 56 (87); 112, 268 (277). Ebenso Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, Rdnr. 96 ff. 173 BVerfGE 96, 375 (404). 174 Vgl. Art. 92 GG. Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan, § 1 BVerfGG, ändert hieran nichts. Vgl. auch BVerfGE 40, 356 (360). 175 Rüfner, ZG 14 (1999), S. 373. 176 Rüfner, ZG 14 (1999), S. 373. 177 Gärditz, DÖV 2001, S. 542. 171

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BVerfGG (!) – unbeachtet. Selbst wenn man eine Bindungswirkung nach § 31 I BVerfGG für das Ergebnis der als Vorfrage geklärten Verfassungsmäßigkeit des Bundesgesetzes verneinen würde, so wäre die verfassungsgerichtliche Entscheidung – die Entscheidungsgründe eingeschlossen – von den Instanzgerichten doch zu berücksichtigen, was wohl eher früher als später zu einer entsprechenden Richtervorlage auch ohne Bindungswirkung führen dürfte. Ebenfalls hätte eine derartige bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung Signalwirkung in Richtung der Landesparlamente, welchen wiederum mit einer abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 78 BVerfGG ein Verfahren an die Hand gegeben wäre, im Rahmen dessen das Bundesverfassungsgericht zu einer Nichtigkeitsfeststellung in der Lage wäre. d) Fazit Nach alledem lässt sich festhalten: Nur in den Konstellationen, in denen sich der Bundesgesetzgeber einer Nichtregelung bewusst war, es sich also um einen absichtsvollen Regelungsverzicht handelt, entsteht Sperrwirkung für landesrechtliche Regelungen. Nicht um absichtsvollen Regelungsverzicht und damit gegen eine Sperrwirkung für die Länder spricht es jedoch, wenn sich der Bundesgesetzgeber einer Regelungsvariante nicht bewusst war und sie deshalb nicht geregelt hat. Sehr problematisch ist die Behandlung der letzten denkbaren Möglichkeit, nämlich dass der Bundesgesetzgeber eine Variante zwar erkannt, diese jedoch ohne Begründung oder ohne nähere Behandlung schlicht nicht geregelt hat. Hier hilft zunächst methodisch korrekte Auslegungsarbeit, welche jedoch aufgrund der oben dargelegten Funktion der Auslegung und den hier bestehenden Schwierigkeiten ebenfalls an ihre Grenzen stoßen kann. Je nachdem also, was die Auslegung (falls möglich) – hier freilich mit Augenmerk auf gesetzgeberische Absichten – ergibt, kann dies für oder gegen eine abschließende Regelung der jeweiligen Materie sprechen, was wiederum gegen oder für eine landesrechtliche Regelungsmöglichkeit spricht. Nicht fähig Sperrwirkung zu entfalten ist verfassungswidriges Bundesrecht. Dies gilt unabhängig davon, ob es ausdrücklich oder durch Regelungsverzicht kompetenzrechtliche Wirkung entfalten soll. Aus oben genannten Gründen, vor allem aufgrund der Rechtssicherheit, ist es nicht tragbar, verfassungswidriges Bundesrecht als Begründung für die Verneinung der Landeskompetenz heranzuziehen. Aufgrund dessen muss dem Bundesverfassungsgericht auch eine entsprechende Vorfragenkompetenz zugesprochen werden. Daraus ergibt sich wiederum für die vorliegende Problematik, dass es unerheblich ist, ob der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konstitutive oder nur deklaratorische Funktion zukommt. In letzterem Falle käme der bundesrechtlichen Regelung ohnehin keine Sperrwirkung zu, das Gesetz wäre eo ipso verfassungswidrig und nichtig. Im Falle konstitutiver Wirkung wäre das Bundesverfassungsgericht in Fallgestaltun-

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

gen wie der des Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes zwar verfahrensrechtlich nicht befugt, die Bundesnorm inzident zu verwerfen. Da die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jedoch auch bezüglich der Vorfrage, also bezüglich der Überprüfung der Verfassungsgemäßheit der bundesrechtlichen Regelung, zu beachten wäre, käme es in absehbarer Zeit mit oder ohne Bindungswirkung nach § 31 I BVerfGG zu einem Verfahren in dem die Normverwerfung möglich wäre. Der Rechtssicherheit wäre damit genüge getan. Durch die hier aufgeführten Beispiele sollte zweierlei verdeutlicht werden: Zum einen können kompetenzrechtliche Probleme auch durch unterschiedliche gesetzgeberische Konzeptionen entstehen, die als Unterart sekundärer Doppelkompetenzen „widersprüchliche Regelungskonzeptionen“ genannt werden. Ob diese jedoch immer in gleicher Weise wie „tatsächliche“ Normwidersprüche zu behandeln sind, speziell ob sich aus diesen Widersprüchen zwangsläufig solche ergeben, die in der Intensität denen „echter Normwidersprüche“ gleichwertig sind, bleibt zu klären. Auswirkungen ergeben sich, von dieser Frage ausgehend, zwingend auch für die heranzuziehenden Auflösungsmittel. Zum anderen besteht ein weiterer Problemkreis, wenn ein Hoheitsträger (bewusst oder unbewusst) bestimmte Bereiche nicht regelt beziehungsweise bestimmte Aspekte unberücksichtigt lässt, die ein anderer Hoheitsträger dann aufgreift und mittels einer ihm vordergründig zustehenden Kompetenz in sein Regelungswerk einbaut. Im Rahmen der Feststellung der jeweiligen Kompetenzen ist hier die Frage nach absichtsvollem Regelungsverzicht und daraus resultierender Abgeschlossenheit der Regelung zu stellen. 4. Einordnung und Unterscheidung der Konkurrenzarten Nachdem nun, soweit ersichtlich, alle verschiedenen verborgenen Konkurrenzarten mit den unterschiedlichen Begrifflichkeiten dargestellt wurden, ist es notwendig, Unterscheidungskriterien zu finden, um einer entsprechenden Einteilung auch bezüglich der tatsächlich auftretenden Konkurrenzen Wirkung zu verschaffen. Leider muss auch in diesem Bereich auf die große Schwierigkeit einer eindeutigen Einteilung hingewiesen und deutlich gemacht werden, dass vorgenommene Einordnungen – gerade im Bereich der Doppelkompetenzen – teilweise mit guten Argumenten auch auf andere Weise erfolgen könnten. Entsprechende Schwierigkeiten sind jedoch dem kompetenziellen Qualifizierungsvorgang immanent. Sowohl im Rahmen der Unterscheidung von Auslegungs-, Zuordnungsund Auflösungskriterien als auch bei der hier vorzunehmenden Einteilung wird die Komplexität und das Zusammenspiel der verschiedenen Stufen des Qualifizierungsvorgangs deutlich. Dies umso mehr, als durch einen „Defekt“ auf einer der angesprochenen Stufen die Entstehung der Konkurrenzen erst möglich wird. Je nachdem, auf welcher Stufe ein solcher „Defekt“ auftritt, entsteht die eine oder andere Konkurrenzart: Zeigen sich Probleme bei der Auslegung, wären die

B. Konkrete Unterscheidung

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jeweils verschiedenen Ergebnisse aber eindeutig zuzuordnen, so handelt es sich um eine Auslegungskonkurrenz. Fälle dagegen, in denen ein Sachverhalt nicht eindeutig zuzuordnen ist, können zu Doppelkompetenzen führen. Wenn jedoch, wie gezeigt, schon die einzelnen Kriterien schwer auseinanderzuhalten sind, muss dies in erhöhtem Maße für die Einteilung der aus ihren Defekten entstehenden Konkurrenzen gelten. Es kann jedoch Folgendes festgehalten werden: Es bestehen zwei Grundtypen von „verborgenen Konkurrenzarten“. Dies ist zum einen die Doppelkompetenz, zum anderen die Auslegungskonkurrenz. Bei Ersterer handelt es sich um Konstellationen, in denen nach Auslegung und Zuordnung sowohl eine Bundes- als auch eine Landeskompetenz einschlägig ist. Im Falle der Auslegungskonkurrenz hängt die kompetenzielle Qualifizierung dagegen ausschließlich an der Entscheidung auf der Auslegungsstufe. Hierbei kann ein Sachverhalt oder aber auch eine Kompetenznorm auf die eine oder andere Weise ausgelegt werden. Dies hat – je nach Auslegungsergebnis – dann zur Folge, dass entweder eine Landes oder eine Bundeskompetenz besteht. Entsprechend obigen Ausführungen handelt es sich bei dem Phänomen der „sonstigen widersprüchlichen Regelungskonzeptionen“ ebenfalls um eine Unterart der Doppelkompetenz. Auswirkungen der Einteilung ergeben sich prinzipiell für die Auflösung der jeweiligen Konkurrenz. Differenzierte Betrachtungen im Rahmen der Auflösung sind die notwendige Folge hieraus. Während es beispielsweise im Bereich der Auslegungskonkurrenz durchaus denkbar ist, eindeutige Ergebnisse durch eine methodisch korrekte Auslegung zu erzielen (wobei es sich dann um eine sogenannte Scheinkonkurrenz handeln würde), dürfte dieser Weg für die Doppelkompetenzen versperrt sein.

II. „Offene Konkurrenzen“: Sonderproblem der Abweichungskompetenz des Art. 72 III GG In einem weiteren Teilbereich soll untersucht werden, was mit dem zunächst befremdlich anmutenden und im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen scheinbar nicht passenden Begriff der „offenen Konkurrenzen“ überschrieben ist. Gewählt wurde diese Formulierung, weil hier in Abweichung zum sonstigen Verständnis des Begriffs der konkurrierenden Gesetzgebung eine Norm im Mittelpunkt steht, durch die eine neue Art der konkurrierenden Gesetzgebung geschaffen wurde, die meist als Abweichungsgesetzgebung bezeichnet wird.178

178 Degenhart, NVwZ 2006, S. 1209; Moellers, Christoph: Stichpunkte zur Anhörung Föderalismusreform, S. 5; Ipsen, NJW 2006, S. 2804; Häde, JZ 2006, S. 932; Stock, ZG 21 (2006), S. 226.

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

1. Darstellung Im Rahmen der Föderalismusreform 2006 wurde Art 72 GG, der die Grundsätze konkurrierender Gesetzgebung behandelt, grundlegend geändert. „Ohne Vorbild in der [bisherigen] Kompetenzordnung“179 wurde in Art. 72 III 1 GG für den Fall, dass der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat, eingeführt, dass die Länder in bestimmten Bereichen abweichende Regelungen treffen können.180 Dieser Konzeptionierung liegt zu Grunde, dass die in ihr erwähnten Bereiche einer ausschließlichen kompetenziellen Zuordnung entweder zum Bund oder zu den Ländern nicht zugänglich gemacht werden sollten.181 Einer entsprechenden Abweichungskompetenz unterliegen die Bereiche des Jagdwesens, des Naturschutzes, der Bodenverteilung, der Raumordnung, des Wasserhaushalts und die Bereiche der Hochschulzulassung und der Hochschulabschlüsse. Diese in Art. 72 III 1 GG aufgeführten Bereiche entsprechen hauptsächlich den Materien, die bis zur Föderalismusreform in Art. 75 GG als Rahmengesetzgebung geregelt waren.182 In gewissem Maße kann in der Abweichungsmöglichkeit daher eine Kompensation des für die Länder entstandenen Nachteils gesehen werden, der durch die Überführung der Materien von Art. 75 GG in den Katalog des Art. 74 GG entstanden ist.183 Dies umso mehr, als die in Art. 72 II GG a. F. enthaltene Erforderlichkeitsklausel für alle Nummern des Art. 74 GG galt, während die aktuelle Fassung eine Erforderlichkeitsprüfung nur noch in den in Art. 72 II GG enumerierten Fällen anordnet und somit nach neuer Fassung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung eine Art Vorranggesetzgebung für den Bund entstanden ist. Von der Abweichungsmöglichkeit ausgenommen sind jedoch wiederum die sogenannten „abweichungsfesten Kerne“184. So können die Länder abweichende Regelungen über den Naturschutz nach Art. 72 III 1 Nr. 2 GG nicht treffen, soweit die Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder das Recht des Meernaturschutzes berührt sind. Abweichungen bezüglich des Jagdrechts sind nur ohne das Recht der Jagdscheine möglich, während im Bereich des Wasserhaushalts stoff- oder anlagenbezogene Regelungen abweichungsfest sind.185 Von diesen abänderungsfesten Kernen abgesehen, steht dem Zugriff der Landesgesetzgeber aber nichts im Wege. Machen 179

Degenhart, NVwZ 2006, S. 1212. Umfassender hierzu Mammen, DÖV 2007, S. 376 ff. 181 Für die Bereiche des Umweltrechts Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 252. 182 Hierzu Scharpf, Thesenpapier, S. 8; Häde, JZ 2006, S. 932. 183 BTDrucks. 16/813, S. 11. Ähnlich auch Degenhart, NVwZ 2006, S. 1212 f. und Oeter, 2. Teil. Die Änderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, S. 15. 184 BTDrucks. 16/813, S. 11. 185 Dass hierdurch jedoch wiederum Unklarheiten darüber entstehen, was beispielsweise unter den Bereich der „Grundsätze des Naturschutzes“ fallen soll, mithin weitere Auslegungskonkurrenzen auftreten, bemerkt u. a. Uhle, in: Kluth: Föderalismusreformgesetz, Art. 72, Rdnr. 66. 180

B. Konkrete Unterscheidung

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die Länder von diesem Abweichungsrecht Gebrauch, gilt nicht die sonst übliche strikte Kompetenztrennung, nach der entweder der eine Kompetenzträger oder der andere die Gesetzgebungskompetenz hat. Art. 72 III 3 GG ordnet an, dass das spätere Gesetz dem vorher erlassenen vorgeht. Es handelt sich hier daher, anders als im Falle des Art. 72 IV GG, um einen Anwendungsvorrang gegenüber dem Bundesrecht, nicht um eine Derogation.186 Beispielhaft vergleichbar ist diese „Überlagerung im Sinne eines Anwendungsvorranges [. . .] mit dem Verhältnis des Rechtes der Europäischen Union zu den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen“187. Unabhängig von der sonstigen Eignung zur Konkurrenzauflösung188 wird Art. 31 GG insoweit außer Kraft gesetzt. Eine ähnliche Abweichungsmöglichkeit besteht jedoch auch in anderer Richtung. Hat nun der Landesgesetzgeber eine Regelung getroffen, so bleibt es wiederum dem Bund unbenommen, erneut eine hiervon abweichende Regelung zu treffen. Diese geht wiederum als spätere Regelung der landesgesetzlichen, früher erlassenen Regelung vor. Im Unterschied zur Länderabweichung gilt hier jedoch Art. 72 III 2 GG, wonach diese Bundesregelungen erst mit Ablauf von sechs Monaten in Kraft treten, soweit nicht mit Zustimmung des Bundesrates anderes bestimmt wurde. Nach alledem erhellt, warum dieser Komplex mit der Überschrift „offene Konkurrenzen“ überschrieben wurde. Während der vorhergehenden Konzeption eine ausdrückliche Mehrfachkompetenz verschiedener Kompetenzträger grundsätzlich fremd war189, demzufolge eine Materie immer eindeutig einem Kompetenzträger zugewiesen werden sollte190, haben nun sowohl der Bund als auch die Länder – diese freilich mit Ausnahme der abweichungsfesten Kerne – umfassenden Zugriff auf die in Art. 72 III 1 GG geregelten Materien.191 Eine „echte“192, bewusst herbeigeführte und in diesem Umfang noch nicht vom bisherigen Begriff der konkurrierenden Gesetzgebung erfasste Konkurrenz von Bund und Ländern ist mit Art. 72 III GG geschaffen worden. In den entsprechenden Bereichen besteht „doppelte Vollkompetenz“193 von Bund und Ländern. Aufgrund eben dieses Regelungskonfliktes zwischen Bund und Ländern werden jedoch auch mannigfaltige Probleme erwartet. 186

Degenhart, NVwZ 2006, S. 1212. Vgl. Nierhaus/Rademacher, LKV 2006, S. 389. 188 Zu einer aus Art. 31 GG resultierenden Auslegungsvermutung bereits oben unter 2. Teil A. IV. Ob Art. 31 GG darüber hinaus zur Konkurrenzauflösung geeignet ist, wird im Rahmen der Auflösungskriterien unter 4. Teil A. II. 2. b) bb) zu klären sein. 189 Ähnlich Oeter, 2. Teil. Die Änderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, S. 16. 190 Dass trotz dieser Absicht an mehreren Stellen Konkurrenzen auftreten (können), wurde bereits dargestellt. 191 Nierhaus/Rademacher, LKV 2006, S. 389. 192 So bezeichnet bei Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 461. 193 Ipsen, NJW 2006, S. 2804. 187

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

2. Probleme Zunächst erscheint es widersprüchlich, dass alle in Art. 72 III 1 GG aufgeführten Materien nicht der Erforderlichkeitsprüfung nach Art. 72 II GG unterliegen, mithin der Vorranggesetzgebung des Bundes zuzurechnen sind. Während also auf der einen Seite landesrechtliche Abweichungen möglich sind, nach verfassungsgesetzgeberischer Wertung demzufolge in diesen Bereichen zumindest im Ansatz für nötig gehalten werden, wird im Gegenzug das Erfordernis einer bundeseinheitlichen Regelung nach Art. 72 II GG aufgrund der fehlenden Auflistung der Materien unwiderlegbar vermutet.194 Begründet wird dies meist mit der föderalen Ausgleichsfunktion195, also der bereits oben angesprochenen Kompensation für die Verlagerung der betroffenen Materien von der Rahmenkompetenz in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz. Abgesehen von bestehenden Wertungswidersprüchen erscheint die jetzige Regelung im Hinblick auf das im Rahmen der Föderalismusreform unter anderem bestehende Ziel der Vereinfachung der Umsetzung von EU-Recht196 sogar kontraproduktiv197: „Bei allen Freiheiten, die [europarechtliche] Richtlinien gelegentlich lassen mögen, [ist] besonders wenig einleuchtend, daß die Länder anschließend von der soeben beschlossenen einheitlichen Umsetzung ohne weiteres sollen abweichen dürfen.“198 Des Weiteren birgt die Vorschrift des Art. 72 III 3 GG, nach der im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht jeweils das spätere Gesetz vorgeht, die Gefahr einer „Ping-Pong-Gesetzgebung“199. Gemeint ist damit die drohende fortdauernde Abwechslung der Geltung von Bundes- oder Landesrecht. Für den Bürger bestünde in diesem Fall die Gefahr einer sich stetig ändernden und damit unklaren Gesetzeslage, was ebenfalls zu „kurzfristig wechselnden Rechtsbehelfen“200 im Hinblick auf die jeweils geltenden Gesetze führen könnte. Dadurch würde wiederum eines der „Hauptanliegen der Reform, durch Entflechtung von Kompetenzen eine klarere Verteilung der Verantwortlichkeiten zu erreichen, nachgerade ad 194

Degenhart, NVwZ 2006, S. 1212. Dazu auch BTDrucks. 16/813, S. 11. Degenhart, NVwZ 2006, S. 1212. Ähnlich Meyer, Einige Überlegungen zum Entwurf einer Verfassungsänderung, S. 18, der dies jedoch als „faulen Kompromiss“ bezeichnet. Ebenfalls Pestalozza, Stellungnahme zu einigen Fragen des Entwurfs BTDrucks. 16/813, S. 9. 196 BTDrucks. 16/813, S. 11. 197 Zur allgemein begrenzten Europatauglichkeit des Grundgesetzes, jedoch auch im Hinblick auf die Föderalismusreform siehe Huber, ZG 21 (2006), S. 354, 372. 198 Pestalozza, Stellungnahme zu einigen Fragen des Entwurfs BTDrucks. 16/813, S. 9. Ähnlich Scharpf, Thesenpapier, S. 8. 199 Knopp, NVwZ 2006, S. 1217. Ähnlich Pestalozza, Stellungnahme zu einigen Fragen des Entwurfs BTDrucks. 16/813, S. 9; Nierhaus/Rademacher, LKV 2006, S. 390; Mammen, DÖV 2007, S. 378. 200 Pestalozza, Stellungnahme zu einigen Fragen des Entwurfs BTDrucks 16/813, S. 9. 195

B. Konkrete Unterscheidung

167

absurdum geführt, indem die Gefahr [. . .] wenig transparenter Verflechtung verschiedener Regelungsebenen geradezu neu geschaffen wird“201. In ähnlich verwirrender Weise wirken die bestehenden Übergangsregelungen in Art. 125 b GG. Nach Art. 125 b I GG gilt Bundesrecht, das aufgrund von Art. 75 GG bis zum 1. September 2006 erlassen worden ist, und das auch nach diesem Zeitpunkt als Bundesrecht erlassen werden könnte, als Bundesrecht fort. Die Abweichungsbefugnisse für die Länder nach Art. 72 III 1 GG sind dagegen teilweise – je nach betroffener Materie – erst in zeitlicher Staffelung oder nach vorheriger202 bundesgesetzlicher Betätigung wahrnehmbar. So kann auf den Gebieten der Art. 72 III 1 Nr. 2 und 5 GG spätestens ab dem 1. Januar 2010, im Falle der Nr. 6 spätestens ab dem 1. August 2008, von bundesgesetzlicher Regelung abgewichen werden. Für die Gebiete der Art. 72 III 1 Nr. 1, 3 und 4 GG gilt dagegen keine derartige „Abweichungssperre“. Wie erwähnt, gilt die fristengebundene Regelung für die übrigen Gebiete ebenfalls nicht, wenn der Bund nach dem 1. September 2006 in dem jeweiligen Bereich von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat. Schließlich könnte für zusätzliche Unklarheit sorgen, dass Art. 72 III 1 GG von einer „Abweichungskompetenz“ und nicht von einer „Ersetzungskompetenz“ spricht.203 Durch die Formulierung einer Ersetzungskompetenz würde deutlich, dass die gesamte bundesgesetzliche Regelung verdrängt und an ihre Stelle gänzlich die landesrechtlichen Regelungen treten würden. Durch die eingeräumte Abweichungsmöglichkeit besteht jedoch die Gefahr, dass sich einige landesrechtliche Regelungskonzeptionen nur partiell von der bundesrechtlichen Konzeption unterscheiden. Das Resultat wäre nicht nur die unterschiedliche Gesetzeslage auf Bundes- und Landesebene dergestalt, dass in einigen Ländern Landesrecht, in anderen Bundesrecht gelten würde. Auch innerhalb eines Landes wäre in diesem Fall partiell Bundes-, partiell Landesrecht anzuwenden. Die Folge wäre also nicht eine „entweder-oder-Geltung“ von Bundes- und Landesrecht, sondern die Vermischung der Regelungen beider Kompetenzträger, was zu zusätzlicher Rechtszersplitterung, vermehrter Unsicherheit und großen Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung führt.204 Auch hierdurch besteht Gefahr für das Hauptziel kompetenzieller Entflechtung und klarer Verteilung der Verantwortlichkeiten.205 201

Nierhaus/Rademacher, LKV 2006, S. 389. Ähnlich Knopp, NVwZ 2006, S. 1217. Dies bedeutet hier, dass der Bundesgesetzgeber nach dem 1. September 2006 von seiner Regelungsbefugnis Gebrauch gemacht haben muss, um die zeitlich gestaffelte „Abweichungssperre“ des Art. 125 b I GG aufzuheben. 203 Degenhart, NVwZ 2006, S. 1213. Dazu auch Mammen, DÖV 2007, S. 379. 204 Eine entsprechende Sichtweise findet sich bei Häde: „Wem es nicht gelingt, eine über das normale Maß hinausgehende Freude an föderaler Vielfalt zu entwickeln, der könnte leicht geneigt sein, darin zumindest die Gefahr der Unübersichtlichkeit zu sehen“ (Häde, JZ 2006, S. 933). Anders Oeter, 2. Teil. Die Änderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, S. 17, der die entstehende Unübersichtlichkeit in ihren 202

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

3. Ausblick Aufgrund der Übergangsregelung des Art. 125 b GG sowie aufgrund fehlender bundes- wie landesgesetzgeberischer Initiative bestehen vorliegend noch keine praktisch relevanten Konfliktlagen, an welchen die angesprochenen Probleme überprüft werden könnten. Zu den zu erwartenden Problemen soll trotzdem kurz Stellung bezogen werden. Die bestehenden Wertungswidersprüche im Rahmen des Art. 72 III GG – Vorranggesetzgebung des Bundes einerseits, Abweichungsmöglichkeit der Länder andererseits – sind wohl ausschließlich mit dem Kompromisscharakter der Föderalismusreform zu begründen. Tatsächlich ist in der Abweichungsmöglichkeit der Länder ein gewisser Ausgleich zur Überführung dieser und anderer Kompetenztitel in den Herrschaftsbereich des Bundes zu sehen. Bezüglich der Eignung der Regelung zur Vereinfachung des Umsetzungsverfahrens europarechtlicher Normen ist zunächst ein positiver Effekt zu bemerken. Die Umsetzung von EU-Richtlinien erfolgt nun generell durch einen Kompetenzträger – der Bund hat grundsätzlich auch hier Vorrangkompetenz –, während nach der vorhergehenden Konzeption im Bereich der Rahmengesetzgebung die zwingende Hintereinanderschaltung zweier Rechtssetzungsebenen erhebliches Verzögerungspotenzial206 barg.207 Zudem sei angemerkt, dass ein Abweichungsrecht der Länder nur dann besteht, wenn der Bund bereits von seiner Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Art. 72 III 1 GG. Zunächst also wäre eine bundeseinheitliche Umsetzung gewährleistet. Die Länder wären bei gegebenenfalls vorhandener Abweichungsintention ebenfalls an europarechtliche Vorgaben gebunden.208 Ein anderes Bild entsteht jedoch, wenn man, wie es tatsächlich der Fall ist, davon aus-

Ausmaßen begrenzt sieht. So auch Mammen, DÖV 2007, S. 379, der die Zersplitterungsgefahr durch den Gewinn an föderalem Wettbewerb ausgeglichen wähnt. 205 Zudem, für die kompetenzrechtliche Problematik jedoch nebensächlich, muss in diesem Zusammenhang auch berücksichtigt werden, dass das Abweichungsrecht hauptsächlich den leistungsstärkeren Bundesländern zugute kommt, was im Grunde die Gefahr eines „Zweiklassenföderalismus“ birgt. Dazu Stock, ZG 21 (2006), S. 226, speziell S. 237 ff. 206 Dieses Potenzial brachte die Gefahr eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EG mit sich, vgl. Häde, JZ 2006, S. 936. 207 Vgl. auch Nierhaus/Rademacher, LKV 2006, S. 387; Häde, JZ 2006; SchulzeFielitz, NVwZ 2007, S. 250 f., mit dem Beispiel der Wasserrahmenrichtlinie. 208 BTDrucks. 16/813, S. 11; Frenz, NVwZ 2006, S. 746. Die Feststellung, ob die Umsetzung in erforderlicher Art und Weise erfolgte, wird jedoch ungleich schwieriger, je mehr Länder von der Bundeskonzeption auf unterschiedliche Weise abweichen. Die Umsetzungsschwierigkeit durch 16 Landesgesetze sieht auch Schulze-Fielitz, NVwZ 2007, S. 251. Fraglich ist zudem, ob eine bundesrechtliche Umsetzung, von der landesgesetzlich jederzeit abgewichen werden darf, überhaupt dem Erfordernis einheitlicher Umsetzung genügt. Entsprechend Häde, JZ 2006, S. 936.

B. Konkrete Unterscheidung

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geht, dass die jeweilige Materie nicht originär durch ein europäische Richtlinien umsetzendes Bundesgesetz geregelt wird. Entsprechende Gesetze bestehen in breitem Maße schon vorher. Den Landesgesetzgebern wäre es nach der Konzeptionierung des Art. 72 III GG daher nicht verwehrt, bereits vor in Kraft treten des Bundesgesetzes (frühestens sechs Monate nach Verkündung, Art. 72 III 2 GG) abweichende Regelungen zu erlassen und so die einheitliche Umsetzung zu gefährden. Dass auch die Länder an europarechtliche Vorgaben gebunden sind, ändert an der Tatsache nichts, dass die bestehende Regelung des Art. 72 III GG dem erklärten Ziel der Föderalismusreform zur Verbesserung der Umsetzungsmöglichkeit europarechtlicher Richtlinien nicht zwingend gerecht werden wird. Diese Prognose darf schon aus der noch nicht durch praktische Beispiele belegbaren Perspektive gewagt werden. Schließlich ist noch auf die Gefahr der „Ping-Pong-Gesetzgebung“ einzugehen. Diese resultiert hauptsächlich aus der Vorrangregelung des Art. 72 III 3 GG, zum Teil jedoch auch aus der Möglichkeit der Abweichungsbefugnis der Länder, die es ermöglicht, nicht die gesamte Bundesregelung zu ersetzen, sondern nur Teile daraus landesrechtlich zu „modifizieren“. Durch diese partielle Modifikation könnte sich der Bundesgesetzgeber stärker als durch vollständige Verdrängung zu erneutem Tätigwerden herausgefordert fühlen. Dies deshalb, da durch eine nur teilweise Verdrängung in verstärktem Maße auch die dem Gesetz zu Grunde liegende Konzeptionierung verändert werden kann. Kann die bundesrechtliche Regelung jedoch nur in Teilbereichen angewendet werden, so besteht (und wächst) die Gefahr unerwünschter Ergebnisse. Gerade durch die Fristenregelung des Art. 72 III 2 GG erscheint ein entsprechendes „Ping-Pong-Spiel“ jedoch nicht wahrscheinlich. Den Landesgesetzgebern wäre es aufgrund der sechs Monate dauernden Frist bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes durchaus möglich, schon vor Ablauf der Frist anderslautende Regelungen zu erlassen. Hinzu tritt ein weiterer Aspekt: Beabsichtigt der Bundesgesetzgeber tatsächlich eine flächendeckende, bundeseinheitliche Regelung, so müsste er auf jedes Gesetzesvorhaben eines der 16 Bundesländer reagieren. In Kombination mit der Sperrfrist des Art. 72 III 3 GG dürfte der „Regelungskampf“ auf Bundesseite kaum zu gewinnen sein.209 Auch für den Fall, dass Konzeptionen einiger Länder akzeptiert werden, andere jedoch vom Bundesgesetzgeber als unzureichend empfunden werden, steht der Bundesgesetzgeber vor einem Dilemma: Er kann nur bundeseinheitlich erneut gesetzgeberisch tätig werden. Dies hätte jedoch wiederum zur Folge, dass auch die akzeptierten oder für gut befundenen landesrechtlichen Regelungen nach Art. 72 III 3 GG verdrängt würden, was es wiederum nach sich zöge, dass auch diese Bundesländer erneut tätig werden müssten. Abgesehen davon bliebe es natürlich auch dem Landesgesetzgeber mit der dem 209 So auch Oeter, 2. Teil. Die Änderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, S. 19.

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3. Teil: Konkurrenzarten – Darstellung und Unterscheidung

Bundesgesetzgeber missfallender Konzeptionierung unbenommen, erneut tätig zu werden und so gegebenenfalls den Kreislauf erneut anzustoßen. Als Ausblick für die Folgen der Regelung des Art. 72 III GG kann daher festgehalten werden, dass zwar gewisse Widersprüche vorhanden sind und die Konzeptionierung auch dem Ziel der Föderalismusreform zur Vereinfachung der Umsetzung europarechtlicher Richtlinien auf Dauer eher abträglich zu sein scheint.210 Die Gefahr der „Ping-Pong-Gesetzgebung“ erweist sich jedoch aufgrund der bestehenden Regelung des Art. 72 III 3 GG und aufgrund der „zahlenmäßigen Überlegenheit“ der Länder als eher unwahrscheinlich.211 Vielmehr lässt sich einerseits größeres Gewicht der Länder beim Erlass bundesrechtlicher Regelungen erwarten. Die drohende Abweichungsmöglichkeit der Länder und die dadurch entstehenden Probleme, im Bereich der Umsetzungspflicht europäischer Richtlinien auch die europäischen Vorgaben, werden die Beteiligten wohl in diese Richtung drängen.212 Andererseits wird dies nicht zur einheitlichen Regelung auf allen Gebieten des Art. 72 III 1 GG führen. Unterschiedliche Regelungen, sei es durch die Abweichung nur einiger Länder oder durch die Abweichung mehrerer durch „koordinierte Landes-Abweichungsgesetzgebung“213, sind durchaus zu erwarten.

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Anders jedoch Mammen, DÖV 2007, S. 380. Im Ergebnis so auch Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 464, Fn. 26. 212 So auch Oeter, 2. Teil. Die Änderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, S. 16, der darauf hinweist, dass entsprechende Kompromisse notwendig „Züge des ,kleinsten gemeinsamen Nenners‘ tragen“ werden. Ähnlich auch auf S. 18 und SchulzeFielitz, NVwZ 2007, S. 249. 213 Dem entsprechend Häde, JZ 2006, S. 932. 211

4. Teil

Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken A. Auflösungsmöglichkeiten Im Kern handelt es sich bei der Behandlung des kompetenziellen Qualifizierungsvorganges um die Untersuchung, ob das Grundgesetz dem Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz „verleiht“.1 Ist dies der Fall, so besteht eindeutig Bundeskompetenz. Ist dies jedoch nicht der Fall, so besteht wiederum Landeskompetenz. Nachdem in den vorangegangenen Teilen dieser Arbeit die Darstellung des kompetenziellen Qualifizierungsvorgangs und der sich im Rahmen dessen stellender Probleme sowie die Herausarbeitung der einzelnen Konkurrenzarten erfolgte, gilt es nun, sich der Lösung entstandener Probleme zu widmen, also Fällen, in denen die „Verleihung“ auf den ersten Blick nicht eindeutig ist. Dass Konkurrenzen zwischen verschiedenen Kompetenzträgern im Bereich der Kompetenzordnung grundsätzlich nicht bestehen bleiben können, ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Abgrenzungsfunktion des Art. 70 II GG und wurde bereits mehrfach dargestellt. Abgesehen von der oben aufgezeigten großen Schwierigkeit der jeweils getrennten Betrachtung von Auflösungs- und Auslegungskriterien einerseits und von Zuordnungskriterien – auch wenn diese nur in sehr geringem Umfang bestehen2 – und Auflösungskriterien andererseits, konnte doch bereits klargestellt werden, dass die Inhaltsermittlung im Rahmen der Auslegung nicht zwangsläufig zu einer befriedigenden Abgrenzung zweier Kompetenzmaterien führen muss. Tragend ist hier zum einen die mangelnde Trennschärfe der Auslegungskriterien, die aus der eigentlichen Funktion der Auslegung resultiert. Während die Auslegung zur Ermittlung des Anwendungsbereichs einer Norm eher in die Breite reicht, um den Inhalt, den Sinn und Zweck einer Norm zu ermitteln, sind Überschneidungen zweier Kompetenzen nach erfolgter Auslegung durchaus denkbar. Über die Abgrenzung kann hierdurch wenig gesagt werden. Dies gilt umso mehr, will man den Auslegungskriterien – trotz eines modernen Methodenverständnisses3 – einen gewissen Grad an objektivem Charakter zusprechen, um ein möglichst wertfreies Ergebnis zu erzielen und dadurch 1 2 3

Vgl. dazu Art. 70 I GG. Dazu unter 2. Teil B. Dazu im Rahmen der Auslegung unter 2. Teil A. V. 2.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

„Einlegungen“ des Rechtsanwenders zu vermeiden. Des Weiteren stellen gerade die hier (hauptsächlich und schwerpunktmäßig) zu behandelnden Konkurrenzen einen Fall dar, in dem es durch eine Auslegung nicht gelingen kann, einen Schwerpunkt einer Regelung hin zum einen oder anderen Kompetenzträger festzustellen.4 Ebenso stellt sich die Situation im Rahmen der Zuordnung dar. Wesen der Zuordnung ist die Feststellung der Subsumierbarkeit eines Sachverhalts unter eine Norm. Diese Feststellung muss entweder positiv oder negativ ausfallen, unabhängig davon, ob eine Zuordnung auch bezüglich anderer Normen erfolgen kann oder muss. Das Ergebnis einer mehr oder weniger gegebenen Subsumierbarkeit durch wertungsmäßige Regulierungen im Speziellen oder allgemein wären der Rechtssicherheit abträglich und widersprächen dadurch (ebenfalls) dem Rechtsstaatsprinzip. Ohnehin lässt sich erst nach Abschluss der Auslegung der einschlägigen Kompetenznormen, der Formulierung des Sachverhalts, der gegebenenfalls gebotenen Auslegung der bestehenden gesetzlichen Regelung5 und erfolgter Zuordnung feststellen, ob überhaupt eine Konkurrenz im oben beschriebenen Sinne vorliegt. Kann bereits durch methodisch korrekte Auslegung die Anwendbarkeit der einen oder anderen Kompetenznorm ausgeschlossen werden oder ergibt sich im Rahmen der Zuordnung, dass ein Sachverhalt unter eine Kompetenznorm ohnehin nicht subsumierbar ist, so besteht kein Grund zur Auflösung, da schon keine Konkurrenz entstanden ist. Demgegenüber wäre es jedoch der methodisch korrekten Rechtsanwendung abträglich, würde man nach erfolgter Auslegung6 und Zuordnung in den einen oder anderen Bereich zurückkehren, um sodann wertungsmäßige Korrekturen durchzuführen und dadurch das Endergebnis zu Gunsten der einen oder anderen Kompetenznorm verschieben.7 Nach Art. 20 III GG sind die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an „Gesetz und Recht“ gebunden. Nach Art. 97 I GG sind die Richter unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen. Der Anwendungsbefehl dieser beiden grundgesetzlichen Normen gilt für einfaches Gesetzesrecht ebenso wie für Verfassungsrecht – hier jedoch in erhöhtem Maße. Zusätzlich ist die Kompetenzordnung Teil der Verfassung und wie jegliches Verfassungsrecht nur durch ausdrückliche Modifizierung des Wortlauts zu ändern.8 Baute man nun jedoch den (wertungsmäßigen) Auflösungsprozess in die gängige Rechtsanwendung im Rahmen der Auslegung und/oder Zu4

Hierzu auch die obigen Ausführungen unter 2. Teil A. V. Zu den unterschiedlichen Fällen der bereits erfolgten Regelung einerseits und dem Erfordernis der Sachverhaltsdefinition andererseits vgl. die Darstellung oben in 1. Teil A. 6 Dies widerspricht einem modernen, fallbezogenen Auslegungsverständnis keineswegs. Auch fallbezogene Auslegung kann zu gleicher Sachnähe von Bundes- und Landeskompetenz führen. 7 Dem entsprechend Rüthers, Rechtstheorie, S. 407 f.: „Das Grundgesetz ist nicht Methodenneutral“. 8 Vgl. Art. 79 I 1 GG. 5

A. Auflösungsmöglichkeiten

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ordnung ein, so suggerierte man, dass das Grundgesetz gerade nur dieses eine Normverständnis beinhalte. Entstandene Zweifel oder eine durchaus mögliche andere Lesart würden unter den Tisch gekehrt und das methodisch korrekt gefundene Ergebnis im Nachhinein verändert. Gerade die Berücksichtigung der ungeschriebenen Kompetenzen in Form des Sachzusammenhangs und des Annexes als Auslegungsmittel zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten führte jedoch in mehr oder minder schwerem Ausmaß – dies je nach Konkurrenzart, speziell jedoch in Fällen der Idealkonkurrenz – zu einem entsprechenden Verstoß gegen Art. 79 I 1 GG und zu einer wertungsmäßigen Beeinflussung des Grundgesetzes, was wiederum mit Blick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz und das Demokratieprinzip fraglich erscheint.9 Damit soll, und darauf ist mit allem Nachdruck hinzuweisen, nicht der eigentliche, unbestritten fallbezogene10 Auslegungsvorgang an sich in Frage gestellt werden. Unzweifelhaft ergeben sich für unterschiedliche Sachverhalte unterschiedliche Aussagegehalte der einzelnen Normen. Dem sind jedoch für den Fall der kompetenziellen Qualifizierung dahingehend Grenzen gesetzt, dass zum einen das Verfassungsrecht als ranghöchstes Recht in Frage steht, dessen Wortlaut, vermittelt durch Art. 79 I 1 GG, erhöhte Bedeutung zukommt.11 Zum anderen bedürfen wertungsmäßige Korrekturen des Gesetzes allgemein gesonderter Begründung durch den jeweiligen Rechtsanwender, was wiederum in noch höherem Maße für Verfassungsrecht und damit für die Kompetenzordnung gelten muss. Fallbezogene Auslegung bedeutet zwar, die jeweilige Rechtsnorm mit Blick auf den jeweiligen Sachverhalt und durch ein Hin- und Herwandern dieses Blicks auszulegen und zu subsumieren. Wertungsmäßige Korrekturen müssen jedoch schon im Rahmen der Auslegung einfachen Gesetzesrechts die zu rechtfertigende Ausnahme bleiben. In erhöhtem Maße muss dies jedoch für die Kompetenzordnung des Grundgesetzes gelten. Die eindeutige Zuschreibung eines Sachverhalts zur einen oder anderen Kompetenznorm wird in der Tat oftmals nur durch eine gewisse wertungsmäßige Betrachtung gelingen. Diese Wertung muss jedoch klar kommuniziert und offen angesprochen werden und darf nicht in den jeweiligen Punkten der Auslegung und Zuordnung versteckt und verschleiert werden. Durch diese Offenheit gelingt es dann, den Auflösungskriterien größere Trennschärfe zu verleihen, welche die Auslegung an sich durch die Funktion der Festlegung des Anwendungsbereichs 9 Gegen eine wertungsmäßige Beeinflussung durch den Richter, gerade mit den Argumenten des Gewaltenteilungsprinzips und des Demokratieprinzips, siehe Rüthers, Rechtstheorie, S. 407 f. 10 Zum „Hin- und Herwandern des Blicks“ vgl. nur Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 15. 11 Herdegen, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 79, Rdnr. 1. Das Bundesverfassungsgericht spricht von „Urkundlichkeit und Einsichtbarkeit jeder Verfassungsänderung“ (BVerfGE 9, 334 (336)).

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

(allein) nicht erreichen kann. Die alleinige Funktion der Auflösungskriterien, bestehende Konkurrenzen aufzulösen, verleiht ihnen einen ungleich höheren Wirkungsgrad für diese Aufgabe, als es durch die Berücksichtigung in Auslegung oder Zuordnung möglich wäre. Im Folgenden sollen daher die in Frage kommenden Auflösungskriterien behandelt werden. Natürlich muss hierbei davon ausgegangen werden, dass einige Kriterien mehr Wertungsspielraum eröffnen als andere. Die Nähe zum sonstigen Qualifizierungsvorgang wurde im Vorangegangenen noch einmal deutlich.

I. Allgemeine Auflösungsmöglichkeiten Aufgrund der Existenz verschiedener Konkurrenzarten12 muss auch im Rahmen der Auflösung differenziert werden. Zunächst sollen Auflösungsmittel untersucht werden, die für Doppelkompetenz13 und Auslegungskonkurrenz gleichermaßen eine Lösung bereithalten könnten. Sodann wird separat auf die Lösung von Auslegungskonkurrenzen eingegangen, um schließlich die auflösende Behandlung nur der Doppelkompetenzen genauer zu betrachten. Begonnen werden soll zunächst mit einem Lösungsansatz, dessen Behandlungsnotwendigkeit sich bereits im Rahmen der Erörterung des Art. 72 III 1 GG abzeichnete. Als Ausblick auf die durch die neue Regelung des Art. 72 III 1 GG geschaffenen Folgen ließ sich eine erhöhte Einwirkung der Länder im Vorfeld auf die Bundesgesetzgebung in Bereichen des Art. 72 III 1 GG vermuten. Dies resultierte aus der Möglichkeit der Abweichungsgesetzgebung seitens der Länder, welcher der Bund wohl durch erhöhte Berücksichtigung der Länderinteressen im Vorfeld des Gesetzeserlasses entgegenwirken wird. So zumindest die Vermutung. Bezogen auf die generelle Konkurrenzproblematik im Rahmen der Gesetzgebungskompetenzen könnte sich aus diesem kooperativen Gedanken einiges gewinnen lassen. So wäre es durchaus denkbar – die verfassungsrechtliche Möglichkeit vorausgesetzt –, dass sich Bund und Länder in streitigen Kompetenzfragen zunächst kooperativ zu Gunsten eines Kompetenzträgers verständigten und dieser dann, vom jeweils anderen Kompetenzträger anerkannt, die alleinige Regelungskompetenz ausüben darf.14

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Siehe dazu den 3. Teil. Auch die Figur widersprüchlicher Regelungskonzeptionen wurde oben als Unterfall einer Doppelkompetenz eingestuft. Bereits hier sei jedoch darauf hingewiesen, dass für die Auflösung solcher widersprüchlicher Regelungskonzeptionen gegebenenfalls eine gesonderte Betrachtung notwendig sein wird. 14 Eine Gruppe „von Motiven [zur Kooperation] ist zweckmäßigkeitsorientiert und wird von administrativen, technischen und finanziellen Gegebenheiten bestimmt. [. . .] Dazu gehören auch die Konstellationen, bei denen aus Gründen der Sachrationalität gefordert wird, vermeintliche oder wirkliche Ungereimtheiten der im GG vorgesehenen Zuständigkeitsverteilung durch ein gemeinsames Vorgehen aller beteiligten Kompetenz13

A. Auflösungsmöglichkeiten

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1. Kooperation und Koordination Die zu stellende Frage ist demzufolge zunächst, inwieweit kompetenzrechtliche Probleme von den Kompetenzträgern selbst – mittels Koordination zwischen den Ländern oder Kooperation zwischen Bund und Ländern – geregelt werden können. Zentral geht es also darum, inwieweit Kompetenzübertragungen von einem Kompetenzträger auf den anderen zulässig sind, mithin um die Frage nach der Disponibilität der Kompetenzordnung. Ebenso muss behandelt werden, ob kooperative Lösungen strittiger Kompetenzlagen, beispielsweise anhand eines Kooperationsvertrages, möglich sind und ob auf diesem Wege Kompetenzkonflikte vermieden werden können. Gerade dann nämlich, wenn „es an ausdrücklichen Regelungen zur Lösung von Aufgaben im Bundesstaat fehlt, wo aber ein gemeinsames Zusammenwirken [von Bund und Ländern] Voraussetzung für das Funktionieren staatlicher Tätigkeit ist“15, kommt kooperativem Zusammenwirken größere Bedeutung zu. Gleiches könnte für die Fälle nicht eindeutiger oder schwieriger Kompetenzlagen gelten.16 Zuletzt wäre in diesem Zusammenhang nach einer Verpflichtung von Bund und Ländern zu einem entsprechend kooperativen Zusammenwirken zu fragen, da nur dadurch alle kompetenzrechtlichen Unsicherheiten wirksam beseitigt werden könnten. Eine andere, jedoch ebenfalls in diesen Komplex fallende Frage ist, inwieweit den Ländern die Möglichkeit offen steht, durch koordinierte Gesetzgebung bundesweit gleichwertige Lebensverhältnisse im Sinne des Art. 72 II GG zu schaffen und so den Bund von seiner Bedarfskompetenz auszuschließen. a) Staatsvertrag als mögliche Kooperationsform Unabhängig von den gerade angesprochenen allgemeinen Fragestellungen der Zulässigkeit und des Umfangs kooperativer Vereinbarungen im Zusammenhang mit den Kompetenzkonflikten können als Kooperationsform hier jedoch nur Staatsverträge „als höchste Stufe der (Bund-)Länderkooperation“17 in Frage kommen. Ebenfalls existierende Kooperationsformen18 wie Besprechungen als „einfachste Form intraföderativer Zusammenarbeit“ 19oder gemeinsame Konferenzen der Ressortminister oder Ministerpräsidenten der Länder und den jeweiliträger auszugleichen.“ (Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 144) 15 Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1093; Vedder: Intraföderale Staatsverträge, S. 40. 16 Dies trifft sowohl auf Staatsverträge zwischen Bund und Ländern als auch auf solche Verträge zu, die nur zwischen den Ländern geschlossen werden: „Bundesweite Kooperation der Länder betrifft immer auch die Grenzlinie der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern.“ (Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 36) 17 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 55. 18 Ausführlicher dazu Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1104 ff. 19 Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1105.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

gen Bundesvertretern sind aufgrund fehlender rechtlicher Bindung und oftmals auch fehlender Außenwirkung von vorn herein nicht in der Lage, Kompetenzkonflikte zufriedenstellend zu beseitigen. Gerade aufgrund des hohen Stellenwertes der Kompetenzregeln als Teil der Verfassung und wegen der Notwendigkeit, die Kompetenzordnung auch für den Bürger so transparent wie möglich zu gestalten, bedarf es – vorbehaltlich genereller Zulässigkeit – verbindlicher Regelungen mit Außenwirkung, an die alle beteiligten Länder, aber auch die natürlichen und juristischen Personen gebunden sind. Um diese Verbindlichkeit herzustellen, ist der Vertrag als „klassisches Instrument der [staatlichen] Zusammenarbeit“ 20 das Mittel der Wahl. Das deutsche Bundesstaatsrecht kennt mit dem Staatsvertrag, dem Verwaltungsabkommen und den Koordinationsabsprachen drei Formen vertraglicher Kooperation, wovon jedoch lediglich „bei Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen [. . .] Tatbestand und Rechtsfolge so genau umschrieben [sind], dass die beabsichtigten Wirkungen ohne weitere innerstaatliche Rechtssetzungsakte zu erreichen sind.“21 Während bei Koordinationsabsprachen zur verbindlichen Realisierung also noch weitere Normsetzungsakte nötig sind, beziehen sich Verwaltungsabkommen auf solche Angelegenheiten, die durch Rechtsverordnung oder durch Verwaltungsvorschrift von der Exekutive geregelt werden können.22 Für kompetenzrechtliche Probleme im hier verwendeten Sinne ist (zumindest mittelbar) jedoch legislatives Handeln notwendig.23 Für diese Fälle, wenn also legislatives Handeln notwendig ist, bedarf es bei intraföderaler Kooperation wiederum eines Staatsvertrages.24 Dies ergibt sich zum einen aus der Materie eines legislativen Kompetenzkonfliktes und zum anderen aus der Tatsache, dass hier über verfassungsrechtliche Fragen entschieden wird, die die Gesetzgebungsorgane betreffen. b) Zulässigkeit kooperativen Handelns zwischen Bund und Ländern im Bereich legislativer Kompetenzkonflikte Nachdem nun das Mittel möglicher Kooperation und Koordination bestimmt wurde, gilt es sich dem Problem zu widmen, ob entsprechende Vereinbarungen im kompetenziellen Bereich überhaupt zulässig sind.

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Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1115. Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1115. 22 Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1116. 23 Hiermit ist – jedenfalls für den vorliegenden Bereich – die durch kooperative Vereinbarung drohende Verminderung der Macht der Landesparlamente doch deutlich verringert. Zur Gefahr der „Verdrängung“ der Landesparlamente Hesse, in: FS Müller, S. 148, mit weiteren Hinweisen in Fn. 15. Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 120 ff.; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 156. 24 Für dieses Ergebnis sprechen auch die Ausführungen bei Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1120, 1129. Vgl. dazu auch Art. 72 II BayVerf. 21

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aa) Generelle Zulässigkeit kooperativen Handelns Unbestritten dürfte sein, dass es bei der Vielzahl der von Bund und Ländern zu bewältigenden Aufgaben keine vollständige Isolierung der Zuständigkeitsbereiche geben kann, „es folglich aus praktischen Notwendigkeiten der Kooperation in irgendeiner Weise bedarf, weil ein vollkommen konfliktfreies Nebeneinander von Herrschaftszentren im Bundesstaat nicht möglich ist“25. Kooperative, „dynamische Elemente [könnten] Wege [eröffnen], sich zu arrangieren, ohne des ,schwierigen‘ Verfahrens einer Verfassungsänderung zu bedürfen.“26 Auch im bestehenden bundesstaatlichen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland sind entsprechende Notwendigkeiten auszumachen, auf die teilweise auch kooperativ reagiert wurde.27 Als Beispiel sei an dieser Stelle nur das Lindauer Abkommen28 erwähnt, durch welches die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben in innerdeutsches Recht und die Schwierigkeiten im Rahmen der Auslegung des Art. 59 II 1, 32 I, III GG allgemein mittels Zusammenwirken geregelt wurde.29 Unabhängig von möglicherweise bestehenden Lösungen kooperativer Art zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten darf jedoch nicht vergessen werden, dass auch die hierzu nötigen Kooperationsvereinbarungen zwischen Bund und Ländern nur im Rahmen der Verfassung möglich sind.30 Ausdrückliche grundgesetzliche Regelungen zu Staatsverträgen allgemein finden sich nicht – mit Ausnahme der Art. 29 VII und VIII GG über die Neugliederung des Bundesgebietes. Auch Aussagen über die generelle Zulässigkeit von derart kooperativem Föderalismus existieren außerhalb der Kataloge der Art. 91a, 91b und 104b31 GG nicht.32 Jedoch lassen diese Artikel zumindest darauf schließen, dass eine „Kooperation zwi25 Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1093, ähnlich auch auf S. 1099. Dem entsprechend auch Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 31. 26 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 154. 27 Zur Entwicklung sich daraus ergebender unitarischer Tendenzen vgl. Hesse, Der unitarische Bundesstaat. Einen knappen Überblick liefert auch Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 259 ff. 28 Der Text des Lindauer Abkommens findet sich bei Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 696. Beispielhaft hierzu Friehe, JA 1983, S. 117 ff. 29 Die tatsächliche Zahl an intraföderalen vertraglichen Vereinbarungen ist kaum überschaubar (vgl. Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 56, mit Verweis auf eine Übersicht von Schneider aus dem Jahre 1960, wonach damals bereits 339 Staatsverträge und Verwaltungsabkommen vorhanden waren). 30 Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1093; Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 36. 31 Art. 104b GG entspricht – modifiziert durch einzelne Ergänzungen und Korrekturen – der bisherigen Regelung des Art. 104a IV GG (Siekmann, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 104b, Rdnr. 2). Das kooperative Element findet sich hier vor allem in Art. 104 b II 1 GG (vgl. Siekmann, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 104b, Rdnr. 36). 32 Abgesehen davon kann man in Art. 35 I GG (Amtshilfe) und Art. 91 I GG (Polizeihilfe) gewisse Formen der Kooperation erblicken. Da diese aber mit der hier zu betrachtenden Kooperation zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten wenig gemeinsam haben, bleiben sie außer Betracht. Gleiches gilt für die sich in den Übergangs- und Schlussbestimmungen befindlichen Art. 118, 130 I und III und 135 V GG, welche sach-

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

schen bundesstaatlichen Wirkungseinheiten möglich“33 ist. In der Staatspraxis hat sich der Abschluss von Verträgen zwischen den Ländern einerseits, dem Bund und den Ländern andererseits bereits zu einem gängigen Mittel verfestigt und wird generell als zulässig angesehen.34 Eine entsprechende Vertragspraxis sei Ausdruck moderner Bundesstaatlichkeit, in der sachgerechte, gemeinsame Aufgabenerledigung strikter Kompetenztrennung vorgehe.35 Eine Begründung dafür lässt sich zum einen in der Staatsqualität36 der Länder und des Bundes finden. Während für den Bund die Staatsqualität außer Frage steht, ist in diesem Zusammenhang vorweg klarzustellen, dass die Staatsqualität der Länder differenziert zu betrachten ist. Durch den „Staatsbegriff“ soll hier nicht die vollständige unbeschränkte Souveränität von Bund und Ländern beschrieben werden – dies widerspräche durch die umfassende Verflechtung von Bund und Ländern sowie durch die bestehende Kompetenz-Kompetenz des Bundes37 der Rechtswirklichkeit –, sondern es ist die Tatsache gemeint, dass auch die Länder je eigenständige Rechtsträger mit einem Mindestbestand zugeordneter substantieller Kompetenzen sind38, ihnen also Staatsqualität im hier erforderlichen Maße zukommt.39 Jeder Staat in diesem Sinne, auch wenn er in ein bundesstaatliches Geflecht eingebunden ist, muss also im Rahmen seiner Aufgaben die Möglichkeit haben, sich seiner Handlungsfreiheit auch durch den Abschluss von Verträgen zu bedienen.40 Ein Begründungsansatz findet sich in Art. 32 GG: Da

lich und zeitlich nicht mehr aktuell sind (vgl. Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 125). 33 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 129. 34 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 131, in Fn. 71 mit weiteren Nachweisen. 35 Entsprechend Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 31. 36 Für den Staatsbegriff im hier verwendeten Sinne vgl. Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 20, Rdnr. 65. Ähnlich Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 20, Rdnr. 10; Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 48 f., 89 ff., 112 und 153; Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 667. Das Bundesverfassungsgericht bereits in BVerfGE 1, 14 (34). Hierzu auch Maunz, in: HdBStR IV, S. 427 ff. Ab S. 434 findet sich eine Zusammenstellung der bezüglich der Staatlichkeit der Länder bestehenden Kritik. 37 Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 89. 38 Dies macht das Bundesverfassungsgericht schon in BVerfGE 34, 9 (20), bestätigt durch BVerfGE 87, 181 (196), klar: „Art 79 Abs. 3 GG verbietet eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche ,die Gliederung des Bundes in Länder‘ berührt wird. Die ,Länder‘ sind hier, wie es dem Begriff und der Qualität des Bundesstaates entspricht, gegen eine Verfassungsänderung gesichert, durch die sie die Qualität von Staaten oder ein Essentiale der Staatlichkeit einbüßen.“ Und weiter: „Die Länder im Bundesstaat sind nur dann Staaten, wenn ihnen ein Kern eigener Aufgaben als ,Hausgut‘ unentziehbar verbleibt.“ 39 Das Recht zum Abschluss von Staatsverträgen kann zum „status positivus der Länder“ gerechnet werden, vgl. Isensee, in: HdBStR IV, S. 586. In diesem Sinne schon BVerfGE 1, 14 (18, 34). 40 Vgl. dazu auch den Wortlaut des Art. 30 GG.

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die Länder nach Art. 32 III GG – freilich in engeren Grenzen – sogar die Befugnis haben, Verträge mit auswärtigen Staaten zu schließen, müsse dies nach einem erst-recht-Schluss auch für Vereinbarungen zwischen den Ländern und für Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern gelten.41 Richtigerweise bestehe eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Uneinigkeit und/oder Selbstisolierung auch im Bereich ihrer Aufgabenwahrnehmung nicht.42 Diese allgemeine Befugnis43 wird in den äußersten Grenzen beschränkt durch das Verbot der Selbstpreisgabe, das Verbot zur Bildung von Sonderbünden und die Pflicht zur Wahrung der Grundsätze der Staatsordnungen von Bund und Ländern.44 Unabhängig von der soeben festgestellten Befugnis von Bund und Ländern zur kooperativen Regelung allgemein müssen für die Untersuchung der Möglichkeit der Beseitigung kompetenzieller Konflikte zwischen Bund und Ländern jedoch noch genauere Untersuchungen angestellt werden, inwieweit auch für diesen speziellen kompetenzrechtlichen Bereich (staats-)vertragliche Lösungen möglich sind.45 Auch hier wird (zumindest in Teilbereichen) die Tatsache eine Rolle spielen, dass es sich bei den Kompetenzvorschriften um Verfassungsrecht handelt. Zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten können Vereinbarungen verschiedener Art getroffen werden. Zum einen wäre es denkbar, eine Kompetenzübertragung zu vereinbaren. Zum anderen wäre es jedoch auch möglich, dass eine Seite auf die Ausübung ihrer Kompetenz verzichtete und so der anderen Partei den Vortritt überließe. Des Weiteren wären Vereinbarungen denkbar, in denen sich ein Kompetenzträger verpflichten würde, auf seine Kompetenzausübung zwar nicht ausdrücklich, aber mittels dynamischer Verweisung auf das Recht des anderen Kompetenzträgers zu verzichten. Als vierte Möglichkeit böte sich schließlich bei Auslegungskonkurrenzen an, eine Vereinbarung über die heranzuziehende Sichtweise des strittigen Inhalts abzuschließen, um auf diese Weise eine einheitliche Interpretation zu erreichen. Dadurch sicherte man eine einheitliche Anwendung entsprechender Normen und löste schließlich die Konkurrenz auf.

41 Für Vereinbarungen zwischen den Ländern vgl. Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 155, jedoch mit gewisser Ausweitung auch auf Bund-Länder-Vereinbarungen auf S. 499. Dazu auch BVerwGE 22, 299 ff. 42 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 155. 43 Das Grundgesetz eröffnet grundsätzlich dem „kooperativen Föderalismus weiten Raum“ (Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 724). 44 Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 159 ff.; Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 143 ff. Im Ergebnis: „Maßstab zur Beantwortung [der] Frage [der Zulässigkeit kooperativer Vereinbarungen allgemein] ist das GG“ (Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 159). 45 „Die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätze [. . .] bilden deshalb im Ergebnis einen [. . .] Rahmen, der in der Regel nur gewisse [. . .] Grenzen setzt. Wo diese Grenzen jeweils verlaufen, ist für jede Kooperationsform gesondert zu bestimmen“ (Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 165).

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bb) Möglichkeit der Kompetenzübertragung Begonnen werden soll mit der Betrachtung einer Vereinbarung zur gänzlichen Übertragung einer Legislativkompetenz. Bund und Länder müssten in diesem Falle einen Staatsvertrag des Inhalts schließen, dass eine gegenwärtig dem Bund zustehende Kompetenz in Zukunft Sache der Länder sein soll oder umgekehrt eine gegenwärtige Länderkompetenz in Zukunft in die Zuständigkeit des Bundes fallen soll. Würden Bund und Länder sich beispielsweise darauf einigen, dass das Postwesen und die Telekommunikation gemäß Art. 73 I Nr. 7 GG in Zukunft Ländersache sein soll, so würde diese Nummer imaginär aus dem Kompetenzkatalog des Bundes gestrichen. Genau hier liegt jedoch das verfassungsrechtliche Problem einer entsprechenden Regelung: Die grundgesetzliche Kompetenzordnung ist Verfassungsrecht. Änderungen der Verfassung sind nur unter Einhaltung der für eine Verfassungsänderung vorgesehenen Vorschriften möglich. Demgemäß muss auch für eine vertragliche Vereinbarung Art. 79 GG beachtet werden.46 Schon aus Art. 79 I 1 GG, wonach das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden darf, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt, erscheint die Zulässigkeit einer derartigen Vereinbarung fraglich.47 Keine dieser Voraussetzungen wäre durch einen „Kooperationsvertrag“, besser: einen „Kompetenzübertragungsvertrag“ zwischen Bund und Ländern gewährleistet.48 Gleiches gilt auch für eine Übertragung einer Landeskompetenz auf den Bund, da nach Art. 70 I GG hier ein zusätzlicher Titel in die Kompetenzkataloge des Bundes hineingelesen werden müsste. Auch die Festschreibung wechselseitiger Mitverantwortung bezüglich eines Kompetenzbereichs, wodurch Kompetenzen quasi geteilt, also nur partiell übertragen würden, verstieße gegen die durch Art. 79 GG aufgestellten Voraussetzungen.49 Da das Grundgesetz als Verfassung höchsten Rang genießt, ist eine Umgehung des Art. 79 GG nicht möglich. Zudem fällt die Verfassungsänderung ohnehin zu keinem Teil in die Verantwortung der Länderlegislativen. Sie ist Gegenstand der Kompetenz-Kompetenz des Bundes, der wiederum mittels Gesetz nach Art. 79 GG von dieser Gebrauch machen kann.50 Eine Übertragung (vertraglicher oder nichtvertraglicher Art) einzelner Kompetenzbereiche oder ganzer Kompetenztitel von einem auf den anderen Hoheitsträger muss daher grundsätzlich unzulässig sein.51 Es gilt hierfür der Grundsatz: „Kompetenzen im Bundesstaat können zwar extensiv oder restriktiv in Anspruch 46

Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 143. So auch Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 155, zu Verwaltungskompetenzen S. 499. 48 Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 11. Das Bundesverfassungsgericht spricht im Rahmen von Art. 79 I 1 GG vom Grundsatz der „Urkundlichkeit und Einsichtbarkeit jeder Verfassungsänderung“, vgl. BVerfGE 9, 334 (336). 49 Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 11. 50 Vgl. dazu auch Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs nach dem Grundgesetz, S. 23. 47

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genommen werden, aber nicht ohne ausdrückliche Änderung der Verfassung verschoben werden.“52 Anders stellt sich der Fall jedoch dar, wenn Kompetenzübertragungen bereits durch die Verfassung selbst gestattet sind. Für die Übertragung von Bundeskompetenzen auf die Länder findet sich im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung die Regelung des Art. 71 Hs. 2 GG, wonach die Länder dann die Kompetenz zur Regelung eigentlich zur ausschließlichen Bundeskompetenz gehörender Kompetenztitel haben, wenn sie durch Bundesgesetz hierzu ermächtigt wurden.53 Für den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung besteht für den Bund einerseits die Möglichkeit zur Kompetenzübertragung an die Länder durch einfache Nichtregelung54, denn Art. 72 I GG besagt: „Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht Gebrauch gemacht hat“. Andererseits kann der Bundesgesetzgeber auch hier per Gesetz feststellen55, dass eine bundeseinheitliche Regelung bezüglich einer in Art. 72 II GG erwähnten Materie nicht mehr nötig ist und so den Ländern die Gesetzgebungskompetenz „übertragen“.56 „Übertragungen“ im weiteren Sinne sind demzufolge zulässig, wenn sie durch das Grundgesetz selbst zugelassen wurden. Aber auch für den Bereich der grundgesetzlich nicht normierten Kompetenzübertragung hat die Existenz dieser „grenzüberspielende Arrangements“57 zulassenden Normen Bedeutung: Die Vorschriften der Art. 71 Hs. 2, 72 I und 72 IV GG wären überflüssig, wenn das Grundgesetz von der grundsätzlichen Übertrag51 BVerfGE 63, 1 (39); 32, 145 (156); 26, 281 (296). Diese Entscheidungen ergingen zwar zum Teil über Verwaltungszuständigkeiten. Aussagen zur Disponibilität der Kompetenzordnung allgemein lassen sich dennoch entnehmen. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 30, Rdnr. 8; Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 162; Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 702; Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 722, 741; Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 609; Rengeling, in: HdBStR IV, S. 729. 52 Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1094. Art. 24 GG macht hiervon freilich eine gewisse Ausnahme. 53 Abgesehen von der grundgesetzlichen Erlaubnis wird man jedoch auch dieser Regelung gewisse Grenzen auferlegen müssen, beispielsweise eine Delegationsmöglichkeit nur für Einzelfragen. Vgl. dazu auch Kunig, Jura 1996, S. 256 f. Ein Delegationsverbot nur für die Länder folgert dagegen Maurer aus der Regelung des Art. 71 GG und der Möglichkeit zur Nichtregelung durch den Bund gemäß Art. 72 I GG, vgl. Maurer, Staatsrecht I, S. 556. 54 Zum Problemkreis wann und in welchem Umfang der Bund bereits Gebrauch gemacht hat, vgl. bereits oben 3. Teil B. I. 3. c). 55 Vgl. hierzu Art. 72 IV GG. 56 Dass dieses Gesetz nach Inkrafttreten der Föderalismusreform 2006 durch bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung ersetzt werden kann (Art. 93 II 2 GG), ändert hieran nichts. 57 Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 159.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

barkeit von Gesetzgebungskompetenzen ausginge58, was wiederum auf die generelle Unzulässigkeit von grundgesetzlich nicht normierten Kompetenzübertragungen schließen lässt. Ausdrückliche verfassungsrechtliche Befugnisnormen zur Übertragung von Landeskompetenzen auf den Bund finden sich dagegen nicht, wodurch keine Delegationsmöglichkeit von Legislativbefugnissen der Länder an den Bund besteht.59 cc) Kompetenzverzicht Im Grunde wurde mit der Darstellung der grundgesetzlich zugelassenen Kompetenzübertragung auch schon ein Teil der zweiten oben angesprochenen Gestaltungsvariante behandelt. So handelt es sich im Falle des Art. 72 I GG gerade um einen Verzicht, wenn der Bund von seiner ihm eigentlich zustehenden Kompetenz nicht Gebrauch macht. Auch in den Fällen der Art. 71 Hs. 2 und 72 IV GG geht es dem Grunde nach um einen Verzicht des Bundes, obwohl es hier jeweils eines diesen Verzicht bestätigenden Gesetzes in Form der Ermächtigung nach Art. 71 Hs. 2 GG oder der Feststellung im Sinne des Art. 72 IV GG bedarf. Im Falle des Verzichts auf Landesseite muss differenziert werden, obwohl die Nichtexistenz von grundgesetzlichen Gestattungsnormen zur Kompetenzübertragung auf ein Verbot für den Landesverzicht hindeuten. Besteht lediglich Landeskompetenz, hätte der Verzicht hierauf tatsächlich keinerlei Auswirkungen. Durch den Verzicht würde aufgrund des Art. 79 GG keine Kompetenz des Bundes (auch nicht ungeschrieben) entstehen60, was zur Grundregel des Art. 70 I GG zurückführen würde. Die Situation, dass kein Kompetenzträger zur Regelung befugt wäre, der Verzicht also auch ohne Begründung einer Bundeskompetenz wirksam wäre, liefe erstens dem Sinn und Zweck des Art. 70 I GG, zweitens dem auf Vollständigkeit angelegten Kompetenzverteilungssystem des Grundgesetzes insgesamt und drittens rechtsstaatlichen Grundsätzen zuwider, was zur Unwirksamkeit eines derartigen Verzichts führen würde. Bei Bestehen einer Doppelkompetenz wäre jedoch auch ein Verzicht der Länder durchaus denkbar. Hier handelte es sich gerade nicht um einen Fall der soeben beschriebenen Art. Vielmehr sind nach obiger Definition61 im Falle einer Doppelkompetenz beide Kompetenzträger zuständig. Ein Länderverzicht käme also keiner Kompetenzübertragung, sondern nur einer restriktiven Gebrauchmachung der eigenen Kompetenz gleich. Ausfluss der Staatsqualität einerseits, der grundgesetzlichen Gesetzgebungsbe58

Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 159. Vgl. hierzu auch den Wortlaut der Art. 30 und 70 I GG. Dazu auch Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 12. Ebenso Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 159, 165; BVerfGE 1, 14 (35). 60 Diesbezüglich kann auf obige Ausführungen verwiesen werden. Freilich handelte es sich in dieser Konstellation ohnehin um eine Art der Kompetenzübertragung. 61 Siehe hierzu die Behandlung der einzelnen Konkurrenzarten im 3. Teil. 59

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fugnis andererseits muss es jedoch sein, dass jeder Kompetenzträger nach seiner Auffassung gesetzgeberisch tätig werden kann.62 Eine Pflicht zur Gesetzgebung ergibt sich nicht aus der Kompetenzordnung selbst63, sondern nur „auf Grund von Verfassungsaufträgen, Verfassungsdirektiven und rechtsstaatlich-demokratischer Wesentlichkeitsvorbehalte“64. Auch dies ist nur in begrenzten Fällen, beispielsweise aufgrund des Rechtsstaatsprinzips bei starker Regelungsbedürftigkeit, gegeben. Ein Verstoß hiergegen kann jedoch im Falle einer Doppelkompetenz ohnehin nicht festgestellt werden, da zumindest auch der Bund gesetzgebungsbefugt ist und auch dieser rechtsstaatlichen Pflichten nachkommen kann. Zusammenfassend kann für diesen Teilbereich also festgehalten werden, dass Kompetenzübertragungen im weiteren Sinne grundsätzlich nur in den grundgesetzlich vorgesehenen Fällen möglich sind. Regelungen im Grundgesetz bestehen jedoch nur für die Übertragung von Bundeskompetenzen, nicht dagegen für die Übertragung von Landeskompetenzen. Einen Sonderfall dazu bildet die – vom grundgesetzlichen Kompetenzverteilungssystem ursprünglich ohnehin nicht vorgesehene – Figur der Doppelkompetenz. Hierbei handelt es sich seitens der Länder lediglich um eine restriktive Gebrauchmachung ihrer Kompetenz. Diese verbleibt dabei jedoch grundsätzlich in ihrer Zuständigkeit, sodass sich die Probleme einer Kompetenzübertragung nicht stellen. Dass diese Verzichte durch kooperative Auseinandersetzung und Vereinbarung in Gestalt eines Staatsvertrages ausgehandelt und vereinbart werden, schadet aufgrund der generellen Befugnis von Bund und Ländern zum Abschluss solcher Verträge nicht. dd) Zulässigkeit dynamischer Verweisungen Weder um eindeutige Kompetenzübertragung noch um Kompetenzverzicht im oben beschriebenen Sinne handelt es sich dagegen bei dynamischen Verweisungen65 eines Kompetenzträgers auf das Recht des anderen Kompetenzträgers. Die Zulässigkeit solcher Regelungen erscheint jedoch abermals fraglich.66 Zwar wäre 62

Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 14 f. Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 63; Sannwald, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 70, Rdnr. 10. 64 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 63. Hier unter Verweis auf Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 304 ff. 65 Statische Verweisungen dagegen erscheinen weitgehend unbedenklich, vereinfachen sie doch den bloßen Gesetzgebungsprozess (vgl. dazu nur BVerfGE 78, 32 (35 f.)). Durch eine bloß statische Verweisung wird jedoch der hier zu behandelnde Punkt der Kompetenzübertragung (im weiteren Sinne) nicht berührt, da hier auf ein bestehendes Gesetz in seiner konkreten Form Bezug genommen wird. Eine Änderung des Gesetzes, auf das Bezug genommen wurde, führte in diesem Falle nicht zu einer Änderung des bezugnehmenden Gesetzes, wodurch der verweisende Gesetzgeber nach wie vor die volle Zuständigkeit und den vollen Zugriff auf die ihm grundgesetzlich zugewiesene Gesetzgebungsmaterie hat. 66 Erbguth, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 30, Rdnr. 12. 63

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

es auch Ausdruck des jeweiligen Willens der Landeslegislative, den Regelungen des Bundes zu folgen. Die ihm übertragene Aufgabe zur Gesetzgebung erfüllte der Landesgesetzgeber dadurch jedoch nicht, da durch die Verweisung die Entscheidung über den Inhalt der Gesetze – und damit über das anzuwendende Recht – einem anderen, nämlich dem Bundesgesetzgeber übertragen werden würde.67 Dennoch sieht das Bundesverfassungsgericht „auch dynamische Verweisungen nicht [als] schlechthin ausgeschlossen [an], und zwar [auch] dann nicht, wenn keine Identität der Gesetzgeber besteht, wenn also [beispielsweise] der Bundesgesetzgeber auf landesrechtliche Vorschriften in ihrem jeweiligen Bestand verweist.“68 Vielmehr existiere ein Rahmen für dynamische Verweisungen, „den die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Bundesstaatlichkeit ziehen“69. Aus dem Prinzip des Rechtsstaates und dem Demokratieprinzip folgt allerdings zum einen, dass die „öffentliche Gewalt in allen ihren Äußerungen auch durch klare Kompetenzordnung und Funktionentrennung rechtlich zu binden“70 ist, zum anderen, „daß jede Ordnung eines Lebensbereichs durch Sätze objektiven Rechts auf eine Willensentschließung der vom Volke bestellten Gesetzgebungsorgane muß zurückgeführt werden können“71. Dieser letztgenannten Entscheidungspflicht kann sich der Gesetzgeber jedoch auch im Rahmen des bundesstaatlichen Geflechtes nicht entziehen. „Vielmehr ist in einem Staatswesen, in dem das Volk die Staatsgewalt am unmittelbarsten durch das von ihm gewählte Parlament ausübt, vor allem dieses Parlament dazu berufen, im öffentlichen Willensbildungsprozeß unter Abwägung der verschiedenen [. . .] Interessen über die von der Verfassung offen gelassenen Fragen des Zusammenlebens zu entscheiden“.72 Diesem Grundsatz (vor allem dem des Demokratieprinzips) widerspräche es jedoch, wenn die einer Landesgesetzgebung grundgesetzlich zugewiesenen Gesetzgebungsmaterien im Grunde durch ein anderes Parlament, nämlich den Bundestag, bestimmt würden.73 Dementsprechend, so auch das Bundesverfassungsgericht, „bedeutet [. . .] eine dynamische Verweisung mehr als eine bloße gesetzestechnische Vereinfachung; sie führt zur versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen“74. Aufgrund dessen muss der zuständige Gesetz67 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 70, Rdnr. 17. Dieses Problem sieht auch das Bundesverfassungsgericht, vgl. BVerfGE 78, 32 (36). 68 BVerfGE 47, 285 (312). 69 BVerfGE 78, 32 (36). 70 BVerfGE 33, 125 (158). 71 BVerfGE 33, 125 (158). 72 BVerfGE 33, 125 (159) (Hervorhebung durch den Verfasser). 73 Gleiches muss im Umkehrschluss für die dynamische Verweisung von Bundes- auf Landesrecht gelten. Hier sogar noch in verschärfter Weise, da Adressaten des verweisenden Bundesrechts alle Bundesbürger wären. Bei einer Verweisung des Bundesrechts auf beispielsweise bayerisches Landesrecht hätten jedoch nur die in Bayern lebenden Bürger das letztendlich entscheidende Parlament gewählt. 74 BVerfGE 47, 285 (312).

A. Auflösungsmöglichkeiten

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geber zur Wahrung dieser Vorgaben des Demokratieprinzips grundsätzlich selbst für die ordnungsgemäße Inkraftsetzung und Verkündung seiner Gesetze und deren Änderung oder gar deren Außerkrafttreten sorgen75, denn: auch wenn „die Verfassung [im Übrigen] eine Delegation von Normsetzungsbefugnissen an andere erlaubt, darf der zuständige Gesetzgeber sich seiner Verantwortung für den Inhalt der Normierung jedenfalls nicht völlig entäußern“76. Gerade dieses letztgenannte Erfordernis beraubt die dynamische Verweisung jedoch ihres Zwecks der Vereinfachung der Gesetzgebung und der „inhaltlichen Übertragung“ der Kompetenznorm, wenn jede Änderung des Gesetzes, auf das verwiesen wurde, wiederum eine Änderung des verweisenden Gesetzes nötig machte.77 Zudem scheint abermals Art. 79 GG berührt. Es liegt, wie dargestellt, nicht in der Macht eines Landesgesetzgebers, grundgesetzlich vorgeschriebene Kompetenzen zu verschieben. Unerheblich muss sein, ob eine derartige Verschiebung ausdrücklich und unmittelbar durch Vertrag oder Gesetz oder mittelbar, versteckt in einer dynamischen Verweisung, erfolgt. Zwar läge es in der Kompetenz des Landesgesetzgebers, gleichlautende sachliche Regelungen ähnlich solcher des Bundes zu erlassen. Dynamische Verweisungen, die Bundesrecht ohne erneute Willensbildung seitens eines Landesgesetzgebers landesrechtlich inkorporieren, sind dagegen gemäß obiger Argumentation nicht möglich.78 Ob jedoch überhaupt eine Konstellation denkbar ist, die die Möglichkeit einer dynamischen Verweisung im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen eröffnet, erscheint sehr fraglich, da das Kompetenzverteilungssystem des Grundgesetzes grundsätzlich auf alternative Zuständigkeit ausgelegt ist. Wiederum wäre lediglich in Fällen der Doppelkompetenz Raum für Vereinbarungen, aus welchen dynamische Verweisungen resultieren könnten. Wie aufgezeigt, besteht aber aufgrund der Unzulässigkeit von dynamischen Verweisungen im Bereich der Kompetenzordnung diese Möglichkeit der Konkurrenzauflösung ohnehin nicht. 75 BVerfGE 47, 285 (315). Dazu auch Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf: GG, Art. 70, Rdnr. 18. 76 BVerfGE 47, 285 (315). 77 Dem entsprechend Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 70, Rdnr. 18. 78 Anderer Ansicht ist das OVG Hamburg in NJW 1980, S. 2830 ff. Der im Rahmen der Argumentation des Gerichts angeführte Vergleich von durch Rechtsprechung und Verwaltung ausgeformten Generalklauseln und dynamischen Verweisungen hinkt jedoch erheblich. Während Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe, ebenso wie die Einräumung von Ermessen, teils notwendiges Mittel der Verhältnismäßigkeit sind, besteht in dynamischen Verweisungen eines Kompetenzträgers auf den anderen keinerlei materiell rechtliche Notwendigkeit. Die allenfalls bestehende gesetzestechnische Vereinfachung darf über demokratische Grundprinzipien nicht hinwegtäuschen. Eine Besonderheit besteht im hier erwähnten Urteil darin, dass es sich gegenständlich um einen Bereich der Leistungsverwaltung handelte, weshalb das Erfordernis einer geschriebenen Rechtsgrundlage nicht in gleichem Maße vorhanden ist wie im Bereich der Eingriffsverwaltung. Im Ergebnis ist jedoch an dem hier gefundenen Ergebnis der Unzulässigkeit von dynamischen Verweisungen festzuhalten.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Wiederum muss die durch die Föderalismusreform geschaffene Lage im Anwendungsbereich des Art. 72 III 1 GG differenziert gesehen werden.79 Hier ist es den Ländern grundgesetzlich gestattet, von bundesrechtlichen Regelungen abzuweichen. Da die Länder bundesgesetzliche Regelungen nicht (vollständig) ersetzen müssen, sondern durchaus nur in Teilen vom Bundesrecht abweichen können, besteht hier die Möglichkeit für den Landesgesetzgeber, auf das sonst geltende Bundesrecht zu verweisen. Auswirkungen auf andere Kompetenzbereiche außerhalb des Art. 72 III 1 GG ergeben sich hieraus jedoch nicht. Insoweit bleibt es bei der Unzulässigkeit entsprechender Verweisungen. Während kompetenzübertragende Maßnahmen ausdrücklicher oder mittelbarer Natur also (hauptsächlich) aufgrund des Verstoßes gegen Art. 79 I 1 GG80 unzulässig sind, bleibt die Frage zu klären, inwieweit andere Formen kooperativer Vereinbarungen möglich sind. ee) Staatsvertragliche Vereinbarung eines Auslegungsergebnisses Schlussendlich sind noch Vereinbarungen über die Auslegung einzelner Kompetenztitel denkbar. Zwar könnten hierdurch keine Doppelkompetenzen im dargestellten Sinne vermieden werden. Für Auslegungskonkurrenzen bestünde jedoch durchaus die Möglichkeit81 der Auflösung. In diesem Zusammenhang kann abermals das oben schon erwähnte Lindauer Abkommen beispielhaft82 herangezogen werden, durch das gerade keine unwiderrufliche Kompetenzübertragung auf den Bund erfolgt.83 Es handelt sich vielmehr um eine Absprache der Staatsund Senatskanzleien und des Auswärtigen Amtes über die Interpretation des Art. 32 GG, aus welcher sich „bei Wahrung der unterschiedlichen rechtlichen Standpunkte von Bund und Ländern eine in der Staatspraxis brauchbare, rechtlich unverbindliche Interpretation zu Art. 32 Abs. 2 und 3 GG“84 ergibt. 79

Hierzu bereits oben 3. Teil B. II. Als zusätzliches Argument kann noch die grundsätzliche Überlegenheit des Bundes in Bezug auf Finanzmittel und bestehende Kompetenzen angeführt werden. Die weiteren Argumente von Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 162 ff., müssen vor der veränderten verfassungsrechtlichen Situation modifiziert werden oder außer Betracht bleiben. 81 Im Rahmen von völkerrechtlichem Handeln auf EU-Ebene wurde zum Teil gerade ein Bund-Länder-Abkommen gefordert, um bestehende Unsicherheiten im Rahmen von Art. 23 und 32 GG zu beseitigen. Vgl. dazu Clostermeyer/Lehr, DÖV 1998, S. 148 ff. Zur Klärung der Zuständigkeitsverteilung als Motiv für kooperatives Handeln Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 144. 82 Die Eignung dieses Beispiels ist in gewissem Maße zu relativieren. Das Abkommen beinhaltet gerade eine nur rechtlich unverbindliche Interpretation des Art. 32 GG, wodurch die eigentlich geforderte Rechtsverbindlichkeit nicht gewährleistet ist. Dennoch kann hieran die prinzipielle Möglichkeit und Ausgestaltung derartiger Vereinbarungen aufgezeigt werden. Unter Berücksichtigung dieses Umstands ist die beispielhafte Erwähnung des Lindauer Abkommens hier durchaus gerechtfertigt. 83 Herdegen, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 79, Rdnr. 29. 80

A. Auflösungsmöglichkeiten

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Bezüglich der allgemeinen Zulässigkeit von Vereinbarungen über die jeweilige Interpretationsweise bestehen zunächst ähnliche Bedenken wie im Rahmen der Übertragung ganzer Kompetenztitel hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit. Auch hier könnte man sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, zumindest mittelbar verfassungsrechtlich determinierte Vorschriften durch Vereinbarung zu verkürzen oder in ihrem Anwendungsbereich zu beschneiden. Im Gegensatz zum Bereich der vollständigen „Veräußerung“ der Kompetenztitel trägt dieser Einwand hier jedoch nicht. Wie bereits mehrfach erwähnt, ist es durchaus möglich, dass sich für verschiedene Sachverhalte bezüglich der Auslegung einer Norm verschiedene Ergebnisse zeigen. Gleiches gilt auch für die Auslegung einer Norm für nur einen Sachverhalt. Das Ergebnis mit alleiniger Richtigkeit kann es nicht geben.85 Wenn nun jedoch der Inhalt einer Norm durch methodisch korrektes Vorgehen aufgedeckt wurde und mehrere Sichtweisen von diesem Inhalt gedeckt sind, so widerspricht es keinesfalls dem Prinzip der Gesetzesbindung, wenn sich Bund und Länder auf ein konkretes Auslegungsergebnis einigen und dieses zur Grundlage ihres künftigen legislativen Handelns machen. Der Inhalt der Norm gibt in diesem Falle mehrere vertretbare Alternativen vor und deckt auch die jeweils vereinbarte Sichtweise ab. Bund und Länder führen hier keine verdeckte Grundgesetzänderung durch, wie etwa im Falle der gänzlichen Kompetenzübertragung unter Verstoß gegen Art. 79 I 1 GG, sondern halten sich im verfassungsrechtlich vorgegebenen inhaltlichen Rahmen. Durch derartige Vereinbarungen wäre im Gegenteil nur schwer anwendbares, weil in der Interpretationsmöglichkeit weit gefasstes Verfassungsrecht besser handhabbar gemacht, was zu zusätzlicher Rechtsklarheit und Rechtssicherheit führen würde.86 Nur der verfassungsändernde Gesetzgeber vermag die bestehenden Auslegungsspielräume und dadurch entsprechende Vereinbarungen zu vermeiden.87 c) Probleme der Auflösung von Kompetenzkonflikten durch Bund-Länder-Kooperation Wie im Vorangehenden erörtert, ist es den beteiligten Kompetenzträgern in Gestalt von Bund und Ländern in den meisten Fällen durch die grundgesetzlichen Vorgaben, speziell durch den in Art. 79 I 1 GG festgeschriebenen Grundsatz der „Urkundlichkeit und Einsichtbarkeit jeder Verfassungsänderung“88, sowie 84 Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1096. Näher hierzu beispielsweise Stern, in: FS Carl Heymanns Verlag, S. 259 ff. 85 Dazu oben 2. Teil A. 86 Für eine Notwendigkeit der Bund-Länder-Kooperation im Hinblick auf Anwendung und Auslegung rechtlich umstrittener Kompetenzen ist Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1099. 87 Dass eine Verfassung jedoch einer gewissen Abstraktheit bedarf, wurde bereits im Laufe der Arbeit unter 2. Teil A. III. 1. deutlich gemacht. 88 BVerfGE 9, 334 (336).

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

durch das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ganz überwiegend nicht möglich, Kompetenzkonflikte durch Staatsvertrag zu lösen. Abgesehen von den grundgesetzlich gewährten Möglichkeiten des Bundesgesetzgebers, per schlichtem Regelungsverzicht oder durch Gesetz Regelungsmaterien für die Länder zugänglich zu machen und der beschränkten Möglichkeit der Landesgesetzgeber, durch Verzicht im Falle einer Doppelkompetenz selbige aufzulösen, zeigen sich auch von anderer Seite deutliche Schwierigkeiten, die die Eignung kooperativer Lösungen zur Beseitigung von Kompetenzkonflikten in Frage stellen. Auch die generell zulässige Vereinbarung eines spezifischen Auslegungsergebnisses sieht sich diesen Problemen ausgesetzt. So sind alle angesprochenen Lösungsvarianten Zugeständnisse zumindest einer Seite. Diese Zugeständnisse wird der jeweilige Kompetenzträger jedoch nur aufgrund einer vorher getroffenen Vereinbarung mit dem anderen Kompetenzträger als Erfüllung einer ihm dadurch auferlegten Pflicht machen. Abgesehen davon bedürfen Abmachungen bezüglich rechtsstaatlich so gewichtiger Bereiche wie dem der Gesetzgebung eines Staatsvertrags als höchste Stufe kooperativen Handelns.89 In diesem kooperativen Element, das doch einige Auflösungsmöglichkeiten zu gewähren scheint, liegt jedoch auch eine der größten Schwierigkeiten. So werden im Vorhinein nicht alle sich möglicherweise ergebenden (und überhaupt kooperativ zu lösenden) Konkurrenzen erkennbar sein. Präventive Vereinbarungen zur Vermeidung von Kompetenzkonkurrenzen scheinen daher nur sehr begrenzt möglich. Abgesehen davon wären generalpräventive Vereinbarungen, etwa dergestalt, dass immer der Bund für streitige Kompetenzlagen zuständig sein soll, mit den oben aufgezeigten Grundsätzen nicht vereinbar. Zudem ist wohl nicht anzunehmen, dass sich die Länder auf eine derartige Vereinbarung einließen. Sind also präventive Regelungen nicht möglich, so gilt es, im sich jeweils zeigenden Fall einer Konkurrenz kooperativ zu reagieren. Hieraus ergibt sich jedoch eine weitere Schwierigkeit. Zum einen ist nicht davon auszugehen, dass sich in einem akut auftretenden Kompetenzkonflikt beide Kompetenzträger unverzüglich zusammensetzen und eine Vereinbarung schließen, wonach einer von beiden auf seine Ausübung der in Streit stehenden Kompetenz verzichtet. Zum anderen, und dies verstärkt den soeben genannten Punkt noch deutlich, müssten sich alle sechzehn Länder und der Bund in einem omnilateralen Vertragswerk auf eine Lösung einigen. Dass sich dies gerade bei häufig differierenden politischen Machtverhältnissen in Bund und Ländern und noch dazu in einem gerade erst aufgetretenen Konfliktfall als eine nahezu unlösbare Aufgabe darstellt, liegt auf der Hand.90 Auch das mögliche Argument, Bund und Länder seien rechtsstaatlich dazu verpflichtet91, eine

89 Dies hauptsächlich, um Außenwirkung und dadurch Rechtssicherheit für die jeweiligen Normadressaten zu erlangen. 90 Ähnlich auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 146.

A. Auflösungsmöglichkeiten

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möglichst rasche Lösung zu finden, vermag hier nur wenig weiterzuhelfen: „Eine Pflicht zur Kooperation der Länder untereinander und mit dem Bunde besteht [. . .] grundsätzlich nicht.“92Auch zum Abschluss entsprechender Staatsverträge lässt sich eine Pflicht nicht konstruieren. Dies ist die Kehrseite der grundsätzlichen Berechtigung der Länder, als Ausfluss ihrer Staatlichkeit ihre eigenen Angelegenheiten eigenständig und eigenverantwortlich zu regeln.93 Anderes kann sich zwar für den Bereich des Grundrechtsschutzes ergeben. So kann sich hier „die [. . .] Frage stellen, was die Länder – etwa durch den Abschluß von Staatsverträgen – ihrerseits unternehmen können und müssen, um ihrer Mitverantwortung für eine kooperative Verwirklichung des Grundrechtsschutzes gerecht zu werden. Diese Mitverantwortung beruht [zwar grundsätzlich] darauf, daß der einheitlich geltende Grundrechtsschutz gegenüber der Gesetzgebung des Bundes wie der Länder gleichermaßen garantiert ist“94, sagt aber nichts über eine „Verfassungspflicht zur Harmonisierung“95 der Gesetzgebungskompetenzen aus. Schließlich wäre der Funktionalität und Übersichtlichkeit der Kompetenzordnung, Letzteres war immerhin Ziel der Föderalismusreform 200696, sicherlich ein Bärendienst erwiesen. Sachgerechte, funktionelle Lösungen wären durch die politische Prägung und die damit verbundene Notwendigkeit zu Kompromissen höchst unwahrscheinlich97, was insgesamt wohl zu dem Ergebnis führen muss, dass kooperative Lösungen – rechtlich wie tatsächlich – nur äußerst bedingt dazu in der Lage sind, Kompetenzkonflikte auf befriedigende Weise zu lösen. d) Koordination zwischen den Ländern In begrenztem Umfang soll nun noch auf den Bereich der Länderkoordination eingegangen werden. Zwar hat dies nicht unmittelbar Einfluss auf die Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Ländern. Durch die Möglichkeit98, mittels Absprachen unter Beteiligung aller Länder bundeseinheitlich gleichwertige Regelungen im Sinne des Art. 72 II GG zu schaffen, besteht aber zumindest die Mög91 Dazu und speziell zu aus dem Prinzip der Bundestreue entwickelten Pflichten Bauer, Die Bundestreue, S. 170 ff., speziell S. 174. Für „verfassungsrechtlich angeordnete Kooperation“ Sˇarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 247. 92 Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1131. 93 Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1131. 94 BVerfGE 33, 303 (357 f.). 95 Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1131. 96 Vgl. allein BTDrucks. 16/813, S. 1. 97 Ähnliches stellt Hesse für Kooperationen allgemein fest: „Selbst wenn aber eine Einigung über neue Lösungen erzielt wird, ist dies oft nur auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners möglich“ (Hesse, in: FS Müller, S. 146). 98 Die Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse wird das hauptsächliche Motiv für kooperatives Tätigwerden in diesem Sinne sein, vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 143.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

lichkeit, den Bund seiner Bedarfskompetenz zu „berauben“.99 Insofern zeigt sich, dass derartige Absprachen auch kompetenzrechtlichen Charakter haben können. Die Frage nach dem Vorliegen der Erforderlichkeit der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Sinne des Art. 72 II GG ist nach oben vorgenommener Differenzierung100 im Streitfall als Auslegungskonkurrenz zu behandeln. Eine länderübergreifende Regelung wäre unter Umständen in der Lage, diese zu beseitigen.101 Die generelle Zulässigkeit von kooperativen Vereinbarungen der Bundesländer untereinander ist angesichts der Anerkennung durch Rechtsprechung102 und Literatur103 kaum bestreitbar104 und erscheint als „föderale Selbstverständlichkeit“105. Hauptargument hierfür dürfte ebenfalls die oben herausgearbeitete Staatsqualität der Länder und die daraus resultierende Handlungsfreiheit106 sowie Art. 32 III GG sein. Den Rahmen für Zwischenländerverträge bildet jedoch wiederum das Grundgesetz107, speziell die verfassungsrechtlich vorgegebene Kompetenzordnung. Selbstverständlich sind auch die tragenden Ordnungsprinzipien des Bundesstaates zu wahren.108 Fraglich ist jedoch, inwieweit die von Art. 72 II GG geforderte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse mittels kooperativer Vereinbarung zwischen den Ländern hergestellt werden kann, um so die Erforderlichkeit im Sinne der Norm und gleichzeitig den Bund von seiner Bedarfskompetenz auszuschließen. Gleichwertigkeit im Sinne des Art. 72 II GG erfordert zumindest ein gewisses Maß an Effektivität.109 Hierzu ist es erforderlich, dass eine entsprechende Vereinbarung zum einen bundesweit, zum anderen verbindlich gilt. Von vorn herein kommt 99 In eine ähnliche Richtung gehen Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1100 und Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 8. 100 Siehe dazu 3. Teil B. 101 Dass länderübergreifende Kooperation und Koordination unitarisierend und damit gegen die bundesstaatliche Vielfalt wirkt, ist zwar richtig (vgl. Hesse, in: FS Müller, S. 145). Dies muss hier jedoch dahingehend relativiert werden, dass ein gewisser Grad an Gleichlauf den Ländern mehr an Kompetenz übrig lässt als dies bei einem „Übergang“ in eine Bundeskompetenz der Fall wäre. 102 Erstmals BVerfGE 12, 205 ff., später BVerfGE 87, 181 (196) und BVerwGE 22, 299 ff., speziell 305 ff. 103 Vgl. hierzu Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 121, mit weiteren Hinweisen in Fn. 2. 104 Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 114; Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 42. 105 Schneider, VVDStRL 19 (1961), S. 2. 106 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 155; Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 673. 107 Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 159. 108 Hierzu Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 163. 109 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 138.

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daher als Kooperationsmittel wiederum nur die Regelung mittels Staatsvertrag in Betracht, da dieser, wie dargestellt, rechtliche Verbindlichkeit gewährleistet. Zu klären bleibt in diesem Rahmen, welche rechtliche Qualität den abgeschlossenen Staatsverträgen zukommt, aus welcher Rechtsschicht110 also die Verbindlichkeit der Staatsverträge resultiert.111 Für die effektive Gewährung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist es durchaus von Bedeutung, aus welcher Ebene die Verbindlichkeit resultiert und ob sie beispielsweise durch den erneuten Erlass eines dem Staatsvertrag widersprechenden Landesgesetzes berührt wird. Dies wäre der Fall, teilten die staatsvertraglichen Normen das Schicksal der Transformationsgesetze, wonach sie Geltung als (reines) Landesrecht erhielten. Weitergehend wäre nach den innerstaatlichen Folgen, also den Auswirkungen von Änderungen im Land selbst, und den zwischenstaatlichen Folgen, also wie sich ein Verstoß gegen einen Staatsvertrag unter den Ländern als Vertragsparteien auswirkt, zu differenzieren. Im Rahmen dieser Arbeit kann eine tiefere Auseinandersetzung mit den angesprochenen Problemen allerdings nicht erfolgen. Im Ergebnis wird jedoch die traditionelle Lehre112 abzulehnen sein, wonach Staatsverträge durch den parlamentarischen Zustimmungsakt in Landesrecht transformiert werden und fortan das landesrechtliche Schicksal teilen. Hierbei würde später erlassenes Landesrecht das vorher transformierte Staatsvertragsrecht verdrängen. Die so entstehende Divergenz zwischen staatsvertraglicher Verpflichtung und innerstaatlicher Rechtslage wäre hinzunehmen oder bewirkte allenfalls eine Verpflichtung für den Landesgesetzgeber, die landesrechtliche Lage anzupassen.113 Vielmehr ist der Ansicht114 zu folgen, die in einigen Entscheidungen der Rechtsprechung115 ihren Ursprung nimmt und nach der staatsvertragliche Verpflichtungen landesrechtlichen Normen vorgehen, Staatsverträge also selbst als Bundesrecht116 zu qualifizieren sind. „Ein wirksamer Staatsvertrag verpflichtet die Länder [demnach] bundesrechtlich zur Einhaltung und notfalls dazu, ihre interne Rechtslage staatsvertragsgemäß zu gestalten.“117

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Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 230 ff. Auf den Problemkreis, ob dies intraföderatives Völkerrecht darstellt oder analog wie dieses zu behandeln ist, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Vgl. dazu aber Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1127 ff. und Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 239 ff. 112 Eine Übersicht findet sich bei Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 223, Fn. 8 und S. 233, Fn. 56. 113 Siehe dazu die Übersicht im Rahmen der Schlussbetrachtung bei Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 381 ff. Für eine Schaffung einer „dritten Rechtsebene“ dagegen Rudolf, in: HdBStR IV, S. 1127. 114 Zum Ganzen siehe Vedder, Intraföderale Staatsverträge. 115 BVerfGE 4, 250 ff.; 34, 216 ff. BVerwG 50, 124 ff. 116 Der Gesetzgebungsakt liegt hier allerdings nicht in den einzelnen Landesgesetzgebungsakten, sondern im Gesamtakt des Vertragsabschlusses. 117 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 389. 111

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Ausgehend von dem – insoweit anerkannten und unbestrittenen – Umstand, dass Staatsverträge ungeschriebenem Bundesverfassungsrecht unterliegen, könne sich für das Verhältnis der staatsvertraglichen Regelungen zu den sonstigen landesrechtlichen Regimen bei Wirksamkeit im Zwischenländerverhältnis118 nur ergeben, dass entsprechende Normkollisionen119 auf Landesebene zu Lasten120 des Landesrechts gelöst werden müssten.121 Dies ergebe sich als Teilaspekt aus dem bundesrechtlichen Grundsatz pacta sunt servanda.122 Eines der tragenden Argumente letzterer Ansicht ist zudem, dass eine „Reihe von Staatsverträgen, z. B. im Hochschul- und Rundfunk- bzw. Medienrecht, [. . .] sogar in grundrechtlich sensiblen Bereichen die Rechtsstellung der Bürger [definiert].“123 Die rechtliche Qualität solcher Staatsverträge liege jedoch sehr viel stärker in der Schaffung bundesweit einheitlichen Rechts als in der Regelung von Rechtsverhältnissen im Verhältnis der vertragsschließenden Länder untereinander.124 Zudem schließe sich die – aus Gründen des Individualrechtsschutzes ohnehin bedenkliche – Lücke der Revisibilität.125 Letzterer Ansicht folgend wäre also das für Art. 72 II GG notwendige Maß an Effektivität gewährleistet. Den Ländern wäre es demzufolge durch kooperative beziehungsweise koordinierende Vereinbarungen möglich, die Erforderlichkeit bundeseinheitlicher Regelung im Sinne des Art. 72 II GG entfallen zu lassen und dadurch den Bundesgesetzgeber im Bereich der konkurrierenden Bedarfsgesetzgebung insoweit zu sperren. Auswirkungen für andere Kompetenzbereiche ergeben sich indes nicht, was die Notwendigkeit der Darstellung weiterer möglicher Auflösungskriterien deutlich macht. e) Zusammenfassung kooperativer Auflösungsmöglichkeiten Für das Feld der bundesstaatlichen Kooperation zwischen den einzelnen Ländern aber auch zwischen Bund und Ländern ergibt sich somit nur eine beschränkte Eignung zur Auflösung von Kompetenzkonflikten. Zum einen sind kooperative Vereinbarungen ohnehin nur in der Lage, Auslegungskonkurrenzen zu 118 Hierbei sind zum einen bundesverfassungsrechtliche Vorgaben wie beispielsweise die Wahrung der Kompetenzordnung zu beachten, zum anderen wird auch wesentliches Landesverfassungsrecht mit Hilfe bundesrechtlicher Institute geschützt. 119 Die Vermeidung von Normkollisionen auf Landesebene ist aus rechtsstaatlichen Gründen ebenso notwendig wie im Verhältnis von Bund und Ländern. 120 Bei offenkundiger Rechtswidrigkeit eines Staatsvertrages dagegen bleiben auch die landesrechtlichen Regelungen bestehen. 121 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 388. 122 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 389. 123 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 224. Als Beispiel wird hier der Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen angeführt (S. 95). 124 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 224. 125 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 391.

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beheben, zum anderen ergibt sich aus der Vertragseigenschaft der Vereinbarungen zwingend, dass beide Parteien mit gutem Willen zusammenarbeiten müssen. Obendrein geben (gewöhnlich) liberale Kündigungsklauseln in Staatsverträgen den jeweiligen Vertragspartnern die Möglichkeit, sich meist ohne Gründe und nach Ablauf einer gewissen Zeit von Staatsverträgen loszusagen, was oben angesprochene Effektivität durchaus zu relativieren vermag.126 Unabhängig von einer in Teilen gegebenen rechtsstaatlichen (und ohnehin nur schwer durchsetzbaren) Verpflichtung der Länder und des Bundes zur Zusammenarbeit, erscheint es doch von vornherein fraglich, ob gerade in der Situation eines Kompetenzkonfliktes die Bereitschaft zur sinnvollen, effektiven Zusammenarbeit zur Erlangung zielführender Ergebnisse vorhanden ist.127 2. Kompetenzvermutung zu Gunsten des Bundes oder der Länder? Als zweiten Punkt, der gewissermaßen bei allen Kompetenzkonkurrenzen ausschlaggebend für die Auflösung sein kann, ist die Möglichkeit einer Vermutung zu Gunsten des einen oder anderen Kompetenzträgers heranzuziehen. Bereits im Bereich der Auslegung wurde der Begriff der Vermutung behandelt. Während dort jedoch aufgrund einer Auslegungs(vor-)gewichtung zu Gunsten des einen oder anderen Kompetenzträgers der Qualifizierungsvorgang an sich betroffen war, so soll hier die Eignung einer sich aus dem Grundgesetz ergebenden Vermutungswirkung für den einen oder anderen Kompetenzträger als Auflösungskriterium untersucht werden.128 Dies natürlich nur unter dem Vorbehalt, dass sich eine entsprechende Vermutung zu Gunsten eines Kompetenzträgers überhaupt feststellen lässt.129 Ein geringer Unterschied im Hinblick auf die verschiedenen Konkurrenzarten besteht dennoch, auch wenn in diesem Abschnitt allgemeingültige Auflösungsmittel untersucht werden sollen: Während die Auslegungskonkurrenz ihre hauptsächliche Behandlung bereits auf Ebene der Auslegung erfährt, ist eine endgültig 126 Isensee sieht darüber hinaus in kooperativem Zusammenwirken eine „Praxis der ,abweichenden Kompromisse und Handhabungen‘“, welche das Staatsrecht an „allen Ecken und Enden“ aufzuweichen drohe (Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 729). 127 Entsprechend auch schon Hesse, in: FS Müller, S. 145 f. 128 Letztenendes handelt es sich hierbei um die Untersuchung, ob sich aus dem grundgesetzlichen Kompetenzverteilungssystem Argumente für eine grundsätzlich eher bundesfreundliche oder eine landesfreundliche Verteilung ergeben. Im Ergebnis führte eine Vermutungswirkung immer zur Bejahung einer Kompetenz desselben Kompetenzträgers. Dies wäre unabhängig davon auf welcher Stufe man eine entsprechende Vermutungswirkung annehmen würde. Da jedoch gezeigt werden konnte, dass die Auslegung nicht der richtige Ort zur Behebung aller Kompetenzkonkurrenzen ist, ist schon aufgrund der größeren methodischen Tragfähigkeit das Bestehen von Vermutungsregeln auch im Bereich der Auflösung zu untersuchen. 129 Jegliche Vermutungswirkung, sowohl zu Gunsten des Bundes aus Art. 31 GG als auch zu Gunsten der Länder, ablehnend: Wolfrum, DÖV 1982, S. 676 und 678.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

auflösende Behandlung der Doppelkompetenz erst hier möglich. Es mag daher sein, dass sich bezüglich der Auslegungskonkurrenz lediglich ergänzende Argumente aus der hier vorgenommenen Betrachtung ergeben. Dennoch: Generell bestehende Vermutungswirkungen, gleichgültig ob zu Gunsten des Bundes oder der Länder, haben naturgemäß Auswirkungen auf die gesamte kompetenzielle Qualifizierung. Davon umfasst sind Auslegung, Zuordnung und Auflösung gleichermaßen, was eine Behandlung entsprechender Vermutungswirkungen als allgemeines Auflösungskriterium rechtfertigt. Die zentralen Normen zur Begründung einer Vermutungswirkung sind auch hier130 Art. 30 und 70 GG zu Gunsten der Länder sowie Art. 31 GG zu Gunsten des Bundes. a) Vermutung zu Gunsten des Bundes: Anwendung des Art. 31 GG War die Eignung angesprochener Normen zur Auslegungsgewichtung nicht gegeben – im Falle des Art. 31 GG wurde die Notwendigkeit der vorherigen Auslegung und das Bestehen von gültigem Bundesrecht als Voraussetzung zur Anwendung des Art. 31 GG herausgearbeitet – so könnte sich die Situation bei einer Berücksichtigung des Art. 31 GG als Kollisionsnorm im Rahmen der Auflösung durchaus anders darstellen: „Art. 31 GG ist eine Vorschrift, die Normkollisionen lösen soll (BVerfGE 26, 116 [135]); Voraussetzung für die Anwendung einer Kollisionsnorm ist, daß zwei Normen miteinander kollidieren; das heißt aber, die Kollisionsnorm hinweggedacht, müssen beide Normen auf einen Sachverhalt anwendbar sein und bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen können.“131 Im Grunde wären die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Erfordernisse im Falle einer Kompetenzkonkurrenz gegeben: Sowohl eine Bundes- als auch eine Landeskompetenz bestehen und beide führten bei ungehinderter Anwendung jeweils zu anderer Gesetzgebungslegitimation. Indes setzt Art. 31 GG bestehendes Bundes- und Landesrecht voraus. Eine Anwendung der Norm auf die jeweiligen widerstreitenden Kompetenzen wäre nur dann direkt möglich, wenn der Anwendungsbefehl der Norm auch auf die verfassungsrechtlichen Kompetenznormen anwendbar wäre: Bundeskompetenz bricht Landeskompetenz. Dem muss jedoch entgegengehalten werden, dass sowohl die Bundeskompetenz aus Art. 72 ff. GG als auch die Landeskompetenz aus Art. 70 I GG Elemente der Verfassung sind. Die Verfassung ist jedoch unstrittig dem Bundesrechtskreis zuzuordnen. Ungehindert der Tatsache, dass inhaltlich je eine Norm Landeskompetenzen gewährt, die andere eine Bundeskompetenz, sind beide Bundesverfassungsrecht. Daraus ergibt sich, dass es sich hier nicht um die Kollision von Bundes- und Landesrecht, sondern um die Kollision zweier (Bundes-)Ver-

130 Bereits oben im Rahmen der Auslegungsgewichtung war die (letztendlich nicht gegebene) Vermutungswirkung an diesen Normen festzumachen. 131 BVerfGE 36, 342 (363). Ähnlich auch BVerfGE 96, 345 (364).

A. Auflösungsmöglichkeiten

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fassungsnormen handelt. Eine Anwendung des Art. 31 GG auf die Kompetenznormen direkt scheidet daher aus. Eine Vermutungswirkung könnte jedoch in anderer Gestalt bestehen, wenn Art. 31 GG auf das jeweils erlassene Recht und somit mittelbar auch auf die Kompetenzordnung einwirken würde. Art. 31 GG regelt nur den Vorrang von jeweils kompetenzgemäß erlassenem Recht.132 Stellt sich also schon im Rahmen der Auslegung oder Zuordnung heraus, dass einem Hoheitsträger die Kompetenz zum Erlass des nun vermeintlich konkurrierenden Gesetzes fehlt, so ist das betreffende Gesetz nicht erst aufgrund der Anordnung des Art. 31 GG, sondern schon aufgrund des Verstoßes gegen die Kompetenzordnung nichtig.133 Für den Anwendungsbereich des Art. 31 GG verbliebe insoweit nur ein schmaler Anwendungsbereich, ist das grundgesetzliche Kompetenzverteilungssystem doch grundsätzlich auf eindeutige Kompetenzzuweisung ausgelegt.134 Im Fokus der hier angestellten Betrachtungen stehen jedoch – speziell im Bereich der Doppelkompetenz – gerade Konstellationen, in denen bei erster Betrachtung sowohl Bundeskompetenz als auch Landeskompetenz besteht. Diese Konstellationen scheinen genau diesen schmalen Anwendungsbereich zu füllen: Beide Kompetenzträger wären zunächst in der Lage, kompetenzgemäßes Recht zu erlassen. Machten Bund und Länder nun von ihrer jeweils bestehenden Kompetenz Gebrauch, so entstünde kompetenzgemäßes Bundes- und Landesrecht. Dem rechtsstaatlichen Gebot der Auflösung einer derartigen Normkollision könnte nun jedoch die Anwendung des Art. 31 GG gerecht werden. Durch die legislative Tätigkeit der Kompetenzträger entsteht für Art. 31 GG anwendungsfähiges Recht. Die Konkurrenzauflösung fände daher für die Ebene des Verfassungsrechts nur mittelbar statt. Nötig wäre also immer ein vorheriger legislativer Akt beider Kompetenzträger, aufgrund dessen Art. 31 GG dann eingreifen könnte. Ohne beidseitiges legislatives Tätigwerden entstünden wiederum keine unterschiedlichen Rechtswirkungen135 für die Normadressaten, weshalb der rechtsstaatliche Druck zur Auflösung gering wäre. Mittelbare Auswirkung der beschriebenen Anwendung wäre die „Beschneidung“ der Landeskompetenzen und die Auflösung zu Gunsten des Bundesrechts, wie dies Art. 31 GG anordnet. Da der Anwendungsbefehl des 132 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 31, Rdnr. 16. Auch Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 11, mit der Unterscheidung von Unvereinbarkeit und Kollision, wobei Art. 31 GG nur auf Letztere anwendbar sei. 133 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 1. Aufgrund dessen sehen manche (Nachweise bei Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 706) in der Regelung des Art. 31 GG lediglich eine Rechtsfolgeanordnung. Diese spezielle Anordnung für den Verstoß von Landesrecht gegen Bundesrecht wäre jedoch unnötig, sind doch alle rechtswidrigen Normen in der Regel nichtig (vgl. Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 706). 134 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 2. 135 Zum Erfordernis eines unausweichlichen Verhaltensdilemmas für die Anwendbarkeit des Art. 31 GG vgl. Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 13. Hierauf wird an späterer Stelle noch umfassender einzugehen sein.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Art. 31 GG für jegliches Bundes- und Landesrecht gilt, kann insofern bei Kollisionsfällen durchaus von einer Vermutung zu Gunsten des Bundes gesprochen werden: Bei reiner Anwendung des Art. 31 GG wären keine Doppelkompetenzen denkbar, die zu Gunsten der Landesgesetzgeber aufgelöst werden könnten.136 Allgemein anerkannt ist, dass lediglich kompetenzgemäß erlassenes Recht Inhalt des Art. 31 GG sein kann. Kompetenzwidriges Recht ist von vornherein wegen Verstoßes gegen die Kompetenzordnung nichtig.137 Dementsprechend scheiden Kompetenzfragen, welche bereits vorher im Rahmen der Auslegung oder Zuordnung beseitigt werden können, für eine Anwendung des Art. 31 GG aus. Also scheint für solche Fälle, die nicht exakt zwischen einer Bundes- und einer Landeskompetenz liegen, eine Anwendung des Art. 31 GG auszuscheiden. Führte jede, wie auch immer geartete „Verleihung“ von Gesetzgebungskompetenzen durch das Grundgesetz – und sei diese im Vergleich zur Verbindung der zu regelnden Materie mit den Landeskompetenzen noch so schwach – zur Anwendung des Art. 31 GG, so würde die differenzierte Kompetenzordnung des Grundgesetzes überspielt.138 Für Konstellationen also, für die, beispielsweise durch (systematische) Auslegung, eine etwas größere Sachnähe zu einer der konkurrierenden Kompetenzen festgestellt werden kann, bietet Art. 31 GG kein adäquates Auflösungsmittel. Zwar kann Art. 31 GG von vorn herein nur auf beschriebene Situationen von exakt zwischen einer Kompetenz des Bundes und einer Kompetenz eines Landes liegender Regelungsmaterien kollisionslösend einwirken. Zumindest für diesen engen Anwendungsbereich des Art. 31 GG scheint allerdings eine Möglichkeit zur Konkurrenzauflösung zu bestehen.139 Von einer Vermutungswirkung dergestalt, eine Lösungsmöglichkeit zumindest für eine breite Masse der Kompetenzkonkurrenzen zu bieten, scheint Art. 31 GG jedoch bereits jetzt weit entfernt.140 Verstärkt wird dies, da für den ohnehin schon geringen Anwendungsbereich noch zusätzlich gewisse Einschränkungen zu bestehen scheinen. Art. 31 GG ist 136 Das Problem der sich daraus ergebenden „übertriebenen Bundesfreundlichkeit“ der Kompetenzordnung erkennt auch Pestalozza, der dies jedoch unter Verweisung auf ausländische Rechtsordnungen als unbegründet zurückweist (Pestalozza, DÖV 1972, S. 190). 137 Dies wurde bereits oben im Rahmen der Erörterung einer möglichen Auslegungsgewichtung (2. Teil A. IV.) und auch hier mehrfach dargelegt. 138 Ähnlich Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 707. 139 Art. 31 GG als bloße Rechtsfolgeanordnung (vgl. Böckenförde/Grawert, DÖV 1971, S. 123) oder als Norm für Fälle eines inhaltlichen Widerspruchs anzusehen, der nicht zugleich einen Kompetenzverstoß darstellt, kann mit der Argumentation von Pietzcker abgelehnt werden (Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 705 ff.). 140 Aufgrund dessen soll hier auch nicht weiter auf die Anwendbarkeit des Art. 31 GG und die im Zusammenhang mit Kompetenzkonkurrenzen bestehende Kritik hieran eigegangen werden. Eine genauere Untersuchung findet an späterer Stelle unter 4. Teil A. II. 2. b) bb) statt. Hier ist nur die generelle Vermutungswirkung Untersuchungsgegenstand.

A. Auflösungsmöglichkeiten

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eine Kollisionsnorm.141 Voraussetzung für das Eingreifen einer Kollisionsnorm ist schon begrifflich eine Kollision. Fraglich in diesem Zusammenhang ist, ob auch inhaltsgleiches Landesrecht als Kollisionsfall im Sinne des Art. 31 GG angesehen werden kann oder ob in den Fällen identischer Gesetzgebung durch Bund und Länder tatsächlich Bundes- und Landesrecht nebeneinander bestehenbleibt, weil Art. 31 GG mangels Kollisionsfall keine Anwendung findet. Zumindest für Landesverfassungsrecht hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass dies im Falle inhaltsgleicher Regelung bestehen bleiben müsse. Dies ergebe sich aus dem einem Bundesstaat immanenten Respekt vor einer Landesverfassung.142 Für die Behandlung einfachen, inhaltsgleichen Landesrechts ergibt sich durch die zitierte Entscheidung jedoch nichts.143 Dennoch führte das Gericht in selbiger Entscheidung zuvor aus, dass es keiner Kollisionsnorm bedürfe beziehungsweise deren Anwendung begrifflich unmöglich sei, wenn es an einer Kollision fehle.144 Voraussetzung für eine Kollision im Sinne des Art. 31 GG ist jedoch wiederum, dass die entsprechenden Normen auf einen Sachverhalt anwendbar sein müssen und bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen können.145 An dieser Voraussetzung fehlt es jedoch, setzen Bund und Länder jeweils gleichlautendes Recht.146 Dass dies ohnehin nur in den seltensten Fällen vorkommen kann, liegt auf der Hand. Zum einen müssen tatsächlich beide Kompetenzträger exakt im gleichen Rahmen zur Gesetzgebung berufen sein, zum anderen müssen die jeweiligen Regelungen auch in ihrem sie umgebenden System die gleiche Bedeutung entfalten. „Selbst wortlautidentische Normen gleichen einander nicht selten nur scheinbar. Die Übereinstimmung im sprachlichen Ausdruck kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide Normen in unterschiedlichen Kontexten stehen, in und aus welchen die von den jeweiligen Normgebern verwendeten Begriffe ihre Bedeutung erhalten.“147 Sollte dennoch festzustellen sein, dass sowohl Bund als auch Länder dieselbe „Kompetenznähe“ zur Regelungsmaterie besitzen und tatsächlich gleichlautendes und gleich wirkendes148 141 Dieser Begriff ist für die Behandlung des Art. 31 GG im Rahmen der Feststellung einer Vermutungswirkung bewusst etwas weiter gewählt. Mit März ist es wohl durchaus richtig, von einer Kollisionsentscheidungsnorm zu sprechen. Dazu, speziell zum Begriff der Kollisionsentscheidungsnorm, März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 108 f. 142 BVerfGE 36, 342 (366). 143 Dies hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgehalten, BVerfGE 36, 342 (367). 144 BVerfGE 36, 342 (363). 145 BVerfGE 36, 342 (363). 146 Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 708. 147 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 14. 148 Bei sich auseinander entwickelnden Normverständnissen, etwa durch unterschiedliche Auslegungen etc., kann sich zunächst inhaltsgleiches Recht schnell in inhaltsverschiedenes Recht umwandeln.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Recht geschaffen haben, so besteht in der Tat kein Bedürfnis, dies mittels einer Kollisionsnorm aufzulösen. Von Art. 31 GG erfasst wäre demzufolge nur nicht inhaltsgleiches Recht.149 Dennoch ist dies nicht unbestritten.150 Zu fragen sei nach dem Grund des Erfordernisses eindeutiger Kompetenzzuweisung. Neben, besser gesagt hinter der Anordnung des Art. 70 II GG steht eine sich auch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ergebende Wertung. Der Normadressat müsse wissen, welcher Normgeber für die von ihm zu beachtenden Normen verantwortlich ist. Dies hat vornehmlich Gründe des Rechtsschutzes für sich. Abgesehen davon, dass bei bestehender Landeskompetenz auch der „Weg“151 zu einem Landesverfassungsgericht offen stehen könnte, wäre eine eindeutige Qualifizierung beispielsweise auch für die Frage der Revisibilität152 von Bedeutung.153 Zudem ließe sich anführen, dass bei ohnehin steigender Anzahl an Gesetzen, überflüssige Parallelnormen zu vermeiden sind.154 Auch die Formulierung des Art. 142 GG scheint in diese Richtung zu weisen155: „Ungeachtet der Vorschrift des Art. 31 GG bleiben Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1–18 dieses Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten.“156 Sicherlich enthält Art. 142 GG insoweit eine Spezialregelung für Grundrechte und Landesverfassungen. Die Ausnahmeregelung zu Art. 31 GG wäre jedoch schlicht nicht nötig und hätte somit nur deklaratorischen Charakter157, würde sich der Anwendungsbereich des Art. 31 GG generell nicht auf inhaltsgleiches Landesrecht beziehen.158 Durch die Annahme, es läge im Fall inhaltsgleichen Rechts keine Kollision vor, sei der Blick auf den eigentlich zu lö149 So Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 31, Rdnr. 26; Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 15. Kritisch auch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dagegen Huber, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 31, Rdnr. 17 ff. 150 Huber, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 31, Rdnr. 17 ff.; Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 710. 151 Vgl. beispielsweise Art. 50 I BayVerfGHG: „Hält ein Gericht eine Rechtsvorschrift des bayerischen Landesrechts, die für die Entscheidung eines bei ihm anhängigen Verfahrens erheblich ist, für verfassungswidrig, so hat es das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs herbeizuführen.“ (Hervorhebung durch den Verfasser) 152 Vgl. § 137 I 1 VwGO. 153 Dazu auch Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 15, mit weiteren Hinweisen in Fn. 1. 154 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 153 f. 155 So ebenfalls Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 154. 156 Hervorhebung durch den Verfasser. 157 Huber, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 142, Rdnr. 1 f. 158 Mit dem Hinweis darauf, dass Rechtsnormen in einer Weise zu interpretieren seien, die ihnen soweit möglich eine sinnvolle und damit nicht nur deklaratorische Aussage unterlegt, Enders, JuS 2001, S. 465.

A. Auflösungsmöglichkeiten

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senden Konflikt versperrt. Für den Fall, Bund und Länder setzten inhaltsgleiches Recht, ergäbe sich keine Kollision des einfachen, inhaltsgleich gesetzten Rechts. Nichtsdestotrotz behaupten beide Legislativorgane durch ihre Normsetzung die Zuständigkeit für ein Sachgebiet, beide Kompetenzen treten daher in Kollision, besser: in Konkurrenz. Die vorstehenden Argumente vermögen indes nicht zu überzeugen. Art. 31 GG ist eine Kollisionsauflösungsnorm, welche auf Besonderheiten im grundgesetzlichen, auf Alternativität angelegten Kompetenzverteilungssystem reagieren soll.159 Die grundsätzlich bestehende Gleichordnung der jeweiligen Kompetenzen darf nur für die Fälle durchbrochen werden, welche für den Rechtsunterworfenen unausweichliche Konflikte hervorrufen.160 Jegliche Anwendung des Art. 31 GG, welche die Bevorzugung des Bundes zur Folge hat, bedarf eines Kompetenzkonflikts, welcher einen gewissen Grad an Konkretheit und Aktualität aufweist.161 Nur auf diese Weise ist es möglich, eine Aufweichung des Anwendungsbereichs des Art. 31 GG zu verhindern und die einschneidende, rigide Rechtsfolge162 auf die Fälle zu beschränken, welche tatsächlich einer Auflösung bedürfen.163 Dem entsprechend ist auch der dem Art. 31 GG zu Grunde liegende Kollisionsbegriff164 zu verstehen. Führen die auf einen Sachverhalt anwendbaren Normen nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen, so ist keine Kollision auszumachen, die Normadressaten wären keiner widersprüchlichen Rechtsordnung ausgesetzt. Überdies ist aufgrund des Ausnahmecharakters des Art. 31 GG für den Fall eines gegebenen Widerspruchs zur Annahme einer Kollision im Sinne des Art. 31 GG ein unausweichliches Verhaltensdilemma des Rechtsunterworfenen zu fordern.165 Daran würde es beispielsweise fehlen, konfligierte eine Erlaubnis mit einem Verbot: Der Rechtsunterworfene könnte auf die Erlaubnis verzichten 159 Der Ausnahmecharakter echter Konkurrenzen im Hinblick auf das grundgesetzliche Kompetenzverteilungssystem wird später noch näher betrachtet. Für die Argumentation hier genügt diese kurze Beschreibung. 160 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 13. 161 Abstrakt kann hier von „sachlicher Aktualität“ gesprochen werden, während an späterer Stelle die Betrachtung „zeitlicher Aktualität“ erfolgen wird. 162 Verstärkt wird dies durch die Tatsache, dass der Bundesgesetzgebung in der Rechtswirklichkeit die weitaus gewichtigeren und bedeutenderen Kompetenztitel zur Verfügung stehen. Eine Ausweitung der Anwendung des Art. 31 GG führte zu einer unzulässig starken, im Kern dem Bundesstaatsprinzip widersprechenden Unitarisierung zu Gunsten des Bundes. 163 Ähnlich zur restriktiven Anwendung des Art. 31 GG Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 88. 164 Dahingestellt kann an dieser Stelle bleiben, auf welche Weise diese Kollision ermittelt wird. Erwähnt werden „Widerspruchstest“, „Befolgungstest“ und „Verletzungstest“, vgl. Wiederin, Rechtstheorie 21 (1990), S. 317 f. 165 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 13. Dies wird auch unvermeidbarer Normkonflikt genannt, siehe Wiederin, Rechtstheorie 21 (1990), S. 319.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

und so keine der beiden Normen missachten.166 Aus Sicht der Normadressaten ist ein Verlust des Rechtsschutzes indes nicht zu befürchten. Eine vollumfängliche Überprüfung der jeweiligen Norm kann ohne besondere Hindernisse durch das Bundesverfassungsgericht durchgeführt werden.167 Auch eine versperrte Sicht auf den eigentlichen Konflikt kann nicht festgestellt werden. Art. 31 GG ist eine Norm, die den Vorrang von einfachem Bundesrecht vor solchem der Landesgesetzgeber anordnet. Nicht direkt unterfallen dagegen verfassungsrechtliche Kompetenzfriktionen dem Anwendungsbereich des Art. 31 GG. Der wesentliche Blick des Art. 31 GG ist daher auf einfaches Recht gerichtet. Nur mittelbar ergeben sich hieraus Auswirkungen auch für die Kompetenzordnung. Der Anwendungsbereich des bundesstaatlichen, aus Art. 31 GG resultierenden Kollisionsrechts ist infolgedessen nicht dahingehend zu erweitern, dass auch inhaltsgleich gesetztes Recht unter den Kollisionsbegriff fällt.168 Art. 31 GG stellt eine bundesfreundliche Ausnahme des auf Alternativität ausgelegten Kompetenzverteilungssystems dar, die auf ihre engen, grundgesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen beschränkt bleiben muss. Von einer allgemeinen Vermutungswirkung kann daher im Grunde nicht mehr gesprochen werden. Zusätzlich darf auch Art. 31 GG nicht gänzlich isoliert betrachtet werden. Andere Verfassungsnormen beziehungsweise das verfassungsrechtliche System sind zu berücksichtigen. Dementsprechend stellt sich die Frage169, wie Art. 31 GG mit der Formulierung der Art. 30, 70 GG zusammenspielt, aus welcher durchaus auch auf eine Vermutungswirkung zu Gunsten der Länder geschlossen wird.170 166 In ähnlicher Weise beschreibt dies Jarass für den Fall der Kollision von Landesrundfunkrecht und Bundeskartellrecht (Jarass, Kartellrecht und Landesrundfunkrecht, S. 42). 167 Vgl. hierzu § 13 Nr. 6 und 11 BVerfGG. Auch besteht die Möglichkeit, die entsprechende Norm mittels einer Verfassungsbeschwerde überprüfen zu lassen. 168 Stern sieht dies als „kaum noch bestreitbar“ an (Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 722). Ebenso die bereits mehrfach zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 36, 342 ff. Im Ergebnis anderer Ansicht ist März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 113. 169 Dieses „Zusammenspiel“ ist ebenfalls schon oben im Bereich der Auslegungsgewichtung angesprochen worden, 2. Teil A. IV. 170 Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 29 ff.; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Vorb. v. Art. 70, Rdnr. 16.; Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 672. Auch das Bundesverfassungsgericht geht von einer gewissen Vermutungswirkung aus: „Nach der Systematik des Grundgesetzes streitet bei Zweifeln zwar eine Vermutung zugunsten der Zuständigkeit der Länder, nicht aber zugunsten einer Bundeskompetenz (BVerfGE 26, 281 [297]; 15, 1 [17]). Es muß gewissermaßen der ,Nachweis‘ geführt werden, daß die geregelte Materie einem der in [Art. 73 und 74 GG] aufgeführten Sachbereiche zugeordnet ist“ (BVerfGE 42, 20 (28)). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hierzu ist nicht einheitlich, was jedoch der Möglichkeit einer den Art. 30 und 70 GG zu entnehmenden Vermutungswirkung keinen Abbruch tut (Zippelius/Würtenberger, Deutsches

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b) Vermutung zu Gunsten der Länder Ähnlich wie im Rahmen der Auslegungsgewichtung ist Ausgangspunkt auch hier der Wortlaut der Art. 30171 und 70 GG. Wenn Art. 70 I GG für die Gesetzgebungszuständigkeit bestimmt, dass die Länder das Recht zur Gesetzgebung haben, soweit nicht das Grundgesetz dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht, so spricht dies zunächst für den Grundsatz beziehungsweise die Grundregel172 der Länderzuständigkeit. Der Bund muss grundsätzlich seine Gesetzgebungskompetenz nachweisen173, während die Länder schon aus Art. 70 I GG und ohne einen zusätzlichen Nachweis ihre Zuständigkeit erhalten. Insoweit kann tatsächlich von einer „Vermutungswirkung“ 174 des Art. 70 I GG gesprochen werden. Sinnvoll ist eine derartige „Grundzuständigkeit“ sicherlich für gänzlich neue Gesetzgebungsmaterien. Entstehen neue, zu regelnde Sachverhalte, die keiner bestehenden Kompetenz zugeordnet werden können, so ist es nötig, einem Kompetenzträger die Zuständigkeit für derartige neue Materien zuzuschreiben.175 Dies ergibt sich jedoch schon aus einer Anwendung des Art. 70 I GG. Von einer Vermutungswirkung zu sprechen, welche über den Anwendungsbereich des Art. 70 I GG hinaus geht, ist daher nicht zwingend nötig.176 Art. 70 I GG besagt also, dass der Bund seine Gesetzgebungskompetenz nachzuweisen hat, um die Länder aus ihrer grundsätzlich bestehenden Kompetenz zu verdrängen. Fraglich ist jedoch, inwieweit eine Vermutungswirkung aus Art. 70 I GG auch in der Lage ist, Situationen, wie sie sich bei echten Konkurrenzen im hier behandelten Sinne stellen, befriedigend zu lösen. Eng damit verbunden ist die Frage, ob eine Vermutungswirkung, die aus dem Wortlaut des Art. 70 I GG entnommen wird, nicht inhaltlich durch die Möglichkeit des Nachweises einer Kompetenzverleihung durch den Bund ausgehöhlt werden kann und wird. Um aus Art. 70 I GG eine Aussage Staatsrecht, S. 460). Ablehnend zu einer solchen Vermutungswirkung dagegen Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 252 ff.; Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 7; Rinck, in: FS Müller, S. 291. 171 Teilweise wird eine Anwendung des Art. 30 GG in diesem Zusammenhang abgelehnt, da Art. 70 ff. GG für die Gesetzgebung leges speciales seien, vgl. Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 9. 172 BVerfGE 16, 64 (79). 173 Siehe dazu auch BVerfGE 42, 20 (28). 174 Vorweg zur terminologischen Klarstellung: Die Grundregel des Art. 70 I GG kann als „Vermutungsregel“ bezeichnet werden. Die hier im Raum stehende Frage einer Vermutungswirkung geht jedoch über dies hinaus. Auflösungskriterien sind gerade nur in den Fällen nötig, in welchen eine „Verleihung“ im Sinne des Art. 70 I GG nicht eindeutig nachgewiesen werden kann. Ob in diesen Fällen eine globale Vermutung (über den Wortlaut des Art. 70 I GG hinaus!) zu Gunsten der Länder besteht, ist die zentrale Frage der vorliegenden Ausführungen. Dieser Vermutungsbegriff ist somit von dem der Grundregel des Art. 70 I GG zu unterscheiden. 175 Mit dieser Begründung für eine Zuständigkeitsvermutung nicht einverstanden ist Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 30. 176 Ähnlich Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 7.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

über eine generelle Vermutungswirkung und darüber hinaus über die spezielle Behandlung echter Konkurrenzen zu erhalten, muss der Begriff des „Verleihens“ genauer untersucht werden. Der Nachweis des Bundes wird dann gelingen und folglich die Länder aus ihrer Kompetenz verdrängt, wenn eine grundgesetzliche Verleihung erfolgt ist. Dieses Wort macht insoweit den Unterschied zwischen Bundes- und Landeskompetenz und bestimmt den „Wert“ der Vermutungswirkung. Sieht man unter dem Begriff „Verleihung“ nur einen wie auch immer gearteten (Sach-)Zusammenhang einer Regelungsmaterie zu einer in Art. 73 und 74 GG vorhandenen Bundeskompetenz, so wird der geforderte Nachweis dem Bund schnell gelingen. Aufgrund der ohnehin breiten Basis der Bundeskompetenzen177 ist es dann kaum mehr möglich, von einer Vermutung zu Gunsten der Länder zu sprechen, kann sie doch mit Leichtigkeit widerlegt und die Regel so zur Ausnahme gemacht werden.178 Von einer Vermutung zu Gunsten der Länder kann dagegen gesprochen werden, wenn eine Verleihung im Sinne des Art. 70 I GG bedeutet, dass eine Materie zweifelsfrei und alleinig einem in Art. 73 und 74 GG aufgeführten Kompetenztitel zugeordnet werden kann, der Bund also den zweifelsfreien Nachweis der alleinigen Kompetenz zu erbringen hat. Insgesamt zeigen sich also gewisse Schwierigkeiten. Zunächst ist der Umfang und die Genauigkeit der „Verleihung“ im Sinne des Art. 70 I GG unklar und schwierig zu bestimmen.179 Abgesehen davon ist jedoch nicht ersichtlich, welchen Gewinn eine Vermutungswirkung für die Auflösung bestehender Konkurrenzen bringen sollte. Der Umfang des Erfordernisses der Verleihung legt lediglich die Wertigkeit und den Anwendungsbereich der Grundregel des Art. 70 I GG fest. Inhalt einer derartigen Regel ist jedoch nur, dass Landeskompetenz besteht, solange nicht eine Bundeskompetenz nachgewiesen ist. Auch hier besteht also im Grunde ein entweder-oder-Verhältnis. Entweder es bleibt bei der Grundregel des Art. 70 I GG oder eine Bundeskompetenz wurde nachgewiesen. Der Umfang dieses Nachweises beziehungsweise von dessen Voraussetzungen wiederum ist jedoch sehr schwer zu bestimmen. Fraglich ist also der „Zeitpunkt“, also wann vom

177 Siehe dazu nur Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 70, Rdnr. 30; Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 7. 178 Eine in diese Richtung gehende Entwicklung ist in der Geschichte des Grundgesetzes auszumachen. Sie führte zur mehrmaligen Änderung des Art. 72 II GG und schließlich auch zur jetzigen Formulierung durch die Föderalismusreform. 179 Bei der Auflösung der Gesetzgebungskonkurrenzen geht es im Grunde genau um die Klärung der Frage, wann das Grundgesetz dem Bund und wann es den Ländern die Gesetzgebungskompetenz verleiht. Die Klärung dieser Frage ist Gegenstand des VII. Abschnitts insgesamt und kann hier im Rahmen der Vermutungswirkung nicht bewerkstelligt werden. Insoweit beschränken sich die Ausführungen hier auf den für die Klärung der Vermutungswirkung erforderlichen Umfang.

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Grundfall der Landeskompetenz durch den Nachweis zu einer Bundeskompetenz „gewechselt“ wird. Keine Aussage kann Art. 70 I GG jedoch dahingehend treffen, dass Landeskompetenzen im Konkurrenzfall der Vorrang zu gewähren ist. Zur Verdeutlichung: Für Fälle, in denen eine Bundeskompetenz eindeutig nachgewiesen werden kann, gilt die Grundregel des Art. 70 I GG als widerlegt. Für Fälle dagegen, in denen keine Bundeskompetenz nachgewiesen wird, bliebe sie bestehen. Für die problematischen Fälle aber, in denen sowohl eine Landeskompetenz als auch eine Bundeskompetenz besteht, kann eine Vermutung im hier vorliegenden Sinne jedoch keine Klarheit bringen. Die Grundregel des Art. 70 I GG bestimmt nur, dass bis zum Nachweis einer Kompetenz des Bundes Landeskompetenz besteht. Wann dieser Nachweis gelungen ist und dass in strittigen Kompetenzlagen den Landeskompetenzen der Vorrang zu gewähren wäre, kann Art. 70 I GG alleine dagegen nicht entnommen werden.180 Im Ergebnis ist es daher – auch im Rahmen der Auflösung181 – nicht nötig, von einer Vermutung zu Gunsten der Landeskompetenz zu sprechen. Eigentlich wäre dies aufgrund obiger Argumentation sogar nicht korrekt. Art. 70 I GG regelt als Grundnorm bundesstaatlicher Gesetzgebungskompetenzen die Zuständigkeit der Länder, welche jedoch endet, wenn es dem Bund gelingt, eine eigene Kompetenz nachzuweisen. Für eine Vermutung zu Gunsten der Länderkompetenzen in Streitfällen auf Grundlage des Art. 70 I GG aber auch über diesen hinaus (!) spricht dagegen nichts.182 Zur Auflösung bestehender Kompetenzkonkurrenzen vermag dies daher wenig beizutragen. c) Fazit Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Vermutungswirkung zu Gunsten der Länder trotz der darauf hinweisenden Formulierung des Art. 70 I GG nicht besteht.183 Daher ist diese auch nicht in der Lage, die Wirkung des Art. 31 GG zu beeinträchtigen. Indes kann auch im Rahmen des Art. 31 GG nur sehr begrenzt von einer Vermutungswirkung gesprochen werden. Herausgearbeitet wurde, dass Art. 31 GG als Kollisionsnorm dann in der Lage zu sein scheint184, 180 Art. 30 und 70 GG bestimmen also vielmehr die Regelzuständigkeit und bringen keine Kollisionslösung. Vgl. dazu auch Lerche, JZ 1972, S. 471. Im Ergebnis auch Rinck, in: FS Müller, S. 292. 181 Zum Bereich der Auslegung siehe oben unter 2. Teil A. IV. 182 Anders wäre dies durch eine andere Formulierung des Art. 70 I GG. Forderte dieser etwa eine eindeutige oder „unzweifelhafte Verleihung“ von Bundeskompetenzen durch das Grundgesetz, so könnte man hiervon auf den Charakter des Art. 70 I GG als Grundsatz- und Zweifelsfallregelung schließen. 183 So auch Harms, Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes aus Art. 21 III GG, S. 132 ff. 184 Eine genaue Untersuchung dessen erfolgt im Rahmen der Behandlung der idealkonkurrierenden Doppelkompetenz unten [4. Teil A. II. 2. b) bb)].

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

klärend in Kompetenzkonflikte einzugreifen, wenn identische Nähe sowohl von Bundes- als auch von Landeskompetenz zu der zu regelnden Materie besteht. Dies kann erst nach vollständiger Auslegung und Zuordnung festgestellt werden. Zudem setzt Art. 31 GG bereits bestehende Gesetze voraus.185 Die Kompetenznormen des Grundgesetzes selbst sind Verfassungsrecht und damit dem Bundesrechtskreis zuzuordnen. Durch dieses Erfordernis ergibt sich eine Art einfachgesetzlicher Prägung der Kollisionsnorm. Sie greift nicht ein, wenn ein Gesetzgeber noch nicht von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat und auch dann nicht, wenn Bundes- und Landesrecht tatsächlich inhaltsgleiche Regelungen formulieren. Nur in einem derart begrenzten Anwendungsbereich geht durch die Anordnung des Art. 31 GG Bundesrecht dem Landesrecht vor. Nur hier kann daher von einer Vermutung zu Gunsten des Bundes gesprochen werden, was im Hinblick auf die verschiedenen Konkurrenzarten keine Annahme einer allgemeingültigen Kompetenzvermutung rechtfertigt. Die Möglichkeit, allgemeingültige Auflösungskriterien für alle denkbaren Kompetenzkonflikte zu finden, scheint aufgrund der soeben getätigten Darstellungen im Rahmen von Kooperation und Kompetenzvermutung sehr gering. Aufgrund der Komplexität des Zusammenspiels der verschiedenen Kompetenznormen und dem ebenfalls komplexen Qualifizierungsvorgang scheint eine pauschale Lösung auch nicht sachgemäß. Von Vermutungswirkungen kann daher nicht gesprochen werden. Aufgrund dessen sollen im Folgenden die Auflösungsmöglichkeiten für die jeweiligen Konkurrenzarten getrennt untersucht werden.

II. Differenzierte Auflösungsmöglichkeiten 1. Auslegungskonkurrenz Dem „Verlauf“ der kompetenziellen Qualifizierung folgend, sollen zunächst solche Konkurrenzen behandelt werden, welche sich im Bereich der Auslegung zeigen und dort ihren Schwerpunkt haben. Die Behandlung hier im Rahmen der Auflösung erscheint also zunächst inkonsequent. Aufgrund besserer Übersichtlichkeit und, um noch stärker konkurrenzartbedingte Ausführungen im Vorangegangenen zu vermeiden, sollen hier jedoch alle Konkurrenzarten eine angemessene Berücksichtigung erfahren. Nach oben186 vorgenommener Untersuchung handelt es sich bei Auslegungskonkurrenzen um Konstellationen, in denen ein Sachverhalt beziehungsweise der Sinn und Zweck eines Gesetzes sowohl auf eine Weise interpretiert werden kann, die dann zur landesrechtlichen Qualifizierung führen würde, als auch auf eine 185 Dies wird an späterer Stelle noch genauer zu betrachten sein. Für die vorliegende Darstellung der Vermutungswirkung soll diese Behauptung genügen. 186 Siehe 3. Teil B. I. 2. b).

A. Auflösungsmöglichkeiten

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Weise, die die Bejahung der Bundeskompetenz nach sich zöge. Zudem sind hier Probleme dahingehend denkbar, dass auch die jeweiligen Kompetenztitel verschiedentlich ausgelegt werden können, eine kompetenzielle Qualifizierung sich also auch von dieser Seite her als schwierig erweisen kann. „Auflösung“ erfahren derartige Konkurrenzen bereits im Bereich der Auslegung selbst. Hier handelt es sich um Fälle, in denen die Feststellung eines größeren Sachzusammenhangs, eines Annexes oder die bloße Berücksichtigung von bereits bestehenden Fallgruppen im Rahmen teleologischer Auslegung zu einer bestimmten Auslegung und dadurch zur eindeutigen Zuordnungsmöglichkeit des Sachverhalts zu einer Bundes- oder Landeskompetenz führt. Die Frage, wann das Grundgesetz dem Bund Gesetzgebungskompetenz „verleiht“, ist hier eine Frage der Norm- beziehungsweise Sachverhaltskonkretisierung.187 Erneut sei das Beispiel der Statusrechte der Beamten (Art. 74 I Nr. 27 GG) bemüht: Im Zuge der Föderalismusreform 2006 wurde dem Bund konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Statusrechte und -pflichten der Beamten verliehen. Welcher Regelungsbereich nun Statuscharakter hat und welche Rechte und Pflichten keinen Statuscharakter erfüllen, ist durch Auslegung zu ermitteln. Von vornherein ausdrücklich ausgenommen sind die Felder der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung, für die somit die Länder ausschließliche Kompetenz haben.188 Im Übrigen, also in allen Bereichen, die keine Statusrechte betreffen, haben fortan die Länder ausschließliche Gesetzgebungskompetenz.189 Die Auslegung hat, dem oben Dargestellten entsprechend, anhand aller zur Verfügung stehender Methoden zu erfolgen. Im konkreten Falle könnten beispielsweise auch genetische Argumente in die Auslegung mit einfließen.190 So befindet sich in der einschlägigen Bundestagsdrucksache191 eine Aufzählung von Statusrechten und Pflichten. Anhand dieser Auflistung können nun Fallgruppen gebildet und der Begriff des Statusrechts an sich ausgelegt werden. Im Gegensatz zur oben dargestellten Doppelkompetenz haben hier nicht Bund und Länder eine Regelungskompetenz inne, vielmehr geht es um die Auslegung des Begriffs der Statusrechte. Wird ein spezieller Sachverhalt als Statusrecht anerkannt, der natürlich nicht in die expliziten Ausnahmeregelungen des Art. 74 I Nr. 27 GG fallen darf, so hat der Bund konkurrierende Gesetzgebungskompetenz diesbezüglich. Das Grundgesetz „verleiht“ dem Bund in diesem Fall die entsprechende Kompetenz. Geht man dagegen davon aus, den betreffenden Sachverhalt (z. B. eine entsprechende Beamtenpflicht) nicht als Statusrecht anzusehen, so hätten die Länder

187

Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 375. Dazu auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 112. 189 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 115. 190 Eine genauere Behandlung auch der genetischen Argumente bleibt der konkreten Betrachtung unten vorbehalten (Teil 5 A. I.). 191 BTDrucks. 16/813, S. 14. 188

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

und nicht der Bund ausschließliche Regelungskompetenz.192 Entsprechend können im Rahmen von Auslegungskonkurrenzen auch mitgeschriebene Kompetenzen berücksichtigt werden. Da hier ein entweder-oder-Verhältnis existiert, besteht in diesem Zusammenhang keine Gefahr methodischer Verschleierung wie im Rahmen von (idealkonkurrierenden) Doppelkompetenzen.193 2. Doppelkompetenz Im Rahmen der Doppelkompetenzen liegt der Fall wesentlich schwieriger. Wie im Laufe dieser Arbeit an mehreren Stellen angesprochen, besteht im Rahmen der verschiedenen Unterarten der Doppelkompetenz nicht immer die Möglichkeit, mittels Auslegung zu eindeutigen, methodisch korrekten Kompetenzqualifikationen zu gelangen. Dem entsprechend soll im Folgenden differenziert werden. Zunächst sollen Konstellationen behandelt werden, bei denen es sich zwar nicht um eine „entweder-oder-Konstellation“ im Sinne einer Auslegungskonkurrenz handelt, bei denen also durchaus Bund und Länder zuständig sein können. Diese Doppelkompetenzen zeichnen sich jedoch durch einen stärkeren Sachbezug hin zur einen oder anderen Seite aus. Anschließend zu betrachten sind Doppelkompetenzen im Sinne von Idealkonkurrenzen. Hier wird eine Auflösung der Konkurrenz entsprechend obigen Ausführungen nur durch von der Auslegung losgelöste Kriterien erfolgen können. Schließlich werden janusköpfige Gesetze Gegenstand der Analyse sein. Bei diesen handelt es sich um Regelungen, die teils unter Bundes-, teils unter Landeskompetenz fallen, jedoch wieder mehr Bezug zur Auslegung aufweisen. a) Nochmals: Primat der Auslegung auch bei Doppelkompetenzen Der Primat der Auslegung gilt für den Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung grundsätzlich. Dies gilt auch für Konstellationen, in denen sich ein Sachbezug sowohl zu einer Landeskompetenz als auch zu einer Bundeskompetenz herausstellen sollte. Gerade durch die Grundnorm der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung, Art. 70 I GG, sind derartige Situationen ohnehin häufig zu erwarten. Bei jeglicher Berührung eines Regelungsbereichs von Kompetenzen beider Kompetenzträger von einer durch Auslegung nicht aufzulösenden Konkurrenz

192 Was im Einzelnen als Statusrecht und Statuspflicht anzusehen ist, bleibt im Verlauf der konkreten Auflösung unten zu klären (5. Teil A. I.). Die Darstellung hier gilt wiederum nur beispielhafter Verdeutlichung. 193 Im Rahmen der Verfassungsauslegung, hier speziell der Auslegung des Begriffs des Statusrechts, sei noch einmal auf die herausragende Stellung des Bundesverfassungsgerichts als verbindlich entscheidende Instanz hingewiesen.

A. Auflösungsmöglichkeiten

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auszugehen, widerspräche jedoch dem Sinn der Auslegung an sich. Nach mittlerweile verbreitetem Verständnis194 gilt es, zur korrekten Rechtsanwendung den jeweiligen Rechtsbegriff, hier die jeweiligen Kompetenzen, sachgerecht und fallbezogen auszulegen. Es muss ermittelt werden, ob das Grundgesetz dem Bundesgesetzgeber die jeweilige Kompetenz „verleiht“, einen bestimmten Sachverhalt zu regeln. Dies muss bei jeglicher Kompetenzermittlung berücksichtigt werden. Nun lässt sich annehmen, das Grundgesetz verleihe dem Bundesgesetzgeber nicht schon dann eine Kompetenz, wenn eine in Art. 73 und 74 GG aufgelistete195 Materie den zu regelnden Sachverhalt nur am Rande berührt. Umgekehrt scheint eine Verleihung dieser Kompetenz nicht ausgeschlossen zu sein, sobald Art. 70 I GG einer Landeskompetenz die Regelungsmaterie zu einem im Vergleich zur Bundeskompetenz nur geringen Teil öffnet. Zu ermitteln ist also, welcher Kompetenzträger den ganz überwiegenden Zugriff auf die Regelungsmaterie nach dem Grundgesetz erhalten soll. Mit anderen Worten kann der vom Bundesverfassungsgericht geforderte196 Nachweis der Verleihung der Bundeskompetenz nur dann gelingen, wenn eine Kompetenznorm des Bundes überwiegenden Bezug im Vergleich zu entsprechenden Landeskompetenzen aufweist. Wiederum keine Verleihung und somit eine Landeskompetenz besteht, wenn dieser Bezug nicht nachgewiesen werden kann. Der Figur des überwiegenden Bezugs entspricht es, wenn das Bundesverfassungsgericht für die eindeutige kompetenzielle Qualifizierung fordert, dass der zu regelnde Sachverhalt dem grundgesetzlichen Kompetenzthema „unmittelbar und nicht nur mittelbar“197 unterfällt, die Einstufung nach dem „Haupt- und nicht nur nach dem Nebenzweck“198 erfolgt und dass der Kompetenzgegenstand „als solcher“199 und nicht nur „als Reflex“200 geregelt wird201: „Bei der Zuordnung einzelner Teilregelungen eines umfassenden Regelungskomplexes zu einem Kompetenzbereich dürfen die Teilregelungen nicht aus ihrem Regelungszusammenhang gelöst und für sich betrachtet werden. Kommt ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Kompetenzbereichen in Betracht, so ist aus dem Regelungszusammenhang [mittels Auslegung] zu erschließen, wo sie ihren Schwerpunkt haben. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, wie eng die fragliche Teilregelung mit dem Gegenstand der Gesamtregelung verbunden ist [, wie stark also ein Sachzusammenhang besteht]. 194

Dazu schon Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 420. Gleiches gilt natürlich auch für außerhalb dieser Kataloge befindliche Bundeskompetenzen. 196 BVerfGE 42, 20 (28). 197 BVerfGE 36, 193 (205); 34, 139 (144); 29, 402 (409). 198 BVerfGE 14, 76 (99); 109, 190 (208). 199 BVerfGE 29, 402 (409); 97, 228 (251 f.). 200 BVerfGE 28, 119 (149); 97, 228 (251 f.). 201 Ähnliche Ausführungen finden sich bei Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 267 sowie bei Erbguth, DVBl. 1988, S. 320. 195

208

4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Eine enge Verzahnung und ein dementsprechend geringer eigenständiger Regelungsgehalt der Teilregelung spricht regelmäßig für ihre Zugehörigkeit zum Kompetenzbereich der Gesamtregelung.“202 Wie im vorangehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts angeklungen, spielt auch die Figur der mitgeschriebenen Kompetenz hier eine Rolle. So wird durch die Feststellung des Sachzusammenhangs durch teleologische und systematische Gesichtspunkte die jeweilige Norm ausgelegt.203 Die darauf folgende Untersuchung, ob überwiegender Sachzusammenhang besteht, entspricht der Feststellung eines überwiegenden Bezugs im hier geforderten Sinne: „Die ,speziellere‘ und ,stärkere‘ Sachbeziehung zu dem Regelungsgegenstand gibt [. . .] den Ausschlag für das Überwiegen eines Sachzusammenhangs, der über die kompetenzielle Zuordnung einer Gesetzesmaterie entscheiden kann.“204 Trotz teils missverständlicher Formulierung des Bundesverfassungsgerichts205 handelt es sich hier freilich nicht um eine nur zu Gunsten des Bundes zu vollziehende Auslegung. Aufgrund der Beidseitigkeit der Kompetenzverteilung206 gilt es, die Feststellung eines überwiegenden Zusammenhangs zwischen Kompetenzen zweier gleichwertiger Kompetenzträger auszumachen.207 Auch in der Literatur geschieht die Auflösung von Doppelkompetenzen hauptsächlich nach entsprechenden Sonderrechtsbetrachtungen: „Eine Regelung ist nicht schon dann Gesetz über eine Materie, wenn sie sie in irgendeiner Weise berührt. Die Überschneidungen der Katalogpunkte und die abstrakte Fassung des gesetzlichen Tatbestandes würden sonst fast stets zur mehrfachen Qualifikation der Norm führen, die, zur Regel gemacht, der Ordnungsfunktion des Kompetenzschemas zuwiderliefe.“208 Unter Hinweis auf andere bundesstaatliche Verfassungen soll bloßes „affecting“ oder die „incidental“ Berührung einer Kompetenzmaterie nicht ausreichen.209 Vielmehr sei ein Gesetz nur „derjenigen Materie zuzuordnen, die es sonderrechtlich regelt; eine Materie, die von einem Gesetz nicht in ihrer Besonderheit, sondern gerade ohne Rücksicht darauf getroffen wird, für 202

BVerfGE 97, 228 (251 f.). Erbguth, DVBl. 1988, S. 320. 204 Erbguth, DVBl. 1988, S. 320. 205 BVerfGE 3, 407 (421): „Ein sogenannter Sachzusammenhang vermöchte vielmehr eine Zuständigkeit nur dann zu stützen, wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerläßliche Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser) 206 Die Darstellung der Beidseitigkeit der Kompetenzordnung erfolgte bereits oben unter 1. Teil B. II. 1. 207 Im Ergebnis so auch Bullinger, DÖV 1970, S. 800. 208 Pestalozza, DÖV 1972, S. 182. 209 Pestalozza, DÖV 1972, S. 182 f. 203

A. Auflösungsmöglichkeiten

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die sich die Regelung also als allgemeines, insoweit ,für alle‘ geltendes Recht darstellt, gibt für die kompetenzrechtliche Qualifikation keinen Ausschlag.“210 Dass nicht jede auch noch so geringe Berührung einer Kompetenzmaterie zu tatsächlicher Doppelqualifikation führen kann, ist insoweit unbestritten und auch über die generelle kompetenzielle Einteilung mittels Sonderrechtstheorie, Schwerpunkt der Regelung oder Haupt- und Nebenzweck scheint weitgehend Einigkeit zu herrschen.211 Sachgemäß erschwert wird die Feststellung eines Schwerpunkts jedoch dann, wenn noch kein Gesetz vorhanden ist, das die vermeintliche Kompetenz ausfüllen soll. Hier von einem „Schwerpunkt der Regelung“ zu sprechen, ist schon begrifflich nicht möglich. Nichtsdestotrotz müssen auch für derartige Fälle die legislativen Zuständigkeiten geklärt werden. In diesen Fällen gilt es, einen zu regelnden Sachverhalt zu formulieren und anhand dessen festzustellen, welcher Kompetenz dieser schwerpunktmäßig zufällt. Dies wird sicherlich schwerer fallen als die schwerpunktmäßige Zuordnung eines Gesetzes, bei dem beispielsweise durch Gesetzgebungsmaterialien gewisse Anhaltspunkte über den Telos des Gesetzes vorhanden sind. Diese Schwierigkeiten sind jedoch der Sache immanent und nicht zu vermeiden. An dem eigentlichen kompetenziellen Qualifizierungsvorgang im beschriebenen Sinne ändert sich dadurch nichts. Aus den vorangegangenen Ausführungen erhellt schließlich ein ums andere Mal, dass eine klare Trennung von Auslegung und Zuordnung schwer möglich ist. Auslegung und (schwerpunktmäßige) Zuordnung bedingen sich gegenseitig: Die Zuordnung erfolgt nach dem Schwerpunkt der Regelung, welcher jedoch mittels Auslegung ermittelt wurde. Zudem kann hieraus noch eine andere Erkenntnis gewonnen werden. Die meisten Fälle sich überschneidender Kompetenzen können anhand von Auslegung und Zuordnung, anhand eines Sonderrechtsoder Schwerpunktkriteriums gelöst werden. Sobald zur einen oder anderen Seite ein gewisses Übergewicht an Sachzusammenhang feststellbar ist, handelt es sich nicht mehr um eine Doppelkompetenz im eigentlichen Sinne. Das Grundgesetz „verleiht“ sodann demjenigen Kompetenzträger die Gesetzkompetenz, zu dem ein stärkerer Sachzusammenhang besteht. Dem Bund gelingt in diesen Fällen der Nachweis nach Art. 70 I GG. In all den Fällen, in denen ein Schwerpunkt im hier erwähnten Sinne festgestellt werden kann, erscheint es demgemäß durchaus legitim, ebenfalls von „Scheinkonkurrenzen“ zu sprechen. Ein anderes Bild ergibt sich jedoch, wenn eben dieser Schwerpunkt der Regelung nicht festgestellt werden kann. Wenn auch nach methodisch korrekter Auslegung eine Regelungsmaterie gleich starken Bezug zur Landes- und zur Bundes210

Pestalozza, DÖV 1972, S. 183. Statt vieler sei hier verwiesen auf Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 57 ff.; Rengeling, in: HdBStR IV, S. 738 f.; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 70, Rdnr. 29. 211

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

kompetenz aufweist, ist eine Auflösung nach dem Schwerpunkt der Regelung schlicht nicht möglich. Deshalb wurde in vorangehenden Ausführungen die allgemeine Eignung der Auslegung (und auch der Zuordnung) als Ort der Konkurrenzauflösung212 sowie die Berücksichtigung des Sachzusammenhangs als nicht ausreichend angesehen, um alle213 Konkurrenzen aufzulösen. Als Beispiel werden häufig die presserechtlichen Verjährungsregelungen genannt.214 Diese Regelungen erwachsen grundsätzlich anderen Bereichen als dem der „reinen“ Presse, modifizieren diese Bereiche aber gerade deshalb, um den Besonderheiten der Presse gerecht zu werden.215 Mit anderen Worten können die Regelungen weder überwiegend dem Straf- oder Verfahrensrecht noch hauptsächlich dem Presserecht zugeordnet werden: „Es gibt hier kein relevantes Überwiegen eines spezielleren Moments.“216 Diese Art der Doppelkompetenz, von Pestalozza als idealkonkurrierendes Sonderrecht bezeichnet217, bedarf gesonderter Behandlung. b) Behandlung echter Doppelkompetenzen im Sinne von idealkonkurrierenden Kompetenzen aa) Die leges-Regeln Ausgangssituation zur Behandlung dieser Doppelkompetenzen ist nach obigen Ausführungen also, dass ein Regelungsgegenstand sowohl hinsichtlich eines Bundeskompetenztitels als auch im Hinblick auf eine Landeskompetenz gleichwertigen Bezug aufweist. Die Regelungsmaterie steht daher, bildlich gesprochen, exakt in der Mitte zwischen den jeweiligen Kompetenznormen. Durch diese Stellung der Regelungsmaterie entstehen zwei unterschiedliche Aussagen der beiden in Frage stehenden Kompetenztitel. Während die Bundeskompetenz die Regelungsmaterie der Bundeslegislative zuschreibt, behauptet die Landeskompetenz diese für sich. Es handelt sich daher um einen Normwiderspruch. Um Normwidersprüche aufzulösen, existieren jedoch grundsätzlich anerkannte218 Kolli212

Vgl. dazu 2. Teil A. V. 2. Dass es sich im Grunde nur bei den Fällen gleich starken Kompetenzbezugs um echte Konkurrenzen handelt, alle anderen im Grunde als Scheinkonkurrenzen bezeichnet werden könnten, wurde bereits erwähnt. Insoweit von „allen“ Konkurrenzen zu sprechen, erscheint inkonsequent. Da sich die unterschiedlichen Konkurrenzarten jedoch erst im Laufe der Arbeit heraus kristallisierten, scheint es durchaus vertretbar, auch bei durch Auslegung und Zuordnung auflösbaren Kompetenzberührungen in diesem Rahmen von Konkurrenzen zu sprechen. 214 Pestalozza, DÖV 1972, S. 188; Lerche, JZ 1972, S. 471. 215 Lerche, JZ 1972, S. 471. 216 Lerche, JZ 1972, S. 471. 217 Pestalozza, DÖV 1972, S. 183. 218 Da diese Regeln allgemein anerkannt sind, braucht auf die Rechtsquelle nicht weiter eingegangen zu werden. Näher dazu jedoch bei Zoglauer, Normenkonflikte, S. 127 ff. 213

A. Auflösungsmöglichkeiten

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sionsregeln.219 Zu nennen wären „lex specialis derogat legi generali“: das speziellere Gesetz geht den allgemeineren Gesetzen vor, „lex superior derogat legi inferiori“: das höherrangige Gesetz verdrängt die niederrangigeren und „lex posterior derogat legi priori“: das spätere Gesetz verdrängt die früheren Gesetze. Unterfielen die Kompetenznormen dem Anwendungsbereich jener Normen und ließe sich aus ihnen etwas für die eindeutige Zuordnung des in Frage stehenden Regelungsgegenstandes gewinnen, so wäre die Konkurrenzauflösung durch diese hergebrachten Kollisionsregeln zu vollziehen. Es bestünde in diesem Fall keine Mehrfachkompetenz, da die obsiegende Kompetenznorm die jeweils andere von vornherein aus ihrem Anwendungsbereich verdrängte. Die Anwendbarkeit auf verfassungsrechtliche Kompetenznormen220 erscheint jedoch von vornherein fraglich. Betrachtet man die lex specialis Regel, so fällt vor dem Hintergrund des oben Gesagten auf, dass ein Spezialverhältnis in diesem Sinne nicht ausgemacht werden konnte: „Alle möglichen Kollisionsfälle, deren Auflösung durch diesen Satz bewerkstelligt würde, werden bereits bei der Subsumtion der Gesetze unter die verfassungsrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern herausgefiltert.“221 Die Regelungsmaterie befindet sich exakt zwischen beiden Kompetenztiteln. Auch im Hinblick auf die gesamte Kompetenzordnung ist nicht von einem Spezialitätsverhältnis im Sinne dieser Kollisionsregel zu sprechen. Bundes- und Landeskompetenzen stehen sich grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Bundeskompetenzen sind Landeskompetenzen gegenüber nicht generell leges speciales.222 Der Inhalt des Grundsatzes, dass das spätere Gesetz das frühere verdrängt, erscheint für die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung ebenfalls von vornherein unpassend. Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes ist auf eine sachgerechte, vollständige Kompetenzverteilung ausgerichtet. Dass eine Kompetenz aufgrund von jüngst erfolgten Verfassungsänderungen nun generell allen anderen Kompetenzen vorgehen soll, ist mit dieser Funktion der Kompetenzordnung nicht vereinbar. Auch widerspricht die grundsätzlich gewählte Regelungstechnik der Kompetenzordnung einer Anwendung dieser Regel. Nach Art. 70 I GG sind die Landeskompetenzen grundsätzlich unbenannt. Lediglich die Bundeskompetenzen sind in Katalogen enumeriert. Demzufolge bedarf auch nur der Bundeskatalog 219

Siehe auch Menzel, DVBl. 1997, S. 645 f. Im Zentrum der Betrachtung stehen die verfassungsrechtlichen Kompetenznormen selbst, nicht die aufgrund einer vermeintlich erlassenen Kompetenz gegebenenfalls existierenden Gesetze. 221 Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 138. Hier spiegelt sich auch die oben dargestellte kompetenzielle Qualifizierung nach dem spezielleren Sachzusammenhang wieder. 222 Auch dies ist eng verbunden mit dem Grundsatz der „Beidseitigkeit der Kompetenzverteilung“. Dazu oben 1. Teil B. II. 1. 220

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

einer ausdrücklichen Änderung, will man die grundgesetzliche Kompetenzverteilung an sich ändernde gesellschaftliche Verhältnisse anpassen. Die Folge dessen wäre, dass es aufgrund der Anwendung einer lex posterior Regel zur unverhältnismäßigen Stärkung der Bundeskompetenzen käme. Die lex posterior Regel gilt dementsprechend nur bei einfachgesetzlichen Normenkonflikten derselben Rechtssetzungsautorität, welche bei der hier vorliegenden Kompetenzkonkurrenz von Bund und Ländern offensichtlich nicht vorliegen.223 Die Anwendung einer lex posterior Regel muss daher von vornherein zur Behandlung von Kompetenzkonflikten im hier behandelten Sinne ausscheiden. Schließlich bliebe „lex superior derogat legi inferiori“: Das höherrangige Gesetz verdrängt die niederrangigeren. Bei Kompetenzkonflikten der hier besprochenen Art handelt es sich jedoch um Situationen, in denen zwei Verfassungsnormen miteinander konfligieren. Sowohl Bundes- als auch Landeskompetenz sind Teil der Verfassung.224 Beide Kompetenzen sind als gleichwertig, keine der anderen als grundsätzlich überlegen anzusehen.225 Von höherrangigerem Recht im Sinne des lex superior Grundsatzes kann daher im Rahmen von Kompetenzkonflikten ebenfalls nicht gesprochen werden.226 Die angesprochenen leges-Regeln sind nach alledem nicht in der Lage, Konkurrenzen im Rahmen der Gesetzgebungskompetenzen zu lösen. Sie sind hergebrachte Regeln, welche nicht „apriori der Rechtsordnung unter dem Grundgesetz vorgegebene Grundsätze“227 enthalten. Ihnen kommt lediglich Indizwirkung zu, welche im konkreten Normenkonflikt „verifiziert [. . .], aber auch falsifiziert werden“228 kann. Letzteres muss für die vorliegende Problematik konfligierender Kompetenznormen des Grundgesetzes angenommen werden.229

223 Dazu auch März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 107; Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 89. 224 Anders kann sich die Situation jedoch darstellen, wenn das aufgrund einer vermeintlich bestehenden Kompetenz erlassene Gesetz mit einem Gesetz in Beziehung gesetzt wird, das der jeweils andere Kompetenzträger aufgrund einer Kompetenz erlassen hat, welche mit der erstgenannten Kompetenz konkurriert. Hier sei auf die Ausführungen im Rahmen des Art. 31 GG oben 4. Teil A. I. 2. a), speziell aber auch unten 4. Teil A. II. 2. b) bb) verwiesen. 225 Zur Beidseitigkeit der Kompetenzverteilung vgl. 1. Teil B. II. 1. 226 Im Ergebnis ebenso März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 108; Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 89. Gegen die Anwendung der leges-Regeln im Bereich von Kompetenzkonflikten auch Jarass, Kartellrecht und Landesrundfunkrecht, S. 41. 227 März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 104. 228 März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 105. Dazu auch schon Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 47. 229 Im Ergebnis für widersprüchliche Regelungskonzeptionen beider Kompetenzträger ebenso Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 89.

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bb) Art. 31 GG als Kollisionsnorm In einigem Zusammenhang230 mit der lex superior Regel steht mit Art. 31 GG auch eine Verfassungsnorm, aus deren Anwendung sich durchaus eine Lösung solcher Situationen ergeben könnte, in welchen gleichwertiger Bezug sowohl einer Landes- als auch einer Bundeskompetenz zur jeweils zu regelnden Materie besteht.231 Art. 31 GG ordnet an: „Bunderecht bricht Landesrecht“. Da sich „im demokratischen Verfassungsstaat [alle Kompetenz] auf eine rechtsnormative Basis zurückführen“ lässt und „aller Kompetenzkonflikt [. . .] ein Streit über Gültigkeit oder Vorrang von Rechtsnormen und/oder über deren rechtes Verständnis“ ist, seien Mittel und Wege der Konfliktbeilegung ebenfalls dem geltenden Recht zu entnehmen.232 Art. 31 GG bietet sich daher grundsätzlich als Teil der Verfassung an, um zur Lösung von Normenkonflikten zwischen anderen Verfassungsnormen beizutragen. Wie jedoch schon oben im Rahmen der Erörterung einer generellen Vermutungswirkung zu Gunsten des Bundes oder der Länder dargestellt wurde, bedarf es zur Anwendbarkeit des Art. 31 GG kompetenzgemäß erlassenen Rechts. Art. 31 GG ist von vornherein nicht anwendbar, verstößt ein zu behandelndes Gesetz gegen die grundgesetzliche Kompetenzordnung. Art. 70 ff. GG sind insofern leges speciales zu Art. 31 GG.233 Während oben nur der Umfang des möglichen Eingreifens des Art. 31 GG behandelt wurde, soll an dieser Stelle untersucht werden, ob Art. 31 GG für die speziellen Fälle idealkonkurrierender Kompetenzen tatsächlich in der Lage ist, konkurrenzauflösend einzugreifen. (1) Möglichkeit der Mehrfachqualifizierung – Art. 31 GG als Kollisionsnorm Wie bereits dargestellt, kann Art. 31 GG ohnehin nur im Rahmen von „idealkonkurrierenden“234 Kompetenznormen eine Rolle spielen. Nur in Fällen wie sie hier behandelt werden, also bei gleicher Sachnähe sowohl der Bundeskompetenz als auch der Landeskompetenz, kann durch Auslegung kein Schwerpunkt hin zu einem Kompetenzträger festgestellt werden, was eine differenzierte Betrachtung nötig und die Berücksichtigung des Art. 31 GG zumindest möglich macht. Für 230 Zum „Verwandtschaftsverhältnis“ zwischen den leges-Regeln und Art. 31 GG vgl. Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 1. Auch Zoglauer, Normenkonflikte, S. 127, bezeichnet den Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ als Beispiel für die lex-superior-Regel. 231 Entsprechendes zeichnete sich schon im Rahmen der Behandlung einer Art. 31 GG immanenten Vermutungswirkung oben unter 4. Teil A. I. 2. ab. Es sei daher ergänzend darauf verwiesen. 232 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 375. 233 Huber, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 31, Rdnr. 3 und 11. Mehrfach dazu bereits oben 4. Teil A. II. 2. a) und 2. Teil A. IV. 234 Zum Begriff oben unter 3. Teil B. I. 2. a) und bei Pestalozza, DÖV 1972, S. 187.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

ebensolche idealkonkurrierenden Sonderrechte, die nach obiger Einordnung Doppelkompetenzen entsprechen235, sieht Pestalozza einen Anwendungsbereich für Art. 31 GG gegeben: „Art. 31 GG setzt die Möglichkeit einer Normkonkurrenz voraus, diese wiederum die Möglichkeit mehrfacher Qualifikation einer Norm.“236 Demzufolge stellten sich Doppelkompetenzen „als Problem der Normkonkurrenz dar, die sich nicht nach Art. 70 ff. GG, sondern nach der Ranghierarchie der Normen entscheidet: ,Bundesrecht bricht Landesrecht‘, Art. 31 GG.“237 Die Auflösung der Kompetenzkollision erfolgt nach dieser Ansicht daher „auf einer anderen Stufe“238 als der der Auslegung. Art. 31 GG habe in diesem Falle jedoch nur Suspensiveffekt, rangniederes Recht werde nicht nichtig, sondern nur verdrängt, was sich wiederum als Konsequenz aus der Doppelqualifikation ergebe.239 Die Begründung leite sich aus Art. 31 GG selbst ab. Wenn nach dem Grundgesetz von einer möglichen Normkollision ausgegangen werde, so sei die Möglichkeit mehrfacher kompetenzieller Qualifikation zumindest einiger Bereiche die logische Konsequenz daraus beziehungsweise eine logischerweise bestehende Voraussetzung hierfür.240 Wenn sich also ein Schwerpunkt der Regelung nicht feststellen lasse, so liege denknotwendig ein Fall des Art. 31 GG vor. Die Anwendung des Art. 31 GG sei ganz im Sinne „effektiver“ Verfassungsauslegung geboten und vermeide die bisherigen „irrationalen Alternativ-Qualifika235

Siehe oben 3. Teil B. I. 2. a). Pestalozza, DÖV 1972, S. 190. Er stützt sich auf hierbei auf die Ausführungen von Adolf Merkl (Merkl, Zum rechtstechnischen Problem der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung). 237 Pestalozza, DÖV 1972, S. 190. Ihm folgend Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 256; Lerche, JZ 1972, S. 471; Rengeling, in: HdBStR IV, S. 745. Ähnlich Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 16: Art. 31 GG „stellt die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung für den Fall sicher, dass die von der Kompetenzordnung intendierte Kollisionsvermeidung misslingt und die Kollisionslage auch nicht durch Auslegung der beteiligten Normen beseitigt werden kann.“ Gegen eine entsprechende Anwendung des Art. 31 GG ist beispielsweise Wolfrum, DÖV 1982, S. 678. Dennoch erkennt Wolfrum die Möglichkeit einer Doppelzuständigkeit an (S. 676). Auch Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 421 ff. (mit weiteren Nachweisen), spricht sich gegen eine Anwendung des Art. 31 GG aus. 238 Lerche, JZ 1972, S. 471. Noch etwas anders wird die Anwendung des Art. 31 GG durch Jarass modifiziert. Er sieht den Anwendungsbereich erst eröffnet, wenn erstens „für die betreffende Regelung eine geeignete Kompetenzmaterie zur Verfügung steht“, und zweitens keine „Kompetenzausübungsschranken zum Tragen kommen“ (Jarass, Kartellrecht und Landesrundfunkrecht, S. 42 und S. 60). Zu der Figur der Kompetenzausübungsschranken wird an späterer Stelle, unter 4. Teil B., Stellung genommen. 239 Pestalozza, DÖV 1972, S. 190. Warum Art. 31 GG jedoch nicht die Nichtigkeit des konkurrierenden Landesrechts zur Folge haben soll, bleibt ohne tiefergehende Begründung, macht vor dem Hintergrund tatsächlich bestehender Landeskompetenz jedoch durchaus Sinn. Für Geltungsvorrang im Anwendungsbereich des Art. 31 GG generell vgl. Huber, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 31, Rdnr. 20; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 31, Rdnr. 20. Differenzierend Korioth, in: Maunz/ Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 20 ff. 240 Pestalozza, DÖV 1972, S. 190. 236

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tionen [. . .], die die notwendige Unzulänglichkeit jeden Kompetenzkatalogs überspielen wollen anstatt sie offenzulegen.“241 Die Auffassung, nach welcher auch Idealkonkurrenzen immer zugunsten eines Kompetenzträgers auszulegen und schon dadurch aufzulösen seien, missachte die Besonderheiten derart ambivalenter Sachverhalte242: Dieser „Putativzwang zur alternativen Qualifikation hat dabei zu manchen willkürlichen Entscheidungen verleitet und, [beispielsweise] auch im Falle des Zeugnisverweigerungsrechts [der Presseangehörigen] oder etwa der Indemnität der Landtagsabgeordneten eine überzeugende Lösung vereitelt.“243 Jede Dezision im Sinne eines Schwerpunkts sei hier in Wahrheit eine beliebige und zufällige.244 Auch schließe das von vornherein auf perfektionierte Abschichtung der Gesetzgebungskompetenzen angelegte grundgesetzliche Kompetenzverteilungssystem Kompetenzüberschneidungen im hier besprochenen Sinne nicht aus.245 Die ideale Vorstellung steht insofern echten (freilich selten gegebenen) Kompetenzüberschneidungen in der Rechtswirklichkeit gegenüber. Das Prinzip lückenloser Kompetenzabschichtung werde, insbesondere vom Bundesverfassungsgericht246, insoweit überstrapaziert.247 (2) Ausgeschlossenheit der Mehrfachqualifizierung und sonstige Kritik zur Anwendung des Art. 31 GG Die Anwendbarkeit des Art. 31 GG wird im Zusammenhang mit Kompetenzkonflikten jedoch vielfach und grundsätzlich in Frage gestellt. So sei die Frage der kompetenziellen Qualifizierung im Rahmen der Auslegung und Zuordnung abschließend zu klären. Art. 31 GG als „Kollisionsentscheidungsnorm“248 setze kollidierende Normen voraus.249 Kollidierende Normen wiederum könnten je241

Pestalozza, DÖV 1972, S. 190. Pestalozza, DÖV 1972, S. 188. 243 Pestalozza, DÖV 1972, S. 188. Bezüglich der Beispiele wurde auf BVerfGE 7, 29 ff. und BVerfGE 20, 162 ff. verwiesen. In den Fußnoten jeweils mit weiteren Hinweisen. 244 Lerche, JZ 1972, S. 471. 245 Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 256. 246 Siehe dazu beispielsweise BVerfGE 36, 193 (202 f.). Belegstellen hierfür finden sich auch in den folgenden Ausführungen. 247 Scholz, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 256. 248 Zum Begriff vgl. auch März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 108 f.: Art. 31 GG setze Kollisionen bereits voraus: „Art. 31 GG regelt ausschließlich die Rechtsfolgen eines bundesstaatlichen Normenkonflikts, dessen Feststellung jenseits des Normbereichs dieser Vorschrift liegt. In welchen Fällen und bei welchen Konstellationen Bundesrecht den Vorrang vor Landesrecht beanspruchen kann, ist nur einer Beurteilung der beteiligten Rechtsvorschriften zugänglich, und allein ihrer Prüfung kann die Feststellung des Kollisionsfalles entnommen werden.“ 249 Pestalozza, DÖV 1972, S. 190; BVerfGE 36, 342 (363). Ähnlich auch BVerfGE 96, 345 (364). 242

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

doch nur entstehen, wenn nach der grundgesetzlichen Kompetenzordnung eine Doppelqualifizierung von vornherein nicht ausgeschlossen wäre.250 Solch eine Mehrfachqualifikation halten einige Autoren – und wohl auch das Bundesverfassungsgericht251 – jedoch für von vornherein unzulässig.252 Eine Doppelqualifizierung widerspreche dem Grundsatz der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung, welche von lückenloser Kompetenzabschichtung ausgehe.253 „Die Struktur des bundesstaatlichen ,Systems‘ unter dem Bonner Grundgesetz [sei] durchgängig auf das ,Entweder-oder‘ angelegt.“254 Es sei daher „systeminkonform, wollte man sich mit einem ,Unentschieden‘ auf der Ebene der Kataloginterpretation begnügen.“255 Vielmehr seien alle interpretativen Erkenntnismittel bei der Ermittlung der kompetenziellen Qualifizierung auszuschöpfen, die vorzunehmende Auslegung dürfe keinesfalls zu früh abgebrochen und vorschnell auf ein „non liquet“ übergewechselt werden.256 Die besondere Struktur der Kompetenzkataloge in Art. 73–75 GG (heute: Art. 73, 74 GG) mache die Aufgabe zwar schwierig, entbinde jedoch nicht von ihrer Bewältigung und gebe Kritikern des Verbots von Doppelzuständigkeiten257 keinen Freibrief, sich aus der dogmatischen Verantwortung zu stehlen.258 Zudem sei allein vor dem Hintergrund der Durchführbarkeit nicht einzusehen, warum es einfacher sein sollte, festzustellen, wann es unmöglich ist, den den Sachzusammenhang begründenden Schwerpunkt zu er250

Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 52. Vgl. BVerfGE 106, 62 (114); 104, 249 (267); 67, 299 (321); 61, 149 (204 f.); 36, 193 (202 f.). 252 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 420 sowie S. 452, dort These 45. Auch Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 49 ff.; Sˇarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 245; März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 134 ff.; Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 739; Harms, Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes aus Art. 21 III GG, S. 80 ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 74, Rdnr. 9. Auch Goerlich, „Formenmißbrauch“ und Kompetenzverständnis, S. 14 f. Nicht die Doppelqualifikation, jedoch die Anwendung des Art. 31 GG hält Wolfrum für unzulässig. Art. 31 GG sei nicht in der Lage, eine Kompetenz zu begründen (Wolfrum, DÖV 1982, S. 678). Hierin unterscheidet er sich von Pestalozza. Es bestehen nach diesem gerade sowohl Bundes- als auch Landeskompetenz. Lediglich die Konkurrenzauflösung erfolgt über Art. 31 GG. Dieser Kritikpunkt ist daher schon im Ansatz nicht nachvollziehbar und wird deswegen auch nicht weiter verfolgt. 253 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 423. 254 Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 51. Entsprechend auch BVerfGE 106, 62 (114). 255 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 423. 256 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 422. 257 Die hier kursierenden Begriffe der „Theorie der Doppelzuständigkeit“, der „Theorie des Verbots der Doppelzuständigkeit“ und ihre Synonyme (Doppelqualifikation, Doppelkompetenz) stehen zwar im Zusammenhang mit der „Theorie der Doppelkompetenz“, welche im Rahmen aufeinandertreffender Steuer- und Sachkompetenz vertreten wird. Beide bezeichnen jedoch nicht exakt dasselbe. Dies gilt es, im Rahmen der hier getätigten Ausführungen zu berücksichtigen. 258 März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 136. Entsprechend Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 164. 251

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mitteln als diesen mit einem filigraneren Auslegungsinstrumentarium zu fixieren.259 Dementsprechend sei der Punkt, an welchem von tatsächlich gleichstarkem Bezug ausgegangen werden könne, zu unbestimmt und würde offenbar nur „von Fall zu Fall pragmatisch“260 bestimmt. Zudem wird von Seiten der Vertreter des Verbots der Doppelzuständigkeit, also von den Gegnern der Lösung über Art. 31 GG, ins Felde geführt, dass es durch eine Anwendung des Art. 31 GG in den jeweils streitigen Fällen zu einer Bevorzugung der Bundesinteressen käme, was der in Art. 70 I GG verankerten Regelung der „Beweislast“ zuwiderliefe.261 Gemäß Art. 70 I GG müsse der Bund nachweisen, zur Regelung des fraglichen Lebenssachverhalts berechtigt zu sein. Misslinge ihm dies, verbliebe das Recht zu legiferieren bei den Ländern.262 Doch auch die Anwendung des Art. 31 GG selbst wird zum Ansatzpunkt der bestehenden Kritik. Angeknüpft wird hierbei an die Definition des Konfliktbegriffs. So wird, angelehnt an das Bundesverfassungsgericht, für die Anwendung des Art. 31 GG als Kollisionsnorm vorausgesetzt, „daß zwei Normen miteinander kollidieren; das heißt aber, die Kollisionsnorm hinweggedacht, müssen beide Normen auf einen Sachverhalt anwendbar sein und bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen können.“263 Voraussetzung für eine Kollision in diesem Sinne sei, dass die Befolgung einer Norm zwingend264 zum Verstoß gegen die andere Norm führe. Sei dies nicht der Fall, bestehe keine Kollisionslage im Sinne des Art. 31 GG.265 Nur das echte Verhaltensdilemma des Rechtsunterworfenen vermöge den Vorrang einer Norm gegenüber der anderen zu rechtfertigen.266 Bestünden daher beispielsweise zwei Normen, von denen eine ein bestimmtes Verhalten erlaubt, die andere dieses Verhalten jedoch verbietet, so sei es dem Rechtsunterworfenen durchaus möglich, von der Erlaubnis Gebrauch zu machen oder auch nicht. In der Erlaubnis liege grundsätzlich die Freiheit, sie zu gebrauchen. Im beschriebenen Falle bestünde für den Normadressaten daher kein unausweichliches Verhaltensdilemma, was nach obigem Kollisionsbegriff nicht zur Anwendung des Art. 31 GG führen würde. In Fällen also, in denen zwar eine 259 Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 144. 260 Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 51; Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 422. 261 März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 140. 262 März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 141. Hier auch mit Hinweis auf BVerfGE 42, 20 (28). 263 BVerfGE 36, 342 (363). Ähnlich auch BVerfGE 96, 345 (364). 264 Ähnlich, jedoch ohne den speziellen Bezug zu Pestalozza ausdrücklich herzustellen, fordert dies Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 13. 265 Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 143. 266 Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 13.

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Mehrfachqualifikation denkbar sei, aus der Anwendung der jeweiligen Normen jedoch kein unausweichlicher Normenkonflikt entstehe, sei Art. 31 GG von vornherein nicht anwendbar. Aussagen über die Konkurrenzauflösung ließen sich hiernach in diesen Konstellationen nicht aus Art. 31 GG ableiten.267 Schließlich besteht auch an der von Pestalozza beschriebenen Rechtsfolge des Art. 31 GG in Fällen von Doppelkompetenzen Kritik. Pestalozza geht, wie oben bereits beschrieben, von einem bloßen Anwendungsvorrang aus. Das Landessonderrecht werde hiernach durch das Bundessonderrecht lediglich suspendiert, habe aber die Möglichkeit wiederaufzuleben, wenn das Bundesrecht wegfalle.268 Überwiegend wird im Anwendungsbefehl des Art. 31 GG „Bundesrecht bricht Landesrecht“ jedoch die Wirkung eines Geltungsvorrangs gesehen.269 Demnach würde das mit dem Bundesrecht konfligierende Landesrecht „gebrochen“, was die Nichtigkeit zur Folge hätte. Mithin bestünde für das so „verdrängte“ Landesrecht keine Möglichkeit wieder aufzuleben. Die sowohl am Tatbestand als auch an der Rechtsfolge bestehende Kritik an der Anwendung des Art. 31 GG als Kollisionsnorm lässt zunächst die von Pestalozza vertretene Ansicht als nicht vertretbar270 erscheinen. Im Gegenteil könne es sich aufgrund der bestehenden Angriffspunkte „auch nicht mehr um eine analoge Anwendung der Vorschrift oder eine Zugrundelegung ihres Rechtsgedankens handeln.“271 Für Fälle „echter Doppelkompetenz“, für Fälle also, die Pestalozza mit dem Begriff Idealkonkurrenzen beschrieben hat, werden jedoch im Lager der Vertreter des Verbots der Doppelzuständigkeit wiederum unterschiedliche Lösungsansätze angeboten. Kompetenzkollisionen, egal welcher Art, sei zunächst mittels Auslegung zu begegnen. Dies ist insoweit unbestritten. Der Auslegungsvorgang sei jedoch nicht willkürlich abzubrechen, sondern konsequent weiterzuführen und der einen Sachzusammenhang begründende Schwerpunkt mit einem „filigraneren Auslegungsinstrumentarium zu fixieren.“272 267 Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 143. 268 Pestalozza, DÖV 1972, S. 190. 269 Stellvertretend sei hier Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 20, mit weiteren Nachweisen in Fn. 2, genannt. 270 Im Ergebnis so Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 49 ff.; März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 123 ff., speziell S. 134, 136; Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 421 ff. 271 Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 144. 272 Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 144. Was jedoch genau unter einem „filigraneren Auslegungsinstrumentarium“ zu verstehen ist, bleibt zunächst offen. Augenscheinlich sieht Schröder in der Figur der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs dieses Instrumentarium: „Der Sachzusammenhang dient der sachgerechten und Doppelregelungen vermeidenden Auslegung

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Für Fälle wiederum, bei welchen tatsächlich nur sehr schwer eine Tendenz hin zum einen oder anderen Kompetenzträger feststellbar ist, wird auf Art. 70 I GG zurückgegriffen: „Aber selbst dann, wenn keine überwiegende Affinität der fraglichen regelungsbedürftigen Materie zu einer einzigen Zuständigkeit aufgefunden werden könne (wenn gleichstarke Verbindungen zu einem bundesrechtlichen Regelungsgegenstand und zu einem Thema der Landekompetenz bestünden), stehe nicht der von Pestalozza beschrittene Weg kompetenziell unaufgelöster Doppelqualifikationen offen“273, sondern es greife die bundesstaatliche Verteilungsregel des Art. 70 I GG.274 Art. 70 I GG als Grundnorm der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung im legislativen Bereich ordnet an, dass die Länder das Recht zur Gesetzgebung haben, soweit nicht das Grundgesetz dem Bunde Gesetzgebungskompetenz „verleiht“. Kernpunkt der Auflösung wäre somit abermals die Betrachtung der „Verleihung“ durch das Grundgesetz. Nach oben Gesagtem – und insoweit unbestrittenem – erfolgt die kompetenzielle Qualifizierung nach dem Schwerpunkt der Regelung, nach dem überwiegenden Sachzusammenhang. In den hier problematisierten Fällen fällt diese Schwerpunktbildung jedoch extrem schwer – auch insoweit besteht keine Meinungsdifferenz. Will man sich nun, dem Postulat des Verbots der Doppelkompetenz folgend, nicht auf eine Mehrfachqualifikation einlassen, so muss der Begriff des „Verleihens“ im Sinne des Art. 70 I GG näher betrachtet werden. Ist die jeweils eindeutige Kompetenzzuordnung oberste Prämisse, so gilt es, das „Verleihen“ im Sinne des Art. 70 I GG entweder restriktiv zu Gunsten der Länder oder extensiv zu Gunsten des Bundes zu verstehen und auszulegen. Beide Ansätze werden vertreten. So geht März davon aus, dass Art. 70 I GG als „interpretationsleitender Topos“ insoweit wirke, als er zur nicht extensiven Handhabung der Bundeskompetenzen führe.275 Gestützt wird diese Sichtweise auf einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts276, wonach „das Grundgesetz bei der Ordnung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern vom Grundsatz der Länderkompetenz aus[geht]. Der Bund hat die Gesetzgebungsbefugnisse nur, soweit das Grundgesetz sie ihm verleiht (Art. 70 Abs. 1 GG). In der Regel können daher Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes nur auf eine ausdrückliche Verleihung durch das Grundgesetz gestützt werden. Bei Zweifeln über die Zuständigkeit des Bundes spricht keine Vermutung zugunsten einer Bundeskompetenz. Die Systematik des

des Kompetenztitels, wenn es Berührungen mit anderen Kompetenzmaterien gibt“ (S. 43). 273 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 422 f. 274 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 423. Dort zitiert werden Müller/ Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 51. Insoweit noch übereinstimmend ist März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 138. 275 März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 138. 276 Verwiesen wird auf BVerfGE 12, 205 (228 f.); 15, 1 (17); 26, 281 (297 f.); 42, 20 (28) und 61, 149 (174).

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Grundgesetzes fordert vielmehr eine strikte Interpretation der Art. 73 ff. GG.“277 Kompetenzfriktionen sollen nach der hier dargestellten Ansicht also durch eine Vorgewichtung im Rahmen der Auslegung beseitigt werden. Eine gewisse Vermutungswirkung verbleibe im Anwendungsbereich des Art. 70 I GG. Dieser sei der Bereich von „Überschneidungen“, genauer: von Unklarheiten über die Reichweite einer Bundeskompetenz.278 In Situationen, in welchen die Reichweite einer Bundeskompetenz im streitigen Einzelfall nicht endgültig und eindeutig zu klären ist, enthalte Art. 70 I GG eine vor allem im verfassungsgerichtlichen Verfahren wirksame Regelung der Beweislast dergestalt, dass der Bund nachweisen müsse, zur Regelung eines Lebenssachverhalts berechtigt zu sein. Gelingt ihm dies nicht, so verbliebe das Recht zu legiferieren bei den Ländern.279 Im Ergebnis fordert diese Ansicht eine verstärkte Pflicht für den Bund, den Nachweis der grundgesetzlichen Kompetenzverleihung zu erbringen. Der Begriff des Verleihens wird zuungunsten des Bundes verstanden. Art. 70 I GG wäre also zu lesen, als ob eine zweifelsfreie Verleihung für den Bund gefordert wäre. Bereits oben im Kontext der Darstellung der Auslegung wurde auf Vermutungswirkungen im Rahmen der Auslegung eingegangen. Hier handelt es sich jedoch zunächst nicht um eine globale Vermutungswirkung im oben genannten Sinne. Dies stellt auch März eindeutig klar.280 Lediglich dem Begriff des Verleihens wird eine Beweislastregelung entnommen, welche dem Bund die Pflicht zum eindeutigen Nachweis seiner Kompetenz aus dem Grundgesetz auferlegt. Dennoch kommt nach den Ausführungen von März Art. 70 I GG eine doppelte Funktion zu. Neben der erörterten Beweislastregel in streitigen Fällen verpflichte der Primat der Landeszuständigkeit zur zurückhaltenden Interpretation der Reichweite der Bundeskompetenzen. Er wirke dadurch korrigierend auf die Handhabung des methodischen (Auslegungs-)Instrumentariums ein.281 Diese zweite Aussage kommt einer globalen Vermutungswirkung jedoch sehr nahe. Mit obiger Argumentation kann es bei methodisch korrekter Auslegung eine entsprechende Vorgewichtung, welche im vorliegenden Falle doppelt zu Lasten des Bundesgesetzgebers wirken würde (restriktive Interpretation und „Beweislast“), nicht geben. Die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern stehen grundsätzlich gleichwertig den zu regelnden Sachverhalten zur Verfügung. Sicherlich bedarf es eines Nachweises durch den Bundesgesetzgeber, was in der Konsequenz zu seinen Lasten geht. Ergeben jedoch die Auslegung sowohl der 277

BVerfGE 12, 205 (228 f.); März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 138. März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 138. 279 März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 140 f. 280 „Eine darüber hinaus gehende grundsätzliche Vermutung zugunsten der Länderzuständigkeit läßt sich Art. 70 I GG nicht entnehmen.“ (März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 141) 281 März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 140. 278

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Bundes- als auch der Landeskompetenz, dass ein gleich starker Regelungszusammenhang zu einer Materie besteht, so darf mittels einer Vermutungswirkung zu Gunsten der Länder dieses gefundene Ergebnis nicht überspielt werden. Das Erfordernis eines zweifelsfreien Nachweises der grundgesetzlichen Kompetenzverleihung durch den Bund hingegen kann alleine dennoch Bestand haben. Dies hat das Bundesverfassungsgericht zumindest angedeutet und auch der Wortlaut des Art. 70 I GG lässt dieses Ergebnis zu. Auch dies ist jedoch bei Weitem nicht unbestritten. So existiert auch innerhalb des Lagers der Vertreter des Verbots der Doppelzuständigkeiten eine gänzlich entgegengesetzte Auffassung. Für den Fall, dass eine Regelungsmaterie nicht durch Auslegung weiter zu differenzieren wäre, mithin gleichstarker Sachbezug zur Bundes- und zur Landeskompetenz bestünde, wäre kein Fall der Doppelqualifizierung gegeben. Insoweit gleichen sich beide Ansichten. Art. 70 I GG ordne jedoch eine „Verleihung“ auch für den Fall an, in dem gleichwertiger Sachbezug zu Bund und Ländern gegeben wäre.282 Auch hier sei nicht nur ein untergeordneter Reflex, sondern eine gleichwertige Zuordnung nachweisbar, welche für die „Verleihung“ im Sinne des Art. 70 I GG ausreiche. Begründet wird dies mit dem grundgesetzlichen Verteilungssystem der Gesetzgebungskompetenzen. Nach diesem ginge die Fragestellung nicht dahin, ob der Bund oder die Länder zuständig seien, sondern allein dahin, ob eine Verleihung von Zuständigkeit an den Bund normativ ausgewiesen werden könne. Ist dies der Fall, so sei der Bund zuständig, soweit dieser Nachweis reiche. Art. 70 I GG wird hier also anders „gelesen“: Die Länder haben das Recht zur Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde „übergewichtig oder gleichgewichtig“283 Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts widerspricht diese Sichtweise des Art. 70 I GG ebenfalls nicht. Zwar muss der Bund den „Nachweis“284 erbringen, dass ihm das Grundgesetz Gesetzgebungsbefugnis verleiht. Welche Anforderungen an diesen Nachweis zu stellen sind, ob dieser schwer oder leicht erbringbar ist, geht aus den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht hervor. In Fällen gleichwertigen Sachbezugs wäre nach dieser Lesart des Art. 70 I GG daher Bundeskompetenz gegeben, Doppelqualifikationen – und damit die Anwendung des Art. 31 GG – wäre auch hier von vornherein ausgeschlossen.285 Die Konsequenz letzterer Auffassung wäre, dass keine kom282 Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 51. Ebenso Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 423. 283 Diese Formulierung findet sich bei Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 51. 284 BVerfGE 42, 20 (28). 285 Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 52. Diese Situation entspricht der von März (März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 108 ff.) beschriebenen: Kollisionsentscheidungsnormen (Art. 31 GG) setzen Normkollisionen voraus. Die Aufgabe von Kollisionsvermeidungsnormen (hier Art. 70 ff. GG) ist es jedoch, wie der Name schon sagt, derartige Kollisionen zu vermeiden. Wäre Art. 70 I GG

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petenzrelevanten Normkollisionen und infolgedessen auch keine Kompetenzkonkurrenzen entstehen könnten, da Doppelzuständigkeiten nicht denkbar wären. (3) Modifizierte Anwendung des Art. 31 GG Für die Annahme eines Verbots der Doppelzuständigkeit und gegen die Anwendung des Art. 31 GG scheinen zunächst die besseren Argumente zu sprechen. So ist der Primat der Auslegung unbestritten und eine Lösung im Rahmen der Auslegung scheint greifbar. Dennoch muss auch hier an den oben aufgestellten Regeln methodisch korrekter Auslegung festgehalten werden. Vorzeitiges Unterbrechen des Auslegungsvorgangs ist ebenso unzulässig wie dessen exzessive Ausdehnung. So ist es durchaus richtig, wenn gefordert wird, der Auslegungsvorgang dürfe nicht von einem von Fall zu Fall pragmatisch bestimmten Punkt zu früh abgebrochen werden. Dies ist indes nicht die Intention der Vertreter der Theorie der Doppelzuständigkeit. Generell ist es zunächst nötig, die Kompetenztitel, die bestehenden Gesetze oder die in Frage stehende Regelungsmaterie auszulegen. Dies hat nach beiden Ansichten nach allen hergebrachten Interpretationsmethoden und fallbezogen zu geschehen. Wie sonst sollte erklärt werden, dass von Pestalozza realkonkurrierend genannte Scheinkonkurrenzen mittels einer sonderrechtlichen Beziehung einer speziellen Kompetenz zugeordnet und der allgemeineren Kompetenz vorgehen sollen. Wenn sich jedoch auch nach methodisch korrektem Vorgehen im Rahmen der Auslegung zeigen sollte, dass gleichstarker Sachzusammenhang, dass gleichstarkes Sonderrecht zwischen Regelungsgegenstand und den jeweils konfligierenden Kompetenzen besteht, so kann nicht von einem von Fall zu Fall unterschiedlich gewählten Zeitpunkt der Unterbrechung des Interpretationsvorgangs, von einem zu frühen Abbrechen des Interpretationsvorganges und von vorschnellem Wechseln auf ein „non-liquet“ gesprochen werden. Sicherlich ist die grundgesetzliche Kompetenzordnung von Vornherein auf Alternativität und Abgeschlossenheit angelegt. Eine tatsächlich überschneidungsfreie Kompetenzordnung stellt jedoch den Idealfall dar, der durch tatsächliche Gegebenheiten in einzelnen Fällen durchaus Ausnahmen erfahren kann.286 Entsprechendes erkennen auch die Vertreter des Verbots der Dopdaher vorliegend einschlägig, so wäre die für die Anwendung des Art. 31 GG nötige Kollision bereits vorher vermieden. Ausdrücklich dazu auf S. 110. 286 Ähnlich auch Brohm, DÖV 1983, S. 525. So in der Vergangenheit auch schon Merkl, Zum rechtstechnischen Problem der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung, S. 1597: „Ich bezweifle, daß irgendeine der historischen Verfassungen, die einen Gesetzgebungsparallelismus [. . .] vorsehen, das Kunststück getroffen habe, nicht etwa jeglichen Kompetenzkonflikt – denn der ist selbst bei vollendeter Kompetenzverteilung möglich – sondern auch jede Kompetenzkonkurrenz [. . .] auszuschließen.“ Weiter an späterer Stelle: „In gewissen Angelegenheiten soll nämlich ausschließlich die zentrale Gesetzgebung, in anderen Angelegenheiten sollen ebenso die ausschließlich dezentralisierten Gesetzgebungen zuständig sein, wobei beide Gesetzgebungen formell einander grundsätzlich gleichstehen. Von dieser vermeintlich eindeutigen Kompetenzverteilung

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pelzuständigkeit an: „Wo Gesichtspunkte nicht (mehr) vorhanden sind, wo eine überwiegende sachliche Affinität der fraglichen Regelungsmaterie nicht (mehr) dargetan werden kann, greift die bundesstaatliche Verteilungsregel [. . .] ein.“ 287 Die Auslegung der jeweiligen Kompetenztitel und der zu regelnden Materie gibt auch hier keine zusätzlichen Anhaltspunkte (mehr) für die kompetenzielle Qualifizierung. Zurückgegriffen wird auf die bundesstaatliche Grundverteilungsnorm des Art. 70 I GG. Einerseits führt die Beachtung dieser Norm jedoch zur Bundeskompetenz – der Nachweis der Verleihung erfordert hier nur „gleichwertige“ Kompetenz –, andererseits gelte der Grundsatz der Primärzuständigkeit der Länder, was durch die Anwendung derselben grundgesetzlichen Verteilungsnorm zur Landeskompetenz führt. Hier fällt der Vorwurf der willkürlichen Unterbrechung des Auslegungsvorgangs gleichermaßen auf seine Urheber zurück.288 Der Unterschied zwischen der Anwendung einer kompetenzrechtlichen Generalklausel und der Anwendung des Art. 31 GG ist hier marginal. Keine der beiden Ansichten beendet die Auslegung willkürlich. Ein methodisch korrektes Vorgehen, dem trotz aller Berücksichtigung individueller Vorverständnisse ein Kern an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit verbleiben soll, findet im Zusammenspiel der grundgesetzlichen Kompetenzvorschriften seine Grenzen, wo gleiche Sachnähe einer Regelungsmaterie zu beiden in Frage kommenden Kompetenzen besteht. An diesem Punkt die Auslegung abzubrechen, ist keineswegs verfrüht, sondern exakt der richtige Zeitpunkt, will man die Berechenbarkeit des Auslegungsergebnisses bewahren und die Methodik der Auslegung nachvollziehbar halten. Im Ergebnis brechen sowohl die Vertreter des Verbots der Doppelzuständigkeit als auch die Vertreter der Theorie der Doppelkompetenz den eigentlichen Auslegungsvorgang ab. Während die einen auf Art. 70 I GG als Grundnorm zurückgreifen, die „Verleihung“ im Sinne des Art. 70 I GG dabei teils bejaht, teils verneint wird, wenden die anderen Art. 31 GG an, weil sie weder für den Bund noch für die Länder im streitigen Fall eine eindeutige Kompetenz begründet sehen, also weder der „Regelfall“ der Länderzuständigkeit noch die „Verleihung“ der Gesetzgebungszuständigkeit durch das Grundgesetz an den Bund eindeutig bejaht werden kann. Warum eine zwingende Annahme einer der beiden Alternativen des Art. 70 I GG („Verleihung“ gegeben oder nicht gegeben) der des Art. 31 GG vorzugswürdig sein soll, kann zumindest aus dem Argument verfrühter Auslegungsunterbrechung nicht hergeleitet werden.

behaupte ich nun, daß sie die Quelle ungeahnter Doppelkompetenzen ist, und zwar insoferne, als nur zu häufig ein Gegenstand, der unter einem bestimmten Titel in die eine Kompetenz fällt, unter einem anderen Titel in die andere Kompetenz zu subsumieren ist.“ (S. 1598 f.) Freilich ist die Annahme „ungeahnter Doppelkompetenzen“ gemäß der hiesigen Ausführungen zu relativieren. 287 Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 51. 288 Dies ist ein Vorwurf, den März gerade den Vertretern der Doppelzuständigkeit macht, vgl. März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 136.

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Entsprechendes muss für den Vorwurf gelten, man könne den Schwerpunkt einer Regelung mittels eines filigraneren Auslegungsinstrumentariums fixieren.289 Wenn nach methodisch korrekter Auslegung kein Schwerpunkt feststellbar ist, bleibt zu fragen, welches Auslegungsinstrumentarium zur Fixierung übrig sein soll. Wenn die Kollisionsvermeidungsnormen der Art. 70 ff. GG (auch unter systematischer Berücksichtigung des Art. 70 I GG!) nicht in der Lage sind, einen überwiegenden Schwerpunkt hin zur einen oder anderen Kompetenz auszumachen, so erscheint es gerade dann methodisch unkorrekt, mittels einer „interpretatorischen Brechstange“ auf eine eindeutige Zuweisung im Rahmen dieser Kollisionsvermeidungsnormen hinzuwirken. Sicherlich ist das kompetenzrechtliche Verteilungssystem des Grundgesetzes auf alternative, abschließende Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen angelegt. Ebenfalls richtig ist, dass sich der Großteil dieses Verteilungssystems innerhalb der Art. 70 ff. GG befinden. Nichtsdestotrotz existieren auch außerhalb der Kataloge der Art. 73, 74 GG einige Normen, welche dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeit verleihen und einige Normen, welche „von außen“ auf eben dieses Verteilungssystem einwirken. Ebenfalls Teil des grundgesetzlichen Systems ist Art. 31 GG. Dieser ist unbestritten nicht Teil des engeren legislativen Kompetenzverteilungssystems der Art. 70 ff. GG. Dennoch, und dies stellt den nächsthöheren „Normenkreis“ im Rahmen der systematisch zu beachtenden Normen dar, spielt Art. 31 GG eine Rolle im bundesstaatlichen Verteilungssystem des Grundgesetzes allgemein. Art. 31 GG befindet sich somit in einem etwas ausgedehnteren Kreise bezüglich der Kompetenzordnung. Er stellt jedoch keinesfalls den Fremdkörper dar, den die Vertreter des Verbots der Doppelzuständigkeit in ihm gerne sehen.290 Systematische Inkonformität291 kann, wohlgemerkt immer nach systematisch korrekter Vorgehensweise, einer Anwendung des Art. 31 GG daher ebenso wenig vorgehalten werden wie frühzeitiger Abbruch der Auslegung. Auch die jüngsten kompetenzrechtlich relevanten Entwicklungen im Rahmen der Föderalismusreform zeichnen ein Bild, welches die Konkurrenzauflösung über Art. 31 GG zu stützen scheint. So wurde durch Art. 72 III GG eine neue Kompetenzart in Form der Abweichungsgesetzgebung eingeführt. Bund und Länder sind im Rahmen der in Art. 72 III 1 GG enumerierten Gesetzgebungsmaterien befugt, legislativ tätig zu werden. Zwar geht nach Art. 72 III 3 GG das jeweils spätere Gesetz dem früher erlassenen vor, was Art. 31 GG diesbezüglich (aber auch nur diesbezüglich) außer Kraft setzt.292 Es zeigt sich, dass auch das

289 Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 144. 290 Zur zumindest partiellen Anerkennung von Doppelkompetenzen durch die Kompetenzordnung siehe auch im Folgenden. 291 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 423. 292 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 72, Rdnr. 40.

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strikte System der Alternativzuweisung nach Art. 70 ff. GG Doppelkompetenzen zu kennen scheint.293 Die selbst oktroyierte Pflicht294, im Rahmen der Auslegung immer zu einem eindeutigen Ergebnis kommen zu müssen, führt zur Annahme von Vermutungswirkungen und zu Interpretationen des Art. 70 I GG, welche nicht gänzlich überzeugen können. Eine „Auslegung“, welche nach bereits erfolgter Berücksichtigung aller methodisch korrekten Interpretationsmittel durch den Hinweis beispielsweise auf restriktive Interpretationsbedürftigkeit der Bundeskompetenzen nachträglich, also durch eine doppelt gewichtete Berücksichtigung der Systematik des Art. 70 ff. GG (speziell des Art. 70 I GG) das Ergebnis modifiziert, mit dem Ziel in jedem Falle eine Kollision zu vermeiden, erscheint nicht methodisch vorzugswürdiger. Der Vorwurf willkürlicher Ergebnisse einer derart erzwungenen Auslegung bleibt hier zumindest schwebend im Raum.295 Dies zeigen auch die obigen Ausführungen, wonach einerseits Bundes- andererseits Landeskompetenz für den Fall gleichwertigen Sachbezugs angenommen wird. Gegebenenfalls bestehende Kompetenzkonkurrenzen sind offen anzusprechen, auch wenn sie nicht dem Idealbild des grundgesetzlichen Kompetenzverteilungssystems entsprechen, und dann kollisionslösend zu behandeln. Dies muss gegenüber soeben Dargestelltem vorzugswürdig sein. Darüber hinaus geht es im vorliegenden Fall gerade nicht um die Frage der Regelzuständigkeit oder um restriktive oder extensive Auslegung von Kompetenznormen, sondern um die Frage einer kollisionslösenden Behandlung zweier Kompetenzen, welche sich auf gleich starken Sachbezug (welcher bereits durch eine methodisch korrekte, abgeschlossene Auslegung festgestellt wurde!) zur Regelungsmaterie berufen können.296 Kollisions(auf)lösung, nicht Kollisionsvermeidung muss hier geleistet werden. Für die Anwendung des Art. 31 GG auf die Fälle gleichwertigen Bezugs zweier Kompetenzen unterschiedlicher Kompetenzträger auf eine Regelungsmaterie spricht in Übereinstimmung mit Pestalozza daher einiges. Das Grundgesetz selbst ordnet im Fall einer Kollision von Bundesund Landesrecht in Art. 31 GG an, dass das Bundesrecht solches der Länder bre-

293 Dass sich eine darüber hinausgehende Wirkung des Art. 72 III GG nicht ergibt, wird an späterer Stelle aufgezeigt, vgl. 4. Teil A. II. 2. b) dd). Sehr begrenzt kann jedoch auch schon an diesem Vergleich eine gewisse Systematik im grundgesetzlichen System erkannt werden: Wie Art. 72 III 3 GG für die Materien aus Art. 72 III 1 GG anordnet, dass das spätere Gesetz das frühere verdrängt, so ordnet Art. 31 GG für Ausnahmen von dem immer noch bestehenden Regelfall der Alternativkompetenzen an, dass die Bundesregelung die landesrechtliche Regelung bricht. 294 Pestalozza diagnostiziert hier „das Trauma, unter allen Umständen zu einer eindeutigen Qualifikation gezwungen zu sein“ (Pestalozza, DÖV 1972, S. 189). 295 Im Sinne von: „Im Auslegen seid frisch und munter! / Legt ihrs nicht aus, so legt was unter.“ (Goethe, Zahme Xenien II, S. 190) 296 Lerche, JZ 1972, S. 471.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

chen soll. Sicherlich ist unter Bundesrecht Recht jeglicher Rangstufe297, unter Landesrecht ebenfalls Landesrecht jeglicher Rangstufe298 zu verstehen, weshalb auch nach der (faktischen) Herausnahme299 formeller Gesetze ein, wenn auch schmaler, Anwendungsbereich für Art. 31 GG verbliebe.300 Dennoch scheint gerade der Fall gleich starker Bezüge zweier Kompetenznormen zu einer Regelungsmaterie exakt den Anwendungsbereich des Art. 31 GG darzustellen.301 Art. 31 GG setzt eine Normkonkurrenz voraus, welche es nur geben kann, wenn auch die jeweiligen Legislativorgane zur Rechtssetzung befugt waren. Dies wiederum setzt die Möglichkeit einer Mehrfachqualifikation zwingend voraus. Erfasste Art. 31 GG gerade nicht die hier zu behandelnden Situationen, so bliebe nur, ihm bezüglich formeller Gesetze lediglich die Funktion einer Rechtsfolgenanordnung für ohnehin schon nichtige Gesetze beizumessen.302 Das Problem der Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit von Normen ist jedoch allgemeiner Art und nicht auf die Sonderkonstellation des Verstoßes von Bundes- gegen Landesrecht beschränkt. Rechtswidrige Normen sind nichtig.303 Daneben ist die Formulierung des Art. 31 GG für die Annahme einer bloßen Rechtsfolgeanordnung sehr zwei297 Demgemäß sind Bundesgesetze, Zustimmungsgesetze nach Art. 32 I 2. 24 I, 59 II GG, bundesrechtliche Rechtsverordnungen, Satzungen, normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften und das dem Kompetenzbereich des Bundes zuzuordnende Richterund Gewohnheitsrecht vom Begriff des Bundesrechts im Sinne des Art. 31 GG erfasst. Nicht Anwendung finden soll Art. 31 GG dagegen auf Richtlinien und sonstige Verwaltungsvorschriften sowie auf Verwaltungsakte und nichtstaatliche Rechtssetzungsakte wie Tarifverträge. Vgl. dazu Huber, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 31, Rdnr. 9. Ebenso Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 31, Rdnr. 12 ff. 298 Auch hier ist jegliches von Landesorganen herrührendes Recht einschließlich der Landesverfassungen erfasst. Auch dazu Huber, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 31, Rdnr. 12 und Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 31, Rdnr. 18 f. 299 Einer Herausnahme aus dem Anwendungsbereich käme es gleich, würde man alle Kompetenzkonflikte zwingend auf Auslegungsebene lösen müssen: „Diese Lückenlosigkeit der bundesstaatlichen Kompetenzordnung scheint die Notwendigkeit einer Kollisionsentscheidungsnorm, wie sie Art. 31 GG darstellt, entbehrlich zu machen.“ (März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 123) 300 Hierzu Sˇarc ˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 244. Zur Auffassung, welche Art. 31 GG eine Bedeutung für die Fälle eines inhaltlichen Widerspruchs zuweisen will, der nicht zugleich einen Kompetenzverstoß darstellt, siehe Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 706. 301 Pestalozza, DÖV 1972, S. 190. 302 Zum möglichen Inhalt des Art. 31 GG allgemein siehe Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 705 ff.; Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 3, diese sehen den Hauptanwendungsfall des Art. 31 GG in Art. 72 I GG, wonach verfassungsgemäßes Gebrauchmachen des Bundes von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz vorher gültig gesetztes Landesrecht verdrängt. Indes wäre Art. 31 GG auch für diese Situation nicht nötig, da den Ländern durch das Tätigwerden des Bundes die Kompetenz entzogen wird, wodurch das gesetzte Landesrecht nichtig würde. Zu weit gehend ist jedoch die Auffassung von Bleckmann, nach welcher die Länder – auch über Art. 31 GG – an die Ziele der Bundespolitik gebunden wären (Bleckmann, DÖV 1986, S. 125 ff.). 303 Vgl. Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 705.

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felhaft. Art. 31 GG spricht von „brechen“, was – darauf deutet auch die bestehende Kontroverse hin – nicht zwingend auf eine Nichtigkeit hinweist, sondern durchaus auch als bloßer Anwendungsvorrang verstanden werden kann.304 Das gewichtigste Argument gegen eine Annahme einer bloßen Rechtsfolgeanordnung stellt jedoch die Normierung des Art. 31 GG als Bestandteil der Verfassung selbst dar. Die Verfassung soll grundlegende Prinzipien des gemeinschaftlichen Zusammenlebens und die grundlegende Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen staatlichen Stellen und Kompetenzträgern bewerkstelligen.305 Die Normierung einer bloßen Rechtsfolgeanordnung wäre in diesem Zusammenhang absolut systemfremd. Wie an vorheriger Stelle306 dargelegt wurde, bedarf es gerade im Bereich des Verfassungsrechts eines recht hohen Abstraktionsgrades der verwendeten Normen, um die Vielzahl der Lebenssachverhalte und die grundlegenden Prinzipen zu formulieren. Zwischen diesen Fundamentalnormen in Art. 31 GG lediglich eine Rechtsfolgeanordnung zu sehen, wäre nicht nur systemfremd, sondern bescheinigte dem Verfassunggeber ein gewisses Maß an Inkonsequenz. Art. 31 GG lediglich als Bekräftigung des Bundesstaatsprinzips zu sehen307, geht in eine ähnliche Richtung. Hierdurch wäre Art. 31 GG ohne eigenständige Bedeutung. Er träte gewissermaßen als Hohlformel neben Art. 20 I GG. Unbestritten ist, dass Art. 31 GG eine bundesstaatliche Rolle spielt. Er ordnet als Kollisionslösungsnorm einige der im Bundesstaat bestehenden Friktionen. Hierin jedoch lediglich eine Bekräftigung des Bundesstaatsprinzips zu sehen, ließe Art. 31 GG in seinem Bedeutungsgehalt weitgehend leer laufen.308 Während viele der gegen die Anwendung des Art. 31 GG vorgebrachten Argumente nach oben Gesagtem entkräftet werden können, so bleibt ein Einwand gegen die Anwendung des Art. 31 GG dennoch bestehen: Die Anwendung des Grundsatzes „Bundesrecht bricht Landesrecht“ führte zur generellen Bevorzugung des Bundesgesetzgebers. Gerade in den Fällen gleichen Sachbezugs zweier Kompetenznormen zu einer Regelungsmaterie erscheint dies fragwürdig. Bundes- und Landeskompetenzen sind grundsätzlich als gleichwertig anzusehen. Weder aus Art. 70 I GG noch aus der Tatsache, dass Landeskompetenzen nicht ausdrücklich normiert sind, kann auf eine ursprüngliche Höherwertigkeit der Kompetenzen des einen oder anderen Kompetenzträgers geschlossen werden. Dies wurde bereits ausführlich dargestellt.309 Der bundesgesetzlichen Regelung nun 304 „Die Norm ,Bundesrecht bricht Landesrecht‘ kann als Ausdruck eines Geltungsvorrangs oder eines Anwendungsvorrangs verstanden werden“ (Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 20). 305 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 10 ff. 306 Siehe dazu 1. Teil B. I. 1. 307 Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 707. 308 Pietzcker, in: HdBStR IV, S. 707 ff. 309 Vgl. 1. Teil B. II. 1.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

gerade in einer Situation den Vorrang einzuräumen, in welcher absolute Gleichgewichtigkeit besteht, erscheint seinerseits systemfremd. Exakt diese Systemfremde ist jedoch „echten Kompetenzkonkurrenzen“ zutiefst zu eigen. Die bundesstaatliche Kompetenzverteilung des Grundgesetzes ist unbestritten auf Alternativität angelegt. Idealerweise bestünden keine Kompetenzüberschneidungen, Doppelkompetenzen wären nicht vorhanden. Wie bereits dargestellt, erscheint es jedoch als Trugschluss, ginge man – ausgehend vom Idealfall der Kompetenzordnung – so weit, dennoch bestehende Ausnahmen als nicht existent zu betrachten. Tatsächliche Gegebenheiten und sich neu ergebende Regelungsbereiche sind durchaus in der Lage, sich gewissermaßen auf die Nahtstelle der Kompetenzbereiche zu setzten und so Ausnahmen zu diesem Idealfall darzustellen: Durch „echte Doppelkompetenzen“ wird vom Idealfall des grundgesetzlichen Verteilungssystems abgewichen. Die Kollisionsvermeidungsnormen der Art. 70 ff. GG sind in diesen Fällen nicht in der Lage, angemessene Lösungen zu präsentieren. Vielmehr ist die durch sie intendierte Kollisionsvermeidung nicht gelungen. Nun, gewissermaßen ex post, mit erwähnter „interpretatorischer Brechstange“ zu versuchen, dieses Ideal aufrecht zu erhalten, birgt die dargestellten Gefahren willkürlicher oder zumindest nicht gänzlich objektiv nachvollziehbarer Kompetenzzuweisung. Richtigerweise müssen die derart bestehenden Ausnahmen offen angesprochen werden. Für den Fall, dass die Kollisionsvermeidung nicht gelungen ist, ist es nötig, kollisionsauflösend tätig zu werden. Hierzu – dies ist ebenfalls anerkannt310 – besteht mit Art. 31 GG eine grundgesetzliche Kollisionslösungsnorm: Bundesrecht bricht Landesrecht – sich exakt zwischen zwei Kompetenzbereichen befindende Regelungsmaterien werden eindeutig der Bundeskompetenz zugeschrieben. Dass dies der grundsätzlich bestehenden Gleichwertigkeit der Bundesund Landeskompetenzen ein Stück weit widerspricht, stellt lediglich eine Folge der sachgemäßen Reaktion auf die bezüglich des grundgesetzlichen Kompetenzverteilungssystems bestehenden Ausnahmen dar. Auch passt sich die von Art. 31 GG getroffene Entscheidung zumindest vom Gesichtspunkt der tatsächlichen Kompetenzgewichtung in das bestehende System der Art. 70 ff. GG ein. So steht dem Bund die tatsächlich weit überwiegende Regelungsmacht für die Staatsfunktion Gesetzgebung zu.311 Ist nun bezüglich einer Regelungsmaterie nicht sicher feststellbar, ob das Grundgesetz von einer sinnvolleren bundeseinheitlichen Regelung oder davon ausgeht, dass gliedstaatliche Regelungen ausreichen, so scheint die Entscheidung zu Gunsten des Bundesgesetzgebers folgerichtig: In Fällen absolut gleichen Sachbezugs soll eine bundeseinheitliche Regelung erfolgen. 310 Vgl. nur Huber, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 31, Rdnr. 2; Korioth, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 31, Rdnr. 2; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 31, Rdnr. 2. 311 Vgl. Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 7.

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Natürlich darf diese Vorrangregel des Art. 31 GG nicht zur Aushöhlung der Landeskompetenzen oder der Überspielung des grundgesetzlichen Verteilungssystems insgesamt führen. Eine derartige Befürchtung geht jedoch schon aufgrund der zu erwartenden Zahl der von Art. 31 GG zu lösenden Kompetenzkonflikte fehl.312 Die ganz überwiegenden Probleme nicht eindeutiger kompetenzieller Qualifizierung sind bereits durch die Feststellung des „Schwerpunkts der Regelung“ mittels Auslegung behebbar. Nur die seltensten Fälle absolut gleichen Sachbezugs werden von Art. 31 GG im hier verwendeten Sinne erfasst. Von einer Überlagerung des grundgesetzlichen Verteilungssystems kann daher keine Rede sein. Wie erwähnt, besteht mit Art. 31 GG eine grundgesetzliche Regelung zur Kollisionsvermeidung. Die Verfassung räumt in Kollisionsfällen bundesrechtlichen Regelungen den Vorrang vor Landesrecht ein. Der Sonderfall nicht eindeutig zuzuordnender Regelungsmaterien zieht, angeordnet durch die Verfassung selbst, die Sonderregelung des bundesrechtlichen Vorrangs nach sich. Art. 31 GG ist, ebenso wie die restliche Verfassung, von allen Rechtsanwendern zu beachten. Ihre Wertungen dürfen nicht unter Hinweis auf systemfremde oder unzulässige Ausweitung von Bundeskompetenzen missachtet werden. Art. 31 GG ist Teil der Verfassung, weswegen seine Beachtung ebenso wenig gegen das verfassungsrechtliche System verstoßen kann wie es verfassungswidriges Verfassungsrecht313 geben kann.314 Die Kollisionsvermeidungsnormen der Art. 70 ff. GG sind nach dem Gesagten in Fällen von Idealkonkurrenzen nicht in der Lage, Art. 31 GG als spezielleres Recht zu verdrängen. Auch Vertreter des Verbots der Doppelkompetenzen kommen zu ähnlichen Ergebnissen. So lassen Müller/Pieroth/Rottmann die gleichwertige Sachnähe einer Bundeskompetenz für die Verleihung im Sinne des Art. 70 I GG genügen.315 Im Endeffekt weicht diese Lesart des Art. 70 I GG nicht von dem Ergebnis ab, welches über die Anwendung des Art. 31 GG gefunden wurde. Bundeskompetenz besteht in streitigen, hier zu behandelnden Fällen nach beiden Ansichten. Übertriebene Bundesfreundlichkeit kann von Seiten der Vertreter des Verbots der Doppelkompetenzen einer Anwendung des Art. 31 GG auch aus diesem Grunde nur schwer entgegen gehalten werden.

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Ähnlich, mit rechtsvergleichenden Hinweisen, Pestalozza, DÖV 1972, S. 190. Natürlich ist dies unter der Einschränkung zu sehen, dass Art. 79 III GG eingehalten werden muss, und sich im System der Verfassung keine in Frage kommende Norm als lex specialis erweisen darf. 314 Zu verfassungswidrigen Verfassungsnormen bereits Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen? 315 Müller/Pieroth/Rottmann: Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, S. 51. 313

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

(4) Eignung des Art. 31 GG zur Auflösung von Kompetenzkonkurrenzen auch ohne vorhandene einfachgesetzliche Regelung Die Frage einer generellen Eignung des Art. 31 GG zur Auflösung von „echten“ Kompetenzkonkurrenzen kann mit diesen Betrachtungen jedoch noch kein Ende finden. Bereits an früherer Stelle wurde dargestellt316, dass Art. 31 GG nur mittelbar eine Entscheidung über die kompetenzielle Lage des Grundgesetzes fällen kann.317 Demnach ist in jedem Falle nötig, dass sowohl durch den Bundesgesetzgeber als auch durch den Landesgesetzgeber bereits gültiges Recht erlassen wurde. Eine Anwendung der Norm auf die jeweiligen widerstreitenden Kompetenzen wäre nur dann direkt möglich, wenn der Anwendungsbefehl der Norm auch auf die verfassungsrechtlichen Kompetenznormen anwendbar wäre: Bundeskompetenz bricht Landeskompetenz. Die Art. 70 ff. GG sind jedoch – Bundesund Landeskompetenzen umfassend – Elemente der Bundesverfassung. Ein Aussagegehalt dergestalt, dass Bundeskompetenzen generell die des Landes brechen, kann Art. 31 GG gerade nicht entnommen werden. Existiert also sowohl Bundes- als auch Landesrecht, welches auf die jeweils widerstreitenden Kompetenzen gestützt wurde, so ist der Anwendungsbereich des Art. 31 GG prinzipiell eröffnet, das Landesrecht wird suspendiert und der Bundesregelung der Vorrang eingeräumt. In den Fällen jedoch, in denen noch kein Gesetzgeber tätig geworden ist, oder falls nur einer der beiden Kompetenzträger ein Gesetz erlassen hat, steht die Eignung des Art. 31 GG als vollwirksames Konkurrenzauflösungsmittel in Frage. Die Anwendung des Art. 31 GG auf inhaltsgleiches Recht war abzulehnen.318 Ebenso scheint die Annahme einer Kollision von Bundesrecht und Landesrecht dann schwierig, wenn nur eines von beiden oder noch keines existiert. Nicht existierendes Bundesrecht kann kein Landesrecht brechen, nicht bestehendes Landesrecht kann nicht gebrochen werden. Nichtsdestotrotz scheint die Klärung der kompetenzrechtlichen Lage aus rechtsstaatlichen, aber auch aus rein praktischen Gründen geboten. Ohnehin wird der gesamte Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung erschwert, findet sich für eine Regelung noch keine gesetzliche Normierung. Die Formulierung eines Sachverhalts und die Zuordnung zu einer bestimmten Kompetenznorm wird sich nahezu in allen Fällen als schwieriger erweisen als die Feststellung des Regelungszwecks eines ausformulierten Gesetzes und dessen schwerpunktmäßige Zuordnung. Ungeregelte Materien bieten nicht die Möglichkeit, auf genetische und meist319 auch nicht auf historische Zusam316

4. Teil A. I. 2. a). Dies scheint auch Lerche so zu sehen: „dafür aber ist Art. 31 GG zuständig (wenn auch wohl nicht unmittelbar anwendbar)“ (Lerche, JZ 1972, S. 471). 318 4. Teil A. I. 2. a). 319 Dies hängt damit zusammen, dass nahezu alle regelungsbedürftigen Gebiete in der Bundesrepublik bereits eine Regelung erfahren haben. Nur neu entstehende, bei317

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menhänge zurückzugreifen. Für die Vertreter des Verbots der Doppelzuständigkeiten erhöht sich diese Schwierigkeit zusätzlich. Durch die Notwendigkeit der eindeutigen Auslegung und Zuordnung wird die weniger Ansatzpunkte bietende Regelungsmaterie höherem Interpretationsdruck ausgesetzt. Wiederum erscheint der Vorwurf geringerer Objektivität und schlechterer Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gerechtfertigt. Für Art. 31 GG bedeutet die vorhandene Nichtregelung augenscheinlich von vornherein das „Aus“ zur Konkurrenzauflösung. Die nur mittelbare Wirkung auf die Kompetenzordnung scheint Art. 31 GG ohne vermittelnde einfachgesetzliche Normen nicht entfalten zu können. Betrachtet man jedoch die hinter Art. 31 GG stehende Wertung, so muss beachtet werden, dass das Verbot der Doppelkompetenzen für die Anwendung des Art. 31 GG ohnehin nicht bestehen kann. Im Gegenteil ist für eine Regelungsmaterie vielmehr von der Möglichkeit einer Doppelzuständigkeit auszugehen, erkennt man Art. 31 GG als taugliche Kollisionslösungsnorm an. Für ungeregelte Sachverhalte besteht also sowohl für die Länder als auch für den Bund die Möglichkeit der Regelung. Diesen Kompetenzkonflikt schon hier – also vor Erlass jeweiliger Regelungen – aufzulösen, besteht kein Anlass. Weder rechtsstaatliche Gesichtspunkte noch praktische Erwägungen verleiten hierzu. Ohne Gesetz besteht keinerlei Regelungswirkung für die jeweiligen Normadressaten. Der Bürger als im Regelfall primärer Normadressat wird weder durch die Bundeskompetenz noch durch die Landeskompetenz tangiert. Der Kompetenzkonflikt ist in diesem Stadium zwar im grundgesetzlichen Kompetenzverteilungssystem angelegt, jedoch noch nicht konkret geworden, bildlich gesprochen: noch nicht ausgebrochen. Auch für den Fall, dass zunächst nur der Landesgesetzgeber tätig wird, eine bundesgesetzliche Regelung jedoch noch nicht besteht, ändert sich an der Konfliktsituation zunächst wenig. Sowohl Bund als auch Länder sind zur Gesetzgebung befugt. Für beide Kompetenzträger besteht gleiche Sachnähe. Wiederum konfligieren beide Kompetenzen noch nicht „aktuell“ miteinander. Der Bundesgesetzgeber lässt seine Kompetenz (gegebenenfalls bewusst320) ruhen, während zumindest ein Landesgesetzgeber von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat. Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall, in dem der Bundesgesetzgeber tätig wurde, die Landesgesetzgeber jedoch keine Regelung erlassen haben.

spielsweise durch technischen Fortschritt bedingte Regelungsbereiche weisen keine Regelung, aufgrund ihrer jüngsten Entstehung jedoch auch keine kompetenzrechtlichen Zusammenhänge im Sinne der historischen Auslegung auf. 320 Bereits hier zeigt sich, dass die vorliegend präferierte Lösung zumindest wertungsmäßig Hand in Hand mit dem ohnehin im Grundgesetz angelegten System geht. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Kompetenz, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit keinen Gebrauch gemacht hat. Die vorhandene Parallelität ist nicht zu leugnen.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Erst in dem Moment, in welchem sowohl eine Bundes- als auch eine321 Landesregelung besteht, bricht der Kompetenzkonflikt aus und wird aktuell.322 Beide inhaltsverschiedenen323 Normen wirken nun auf den jeweiligen Normadressaten ein. Voraussetzung für die Annahme einer Kollision im Sinne des Art. 31 GG ist also zum einen inhaltsverschiedenes Recht, welches zu einem unausweichlichen Verhaltensdilemma für die Rechtsunterworfenen führt (sachliche Aktualität), zum anderen – dies ist freilich zwingende Voraussetzung für die sachliche Aktualität – müssen Bund und Länder bereits Regelungen getroffen haben (zeitliche Aktualität). Ab diesem Zeitpunkt, ist der Kompetenzkonflikt also sachlich und zeitlich aktuell, fordern Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die Auflösung der Konkurrenz. Dies zu leisten ist Art. 31 GG im Stande: Die bundesgesetzliche Regelung verdrängt die landesgesetzliche. Sobald ein grundgesetzlicher Kompetenzkonflikt konkrete Gestalt annimmt und dadurch in der Lage ist, Schwierigkeiten für die Rechtsunterworfenen, sei es im Bereich der unmittelbaren Normanwendung oder lediglich im Bereich des Rechtsschutzes, zu entwickeln, kann durch Art. 31 GG eine im Grundgesetz verankerte Auflösungsnorm sachgerecht und eindeutig zur Lösung führen.324 Dem Grundgesetz selbst ist eine ähnliche Behandlung „konkurrierender“ Gesetzgebungsmaterien nicht fremd. So regelt Art. 72 I GG, dass im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Länder das Recht zur Gesetzgebung haben, solange und soweit der Bund nicht von seiner Gesetzgebungszuständigkeit durch 321 Zur Konkretisierung des Kompetenzkonflikts genügt das Tätigwerden eines Landesgesetzgebers. 322 Hierfür wird der Begriff der zeitlichen Aktualität Verwendung finden. In eine ähnliche Richtung gehen auch schon die Ausführungen bei Merkl. Heute ist freilich unbestritten, dass die erlassenen Gesetze kompetenzgemäß erlassen sein müssen (Merkl, Zum rechtstechnischen Problem der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung, S. 1610). Ebenfalls ähnlich sind die Ausführungen bei Wiederin, Rechtstheorie 21 (1990), S. 326: „Ursächlich für die Annahme eines Normkonflikts sind aber letztlich nicht die Ermächtigungen selbst, sondern jene Gebots-, Verbots- oder Erlaubnisnormen, zu deren Erlassung ermächtigt wird.“ 323 Zum Kollisionsbegriff des Art. 31 GG und zur Problematik des inhaltsgleichen Rechts bereits oben. 324 Zur generellen Geeignetheit dieser Lösung auch Wiederin, Rechtstheorie 21 (1990), S. 330 f.: „Partielle Normenkonflikte lassen sich hingegen bei jener Regelungsdichte, die hochkomplexe Systeme wie Rechtsordnungen mittlerweile erreicht haben, beim besten Willen nicht vermeiden. Es ist vernünftiger, das gar nicht erst um jeden Preis zu versuchen, statt dessen aber Regeln aufzustellen, wie mit solchen Konflikten zu verfahren ist. [. . .] [S]o erscheinen nicht a priori jene Systeme rationaler, die Konflikte möglichst schon in der logischen Sekunde ihres Entstehens [. . .] eliminieren, sondern jene Systeme, die Konflikte im System selbst austragen; [. . .] sei es, daß der Konflikt auf der Ebene der generellen Normen unaufgelöst bleibt, dafür aber sichergestellt wird, daß im Konfliktsfall nicht beide generellen Normen zu Lasten des Normadressaten konkretisiert und individualisiert [also angewendet] werden.“

A. Auflösungsmöglichkeiten

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Gesetz Gebrauch gemacht hat. Ähnlich gestaltet sich die Situation im Bereich echter Konkurrenzen. Bund und Länder sind beide zur Regelung befugt. Sobald jedoch Bund und Länder gleichzeitig (unterschiedliche) Regelungen treffen, geht Bundesrecht vor. Freilich besteht ein gravierender Unterschied zwischen echten Kompetenzkonkurrenzen im hier behandelten Sinne und der Regelung des Art. 72 I GG. Während in dem Bereich, den das Grundgesetz ausdrücklich „konkurrierende Gesetzgebung“ nennt, vergleiche Art. 72, 74 GG, tatsächlich nur alternative Zuständigkeiten bestehen und die Länder im Falle bundesgesetzlicher Regelung ihre Zuständigkeit verlieren325, handelt es sich bei der Figur der Doppelkompetenzen um beiderseitige Zuständigkeit. Hier spiegelt sich erneut das Verhältnis von Normalfall – besser Idealfall – und Ausnahmesituation wieder. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Auflösung echter Doppelkompetenzen über Art. 31 GG (auch für den Fall, dass die Regelungsmaterie noch keine Ausformung durch ein Gesetz erhalten hat) große Ähnlichkeit mit der Behandlung des grundgesetzlichen Regelfalls im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung aufweist. Auch hier findet die tatsächliche Kompetenzscheidung erst statt, wenn die (im grundgesetzlichen Regelfall vermeintliche) Kollision konkret wird. Noch ein weiteres Argument spricht am Rande für die Lösung kompetenzrechtlicher Konkurrenzen erst nachdem diese eine gewisse Aktualität durch legislatives Tätigwerden beider Kompetenzträger erfahren haben: Doppelkompetenzen werden hauptsächlich im Bereich neu entstehender Regelungsmaterien auftreten.326 Traditionelle Gesetzgebungsmaterien und schon bestehende Regelungsbereiche sind häufig recht eindeutig in die vorhandenen Kompetenztitel einzuordnen. Dies ergibt sich zum einen durch die ebenfalls an mehreren Stellen erwähnte Wechselwirkung zwischen Auslegung und Zuordnung, wodurch die Kompetenztitel auch durch die bereits zugeordneten Materien geprägt werden. Zum anderen, auch hier zeigt sich eine gewisse historische Vorprägung, wurden die jeweiligen Kompetenztitel hauptsächlich mit Blick auf die bereits bestehenden Regelungsmaterien geschaffen oder angepasst.327

325 Ob sich dieser Verlust nun über Art. 31 GG oder über die Kompetenzordnung selbst nach Art. 70 ff. GG vollzieht, ist wiederum umstritten. Eine Behandlung dieses Problems erfolgt mangels Relevanz jedoch nicht. Verwiesen sei auf die kurze und etwas ältere Übersicht bei Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 165 und 168, dort Fn. 141. 326 Dass im Rahmen dieser Arbeit ausdrücklich nur bereits bestehende Kompetenzfriktionen behandelt werden können, versteht sich. 327 Als Beispiel für eine Anpassung in der Vergangenheit kann die Einordnung des Waffenrechts zunächst in die konkurrierende Bundeszuständigkeit (Art. 74 I Nr. 4a GG a. F.) und dann in die ausschließliche Bundeszuständigkeit durch die Föderalismusreform 2006 (Art. 73 I Nr. 12 GG) genannt werden. Vorausgegangen war die Frage, ob die Materie des Waffenrechts dem Polizeirecht und damit der Landesgesetzgebung oder dem Gewerberecht zuzuordnen sei, was die Qualifizierung als Bundesrecht nach sich gezogen hätte.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Wenn nun jedoch eine neue Regelungsmaterie, beispielsweise durch neue technische Entwicklungen etc., in Erscheinung tritt, so ist zu überlegen, wann die sich stellende Kompetenzfrage zu klären ist. Die Formulierung und Zuordnung lediglich eines Sachverhaltes birgt größere Schwierigkeiten als die eines Gesetzes. Zum anderen können bezüglich einer Regelungsmaterie auch mehrere Kompetenzen derart berührt werden, dass ein Nebeneinander durchaus möglich erscheint.328 Auch ist der Zeitpunkt, in dem eine Regelungsmaterie in einen Zustand gerät, in welchem sie als regelungsbedürftig angesehen werden muss, sehr schwierig zu bestimmen. Diese Unsicherheit folgt nicht zuletzt aufgrund der politischen Prägung dieses Feststellungsprozesses. Der einzig sinnvolle Zeitpunkt zur kompetenzrechtlichen Abschichtung scheint daher gegeben zu sein, wenn beide Kompetenzträger gesetzgeberisch tätig geworden sind und anhand der vorhandenen Gesetze der Sinn und Zweck der Regelungen mit Hilfe des gesamten interpretatorischen Instrumentariums, auch unter genetischen Gesichtspunkten ermittelt werden kann. Es schadet daher keineswegs, wenn Art. 31 GG vorher nicht in der Lage ist, drohende Kompetenzkollisionen aufzulösen. (5) Sonderfall: Pflicht zur Gesetzgebung Aus der Annahme der Möglichkeit der Doppelzuständigkeit ergibt sich allerdings noch eine weitere Schwierigkeit, welche eine Behandlung im vorliegenden Rahmen erforderlich macht. Gesetzgebungskompetenzen begründen zwar grundsätzlich ein Recht zur Gesetzgebung, nicht jedoch auch die Pflicht zur Gesetzgebung.329 Dennoch ist es möglich, dass sich aus anderen Vorschriften330 des Grundgesetzes eine Pflicht zur Regelung eines bestimmten Sachverhalts oder Regelungsbereichs ergibt.331 Zu nennen wären Verfassungsaufträge332, „Verfassungsdirektiven und rechtsstaatlich-demokratische Wesentlichkeitsvorbehalte“333. Auch kann sich eine Pflicht zur Umsetzung sekundären Gemeinschaftsrechts ergeben.334 Wenn nun beide Kompetenzträger zur Gesetzgebung befugt sind, so

328 Näheres dazu im Rahmen der Behandlung der „janusköpfigen Gesetze“ und der „widersprüchlichen Regelungskonzeptionen“ unten. 329 Dies lässt sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 70 I GG ableiten, wenn dort vom „Recht der Gesetzgebung“ und von „Gesetzgebungsbefugnissen“ die Rede ist. Dazu auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 63; Sannwald, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 70, Rdnr. 10; Maurer, Staatsrecht I, S. 557. 330 Am Rand erwähnt sei, dass sich aufgrund der Regelung des Art. 125 b I 2 GG für den Landesgesetzgeber Pflichten aus den durch die Föderalismusreform aufgehobenen Art. 75 III i.V. m. I und II GG ergeben können. 331 Vgl. BVerfGE 56, 54 (70); 77, 170 (214 f.); Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 63. 332 Als Beispiel kann hier Art. 6 V GG genannt werden. 333 Vgl. dazu Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 63. 334 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 70, Rdnr. 10.

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stellt sich die Frage, welchen von beiden die konkrete Pflicht zum legislativen Tätigwerden treffen sollte, falls eine entsprechende Regelungspflicht vorliegt und keiner von beiden tätig wird.335 Auch hier ist die Antwort im Grunde naheliegend. Wenn sowohl Bund als auch Länder zur Gesetzgebung befugt sind, so trifft jeden der beiden Kompetenzträger auch die Pflicht zum Tätigwerden, wenn eine entsprechende Pflicht besteht. Beide können in die Pflicht genommen werden336, eine gesetzliche Regelung zu erlassen. Art. 31 GG verpflichtet in diesem Zusammenhang nicht überwiegend den Bund. Grundsätzlich sind beide Kompetenzträger in gleichem Maße kompetent.337 Auch kompetenzrechtliche Friktionen sind hier nicht in größerem Maße zu erwarten als im Regelfall der Eigeninitiative der Gesetzgeber. Sollten beide eine Regelung treffen, so löst Art. 31 GG die Kollision zu Gunsten des Bundes auf. (6) Art. 31 GG als Kollisionsnorm – zusammenfassende Betrachtung „Alle Kompetenz läßt sich im demokratischen Verfassungsstaat auf eine rechtsnormative Basis zurückführen; aller Kompetenzkonflikt ist ein Streit über Gültigkeit oder Vorrang von Rechtsnormen und/oder über deren rechtes Verständnis. Daraus erhellt aber, daß auch die Mittel und Wege der Beilegung solcher Konflikte dem geltenden Recht zu entnehmen sind.“338 Insoweit ist Rupert Stettner durchaus zuzustimmen. Wenn jedoch methodengerechte Auslegung nicht in der Lage ist, eine Regelungsmaterie einer bestimmten Kompetenznorm zuzuordnen, wenn mithin nicht festgestellt werden kann, ob das Grundgesetz dem Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungsbefugnis verleiht oder ob die Länder weiterhin das Recht zur Gesetzgebung haben, wenn sich also eine Materie exakt zwischen einer Bundes- und einer Landeskompetenz befindet, so sind die Kolli335 Im vorliegenden Zusammenhang soll echtes Unterlassen betrachtet werden. Darunter ist die Situation zu verstehen, in welcher gar keine Norm erlassen wurde. Bei unechtem Unterlassen, also der unzureichenden Regelung einer Materie, ist ohnehin der bereits tätig gewordene Kompetenzträger in der Pflicht. Dazu Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 118. 336 Der Bürger kann sich beispielsweise mittels einer Verfassungsbeschwerde gegen dieses Unterlassen wehren. Dies ergibt sich aus §§ 92, 95 I 1 BVerfGG. Dazu auch Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, S. 118 und 125. Ebenfalls SchmidtBleibtreu, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 92, Rdnr. 2 f. sowie Art. 95, Rdnr. 18. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen hierfür sind jedoch sehr eng, vgl. BVerfGE 59, 360 (375); 55, 37 (53); 56, 54 (70). 337 Natürlich ist es im Zusammenhang mit Art. 31 GG ratsam, auf eine Bundesregelung zu drängen, da im Falle eines Konflikts zwischen einer später erlassenen Bundesregelung mit der Landesregelung Erstere die Letztere verdrängen würde. 338 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 375.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

sionsvermeidungsnormen der Art. 70 ff. GG mit ihrem Anwendungsbereich am Ende. Die Kollisionsvermeidung ist misslungen. Nötig ist in diesem Fall eine Auflösung der Kollision. Unbestritten kann der Zustand der Idealkonkurrenz nur nach vollständiger, methodengerechter Auslegung festgestellt werden. Wenn jedoch kein auch noch so geringer Schwerpunkt hin zur einen oder anderen widerstreitenden Kompetenz festgestellt werden kann, so gibt es keine (noch) filigraneren Auslegungsmittel und die Auslegung wird auch nicht vorzeitig oder willkürlich abgebrochen. Ebenfalls richtig ist, dass das grundgesetzliche Kompetenzverteilungssystem von Haus aus auf Alternativität angelegt ist. Diese idealerweise bestehende Alternativität schützt jedoch nicht vor ausnahmsweise gegebenen Besonderheiten, die von eben diesem Ideal abweichen. Die weit überwiegende Zahl an Kompetenzberührungen kann durch Auslegung beseitigt und einer Kompetenz zugeordnet werden. Die im Kompetenzverteilungssystem des Grundgesetzes sozusagen als Fremdkörper bestehenden Doppelkompetenzen bedürfen demgegenüber jedoch eindeutiger Benennung und klarer kollisionslösender Behandlung. Hierzu bietet das Grundgesetz mit Art. 31 GG eine geeignete Kollisions(auf)lösungsnorm. Dem Erfordernis eindeutiger, transparenter Lösung der eigentlich systemfremden Kompetenzkonkurrenz wird Art. 31 GG in wesentlich höherem Maße gerecht als die Anwendung der Grundnorm des Art. 70 I GG. Ob eine Verleihung im Sinne des Art. 70 I GG nachweisbar ist oder ob dieser Nachweis nicht gelingt, bleibt aufgrund der nicht weiter auslegbaren Situation ungewiss. Unterschiedliche, in ihrer Begründung jedoch nicht in letzter Konsequenz nachvollziehbare Ergebnisse sind die Folge, sodass teilweise der Nachweis als erbracht, teilweise als gescheitert betrachtet wird, was im ersten Falle zur Annahme einer Bundeskompetenz und im zweiten Falle zur Länderkompetenz führt. Im Gegensatz dazu ist durch die Anwendung des Art. 31 GG klar, dass die bundesrechtliche Vorschrift der landesrechtlichen vorgeht.339 Der Ausnahme des kompetenzrechtlichen Verteilungssystems wird durch Art. 31 GG eindeutig begegnet und die Doppelkompetenz eindeutig aufgelöst, was zu deutlich größerer Rechtssicherheit führt als es durch eine Entscheidung im Rahmen des Art. 70 I GG möglich wäre. Das dadurch entstehende Übergewicht des Bundes ist jedoch im Ergebnis sehr gering, da sich der Anwendungsbereich des Art. 31 GG nur auf exakt zwischen 339 Untermauert wird dies durch die Ausführungen von Peczenik, der im Rahmen allgemeiner Bemerkungen zur Lösung von Normkollisionen bemerkt: „Legt man Normen, die prima facie miteinander kollidieren, von neuem aus oder ordnet man sie rangmäßig, sollte man immer in einer Weise vorgehen, die wiederholt werden kann, wenn man mit ähnlichen Kollisionen zwischen anderen Normen konfrontiert wird. Besonders schwerwiegender Gründe bedarf man für die wiederholte Auslegung oder den Aufbau einer Rangordnung, wenn diese Maßnahmen ad hoc, d. h. [sic] nur in dem gerade vorliegenden Fall ergriffen werden.“ (Peczenik, Grundlagen der juristischen Argumentation, S. 123) Weder Ersteres noch Zweiteres kann durch die Lösung über Art. 70 I GG eingehalten werden.

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den Kompetenzen befindliche Regelungsbereiche erstreckt. Der Gefahr der unsachgemäßen Ausweitung des Anwendungsbereichs des Art. 31 GG wird zudem durch ein enges Verständnis des Kollisionsbegriffs begegnet. Gefordert werden muss sachliche und zeitliche Aktualität der Kollision. Inhaltsgleiches Recht oder geringe Kompetenzberührungen, welche das grundgesetzliche Kompetenzverteilungssystem „hinnimmt“340, fallen mangels sachlicher Aktualität heraus. Gleiches gilt für Fälle, in welchen noch keine oder nur eine Regelung durch einen Kompetenzträger erfolgt ist. Hier mangelt es an zeitlicher Aktualität der Kompetenzkollision. Diese Konkurrenzen in einem abstrakten, früheren Stadium lösen zu wollen, wäre mit großen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten verbunden. Erst wenn tatsächlich zwei legislative Regelungen in einen zeitlichen und sachlich aktuellen Konflikt der beschriebenen Art treten, ergeben sich Auswirkungen auch für die Normadressaten, weshalb an dieser Stelle konkurrenzauflösend einzugreifen ist. Art. 31 GG stellt insgesamt den klareren und besser nachvollziehbaren Weg der Konkurrenzauflösung dar. Der Primat der Auslegung besteht nach wie vor. Die Auslegung darf jedoch nicht über ihre Maßen hinaus strapaziert und als Allheilmittel zur Aufrechterhaltung des Ideals des grundgesetzlichen Kompetenzverteilungssystems missbraucht werden. Bei der Anwendung des Art. 31 GG im Rahmen der Kompetenzordnung ist jedoch in Übereinstimmung mit Pestalozza zu berücksichtigen, dass aus ihr lediglich ein Anwendungsvorrang für das Bundesrecht resultieren kann. Unter Ablehnung des Verbots der Doppelzuständigkeit sind sowohl Bundes- als auch Landesrecht kompetenzgemäß erlassenes Recht. Diesem Umstand kann durch eine bloß vorrangige Anwendung des Bundesrechts zumindest teilweise Rechnung getragen werden. cc) „Erforderlichkeit“ bundeseinheitlicher Regelung als Auflösungsmittel Neben Art. 31 GG besteht mit Art. 72 II GG noch eine weitere Norm, nach welcher sich die Auflösung kompetenzieller Konflikte ergeben könnte.341 So hat der Bund das Recht zur Gesetzgebung, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. In erster Linie stellt dies eine Voraussetzung für das Bestehen einer Bundeskompetenz dar. Konkurrenzauflösend könnte Art. 72 II GG dann wirken, wenn man den Tatbestandsmerkmalen des Art. 72 II GG einen er340

So auch Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 88. Eine umfangreichere Behandlung erfuhr Art. 72 II GG durch Gruson, Die Bedürfniskompetenz. Da diese Abhandlung jedoch schon 40 Jahre zurückliegt und inzwischen zwei Verfassungsänderungen erfolgten, welche Art. 72 II GG betrafen, erscheint der Aussagegehalt dieser Arbeit eher gering. 341

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

weiterten Bedeutungsgehalt beimisst.342 So soll nach der Vorstellung des Verfassunggebers der Bund im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung immer dann gesetzgebungskompetent sein, wenn es erforderlich ist, gleichwertige Lebensverhältnisse auf Bundesebene herzustellen. Legt man dies einem allgemeineren Kompetenzverständnis zu Grunde, so könnte sich für Kompetenzkonkurrenzen ergeben, dass bei strittigen Kompetenzlagen der Bund immer dann kompetent sein soll, wenn ein erhöhtes Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung besteht. Noch weiter gehen einige Autoren, wenn sie in Art. 72 II GG einen Verfassungsauftrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse erblicken.343 Stark unitarische Tendenzen im Rahmen der Kompetenzordnung wären die Folge. Es wäre in entsprechenden Fällen gleichen Sachbezugs einer Materie zu einer Bundes- und einer Landeskompetenz also festzustellen, ob die in Frage stehende Materie eher bundeseinheitlich oder im föderalistischen Sinne vielfältig geregelt werden soll.344 Stellte sich heraus, dass landesrechtliche Regelungen genügen, so wäre die Konkurrenz zu Gunsten der Länder aufzulösen. Wäre dies jedoch zu verneinen, erhielte der Bund die in Frage stehende Kompetenz. Ein dahingehender Bedeutungsgehalt scheint der Vorschrift des Art. 72 II GG jedoch nicht inne zu wohnen. Die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes ist ganz allgemein schon darauf angelegt, dem Bund solche Kompetenzen zuzuschreiben, welche zwingend bundeseinheitlicher Regelung bedürfen.345 Durch die Katalogisierung der ausschließlichen Bundeskompetenz ist dies für die (vermeintlich) eindeutigen Regelungsbereiche erfolgt. Die Materien hingegen, welche in die konkurrierende Bundesgesetzgebung fallen, weisen zum einen Elemente auf, für welche eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich wäre, zum anderen sind jedoch auch Bereiche vorhanden, für die differenzierte Landesregelungen vorzugswürdig sind. Wiederum stellt sich die Frage des grundgesetzlichen Verleihens von Gesetzgebungskompetenzen, an welche im Falle einiger konkurrierender Gesetzgebungs342 Mit einer grundgesetzlichen Vorgabe zur Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse allgemein beschäftigt sich Hebeler, ZG 21 (2006) S. 305 f. 343 Ob ein Verfassungsauftrag zur Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse tatsächlich zu entnehmen ist, ist umstritten, aber entschieden abzulehnen. Allein das grundgesetzlich angeordnete Kompetenzverteilungssystem, welches auf einer Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern als gleichwertigen Kompetenzträgern basiert, spricht gegen eine solche Auffassung. Im Rahmen dieser Ausführungen kann jedoch nicht weiter darauf eingegangen werden. Verwiesen sei auf die Behandlungen bei Hebeler, ZG 21 (2006), S. 301 ff. Zu Art. 72 II GG, S. 305 f., dort mit weiteren Nachweisen. Harms, Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes aus Art. 21 III GG, S. 142 ff.; Wolfrum, DÖV 1982, S. 678. Die Länder an die Ziele der Bundespolitik binden will Bleckmann, DÖV 1986, S. 125 ff. 344 Für den Fall der Annahme eines aus Art. 72 II GG resultierenden Unitarisierungsgebots bestünde hier naturgemäß eine starke Vorgewichtung zu Gunsten des Bundes. Gegen eine entsprechende Vorgewichtung schon mehrfach im Verlaufe dieser Arbeit, vgl. etwa 4. Teil A. I. 2. 345 Vgl. BVerfGE 18, 407, 114 f.

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befugnisse die Voraussetzung der Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 II GG geknüpft ist. Wenn die Erforderlichkeit bei der in Frage stehenden Regelungsmaterie bejaht werden kann, so verleiht das Grundgesetz die Gesetzgebungskompetenz dem Bund von vorn herein. Ist diese Erforderlichkeit jedoch nicht eindeutig festzustellen, so bleibt auch die Verleihung fraglich. Die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 II GG stellt also nur eine Voraussetzung dar, nicht jedoch kann sie als Auflösungskriterium herangezogen werden. Es zeichnet sich ein ähnliches Bild wie im Rahmen des Sachzusammenhangs.346 Ist die Erforderlichkeit (ein überwiegender Sachzusammenhang) gegeben, so besteht keine „echte Konkurrenz“. Eine Auflösung ist nicht nötig. Kann die Erforderlichkeit nicht eindeutig bejaht oder verneint werden (ist kein überwiegender Sachzusammenhang festzustellen), so entsteht gerade dadurch die Konkurrenz zwischen den beteiligten Kompetenzen, was sowohl das Sachzusammenhangskriterium als auch das Erforderlichkeitskriterium für eine Auflösung ausscheiden lässt. Bezüglich des Erforderlichkeitskriteriums sprechen auch noch andere, gewichtige Gründe gegen eine Berücksichtigung im Rahmen der Auflösung. So wurde der Anwendungsbereich des Art. 72 II GG im Rahmen der Föderalismusreform 2006 auf einige in Art. 72 II GG enumerierte Bereiche des Art. 74 I GG beschränkt, was einer generellen Auflösungswirkung widerspricht. Die ansonsten unveränderte Fassung des Art. 72 II GG lässt hingegen darauf schließen, dass der Verfassunggeber an dem seit 1994 bestehenden Verständnis des Art. 72 II GG, speziell am Verständnis der „Erforderlichkeit“, nichts verändern wollte. Die Erforderlichkeit wurde in einem tradierten Verständnis eines geringstmöglichen Eingriffs, mithin als Beschränkung der Bundesgesetzgebungskompetenz aufgefasst. „,Erforderlich‘ ist die bundesgesetzliche Regelung daher nur soweit, als ohne sie die vom Gesetzgeber für sein Tätigwerden im konkret zu regelnden Bereich in Anspruch genommene Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG, also die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder die im gesamtstaatlichen Interesse stehende Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, nicht oder nicht hinlänglich erreicht werden kann.“347 Die Lebensverhältnisse in den Ländern müssen sich demzufolge in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickeln oder für die Rechts- oder Wirtschaftseinheit müssen unzumutbare Behinderungen für den länderübergreifenden Verkehr zu befürchten sein, um die „Erforderlichkeit“ im Sinne des Art. 72 II GG bejahen zu können.348 Das Bundesverfassungsgericht erblickt im Erforderlich346 Zudem wird man wohl immer dann, wenn die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 II GG zu bejahen wäre, auch einen überwiegenden Sachzusammenhang einer Regelungsmaterie mit einer Bundeskompetenz bejahen müssen. 347 BVerfGE 106, 62 (149). 348 Vgl. Kenntner, NVwZ 2003, S. 822 f. Dazu auch BVerfGE 106, 62 (62 f.).

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keitskriterium des Art. 72 II GG daher zu Recht die eng zu verstehende Voraussetzung für das Bestehen einer Bundeskompetenz. Art. 72 II GG hat lediglich eine für den Bund kompetenzbeschränkende Bedeutung.349 Hieraus ein Auflösungskriterium für Kompetenzkonflikte oder gar ein Verfassungsgebot zur Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse zu konstruieren, widerspräche der Normstruktur des Art. 72 II GG350 und dem Verteilungssystem der Art. 70 ff. GG allgemein.351 Für den Fall nicht eindeutig feststellbarer Erforderlichkeit ist die „Verleihung“ im Sinne des Art. 70 I GG nicht zweifelsfrei festzustellen. Besteht gleich starker Sachbezug zur Bundes- wie auch zur Landeskompetenz, vermag ein Rückgriff auf die Voraussetzungen diese „echte Konkurrenz“ nicht zu lösen. Dies gilt hier in ähnlichem Maße wie für die Figur des Sachzusammenhangs. dd) Generelle Abkehr von Abgrenzung hin zu Kooperation und Integration – angezeigt durch die Föderalismusreform 2006 Zuletzt ist im Zusammenhang mit der Auflösung echter Konkurrenzen noch danach zu fragen, ob nicht die Änderungen der Föderalismusreform 2006 ein verändertes Bild der Kompetenzordnung insgesamt bewirkt haben, was wiederum auf den hier vorgeschlagenen Lösungsweg Auswirkungen haben könnte. So wäre denkbar (im Verlauf der bisherigen Argumentation sind Einwirkungen des gesamten Kompetenzverteilungssystems auf den Auflösungsvorgang ebenfalls angesprochen worden), dass die wohl gravierendste Neuerung im Bereich der Legislativkompetenzen, die Einführung einer Abweichungsgesetzgebung, Einfluss auf die Anwendbarkeit des Art. 31 GG und auf das Verständnis des Kompetenzverteilungssystems insgesamt haben könnte. Art. 72 III GG bestimmt, dass die Länder in den in Art. 72 III 1 GG enumerierten Bereichen von der Gesetzgebung des Bundes abweichen können. Die Folge ist die Existenz „offener Konkurrenzen“352. Abweichend vom bisherigen grundgesetzlichen Kompetenzverteilungssystem der Art. 70 ff. GG, welches auf Abgeschlossenheit, aber auch und gerade auf Alternativität angelegt war (vergleiche Art. 70 II GG), existieren nun verfassungsrechtlich angeordnet Regelungsbereiche, für die sowohl der Bund als auch die Länder legislative Befugnis haben. Durchaus denkbar wäre es nun, in der Einführung der Abweichungsgesetzgebung nach Art. 72 III GG eine Änderung des gesamten, dem Kompetenzverteilungssystem zu Grunde liegenden Verständnisses zu erblicken. Die Konsequenz daraus 349

Hebeler, ZG 21 (2006), S. 306; BVerfGE 106, 62 (144). Hebeler, ZG 21 (2006), S. 306. 351 Gegen die kompetenzbegründende Wirkung des Art. 72 II GG im Zusammenspiel mit dem Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung auch Harms, Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes aus Art. 21 III, S. 143 f.; Wolfrum, DÖV 1982, S. 678. 352 Zum Begriff bereits oben unter 3. Teil B. II. 350

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wäre wiederum, nun nicht mehr alternative Kompetenzverteilung als das grundlegende, die Kompetenzordnung umspannende Prinzip anzunehmen, sondern eine gewisse Öffnung für alternative Zuständigkeiten mit stärkerer kooperativer und integrativer Wirkung zuzulassen. Davon ist jedoch nicht auszugehen. In Art. 72 III GG wurden die Materien übernommen, welche durch die Abschaffung der Rahmenkompetenz nach Art. 75 GG a. F. in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz überführt wurden.353 Die hauptsächlichen Änderungen354 im legislativen Bereich betrafen – neben Art. 72 III GG – die Kataloge der Art. 73 und 74 GG und die Begrenzung des Anwendungsbereichs des Art. 72 II GG. Diese teilweise durchaus umfangreichen und auch folgenschweren Änderungen haben jedoch keine oder zumindest nur geringe Auswirkung auf das grundsätzliche, der gesamten Kompetenzordnung zu Grunde liegende System. Grundnormen dieses Verteilungssystems bleiben nach wie vor die nicht von der Verfassungsreform betroffenen Art. 70 I und II GG. Hiernach bleibt es beim Grundsatz der Landeszuständigkeit (Art. 70 I GG), die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen erfolgt nach den Vorschriften des Grundgesetzes über die ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebung (Art. 70 II GG). Der Grundsatz der Alternativität bleibt damit bestehen. Eine grundsätzliche Änderung des Systems an sich lässt sich auch noch aus anderen Gesichtspunkten verneinen. So war dem Grundgesetz auch vor der Föderalismusreform 2006 die Doppelzuständigkeit von Bund und Ländern nicht gänzlich fremd. Im Bereich der Rahmengesetzgebung nach Art. 75 GG a. F. gab der Bund den Rahmen vor, während die Länder diesen Rahmen ausfüllten. Auch hier war die Befugnis beider Kompetenzträger für einen Regelungsgegenstand, freilich in etwas modifizierter Weise, von Nöten. Auch ein Blick auf die Begründung zur Einführung der Abweichungsgesetzgebung lässt nicht auf den Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers schließen, das Kompetenzverteilungssystem des Grundgesetzes in seinen Grundsätzen verändern zu wollen. Die zunächst gegebene bundesrechtliche Vollregelungskompetenz sollte „[i]nsbesondere [. . .] dem Bund [. . .] die einheitliche Umsetzung von EU-Recht ermöglich[en].“ 355 Um im Gegenzug dennoch der föderalen Vielfalt Genüge zu tun, wurde den Ländern die Abweichungskompetenz eingeräumt.356 Der Kompetenz der Länder, welche ihnen nach Art. 75 GG a. F. zugekommen war, musste Rechnung getragen werden. In gewissem Maße kann in der Abweichungsmöglichkeit daher eine Kompensation des für die Länder entstandenen Nachteils gesehen werden, der durch die 353

BTDrucks. 16/813, S. 11. Vgl. dazu im Ganzen BTDrucks. 16/813, S. 11. Dazu auch der Anhang bei Sachs, Grundgesetz, S. 2499 ff. 355 BTDrucks. 16/813, S. 11. 356 So zumindest die Begründung, BTDrucks. 16/813, S. 11. 354

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Überführung der Materien von Art. 75 GG in den Katalog des Art. 74 GG entstanden ist.357 Ob nun Kompensationsgedanken oder die bessere Europatauglichkeit der entsprechend gewählten Abweichungsregelung eine größere Rolle gespielt haben, kann im Ergebnis für die hiesige Betrachtung dahingestellt bleiben. Fest steht, dass keine generelle Änderung des den Verteilungsregelungen der Art. 70 ff. GG zu Grunde liegenden Verständnisses der Alternativität der Zuständigkeiten beabsichtigt war. Dass Doppelkompetenzen der Kompetenzordnung jedoch in kleinen Teilbereichen nicht gänzlich fremd sind, kann hieraus durchaus abgeleitet werden.358 Für die Anwendung des Art. 31 GG zur Lösung von Doppelkompetenzfragen ergibt sich daher auch durch die Föderalismusreform nichts, was von obigen Ausführungen signifikant abweichen würde. Mit dem über Art. 31 GG vorgeschlagenen Lösungsweg ist die theoretische Behandlung solcher Doppelkompetenzen abgeschlossen, bei welchen sich eine Regelungsmaterie exakt zwischen den jeweiligen Kompetenzen befindet. Keine Aussage ist jedoch noch für die Fälle getroffen, welche als „janusköpfig“ bezeichnet werden und für Situationen, in welchen sich Kompetenzbereiche von Bund und Ländern zwar berühren, diese Berührung jedoch nicht die sachliche Aktualität erreicht, wie sie für die Anwendung des Art. 31 GG von Nöten wäre. In diesen Fällen kann auch davon gesprochen werden, dass das Grundgesetz diese Berührungen „hinnehme“.359 Letzteres soll unter dem bereits eingeführten Schlagwort „widersprüchliche Regelungskonzeptionen“ behandelt werden. c) „Janusköpfige Gesetze“ 360 Begonnen werden soll zunächst mit der Behandlung der janusköpfigen Gesetze. Per definitionem wird Janusköpfigkeit den Gesetzen zugeschrieben, die Regelungen enthalten, welche bei isolierter Betrachtung nach dem Grundgesetz der Kompetenz des Bundes zufielen, andererseits aber auch solche Regelungen beinhalten, die bei einzelner Behandlung in die Landeskompetenz fielen.361 Von obiger Konstellation unterscheiden sich diese also dadurch, dass nicht eine Materie eindeutig dem einen oder anderen Kompetenzträger zugeordnet werden muss, sondern dass sowohl Elemente des Landes als auch des Bundes vorhanden 357 BTDrucks. 16/813, S. 11. Ähnlich auch Degenhart, NVwZ 2006, S. 1212 f. und Oeter, 2. Teil. Die Änderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, S. 15. 358 Zur Systemfremde des Art. 31 GG im Kompetenzverteilungssystem der Art. 70 ff. GG bereits unter 4. Teil A. II. 2. b) bb) (3). 359 So auch Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 88. 360 Die Begrifflichkeiten sind auch hier unterschiedlich, wie im Rahmen der abstrakten Darstellung der unterschiedlichen Konkurrenzarten unter 3. Teil B. I. 2. a) dargestellt wurde. Der Begriff der „janusköpfigen Gesetze“ wird hier aufgrund seiner geeigneteren Plastizität gewählt. 361 Cremer, ZG 20 (2005), S. 30.

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sind.362 Die in Frage stehende Regelung setzt sich gewissermaßen aus Kompetenzen des Bundes und der Länder zusammen. Als Beispiel werden die kindergartenrechtlichen Regelungen des SGB VIII genannt. Die bundesrechtlichen Regelungen betreffen hier fürsorgerische Belange ebenso wie bildungsbezogene. Bundeskompetenz besteht im Rahmen des Art. 74 I Nr. 7 GG jedoch nur für die öffentliche Fürsorge, während die Bildungskomponente eigentlich den Ländern vorbehalten ist.363 Schon aufgrund der obigen Definition werden sich derartige Probleme im Grunde nur stellen, wenn bereits ein janusköpfiges Gesetz erlassen ist. Gänzlich ausgeschlossen scheint es dennoch nicht zu sein, dass sich künftig auch noch nicht gesetzlich geregelte Situationen zeigen, welche entsprechende Gesetze erforderlich machen. Im Rahmen der konkurrenzrechtlichen Betrachtung ist allerdings zu differenzieren: Handelt es sich um „notwendig janusköpfige Gesetze“, sind also die den unterschiedlichen Kompetenzträgern zugewiesenen Materien derart eng miteinander verbunden, dass sie „nach der Regelung aus einer Hand“364 verlangen, so scheint eine Trennung der Sachbereiche nicht möglich. Hier muss ermittelt werden, welche Materie die Hauptmaterie darstellt und welcher nur eine untergeordnete Rolle zukommt. Die kompetenzielle Qualifizierung erfolgt dann nach dem Kriterium des Schwerpunkts der Regelung und dem überwiegenden Sachzusammenhang einheitlich zu Gunsten der Hauptmaterie. Im Falle einer dennoch erfolgten Trennung wären Bund und Länder für eine sinnvolle Regelung genötigt, sich abzusprechen und ihre Regelungen zu synchronisieren. Dass hierzu gerade keine rechtliche Pflicht besteht und von einer entsprechenden Kooperation keine allzu reiche Ernte erhofft werden kann, wurde bereits dargestellt. Ist eine janusköpfige Regelung dagegen geschaffen worden, ohne dass die beteiligten Regelungen dies zwingend erforderlich gemacht hätten, so ist die Regelung anhand des Kompetenzkatalogs aufzuspalten und die einzelnen Materien sind ihrem jeweiligen Kompetenzträger zuzuordnen.365 Im Kern handelt es sich zunächst also wiederum um Auslegungsfragen. Die Auslegung erfordert hier lediglich einen zusätzlichen Schritt, in welchem die Notwendigkeit der Janusköpfigkeit festgestellt wird. Im Grunde spielgelt sich hier auch das für den Sachzusammenhang entwickelte Kriterium der „Unerlässlichkeit des Übergriffs“366, des „zwingenden Konnexes“367 und der „engen Ver-

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Diese Abgrenzung betont auch Cremer, ZG 20 (2005), S. 43. Cremer, ZG 20 (2005), S. 30. Vgl. dazu auch den Kindergartengebührenbeschluss des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 97, 332 (342). 364 Cremer, ZG 20 (2005), S. 34. 365 Pestalozza, DÖV 1972, S. 187. 366 BVerfGE 98, 265 (299). 367 BVerfGE 98, 265 (300). 363

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zahnung“368 wieder.369 Ist die Notwendigkeit bejaht worden, so ist die kompetenzielle Zuordnung nach dem Schwerpunkt der Regelung durchzuführen.370 Der hier beschriebene Fall unterscheidet sich im Ergebnis daher nicht von den zuvor behandelten Scheinkonkurrenzen.371 Liegt kein notwendiges janusköpfiges Gesetz vor, so handelt es sich um regelmäßige kompetenzielle Qualifizierung. Eine Kompetenzkonkurrenz ist in diesem Falle nicht auszumachen. Die hier behandelten janusköpfigen Gesetze weisen daher bezüglich der Konkurrenzlösung im Vergleich zu den übrigen Kompetenzkollisionen, welche sich mit Hilfe der Auslegung beseitigen lassen, lediglich die Besonderheit auf, dass zusätzlich eine Feststellung bezüglich der Notwendigkeit der einheitlichen Regelung getroffen werden muss. d) Widersprüchliche Regelungskonzeptionen Schließlich bleibt es, die theoretische Untersuchung der verschiedenen Konkurrenztypen (beziehungsweise deren Auflösung) mit der Betrachtung solcher Kompetenzberührungen abzuschließen, welche janusköpfigen Gesetzen zwar ähnlich sind, aber keine gemäß obiger Definition darstellen. Von wenigen denkbaren Ausnahmen abgesehen, handelt es sich aber auch nicht um Kollisionen solcher sachlicher und zeitlicher Aktualität, dass sie die Rechtsfolge des Art. 31 GG auslösen würden. Genannt werden derartige Konstellationen372 „widersprüchliche Regelungskonzeptionen“. Auch auf diese Formen der Kompetenzberührungen die Regelung des Art. 31 GG anzuwenden, würde zu einer krassen Bundesfreundlichkeit und schließlich zur Überlagerung des grundgesetzlichen Kompetenzverteilungssystems führen. 368

BVerfGE 97, 228 (252). Nochmals sei darauf verwiesen, dass die Voraussetzung für eine entsprechende Unerlässlichkeit restriktiv zu handhaben ist. Vgl. dazu auch die Ausführungen oben unter 2. Teil A. II. 3. 370 Einen anderen Weg, wiederum über die Grundregel des Art. 70 I GG, geht Cremer. Ein notwendiges janusköpfiges Gesetz behandle eine kompetenzrechtliche Doppelmaterie, für welche kein Kompetenztitel des Bundes existiere. Die kompetenzrechtliche Zuordnung sei aus einer strikten Beachtung der kompetenzrechtlichen Systematik des Grundgesetzes zu entwickeln. Nach Maßgabe der fundamentalen Verteilungsregel des Art. 70 I GG seinen daher die Länder – in Verbindung mit einer ungeschriebenen Sachzusammenhangskompetenz auch für die Regelung des fremden Sachbereichs – zuständig. Im Grunde verkennt diese Auffassung jedoch, dass das Grundgesetz demjenigen Kompetenzträger die Befugnis zur Gesetzgebung verleiht, bei welchem der Schwerpunkt der Regelung, die sonderrechtliche Regelung vorliegt. Eine – wenn auch nicht ausdrückliche – Vorgewichtung widerspricht gerade dem grundgesetzlichen Verteilungssystem. Bundes- und Landeskompetenzen stehen sich grundsätzlich gleichwertig gegenüber. 371 Vgl. 4. Teil A. II. 2. a). 372 Auch hier sei auf die allgemeine Darstellung der verschiedenen Konkurrenztypen unter 3. Teil B. I. 3. verwiesen. 369

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Dies wurde bereits ausführlich dargestellt. Um die konkurrenzlösende Behandlung – gerade im Unterschied zu idealkonkurrierenden Kompetenzen – sachgemäß durchzuführen, sei noch einmal kurz vor Augen geführt, was unter widersprüchlichen Regelungskonzeptionen zu verstehen ist. In Konkurrenz treten hier nicht die jeweiligen Kompetenzen, sondern die jeweils aufgrund der bestehenden Kompetenzen entwickelten Regelungskonzeptionen. Im Fokus steht hier nicht die offensichtlich kompetenzwidrige Rechtssetzung und der unmittelbare Widerspruch zwischen zwei Normen, sondern die inhaltliche, die konzeptionelle Unvereinbarkeit zweier Regelungen, die für den Bürger eine klare, jedoch im Zusammenspiel eine scheinbar unstimmige Rechtsordnung schafft.373 Die Paradefälle374 solch widersprüchlicher Konzeptionen sind die vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fälle der kommunalen Verpackungssteuer375 und der des Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes376. aa) Der Grundsatz der „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“ (1) Darstellung377 Im Rahmen dieser Entscheidungen entwickelte das Bundesverfassungsgericht Lösungsansätze zur Vermeidung beschriebener Widersprüchlichkeiten, welche in der Literatur zu einer umfassenden Beachtung und Diskussion führten.378 Ein 373

Bumke, ZG 14 (1999), S. 376. Eine ausführlichere Darstellung dieser Beispielsfälle erfolgte bereits unter 3. Teil B. I. 3. 375 BVerfGE 98, 106 ff. 376 BVerfGE 98, 265 ff. 377 Sicherlich stellt auch die Figur der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung eine Kompetenzausübungsschranke dar („[d]iese rechtsstaatlichen Vorgaben begründen im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung der Gesetzgebungskompetenzen zugleich Schranken der Kompetenzausübung“ (BVerfGE 98, 106 (119)), was eine Behandlung erst an nachfolgender Stelle (4. Teil B.) indizieren würde. Nachdem widersprüchliche Regelungskonzeptionen jedoch eine sich deutlich von anderen Konkurrenzarten unterscheidende Form der Kompetenzkonkurrenzen sind und das eigenständige Postulat der Widerspruchsfreiheit überwiegend im Rahmen der Behandlung solch widersprüchlicher Regelungskonzeptionen vom Bundesverfassungsgericht entwickelt wurde, rechtfertigt dies eine gesonderte Betrachtung speziell im Rahmen der Behandlung widersprüchlicher Regelungskonzeptionen. Nichtsdestotrotz spielt der Gedanke einer widerspruchsfreien Rechtsordnung unselbständig im Rahmen der Betrachtung der Bundestreue ebenfalls eine Rolle. Darauf wird an späterer Stelle noch einzugehen sein. 378 Vgl. dazu nur beispielhaft Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, speziell S. 120 ff.; Brüning, NVwZ 2002, S. 33 ff.; Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1153 ff.; Fischer, JuS 1998, S. 1096 ff.; Gärditz, DÖV 2001, S. 539 ff.; Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 1 ff.; Frenz, DÖV 1999, S. 41 ff.; Konrad, DÖV 1999, S. 12 ff.; Bothe, NJW 1998, S. 2333 ff.; Sendler, NJW 1998, S. 2875 ff.; Sodan, JZ 1999, S. 864 ff.; Seckler, NJW 1996, S. 3049 ff.; Demel, JA 1999, S. 754 ff.; Henneke, ZG 13 (1998), S. 275 ff.; Jobs, DÖV 1998, S. 1039 ff.; Weidemann, DVBl. 1999, S. 73 ff.; Bumke, ZG 14 (1999), S. 376 ff.; Schrader, ZUR 1998, S. 152 ff. Im weiteren Zusammenhang Gern, NVwZ 374

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

verselbständigter379 Grundsatz der „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“ sollte helfen, die gesetzgeberischen Konzeptionen dergestalt aufeinander abzustimmen, sodass keinerlei Widersprüchlichkeiten mehr auftreten können.380 Hiernach verpflichten das „Rechtsstaatsprinzip und die bundesstaatliche Kompetenzordnung [. . .] alle rechtssetzenden Organe, ihre Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, dass den Normadressaten nicht gegenläufige Vorschriften erreichen, die Rechtsordnung also nicht auf Grund unterschiedlicher Anordnungen widersprüchlich wird.“381 Für das Beispiel382 des Aufeinandertreffens von Sachregelungen und Abgabenvorschriften folgt nach dem Bundesverfassungsgericht daraus, dass der Steuergesetzgeber aufgrund seiner Abgabenkompetenz nur insoweit lenkend in den Bereich des Sachgesetzgebers übergreifen darf, als die Lenkung weder der Gesamtkonzeption der sachlichen Regelung noch konkreten Einzelregelungen zuwiderläuft.383 Obwohl die die bundesstaatliche Kompetenzordnung konstituierenden Art. 70 ff. GG nur festschreiben, welche Kompetenz welchem Kompetenzträger zufällt, nichts jedoch über die Art und Weise ihrer Ausübung aussagen, sei ein über die bloße Zuständigkeitsverteilung bestehender Garantiegehalt durchaus anerkannt.384 Indiziert sei dies durch Art. 72 I GG („soweit“), zudem sei es ein Gebot der Effektivität der Art. 70 ff. GG, „daß diese nicht die Länder durch entsprechende inhaltliche Weiterungen auf der Basis ih-

1995, S. 771 ff.; Gern, NVwZ 1995, S. 1145 ff.; Bleckmann, DÖV 1986, S. 125 ff.; Pieroth, WiVerw 1996, S. 65 ff.; Sendler, WiVerw 1996, S. 83 ff. 379 So auch Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 136: „Eine Argumentationsfigur, aus der verfassungsrechtliche Anforderungen unmittelbar folgen, ohne daß sich das Begründungsmuster einem der bekannten rechtsstaatlichen Gebote zuordnen läßt oder in die dogmatisch bislang stets entscheidungsrelevante Bundestreuepflicht eingebettet ist, kann nur als ein verselbständigtes Gebot, als hinzugekommener Prüfstein für die Verfassungskonformität einer Norm begriffen werden“. Die Verselbständigung lässt sich deutlich an der von Fischer (JuS 1998, S. 1096 ff.) herausgearbeiteten Drei-Stufen-Prüfung des Bundesverfassungsgerichts erkennen. 380 Der Gedanke der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung und dessen Behandlung ist freilich nicht neu. Vgl. dazu nur die bereits 1935 erschienene Monographie von Karl Engisch „Die Einheit der Rechtsordnung“. Allgemein dazu auch Felix, Einheit der Rechtsordnung. 381 BVerfGE 98, 83 (97). Zu darüber hinausgehenden Grundsätzen und dem Prinzip der Rechtseinheit als vorpositives Recht vgl. Sodan, JZ 1999, S. 866 ff. Zu der Argumentation mittels Demokratie und Rechtsstaatsprinzip (S. 869) sei jedoch angemerkt, dass der Wille des Volkes schwerlich festzustellen sein wird. Die Ausführungen zum Willen des Gesetzgebers zu Beginn dieser Arbeit können hier modifiziert herangezogen werden. 382 Insgesamt dürften aber auch derartige Kompetenzfriktionen die seltene Ausnahme bleiben. Der Schwerpunkt der Befugnisse zur Steuergesetzgebung und zur Sachgesetzgebung liegt beide Male deutlich auf Bundesseite, vgl. Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 160. 383 BVerfGE 98, 106 (119) sowie 3. Eingangssatz. 384 Frenz, DÖV 1999, S. 43. Weitergehend zum Garantiegehalt von Kompetenznormen Pestalozza, Der Staat 11 (1972), S. 161 ff.

A. Auflösungsmöglichkeiten

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nen formell zustehender Gesetzgebungszuständigkeiten unterhöhlen können.“385 Durch das Rechtsstaatsprinzip, der zweiten „Quelle“ des Prinzips der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, werde die Verpflichtung zur Beachtung der bundesstaatlichen Kompetenzgrenzen und zur Ausübung der Kompetenz in wechselseitiger bundesstaatlicher Rücksichtnahme in ihrem Inhalt verdeutlicht und in ihrem Anwendungsbereich dahingehend erweitert, dass alle rechtssetzenden Organe die Regelungen widerspruchslos aufeinander abzustimmen hätten.386 Argumentiert wird zusätzlich, dass traditionell anerkannt sei, dass unklare Regelungen und unbestimmte Gesetze in Extremfällen wegen Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze nichtig sein können.387 Zur inhaltlichen Klarheit werde auch die Widerspruchsfreiheit gerechnet und zur Bestimmtheit gehöre, dass die Adressaten die in den Normen festgeschriebene Rechtslage erkennen könnten und in der Lage seien, ihr Verhalten an dieser Rechtslage auszurichten.388 Es sei für den Normadressaten jedoch gleichgültig, ob die Widersprüchlichkeit aus einem Gesetz resultiere oder ob sich die entsprechenden Unklarheiten aus verschiedenen, gegenläufigen Regelungswerken ergäben.389 In keinem Falle dürften, so die (eigenständige) Figur der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung bejahende Stimmen390, kompetenzielle Regelungen mit Grundsätzen des Rechtsstaats kollidieren. Ein Prüfungsmaßstab der kompetenziellen Widerspruchsfreiheit müsse sich nicht im positiven Gesetzesrecht finden lassen, weil Strukturprinzipien höchstrangig geregelt würden. Normwidersprüche müssten infolgedessen hinsichtlich Mittel und Zweck ausgeschlossen werden. Dies sei durch verfassungskonforme Auslegung391 oder eben durch Nichtigerklärung zu erreichen.392 Einen wissenschaftstheoretischen Begründungsansatz bringt Sodan393 vor. Die Jurisprudenz sei als Wissenschaft frei von Widersprüchen zu halten. Die Logik

385

Frenz, DÖV 1999, S. 43. BVerfGE 98, 106 (119). Zur allgemeinen Begründbarkeit des Postulats der Widerspruchsfreiheit durch das Rechtsstaatsprinzip auch Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 377. Über den Maßstab, wann Normwidersprüche nicht hinnehmbar sind, werden hier jedoch ausdrücklich noch keine Aussagen getroffen. 387 Vgl. dazu schon BVerfGE 25, 216 (227). 388 Frenz, DÖV 1999, S. 44. 389 Frenz, DÖV 1999, S. 44. 390 Anzuführen sind unter anderem Frenz, DÖV 1999, S. 41 ff.; Sodan, JZ 1999, S. 864 ff.; Di Fabio, NVwZ 1999, S. 1153 ff. Im Grundsatz zustimmend sind Bothe, NJW 1998, S. 2333 ff.; Weidemann, DVBl. 1999, S. 73 ff.; Henneke, ZG 13 (1998). Außerhalb des Kontextes der Entscheidungen spricht sich Menzel, DVBl. 1997, S. 645 für das Postulat der Widerspruchsfreiheit aus. Für eine Bindung der Länder an die Ziele der Bundespolitik ist auch Bleckmann, DÖV 1986, S. 125 ff. Sehr allgemein zum Erfordernis einer widerspruchsfreien Rechtsordnung vgl. Schneider, Gesetzgebung, S. 37. 391 Allgemein hierzu Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung. 392 Sodan, JZ 1999, S. 865. 393 Sodan, JZ 1999, S. 865, zur formalen Richtigkeit einer Wissenschaft S. 866 ff. 386

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als Fundamentalbedingung einer Wissenschaft verlange das Nichtvorhandensein von Sätzen, die sich ihrem Inhalt nach ausschließen würden. Es bestehe ein Vorrang der Prinzipien als „Obersatz“, welchem sich die „Untersätze“ anzupassen hätten. Insgesamt lassen sich bei der Begründung des Bundesverfassungsgerichts zur Herleitung des Grundsatzes der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung also drei unterscheidbare Stufen erkennen.394 Die erste Stufe bildet die grundgesetzliche Kompetenzordnung als Ausgangspunkt. Bei der Ausübung der jeweiligen Kompetenzen ist dann, dies stellt die zweite Stufe dar, eine Missbrauchskontrolle durchzuführen, welche sich aus dem Gebot der Bundestreue ergibt. Wesentlich verstärkt395 wird die Kontrolldichte abschließend durch die dritte, aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierende Stufe, welche die Missbrauchsaufsicht zu einer umfassenden Kontrolle über die Widerspruchsfreiheit ausbaut. Das Bundesverfassungsgericht legt bei dieser Kontrolle einen sehr strengen Maßstab bei der Prüfung der Widerspruchsfreiheit der Normgebung an.396 Welche Regelung – und mittelbar welche Kompetenz – nun im Falle des Widerspruchs zweier Konzeptionen zu weichen habe, bestimmt sich den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts folgend grundsätzlich nach den oben im Rahmen der kompetenziellen Qualifizierung erörterten Gesichtspunkten. So sei „grundsätzlich nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen“397 zu entscheiden. Hierbei seien beispielsweise Sachkompetenz und Steuerkompetenz vom Grundgesetz bereits in der Weise aufeinander abgestimmt, dass grundsätzlich der Sachgesetzgeber Verhaltenspflichten, der Steuergesetzgeber Zahlungspflichten regle. Beeinflussen nun steuerrechtliche Regelungen, beabsichtigt oder als Reflex, Verhaltenspflichten und laufen die steuerrechtlichen Regelungen den sachgesetzgeberischen zuwider, so habe die steuerrechtliche Regelung zu weichen.398 (2) Keine Erforderlichkeit zusätzlicher Sachkompetenz Voraussetzung für die Annahme einer derartigen Konstruktion ist jedoch zunächst, dass es von vornherein für den Steuergesetzgeber ohne hinzutretende Sachkompetenz überhaupt möglich ist, verhaltenslenkende Maßnahmen zu erlas-

394

Herausgearbeitet hat dies Fischer, JuS 1998, S. 1097. Durch diese dritte Stufe wird die Verselbständigung des Prinzips der Widerspruchsfreiheit deutlich. 396 Dies belegen die Ausführungen im Rahmen der Feststellung des Widerspruchs von kommunaler Verpackungssteuer und Bundesabfallrecht, BVerfGE 98, 106 (121 ff., speziell aber auch S. 130 ff.). Ebenso Fischer, JuS 1998, S. 1097. 397 BVerfGE 98, 106 (119). 398 BVerfGE 98, 106 (119). 395

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sen. Ohne diese Möglichkeit wäre es von vornherein ausgeschlossen, derart widersprüchliche Regelungen zu erhalten, was eine Behandlung mittels der Figur der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung entbehrlich machte. Das Bundesverfassungsgericht hält dementsprechend das Vorliegen einer zusätzlichen Sachkompetenz auch bei der Verfolgung außerfiskalischer Zwecke für entbehrlich.399 Wegen des verbleibenden Finanzierungszwecks und der ausschließlichen Verbindlichkeit ihrer Steuerrechtsfolgen fielen Lenkungssteuern in die Zuständigkeit des Steuergesetzgebers.400 Nur wenn die steuerliche Lenkung nach Gewicht und Auswirkung einer verbindlichen Verhaltensregelung nahekomme, die Finanzierungsfunktion also durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter verdrängt werde, biete die Besteuerungskompetenz keine ausreichende Grundlage.401 Vor allem aber bestehe aus Spezialitätsgründen ein Vorrang der finanzverfassungsrechtlichen Regelungen. Art. 105–108 GG seien nach Wortlaut und Systematik Sonderregelungen gegenüber den allgemeinen Regelungen der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen für den Bereich der Steuern.402Art. 70 ff. GG hätten die Staatstätigkeit auf dem Gebiet der Gesetzgebung zur Voraussetzung, während Art. 105 ff. GG die Staatstätigkeit auf dem Gebiet der Gesetzgebung und, als zusätzliches, die Spezialität begründendes Element, den Gegenstand „Steuern“ zum Inhalt hätten.403 Nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung bildet für derartige Fälle das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung das notwendige Korrektiv.404

399 BVerfGE 98, 106, (117 f.), zudem 2. Eingangssatz. Ebenso BVerfGE 55, 274 (299). Einen entsprechend weiten Steuerbegriff vertrat das Bundesverfassungsgericht schon früher: „Gesetzliche Eingriffe in das Spiel der wirtschaftlichen Kräfte sind auch in der Form von Steuergesetzen nicht unzulässig. Steuern, die dem Pflichtigen ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten nahelegen sollen, ohne ihn dazu rechtlich zu zwingen, hat es seit je gegeben. Daß ein steuerrechtlicher Eingriff vorwiegend einen wirtschaftspolitischen Zweck verfolgt, führt also nicht schon zu der Folgerung, es liege ein verfassungswidriger Formmißbrauch vor. Von einem solchen Mißbrauch wäre allenfalls zu sprechen, wenn das Steuergesetz dem ihm begrifflich zukommenden Zweck, Steuereinnahmen zu erzielen, geradezu zuwiderhandelte, indem es ersichtlich darauf ausginge, die Erfüllung des Steuertatbestandes praktisch unmöglich zu machen, also in dem Sinne eine ,erdrosselnde‘ Wirkung auszuüben.“ [BVerfGE 16, 147 (161), vgl. auch BVerfGE 38, 61 (80)] 400 Jobs, DÖV 1998, S. 1041. 401 BVerfGE 98, 106 (118). Eine knappe Zusammenfassung der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichtes und des Bundesverfassungsgerichtes findet sich bei Gern, NVwZ 1995, S. 772. 402 Pieroth, WiVerw 1996, S. 73. Dazu auch BVerfGE 67, 256 (285 f.). 403 Pieroth, WiVerw 1996, S. 73. 404 Frenz, DÖV 1999, S. 42.

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bb) Kritik (1) Erforderlichkeit einer Doppelkompetenz405 Die Verkennung des kompetenzrechtlichen Elements bei Zulassung der Regelung nichtfiskalischer Bereiche durch Steuergesetze bemängelt dagegen Stern406. So handle es sich zwar um ein Steuergesetz, wenn durch eine Regelung nicht nur, aber auch fiskalische Zwecke verfolgt würden, dennoch hätte das Gesetz wirtschafts-, sozial-, kulturrechtlichen- oder ähnlichen Einschlag. Dieser Einschlag müsse bei der Beurteilung der Kompetenzfrage gebührend berücksichtigt werden. Der „Steuertitel“ sei kein Globaltitel, welcher die Kompetenzordnung der Art. 30, 70 ff. GG überlagere. Das Gewand eines Steuergesetzes schaffe daher alleine noch keine Zuständigkeit für die zugrunde liegende Sachmaterie, selbst wenn die Regelung auch eine steuerrechtliche Regelung sei. Es bedürfe daher sowohl einer steuerrechtlichen als auch einer gegenständlichen Zuständigkeit. Ebenso votiert Vogel: „Es sollten die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften angewandt werden, [beispielsweise] für wirtschaftslenkende Steuervorschriften also Art. 74 Nr. 11 GG“407. Auch Selmer ist der Meinung, dass der Steuergesetzgeber die den allgemeinen Gesetzgebungskompetenzen zu Grunde liegenden Verteilungsentscheidungen des Verfassunggebers nicht unbeachtet lassen dürfe, wenn er gelegentlich oder gar mittels einer steuergesetzlichen Normierung ausgesprochen sachregelnde Ziele verfolge.408 „Andernfalls wären die Zuständigkeiten der Art. 70 ff. GG einer mit ihrem bundesstaatlichen Ordnungsprinzip unvereinbaren Aushöhlung schutzlos ausgeliefert“409. Gerade die Unterscheidung, ob es sich bei dem steuerlich gelenkten Sachgebiet um eine der konkurrierenden oder ausschließlichen Gesetzgebung zugehörige Materie handle, dürfte der richtige Ansatzpunkt für die Beurteilung der Frage sein, wie beispielsweise Überschnei-

405 Der hiesige Streit um das Erfordernis einer Doppelkompetenz hat nur am äußersten Rande mit dem Streit um das Verbot der Doppelzuständigkeiten im Rahmen des Art. 31 GG zu tun. Während es hier um die Doppelzuständigkeit eines Kompetenzträgers für Sach- und Steuerkompetenz geht, war oben zu klären, inwieweit zwei verschiedene Kompetenzträger für eine Materie zuständig sein können. Dies war indessen auch nicht begrenzt auf die Frage von Steuer- und Sachgesetzgeber. Der generelle Verweis von Stern auf Pestalozza und Lerche und die pauschale Vermengung beider Begriffe erscheint daher nicht gänzlich nachvollziehbar (Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 1105, Fn. 100). Die mehrfache Verwendung des Begriffs der Doppelkompetenz konnte hier aufgrund der Verwendung in der Literatur nicht vermieden werden. Hier sei jedoch mit aller Deutlichkeit auf den beschriebenen Unterschied hingewiesen. 406 Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 1102 ff. 407 Vogel, in: HdBStR IV, S. 38. 408 Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 162. Ebenso Friauf, Verfassungsrechtliche Grenzen der Wirtschaftslenkung, S. 28. 409 Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 162.

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dungen von Steuer- und Sachkompetenzen verfassungsrechtlich zu beurteilen seien.410 (2) Sonstige Kritik Auch über die Forderung doppelter Zuständigkeit hinaus wird dem Postulat der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung als Rechtsfigur Kritik entgegen gebracht. So wurde bereits im Rahmen echter Doppelkompetenzen bei der Behandlung der Anwendbarkeit des Art. 31 GG herausgearbeitet, dass nicht jeder Normenkonflikt zur Anwendung des Art. 31 GG führen kann. Ebenso verhält es sich bei widersprüchlichen Regelungskonzeptionen. Stellen die Konzeptionen einen miteinander unvereinbaren logischen Normwiderspruch dar, so handelt es sich um eine echte Konkurrenz mit der Folge der Lösung des Konflikts über Art. 31 GG.411 Rein axiologische412 Widersprüche413, also solche, die lediglich wertungsmäßigen Charakters sind und daher die überwältigende Mehrheit der Berührungen zwischen verschiedenen Regelungskonzeptionen darstellen, dürfen nicht mit den genannten logischen Widersprüchen verwechselt werden. „Wertigkeiten können nur behauptet werden; sie sind nicht aus Werten begründbar, ohne auf logische beziehungsweise teleologische Ableitungen zurückzugreifen.“414 Ziele, Konzepte und Strategien des Gesetzgebers seien gerade nicht immer offensichtlich und könnten sich im Laufe der Zeit wandeln, was zu der schwer lösbaren Frage führe, wann ein sachlicher Widerspruch anzunehmen sei, der wiederum zur Verfassungswidrigkeit einer der Regelungen führe.415 Überall dort, wo im bundesstaatlichen System Normen zusammenspielen und ineinandergreifen, werden kleinere oder größere Wertungswidersprüche auftreten. Dies folgt aus der Erkenntnis, dass gerade „in einem demokratischen und föderalistischen Staat mit – nacheinander – wechselnden Regierungsmehrheiten und – nebeneinander – politisch divergierenden Mehrheiten in Bundes- und Landesparlamenten Widersprüche bei der Rechtserzeugung sowie (vor allem auch wegen des einer Demokratie immanenten Kompromisszwangs) stets inhaltliche Spannungen in den zugrundeliegenden gesetzlichen Grundwertungen auftreten werden.“416 Ist ein ausreichen410 411

Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 163. Ähnlich, ebenfalls mit dem Hinweis auf Art. 31 GG, Brüning, NVwZ 2002,

S. 36. 412

Axiologie bezeichnet die Wertlehre. Diesen Begriff verwendet Brüning, NVwZ 2002, S. 36. 414 Brüning, NVwZ 2002, S. 36. 415 Fischer, JuS 1998, S. 1100. Gehörige Zweifel am Vorliegen eines Kooperationsprinzips in der vom Bundesverfassungsgericht dargestellten Weise äußert Schrader, ZUR 1998, S. 154. 416 Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 2. In letzter Konsequenz weitergedacht, widerspräche eine strenge Anwendung des Grundsatzes der Widerspruchsfreiheit damit dem Demokratieprinzip, vgl. Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 11 f. Auf einen Kompromiss413

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

der Widerspruch nun schon bei geringfügigen oder erst bei schwerwiegenden Konzeptionsfriktionen anzunehmen? Ein griffiges Abgrenzungsinstrument ist nicht vorhanden. Das Bundesverfassungsgericht läuft hier Gefahr, sich eines in erhöhtem Maße unpräzisen Prüfungsmaßstabes zu bedienen.417 Die mehr oder weniger willkürliche Erklärung eines Gesetzes als verfassungswidrig birgt die oben angesprochene Gefahr418, die Grenze zwischen Legislative und Judikative in besorgniserregender Weise zu verwischen.419 Ein Blick auf die Rechtsfolge der beispielsweise angeführten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen belegt dies. Wenn der Bund von seinem – nach verfassungsgerichtlichen Aussagen – kooperativen System zu einem Mittel staatlicher Intervention greifen würde, so wäre damit die landesrechtliche Regelung wieder verfassungsgemäß. Über das Vorliegen eines Widerspruchs entscheidet aber (allein) das Bundesverfassungsgericht.420 Die mangelnde Präzision unterstreicht Sendler in sehr deutlicher Weise, wenn er darauf hinweist421, dass das Bundesverfassungsgericht mehrfach selbst erwähnt habe422, dass das Rechtsstaatsprinzip, auf welches die Figur der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung sich gründet, lediglich Programmcharakter besitze und im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegte Gegenläufigkeiten existierten. Auch von Ambivalenz, Relativität und Konturenlosigkeit ist die Rede.423 Gerade bezüglich des (beispielhaften) konzeptionellen Widerspruchs eines Sach- und eines Steuergesetzgebers muss beachtet werden, dass nahezu jeder steuerliche Tatbestand Wirkungen enthält, welche über den bloßen Transfer von Werten hinausgeht. „Es liegt geradezu im Wesen jeder Besteuerung, dass sie auch eine Vielzahl von verhaltensbeeinflussenden Momenten“424 impliziert. In einer komplexen, ausdifferenzierten Rechtsordnung ist eine völlige Abstimmung der verschiedenen Normgeber, speziell des Sach- und Steuergesetzgebers, weder zu erwarten, noch zu leisten. Dies resultiert nicht zuletzt aus dem vom Verfasdruck der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Akteure und die daraus resultierende Utopie einer vollständigen Widerspruchsfreiheit weist auch Jobs hin. Vgl. dazu Jobs, DÖV 1998, S. 1044. Ähnlich Bumke, ZG 14 (1999), S. 381. 417 Entsprechend Sendler, NJW 1998, S. 2876. Keine Bedenken hinsichtlich der Rechtssicherheit sieht demgegenüber Weidemann, DVBl. 1999, S. 74. 418 Vgl. dazu die Ausführungen unter 2. Teil A. III. 2. 419 Diese Gefahr sehen auch Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 2, 5. Gleichlautend der Vorwurf von Schneider: „Denn was widersprüchlich ist oder nicht, bestimmen dann allein die Verfassungsrichter“ (Schneider, ZRP 1998, S. 327). Ähnlich äußert sich Jobs, DÖV 1998, S. 1043. 420 Schneider, ZRP 1998, S. 327. 421 Sendler, NJW 1998, S. 2875. 422 BVerfGE 57, 176 ff. und 65, 290 ff. 423 Sendler, NJW 1998, S. 2875. Ähnlich, jedoch etwas weniger deutlich, Jobs DÖV 1998, S. 1043. 424 Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 1102. Ähnlich Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, S. 163.

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sunggeber gewählten föderalen System. Im Ergebnis sind Wertungen, solange sie nicht die „Schwelle“ einer zeitlichen und sachlichen Aktualität überschreiten, nicht in der Lage, die Einheit des Rechtssystems zu gefährden.425 Zwar sind Wertungswidersprüche in einer Rechtsordnung grundsätzlich unerwünscht und unvorteilhaft, weshalb sie vermieden werden sollten: „Die Verwirklichung einer in sich stimmigen, widerspruchsfreien Rechtsordnung ist sicherlich ein erstrebenswertes Ziel.“426 Solange die entsprechenden Regelungen mit ihren enthaltenen Wertungen jedoch keinem verfassungsrechtlichen Prinzip widersprechen, sind sie hinzunehmen.427 „Hier Anpassungen vorzunehmen und Widersprüche auszuräumen, ist, soweit nicht durch Auslegung eine Harmonisierung erreicht werden kann, Sache des Gesetzgebers.“428 Auch die dogmatische Einordnung der am Rechtsstaatsprinzip ausgerichteten Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung wird für nicht überzeugend gehalten.429 So verlasse das Bundesverfassungsgericht den Bereich des Kompetenzrechts, wenn es im Verpackungssteuerurteil auf die Sicht des Normadressaten abstelle. Es greife dadurch materielle Gesichtspunkte auf und begebe sich auf die Ebene Staat-Bürger. Abgesehen davon müssten konsequenterweise auch die Regelungen einer Rechtssetzungsgewalt untereinander auf mögliche Widersprüchlichkeiten überprüft werden.430 Die Begründbarkeit eines verselbständigten Postulats der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit bezweifelt auch Haack. Der Versuch, unmittelbar aus der Rechtsstaatlichkeit das Verbot von Widersprüchen abzuleiten, sei auf die hergebrachten Unterprinzipien der Normklarheit und des Vertrauensschutzes zurückgeworfen. Die von diesen Unterprinzipien geforderten punktweisen Widerspruchsverbote zu einem übergreifenden Postulat zu verschmelzen, verbiete sich, da sie sich in ihrer Anwendung unterschieden und Unterschiedliches erwarten ließen.431 Gleiches gelte für das Gebot der Bundestreue432 oder die Herleitung aus Art. 3 GG433. Hinter den Begriffen verberge sich vielmehr kein allgemeines verfassungsrechtliches Gebot 425 Auch die Begründung des Prinzips der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung selbst basiert auf ähnlichen rechtsstaatlichen Erwägungen: „Traditionell anerkannt ist, daß unklare und unbestimmte Gesetze in Extremfällen wegen Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze nichtig sein können.“ (Frenz, DÖV 1999, S. 44, Hervorhebung durch den Verfasser) Vgl. auch BVerfGE 4, 115 (140). 426 Fischer, JuS 1998, S. 1100. 427 Entsprechend Brüning, NVwZ 2002, S. 36. 428 Sendler, NJW 1998, S. 2876. 429 Fischer, JuS 1998, S. 1099; Sendler, NJW 1998, S. 2875; Bumke, Gesetzgebungskompetenz unter bundesstaatlichem Kohärenzzwang?, S. 377, speziell S. 382 f. 430 Jobs, DÖV 1998, S. 1044 f. Begründet wird dies unter anderem mit der unterschiedlichen Einflußnahmemöglichkeit des Bundesrates, je nachdem, ob es sich bei der betreffenden Regelung um ein Zustimmungs- oder Einspruchsgesetz handelt. 431 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 129 ff. 432 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 133. So auch Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 368.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

der Widerspruchsfreiheit, sondern ein Bündel von Einzelmaßstäben, die je nach Natur des zutage tretenden Konflikts auszuwählen und anzuwenden seien.434 Abermals tritt die Gefahr eines kaum noch zu überblickenden, jedoch auch kaum greifbaren Anwendungsbereichs deutlich hervor.435 Jedoch auch darüber hinaus muss die Notwendigkeit des Ansatzes des Bundesverfassungsgerichts in Frage gestellt werden. Verdeutlicht werden soll dies an den bereits als Beispiel bemühten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Für den Fall der Kommunalabgaben erscheint die Notwendigkeit der Figur der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung nicht gegeben. So führt das Bundesverfassungsgericht selbst aus, dass „grundsätzlich nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen“436 zu entscheiden sei. Hierbei regle der Sachgesetzgeber grundsätzlich Verhaltenspflichten, der Steuergesetzgeber Zahlungspflichten. Demzufolge habe die steuerrechtliche Regelung zu weichen, wenn sie (beabsichtigt oder als Reflex) die aufgestellten Verhaltenspflichten beeinflusse und der sachgesetzgeberischen Konzeption zuwiderlaufe.437 Im Grunde wird hier lediglich das Prüfungsprogramm einer kompetenziellen Qualifizierung durchgeführt und mittels des Schwerpunkts der Regelung, des vorgefundenen Sonderrechts, entschieden. Die vom Bundesverfassungsgericht verwendeten „Entscheidungsgesichtspunkte Rang, Zeitenfolge und Spezialität entstammen weder der Bundestreuedogmatik noch derjenigen von Normenklarheit und Vertrauensschutz“438, welche Elemente des Rechtsstaatsprinzips darstellen. Der verselbständigten439 Figur der Widerspruchsfreiheit der Normgebung bedarf es hier im Grunde nicht.440 Auf der anderen Seite vermag die behandelte Figur der Widerspruchsfreiheit für den Fall des bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes ebenfalls nicht 433 Art. 3 GG sei für die hier zu bewältigenden Konfliktlagen der konzeptionellen Divergenz sogar bedeutungslos (Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 132). 434 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 134. 435 Übereinstimmend Fischer, JuS 1998, S. 1100. „Angreifbar erscheint das [. . .] Verfassungsgebot auch, weil es dazu verführt, ohne Mühen einer aufwendigen Begründung konzeptionelle Widersprüchlichkeiten – gerade auch im untergesetzlichen Normbestand – zu suchen (als Gericht) bzw. zu behaupten (als Prozeßpartei), um so die unliebsame Regelung zu Fall zu bringen.“ (Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 139) 436 BVerfGE 98, 106 (119). 437 BVerfGE 98, 106 (119). 438 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 140. 439 Nochmals sei darauf hingewiesen, dass die vorliegende Behandlung allein das verselbständigte Postulat der Widerspruchsfreiheit betrifft. Das Gebot der Bundestreue, welches sogleich behandelt werden wird, vermag in gewissen Grenzen durchaus eine Widersprüche ausschließende Wirkung zu entfalten. 440 Im Ergebnis ebenso Brüning, NVwZ 2002, S. 34.

A. Auflösungsmöglichkeiten

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viel weiter zu helfen. Hier ist zwar eindeutig, dass die landesrechtlichen Vorschriften in Strenge und Art der Voraussetzungen über die bundesrechtlichen hinausgehen. Welche der beiden Vorschriften nun jedoch zu weichen hatte, entschied das Bundesverfassungsgericht wiederum anhand der Feststellung, ob bereits eine abschließende bundesrechtliche Regelungen vorlag. Als ergänzendes Argument – Änderungen in der Rechtsprechung sind freilich jederzeit möglich – kann noch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herangezogen werden, wonach „[n]eben der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten [. . .] es keine Verfassungsgrundsätze [gibt], aus denen Schranken für die Kompetenzausübung in dem von Staatlichkeit und Gemeinwohlorientierung bestimmten Bund-Länder-Verhältnis gewonnen werden könnte.“ 441 cc) Zusammenfassende Betrachtung In einem komplexen bundestaatlichen System wie dem der Bundesrepublik Deutschland sind Berührungen zwischen den Kompetenzen der jeweils unterschiedlichen Kompetenzträger nicht vermeidbar. Dies zeigt sich gerade am Beispiel des Konflikts einer Steuer- und einer Sachkompetenz. Jeder Steuer ist ein gewisses Moment an Verhaltenssteuerung immanent. Der Steuerpflichtige kann im Regelfall wählen, ob er dem Tatbestand der Steuernorm „entfliehen“ oder ob er sich diesem unterwerfen will:442 Ein Mensch, der beispielsweise nicht Eigentümer eines Kraftfahrzeugs ist, ist auch nicht verpflichtet, Kfz-Steuer zu entrichten. Aus dieser Möglichkeit jedoch in jedem Fall eine zusätzliche Kompetenz des Steuergesetzgebers für die durch die steuerrechtliche Regelung berührten Sachgebiete zu fordern, erschwert zum einen das steuergesetzliche Tätigwerden. Zum anderen sind in vielen Fällen die späteren Berührungspunkte mit verschiedenen Sachmaterien noch nicht absehbar. Muss nun, um in einem fiktiven Beispiel zu bleiben (die tatsächliche Kompetenzordnung bleibt hierfür außer Betracht) der Steuergesetzgeber Kompetenzen für die Umwelt oder das Straßen- und Wegerecht nachweisen? Mittelbare Auswirkungen auf beide Bereiche ergeben sich durch die Erhebung einer Kfz-Steuer sicherlich.443 Welche Berührungen werden in diesen Fällen als belanglos, welche als relevant angesehen? Schließlich wäre die Frage zu beantworten, was bei einer Berücksichtigung aller Berührungspunkte von einer durch das Grundgesetz verliehen Steuerkompetenz übrig bliebe. Nachdem also keine generelle Bejahung des Erfordernisses der Doppelkompetenz angezeigt ist, so muss dennoch differenziert werden. Es gelten die im Rahmen der Arbeit dargestellten Schritte und Methoden zur Klärung der Kompetenzlage. Hierzu ist vornehmlich der Zweck der in Frage stehenden Gesetze zu ermit441

BVerfGE 81, 310 (338). Ein eingängiges Beispiel zur „Flucht“ aus dem Anwendungsbereich einer Norm findet sich bei Wiederin, Rechtstheorie 21 (1990), S. 323. 443 Mit einem ähnlichen Beispiel Schrader, ZUR 1998, S. 154. 442

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

teln. Je nachdem, ob es Haupt- oder Nebenzweck des Gesetzes ist, steuerliche Ziele zu verfolgen oder das Verhalten der Normadressaten zu beeinflussen, ist das Gesetz als Steuergesetz oder als Sachgesetz zu qualifizieren. Im letzteren Fall ist die Regelung nur verfassungsgemäß, wenn auch eine entsprechende Sachregelungskompetenz besteht. Steuerkompetenzen sind aufgrund des recht großen Lenkungseffektes im Vergleich zu Sachkompetenzen jedoch größere „Übergriffe“444 in Sachkompetenzen des anderen Kompetenzträgers zu gestatten, als es bei Sachkompetenzen zulässig wäre. Die hier vertretene Ansicht liegt also – mit gehöriger Sympathie für das Erfordernis einer Doppelkompetenz – zwischen den beiden dargestellten Positionen.445 Die alleinige Verfolgung außerfiskalischer Zwecke bedarf entgegen der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der kommunalen Verpackungssteuer446 einer Sachkompetenz. Sobald der fiskalische Zweck jedoch noch überwiegt, ist eine Steuerkompetenz ausreichend, um auch lenkend auf die Normadressaten einzuwirken. Ähnlich war die Linie des Bundesverfassungsgerichts noch in den Entscheidungen zur Schankerlaubnis-447 und Vergnügungssteuer448. Damals gestattete das Gericht dem Landesgesetzgeber Übergriffe in die Sachgesetzgebung des Bundes, solange der außerfiskalische Lenkungszweck Nebenzweck bleibe. „Das Land würde seine Befugnis zur Steuergesetzgebung mißbrauchen, wollte es von diesem Hauptzweck eines Steuergesetzes absehen und eine Regelung, die ihm nach den allgemeinen Kompetenzvorschriften versagt ist, in das Gewand eines Steuergesetzes kleiden. Daher darf es durch ein Steuergesetz das nach den allgemeinen Kompetenzvorschriften den Ländern entzogene Rechtsgebiet nur für einen Nebenzweck betreten.“449 Zwar spricht das Bundesverfassungsgericht in neuerer Rechtsprechung ausdrücklich davon, dass es gleichgültig sei, ob die Lenkung Haupt- oder Nebenzweck sei, der Steuergesetzgeber sei immer zur Regelung von Lenkungssteuern zuständig.450 In den eigenen Ausführungen für den Fall der Widersprüchlichkeit sei jedoch dann wiederum zu berücksichtigen, dass Sachkompetenz und Steuerkompetenz vom Grundgesetz bereits in der Weise aufeinander abgestimmt seien, dass grundsätzlich der Sachgesetzgeber Verhaltenspflichten, der Steuergesetzgeber Zahlungspflichten regle, und dass es gelte, Überschneidungen beider Konzeptionen entsprechend dieser Anordnung zu behandeln.451 In gewissem Umfang relativieren die Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts sich somit 444 Anders ausgedrückt, ist Steuergesetzen somit ein größerer Sachzusammenhang zu gewähren als Sachgesetzen. 445 Ähnlich stellt sich die Argumentation dar bei Gern, NVwZ 1995, S. 772. 446 BVerfGE 98, 106 (118). 447 BVerfGE 13, 181 (196 f.). 448 BVerfGE 14, 76 (99). 449 BVerfGE 14, 76 (99). 450 BVerfGE 98, 106 (118). 451 BVerfGE 98, 106 (119).

A. Auflösungsmöglichkeiten

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selbst. Der Zweck der Regelung – Verhaltenspflichten oder Zahlungspflichten – entscheidet hier wie dort. Eine komplett widerspruchsfreie Rechtsordnung ist in einer modernen Rechtsordnung wie der der Bundesrepublik nicht denkbar. Wie bereits mehrfach dargestellt, ergeben sich Kompetenzberührungen an sehr vielen Stellen der bestehenden Rechtsordnung. Die Argumente gegen die (radikale) Forderung des Bestehens einer Doppelkompetenz lassen sich größtenteils auf die Figur der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung übertragen. Auch hier ist unklar, welcher Widerspruch zu relevanten Friktionen führen sollte und welcher nicht. Zudem ist mit obiger Argumentation die Notwendigkeit einer selbständigen Figur der Widerspruchsfreiheit in Frage zu stellen. Im Ergebnis lassen sich alle auftretenden Kompetenzfriktionen, auch wenn sie nur bezüglich des Konzepts der jeweiligen Regelungen bestehen, mittels des im Laufe dieser Arbeit dargestellten Instrumentariums bewältigen. So gilt auch hier Art. 31 GG, wenn sich herausstellen sollte, dass sich eine Regelung exakt zwischen einer Bundeskompetenz und einer Landeskompetenz befindet. Welcher Natur die konfligierenden Kompetenzen sind, ob es sich um Steuerkompetenzen, Sachkompetenzen oder um spezielle strafrechtliche Kompetenzen handelt, ist für eine Anwendung des Art. 31 GG nicht von Belang. Notwendig ist jedoch mit obiger Argumentation sachliche und zeitliche Aktualität der Kompetenzkollision. In all den Fällen, in welchen kein unausweichliches Verhaltensdilemma vorhanden ist, scheidet eine Anwendung des Art. 31 GG aus. Ist dieses Verhaltensdilemma jedoch gerade nicht unausweichlich, so besteht keine Notwendigkeit, selbiges durch das „scharfe Schwert der Nichtigerklärung“ 452 aufzulösen. Sich berührende Kompetenzbereiche, auch wenn sie sich in der Art und Weise der Regelung nicht entsprechen oder sogar teilweise widersprechen, sind grundsätzlich hinzunehmen.453 Dies gilt trotz aller Rationalitätsbestrebungen, wie sie etwa im Grundsatz der Geeignetheit und Erforderlichkeit eines Gesetzes oder im Systemdenken der Dogmatik454 zum Ausdruck kommen.455 Das Grundgesetz verleiht Bund und Ländern jeweils Kompetenzbereiche, in welchen sie berechtigt sind, Gesetze zu erlassen. Bei jeglicher Berührung das eine oder andere für nichtig zu erklären, wäre einer effektiven Regelungsmöglichkeit und dem grundgesetzlichen Verteilungssystem an sich sowie der Rechtssicherheit456 ganz allgemein in höchstem Maße abträglich. Wenn sich also, wie im Beispiel des bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes, er452

Sendler, NJW 1998, S. 2876. So im Ergebnis auch Fischer, JuS 1998, S. 1100. Ebenfalls Sendler, NJW 1998, S. 2876; Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 125; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 63. 454 Dazu Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 112 ff. 455 Bumke, ZG 14 (1999), S. 381. 456 Für einen Gewinn an Rechtssicherheit ebenfalls Fischer, JuS 1998, S. 1100. 453

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

gibt, dass die Verwirklichung eines Zieles, im konkreten Fall der Schutz des ungeborenen Lebens, auf unterschiedliche Weise durch unterschiedliche Kompetenzträger verwirklicht werden kann und diese Verwirklichungen nicht zu unvermeidbaren Dilemmas der Normadressaten führen, wenn – wie hier – die eine Regelungskonzeption lediglich über die andere hinausgeht, so besteht kein Grund, eine von beiden mit einer sehr konturlosen Konstruktion zu verwerfen.457 Dem Erfordernis der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist dann Genüge getan, wenn die einzelnen Normen hinreichend bestimmt und klar gefasst sind und der Normadressat eindeutig erkennen kann, was die jeweiligen Normen von ihm fordern. Dies gilt auch dann, wenn die entsprechenden Normen nicht aufeinander abgestimmt sind. Erst bei aus den Normen resultierenden unausweichlichen Konflikten gilt es, klärend einzugreifen. Dies verstärkt sich, wenn für die Feststellung des Widerspruchs keinerlei festen Maßstäbe vorhanden sind. Auch aus wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten, wie von Sodan darzulegen versucht, ergibt sich kein anderes Ergebnis.458 Sicherlich kann auf die Logik als Grundprämisse nicht verzichtet werden. Alle Wissenschaften über einen Kamm zu scheren, wäre indes jedoch ebenfalls nicht förderlich: Anders als beispielsweise die Mathematik betrachte die Jurisprudenz mit der Rechtsordnung einen Gegenstand, welcher durch menschliches Tun fortwährend erneuert, ausgewechselt oder außer Kraft gesetzt werde.459 Durch diesen menschlichen Faktor sind – anders als im Bereich der Naturgesetze – Widersprüchlichkeiten nicht systemfremd.460 Die Rechtswissenschaft „kann und muß sich [daher mit teils widersprüchlichem] Stoff befassen, ohne mit der Logik in Konflikt zu treten und deshalb absurd zu sein.“461 Zu den bisherigen Ausführungen unterschiedlich muss jedoch die Situation behandelt werden, in welcher ein Kompetenzträger missbräuchlich in den Bereich des anderen eingreift.462 Ebenfalls differenziert müssen Fälle behandelt werden, in denen ein Kompetenzträger durch eine (kompetenzgemäße!) Regelung die gesetzgeberische Tätigkeit des anderen Kompetenzträgers zu stark beeinträchtigt und diesem die Wahrnehmung der eigenen Kompetenz nicht mehr sinnvoll möglich ist.463 Sicherlich stellen sich auch hier ähnliche Probleme, beispielsweise die Frage wann eine „starke Beeinträchtigung“ oder die „missbräuchliche Regelung“ 457 Ähnlich für den Fall der Berührung einer strengen und einer weniger strengen Norm Fischer, JuS 1998, S. 1098. 458 Ebenso Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, S. 373 ff. 459 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 127 f. 460 So auch bereits Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 112. 461 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 127. 462 Rengeling, in: HdBStR IV, S. 728. 463 Wendt, in: HdBStR IV, S. 1034.

B. Kompetenzausübungsschranken

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eines Kompetenzträgers vorliegt. Zum einen ist aber durch das Erfordernis einer starken beziehungsweise missbräuchlichen Beeinträchtigung eine Einschränkung der zu betrachtenden Widersprüchlichkeiten auf solche Fälle erfolgt, welche aufgrund ihrer Intensität doch deutlich hervortreten werden. Die zu behandelnde Zahl von Widersprüchlichkeiten nimmt damit sehr stark ab. Zum anderen sind indes bereits andere Mittel und anerkannte Rechtsfiguren vorhanden, die bei der Beantwortung dieser Fragen helfen können. Solche Kompetenzausübungsschranken, zudenen beispielsweise die Bundestreue oder das Bundesstaatsprinzip464 zu zählen sind, scheinen in der Lage, derartige Kompetenzberührungen zu einem Ausgleich zu bringen, in dem keine der beteiligten Kompetenzen völlig zurücktreten muss. Ein sachgerechter Ausgleich scheint möglich. Im Ergebnis ist also wiederum nach der Intensität des jeweils auftretenden Widerspruchs zu unterscheiden. Solche Widersprüchlichkeiten, welche die Schwelle sachlicher und zeitlicher Aktualität überschritten haben und dadurch echte Konkurrenzen darstellen, sind zwingend aufzulösen. Hierfür steht Art. 31 GG als Kollisionslösungsnorm bereit. Widersprüchliche Regelungskonzeptionen jedoch, die diese Aktualitätsschwelle noch nicht überwunden haben, welche allerdings eine starke Beeinträchtigung eines Kompetenzträgers zur Folge haben oder welche missbräuchlich durch einen Kompetenzträger hervorgerufen wurden, sind in einen maßvollen Ausgleich zu bringen, welcher die optimale Entfaltung beider Kompetenzträger gewährleistet.465 Wie dies zu geschehen hat, soll im nächsten Abschnitt betrachtet werden. Die herkömmlichen Kompetenzausübungsschranken werden hier eine Lösung bereit halten. Die restlichen Widersprüche, welche die weitaus größte Zahl aller vorhandenen ausmachen, aber keine übermäßige Beeinträchtigung eines Kompetenzträgers darstellen und auch nicht missbräuchlich durch einen Kompetenzträger verursacht worden sind, sind im Interesse der Rechtssicherheit zu tolerieren.466 Eines verselbständigten Gebots der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung bedarf es aus den dargestellten Gründen nicht. Die vorhandenen Begründungsmuster dieser Figur vermögen nicht zu überzeugen.

B. Kompetenzausübungsschranken Wie im Vorangegangenen bereits angesprochen, „war und ist anerkannt, daß die einem Gesetzgeber zustehende Kompetenz nicht durch eine eigenmächtige Zuständigkeitsanmaßung [oder die ausufernde Gebrauchmachung dieser Kompetenz] zu einer Aushöhlung der einem anderen Gesetzgeber zustehenden Kompe464 Ob diese beiden Figuren deckungsgleich sind oder ob hier Unterschiede bestehen, ist an dieser Stelle irrelevant. 465 Ebenso Bumke, ZG 14 (1999), S. 384. 466 Für die Anwendung der Auflösungsmaßstäbe je nach Natur der Sache ist auch Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 134.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

tenz führen darf“ 467. Dies gilt gleichermaßen für Fälle, in denen ein Gebrauchmachen von der Kompetenz auch auf nicht missbräuchliche Weise zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der Kompetenzen des anderen Kompetenzträgers führen würde. Mithin muss für jeden Kompetenzträger auch nach der Klärung des Kompetenzkonflikts die Wahrnehmungsmöglichkeit der ihm zugewiesenen Kompetenzen im Kernbereich bestehen. Zwar nimmt die Betrachtung der Kompetenzausübungsschranken im Rahmen dieser Arbeit ihren Ausgang in der Diskussion um widersprüchliche Regelungskonzeptionen. Es betrifft allerdings in jeder Form der Kompetenzkonkurrenz den jeweils anderen Gesetzgeber, sei es, dass seiner Regelung eine andere, widersprüchliche Konzeption zur Seite tritt oder dass die Kompetenzfrage allgemein strittig ist. Die Geltung dieser Ausübungsschranken erstreckt sich also der Sache nach auf alle Kompetenzberührungen und Kompetenzwahrnehmungen, weswegen die Darstellung hier, sozusagen als abschließender Feinschliff der oben erarbeiteten Kollisionsauflösungen, ebenfalls auf alle Kompetenzkonkurrenzen angewendet werden muss.468 Im bundesstaatlichen System insgesamt bedarf es eines rechtlichen Regulativs, „um gemeinwohlschädliche Reibungsverluste zu mindern, gemeinwohlschädlichen Kompetenzmißbrauch zu vermeiden, gemeinwohlnotwendige Aktivität aller Bundesglieder auszulösen und zu leiten, Ausgleich, Verständigung [und] Kooperation zu erreichen“469. Zudem stellt sich die Frage widersprüchlicher Regelungskonzeptionen aus dem föderalen Blickwinkel betrachtet als eine (unselbständige!) Frage der Bundestreue dar, während die rechtsstaatliche Säule der Begründung die jeweiligen Normadressaten zu schützen suchte.470 Klargestellt sei jedoch, dass es sich bei Kompetenzausübungsschranken nicht um eine Korrektur im Sinne einer neuerlichen Umgestaltung des bereits gefundenen Ergebnisses und der sich hieraus ergebenden Kompetenzverteilung handeln darf: „Bereits der Begriff ,Kompetenzausübungsschranke‘ verdeutlicht, daß eine Korrektur die Kompetenzverteilung nicht umkehren darf. Vielmehr soll der eigentlich kompetente Gesetzgeber ein Gesetz nicht [oder nicht auf die geplante Weise] erlassen dürfen – doch bedeutet dessen Beschränkung keine spiegelbildliche Erweiterung der Kompetenz des anderen Gesetzgebers.“471

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Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 5. Nochmals sei klargestellt, dass die Figur der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung vom Bundesverfassungsgericht im Grunde als Kompetenzausübungsschranke gesehen wird. Die Entwicklung dieser Figur im Rahmen von widersprüchlichen Regelungskonzeptionen, die Begründung des Bundesverfassungsgerichts mittels dem kompetenzrechtlichen Verteilungssystem und dem Rechtsstaatsprinzip sowie die dadurch bestehende Sonderrolle rechtfertigte jedoch die Behandlung an anderer Stelle. 469 Isensee, in: HdBStR IV, S. 601. Ebenso Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 742. 470 Ähnlich Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 198 f. 471 Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 408. Entsprechend für die Bundestreue BVerfGE 106, 225 (243); 81, 310 (337). 468

B. Kompetenzausübungsschranken

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I. Bundestreue Im Zusammenhang mit der Darstellung des Grundsatzes der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung soll nun mit der Betrachtung der Bundestreue begonnen werden. Nachdem das Bestehen eines losgelösten Postulats einer widerspruchsfreien Rechtsordnung verneint werden musste, bestehen – vermittelt durch den föderalen Blickwinkel472 – dennoch Verbindungen zwischen dem Grundsatz der Bundestreue und der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. Bundestreue fordert Widerspruchsfreiheit innerhalb ihrer Voraussetzungen. Das Augenmerk richtet sich hier auf „bestehende und unerlässliche Verhaltensregeln“473, die zur Respektierung des jeweils anderen Kompetenzträgers und zur der Wahrung der jeweils bestehenden Kompetenzbereiche beider föderaler Kompetenzträger nötig sind. 1. Darstellung Inhaltlich lässt sich die „Bundestreue“ oder der gleichbedeutende „Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens“474 beschreiben als die akzessorische475, subsidiäre476, „verfassungsrechtliche Pflicht, daß die Glieder des Bundes sowohl einander als auch dem größeren Ganzen und der Bund den Gliedern die Treue halten und sich verständigen“477. Der im Bundesstaat geltende verfassungsrechtliche Grundsatz des Föderalismus478 enthalte deshalb die „Rechtspflicht des Bundes und aller seiner Glieder zu ,bundesfreundlichem Verhalten‘; d.h. alle an dem verfassungsrechtlichen ,Bündnis‘ Beteiligten sind gehalten, dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur

472 „Schließlich entlockt das Bundesverfassungsgericht dem föderativen Prinzip eine Reihe föderativer Unterprinzipien [. . .]. Dabei handelt es sich namentlich um den ,Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens‘ (Bundestreue)“ (Jestaedt, in: HdBStR II, S. 807). In Fn. 166 mit umfangreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 473 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 199. 474 Vgl. BVerfGE 8, 122 (140). 475 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 149. Nach BVerfGE 42, 103 (117); 95, 250 (266) moderiert, variiert oder ergänzt die Bundestreue nur anderweitig schon bestehende verfassungsrechtliche Rechtspositionen. Für den Fall der Kompetenzkollision bestehen diese Rechtspositionen in den jeweils konfligierenden Gesetzgebungskompetenzen. Anderer Ansicht ist dagegen Bauer, Die Bundestreue, S. 334. 476 Isensee, in: HdBStR IV, S. 604; Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 701. 477 BVerfGE 1, 299 (315). 478 Hinweise darauf, dass die Bundestreue dem Bundesstaatsprinzip entspringt, finden sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an einigen Stellen. Vgl. nur BVerfGE 8, 122 (138) mit Hinweis auf BVerfGE 1, 117 (131); 1, 299 (315). 31, 314 (354). Kritisch Sˇarcˇevic´, Das Bundesstaatsprinzip, S. 252.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen.“ 479 Diese noch recht allgemein gehaltene480, aber weithin unbestrittene481 Beschreibung des Grundsatzes deutet bereits darauf hin, dass Bundestreue nicht einseitig nur zu Gunsten des Bundes, sondern auch – und dies ist in kompetenzrechtlicher Sicht von einiger Wichtigkeit – zu Gunsten der Länder wirken kann.482 Dass weder durch das Bundesverfassungsgericht noch durch die Literatur nähere Gesichtspunkte zur Konkretisierung der Bundestreue entwickelt wurden483, vermag nicht zu verwundern. Grundlegende Prinzipien bedürfen insgesamt einer gewissen Abstraktheit. Für die Bundestreue als Ausfluss des Bundesstaatsprinzips bedarf es als Konfliktlösungsnorm ebenfalls von vornherein einer gewissen Weite.484 Wären die Voraussetzungen zu eng gefasst, so wäre die Funktion als Kompetenzausübungsschranke nicht für alle künftigen Konfliktfälle gewährleistet. Vielmehr wäre „die Erwartung illusorisch, sämtliche Problemlagen und Anwendungsfelder der bundesstaatlichen Treuepflicht einer für alle Zeiten verbindlichen Lösung“ 485 zuführen zu wollen.486 Die folgenden Kriterien sind durchaus in der Lage, dem Prinzip der Bundestreue für die hier vorliegenden Kompetenzfragen ausreichend Kontur zu verleihen487, ihm aber dennoch ausreichend Flexibilität zur Konfliktlösung zu belassen. 479 BVerfGE 1, 299 (315). Diese Rechtspflicht setzt keine „Treulosigkeit“ oder Böswilligkeit voraus. Vgl. dazu Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 20, Rdnr. 15. BVerfGE 8, 122 (140). 480 Die Bundestreue kann als staatsrechtliche Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben angesehen werden. Dazu Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 20, Rdnr. 68. 481 Bauer, Die Bundestreue, S. 1; Jarass, Kartellrecht und Landesrundfunkrecht, S. 46; Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 699 ff.; Rudolf, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 246 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 20 IV, Rdnr. 118. Kritik wird dagegen an der Herkunft der Bundestreue aus dem bündischen Prinzip der alten Reichsverfassung von 1871, der Unbestimmtheit des Begriffs und der Tatsache geübt, dass Bund-Länder-Streitigkeiten oftmals keine echten föderativen Streitigkeiten seien, sondern Streitigkeiten zwischen politischen Richtungen. Hier könne man keine Treue verlangen, da Demokratie Kampf geradezu voraussetze. Vgl. dazu vor allem Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 102 ff. 482 Jarass, Kartellrecht und Landesrundfunkrecht, S. 46. Stern bevorzugt aufgrund dessen den Begriff des „gemeinschaftsfreundlichen Verhaltens“ (Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 700). 483 Jarass, Kartellrecht und Landesrundfunkrecht, S. 50. 484 Zur Entwicklungsoffenheit des Bundestreuebegriffs Bauer, Die Bundestreue, S. 313 ff., 325. Auch BVerfGE 12, 205 (255). Aus dieser relativen Weite resultiert freilich eine eher restriktive, subsidiäre Anwendung. Vgl. dazu Isensee, in: HdBStR IV, S. 604. 485 Bauer, Die Bundestreue, S. 316. 486 „Der Bundestreue kommt in dem Getriebe feinziselierter Bundesstaatsmechanik die Funktion zu, Schmieröl zu sein, um Reibungsverluste oder gar Systemblockaden zu unterdrücken und ein ungestörtes, das Funktionieren des Ganzen sicherndes Ineinandergreifen der Einzelrädchen zu gewährleisten.“ (Jestaedt, in: HdBStR II, S. 838)

B. Kompetenzausübungsschranken

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2. Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten als Kompetenzausübungsschranke Für die im Rahmen dieser Arbeit im Mittelpunkt stehende Kompetenzordnung, vor allem für die Ausübung488 der Kompetenzen durch Bund und Länder, ergeben sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „besondere Voraussetzungen und Schranken“489. Diese Pflicht verlange, „daß sowohl Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen Zumutbare [sic] Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder nehmen“490. Weiterhin könne ein „Bundesstaat [. . .] nur bestehen, wenn Bund und Länder im Verhältnis zueinander beachten, daß das Maß, in dem sie von formal bestehenden Kompetenzen Gebrauch machen können, durch gegenseitige Rücksichtnahme bestimmt ist.“491 Kern des Bundestreuegedankens ist nach alledem „die Verhinderung von gegenseitigen Beeinträchtigungen [der Kompetenzträger] durch rücksichtslose Ausschöpfung der formal vorhandenen [Gesetzgebungs-]Befugnis“.492 Ein Pflichtverstoß solle aber nicht schon dann vorliegen, wenn ein Kompetenzträger von der ihm grundgesetzlich eingeräumten Kompetenz Gebrauch mache. Der Inhaber einer Gesetzgebungskompetenz ist vielmehr generell berechtigt und zur Lösung der anfallenden Probleme auch darauf angewiesen, von der ihm zustehenden Kompetenz umfassend Gebrauch zu machen. Dem trägt das Bundesverfassungsgericht Rechnung, indem es feststellt, dass der Grundsatz der Bundestreue keine Schranke sei, „mit der man Nichtigkeiten inhibieren kann“493. Vielmehr „muß die Inanspruchnahme der Kompetenz mißbräuchlich sein oder gegen prozedurale Anforderungen verstoßen, die aus diesem Grundsatz [der Bun-

487 Der Konkretisierung der Bundestreue widmet sich Bauer, Die Bundestreue, S. 317 ff. 488 Im Mittelpunkt steht also nicht das „Ob“ der gesetzgeberischen Betätigung – dies ist eine zuvor zu klärende Frage – sondern das „Wie“. Vgl. dazu BVerfGE 34, 9 (44). Ebenso Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 199. 489 BVerfGE 81, 310 (337). Dort unter Verweis auf BVerfGE 12, 205 (255); 13, 54 (75); 21, 312 (326); 42, 103 (117). 490 BVerfGE 81, 310 (337). Vgl. ebenso BVerfGE 32, 199 (218); 43, 291 (348). 491 BVerfGE 4, 115 (141 f.). Eine etwas andere Terminologie bei gleichem Inhalt verwendet Brohm (Brohm, DÖV 1983, S. 528). Er vergleicht die Kompetenzkollision mit einer Grundrechtskollision und versucht, diese über die Figur der praktischen Konkordanz aufzulösen. Dieses Vorgehen ergebe sich aus dem Gedanken der Einheit der Verfassung. Da die durch die Grundrechte vermittelten subjektiven Rechtspositionen jedoch nicht gänzlich mit der grundgesetzlichen Kompetenzordnung vergleichbar sind und die Verwendung gleicher Terminologie keine besonderen Vorzüge zu haben scheint, soll an den hier vorgeschlagenen Begriffen festgehalten werden. 492 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 206 f., mit weiteren Nachweisen. 493 BVerfGE 34, 9 (45).

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

destreue] herzuleiten sind.“494 Zur Beurteilung der Missbräuchlichkeit495 sei jedoch ein Blick auf den Einzelfall notwendig.496 Die Erheblichkeitsschwelle des Missbrauchs soll laut Bundesverfassungsgericht dann überschritten sein, wenn eine unvertretbare Schädigung oder Beeinträchtigung497, eine schwerwiegende Beeinträchtigung elementarer Belange498 des anderen Kompetenzträgers oder schlicht mißbräuchliche Interessenwahrnehmung499 vorliege. Insgesamt ist den Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen, dass an die Verletzung des Missbrauchsverbots hohe Anforderungen zu stellen sind. Gravierende Störungen der bundesstaatlichen Ordnung müssten die Folgen der gesetzgeberischen Tätigkeit des jeweiligen Kompetenzträgers sein.500 Neben die erwähnte Missbräuchlichkeit muss jedoch noch ein weiterer kompetenzrechtlich relevanter Anwendungsbereich der Bundestreue treten. Aus dem Gebot der Bundestreue ergibt sich für die Kompetenzausübung generell, dass keinem Kompetenzträger die Ausübung seiner Kompetenz unmöglich gemacht werden darf. Wird einem Kompetenzträger die Kompetenzausübung durch Handlungen des anderen Kompetenzträgers unmöglich oder zumindest über die Maßen erschwert, ist das dargestellte Rücksichtnahmegebot verletzt. Dies gilt sowohl für die gänzliche Entziehung eines Titels als auch für partielle Übertragungen einzelner Bereiche einer Kompetenz mittels Annex oder Sachzusammenhang, welche in der Summe zur Unmöglichkeit der Kompetenzausübung führen.501 Nach obiger Definition besteht jedoch dann eine (Bundes-)Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, „wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mit geregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerläßliche Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie.“502 Es ist durchaus denkbar, dass die jeweils einzeln betrachteten Übergriffe für sich allein kompetenzgemäß sind. Problematisch stellt sich die kompetenzrechtliche Lage aber dann dar, wenn beispielsweise ein Gebiet der Landesgesetzgebung durch eine Vielzahl von Regelungen mittels Annex oder Sachzusammenhang durch den Bund „torpediert“ 494 BVerfGE 81, 310 (337). Ein Beispiel für das Procedere und Stil von Verhandlungen gibt BVerfGE 12, 205 (255). Ebenso Jestaedt, in: HdBStR II, S. 838 f. 495 Hierzu BVerfGE 14, 197 (215); 61, 149 (205). 496 BVerfGE 81, 310 (337). Die Kontrollmöglichkeit nur in äußersten Grenzen stellt das Gericht auch schon früher heraus, vgl. BVerfGE 4, 115 (141 f.). 497 BVerfGE 34, 9 (44); 76, 1 (77). 498 BVerfGE 34, 216 (232). 499 BVerfGE 61, 149 (205). 500 Bauer, Die Bundestreue, S. 357. Zum Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung in diesem Zusammenhang allgemein S. 356 ff. 501 Insoweit auch Schröder, Kriterien und Grenzen der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs, S. 95. 502 BVerfGE 3, 407 (421). Vgl. auch BVerfGE 98, 265 (299).

B. Kompetenzausübungsschranken

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wird und dem Landesgesetzgeber dadurch keine ausreichende Regelungsmaterie mehr verbleibt. Wenn entsprechende Unerlässlichkeiten eines Sachzusammenhangs zu einer nahezu vollständigen „Aufsaugung“ einer Kompetenz des anderen Kompetenzträgers führen, ist wiederum auf Grund des oben genannten Gebotes der Bundstreue zu reagieren.503 Wiederum benötigt man wertungsmäßige Korrekturen der eigentlich aufgrund von Unerlässlichkeit bestehenden Kompetenzen, um den anderen Kompetenzträger nicht über das erträgliche Maß hinaus in seiner Kompetenz zu beeinträchtigen. Diese Korrektur kann jedoch nur über eine Ausübungsschranke geschehen. Die Substanz der Kompetenz anzugreifen ist nicht möglich. Eine grundgesetzlich verliehene Kompetenz besteht oder sie besteht nicht. Die Ausübung dieser Kompetenz kann dagegen reguliert werden. Im gleichen Maße muss dies gelten, wenn echte Kompetenzkonkurrenzen durch den im Rahmen der obigen Ausführungen vorgeschlagenen Weg aufgelöst wurden. Bei allen Vorzügen, die Art. 31 GG im Bereich der Konkurrenzauflösung zu bieten hat, müssen dennoch, auch bei Vorliegen echter Kompetenzkonkurrenzen, bundesstaatliche Schranken für die Kompetenzausübung beachtet werden. Die – wenn auch im Umfang nur begrenzte – Anwendung des Art. 31 GG führt zur partiellen Bevorzugung des Bundes. Sollte sich ein gegenwärtig nicht gegebener, aber theoretisch durchaus denkbarer Zustand einstellen, in welchem eine Kompetenz der Länder durch die konkurrenzlösende Anwendung des Art. 31 GG nahezu vollständig durch den Bund dominiert wird, so kann sich aus dem Gebot der Bundestreue eine Pflicht des Bundes zu maßvollem Verhalten ergeben.504 Dieser Pflicht kann es durchaus schon genügen, einzelne Bereiche nicht bundesrechtlich zu regeln, die zeitliche Aktualität damit entfallen zu lassen und so die Anwendung des Art. 31 GG auszuschließen, um den Ländern den Weg zu eigenen Regelungen zu eröffnen.505

503

Ebenso Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 65. Auf diese Situation ist Jarass (Jarass, Kartellrecht und Landesrundfunkrecht, S. 41) mit seinem Lösungsvorschlag nicht in der Lage zu reagieren. Die Auflösung von Kompetenzkollisionen sei primär durch die Anwendung von Kompetenzausübungsschranken zu bewältigen und erst nachdem festgestellt wurde, dass auch nach dieser Anwendung eine Kollision bestehen bliebe, sei Art. 31 GG anzuwenden. Es fehlt hier am bundesstaatlichen Korrektiv für entsprechende Fälle. Aus den Ausführungen geht leider nicht hervor, welche Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 31 GG bestehen sollen. Fraglich ist auch, ob nicht der Grundsatz der subsidiären Anwendbarkeit der Bundestreue einer derartigen Vorgehensweise entgegen steht. Vgl. dazu Isensee, in: HdBStR IV, S. 604. 505 Die legislative Kompetenz der Länder wäre nach obigen Ausführungen gegeben. Versuchte man jedoch, die Konkurrenz mittels Auslegung zu beseitigen, so hätte man nun erneut wertungsmäßig in den Auslegungsvorgang einzugreifen, die Bundeskompetenz zu verneinen und die Landeskompetenz zu bejahen, um den bundestreulichen Vorgaben gerecht zu werden. Unabhängig von bestehenden subjektiven Faktoren im Rahmen der Auslegung scheint spätestens an diesem Punkt die Rationalität und Kalkulierbarkeit einer rein durch Auslegung erfolgten Auflösung verloren. 504

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Der Wirkbereich der Bundestreue ist kompetenzrechtlich also auf solche Bereiche beschränkt, die keine Anwendung des Art. 31 GG (aufgrund fehlender sachlicher oder zeitlicher Aktualität) rechtfertigen, die aber auch nicht von solcher Belanglosigkeit sind, dass sie hinzunehmen wären. Missbräuchliches Verhalten eines Kompetenzträgers oder die übermäßige Beeinträchtigung eines Kompetenzträgers durch den anderen stellen relevante Situationen in diesem Sinne dar. Letzteres ist wiederum durchaus auch durch die erfolgte Auflösung mittels Art. 31 GG denkbar. Als zusätzlicher Gesichtspunkt bei der Feststellung des bundesrechtlichen Verhältnisses kann hinzukommen, dass es einem Kompetenzträger verfassungsrechtlich nicht nur erlaubt ist, legislativ zu handeln, sondern dass er verfassungsrechtlich verpflichtet ist, gesetzgeberisch tätig zu werden. Besteht solch ein Verfassungsauftrag, dürfte mit Jarass für die jeweils anzustellende vergleichende Betrachtung (Tätigwerden-Beeinträchtigung) eine gewisse Vorgewichtung zu Gunsten des verfassungsrechtlich Verpflichteten bestehen.506 3. Anknüpfungspunkt der Bundestreue Nachdem zunächst festgestellt wurde, was sich aus der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten ergibt und wann sich entsprechende Pflichten entwickeln beziehungsweise welche Intensitätsschwelle überwunden werden muss, damit sich eine entsprechende Wirkung der Bundestreue entfaltet, bleibt nun zu klären, wo die Beurteilung dieser Schwere anzusetzen ist. Zunächst ist es denkbar, an die jeweils gewählten Handlungsmittel der verschiedenen Kompetenzträger anzuknüpfen.507 Missbräuchliche Gestaltung wäre in diesem Fall immer dann anzunehmen, wenn sich die bundesrechtliche und die landesrechtliche Regelungsweise in deutlichem Maße unterscheiden. Dass dies ein ungeeignetes Kriterium zur Feststellung des Gewichts der Störung darstellt, liegt auf der Hand. Grund506 Jarass, Kartellrecht und Landesrundfunkrecht, S. 51. Anderer Ansicht ist Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 213. Er ist der Meinung, dass es auf den von Jarass ins Spiel gebrachten Punkt des Verfassungsauftrags nicht ankomme. Von der Verfassung werde niemand zur Verletzung fremder Interessen beauftragt oder legitimiert. Ein Auftrag sei allenfalls eine Frage des Umfangs der Befugnis. Genau aus dem Umfang der Regelungsbefugnis können sich jedoch wiederum Friktionen mit Regelungen des anderen Kompetenzträgers ergeben. Besteht nun ein Verfassungsauftrag oder eine Pflicht zur Regelung schützenswerter Individualrechtsgüter, so kann sich daraus durchaus eine „Heraufsetzung“ der Mißbräuchlichkeitsschwelle ergeben, was zu einer faktischen Vorgewichtung im Rahmen der Bundestreue führte. Sicherlich legitimiert die Verfassung niemanden (grundlos), fremde Interesen zu verletzen. Die hier angesprochene Vorgewichtung kann jedoch durchaus Auswirkungen auf das bundestreuliche Gleichgewicht haben. 507 Eine Behandlung des Ansatzpunktes findet sich, allerdings begrenzt auf den Bereich widersprüchlicher Regelungskonzeptionen, auch bei Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 209 ff.

B. Kompetenzausübungsschranken

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sätzlich handelt es sich bei Kompetenzfriktionen nicht um Fragen der förmlichen Ausgestaltung der einzelnen Regelungswerke, sondern um inhaltliche Divergenzen. Allenfalls im Falle widersprüchlicher Regelungskonzeptionen wäre daran zu denken, an ein formelles Konzept anzuknüpfen. Auch hier erscheint das formelle Kriterium jedoch bei näherer Betrachtung ungeeignet. So existiert eine sehr große Vielfalt an vorstellbaren Regelungsmustern und gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten.508 Allein die Kombination kooperativer und repressiver Mittel, um beim Beispiel der Kasseler Verpackungssteuer zu bleiben, scheint in sehr unterschiedlichen Gewichtungen möglich. Darüber hinaus erscheint es dem bundesstaatlichen Prinzip eher abträglich, ließe man inhaltlich kompatible Vorschriften der verschiedenen Kompetenzträger aufgrund der unterschiedlichen Wahl der Gestaltungsmittel scheitern. Gerade weil sich die Bundestreue um die Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen der verschiedenen Kompetenzträger bemüht, rückt der Inhalt beziehungsweise die Wirkung der jeweiligen Normen in den Mittelpunkt.509 Für den Fall der notwendigen Regulierung einer übermäßigen Bevorzugung des Bundes durch die konkurrenzauflösende Anwendung des Art. 31 GG ist auf den Inhalt der den Ländern zustehenden Kompetenznormen Rücksicht zu nehmen. Hier dürfen bundesrechtliche Regelungen die Ausübung dieser Kompetenzen nicht unmöglich machen. Liegen dagegen widersprüchliche Regelungskonzeptionen vor, so müssen die Wirkungen der einfachgesetzlichen Normen beider Kompetenzträger betrachtet werden, und die Auswirkung auf die jeweils andere Norm, mittelbar auf die dahinter stehende Kompetenznorm, festgestellt werden. Sind im Rahmen dieser Betrachtungen die oben genannten Schwellen überschritten, so besteht eine bundesstaatliche Pflicht der Rücksichtnahme. Werden die genannten Schwellen jedoch nicht überschritten, so ist es nötig, beide Normen nebeneinander gelten zu lassen. 4. Grenzen der Bundestreue Es würde jedoch zu weit gehen, wenn man über das angesprochene Maß und den dargestellten Anwendungsbereich der Bundestreue hinaus annehmen möchte, dass die Länder aufgrund der Bundestreue an die Ziele der Bundespolitik gebunden seien.510 Hier wird einem speziell in der Bevölkerung weit verbreiteten Wunsch nach einheitlichen Lebensverhältnissen511 zum Durchbruch verholfen, der keinen Anhaltspunkt in bestehenden verfassungsrechtlichen Prinzipien hat. 508

Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 209. Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 210. 510 Bleckmann, DÖV 1986, speziell S. 130 f. Die Bundestreue wird hier als ein Element der Begründung einer entsprechenden Bindung verwendet. 511 Diesen Wunsch untersucht auch Hebeler, der ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass kein diesem Wunsch korrespondierendes verfassungsrechtliches Gebot existiert (Hebeler, ZG 21 (2006), S. 306 ff., speziell S. 319). Den Topos der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ untersucht auch Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 532 ff. 509

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

Im Gegenteil: Eine Interpretation der Zuständigkeitsbestimmungen des Grundgesetzes, welche zu einer Bindung der Landesgesetzgeber an die Vorgaben der Bundespolitik führen würde, widerspräche dem dezidierten Verteilungssystem der Art. 70 ff. GG. Dieses Verteilungssystem darf auch nicht mittels einer Heranziehung des Prinzips der Bundestreue überspielt werden: Soweit das Grundgesetz den Ländern die Gesetzgebungskompetenz zuspricht, „nimmt es unterschiedliche Regelungen bewusst in Kauf.“ 512 Den Ländern müssen echte Gesetzgebungskompetenzen verbleiben. Sie zu bloßen Marionetten des Bundes und ihre Kompetenzen zu leeren Hülsen zu degradieren, widerspräche gerade dem in Art. 20 I GG verankerten Bundesstaatsprinzip. „Bundestreue allein erzwingt keine Unitarisierung“ 513, sondern gegenseitige Rücksichtnahme. Auch die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelungen im Sinne des Art. 72 II GG betont diesen Gedanken der „partikular-differenzierten Regelungsvielfalt“ 514. In eine ähnliche Richtung geht die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Forderung nach einer widerspruchsfreien Rechtsordnung. Auch hier wurde (begründet durch oben dargestellte rechtsstaatliche, aber vor allem auch kompetenzrechtliche Gesichtspunkte) der landesgesetzgeberischen Freiheit eine über das dargestellte Maß hinaus gehende Bindung an bundesgesetzliche Regelungskonzepte auferlegt, welche eine Verschärfung des verfassungsgerichtlichen Kontrollmaßstabes mit sich bringt. Auch diese über das „besänftigende Maß“ der Bundestreue hinausgehende Lesart überzeugt mit oben genannten Argumenten nicht. Die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung kann weder ein eigenständiges Postulat darstellen noch das Prinzip der Bundestreue in der Weise erweitern, dass daraus eine überproportionale Bindung der Landesgesetzgeber resultieren würde. Lediglich im Rahmen des dargestellten Anwendungsbereichs der Bundestreue kann die Widerspruchsfreiheit eine begrenzte Berücksichtigung finden. 5. Wirkung der Bundestreue als Kompetenzausübungsschranke Zuletzt gilt es, sich den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen existierende bundesstaatliche Pflichten zu widmen. Haack515 vertritt die Ansicht, dass die jeweils später erlassene Bestimmung, welche der bestehenden fremden Regelung hinzugesetzt wurde, gegen das Bundestreuegebot verstoße und deshalb nichtig sein müsse. Die Beeinträchtigung der 512

Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 65. Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 65. 514 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 70, Rdnr. 65. Vgl. dazu BVerfGE 106, 62 (150); 112, 226 (243 ff.). 515 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen, S. 213 ff. Zu berücksichtigen ist, dass im Mittelpunkt von Haacks Betrachtungen nur widersprüchliche Regelungskonzeptionen, nicht auch die Auflösung echter Konkurrenzen stehen. 513

B. Kompetenzausübungsschranken

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fremden Norm gehe vom hinzutretenden Gesetzgeber aus, wenn dieser beim Inkraftsetzen des eigenen Regelungsmodells dessen schädigende Auswirkungen im Bereich der fremden Normordnung übersehe oder hinnehme. Eine Besinnung auf den Kern516 des Bundestreuegebots zeige, dass dieser Ansatz richtig sei. Im Gegensatz dazu scheint das Bundestreuegebot doch auf gegenseitige Rücksichtnahme abzuzielen. Es bestehe, so das Bundesverfassungsgericht bereits im ersten Band seiner Entscheidungen, eine „Rechtspflicht des Bundes und aller seiner Glieder zu ,bundesfreundlichem Verhalten‘; d.h. alle an dem verfassungsrechtlichen ,Bündnis‘ Beteiligten sind gehalten, dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen.“517 Nicht grundsätzlich ausschlaggebend ist daher, welche der Normen zuerst erlassen wurde. Sicherlich kann sich der später tätig werdende Gesetzgeber besser auf die bereits bestehenden Regelungen des anderen Kompetenzträgers einstellen. Auch besteht keine Pflicht, sich vor Normerlass in allen Einzelheiten der eigenen Regelung mit dem jeweils anderen Kompetenzträger abzustimmen.518 Ein uneingeschränktes Prinzip nach der Devise: „Wer zuerst kommt mahlt zuerst“, kann jedoch einem auf gegenseitige Rücksichtnahme angelegten Bundesprinzip nicht entsprechen. Vielmehr deutet auch der vorhandene Anwendungsbereich in eine andere Richtung. Nachdem die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nur dann verletzt ist, wenn ein missbräuchliches Verhalten oder ein übermäßiger Eingriff eines Kompetenzträgers in den Kompetenzbereich eines anderen vorliegt, lässt sich durchaus feststellen, welcher der Beteiligten primär gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen hat. Unbestritten sind grundgesetzliche Befugnisse zur Gesetzgebung grundsätzlich gleichwertig.519 Da es sich im Rahmen der Behandlung von widersprüchlichen Regelungskonzeptionen vor dem Hintergrund bundesstaatlicher Pflichten jedoch nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“ der Regelung handelt, können Übergriffe, welche die oben dargestellten Schwellen überwunden haben, doch recht eindeutig diagnostiziert werden. Die Anwendung des Gebots der Bundestreue entspricht trotz aller terminologischer Ungereimtheiten520 von der Rechtsfolge her eher einer praktischen Kon516 Hier bezieht sich Haack auf die Ausführungen von Bleckmann, JZ 1991, S. 900. Hiernach sei der klassische Kerngehalt der Bundestreue „das an Bund und Länder gerichtete Verbot, bei der Ausübung ihrer Kompetenzen die Allgemeininteressen und die Interessen der anderen Bundesländer zu verletzen.“ 517 BVerfGE 1, 299 (315) (Hervorhebungen durch den Verfasser). 518 Haack verweist bezüglich dieses Punktes zutreffend auf Bauer, Die Bundestreue, S. 349 f. 519 Siehe dazu auch bereits unter 1. Teil B. II. 1. 520 Die eigentlich nicht passende Parallele zu grundrechtlichen Kollisionen wurde bereits oben angesprochen.

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

kordanz.521 Der jeweils rücksichtslos agierende Kompetenzträger wird durch das Gebot bundesstaatlicher Rücksichtnahme auf eine zulässige Art und Weise der Kompetenzausübung zurückgedrängt, um so eine möglichst weitgehende Entfaltung beider Kompetenzen zu ermöglichen. Diesem Prinzip entspricht auch die (theoretische522) Anwendung des Gebotes bundesfreundlichen Verhaltens auf die Fälle, in welchen die Anwendung des Art. 31 GG zu einer übermäßigen Zurückdrängung der Landeskompetenzen geführt hat. Die aus Gründen der Rechtssicherheit aufgelöste Kompetenzkonkurrenz führte zum Anwendungsvorrang der Bundeskompetenz. Die Ausübung dieser Bundeskompetenz wiederum kann aus Gründen der Rücksichtnahmeverpflichtung zur Wahrung des „Hausguts“ der Länderkompetenzen beschränkt werden. Durch die gesetzgeberische Untätigkeit seitens des Bundes wären die Länder zur Gesetzgebung befugt, wodurch ihr Kernbereich an Legislativkompetenzen gewahrt wäre.523 Auf diese Weise wäre durch die Konkurrenzauflösung einerseits die Rechtssicherheit für die Normadressaten gewahrt, andererseits wäre dem Bundesstaatsprinzip ausreichend Rechnung getragen. In letzteren Fällen ist ein Vorrang des früher handelnden Gesetzgebers nach dem Vorschlag von Haack nicht denkbar.524 6. Zusammenfassung Zusammenfassend kann im Rahmen der Bundestreue festgehalten werden, dass es sich hierbei um eine gegenseitige Pflicht aller im Bundesstaat Beteiligter handelt. Kompetenzrechtlich wird von allen Kompetenzträgern verlangt, bei der Ausübung ihrer durch das Grundgesetz verliehenen Kompetenzen auf die Belange des jeweils anderen Rücksicht zu nehmen. Da eine effektive legislative Problembewältigung jedoch erfordert, dass Art, Ziel und Umfang der Regelung grundsätzlich im Ermessen des Gesetzgebers stehen, können nicht alle Berührungen zwischen bundes- und landesrechtlicher Regelung Berücksichtigung finden. Auch die Abstraktheit des Bundestreuebegriffs erfordert restriktive Anwendung. Um Sanktionen aus dem Gebot der Bundestreue ableiten zu können, bedarf es der Überschreitung einer Erheblichkeitsschwelle, welche entweder in missbräuchlichem Verhalten eines Gesetzgebers oder in übermäßiger Beeinträchtigung der Kompetenzsphäre eines Kompetenzträgers durch den anderen zu sehen ist. Dem 521

Vgl. Brohm, DÖV 1983, S. 528. Wie erwähnt, bestehen gegenwärtig keine entsprechenden Konstellationen. 523 Nochmal sei darauf hingewiesen, dass die Vertreter des Verbots der Doppelkompetenz nicht in der Lage wären, methodisch korrekt auf eine derartige Situation zu reagieren. Die durch Auslegung zwingend erfolgte kompetenzielle Zuordnung müsste, stellte man später eine Situation fest, in welcher beispielsweise die Landeskompetenzen über das Maß betroffen wären, revidiert und zu Gunsten der Länder abgeändert werden, wollte man nicht gegen das Bundesstaatsprinzip verstoßen. Dass hier die methodische Stringenz auf der Strecke bliebe, liegt auf der Hand. 524 Dies kann Haack jedoch keineswegs zum Vorwurf gereichen, da seine Abhandlungen sich lediglich auf widersprüchliche Regelungskonzeptionen beziehen. 522

B. Kompetenzausübungsschranken

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Inhalt des Gebots der Bundestreue entsprechend muss als Rechtsfolge eines Verstoßes ein gewisser verfassungsgemäßer Ausgleich zwischen den Beteiligten Kompetenzträgern hergestellt werden. Welche Regelung zurücktreten oder geändert werden muss, kann daran festgemacht werden, welche Norm die genannte Erheblichkeitsschwelle überschritten hat. Auch die mittels Art. 31 GG aufgelösten echten Kompetenzkonkurrenzen unterfallen dem Anwendungsbereich der Bundestreue. Sollte sich demnach nach erfolgter Auflösung ergeben, dass die Länderkompetenzen in zu starkem, die Erheblichkeitsschwelle überschreitendem Maße beeinträchtigt sind, so bedarf es der zurückhaltenden Gebrauchmachung der Gesetzgebungskompetenzen durch den Bund. Gegebenenfalls besteht dies auch im Verzicht auf die Gebrauchmachung.

II. Verhältnismäßigkeit Vereinzelt wird neben dem Gebot der Bundestreue noch ein zweiter Gesichtspunkt angeführt, welcher als Ausübungsschranke fungieren soll. Angelehnt an das Erfordernis gesetzgeberischer Verhältnismäßigkeit im Bereich der materiellen Verfassungsgemäßheit, speziell im Bereich der Grundrechte, soll das Prinzip der Verhältnismäßigkeit525 auch im Rahmen der Kompetenzausübung eine Rolle spielen.526 Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips setze insgesamt bestimmte Größen voraus, die zueinander in Beziehung gebracht werden könnten. Im Eingriffsbereich der Grundrechte seien dies der gesetzliche Zweck einer Regelung auf der einen und Inhalt und Ausmaß des Eingriffs auf der anderen Seite. In dieser Zweck-Mittel-Relation müsse das Mittel geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Daraus folge, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur dort Anwendung finden könne, wo strukturell eine ZielMittel-Relation denkbar sei oder zumindest zwei zueinander in Beziehung stehende Größen gegeneinander abgewogen werden könnten.527 Aufgrund dieser auch abstrakt fassbaren Voraussetzungen sei der Anwendungsbereich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht notwendig auf den Grundrechtsbereich beschränkt.528 Vielmehr seien die Parallelen der Kompetenzordnung zur Grund525 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird auch als Übermaßverbot bezeichnet, siehe Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 445. Eine ältere monographische Darstellung bietet Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht. 526 Eine Kombination aus Bundestreue und Verhältnismäßigkeit sieht Hoffmann, ZG 5 (1990), S. 111. Hiernach ergebe sich aus dem Grundsatz der Bundestreue, dass im Bund-Länder-Verhältnis nur so weit in die Rechtssphäre der Länder eingegriffen werden dürfe, wie der zugelassene Gesetzeszweck es gebiete. Hierzu sei zu überlegen, ob die in Frage stehende Regelung erforderlich sei. 527 Ossenbühl, Rundfunk, S. 36. 528 Ossenbühl, Rundfunk, S. 37; Kloepfer, Der Staat 13 (1974), S. 457 ff. Zum überhasteten Gesetzgebungsverfahren, S. 466, speziell Fn. 37; Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 397 ff. Dies begründet Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 447 ff.,

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

rechtseffektivität unübersehbar und umso unbedenklicher, als die strikte Trennung zwischen Zuständigkeit und subjektivem Recht längst durchlässig geworden sei.529 Einen Fingerzeig gebe schon die Bedürfnisklausel des Art. 72 II GG, welche als partielle Positivierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips für die Gesetzgebung des Bundes gedeutet worden sei.530 Darüber hinaus wären Anwendungsspuren des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für spezielle Kompetenzermächtigungen des Bundes auffindbar.531 Schlussendlich könne in den Kriterien, welche das Bundesverfassungsgericht für die Begründung der ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen wie Sachzusammenhangs- und Annexkompetenz entwickelt habe, ein Hinweis auf verhältnismäßige Erwägungen zu erblicken sein: „Die ,Unerläßlichkeit‘ des Übergreifens in nicht zugewiesene Materien, wie sie (jedenfalls nominell) zur Voraussetzung einer auf den ,Sachzusammenhang‘ gestützten Regelung gemacht wird, die Punktualität von ,Annex‘-Regelungen, der Rekurs auf ,zwingende Erfordernisse unter Ausschluß anderer Möglichkeiten sachgerechter Lösung‘ [. . .] können ohne weiteres als Variation über das Verhältnismäßigkeitsthema bezeichnet werden.“ 532 Durch die Tatsache, dass Gesetzgebungskompetenzen insgesamt mit Rücksicht auf den jeweils anderen Kompetenzträger auszuüben seien, komme der Sache nach der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Geltung.533 Dass sich aus der bisherigen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung jedoch keine entsprechenden Verhältnismäßigkeitserwägungen ableiten lassen, macht das Gericht in einer der zitierten weit nachfolgenden Entscheidung deutlich. „Neben der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten gibt es keine Verfassungsgrundsätze, aus denen Schranken für die Kompetenzausübung in dem von Staatlichkeit und Gemeinwohlorientierung bestimmten Bund-Länder-Verhältnis gewonnen werden können. Aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schranken für Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des Einzelnen sind im kompetenzrechtlichen Bund-Länder-Verhältnis nicht anwendbar. Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; ihm kommt eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion zu (vgl. BVerfGE 79, 311 [341]). Das damit verbundene Denken in den Kategorien von Freiraum und Eingriff kann weder speziell auf die von einem Konkurrenzverhältnis zwischen Bund mit der Herleitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht nur aus Grundrechten und Rechtsstaatsprinzip. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei vielmehr der ganzen Verfassung zu Grunde zu legen, wodurch er auch für das kompetenzrechtliche Verhältnis von Bund und Ländern gelte. 529 Kloepfer, Der Staat 13 (1974), S. 466. 530 Ossenbühl, Rundfunk, S. 37. Für einen Einfluss der Verhältnismäßigkeit auf die Bundestreue auch Bleckmann, JZ 1991, S. 904. 531 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 399. 532 Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 401. Hier mit Hinweisen auf BVerfGE 3, 407 (421); 22, 180 (210) und 11, 89 (98). 533 Sachs, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 20, Rdnr. 70.

B. Kompetenzausübungsschranken

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und Land bestimmte Sachkompetenz des Landes noch allgemein auf Kompetenzabgrenzungen übertragen werden.“534 Dass die bundesstaatliche Kompetenzordnung nicht vollkommen mit dem Eingriff des Staates in die Rechtssphäre des Bürgers vergleichbar ist535, trifft durchaus zu. Nicht im gleichen Maße bestehen subjektive Rechtspositionen für Bund und Länder im Rahmen der Kompetenzordnung wie dies im grundrechtlichen Bereich zu Gunsten der Bürger der Fall ist. Dennoch kann das Argument, es gehe im Rahmen der Kompetenzordnung um feste und eindeutige Grenzziehung, welche für die Argumentation des milderen Mittels keine Grundlage bilde, nicht gänzlich überzeugen.536 Sicherlich ist die bundesstaatliche Kompetenzordnung auf Alternativität angelegt, welche flexible Grenzen grundsätzlich nicht duldet. Dennoch geht es hier primär nicht um die Festlegung der Kompetenzgrenzen oder den Inhalt der Kompetenznormen, sondern um die Regelung der Kompetenzausübung. Wie sich auch oben im Rahmen der Behandlung der Bundestreue gezeigt hat, gilt bezüglich der Ausübung der Gesetzgebungskompetenzen sehr wohl eine gewisse Rücksichtnahmepflicht, welcher nicht ohne ein gewisses Maß an Flexibilität Rechnung getragen werden kann. Dass das Bundesverfassungsgericht dennoch die Figur der Verhältnismäßigkeit ablehnt, hat ebenfalls seine Richtigkeit und verdient volle Zustimmung. So sind Kompetenzausübungsschranken lediglich in der Lage, solche Handlungen der Gesetzgeber zu unterbinden, welche über die schon mehrmals angesprochene Missbrauchsschwelle hinaus reichen. Darunter liegende legislative Handlungen sind grundsätzlich zu tolerieren. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bringt in seiner reinen Anwendung jedoch einen Maßstab mit sich, der sich von den aufgezeigten Missbrauchskriterien unterscheiden dürfte. So wäre durch die Prüfung der Erforderlichkeit das jeweils mildeste Mittel – für die Kompetenzausübung modifiziert: die schonendste Gesetzgebung für das Gegenüber – zu wählen. Dass hierin ein wesentlich unter der Erheblichkeitsschwelle liegendes Moment die Kompetenzausübung beschränken würde, liegt auf der Hand.537 Die Annahme einer Verhältnismäßigkeitsprüfung käme von den Auswirkungen her betrachtet daher einer ähnlich großen Kontrolldichte nahe, wie sie durch die Bejahung der Figur der Widerspruchsfreien Rechtsordnung entstanden wäre. Für eine sachgemäße Korrektur dieses Maßstabes wäre eine Reduktion auf ein Maß nötig, welches durch die Bundestreue vermittelt wird.538 Inhaltlich wäre damit kein Unterschied zum Grundsatz 534

BVerfGE 81, 310 (338). Rengeling, in: HdBStR IV, S. 731. 536 So aber Rengeling, in: HdBStR IV, S. 731. 537 Diese niedrige Schranke würde wiederum zu der oben erörterten, höchst problematischen Frage führen, wie weit das Bundesverfassungsgericht in die politischen Entscheidungen eingreifen darf, ohne sich als Ersatzgesetzgeber zu gerieren. Dazu auch Schlink, in: FS 50 Jahre BVerfG, S. 464 f. 538 Zentral wäre also auch hier dann die Überschreitung einer Missbrauchsschwelle. 535

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4. Teil: Auflösungsmöglichkeiten und Kompetenzausübungsschranken

bundesfreundlichen Verhaltens auszumachen, weswegen auch eine eigenständige Ausübungsschranke, hergeleitet aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, entbehrlich ist. Auch die Begründungen der jeweiligen Ansätze, wonach die Verhältnismäßigkeit im kompetenziellen Bereich zu beachten sei, ist in sich nicht einheitlich und lässt insgesamt die Eignung der Verhältnismäßigkeit als Kompetenzausübungsschranke bezweifeln. So will Stettner im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes keine schützenswürdigen Landesinteressen erblicken, welche zu einer verhältnismäßigen Ausübung der Bundeskompetenzen führen könnten. Nur für den konkurrierenden Typus sei dies der Fall. Die deutlichsten Anlagen der Verhältnismäßigkeit fänden sich für die Gesetzgebungskompetenzen aber im Bereich der Rahmengesetzgebung.539 Dies ist ein Argument, welches im Zuge der Föderalismusreform 2006 durch die Abschaffung der Rahmengesetzgebung obsolet geworden ist. Auch sonst erscheint die Argumentation – zu Grunde liegt die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 72 II GG in der Fassung vor 1994 – nicht auf ein für beide Kompetenzträger ausgeglichenes Verhältnis ausgelegt zu sein. Sie zielt vielmehr auf einen Schutz der Landesgesetzgebung vor einer Übermacht des Bundes ab.540 Nach alledem liegt die Annahme einer Kompetenzausübungsschranke im hier benötigten, Kompetenzberührungen allgemein regelnden Sinne eher fern. Dennoch scheint der Gedanke der Verhältnismäßigkeit nicht gänzlich irrelevant. Dies zeigt sich auch dadurch, dass oben im Rahmen der Darstellung der Rechtsfolgen der Bundestreue von praktischer Konkordanz und von verfassungsgemäßem Ausgleich gesprochen wurde. Genau hierin ist jedoch die Verhältnismäßigkeit im Bereich der Kompetenzausübung zu sehen. Es sind nicht die aus der grundgesetzlichen Dogmatik bekannten Voraussetzungen des legitimen Zwecks, der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit, welche auf die Kompetenzausübung zu übertragen sind. Lediglich die Rechtsfolgen der bestehenden Kompetenzausübungsschranke, welche aus dem Grundsatz der Bundestreue mit ihren relativ strengen Voraussetzungen gewonnen wird, gleichen einem verfassungsgemäßen Ausgleich. Es ist, wie dargestellt, nicht generell zu Lasten eines Kompetenzträgers oder gar mit Nichtigkeit der in Frage stehenden Regelung zu entscheiden. Es erscheint daher mit vorangehender Argumentation nicht korrekt, Verhältnismäßigkeitserwägungen im Rahmen der Kompetenzausübungsschranken heranzuziehen. Die einzig bestehende Schranke in diesem Sinne kann, insoweit ist dem Bundesverfassungsgericht zuzustimmen, nur der Bundestreue entnommen werden. Lediglich die Rechtsfolgen kommen einem gewissen Ausgleich nahe. 539

Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 398 f. „Im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Kompetenzteil gedacht als ein weiteres Schutzprinzip, welches die Länder davor bewahren soll, daß ihnen übermäßige Kompetenzeinbußen durch den Bund auferlegt werden.“ (Ossenbühl, Rundfunk, S. 37 f.) 540

5. Teil

Praktische kompetenzielle Probleme im Grundgesetz – exemplarische Darstellung und Auflösung Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die theoretische Behandlung der verschiedenen Kompetenzkonkurrenzen und ihrer jeweiligen Unterarten erfolgte, soll das gefundene Ergebnis im nun Folgenden exemplarisch auf vorhandene Kollisionsfälle und unklare Kompetenzlagen angewendet werden. Wie bereits angeklungen, kann die Darstellung der vorhandenen Konkurrenzen an dieser Stelle nicht umfassend erfolgen. Gerade im Bereich der Auslegungskonkurrenz eröffnet sich ein schier unüberschaubares Feld an kleineren und größeren Auslegungsfragen. Ähnliches gilt für den Bereich der widersprüchlichen Regelungskonzeptionen. Durch mehr oder weniger weit gefasste Steuergesetze entsteht, wie dargestellt, eine Vielzahl an Überschneidungen und Berührungen, deren umfassende Behandlung, falls dies überhaupt möglich sein sollte, den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.1 Dem Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung folgend, soll mit der Betrachtung solcher Konkurrenzen begonnen werden, die sich bereits auf der Auflösungsebene vermeiden lassen.

A. Auslegungskonkurrenzen Da vorliegend also nicht alle (vermeintlichen) Konkurrenzen berücksichtigt werden können, gilt es, sich auf prägnante und – wenn möglich – aktuelle Beispiele zu beschränken.

I. Art. 74 I Nr. 27 GG: Statusrechte und -pflichten der Länderbeamten Ein Beispiel scheint für Auslegungskonkurrenzen die Frage abzugeben, welche Rechte und Pflichten der Landesbeamten Statusrechte sind und welche nicht als „statuserheblich“ angesehen werden können. Nach Art. 74 I Nr. 27 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Statusrechte und -pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffent1 Gleiches gilt im Grunde für die Behandlung sonstiger mannigfaltiger Kompetenzberührungen, welche mittels Auslegung behandelt werden können.

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5. Teil: Praktische kompetenzielle Probleme im Grundgesetz

lichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der Laufbahn, Besoldung und Versorgung. Für alle anderen Rechte und Pflichten der genannten Beamten steht den Ländern die Gesetzgebungskompetenz zu. Eine Doppelkompetenz im Sinne einer echten Konkurrenz liegt ersichtlich nicht vor. Hierzu müsste sich die zu regelnde Materie exakt zwischen Bundes- und Landeskompetenz befinden. Im vorliegenden Fall müsste einem Recht oder einer Pflicht eines Beamten also zugleich Statuscharakter zu- und abgesprochen werden können. Dass dies von vornherein nicht möglich ist, liegt auf der Hand. Fraglich ist demzufolge, ob ein Recht/eine Pflicht der genannten Beamten Statuscharakter besitzt oder nicht. Dies ist anhand einer umfassenden Auslegung zu ermitteln. Entsprechend den erarbeiteten Auslegungsgesichtspunkten2 ist daher zunächst vom Wortlaut der Norm auszugehen. Art. 74 I Nr. 27 GG bezeichnet zunächst nicht näher, was unter Statusrechten zu verstehen ist. Dennoch lässt sich ein gewisser Anhaltspunkt aus seiner Formulierung gewinnen. So sind Statusrechte mit Ausnahme der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung der Bundeskompetenz zuzurechnen. Im Umkehrschluss können Laufbahn, Besoldung und Versorgung also als Statusrechte identifiziert werden, welche – als Ausnahme – in die Länderkompetenz fallen. Systematische und historische Erwägungen vermögen an dieser Stelle nicht entscheidend weiterzuhelfen. Zwar kann festgestellt werden, dass die Rahmenzuständigkeit nach Art. 75 I Nr. 1 GG a. F.3 für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes durch die Föderalismusreform 2006 aufgehoben und in Art. 74 I Nr. 27 GG überführt wurden, während die nach Art. 74a GG a. F. bestehende konkurrierende Zuständigkeit für die Besoldung und Versorgung der Beamten in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder zurückverlagert wurde.4 Für die Begrifflichkeit des Statusrechts sagt dies jedoch wenig aus. Etwas mehr Auskunft gibt dagegen ein Blick auf den Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers. Demnach sollte durch die bestehende Regelung die Personalhoheit der Länder gestärkt werden. Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich erfasse nur die Statusrechte und -pflichten.5 Die bundeseinheitlichen Statusregelungen dienten insbesondere der Sicherung der länderübergreifenden Mobilität der Bediensteten. Nicht erfasst seien dagegen Regelungsbereiche, welche bereits bisher in der Kompetenz der Länder lägen. Ebenfalls ausgenommen seien lediglich statusberührende dienstrechtliche Gebiete.6 Schon aus diesen Formulierungen lässt sich für den Begriff des Statusrechts ableiten, dass dieser enger verstanden sein will als der Begriff der 2 3 4 5 6

2. Teil A., speziell 2. Teil A. II. Ähnliches gilt für Art. 98 III GG a. F. für die Richter. Dazu auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 112. Vgl. dazu BTDrucks. 16/813, S. 14. BTDrucks. 16/813, S. 14.

A. Auslegungskonkurrenzen

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„Rechtsverhältnisse“ in Art. 75 I Nr. 1 GG a. F.7 Im Einzelnen seien Statusrechte und -pflichten Wesen, Voraussetzungen, Rechtsform der Begründung, Arten, Dauer sowie Nichtigkeits- und Rücknahmegründe des Dienstverhältnisses; Abordnungen und Versetzungen der Beamten zwischen den Ländern und zwischen Bund und Ländern oder entsprechende Veränderungen des Richterdienstverhältnisses; Voraussetzungen und Formen der Beendigung des Dienstverhältnisses; wesentliche Rechte; Bestimmung der Dienstherrenfähigkeit sowie statusprägende Pflichten und Folgen der Nichterfüllung.8 Eine Zusammenschau der aufgeführten Gesichtspunkte ergibt, dass als Statusrechte/als Statuspflichten solche anzuerkennen sind, die die beamtenrechtlichen Grundstrukturen9 in relativ engen Grenzen bestimmen. Ausdifferenziertere, detailliertere Regelungen, welche die Rechtsverhältnisse der genannten Beamten jenseits dieser Grundstrukturen zu regeln versuchen, fallen nicht in die Bundeskompetenz, sondern stehen den Ländern zu. An diesem Grundmuster werden sich entstehende Streitpunkte zu orientieren haben. Die Bereiche der Laufbahnen, der Besoldung und der Versorgung haben, wie dargestellt, durchaus statusrechtlichen Charakter. Durch die ausdrückliche Ausnahme in Art. 74 I Nr. 27 GG dürften Streitpunkte hier jedoch nur in begrenztem Umfang entstehen. Ebenfalls von besonderer Wichtigkeit kann bei der Lösung kompetenzrechtlicher Fragen in diesem Zusammenhang die verfassunggeberische Absicht sein, keine bereits den Ländern zustehende Regelungsbereiche als statusrelevant einzustufen.

II. Art. 72 III GG: Umfang der abweichungsfesten Kerne Einen weiteren Bereich, in welchem aktuell auslegungsbedürftige Begriffe zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen könnten, bilden die durch die Föderalismusreform eingeführten „abweichungsfesten Kerne“ des Art. 72 III GG. Wie bereits dargestellt, handelt es sich hierbei um Materien, die trotz der generellen Abweichungsbefugnis nach Art. 72 III GG ausschließlich vom Bund geregelt werden dürfen. Abweichungsfeste Kerne in diesem Sinne sind: das Recht der Jagdscheine, die Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Meeresnaturschutzes und die stoff- oder anlagenbezogenen Regelungen. Während es sich bei einem Teil der aufgezählten „Kerne“ um recht bestimmte Begriffe handelt, so ist die Formulierung der „stoff- und anlagenbezogenen Rege7

Entsprechend Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 114. BTDrucks. 16/813, S. 14. 9 Oeter, 2. Teil. Die Änderungen im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, S. 23. Er verweist auf vorgeprägte Grundsätze des Art. 33 I-V GG. Ähnliches zeigt auch die Begründung zum Gesetzesentwurf eines Beamtenstatusgesetzes (BTDrucks. 16/4027, S. 1). Dass verfassungsrechtliche Vorschriften nur in sehr begrenztem Maße durch einfachgesetzliche Normen definiert und determiniert werden dürfen, ist unbestritten. Da der Entwurf des Beamtenstatusgesetzes aber in derselben Legislaturperiode entstanden ist, in der auch die Föderalismusreform erfolgte, kann dies hier doch als Indiz gelten. 8

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5. Teil: Praktische kompetenzielle Probleme im Grundgesetz

lungen“ doch von einer gewissen Weite. Die meisten Probleme dürften jedoch im Bereich der „Grundsätze des Naturschutzes“ entstehen. Dem Grundgesetz ist mit Art. 109 III GG10 die Figur einer Grundsatzgesetzgebung zwar nicht gänzlich fremd. Im Bereich der Abgrenzung der Legislativkompetenzen in Art. 70 ff. GG stellt dies jedoch ein gewisses Novum dar, sollten durch die Abschaffung der Rahmenkompetenz (Art. 75 GG a. F.) doch gerade Situationen vermieden werden, in denen ein Kompetenzträger den Rahmen oder den Grundsatz vorgibt und der andere diesen dann konkretisiert und ausgestaltet.11 Kern der Kompetenzfrage in diesem Bereich wird also die Frage sein, welche Regelungsinhalte als Grundsätze zu qualifizieren sind und welche Detailregelungen darstellen, für die die Länder die Abweichungskompetenz besitzen. Nachdem aus der wörtlichen Formulierung kein eindeutiges Ergebnis zu gewinnen ist, und auch systematische Gesichtspunkte aufgrund der Sonderstellung einer Grundsatzregelungsmöglichkeit nicht weiter führen, gibt den ersten Hinweis die Gesetzesbegründung. Hiernach gibt die „Kompetenz für die Grundsätze des Naturschutzes dem Bund die Möglichkeit in allgemeiner Form bundesweite verbindliche Grundsätze für den Schutz der Natur, insbesondere die Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts festzulegen.“12 Nachdem hier die grundgesetzliche Formulierung der „Grundsätze des Naturschutzes“ durch die Verwendung des Begriffs der „Grundsätze für den Schutz der Natur“ umschrieben wird, scheint auch durch die Betrachtung der genetischen Anhaltspunkte wenig gewonnen. Nichtsdestotrotz lässt sich durch die darauf folgende Formulierung zumindest einiges gewinnen: „Nicht davon erfasst sind beispielsweise die Landschaftsplanung, die konkreten Voraussetzungen und Inhalte für die Ausweisung von Schutzgebieten, die gute fachliche Praxis für Land- und Forstwirtschaft und die Mitwirkung der Naturschutzverbände.“13 Verfehlt wäre es, aus der rahmenkompetenzlichen Herkunft der Materien des Art. 72 III GG die „Grundsätze“ im Sinne der „Rahmen“ des Art. 75 GG a. F. zu verstehen.14 Die durch die Föderalismusreform beabsichtigte 10 Weiter findet der Begriff der Grundsatzgesetzgebung in Art. 106 IV 3, 140 GG i.V. m. 138 I 2 WRV Erwähnung. 11 Als Randnotiz sei hier zudem in Frage gestellt, ob diese Regelung dem erklärten Ziel der Förderung der Europatauglichkeit zuträglich ist. Auch hierzu bereits oben unter 3. Teil B. II. 2. 12 BTDrucks. 16/813, S. 11. 13 BTDrucks. 16/813, S. 11. 14 Siekmann, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 109, Rdnr. 36. Kritisch zur Unterscheidung von „Grundsatz“ und „Rahmen“ bereits Schwanengel, DÖV 2004, S. 558. Dennoch kann durchaus auf die Rechtsprechung zum Inhalt des Art. 75 I Nr. 1a GG zurückgegriffen werden. Unabhängig vom Rahmencharakter wurden hiervon die Grundsätze des Hochschulwesens umfasst. Was unter Grundsätzen in diesem Sinne zu verstehen ist, kann durchaus auch Bedeutung für die „Grundsätze des Naturschutzes“ in Art. 72 III GG haben. Dem entsprechend Nierhaus/Rademacher, LKV 2006, S. 390, mit Verweis auf BVerfGE 111, 226.

B. Doppelkompetenzen

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Abschaffung dieses Instituts würde dadurch ein Stück weit konterkariert. Kennzeichnend für den Begriff der Grundsätze in diesem Sinne muss vielmehr sein, dass „Prinzipien, allgemeine Leitlinien für die Gesetzgebung der Länder vorgegeben werden sollen“15. Dies ergibt sich aus der Betrachtung der anderweitig im Grundgesetz befindlichen Normen, die Grundsatzgesetzgebung gestatten.16 Auch ein Blick in die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung lässt ähnliches vermuten: „Nach Art. 10 und 11 WRV war das Reich befugt, durch Reichsgesetz ,Grundsätze‘ für gewisse Rechtsgebiete aufzustellen. Rechtslehre und Gesetzgebungspraxis erblickten das Wesen der Grundsatzgesetzgebung [. . .] darin, daß das Reich befugt war, ,allgemeine, leitende Rechtssätze, Richtlinien‘ zu erlassen, ,welche der näheren Ausführung, der Ausgestaltung im Einzelnen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt ihrer Anpassung an die besonderen Verhältnisse der einzelnen Länder, ebenso fähig wie bedürftig sind‘“. Und weiter ist zu lesen: Die „Bezeichnung der inhaltlichen Beschränkung der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes im Grundgesetz bedeutet [. . .], daß das Maß der bundesrechtlichen Regelung heute [nicht] anders bestimmt sein soll als zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung.“ 17 Das hier aufgeführte Beispiel soll und kann an dieser Stelle nicht sinnvoll weiter vertieft werden. Nachdem gegenwärtig noch kein Gesetzgeber im Bereich der Art. 72 III GG in abweichungsrelevanter Weise tätig geworden ist, müssten die weiteren Ausführungen zur Frage, was als Grundsatz anzusehen ist und welche Regelung bereits ins Detail zu gehen scheint, zu abstrakt gehalten werden, um hier ein taugliches Beispiel abzugeben. Ziel war es gegenwärtig nur, die bestehende Auslegungskonkurrenz aufzuzeigen und zumindest einen kleinen Ausblick auf eine mögliche Auflösung – im Rahmen der Auslegung (!) – zu geben.

B. Doppelkompetenzen I. Rauchverbot in Gaststätten Etwas anders als in den soeben dargestellten Fällen der beamtlichen Statusrechte und der „abweichungsfesten Kerne“ ist die kompetenzrechtliche Situation im Hinblick auf die Kompetenz zum Erlass von Rauchverboten zu sehen. Die Debatte ging ein Stück weiter und beschränkte sich nicht auf Rauchverbote in 15

Siekmann, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 109, Rdnr. 36. Hierzu die vorangehende Kommentierung von Siekmann sowie Ehlers, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 140, Art. 138 WRV, Rdnr. 4. 17 BVerfGE 4, 115 (128). Die bundesverfassungsgerichtlichen Ausführungen hatten zwar inhaltliche Parallelen zur Rahmengesetzgebung zum Gegenstand, welche hier vorangehend gerade bestritten wurden. Über die inhaltliche Bedeutung beziehungsweise die bundesverfassungsgerichtliche Auffassung bezüglich des Bedeutungsgehalts des Begriffs der Grundsatzgesetzgebung lässt sich aber dennoch eine Aussage entnehmen. 16

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5. Teil: Praktische kompetenzielle Probleme im Grundgesetz

Gaststätten. Vielmehr wurde die Möglichkeit eines umfassenden, bundesweiten Rauchverbots diskutiert. Die die Möglichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung negierende Ansicht fordert grob skizziert unterschiedliche, von Personengruppen oder Anwendungsbereichen abhängige Kompetenzgrundlagen für einzelne Rauchverbote.18 Wiederum exemplarisch wurde hier die Thematik der Gaststätten gewählt, da diese durch die Föderalismusreform und die jüngst rege Gesetzgebungstätigkeit der Länder auf diesem Gebiet einiges an Aktualität aufzuweisen vermag. Die Kontroverse wurde zwar gegenwärtig – nach einer Erklärung der Bundesregierung mangels bestehender Gesetzgebungskompetenz von einer umfassenden bundesgesetzlichen Regelung des Nichtraucherschutzes abzusehen – zu Gunsten der Länder gelöst. Die Umsetzung erfolgte jedoch keineswegs problemlos, wie das bayerische Hin- und Her bezüglich der Ausnahmen für Bierzelte und die verfassungsgerichtlich19 festgestellte Ausnahme für „Eckkneipen“ in BadenWürttemberg und Berlin zeigen. Auch die kompetenzrechtliche Lage war ausgangs (und ist wohl noch) umstritten. Während im oben dargestellten Fall lediglich die Eigenschaft als Statusrecht fraglich war, die es entweder zu bejahen oder zu verneinen galt, sind hier Bund und Länder fähig, Kompetenztitel zu benennen, welche in der Lage sein könnten, ein Rauchverbot in Gaststätten zu tragen. 1. Mögliche Landeskompetenz Auf Länderseite kann zunächst Art. 70 I, 74 I Nr. 11 GG angeführt werden.20 Durch die Föderalismusreform 2006 wurden aus dem zunächst umfassenden Titel des Bundes für das Recht der Wirtschaft das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte ausgenommen. Durch diese Ausnahmen fielen die angesprochenen Gebiete, der Grundregel des Art. 70 I GG folgend, in die Landeskompetenz zurück. Das hier relevante Gebiet des Rechts der Gaststätten könnte nun – auch bezüglich eines Rauchverbots – umfassende Landeskompetenz gewährleisten. Abgesehen davon besteht bis zum bundesrechtlichen Tätigwerden auch losgelöst von der Ausnahme des Rechts der Gaststätten aus Art. 74 I Nr. 11 GG eine Landeskompetenz, Art. 70 I GG.21 18

So beispielsweise Försterling, ZG 22 (2007), S. 36 ff. Vgl. dazu BVerfG, 1 BvR 3262/07 vom 30.7.2008. 20 Für eine Länderkompetenz auch Rossi/Lenski, NJW 2006, S. 2657 ff.; Försterling, ZG 22 (2007), S. 47. Stettner sieht in Art. 74 I Nr. 11 GG dagegen eine bestenfalls periphere Kompetenz der Länder (Stettner, ZG 22 (2007), S. 163). 21 Dies stellte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich in seiner Entscheidung vom 30. Juli 2008 (1 BvR 3262/07) klar. Nach dem Sondervotum des Richters Masing in dieser Entscheidung bestehe jedoch bezüglich des Nichtraucherschutzes der Beschäftigten mit der Arbeitsstättenverordnung (dort § 5) eine abschließende Bundesregelung, welche nach Art. 72 I GG einen Rückgriff des Landesgesetzgebers diesbezüglich ausschließe. 19

B. Doppelkompetenzen

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2. Mögliche Kompetenztitel des Bundes Auf der anderen Seite sprechen sich einige22 für das Bestehen einer Bundeskompetenz aus. Genannt werden verschiedene, nebeneinander nutzbare23 Kompetenztitel. So sei das Recht der Gifte, die Kompetenz für Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten24, das Recht der Genussmittel25, die Luftreinhaltung26, der Arbeitsschutz bei räumlichem Geltungsbereich bezüglich der Arbeitsstätten27 und die öffentliche Fürsorge28 sowie raumbezogene Kompetenzen als Annex zu Art. 73 I Nr. 6 und 6a GG und zu Art. 74 I Nr. 21–23 GG zur Begründung einer Bundeskompetenz zu nennen. Das Hauptargument der Befürworter der Bundeskompetenz scheint zu sein, dass die Aufgabe des Gesundheitsschutzes als Querschnittsaufgabe alle Lebensbereiche durchziehe und diese, gestützt durch die genannten Kompetenztitel der Art. 73/74 GG, peripheren Bezügen wie solchen des Gaststättenrechts vorginge.29 Dies sei eine logische Konsequenz aus der anerkannten Zuordnung der Regelungsmaterien zu den Kompetenztiteln nach dem Hauptzweck beziehungsweise dem Schwerpunkt der Regelung.30 Um die kompetenzrechtliche Lage umfassend und abschließend klären zu können, verbietet sich hier jede pauschale Argumentation und die damit verbundene Vermengung der einzelnen, jeweils in Frage kommenden Kompetenztitel des Bundes. Im Folgenden soll daher auf die verschiedenen ins Spiel gebrachten Kompetenztitel eingegangen werden und die Eignung dieser zur Legitimation einer einheitlichen Bundesregelung zum Schutz der Passivraucher (speziell im Gaststättenbereich) untersucht werden. a) Art. 74 I Nr. 19 letzte Alt. GG Zunächst wäre es denkbar, die bundeseinheitliche Regelung eines umfassenden – und damit auch für Gaststätten geltenden – Nichtraucherschutzes auf die Gesetzgebungskompetenz bezüglich des Rechtes der Gifte zu stützen. In der nun geltenden Form des Art. 74 I Nr. 19 GG umfasst die Bundeskompetenz nicht nur den Verkehr mit Giften, wie dies vor der Föderalismusreform 2006 der Fall war, 22 Stettner, ZG 22 (2007), S. 156 ff.; Siekmann, NJW 2006, S. 3382 ff. Zumindest im Bereich des Arbeitsrechts auch Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 54. 23 Stettner, ZG 22 (2007), S. 164. 24 Beide Art. 74 I Nr. 19 GG. 25 Art. 74 I Nr. 20 GG. 26 Art. 74 I Nr. 24 GG. 27 Art. 74 I Nr. 12 GG. 28 Art. 74 I Nr. 7 GG. 29 Stettner, ZG 22 (2007), S. 164. Eine eigenständige, umfassende Kompetenz für den Gesundheitsschutz steht dem Bund indes unstreitig nicht zu. Dazu BVerfGE 102, 26 (37) sowie Rossi/Lenski, NJW 2006, S. 2657. 30 Stettner, ZG 22 (2007), S. 165.

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5. Teil: Praktische kompetenzielle Probleme im Grundgesetz

sondern allgemein das Recht der Gifte. Insofern wäre durchaus die Möglichkeit zu vereinheitlichter Regelung gegeben. Fraglich ist allerdings, ob Tabak als Gift in diesem Sinne zu verstehen wäre. Inhalt eines Rauchverbotes wäre das Verbot, Tabak zu verrauchen, also Tabak zu konsumieren. Gifte im Sinne des Art. 74 I Nr. 19 GG sind Stoffe, die schon nach ihrer Beschaffenheit und nicht erst, wie viele Arzneien, bei Überdosierung schwer gesundheitsschädlich oder tödlich wirken können31, unabhängig davon, ob sie künstlich hergestellt werden oder aus der Natur stammen.32 Tabak an sich dürfte nicht unter diesen Begriff fallen.33 Etwas anderes könnte lediglich für den Inhaltsstoff Nikotin gelten, durch dessen Verbot aber der sonstige, schädliche Rauch nicht umfasst wäre. Jedoch auch hieran ist zu zweifeln, dürfte der Giftbegriff des Art. 74 I Nr. 19 GG doch auf kurzfristigere Schädigungen abzielen als auf die, welche erst durch jahrelanges Einatmen des Zigarettenrauchs eines anderen auftreten.34 Das Recht der Gifte als Kompetenzgrundlage eines bundesrechtlichen Rauchverbots zu sehen, erscheint daher wenig tragfähig. b) Art. 74 I Nr. 24 2. Alt. GG: Luftreinhaltung Unabhängig davon, ob man Tabak nun als Gift im kompetenzrechtlichen Sinne ansieht oder nicht, so erfolgt die Übertragung der krebserregenden und auch sonst gesundheitsschädlichen Stoffe durch die Atemluft, sodass der Kompetenztitel der Luftreinhaltung im Sinne des Art. 74 I Nr. 24 2. Alt. GG einschlägig sein könnte. Einschränkend ist hier jedoch zu erwähnen, dass die für Passivraucher gefährliche Anreicherung ihrer Atemluft ausschließlich in geschlossenen Räumen stattfindet. Im Freien dagegen kann eine Konzentration dieser schädlichen Substanzen nicht stattfinden. Der Begriff der „Luftreinhaltung“ im systematischen Zusammenhang mit den anderen Materien des Art. 74 I Nr. 24 GG ist jedoch eher als umweltrechtlicher Begriff 35 aufzufassen, was dafür sprechen würde, von ihm nur die Außenluft, nicht aber die Luft in geschlossenen Räumen umfasst zu sehen. Wenn nun aber umweltrechtliche Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, so erscheint die Norm nicht geeignet als Grundlage eines bundeseinheitlichen Nichtraucherschutzgesetzes zu dienen.36

31 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 87; Sannwald, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 74, Rdnr. 246. 32 Rengeling, in: HdBStR IV, S. 816. 33 Eine andere Ansicht vertritt hier Siekmann, NJW 2006, S. 3383. 34 Im Ergebnis diesbezüglich ebenso Stettner, ZG 22 (2007), S. 173. 35 So auch Maunz in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 74, Rdnr. 249 f.; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 74, Rdnr. 305. 36 Vgl. wiederum Stettner, ZG 22 (2007), S. 175. Eine andere Ansicht vertritt auch hier Siekmann, NJW 2006, S. 3384.

B. Doppelkompetenzen

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c) Art. 74 I Nr. 20 GG: Recht der Genussmittel Als weitere mögliche Kompetenzgrundlage für Rauchverbote auch in Gaststätten ließe sich Art. 74 I Nr. 20 GG anführen, welcher dem Bund für das Recht der Genussmittel die Gesetzgebungskompetenz verleiht. Unter Genussmitteln sind Lebensmittel37 zu verstehen, die nicht wegen ihres Nährwerts, sondern wegen ihres Geschmacks und ihrer anregenden Wirkung eingenommen werden.38 Als Beispiele werden Kaffee, Kakao, alkoholhaltige Getränke aber auch Tabak genannt.39 Anders als vor der Föderalismusreform wird gegenwärtig nicht nur der Verkehr mit Lebens- und Genussmitteln von der Norm umfasst. Der Bund hat nun vielmehr die Kompetenz zur Regelung des gesamten „Rechts der Genussmittel“. Unter der Prämisse der Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 72 II GG, also der Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung, scheint daher Art. 74 I Nr. 20 GG durchaus geeignet, ein allgemeines Rauchverbot des Bundes – auch im Bereich der Gaststätten – zu tragen. Ob sich durch Landeskompetenzen, speziell durch die Herausnahme des Gaststättenrechts aus Art. 74 I Nr. 11 GG, anderes ergeben kann, wird an späterer Stelle für alle in Frage kommenden Kompetenznormen abschließend zu klären sein. d) Art. 74 I Nr. 19 1. Alt. GG: Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten Einen weiteren „Mosaikstein“ für eine umfassende Bundeskompetenz könnte Art. 74 I Nr. 19 1. Alt. GG darstellen. Unter dem Begriff der „gemeingefährlichen Krankheiten“ sind zunächst solche Krankheiten zu verstehen, die eine gewisse Verbreitung aufweisen oder aufweisen können und zu schweren Gesundheitsschäden oder zum Tod führen können. Als typisches Beispiel hierfür wird eine Krebserkrankung genannt.40 Übertragbare Krankheiten sind demgegenüber solche, die durch Krankheitserreger verursacht werden, die direkt oder mittelbar übertragen werden können.41 Das kumulative Vorliegen von gemeingefährlicher 37 Ob Genussmittel in diesem Sinne zu den Lebensmitteln zu zählen sind, ist umstritten (verneinend beispielsweise Rengeling, in: HdBStR IV, S. 818; Stettner, ZG 22 (2007), S. 173. Bejahend dagegen Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 74, Rdnr. 266; Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 90). Für die hier interessierende Frage ist dies jedoch ohne Belang. Bedeutungsvoll ist lediglich die Qualifizierung des Tabaks als Genussmittel. 38 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 90; Sannwald, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 74, Rdnr. 266. 39 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 90. Ebenso Siekmann, NJW 2006, S. 3383; Stettner, ZG 22 (2007), S. 173. 40 Rengeling, in: HdBStR IV, S. 814; Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 84. 41 Rengeling, in: HdBStR IV, S. 814, hier mit Verweis auf das Bundesseuchengesetz. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 74, Rdnr. 229.

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5. Teil: Praktische kompetenzielle Probleme im Grundgesetz

und übertragbarer Krankheit ist für die Anwendbarkeit der Kompetenznorm nicht erforderlich42, was sich schon aus dem Wortlaut der Norm ableiten lässt. Die im Rahmen des Nichtraucherschutzes einschlägige Variante des Art. 74 I Nr. 19 GG ist mithin die der gemeingefährlichen Krankheit.43 Fraglich ist jedoch darüber hinaus, was unter „Maßnahmen“ in diesem Sinne zu verstehen ist, speziell, ob flächendeckende Rauchverbote hierunter fallen können. Nicht für ein Rauchverbot direkt, jedoch für „Prävention gegen Gefahren des Rauchens“ sprechen sich Degenhart 44 und Siekmann45 aus. Darüber hinaus erachtet Stettner die Deckung flächender Rauchverbote durch Art. 74 I Nr. 19 1. Alt. GG gar als „ganz unproblematisch“46. Anders sieht dies Försterling47, der die Kompetenz aus Art. 74 I Nr. 19 GG als eindeutig auf konkrete Maßnahmen beschränkt sieht. Eine „Querschnittskompetenz“ für den Gesundheitsschutz lasse sich hieraus in keinem Falle ableiten.48 Ähnlich argumentieren Rossi und Lenski, wenn sie zwar prinzipiell Präventionsmaßnahmen als von Art. 74 I Nr. 19 GG gedeckt sehen, aber dennoch ein gewisses Unmittelbarkeitserfordernis zwischen gesetzlicher Maßnahme und der Krankheitsbekämpfung verlangen, um den Kompetenztitel nicht zu überdehnen.49 Schließlich ist Sannwald der Auffassung, der „Begriff der ,Maßnahmen‘ [sei] einengend auszulegen und überwiegend auf repressive Bekämpfungsmaßnahmen beschränkt. Die vorbeugende mittelbare Krankheitsbekämpfung soll in erster Linie den Ländern vorbehalten bleiben.“50 Maßnahmen im Sinne des Art. 74 I Nr. 19 GG seien demnach grundsätzlich nur solche, die gezielt und unmittelbar dem Ausbruch und der schädigenden Wirkung konkreter Krankheiten entgegenwirken.51 Warum allerdings nur konkrete, unmittelbare Maßnahmen unter Art. 74 I Nr. 19 GG fallen sollen, ist nicht ersichtlich. So bleibt auch diese Kompetenz 42

Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 74, Rdnr. 230. Dass Passivrauchen ebenfalls das Risiko schwerer Herz-Kreislauf-Erkrankungen und speziell von Lungenkrebs in sich birgt, scheint kaum noch bestritten, weshalb tiefergehende Ausführungen an dieser Stelle unterbleiben. Weiterführende Hinweise hierzu finden sich bei Stettner, ZG 22 (2007), S. 156 ff. 44 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 85. 45 Siekmann, NJW 2006, S. 3383. 46 Stettner, ZG 22 (2007), S. 169. 47 Försterling, ZG 22 (2007), S. 46. 48 Försterling, ZG 22 (2007), S. 46, hier auch mit Hinweis auf Stellungnahmen des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Ebenso Ossenbühl/Cornils, Hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz zum Erlaß eines Nichtraucherschutzgesetzes?, S. 21. 49 Rossi/Lenski, NJW 2006, S. 2658. Ähnlich Ossenbühl/Cornils, Hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz zum Erlaß eines Nichtraucherschutzgesetzes?, S. 20 f. 50 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 74, Rdnr. 231. 51 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 74, Rdnr. 231. 43

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eine Kompetenz zu legislativem Handeln. Formelle Gesetze an sich sind jedoch generell abstrakten Charakters. Konkrete Maßnahmen zur unmittelbaren Krankheitsbekämpfung sind eher die Handlungsmittel der Exekutive, also der Gesundheits- und Sicherheitsbehörden. Dass Krebserkrankungen als gemeingefährliche Krankheit im oben genannten Sinne anzuerkennen ist, scheint weitgehend unstreitig.52 Auch Herz- und Kreislauferkrankungen dürften recht unproblematisch die genannten Voraussetzungen erfüllen. Fehlende Unmittelbarkeit kann ebenfalls nicht festgestellt werden. So ist der Erkrankungsprozess infolge des Rauchens – egal ob passiv oder aktiv – zwar ein sehr langsamer und schleichender Prozess. Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass eine Vielzahl der dem Rauch dauerhaft ausgesetzten Menschen unter den benannten Krankheiten leiden. Warum allein durch diese zeitliche Dauer des Erkrankungsprozesses eine Einschränkung der staatlichen Befugnisse zur Eindämmung der aus dem Einfluss des Rauches entstehenden Krankheitsbilder resultieren soll, bleibt fraglich. Festzustellen ist, dass Lungenkrebs – ebenso wie Herz- und Kreislauferkrankungen – gemeingefährliche Krankheiten im Sinne des Art. 74 I Nr. 19 GG darstellen. Ebenso stellt ein Rauchverbot eine Maßnahme gegen die rauchbedingten Erkrankungen dar. Da die gesundheitsschädliche Wirkung des Passivrauchens erwiesen ist, kann über eine bloß risikoverringernde Wirkung hinaus einem Rauchverbot auch unmittelbar krankheitsverhindernde Wirkung zugesprochen werden. Eine generelle Ausdehnung des Kompetenztitels scheint durch die Möglichkeit eines Rauchverbotes nicht zu befürchten zu sein. Ob im einzelnen Ausnahmen zuzulassen sind und wie die gesetzgeberische Gestaltung zu erfolgen hat, damit sie dem rechtsstaatlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprinzip standhält, ist eine Frage der materiellen Verfassungsgemäßheit der jeweiligen Regelung.53 Kompetenzrechtlich spricht nach diesen Ausführungen wenig gegen die Möglichkeit einer bundesrechtlichen Regelung. e) Art. 74 I Nr. 12 GG: Recht des Arbeitsschutzes Neben dem dargestellten gesundheitsrechtlichen Aspekt könnten partiell auch arbeitsschutzrechtliche Gesichtspunkte für eine Bundeskompetenz sprechen. Arbeitsschutz im Sinne der Norm bedeutet die öffentlich-rechtliche Regelung des den Arbeitnehmern gewährten Schutzes vor Gefahren der Arbeit.54 Speziell für den Bereich der Gaststätten scheint dieser Kompetenztitel großes Gewicht zu erlangen. Bedienstete in der Gastronomie sind vielfach und dauerhaft dem Zigaret52 Zur generellen Schädlichkeit auch des Passivrauchens vgl. das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 2008 (1 BvR 3262/07) mit den dort genannten Gutachten. 53 Hierzu umfassend BVerfG, 1 BvR 3262/07 vom 30.7.2008. Dazu auch die Urteilsbesprechung von Sachs in JuS 2008, S. 916 ff. 54 Maunz in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 74, Rdnr. 163; Rengeling, in: HdBStR IV, S. 804.

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tenrauch der Gäste ausgesetzt, unabhängig davon, ob die jeweilige Arbeitskraft selbst raucht oder nicht. Ebenfalls kommt es in geschlossenen Räumen wie Diskotheken oder den in den Fokus gerückten Eckkneipen zu einer sehr hohen Konzentration von krankheitserregenden Stoffen, was die Gefahr für die passiv rauchende Belegschaft neben der angesprochenen Dauer zusätzlich erhöht. Fraglich ist dennoch, ob Passivrauchen als „Gefahr der Arbeit“, also als arbeitsspezifisch, angesehen werden kann. Mit dem normalen Geschäftsbetrieb, beispielsweise dem Ausschenken und Servieren von Getränken, hat die Gefahr des Passivrauchens wenig gemein. Erst durch das Hinzutreten des Verhaltens der Gäste entsteht der gesundheitsschädliche Zustand. Dennoch wäre es wenig sachgerecht, als arbeitsspezifische Gefahren nur solche anzuerkennen, welche durch die konkrete Tätigkeit entstehen. Auch das Arbeitsumfeld ist eine wichtige Größe zur Erbringung der geschuldeten Leistung. Umfasst wird daher insbesondere auch der Schutz gegen Gefahren am Arbeitsplatz. „Arbeitsschutz“ im Sinne des Art. 74 I Nr. 12 GG ist also zu verstehen als öffentlich-rechtliche Gefahrenvorsorge gegenüber Gefahren, wie sie aus der Arbeit oder aus der Tatsache der rechtlichen Notwendigkeit der Anwesenheit am Arbeitsplatz aus sonstigen Gründen typischerweise erwachsen.55 Teilweise wird explizit der Schutz vor Gesundheitsgefahren – auch durch Tabakrauch – genannt.56 Für den Bereich des Arbeitsrechts scheint also mit Art. 74 I Nr. 12 GG eine weitere Kompetenz für den Bund gefunden, welche den Erlass eines Rauchverbots in Gaststätten ermöglichte.57 f) Art. 74 I Nr. 7 GG: Öffentliche Fürsorge Als letztes soll Art. 74 I Nr. 7 GG, die Bundeskompetenz für öffentliche Fürsorge, als Kompetenz für ein bundesrechtliches Rauchverbot diskutiert werden. Zunächst wird der Begriff verstanden als die Hilfe durch öffentlich-rechtliche oder öffentlich-rechtlich beliehene Rechtsträger mit öffentlichen Mitteln für Personen, die sich nicht selbst helfen können und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen erhalten.58 Zentral ist also die öffentliche Hilfe bei wirtschaftlicher Notlage. Zwar wurde der Begriff, auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts59, weit über diesen Kern ausgedehnt, sodass beispielsweise auch präventive Maßnahmen erfasst werden, die zukünftige Fürsorgemaßnahmen möglichst überflüssig machen sollen. Dennoch liegt der Ursprung öffentlicher Fürsorge in der Hilfe für Arme und in der Unterstützung hilfsbedürftiger Men55

Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 74, Rdnr. 144. Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 54. 57 Auf die Einwilligungsmöglichkeit der Angestellten weist Stettner hin. Zutreffend dürfte man jedoch bei der Schwere der zu befürchtenden Krankheiten (Krebs, HerzKreislauf Erkrankungen etc.) davon ausgehen, dass diese Einwilligungsmöglichkeit einem Rauchverbot nicht entgegensteht. Dazu Stettner, ZG 22 (2007), S. 168. 58 Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 74, Rdnr. 106. 59 Vgl. nur BVerfGE 30, 47; 31, 117; 58, 227. 56

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schen.60 Auch wenn mittlerweile zusätzliche Leistungen jenseits materieller Unterstützung, etwa die Unterbringung in Heimen, Betreuung und Pflege oder auch die Einrichtung von Beratungsstellen, unter den Begriff der öffentlichen Fürsorge fallen, scheint die Fürsorge als Kompetenz für den Erlass eines Rauchverbots doch wenig geeignet. Verstärkt wird dies durch den Umstand, dass für Rauchverbote unter anderem die Art. 74 I Nr. 12, 19, 20 GG wohl die spezielleren Kompetenzgrundlagen darstellen61, da sich – nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – Beschränkungen des Anwendungsbereiches bei engerem Sachbezug zu anderen Kompetenznormen ergeben können: Aus „der Kompetenz nach Art. 74 Nr. 7 GG scheiden vor allem Gesetze aus, die der Krankenversorgung, der Seuchenbekämpfung oder in sonstiger Weise in erster Linie dem Gesundheitswesen dienen. Die Entscheidung der Verfassung (Art. 74 Nr. 19 und 19a GG), dem Bund für das Gesundheitswesen nur in eingeschränktem Maße Gesetzgebungskompetenzen zuzuweisen, darf nicht durch eine erweiternde Auslegung der Gesetzgebungskompetenz für die öffentliche Fürsorge unterlaufen werden.“ 62 3. Kompetenzabgrenzung Nach den vorstehenden Darstellungen scheint die typische Konstellation einer Doppelkompetenz gegeben: Auf landesrechtlicher Seite scheint die explizite Herausnahme des Gaststättenrechts aus Art. 74 I Nr. 11 GG, vermittelt durch Art. 70 I GG, für das Bestehen einer Landeskompetenz für Rauchverbote in Gaststätten zu sprechen. Auf der anderen Seite lassen sich doch einige Kompetenztitel des Bundes finden, die oftmals zwar nicht vollumfänglich, jedoch im Zusammenspiel für das Bestehen einer Bundeskompetenz sprechen könnten. Anzuführen sind das Recht des Bundes zur Regelung von Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten, Art. 74 I Nr. 19 GG, eine Bundeskompetenz aus Art. 74 I Nr. 20 GG (Recht der Genussmittel) und die Kompetenz zum Erlass arbeitsschutzrelevanter Regelungen aus Art. 74 I Nr. 12 GG. Nach dem oben dargestellten Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung gilt es jedoch, zunächst den zu regelnden Sachverhalt zu formulieren beziehungsweise den Zweck eines Gesetzes festzustellen, bevor die kompetenzrechtliche Zuordnung erfolgen kann. Es gilt insoweit der Primat der Auslegung. Sodann sind in streitigen Fällen der Schwerpunkt der Regelung und der sonderrechtliche Bezug für die kompetenzielle Qualifizierung ausschlaggebend. Im Fokus steht die Untersuchung eines Rauchverbotes. Gesprochen wird ebenfalls von Nichtraucherschutz und Krankheitsverminderung. Fraglich ist also, ob 60 Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 74, Rdnr. 106; Stettner, ZG 22 (2007), S. 167. 61 Rossi/Lenski, NJW 2006, S. 2658; Stettner, ZG 22 (2007), S. 167. 62 BVerfGE 88, 203 (330).

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diese Begriffe beziehungsweise ob die dahinter stehenden Regelungszwecke eher dem Gaststättenrecht oder einer Bundeskompetenz – dahingestellt ob einzeln oder als Mosaik – zugeordnet werden kann. Des Weiteren ist zu klären, nachdem die entsprechenden Bundeskompetenztitel schon auf ihren jeweiligen Gehalt untersucht wurden, was unter dem Begriff der Gaststätten zu verstehen ist, speziell, ob die Materien Nichtraucherschutz und Krankheitsverminderung schwerpunktmäßig von diesem Begriff umfasst sind. Aus dem Begriff der Gaststätten selbst lässt sich wenig entnehmen. Betrachtet man jedoch die mit den „Gaststätten“ aus Art. 74 I Nr. 11 GG herausgenommenen Materien, so ergibt sich zumindest eine erste Auslegungsrichtung. Betroffen waren ebenso das Recht des Ladenschlusses, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen und der Märkte. Allen Materien gemeinsam ist die Verbindung zum Gewerberecht.63 Auch die Herkunft der Materie aus Art. 74 I Nr. 11 GG, dem Kompetenztitel für das Recht der Wirtschaft, weist in eine ähnliche Richtung: Das Gaststättenrecht kann durch die Herausnahme aus einem Titel des Bundes nur insoweit übertragen werden, als es Gegenstand des Rechts der Wirtschaft war.64 Zudem lehnt sich der Verfassungstext „eng an einfachgesetzliche Begrifflichkeit an“65, was ebenfalls zu einer gewissen Vorbestimmung des Inhalts der jeweils ausgenommenen Materie führt. So ist im nun über Art. 125a GG fortgeltenden Bundesgaststättengesetz der gewerberechtliche Bezug offenkundig.66 Aus diesen Aussagen lässt sich auch einiges für die Kompetenzverteilung hinsichtlich des Erlasses eines Rauchverbotes gewinnen. Aus gewerberechtlichen Gründen ein Rauchverbot in Gaststätten einzuführen, bliebe dem Landesgesetzgeber unbenommen, da hierzu auch die Abwehr jener Gefahren gehört, die von einem Gewerbe ausgehen.67 Eine „Sperrwirkung“ dahingehend, dass alle Regelungsbereiche im Zusammenhang mit Gaststätten nun in den Bereich der Landeskompetenzen fielen, kann allerdings nicht ausgemacht werden. Wie zutreffend von Siekmann bemerkt wird, gelten beispielsweise auch die Verbote des Betäubungsmittelgesetzes für den Umgang mit Rauschgiften für den Bereich der Gaststätten, ohne dass diese von gaststättenrechtlichen Vorschriften verdrängt würden.68 63

Ebenso Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 47. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf: GG, Art. 74, Rdnr. 127. 65 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 47. 66 § 1 GaststättenG lautet: „Ein Gastgewerbe im Sinne dieses Gesetzes betreibt, wer im stehenden Gewerbe [. . .].“ (Hervorhebungen durch den Verfasser) 67 Dies wäre in ähnlicher Weise möglich, wie es aktuell beispielsweise in § 6 GaststättenG für den Alkoholausschank gewisse Regeln gibt. Auch in § 4 I 1 Nr. 1 GaststättenG kommt die gesetzgeberische Verhinderungsabsicht bezüglich des Alkoholmissbrauchs zum Vorschein. 68 Siekmann, NJW 2006, S. 3384. 64

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Zweck eines Nichtraucherschutzgesetzes wäre es aber auch, die Gesundheit der passiv mitrauchenden Bevölkerung zu schützen. Bezüglich dieses Gesichtspunktes sind ausschließlich gewerberechtliche Bezüge nicht auszumachen. Speziell die für eine Bundeskompetenz ins Felde geführten Bereiche des Arbeitsschutzes und der Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten umfassen einen entsprechenden Nichtraucherschutz ebenfalls. Soll also aus gesundheitsrechtlichen Aspekten ein Rauchverbot eingeführt werden, so wäre eine Bundeskompetenz zu bejahen.69 Aus alledem folgt, dass sowohl die Länder als auch der Bund zum Erlass eines Rauchverbotes in Gaststätten befugt wären. Eine Auflösung dieser Kompetenzkonkurrenz ist gegenwärtig jedoch nicht angezeigt. Eine bundesrechtliche Regelung fehlt, was das Erfordernis der zeitlichen Aktualität entfallen lässt. Auch wenn der Bundesgesetzgeber ein entsprechendes Rauchverbot erlassen würde, wäre eine durch Art. 31 GG aufzulösende Konkurrenz im oben beschriebenen Sinne jedoch unwahrscheinlich. Gesetzt den Fall, die bundesrechtliche Regelung wäre strenger als etwaige landesrechtliche Regelungen, so bestünde für den Bürger doch kein unausweichliches Verhaltensdilemma. Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall. Es fehlte insoweit an sachlicher Aktualität. Anders wäre lediglich die Situation zu beurteilen, wenn der Bundesgesetzgeber ein Rauchverbot und die Länder – oder zumindest ein Landesgesetzgeber – dagegen eine Rauchpflicht einführen würden – eine absurde Vorstellung. Nachdem also beiderseits eine kompetenzielle Grundlage vorhanden ist, kann die derzeit bestehende Situation des Nichtraucherschutzes im Bereich der Gaststätten aus kompetenzrechtlicher Sicht nicht bemängelt werden. Die Untätigkeit des Bundesgesetzgebers liegt in seinem gesetzgeberischen Ermessen.70

II. Das Schwangerenhilfeergänzungsgesetz71 Als Beispiel für widersprüchliche Regelungskonzeptionen soll hier – wie auch schon im Rahmen der allgemeinen Darstellung – der Kompetenzstreit um das 69 Eine Erforderlichkeitsprüfung im Sinne des Art. 72 II GG wäre hier nur für den Titel nach Art. 74 I Nr. 20 GG nötig. Je nachdem auf welche Kompetenz der Bund seine Regelung stützen würde, wäre eine Erforderlichkeitsprüfung dadurch auch für die anderen Kompetenztitel nötig. Es sei hierzu auf die obigen Ausführungen unter 1. Teil B. V. 2. verwiesen. 70 Ob sich aufgrund von Art. 2 II 1 GG gegebenenfalls eine gesetzgeberische Pflicht (auch zum Erlass eines umfassenden, nicht nur auf Gaststätten bezogenen Rauchverbots) für den Bund ergeben kann, muss im Rahmen dieser Arbeit ungeklärt bleiben. Die kompetenzielle Grundlage zur Regelung wäre nach der hier vertretenen Meinung vorhanden. 71 Der obigen Darstellung folgend (3. Teil B. I. 3.), sind sich zeigende widersprüchliche Regelungskonzeptionen als Unterfall der Doppelkompetenz zu betrachten, weshalb die Behandlung des vorliegenden Problems auch unter dem Oberpunkt der Doppelkom-

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Schwangerenhilfeergänzungsgesetz dienen. Zusammengefasst traten Regelungen des landesrechtlichen Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes in Widerspruch zu einzelnen Bereichen bundesrechtlicher Strafrechtskonzeption. Die bundesrechtlichen Regelungen wurden kompetenziell getragen von Art. 74 I Nr. 1 2. Alt. GG. Ergänzend sollten Art. 74 I Nr. 7, 11, 12 und 19 GG und Erwägungen des Sachzusammenhangs hinzutreten. Die landesrechtliche Zuständigkeit ergab sich aus Art. 70 I GG. Regelungsgegenstand hier waren Fragen des ärztlichen Berufsrechts. Inhaltlich gingen die landesrechtlichen Anforderungen über die bundesrechtlichen Regelungen hinaus, erschwerten also die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs. Im Kern ergaben sich Abweichungen im Bereich der Begrenzung des durch Abtreibungen zulässigen Gebührenanteils, im Verbot der Errichtung von Spezialkliniken und in der Offenlegungspflicht der Beweggründe für die Abtreibung.72 Der Frage der Zulässigkeit der beiden unterschiedlichen Konzeptionen ging das Problem voraus, ob in der bundesrechtlichen Regelung eine abschließende Regelung zu erblicken sei, welche zum Entfallen der Landeskompetenz führen würde. Diesbezüglich wurde herausgearbeitet, dass bewusste Nichtregelungen eine abschließende Regelung in diesem Sinne darstellen können, während unerkannt nicht geregelte Bereiche kein Element einer abschließenden Regelung sind. Um einen problematischen, zwischen den beiden genannten Eckpunkten liegenden Fall handelt es sich beim Schwangerenhilfeergänzungsgesetz. Hier erkannte man einige der problematischen Bereiche, regelte diese aber zumeist unkommentiert nicht. Obwohl der Sonderausschuss des Bundestages im Rahmen der Beratungen eine Fahrt nach Frankreich unternahm, um sich dort über die Qualität des Lebensschutzes in auf Abtreibung spezialisierten Einrichtungen zu informieren, kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss, dass insgesamt die „für die Mehrheit des Bundestages tragenden Gründe nicht vollständig deutlich“73 wurden. Dies sei ein Resultat aus der Notwendigkeit einer Kompromissfindung, die es verhindert habe, die jeweils unterschiedlichen Motive vollständig offen zu legen.74 Zumindest bezüglich des Mittels der Einnahmebegrenzung sei jedoch durch die Übersendung des Reiseberichts des Sonderausschusses, aber auch durch eine danach (!) veröffentlichte Entschließung des Bundestages deutlich geworden, dass bewusst von einer derartigen Regelung Abstand genommen wurde. Auch bezüglich der Darlegungspflicht habe der Bundesgesetzgeber abschließende Regelungen getroffen, die durch eine Pflicht der Frau zur Offenlegung ihrer Beweggründe nicht unterlaufen werden dürften. Eine petenzen erfolgt. Inhaltlich scheint die vorliegende Thematik einiges an Aktualität zu gewinnen, da man sich gegenwärtig im Bundestag mit einer Verschärfung der Voraussetzungen für den späten, medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch auseinandersetzt. Vgl. hierzu BTDrucks. 16/11106; 16/11342; 16/11347; 16/11330; 16/11377. 72 Eine Gegenüberstellung der konkreten Normen findet sich bei Seckler, NJW 1996, S. 3049 f. 73 BVerfGE 98, 265 (317). 74 BVerfGE 98, 265 (317).

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Behandlung des Kompetenzkonflikts um das Schwangerenhilfeergänzungsgesetz im Rahmen dieser Arbeit wäre nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts demzufolge nicht nötig. Es kam zu dem Schluss, dass die bundesrechtliche Regelung abschließend sei, wodurch der Landesgesetzgeber ohne Kompetenz gehandelt habe. Dass dies im Kern nicht richtig sein kann, zeigt Folgendes: Die Inanspruchnahme einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs darf, nach eigenen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, nur in sehr engen Grenzen angenommen werden. In erhöhtem Maße muss dies gelten, wenn, wie hier, absichtsvoller Regelungsverzicht die Kompetenz begründen soll. Zumindest müssen unzweifelhafte Hinweise für eine derartige Eindeutigkeit vorhanden sein. Wie jedoch auch die Ausführungen des Richters Papier und der Richterinnen Graßhof und Haas in ihren Sondervoten75 belegen, kann eine dahingehende Eindeutigkeit nicht festgestellt werden. So gehe die bundesgesetzliche Distanzierung von einer Quotenregelung bei weitem nicht eindeutig hervor.76 Weder die Untersuchung der Qualität des Lebensschutzes in Spezialeinrichtungen mittels einer Reise noch die Zusendung des Reiseberichts an die Länder zur Information sei für die Länder ein Indiz für bewusste Nichtregelung. Das Gegenteil sei der Fall, da in der Übersendung der Erklärungswert liege, dass die Länder zuständigkeitshalber damit befasst sind. Informationen bedürfe nur derjenige, der auf ihrer Grundlage noch tätig werden könne.77 Im Gesetzgebungsverfahren selbst trete dies am deutlichsten hervor, wenn vom Vorsitzenden des Ausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens“ auf die Frage, warum der Bund nicht die Untersagung von Spezialeinrichtungen vornehme, geantwortet worden sei: „Zunächst einmal ist die Frage umstritten, ob insoweit eine Kompetenz des Bundesgesetzgebers besteht. Das ist das Problem. Und dies konnte nicht abschließend geklärt werden. Nachdem die Kompetenz von wichtigen Bundesministerien bestritten wird, hat man auf eine Regelung verzichtet.“78 Ähnliche Argumente lassen sich bezüglich der Frage einer Verpflichtung der abtreibungswilligen Frau zur Offenlegung der Gründe gegen eine eindeutige Regelung des Bundesgesetzgebers anführen.79 So werde einer abtreibungswilligen Frau ihre ausschließlich eigene Verantwortung schon bei der Konfliktberatung bewusst gemacht. Kein Arzt jedoch würde und dürfte Eingriffe auf bloßen Wunsch hin durchführen. Mit der Darlegungspflicht der Frau werde ihr daher nichts Ungewöhnliches zugemutet. Auch die primär bezweckte Umsetzung der bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben, welche § 218c I 1 75

BVerfGE 98, 265 (329 ff.). Die detaillierte Argumentation, welche hier nicht im Einzelnen wiederholt werden kann, findet sich in BVerfGE 98, 265 (331). 77 BVerfGE 98, 265 (333). 78 BVerfGE 98, 265 (334), mit Verweis auf BTProt. 21. Sitzung vom 14. April 1994, S. 95. 79 Ausführungen hierzu in BVerfGE 98, 265 (338 ff.). 76

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StGB zugrunde liegen, sprächen gegen einen abschließenden Willen des Bundesgesetzgebers.80 Letztendlich gilt es, sich hier auf die Grundsätze zu besinnen, die das Bundesverfassungsgericht selbst aufgestellt hat. Ungeschriebene Kompetenzen sind restriktiv zu handhaben. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie in Kompetenzbereiche hineinragen, die ausschließlich dem jeweils anderen Kompetenzträger zugeschrieben sind. Verschärft kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass es sich um bewusste Nichtregelungen des Bundes handeln sollte. Gerade hierfür sind jedoch deutlichere Anzeichen als die vorhandenen nötig, weshalb den angesprochenen Sondervoten hier vollumfänglich zuzustimmen ist. Legt man nun diese kompetenzrechtliche Sichtweise zu Grunde81, so ergibt sich, dass beide Kompetenzträger zwar denselben Zweck verfolgen. Beide setzen jedoch an jeweils anderen Punkten an, für die sie jeweils die Kompetenz besitzen. Diese unterschiedlichen Ansätze führen zu einer Kompetenzberührung, was einen Fall der widersprüchlichen Regelungskonzeptionierung darstellt. Ihre Behandlung erfolgt auf dem oben vorgezeichneten Weg. Zunächst ist festzustellen, ob sich für den Adressaten ein unvermeidbares Dilemma ergibt. Ist dies wie hier82 nicht der Fall, so ist darauf abzustellen, ob einer der beiden Kompetenzträger missbräuchlich oder in einer Weise von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat, die dem jeweils anderen Kompetenzträger die Ausübung seiner Kompetenz unmöglich macht. Auch dies ist nicht festzustellen. Der bayerische Gesetzgeber ging zum Zeitpunkt des Erlasses des Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes davon aus, dass der Bund aufgrund fehlender Kompetenz einen nicht weitergehenden Schutz für ungeborenes Leben etabliert hat. Für die Normadressaten bedeutete dies wiederum, dass beide kompetenzgemäß erlassenen Gesetze zu beachten sind. Abtreibungswillige Frauen und betroffene Ärzte müssten sich daher an beide Regelungen halten.

III. Art. 74 I Nr. 11 GG: Ladenschluss als Arbeitsrecht Eine weitere Veränderung im Gefüge der Kompetenznormen des Grundgesetzes durch die Föderalismusreform, auf die sehr schnell von vielen Bundesländern 80

BVerfGE 98, 265 (343). Eine andere, dem Bundesverfassungsgericht zustimmende Ansicht, vertritt Seckler, NJW 1996, S. 3049 ff. 82 Zwar bestimmt die bundesgesetzliche Regelung, dass die Mitwirkungspflicht der Frau nicht zwingend ist, sie sich also äußern kann oder auch nicht. Der Landesgesetzgeber hingegen fordert die Offenlegung der Beweggründe. In diesen beiden Regelungen ist ein Verhaltensdilemma vordergründig durchaus angelegt. Dieses ist jedoch bei genauer Betrachtung nicht unausweichlich. So besteht mit der Bundesregelung keine Schweigepflicht bezüglich der Beweggründe. Nur dies führte aber zu einer unausweichlichen Verhaltenspflicht für die betroffenen Frauen. Die Möglichkeit zur Äußerung ermöglicht es jedoch durchaus, der durch das Landesgesetz bestehenden Verpflichtung nachzukommen. 81

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durch den Erlass von Landesgesetzen reagiert wurde83, stellt die Herausnahme des Rechts des Ladenschlusses aus dem bisherigen Kompetenztitel der konkurrierenden Bundeskompetenz aus Art. 74 I Nr. 11 GG dar. Vordergründig eindeutig besteht aufgrund dieser Herausnahme aus dem Kompetenztitel für das Recht der Wirtschaft nun die Regelungsbefugnis zu Gunsten der Länder. Auf den zweiten Blick jedoch scheint sich ein Bild zu ergeben, das bei Weitem keine derart eindeutige Kompetenzlage erkennen lässt, wie es sich zunächst vermuten lässt. Dies ergibt sich hauptsächlich aus dem Zusammenspiel mit Art. 74 I Nr. 12 GG, welcher dem Bund nach wie vor die Kompetenz zur Regelung des Arbeitsrechts einschließlich der Betriebsverfassung, des Arbeitsschutzes und der Arbeitsvermittlung sowie der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung gibt. 1. Auslegung der Kompetenztitel Legt man nun die angesprochenen Titel aus, betrachtet man also deren Sinn und Zweck, so ergibt sich für den Bereich des Ladenschlusses, dass Inhalt dieser Kompetenz die Regelung der Öffnungszeiten von Verkaufsstellen ist. Den dahinterstehenden Zweck bildet hauptsächlich84 der Schutz der Arbeitnehmer vor zu langen Öffnungszeiten und den damit verbundenen Arbeitszeiten. a) Landesrechtliches Ladenschlussrecht mit Arbeitsschutzcharakter85 aa) Art. 74 Nr. 11 GG: Ladenschluss als normativ geprägter Kompetenzbegriff Dies ergibt sich zuvorderst daraus, dass Art. 74 I Nr. 11 GG als normativ geprägter Kompetenzbegriff entsprechend dem wesentlichen Inhalt des Laden83 Als erstes Land hat Berlin ein entsprechendes Gesetz am 9. November 2006 verabschiedet, es folgten Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz am 16. November, Hessen am 23. November, Thüringen am 24. November, Brandenburg am 27. November, Schleswig-Holstein am 1. Dezember 2006, Hamburg am 1. Januar 2007, Bremen am 6. Februar, Baden-Württemberg am 14. Februar, Niedersachsen am 6. März und Sachsen am 16. März 2007. Ob auch in Bayern durch die nun notwendige Koalition von FDP und CSU neue Bewegung in die Ladenschlussdebatte kommt, bleibt abzuwarten. 84 Darüber hinaus bezwecken Regelungen des Ladenschlusses ausweislich der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts [BVerfGE 111, 10 (33, 40 und 50)] den Konkurrenzschutz und den durch Art. 140 GG, 139 WRV verfassungsrechtlich garantierten Sonntagsschutz. 85 Die hier erfolgende Betrachtung geschieht in dem Bewusstsein der Gefahr einer Determination der Verfassung durch einfachgesetzliche Regelungen. Dazu bereits unter 1. Teil B. III. Aufgrund der vom Verfassunggeber gewählten Methode, einzelne Inhalte aus der umfassenden wirtschaftsrechtlichen Kompetenz aus Art. 74 I Nr. 11 GG herauszunehmen, erscheint es dennoch geboten, auf vorhergehende Regelungen des Laden-

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schlussgesetzes zu definieren ist.86 Zum Inhalt des zum Zeitpunkt der Novellierung des Art. 74 I Nr. 11 GG im Jahre 2006 geltenden Bundesladenschlussgesetzes führte das Bundesverfassungsgericht aus: „Durch Regeln über die Schließungszeiten von Verkaufsstellen verwirklicht das Ladenschlussgesetz Arbeitszeitschutz im Hinblick auf die Verteilung der Arbeitszeit im Tagesverlauf. Durch die Ladenschlusszeiten wird zugleich der Rhythmus des öffentlichen Lebens und der Freizeit beeinflusst. Die Regeln zur Arbeitszeitgestaltung dienen dazu, dem Personal möglichst weitgehend den arbeitsfreien Abend und die arbeitsfreie Nacht sowie ein zusammenhängendes freies Wochenende zu sichern.“ 87 Weiter ist zu lesen: „Ein mit dem Arbeitszeitschutz zusammenhängender Zweck des Ladenschlussgesetzes ist die Sicherung der Wettbewerbsneutralität. [. . .] Der Schutz vor Konkurrenz ist zwar nicht als eigenständiges Ziel zur Beschränkung der Berufsfreiheit anzuerkennen [. . .]. Es ist dem Gesetzgeber aber nicht verwehrt, Konkurrenzvorteile zu unterbinden, die aus der Verfolgung eines anderweitigen legitimen Schutzziels abgeleitet werden können, wie hier aus den Schutzvorkehrungen für Ladenangestellte.“ 88 Untermauert wird dies durch die Intention des Gesetzgebers, durch das Ladenschlussgesetz den verfassungsrechtlich gebotenen89 Sonnund Feiertagsschutz zu verwirklichen. Dieser hat zum Inhalt, den Sonntag und die Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung zu wahren. Die Absicht des Gesetzgebers, durch die Ladenschlussregelung diesem Gebot Rechnung zu tragen, stellt das Bundesverfassungsgericht in der bereits mehrfach zitierten Entscheidung fest: „[Die Ladenschlussregelung] ist insbesondere zur Sicherung der Sonn- und Feiertagsruhe geeignet und auch unter Berücksichtigung der Berufsfreiheit der Ladeninhaber erforderlich und angemessen.“ 90 Auf Grund der normativen Prägung des Kompetenztitels für das Ladenschlussrecht lässt sich damit ein zusätzliches Argument für den arbeitsschutzrechtlichen Charakter der

schlusses Rücksicht zu nehmen. Darüber hinaus sollen aufgrund der bestehenden Aktualität des vorliegenden Kompetenzkonfliktes auch die aktuellen landesgesetzlichen Regelungen einbezogen werden. Die im Rahmen des landesrechtlichen Gesetzgebungsverfahrens getätigten Äußerungen der Abgeordneten können jedoch allenfalls als Indiz für die Bestimmung des Inhalts der grundgesetzlichen Kompetenznorm herangezogen werden. 86 Degenhart, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 74, Rdnr. 46. 87 BVerfGE 111, 10 (32). 88 BVerfGE 111, 10 (32 f.), Hervorhebung des Verfassers. Auch im weiteren Verlauf der Entscheidung wird der vorrangige Arbeitsschutzcharakter noch einmal betont: „Mit seiner Regelung der Arbeitszeitvorschriften durfte der Gesetzgeber auch die Verwirklichung weiterer Schutzziele verbinden“ (BVerfGE 111, 10 (44), Hervorhebung des Verfassers). 89 Vgl. hierzu Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV. Zum Sonn- und Feiertagsschutz auch von Campenhausen/de Wall: Staatskirchenrecht, S. 326 ff. 90 BVerfGE 111, 10 (52). Für einen entsprechenden Zusammenhang ist auch Ehlers, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 140 GG/Art. 139 WRV, Rdnr. 9. Ebenso von Campenhausen/de Wall: Staatskirchenrecht, S. 329, 334.

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Kompetenznorm gewinnen. Zwar stellt Art. 139 WRV auch eine Ausprägung des Religionsschutzes dar.91 Da jedoch neben der Möglichkeit zur Religionsausübung auch profanere Ziele wie die persönliche Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung verfolgt werden sollen92, ist ein arbeitsschutzrechtlicher Zusammenhang hier nicht zu leugnen.93 bb) Exemplarische Betrachtung der Genese des Gesetzes über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg94 Jedoch nicht nur der Blick auf die in der Vergangenheit erfolgte Auslegung des Bundesladenschlussgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht und die sich durch die normative Prägung des Art. 74 I Nr. 11 GG ergebenden Rückschlüsse auf den Kompetenztitel selbst, sondern auch durch die jeweiligen Beratungen zu den Landesladenschlussgesetzen lässt sich der arbeitsschutzrechtliche Charakter der Ladenschlussregelungen erkennen, wodurch wiederum auf den Inhalt der Kompetenz geschlossen werden kann. Exemplarisch sei dies an den Beratungen des Parlaments zum Erlass eines Ladenschlussgesetzes in Baden-Württemberg dargestellt.95 Dem Plenarprotokoll über die 15. Sitzung vom 13. Dezember 2006, in welcher als Punkt 1 der Tagesordnung die erste Beratung des Ladenschlussgesetzes erfolgte, lässt sich entnehmen, dass von mehreren Abgeordneten der arbeitsschutzrechtliche Charakter thematisiert wurde.96 So führte die Ministerin für Arbeit und Soziales Dr. Monika Stolz aus: „Natürlich muss man beim Thema Ladenschluss auch an die Beschäftigten denken. Das Ladenschlussgesetz des Bundes war ursprünglich vorwiegend 91 „Art. 139 WRV bewahrt die ursprünglich aus religiösen Quellen gespeiste Erkenntnis, daß der Sonntag etwas mit der Würde des Menschen zu tun hat.“ (von Campenhausen/de Wall: Staatskirchenrecht, S. 327); hierzu auch Ehlers, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 140GG/Art. 139 WRV, Rdnr. 1. 92 Hierzu BVerfGE 111, 10 (51); Ehlers, in: Sachs: Grundgesetz, Art. 140 GG/ Art. 139 WRV, Rdnr. 1. 93 Dies gilt verstärkt, wenn man die Voraussetzungen dessen, was unter „seelischer Erhebung“ zu verstehen ist, näher betrachtet: Sonn- und Feiertage sollen sich von den „normalen Tagen mit ihrem Druck des Geldverdienenmüssens, der Konkurrenz und des Arbeitsrhythmusses“ (von Campenhausen/de Wall: Staatskirchenrecht, S. 333) abheben. 94 Noch einmal sei mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die vorliegende exemplarische Betrachtung allenfalls Indizwirkung haben kann. Aufgrund der Aktualität des Kompetenzkonflikts erscheint eine Berücksichtigung jedoch angezeigt. 95 Das Gesetz über die Ladenöffnung in Baden-Württemberg und zur Änderung anderer Vorschriften wurde am 14. Februar 2007 beschlossen. 96 Dass im Rahmen der politischen Diskussion seitens der Abgeordneten, welche sich für eine Abschaffung der Schlusszeiten aussprachen, die Notwendigkeit eines neben die bundesrechtlichen, tariflichen und betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen tretenden strikten Landesladenschlussgesetzes verneint wurde, hat für den grundsätzlichen Charakter der Ladenschlussgesetze nur wenig Bedeutung.

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5. Teil: Praktische kompetenzielle Probleme im Grundgesetz

ein Arbeitsschutzgesetz. Es sollte die Kontrollen durch die Arbeitsschutzbehörden erleichtern und die Beschäftigten vor unzumutbar langen Arbeitszeiten schützen“ 97. Im weiteren Verlauf der Aussprache bezeichnete der Abgeordnete Rudolf Hausmann explizit den Zweck des Ladenschlussgesetzes: „Der Charakter des Gesetzes wird sehr deutlich: Es handelt sich um ein Arbeitsschutzgesetz“ 98. Auch in der zweiten Beratung über das Ladenschlussgesetz am 14. Februar 2007 trat der Arbeitsschutz als zentraler Zweck der Regelung immer wieder hervor. („Wir diskutieren über ein Schutzgesetz“ 99.) Schließlich schloss auch der für eine weitgehende Liberalisierung der Öffnungszeiten stehende Abgeordnete Karl Rombach mit den Worten: „Das neue Ladenöffnungsgesetz beinhaltet die bisherigen Schutzfunktionen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen. Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist der Gesetzentwurf der Landesregierung eine sachgerechte Antwort sowohl für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch für den Handel“ 100. Ein weiterer in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Punkt ist, dass Arbeitnehmerschutz nur für solche Verkaufsstellen entstehen kann, in welchen auch Arbeitnehmer tätig sind. Bei kleineren Betrieben (etwa bei Kiosken und kleineren Läden), die nur durch den Eigentümer selbst oder durch gleichberechtigte (Familien-)Mitglieder geführt werden, wobei kein Beteiligter als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist, liefe der Gesetzeszweck des Arbeitsschutzes leer. Hier entfaltet ein Ladenschlussgesetz vornehmlich Konkurrenzschutz.101 Dennoch widerspricht auch dies nicht der Annahme, dass ein Ladenschlussgesetz vorrangig und hauptsächlich dazu dienen soll, die in den Verkaufsstellen tätigen Arbeitnehmer zu schützen. Der weit überwiegende Teil von Verkaufsstellen wird durch Arbeitnehmer betrieben. Ein im Vergleich dazu verschwindend geringer Teil an „Ein-Mann-Betrieben“ oder (Familien-)Unternehmen ohne Arbeitnehmer vermag hieran nichts zu ändern. Jedes Gesetz verfolgt mehrere unterschiedliche Zwecke. Dass hierbei ein Zweck – vorliegend der Arbeitsschutz – in den Vordergrund rückt und folgedessen das Gesetz nach dem Hauptzweck zu qualifizieren ist, wurde im Laufe dieser Arbeit immer wieder hervorgehoben.

97 Protokoll über die 15. Sitzung vom 13. Dezember 2006, S. 782. Das Protokoll ist abrufbar unter www.landtag-bw.de/wp14/plp/14_0015_13122006.pdf (Abrufdatum: 20.4.2009). 98 Protokoll über die 15. Sitzung vom 13. Dezember 2006, S. 784. 99 Protokoll über die 20. Sitzung vom 14. Februar 2007, S. 1158. Das Protokoll ist abrufbar unter www.landtag-bw.de/wp14/plp/14_0020_14022007.pdf (Abrufdatum: 20.4.2009). 100 Protokoll über die 20. Sitzung vom 14. Februar 2007, S. 1157. 101 Entsprechendes lässt sich auch den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts entnehmen, vgl. BVerfGE 111, 10 (40).

B. Doppelkompetenzen

297

b) Arbeitsschutz als Bundeskompetenz Dem Kompetenztitel des Arbeitsrechts, das umfassende Bundeskompetenz102 ist, unterfällt dagegen ausdrücklich der Schutz der Arbeitnehmer. Bestandteil dessen sind auch Regelungen der täglichen (Maximal-)Arbeitszeit. Der aktuellen Kompetenzverteilung ist zwar zu entnehmen, dass Ladenschlussregelungen nicht mehr unter die Bundeskompetenz des Art. 74 I Nr. 11 oder Nr. 12 GG103 fallen, da eine Subsumtion des Ladenschlusses unter Art. 74 I Nr. 12 GG eindeutig der Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers widerspräche. Die Bereichsausnahme des Art. 74 I Nr. 11 GG hat insoweit also auch Wirkung für Art. 74 I Nr. 12 GG. 2. Kompetenzabgrenzung104 Auswirkungen eines Landesladenschlussgesetzes auf die tägliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers sind jedoch je nach Ausgestaltung des Ladenschlussgesetzes durchaus denkbar. Auch umgekehrt sind Einwirkungen eines Bundesarbeitszeitgesetzes auf die Ladenöffnungszeiten möglich, käme beispielsweise ein generelles Nachtarbeitsverbot doch einem faktischen Ladenschluss gleich. Es sei das schon oben formulierte Beispiel herangezogen: Gesetzt den Fall, der Bundesgesetzgeber entschlösse sich für ein komplettes Nachtarbeitsverbot von 21.00 bis 06.00 Uhr, so liefe ein Landesladenschlussgesetz, das Öffnungszeiten von 06.00 bis 24.00 Uhr erlaubte, für die Zeit von 21.00 bis 24.00 Uhr quasi leer, da die entsprechenden Normadressaten sich nicht ohne Verstoß gegen das Bundesarbeitszeitgesetz auf die längeren Öffnungszeiten berufen könnten. Freilich wäre es in der hier genannten Situation für die Normadressaten möglich, sich rechtskonform zu verhalten, indem die dem Ladenschlussgesetz unterworfenen Geschäfte nur bis 21.00 Uhr öffneten. Dies ergäbe sich hier daraus, dass eine gestattende Norm mit einer Verbotsnorm konkurriert. Das Ladenschlussgesetz erlaubt von 06.00 bis 24.00 Uhr, speziell für den Bereich von 21.00 bis 24.00 Uhr, zu öffnen, das Arbeitszeitgesetz verbietet für den Bereich von 21.00 bis 24.00 Uhr zu arbeiten. Die Normadressaten wären daher nicht verpflichtet, die volle Zeitspanne auszunutzen. Auch durch die Regelung von gesetzlich erlaubten Höchstarbeits102

Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 74, Rdnr. 165. Im Gegensatz zum Verfassunggeber, der die aktuelle Ausnahmeregelung als Teil des Art. 74 I Nr. 11 GG sieht, sah Maunz den Bereich des Ladenschlusses in Art. 74 I Nr. 12 GG verortet, vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig: Grundgesetz Kommentar, Art. 74, Rdnr. 163. 104 Betrachtet werden soll vorliegend nur der Fall, dass einem Ladenschlussgesetz auch arbeitsschutzrechtlicher Charakter zukommt. Ausgeblendet bleiben angesprochene Fälle von Klein- und Familienunternehmen ohne Arbeitnehmer, für welche ein Ladenschlussgesetz lediglich konkurrenzschützenden Charakter hat. Eine derartige Beschränkung ist gerechtfertigt, da die weitaus größte Zahl der Verkaufsstellen in Deutschland Arbeitnehmer beschäftigt. 103

298

5. Teil: Praktische kompetenzielle Probleme im Grundgesetz

zeiten, wie dies gegenwärtig in § 3 ArbZG der Fall ist, können sich Überschneidungen mit den Landesladenschlussgesetzen ergeben. Eine werktägliche Arbeitszeit für Verkäuferinnen und Verkäufer von maximal acht Stunden wäre nicht erreichbar, bestimmten die Ladenschlussgesetze der Länder eine insgesamt nur mögliche Öffnungszeit von beispielsweise sechs Stunden. Sinn und Zweck beider Kompetenzen ist also im weitesten Sinne der Arbeitnehmerschutz. Die Beschränkung der Arbeitszeit allgemein und die Bestimmung des „täglich möglichen Fensters“ der Erbringung der Arbeitsleistung ist zwar ein weiteres, zweckgerichtetes Unterscheidungskriterium. Überschneidungen gänzlich zu vermeiden, wäre die Abgrenzung anhand von Sinn und Zweckerwägungen jedoch nicht in der Lage. Gleiches gilt für Effizienzerwägungen. Im Grunde ergibt sich dasselbe Bild wie im Bereich des Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes. Bund und Länder verfolgen einen Zweck und versuchen, diesen mit jeweils mehr oder weniger unterschiedlichen Mitteln zu erreichen. Während oben das direkte, ausdrückliche Abtreibungsrecht mit berufs- und gewerberechtlichen Vorgaben kollidierte, berühren sich hier ebenfalls eine gewerberechtliche Regelung in Form des Ladenschlussgesetztes der Länder und die direkte Arbeitsschutzregelung des Bundes. Vorliegend handelt es sich daher zwar um keinen direkten Anwendungsfall des Art. 31 GG, da nicht beide Kompetenzen exakt auf dieselbe Materie, also beispielsweise das Ladenschlussrecht, gerichtet sind. Vielmehr handelt es sich um (zumindest mögliche) widersprüchliche Regelungskonzeptionen von Bund und Ländern. Entsprechend obigen Ausführungen ist die Annahme einer selbständigen, vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Figur der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung abzulehnen.105 Wie die dargestellten Beispiele zeigen, scheint auch im hier behandelten Bereich des Ladenschlusses die Konstellation sehr selten aufzutreten, in der sich aus den verschiedenen Konzepten von Bund und Ländern ein derart unausweichliches Verhaltensdilemma für die Normadressaten ergibt, welches eine Verdrängung der Landesregelung durch die Bundesregelung mittels Art. 31 GG rechtfertigen würde. Bei ausweichlichen Verhaltensdilemmas jedoch besteht – wie dargestellt – keine Notwendigkeit, selbiges durch das „scharfe Schwert der Nichtigerklärung“106 aufzulösen. Sich berührende Kompetenzbereiche der vorliegenden Art, auch wenn sie sich in Art und Weise der Regelung nicht entsprechen oder sogar teilweise widersprechen, sind außer in Missbrauchsfällen grundsätzlich hinzunehmen.107

105

Vgl. die Ausführungen unter 4. Teil A. II. 2. d) aa). Sendler, NJW 1998, S. 2876. 107 Die hier getätigten Ausführungen beziehen sich nur auf die formelle, kompetenzielle Betrachtung. Ob gegebenenfalls der einzelne Bürger unverhältnismäßig in seinen Grundrechten eingeschränkt wird, ist eine Frage der konkreten Einzelregelungen und der materiellen Rechtmäßigkeit, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. 106

B. Doppelkompetenzen

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Das oben entwickelte Modell zeigt also auch in diesem Fall Wirkung. Sollte ein Kompetenzträger dem anderen die Ausübung seiner Kompetenz unmöglich machen oder missbräuchliche Regelungen treffen, so existierenen aufgezeigte Mittel, um einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen beiden Kompetenzträgern zu schaffen. Besteht aufgrund der jeweils konkreten Regelungen von Bund und Ländern dagegen für die jeweiligen Normadressaten ein unausweichliches Verhaltensdilemma, so kann mittels Art. 31 GG als ultima ratio eine dem Rechtsstaatsprinzip entsprechende Situation zu Gunsten der Bundesregelung hergestellt werden.

Schlussbetrachtung A. Fazit „Die Analyse des bundesstaatlichen Kompetenzverteilungssystems im Bereich der Gesetzgebung, die Herausarbeitung pathologischer Fälle und die sachgerechte Behebung dieser“ war das zu Beginn der Arbeit formulierte Ziel.1 Im Laufe der Arbeit ließ sich aufgrund der herausgestellten Ergebnisse rasch erkennen, dass sich die Kompetenzbereiche von Bund und Ländern auf mannigfaltige Weise berühren und teilweise auch überschneiden. Der Schluss auf eine hohe Zahl an pathologischen, unklaren Kompetenzlagen wäre jedoch verfrüht. Es stellte sich heraus, dass durch methodengerechte Auslegung in vielen, zunächst kompetenzrechtlich schwierig erscheinenden Fällen keineswegs beide Kompetenzträger regelungsbefugt sind. Nicht jede Berührung einer Regelungsmaterie mit einer Kompetenznorm führt zur Regelungsbefugnis für den jeweiligen Kompetenzträger. Lediglich in den seltenen Fällen echter Doppelkompetenzen besteht eine – der Grundidee des grundgesetzlichen Kompetenzverteilungssystems fremde – doppelte Regelungsbefugnis für Bund und Länder. Um auch in diesen Fällen weder der Bundes- noch der Landeskompetenz den generellen Vorrang einzuräumen und so die grundsätzliche Gleichwertigkeit der bestehenden Kompetenzen zu konterkarieren, ist es auch hier zunächst geboten, beide Kompetenzen nebeneinander bestehen zu lassen. Lediglich für den Fall, dass sowohl der Bund als auch die Länder (ein Land) gesetzgeberisch tätig geworden sind (zeitliche Aktualität) und beide Regelungen einander in einer Weise widersprechen, die es dem Normadressaten unmöglich macht, sich „rechtmäßig“, das heißt beiden Normen entsprechend, zu verhalten (sachliche Aktualität), erscheint es geboten, die vorhandenen Kompetenzkollisionen aufzulösen. Die genauere Betrachtung der sich stellenden Alternativen ergab, dass das Grundgesetz selbst in Form des Art. 31 GG eine passende Lösung für derartige Fälle anbietet. Die konkurrenzauflösende Betrachtung hat, dies haben die durchgeführten Untersuchungen ergeben, auf einer der kompetenziellen Qualifizierung nachgelagerten Stufe stattzufinden. Nur hier kann eine zweifelsfreie Lösung unter Beibehaltung der auch im Rahmen der Auslegung geforderten methodischen Klarheit gewährleistet werden.

1

Vgl. die Einführung unter D.

B. Zusammenfassung in Thesen

301

Es ist entgegen einer vielfach vertretenen Ansicht deshalb nicht bereits auf der Ebene der Auslegung möglich, gegebenenfalls bestehende Doppelkompetenzen zu vermeiden oder zu beseitigen. Hingegen erweist es sich gerade als nicht möglich, in Fällen absolut gleicher Sachnähe einer Regelungsmaterie zu mehreren Kompetenztiteln unterschiedlicher Kompetenzträger eine besondere Nähe zum einen oder anderen „hinein“ zu interpretieren. Dies gilt unabhängig vom unstreitig bestehenden modernen, fallbezogenen Auslegungsverständnis. Jegliche wertungsmäßige Korrektur des methodengerecht gefundenen Ergebnisses stellte einen Verstoß gegen die grundgesetzlich angeordnete Kompetenzverteilung dar und die mehr oder weniger willkürliche Zuschreibung einer Materie zum einen oder anderen Gesetzgeber wäre auch im Hinblick auf bundesstaatliche Grundsätze nicht unbedenklich. Wertungsmäßige Korrekturen im Rahmen der Auslegung führten vielmehr zur Verschleierung der wahren, wenn auch nicht beabsichtigten DoppelkompetenzLage. Es würde suggeriert, dass die Verfassung nur auf die durch den Interpreten gefundene Weise interpretiert werden kann. Daraus resultierte die wertungsabhängige Verkürzung des Kompetenzbereichs eines Kompetenzträgers ohne Offenlegung der tatsächlichen Gegebenheiten. Zuletzt erforderte auch die aus der Anwendung des Art. 31 GG resultierende („neue“) Kompetenzlage eine gesonderten Betrachtung. Hierbei stellte sich heraus, dass es durch die wiederholte Anwendung des bundesfreundlichen Art. 31 GG gegebenenfalls zu einer grundsätzlichen, wiederum vor bundesstaatlichen Grundsätzen nicht unbedenklichen Bevorzugung des Bundes kommen könnte. In diesem zunächst nur theoretisch denkbaren und höchst unwahrscheinlichen Fall einer derart häufigen Anwendbarkeit des Art. 31 GG erscheint es nötig, das gefundene Ergebnis wertungsmäßig zu korrigieren. Als taugliches Mittel erwies sich in diesem Rahmen die Anwendung einer aus dem Prinzip der Bundestreue resultierenden Kompetenzausübungsschranke. Hierdurch wird es ermöglicht, zum einen das unerwünschte Verhaltensdilemma für die jeweiligen Normadressaten mittels Art. 31 GG auszuschalten, zum anderen wird aber auch eine unverhältnismäßig starke Verlagerung des kompetenziellen status quo hin zu Gunsten des Bundes vermieden.

B. Zusammenfassung in Thesen 1. Der Vorgang der kompetenziellen Qualifizierung lässt sich primär in zwei Schritte einteilen. Den ersten Schritt stellt eine methodengerechte Auslegung der in Frage kommenden Kompetenznormen und der jeweils existierenden Gesetze dar. Sind die Kompetenzträger noch nicht tätig geworden, so gilt es, den zu regelnden Sachverhalt zu formulieren. Der zweite Schritt besteht in der kompetenziellen Zuordnung. Dies geschieht durch den Vorgang herkömmlicher Subsumtion.

302

Schlussbetrachtung

2. Schwierigkeiten, welche sich auf die kompetenzrechtliche Frage auswirken, entstehen im Rahmen dieses zweigliedrigen Qualifizierungsvorganges zum einen durch Faktoren, die dem Qualifizierungsvorgang immanent sind, zum anderen durch Faktoren, welche auf die kompetenzielle Zuordnung von außen einwirken. 3. Zuvorderst bestehen auslegungsimmanente Probleme, wie sie Teil jeglicher Auslegung sind. Zu nennen ist die Möglichkeit unterschiedlicher Gewichtung der verschiedenen Auslegungsmethoden, die zugrunde liegende Perspektive des Auslegungsvorganges und die unterschiedliche Formulierung der einzelnen Kompetenztitel im grundgesetzlichen Katalog der Art. 73, 74 GG und der damit zusammenhängende Blickwinkel des jeweils tätig gewordenen Verfassunggebers. 4. Von außen wirken vor allem Fragen im Rahmen von Art. 72 I und II GG auf die kompetenzrechtliche Lage ein. Fraglich ist vor allem der Umfang der Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen des Art. 72 II GG und das Vorliegen einer abschließenden bundesgesetzlichen Regelung im Sinne des Art. 72 I GG. 5. Schwierigkeiten im Rahmen der Auslegung selbst ist mittels methodengerechter, möglichst objektiver Auslegung zu begegnen. Dies gilt freilich nur unter dem Vorzeichen fall- und einzelfallbezogener Auslegung. Der Auslegungsvorgang stellt ein Zusammenspiel der verschiedenen Auslegungsmethoden dar, welches beginnend bei Wortlaut und Intuition des Verfassunggebers hin zu teleologischen und objektiven Gesichtspunkten fortschreitet. 6. Eine übermäßige Gewichtung eines einzelnen Auslegungsmittels ist zu vermeiden. Entsprechendes gilt für die mitgeschriebenen Kompetenzen in Gestalt von Sachzusammenhangs- und Annexkompetenz, welche im Rahmen von teleologischer und systematischer Auslegung Berücksichtigung finden. 7. Besonderheiten durch die Eigenschaft der Kompetenzen als Verfassungsrecht müssen im Rahmen der Auslegung nur bedingt berücksichtigt werden. Kompetenznormen sind als Teil des organisatorischen Bereichs der Verfassung von weniger abstrakter Fassung als anderes Verfassungsrecht und dementsprechend auch nicht in gleichem Maße sonderbehandlungsbedürftig. 8. Von außen wirkenden Schwierigkeiten im Rahmen des Art. 72 II GG ist mittels einer Übertragung des Argumentationsmusters zu Art. 84 I GG a. F. zu begegnen. Auf diese Weise wird der Vorschrift des Art. 72 II GG, aber auch der sonstigen grundgesetzlichen Konzeptionierung Rechnung getragen. Auch steht dieser Übertragung aufgrund der grundgesetzlichen Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen weniger entgegen, als dies im Rahmen des Art. 84 I GG a. F. der Fall war. 9. Die Frage nach abschließender bundesgesetzlicher Regelung bedarf eindeutiger Indizien. Verstärkt wird dies in Fällen bundesgesetzlicher Nichtregelung, wenn diese ebenfalls als abschließend angesehen werden soll. Abschließender Charakter kann einer Regelung in diesen Fällen nur dann zukommen, wenn sich

B. Zusammenfassung in Thesen

303

der Bundesgesetzgeber seiner Nichtregelung bewusst war. Unbewusste Nichtregelung kann dagegen nicht zur Verdrängung der Länder aus ihrer verfassungsmäßig eingeräumten Kompetenz führen. 10. Bei der Behandlung der Kompetenzproblematik allgemein ist von absoluter Gleichwertigkeit von Bundes- und Landeskompetenzen auszugehen. Jegliche Vorgewichtung unter Berufung auf geschriebene Kompetenzen einerseits beziehungsweise ungeschriebene Kompetenzen andererseits geht fehl. 11. Ebenfalls außer Betracht bleiben Vermutungswirkungen. Dies gilt sowohl für die Frage der Auslegung als auch für die der Konkurrenzauflösung. Weder Art. 30, 70 GG zu Gunsten der Länder noch Art. 31 GG zu Gunsten des Bundes kann eine Vermutungswirkung entnommen werden. Speziell Art. 70 I GG bestimmt zwar die Grundregel der kompetenziellen Verteilung. Eine darüber hinausgehende Vermutungswirkung ist ihm aber nicht beizumessen. 12. Trotz der teils schwierigen Unterscheidung von Auslegung und Zuordnung ist an ihrer Unterscheidung festzuhalten. Je nachdem auf welcher Stufe der kompetenziellen Qualifizierung es zu einem Defekt kommt, können unterschiedliche Konkurrenzarten entstehen, welche unterschiedlicher Behandlung bedürfen. 13. Konkurrenzen bilden sich hauptsächlich auf zwei Arten. Dies ist zum einen die Auslegungskonkurrenz, welche sich durch einen Defekt auf der Auslegungsebene bildet, zum anderen die Doppelkompetenz, die aus Schwierigkeiten im Rahmen der Zuordnung resultiert. 14. Hinsichtlich der Doppelkompetenz kann darüber hinaus weiter differenziert werden. Hier ist eine Unterscheidung zu treffen zwischen echten Doppelkompetenzen, bei der sich eine Regelungsmaterie gewissermaßen auf der Schnittstelle zwischen einer Bundes- und einer Landeskompetenz befindet, und Kompetenzfriktionen, im Kontext derer sich Bundes und Landeskompetenz zwar berühren, eine eindeutige Zuordnung jedoch gelingen kann. 15. Einen weiteren Sonderfall im Rahmen der Doppelkompetenzen bilden Konstellationen, die als „widersprüchliche Regelungskonzeptionen“ bezeichnet wurden. Hierbei laufen lediglich die gesetzgeberischen Konzeptionen gegensätzlich. 16. Eine weitere Konkurrenzform, welche sich durch die Föderalismusreform 2006 gebildet hat, wurde mit „offenen Konkurrenzen“ überschrieben. Die im Grundgesetz seit September 2006 angelegte Abweichungsbefugnis des jeweils anderen Kompetenzträgers vermag jedoch zum einen keine Auswirkungen auf die verborgenen Konkurrenzen zu haben; zum anderen bleibt zu vermuten, dass die vielerseits heraufbeschworene Rechtszersplitterung und die Gefahr der PingPong-Gesetzgebung ausbleiben. 17. Die Behandlung von Problemen, die zum einen dem Qualifizierungsvorgang immanent sind und zum anderen durch von außen wirkende Kräfte entstan-

304

Schlussbetrachtung

denen sind, hat je nach Konkurrenzart unterschiedlich zu erfolgen. Eine allgemeingültige Auflösungsmöglichkeit für alle Konkurrenzformen besteht nicht. 18. Insbesondere vermögen kooperative und koordinative Bemühungen mangels Übertragungsfähigkeit ganzer Kompetenztitel einerseits und aufgrund fehlender Verbindlichkeit der kooperativen Vereinbarungen andererseits, keine sichere allgemeingültige Konkurrenzvermeidung zu vermitteln. 19. Im Bereich der Auslegungskonkurrenzen kann methodengerechte Auslegungsarbeit die entstehenden Konkurrenzen vermeiden. 20. Echte Doppelkompetenzen können hingegen nicht mittels Auslegung beseitigt werden. Jeglicher Rückgriff auf bereits getätigte, methodengerechte Auslegungsarbeit konterkarierte eben diese Methodenehrlichkeit zu Gunsten von stark wertungsmäßig geprägten Ergebnissen. Der wertungsmäßige Einfluss verstärkt sich, leugnet man das Bestehen einer Doppelkompetenz allgemein und oktroyiert sich damit selbst die „Pflicht“ zu eindeutiger Auslegung auf. Die Auflösung echter Konkurrenzen hat daher auf einer gesonderten Stufe zu erfolgen. Insbesondere ist deutlich zu machen, dass es sich um einen kompetenziellen Sonderfall handelt, welcher besonderer Behandlung bedarf. 21. Mit Art. 31 GG hält das Grundgesetz eine Konkurrenzauflösungsnorm bereit, welche es bei Vorliegen sachlicher und zeitlicher Aktualität ermöglicht, sachgerechte und eindeutige Ergebnisse zu erzielen. Eine Übergewichtung der Bundeskompetenzen ist indes aufgrund der sehr geringen Anzahl an Doppelkompetenzen und der zusätzlich notwendigen sachlichen und zeitlichen Aktualität des Kompetenzkonfliktes nicht zu befürchten. Die Verdrängung einer bestehenden Kompetenz durch die eines anderen Kompetenzträgers muss die absolute Ausnahme bleiben. 22. Es entspricht gerade dem Hauptanwendungsfall des Art. 31 GG, dass sowohl Bundes- als auch Landeskompetenz für eine Regelungsmaterie besteht. Doppelkompetenzen sind also keineswegs ausgeschlossen. 23. Berühren sich die jeweiligen Kompetenzbereiche von Bund und Ländern nur in einer Weise, welche nicht die geforderte sachliche und zeitliche Aktualität aufweist, so sind entsprechende Berührungen grundsätzlich zu tolerieren. Gleiches gilt für gegenläufige gesetzgeberische Konzeptionen von Bund und Ländern (bzw. eines Landes). 24. Allenfalls die Art und Weise einer Regelung kann in solchen Fällen mittels Erwägungen, die die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten zu Grunde legen, durch eine Kompetenzausübungsschranke reguliert und begrenzt werden, wenn die gesetzgeberische Tätigkeit missbräuchlich ist oder in zu starkem Maße in die jeweils andere Kompetenzsphäre eingreift. 25. Ein selbständiger Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung existiert unter Berücksichtigung der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung und der daraus resultierenden Rechte aller Kompetenzträger nicht.

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Sachverzeichnis abschließende Regelung 41 abweichungsfester Kern 16, 277 Abweichungskompetenz siehe Gesetzgebungskompetenz Aktualität – sachliche 199, 232, 237 – zeitliche 231 ff., 237 Auflösung siehe Konkurrenzauflösung Auslegung 24 ff., 53 ff., 63 ff., 88 ff., 106 ff. – genetisch 64, 70 – grammatisch 63, 64 ff. – historisch 63, 69 ff., 100 – komparativ 64, 73 f. – logisch 63, 68 f. – objektive Theorie: 31 ff., 56 ff. – subjektive Theorie: 31 ff., 54, 56 ff. – systematisch 63, 66 ff. – teleologisch 64, 74 ff. – von Verfassungsrecht 27, 53, 55 f., 67, 91 ff., 99 ff., 108, 116 Auslegungsgewichtung 101 ff., 193 Baurechtsgutachten 81, 88 Beidseitigkeit der Kompetenzverteilung 33 ff. Bundesstaatsprinzip 34, 36; siehe auch Kompetenzausübungsschranke Bundestreue siehe Kompetenzausübungsschranke Doppelkompetenz siehe Konkurrenz Doppelzuständigkeiten siehe Konkurrenz dynamische Verweisung 183 ff. echte Konkurrenz 133

Einheit der Rechtsordnung siehe Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung Erforderlichkeit 43 ff., 237 erschöpfende Regelung siehe abschließende Regelung Föderalismus 13 f., 74 Gesetzesbindung 187 gesetzestechnische Einheit 50 Gesetzgebungskompetenz – Abweichungskompetenz 16 f., 132, 163 ff., 240 ff. – ausschließliche 15, 33, 44, 77 – konkurrierende 15, 41, 232 f. Gesetzgebungszuständigkeit 23; siehe auch Gesetzgebungskompetenz Heterogenität 130 Hoheitsträger 40; siehe auch Kompetenzträger Idealkonkurrenz 112, 133, 139 Identität 129 implied powers siehe ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz Interferenz 131 janusköpfiges Gesetz 133, 140, 242 ff. kommunale Verpackungssteuer 146 ff., 245 Kompetenz siehe Gesetzgebungskompetenz Kompetenzausübungsschranke 259 ff. – Bundestreue 261 ff. – Verhältnismäßigkeit 271 ff.

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Sachverzeichnis

Kompetenzdelegation siehe Kompetenzübertragung kompetenzielle Kontinuität 69 kompetenzielle Qualifizierung 22 ff., 39, 106, 110, 123 Kompetenzkollision siehe Konkurrenz Kompetenzkonkurrenz siehe Konkurrenz Kompetenzordnung 15 f., 92, 94 f. kompetenztitelinterner Konflikt 133, 138 f. kompetenztitelübergreifender Widerspruch 133, 138 Kompetenzübertragung 179 ff. Kompetenzvermutung 193 Kompetenzverzicht 182 ff. Kompetenzzuordnung siehe Zuordnung Konfliktkonvergenz 72 Konkurrenz 40 ff., 117, 129 ff. – Auslegungskonkurrenz 40, 43, 88, 142 ff., 204 ff., 275 ff. – Doppelkompetenz 40, 88, 133 ff., 206 ff., 279 ff. Konkurrenzauflösung 22 f., 87 f., 106 ff., 117, 171 ff. – Auflösungskriterien 124, 171 ff. Konzeptionierung durch Regelungsverzicht 153 ff. Kooperation 175 ff., 240 ff. Koordination 175, 189 Koordinationsabsprache 176 Ladenschluss 114, 134, 292 ff. lex posterior 211 f. lex specialis 210 ff. lex superior 212 Mehrfachkompetenz 40 mitgeschriebene Gesetzgebungskompetenz siehe ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz Mosaikkompetenz 44 Nichtigkeitsdogma 155 Normkollision 133, 135 ff.

– primäre 133, 135 – sekundäre 133, 136 Normkonflikt 133, 136, 138 Normkonkretisierungskonflikt 143 Normzweck 53, 69, 106, 111 offene Konkurrenz 131 ff., 163 ff. Primat der Auslegung 53, 206; siehe auch Auslegung Problemanalogie 72 Rauchverbot 279 ff. Realkonkurrenz 133, 139 Regelkonflikt 133, 138 Regelung mit Doppelnatur 133, 140 Residualkompetenzen 33 ff., 37 richterliche Selbstbeschränkung 96 Sachverhalt 24 Scheinkonkurrenz 109, 115 f., 124, 144, 163, 209 f., 222, 244 Schwangerenhilfeergänzungsgesetz 42, 151 ff., 245, 289 ff. Selbstbindung siehe richterliche Selbstbeschränkung Sinnkongruenz 72 Sonderrechtstheorie 107, 119 Sondervotum 55 Sperrwirkung 42; siehe auch abschließende Regelung Staatsvertrag 175 ff. Statusrechte 143, 205, 275 f. stillschweigend mitgeschriebene Kompetenz siehe ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz Subordination 130 Theorie der Doppelkompetenz 250 f. Theorie der Doppelzuständigkeit 216, 222 f.

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Übermaßverbot 271; siehe auch Verhältnismäßigkeit ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz 49, 64, 77 ff.; siehe auch Auslegung – Annex 64, 82 ff. – kraft Natur der Sache 64, 85 – kraft Sachzusammenhangs 64, 81 f.

verfassungsgemäße Ordnung 54 Verhältnismäßigkeit siehe Kompetenzausübungsschranken Vermutungswirkung 33, 101, 105, 108, 193 ff. Vernichtbarkeitslehre 42, 157 Verwaltungsabkommen 176 f. Vorverständnis 25 f.

Verbandskompetenz 23 verborgene Konkurrenz 131 ff. Verfassungsauslegung siehe Auslegung von Verfassungsrecht Verfassungsinterpretation 55; siehe auch Auslegung von Verfassungsrecht

widersprüchliche Regelungskonzeption 132, 144 ff., 244 ff. Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 150, 245 ff. Zuordnung 24, 106, 117 ff.