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German Pages 522 [520] Year 2014
Gabriele Dietze Weiße Frauen in Bewegung
| GenderCodes | Herausgegeben von Christina von Braun, Volker Hess und Inge Stephan | Band 2
Gabriele Dietze (PD Dr.) arbeitet in der DFG-Forschergruppe »Kulturen des Wahnsinns« an der Humboldt-Universität zu Berlin und lehrt Cultural und Gender Studies.
Gabriele Dietze
Weiße Frauen in Bewegung Genealogien und Konkurrenzen von Race- und Genderpolitiken
Die Publikation wurde vom Graduiertenkolleg der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) »Geschlecht als Wissenskategorie« (Humboldt-Universität zu Berlin) gefördert. Gefördert durch den Gleichstellungsfonds der Philosophischen Fakultät I der Humboldt Universität zu Berlin
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© 2013 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Gabriele Dietze Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-517-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Vorwort | 9 Einleitung | 17
1. D IE S KL AVEREI DES G ESCHLECHTS Sphärenkämpfe | 45 1.1 1.2 1.3 1.4
Vorspiel | 45 Die Abolitionistin und die Separate Sphäre | 48 Der amerikanische Kompromiss | 53 Unaussprechliches | 57
Körperpolitik und Sklaverei der Ehe | 63 1.5 1.6 1.7 1.8
Moralische Körper und Hysterie | 63 Konversionen | 68 Die Ehe als Sklaverei | 74 Die griechische Sklavin | 78
Rechtsperson und Maskulinität | 84 1.9 Eine neue Analogie und ein neuer Antagonismus | 84 1.10 Sambo und die ›Daughters of Jefferson‹ | 89 1.11 Frederick Douglass und ›Manhood‹ | 92
2. H IERARCHIEN DER Z IVILISATION Die Darwinistische Wende | 101 2.1 2.2 2.3 2.4
Englische Spaziergänge | 101 Fatale Analogien | 102 Die neue Wissenschaft vom Menschen | 106 Sozialdarwinismus in der Kritik | 109
2.5 Wissenschaftlicher Rassismus | 113 2.6 Wissenschaftliche Misogynie | 118
Der weibliche Zivilisationsauftrag – Jane Addams und Charlotte Perkins Gilman | 128 2.7 Soziale Evolution und Sozialreform | 128 2.8 ›White Slavery‹ | 137 2.9 Tugend und Zivilisation | 143 2.10 Queering Jane Addams | 149
Die Bürde des Schwarzen Mannes – W.E.B. Du Bois und die Weiße Frau | 151 2.11 Race und Zivilisation | 151 2.12 Die weiße Frau als Zivilisationsagentur | 156 2.13 Blickverhältnisse | 160 2.14 Ein Weltuntergangsszenario | 163
3. P RIMITIVISTISCHE R ENAISSANCEN UND SEXUELLE M ODERNISMEN Fusionen | 175 3.1 3.2 3.3 3.4
Wilde Träume | 175 Mongrel Manhattan | 176 Neue Farben – Neue Körper | 180 Modernismus – Harlem Renaissance | 187
Sexualisierungen | 191 3.5 Sexueller Modernismus und Race | 191 3.6 Lynching und Familienschande | 198 3.7 Das ›Miscegenation‹-Tabu | 204
Primitivismus | 212 3.8 Negativabzüge | 212 3.9 Das Unbewusste und die Kunst | 219 3.10 Hilda Doolittles Primitivismus | 223 3.11 Amerikanische Schulden | 229
Gingertown – Geschlechterordnung der Harlem Renaissance | 235 3.12 Drei weiße Frauen | 235 3.13 ›Queering White Men‹ | 243
4. D AS M ASKULINITÄTSPROJEK T Die Erzählung der Ent-Mannung | 251 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Urszenen | 251 ›The Quest for Manhood‹ | 254 Der Rape-Lynching-Komplex | 257 Ausschließungssysteme | 262 ›Narrative of Emasculation‹ – Bigger Thomas | 266 Szenen einer Konditionierung – Ellisons ›Battle Royal‹ | 271 Baldwins Dilemma | 274
Erzählung der Ermannung | 277 4.8 ›I am a Man‹ | 277 4.9 Kulturelle Autorisierung – ›Nation of Islam‹ | 281 4.10 Vergewaltigung ist Politik mit anderen Mitteln | 285
›Victim Hero‹ – Spike Lees Filme | 287 4.11 ›Quest for Fatherhood‹ | 287 4.12 Der Diskurs von der ›Bedrohten Art‹ | 293 4.13 ›Performative Masculinity‹ und Patrilinearität | 296
5. ›S ECOND -W AVE -F EMINISM ‹ UND K ÖRPERPOLITIK ›Second-Wave-Feminism‹ und die Matrix von Race | 305 5.1 Gang-Banging | 305 5.2 Geborgte Rhetorik und vergessene Geschichte | 307 5.3 Geburt einer Metapher: Paternalismus und ›The South‹ | 313 Neuer Abolitionismus | 317 5.4 ›Freedom Summer‹ 1964 | 317 5.5 ›Race – Class – Gender‹ | 325 5.6 Nowhereland | 330
›Radical Feminism‹ – Sexismuskritik als Revolution | 333 5.7 SDS und ›Women Power‹ | 333 5.8 Shulamith Firestone – Recycling Eldridge Cleaver I | 337 ›Cultural Feminism‹ – Entwicklung einer Opferkultur | 340 5.9 Susan Brownmiller – Vergewaltigung als Meistermetapher | 340 5.10 Reycling Eldridge Cleaver II | 346
Austausch von Provokationen – Afroamerikanische Reaktionen | 348 5.11 Der Pfiff von Emmett Till | 348 5.12 Das Elend der Binarität – ›Advancing Luna‹ | 351
6. ›B L ACK -P OSTER -B OYS ‹ UND DIE GROSSEN T RIBUNALE ›Sexual Harassment‹ – Clarence Thomas | 359 6.1 Ein Mann wird geschlagen | 359 6.2 ›Hightech-Lynching‹ | 367 6.3 Anita Hill: Schriftlichkeit – Wörtlichkeit – Bildlichkeit | 376
›Date Rape‹ – Mike Tyson | 386 6.4 Ein Drama in drei Akten | 386 6.5 Ab- und Aufrechnungen – Black-Poster-Boys | 390
›Domestic Violence‹ – O.J. Simpson | 395 6.6 Ein Doppelmord und zwei Erregungsgemeinschaften | 395 Autobiographische Operationen – O.J. Simpson | 401 6.7 Erzählformen | 401 6.8 Frauenbilder in Schwarz und Weiß | 404 6.9 Männerbilder in Schwarz und Weiß | 409 6.10 ›White Male Noise‹ | 413
7. P OSTSCRIPT 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
Emanzipation oder Flexibler Liberalismus | 421 ›Hegemoniale Maskulinität‹ und Identity Performance Theory | 422 Der Feminitätsimperativ | 426 Race-Anrufungen | 429 Feminismus-Anrufungen | 432 Konkordanz der Anrufungen | 433
Filmographie | 441 Bibliographie | 443 Abbildungen | 493 Namensregister | 495 Sachregister | 505
Vorwort
In den Jahren 2007/2008 kämpften Hillary Rodham Clinton und Barack Hussein Obama in einem epischen Duell um die Nominierung zur demokratischen Präsidentschaftskandidatur. Viele Gründe wurden in die Debatte geworfen, wie es dazu kommen konnte, dass zwei Abkömmlinge diskriminierter Gruppen gleichzeitig erstmalig in der Geschichte der Vereinigten Staaten um das höchste Amt konkurrieren. Die Gender-Forscherin in mir amüsiert sich mit dem Gedanken, dass der politische und finanzielle Bankrott der Bush-Regierung dermaßen gründlich ausgefallen war, dass die Figuration ›Weißer Mann‹ im Allgemeinen in Misskredit geraten war, oder um es mit dem afroamerikanischen Comedian Chris Rock zu sagen: ›Bush fucked up so bad that he made it hard for a white man to run for president‹. Damit wäre ein historisches Momentum ausgemacht, in der eine Grundstruktur epistemischer Gewalt, die sonst unmarkierte Herrschaft des weißen Mannes, nicht nur erkannt, sondern auch – kurzfristig und probeweise, wie man an den Unisono-Verrissen der Obama-Jahresbilanz 2010 sehen konnte – de-autorisiert wurde. Der Vorwahlkampf eröffnete aber auch noch andere Dimensionen der Kandidatenpaarung. Schnell wurde erkennbar, dass beide nicht nur daraufhin überprüft wurden, wer die besseren Ideen zu Wirtschaftskrise, Staatsverschuldung, Immobiliencrash und Irakkrieg hatte, sondern der Diskurs ging zunehmend darum, ob Wähler und Wählerinnen eher einem Race- oder einem GenderEmanzipationsprojekt zugeneigt waren. Und in der Tat fädelten sich – zunächst zögerlich und dann zunehmend affirmativ – Clinton und Obama in die Geschichte der jeweiligen Emanzipationsbewegungen ein. »I could not stand here without the women’s movement«, proklamierte Clinton. Und Obama positionierte sich nach einigem Druck ebenfalls in der Geschichte von Abschaffung der Sklaverei, Dekolonisierung und Bürgerrechtsbewegung und forderte für die Vereinigten Staaten eine ›more perfect Union‹. Es ging in der Kandidatenkür also auch um lang überfällige Gerechtigkeit für weiße und für schwarze Frauen und für schwarze Männer. Und obwohl gleichermaßen berechtigt standen diese Projekte von Anfang an in Konkurrenz. Weder Obama noch Clinton haben erwogen, sich zu einem Team zu verbin-
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den und damit Kräfte zu bündeln. Als Obama die Vorwahl gewonnen hatte, hörte man aus manchen weiß-feministischen Kreisen häufig ein bitteres ›Race trumps Gender‹. Das führt mich zurück zu zwei ähnlich spektakuläre Auseinandersetzungen, die den Anstoß zu dieser Studie gegeben hatten.
Szene 1 1991 besuchte ich eine Krimi-Autorenkonferenz – Subsparte Privatdetektivliteratur – in Pasadena bei Los Angeles. Im Fernsehen wurde live ein Hearing ausgestrahlt, in dem der Senat die Eignung eines von Präsident Bush dem Älteren nominierten Kandidaten für das Amt eines Verfassungsrichters überprüfte. Noch nicht wissend, warum mich das interessieren könnte, geriet ich in der Fernseh-Lounge in einen hitzigen Geschlechterkampf. Der konservative afroamerikanische Bundesrichterkandidat Clarence Thomas war von der ehemaligen afroamerikanischen Mitarbeiterin Anita Hill der sexuellen Belästigung bezichtigt worden. Die weißen Männer in der Bar glauben an eine politische Intrige der demokratischen Opposition. Die weißen Frauen halten zur Anklägerin und rufen das eine über das andere Mal ›they just don’t get it‹. Am zweiten Tag des Hearings hat sich die Sitzordnung in der Lounge geschlechtssegregiert. Links sitzen die Frauen und rechts die Männer und starren sich feindlich an. Jenseits dieser Szene wird Anita Hill in der Öffentlichkeit von nationalen mehrheitlich weißen Frauenorganisationen unterstützt, um dem bis dato wenig anerkannten Phänomen der sexuellen Belästigung zu größerer nationaler Aufmerksamkeit zu verhelfen. In einer hochdramatischen Verteidigungsrede greift Clarence Thomas die Befragungsprozedur als ›High-tech Lynching‹ an. Die Stimmung von Öffentlichkeit und Senatsausschuss kippt mit diesem Bezug auf die grausame Vergangenheit von amerikanischem Rassismus zugunsten von Clarence Thomas. Die Nominierung des Richters wird bestätigt und die Belastungszeugin als Marionette ›weißer‹ Interessen beschimpft.
Szene 2 1994 verbringe ich einen Forschungsaufenthalt an der University of Chicago. Wieder sitzt die Nation gebannt vor einer sich über Monate hinstreckenden live Fernsehübertragung. Der berühmte afroamerikanische Footballspieler O.J. Simpson wird des Mordes an seiner weißen Ex-Frau und ihrem Freund angeklagt. Es ist bekannt, dass O.J. Simpson sie früher verprügelt hat. Der Prozess findet in Los Angeles statt, zwei Jahre nach einem Ghetto-Aufstand, der ausgebrochen war, weil weiße Polizisten trotz brutaler Übergriffe auf einen afroamerikanischen Autofahrer von einer weißen Jury freigesprochen worden waren. Im Prozess gegen den Sportler geht es nicht nur um den eigentlichen Fall, sondern auch entweder darum, ob einem schwarzen Mann in Los Angeles Gerechtigkeit widerfahren kann oder darum ob eine Geschichte von ›häusli-
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cher Gewalt‹ einen Verdächtigen zu einem wahrscheinlichen Gattenmörder macht. Die Staatsanwaltschaft wird von einer weißen proto-feministischen Frau vertreten, die Verteidigung von einem schwarzen Bürgerrechtsanwalt angeführt. Der Sportler wird nach einem zwei Jahre währenden – von großer Publizität begleiteten – Prozess freigesprochen u.a. weil deutlich wurde, dass ermittelnde weiße Polizisten sich rassistisch geäußert hatten und möglicherweise Beweise gefälscht haben. Sprecherinnen der (weißen) Frauenbewegung NOW sind außer sich. Zur Urteilsverkündung sitze ich mit hunderten weißen Jurastudenten in einem Hörsaal. In die entsetzte Stille nach dem Spruch platzt ein Jubelschrei des schwarzen Hausmeisters. Nach einem panischen Blick auf das Auditorium ergreift er die Flucht. Noch Wochen nach der Urteilsverkündigung kann man im Fahrstuhl meines ›integrierten‹ Hochhauses die Luft schneiden, wenn der Zufall afroamerikanische und weiße Mieter in einer Kabine zusammenführt. Sowohl fasziniert wie irritiert sah ich als Europäerin diesem Schauspiel zu. Schnell wurde offensichtlich, dass die Leidenschaften des Tages weit in die Vergangenheit reichten. Die berühmten hier aufgeführten afroamerikanischen Sportler, Juristen und Politiker sind Ur-Ur-Enkel von Sklaven oder kolonisierten Völkern. Die weißen (und schwarzen) Karrierefrauen, die ihnen auf der nationalen Bühne gegenübertreten, hätten vor fünfzig Jahren noch keine Abschlüsse an renommierten juristischen Fakultäten machen können. Vor neunzig Jahren hätten sie noch kein Wahlrecht gehabt. Es hat hundertfünfzig Jahre harter ›Verhandlungen‹ bedurft – darunter manifeste und latente Bürgerkriege und Kulturrevolutionen –, um die hier auftretenden Figurationen zu ihrer heutigen Perfektion zu bringen. Alle drei Ereignisse – das Senatshearing 1991, der O.J. Simpson-Prozess 1994 und der amerikanische Vorwahlkampf Clinton/Obama 2008/2009 – berühren neuralgische Punkte des amerikanischen Selbstverständnisses: Die Frage, ob das vom Supreme Court überwachte Gleichheitsversprechen der amerikanischen Verfassung eingelöst wird (Abtreibung und Affirmative Action standen zur Neuverhandlung), die Fragilität des sozialen Frieden in einer ethnisch diversen Gesellschaft nach den L.A. Riots, die Frage, ob die Vereinigten Staaten von Amerika von einer weißen Frau oder einem schwarzen Mann repräsentieren werden können und wenn, von wem von beiden. In allen drei Auseinandersetzungen geht es um ›Gerechtigkeit‹. Unter großer Anteilnahme der Medienöffentlichkeit geben die exemplarischen ›Urteile‹ des Senats, der Geschworenen und der Wähler und Wählerinnen Auskunft über den Verhandlungsstand von ›Gerechtigkeit‹ für die jeweils angesprochenen Gruppen – weiße Frauen, schwarze Frauen und schwarze Männer. Die Verursacher der ›Ungerechtigkeiten‹ sind weiße Männer: Eine Nominierungskommission mit ausschließlich weißen Senatoren, rassistische weiße Polizisten in Los Angeles,
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ein abzuwählender weißer republikanischer Präsident. Trotzdem treten nicht die wirklichen Konfliktpartner gegeneinander an. Statt dessen werden, wie Linda Willams schreibt ›Melodramas in Black and White‹ aufgeführt, in dem als Antagonisten ›emanzipierte‹ weiße oder schwarze Frauen und männliche Protagonisten der neuen schwarzen Mittelklasse aufeinandertreffen, oder anders ausgedrückt ›Race‹ und ›Gender‹ gegeneinander verhandelt werden. Warum aber stehen die Veteranen und Kinder der Civil Rights-Bewegung und der Women’s Liberation in Konkurrenz? Warum verwickeln sie sich in spektakuläre Stellvertreterkämpfe? Und welchen besonderen Reiz hat diese Paarung für ein amerikanisches Publikum, das immer wieder nach dieser Besetzung zu verlangen scheint? Als Genderforscherin sah ich hier eine Möglichkeit, einem sensiblen und überdeterminierten Feld, dem Interface von Race- und GenderEmanzipationsdiskursen, nachzugehen und deren Reibungsflächen historisch zurückzuverfolgen. Es eröffnete sich dabei die Möglichkeit, einem sowohl politischen als auch epistemologischen Konflikt, der die Gender-Studies seit ihrer Institutionaliserung begleitet hatte, an zeitgenössischen und historischem Material durchzuarbeiten, nämlich der ›Intersektionalität‹ von Race und Gender und – wie sich im Laufe der Untersuchung unabweisbar aufdrängen wird – weiterer ›Szenen der Ungleichheit‹ wie Klasse/Schicht/Kaste/Sexualität/Lokalität/ Nation/Alter. Es zeigte sich dabei einerseits die Notwendigkeit zu ›integrierten‹ Forschungsperspektiven andererseits warf die Studie auch immer wieder Fragen auf, ob die verhandelten Konflikte tatsächlich um Race und Gender oder um Race gegen Gender gingen, oder ob beide Kategorien nur in den Vordergrund geschoben wurden und werden, um andere gesellschaftliche Gerechtigkeitsfragen nicht aufkommen zu lassen. Was als zunächst übersichtlich erscheinendes Projekt begann, nämlich an einem klar umrissenen Gegenstand – US-amerikanischen Emanzipationsdiskursen – eine integrierte Studie über die Beziehung und Verwobenheit der Diskriminierungsformen und Erkenntnisperspektiven zu schreiben, fing an zu wuchern und sich zu verkomplizieren. Um die Jahrtausendwende war auch an deutschen Universitäten die friedliche aber meist folgenlose Insistenz der Cultural Studies, über ›Race, Class und Gender‹ nachdenken zu wollen, in den politischen Forschungs- und Lehr-Alltag eingebrochen und war entsprechend konfliktreich verhandelt worden. Immer neue und inspirierende Forschungsdesigns wie Critical Race-, Critical Whiteness-, Masculinity-, Queer- und Postcolonial Studies erforderten Re-Organisation und Neuperspektivierung des Feldes. Die als Materialstudie geplante Untersuchung erforderte immer mehr theoretischen Einsatz und Initiative (siehe Einleitung). Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf und die Amtsübernahme des ersten schwarzen Präsidenten war dann der lange nötige und willkommene ›Cut‹, der das Projekt unter der Devise ›wann, wenn nicht jetzt‹ zum Abschluss drängte. Auf dem Weg dahin hat Weiße Frauen in Bewegung viel Unterstützung, Er-
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mutigung und Herausforderung erfahren. Ich beginne mit dem Offensichtlichsten, dem akademischen Format einer Habilitation. Winfried Fluck vom John F. Kennedy Institut für Amerikastudien (JFK) der Freien Universität, Berlin, hat eine solche angeregt, ihre Anfänge kritisch begleitet und zur Förderung im DFG-Graduiertenkolleg ›Democracy in America‹ vorgeschlagen. Am JFK hat insbesondere Sabine Sielke diverse Präsentationen der Studie kommentiert und weitergebracht. Die Künstlerförderung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Wiepersdorf war so unorthodox, unter vielen Dichtern, Musikern und Bildhauern einer Wissenschaftlerin ein halbes Jahr ungestörtes Nachdenken in Brandenburgischem Schloss und Wald zu gewähren, in dem das Projekt skizziert und damit ein Antrag für ein Habilitationsstipendium ermöglicht wurde. Für die Vermittlung eines Forschungsaufenthalt am W.E.B. Du Bois Institute for African and African American Research an der Harvard University ist Werner Sollors zu danken und der Harvard-Law-Bibliothek, deren tiefe Teppiche und unerschöpfliche Archive mir eine gründliche Recherche zum O.J. Simpson-Prozess komfortabel machten. Die Humboldt Universität zu Berlin gab dann dem Projekt endgültig Heimat, zunächst in Form eines Habilitationsstipendiums, später mit einer Anstellung. Zentral war dabei Renate Hof, die Mentorat des Projekts großzügig und kreativ übernommen hat, und mich mit ihrer unnachahmlichen Technik des leisen aber persistenten Nachfragens vor mancher allzu forschen Spekulation bewahrt hat. Christina von Braun war meine erste Förderin und Diskussionspartnerin an der Humboldt Universität und hat mich weit über das konkrete Arbeitsprojekt hinaus theoretisch und persönlich beeinflusst und zu mancher Heterodoxie angeregt, wofür mein tiefempfundener Dank gilt. Dem Leipzig-Berlin Promotions- und Habilitationskolloquium für Amerikanisten und Amerikanistinnen habe ich viele Anregungen zu verdanken besonders von Dorothea Löbbermann, Michael Wachholz, Heike Paul, Gesa von Mackenthum, Anne Koenen und Günter Lenz, wovon letzterer die Arbeit auch in einer Art und Weise begutachtet hat, in der ich mich ›verstanden‹ fühlte. Sabine Broecks lebenslange Auseinandersetzung mit afroamerikanischem Feminismus war mir in Wort und Schrift eine ständige Korrektur und Inspiration, die weit über den Rahmen einer Qualifikationsarbeit hinausgeht. Kerstin Palm hat mich mit ihren tiefenscharfen Kenntnissen zu feministischer Naturwissenschaftsforschung vor etlichen Irrtümern bewahrt. (Für die verbliebenen bin ich natürlich allein verantwortlich.) Die Institution Universität ist eine Sache. Kooperation, Streit und Kritik jenseits von Karriereschienen ist ebenfalls unverzichtbar. Das Projekt wäre ohne eine außeruniversitäre, transdisziplinäre Diskussionsgruppe, ›Berliner 7‹ genannt, wahrscheinlich wesentlich unidifferenzierter geworden. Die AmerikanistInnen Karin Esders, Klaus Milich und Sieglinde Lemke, Soziologin Sabine Hark und die Kulturwissenschaftlerinnen Dorothea Dornhof und Astrid Däu-
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ber Mankowsky haben über Jahre fertige Kapitel eingefordert und sich zusammen mit ausgezeichneten Abendessen dem Marx’schen Dictum folgend zwar nicht dem ›Morgens Fischen, Mittags Jagen‹ verschrieben aber der Tätigkeit des ›nach dem Essen Kritisierens‹ leidenschaftlich zugewandt. Das im Entstehen begriffene erste deutsche Grund-, Haupt- und später Promotionsstudium ›Gender-Studies‹ an der Humboldt Universität versorgte mich dann mit den Herausforderungen und Konflikten, die eine Implementierung eines Intersektionalitätsdenkens in einem Fach, das strukturell auf Identität ›Frau‹ ausgerichtet war, auszuhalten hatte. Verschiedene Arbeitszusammenhänge (Arbeitsgruppen, Co-Teaching Seminare, Projektanträge, das Graduiertenkolleg ›Gender als Kategorie des Wissens‹, Symposien und Konferenzen) zu Whiteness/Okzidentalismus, Intersektionalität/Interdependenz, Queer Theorie und postkolonialen Studien vertieften das Projekt und erzwangen – durchaus mit ›Kampf, Kritik und Umgestaltung‹ – neue Differenzierungen. Hier bin ich einer großen Gruppe von Menschen zu Dank verpflichtet, die ich zwar in alphabetischer Reihenfolge aufzähle, denen ich aber jeweils sehr besondere Einflüsse und Anregungen verdanke: Susanne Bär, Manuela Boatcă, Beate Binder, Claudia Brunner, Rey Chow, Sergio Costa, Fernando Coronil, Antke Engel, Susanne von Falkenhausen, Inderpal Grewal, Elahe Haschemi Yekani, Antje Hornscheidt, Jana Husmann-Kastein, Ina Kerner, Anne Koch-Rhein, Sara Lewis, Isabel Lorey, Beatrice Michaelis, Ilona Pache, Annette Schlichter, Stefanie von Schnurbein, Inge Stephan, Hortense Spillers, Simon Strick, Katharina Walgenbach, Desirée Zwanck und den Gender-Graduiertenkollegs in Trier, Frankfurt a.M., Hamburg, Oslo und Basel, mit denen ich verschiedene Fassungen von Kernthemen diskutieren konnte. Eine besondere Funktion hatte Carsten Junkers, dessen Interesse an der Publikation der Arbeit (weil er sie in seiner eigenen Promotion zitieren wollte) so intensiv war, dass er mich mit einem Korrekturdurchgang des schon etwas länger liegenden Manuskriptes überraschte und neu motivierte. Unschätzbar war dann die Möglichkeit bei zwei Max Kade Gastprofessuren in den USA, an der University of Virginia, Charlottesville, 2008 und an der Columbia University, New York, 2009, das Projekt mit amerikanischen Kollegen zu diskutieren, hier danke ich besonders Beth Björklund, Dorothea von Mücke und Andreas Huyssen. Wichtig war auch, den amerikanischen Wahlkampf vor Ort mitzuerleben und damit mein Projekt an das Erlebnis von Tagespolitik anzuschließen und noch einmal Gebrauch vom ausgezeichneten amerikanischen Bibliothekswesen zu machen. Laila Huber hat mit Lust, Akribie und Geduld redaktionelle und bibliographische Arbeit geleistet. Edith Wenzel, mit der ich über das Graduiertenkolleg ›Geschlecht als Kategorie des Wissens‹ gemeinsame Konferenzen und Bücher verbunden bin, hat es dankenswerterweise auf sich genommen, ihren in der mediävistischen Philologie geschulten Fehlersuchscheinwerfer auf die letzte
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Fassung zu richten und ihre eigenen amerikanischen Erfahrungen mit den meinen abzugleichen. Als Feministin ist es mir zur zweiten Natur geworden, das Private politisch zu sehen und die Wissenschaft persönlich zu nehmen. Deshalb widme ich das Buch Gerd Grözinger. An seinem permanenten Widerspruch – und der betraf nicht nur Geschlechterfragen – konnte ich meine Argumente schärfen. Trotz, wegen und jenseits von produktivem Dissenz half er mir über diverse Prekariate, Schaffenskrisen und epistemische Zweifel hinweg. Er hat nicht nur ironiefrei die im Laufe der Jahre etwas leiser werdenden Ankündigungen ›nun bin ich aber wirklich fertig‹ geglaubt, sondern er hat sich sogar – dann und wann – überzeugen lassen. Berlin, 12.04.2012
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Einleitung
Feldvermessung Die USA waren die historisch erste bürgerliche Demokratie (1776), die ihre Verfassung an eine naturrechtliche Vorstellung von menschlicher Gleichheit koppelte. Zur selben Zeit waren sie der Schauplatz des historisch am längsten tolerierten und – nach Auffassung vieler Historiker – grausamsten Sklaverei-Systems innerhalb einer abendländischen modernen Gesellschaft.1 Diese Gleichzeitigkeit von Sklaverei und Demokratie und das daraus entstehende Legitimationsproblem hat anhaltende Spuren im amerikanischen politischen Unbewussten hinterlassen und den nationalen Kollektivkörper geprägt.2 Die afroamerikanische Nobelpreisträgerin Toni Morrison stellt in ihrem berühmten Essay »Playing in the Dark« die These auf, dass das US-amerikanische Freiheitsethos durch die Sklaverei bedingt sei. Die Radikalität eines historisch erstmalig durchgesetzten Menschenrechtskanons habe sich an den Fußeisen und Ketten unfreier Arbeitssklaven, an einem sogenannten ›Africanism‹, geschärft: »The rights of Man […] an organizing principle upon which the nation was founded, was invariably yoked to Africanism. Its history, its origin is permanently allied with another seductive concept: the hierachy of race. […] The concept of freedom did not emerge in
1 | Es dauerte fast hundert Jahre nach Gründung der Republik, bis die USA nach dem Bürgerkrieg 1865 mit dem 13. Amendment zur Verfassung die Sklaverei abschaffte. Im Mutterland England war die Sklaverei schon 1807, 1821 in den meisten südamerikanischen Staaten und 1829 in Mexiko aufgegeben worden. Die englischen Kolonien folgten 1838 und die französischen 1848. Allein Brasilien konnte erst nach der Unabhängigkeit von Portugal 1888 die Sklaverei beseitigen. 2 | Zu der Kategorie des ›Political Unconscious‹ siehe Jameson 1981, 45. Zur Vorstellung eines ›Kollektivkörpers‹ siehe Braun 2001, 291f.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG a vacuum. Nothing highlighted freedom – if it did not in fact create it – like slavery.« 3 (Meine Kursivierung)
Freiheit und Sklaverei sind nach Morrison nicht nur durch ein gemeinsames Joch (Yoke) zusammengefesselt, sondern dieses Gespann ›verführt‹ auch zur Hierarchie von weiß und schwarz. Bemerkenswert findet sie dabei nicht nur die innere Verbindung von Demokratie und Sklaverei, sondern auch das völlige Ausblenden dieser geistigen Geburtshilfe im politischen Bewusstsein der Nation: »It requires hard work not to see this«, (17) schreibt die Autorin. Michael Rogin hat diese kulturelle Struktur des ›motivierten Verleugnens‹ (motivated Forgetting) »political amnesia« genannt (Rogin 1993, 506f.) und Sabine Broeck bringt die Struktur mit ihrem Buchtitel White Amnesia auf den Punkt (Broeck 1999). Die Ungeheuerlichkeit eines Sklaverei-Systems inmitten in einer demokratisch verfassten Nation beunruhigte auch Zeitgenossen. Religiös und ethisch motivierte Gruppen organisierten sich für die Abschaffung der leibeigenen Zwangsarbeit in der Abolitionsbewegung. Auffällig viele weiße Frauen engagierten sich für die Sache. Dieses politische Projekt traf offensichtlich einen Nerv ihrer eigenen Existenz. 1848 riefen einige dieser Abolitionistinnen die 4 erste kontinuierliche Frauenrechtsbewegung der westlichen Welt ins Leben. Genauso wie die amerikanische Demokratie im Allgemeinen verdankt auch die amerikanische Frauenbewegung im Besonderen ihre Existenz einer Auseinandersetzung mit der ›afrikanistischen Präsenz‹. Weiße Frauen entwarfen ihre Forderungen in Analogie und im Austausch mit dem Kampf um Sklavenbefreiung. So sprach die Abolitionistin, die dabei war, sich zur Frauenrechtlerin zu wandeln, von der ›Sklaverei des Geschlechts‹ (Slavery of Sex). Aber auch der ehemalige Sklave und Abolitionismus-Agitator Frederick Douglass fasste seinen Befreiungswunsch in geschlechtliche Kategorien: »You have seen how a man was made a slave; you shall see how a slave was made a man« (meine Kursivierung) (Douglass 1968, 107). Frauenrechtsgruppen und Race-Emanzipation bildeten sich nicht nur analog, sondern von Anfang an auch antagonistisch. Beide Bewegungen gerieten früh in Konkurrenz zueinander. Im Zuge der Sklavenbefreiung erhielten schwarze Männer 1865 volle Bürgerrechte. Damit hatte eine große Anzahl nicht-weißer, männlicher Menschen wesentlich früher als in allen vergleichbaren westlichen Gesellschaften formal gleiche Rechte mit allen anderen Staats3 | Morrison 1992a, 38. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 4 | Der erste ›Bewegungsversuch‹ jenseits von Einzelpamphleten fand in der Französischen Revolution statt und ist mit der Person von Olympe de Gouges verknüpft, die schon damals Bürgerrechte fordert. Die Bewegung versandet aber in diversen politischen Umbrüchen Frankreichs und kann erst spät im 19. Jahrhundert wieder aufgenommen werden. Siehe Scott 1997, 5f.
E INLEITUNG 5
bürgern außer weißen und schwarzen Frauen. Die Frauenrechtlerinnen hatten sich vor dem Bürgerkrieg für ein ›Universal Suffrage‹ (Wahlrecht für schwarze Männer und alle Frauen) eingesetzt. Als dann mit dem 15. Amendment das erweiterte Wahlrecht nur männlichen (schwarzen) Staatsbürgern (Male Citizens) verliehen wurde, brach die Metaphorik von der gemeinsamen Sklaverei zusammen. Bei den Frauenrechtlerinnen machte sich Erbitterung breit, und ihre demokratischen Forderungen räumten mehr und mehr einem sich rassistisch zu6 spitzenden Diskurs von weiß/weiblicher Zivilisationsüberlegenheit das Feld. Unter ›Diskurs‹ wird hier im Sinne Michel Foucaults eine geregelte Verknüpfung von Aussagen und Formationen verstanden. Wenn von Race- oder Gender-Diskursen die Rede ist, meint das die Verbindung von Aussagen, die im herrschenden Diskurs über Race und Gender im Umlauf sind. Nun wird in diesem Text hauptsächlich von Emanzipationsdiskursen die Rede sein, also Gegendiskursen zu den herrschenden sinnstiftenden Bedeutungsstrukturen. Darunter sind die Formationen von Widerstand und Ermächtigung von diskriminierten Gruppen gemeint. Wie jedoch zu sehen sein wird, sind auch die Gegendiskurse an die herrschenden gebunden. Foucault rät, einen genauen Blick auf Widerstandsdiskurse zu werfen: »[…] um zu verstehen, worum es bei Machtverhältnissen geht, sollten wir vielleicht die Widerstandsformen und die Versuche der Auflösung dieser Verhältnisse untersuchen« (Foucault 1982, 245). Diese Anregung aufnehmend beschäftige ich mich in zweifacher Hinsicht mit Widerstandsdiskursen: Ich beschreibe sowohl ihre strategische Position im Geflecht von Machtdiskursen, als ich auch nach darüber hinausgehenden ›Widerstandspunkten‹ suche, »die sich verschiebende Spaltungen in eine Gesellschaft einführen, Einheiten zerbrechen und Umgruppierungen vornehmen, die Individuen selber durchkreuzen, zerschneiden und umgestalten« (Foucault 1983, 177). Die Studie Weiße Frauen in Bewegung berührt mehrere ›Widerstandspunkte‹ weißer amerikanischer Frauen-Emanzipationsdiskurse: Sie beginnt mit dem Abolitionismus, widmet sich dann den ›progressiven‹ weißen Reformerinnen der Jahrhundertwende, macht einen Ausflug zu den Lebensstil-Revolten der 5 | Vergleichbare Kolonialgesellschaften hatten zwar die Sklaverei abgeschafft, aber nicht den kolonisierten Status nicht-weißer Bevölkerungen. Anders als die weißen USAmerikaner mit republikanischer und demokratischer Verfassung standen sie nicht vor der Notwendigkeit, ihre vorherigen Sklaven auf einen Schlag zu gleichwertigen Mitbürgern machen zu müssen. 6 | Die Erinnerung an diese Demütigung reicht weit. Im Wahlkampf 2009 schrieben die Afroamerikane rin Crenshaw und die Weiße Eve Ensler gemeinsam ein Manifest gegen die »Either/Or-Feministinnen«, die gegen Obama mit dem Hinweis, dass schwarze Männer zuerst das Wahlrecht bekommen hätten, agitierten und propagierten, dass weiße Frauen nun ›dran‹ seien. http://www.huffingtonpost.com/kimberle-crenshaw-and-eveensler/feminist-ultimatums-not-_b_85165.html, abgerufen am 27.01.2010.
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New Women des Jazz Age, um dann beim Second Wave Feminism der siebziger Jahre und den spätmodernen Identitätspolitiken der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts zu landen. Ein Postscript um den Vorwahlkampf zwischen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und Hillary Clinton beschließt die Studie. Der Titel Weiße Frauen in Bewegung indiziert, dass der Fokus der Untersuchung auf weiße Feministinnen gerichtet ist. Eine solche Studie wäre ohne die epistemologische Herausforderung afroamerikanischer Theoretikerinnen zum Problemfeld nicht möglich. Die Soziologin Deborah K. King spricht gegen den Binarismus einer entweder/oder-Position (either/or) und für die Notwendigkeit einer ›beide/oder-Position‹ (both/ or), in der sowohl die Perspektive ›Frau‹ als auch die Perspektive ›schwarz‹ eingenommen wird. Diese Position befindet sich gleichzeitig außerhalb beider Kategorien, denn sie versteht sich weder als die Summe von beiden noch als eine neue qualitative Essenz. Eine solche beide/oder-Perspektive soll die Studie fortwährend kommentieren und durchkreuzen. Eine solche Perspektive kann von einer weißen Wissenschaftlerin nicht eingenommen werden, wie das verräterische Wort nahelegt. Deshalb werden afroamerikanische Theoretikerinnen als ständiges Korrektiv konsultiert. Ebenso wie Toni Morrisons Ausführungen zur ›Africanist Presence‹ den Startpunkt der Untersuchung markiert haben, werden später Ida B. Wells, Alice Walkers und Valerie Smiths Interventionen zu Race-Gender-Verhältnissen die Untersuchungsperspektive leiten. Die Überlegungen zu den sexualpolitischen Tribunalen der Neunziger wie dem Thomas/ Hill-Hearing und dem O.J. Simpson-Prozess sind ebenfalls von Toni Morrison angestoßen worden und stützen sich in den Einzelanalysen auf Theorien von Kimberlé Crenshaw, Hortense Spillers und Ann duCille. Eine afroamerikanischweibliche Präsenz ist so gesehen nicht Gegenstand der Analyse, aber die Bedingung ihrer Möglichkeit, oder anders ausgedrückt: »multicultural feminism [is] a situated practice within complicated and constitutively related histories and communities, open to mutual illumination« (Shohat 2006a, 12). Die Positionen der weißen amerikanischen Frauenbewegung schwanken im Laufe der betrachteten Periode 1848 bis zum Jahrtausendende zwischen kühnen Deloyalisierungen gegenüber ihrer Herkunft und komplizenhafter Einbindung in den strukturellen Rassismus der weißen Suprematie. Man denke einerseits an ›illoyale‹ Töchter von Sklavenhaltern und Abolitionistinnen wie Sarah und Angelina Grimké, oder die Millionenerbin Nancy Cunard, die 1934 eine bedeutende Anthologie zu den kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen schwarzer Menschen erstellte. Andererseits forderten weiße Frauenrechtlerinnen der Südstaaten das Wahlrecht mit dem Argument, auf diese Weise eine Mehrheit gegen die schwarzen Stimmen erzeugen zu können. Die berühmte Feministin Charlotte Perkins Gilman entwarf einen Plan zur Internierung schwarzer Menschen in Arbeitslager zum Kanalbau, bis sie ›reif‹ genug zur Teilnahme an der Zivilisation seien.
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An diesen Beispielen ist zu sehen, dass die vorwiegend weiße US-amerikanische Frauenbewegung ununterbrochen strukturell mit den jeweiligen Diskursen von Race etwa vom afroamerikanischen Abolitionismus, vom NAACP, über die Bürgerrechtsbewegung und ›Black Power‹ der sechziger bis zum ›New Radicalism‹ der neunziger Jahre befasst und verflochten war. Wie im Folgenden entwickelt wird, zeigt sich jedoch eine gewisse Asymmetrie der Bezüglichkeit. Während die weißen amerikanischen Frauenbewegungen sich bislang immer an einem ›Afrikanismus‹ abgearbeitet haben, reagiert der Race-Gerechtigkeitsdiskurs nicht mit der gleichen Intensität und Neigung zur Analogisierung auf Frauen-Emanzipation. Das ändert sich aber dann, wenn es um Sexualpolitik wie ›Miscegenation‹ (Race-Mischung), Lynching und sexualisierte Gewalt geht. So gesehen kann man von einer ›gegenseitigen Artikulation‹ beider Emanzipationsbewegungen sprechen, »die sich gegeneinander verschieben, widerspre7 chen, unterlaufen oder verstärken können«. Der Begriff der ›gegenseitigen Artikulation‹ kann nicht als Geschichte des ›Fortschritts‹ erzählt werden. Bis in jüngste Zeit hat der organisierte weiße Feminismus immer wieder universalistische und problematische Positionen gegenüber anderen Diskriminierungsformen eingenommen. Und auch große Teile des Race-Emanzipationsdiskurses basieren auf Ausgrenzungen und ›konstitutiven Ausschlüssen‹ von schwarzen und weißen Frauen. Was aber versucht werden soll, ist mit einer Dekonstruktion der Fortschrittsgeschichte zu einer neuen Form (weiß)feministischer Selbstreflektion beizutragen. Um Narrative des Fortschritts zu unterbrechen, muss man, wie Foucault sagt, die »Naivität der Chronologie« auflösen (Foucault 1981, 128). Damit verschiebt sich die Perspektive von den Akteuren der Emanzipationsdiskurse zu den Umständen, die sie zu solchen machten. Geht man so vor, wird nicht mehr danach gefragt, was Race und Gender für Auswirkungen haben, sondern danach, warum geschlechtliche und Race-Differenzen immer wieder neu erfunden und leidenschaftlich behauptet werden. Diese veränderte Fragestellung beruht nach Joan Scott auf einer dreifachen Re-Konzeptualisierung des Gegenstandes historischer Forschung: »[Die] erste begreift Diskontinuität – und nicht Kontinuität oder lineare Entwicklung – als operatives Prinzip der Geschichte. […] [die] zweite thematisiert nicht die Herkunft von Differenz, sondern Prozesse der Differenzierung. Und [die] dritte historisiert das
7 | Der Begriff der ›gegenseitigen Artikulation‹ ist eine programmatische Formulierung aus dem Editorial der Zeitschrift Femina Politica des Schwerpunktheftes ›Queere Politik‹ »Kreuzweise queer« (Engel/Schulz/Wedl 2005, 12). Zur theoretischen Dimension des Begriffs der ›Artikulation‹ für die Darstellung von Intersektionalitäten von Race, Gender und Sexualität, siehe S. 35-37.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG Interpretieren, indem es nicht als schädliche Verzerrung der Objektivität, sondern als eigentliche Quelle von Wissen verstanden wird.« (Scott 1997, 15)
Eine Perspektive, die »das Interpretieren historisiert« stellt nicht in den Vordergrund der Untersuchung, warum (weiße) Frauenemanzipation und schwarze Race-Befreiungsdiskurse welche Konflikte haben und wer schuld an der Diskriminierung von wem hat. Stattdessen wird danach gefragt, welche Funktion es hat, wenn sich in den USA Gerechtigkeitsprobleme als Konflikte zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern darstellen. Insofern geht es mir in dieser Untersuchung nicht um die Enttarnung und Beurteilung von Rassismen 8 in der amerikanischen Frauenbewegung und von Sexismen im Race-Diskurs. Obwohl nicht bestritten werden soll und kann, dass Emanzipationsdiskurse einander diskriminieren, liegt der Schwerpunkt der Erkundung darauf, wie, wo, warum, und wann und in welchen Wissensordnungen solche Ressentiments herausgebildet werden und – vor allem – wem sie nutzen. 9 Trotz dieser Bevorzugung genealogischer Betrachtung ist die Zeitfolge nicht 8 | Eine Vielzahl von Studien befassen sich mit Rassismen und Sexismen innerhalb von weißen und schwarzen Frauen- und Race-Befreiungsdiskursen: zum Rassismus der weißen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts siehe Kraditor 1965, Aptheker 1982, Hickert 1985, Ware 1992 und Newman 1999. Angela Davis, bell hooks, Hazel Carby und Paula Giddings arbeiteten das historische Verdienst schwarzer Frauen zur Race- und GenderEmanzipation und die Verdrängung ihrer Existenz durch den Rassismus weißer Frauen und den Sexismus schwarzer Männer heraus (hooks 1981, Davis 1983, Giddings 1984 und Carby 1985). Auch der Sexismus afroamerikanischer Emanzipationsrhetorik wurde ausführlich analysiert. Theoretisch von Michele Wallace und bell hooks (Wallace 1979, hooks 1990b) und literarisch von Toni Morrison und Alice Walker. In den letzten Jahren legten Theoretiker der Black Men’s Studies wie Michael Awkward (Awkward 1995) und Philip Brian Harper (Harper 1996) grundlegende Studien zur Homophobie und Sexismus im Race-Befreiungsdiskurs vor. 9 | Der Begriff ›genealogische Betrachtung‹ stützt sich hier auf Michel Foucaults Unterscheidung zwischen Wissensarchäologie und Genealogie, wie er sie in der Archäologie des Wissens (Foucault 1981) entwickelt hat. Eine Archäologie soll dabei den systematischen Gehalt von Aussagen freilegen und das System der diskursiven Regeln, die diese Aussagen formen, zu jeweils bestimmten historischen Zeiträumen untersuchen. Eine Genealogie dagegen fragt nach den diskontinuierlichen Entstehungsbedingungen von Diskursobjekten und Diskursen in den unterschiedlichen historischen Machtkonstellationen. Auf den Gegenstand dieser Studie übertragen bedeutet dies, dass die Wissensarchäologie erkundet, was zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt über Race und Gender gesagt wird und welcher historischen Diskursebene dieses Thema angehört. Eine geschlechterkritisch genealogische Kritik dagegen bedeutet, wie Judith Butler formuliert: »Die genealogische Kritik lehnt es ab, nach Ursprüngen der Geschlechts-
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ohne Bedeutung. Race-Emanzipationsdiskurse sind chronologisch fast immer den Gender-Emanzipationsdiskursen vorausgegangen – der Abolitionismus der ersten Frauenbewegung, die erste schwarze Bürgerrechtsorganisation NAACP den emanzipierten weißen Frauen der Bohème und die Bürgerrechts-Bewegung der zweiten Frauenbewegung. Die einzelnen Kapitel werden deshalb jeweils mit Race-›Vorgeschichten‹ eingeleitet. Diese Präsentationsform versteht sich als Erinnerungspolitik gegen die von Toni Morrison diagnostizierte und oben beschriebene politische Amnesie. Die Vorgeschichten spielen sich dabei entweder im zeitlichen oder im psychischen Raum ab, d.h. sie können entweder historisch vor den beschriebenen Phänomenen stattgefunden haben, oder sie haben als künstlerische Manifestationen vor dem diskursiven Verstehen gestanden. Vorgeschichten meinen aber auch abgeschnittene Geschichten, also blinde Flecken, die im kulturellen Gedächtnis als solche nicht präsent sind, aber die Dynamik dessen, was geschieht oder erinnert wird, beeinflussen. Solcherart verlorengegangene Geschichten führen zur Bildung von ›Mythen‹ im Sinne von Roland Barthes, d.h. zu Vorstellungen, die Machtzusammenhänge naturalisieren und entpolitisieren.10 Weiße Frauen in Bewegung positioniert sich im oben umrissenen Feld von Genderforschung mit Race-Fokus. Die Untersuchung ist von dem Bedürfnis geleitet, dem wachsenden Korpus von Arbeiten, die an unterschiedlichen Materialien Wirkungsweisen von Race und Gender nachgehen, eine integrierte Studie hinzuzufügen oder, wenn man so will, entgegenzusetzen. Ellen K. Feder merkt an, dass viel darüber nachgedacht wurde, wie ›raced‹ Gender ist und wie ›gendered‹ Race ist: »And yet there has been little comparative analysis of the specific mechanisms that are at work at the production of each, that is, how they are intelligible as categories and come to make sense of us – as raced and gendered human beings.« (Feder 2007, 3)
Ein solcher Zugang erfordert, die Kategorien Race und Gender nicht gegeneinander zu hierarchisieren, sondern sie gleich zu gewichten und sie in Interdependenz miteinander zu sehen, oder noch genauer, sie als interdependente identität, der inneren Wahrheit des weiblichen Geschlechts, oder einer genuinen, authentischen Sexualität zu suchen, die durch Repression der Sicht entzogen wurden. Vielmehr erforscht die Genealogie die politischen Einsätze, die auf dem Spiel stehen, wenn Identitätskategorien als Ursprung und Ursache bezeichnet werden, obgleich sie in Wirklichkeit Effekte von Institutionen, Verfahrensweisen und Diskursen mit vielfältigen und diffusen Ursprungsorten sind« (Butler 1991, 9). Zur Frage der Genealogie siehe auch Bublitz 1998, 26-49. 10 | Siehe Roland Barthes, »Der Mythos heute« in Barthes 1970, 65-152. Eine Diskussion von Barthes Mythoskonzept als einer frühen Selbstreflektion von ›Whiteness‹ findet sich bei Sandoval 1997.
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Kategorien zu betrachten.11 Meine Studie liest Emanzipationsbewegungen von Race- und Gender-Positionen als aufeinander bezogene Diskurse, die durch Allianzen, Konkurrenzen und Konflikte kontraproduktive dritte Effekte erzeugen. Dabei werden Race und Gender als »telling signs«12 gelesen, mittels derer über Race und Gender hinausgehende oder dahinterliegende hegemoniale Machtverhältnisse artikuliert werden. Im folgenden Abschnitt soll in vier Schritten die theoretischen Voraussetzungen und existierenden Theoreme für eine solche Sichtweise diskutiert und modifiziert werden. Ein erster Schritt erläutert mit einer Begriffsklärung die bereits eingeführten Kategorien ›Race‹ und ›Gender‹ und positioniert sie im Feld von politischen Benennungspolitiken. In einem zweiten Schritt werden bereits etablierte Modelle integrierten Denkens zu Race und Gender, nämlich Theorien zur Intersektionalität/Interdependenz und ›Queer Intersektionality‹ entfaltet und erörtert. In einem dritten Schritt wird ein alternatives Betrachtungsmodell vorgestellt, nämlich Race und Gender als Formen der ›Artikulation‹ innerhalb hegemonialer und widerständiger Praktiken zu betrachten. Und in einem vierten Schritt wird das Paradigma von Race-Projekten von Michael Omi und Howard Winant (Omi/Howard 2002, 56f) durch eine Parallelkonstruktion von – von mir so genannten – Gender-Projekten erweitert. Für bestimmte Phänomene, wie etwa dem Zusammenhang von Vergewaltigung und Lynching, werden beide Denkfiguren zu integrierten Race-Gender-Projekten zusammengefügt.
Begriffsklärung Die Kategorien Race und Gender sind Bezeichnungen für soziale Verhältnisse, die auf andere vermeintlich selbstverständliche aber historisch zutiefst variable Grundbegriffe wie Mann/Frau und – für die Vereinigten Staaten – Weiß/NichtWeiß aufsetzen. Insofern ist das Sprechen von Race und Gender in Verlegenheit, mit Begriffen umgehen zu müssen, deren Glaubwürdigkeit und Beschreibungsmacht es im Prozess ihrer Entfaltung selbst untergräbt. Judith Butler gibt dem Paradox mit dem Vorschlag einer doppelten Bewegung eine produktive Wende: »[…] es [ist] notwendig eine doppelte Bewegung zu erlernen: die Kategorie anzuführen und dementsprechend vorläufig eine Identität zu stiften und die Kategorie gleichzeitig als einen Ort der dauernden politischen Auseinandersetzung zu öffnen. Dass der Begriff fragwürdig ist, bedeutet nicht, dass wir ihn nicht gebrauchen dürfen, aber die Notwen-
11 | Zur Entwicklung des Konzepts ›Gender als interdependente Kategorie‹ siehe Walgenbach/Dietze/Hornscheidt/Palm 2007. 12 | Stoler 2008, 385. Zu Race schreibt Gilroy in gleicher Manier: »Race is always on the surface of other things« und spricht von einer »coat-paint-theory of racism« (Gilroy 2002, 53).
E INLEITUNG digkeit, ihn zu verwenden, bedeutet wiederum auch nicht, dass wir ihn nicht andauernd über die Ausschlüsse befragen müssen, mit denen er vorgeht.« (Butler 1997b, 303)
Die hier benannte Schwierigkeit fängt bei der Benennung ›Frau‹ und ›Mann‹ an, setzt sich über ›schwarz‹ und ›weiß‹ fort und hört bei ›Race‹ und ›Gender‹ zwar nicht auf, kommt aber für die Reichweite dieser Arbeit zu einem Zwischenhalt. Zunächst einmal muss zwischen ›männlich‹ versus Maskulinität und ›weiblich‹ versus Feminität unterschieden werden. Die Adjektive ›männlich‹ und ›weiblich‹ bezeichnen den Geschlechtskörper, also eine in unterschiedlichen Epochen unterschiedlich geformte und kostümierte sichtbare Oberfläche – ich wähle mit Bedacht keine Metaphern aus Biologie und ›Natur‹. Das zweite Begriffsfeld Maskulinität-Feminität dagegen umreißt die historisch zu konkretisierenden Konzepte dessen, was unter Weiblichkeit und Männlichkeit verstanden wird, wobei sich die angelegten Zeitschnitte noch einmal in der sozialen Hierarchie unterscheiden. Verkürzt und Marx abwandelnd kann man sagen, dass die herrschenden Maskulinitäts- und Feminitätsvorstellungen die der herrschenden Klassen sind. Z.B. hat man zu bestimmten Zeiten den ›niederen‹ sozialen oder race-diskriminierten Klassen angeblich am voll ausgebildeten Geschlechtscharakter ab13 gesprochen. Mit ›schwarz‹ und ›weiß‹ bewegt man sich sprachlich auf ähnlich ungesichertem Terrain. ›Schwarz‹ als minderwertig zu begreifen, ist ein Effekt des Kolonialismus. Dieser ›Rassismus‹, der ausdrücklich als Produkt und integraler Teil der Moderne zu begreifen ist,14 entstand entweder als herabsetzender Blick auf die kolonisierten Völker Afrikas oder in den auf Sklavenarbeit basierenden arbeitsintensiven Produktionsformen von weißen Siedlerkolonisten auf dem gesamten amerikanischen Kontinent und der Karibik. Hier bekommt ›schwarz‹ eine mit anderen Zuschreibungen nicht zu vergleichende Besonderheit: Nur an dieses sichtbare Merkmal wurde moderne Sklaverei als erbliche Leibeigenschaft und Zwangsarbeit angeheftet. ›Weiß‹ als wahrgenommene Qualität der herrschenden europäisch-amerikanischen Kaste ist noch jüngeren Datums. Erst die Existenz nicht mehr versklavter sondern freier schwarzer Menschen brachte die Vorstellung von Whiteness auf den Plan. Eine bis dato als natürlich empfundene Überlegenheit war nicht mehr wie in der Sklaverei sozial über Rechts- und Eigentumsprivilegien 13 | Zur fehlenden Femininität der weiblichen Proletarierin des 19. Jahrhunderts als ›unsexed‹ McClintock 1995, 101. Hortens Spillers bezeichnet den weiblichen geschlechtsneutralisierten Sklavenkörper als »female flesh ungendered« (Spillers 2003, 207). 14 | Zum Zusammenhang von Race und Kolonialismus siehe Memmi 1967 und Blackness und Sklaverei Jordan 1968. Für eine bestimmte Rassismusform als ein genuin in westliche Kultur eingeschlossenes Phänomen der Moderne siehe Young 1995, 91.
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abgesichert. Diese verstörende Grenzauflösung verdichtete sich zu einem Konzept der weißen Suprematie (White Supremacy), das seine Ausdrucksform zuerst in ›weiß‹ kostümierten Geheimbünden wie dem Ku-Klux-Klan fand und sich bis heute z.B. in den Ayran Brotherhoods fortsetzt. Whiteness selbst nicht als menschliche Norm, sondern als eine ›Race‹ unter anderen zu begreifen, von der aus Interessenpolitik betrieben wird, ist für den weißen Blick vergleichsweise neu.15 Nur eine winzige Minorität meist Intellektueller und politischer Aktivisten setzt sich kritisch mit ihrem Weiß-Sein auseinander. Generell versteht sich der weiße Amerikaner als Mensch schlechthin und damit farblos und als unmarkierte Norm. Der schwarze Mensch wird aus dieser Perspektive als markierte Abweichung gesehen. Nach den Erfolgen der Bürgerrechtsbewegung gibt es eine starke Tendenz, die ›Race-Frage‹ als erledigt zu betrachten (ohne ihre ökonomischen Auswirkungen zu mildern). Jetzt verschiebt eine ›Ideologie der Farbenblindheit‹16 Race-Zuschreibungen auf andere Felder wie Kriminalität und angebliche Wohlfahrtsabhängigkeit. Aus der Komplexität ergeben sich Schwierigkeiten in der Benennungspraxis. In dieser Studie wurde bei der Bezeichnung konkreter Menschen statt ›schwarz‹ ›afroamerikanisch‹ gewählt, um die Doppelherkunft und auch die Unfreiwilligkeit der Migration zu betonen. Ich mache mich dabei eines vorsätzlichen Anachronismus schuldig, denn diese Bezeichnung wurde, obwohl schon ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gelegentlich angewendet, erst im 20. Jahrhundert als Ersatz für das als diskriminierend empfundene Wort ›Negro‹ durchgesetzt.17 Ich habe dann nicht, wie es unter bestimmten Perspektiven politisch 15 | Generell zum Konzept von Whiteness, siehe die Anthologien Hill 1997c und Delgado/Stefanic 1997 und Rassmussen/Klinenberg/Nexica/Wray 2001. Whiteness als Interessenpolitik und stille Norm ist zuerst aus marginalisierten Perspektiven von lesbischen Theoretikerinnen und schwulen Theoretikern wie der Philosophin Marilyn Frye und dem Filmtheoretiker Richard Dyer wahrgenommen worden. Siehe Frye 1983 und Dyer 1988. Historiker der Arbeiterbewegung haben den ökonomischen Vorteil von Whiteness erkundet Roediger 1991. Die feministische Psychologin Ruth Frankenberg hat mit dem programmatischen Titel White Women Race Matters (Frankenberg 1993) Critical Whiteness Theory in den ›Kanon‹ der Gender Studies eingebracht. In der ›schwarzen‹ Wahrnehmung allerdings hat die Sicht auf ›Whiteness‹ als Interessenpolitik eine lange Tradition, die etwa literarisch von Langston Hughes The Ways of White Folk (Hughes 1934) oder pointiert philosophisch von Frantz Fanon in Black Skin White Masks (Fanon 1952) diskutiert wurde. 16 | Siehe Bonilla-Silva 2003, Crenshaw 1997. 17 | Das Oxord Englisch Dictionary (Ausgabe von 1997) schreibt: »Although both African and African-American were widely used in the United States in the 19th century, the adoption of African-American as a preferred term among black Americans dates from the late 1960s and early 1970s (particularly after an April 1972 conference at
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korrekt wäre, im Gegenzug konkrete weiße Menschen als ›euroamerikanisch‹ bezeichnet, weil es mir darauf ankam, die symbolische Macht der Farbe ›Weiß‹ immer im Spiel zu halten (Husmann-Kastein 2009). Abgesehen davon ist das ›als weiß Anerkennen‹ der verschiedenen Migrantenpopulationen durch den hegemonialen Diskurs ein fließender Prozess.18 Des Weiteren war es mitunter schwierig, eine Bezeichnungspraxis in Form von Kollektivsubjekten zu vermeiden, wie etwa ›der schwarze Mann‹, ›die weiße Frau‹, ›die schwarze Frau‹. Wie inzwischen von mehreren Seiten nachgewiesen wurde, sind solche Verkürzungen ausschließenden Identitätspolitiken geschuldet,19 und insofern kontraproduktiv für eine intersektionale Analyse. Ich habe mich deshalb bemüht, ›Kollektivsubjekte‹ nur dann zu benutzen, wenn ich – was vielfach der Gegenstand der Untersuchung ist – phantasmatische Verkürzungen ›zitiere‹. Ansonsten bin ich auf Pluralkonstruktionen ausgewichen, weil unter einem pluralen Dach unterschiedliche Individuen und Gruppenund Mehrfachidentitäten zumindest nicht wegdefiniert oder ausgeschlossen werden. Präziser wäre es von ›im Kontext X als weiß rassisierten Frauen oder Männern‹ und ›im Kontext Y als schwarz rassisierten Frauen oder Männern‹ zu sprechen. Ich habe aber, Missverständnisse dabei in Kauf nehmend, zugunsten der Lesbarkeit darauf genauso verzichtet wie auch auf das Binnen ›I‹, um auf das Herausschreiben des Weiblichen in ›maskulinen‹ Pluralkonstruktionen hinzuweisen. Stattdessen habe ich, wenn das angemessen erschien, beide Geschlechter aufgeführt. Das wichtigste Beschreibungsmuster, um das es hier vor allem gehen wird, nämlich Race und Gender, fügt die beiden intern getrennten Kategorien männlich/weiblich und schwarz/weiß zu einem kombinierten Paar zusammen. Diese Untersuchungsperspektive als auch die Kategorien selbst in ihrer gegenwärtigen Bedeutung sind vergleichsweise neu im Umlauf. Race als biologisch verstandenes bestimmendes Merkmal einer Gruppe von Menschen löste erst im 19. Jahrhundert den allgemeineren, damals üblichen Sprachgebrauch von Race als Gattungsbegriff ab, der alle Menschen umfasste (Race of Men). Die Kawhich Ramona Edelin, president of the National Urban Coalition, proposed its use). The term gained widespread acceptance following its endorsement by the Reverend Jesse Jackson (b. 1941) during his presidential nomination campaign in 1988«. http:// dictionary.oed.com.ezproxy.cul.columbia.edu/cgi/entry/00305646?single=1&query_ type=word&queryword=african+American&first=1&max_to_show=10, abgerufen am 26.03.2010. 18 | Siehe die Studien How the Irish Became White (Ignatiev 1995) und How Jews Became White Folks: And What That Says About Race in America (Brodkin 1998). 19 | Siehe etwa das Kapitel »Die Frau als Subjekt des Feminismus« in Butler 1991, 1522 oder den Artikel »Adieu, weibliches Kollektivsubjekt. Wofür Feministinnen die Identität ›Frau‹ nicht mehr brauchen« (Gräfe 2001).
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tegorie Gender wurde erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts aus der Sprachwissenschaft entlehnt, davor bezeichnete sie ausschließlich das grammatische Geschlecht (Hof 1995, 12f). Die inzwischen etablierte Sichtweise, Race und Gender als intersektionale oder interdependente Kategorien zu verstehen, ist dabei weit problematischer, als es zuerst den Anschein hat. Die Begriffe befinden sich auf einem unterschiedlichen Abstraktions- und Selbstreflektionsgrad. Gender ist qua Definition 20 eine kritische Kategorie. Sie setzt eine Trennung von Sex (biologisches Geschlecht) und Gender (soziales Geschlecht) voraus und postuliert, dass Anatomie im Gegensatz zu Freuds Diktum nicht als Schicksal verstanden wird, sondern als Vorwand, Männern und Frauen privilegierte oder untergeordnete Positionen zuzuweisen. Diese Trennung geht auf Gayle Rubins klassische Formulierung eines Sex-Gender-Systems männlicher Herrschaft zurück (Rubin 2006). Judith Butler hat darauf hingewiesen, dass diese Entkoppelung allein noch keinen entnaturalisierenden Effekt hat, wenn Sex prädiskursiv als natürliches Substrat verstanden wird und damit der Körper weiterhin als unveränderliche Grundlage innerhalb einer ›heterosexuellen Matrix‹ von sekundären Geschlechtsmerkmalen, Reproduktionsfunktion und gegengeschlechtlichem Begehren gedacht wird (Butler 1991, 15-49). Allen Formulierungen ist gemeinsam, dass die Kategorie Gender ein Machtverhältnis und keine Seinsform beschreibt, denn sie kann nur dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt von Geschlechterhierarchien betrachtet. Dabei ist festzuhalten, dass hier die Kategorie Gender nicht synonym zu ›weiblich‹ gesetzt wurde, sondern den Prozess der Konstruktion von Geschlechtsidentitäten im Kontext sozialer Machtverhältnisse meint. Race dagegen ist auf den ersten Blick keine kritische Kategorie. Das Wort ist auch in Verbindung mit black oder colored als affirmative Selbstbezeichnung nicht-weißer Menschen im Umlauf. Der einfache Wortgebrauch verbindet ein visuelles Schema, – also sichtbare Blackness –, mit Performanz, – also sich als ›Person of Color‹ zu fühlen und bestimmte Verhaltensstile zu pflegen –, mit Rezeption – also als Anderer oder Andere mit Diskriminierung oder der Erwartung eines typischen Habitus konfrontiert zu sein. Als unkritisch verwendeter Begriff kombiniert Race eine Reihe problematischer Essenzialisierungen wie Biologie, Ethnizität, Kultur und nicht zuletzt Hautfarbe. In der angloamerikanischen kritischen Praxis wird Race deshalb häufig in Anführungsstrichen gesetzt, um zu verdeutlichen, dass es »Rasse« als Substanzkategorie nicht gibt. Ich benutze den 20 | Seit der Etablierung der Kategorie Gender im anglo-amerikanischen Sprachraum für einen kritischen Diskurs zu Geschlecht durch Kate Millett (Millett 1969) hat sich die Wortverwendung von Gender als sozial konstruiertes Geschlecht in der feministischen Theorie durchgesetzt. Zur Entwicklung der Kategorie Gender siehe Nicholson 1994, Kerber 1998.
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englischen Begriff ›Race‹ um über die Fremdsprachigkeit (und, um den nichtpejorativen Alltagsgebrauch der Kategorien im angloamerikanischen Sprachraum) dem impliziten Biologismus und den faschistischen Konnotationen des deutschen Wortes auszuweichen, ohne ihm natürlich gänzlich entkommen zu können. Im Text verzichte ich aus Vereinfachungsgründen auf die Anführungsstriche, die ansonsten auch bei ›Gender‹ gesetzt werden müssten, denn auch hier handelt es sich um eine gleichermaßen konstruierte wie relationale Kategorie. Race wird in den angloamerikanischen Human- und auch weitgehend in den Sozialwissenschaften inzwischen einvernehmlich als soziale Konstruktion verstanden,21 wodurch die Gefahr der Essentialisierung zwar gemildert aber nicht gebannt ist. Nur in diesem konstruktivistischen Verständnis können Race und Gender gleichgewichtig in Beziehung gesetzt werden. Doch ungeachtet der Tatsache, wie weit man die begriffliche Entflechtung vorantreibt, sie kann die Wirkmächtigkeit etwa einer Race-Zuschreibungen nicht aushebeln. Colette Guillaumin schreibt: »Race does not exist. But it does kill people« (Guillaumin 1999, 46). Die Kombination von Race und Gender hat einen anderen Status als die Kombinationen von männlich/weiblich und schwarz/weiß. Zunächst einmal ist sie nicht hierarchisch und außerdem selbstreflexiv gegenüber der soziokulturellen Konstruiertheit. In der Paarung tut sich aber ein anderes Problem auf, das durch die darunterliegenden Oppositionen männlich/weiblich und schwarz/ weiß verursacht wird. Diese Einzelbegriffe sind binär konstruiert, sie definieren sich gegenseitig und stehen in Hierarchie zueinander, d.h. weiß steht über schwarz und männlich über weiblich. Will man nun Race und Gender untereinander in Beziehung setzen, nutzt es erst einmal wenig, dass männlich und weiblich in historisch und sozial bestimmte Maskulinitäts- und Feminitätsmodelle aufgelöst werden, und weiß und schwarz als erst kürzlich erworbenes, koloniales und postkoloniales Klassifikationssystem dekonstruiert worden ist. Verkoppelt implementieren beide Begriffe aber hierarchisierte Zuschreibungen, die, wie im nächsten Abschnitt entwickelt werden wird, Race in die Register schwarz und männlich und Gender in die Register weiß und weiblich sortiert und damit strukturelle Ausschlüsse produziert. Die Kombination von Race und Gender birgt noch eine weitere Gefahr, nämlich die Suggestion, dass es sich um strukturgleiche Diskriminierungsmuster handeln könnte. Betrachtet man allerdings die Unterschiede von Sexismus und Rassismus genauer, zeigt sich schnell, dass dem keinesfalls so ist. Zunächst muss hier die Ebene der ›oppressiven institutionellen Praxis‹ von der ›individuellen vorurteilsbelasteten Überzeugung‹ getrennt werden (Wasserstroem 1977). Die erste Ebene beschäftigt sich mit politischer Repräsentation, mit offen oder 21 | Zu einem konstruktivistischen Race-Begriff siehe die Anthologien zu Race-Theory von Back/Solomos 2000, Essed/Goldberg 2008.
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versteckt diskriminierenden Gesetzen, Zugangsbeschränkungen und dem Verhalten der Justizbehörden. Ganz offensichtlich werden schwarze Männer und Frauen von Polizei und Justiz hier unterschiedlich zu weißen Frauen behandelt. Die zweite Ebene betrifft private Überzeugungen von Minderwertigkeit, die Verweigerung von Anerkennung und herablassendes oder verächtliches Verhalten. Auch ›individuell vorurteilsbelastete Überzeugungen‹ gegen weiß/weibliches Geschlecht oder schwarze Mitglieder beiderlei Geschlechts funktionieren unter22 schiedlich. Es werden grundverschiedene Diskriminierungsmuster aktiviert, wenn man glaubt, weiße Frauen seien hormongesteuerte Hysterikerinnen, schwarze Frauen notorische Lügnerinnen und schwarze Männer aggressive Schläger. Zudem sollte eine Sonderform des Sexismus die vorschnelle Analogisierung von Sexismus und Rassismus verhindern, nämlich ein Paternalismus, der die strukturelle Nichtanerkennung von weißen Frauen mit positiven Verhaltensmustern wie Liebe und Ritterlichkeit mischt (Thomas 1980). Zwar werden auch schwarze Menschen paternalistisch und herablassend behandelt, allerdings geht diese diskriminatorische Praxis nicht damit einher, dass der Diskriminierende emotionale Involviertheit und Begehren zur Schau stellt und die Achtung spezieller Tugenden der Diskriminierten wie Keuschheit oder Mutterschaft behauptet. Dass eine solche verdeckte Vorurteilsstruktur sich nicht auf Race übertragen lässt, kann man an öffentlichen Diskursen über schwarze Frauen nachvollziehen. Es gibt in dieser Hinsicht weder einen weißen noch einen schwarzen Paternalismus, sondern eher das Gegenteil. Rassistische weiße Diskurse konzentrieren sich auf die angebliche erotische Freizügigkeit und Sozialhilfeabhängigkeit schwarzer Frauen. Ein schwarz-männlicher Diskurs befürchtet eher die angeblich kastrierende Macht eines schwarzen Matriarchats (Wallace 1979). Der Sexismus gegenüber schwarzen Frauen ist nicht paternalistisch gemildert, und Rassismus blendet ihr Geschlecht entweder aus oder ruft es mit einem geschlechtsspezifisch sexualisierten Rassismus an.
Intersektionalität Die Figuration ›Schwarze Frau‹ und ihre Lebenswirklichkeit macht die Notwendigkeit und die Probleme eines intersektionalen Denkens deutlich. Denn wenn Race und Gender (wie so oft) verkürzt als ›Schwarze‹ und ›Frauen‹ verstanden werden, kommt systematisch die schwarze Frau zum Verschwinden, da sie we-
22 | Zur vergleichenden Betrachtung von Rassismus und Sexismus siehe auch die Anthologie Race/Sex von Naomi Zack (Zack 1997) und die Monographie von Colette Guillaumin (Guillaumin 1995). Für einen Überblick über die internationale und neuere deutsche Diskussion zu Rassismus/Sexismus siehe Kerner 2009.
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der in der Kategorie Race noch in der Kategorie Gender aufgeht. Kimberlé Crenshaw spricht von der Position schwarzer Frauen als ›intersektional‹ im Zusammenhang mit ihrer größeren Verwundbarkeit gegenüber sexueller Gewalt: »to describe the location of women of color within overlapping systems of subordination within the margins of feminism and antiracism« (Crenshaw 1991, 1265). Diese Erkenntnis ist zehn Jahre vor Crenshaw im Titel einer berühmten Anthologie zu schwarzem Feminismus ironisch paraphrasiert worden: All the Women are White, All the Blacks are Men, and Some of Us are Brave (1981). In ähnlicher Weise bevor der Terminus Intersektionalität allgemeine Geltung bekam, beschrieb das Cumbahee River Collectives (1982), eine Studiengruppe afroamerikanischer lesbischer Feministinnen, ihre Situation als ein System von »interlocking […] manifold and simultaneous oppressions« (Collective 1981, 210). Die Juristin Kimberlé Crenshaw hat dann den Terminus ›Intersektionalität‹ als Paradigma für die rechtliche Verfasstheit schwarzer Frauen etabliert und dieses aus einer Analytik des Ausschlusses – Crenshaw spricht von »intersectional disempowerment« 24 – zu einem Paradigma der Beschreibung von Interdependenz unterschiedlicher ›Szenen der Ungleichheit‹ weiterentwickelt: »Yet intersectionality might be more broadly useful as a way of mediating the tension between assertions of multiple identity and ongoing necessity of group politics« (1296). Ich spreche hier von ›Szenen der Ungleichheit‹, um die KoPräsenz unterschiedlicher ›Intersektionalitäten‹ in unterschiedlichen multiplen und wechselnden Identitäten auf unterschiedlichen temporalen und/oder topologischen Achsen zu betonen, etwa in dem Sinne, wie Ella Shohat von »investigating multichronotopic links« spricht (Shohat 2006b, 3). Andere konventionalisierte Sprechweisen wie ›Achsen der Differenz‹ (Knapp/Wetterer 2003) oder ›Mehrfachdiskriminierung‹ (Haritaworn 2005) bringen sprachlich die hier angestrebte Flexibilität nicht zum Ausdruck. Patricia Hill Collins wertet die ›intersektionale‹ Position schwarzer Frauen positiv um und macht aus der ›Exzentrizität‹, nämlich in beiden Feldern Race und Gender über Erfahrungswissen zu verfügen, ein epistemologisches Privileg: die Position der »outsider-within«.25 Neben Intersektionalität spricht sie
23 | Elisabeth Spelman spricht von dieser Position als Inessential Women (Spelman 1988) und Robin Wiegman betont die Notwendigkeit der »Deterritorialisierung of the binary figuration of black/white« (Wiegman 1995, 8). 24 | Crenshaw 1991, 1245. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 25 | Collins 2000, 11. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. Ein ähnliches epistemologisches Privileg des Aussenseitertums macht Gloria Anzaldua in Borderlands/La Frontera (1987) geltend, die über ihre Position als lesbische mexikanische Einwanderin in die USA eine postkoloniale geopolitische Dimension hinzufügt und die ›Grenze‹ und deren Schwellenräume als Denkposition produktiv macht.
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von einer »matrix of domination« (18), die in jeweils unterschiedlichen Situationen unterschiedlich zum Tragen kommt: »Her gender may become more prominent when she is a mother, her race when she searches for housing, her social class when she applies for credit, her sexual orientation when she is walking with her lover, and her citizenship status when she is applying for a job.« (274f)
Neben Race und Gender bringt Patricia Hill Collins als weitere Felder intersektionaler Multiplizität, sexuelle Orientierung, Staatsbürgerschaft und ›Klasse‹ ins Spiel. Feministische Soziologie, der es disziplinär naheliegt, Statuskategorien zu bedenken, hat sich besonders auf die Intersektionalitäten mit Klasse/Schicht konzentriert.26 Z.B. nahm die Soziologin und Ungleichheitsforscherin Leslie McCall die Umverteilungsfrustration weißer Männer in der ›New Economy‹ der Reagan/Bush Jahre und ihre lauten Forderungen nach Abschaffung der inzwischen als unfair empfundenen ›Affirmative Action‹ Maßnahmen für ›ethnisch‹ und geschlechtlich diskriminierte Menschen zum Anlass, Einkommensunterschiede nach Race, Class und Gender in einem interessanten ›interkategorialen Ansatz‹ nachzurechnen und der herrschenden Ideologie entgegengesetzte Zahlen zu präsentieren.27 Klasse hat zumeist auch eine Raumdimension. So haben zahleiche Autoren und Autorinnen darauf hingewiesen, dass es unmöglich ist, im US-amerikanischen Kontext über Race zu sprechen und nicht die strukturelle Pauperisierung und de facto Segregation der afroamerikanischen Unterklassen in den Inner-City-Ghettos mitzureflektieren. Die Unterdrückung aufgrund von Race ist intersektional mit der geopolitischen Positionierung verknüpft und somit in die Geschichte von Kolonialismus, moderner Sklaverei und Postkolonialität eingebunden, wie Paul Gilroy in seiner 26 | Das Zuständigkeitsgefühl der Soziologie für das Paradigma geht so weit, dass im englischen Wikipedia-Eintrag zu Intersectionality der erste Satz lautet: »Intersectionality is a sociological theory suggesting that — and seeking to examine how — various socially and culturally constructed categories of discrimination interact on multiple and often simultaneous levels, contributing to systematic social inequality«. http://en. wikipedia.org/wiki/Intersectionality, abgerufen 05.01.2010. 27 | Zum Unterschied zwischen ›antikategorialen‹, ›intrakategorialen‹ und den von ihr bevorzugten ›interkategorialen‹ Ansätzen in Intersektionalitätstheorien siehe McCall 2005, 1773f. Siehe auch Complex Inequality. Gender, Race, and Class in the New Economy (McCall 2001). Eine historische integrierte Arbeit zur Ungleichheit entlang der Kategorien Race, Class und Gender von 1870-1930 legte Evelyn Nakano Glenn mit Unequal Freedom. How Race and Gender Shaped American Freedom and Labor (Glenn 2002) vor.
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wegweisenden Studie The Black Atlantic (Gilroy 1993a) dargelegt hat. Zusammen mit den Postcolonial Studies hat er ein neues Forschungsfeld erschlossen, das den Blick auf Sklaverei transnational und transatlantisch aufspannt.28 Intersektionale Studien zum Kolonialismus haben zudem gezeigt, dass die strukturelle Unterdrückung weißer Frauen durch weiße Männer durch ihr WhitenessPrivileg (McClintock 1995) oder, wie ich an anderer Stelle ausführe, durch eine ›okzidentalistische Dividende‹ (Dietze 2009a, 35) kompensiert wird.29 Mit der Aufnahme postkolonialer Fragestellungen verbanden feministische Theoretikerinnen die Hoffnung, sich aus verengender Identitätspolitik lösen zu können. Teresa de Lauretis schrieb optimistisch: »Now I want to suggest, that feminist theory came to its own, or became possible as such […] in a postcolonial mode. […] with the understanding of the interrelatedness of discourses and social practices, and of the multiplicity of positionalities concurrently available in a social field seen as field of forces: not a single system of power dominating the powerless but a tangle of distinct, variable relations of power and points of resistance.« 30
Denken in lokaler Positionalität ermöglicht auch zu sehen, dass eine identische Person an einem Ort als ›colored‹ und einem anderen als ›weiß‹ verstanden wird, obwohl sie eine rechtlich ›schwarze‹ Position hat, wie sie z.B. durch die US-amerikanische ›One-Drop-Rule‹31 erzeugt wurde, für ihre Umwelt aber über ›Passing‹ (für weiß durchgehen) als weiß angesehen wird. Die fließenden Übergänge von Aufscheinen und Verstecken und Problemen der Lesbarkeit des Passing sind von der Queer Theory aufgegriffen worden, der es weniger darauf ankommt, die ›historische Arbeit‹ der Klassifikation nach Geschlechtern und Races zu analysieren, sondern mehr darauf, Ausdrucksformen von ›queer‹ Sexualitäten zwischen Normierung und Normkritik herauszupräparieren. Mit der Queer Theory stellt sich auch die Frage, ob ›Sexualität‹ auf der gleichen Ebene wie Race, Class, Gender und Nation/Lokalität verhandelt werden kann. Spricht man von sexueller Präferenz, hat man technisch gesehen 28 | Neuere Studien zum Zusammenhang von Sklaverei und erster Frauenrechtsbewegung beziehen sich inzwischen auf Gilroys Black Antlantic. Siehe z.B. Scully/Paton 2005 und Kish-Sklar 2007. 29 | Valerie Jones spricht von weißen Frauen in ›Plantation Societies‹ als »victims and agents« (Jones 2007, 3). 30 | de Lauretis 2007, 157. Wiederabdruck eines Aufsatzes von 1990 aus Feminist Studies. 31 | Rassistische Gesetzgebung, nach der ein Tropfen ›schwarzen‹ Blutes Individuen vor dem Recht als ›schwarz‹ gelten ließ. Sich als ›weiß‹ auszugeben war unter dieser Regel ein Straftatbestand.
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auch Heterosexualität als Wahl im Begriffsfeld, privilegiert man Homosexualität, hat man andere ›Szenen sexueller Ungleichheit‹ ausgeschlossen. Sexualität ist keine Beschreibung einer Positionalität oder eines Identitätsstatus, genauso wenig wie Queer Theory eine Theorie der Identität ist, wie im Vorwort einer Queer Theory-Anthologie pointiert zusammenfasst wird: »It was a strategy, not an identity. Put differently, the message of queer activism was that politics could be queer, but folk could not« (Morland/Willox 2005, 2). Trotz dieser epistemologischen Besonderheit hat Queer Theory intersektionale Fragestellung bereichert, z.B. Queering the Colorline (Somerville 2000), die Race und die ›Erfindung von Homosexualität‹ in Begriffen wie Miscegenation und Bastardisierung zusammendenkt. Studien zur Harlem Renaissance als Schwellenraum transgressiver Sexualitäten reorganisieren manichäische Vorstellungen von Rassentrennung zum Jahrhundertbeginn. Neue Forschungsfelder wie ›Queer of Color‹ berufen sich explizit auf Intersektionalität wie Aberrations in Black. Toward a Queer of Color Critic (Ferguson 2004), Strange Affinities (Hong/Ferguson 2011) oder Disidentifications. Queers of Color in the Performance of Politics (Muñoz 1999) zielen eher auf Normkritik als auf multiple Positionalitäten. Insofern sollte man eher von kritischen Subgenres ›Queer Intersectionality‹ sprechen, um die epistemologische Sonderstellung und die anders gelagerte Erkenntnisperspektive von queer Sichtweisen zu betonen. Queer Intersectionality trägt zum Intersektionalitätsmodell bei und ›quert‹ es gleichzeitig und wird damit zu einer ›korrektive Methodologie‹.32 Beide Ansätze können füreinander als Schwellen positioniert werden, um jeweils gleichzeitig die Normalisierungsarbeit (queer) und Zusammengesetztheit von ›Identitäten‹ (Intersektionalität) im Auge zu behalten. ›Queering und Passing‹ verweisen zudem auf imitierende, zitierende, parodistische oder maskierende Handlungsmöglichkeiten, auf die im Postscript der Studie noch genauer eingegangen wird. Strategien der Disidentifiation, Resignifizierung und von Re- und Disartikulation destabilisieren und unterminieren Zuschreibungen. Das bekannteste Beispiel solcher Strategien ist die Namensgebung von Queer Theory selbst als positive Umbesetzung eines Schimpfwortes (oder Euphemismus) für homosexuell. Das gilt im Deutschen auch für ›schwul‹ (Schwulenbewegung) und Weiber (Weiberrat). Intersektionalitätsmodelle sind gut dafür geeignet zu beschreiben, dass Unterdrückung vielschichtig ist und Individuen und Menschengruppen in unterschiedlichen ›Szenen der Ungleichheit‹ multiple Identitäten in sich vereinen. Queer Intersectionality fügt diesem Projekt eine handlungsorientierte und normkritische Dimension hinzu. Beide bleiben jedoch relativ blind gegenüber Fragen, welche Funktion Race und Gender im gesellschaftlichen Machtgeflecht haben und wie und warum sie historisch variieren. Hier ist in anderen Feldern nach Ansätzen zu suchen, die ergänzen und gegebenenfalls vertiefen 32 | Siehe Dietze/Haschemi/Michaelis 2007, 138.
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können. Mir scheinen dazu der in neo-marxistischer Hegemonie-Theorie zirkulierende Begriff der ›Artikulation‹ von Ernesto Laclau und Stuart Hall und das Modell der ›Racial Projects‹ von Michael Omi und Howard Winant geeignet. Im Folgenden soll daher der Begriff ›Artikulation‹, welcher zu Fragen von Klasse (Laclau) und Race (Hall) bereits fruchtbar gemacht wurde auch für Gender operationalisierbar gemacht werden. In diesem Zusammenhang soll neben den bereits entwickelten ›Racial Projects‹ überprüft werden, ob analog zu bildende ›Gender-Projects‹ analytisch produktiv gemacht werden können.
Artikulation Race und Gender haben zu unterschiedlichen historischen Perioden unterschiedliche Bedeutungen. Omi und Winant entleeren die Kategorie Race sogar vollständig und erklären sie zu einem Platzhalter im politischen Aktionsfeld: »Race is an unstable and decentered complex of social meanings constantly being transformed 33 by political meaning«. Race (ich bleibe der Einfachheit halber kurzfristig bei dieser einen Kategorie) wurde in den USA in unterschiedlichen Hegemonie-Formen (z.B. Sklaverei, Frühkapitalismus, Rekonstruktion/Segregation, Imperialismus, Spätmoderne) unterschiedlich konzeptualisiert (Kindlichkeit, Reservearmee, abzugrenzende Menschengruppe, Primitivität, ›kulturelle‹ Differenz, Kriminalität, Wohlfahrtsabhängigkeit). Stuart Hall spricht dementsprechend davon, dass Race unterschiedlich artikuliert und wieder neu re-artikuliert wird (Hall 1994). Ich möchte im Folgenden dem Begriff der Artikulation in drei Dimensionen nachgehen. Die soeben angesprochene Dimension versteht unter ›Artikulation‹ im Bezug auf Race historisch veränderliche Ausdrucksformen. Eine zweite Dimension spricht eine grundsätzlichere Frage an, nämlich, dass Artikulation auch immer eine verschobene nur auf unmittelbare Evidenz aber nicht auf das Wesen der Dinge zielende Beschreibung einer Wahrnehmung ist. Ernesto Laclau nennt 34 das bekannte Höhlengleichnis von Plato eine »Theorie der Artikulation«. Wie allgemein bekannt hätten Menschen, die mit dem Rücken zum Höhlenausgang gesessen hätten, die Schatten für die Wirklichkeit gehalten. Laclau führt aus: »Der Diskurs des gesunden Menschenverstandes, doxa, wird hier als System irreführender Artikulationen präsentiert, in der Begriffe nicht als logische Verbindungen miteinander verknüpft, sondern lediglich als konnotative oder evokative Verbindungsfelder zusammengehalten werden.« (9)
33 | Omi 1996, 86. Stuart Hall schreibt: »Es gibt keinen Rassismus als allgemeines Merkmal menschlicher Gesellschaften, nur historisch spezifische Rassismen« (Hall 1994, 127). 34 | Laclau 1981, 09. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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Artikulation ist für Laclau eine Möglichkeit, ›Ideologie‹, oder besser HegemonieProduktion, zu beschreiben. Anstatt Ausbeutungs- oder Kapitalverhältnisse zu erkennen, sehen die Menschen (in Laclaus Erkenntnisinteresse das Proletariat) ›Schatten‹. Es erscheinen ihnen andere Artikulationsformen wie Race, Nation, Religion, Geschlechterordnungen plausibler, um ihrer Ohnmacht und ihrem Wunsch nach Ermächtigung Ausdruck zu geben. Nun ist zu fragen, warum je unterschiedliche Taxinomien, Problematisierungen oder Einhegungen von Race (und Gender, Sexualität, Nation) immer wieder in den Vordergrund gesellschaftlicher Diskurse geraten. Die Antwort der Gramsci-Schule des Neomarxismus, wäre, dass Hegemonie inhaltliche Kondensationskerne brauche, auf die sich die Herrschenden mit den Beherrschten einigen können. Denn es komme darauf an, auch deren Interessen zu inkorpo35 rieren, damit sich ein »common sense« sedimentieren könne, der den Gedanken an Widerstand obsolet mache und ›eine‹ (des Volkes) Stimme produziert und damit innere Widersprüche unartikulierbar macht oder disartikuliere. Gramsci hatte den Begriff der Hegemonie als Alternative zu dem starren marxistischen Ideologiebegriff des ›notwendig falschen Bewusstseins‹ entwickelt, um das komplexe Ineinandergreifen von Zwang und Zustimmung zu beschreiben, das populistische Diktaturen wie den Faschismus kennzeichnet. Artikulationen von/über Race (Geschlechterordnungen und Nation) wären damit besonders geeignete Felder, diesen erwünschten Konsens zu bilden. Laclau schreibt, dass der z.B. der deutsche Faschismus das verunsicherte Kleinbürgertum als (arische) Rasse angerufen und zu einem Volk vereint habe und damit gleichzeitig innere Widersprüche verunmöglicht und den Antisemitismus als konstitutives Außen installiert habe (104). Eine dritte Dimension von Artikulation erschließt sich leider in der deutschen Sprache weniger als im Englischen, hat aber für diese Untersuchung, die sich mit den Verschränkungen von Race- und Gender-Diskursen beschäftigt, eine wichtige Erkenntnisfunktion. Nach Stuart Hall bedeutet Artikulation auch eine Art von pointierter Zusammengehörigkeit, die aber auflösbar ist. Er erläutert diese Form von Artikulation am Beispiel eines Lastwagens, der aus Zugmaschine und Anhänger besteht und in Englisch ›articulated lorry‹ heißt. Zugmaschine und Container-Hänger werden meistens zusammen angetroffen sind aber trennbar und können unter anderen Konstellationen andere Kombinationen eingehen: »Die Artikulation ist demzufolge eine Verknüpfungsform, die unter bestimmten Umständen aus zwei verschiedenen Elementen eine Einheit herstellen kann. Es ist eine Verbindung, die nicht für alle Zeiten notwendig, determiniert, absolut oder wesentlich ist. Man 35 | Die übliche deutsche Übersetzung ›gesunder Menschenverstand‹ liegt etwas neben dem oben angesprochenen ›Gemeingefühl‹.
E INLEITUNG muss sich fragen, unter welchen Bedingungen kann eine Verbindung hergestellt oder geschmiedet werden. […] Eine Theorie der Artikulation ist daher zugleich eine Art und Weise zu verstehen, wie ideologische Elemente unter bestimmten Bedingungen sich zu einem Diskurs verbinden und eine Art zu fragen, wie bestimmte Konjunkturen mit politischen Subjekten artikuliert oder nicht artikuliert werden.« (Hall 2000, 65)
Unter Bedingungen des deutschen Faschismus war die Konzentration auf Race eine artikulatorische Praxis, die, zusammengespannt mit Nation, für eine bestimmte Zeitperiode einen Konsens zwischen einer hegemonialen Ordnung und dem ›Volk‹ bildet und absichert. Der Sieg der Alliierten zerriss diese Artikulationsform, die dann die Krise der herrschenden (faschistischen) Ideologie in der »Disartikulation der sie konstituierenden Anrufung« auslöste.36 Eine deutsche Nation sollte nach Willen der Alliierten erhalten bleiben, aber sie war nicht mehr über Rasse und Rassismus artikulierbar.
Race-Projekte/Racial Projects Die von Gramsci, Laclau und Hall entwickelten Theoreme sind auf Europa, den Faschismus und – im Fall von Hall – auf postkoloniale Neorassismen in Europa bezogen. Die Soziologen Omi und Winant transferieren diese Denktradition auf amerikanischen Boden und verankern sie in der dortigen Postsklaverei-Gesellschaft. Sie sprechen von Race als einem instabilen Komplex sozialer Bedeutungsproduktion, der ununterbrochen von politischen Kämpfen transformiert wird. Diesen nennen sie ›Racial Formation‹ und sehen diese als einen soziohistorischen Prozess »by which racial categories are created, inhabited, transformed and destroyed«.37 Racial Formation ist eine Art und Weise, im Gramsci’schen Sinne Hegemonie herzustellen, nämlich machtgestützte Lesarten von Wirklichkeit durchzusetzen, die alltagswirkliche Zustimmung finden. Durchgesetzt werden solche Lesarten mit – von ihnen so genannten – ›Racial Projects‹, einer ausdifferenzierten und spezifizierten Form von Artikulation: »A racial project is simultaneously an interpretation, representation, or explanation of racial dynamics, and an effort to reorganize and redistribute resources along particular racial lines. Racial projects connect what race means in a particular discursive practice […].« (55)
36 | Ebd. 111. Diese ›Disartikulation‹ ist einer der Gründe, warum die alliierten Entnazifizierungskomitees zu ihrer Verblüffung wenig bekennende Faschisten antrafen. Eine artikulierte Verbindung von Nation und Rasse hatte ihren Sinn und positive Besetzbarkeit verloren. 37 | Omi 1996, 55. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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Omi/Winant sprechen z.B. von einem neokonservativem Racial Project, das Marktliberalismus über eine Problematisierung von ›preferential treatment‹ von Minderheiten durchsetzen will. Man kann für die Zwecke dieser Studie das Konzept der Racial Projects auch historisch zurückverfolgen. Race wurde nach dem Bürgerkrieg zur zentralen Artikulation der Südstaaten, wo über Segregation und Fiktionen weißer Suprematie Kriegsverlust und Strukturdefizite verhandelt wurden. Die Bürgerrechtsbewegung de-artikulierte diesen Diskurs, weil er gebildete und vernünftige Race-Subjekte zur Sichtbarkeit gebracht hatte, deren Existenz die bis dato geltende »race dictatorship« (65) geleugnet hatte. Die unmittelbar darauf folgende Black Panther Bewegung re-artikulierte sodann das Begriffsfeld Race in Black Power und ›Black is Beautiful‹ zu einem Ermächtigungsmuster. Hier wird nochmal deutlich, dass es für Race keinen stabilen Bedeutungsfundus gibt, sondern dass es auf die Artikulationsform in hegemonialen oder gegen-hegemonialen Strukturen ankommt, welche Bedeutung und Funktion der Kategorie beigemessen wird.
Gender-Projekte Die Modellierung von ›Racial Projects‹ von Omni/Winant als Hegemonie produzierende Artikulationsformen korrespondiert mit der inzwischen klassischen Formulierung der feministischen Historikerin Joan Scott: »Gender is a primary field within which or by means of which power is articulated« (meine Kursivie38 rung). Für Scott und Omi/Winant sind die körperlichen Merkmale von Race und Gender nur arbiträre Bezugsgrößen, Vorwände für Hegemonie-Produktion. Nach Scott ist Gender ein »constitutive element of social relationships based on the perceived differences between the sexes« (1076) und nach Omi/Winant ist Race »a concept which signifies and symbolizes social conflicts and interests by referring to different types of human bodies« (Omi/Howard 2008, 123). Joan Scott spricht zwar nicht von Gender-Projekten, aber die Art und Weise, wie sie die historisch je spezifischen Realisierungsweisen von Geschlecht beschreibt – über normative Konzepte, kulturelle Symbole, politischer Implementierungen und subjektive Identitäten (Scott 1986, 1074) –, hat eine große Struktur-Ähnlichkeit mit dem Race-Projekt-Ansatz: »If we treat the opposition between male and female as problematic rather than known, as something contextually defined, repeatedly constructed, then we must constantly ask not only what is at stake in proclamations and debates that invoke gender to explain and justify their positions but also how implicit understandings of gender are being invoked and re-inscribed.« (Meine Kursivierung) (1074)
38 | Scott 1986, 1069. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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Scotts Problematisierungsfragen – aus welchen Gründen wird Gender aufgerufen, und welche erklärende und legitimatorische Funktion für die hegemoniale Ordnung hat diese Anrufung – sind von der Anlage her parallel zur Konzeptualisierung von Race-Projekten und werden deshalb für den Zweck dieser Untersuchung von mir als Gender-Projekte bezeichnet. Von Gender-Projekten zu sprechen wird plausibel, wenn Geschlechterordnungen zum definitorischen Symbol-System gesellschaftlicher Verfasstheit gemacht werden. Das kann über Sichtbarkeitsregime geschehen, z.B. einem ›bedeckten‹ oder ›offenen‹ Gendersystem – Schador/Hijab/Kopftuch auf der Seite der exemplarischen Verhüllung als Zeichen kultureller Besonderheit versus Enthüllungs- oder Transparenz-Geboten als Zeichen von Freiheit und Auf39 klärung. So war die Durchsetzung des Schador im Iran ein Gender-Projekt der Mullah-Revolution, und die Kopftuchdebatte in Deutschland ist ein GenderProjekt des okzidentalen Diskurses. Aber auch Verhaltensregime können die Form von Gender-Projekten annehmen, über die verschobene Kulturkämpfe inszeniert werden: in der US-Geschichte z.B. waren das der ›Cult of True Womenhood‹ und das Dogma der ›Separate Spheres‹ im 19. Jahrhundert oder im 20. Jahrhundert die epischen Auseinandersetzungen um Abtreibung, mit der sich die religiöse und politische Rechte als innenpolitischer Akteur positioniert. Für den Zweck der hier vorgestellten Studie über die Interdependenz und Konkurrenz US-amerikanischer Emanzipationsdiskurse zu Race und Gender möchte ich das Konzept von Race-Projekten und die davon abgeleitete Fassung von Gender-Projekten beispielhaft zu einem integrierten Projekt zusammenfügen, nämlich in der Frage von Lynching und Vergewaltigung. Lynching als außergerichtliche Mob-Gewalt gegen hauptsächlich afroamerikanische Männer nach dem Bürgerkrieg wurde häufig mit der vorgeschobenen Behauptung der Vergewaltigung einer weißen Frau verknüpft, oder jedenfalls im ›kollektiv Imaginären‹ so gehandelt. Inzwischen ist allgemein anerkannt, dass die reale Funktion von Lynching darin bestand, ein Terrorregime zu errichten, das die afroamerikanische Bevölkerung von der Wahrnehmung ihrer formal verliehenen Rechte abhalten sollte. Weiße Frauen hatten in dieser Gewaltstruktur den systematischen Platz, 40 als Vorwand und zu schützende Einheit in Anspruch genommen zu werden.
39 | Scott 2007, 154. Christina von Braun und Bettina Mathes schreiben: »Bevor der Westen der Freu erlaubte sich zu entblößen, musste sie lernen, ihre Blöße wie ein Kleid zu tragen« (Braun/Mathes 2007, 154). An anderer Stelle spreche ich vom Geschlechterverhältnis als »Signatur« eines ›okzidentalistischen Hegemonie-Diskurses ‹ (Dietze 2009b, 31). 40 | Da die Position der weißen Frau in der Narration privilegiert ist, war es in der Geschichte der Frauenbewegung so außerordentlich schwer, sich der Anrufung dieses RaceGender-Projekts zu entziehen. Es bedurfte über fünfzig Jahre systematischen Lynchings,
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Um auf die oben erläuterte dritte Dimension der Artikulation zurückzukommen, handelt es sich bei einem Race-Gender-Projekt um eine ›pointierte Zusammenstellung‹, die nicht zwingend aber ideologisch hoch wirksam ist. Schwarze Männer und weiße Frauen wurden über den Terror des Lynching gleichzeitig zusammengezwungen und scharf auseinandergehalten. Im Fortgang der Arbeit nenne ich dieses besondere Race-Gender-Projekt ›Rape-Lynching-Komplex‹. Diese gegenseitige Artikulation von (schwarz/maskuliner) Race und (weiß/femininem) Gender in sexualpolitisch aufgeladenen Race-Gender-Projekten hat sich nicht auf den rückständigen Süden des späten 19. Jahrhunderts beschränkt, sondern hat sich über die verschiedensten Variationen in den gesamten USA bis in jüngste Gegenwart immer wieder re-artikuliert und neu kalibriert. Oder um das Problem andersherum und systematischer zu erfassen: Die in den Race-Gender-Projekten artikulierte gegenseitige Schuldzuweisung nimmt einer strukturell androzentrischen Race Suprematie die Arbeit der Durchsetzung von Hegemonie ab. Wendy Brown spitzt dasselbe Phänomen in Foucault’scher Terminologie für alle Emanzipationsbewegungen zu: »Wir sind also nicht einfach Zielscheiben, sondern Vehikel von Macht« (Brown 2006, 133).
Race-Gender-Projekte Race-Gender-Projekte als Prozesse gegenseitiger Artikulation müssen nicht immer der doppelten Unterdrückung dienen. Sie können auch Emanzipationsanliegen sentimentalisieren oder skandalisieren. Was jedoch das Auftauchen aller Race-Gender-Projekte verbindet, ist, dass sie Krisen des hegemonialen Diskurses markieren, wo der Erhalt alter und die Durchsetzung neuer Ordnungsmuster auf Widerstandspunkte stoßen. Diesem Motiv wird in allen Kapiteln der Studie nachgegangen. Wenn Abolitionistinnen im frühen 19. Jahrhundert Race und Gender zusammenfügend von ›Slavery of Marriage‹ sprachen, wurde gleichzeitig über die Überlebtheit der Sklaverei und die Anpassungsschwierigkeiten von Frauen in die Disziplin der so genannten ›separaten Sphären‹ verhandelt (Kapitel 1 – Die Sklaverei des Geschlechts). Wenn New Women und Sozialreformerinnen Anfang des 20. Jahrhunderts von Prostitution als ›White Slavery‹ sprachen, implizierten sie gleichzeitig, das schwarze Frauen ›freiwillig‹ Prostituierte waren. Weiterhin wurden Ängste um weiß/weibliche Moralität bei zunehmender Berufstätigkeit, Junggesellinnentum und Amüsiermöglichkeiten in großen Städten verhandelt. Die ›White Slavery‹ Erzählung war aber auch im weiteren Sinn eine Artikulationsform von Krisen der Modernisierung, Urbanisierung und Migration, die so als rassisiertes Problem von Tugend und Laster gelesen werden konnte (Kapitel 2 – Hierachien der Zivilisation).
bis eine weiße Frau aus dem Süden, Jesse Daniel Ames, eine politische Initiative gründete, die sich gegen Lynching im Namen weißer Frauen verwahrte. Siehe Dowd-Hall 1979.
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Mit dem Überschreiten der Color Line artikulierten weiße Bohémiennes der zwanziger Jahre ihre Frustration mit der erstarrten Geschlechterordnung und versuchten über diesen ›Widerstandspunkt‹ eine Krise der Sexualmoral produktiv zu machen. Die öffentliche Aufregung über angebliche Tabubrüche wie Liebesbeziehungen zwischen den Races überschattete nötige Aufmerksamkeit über die heisslaufende Börse auf dem Weg zum Crash. Als Race-GenderProjekt ließe sich ein gemeinsamer Bezug auf ›Primitivismus‹ als Trope von Vitalität, Kreativität und Sexus ausmachen (Kapitel 3 – Primitivistische Renaissancen und Sexuelle Modernismen). Afroamerikanische Künstler und politische Aktivisten wie Eldridge Cleaver, Richard Wright, Amiri Baraka und James Baldwin versuchten über die gezielte Provokation, Vergewaltigung weißer Frauen als Fanal der Befreiung oder Revolution auszugeben, und damit den Rape-Lynching-Komplex zu re-artikulieren. Sie trugen damit selbst zur Dämonisierung afroamerikanischer männlicher Sexualität bei, die den politischen Kampf und die Geheimdienst-Intrigen der Regierung gegen die Black Panther beflügelte (Kapitel 4 – Das Maskulinitätsprojekt). Weiße Protagonistinnen des Second Wave Feminism präsentierten sich zunächst in einem emanzipativen Race-Gender-Projekt, indem sie sich analog auf eine gemeinsame Unterdrückung in ›Women as Nigger‹ (Rubin 1969) bezogen. Dann aber begannen sie sexualpolitisch zu argumentieren und machten Vergewaltigung zur Meistermetapher patriarchaler Herrschaft. Sie invertierten damit den Rape-Lynching-Komplex und interpretierten sexuelle Gewalt als kollektiven Terror gegen weibliches Selbstbewusstsein, der ›wie Lynching‹ funktioniere. Als Susan Brownmiller in ihrer Studie zu Vergewaltigung Against our Will das Lynch-Opfer Emmett Till, einen vierzehnjährigen Jungen, der einer weißen Frau nachgepfiffen hatte, beschuldigte, damit eine sexistische Handlung begangen zu haben, brachte das den weißen Feminismus in die Nähe von Lynchbefürwortung. Dem hegemonialen Diskurs bot dieser Konflikt der in ihren jeweiligen Anfängen schockierenden Rebellionen von schwarzen Männern (und Frauen) und weißen (und schwarzen) Frauen Entlastung und Manipulationsmöglichkeit (Kapitel 5 – Second-Wave-Feminism und Körperpolitik). Und schließlich verhandelt die Positionierung von ›Black-Poster-Boys‹ (O.J. Simpson, Mike Tyson und Clarence Thomas) in den sexualpolitischen Tribunalen des Jahrtausendendes den Grad schwarz/männlichen Selbstbewusstseins, der nach der Civil Rights Periode zulässig schien. Verklammert wurde dieses Race-Projekt mit der Enttäuschung der Women’s Lib Generation, Sexismus insbesondere in Formen von Alltagsgewalt gegen Frauen wie sexuelle Belästigung, häusliche Gewalt und Date Rape, nicht besiegt zu haben und wurde damit zu einem Race-Gender-Projekt. In den ›Großen Tribunalen‹ artikulieren sich sozioökonomische Verschiebungen als sexualpolitische Race-Probleme (Kapitel 6 – Black-Poster-Boys und die Großen Tribunale).
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Race-Gender-Projekte de-autorisieren in Konfliktfall beide ›Parteien‹. Judith Butler fasst die Problemlage in einer etwas anderen Begrifflichkeit folgendermaßen zusammen: »Wir müssen […] gründlich über die Frage nachdenken, aus welchen sozialen Beziehungen sich der Bereich des Symbolischen zusammensetzt, welche konvergierende Reihe historischer Formierungen des rassisch definierten Geschlechts, der geschlechtlich definierten Rasse, der Sexualisierung rassischer Ideale oder der Rassisierung von Geschlechtsnormen sowohl die soziale Regulierung der Sexualität als auch ihre psychische Artikulation ausmacht.« (Butler 1997b, 251)
*** Wenn man Race und Gender, wie es hier versucht werden soll, in historischen wechselseitigen Artikulationsformen analysieren will, liefern alle oben entfalteten Modelle wichtiges Handwerkszeug. Die Präzisierung von Intersektionalität hält dazu an, multiple Identitäten nicht als Settings zu begreifen, an denen mehr Unterdrückung sondern an denen andere Unterdrückung stattfindet. Das Handwerkszeug der Ausdifferenzierung und In Bezug-Setzung von ›Kategorien‹ ist jedoch gleichzeitig ihr Problem. ›Kategorien‹ sind zwar für politische Positionierungen unverzichtbar, sie verdinglichen aber Teilidentitäten, oder besser, sie setzen sie voraus. Nach Wendy Brown blendet ein Denken in ›Intersektionalitäten‹ aus, »wie Subjekte durch Subjektivierungsdiskurse hervorgebracht, werden. Denn wir werden durch diese Diskurse nicht einfach unterdrückt. Wir werden vielmehr mittels dieser Diskurse hergestellt. Und diese Herstellung ist historisch komplex. […] sie findet durch Formierungsprozesse statt, die keine Rücksicht auf unterscheidbare Kategorien nehmen.« (Brown 2006, 132f)
So richtig und wichtig Browns Intervention auch ist, so findet sie eine Grenze an einem unhintergehbaren Paradox: Gleichgültig ob die Kategorien schon da waren, oder durch Subjektivierungsprozesse erst hergestellt werden, so enthebt es die Wissenschaftlerin doch nicht der Notwendigkeit, sie zu benennen, und damit den Zirkel der nicht beabsichtigten Vergegenständlichung erneut zu beginnen. Trotzdem ist eine ›reservatio mentalis‹ gegenüber ›Kategorien‹ angebracht. In Anlehnung an Gayatri Spivaks heuristischen politischen Standpunkt des ›strategischen Essentialismus‹ wird hier einem »strategischer Kategorialis41 mus« das Wort geredet.
41 | Siehe Dietze/Haschemi/Michaelis 2007.
E INLEITUNG
Foucault wurde oft vorgeworfen, dass diskursanalytische Betrachtung von Machtkonstellationen keine souverän handelnden Akteure kenne und damit auch jedes Motiv entfiele, ›politisch‹ zu handeln. Als Erwiderung prägte er den schönen Satz: »Die Leute wissen, was sie tun, warum sie das tun, was 42 sie tun: Was sie aber nicht wissen, ist, was ihr Tun tut.« Gerade an diesem Punkt, so scheint es mir, ist ein politischer Einsatz möglich, der auch über Handlungsmöglichkeiten (Agency) nachdenken kann. Da meine Studie sich mit der Analyse ›dritter‹ Effekte beschäftigt, die durch Race-Gender-Konkurrenzen hervorgerufen werden, also damit, ›was das Tun von Emanzipationsdiskursen tut‹, kann sie möglicherweise dazu beitragen, die analysierten Kopplungen zu denaturalisieren und zu unterbrechen.
42 | Als persönliche Mitteilung zitiert in Dreyfus/Rabinow 1987, 219.
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1. Die Sklaverei des Geschlechts
S PHÄRENK ÄMPFE 1.1 Vorspiel New York 1840 »I rise because I am not a slave«, ruft die Abolitionistin Abby Kelley in ein zischendes Publikum, nachdem sie das Podium erklommen hat, um ihre knappe Wahl zum ersten weiblichen Vorstandsmitglied der American Anti-Slavery Society anzunehmen. Nach einer hitzigen Debatte über die Frage, ob Frauen den Kampf gegen die Sklaverei in führender Position repräsentieren dürfen, spaltet sich noch in derselben Nacht die überstimmte Minderheit von der Mutterorganisation ab und gründet eine ›Neue Organisation‹.1 London 1840 In London tagt die erste internationale Anti-Sklaverei-Konferenz, um die Kräfte der amerikanischen und europäischen Abolitionisten zu vereinen. Die ›Alte Organisation‹ entsendet acht weibliche Delegierte.2 Nach einer zwei Tage wogenden Auseinandersetzung verbannen die britischen Gastgeber die Amerikanerinnen ohne Stimmrecht auf die Galerie. Ein schwarzer Delegierter, Charles 1 | Die Spaltung des Abolitionismus über die Frauenfrage wird in der traditionellen Geschichtsschreibung entweder nicht aufgegriffen oder gezielt heruntergespielt. Ronald G. Walters z.B. sieht die Woman Question als ein »false issue«, das nur den Machtkampf zwischen der New York Fraktion der Gebrüder Tappan und die von Garrison kontrollierte New England Fraktion symbolisiert habe (Walters 1976, 12). Eine neuere Ausnahme dieser Lesart bildet die liberale Studie Of One Blood von Paul Goodman (Goodman 1998). Feministische Historikerinnen des Abolitionismus dagegen würdigen durchgehend diese Episode als einen definierenden Moment. Siehe Flexner/Fitzpatrick 1959, 137-148, Griffith 1984, 37 und Kish-Sklar 1994, 301f. 2 | Es handelte sich um Lucretia Mott, Emily Winslow, Abby Southwick, Ann Green Philips, Abby Kimber, Elizabeth Neall, Mary Crew und Sarah Pugh.
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Remond, schließt sich ihnen aus Solidarität an.3 Die gedemütigten und nun von ihren Pflichten entbundenen Repräsentantinnen und die junge Braut eines Delegierten – Elizabeth Cady Stanton4 – finden sich im Zorn zusammen und beschließen, sich künftig nicht nur gegen Sklaverei, sondern auch politisch für die Rechte der Frauen einzusetzen.
Seneca Falls 1848 Elizabeth Cady Stanton und die Quäker-Predigerin Lucretia Mott riefen in einer Methodistenkirche in Seneca Falls die historisch erste Frauenrechtsinitiative in den USA zusammen und verabschiedeten eine Declaration of Sentiments.5 Sie begann nach dem Beispiel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung mit den Worten: »We hold these truths to be self-evident: that all men and women are created equal« (Gurko 1974, 307). Alle Forderungen wurden einstimmig verabschiedet. Umstritten war nur das Wahlrecht. Den meisten Delegierten erschien ein solcher Programmpunkt unnötig oder zu provokant. Der einzige afroamerikanische Teilnehmer der Konferenz, der berühmte Abolitionist und Publizist Frederick Douglass, hielt eine flammende Rede zur Unterstützung des Frauenwahlrechts. Daraufhin bekam die Forderung eine knappe Mehrheit.
3 | Ein schwarzer Jamaikaner plädierte auf der Londoner Konferenz allerdings für den Ausschluss der Frauen: »[He thought] it would lower the dignity of the convention and bring ridicule.« Lucretia Mott schrieb dazu: »Similar reasons were urged in Pennsylvania for the exclusion of colored people.« Zitiert nach Kish-Sklar 1994, 308. 4 | Elizabeth Cady Stanton schrieb später in ihren Memoiren: »My experiences at the World’s Anti-Slavery Convention, all I had read of the legal status of women, and the oppression I saw everywhere, together swept across my soul […] in this tempest-tossed condition of mind I received an invitation to spend the day with Lucretia Mott […] I poured out the torrent of my long accumulating discontent with such vehemence and indignation that stirred myself, as well as the rest of the party« (Stanton 1971, 148). Stantons Londoner Entscheidung für die politische Initiative zu einer eigenen Frauenbewegung hat einen delikaten Hintersinn. Sie war auf der Hochzeitsreise mit Henry Stanton, der als abolitionistischer Agent der abgespaltenen ›Neuen Organisation‹ angehörte. Obwohl er seiner Gattin gegenüber behauptet hatte, er hätte für die Frauen gestimmt, ergab eine Recherche der Konferenzdokumente, dass er niemals für die Sache der Frauen-Repräsentanz das Wort ergriffen und seinen politischen Freunden gegenüber immer bestritten hatte, dafür gestimmt zu haben (Kennon 1999, 346, FN 75, 353). 5 | Die Benennung des ersten Manifests für Frauenrechte Declaration of Sentiments ist ein Nachklang der »Declaration of Sentiments and Purposes« von 1833, mit der die Charta der abolitionistischen American Anti-Slavery Society überschrieben war.
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Abby Kelley fühlte sich berechtigt, in hervorgehobener Stellung einen politischen Kampf zu führen, weil sie ›kein Sklave‹ ist. Die ausgesperrten weißen Frauen der Londoner Anti-Sklaverei-Konferenz begriffen, dass sie nicht gegen die Sklaverei kämpfen konnten, solange ihre männlichen Kampfgenossen Frauen nicht als gleichberechtigte Partner anerkannten. Schwarze Delegierte standen ihnen in dieser Frage bei. Und die Verfasserinnen der ersten politischen Erklärung zu Frauenrechten in den USA konnten nur mit Hilfe eines afroamerikanischen Agitators davon überzeugt werden, dass sie für politische Handlungsfähigkeit auch eines politischen Mandates bedurften, nämlich des Wahlrechts. Für die frühe amerikanische Frauenbewegung ist die Sklaverei der Hintergrund, auf und gegen den sich weiße Frauen Schritt für Schritt ihrer eigenen Situation bewusst werden. Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche DiskursPerspektiven. Einmal führt die Feststellung der angenommenen Ähnlichkeit der Situation weißer Frauen mit der der Sklaven zu politischen Allianzen. Diese hat es immer wieder gegeben, wie man sowohl am abolitionistischen Engagement der Frauen als auch an der Schützenhilfe, die z.B. Frederick Douglass und Charles Remond geleistet haben, sehen kann. Der Vergleich von weißen Frauen und Sklaven (beiderlei Geschlechts) kann sich aber auch auf einen Unterschied kaprizieren, nämlich auf die vermeintlich ›zivilisiertere‹ und privilegiertere Position der weißen Frau. Hier wird argumentiert, dass Mütter, Ehefrauen und Töchter der führenden Schichten rechtlich genauso schlecht behandelt werden wie Sklaven. Agitation für Frauenrechte heißt dann, vorenthaltene Privilegien der weißen Hautfarbe einzufordern. Toni Morrisons Theorie der ›Africanist Presence‹ kann auch hier dazu beitragen, den Horizont der Ansprüche auszuloten, den weiße Frauenrechtlerinnen an die Gesellschaft anmeldeten: »Black slavery enriched the countries creative possibilities. For in that construction of blackness and enslavement could be found not only the not-free but also, with the dramatic polarity by skin color, the projection of not-me.« (Meine Kursivierung) (Morrison 1992a, 38) Nicht nur die Unfreiheit (not-free) der Sklaven bildet hier den Hintergrund, sondern auch deren andere Hautfarbe (not-me). Ein sonst unmarkiertes Merkmal, die weiße Haut, rückt als Privileg in den Vordergrund. Im Vorgriff auf die spätere Analyse soll hier festgehalten werden, dass die Abolitionistin zwar von Sklaven als »Geschwistern in Ketten« (Brethren in Bonds) sprach, aber dass das wirkliche Pathos der ersten Frauenbewegung sich aus dem Augenschein der ›eigentlichen‹ Gleichheit mit dem weißen Mann speiste, der ungerechterweise gleichfarbige Frauen zur selben Rechtlosigkeit und Leibeigenschaft verdammte wie die durch sichtbare schwarze Markierung zur Unfreiheit verdammten Sklaven.
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Solange die Behandlung der Sklaven und Sklavinnen und der weißen Frauen als unverdient ungerecht verstanden wurde, hatte die Analogie von weißen Frauen und Sklaven und Sklavinnen politisches Potential für die Emanzipation beider Gruppen. Sie trug allerdings nur so weit, wie die Lage der Sklaven und Ex-Sklaven deutlich beklagenswerter war als die der weißen Frauen. Ändert sich für die Abolitionistin das mentale Gleichgewicht von Idealismus und Herablassung, konnte die angenommene Ähnlichkeit zum Schauplatz von Konkurrenz und Antagonismus werden. Diese Entwicklung liegt allerdings in der Zukunft. Die ersten beiden Teile des Kapitels werden sich mit der Entstehung der amerikanischen Frauenrechtsbewegung aus dem Abolitionismus befassen. Die Teile drei und vier werden sich dann dem hier im Vorgriff angedeuteten Übergang von der solidarischen Allianz zur politischen Konkurrenz zuwenden.
1.2 Die Abolitionistin und die Separate Sphäre Frederick Douglass schrieb 1892: »When the true history of the anti-slavery cause will be written, women will occupy a large space in its pages: for the cause of the slave has been peculiarly women’s cause.« 6 Abby Kelleys Wahl in den Vorstand der American Anti-Slavery Society 1840 und die daraus folgende Spaltung der Organisation war ein knappes Jahrzehnt einer bis dato nie erlebten weiblichen politischen Aktivität vorausgegangen. In neun Bundesstaaten hatten sich hundertzwölf Gruppen weiblicher Abolitionistinnen mit über zehntausend Mitgliedern gebildet,7 die sich in drei nationalen FrauenKonferenzen organisierten.8 Einige von ihnen – die für die Sache des Abolitionismus reformierten Töchter eines Sklavenhalters aus den Südstaaten, Sarah und Angelina Grimké, eine der ersten weiblichen College-Absolventinnen, Lucy Stone, und die Quäker Predigerin Lucretia Mott – waren erstmals in der amerikanischen Geschichte als Rednerinnen in Hallen und Kirchen aufgetreten und hatten vor gemischtgeschlechtlichem Publikum gesprochen, was als besonders unziemlich galt.9 Sich gegen die Sklaverei zu engagieren, erforderte große Zi6 | Douglass 1962, 469. Zitiert nach Davis 1983, 30. 7 | Paul Goodman zählt nach den Jahresberichten der Frauen-Gesellschaften 6380 Mitglieder, weist aber darauf hin, dass nicht alle Vereinigungen ihre Mitgliederzahl angegeben haben (Goodman 1998, 207). 8 | Siehe eine Auswertung der drei nationalen Frauen-Konferenzen 1837-1839 von Ira V. Brown (Brown 1999). 9 | Drei Frauen waren vor den Abolitionistinnen in den Vereinigten Staaten als Rednerinnen aufgetreten: die Engländerin Frances Wright und die eingewanderte polnische
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vilcourage und brachte gerade Frauen in skandalöse und auffällige Positionen. Abolitionistische Treffen wurden nicht selten von gewalttätigen Ausschreitungen von Sklaverei-Befürwortern begleitet. Diese erreichten einen Höhepunkt, als eine aufgebrachte Menge die zweite nationale Konferenz der Abolitionistinnen stürmte und anschließend das Tagungsgebäude, die Pennsylvania Hall in Philadelphia, niederbrannte.10 Der Kampf weißer Abolitionistinnen, auf Podium und Kanzel sprechen zu dürfen, und sich an die Regierung der Vereinigten Staaten mit Petitionen wenden zu dürfen, las man in der feministischen Geschichtsschreibung lange als protofeministische Urszene der amerikanischen Frauenrechtsbewegung. Neuere von der Postcolonial Theory beeinflusste Forschung, wie die Studie The Right to Speak von (Portnoy 2005), zeichnen ein differenzierteres Bild. Danach wurden die ersten von Frauen geschriebenen Petitionen nicht zur Sklavenfrage verfasst, sondern sie appellierten 1830 an die Bundesregierung, die Cherokee, Chocktaw und Creek ›Indianer‹ nicht von ihrem Land zu vertreiben. Die Frauenkampagne wurde von Catharine Beecher ins Leben gerufen, die nur wenig später das öffentliche Sprechen und Bittschriften Versenden der Abolitionistin Angelina Grimké in Pamphleten angriff. Diese paradoxe Situation wirft ein Licht auf die Verflechtung des Sklavereiproblems mit imperialen Fragestellungen der Landnahme und Indianervertreibung. Die Aggression, die Angelina Grimké als Podiumsrednerin entgegenschlug, hing hauptsächlich mit der Tatsache zusammen, dass sie in der Sklavenfrage eine Minderheitenposition vertrat, die der sofortigen Befreiung (Immediate Emancipation). Der Mehrheit der amerikanischen Abolitionisten waren für allmähliche Befreiung (Gradual Emancipation), die damit verbunden wurde, die befreiten Sklaven mit Hilfe der American Colonization Society sofort nach Afrika zu verbringen, wo sie als Missionare eingesetzt werden sollten. Der Hintergrund dieser ›moderaten‹ politischen Strategie war zum einen, dass ein Jüdin Ernestine Rose, die beide für frühsozialistische utopische Gemeinschaftsformen und Sozialreform warben, und die Afroamerikanerin Maria W. Steward, die in Boston 1832 und 1833 vier Auftritte als Erweckungspredigerin hatte (Yellin 1989, 46-48). Alle drei Rednerinnen galten jedoch als Ausländerinnen und exotisch und berührten insofern nicht die Konventionen der herrschenden Geschlechterordnung für weiße Amerikanerinnen. 10 | Die tapferen Delegierten trafen sich am nächsten Tag andernorts. Zur Geschichte des Brandanschlages siehe Brown 1999, 10-14. Als die Female Anti-Slavery Society in der Vortragshalle in Philadelphia tagte, wurde das Gebäude als ›Temple of Amalgamation‹ bezeichnet. Unter Amalgamation verstand man im frühen 19. Jahrhundert ›Rassenmischung‹. Es kursierten Flugblätter mit Zeichnungen, auf denen sich die Abolitionistinnen wie in einem Bordell in den Fenstern präsentierten, während vor der Halle Liebespaare unterschiedlicher Races flanierten.
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Zusammenleben mit zwei Millionen freien ›People of Color‹ für weiße Menschen nicht vorstellbar und gewünscht war und dass das Kolonisierungsprojekt gleichzeitig als Avantgarde von US-imperialen Interessen nach Afrika gedacht war. Weil die Verfasserinnen der Bittschriften gegen die Vertreibung der ›Indianer‹ zu den Gradualisten gehörten, ging von ihnen auch keine politisch destabilisierende Gefahr aus. An dieser Intersektionalität von Race, Gender und Lokalität galt die Inanspruchnahme des Petitionsrechts nicht als bedrohlicher Angriff auf die Geschlechter- und Race-Ordnung. Erst als daraus ein oppositionelles Race-Gender-Projekt wurde, das sowohl den Status der Ehe als auch der Sklaverei in Frage stellte, bekam das Petitionsrecht und das Recht öffentlich zu sprechen einen krisenhaften Charakter. Mit Ausnahme der Geschwister Grimké hatten die Abolitionistinnen vor ihrem Engagement wenig Umgang mit schwarzen Menschen gehabt. Der überwiegende Teil war nie in den Süden gereist und hatte keinen persönlichen Augenschein von den Grausamkeiten der Sklaverei. Trotzdem stammen einige der wichtigsten und populärsten Propaganda- und Kampfschriften zur Sklaverei aus der Feder weißer Frauen. Die Quäkerin Elizabeth Margaret Chandler redigierte ab 1826 das ›Ladies Repository‹ der ersten Anti-Slavery-Zeitschrift The Genius of Universal Emancipation, und gab mit ihren Gedichten die Leit- und Mottosprüche der gesamten Bewegung vor. Die Autorin Lydia Maria Child publizierte 1833 eine erste erschütternde Bestandsaufnahme der Lage der Sklaven in den USA, An Appeal in Favour of that Class of Americans Called Africans, der viele bislang desinteressierte Nordstaatler zu dem Projekt der Abschaffung der Sklaverei bekehrte. 1836 gingen die Schwestern Sarah und Angelina Grimké auf ihre viel beachtete und sehr umstrittene Vortragstour und erreichten damit vierzigtausend Zuhörer und Zuhörerinnen. Als Schlusspunkt dieser AhninnenReihe publizierte Harriet Beecher Stowe 1852 den Roman Uncle Tom’s Cabin, den wohl einflussreichsten propagandistischen Coup zur Ächtung der Sklaverei vor dem Bürgerkrieg.11 11 | Die Beziehung von Abolitionismus und erster amerikanischer Frauenbewegung hat inzwischen zwei Generationen feministischer Historikerinnen beschäftigt. Die Geschichtsschreibung beginnt mit Eleanor Flexners Century of Struggles (Flexner/Fitzpatrick 1959), die den konservativen männlichen Widerstand gegen weibliche abolitionistische Aktivität als eine wichtige Initialzündung des Frauenrechtsdiskurses versteht. Die Forschung setzt sich fort mit Aileen S. Kraditors beiden Büchern zum Abolitionismus, dessen Reiz für die erste Frauenbewegung die Autorin in seiner revolutionären Grundhaltung – anti-institutionell, anti-klerikal und protofeministisch – sieht (Kraditor 1969). In ihrer Studie über die spätere Suffrage-Bewegung kontrastierte sie deren ›Rassismus‹ mit dem Egalitarismus des frühen Abolitionismus (Kraditor 1968). Es folgten 1978 Blanche Glassman Hersh mit Slavery of Sex, die Abolitionismus positiv als »feminist consciousness raising« interpretiert (Hersh 1978, 24f). Ein Jahr später, 1979,
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Die Diskrepanz zwischen diesem mutigen und unkonventionellen Engagement und der relativen persönlichen Ferne zu dem Problem der Sklaverei ist augenfällig. Umso überraschender ist die Leidenschaft, die das Engagement begleitet. Elizabeth Cady Stanton fand außerordentlich starke Worte, als sie den Ausschluss der Frauen auf der Anti-Sklaverei-Konferenz von London kommentierte: »[…] [male abolitionists] would have been horrified at the idea of burning flesh of the distinguished women present with red-hot irons, but the crucifixion of their pride and self-respect, the humiliation of their spirit seemed to them the most trifling matter.« (Meine Kursivierung) (Stanton 1971, 82) Die Autorin imaginierte sich hier als gebrandmarkte Sklavin. Die männlichen Abolitionisten, die den Frauen in London das Rederecht verweigert hatten, figurierten in ihrer Phantasie als Sklaventreiber. Die hohe Zahl von aktiven Abolitionistinnen, die Konzentration ihrer Aktivitäten, ihr Mut, ihre Unkonventionalität und ihre gewaltsame Rhetorik legen den Schluss nahe, dass weiße Frauen eine besondere Dringlichkeit empfanden, die bis dahin respektierten Grenzen ihres Aktionsraumes zu überschreiten. In der Tat hat sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Lebenssituation amerikanischer Frauen in sozioökonomischer und in demographischer Hinsicht entscheidend geändert. Der Umbruch wird von den meisten Historikern und Historikerinnen zwischen 1830 und 1850 angesetzt und fällt somit direkt in deutet Ellen DuBois den abolitionistischen Einfluss weniger unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnis gemeinsamer Unterdrückung, sondern als Strategieschule zur Entwicklung einer eigenen sozialen Bewegung (DuBois 1979, 242). Neuere umfangreichere Forschungen legt 1989 Jean Fagan Yellin vor, der es in Women and Sisters in Anknüpfung an den Streit zwischen weißen und afroamerikanischen Feministinnen der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts darauf ankommt, die verdrängte frühe ›Sisterhood‹ zwischen schwarzen und weißen Abolitionistinnen herauszuarbeiten (Yellin 1989). Siehe auch den Sammelband zur gleichen Fragestellung Yellin/Van Horne 1994. Touching Liberty (Sánchez-Eppler 1993) untersucht an der Nahtstelle von Abolitionismus und ›Personhood‹ den Frauenrechtsdiskurs als den Anspruch zweier ausgegrenzter Körper, dem Race- und Gender-Körper, auf Subjektwerdung und Personhood. 1998 erschien von Julie Roy Jeffrey The Great Silent Army of Abolitionism, wo es um historische Gerechtigkeit für die afroamerikanischen und weißen Frauen der Unterklassen in der abolitionistischen Bewegung geht (Jeffrey 1998). 2005 erschien eine Anthologie zur transatlantischen Verbindung von Abolitionismus, Gender und Sklavenbefreiung (Scully/Paton 2005). Neben Einzelstudien über berühmte afroamerikanische Abolitionistinnen wie Sarah Douglass, Sarah Forten, Harriet Tubman und Sojourner Truth siehe die Gesamtdarstellung Black Women Abolitionists von Shirley Yee (Yee 1992).
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die Hochzeit des Abolitionismus.12 Sozioökonomisch gesehen war die ›Ökonomie des ganzen Hauses‹ unter der ersten Industrialisierungswelle zusammengebrochen. Die vorher räumlich verbundene männliche und weibliche Familien-Arbeitsleistung wurde in ›separate Sphären‹, nämlich in eine aushäusige Berufstätigkeit des Mannes und in eine ›Woman’s Sphere‹ von Kinderaufzucht und Haushaltsökonomie aufgeteilt.13 Der neue Lebens- und Arbeitszuschnitt in abgetrennte Sphären wurde als spürbare Entmachtung erlebt. Elizabeth Cady Stanton stürzte in eine tiefe persönliche Krise, als sie das ›ganze Haus‹ der väterlichen Rechtspraxis, in dem sie zuerst als Tochter und dann als Ehefrau gelebt und juristische Zuarbeit geleistet hatte, verließ und sich plötzlich allein in einer Kleinstadt mit großer Familie vorfand, der Gatte nicht nur tagsüber, sondern oft für Wochen abwesend. »I suffered with mental hunger, which like an empty stomach, is very depressing. I had books but no stimulating companionship« (Stanton 1971, 146). Neben der zunehmend geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bedeutete die Entwicklung gleichzeitig eine verstärkte Trennung von (männlicher) Öffentlichkeit und (weiblicher) Privatheit. Diese ging mit einem ›gefühlten Statusverlust‹ für Frauen einher.14 Dem entsprach auch die Politik der Regierung Andrew Jacksons, auch der ›King of Mob‹ genannt, unter der immer mehr Männer niederer Klassen das Wahlrecht erhielten und daher der politische Ausschluss weißer Frauen höherer Klassen stärker empfunden wurde. In demographischer Hinsicht begann man sich für Bevölkerungspolitik zu interessieren. Diese Prozesse spielten sich im 19. Jahrhundert in der gesamten westlichen Hemisphäre ab. Insofern treffen Foucaults viel zitierte Überlegungen in Sexualität und Wahrheit von einer neuen ›Biopolitik‹ auch auf die USA zu: »[…] Man brachte den Körper der Frau […] in organische Verbindung mit dem Gesellschaftskörper (dessen Fruchtbarkeit er gewährleisten und regeln musste), mit dem Raum der Familie (den er als funktionelles und substantielles Element mittragen muss) und mit dem Leben der Kinder (das er hervorbringt und das er dank einer ganzen Erziehung währenden biologisch-moralischen Verantwortlichkeit schützen muss).« (Foucault 1983, 126) Die weiße Frau wurde in dieser Entwicklung 1. vergeschlechtlicht, d.h. Aspekte kultureller Weiblichkeit wurden betont, 2. naturalisiert, d.h. sie wurde hauptsächlich als Körper und Gattung verstanden, und 3. komplementarisiert, d.h. ihre 12 | Smith-Rosenberg 1985, 13. Siehe auch Welter 1976 und Cott 1977. 13 | Zur Entwicklung des sozioökonomischen Arguments für westliche Gesellschaften im allgemeinen siehe Hausen 1976, für amerikanische Verhältnisse im besonderen siehe Kraditor 1968. 14 | Zur Kategorie ›gefühlter Statusverlust‹ siehe Lerner 1969, zitiert nach Kish-Sklar 1973, 193.
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Eigenschaften und Verhalten wurden als prinzipiell anders und ergänzend zu denen des Mannes interpretiert. Über die so gefasste weibliche ›Unvergleichlichkeit‹15 konnten in den neuen bürgerlichen Demokratien USA und Frankreich, die ja fundamental auf der Gleichheit aller Menschen basierten, der Ausschluss von Frauen aus der Politik ideologisch begründet werden.
1.3 Der amerikanische Kompromiss Eine neue Ordnung der Geschlechter regulierte, was als gottgefällig, natürlich und nützlich angesehen wurde. Die Zentralmetaphern dieser Konstruktion beziehen sich auf einen Ort, nämlich das Haus und Heim, von dem aus die neue Frau des 19. Jahrhunderts gedacht wurde. Die räumliche Geschlechterordnung wurde in unterschiedlichen Registern beschrieben, einmal religiös als ›Woman’s Providence‹, dann geschlechtlich als ›Woman’s Sphere‹ und allgemein topologisch als Ideologie der ›Separate Sphere‹.16 Die strenge Segregation 15 | Zur Frage von ,Gleichheit‹ des Mann/Menschen und ›Unvergleichlichkeit‹ des Weibes im 18. Jahrhundert als ›weibliche Sonderanthropologie‹ siehe Honegger 1996a, 126f. 16 | Wichtig zu erwähnen ist, dass sich der Geltungsbereich der Separate Spheres zuerst einmal auf weiße Frauen des Bürgertums erstreckte. Gerda Lerner weist darauf hin, dass sich die Geschlechterordnung der ›Separaten Sphären‹ für die bürgerliche Hausfrau genau im selben historischen Moment bildete, als mehr und mehr Frauen und Kinder der niederen Klassen in die Fabrikarbeit gezogen wurden. Damit war die Ideologie der separaten Sphären auch ein Mittel, einen gehobenen sozialen Status zu bezeichnen (Lerner 1969). Die frühe feministische Geschichtsschreibung liest die Trennung distinkter Geschlechtersphären zunächst als Verbannung der Frauen aus der Öffentlichkeit, ihre Eingrenzung und Unterdrückung (Kraditor 1968), Lerner 1969 und Welter 1976). In späteren Studien werden eher die Möglichkeiten hervorgehoben, die ein eigenständiger Raum in sich barg, über den man unangefochtene Autorität besaß. Nach Nancy Cott hat die Geschlechterordnung der separaten Sphären Frauen vom Paradigma der Minderwertigkeit ins Paradigma der Unterschiedlichkeit verschoben: »The doctrine of ›Woman’s Sphere‹ opened women avenues of domestic influence. It articulated social power« (Cott 1977, 200). Carol Smith-Rosenbergs Formulierung ›The Female World of Love and Ritual‹ vertieft diese Auffassung, indem sie auf die ›autonomen‹, weiblichen Beziehungs- und Äußerungsmöglichkeiten dieser Konstruktion verweist (Smith-Rosenberg 1985, 53-77). Carl N. Degler geht sogar soweit, die Ideologie der Häuslichkeit (Domesticity) als Alternative zum Patriarchat zu verstehen: »By asserting a companiate role for women, it implicitly denied patriarchy« (Degler 1980, 28). Für eine Zusammenschau der geschichtswissenschaftlichen Theorien zur Separate Sphere siehe Kerber 1988. Eine neuere Anthologie Separate Spheres No More relativiert die Entgegensetzung von Unterdrückung und Ermächtigung und liest die Geschichte der Frauenemanzipation
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amerikanischer Geschlechterverhältnisse fiel auch ausländischen Beobachtern ins Auge. Der französische Bildungsreisende Alexis de Tocqueville schrieb 1835: »In no country has such constant care been taken, as in America to trace two clearly distinct lines of action for the two sexes and to make them keep pace one with the other but in two pathways which are always different.«17 Tocqueville führte aus, dass weiße amerikanische Frauen offenbar sehr stolz auf ihre Position in der häuslichen Sphäre seien. Ihre Sicherheit garantiere das Funktionieren der ansonsten konfliktreichen öffentlichen Sphäre der amerikanischen Demokratie. Die amerikanische Frau begreife daher ihre weibliche Bescheidung als ihren staatsbürgerlichen Beitrag für das Funktionieren der Republik.18 Als ›republikanisches Zugeständnis‹ wird damit der weiblichen Pflege der Kernfamilie die Pflege der ›Zivilisation‹ in einem ›Civic Household‹ zugesellt. Frauen wurde eine besondere Affinität zu den edleren Bereichen des Lebens wie Religion und den schönen Künste zugestanden. Schon im Konzept der ›Republican Motherhood‹ (Kerber 1976) war angelegt, dass die Frau dem Manne moralisch und kulturell überlegen ist. Diese Vorstellung war eine Art Kompensation, die zwar die Durchsetzung der Vergeschlechtlichung (und damit die Verweisung der Frau aus der öffentlichen Sphäre) vollzieht, aber Frauen im abgeschlossenen Raum ihrer separaten Sphäre eine Kulturhoheit erlaubt und eine gewisse Definitionsmacht über die moralische Verfassung der Nation einräumt. Man könnte unter diesen Voraussetzungen von einem ›amerikanischen Kompromiss‹ sprechen, der das Legitimationsproblem der amerikanischen Demokratie, Frauen nicht am politischen Leben zu beteiligen, mit der Anerkennung einer kulturell-spirituellen Autorität der Frau aufgewogen hat. Um dieses prekäre Gleichgewicht zu installieren und auszutarieren, wurde die Befestigung der Separaten Sphären zu einem gesamtgesellschaftlichen Anliegen. Mit religiösen Traktaten, Handbüchern, Haushaltsführern und Erbauungsschriften steckte man den neuen sozialen Raum ab. Die Ethik der weiblichen Sphäre verdichtete sich in einem ›Cult of True Womanhood‹. Lapidar zählt Barbara Welter in ihrem berühmten gleichnamigen Aufsatz die vier verlangten, weiblichen Kardinaltugenden auf: Piety (Frömmigkeit), Purity (Reinheit), Subweniger unter der Geschlechtsdifferenzierung, sondern unter dem Gesichtspunkt von »Gender Convergence« (Elbert 2000). 17 | Tocqueville 1956, 244. Tocqueville verstand diese Besonderheit der weiblichen Sphäre als »Civic Housekeeping« Elshtain 2000, 161. 18 | Catharine Beecher, eine der einflussreichsten Exegetinnen der Ideologie der Separaten Sphären, nahm in ihrem Treatise on Domestic Economy (Beecher 1843) ausführlich und positiv auf Tocquevilles »Civic Housekeeping«-Konzept Bezug. Siehe KishSklar 1973, 156-163.
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missiveness (Fügsamkeit) und Domesticity (Häuslichkeit). Sie verbindet sie mit den weiblichen Hauptfunktionen Mutter, Tochter, Schwester, Gattin, die sich hier zum universellen Begriff der Frau addieren (Welter 1976, 21). Der frühe Abolitionismus bot eine interessante Alternative zur bedrückenden Invasion von Reglementierungen, ohne jedoch die Autorisierung durch die weibliche Sphäre grundsätzlich anzugreifen. Einer der Führer der radikal abolitionstischen Bewegung für sofortige Sklavenemanzipation (Immediate Emacipation), William Lloyd Garrison, trug besonders dazu bei, die konservative religiöse Rechtfertigung des Cult of True Womanhood zu untergraben. Wie die meisten Abolitionistinnen hatte sich Garrison in der Erweckungsbewegung des ›Second Great Awakening‹ vom organisierten Christentum abgewandt, dessen Heuchelei in der Sklavenfrage er scharf attackierte, und zu einer persönlichen spirituellen Religiosität gefunden. So war es möglich, sowohl in einem Geist des wahren Christentums als auch mit sozialrevolutionärem Impetus moralische Werte einzufordern. Garrison verteidigte die berühmten abolitionistischen Rednerinnen Sarah und Angelina Grimké leidenschaftlich gegen Angriffe aus dem kongregationalistischen Klerus wegen ihrer öffentlichen Auftritte, er beförderte Abby Kelleys Wahl in den Vorstand der Anti-Slavery Society, er hatte sich zusammen mit den ausgeschlossenen Frauen in London auf die Galerie gesetzt, und er hatte mit Lydia Maria Child zum ersten Mal eine Frau zur Chefredakteurin des National Anti-Slavery Standard gemacht. Elizabeth Cady Stanton sang das Hohelied auf die Abolitionisten der Garrison-Fraktion: »[The Garrisonians are] the only organization on God’s footstool where the humanity of women is recognized, and these are the only men who ever echoed back her cries for justice and equality […] No, the mission of this radical Anti-Slavery Movement is not to the African Slave alone, but to the slaves of the custom creed and sex, as well.«19 (Meine Kursivierung) Der Abgrund der Sklaverei rechtfertigt nach ihrer Auffassung in einer Art moralischer Notwehr die Ausweitung der sich verengenden Grenzen der weiblichen Handlungsmöglichkeiten. Das Konzept der Separaten Sphären wird zu diesem Zweck umdefiniert. Angelina Grimké formulierte das Programm: »The time has come to move in that sphere which providence has assigned, and no longer remain satisfied with the circumscribed limits which corrupt custom and a perverted application of the scripture have encircled her. Therefore it is the duty of
19 | Stanton/Anthony 1981, 81. Zitiert nach Ceplair 1989, 2.
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women and the province of women to plead the cause of the oppressed in our land […].« 20 (Meine Kursivierung) Das abolitionistische Engagement ist also keine offene Revolte gegen die private und politische Eingrenzung und Rechtlosigkeit der weiblichen Position, sondern es argumentiert mit dem Ermächtigungspotential der weiblichen Sphäre gegen die Entmündigung in der Sphäre.21 Die Abolitionistinnen verrichteten dabei eine aus heutiger Sicht widersprüchliche kulturelle Arbeit. Einerseits rekurrierten sie auf die sittliche und geistige Autorität der Frau, um männliche Moral und autoritären Klerus anzugreifen. Andererseits vertieften und verschärften sie die Vorstellung einer speziell weiblichen Zuständigkeit für Tugend und Religion, und beteiligten sich damit selbst an der Kodifizierung der Providence of Women und des Cult of True Womanhood.22 Die Gleichzeitigkeit von Bestätigen und Unterlaufen der neuen Sphärenordnung führt allerdings die Frauenfrage immer mehr in den Vordergrund des abolitionistischen Unternehmens. Sie bricht exakt an den Debatten auf, wie sichtbar, kontrovers und öffentlich Frauen zur Abschaffung der Sklaverei Stellung nehmen dürfen. Angelina Grimké schrieb: »Can you not see that a woman could do and would do a hundred times more for the slave if she were not fettered […] If we surrender the right to speak in public this year, we must surrender the right to petition next year, and then to write the year after. What then can women do for the slave, when she herself is under the feet of man and shamed into silence.«23 (Meine Kursivierung) Auf der Oberfläche befindet man sich noch immer in der ›moralischen Notwehr‹ des als dringlich gesehenen Kampfes gegen die Sklaverei. Der implizite Schwerpunkt des Arguments hat sich freilich auf das drastische Bild von der männlichen Herrschaft als Sklavenregime verlagert, in der Frauen buchstäblich 20 | Angelina Grimké, »Proceedings of the Anti-Slavery Convention of the American Women in the City of New York«, 1837. Dokumentiert in Ceplair 1989, 131. 21 | Katherine Henry interpretiert Angelina Grimkés Politik als eine ›Rhetoric of Exposure‹, die weibliche Verletzlichkeit und damit eines der wichtigsten Terrains der Woman’s Sphere zum Zentrum ihrer Agitation gemacht habe (Henry 1997). 22 | Die Abolitionistinnen waren damit gleichzeitig, wie Carolyn Johnston sagt, »ermächtigt und gefangen« (Johnston 1992, 25), oder wie G.M. Goshgarian es ausdrückt »souverän und untergeordnet« (Goshgarian 1992, 59). Für den Problemkomplex der Doppelnatur der Separate Spheres-Denkform siehe die Anthologie Seperate Spheres no More (Elbert 2000). 23 | Brief von Angelina Grimké an Theodore Dwight Weld und John Greenleaf Whittier, 8. März 1837. Dokumentiert in Ceplair 1989, 282, 284.
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mit Füßen getreten werden und ihnen der Mund verboten wird. Die Rhetorik des Abolitionismus, der die Hervorhebung physischer Grausamkeiten der Sklaverei zu seinem wichtigsten Propagandamittel gemacht hatte, dient hier als Sprache, um dem eigenen, bislang nicht artikulierten Anliegen Ausdruck zu geben. Oder, um es in psychoanalytischem Vokabular auszudrücken, eine bedeutende Gruppe nordstaatlicher weißer Ladys ›verschiebt‹ eine eigene Problemlage auf den Diskurs der Sklaverei.24
1.4 Unaussprechliches In der frühen abolitionistischen Propaganda steht die Figur der Sklavin im Zentrum der Argumentation. Wichtig dabei ist die Erniedrigung der Sklavin als Frau und ihre Missachtung als Mutter. Wie durch Harriet Beecher Stowes Uncle Tom’s Cabin millionenfach verbreitet, wird die Sklaverei im abolitionistischen Text als ein Verbrechen an der Heiligkeit von Heim und Mutterschaft verstanden.25 Insbesondere wird die sexuell ausbeutbare Lage der Sklavin, neben Zwangsarbeiterin zusätzlich Lust- und Zuchtobjekt ihres Besitzers zu sein, als Anschlag auf die Werte ›Wahrer Weiblichkeit‹ gelesen. Die junge abolitionistische Dichterin und Publizistin Elizabeth Margaret Chandler wusste sich in ihrem Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung der Sklavin auf ureigenstem weiblichem Terrain, nämlich in ihrer Rolle als Wächterin der Tugend.26 So schrieb sie: 24 | Karen Sanchez-Eppler stellt in ihrem viel zitierten Aufsatz »Bodily Bonds – The Intersecting Rhetorics of Feminism and Abolitionism« die Denkfigur der Verschiebung (Displacement) ebenfalls ins Zentrum ihrer Argumentation über das Verhältnis von Abolitionismus und Frauenbewegung. Sie gibt ihrer Analyse allerdings eine moralische Wendung, indem sie zusätzlich von Ausbeutung und Aneignung spricht: »The relation between feminism and abolition increasingly seemed characterized by patterns of exploitation, appropriation and displacement« (Sánchez-Eppler 1993, 13). 25 | Jane Tompkins hat diese Lesart in einem paradigmatischen Satz zusammengefasst: »Uncle Tom’s Cabin retells the culture’s central religious myth – the story of crucifixion – in terms of the nation’s greatest political conflict – slavery – and of the most cherished social beliefs – the sanctity of motherhood and family« (meine Kursivierung) (Tompkins 1985, 134). 26 | Elizabeth Margaret Chandler war erst zweiundzwanzig Jahre alt, als sie die Damenbeilage der historisch ersten Anti-Sklaverei-Zeitschrift, den Genius of Universal Emancipation des Quäkers Benjamin Lundy, redigierte. Sie wurde zu einer Art von Kultfigur, man bezeichnete sie als Heilige, und nach ihrem frühen Tod im Alter von neunundzwanzig Jahren wurden Pilgerreisen zu ihrem Grab veranstaltet. Siehe Hersh 1978, 8-10 und Yellin/Van Horne 1994, 12-14. Die abolitionistische Pionierin fand in der Literaturgeschichte bislang kaum Beachtung. Außer einer Ausgabe ihrer Werke aus dem Jahre 1836 mit einem
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»To pled for the miserable […] can never be unfeminine or unbefitting the delicacy of women […] to lift the iron foot of despotism from the neck of her sisterhood [is …] not only quite in the sphere of her privileges, but also one of her positive duties.« (Chandler 1836a, 22f) Die Abolitionistin kommt allerdings in eine schwierige Situation, wenn sie vom genötigten und vergewaltigten Körper der Sklavin sprechen will. Chandler nähert sich diesem Thema vorsichtig: »We would have in the name of woman, a security for the rights of the sex. And as we value and demand them for ourselves, must we not ask them for her? […] These things are withheld from the female slave. Millions of females are living under the same government, and yet debarred from her most cherished privileges.«27 (Meine Kursivierung) Die Publizistin hatte hier ein komplexes Dilemma zu verwalten. Als unverheiratete, und damit fraglos als jungfräulich vorausgesetzte, Autorin konnte/durfte sie nicht wissen oder zumindest nicht aussprechen, wie die sexuelle Ökonomie der Sklaverei genau aussah. Der zeitgenössische Diskurs verlangte von der Jungfrau ›Gedankenunschuld‹, wie Freud es einmal formuliert hat. Oder anders ausgedrückt: Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung von Sklavinnen wurden durch einen Diskurs der Entnennung oder Disartikulation unsagbar und unbenennbar gemacht.28 Das deutliche Ansprechen der sexuellen Gewaltverhältnisse wird in diesem Zusammenhang gleichbedeutend mit einer angenommenen Unsittlichkeit der Sprecherin. Allerdings findet Margaret Chandler in der Benennung der Unsagbarkeit einen proto-verbalen Weg, ihr Anliegen unmissverständlich zu machen. Gerade dieser Aspekt des weiblichen abolitionistischen Engagements bewegte den Klerus. Ohnehin durch Garrisons Polemik gegen das organisierte Vorwort von Benjamin Lundy und den beiden kurzen Erwähnungen von Blanche Glassmann Hersh und Jean Fagan Yellin existiert noch eine unveröffentlichte Dissertation aus dem Jahr 1981 von Mary Patricia Jones (Jones 1981) und eine kleine historische Studie über ihre letzten Lebensjahre in einem Pionierstädtchen in Michigan (Dillon 1999). 27 | Chandler 1836a, 25f. Nüchterner als Elizabeth Margaret Chandler weist Lydia Child, ebenfalls ohne Vergewaltigung und sexuelle Nötigung der Sklavin ›unschamhaft‹ zu benennen, auf die Augenscheinlichkeit der Mischlingsgeburten hin: »Those who know the human nature, would be able to conjecture the unavoidable result, even if they are not betrayed be the amount of mixed population« (Child 1996, 23). 28 | Beatrice Michaelis nennt rhetorische Strategien des Unsagbaren »(Dis-)Artikulationsmodi [die …] das eigentümliche Zusammenfallen von Reden und Schweigen […] Verbot und Formulierung eines Verbotes in bestimmten rhetorischen Figuren und sprachlich/diskursiven Gefügen fassen« (Michaelis 2008, 131f).
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Christentum verärgert, nahmen die Kirchenoberen besonderen Anstoß daran, daß Frauen, wenn sie über Sklaverei als sexuellem Ausbeutungssystem redeten, dabei ›Unsagbares‹ in den Mund nahmen. Die kongregationalistischen Pastoren von Massachusetts sahen sogar Anlass zu einem gezielten Bannbrief gegen Abolitionistinnen: »[…] we cannot, therefore, but regret the mistaken conduct of those who encourage females […] to itinerate in the character of public lectures and teachers. We especially deplore the intimate acquaintance and promiscuous conversations of females with regard to the thing which ought not to be named […] the way opened for degeneracy and ruin.« (Meine Kursivierung) (Chandler 1836a, 211) Dieser Einwand betrifft die sexualpolitische Dimension der neuen Geschlechterordnung. Denn um den weiblichen Körper regieren zu können, muss seine Physis der Kontrolle der Frau entzogen sein. Eine wichtige Rolle spielten dabei ›weibliches‹ Schamempfinden und Nichtwissen als sozusagen natürliche Wächter der Unschuld.29 Die junge Elizabeth Margaret Chandler musste ihr ›Wissen‹ unterdrücken, um ihre Ehrbarkeit zu demonstrieren. So flüchtete sie sich in die vage Formulierung von den »most cherished female privileges«, um die extremste Situation der Hilflosigkeit der Sklavin anzuprangern, nämlich ihr Unvermögen, den eigenen Körper den sexuellen Nötigungen von Sklavenhaltern, deren Söhnen und den Aufsehern zu entziehen. Weil Chandler nicht sagen konnte und durfte, was sie dennoch wusste, wählte sie ein Bild, um ihr Anliegen unmissverständlich auszudrücken. In der Zeitschrift Genius of Universal Emancipation publizierte sie eine Vignette, die eine kniende Sklavin mit nacktem Oberkörper und flehend erhobenen Händen zeigt. Unterschrieben war das Andachtsbild mit der Zeile: »Am I not a Woman and a Sister?« (Abb. 1) Durch die barbusige Darstellung der Sklavin wird sie als sexuell verfügbares und mißbrauchbares Eigentum ihres Besitzers repräsentiert, ohne dass das Sprech- und Wissensverbot angetastet werden muss. Der sexualisierte Charakter dieses Bildes wird deutlich, wenn man die Vignette der Sklavin mit einem älteren Druck in Beziehung setzt, die einen knienden schwarzen Mann in Ketten zeigt, der von dem Untertitel ›Am I not a Brother‹ begleitet wird. (Abb. 2)30 Auch auf dieser Darstellung sieht man einen nackten Oberkörper. Der Vergleich macht unmittelbar einsichtig, dass der entblößte 29 | In einer sehr interessanten Studie über die weibliche Scham (frz. Pudeur) weist Evelyn Ender auf die Paradoxie hin, von jungen Mädchen Erröten über Tatbestände zu verlangen, von denen sie als ›zur Ignoranz erzogene‹ Geschöpfe keine Kenntnis haben können (Ender 1995). 30 | Zur Geschichte der Anti-Sklaverei-Embleme siehe das Kapitel »The Abolitionist Emblem« von Jan Fagan Yellin (Yellin 1989, 3-26). Ihre ansonsten sehr sorgfältige Ana-
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weibliche Körper nicht nur seine Schutzlosigkeit gegen Schläge und Fesseln demonstriert, sondern auch seine sexuelle Ausgesetztheit.31 Marina Warner hat darauf hingewiesen, dass weibliche Nacktheit im abendländischen Kulturkreis im Gegensatz zu männlicher Nacktheit immer auch als Metapher für Sexualität gelesen wird (Warner 1985). Die Vignette mit der barbrüstigen Sklavin zeigt also mehr, als man wissen darf, oder anders ausgedrückt, es ist eine Form des Verbergens, das gleichzeitig seinen Grund vorzeigt.32
Abbildung 1 Die Bezugnahme auf das ›Unaussprechliche‹ diente den kongregationalistischen Pastoren zur Befestigung der Ideologie der Separaten Sphären. Sie wollten dadurch die Einmischung von Frauen in weltlich-politische Angelegenheiten zurückzuweisen. Die Abolitionistinnen ließen sich aber die Verankerung lyse des Emblems übergeht erstaunlicherweise die sexualisierende Dimension der Darstellung einer halbnackten Frau. 31 | Als schwarzer Körper ist sie zudem dem ›pornotropischen‹ Blick der kolonialistischen Aneignung ausgesetzt. Ann McClintock weist in ihrer Studie zum englischen Imperialismus, Imperial Leather, darauf hin, dass der (männlich) europäische Blick auf ferne Kontinente und den schwarzen Menschen auch immer ›pornotropisch‹ ist, also das Gegenüber als Objekt der Aneignung und Überwältigung liest (McClintock 1995, 21-28). Bereits 1987 hat Hortense Spillers vom »captive body« und seinem ›pornotropischen‹ Potential durch »sheer powerlessness« gesprochen (Spillers 1987, 67). 32 | Jacques Derrida findet für die körperlichen Symptome der Hysterie eine ähnliche Formulierung: »Here one would be tempted to designate, if not to define, consciousness as that place in which is retained the singular power not to say what one knows, to keep a secret in the form of representation« (Derrida 1989, 17).
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Abbildung 2 ihrer Anliegen in der Legitimationsbasis der weiblichen Sphäre nicht entziehen. Sie nahmen für sich in Anspruch, die weibliche Sphäre sozusagen kurz verlassen zu müssen, bis die Ordnung der Welt wieder jenen moralischen Standard erreicht hatte, in dem alle Frauen von der Sicherheit und moralischen Autorität der Sphäre profitieren könnten. So schrieb Sarah Grimké in einer Antwort auf den Brief der Pastoren: »No one can desire more earnestly than I do, that women move exactly into the sphere which her creator has assigned to her; and I believe having been displaced from that sphere has introduced confusion in the world.« 33 Kristin Hoganson weist in dem Aufsatz »Garrisonian Abolitionist and the Rhetoric of Gender« darauf hin, dass hier mit zwei verschiedenen Geschlechterordnungen operiert wird. Der weißen Frau wird hier über Gender Radikalismus eine öffentliche Stellung ermöglicht und damit die weibliche Sphäre ausgeweitet. Für die schwarze Sklavin wird das Recht reklamiert, ihre ›proper Sphere‹ zuerst einmal möglich zu machen.34 Die andere Seite der Medaille ist, dass das Recht auf Tugend, wenn eingelöst, die Unterwerfung unter ihr Regime impliziert.35 33 | Sarah M. Grimké, Letters on the Equality of the Sexes and the Condition of Women, 1837. Dokumentiert in Ceplair 1989, 213. 34 | Nach Auffassung von Hoganson werden die de-humanisierenden Aspekte der Sklaverei als Vernichtung der Geschlechtsbesonderheit interpretiert. Dem männlichen Sklaven werde ›Manhood‹ verunmöglicht, der weiblichen Sklavin Keuschheit oder Ehe und damit die Weiblichkeit (Hoganson 1999). 35 | Jean Fagan Yellin sieht im Gegensatz zu meinem Argument diesen Kampf um ›das Recht auf Tugend‹ als Herausforderung patriarchalischer Ideologie: »[…] by asserting the identity between free women who conformed to patriarchal sexual codes of virginity
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Bei den Schwestern Grimké ist sehr gut zu beobachten, wie sich das ›Recht‹ auf die weibliche Sphäre auswirkt, wenn es eingelöst wird. Nach der Heirat von Angelina mit Theodore Weld zogen sich beide völlig von der Öffentlichkeit zurück – sie nannten es ›Retirement‹ – und versanken bis zur Erschöpfung in häuslichen Pflichten. Zuerst wurden noch Zweifel an der neuen Häuslichkeit angemeldet: »How often has my heart mourned over the misery of married life & prayed to be saved from the responsibilities of a family […] Beloved, I believe thou wilt find me most happy in our little cottage when duty calls me there« (Ceplair 1989, 316). Dann wurde aus der Bescheidung Programm gemacht: »For it is absolutely necessary that we should show that we are not ruined as domestic characters« (326). Und zuletzt wurde behauptet, dass das Programm das Glück sei: »I cannot tell you how I love this hidden life« (328). Die Schwestern unterhielten zwar weiterhin eine progressive Korrespondenz, zogen sich als aktive Politikerinnen aber völlig aus dem öffentlichen Wirken zurück. Hier zeigt sich die Ambivalenz der Argumentation innerhalb der Ideologie der separaten Sphären besonders deutlich. Einerseits wird die Woman’s Sphere als geschützter Raum von weiblicher Tugendhaftigkeit und kultureller Autorität gewünscht, andererseits ist sie wegen ihrer Privatheit und damit ihrer fehlenden Rechtsförmigkeit dem Gutdünken und der Willkür von Vätern, Brüdern und Gatten überlassen. Lucy Stone brachte dieses Dilemma auf den Punkt: »It is very little to me to have the right to vote, to own property etc., if I may not keep my body and its uses in my absolute right. No woman in a thousand can do that now.« 36 Mit der Analogisierung des Körpers der Sklavin mit dem der weißen Abolitionistin als strukturell schutzloser Entität wird die physische ›Nachtseite‹ der Wobefore marriage and monogamy afterward and slave women not free to conform these codes, it challenged the privilege of female ›purity‹ central to patriarchal ideology« (Yellin 1989, 24). 36 | Brief vom 11. September 1846, zitiert nach Sanchez-Eppler 1988, 35. Eine solch grundsätzliche Überlegung zu Körpersouveränität gegenüber seinem Sklavenhalter ist interessanterweise auch bei dem Abolitionisten und entlaufenen Sklaven Frederick Douglass zu finden. In einem Brief an seinen ehemaligen Master Auld schrieb er: »I am myself; you are yourself; we are two distinct persons, equal persons. What you are, I am. You are a man, and so am I. God created both and made us separate beings. I am not by nature bond to you, or you to me. Nature does not make your existence depend upon me, or mine to depend upon yours. I cannot walk upon your legs or you upon mine. I cannot breathe for you, or you for me; I must breathe for myself and you for yourself. We are distinct persons, and are each equally provided with faculties necessary to our individual existence« (Douglass 1855, 332).
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man’s Sphere verhandelt. Die Abolitionistinnen reklamierten über den zu unbezahlter lebenslanger Arbeit gezwungenen und sexuell verfügten Körper der Sklavin die Souveränität über ihre eigenen Körper.
K ÖRPERPOLITIK UND S KL AVEREI DER E HE 1.5 Moralische Körper und Hysterie Carol Smith-Rosenberg spricht in ihrer Studie Disorderly Conduct vom »semiotic interplay between physical and social body« (Smith-Rosenberg 1985, 47). Den Körper versteht sie dabei als den zentralen Schauplatz, auf dem Veränderungen und Revolten ausgetragen werden. Foucault drückt den gleichen Tatbestand folgendermaßen aus: »Der Körper [steht …] unmittelbar im Feld des Politischen; die Machtverhältnisse legen ihre Hand auf ihn, umkleiden ihn, markieren ihn, zwingen ihn zu arbeiten, martern ihn, verpflichten ihn zu Zeremonien, verlangen von ihm Zeichen.« (Foucault 1998, 37) Im angloamerikanischen Verständnis des frühen 19. Jahrhunderts ist der Körper neben seiner physischen Materialität auch Sitz des Gefühls und der Ethik, er ist Organ eines ›Moral Sense‹. Im Gegensatz zur deutschen und französischen Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts, die Moral über Vernunft ansteuerte, wurde im frühen 19. Jahrhundert nach der schottischen Common Sense-Philosophie der Körper als moralischer Organismus begriffen.37 Adam Smith schrieb 1792 in The Theory of Moral Sentiments: »As we have no immediate experience of what other men feel […] we conceive ourselves enduring all the same torments, we enter as it were into his body, and become in some measure the same person with him.« 38 Die Vorstellung eines über den Körper vermittelten moralischen Sinnes wird besonders in der ›sentimentalen‹ Literatur und Essayistik gepflegt. Die ›Sentimental Power‹ dieser Schriftkultur ist eine emotive Form von politischem Aktivismus, und es wird ihm ein charakterbildender – und damit zivilisierender
37 | Die ›Moral-Sense-Doctrine‹ der schottischen Common Sense-Philosophie war grundlegend für das abolitionistische Denken. Siehe Walters 1976, 60-63. 38 | Smith 1948, 73-74. Zum Zusammenhang zwischen Moral-Sense-Denken und dem Diskurs weiblicher Abolitionistinnen, insbesondere dem von Harriet Beecher Stowe, siehe Noble 2000, 263-265.
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– Impetus nachgesagt.39 Das Gefühl steht in Opposition zur Ratio und drückt sich weitgehend über den Körper aus.40 Nichtsdestotrotz kann mittels einer ›sentimentalen Strategie‹ rationale Erkenntnis erworben werden. Eine Miss Plummer aus Salem, Massachusetts, gab dieser Überzeugung buchstäblich Ausdruck, als sie in der Universität Harvard einen philosophischen Lehrstuhl für das ›Herz‹ stiftete und in der Urkunde ausdrücklich vermerkte, dass der künftige Professor nicht für den ›Kopf‹ philosophieren sollte (Walters 1976, 61). Auch Elizabeth Margaret Chandler drückte in ihrer kleinen Erzählung »An Allegory« ein solch sentimentales Verständnis der Welt aus: Der Engel der Gerechtigkeit berichtet Gottvater verzweifelt vom beklagenswerten Zustand der Welt, insbesondere vom schreienden Unrecht des Sklavensystems, und verlangt nach göttlicher Strafe. Der milde Herrscher jedoch weist den noch jungen Himmelsboten an, ein weiteres Mal zu versuchen, die Erdenmenschen von der Falschheit ihres Tuns zu überzeugen. Der Engel hält eine flammende Rede vor den Männern, hat aber keine Chance gegen Habgier, Vorurteil und Trägheit. Sodann versucht er es mit den Frauen. Er führt ihnen die Sklavin als ihre geschundene schwarze Schwester vor. Im Gegensatz zum männlichen Publikum wurde bei den Frauen die Predigt des Engels verstanden: »Her heart was touched with the wrongs of the injured ones, but she felt, that her arm was weak, and her strength powerless; and bringing down her head, she wept in pity and sorrow over the objects of her compassion. But her aid was not in vain. Her tears shed rusted the chains on which they fell.« (Meine Kursivierung) (Chandler 1836b, 27) Dieses außergewöhnlich eindrucksvolle Bild über die Macht des Gefühls, Ketten zu sprengen, wenngleich mit der langsamen Geduld des Rosts, sentimentalisiert sowohl die Politik (oder feminisiert die öffentliche Sphäre), wie sie gleich39 | Jane Tompkins hebt in Sensational Designs den ermächtigenden und ›moralischen‹ Charakter der sentimentalen Literatur und der sie begleitenden Gefühlskultur hervor und liest sie als Keimzelle weiblichen Selbstbewusstseins und eines sozialrevolutionären ›Heilsplans‹ für die Gesamtgesellschaft (Tompkins 1985). Jane Tompkins Studie versteht sich als Gegenrede zu Ann Douglas’ The Feminization of the American Culture, die zwar erstmalig sentimentale Literatur als Gattung ernst nimmt, sie aber für literarisch wertlos hält und als unglückselige Verbindung von weiblicher Empfindsamkeit und klerikalen Machtansprüchen deutet (Douglas 1978). Zu einer grundsätzlichen Betrachtung der amerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts als ›Erziehung des Herzens‹, Verhaltensschule und Zivilisationsagentur, siehe Fluck 1997. 40 | Die Kultur-Anthropologin Mary Douglas schreibt zu solchen Phänomenen: »There is a strong tendency to replicate the social position in symbolic form by drawing richly on bodily symbols in every possible dimension« (Douglas 1970, VII).
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zeitig das Gefühl politisiert (oder den Politikbegriff feminisiert). Die weibliche Sphäre des Gefühls erscheint in dieser Allegorie politisch wirkungsvoller als diskursive Überzeugungsarbeit, denn sie hat materielle Gewalt.41 Ihr zentraler Schauplatz ist der Körper, vielmehr die Tränen des Mitleids, die der Körper produziert. Auch in den religiösen Erweckungsdiskursen der Zeit, mit denen die meisten Abolitionistinnen verbunden waren, verweisen kulturelle Praktiken wie InZungen-Reden, Zittern und Tränenströme auf exzessive Körperlichkeit. Diese ritualisierten Ausdrucksformen religiöser Intensität kommen in ihrer körperlichen Expressivität dem sehr nahe, was der zeitgleiche medizinische Diskurs ›Hysterie‹ nennt.42 Obwohl Hysterie sich im verkrampften, gefühlstauben oder zuckenden Körper präsentiert, hatte man sich schon im 18. Jahrhundert von der Theorie einer organischen Ätiologie des Leidens verabschiedet, die – wie etwa die Antike – ihre Ursache in einer wandernden Gebärmutter ausmachte. Erste moderne medizinische Diskurse begannen stattdessen die Hysterie in einer engen Beziehung zum Gefühl und damit auch zum moralischen Empfinden zu begreifen. Der englische Nervenarzt und Hysteriespezialist Robert Whytt fragte sich Ende des 18. Jahrhunderts, warum Frauen bei lebhafter Erzählung eines tragischen Ereignisses in Ohnmacht fallen und lokalisiert den Grund für die dramatische Empfindsamkeit in einer Art von Sympathie. Die wiederum führt er auf ein entwickeltes Gefühlsleben zurück: »Jede Sympathie […] setzt Gefühl voraus und kann folglich nur durch Vermittlung von Nerven, die die einzelnen Instrumente sind, mit deren Hilfe sich Empfindbarkeit vollzieht, erlangt werden«.43
41 | Weniger von Gefühlen beeindruckt äußerte sich Sarah Grimké, der philosophische Geist des berühmten Schwesternpaares. Sie erzählte von einer Freundin, die über die »miseries of slavery« weint und plötzlich erkennt: »It occurred to me that my tears, unaided by effort could never melt the chain of the slave« (Grimké 1988, 53). 42 | Diese ›hysterische‹ religiöse Praxis korrespondiert mit einer Verkörperlichung und Sexualisierung der Frau, auf die Michel Foucault hinweist. Auch er spricht von einer im 19. Jahrhundert stattfindenden »Hysterisierung« des weiblichen Körpers: »Der Körper der Frau wurde als ein gänzlich von Sexualität durchdrungener Körper analysiert – qualifiziert und disqualifiziert; aufgrund einer ihm innewohnenden Pathologie wurde dieser Körper in das Feld der medizinischen Praktiken integriert« (Foucault 1983, 126). 43 | Zitiert nach Foucault 1971b, 301. Foucault bezieht sich auf die französische Übersetzung von 1777. Elizabeth Bronfen weist darauf hin, dass Foucault Whytt falsch datiert, dessen Originalwerk 1764 in englisch erschienen ist (Bronfen 1998, 129). Der Originaltitel lautet: Robert Whytt, Observations on the Nature, Causes, and Cure of those Disorders which have been Commonly Called Nervous, Hypochondriac, or Hysteric, to which are prefixed some Remarks on the Sympathy of Nerves, Edinburgh, 1764.
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Die Ärzte des 19. Jahrhunderts teilten diese emotive Sicht der Hysterie weitgehend. François Voisin deutete die Hysterie als Defekt der Leidenschaft (1826), Jean Jacques Virey als Problem der Sensibilität (1834), Jean Louis Brachet machte nervöse Erregbarkeit für die Hysterie verantwortlich, und Pierre Briquet konzentrierte sich auf die Beeindruckbarkeit, auf eine ›l’impression affective‹ (1859).44 Nach Brachet konstituiert Sensibilität die ganze Frau (Ender 1995, 33f). Die weitestgehende Aussage über den Zusammenhang von Sensibilität und Moral macht Voisin: »While my predecessors have been impressed by the striking qualities of women, they have not given enough consideration to her sensibility, the natural violence of her feelings and of her inclinations, and the predicaments of her social position […]; in one word they have not read deeply enough into her heart; they have not unveiled its secrets, seen its torments, and, because of their ignorance of this inner moral situation, they have looked elsewhere for the causes of these nervous illnesses.« 45 (Meine Kursivierung) Voisins Sorge um die schwierige soziale Position der Frau (»predicaments of her social position«) und die sich daraus ergebende ›innere moralische Lage‹ kann als eine Paraphrase für den hier behaupteten Zusammenhang von Hysterie, Sensitivität (Sentimentalität), Moral und der Frauenfrage gelesen werden. Foucault führt die Betonung der verkörperlichten Sensationen des Leidens in der frühen Hysterietheorie auf eine Neueinordnung der Hysterie als Nervenkrankheit zurück. Konsequenterweise denkt er auch Hysterie und Hypochondrie zusammen. Als man die Hysterie noch organisch dachte, wurde man von zu großer Heftigkeit krank. »Künftig ist man krank, weil man zu viel empfindet,
44 | Diese zugespitzte Zusammenfassung der zeitgenössischen Hysterietheorie verdankt sich Evelyn Enders Studie Sexing the Mind (Ender 1995, 31). Folgende Originalwerke sind der Gegenstand ihrer Studie: François Voisin Des Causes morales et physiques des Maladies mentales et de quelques autres Affection nerveuses telles que l’Hysterie, la Nymphomanie et Satyriasis, Paris Bailière, 1826; Jean-Jaques Virey, De la Femme sous ses Rapports physiologique, moral et litteraire, Brussels (3.Aufl.) 1934; Jean-Louis Brachet, Traité de l’Hysterie, Paris, Bailière, 1847; Pierre Briquet, Traité clinique et thérapeutique de l’Hysterie, Paris Baillière, 1859. Elisabeth Bronfen präsentiert in ihrer Studie Das Verknotete Subjekt eine vergleichbare Zuspitzung auf eine emotionale Hysterietheorie für die frühere englischsprachige Literatur von George Cheyne (1735), Robert Whytt (1764), William Cullen (1776) (Bronfen 1998, 129). Für medizinhistorische Abrisse zur Hysterie ist auf die Studien von Ilsza Veith und Marc Micale zu verweisen (Veith 1965 und Micale 1995). 45 | Zitiert nach der englischen Übersetzung von Evelyn Ender 1995, 34.
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und leidet an einer äußeren Solidarität mit allen Wesen in der Umgebung« (Foucault 1971b, 305). Jenes affektive Mitleiden der frühen Hysterikerin bewegt auch die Seele der Abolitionistin. Hatte Elizabeth Chandlers Erzählung noch das abstraktere Mitempfinden in Form von Tränen zum Gegenstand, konnte der Gestus des Sich-Hineinversetzens in das physische Leid und die körperlichen Verletzungen der Sklaven konkrete Formen annehmen. In der abolitionistischen Propaganda wurde eine vorsätzliche Hysterisierung des eigenen Körpers zu einem bevorzugten Mittel der Agitation.46 Chandler empfiehlt 1831 in einem »Mental Metempsychosis« betitelten Essay allen noch nicht bekehrten Sklaverei-Befürwortern, sich mittels Autosuggestion die Instrumente der Sklaverei und deren schmerzerzeugende Kraft zu vergegenwärtigen. Sie sollen das Kratzen der eisernen Halskrause auf der Haut fühlen und sich an den Druckstellen der Ketten reiben. Das Gewicht des Jochs und der Aufschlag der Peitsche auf dem eigenen Rücken soll erspürt werden: »Let the fetter be with its wearing weights upon their wrists, as they are driven off like cattle in the market, and the successive strokes of the keen thong fall upon their shoulders till the flesh rises to long welts beneath it, and the spouting blood follows every blow.« 47 Eine ähnlich körperliche Identifikation mit der Position des Sklaven protokollierte Abby Kelley: »[…] I feel the fetters wearing away the flesh and grating on my bare ankle bone, when I feel the naked cords of my neck shrinking away from the rough edge of the iron collar, when my flesh quivers beneath the lash, till in anguish I feel portions of it cut from my back […] But English language is not adequate to the task […] we must resort to the expedience of barbarous notions and express ourselves by significant signs, 46 | In ihrer Analyse der Hysterie als kulturelles Zeichensystem spricht Christina von Braun vom »Inszenierungscharakter der Hysterie« (Braun 1990, 31). 47 | Chandler 1836b, 118. Jean Fagan Yellin, die bislang die ausführlichste und interessanteste Würdigung Margaret Chandlers vorgelegt hat, übersieht in ihrer Diskussion von »Mental Metempsychosis«, dass das Objekt, das der Vorstellungskraft präsentiert wird, in diesem Fall ein männlicher Sklave ist, der vom Joch in seiner Männlichkeit gedemütigt wird, und nicht, wie es vergleichsweise bei einer Sklavin geschehen wäre, durch seine sexuelle Exponierung (Yellin 1989, 12). Dieser ›Objektwechsel‹ der ansonsten klar auf schwesterliches Mitempfinden der Lage der Sklavin gezielten Rhetorik ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass mit dem Artikel noch nicht überzeugte männliche Leser angesprochen werden sollten, denen ein weibliches Identifikationsobjekt nicht mit viel Aussicht auf Erfolg angeboten werden konnte.
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speaking through eloquent gesticulations […] we must do this until we can invent language that is equal to the subject.« 48 Diese Strategie, die ich ›Schmerztheater‹ nennen möchte, ähnelt einer Struktur, die Luce Irigaray das Spiel der ›hysterischen Mimesis‹ nennt. Nach Irigaray inszeniert die Hysterikerin mit ihrem Körper eine zum Verstummen gebrachte Sprache.49 Der Körper repräsentiert ein inneres verbotenes Wissen, stellt es dar, ahmt es körperlich nach. Die von Elizabeth Chandler und Abby Kelley empfohlene Methode der Mimesis geht den umgekehrten Weg. Die äußerlichen Symptome der Sklaverei, ihre Wunden und Schmerzen sollen (meta)physisch empfunden werden, um über das Instrument der Nachahmung im Inneren ein Bewusstsein hervorzurufen, das vorher nicht dagewesen ist. So gesehen ist die Chandler’sche ›Metempsychosis‹ (Seelenwanderung) eine invertierte Hysterie, die man auch eine seelische Hypochondrie nennen könnte. Sie bedient sich der Körpersprache der Hysterie, um über Mitleiden Erkenntnis zu erzeugen.
1.6 Konversionen Das Medium der Vermittlung ist allerdings nicht die Peitsche oder das Joch selbst, sondern die Schrift, die Literatur. Sentimentale Verwundung – »sentimental wounding« – nennt Marianne Noble die Technik sentimentaler Literatur, beim Leser selbst körperlichen Schmerz zu erzeugen (Noble 1997, 295). Der Schmerz steht im Zentrum des abolitionistischen Schriftgutes, beobachtet Franny Nudelman: »The body can communicate universal sentiment most effectively because it responds to pain«.50 Elizabeth Chandler sprach in »Mental 48 | Zitiert nach Yellin 1989, 50. Dort ohne Quellenangabe. Elaine Scarry ist in ihrer Studie The Body in Pain der von Kelley angesprochenen Beziehung von Schmerz und Sprachlosigkeit nachgegangen. Schmerzen sind hier ein Zeichensystem gesellschaftlicher Probleme. Der Körper übernimmt dann die Funktion einer Sprache: »When there is in the society a crisis in belief the sheer material factualness of the human body will be borrowed to lend that cultural construct the aura of ›realness‹ and ›certainty‹« (Scarry 1987, 14). 49 | Luce Irigaray schreibt: »Hysteria […] speaks in the mode of a paralyzed gestural faculty, of an impossible and also forbidden speech […] Hysteria is silent and in the same time it mimes.« (Irigaray 1985, 137, zitiert nach Schlichter 2000, 141f). Eine ausgezeichnete Analyse der ›Hysterischen Mimesis‹ als Figur feministischer Repräsentationskritik findet sich bei Anette Schlichter (Schlichter 2000, 137-172). 50 | Nudelman 1992, 945. Die Historikerin Karen Halttunen arbeitet in ihrem Artikel »Humanitarianism and the Pornography of Pain in Anglo-American Culture« heraus, dass das Zufügen von Schmerz und öffentliche Grausamkeit mehr und mehr abgelehnt und Mitleid als Zeichen zunehmender ›Zivilisation‹ gedeutet wird (Halttunen 1995, 103).
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Metempsychosis« die Imagination der Verletzung der Sklaven an und die Vorstellung, den gleichen Schmerz am eigenen Körper zu erfahren. Marianne Noble entfaltet an einer Textstelle von Harriet Beecher Stowes Uncle Tom’s Cabin, wie ›Sentimental Wounding‹ auch ein Verfahren der tatsächlichen Schmerzerzeugung sein kann, wenn es den Erzählern/Protagonisten sentimentaler Romane gelingt, einen Durchbruch zu einem eigenen Trauma des literarischen Charakters/des Lesers zu finden. In Uncle Tom’s Cabin sucht die entflohene Sklavin Eliza im Haus eines Senator Bird Schutz, der als Politiker den ›Fugitive Slave Act‹ unterstützt hatte – jenes Gesetz, nach dem Sklaven, denen eine Flucht in die freien Nordstaaten gelungen war, auch dort gefangen genommen und an ihre Besitzer zurücküberstellt werden mussten.51 Der schiere Anblick des erschöpften, blutenden Flüchtlings erreicht das Herz des Senators nicht. Er würde die entlaufene Sklavin ausliefern. Doch Eliza fragt ihn, ob er jemals ein Kind verloren habe und stößt damit zu einem Trauma der Senatorenfamilie durch. Dort hatte man kürzlich ebenfalls den Tod eines Kindes zu beklagen. Eliza rührt an einer frische Wunde – »thrust on a new wound«. Ihr Appell »Then you will feel for me. I have lost two!« ›reformiert‹ dann tatsächlich den gramgebeugten Vater für die Sache des Abolitionismus (Stowe 1981, 148). Diese Art der sentimentalen Verwundung evoziert Mitleid nicht darüber, dass sie die Wunden der Geschlagenen imaginiert, sondern dass sie die Betrachter selbst verwundet, indem sie deren eigene alte Wunden aufreißt (Noble 1997, 299). Die noch nicht für den Abolitionismus eingenommenen Mitbürger sollten durch die hysterische Imagination eigener Schmerzen zu der gerechten Sache konvertiert werden. Bis hierhin folgt meine Analyse Marianne Nobles Interpretation der ›Konversion‹ des Senator Bird in Uncle Tom’s Cabin. Dieselbe Textstelle kann jedoch noch eine weitere Dimension des Zusammenhangs zwischen Frauenrechtsdiskurs und Abolitionismus erschließen. Dazu soll noch ein anderer Blick auf das kulturelle Zeichensystem der Hysterie geworfen werden. Ein wichtiges Merkmal des hysterischen Symptoms besteht darin, dass es doppelt besetzt werden kann, also mit Zeitverschiebung ein- und dasselbe Symptom jeweils unterschiedliche Probleme bezeichnen kann. Freud führt in dem berühmten Bericht über die Hysterikerin Dora aus: »Wir haben bereits erfahren, daß ein Symptom ganz regelmäßig mehreren Bedeutungen gleichzeitig entspricht; fügen wir nun hinzu, daß es auch mehreren Bedeutungen nacheinander Ausdruck geben kann […] Die Herstellung eines solchen Symptoms ist 51 | Der ›Fugitive Slave Act‹ wurde am 18. September 1850 verabschiedet. Das Gesetz war ein Kompromissversuch, um die Südstaaten in den sich verschärfenden politischen Kämpfen zu besänftigen, die sich am jeweiligen Sklaverei- oder Anti-Sklaverei-Status der neu der Union beitretenden Bundesstaaten entzündeten.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG so schwierig, die Übertragung der rein psychischen Erregung ins Körperliche, was ich Konversion genannt habe, an so viele begünstigende Bedingungen gebunden, […] daß der Drang zur Abwehr aus dem Unbewussten dazu führt, sich womöglich mit dem bereits gangbaren Abfuhrweg zu begnügen. […] Auf diesem so gebahnten Weg strömt die Erregung aus der neuen Erregungsquelle zur früheren Ausfuhrstelle hin, und das Symptom gleicht, wie das Evangelium es ausdrückt, einem alten Schlauch, der mit neuem Wein gefüllt ist.« (Freud 1999a, 214)
Freuds Analyse dieser psychologischen Ersetzung von ursprünglichem Symptom-Inhalt durch einen neuen Schmerz gibt möglicherweise einen Hinweis auf die Verschiebungslogik des weiblichen Abolitionismus.52 So verstanden könnte das ›hysterische‹ Mitleiden mit den Qualen der Sklaverei ein Symbolfeld sein, in dem sich ein ursprüngliches Trauma eigenen physischen Ausgeliefertseins gegenüber der ›männlichen Herrschaft‹ maskiert. Um dieses Argument zu entwickeln, ist zunächst ein Perspektivwechsel vonnöten. Es soll jetzt nicht mehr nach der Plausibilität des literarischen Charakters gefragt werden, sondern danach, welche Funktion dieser Erzählstrang für die Autorin Harriet Beecher Stowe hat. Dabei ist die Mehrfachbedeutung der Wortes ›Konversion‹ von besonderem Interesse. Konversion bedeutet in religiöser Hinsicht Bekehrung zum wahren Glauben. Für die religiösen Erweckungsbewegungen war Konversion das zentral angesteuerte Heilserlebnis. In der Anerkennung seiner Sünden präsentierte man sich gereinigt der Erlösung.53 In medizinischer Hinsicht bedeutet Konversion das Krankheitssymp52 | Freud hat interessanterweise erstmalig das Phänomen der »falschen Verknüpfung« an einer Race-Geschichte illustriert: Seine Patientin Emmy von N reagiert unmutig auf die Verschreibung kühler Morgenbäder zur Erfrischung. Sie behauptet, sie machen sie den ganzen Tag melancholisch. Freud löst in der Hypnose diesen Widerstand. Die Patientin will jetzt selbst kühle Bäder. Eines Morgens findet er sie unwirsch vor und fragt nach dem Grund. Sie beschuldigt ihn, es läge an den kühlen Bädern. In der Hypnose findet Freud heraus, dass sie in der Zeitung gelesen habe, in Santo Domingo habe ein Aufstand stattgefunden. »Wenn es dort Unruhen gibt, gehe es immer über die Weißen her, und ich habe einen Bruder in St. Domingo, der uns schon so viel Sorgen gemacht hat, und ich bin jetzt besorgt, daß ihm was geschieht« (meine Kursivierung) (Freud 1999a, 122 Fußnote 1). 53 | Die religiösen Konversions-Erlebnisse von Männern und Frauen unterschieden sich profund. Während männliche Konversion häufig als Katharsis zur Selbstermächtigung und zum richtigen Glauben gefunden zu haben erlebt wurde, barg der weibliche Gegenpart auch die Gefahr der Unterwerfung (Epstein 1981, 47). Besonders intensiv kann man den Unterschied am jahrelangen Kampf der Schwester von Harriet Beecher Stowe, Catharine Beecher, studieren, die sich erfolgreich und mittels sophistischer theologischer Diskussionen gegen den Konversionsdruck ihres berühmten Vaters Lyman Beecher wehrte, der sie vor ihrer geplanten Heirat unbedingt noch einem Erwe-
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tom der Hysterie, das den spektakulärsten oder theatralischsten Teil des Leidens ausmacht: Lähmungen, Krämpfe, Halluzinationen. Ich behaupte nun, dass beide Bedeutungsebenen der Konversion, die religiöse und die hysterische, im abolitionistischen Diskurs verknüpft sind. Freud, der die Hysterie zu einem psychogenen Leiden sexueller Ätiologie entzaubert, nennt sie auch eine ›Krankheit der Reminiszenz‹ (Freud 1999a, 86) und interpretiert die Symptome der Konversionshysterie als verdrängte Erinnerungen von traumatisierenden Erlebnissen: »Der Schmerz war in der Situation, die damals vorfiel, vorhanden; die Halluzination war damals Wahrnehmung, die motorische Lähmung ist die Abwehr einer Aktion, die in jener Situation hätte ausgeführt werden sollen, aber gehemmt wurde, die Kontraktur gewöhnlich eine Verschiebung für eine damals intendierte Muskelinervation an anderer Stelle, ein Krampfanfall Ausdruck eines Affektausbruchs, der sich der Kontrolle des Ichs entzog.« (Freud 1999e, 141)
Das Trauma ist nach Freuds Interpretation eine verdrängte Erinnerung, die sich nach »Art eine Fremdkörpers« in das künftige Leben einschreibt (Freud 1999f, 85). Somit wäre in den Worten von Sigrid Weigel die Gedächtnisfigur des Traumas »eine fremdkörperartige Erinnerung, die eine Lücke markiert und den Bezug zu ihr, bzw. zu dem darin Fehlenden, zugleich überdeckt.«54 In diesem Zusammenhang erscheint die Anrufung der verlorenen oder getöteten Kinder durch die geflohene Sklavin Eliza in Uncle Tom’s Cabin kein zufälliger literarischer Topos zu sein. Harriet Beecher Stowe organisierte die abolitionistische Botschaft des gesamten Romans um das Plot-Element Kindstod. Das emotionale Zentrum des Buches wird nicht vom leidenden Uncle Tom eingenommen, sondern von Little Eva, der kindlichen Christusfigur, die wie eine idealtypische weiße Abolitionistin mit ihrem Opfertod das Elend der Sklaverei abbüßt.55 Beim Anblick mißhandelter Sklaven ruft Little Eva aus: »[…] I would ckungserlebnis zuführen wollte, wahrscheinlich, um seinen Einfluss auf sie zu erhalten (Kish-Sklar 1973, 31). 54 | Weigel 1999, 65. Cathy Caruth merkt in einer Analyse von Trauma, Narrativität und Geschichte an: »It is always the story of a wound, that cries out, that addresses us in the attempt to tell us of a reality or truth that is not otherwise available« (Caruth 1996, 4). 55 | Thomas Gosset stellt fest, dass die amerikanischen Leser weit mehr von dem Little Eva-Drama beeindruckt waren als von der Gestalt des Uncle Tom. Eine Flut von Little Eva-Gedichten, Vignetten und Pamphleten erschien in der Folge der Publikation. Siehe Gossett 1985, 168f und Williams 2001, 45-96. Little Eva ist als kulturelle Ikone so omnipräsent, dass Ann Douglass sie sogar als Miß America-Vorgängerin bezeichnet (Douglas 1978, 240-272).
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be glad to die, if my dying could stop all this misery. I would die for them […]«.56 Ihre Sehnsucht nach dem Erlösertod ist ihr schon als Lebende ins Gesicht geschrieben. Auf die rhetorische Frage, ob man je ein so engelhaftes und vollkommenes Kind wie Little Eva gesehen hätte, lautet die Antwort: »Yet there have been; but their names are always on gravestones« (Stowe 1981, 383). Für Beecher Stowe selbst war der Tod eines ihrer eigenen Söhne das Konversionserlebnis, das sie zum Abolitionismus bekehrt hatte: »It was at his dying bed and at his grave that I learned what a poor slave mother might feel when her child is torn away from her.« 57 Der Kindstod als Nahtstelle zwischen abolitionistischem Furor und eigenem Trauma reflektiert ein Problem der Zeit: Fehlende Möglichkeiten der Empfängnisverhütung hatten viele Geburten zur Folge, und kurze Zwischenräume zwischen den Kindern, und der unterentwickelte Stand der Geburtsmedizin und der Hygiene verursachten hohe Säuglingssterblichkeit. Stowes eigene Erfahrung mit diesem Problem war schmerzlich. In einem Brief an ihren Gatten gab sie ohne weiteres zu, dass sie Mutterschaft – sieben Geburten und zwei Fehlgeburten sind überliefert – selten als beglückend und hauptsächlich als erschöpfend und als eine ›bittere Lektion‹ erlebt hatte: »Oh how little comfort had I in being a mother – how was all that I proposed met and crossed and my way hedged up […]«.58 Wie viele ihrer Zeitgenossinnen versuchte Stowe, ihre Fruchtbarkeit durch Abs56 | Stowe 1981, 401. Zu Angelina Grimké als Little Eva-Vorbild siehe Yellin 1986, 8590. Angelina Grimké hatte 1836 an ihre Schwester Sarah geschrieben: »I feel if I could not only give up friends, but life itself, for the slave, if it is called for«. Brief vom 31. Juli 1836 von Angelina an Sarah Grimké (Ceplair 1989, 35). Der von der Schwindsucht gezeichnete kleine Mädchenkörper wird durch seine Krankheit – so die prägnante Formulierung von Shirley Samuels – zu einem Agenten der sozialen Reform (Samuels 1992, 5). 57 | Brief von Harriet Beecher Stowe an Eliza Lee Cabot Follen vom 16. Novmber 1852. Zitiert in Hendrick 1994, 193. Die Umdeutung des schicksalhaften Todes des kranken Kindes in ein Entreißen durch den grausamen Master (Gott) bildet hier die TransferMetapher. Siehe auch Levander 2006. Es gibt noch eine alternative – eine männliche – Ursprungsgeschichte für die Motivation zu Uncle Tom’s Cabin. Beecher Stowes Sohn, Charles Stowe, berichtete, seine Mutter habe 1851 in der Kirche gesessen – niedergedrückt vom Selbstmord ihres Bruders, ihrer häuslichen Situation und dem Fugitive Slave Act – und habe beim Abendmahl eine Vision erlebt, in der sich der leidende Christus mit dem Bild vom ausgepeitschten Sklaven verbunden habe. Von Schluchzen geschüttelt sei sie nach Hause geeilt und habe Uncle Tom’s Cabin begonnen (Stowe 1911, 145). 58 | Brief von Harriet Beecher Stowe an Calvin Stowe vom 7. Januar 1847. Zitiert in Kish-Sklar 1973, 215f. Auch ihre häusliche Sphäre bedrückte sie »[my home] often seemed to press on my mind all at once. Sometimes it [seemed] as if anxious thought
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tinenz zu regulieren. Das wiederum führte zu einem über fast zwei Jahrzehnte andauernden zähen Kampf mit ihrem Ehemann, der sie mit der Einforderung ehelicher Pflichten in ständige Bedrängnis brachte. Als sie sich, um drohenden neuen Schwangerschaften zu entgehen, in einem Kurbad aufhielt, schrieb er ihr: »It is almost in fact eighteen month since I have had a wife to sleep with me. It is enough to kill any man, especially such a man as I am«.59 Das Trauma Kindstod erweist sich hier lediglich als die Oberfläche eines komplexen Zusammenhangs weiblicher Lebenserfahrung. Das Drama um Fruchtbarkeit und Verweigerung, die Angst vor potentiell tödlichen Schwangerschaften und Geburten, die Schuldgefühle überforderter Mütter und Gattinnen wird mit der herzzerreißenden Qual, ein Kind zu verlieren, zu einem ›sentimentalen‹ Höhepunkt gebracht. Denkt man zurück an die Freud’sche Ableitung der Mehrfachbesetzung gleicher Krankheitssymptome mit unterschiedlichen Problemen, so kann man hier am Zeichen ›Kindstod‹ eine soziale Pathologie der Vereinigten Staaten Mitte des 19. Jahrhunderts nachzeichnen: Implizite Befürworter der Sklaverei wie Senator Bird, der das ›Fugitive Slave Law‹ unterstützt, Opfer des Sklavensystems wie die entflohene Sklavin Eliza und Leidende einer bedrückenden Geschlechterordnung wie die Autorin Beecher Stowe werden in einem Werk der sentimentalen Literatur miteinander verknüpft. Diese Konversion zum Abolitionismus entspricht der Rhetorik der hysterischen Konversionen. Hier wird durch den Körper und das Mitempfinden der Schmerzen anderer Körper ein Wissen artikuliert, das sich der Sprache entzieht, weil es sowohl selbst nicht ausgedrückt werden konnte, wie auch gesellschaftlich nicht ausgedrückt werden durfte. Sigrid Weigel hat am Beispiel der Holocaust-Verarbeitung darauf hingewiesen, dass sich historische Traumata im Kollektiv-Imaginären verschieben, z.B. wenn die Opfer-Täter- Konstellation in Geschlechterpositionen übertragen wird. Nach ihrer Auffassung funktioniert dabei die »quasi natürliche Schuld der Geschlechterbeziehung als Deponie für andere Schuldverstrickung«.60 Bei Harriet Beecher Stowe läge nach dieser Lesart die Qual – der Verlust eines eigenen Kindes – an der Oberfläche, und die Schuld – Verweigerung der ehelichen Pflichten und Erschöpfung an der Mutterschaft – siedelt sich darunter an. Aber beide sind [had] become a disease with me, which I could not be free«. Siehe Brief an Calvin Stowe, Juli 1844, zitiert nach Kelley 1984, 280. 59 | Zitiert nach Kelley 1984, 283. Mary Kelley beschreibt die Sexual Wars in der Familie Stowe mit folgenden Worten »Face off like soldiers in combat, they struggled to maintain both their positions and their marriage« (Kelley 1984, 281). 60 | Weigel 1999, 74f. Siegrid Weigel belegt ihre These mit Nachkriegsromanen von Heinrich Böll und Alfred Andersch, aber sie weist auch auf neuere berühmte Verschiebungen faschistischer Schuldverstrickung auf die sexualisierte Frau hin, z.B. den Welterfolg Der Vorleser (Schlink 1995).
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unmittelbar verbunden. Diese private »Deponie der Schuldverstrickung« wiederum lässt sich an eine historische Schuld anschließen, nämlich an die moralische Verantwortung des weißen Amerika, ein Sklavereisystem zu erhalten. So markiert der Kindstod ein darunterliegendes sexualpolitisches Problem, dessen Erkenntnis unter einer ›hysterischen Traumatisierung‹ verborgen liegt.
1.7 Die Ehe als Sklaverei Die Abolitionistin organisierte ihre Agitation gegen die Sklaverei über eine Analogie zwischen Race und Gender. Das nachempfundene physische Erschauern eines Körpers, der von fremder und nicht-eingeladener Hand berührt wird, ist eine Nahtstelle, an der abolitionistische Agitation mit Gender-Erfahrung verbunden wird. Die Transfer-Metapher ist hier der physische Status der Frau in der Ehe. Bruce Burgett schreibt in seiner Studie Sentimental Bodies über die Gefühlspolitik der Zeit: »The body thus served two contradictory functions within sentimentalism: It provided a surface upon which sensations were expressed for a public that could imagine itself as respecting the autonomy of every body, and it provided a literary site for the management of those sensations through collective and potentially heteronymous means.« (Meine Kursivierung) (Burgett 1998, 3f)
Analogien beruhen immer auf einem gemeinsamen Dritten. Das grundlegende gemeinsame Dritte der Frauen Sklaven-Analogie hatte bisher in gemeinsamer Ungleichheit bestanden. Der von Burgett erwähnte Respekt des Sentimentalismus vor die Autonomie des einzelnen Körpers verweist auf ein anderes gemeinsames Drittes, das über die sexuell genötigte Situation der Sklavin ausgedrückt wird. In dieser neuen Vergleichsoperation handelt es sich um das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Bodily Integrity). Die Verkörperlichung der Gefühle weist damit zurück auf die Gefühle der Körper, die im Fall der beiden verglichenen Opfergruppen als Wertgegenstand, Arbeitsinstrument, sexuelles Objekt und Gebärerin im Privatbesitz von Sklavenhaltern, Hausherrn, Vätern, Brüdern und Ehemännern bewegt werden können.61 Elizabeth Chandler übertrug das auf den Objektstatus aller Frauen: 61 | Im Vorgriff auf spätere Ausführungen kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit als gemeinsames Drittes der Race-Gender-Analogie im Lauf der historischen Entwicklung zugunsten politischer und rechtlicher Statusgemeinsamkeiten wie Wahlrecht verschwindet. Es taucht jedoch am Ende des 20. Jahrhunderts in der neuen Frauenbewegung erneut als zentrale Trope auf: Mit den Kampagnen gegen Vergewaltigung, Kindesmissbrauch und Gewalt in Intimverhältnissen (Domestic Violence) rückt körperliche Unversehrtheit (Bodily Integrity) wieder in das Zen-
1. D IE S KL AVEREI DES G ESCHLECHTS »[…] and shall proud man forbear,/The converse of the mind with her to share?/She with him shall knowledge’s pages scan,/And be the partner, not the toy of man.« (Chandler 1836b, 178)
Nicht Spielzeug eines Mannes sein zu wollen war auch für Angelina Grimké ein zentrales und für den Diskurs der Zeit ungewohnt offen diskutiertes Problem. An ihren Verlobten Theodore Weld schreibt sie: »Men […] believe most seriously that we were made to gratify their animal appetites, expressively to minister their pleasures – yea Christian men too […] my soul abhors such a base letting down of the high dignity of my nature as a woman (how I have feared the possibility of ever being married to one, who regarded this as the end – the great designs of marriage).« 62 Wie schon am Beispiel von Beecher Stowe entwickelt, ist das Recht auf Leidenschaftslosigkeit eine der wenigen Möglichkeiten, sich vor ungewolltem Kindersegen zu retten. Nancy Cott interpretiert in ihrem inzwischen klassischen Aufsatz »Passionlessness. An Interpretation of Victorian Sexual Ideology« von 1978, Leidenschaftslosigkeit als einen Effekt der Erhebung der weiblichen Rolle zur religiösen und kulturellen Autorität durch den protestantischen Klerus. Unterdrückung der Sexualität war sozusagen der Preis für moralische Gleichheit. Cott deutet die Attraktivität dieses Konzeptes als Zugewinn an Bewegungs- und Verweigerungsfreiheit in der sexuellen Leibeigenschaft der Ehe.63 Angelina Grimké teilte den Blick auf die Ehe als partriarchal-sexuelles Ausbeutungsverhältnis mit ihrer Schwester Sarah, die in der ersten amerikanischen Schrift zur Frauenemanzipation, den Letters on the Equality of Sexes, 1838 den biblischen Gründungsmythos in einen sexualpolitischen Sündenfall umkonstruierte. In einer psychologischen Interpretation der Vertreibung aus dem Paratrum der Frauenfrage, allerdings mit einem völlig anderen Verhältnis zur Race-Frage. Die Race-Quelle dieser Trope wurde historisch verdrängt, heftet sich aber als Wiederkehr des Verdrängten plötzlich an schwarze Männer, den sogenannten ›Black-Poster-Boys‹, an, die als Symbolfiguren sexueller Aggression inszeniert werden. Siehe Kapitel 6, S. 390-394. 62 | Weld/Grimké/Grimké 1934, 2:587 zitiert nach Cott 1978, 375f. 63 | Cott 1977. Marianne Noble bringt Sentimentalismus und Leidenschaftlosigkeit ebenfalls in Zusammenhang, allerdings in paradoxer Form. Sie kritisiert, dass die Erotisierung des Leseerlebnisses die Bemühungen um die Humanisierung der Sklavin unterminiert. Sie sieht die »ekstatischen Effekte«, die mit der Imagination des totalen Unterworfenseins einhergehen, als gefahrlose Sexualisierung nicht-sexueller Gefühle, als verschobene Kompensation für die konventionalisierte Leidenschaftslosigkeit, die sich die neuenglische Lady auf dem Gebiet der ehelichen Sexualität als Freiraum geduldeter Selbstbestimmung erobert habe (Noble 1997, 310).
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dies beschrieb sie die Tatsache, dass Eva von Adam unterworfen wird, als eine Art von Frustrationssymptom: »The lust of dominion was probably the effect of the fall; and there was no intelligent being over whom to exercise it, women was the first victim of this unhallowed passion. […] All history attests that man has subjected woman to his will, used her as a means to promote selfish gratification, to minister his sensual pleasures, to be instrumental in promoting his comfort […] The cupidity of man soon led him to regard women as property, and hence we find them sold to those, who wish to marry them.« 64 Für Sarah Grimké entsprach die biblische Aneignung der Frau durch den Mann genau der Situation der Sklavin: »The virtue of the female slave is wholly at the mercy of irresponsible tyrants, and women are bought and sold on our slave market, to gratify the brutal lust of those who bear the name of Christians.« (Grimké 1988, 59)
Sklaverei wird hier als ein Übel des Patriarchats begriffen, dem alle Frauen – schwarz wie weiß – lediglich zu unterschiedlichen Graden unterworfen sind. Die Ehe-Sklaverei-Metapher hat eine sehr lange Geschichte jenseits des USamerikanischen Raums. Jüngere Forschung zum weiblichen Abolitionismusdiskurs, die sich von Colonial- und Postcolonial Studies einer vergleichenden transatlantischen Perspektive geöffnet hat, datiert den Ursprung der Analogie bei der Britin Mary Astell in Some Reflections upon Marriage (1700) noch einmal um ein halbes Jahrhundert zurück und sieht erste Quellen in den international erfolgreichen ehe-polemischen Romanen der Französin Madelaine de Scudery, die sie zwischen 1642-1660 veröffentlicht hat, zu einer Zeit also, als ein gesellschaftliches Sentiment gegen die damals noch rudimentäre koloniale Sklaverei noch nicht verbreitet war. Im Sinne von ›Travelling Theory‹ erreichten Madelaine Scuderies Einsichten auch amerikanische Ufer, als Lydia Maria Child Gelegenheit hatte, ihre Romane zu lesen, weil sie das für Frauen selten eingeräumte Privileg hatte, im Boston Athenäum Bücher zu entleihen. Diese Einflüsse trugen nicht unwesentlich zu ihrem frühen Werk An Appeal in Favour of that Class of Americans Called Africans (1833) bei.65 Diese Tradition wird von Olympe de Gouges fortgesetzt, die von den Gründervätern der Französischen Revolution das Wahlrecht für sich und ihre Schwestern verlangte. Zu ihrer Zeit war die Frage der Sklaverei deutlich auf der Agenda, denn die Nationalversammlung hatte 64 | Grimké 1988, 35f. Nach Elizabeth Ann Bartlett war das Postulat von der gleichen Erschaffung von Frauen und Männer der Zentralsatz dieses theologisch inspirierten Feminismus (Bartlett 1994, 63f, 77). 65 | Siehe die Rekonstruktion der Lektüren von Lydia Maria Child in Winterer 2007, 71.
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sich mit Sklavenaufständen in Haiti zu befassen. Olympe de Gouges sah eine ähnliche Solidaritätsnotwendigkeit mit den versklavten Brüdern und Schwestern wie später die Amerikanerinnen und trat der Gesellschaft ›Les Amies de Noirs‹ bei (Offen 2007, 62-66). Im Gegensatz zu den französischen und britischen Vorgängerinnen, die Sklaverei sozusagen nur teleskopisch wahrnahmen, weil sie in fernen Kolonien stattfand, hatten einige Amerikanerinnen, die ›Peculiar Institution‹ unmittelbar vor Augen, z.B. die Geschwister Grimké als Töchter von Sklavenhaltern. Die Sklaverei-Ehe Analogie bekam dadurch eine Sprengkraft mit größerer gesellschaftlicher Resonanz. Damit hat sich ein ungewöhnlich frühes Bewusstsein über die Grenzen sexueller Autonomie in der Ehe entwickelt. 1853 schrieb Sarah Grimké an Susan B. Anthony: »Man in his lust has regulated long enough this whole question of sexual intercourse.«66 Als eine Freundin von ihr sich anschickte zu heiraten, schrieb Lucy Stone: »I hope Helen Cook won’t marry. This is next to chattel slavery to be a legal wife« (Kerr 1992, 73). Die neue Analogie von Sklaverei und Ehe zielt nicht mehr auf die Sentimentalisierung der Sklavenfrage über die weibliche Verletzlichkeit, sondern auf die Politisierung der Frauenfrage über die Sklaverei-Metapher. In den Worten von Elizabeth Cady Stanton war die Frau in der Ehe rechtlich tot (legally dead). Der Vater/Ehemann besaß alles, was sie ererbt hatte, wenn sie eigene Einkünfte hatte, gehörten sie rechtlich ihm, sie konnte weder jemanden verklagen noch verklagt werden, sie konnte kein Vermögen vererben, alle beweglichen Güter, inklusive ihre Kleidungsstücke, gehörten ihm, er war Vormund ihrer Kinder und konnte, wenn sie ihn verlassen sollte, über die Kinder nach eigenem Willen verfügen. Besitzrecht, Vertragsrecht, Erbrecht, Klagerecht, Vormundschaftsrecht etc. begleitete Sarah Grimké in ihren Letters mit einem einzigen Refrain: »All contracts made with her, like those made with slaves by their owners, are mere nullity«.67 Dementsprechend wurde der Heiratsvertrag zu einem Hauptangriffspunkt frühfeministscher Agitation und mit ihm der Akt der Eheschließung. Elizabeth Cady Stanton überzeugte einen konservativen schottischen Geistlichen davon, die Regel über den Gehorsam der Ehegattin aus ihren Heiratsformeln zu streichen, Angelina Grimké verweigerte sogar, sich von einem Geistlichen trauen zu lassen und nutzte ein Sondergesetz des Staates Massachusetts, nach dem vierundzwanzig erwachsene Zeugen eine Eheschließung rechtswirksam beurkunden konnten. Sie achtete bei der Auswahl von Zeugen darauf, dass viele Frauen und freie schwarze Amerikaner und Amerikanerinnen darunter waren. Theodore Weld erklärte bei dieser Zeremonie öffentlich, dass die bestehenden 66 | Brief von Elizabeth Cady Stanton an Susan B. Anthony vom 1. März 1853. Zitiert in Walters 1976, 81. 67 | Zitiert nach Hersh 1978, 66. Siehe ebenfalls zu Grimkés Heiratskonzept Rierson 1994 und Bartlett 1994, 70f.
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Heiratsgesetze ungerecht seien, weil sie Frauen entmündigten und aller ihre Rechte beraubten. Den radikalsten und öffentlichsten Konventionsbruch freilich beging Lucy Stone mit ihrem Ehemann Henry Blackwell, die auf ihrer Hochzeit eine sorgfältig vorbereitete Protesterklärung gegen das herrschende Rechtstatut verlasen: »[…] we deem it a duty to declare that this act on our part implies no sanction of, nor promise voluntary obedience to such of the present laws of marriage, as refuse to recognize the wife as an independent, rational being, while they confer on the husband an injurious and unnatural superiority, investing him with legal powers which no honorable man would exercise, and which no man should possess.« (Kerr 1992, 87)
Öffentliche Proteste gegen das Heiratsrecht bei Eheschließungen wurden im folgenden ›Lucy Stonerism‹ genannt. Diese historisch außergewöhnlich frühe und radikale Polemik gegen die Ehe war nur für eine kurze Periode vernehmbar und verstummte dann, bis im 20. Jahrhundert New Women und Protagonistinnen des sexuellen Modernismus die Institution Ehe erneut angriffen. Diese ›unzeitige‹ Revolte – allerdings die Revolte einer sehr kleinen radikalen Minderheit – lässt sich meiner Ansicht nur durch die am Anfang des Kapitels entwickelte Durchsetzung der neuen Geschlechterordnung der separaten Sphären erklären. Der ›gefühlte‹ Status- und Freizügigkeitsverlust führte zu einer Polemik gegen die Institution, in der dieses Gefühl aufgekommen war. Solange sich das in der als Abolitionismus maskierten Sprache der Gegenwehr artikulierte, konnte auch die Ehe problematisiert werden. Als das nach dem Bürgerkrieg nicht mehr der Fall war, entzog sich die Ehe als einzig denkbare Lebensform wieder der Kritik.
1.8 Die griechische Sklavin Die Ehe-Rebellin Lucy Stone war die erste abolitionistische Rednerin, die auch Ansprachen für Frauenrechte in ihrem Programm aufgenommen hatte. Mit unbeugbarem Willen und viel Entbehrung war es der Tochter eines Farmers gelungen, einen College-Abschluss zu machen. Oberlin, ein Hort des Abolitionismus, war damals das einzige College, das weiße Frauen und schwarze Frauen und Männer zuließ.68 Prägende Erfahrungen hatte sie als Lehrerin für freie Schwarze gemacht, die zuerst keine Frau als Unterrichtende akzeptieren wollten. Als das College ihr aber verbot, an den nur für Männer reservierten Debattierclubs teilzunehmen, hatte ihr die schwarze Gemeinschaft von Oberlin ein Forum ge68 | Oberlin war aus dem Prediger-Seminar von Henry Ward Beecher entstanden. Als dieser sich nicht dem Radikalismus der Garrison-Fraktion und vor allem nicht der Forderung nach sofortiger Sklavenbefreiung anschließen wollte, spalteten die Anhänger von Garrison sich ab und gründeten ein eigenes Seminar.
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boten, ihre Zunge zu schärfen, indem sie Räume für heimlich debattierende Studentinnen bereitstellte. Das hatte Lucy Stone sowohl für Abolitionismus sensibilisiert als auch für die Frauenfrage, über die sie eine Karriere als Rednerin beginnen wollte. Da aber nur die Abolitionisten ihr ein Einkommen zusichern konnten, reihte sie sich in das Korps der bezahlten Agitatoren der Anti-Sklaverei-Gesellschaften ein. Unsicher, wohin sie ihre Energien richten sollte, ereilte Lucy Stone eines Abends ein kathartisches Ereignis. Sie betrachtete auf einer Ausstellung die viel diskutierte Skulptur »The Greek Slave« (1841) des amerikanischen Bildhauers Hiram Powers.69 Die Statue zeigt eine nackte weiße Frau mit zur Seite gedrehtem, leicht geneigtem Kopf, schönen ebenmäßig ›idealen‹ Körpermaßen und locker vor dem Torso gehaltenen gefesselten Händen. Auf einen Pfahl gestützt steht sie entspannt, wobei Stand- und Spielbein vorteilhaft ihre Figur modellieren. (Abb. 3) Lucy Stone beschrieb ihre Ergriffenheit angesichts der Figur: »I went to see the [the Greek Slave] one morning. No other person was present. There it stood in silence, with fettered hands and half-averted face – so emblematic of women – I remember how hot tears came to my eyes at the thought of millions of women who must be freed.« (Meine Kursivierung) (Kerr 1992, 51)
Der Name der Skulptur verweist auf die Versklavung griechischer Frauen unter der türkischen Herrschaft, ein zu dieser Zeit politisch aufgeladenes Thema.70 Am Abend nach dem bewegenden Anblick der ›Griechischen Sklavin‹ sprach die abolitionistische Rednerin Stone mit besonderer Leidenschaft darüber, dass nicht nur Sklavinnen, sondern alle Frauen in Ketten gelegt seien. Ihr Auftraggeber und Finanzier, der zufällig anwesende Abolitionismusführer Samuel May, rügte seine Kontraktsprecherin. Sie vernachlässige ihre abolitionistische Aufgabe und mutiere zur Frauenrechtlerin. Darauf antwortete Lucy Stone: »I was a woman before I was an abolitionist. I must speak for the woman« (Kerr 1992, 51). Der Konflikt endete mit einem finanziellen Arrangement. Samstag und Sonntag, wenn die Auditorien voller waren, sprach Stone gegen Bezahlung für die Anti-Slavery Society, die Woche über auf eigene Kosten für die Frauen. Dieses Verhandlungsergebnis ist eine 69 | »The Greek Slave« von Hiram Powers war die erste ›nackte‹ Skulptur zeitgenössischer amerikanischer Kunst und war u.a. deshalb eines der herausragendsten Kunstereignisse der Zeit. Zum Hintergrund siehe Yellin 1989, 99-124 und Kasson 1992. 70 | Der Titel der Skulptur bezieht sich auf die Tatsache, dass in Griechenland unter türkischer Besatzung manche christliche Mädchen versklavt oder zu Zwangsheiraten mit Muslimen genötigt wurden. Viele Abolitionistinnen, unter ihnen Sarah Grimké und Lydia Maria Child, hatten dieses Thema aufgenommen, um mit einer vertrauteren – weil weißen und christlichen – Opferfigur das Herz des Publikums für die schwarze Sklavin zu erweichen (Yellin 1989, 100).
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Abbildung 3 schöne Allegorie über den (ökonomischen) Nutzen, den die Abolitionistinnen aus der Race-Frage zogen und die ›Kosten‹ (oder den vorläufigen Kredit), den die Frauenfrage verursachte. Um im Bild zu bleiben: Das Engagement für die Frauen zahlte sich zwar noch nicht aus, aber die Race-Frage war zu einem Geschäft geworden, d.h. sie zeigt sich hier in ihrer Funktionalität für die Frauenfrage.
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Die Darstellung der Sklavin als erotisiert-sittsame weiße Frau metaphorisiert idealtypisch die Wanderschaft, die die Sklaverei-Metapher in den Reihen der weißen Abolitionistinnen genommen hatte.71 Sie ist der Endpunkt einer Bilderkette vom knienden Halbakt der frühen Propaganda über die Rhetorik der ›White Slaves of the North‹, wie die Grimkés die Lage der Frauen der NichtSklaven Staaten nannten, bis hin zur erhabenen Verkörperung weiblichen Leidens in der Verwundbarkeit marmorglänzender weißer Haut. Im Gegensatz zur knienden Sklavin mit den flehend erhobenen Händen, die schon durch ihre unterworfene Position als Missbrauchte markiert ist, sublimiert die aufrechte Figur der ›Griechin‹ Leiden mit stiller Demut und edler Größe. Sie vergeistigt die Knechtschaft und triumphiert durch Schönheit. Ein kleines Kreuz (an der Kette) lugt unter der Draperie hervor, womit ein wichtiges Attribut von True Womanhood, nämlich Frömmigkeit, signifiziert wird. Als Sklavin ist sie sui generis unterworfen, ihre bescheidene Positur (Modesty) signalisiert aber noch zusätzliche Fügsamkeit (Submissiveness). Die vor der Scham verschränkten gefesselten Hände verweisen auf Sittsamkeit (Decency). Selbst Keuschheit, deren unweigerlicher Verlust für die Abolitionistinnen den größten Skandal des Sklaverei-Systems bedeutete, wurde der nackten Figur zugeschrieben. Im Gesellschaftsmagazin Knickerbocker war zu lesen, ›The Greek Slave‹ sei zwar nackt, aber mit Keuschheit bekleidet.72 Trotz der überaus effektiven ideologischen Verkleidung – und damit metaphorischen Bekleidung – der ›Griechischen Sklavin‹, wollte man sich in den USA gleichwohl nicht ungeschützt der ersten nackten Skulptur in der amerikanischen Kunst aussetzen.73 Um voyeuristische Effekte zu vermeiden, – genaugenommen, um Männer daran zu hindern, vor anständigen Frauen eine nackte Frau anzustarren, und um umgekehrt Frauen vor der Lüsternheit des erotisierten männlichen Blickes zu bewahren – zeigte man die Statue weitgehend vor nach Geschlechtern getrenntem Publikum. Dann konnte nichts mehr die Kontemplation der betrachtenden Ladys stören, von denen berichtet wird, dass sie bis zu fünf Stunden in Trance vor der Statue zugebracht hätten. Die Figur der 71 | Jahrzehnte später kritisierte Frederick Douglass die abolitionistische Propagandistin Lucy Stone, weil sie ein abolitionistisches Tabu brach und auch vor Versammlungen sprach, die Schwarze ausschlossen. Er tat es mit der Begründung, dass sie ihre egoistischen (frauenrechtlerischen) Interessen auf dem Rücken der Sklavin austrage. 72 | Die Formulierung lautete »Naked yet clothed with chastity«, zitiert nach Kasson 1992, 180f. 73 | Für die relative Akzeptanz mag auch der semantische Raum ›Antike‹ verantwortlich sein. Da die nackte Statue eine griechische Sklavin darstellte, verwies sie auf die vorchristlichen Statuen, deren Nacktheit die bürgerliche Sittsamkeit als Zeichensystem einer naiveren, jedoch bedeutenden und seit langer Zeit untergegangenen, Kultur zu akzeptieren gelernt hatte.
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›Griechischen Sklavin‹ synthetisiert die Sklaverei-Metapher mit dem Cult of True Womanhood. Es bleibt dabei in der Schwebe, ob die Statue Propaganda für die Hingabe an das heroische Opfer macht, oder ob sie eine Figur der Revolte ist. Der Rezeptionsprozess hing vom Deutungshorizont der Betrachterin ab. Für Lucy Stone verschmolz bei ihrem Anblick die abolitionistische Botschaft mit der der Frauenrechte. Für andere Betrachterinnen mochte die Statue auch die masochistische Feier ihrer eigenen unveränderbaren Position sein. Der Großteil des amerikanischen Publikums hatte bei diesem bewegenden Rezeptionserlebnis keineswegs die Sklaverei im eigenen Land im Sinn. Auf diese bemerkenswerte Verdrängungsleistung wies vor allem die britische Presse hin, die im Punch eine Karikatur der Statue mit dem Untertitel »The Virginian Slave« veröffentlichte, in der eine – im Übrigen halb bekleidete – schwarze Frau abgebildet war.74 (Abb. 4) Charmaine A. Nelson geht in der Studie The Color of Stone (Nelson 2007) der Race-transzendierenden Funktion/Qualität des ubiquitären Gebrauchs von weißem Marmor in der Skulptur des 19. Jahrhundert nach. In ihrer Untersuchung der Rezeptionsgeschichte der ›Griechischen Sklavin‹ trifft sie auf eine Variante des Bildhauers, der die Originalstatue sechsmal in seiner Werkstatt hatte anfertigen lassen. Die sechste Statue hatte anstatt der Ketten Fesseln (Manacles) an den Händen, wie sie für die Fesselung der Sklaven üblich waren. Der Bildhauer schrieb 1869 an den Käufer:
Abbildung 4
»I regard the substitution of the regular manacles for the rather ornamental than real chains in former repetitions of the ›Greek Slave‹ as decided advantage since it distinguishes it from all others, and is really more to the purpose.«75
Das Wort »regular« für ›normale‹ Fesseln, verweise jetzt auf die unheimliche (die nah am zu Hause liegende) Sklaverei in den USA. Der Künstler hatte inzwischen seine politische Auffassung zur Sklavenfrage modifiziert und war von einem Befürworter ›gradueller Befreiung‹ zu einem der ›sofortigen Befreiung‹ geworden. Diese politische Verwandlung hatte dazu geführt, dass er sein Werk selbst ent-allegorisierte. Allerdings nicht vollständig, denn die Figur trägt zweifelsohne ›weiße‹ Gesichtszüge. Offenbar konnte man sich nur die Nacktheit einer weißen Frau als erhebend vorstellen. Die Nacktheit einer schwarzen Frau 74 | Schwarze Abolitionisten wie William Wells Brown und geflüchtete Sklaven wie Ellen Craft demonstrierten wegen dieser Bigotterie vor der Londoner Ausstellung mit Plakaten, die auf die Sklaverei in den USA hinwiesen (Yellin 1986, 122). 75 | Zitiert nach Nelson 2007, 105.
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dagegen hätte obszön gewirkt und den beabsichtigten Effekt der Skulptur zerstört. Ein Sklavinnenkörper ist nicht sublimationsfähig, er kann keine Botschaft transzendieren. Deshalb wird unter anderen Rezeptionsbedingungen, z.B. auf den Auktionsblöcken der Sklavenmärkte, wo die Entblößung die Voraussetzung der Handelsbeziehung ist, die Nacktheit des Sklavenkörpers auch nicht als Skandal wahrgenommen. Er ist dann nichts weiter als die sichtbar gemachte Ware. Der Transfer oder die Verschiebung von der misshandelten schwarzen Sklavin zu einer Ikone weiß-weiblicher Opfer-Position war mit ›The Greek Slave‹ vollendet. Sadiya Hartman spricht in ihrer Studie zu den Grausamkeiten der Sklaverei, Scenes of Subjection, von einer ›Hermeneutik der Empathie‹ (Hartman 1997, 19). Um effektives Mitleiden zu erzeugen, hatten die Abolitionistinnen dafür geworben, sich in den geschundenen Körper der Sklavin dermaßen hineinzuversetzen, dass er sich wie der eigene anfühlte. Diese Art von aneignender Empathie führt dazu, nur die Aspekte am anderen wahrzunehmen, die der eigenen Disposition gleichen. Jonathan Boyarin nennt diese kulturelle Operation der Mitleidserzeugung eine ›Ethik des Durchstreichens des Anderen‹. Er argumentiert, dass ein solcher Prozess immer dann stattfindet, wenn humanitäres Engagement erforderlich ist. Mitglieder der hegemonialen Kultur bedürfen dazu der Vorstellung, das Leiden geschehe ihnen selbst. Eine solche Haltung entwickelt eine systematische Blindheit gegenüber der besonderen Situation des Leidenden.76 Gariyatri Spivak denkt in eine ähnliche Richtung, wenn sie sagt: »It is not possible for us to imagine otherness or alterity maximally. We have to turn the other into something like the self in order to be ethical«.77 Dieser Prozess geht in folgenden Schritten: 1. Empathie erfordert die Imagination von Gleichheit. Nur unter der Imagination von Gleichheit kann Leiden erlebt werden. Das setzt 2. voraus, dass nur das Leiden des weißen Humanisten, der weißen Humanistin als Leiden anerkannt werden kann, was bedeutet, dass 3. lediglich die abendländisch-aufklärerische Kultur über eine Ethik verfügt.78 Die ›Griechische Sklavin‹ ist insofern die perfekte Verkörperung einer Ersetzungs- und Verschiebungsoperation, in der sich der Grund für die abolitionistische Kampagne – die Sklaverei – in das Kampagnenmotiv – die physisch und 76 | »Ethic of the Obliteration of Otherness […] occurs where humanism demands the acknowledgement of the Other’s suffering humanity […] Where the paradoxical lineage of shared humanity and cultural otherness cannot be expressed« (Boyarin 1994, 86). 77 | Spivak 1993. Zitiert nach Hartman 1997, Kap. 2, FN 6, 209, dort ohne Seitenangabe. 78 | Diese im Abendland für selbstverständlich gehaltene Hierarchisierung von Empathie gegenüber Menschengruppen, die wir unseres Mitleidens für Wert halten, und nur als Masse wahrgenommener Verworfener ist in gegenwärtiger Theoriebildung neu durchdacht worden. Siehe Precarious Life. The Powers of Mourning and Violence (Butler 2004) und Susan Sontags letztes Buch Regarding the Pain of Others (Sontag 2004).
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rechtlich problematische Lage der weißen Frau in der Ehe – aufgelöst hat. Über die Tatsache, dass die Sklavin nur noch als Geschlechtswesen wahrzunehmen ist, wurde es möglich, ihre Lage als lebenslange Zwangsarbeiterin aus dem Bild zu schieben.79 Die ›Hermeneutik der Empathie‹ ist an ihrem Ende angekommen. Die weiße Figur der Sklavin hat sich von dem ursprünglichen Trauma, der amerikanischen Sklaverei, abgetrennt80 und führt ein erhabenes Dasein als Ikone der Unterdrückung der weißen Frau, oder genauer, sie versinnbildlicht Eheverhältnisse, die die weiße Frau zu einem zwischen Vätern und Gatten verschobenen ›Gut‹ machen. Die Figur der schwarzen Sklavin hatte damit im abolitionistischen Diskurs als verdeckte ›Sprache‹ eines Frauenrechtsdiskurses ausgedient. Für ein anderes Problemfeld, nämlich für die Frage der Wahl- und Staatsbürgerschaft für Frauen – wurde die Sprache des Abolitionismus noch länger benötigt. Doch um noch brauchbar zu sein, musste das Geschlecht der Metapher wechseln. Von nun an wird die Sklaverei-Analogie über den männlichen Sklaven abgewickelt.
R ECHTSPERSON UND M ASKULINITÄT 1.9 Eine neue Analogie und ein neuer Antagonismus Elizabeth Cady Stanton war zwar dem Abolitionismus zugetan, aber sie hatte sich von Anfang an mehr mit der Frauenfrage beschäftigt. Das Herzensthema der Tochter eines Richters war Rechtsungleichheit und politische Unmündigkeit der Frau. Für sie war der männliche Sklave Bezugsobjekt ihrer RaceGender-Analogie.81 In einer für das Parlament von New York gedachten Rede 79 | Jean Fagan Yellin drückt diesen Zusammenhang folgendermaßen aus: »But precisely by asserting gender identity, this reading makes it possible to ignore the crucial difference between the situation of white free women and black slave women, to conflate the condition of free women and slaves« (Yellin 1989, 24). 80 | Jean Fagan Yellin weist ausführlich nach, dass der Bildhauer die Inspiration zu seinem Kunstwerk in den Race-Auseinandersetzungen um den ›Fugitive Slave Act‹ in seiner Heimatstadt Cincinatti erhielt, die als Grenze zum freien Kanada mitten im Brennpunkt der Auseinandersetzung stand (Yellin 1989, 103-107). 81 | Mit der gleichen Bewegung, mit der die Separaten Sphären als Legitimationsbasis verlassen wurden – manifestiert durch Ansprachen vor einer gesetzgebenden Körperschaft –, wurde im inzwischen aussichtsreichen Kampf um juristische Gleichstellung und politische Rechte von weißen Frauen der erste Schritt dazu getan, die schwarze Frau aus dem Kampf um Emanzipation herauszuschreiben. Mit dem Geschlechtswechsel der Analogie auf den männlichen Sklaven wurde auf einen Diskurs rekrutiert, der politische Rechtlosigkeit als Entmännlichung (Emasculation) begreift und Emanzi-
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schrieb Stanton: »It is impossible to make the Southern planter believe […] that the mere dependant on his caprice at the mercy of his passions is as keenly felt by him as by his master.«82 Auch Angelina Grimké, die sonst nie müde wurde, das Schicksal der Sklavin zu thematisieren, hatte schon 1838 anlässlich einer Rede vor dem Staatsparlament von Massachusetts der ›Schwester in Ketten‹ den männlichen Sklaven beigesellt: »I stand before you as a moral being endowed with precious inalienable rights […] I owe it to the suffering slave […] to do all I can to overturn the system of complicated crimes, built upon the broken hearts of my countrymen in chains, and cemented by the blood sweat and tears of my sisters in bonds.« (Meine Kursivierung) (Ceplair 1989, 312)
Diese Veränderung des Analogie-Bezuges hat ganz wesentlich damit zu tun, dass jetzt in einem Rechtsdiskurs gesprochen wird. Dieser bezieht sich nicht mehr auf den konkreten Körper wie in der früheren Analogie mit der Sklavin, sondern auf eine davon abstrahierte juristische Person. Dieser Diskurs ist damit wesentlich sphären-neutraler, weil die Rechtsperson nicht mehr an einem ihr zugemessenen Ort lokalisiert werden kann. »We are persons, native free-born citizens; property holders, tax-payers«, sagte Stanton (241). Rechtssubjekte werden als ›neutral‹ verstanden. In einer abendländisch-patriarchalen Struktur impliziert eine neutrale Position bis heute eine weiße männliche Position. Die neue Metapher für Rechtlosigkeit ist dementsprechend der männliche Sklave. Das Zeitalter der schwesterlichen Solidarität – vermittelt durch Schmerz – ist einer politischen Rhetorik der Deprivilegierung gewichen. Der Objektwechsel zum männlichen Sklaven birgt schon in seinen allerersten Ausformungen den Keim eines Konfliktes in sich. Im Staat New York konnte ein freier schwarzer Amerikaner wählen, wenn er den Besitz von 250 Dollar nachweisen konnte. Wenn nicht, durften auch keine Steuern erhoben werden. Frauen wurden dagegen grundsätzlich besteuert und durften trotzdem grundsätzlich nicht wählen. Stanton resümierte in ihrer Rede: »And here […] you place the Negro, so unjustly degraded by you, in a superior position to your own wives and mothpation als Maskulinisierung. Die in der Einleitung entwickelte ›Intersektionalität‹ (Crenshaw 1991) der schwarzen Frau, die aufzeigt, dass politische, anti-rassistische Emanzipation der Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen als männlich, und weibliche, feministische Emanzipation als weiß verstanden wird, nimmt hier ihren politischen Ausgangspunkt, siehe S. 30-35. 82 | Stanton/Anthony 1997, 253. Elizabeth Cady Stanton hielt diese Rede nicht wirklich vor dem Parlament – ein solcher Auftritt wurde ihr erst 1860 erlaubt –, sondern sie hielt sie 1854 auf der Women’s Right Convention in Albany. Die Rede wurde allerdings gedruckt und zusammen mit der Resolution der Frauen an Senatoren und Abgeordnete verteilt. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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ers« (243). Hier scheint die später bestimmende Konkurrenz von Frauenrechtsdiskursen und Race-Emanzipation auf, die im historischen Fortgang beide Diskurse in gegenseitiger Artikulation fesseln wird. Bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts war es für die Abolitionistinnen nicht nötig gewesen, eine Entscheidung zu treffen, welcher Emanzipationsanspruch, jener der weißen Frauen oder jener der Sklaven und Sklavinnen, gegebenenfalls der wichtigere sein sollte. Wenn überhaupt, dann rechnete man mit einer Universalreform. Der Bürgerkrieg veränderte die Situation grundlegend. Die Aktivistinnen halfen bei der Organisation des Krieges, stellten die Arbeit in Frauenrechtsinitiativen vorerst zurück und unterstützten die republikanische Partei. Es traf sie daher hart, als die Republikaner – zwei Millionen zukünftige schwarze Wähler vor Augen – 1866 ein 14. Amendment zur Verfassung einbrachten, das allen männlichen Bürgern der Vereinigten Staaten das Wahlrecht garantierte.83 Wohl wissend um die Radikalität ihrer Eingabe, zeigten die Republikaner keine Neigung, sich zusätzlich auch noch mit der hoch umstrittenen Frage des Frauenwahlrechts zu belasten (Flexner/Fitzpatrick 1959, 136). Die unausweichliche Folge dieser Entwicklung war eine Konkurrenz zwischen denjenigen, die ermächtigt werden sollten, und denjenigen, die von der neuen Formulierung des Amendments erstmalig explizit von der politischen Teilnahme ausgeschlossen wurden. Susan B. Anthony setzte dieser neuen Lage entschiedenen Widerstand entgegen: »[… I] would sooner cut off my right hand than ask for the ballot for the black man and not for women« (McFeely 1991, 266). Bei den weißen Kämpferinnen für die Abschaffung der Sklaverei vernichtete ein Gefühl von Betrug und Ungerechtigkeit mit einem Schlag das hehre Ziel der universellen Suffrage und rückte die hohe Zahl, den geringen Ausbildungsstand und einem angenommen niedrigen Zivilisationsgrad der zu emanzipierenden Sklaven in den Vordergrund ihrer Rhetorik. Die demokratische Forderung weiß-weiblicher Aktivistinnen nach einem egalitären Zugang zum Wahlrecht verwandelte sich angesichts ihrer eigenen absehbaren Deprivilegierung in einen hierarchisierenden Blickwinkel. Susan B. Anthony wetterte: »While the dominant party has with one hand lifted up TWO MILLION BLACK MEN and crowned them with the honor and dignity of citizenship […] with the other hand they 83 | Die Tatsache, dass nur Männer wählen können, ist im Text des 14. Amendments indirekt versteckt: »But when the right to vote at any election […] is denied to any of the male inhabitants of such state, being twenty-one years of age, and citizens of the United States« (meine Kursivierung). Das 15. Amendment bestätigte diese Regelung, weil ›sex‹ nicht als verbotener Ausschlussgrund angeführt wurde: »The right of citizens of the United States to vote shall not be denied or abridged by the United States or by any state on account of race, color, or previous condition of servitude«. http://www.law.cornell.edu/ constitution/constitution.amendmentxv.htm, abgerufen am 12.10.2002.
1. D IE S KL AVEREI DES G ESCHLECHTS have dethroned FIFTEEN MILLION WHITE WOMEN – their own mothers and sisters, their own wives and daughters – and cast them under the feet of the lowest of manhood.« 84 (Meine Kursivierung, Versalien Anthony)
Frauenrechtlerin Anthony tat hier einen gewaltigen Schritt von der Solidarität mit den Geschwistern in Ketten (Brethren in Bonds) zu einer Vorstellung ihrer schwarzen Mitbürger als Abschaum der Menschheit (Lowest of Manhood), wenn man bedenkt, dass sie selbst in den vierziger Jahren eine abolitionistische Agitatorin war. Und doch war ihre Äußerung symptomatisch. Es handelte sich keineswegs um ein individuelles Versagen oder kurzfristige Gedankenlosigkeit. Diese Form von ›Rassismus‹ war die logische Konsequenz des historischen Zusammenstoßes der Ethik von True Womanhood und ihrer verinnerlichten weiblichen Kulturhoheit mit der neuen, männlichen ›Ehre‹ des schwarzen Wahlbürgertums. Die weißen separaten Sphären wurden ja auch als Einflusssphären verstanden, in denen der kultivierende Umgang mit der Gattin die politische Ethik des Ehemannes beeinflussen sollte. Auf den neuen ›Freedman‹ hatte die Nordstaaten-Lady keinen Einfluss, und so ist die Vorstellung, dass vom schwarzen Wähler persönliche Herrschaft über weiße Frauen ausgeübt würde, innerhalb der Geschlechtsrhetorik durchaus plausibel. Interessanterweise appellierte Anthony in ihrer Polemik gegen die Republikaner an den privilegierten Rechtsstatus des weißen Mannes, indem sie mit Possessivpronomina von seinen Müttern, Frauen, Schwestern und Töchtern sprach. Elizabeth Cady Stanton hatte bis zuletzt die Frauenfrage zurückgestellt, um die Emanzipation der Sklaven nicht durch eine interessengeleitete Debatte zu behindern. Die Tatsache allerdings, dass ihr jetzt per Verfassungszusatz explizit bescheinigt wurde, keine Staatsbürgerin zu sein, und die Niederlage in ihrem langjährigen Kampf um ein allgemeines Wahlrecht kränkte sie tief. Das politische Ergebnis des Bürgerkrieges bezeichnete sie als »universal manhood suffrage«.85 Die Entrüstung Stantons ging soweit, dass sie trotz jahrzehntelanger Allianz mit schwarzen Aktivisten und Aktivistinnen nun im Gegenzug das Wahlrecht für den ungebildeten schwarzen Mann bekämpfte. Die Entwicklung vom weitherzigen und überzeugten Universalismus der ›Universal Suffrage‹ zur partikularistischen Interessenpolitik einer ›Educated Suffrage‹ zeigt an, wie sehr Anthonys und Stantons Konzeption von Race an Klasse gebunden war. Gegenüber gebildeten afroamerikanischen Aktivisten wie Frederick Douglass sahen sie nie eine Differenzierungsnotwendigkeit. Die Vorstellung jedoch, dass
84 | Zitiert nach Giddings 1984, 66. 85 | Elizabeth Cady Stanton »Gerrit Smith on Petitions« in The Revolution January 14, 1869 24-45, zitiert nach DuBois 1992, 123.
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ein schwarzer ›Pöbel‹ mehr Rechte haben würde als sie selbst, warf sie fürs erste umstandslos aus ihren früheren naturrechtlich-egalitären Überzeugungen.86 Ein anderer Aspekt beginnt aber hier zum ersten Mal zu greifen, nämlich die zunehmende Sexualisierung von Race-Gender-Verhältnissen, die über eine Struktur, die im Folgenden ›Rape-Lynching-Komplex‹ genannt wird, den Diskurs der Zeit nach dem Bürgerkrieg bestimmen wird. In einem Artikel der Zeitschrift Revolution entwarf Stanton anknüpfend an einen realen Rechtsfall folgendes Szenario: Ein weißes Mädchen (ein »Saxon girl«) hatte in einem Armenhaus ihr Kind erstickt. Es war aus einer Verbindung mit einem schwarzen Landarbeiter hervorgegangen, der sie während der Abwesenheit des weißen Farmers geschwängert hatte. Um herauszuarbeiten, was auf der Ebene der Gerichte passiere, wenn nur schwarze Männer aber keine weißen Frauen Geschworene sein dürfen, schrieb Stanton: »With judges and jurors of Negroes, remembering the generation of wrong and injustice their daughters had suffered at the white man’s hand, how will Saxon girls fare in their courts for crimes like this?« (DuBois 1992, 123)
Auf der Textoberfläche wird zwar die Möglichkeit von – durchaus als verständlich eingeschätzter – Rachejustiz thematisiert, der Subtext zielt jedoch eindeutig auf die Gefahr, die angeblich vom ›schwarzen Mann‹ für ›White Womanhood‹ ausgehen soll. Diese ist interessanterweise eine doppelte, eine sexuelle und eine politische. Der sexuelle ›Skandal‹ ist, dass das Mädchen von einem schwarzen Mann geschwängert wurde. Die Frage, wie freiwillig die Verbindung zwischen den beiden Landarbeitern war, wird interessanterweise überhaupt nicht verhandelt. Der politische ›Skandal‹ ist, dass ein schwarzer Mann über eine weiße Frau richten darf. Für diese komplexen Verhältnisse fand Stanton dann ein Bild, das sich noch sehr fatal auf die Verhandlungsgeschichte von Race und Gender aus86 | Weiß-feministische Sekundärliteratur zur frühen Suffrage ist sich uneinig, inwieweit diese zornigen Gegenreaktionen von Elizabeth Cady Stanton, Susan B. Anthony und anderen Kämpferinnen für Frauenrechte als genuin ›rassistisch‹ verstanden werden sollen. Während Ellen DuBois das eindeutig bejaht, (DuBois 1992, 94f) bettet Bettina Aptheker den Diskurs eher in historisch notwendige Irrwege ein (Aptheker 1982, 12f). Völlig negiert wird eine solche Sichtweise von Blanche Hersh (Hersh 1978, 128). Afroamerikanische Feministinnen dagegen kritisieren unisono die Interessenpolitik der frühen Frauenbewegung in der Frage des Wahlrechts als ›rassistisch‹. Siehe z.B. das Kapitel »Racism in the Women Suffrage Movement« in Angela Davis’ Women Race & Class (Davis 1983, 70-86). Wichtige afroamerikanische Stimmen zum Thema sind auch hooks 1981 und Giddings 1984. Ein Jahrzehnt später haben sich auch weiße Feministinnen wie Ruth Frankenberg und Vron Ware dieser Kritik angeschlossen. Siehe Ware 1992 und Frankenberg 1993.
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wirken wird, nämlich das Bild der Vergewaltigung als universeller sexualpolitischer Figur: »Society as organized today under the man’s power, is one great rape of womanhood.«87
1.10 Sambo und die ›Daughters of Jefferson‹ Für die abolitionistischen Frauenrechtlerinnen war die Hautfarbe als konstitutive Differenz solange relativ vernachlässigbar, als sowohl weiße Frauen wie auch Sklaven und Sklavinnen sich primär als Unterdrückte von weißen Männern fühlen konnten. Die Gemeinsamkeiten wie Unfreiheit, Rechtlosigkeit und körperlich-sexuelle Ausgesetztheit bildeten die Eck-Pfeiler der Ermächtigungsanalogie. In dem Augenblick aber, wo es zu einem massiven Interessenkonflikt kam, stand die Tatsache, nicht-schwarz zu sein und damit eine Überlegenheit reklamieren zu können, plötzlich auf der Tagesordnung. Für einen politisch wichtigen Teil der weißen Abolitionistinnen (Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony) und für schwarze Reformer wie Frederick Douglass beginnen die Register von Race und Gender sich hier erstmals an dem Unterscheidungsmerkmal Hautfarbe zu trennen. William Lloyd Garrison hatte am Anfang noch geglaubt, dass die Forderung nach einem universellen Wahlrecht für alle Amerikaner und Amerikanerinnen, einschließlich schwarzer Männer und Frauen, eine gute politische Strategie sei, um den Wählern die Bürgerrechte für ehemalige Sklaven schmackhaft zu machen. Eine Welle von Mob-Gewalt im Süden und politischer Kuhhandel der Parteien im Norden änderte die politischen Kräfteverhältnisse. Aus Angst, dass die Südstaaten-Frauen für die Interessen der alten Oligarchien stimmen würden, revidierte die republikanische Partei ihre Unterstützung für das Frauenwahlrecht, um so die politischen Verhältnisse der ehemaligen Sklavenstaaten zum Umsturz zu bringen. Dagegen nahm die demokratische Partei opportunistisch und halbherzig die Forderung nach dem Frauenwahlrecht auf, um ihrerseits das schwarze Wahlrecht zu behindern.88 Elizabeth Cady Stanton und Susan B. 87 | Die Trope Vergewaltigung spielte auch schon in der frühen abolitionistischen Rhetorik eine Rolle. Man nutzte sie, um die Notwendigkeit der sofortigen Emanzipation der Sklaven zu begründen. Die Vorstellung war, dass der abolitionistisch agitierte und von der Langsamkeit des Fortschritts enttäuschte Sklave sein Ressentiment in Vergewaltigung weißer Frauen umleiten könnte. Der Abolitionist George Bourne schrieb 1837 in seinem Traktat Slavery Illustrated on its Effect on Women and Domestic Society: »Delay only increases the danger of the white woman and augments the spirit of determined malignity and revenge in the colored man«, zitiert nach Walters 1976, 73. 88 | Eine ganz ähnliche Strategie führte in den frühen sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu gegenteiligen Ergebnissen. ›Affirmative Action‹ war ursprünglich nur für Afroamerikaner gedacht gewesen. Ein konservativer Senator hatte den Vorschlag einge-
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Anthony taten sich mit dem demokratischen Agitator Georg Francis Train zusammen, der für seine offen rassistische Rhetorik berüchtigt war, um im Staat Kansas für das Frauenwahlrecht zu agitieren.89 Sie sprachen jetzt von ›Educated Suffrage‹, die unbedingt vor dem Wahlrecht für schwarze Männer und Emigranten zu stehen habe. In ihrer Zeitschrift Revolution polemisierte Stanton gegen das Wahlrecht für schwarze Männer und Einwanderer und setzte es gezielt gegen den kulturellen ›Adel‹ der weißen Frau: »Think of Patrick and Sambo and Hans and Ung Zung who do not know the difference between a monarchy and the declaration of independence or Webster’s spelling book, making laws for Lydia Maria Child, Lucretia Mott and Fanny Kemble.« 90 ›Sambo‹ ist eine eindeutig negative Bezeichnung für angenommene Charaktereigenschaften von Plantagen-Sklaven, die sie als dümmlich, heiter, unzuverlässig und feminisiert beschreibt. Frederick Douglass antwortete auf die Beleidigung mit etwas mühsamer Ironie: »I was tinged a little against The Revolution […] There was a sentiment […] in reference to employment of certain names, such as ›Sambo‹ and the gardener and the bootlack and the daughter of Jefferson I cannot coincide with. I have asked what difference there is between the daughter of Jefferson and other daughters. (laughter) I must say that I do not see how anyone can pretend that there is (a greater need) in giving the ballot to the women as to the Negro. With us it is a matter of life and death.« 91
bracht, dass es auf Frauen erweitert werden sollte, in der Hoffnung, damit das gesamte Gesetz zu Fall zu bringen, was zur großen Freude aller Nutznießer und Nutznießerinnen nicht den gegenteiligen Effekt hatte und auch weißen Frauen kompensatorische Berücksichtigung zusprach. 89 | Die Zusammenarbeit mit Train entsetzte alle früheren Mitkämpfer und Mitkämpferinnen. Allen voran William Lloyd Garrison. Aber auch Lucy Stone und Lucretia Mott äußerten sich deutlich kritisch (McPherson 1999, 356-357). 90 | Revolution, Dezember 1868. Zitiert nach McPherson 1999, 44. Einen Niedergang der ›Zivilisation‹ fürchtend spricht Cady Stanton von »The daughters of Adams, Jefferson, and Patrick Henry will forever linger round the campfires of an old barbarism […]« Revolution 13. Mai 1869 zitiert nach Blassingame 1991, 216. 91 | Blassingame 1991, 216. Der Bezug auf Jeffersons Töchter hat eine aktuelle historische Ironie, weil inzwischen durch Gen-Analysen eindeutig geklärt ist, dass Jefferson mit seiner Sklavin Sally Hemings leibliche Kinder hatte und damit ›schwarze‹ Töchter. Große Teile der überlebenden Jefferson-Nachkommen verweigern noch heute ihren afroamerikanischen Verwandten die Anerkennung der Blutsverwandtschaft. Siehe u.a. Gordon-Reed 1998.
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Elizabeth Cady Stanton war das Schimpfwort ›Sambo‹ durchaus nicht zufällig in einem ironischen Pamphlet entschlüpft. In einer sorgfältig vorbereiteten Erklärung an den Anti-Slavery Standard 1865 schrieb sie: »The representative women of the nation have done their uttermost for the last thirty years to secure the freedom of the Negro, and so long as he was the lowest in the scale of being we were willing to press his claim, but now, as the celestial gate of civil rights slowly moving on its hinges, it becomes a serious question, whether we had better stand aside and see ›Sambo‹ walk the kingdom first.« (Meine Kursivierung) (Stanton/Anthony 1997, 206) Das Protokoll der Konferenz über die Möglichkeiten und Grenzen der ›Universal Suffrage‹ in New York 1869 ist ein außergewöhnliches Dokument über das Scheitern der ›fortschrittlichen‹ Tradition der Analogiebildungen von Race und Gender. Hier verliert sie ihre utopische Dimension. Unter der Vorstellung gemeinsamer ›Versklavung‹ ist sie noch erfahrbar und politisch nutzbar. Nach der Sklavenbefreiung der kollabiert diese Metapher. Frederick Douglass argumentierte, dass angesichts von Lynching, zerstörten Häusern und angezündeten Kirchen das Wahlrecht und damit der Rechtsschutz für schwarze Männer eine Frage von Leben und Tod sei. Ein Zwischenruf aus dem Publikum intervenierte, dass das genauso für schwarze Frauen gelte. Darauf antwortete Douglass schlagfertig, dass deren Leben nicht gefährdet sei, weil sie Frauen, sondern, weil sie schwarz seien. So evident dieses Argument auf den ersten Blick zu sein scheint, so verdeutlicht es doch Douglass’ Position zur Geschlechterordnung. Verweigert man schwarzen Frauen das Wahlrecht und damit vollgültige Staatsbürgerschaft (Citizenship), so sind sie auf den Schutz des schwarzen Mannes angewiesen. Das stärkt dessen eigene Position im Register von Manhood. Die Sklaverei als großer Gleichmacher hatte nicht nur Geschlechterhierarchien unter Sklaven fast nivelliert, sondern auch geschlechtliche Entdifferenzierung als Ganzes begünstigt. Sklaven galten, was Maskulinität und Feminitität anging, als geschlechtslos. Weder konnte ›Manhood‹ als Quelle von Selbstbewusstsein und Ehre in Anspruch genommen werden, noch True Womanhood als Ausweis von Tugend. Die neue politische Situation stellt den afroamerikanischen Mann erstmalig über die (seine) Frau und ermöglicht ihm damit Zugang zu patriarchaler Macht, die ihm vorher verwehrt war. Es ist insofern nur konsequent, wenn Susan B. Anthony eine Sitzung später unter allgemeinen Applaus, dem sich auch Frederick Douglass anschloss, behauptete: »[The black man] would not exchange his sex and take the place of Elizabeth Cady Stanton« (Blassingame 1991, 217). Demnach wird Maskulinität als ein höheres Gut als die privilegierte Hautfarbe verstanden. Auch den weißen Frauen scheint hier selbstverständlich zu sein, dass das Privileg des Weiß-Seins mit dem Privileg des Mann-Seins nicht kom-
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patibel ist. Oder anders ausgedrückt: Frederick Douglass und Susan B. Anthony waren sich einig, Weiblichkeit als einen größeren Nachteil als Hautfarbe zu betrachten. Frederick Douglass machte sich auch gegenüber den weißen Abolitionistinnen das neue Geschlechtsprivileg zunutze. So argumentierte er, dass der Kampf für das Frauenwahlrecht in der gegebenen historischen Situation nicht so dringlich sei, weil sich weiße Frauen neben dem Privileg des Weiß-Seins angeblich auch eines Geschlechtsvorteils erfreuten, der ihre Lage sehr viel komfortabler als die von schwarzen Männern mache: »The government of this country loves women. They are the sisters, mothers, wives, and daughters of our rulers; but the negro is loathed.« 92 (Kursivierung Douglass) Douglass’ jetzige Position ist umso bedeutsamer, als gerade er es war, der auf der Frauenrechtskonferenz in Seneca Falls 1848 das Frauenwahlrecht auf die Agenda gebracht hatte. Die vormals gemeinschaftliche Überzeugung, die Weiblichkeit und Sklavenposition unter dem Bild von Bondage gedacht hatte, war unter der neuen politischen Ermächtigungschance für männliche Ex-Sklaven in ein vergeschlechtlichtes Register geglitten. Die weiße Frau wird in diesem Argument wieder zu einem zarten und schutzwürdigen Geschöpf (Woman on the Pedestal), dem mit ›Achtung‹ und Kavaliersdiensten Entschädigung für seine politische Deprivilegierung angeboten wird.
1.11 Frederick Douglass und ›Manhood‹ Manhood war zu einer zentralen Trope schwarz/männlicher Emanzipation geworden. Programmatisch spitzt Douglass in seiner Narrative of the Life of Frederick Douglass sein Befreiungsprojekt zu: »You have seen how a man was made a slave you shall see how a slave was made a man«.93 Zu Beginn des RaceEmanzipationsprojektes hatte Manhood noch nicht unbedingt in Opposition zu Weiblichkeit gestanden, sondern konnte auch in Opposition zu Unfreiheit oder Dinghaftigkeit betrachtet werden. In einer Ansprache in Irland z.B. redet Frederick Douglass von der Sklaverei als einem System »what unmans man, takes him from himself, dooms him as a degraded thing, ranks him with the bridled
92 | »Equal Rights for All. Adresses delivered in New York, New York on May 14, 1868« (Blassingame 1991, 177). 93 | Douglass 1968, 47f. Valerie Smith sieht eine grundsätzliche ›Quest for Manhood‹ in den Slave Narratives: »The plot of this standard narrative may thus be seen as not only the journey from slavery to freedom but also the journey from slavehood to manhood« (Smith 1987, 34).
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horse and the muzzled ox«94 (meine Kursivierung). Mensch-Tier oder MenschDing war hier der binäre Code, in dem die ›Entmannung‹ durch Sklaverei gesehen wurde, und nicht Mann-Frau. Diese Definition von Maskulinität veränderte sich mit der Aussicht, wählender Staatsbürger zu werden. Die Reklamation von Manhood hatte nun einen eminent politischen Charakter, nämlich gleichzeitig die Forderung nach dem Bürgerrecht zu transportieren, die ihr Geschlecht weißen Männern automatisch verleiht. Der Historiker R.J. Young beobachtet in einer Studie über ›ante-bellum black Manhood‹: »The power of the word manhood […] linked the natural rights language of the American Revolution with gender-specific appeal to men’s potency« (Young 1996, 59). Die politische Emanzipation der ehemaligen Sklaven hängt nun davon ab, dass sie als Männer anerkannt werden. Damit verschiebt sich auch die Oppositionsbildung von Manhood weg von Ding- oder Tier-Sein zu Nicht-Frau-Sein. Robyn Wiegman weist darauf hin, dass in dem Moment, wo Bürgerrecht als Geschlechtsprivileg angesteuert wird, die politisch motivierte Analogie zwischen schwarzen und weißen Frauen als Mittel, Sklaverei und Patriarchat gleichzeitig zu bekämpfen, scheitert. Sie wird stattdessen zu einer Figur, die Ausschlüsse produziert.95 Auch Frederick Douglass, der Zeit seines Lebens – bis auf die oben diskutierte Ausnahme der Kämpfe von 1866/67 – ein außerordentlich loyaler Befürworter des Frauenwahlrechtes war, konnte der neuen Logik afroamerikanischer Ermächtigung durch das Geschlechtsprivileg nicht entkommen. In einer berühmten Szene erzählt er, wie seine Tante ausgepeitscht wird, weil sie sich weigert, vom Mann ihrer Wahl, dem Sklaven Edward, zu lassen. Douglass legt nahe, dass der Master sexuelles Interesse an der außergewöhnlich schönen Sklavin hatte. Der entsetzte und in der Seele getroffene Erzähler beobachtet durch eine Lattenritze die Szene einer brutalen und lang andauernden Auspeitschung. Stellvertretend an ihrem Leib wird Douglass die Grausamkeit der Sklaverei einsichtig. Wie der Tod ihres Sohnes Harriet Beecher Stowe zum Abolitionismus bekehrt, so wird die Auspeitschung von Hester dem jungen Frederick Douglass zur Katharsis – zur ›Sentimental Wounding‹ –, die ihm fühlbar macht, was es bedeutet ein Sklave zu sein.96 Douglass schmiedete die Schlüs94 | Blassingame 1991, 93. Henry Louis Gates hat aus den Anfangsparagraphen der Narrative ebenfalls eine Analogiebildung von Sklave und Vieh als charakteristisch herausgelesen (Gates 1988a, 70). 95 |Wiegman 1995, 46. Einer der afroamerikanischen Führer der Equal Rights Association, George Downing, äußerte in den leidenschaftlichen Kämpfen um das Wahlrecht, es sei Gottes Wille, dass Männer Frauen beherrschen. Zitiert nach Davis 1983, 84. 96 | Gwen Bergner parallelisiert diese Szene mit der Logik des Ödipuskomplexes. Wie im Ödipuskomplex der kleine Junge das penislose Weib als ›bestraft‹ interpretiert und darüber eine Kastrationsangst ausbildet, organisiert die Zeugenschaft des Auspeit-
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selszene des Auspeitschens von Aunt Hester zu einem machtvollen rhetorischen Instrument. Er verwendete sie auf unzähligen Vorträgen. Z.B. zeigte er oft eine blutige Halsfessel einer anderen Sklavin vor. Mit dieser Strategie konnte er sich als Opfer darstellen, ohne die Erniedrigung als Mann – und damit seine symbolische Kastration – über und an seinem eigenen Leib bezeugen zu müssen (Franchot 1990, 144). Wie die Abolitionistinnen bedient sich Frederick Douglass der Figur der gefolterten und sexuell genötigten Sklavin als Agitationsstrategie. In einem einzigartigen Dokument, einem Brief, den er zehn Jahre nach seiner Flucht seinem Sklavenhalter Auld schickte, nutzt er die Rhetorik der geschändeten weiblichen Unschuld, um seinem ehemaligen Besitzer die Ungeheuerlichkeit der Leibeigenschaft vor Augen zu führen. Er lässt ihn imaginieren, wie Auld sich fühlen würde, wenn er, Frederick Douglass, über Aulds geliebte Tochter Amanda in der gleichen Weise verfügen würde, wie es Auld mit Douglass eigener Schwester getan hat: »How, let me ask, would you look upon me, were I, some dark night, in company with a band of hardened villains, to enter the precincts of your elegant dwelling, and seize the person of your own lovely daughter, Amanda, and carry her off from your family, friends, and all the loved ones of her youth – make her my slave – compel her to work, and I take her wages place her name on my ledger as property – disregard her personal rights – fetter the powers of her immortal soul by denying her the right and privilege of learning to read and write – feed her coarsely – clothe her scantily, and whip her on the naked back occasionally; more, and still more horrible, leave her unprotected – a degraded victim to the brutal lust of fiendish overseers, who would pollute, blight, and blast her fair soul – rob her of all dignity – destroy her virtue, and annihilate in her person all the graces that adorn the character of virtuous womanhood?« 97 Dieser Vergleich ist als ultimative Provokation gedacht. Er spielt mit dem Skandal, dass auch nach der Sklavenemanzipation die Vorstellung, ein schwarzer schens ein Sklavenbewußtsein: Sie spricht von der »visual, sexual, familial nature of the same triangle.« Douglass’ Gender muss sich mit dem Master identifizieren und Douglass’ Race mit der Tante: »Douglass displaces his empowerment as a slave by associating slavery with his aunt’s abused body« (Bergner 1998, 14). 97 | Dieser Brief ist als Supplement seiner zweiten Autobiographie My Bondage, and my Freedom beigefügt, unter der Überschrift: »It is not often, that chattels address their owners. The following letter is unique and probably the only specimen of the kind existent. It was written while in England« (Douglass 1855, 427, 428). Aulds Tochter Amanda, die hier als Exempel gedient hatte, näherte sich später der abolitionistischen Sache und lud Douglass in ihr Haus ein. Als sie todkrank war, eilte Douglass auf die Nachricht ihres Ehemanns an ihr Sterbelager (McFeely 1991, 197f, 252, 297).
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Mann verfüge über eine weiße Frau, das weiße Publikum mit Schaudern erfüllt. Mit der rhetorischen Gleichsetzung der systematischen Entwürdigung einer Sklavin durch ihren weißen Sklavenhalter und einer weißen Frau durch einen schwarzen ›Sklavenhalter‹ hofft Douglass, die Absurdität einer solchen Verfügungsgewalt im Sklavensystem zu erleuchten. Er argumentiert dabei nicht mit seiner Würde, sondern mit der Gefährdung einer Frau, die keinen männlichen Schutz genießt. Interessanterweise parallelisiert Douglass hier nicht die schwarze Sklavin mit der weißen Frau. Das hat Gründe, denn Douglass misst die weiße und die schwarze Frau mit zweierlei Maß. Die Degradierung der Sklavin macht ihm sein Sklavendasein bewusst. Die Imagination der ihrer Ehre beraubten weißen Jungfrau, der Tochter des Masters, macht ihm seine eigene vorenthaltene Würde bewusst. Douglass’ umfangreiches autobiographisches Werk ist von einer Ausgrenzung schwarzer Frauen geprägt. So schweigt er fast vollständig über Anna Murray Douglass, die ihm seine Freiheit erkaufte und vierzig Jahre seine Ehefrau war, über seine Töchter und auch über bedeutende schwarze Zeitgenossinnen wie Sojourner Truth und Harriet Tubman äußert er sich sehr spärlich. Ausführliche Würdigung dagegen erfahren weiße Abolitionistinnen, die ihn in ihren Häusern empfingen, gemeinsam mit ihm zu Tisch saßen, die ihre Reputation aufs Spiel setzten, um Hausgenossinnen und Mitarbeiterinnen seiner Zeitung North Star zu werden, darunter die englische Abolitionistin Julia Griffith, deren ungeklärter Status im Douglass’schen Haushalt zu einem Skandal führte (McFeely 1991, 163-185), und die deutsche Emigrantin der Revolution von 1848, Ottilie Assing, die seine Autobiographie ins Deutsche übersetzte und wahrscheinlich erheblichen Einfluss auf seine Essayistik nahm.98 Frederick Douglass Race-Gender-Analogie funktioniert also etwas anders als die der weißen Abolitionistinnen. Er teilt sie auf in eine Metapher der schwarzen Frau, die Machtlosigkeit und Ausbeutbarkeit symbolisiert, und in eine Metapher der weißen Frau, die Ehre symbolisiert und gleichzeitig als Spenderin von gesellschaftlicher Anerkennung fungiert. Die Hinneigung der weißen Lady – der Verkörperung des Wertesystems der Gesellschaft – zum Ex-Sklaven adelt ihn, verschafft ihm Respektabilität, beweist seine Kultur und beschämt den Rassismus jener Amerikaner und Amerikanerinnen, die sich in schwarzer Gesellschaft unwohl fühlen. Die weiße Frau funktioniert als eine abstrakte Version 98 | Die offensichtlich in großer Leidenschaft zu Douglass entbrannte Deutsche beging in Paris Selbstmord, nachdem sie erfahren hatte, dass der frisch verwitwete Kampfgefährte sich mit einer anderen weißen Frau verheiratet hatte. Sie vererbte ihm nichtsdestotrotz ein Vermögen. Maria Dietrich hat Ottilie Assings Leben trotz äußerst schwieriger Materiallage – Assing hatte ihre Korrespondenz mit Douglass verbrannt – aus den Briefen an ihre Schwester rekonstruiert, die im Varnhagen van Ense Archiv in Krakau verwahrt werden (Diedrich 1999).
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seiner eigenen Position, die zwar gesellschaftlich nicht voll anerkannt ist, aber mit ihm zusammen eine höhere Moral repräsentiert und ihr verpflichtet ist. Jenny Franchot interpretiert, dass Douglass durch die Figur der gepeitschten schwarzen Frau seine ›Manhood‹ transzendiert, während er in der Figur der weißen Frau seinen Anspruch auf Race-Gleichheit behauptet.99 Gleichwohl ist die Analogie des nun freien Sklaven mit der weiß-weiblichen Position nur illustrativ und nicht strukturell. Geschändete Weiblichkeit kann zwar als Metapher für vorenthaltene Würde verwendet werden, nicht aber als Ehrentitel, denn das würde das in der vorliegenden Wissensordnung kostbarste Gut – die Erlangung eines universellen Status als Mensch über Manhood – gefährden.100 Man erinnere sich, dass Susan B. Anthony sich die rechte Hand abhacken wollte, falls das Wahlrecht ausschließlich an schwarze Männer verliehen werden sollte. Frederick Douglass hatte Abby Kelley scharf dafür angegriffen, dass sie 1840 ihre Wahl ins Exekutivkomitee der American Anti-Slavery Society angenommen und damit die Spaltung der abolitionistischen Bewegung provoziert hatte: »Before I would have taken the responsibility of dividing the ranks of freedom’s army, I would have suffered my right arm to take off.«101 Das Abhacken eines Gliedes wird gemeinhin als Kastrationsmetapher interpretiert. Nach Douglass hätte Abby Kelley sich also lieber ›entmannen‹ sollen, anstatt eine unziemliche Geschlechtsposition einzunehmen. Douglass selbst würde sich entmannen, wenn er das weibliche Gleichheitsstreben über seine Race-Mission stellt. Susan B. Anthony dagegen würde sich durch die Gefahr des schieren Gegenteils der Selbstkastration unterwerfen. Wenn die afroamerikanischen Männer vor ihr politische Privilegien erreichten, würde sie sich entmannt fühlen. Interessanterweise können sich hier beide konkurrierenden Geschlechts- und Race-Positionen auf das Symbol der ›Entmannung‹ einigen.
99 | Franchot 1990, 151. Die historische Ironie will, dass Frederick Douglass nach einer Grußadresse auf einer Frauenwahlrechtsveranstaltung starb, und Elizabeth Cady Stanton, die sich wieder mit Frederick Douglass versöhnt hatte, die Trauerrede auf ihn hielt. Sie sagte, ein letztes Mal die Analogie Sklave-Frau herausarbeitend: »Suffering myself from the sights cast upon me because of my sex, I loved him as he loved me because of the indignities we both alike endured«. Zitiert nach Hersh 1978, 128. 100 | Neuere transatlantische Studien zeigen, dass buchstäblich alle Sklaven-Emanzipationsprozesse in den Amerikas und in der Karibik die männliche Position gestärkt haben: »making men’s entitlement to leadership of a family a central feature of postemancipationprocess« (Scully/Paton 2005, 3). 101 | Zitiert nach Sterling 1991, dort ohne Quellenangabe. Siehe auch hooks 1981 und Giddings 1984.
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*** Die Analogie zwischen Frauen und Sklaven war die entscheidende Denkfigur, über die weiße Frauen ihrer Lage Ausdruck gaben. Man kann die verschiedenen Stadien der Bewusstseinsentwicklung an der Veränderung des ›gemeinsamen Dritten‹ der Analogie nachvollziehen. In der Frühzeit des weiblichen abolitionistischen Engagements war das die gemeinsame Unfreiheit. Versklavung und Fesselung (Bondage) war das Schlüssel-Epistem, das beide Emanzipationsbewegungen verband. Das zweite gemeinsame Dritte der Frauen-Sklaven-Analogie bedeutete schon nicht mehr für alle Kombattanten das gleiche. Sie bezog sich auf ›körperliche Unversehrtheit‹. Für männliche Ex-Sklaven konzentrierte sich dieser Bildraum auf die Disziplinarmaßnahmen des Sklaverei-Systems, Fesselung und das emblematische Auspeitschen. Die weiße Abolitionistin bezog sich mit der Analogie Frauen und Sklaverei auf die Sklavin. Deren sexuelle Exponiertheit verwies auf ihre eigene kaum durchsetzbare Körpersouveränität in der Ehe. Für weibliche Ex-Sklavinnen wie Harriet Jacobs dagegen eröffnete die Frauen-Sklaven-Analogie ein komplexes Dilemma ganz anderer Art. Wollte eine schwarze Frau ihre spezielle physiosexuelle Unterdrückung thematisieren, kam sie nicht ohne Verweis auf ihre körperliche Ausgesetztheit aus. Sprach sie aber darüber, vom Master ›geschändet‹ worden zu sein, verlor sie – wenngleich ohne persönliche Verantwortung – ihre Respektabilität als ›anständige‹ Frau.102 Die dritte Bedeutung der Frauen-Sklaven-Analogie betraf Rechtlosigkeit, z.B. vor Gericht. Sklaven und weiße Frauen hatten kein Klagerecht oder Recht auf Eigentum. Die vierte und historisch zuletzt aufgetauchte Bedeutung bezieht sich auf den gemeinsamen Ausschluss aus der politischen Staatsbürgerschaft als Wahlbürger und Wahlbürgerinnen. Hier hatte sich die emanzipatorische Analogie in einen politischen Antagonismus verwandelt, als der schwarze Mann das Wahlrecht erhielt und die weiße Frau nicht. Die Entwicklung des amerikanischen Frauen-Emanzipationsdiskurses reagierte auf eine Neuformierung der Geschlechterordnung in separate Sphären. Ohne historische Erfahrungen mit Widerstandsformen als Geschlechtsgruppe sammelte sich ein vages Unbehagen zunächst in einer zeitgleichen Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei, im Abolitionismus. Man entwickelte dort eine ›Sprache‹, mit der zunächst die Lage der Sklaven und dann über eine Vorstellung von der ›Sklaverei des Geschlechts‹ die eigene Situation beschrieben werden konnte. Diese ›Sprache‹, und insbesondere ihr Bezug auf die Sklavin, war eine zweischneidige Angelegenheit. Sie befestigte gerade jene Grenzen, die 102 | Viele afroamerikanische Kritikerinnen haben das Problem der fehlenden Respektabilität der Sklavin und Ex-Sklavin und den sich daraus ergebenden problematischen Status schwarzer Frauen in der viktorianischen Gesellschaft diskutiert. Siehe Jacobs 1987.
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man auszuweiten gehofft hatte, denn eines der gewichtigsten Argumente gegen die Sklaverei war die Heiligkeit der Familie. Insofern war das weibliche Engagement gegen die Sklaverei thematisch an einen Unterwerfungsdiskurs gebunden, der Frauen in das Regelsystem des ›Cult of True Womanhood‹ einfügte. Der Prozess der Subjektivierung ist einerseits einer der Subjekt-Werdung, nämlich öffentlich zu einem gesellschaftlichen Reformanliegen und für die eigene Sache tätig zu werden. Andererseits ist es gleichzeitig ein Prozess der sich unterwerfenden Verinnerlichung, die selbst am Reglement mitformuliert, mit dem sie unterdrückt wird. Der Widerstand der Abolitionistin ist auch eine soziale Aktivität, die Machtverhältnisse unterstützt und sie sogar prägt. »Das Paradox der Subjektivierung […] besteht genau darin, dass das Subjekt, das sich solchen Normen widersetzte, selbst von solchen Normen befähigt, wenn nicht gar hervorgebracht wird«, schreibt Judith Butler zu diesem Doppelprozess von Individuation und Unterwerfung.103 Der Widerstand ermöglicht zwar, eine eigene Stimme zu gewinnen, und sogar kurzfristig die körperlich-sexuelle Ausgesetztheit und Rechtlosigkeit in der Ehe anzugreifen, wirkt aber über eine sentimentale Strategie der Verkörperlichung gleichzeitig als eine Agentur der Verinnerlichung. In direktem Zusammenhang damit steht die Hysterie. Die abolitionistische Sprache des Schmerztheaters ist damit auch eine hysterische Verkörperlichung, die den Diskurs unterstützt, die Frau zum Gattungswesen, zum Gefäß der zukünftigen Kinder der sich industrialisierenden Nation zu machen. Emanzipationsdiskurse sind insofern nicht nur Agenten egalitärer Sozialutopien, sondern auch Produktivkräfte des herrschenden Diskurses. Unter bestimmten historischen Bedingungen sind sie der Motor zur Beseitigung anachronistischer Verhältnisse. Die Abschaffung der Sklaverei war eine notwendige Voraussetzung für die ursprüngliche Akkumulation und Industrialisierung des gesamten Landes, die wiederum von liberaleren Heirats- und Vermögensrechten für Frauen profitierte, weil sie mögliche Geldströme vervielfältigten. Die von den Emanzipationsdiskursen propagierten Veränderungen sorgten für eine notwendige Flexibilisierung der Verhältnisse. Ist ein Gesellschaftssystem dagegen ›saturiert‹ – wie die USA nach dem Bürgerkrieg, als sie sich neue Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen hatten –, verschwindet auch der Handlungsspielraum für Emanzipationsbewegungen. Eine andere, politische Seite des Emanzipationsdiskurses konnte sich erst entwickeln, als man sich von der Ideologie der separaten Sphären zu lösen begann und sich als abstrakte Rechtsperson etablierte. Plötzlich wurde Whiteness und ›Zivilisation‹ zu einem Gut, das die Verteilung von Rechten begründete 103 | Butler 1991, 39. Die Denkfigur der Gleichzeitigkeit von Unterwerfung und Subjekt-Werdung, die sich im englischen Begriff subjection trifft, (frz. assujetissement) entwickelt Foucault in Überwachen und Strafen in dem Kapitel »Der Panoptismus« (Foucault 1998, 251-295, hier 248).
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und auf eine Gerechtigkeitslücke verwies, die zu schließen schwarzen, ›unwerten‹ Subjekten schon zugebilligt worden war. Als es in der Frage des Wahlrechtsrechts zur Konkurrenz der Befreiungsdiskurse kommt, ist nicht mehr die Sklaverei das konstitutive Außen, sondern der ›Skandal‹, dass schwarze Männer politisch ermächtigt werden – weiße Frauen aber nicht. Vielen weißen Frauen wird es künftig darauf ankommen, ihr Race-Privileg ebenfalls in politische Ermächtigung umzuwandeln. Allerdings muss man sich hier mit einer neuen Wissensformation auseinandersetzen. War noch im frühen 19. Jahrhundert die religiöse Weltordnung, die die Grenzen der Geschlechter-Regime definierte, muss jetzt einer wissenschaftlichen Weltsicht die Stirn geboten werden. Und das war kaum möglich, weil Frauen auf diesem Terrain – im Unterschied zur Religion, zu der sie über die Separaten Sphären einen privilegierten Zugang gehabt hatte – nicht zur Ausbildung zugelassen und deshalb in diesem Sektor über kein kulturelles Kapital verfügten. In der Folge gab eine neue, ›wissenschaftliche‹ Betrachtung von Race- und Gender-Ordnungen dem Konzept der separaten Sphären als ›biologische‹ Notwendigkeit der Brutpflege eine neue Legitimität. Die Protokollfragen von Frauenrechtskonferenzen, wer welche Rechte fordert und bekommen soll, wurden damit an den Rand der Geschichte gedrängt. Zwei politische Entscheidungen bereinigten dabei das Terrain. Das Wahlrecht für den schwarzen Mann bekräftigte die Nicht-Souveränität aller Frauen. Gleichzeitig machten die Jim Crow Gesetze des Südens klar, dass schwarze Mitbürger ›separate but not equal‹ waren, und man sich einstweilen mit der neuen Ermächtigung des afroamerikanischen männlichen Mitbürgers nicht arrangieren würde. Damit war das Rahmenprogramm für eine sozialdarwinistische Vorstellung von ›lower races and genders‹ geschaffen.
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2. Hierarchien der Zivilisation
D IE D ARWINISTISCHE W ENDE 2.1 Englische Spaziergänge Charles Darwin geht am Saumpfad eines walisischen Hügels spazieren. Er steht kurz davor, sein zweites Werk The Descent of Man abzuschließen. Vor ein paar Tagen hat er John Stuart Mills und Harriett Taylors viel diskutierten Essay »The Subjection of Women« gelesen, in dem beide Autoren vehement die Natürlichkeit der Geschlechtsunterschiede bestritten. Die Unterdrückung der Frau sei ein künstliches Ergebnis sozialer Konventionen.1 Am Fuß des Hügels sieht Darwin seine Nachbarin Frances Power Cobbe, eine englische Frauenrechtlerin und Publizistin, entgegenkommen. Auch sie hat vor kurzem die Mills gelesen. Die beiden Nachbarn rufen sich ihre Eindrücke gegenseitig zu, denn ihre beiden Wege sind durch Dornengebüsch getrennt. Mrs. Power Cobbe berichtet über den lauten Austausch: »Mr. Charles Darwin, with whom I am enchanted, is greatly excited about it, but says that Mill could learn some things from physical science; and that it is in the struggle for existence and (especially) for the possession of women that men acquire their vigor and courage. All of this the philosopher told me yesterday standing on a path 60 feet above me […] so we exchanged our remarks on the top of our voices.« (Meine Kursivierung) 2 Die ›Standpunkte‹ von Mr. Darwin und Mrs. Power Cobbes Gedankenaustausch sind nicht ohne historische Ironie, denn die Frage von männlichem Oben und weiblichem Unten in der Entwicklungsgeschichte der Natur wird eine entschei1 | Wörtlich heisst es da: »What is now called the nature of the woman is an eminently artificial thing – the result both of forced repression in some directions, unnatural stimulation on others« (Mill 1983, 38). 2 | Cobbe 1904, 487. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. Die Anekdote wurde von Cynthia Eagle Russet mitgeteilt (Russet 1989, 2).
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dende Rolle in Darwins künftigem Werk spielen. Jenes findet dann auch wenig Gnade vor der Nachbarin, die die Ehre, von Darwin ein Vorausexemplar zu bekommen, mit einer vernichtenden Kritik vergilt. Sie findet sein Werk »absolutely fatal« (489) und rät ihm, ein wenig Kant Zur Grundlegung der Metaphysik der Sitten zu lesen. Er solle seinen Blick von der Welt der Amöben und Schildkröten abwenden und ihn mehr auf den Menschen als Geisteswesen richten. Der Naturforscher bleibt Gentleman, dankt für den Rat und schreibt seiner Kritikerin, dass er den großen Philosophen bewundere. Dieser bringe die Geduld auf, ausschließlich seinen eigenen Verstand (Mind) zu betrachten. Er dagegen sei nur ein lumpiger Kerl (degraded Wretch) »[…] looking from the outside through apes and savages at the moral sense of mankind« (489). Die kleine Anekdote mag als Leitmotiv für die folgenden Überlegungen dienen. Die räumliche Anordnung der Streitenden allegorisiert zum einen die Hierarchie der Geschlechter, wie sie Darwin auf der Evolutionsleiter angeordnet hat. Dann gibt das Gespräch zwischen Darwin und Cobbe von dem Unbehagen Zeugnis, dass diejenigen Zeitgenossinnen des Naturforschers empfinden mussten, die sich für Frauenrechte einsetzten, wenn sie den Siegeszug der evolutionistischen Weltsicht betrachteten. Und die kleine Geschichte beschreibt drittens den Anspruch, den die Evolutionstheorie künftig auf die Erklärung der Welt – sowohl in ihrer ›natürlichen‹ wie auch in ihrer ›sozialen‹ Verfasstheit – erheben würde. Frances Power Cobbe – wiewohl ›bezaubert‹ von ihrem berühmten Nachbarn – würde nicht zu den Gewinnerinnen der neuen Wissensordnung zählen.3
2.2 Fatale Analogien Obige Anekdote bezeichnet einen Schwellenraum vor dem finalen Sieg der Darwin’schen Evolutionstheorie als allgemeingültiges wissenschaftliches Paradigma. Harriet und John Stuart Mill konnten mit einigem Erfolg die Frauenunterdrückung als ein sozial bedingtes Problem anprangern und Frances Power Cobbe konnte dem ›Wissenschaftler‹ mit einem philosophischen Traktat widersprechen, weil sie sich noch in der Nachhut der Aufklärungsphilosophie bewegten, die eine metaphysische Gleichheit beider Geschlechter für möglich hielt. Man sprach deshalb auch von Cartesianischen Feminismus, der sich auf Descartes
3 | Für die feministische Historikerin Carol Smith-Rosenberg beginnt die hier beschriebene Entwicklung schon vor der Durchsetzung des Darwinismus. Sie schreibt: »By the 1840 and 1850, as medicine and science came to rival religion for ideological supremacy, men affirmed bourgeois gender ideology in the new language of science and medicine […they] elaborated an increasingly deterministic language, the original medico-scientific insistence, that women’s biology was their destiny« (Smith-Rosenberg 1985, 178).
2. H IERARCHIEN DER Z IVILISATION
Äußerung ›der Verstand hat kein Geschlecht‹ bezog. (›L’esprit n’a point de sexe‹).4 In den folgenden Unterkapiteln (2.2–2.7) wird auf der Basis vorliegender Studien der feministischen ›History of Science‹-Forschung nachgezeichnet, wie die neue Evolutionstheorie Frauen und ›Primitive‹ konzeptualisiert. Race wird hier nicht mehr – wie im vorherigen Kapitel über die Sklaverei – hauptsächlich über das Konzept ›Schwarz‹ (mit allen daraus abgeleiteten Defiziten) bestimmt, sondern über die angenommen ›niedrigste‹ Position nicht-weißer Menschen in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Der Einsatz meiner Lektüren besteht nicht darin, den gut erforschten Tatbeständen eine neue Lesart hinzuzufügen, sondern darin, die mehrheitlich nur ein Problem der Evolutionstheorie – (weiße Frauen oder ›primitive‹ Menschen) – kritisch aufgreifenden Studien systematisch zu einer intersektionalen Perspektive zu verflechten. Im Werk The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex (1871) entfaltet Darwin sein Projekt, über das Studium von Affen und ›Wilden‹ zum Kern des Menschlichen vorzustoßen. Seine Naturforschungen führen ihn zu folgenden Thesen zum menschlichen Geschlechtsunterschied: »Die Frau scheint dem Manne in Bezug auf geistige Anlagen hauptsächlich wegen ihrer größeren Zartheit und geringeren Selbstsucht verschieden zu sein […] In der Folge ihrer mütterlichen Instinkte entfaltet die Frau diese Eigenschaften gegen ihre Kinder in außerordentlichem Grade. Es ist daher wahrscheinlich, daß sie dieselben häufig auch auf ihre Mitgeschöpfe ausdehnen wird. Der Mann ist der Nebenbuhler anderer Männer; er freut sich der Concurrenz und diese führt zu Ehrgeiz, welcher nur zu leicht in Selbstsucht übergeht. Die letzten Eigenschaften scheinen sein natürliches und angeborenes Recht zu sein. Es wird meistens zugegeben, dass beim Weibe das Vermögen der Anschauung, der schnellen Auffassung und vielleicht der Nachahmung stärker ist als beim Mann.« (Darwin 1986, 637).
Auf den ersten Blick wirkt dieses Urteil der Geschlechterverhältnisse fair und nachdenklich. Sorgfältig werden durch Beobachtung gewonnene Geschlechtseigenschaften gegeneinander abgewogen, und in der Summe scheinen sich Schwächen und Stärken auszugleichen. Doch dann endet Darwins Bemerkung
4 | Zum Ende des Cartesianischen Feminismus siehe Honegger 1996b, 93f. Zu den Möglichkeiten von Frauen vor der Wende in eine weibliche Sonderanthropologie, Wissenschaft zu betreiben, siehe die Studie Londa Schiebingers unter dem bezeichnenden Titel The Mind has no Sex. Women in the Origins of Modern Science (Schiebinger 1989). Quelle bei Descartes: Discours de la Méthode (1637). Natürlich ist für die Fast-Egalität von Frances Power Cobb und Charles Darwin auch die gehobene Klassenposition beider Kontrahenten von großer Bedeutung.
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mit einer Analogie. Er setzt Geschlechts-Unterschiede zu Race-Unterschieden in Beziehung: »Aber mindestens einige der Fähigkeiten sind für niedere Rassen charakteristisch und daher auch für vergangene Zeiten und niederen Zustand der Civilisation.« 5 Dieser fast beiläufig angehängte Halbsatz ist weitaus wichtiger als seine periphere Position vermuten lässt. Denn er hierarchisiert, was zuvor wie eine gleichberechtigte Komplementarität geklungen hatte. Kann man am Anfang der Erörterung noch weibliche und männliche Eigenschaften zu einem ergänzenden Bild zusammenfügen, aus dem sich keine Legitimation der Herrschaft des einen Geschlechts über das andere ableiten lässt, beurteilt der Nachsatz die weiblichen Qualitäten eindeutig nachgeordnet. Er schätzt sie als evolutionär unterentwickelt, anachronistisch und aus ›vergangenen Zeiten‹ und ›niederen Civilisationen‹ stammend ein. Dabei analogisiert Darwin Frauen interessanterweise zur gesamten Entität der primitiven Völker und nicht nur zu ihrem weiblichen Part. Betrachtet man jetzt erneut Darwins Beschreibung des Geschlechtsunterschiedes, fällt auf, dass es sich bei den männlichen Eigenschaften um ein »natürliches und angeborenes« Recht handeln soll. Das ist in der Gegenüberstellung mit den weiblichen Qualitäten insofern bemerkenswert, als sie nach der Logik der Äquivalenz zwar ebenfalls »natürlich und angeboren« sein müssten, wohl aber nicht mit einem ›Recht‹ verbunden sind. Ein genauerer Blick auf die Analogie von Frauen mit den niederen ›Races‹ zeigt dann, dass die weiblichen Qualitäten nicht als Kulturleistung betrachtet werden, sondern als unveränderte Erbschaft früherer Evolutionsstufen. Das wiederum wirft ein neues Licht auf die scheinbare Gleichberechtigung zweier sich ergänzender Geschlechtscharaktere. Der Verweis auf die ›primitive‹ und niedrige Herkunft weiblicher Qualitäten ordnet sie im Sinne von Zivilisationsfortschritt niedriger ein als die männlichen. Und das erklärt sowohl die Herrschaft des weißen Mannes über die weiße Frau als auch die Übermacht der ›entwickelten‹ weißen Zivilisation über die ›zurückgebliebene‹ sogenannte primitive. Der unscheinbare Nachsatz legitimiert damit ganz nebenbei sowohl Patriarchat wie Race-Suprematie. Entscheidend an der Operation ist nun, dass weiße Frauen und nicht-weiße
5 | Ebd. 274. Darwins Auffassungen über die ›Wilden‹ waren durchaus nicht eindeutig. An anderer Stelle hob er auch Parallelen zwischen primitiven Menschen und Zivilisierten hervor. Über seine ›wilden‹ Mitreisenden aus dem Stamm der Fuegiens auf dem Forschungsschiff Beagle schrieb er: »[…] ich [war] unaufhörlich von vielen kleinen Charakterzügen überrascht, welche zeigten, wie ähnlich ihre geistigen Anlagen den unsrigen waren; dasselbe war der Fall bei einem Vollblut Neger, mit dem ich zufällig eine Zeitlang bekannt war« (Darwin 1986, 252).
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Menschen beiderlei Geschlechts bei dieser Art der Analogie-Bildung in einen gegenseitigen Begründungszusammenhang verschränkt werden.6 Eine Analogie erschließt Unbekanntes aus Bekanntem oder bringt Ungleiches in Zusammenhang. Sie organisiert das entweder aufgrund von Ähnlichkeit oder aufgrund von Verhältnisgleichheit. Nach Aristoteles verhält sich in einem Analogieschluss das Zweite (ein Attribut) zum Ersten (einer Person oder Sache) wie das Vierte (Attribut) zum Dritten. Bei der Bildung einer Metapher ›gemäß der Analogie‹ wird die vierte Größe an Stelle der zweiten gesetzt. Stanley Fish beschreibt den Dezisionismus einer solchen Setzung mit der lapidaren Formulierung: »Similarity is not something one finds but something one has to establish«.7 Nach Fish bedeutet eine solche Setzung auch immer die Erzeugung neuen Wissens: »Metaphors, through their capacity to construct similarity – create new knowledge« (ebd. 48). Das dabei geschaffene Wissen ist jedoch abhängig von Kontexten und steht in Korrespondenz zu herrschenden Machtstrukturen, entweder als Widerstand, als Paradox oder als Affirmation. Das gemeinsame Dritte der Analyse von Race und Gender wird im Laufe seiner historischen Wirkungsmacht unterschiedlich artikuliert. Das hängt damit zusammen, dass Metaphern interaktiv sind, d.h. sie bringen fremde Dinge miteinander in Beziehung, und ihre Bedeutung entsteht als Resultat dieser Interaktion.8 Diese Dynamik der Interaktion endet nicht mit dem einmal geschaffenen Bedeutungsraum. Es kommt innerhalb von alten etablierten Analogien zu neuen Kreuzübertragungen. Auf die vorliegende Untersuchung bezogen, bedeutet dies, dass neue Attribute, die man zwischenzeitlich jeweils einzeln mit Race oder Gender assoziiert hatte, sich ebenfalls an die Ursprungsanalogie anheften. Sprachen die Abolitionistinnen noch in eigener Sache über ›Unfreiheit‹ als ge6 | Eine solche Interpretation von Darwins Sicht auf Geschlecht ist unter der feministischen History of Science Forschung umstritten. Einige Ansätze weisen darauf hin, dass Darwin Evolutionserfolg lediglich als das zufällige Überleben der bestangepassten Spezies versteht und damit vom Denken in wertenden Zivilisationshierarchien freigesprochen werden sollte. Elisabeth Grosz z.B. vertritt die Ansicht, dass die Entwicklungstheorie Darwins als radikal anti-humanistisch und damit als emanzipativ zu werten ist aufgrund des neuen Kontingenzgedankens von Artenentstehung, der das alte teleologische Denken einer kontinuierlichen qualitativen Höherentwicklung ablöste durch ein Denken zufälliger Weiterentwicklung ohne jegliche Implikation einer höheren Qualität (Grosz 2008). Meine Lesart der hier präsentierten Textausschnitte schließt eher an die Darwin-kritischen Lektüren an. Ich danke Kerstin Palm dafür, mir die Debatte transparent gemacht zu haben. 7 | Fish 1989, zitiert nach Stepan 1990, 48. 8 | »When we use a metaphor, we have two thoughts of different things active together and supported by a single word or phrase, whose meaning is the result of their interaction« (Richards 1983, zitiert nach Stepan 1990, 44).
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meinsamem Dritten, wurde das gemeinsame Dritte im sozialdarwinistischen Diskurs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo sich weiß-männliche Wissenschaft einer Race-Gender-Analogie bediente, in Richtung gemeinsamer Minderwertigkeit, Kindlichkeit und Primitivität verschoben.9 Es ist also von zentraler Bedeutung, wer zu welcher Zeit und zu welchem Zweck eine Analogie benutzt, was er oder sie als gemeinsames Drittes auswählt und welches neue Wissen dabei kreiert wird.
2.3 Die neue Wissenschaft vom Menschen Das Paradigma der Evolution, dessen Gender- und Race-Erzählungen das Eingangszitat von Darwins The Descent of Man kurz illustrieren wollte, war nicht nur ein wichtiger Fortschritt in der Betrachtung der Naturgeschichte. Entscheidend war eine evolutionistische Betrachtung des Menschen. Sie hatte sich zu einer universalen Wissensordnung entfaltet, die das gesellschaftliche Selbstverständnis der ganzen Epoche bestimmte. Der Bruch könnte kaum radikaler gewesen sein. Im frühen 19. Jahrhundert war die Geschlechterfrage in (räumlichen) Konzepten von Woman’s Sphere und Male Domain geordnet. Diese beruhten auf einem protestantisch-religiösen Weltbild, so wurde z.B. das Verbot von Podium und Kanzel für Frauen mit paulinischen Bibelversen wie »Das Weib schweige in der Gemeinde« (Korinther 14, 8) begründet. Eine Race-Hierarchie wurde bis ins frühe 19. Jahrhundert ebenfalls religiös abgesichert. Der sogenannte ›Curse of Ham‹ interpretierte die Sklaverei als göttlich verhängte Strafe.10 Widerstand gegen solche Sichtweisen von Race- und Gender-Verhältnissen kam aus zwei verschiedenen Diskursformationen. Zum einen widersprachen 9 | Zu diesem Zusammenhang siehe das zweite Kapitel »Up and Down the Phyletic Ladder« in Cynthia Eagle Russets Sexual Science. The Victorian Construction of Womanhood (Russet 1989, 49-77). 10 | Diese religiöse Denkfigur leitet sich aus einer Geschichte der Familie des biblischen Stammvaters Noah ab, die in der Genesis berichtet wird. Dieser habe eines Nachts betrunken und nackt in seinem Zelt gelegen. Sein Sohn Ham sah das und erzählte es seinen Brüdern Japhet und Sem, die sofort die Blöße des Vaters bedeckten. Als Noah von der Illoyalität Hams erfuhr, verfluchte er dessen Sohn Kanaan mit den Worten: »[…] [er] sei ein Knecht unter allen seinen Brüdern« (1. Mose 9, 18-29), Auf der Suche nach religiösen Rechtfertigungen für die Sklaverei hatte sich in der angloamerikanischen Theologie im Rückgriff auf mittelalterliche Vorstellungen eine Tradition gebildet, Ham als ›schwarz‹ zu interpretieren und damit die Sklaverei als Gottes Plan auszugeben. Siehe die Analyse dieses religiösen Begründungsrahmens für Sklaverei in dem Kapitel »›The Curse of Ham‹ from Generation to Race« in Philip Sollors Neither Black nor White yet Both (Sollors 1997, 11-79) und siehe eine Darlegung der älteren Tradition bei Wenzel 2005.
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diese religiösen Ordnungsvorstellungen der zeitgleichen, naturrechtlich argumentierenden Aufklärungsphilosophie, wie sie sich in der Präambel zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung im Credo des »All men are created equal« niedergeschlagen hatte. Eine zweite Quelle des Widerstands gegen Sklaverei und Frauenunterdrückung formierte sich aus dem charismatischen Protestantismus, insbesondere dem der Quäker, die eine urchristliche Gemeindedemokratie ohne professionellen Klerus pflegten und sich der Gleichheit aller Christenmenschen verpflichtet sahen. Der Abolitionismus als sozialrevolutionäre Bewegung des frühen 19. Jahrhunderts wurde von diesen beiden Diskursformationen gespeist. Diese religiöse und philosophische Begründungen zur Verfasstheit der Gesellschaft wurde von einer neuen, vorgeblich ›wissenschaftlichen‹ Betrachtung der Welt abgelöst. Den Rahmen zur Interpretation menschlicher Verhältnisse bot hier die ›Natur‹. Die Grundlage des Wissens wurde jetzt durch deren ›objektives‹ und ›neutrales‹ Studium gebildet. Die Vorstellung, dass die ›Wissenschaft von der Natur‹ von nun an die gültigen Kenntnisse über den Menschen und die Welt hervorbringe, ist als Paradigmenwechsel von vielen epistemologischen und wissenschaftshistorischen Studien notiert worden.11 Michel Foucault hat in Die Ordnung der Dinge fast poetische Worte für die neue Epoche gefunden, in der er neben der Ökonomie und der Philologie die Biologie als Leitwissenschaft ausmacht: »Erst als die Naturgeschichte zur Biologie, die Analyse der Reichtümer zur Ökonomie und als vor allem die Reflexion der Sprache zur Philologie wird und jener klassische Diskurs erlischt, in dem das Sein und die Repräsentation ihren gemeinsamen Platz fanden, erscheint in der tiefen Bewegung einer solchen archäologischen Veränderung der Mensch mit seiner eindeutigen Position als Objekt für ein Wissen und als Subjekt, das erkennt: Unterworfener Souverän, betrachteter Betrachter.« (Foucault 1971a, 377)
Der unmittelbare Erfolg der Evolutionstheorie als Ablösung einer religiösen Weltordnung und Umwandlung einer ›Naturgeschichte‹ in ›Biologie‹ hat damit zu tun, dass sie in Europa und Amerika auf mehrere brennende Fragen der Zeit antwortet. Zum einen erfasste sie die soziale Dynamik der ökonomischen Entwicklung. Friedrich Engels las das neue Epistem des Darwinismus nüchtern als Allegorie des Kapitalismus:
11 | Neben der französischen Schule der Wissenschaftsepistemologie (Foucault 1971a, Canguilhem 1977, Bachelard 1987) hat sich besonders eine angloamerikanische rassismuskritische History of Science mit dieser Fragestellung beschäftigt. Siehe Stepan/Gilman 1991 und Moore/Kosek/Pandian 2003.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG »Die ganze darwinistische Lehre vom Kampf ums Dasein ist einfach die Übertragung der Hobbes’schen Lehre vom bellum omnium contra omnes und der bürgerlich-ökonomischen von der Konkurrenz, nebst der Malthus’schen Bevölkerungstheorie aus der Gesellschaft in die belebte Natur. Nachdem man dieses Kunststück fertiggebracht hat […] rücküberträgt man dieselbe Theorie aus der organischen Natur wieder in die Geschichte und behauptet nun, man habe ihre Gültigkeit als ewige Gesetze der menschlichen Gesellschaft nachgewiesen.« (Engels 1966, 170)
Für die Begründung einer anhaltenden Race-Hierarchie erwies die darwinistische Vorstellung von den ›niederen Rassen‹ sich als sehr nützlich. Besonders in den USA war Bedarf an einem Diskurs, der die historisch ungewöhnlich lang beibehaltene Sklaverei im Nachhinein legitimierte. Ebenso blieb die soziale Segregation der Races nach dem Bürgerkrieg begründungsbedürftig. Ein aversiver Rassismus wurde tief empfunden,12 und die aktive und passive Vernichtung der indianischen Urbevölkerung, die zeitgleich noch im Gange war, ließ sich über das ›Aussterben‹ unterentwickelter Spezies erklären. Ebenso destabilisiert wie die Race-Regimes war nach dem Bürgerkrieg die Geschlechterordnung. Auch sie bedurfte einer neuen Fundierung. Die erste Frauenrechtsbewegung hatte patriarchale Sicherheiten aufgestört: weiße und schwarze Frauen hatten die Teilhabe an der politischen Staatsbürgerschaft gefordert, zudem nahm die Gebärneigung von Frauen der höheren Stände ab,13 der Wunsch nach akademischer Ausbildung führte zur Gründung mehrerer Frauen-Colleges. Gleichzeitig verlor die Religion mehr und mehr ihre disziplinierende Funktion. Auch hier lieferte die darwinistische Vorstellung eines komplementären, aber im Kern unterentwickelten weiblichen Geschlechts wertvolle Handreichung zur Begründung von fortbestehenden Geschlechterhierarchien. Das erste Kapitel zu Frauenrechtsdiskurs und Abolitionismus der vorliegenden Untersuchung hat sich auf Materialien und Literatur abolitionistischer Propaganda gestützt. Diese Texte sind polemisch, appellativ, hymnisch und drastisch. Sie machen aus ihrer Sentimentalität kein Hehl und halten die Ansprache des Gefühls für ihr vordringliches Wirkungsziel. Die Quellen des jetzigen Kapitels – wissenschaftliche Abhandlungen zu Geschlecht und Race und Programmschriften der Sozialreform – beabsichtigen auf der Oberfläche das völlige Gegenteil. Sie wollen objektiv sein, präsentieren scheinbar ausschließlich Fakten und bemühen sich um Nüchternheit. In einem religiösen Diskurs 12 | Zur Theorie eines ›aversiven‹, also körperlich abwehrendem, Rassismus siehe Joel Kovels White Racism (Kovel 1970). 13 | Der Volkspädagoge Stanley Hall fand in zwei Studien heraus, dass Studentinnen mit Abschlüssen in den neu gegründeten Frauen-Colleges zu höchstens 35 Prozent heirateten und auch die Verheirateten unterdurchschnittlich fruchtbar bis kinderlos waren (Russet 1989, 122f).
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hatte man noch darüber streiten können, wer die gottgefälligste Version der weiblichen Sphäre vertrat, und ob der Kampf gegen die Sklavenbefreiung die gottgegebenen Grenzen der weiblichen Sphäre sprengte. Dagegen sind Aussagen, die mit einer wissenschaftlichen Autorisierung versehen werden, per definitionem nicht offen für Interpretation. Sie werden entweder als wahr oder als falsch beurteilt. Im wissenschaftlichen Diskurs gilt nur das Urteil der Experten und Expertinnen, die aber, falls sie eine gegenteilige Meinung vertreten, neue Fakten und Daten präsentieren müssen. Diese Entwicklung der Wissensordnung schloss geradezu naturwüchsig Einsprüche von weißen und schwarzen Frauen und schwarzen Männern aus. Ihnen war in den allermeisten Fällen der Zugang zu jener Bildung versagt, mit der sie sich dem Expertendiskurs hätten entgegenstellen können. Die beherrschten Bevölkerungsgruppen waren nun nicht mehr qua theologischer Dekrete von der vollen Teilhaberschaft an der gesellschaftlichen Macht ausgeschlossen, sondern qua fehlender Expertise. Diese Defizite machten sich umso dramatischer bemerkbar, als sie selbst zu zentralen Gegenständen der neuen Diskurse wurden. In den sozialdarwinistischen Gesellschaftsvorstellungen blühten die Theorien von den schwächeren Geschlechtern und niederen Races. Für die Bestimmung von Wesen und Status von weißen und schwarzen Frauen und schwarzen Männern waren nun die Wissenschaften zuständig, »jenem Korpus von Kenntnissen [… das] den Menschen in seinen empirischen Teilen zum Gegenstand nimmt« (Foucault 1971a, 413). Eine zentrale Funktion für die Neuordnung des Wissens nahm dabei die Biologie ein. Darwins Evolutionstheorie löste die Schöpfungsgeschichte ab und ersetzte sie durch ein Kontinuum der Entstehung von Arten in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Gender- und Race-Differenzen wurden jetzt unter Stichworten wie ›natürliche und sexuelle Auslese‹, ›Kampf ums Dasein‹, ›partielle Vererbung‹ und ›zunehmender geschlechtlicher Dimorphismus‹ bestimmt. Die Popularisierung des Darwinismus durch den britischen Philosophen und Soziologen Herbert Spencer zu einer auf Gesetzen der Biologie fußenden teleologischen Gesellschafts- und Fortschrittstheorie lieferte in der Folge den Rahmen für eine naturwissenschaftlich begründete, hierarchisch strukturierte Race- und Geschlechterordnung und wird im Folgenden unter dem Begriff ›Sozialdarwinismus‹ gefasst.
2.4 Sozialdarwinismus in der Kritik Seit einigen Jahrzehnten erforscht ein breiter Strom wissenschaftshistorischer und wissenschaftskritischer Arbeiten die Paradigmen des Sozialdarwinismus, insbesondere die Auswirkungen auf Race- und Gender-Regimes. Sie alle versuchen, rückwirkend den Schaden zu beurteilen, den die heute allgemein als ›wissenschaftlicher Rassismus‹ bezeichneten sozialdarwinistischen Race-Theorien
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einem schwarzen Emanzipationsprojekt zugefügt haben.14 Ebenso zeigen sie die strukturelle Misogynie biologistischer Geschlechtertheorie zur angeblichen ›Natur‹ der Frau und des Mannes auf. Die Analysen selbst kommen dabei aus den unterschiedlichsten Richtungen. Manche verstehen sich als wissenschaftliche Korrekturen veralteter biologischer Theorien, andere sind explizit ideologiekritisch, feministisch oder anti-rassistisch motiviert. Aber alle entdecken in irgendeiner Weise hinter der schimmernden Rüstung wissenschaftlicher Objektivität Strategien machtgestützter Race- und Geschlechterpolitik. Diese revisionistischen und wissenschaftskritischen Einsprüche argumentieren in folgenden Formationen: Eine der üblichsten Kritikformen ist der Vorwurf an die Evolutionstheoretiker, ›schlechte‹ Wissenschaft betrieben zu haben. Ein hervorstechender Vertreter des so genannten ›Bad Science Approach‹ ist Stephen Jay Gould, der mit dem Titel eines seiner Hauptwerke, The Mismeasure of Men (1981), die Strategie seiner Kritik beschreibt. Durch buchstäbliches Nachzählen und Nachmessen korrigiert er diskriminierende Vorannahmen über Race- und Gender-Defizite im evolutionären Denken und ersetzt diese durch neueste Forschungsergebnisse. So verstanden ist Wissenschaftsfortschritt eine Bewegung zur Wahrheit.15 Eine zweite Kritikstrategie am Sozialdarwinismus ist die der Ideologiekritik. Hier wird nachgewiesen, dass gesellschaftliche Machtstrukturen, die weiße Race-Suprematie und ein hierarchisches Geschlechter-Regime erhalten wollten, implizit Einfluss auf das Denken der Humanwissenschaften nahmen und diese sich nun als interessegeleitete Ideologien enttarnen.16 Eine dritte Kritik setzt die beiden vorherigen Stoßrichtungen voraus. Sie bemüht sich darum, eine als ›richtig‹ angenommene wissenschaftliche Theorie – die Evolutionstheorie Charles Darwins – wieder von ihrer als ideologische Überformung verstandenen Eintrübung zu reinigen. Cynthia Eagle Russet, von deren ausgezeichneter Studie Sexual Science. The Victorian Construction of Womanhood hier ausgiebig Gebrauch gemacht wird, verfolgt eine Strategie der Rettung Darwins von falschen und misogyn-rassistischen Interpreten wie Herbert Spencer, dem Kriti14 | Für einen aktuellen deutschsprachigen Überblick über Genese und Kontinuität von wissenschaftlichem Rassismus siehe die Anthologie der AG. Gegen Rassismus in den Lebenswissenschaften Gemachte Differenz (Lebenswissenschaften 2009). 15 | Gould 1981. Siehe auch ein feministisches Spin-Off von Goulds Buch The Mismeasures of Women (Tavris 1992). Ann Fausto Sterling, eine Biologin und feministische Wissenschaftshistorikerin, arbeitet in einer ähnlichen Linie. Sie rekonstruiert, wie stark das Paradigma der Zweigeschlechtlichkeit Mess-Ergebnisse beeinflusste (Fausto-Sterling 1992, Fausto-Sterling 1997 und Fausto-Sterling 2000). 16 | Siehe zu den Rassismen der Evolutionstheorie z.B. Stocking 1968, Obeyesekere 1990 und Degler 1991. Ebenso gibt es Literatur zum Sexismus der darwinistischen und sozialdarwinistischen Paradigmen. Siehe Bleier 1984, Fausto-Sterling 1992 und Hubbard 1990.
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ker höherer Bildung für Frauen, Dr. Edward Clarke, und dem Volkspädagogen Stanley Hall (Russet 1989, 100-103). Ein solcher Ansatz geht von dem Wahrheitscharakter guter Wissenschaft aus, die nur von ihren historischen Schlacken befreit werden muss. Ein vierter Kritikansatz beschäftigt sich mit einer Umwertung oder Umgewichtung der Wissenschaftsdiskurse, also dem Versuch, andro- oder eurozentrische Perspektiven der Lebenswissenschaften durch ein alternatives Projekt zu ersetzen. Hier sind z.B. feministische Revisionen von Versatzstücken evolutionistischer Anthropologie angesprochen, etwa die Ersetzung der These vom jagenden Mann (Man-the-Hunter) als Produzenten des Kulturfortschritts durch die sammelnde Frau (Woman-the-Gatherer) als erste Werkzeugmacherin.17 Und es gibt fünftens Denkansätze, die die zunehmende Naturalisierung von Race- und Gender-Differenzen nicht als Effekt der neuen wissenschaftlichen Weltbilder, sondern als deren Entstehungsvoraussetzung sehen. So entwickelt die Wissenschaftshistorikerin Elvira Scheich, dass durch die »epistemologische Umordnung« (Scheich 1995, 277) der Naturbetrachtung Linnés, der die Sexualorgane zu den wichtigsten Unterscheidungsmerkmalen der Pflanzen erklärt hat, eine ›Cosmology of Gender‹ entstanden sei (Jordanova 1986, 86-116). »[…] mit der biologischen Definition der Geschlechterdifferenz [wird] das weibliche Geschlecht prinzipiell auf die Funktion der Arterhaltung fest[ge]legt und damit von der aktiven Beteiligung an jeder Entwicklung getrennt. In der neuen Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft ist die Naturhaftigkeit des Menschen selbst durch das weibliche Geschlecht repräsentiert.« (Kursivierung Scheich)18 17 | Zur archäologischen Revision siehe Joan Gero (Gero/Conkey 1991) und zur anthropologischen Revision siehe Adrienne Zihlman (Zihlman 1978). Eine Gesamtdarstellung zur feministischen Neuansätze zum ›Ursprung des Menschen‹ siehe Schiebinger 2000, 171-195. Auch die Arbeiten der ›femalistischen‹ Soziobiologie, welche statt des Wirkens des Alpha-Männchens weibliche Reproduktionsarbeit ins Zentrum evolutionären Fortschritts stellen, wie Sarah Bluffer Hrdys Mother Nature, sind in diese Kategorie einzuordnen (Hrdy 1999). 18 | Scheich 1995, 279. Donna Haraway legt in ihrer Studie Primate Visions. Gender, Race, and Nature in the World of Modern Science dar, dass das naturgeschichtliche Konzept dessen, was als genuin ›menschlich‹ gelten sollte, entlang eines Geschlechterregulativs gebildet wurde. Fortschritt begriff man als Entwicklung aus der Natur in die Kultur, wobei das Weibliche als Natur definiert wurde (Haraway 1989, 186-197). Claudia Honegger und Thomas Lacqueur verfolgen ein verwandtes Projekt aus der Perspektive des Denkens von Michel Foucault, indem sie die geschlechtliche Komplementarisierung des 19. Jahrhunderts im Licht von Sexualität und Wahrheit als eine ›Hysterisierung des Weibes‹ interpretieren. Auch sie halten die Implementierung eines qualitativen Geschlechtsunterschieds in den Humanwissenschaften für ein Konstitutionsmoment
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Nach Scheich brauchte das evolutionäre Denken den ›Naturstoff Weib‹, um sich des männlichen Zivilisationsprimats zu versichern, und erfand dementsprechend die Frau als defizitären und unterentwickelten Organismus. Einen anderen Weg der Wissenschaftskritik geht Donna Haraway, die die großen Entwürfe seit Darwin narratologisch als ›Erzählung‹ liest, die die Behauptung ›niederer‹ Arten (Tiere), Geschlechter (Frauen) und Races (nicht-weiße Menschen) aus Gründen der Herrschaftslegitimation in fiktive ›Ursprünge‹ zurückprojiziert (Haraway 1995b, 32). So erhellend die hier sehr verkürzt skizzierten Kritiken an der Durchsetzung eines wissenschaftlichen Weltbildes vom Menschen im 19. Jahrhundert auch sind, so ist doch in der Regel die feministische Naturwissenschaftskritik Race-blind, und die Studien zum impliziten Rassismus der Humanwissenschaften sind fast immer Gender-blind. Nur wenige Theoretiker und Theoretikerinnen gehen von einer systematischen Interdependenz von Race- und Gender-Positionen aus und geben sich darüber Rechenschaft, dass das Ausblenden der jeweilig anderen Größe auch in einem ideologiekritischen Unternehmen ein aktives Unsichtbar-Machen und Hierarchisieren dessen bedeutet, worüber nicht gesprochen wird.19 Für den hier untersuchten Zeitraum stellt Michelle Newmans Studie White Women’s Rights. The Racial Origin of Feminism in the United States (1999) eine vorbildliche Ausnahme dar. Zu Theorien der sozialen Evolution im 19. Jahrhundert schrieb sie: »As a theory that linked biology and culture, social evolutionary theories, connected societal change with individual change, equated advanced civilizations with white racial superiority, and anchored both of these in sexual difference.« (Newman 1999, 29)
Nach Newman konzeptualisieren die Theorien der sozialen Evolution einen aufsteigenden Zivilisationsprozess. Der weiße Mann als ›tüchtigster‹ Vertreter ist an der Spitze einer Race-Hierarchie postiert, und ›niedrige‹ schwarze Menschen und das ›schwächere‹ und ›andere‹ Geschlecht ist am unteren Ende der Entwicklungsleiter angeordnet. Race und Gender sind so gesehen in einem gegenseitigen Erklärungszusammenhang verknüpft. Mit ihrer gemeinsamen männlicher Vorherrschaft in der bürgerlichen Gesellschaft (Lacqueur 1989 und Honegger 1991). 19 | Herausragende Ausnahme in der History of Science-Kritik ist ebenfalls Donna Haraway, deren Erkenntnisinteressen die Schnittstelle von Race und Gender immer genau im Blick haben (Haraway 1989, Haraway 1995b und Haraway 1995a). Weiterhin ist Sandra Harding zu erwähnen: Harding 1993 und Harding 1998. Zu den Schwierigkeiten, feministische Naturwissenschaftsforschung mit Intersektionalität zusammenzudenken, siehe Palm 2007.
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aber unterschiedlichen Abweichung von der Norm dienen sie dazu, das höchstentwickelte Allgemeine als Evolutionsziel so hell zu erleuchten, dass seine Whiteness genauso wie seine Männlichkeit unsichtbar wird.20 ›Hoch‹ und ›niedrig‹ werden zudem auf einer Zeitachse gedacht. Niedrige Races sind ältere unentwickelte Menschheitsstadien, niedrige Geschlechter sind frühere und undifferenziertere Geschlechtsformen. Ann McClintock beschreibt in Berufung auf Johannes Fabians grundlegende Arbeit Time and the Other (Fabian 1983) diese Perspektive als den Entwurf eines ›anachronistischen Raumes‹. Die kolonialistische Eroberungsreise in ferne Länder sei auch immer eine Zeitreise zu einem »anachronistischen Moment der Vorgeschichte« gewesen. Geographische Entfernung im Raum werde somit als historische Differenz in der Zeit gelesen (McClintock 1995, 41).
2.5 Wissenschaftlicher Rassismus Charles Darwins The Origin of the Species erschien 1859. Das Werk erklärt die Entwicklung der Arten durch ›natürliche Auslese‹. Jene gewährleistet, dass nur die bestangepasste Variation der Spezies langfristigen Fortpflanzungserfolg hat, und die anderen zum Untergang verurteilt sind. Darwins erstes Werk berührte die Entwicklung des Menschen nur am Rande, doch der Untertitel weist metaphorisch auf ein später popularisiertes Verständnis von Race-Hierarchien hin: The Origin of the Species by Means of Natural Selection on the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life (1859). Das zweite Werk The Descent of Man and Selection in Relation to Sex (1871) beschäftigt sich mit der ›geschlechtlichen Auslese‹ oder ›Zuchtwahl‹ (Sexual Selection). Darwins Konzept der natürlichen Auslese kannte wenig Zielgerichtetheit. Im blinden Wirken der Natur wurden die ihrer Umwelt bestangepassten Spezies mit Überleben belohnt. Ein Fortschritt im Sinne einer Qualitätsverbesserung oder einer aufsteigenden Linie war für diese Betrachtung nicht zwingend. Das änderte sich, als Herbert Spencer darwinistische Theoreme auf den sozialen Raum anwandte. Mit dem Kürzel des ›Überlebens des Tüchtigsten‹ (Survival of the Fittest) schuf er die Grundlage für einen teleologischen Sozialdarwinismus.21 Dieser übertrug die Grundannahmen der Evolutionstheorie auf 20 | Diese Denkform erklärt im Übrigen, warum man in der Evolutionstheorie lange versucht hat, nachzuweisen, dass der männliche Mensch gegenüber dem weiblichen eine höhere Variabilität aufweist. Niedere, einfache, weibliche Kulturen werden höheren, ausdifferenzierten, maskulinen Zivilisationen gegenübergestellt. Frauen selbst sind dabei keine Kulturproduzenten, sondern Agentinnen der Arterhaltung. Die Geschlechtsdifferenz dient dabei als Metapher, niedrige d.h. zurückgebliebene von höheren d.h. entwickelten Zivilisationen zu unterscheiden (Scheich 1995). 21 | Die gängige deutsche Übersetzung von ›Suvival of the Fittest‹ in ›Überleben des
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soziale und historische Entwicklung.22 Spencers Theorien fielen besonders in den USA auf fruchtbaren Boden. Der neue wissenschaftliche Diskurs lieferte einen scheinbar objektiven Begründungszusammenhang für die Unterlegenheit anderer Races und ihr mögliches – und berechtigtes – Aussterben im ›Kampf ums Dasein‹.23 Das Paradigma der Evolutionstheorie wurde in diesem Zusammenhang, so der Historiker und die Historikerin Nancy Leys Stepan und Sander Gilman, zur Meistertheorie für das Verständnis biologischer und kultureller Differenz (Stepan/Gilman 1991, 80). Amerikanische Gesellschaftstheoretiker wie William Graham Sumner wandten die sozialdarwinistische Denkform vom ›guten Absterben schlechten Erbmaterials‹ auf heimische Verhältnisse an und predigten ökonomischen Egoismus – sprich Freibeuterkapitalismus – und Förderung der weiß/männlichen Eliten als sozialhygienische Maßnahme zur eugenischen Verbesserung der Menschheit.24 Konträr zu den Idealen der Unabhängigkeitserklärung ist für Sumner der Satz, dass alle Menschen gleich sind, ›das unwahrste Dogma‹, das jemals in menschliche Sprache gefasst worden ist. »The ›survival‹ of the fittest was not made by man and cannot be abrogated by man. We can only by interfering with it, produce the survival of the unfittest«.25 Die Vereinigten Staaten wurden schnell – in Richard Hofstadters Tüchtigsten‹ ist noch heute Gegenstand von Auseinandersetzung. Die ideologiekritische Darwinrezeption möchte bei der eingeführten Übersetzung bleiben, Lesarten dagegen, denen es an einer Entkopplung Darwins von Ideengut des Kolonialismus’, Sozialdarwinismus’ und entsprechender Ideologeme der Zivilisationshierarchie gelegen ist, schlagen vor, man solle in ›Überleben des Bestangepassten‹ übersetzen. Siehe: http://infobil dungsdienst.blogspot.com/2009/02/zum-200-geburtstag-des-naturforschers.html, und http://dict.leo.org/forum/viewWrongentry.php?idThread=390240&idForum=7&lp =ende&lang=de, abgerufen am 13.03.2010. 22 | Herbert Spencer entwickelt die Grundzüge des Sozialdarwinismus in The Principles of Biology (1864) und Social Statics (1851). Darwin schätzte seinen philosophischen Jünger sehr und übernahm in seinen späteren Arbeiten einen Teil von Spencers sozialevolutionistischer Teleologie. 23 | Auch europäische Gesellschaften bauten die Evolutionstheorie in ihre Staatsideologien ein, z.B. England in das System des Imperialismus als weißer Patronage (vgl. z.B. Ann McClintock, Imperial Leather (McClintock 1995), Homi Bhabha, The Location of Culture (Bhabha 2004). Die organische Verbindung von Sozialdarwinismus und ›American Exceptionalism‹ ist aber eine historische Besonderheit, die auf spezifische Raceund Gender-Positionen der Neuen Welt antwortet. 24 | Zur Geschichte der amerikanischen Eugenikbewegung siehe Cuddy/Roche 2003 und Ordover 2003. 25 | Zitiert nach Dijkstra 1999, 17f. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit Graham Sumner und anderen amerikanischen Sozialdarwinisten siehe Degler 1991, 153160, Dijkstra 1999, 17-71 und Hawkins 1997, 118.
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Worten – zum genuin »Darwinian Country«.26 Der Rahmen, den das sozialdarwinistische Denkmodell für eine wissenschaftlich begründbare Theorie weißer Suprematie bereitstellte,27 wird in der gegenwärtigen Literatur ›wissenschaftlicher Rassismus‹ genannt.28 Schon vor der Etablierung der Evolutionstheorie hatte man in den USA nach wissenschaftlichen Begründungen für die Inferiorität andersfarbiger Menschen gesucht und eine amerikanische Sondertheorie doppelter Abstammung hervorgebracht, die sogenannte Polygenie-These. Ursprünglich war sie 1830 von Dr. Charles Caldwell entwickelt worden, der noch ›vor‹-wissenschaftlich behauptete, dass zuerst der weiße homo sapiens erschaffen worden sei, und nach der Sintflut dann eine eigenständige schwarze Spezies in einem zweiten Schöpfungsakt entstanden war. Zur Jahrhundertmitte griffen Ethnologen und Mediziner diese These auf. Naturforscher Louis Agassiz begründete Polygenie damit, dass Menschen sich in großen Entfernungen lokal voneinander abgeschlossen entwickelt hätten und daher mehrere Stammväter nötig gewesen wären. Menschen schwarzer Hautfarbe seien demnach eine andere, mindertalentierte Spezies als Weiße.29 Ursprünglich war der aus der Schweiz eingewanderte Wissenschaftler ›Monogeniker‹ (Ein-Abstammungstheoretiker) gewesen. Doch eine Art von amerikanischem Kulturschock hatte ihn zur Polygenie-These bekehrt. Er schrieb an seine Mutter: »In Philadelphia hatte ich erstmals längere Berührung mit Negern; alle Dienstboten in meinem Hotel waren Farbige. Ich kann dir meinen schmerzlichen Eindruck kaum beschreiben, besonders weil das Gefühl, das sie mir gaben, allen unseren Vorstellungen von der Bruderschaft der menschlichen Art (genre) und dem gemeinsamen Ursprung unserer Spezies zuwiderläuft.« 30 26 | Hofstadter 1955, 195. Auch George Fredrickson merkt an, dass die USA »fell triumph of Darwinist thought« (Fredrickson 1971, 246). 27 | Zum Zusammenhang von Evolutionstheorie und Ideologemen weißer Suprematie siehe Stocking 1968. 28 | Zum ›wissenschaftlichen Rassismus‹ in angloamerikanischen Wissenschaftsdiskursen siehe Stepan/Gilman 1991 und Barkan 1992. 29 | Schon Frederick Douglass hatte 1854 in einer Ansprache in einem College den wissenschaftlichen Rassismus attackiert. Siehe »The Claim of the Negro Ethnologically Considered« in Douglass 1975, 289-309. Siehe auch eine Analyse von Douglass’ Text in Stepan 1990, 81. 30 | Der unerfreuliche Text fährt fort: »Wenn ich in diese schwarzen Gesichter mit ihren dicken Lippen und grinsenden Zähnen sah, die Wolle auf ihrem Kopf, ihre krummen Knie und langen Hände […] musste ich sie immer anblicken, um ihnen zu bedeuten, mir vom Leibe zu bleiben. Und wenn sie ihre widerliche Hand meinem Teller näherten, hätte ich lieber woanders ein Stück trocken Brot gegessen als bei einer solchen Bedienung zu dinieren«, zitiert
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Eine der wichtigsten Beweisstrategien für die Behauptung rassischer Minderwertigkeit war die vergleichende Anatomie und die Anthropometrie. Mittels der Vermessung von Schädelinhaltsvolumen brachte ein Arzt aus Philadelphia, Samuel George Morton, empirische Belege für die Polygenie-These bei. Als Besitzer und Sammler der größten Schädelsammlung der Welt nutzte er seine Schätze, um die angeblichen Artunterschiede über Gehirnvolumen-Messung zu beweisen. Er stellte eine Spezies-Hierarchie auf, bei der eine Teutonische Familie (Deutsche, Amerikaner, Engländer) die größten Gehirne hat, gefolgt von einer Pelasgischen Familie (Hindus, Semiten). Das Schlusslicht bildete neben malaiischen und indianischen Spezies die ›Negergruppe‹.31 Vergleichende Anatomie wurde zu einer Königsdisziplin des wissenschaftlichen Rassismus. Robyn Wiegman schrieb in ihrer Studie American Anatomy dazu: »Through the analogic relationship among differences, in fact, comparative anatomy and gender drew nearly the full range of social hierarchies in the nineteenth century into race’s well entrenched logic of essential meaning defining gender, sexuality, nationality, and class difference as consistent with race’s corporal destinations.« 32 nach Gould (Gould 1989, 180). Heike Paul hat in einer größeren Studie über die deutsche Rezeption von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern ausführliche Belege für die Angst von Europäern, ihr Essen von schwarzer Hand berührt zu sehen, zusammengetragen (Paul 2005). Diesen Beleg für rassistischen Ekel und Kontaminationsangst als Quelle der Polygenie-These hat Stephen Jay Gould in der Harvard Houghton Library gefunden. Siehe sein Essay »Webfehler in einem viktorianischen Schleier« in Gould 1989, 175-183. Interessanterweise zitierte die Ehefrau von Louis Agassiz, die ihrerseits berühmte Reformerin Elizabeth Cary Agassiz, Gründerin des Ratcliffe-College für Frauen und seine erste Präsidentin, für eine Biographie des Gatten ebenfalls aus diesem Brief, wobei sie diese und andere Stellen ohne Auslassungsmarkierungen herausnahm. Gould vermutet, es handele sich um eine puritanisch motivierte Zensur von Briefstellen mit weitläufig sexuellem Inhalt. Mir scheint es wahrscheinlicher, dass die Auslassungen aus Gründen der für eine Frauenrechtlerin unerfreulichen Analogisierung von Primitiven und Frauen entfallen sind. 31 | Trotz des ideologischen Nutzens von Mortons damals unwidersprochenen Daten blieb die Polygenie-These umstritten. Das hatte weniger mit wissenschaftlichen Zweifeln zu tun, sondern hauptsächlich damit, dass sie dem zu dieser Zeit noch unangefochtenen religiösen Schöpfungsdogma widersprach, das von einem einzigen Adam als Urvater der Menschheit ausging. Kurioserweise waren es gerade die Verfechter der Polygenie-These, die an vorderster Front das neue evolutionistische Paradigma als häretisch und atheistisch bekämpften. Im Alter – wie bei Agassiz der Fall – wurden sie als Fossile einer unaufgeklärten Epoche belächelt. 32 | Wiegman 1995, 44. Zur Race-Gender-Analogie im Allgemeinen schreibt Robyn Wiegman: »Such an analogy simultaneously differentiated and linked two of the nineteenth century’s primary forms of social difference, instantiating and perpetuating
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Wenn die Ergebnisse der vergleichenden Anatomie mit dem sozialdarwinistischen Modell kombiniert wurden, entstand eine geradlinige Entwicklung vom primitiven, ›unfit‹ (schwarzen) Menschen zu einem zivilisierten (weißen) Menschen. Die ›Primitivität‹ des ersten erklärte sich durch den mangelnden zivilisatorischen Gattungserfolg. Die Weltherrschaft des zweiten lässt ihn als Sieger im ›Kampf ums Dasein‹ und als Gewinner der natürlichen Auslese erscheinen. Sozialdarwinistisches Denken setzte Primitivität mit Kindheit oder Kindlichkeit gleich. Die Behauptung von der einfacheren juvenilen psychischen Ausstattung primitiver Menschen korrespondierte mit einer Vorstellung von der Primitivität auch des zivilisierten Kindes.33 Diese Annahme geht auf eine These des deutschen Zoologen Ernst Haeckel zurück, der vermutete, dass der Stammbaum von niederen Lebensformen sich in der Embryonalentwicklung höherer Lebewesen nachvollziehen lasse. Das berühmte Prinzip »Ontogenie (Seinsgeschichte – Entwicklung des Menschen von der Eizelle bis zum geschlechtsreifen Zustand) rekapituliert die Phylogenie (Stammesgeschichte – Entwicklung der Menschen vom ›primitiven‹ bis zum ›zivilisierten‹ Zustand) wurde besonders von Herbert Spencer aufgenommen, der diese Rekapitulationstheorie sowohl auf die Menschheitsgeschichte wie auf die individuelle Entwicklung von Menschen übertrug, was implizit auch die Logik der Kolonialisierung der südlichen Hälfte des Globus durch europäische ›Zivilisation‹ erklärt. Nach der Ontogenie-Phylogenie-These repräsentierte der ›Wilde‹ die Gattungskindheit, und die Kindheit eines zivilisierten Menschen enthalte Facetten eines primitiven Erwachsenen. Herbert Spencer formulierte unmissverständlich: »Die geistigen Merkmale des Unzivilisierten […] sind Merkmale wie sie bei den Kindern der zivilisierten Menschen auftreten«.34 Die Meistererzählung der Rekapitulationstheorie jedenfalls war – wie das imperiale Bewusstsein der Zeit – hierarchisch organisiert. In ihrem Werteschema ist der ›primitive‹ Mensch dem zivilisierten untergeordnet. Kolonialismus und Sklaverei werden damit zu einem Zivilisationsauftrag, zu einer tapfer auf the visible economies of race and gender by locating their signification on bodies that could not claim the disembodied abstraction accorded those both white and male«, ebd. S. 53. 33 | Der berühmte amerikanische Volkserzieher Stanley Hall nutzte die Vorstellung von der ursprünglichen Wildheit des Kindes, um den nach seiner Ansicht inzwischen allzu degenerierten weißen amerikanischen Mann zum ›Supermann‹ zurückzuerziehen. Man solle Jungen in der Vorpubertät ermöglichen, in einer Art von pädagogischem WildheitsLabor ihre primitiven Instinkte auszuleben, damit sie zu gesunden starken Männern heranwachsen könnten. Siehe dazu Bederman 1995, 89-118. 34 | Spencer 1897. Zitiert nach Gould 1988, 123. Siehe auch Goulds gesonderte Monographie Phylogeny and Ontogeny zum Thema, dort besonders das Kapitel 5, wo Gould auf die rassistischen Implikationen der ›Primitive as Child‹-These eingeht (Gould 1977).
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sich genommenen ›Bürde des weißen Mannes‹. Der Anthropologe Edward Burnett Tylor, fasst das Denken der Zeit mit ironischer Klarheit zusammen. Er leitet sein Monumentalwerk Primitive Cultures (Tylor 1871) mit den Worten ein: »The educated world of Europe practically settles a standard by simply placing its own nation at one end of the social scale and the savage tribes on the other, arranging the rest of mankind within these limits, according as they correspond to savage and other cultured life.« 35
2.6 Wissenschaftliche Misog ynie Das sozialdarwinistische Paradigma fügte sich nicht nur in einen wissenschaftlich ableitbaren Rassismus. Es bot gleichermaßen einen Rahmen, weibliche Inferiorität zu begründen und trug damit dazu bei, den anhaltenden politischen Ausschluss der Frau zu legitimieren. In evolutionär orientierten medizinischen, biologischen und anthropologischen Diskursen wurde eine neue Race-GenderAnalogie mobilisiert. Es etablierte sich die Vorstellung, dass ›niedere Rassen‹ gemeinsame Attribute mit dem ›schwächeren‹ Geschlecht teilen. Wenn Erwachsene der tiefer stehenden Race wie Kinder der höher stehenden Race betrachtet werden, liegt der Schluss nahe, dass Frauen das Kinderstadium weißer Männer repräsentieren, was sie auf die gleiche Infantilitäts- und Primitivitätsstufe bringt wie den schwarzen Mann. Stellvertretend für viele Zeitgenossen spitzte Gustave Le Bon, diese Analogie in der viel zitierten Bemerkung zu:36 »Alle Psychologen, die die Intelligenz der Frauen studiert haben, erkennen heute ebenso wie Dichter und Romanschriftsteller, dass sie eine der minderwertigsten Formen der Menschheitsentwicklung darstellen und Kindern und Wilden näher sind, als dem erwachsenen zivilisierten Mann.«
Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt. Wenn weiße Frauen ›niedrigeren Races‹ und Kindern näher sind als erwachsenen weißen Männern, sind natürlich auch schwarze Männer allen Frauen und Kindern näher. In einer Anekdote über Frederick Douglass wird sichtbar, wie allgemein diese Verbindung etabliert war. Der berühmte afroamerikanische Publizist war 1845 im Haus seines irischen Verlegers Richard D. Webb zu Besuch. Er reagierte auf das verdeckte aber deutlich spürbare Race-Ressentiment seiner Gastgeber mit 35 | Zitiert nach Obeyesekere 1990, 218. Der Kulturtheoretiker Gananathe Obeyesekere bemerkt schnörkellos: »The nineteenth century theories of evolution were not only theories, they were also ideologies that placed the Europeans on top the evolutionary scale« (ebd.). 36 | Zitiert nach Gould 1988, 108f.
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hochfahrender Ungeduld. Darauf charakterisierte ihn die Gastgeberin folgendermaßen: »He is a child – a savage«. Und mit der nächsten Bemerkung schickt sie ihn noch eine Stufe weitere die Evolutionsleiter hinunter. »He is a wild animal« (McFeely 1991, 122). Stephen Jay Gould faßt die dahinter liegende Denkfigur prägnant zusammen: »The ›primitive as child‹- argument stood second to none in the arsenal of racist arguments supplied by science to justify slavery and imperialism« (Gould 1977, 126). Überkreuz-Zuweisungen ermöglichen zudem, dass Attribute der einen Gruppe auch der anderen Gruppe beigemessen werden und umgekehrt: Die inferioren Rassen repräsentierten demnach den weiblichen Typ der menschlichen Spezies und die weiblichen Menschen die inferiore Race der Geschlechter.37 So kommt es zu Phantasmen der Feminität des schwarzen Mannes, z.B. in der ›Sambo‹-Figur der Sklaverei. Und Imaginationen von der Primitivität der Frau verdichten sich zur Jahrhundertwende zu Bildern unersättlicher weiblicher Sexualität, Vampirismus und Femmes Fatales (Dijkstra 1999, 351f). Das sozialdarwinistische Paradigma bot nicht nur eine Welterklärung, sondern auch – wie schon zuvor der religiöse Begründungsrahmen – Mechanismen von gesellschaftlicher Disziplinierung. Ein wichtiges zu lösendes Disziplinierungsproblem der neuen Zeit war die Suche nach einer Begründung für geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die den Ausschluss von Frauen aus Bildung, Öffentlichkeit und Politik aufrechterhielt. Während das räumliche Konzept der separaten Sphären dafür über lange Zeit die Meta-Theorie artikuliert hatte, verlor diese Ideologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr an Gewicht. Es waren Colleges für Frauen entstanden, an denen nicht nur Lehrerinnen, sondern zunehmend auch Rechtsanwältinnen, Ärztinnen und Sozialarbeiterinnen ausgebildet wurden. Zwar lieferten die vorherrschenden Vorstellungen der Geschlechter-Komplementarität Munition für die unveränderlich arbeitsteilig organisierte Geschlechterdifferenz, aber die These verlor an Überzeugungskraft. Diese tritt dann in der Doktrin vom zunehmenden geschlechtlichen Dimorphismus zutage, der Lehre von der Entstehung und Entwicklung unterschiedlicher Physis von Männern und Frauen. Wie oben erwähnt, unterschied Darwin zwischen der natürlichen und der geschlechtlichen Zuchtwahl (Natural- und Sexual-Selection). Bei der natürlichen Zuchtwahl verbessert die Evolution die Eigenschaften, die zum Überleben erforderlich sind. Bei der geschlechtlichen Zuchtwahl werden diejenigen Eigenschaften weiterentwickelt, die besonders gut für den Fortpflanzungserfolg geeignet sind, d.h. dasjenige Lebewesen hat den größten Fortpflanzungserfolg, 37 | »Lower races represent the ›female‹ type of human species and females are the ›lower races‹ of gender« (Stepan 1990, 40). Nancy Leys Stepan hat eine Unzahl von Belegen aus dem angloamerikanischen Raum zusammengetragen, die die oben entwickelte Beziehung zwischen Gehirngewicht, geistiger Kapazität, Gender und Race aufmachen.
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das dem Gegengeschlecht am besten hinsichtlich spezifischer Merkmale gefällt. Dabei sind ästhetische Kriterien ausschlaggebend nicht überlebenstechnische, z.B. der berühmte Pfauenschwanz. D.h. Weibchen wählen Männchen weil ihnen die Federn so gut gefallen, auch wenn dadurch das Männchen sich mit einer lebensgefährlichen Last abschleppt und leichte Beute für Fressfeinde wird.38 Durch den ästhetischen Vorteil erlangt es aber trotz Überlebensnachteil einen Fortpflanzungsvorteil. Häufig muss die männliche Spezies mit einem Konkurrenten kämpfen. Die sexuelle Zuchtwahl ist nach Darwin hauptsächlich dafür verantwortlich, dass sich die Geschlechter signifikant unterscheiden, bzw. dass sie im Prozess der Zivilisierung zunehmend dimorph werden. Die These vom zunehmenden sexuellen Dimorphismus beschreibt nicht nur die Evolution des Erscheinungsbildes, sie ist gleichzeitig auch eine Vererbungstheorie: Die in der sexuellen Selektion ausgewählten Charaktereigenschaften männlicher und weiblicher Spezies werden demnach nur an das jeweilig gleiche Geschlecht vererbt. Dieses Gesetz der ›partiellen Vererbung‹ hatte nach Darwin zur Folge, dass die Qualitäten des Vaters nur im Sohn erscheinen und die der Mutter nur in der Tochter. Darwin schrieb 1871 in The Descent of Man: »Denn die Männchen haben ihre jetzige Bildung nicht dadurch erreicht, dass sie zum Überleben in dem Kampf ums Dasein besser ausgerüstet sind, sondern dadurch, dass sie einen Vorteil über andere Männer erlangt und diesen Vorteil nur auf ihre männlichen Nachkommen überliefert haben.« (Darwin 1996, 280)
Im Laufe der Entwicklung führte das zu einer immer größeren Geschlechterdifferenzierung.39 Je mehr aber die Geschlechter sich physisch unterschieden, desto einsichtiger schien es zu werden, dass sie unterschiedliche Tätigkeiten verrichteten. Wenig überraschend ist es dann auch, dass die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bei dem amerikanischen Sozialdarwinisten Graham Sumner zu einem Naturphänomen gerinnt: »A certain division of labour between the sexes is imposed by nature«.40 Männer und Frauen sehen unterschiedlich aus. Sie differieren in Größe, Körperform, Körperbehaarung und äußeren (und inneren) Geschlechtsorganen. Die These vom zunehmenden geschlechtlichen Dimorphismus im Zivi38 | Ich danke Kerstin Palm für den Hinweis auf dieses anschauliche Beispiel. 39 | Genauere Erläuterung der komplizierten vergeschlechtlichten Vererbungsregeln siehe Newman 1999, 31. 40 | Sumner 1963, 17 und 15. William Graham Sumners sozialdarwinistischer Klassiker Folkways. A Study of Psychological Importance of Usages, Manners, Customs, Mores, and Morals erschien 1906. Seine Buch What Social Classes Owe to Each Other erschien 1883.
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lisationsprozess kann auf die Aussage zugespitzt werden, dass Hochzivilisationen sich durch einen größeren sexuellen Dimorphismus auszeichnen. Diese implizite Botschaft von Darwins Gesetz der ›partiellen Vererbung‹ wurde von den Zeitgenossen als Theorie der Suprematie weißer Races aufgriffen. Der Sexologe Richard von Krafft-Ebing schrieb 1886 in seiner Psychopathia Sexualis: »Die sekundären Geschlechtscharaktere kennzeichnen die beiden Geschlechter, stellen spezifische männliche und weibliche Typen dar. Je höher die anthropologische Entwicklung einer Rasse, umso stärker sind diese Differenzierungen ausgeprägt.« (KrafftEbing 1912, 37)
Was bei Krafft-Ebing noch vergleichsweise neutral klingt, moralisierte Herbert Spencer zu einer ›rassisierten‹ Zivilisationstheorie: »Perhaps in no way is the moral progress in mankind more clearly shown, than by contrasting the position of women among savages with their position among the most advanced of the civilized races […] chronic ill-usage produces physical inferiority and physical inferiority tends to exclude those feelings which might check ill-usage.« (Spencer 1897, 726)
Eine weitere Vorstellung Herbert Spencers eignete sich ebenfalls für eine Kombination von Race- und Gender-Inferioritätstheorien. Spencer entwarf im Anschluss an eine Erläuterung der These vom zunehmenden sexuellen Dimorphismus eine Sondertheorie weiblicher Reife. Danach war die individuelle Entwicklung bei Frauen früher abgeschlossen als bei Männern. Spencer nannte das ›angehaltene Entwicklung‹ (Arrested Development) (Spencer 1875/1876, 18). Ab der Spätpubertät seien Frauen nicht mehr bildbar. Falls man sie trotzdem mit höherer Schulbildung traktiere, würden sie schweren Schaden nehmen.41 Die weiter oben entwickelte Logik von der Überkreuzzuweisung von Race- und Gender-Attributen bringt eine analoge These für die Entwicklung schwarzer Kinder hervor. Beobachtungen von Ethnologen, dass man bei ›wilden‹ oder ›halbwilden‹ Kindern oft eine Frühreife, ja eine beschleunigte Entwicklung gegenüber der von weißen Kindern vorfinde, begegnete Spencer mit dem bio41 | In seinem einflussreichen Buch Sex in Education; or, a Fair Chance for the Girls (1873) legte der amerikanische Arzt Edward Clarke dar, dass der weibliche Organismus in der Pubertät immens viel Energie benötige, um sich auf seine spätere Bestimmung, die Reproduktion, vorzubereiten. Unterwerfe man aber Frauen den Anstrengungen einer höheren Ausbildung, würden sie sich über ihre Möglichkeiten hinaus erschöpfen und sowohl ihre reproduktiven Organe schädigen, als auch Opfer nervöser Erkrankungen werden. Siehe das Kapitel »The Shadow of Dr. Clarke« in Rosenberg 1982, 1-27 und Russet 1989, 116f.
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logischen ›Gesetz‹, dass je höher die Organismen entwickelt seien, desto länger brauchten sie, ihre Qualitäten hervorzubringen. Er zog daraus den Umkehrschluss, dass Mitglieder inferiorer Rassen ihre individuelle mentale Entwicklung schneller abschließen als höhere Races. Ganz analog zu Frauen, deren geistiger Reifungsprozess zum Ansparen von Fortpflanzungsenergie am Ende der Pubertät abbricht, seien schwarze Kinder in der Pubertät am Endpunkt ihrer Entwicklungsmöglichkeiten angekommen.42 Die Thesen von dem zunehmenden sexuellen Dimorphismus und der angehaltenen Entwicklung hatten massive Auswirkungen auf das Konzept der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Diese wurde nämlich jetzt als Zivilisationsleistung interpretiert. Zeitgenössische Anthropologen machten in ›primitiven‹ Kulturen eine geringe geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aus. Aus dieser Beobachtung wurde auf einen kürzeren Evolutionsweg in diesen Kulturen geschlossen. In der Zusammenschau knüpfte sich die Argumentationskette in etwa folgendermaßen: Primitive Frauen hatten ein etwa gleich großes Gehirn wie primitive Männer, moderne weiße Frauen haben dagegen ein kleineres Gehirn entwickelt als moderne weiße Männer.43 Da die höher entwickelten Zivili42 | (Spencer 1875/1876, 4). Vergleiche auch Gossett 1997, 149-150. Übertragen auf Volkserziehung interpretierte etwa der amerikanische Volkspädagoge Stanley Hall diese beiden Vorannahmen in der Weise, dass bei schwarzen Schülern höhere Schulbildung unmöglich sei, da sie über einen Race-typischen Entwicklungsstop in der Pubertät nicht hinaus kommen könnten, und bei Frauen die Ausbildung in der Pubertät beendet werden müsse, damit ihre Reproduktionsfähigkeit nicht beschädigt würde. 43 | Das stand in gewissem Widerspruch zu den Ergebnissen der Anthropometrie, die es sich zur Regel gemacht hatte, vom Gehirngewicht auf Kulturtechnik zu schließen. Bislang schien es etabliert, dass Frauen unter allen Bedingungen ein kleineres Gehirn als Männer haben. Wenn die ›wilden‹ Frauen allerdings weniger der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung unterworfen sind, brauchten sie eine gleich große Gehirnkapazität wie Männer. Der zunehmende Dimorphismus der Geschlechter und die erwünschten Implikationen für ein Modell der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung erforderten neue Daten. Die Autorität auf dem Gebiet der anthropometrischen Geschlechterhierarchisierung, Paul Broca, schloss diese Begründungslücke mit einer Studie. In einer prähistorischen Höhle mit dem sprechenden Namen ›L’Homme Mort‹ analysierte er die dort aufgefundenen Schädel von Cro-Magnon Menschen und stellte zwischen männlichen und weiblichen Schädeln nur noch einen Unterschied von 99,5 Kubikzentimetern fest im Gegensatz zur Neuzeit, wo eine Unterschiedsbandbreite von zwischen 130 und 220 Kubikzentimetern die Regel war (Broca 1873) Zahlen zitiert nach Gould 1988, 108. Siehe auch Russet 1989, 36. Die neuen Daten bestätigten scheinbar den zunehmenden Geschlechterdimorphismus. Siehe zum Vermessungswahn zwecks wissenschaftlichen Nachweises von Race- und Geschlechtsunterschieden auch Christine Hanke. Sie arbeitet heraus, dass um die Jahrhundertwende nicht mehr Durchschnittswerte ermittelt wurden, sondern Häufungen von
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sationen über eine verfeinerte geschlechtliche Arbeitsteilung verfügten, konnten sie es sich leisten, Frauen von schwerer körperlicher Arbeit freizustellen, um ihnen mehr Raum zur Kinderaufzucht zu geben. Das wiederum trug dazu bei, dass die Nachkommen in Hochzivilisation besonders gut erzogen und gepflegt wurden. Hier wird die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Zirkelschluss wieder eingeführt. Der Zusammenhang mit dem abnehmenden Hirngewicht stellte sich darüber her, dass Frauen der Frühzeit beim ›Kampf ums Dasein‹ den Männern zugerechnete Geisteskräfte mobilisieren mussten, um zu überleben. Diese unnütze Gleichheit von geistigen Kapazitäten wurde aber mit zunehmendem Zivilisationsgrad evolutionstechnisch überflüssig und entwickelte sich, da sie nicht mehr gebraucht wurde, wieder zurück. Die ›Degeneration‹ der Frauen wurde demnach als Zeichen kultureller Leistung gesehen. Der gemeinsame Nenner der hier entfalteten Intersektionalität von Race und Gender, die in dieser konkreten historischen Zeitperiode die Form von Rassismus und Misogynie annimmt, ist die Tatsache, dass sie als ›Wissenschaft‹ figuriert. Damit werden die referierten hierarchisierenden Betrachtungen von Race und Gender zu einem genuinen Bestandteil, wenn nicht sogar zur Voraussetzung, des bürgerlichen Diskurses, ›Wissenschaft‹ als Agentur von Wahrheit zu betrachten. Rachel Malene schreibt: »Not only was there a faith in the benefits of scientific knowledge of the mind, there was also much significance attributed to gendered systems of knowledge«.44 Foucault hat, wie allgemein bekannt, diese Wahrheitsproduktion in Zusammenhang mit Macht gestellt: »[…] Macht/Wissen-Beziehungen sind […] nicht von einem Erkenntnissubjekt aus zu analysieren, das gegenüber dem Machtsystem frei und unfrei ist. Vielmehr ist in Betracht zu ziehen, dass das erkennende Subjekt, das zu erkennende Objekt und die Erkenntnisweisen jeweils Effekte jener fundamentalen Macht/Wissen-Komplexe und ihrer historischen Transformationen bilden.« (Foucault 1998, 39f)
Werten, um die ›Typizität‹ der Untersuchungsgegenstände deutlich zu machen (Hanke 2009, 149). Auch hier, wie bei vielen anderen wissenschaftlichen ›Beweisen‹ für eine sozialdarwinistische Interpretation der Evolutionstheorie hat Stephen Jay Gould die Daten überprüft und darauf hingewiesen, dass die untersuchten Schädel nicht auf Alter und Mangelkrankheit korreliert waren – sonst hätten sie sich weitaus mehr unterschieden. Außerdem stellte er fest, dass das Sample von sieben männlichen und sechs weiblichen Schädeln statistisch wertlos sei. Trocken resümiert er das Missverhältnis zwischen populärwissenschaftlichem Aufsehen einer These und ihrer wissenschaftlichen Valenz mit den Worten: »Noch nie hat jemand so wenig aus so viel herausgemolken« (Gould 1988, 109). 44 | Siehe Malane 2005.
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Der Macht/Wissenskomplex, oder anders gesagt, die Regeln des Diskurses, sortieren nicht nur wahre und falsche Aussagen und produzieren Ausschlüsse über das nicht mehr Sagbare, sondern bestimmen auch, wer sprechen darf und von wem was wann in welcher Form gesagt werden darf (z.B. nur in Form einer wissenschaftlichen Aussage). Außerdem ist der Ort des Sprechens von Bedeutung, da es sich dabei zumeist auch um einen Platz handelt, »den ein Subjekt einnehmen muss, wenn es im Rahmen eines Diskurses etwas sagen will, das als Wahrheit gelten soll« (Sarrasin 2003, 34), d.h. der Sprecher, die Sprecherin muss für diesen Wissenschaftsdiskurs ausgebildet sein und darin eine legitime Position einnehmen. Diese Voraussetzungen machen deutlich, dass es für weiße Frauen unendlich schwer war (für schwarze Männer und Frauen fast unmöglich), in diesen Diskurs einzugreifen, da sie zu Expertenpositionen und Lehrstühlen nicht zugelassen wurden. Die dominante ›medico-scientific‹ Betrachtungsweise ihrer ›Natur‹ beraubte sie der Sprechposition. Eine der wenigen weißen Zeitgenossinnen Darwins, die sich in dieser Frage theoretisch und ausführlich zu Wort meldete, war Eliza Burt Gamble. Sie registrierte den naturalistischen Kurzschluss der sozialdarwinistischen Beweisführung für die Unterlegenheit der Frau. In ihrer zwar wissenschaftlich dissidentischen, aber nicht anti-darwinistischen, Streitschrift The Evolution of Women (1894) schrieb sie: »But with the dawn of a scientific age it might have been expected that the prejudices resulting from those doctrines might disappear. When, however, we turn to the most advanced writings of the present century, we find that the prejudices which throughout thousands of years have been gathering strength are by no means eradicated. […] Any discussion of the sex question is still rare in which the effects of these prejudices may not be traced. Even Mr. Darwin […] whenever he had occasion to touch on the mental capacities of women, or more particularly on the relative capacities of the sexes, manifested the same spirit which characterizes the efforts of an earlier age.« (Gamble 1916, vii-viii)
Eliza Burt Gamble bewertete die Erkenntnisse der Evolutionstheorie bezüglich des Geschlechterverhältnisses anders als die herrschende männliche Evolutionsdoktrin.45 So folgerte sie aus denselben Beobachtungen der Naturforscher, aus denen Spencer auf eine natürliche Unterlegenheit der Frau geschlossen hatte, eine höhere Zivilisationsstufe der Frau als die des Mannes. Nach einer sorgfältigen Lektüre von Darwins The Descent of Man schrieb sie: »(I) […] became impres45 | Auch andere Frauen bemühten sich um die wissenschaftliche Widerlegung innerhalb der vorgegebenen Wissensordnung. Zu ihnen gehören Frances Emily White, Margaret N. Wishard, Miss M.A. Hardaker und Mary T. Bissel, die zum größten Teil im Popular Science Monthly veröffentlichten. Louise Michelle Newman hat Positionen dieser Frauen in der Anthologie Men’s Ideas/Women’s Realities dokumentiert (Newman 1985).
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sed with the belief that the theory of evolution […] furnishes much evidence going to show that the female among all orders of life, man included, represents a higher stage of development than the male« (meine Kursivierung) (Gamble 1916, v). Nicht alle Kommentatorinnen der Evolutionstheorie und ihrer Weiterungen waren so radikal wie Gamble, dem Weiblichen einen höheren Entwicklungsstatus beizumessen, dafür argumentierten sie schärfer in Einzelheiten. Eine der ersten US-amerikanischen Frauen mit Hochschulbildung, die ordinierte Theologin und Oberlin-Absolventin Antoinette Brown Blackwell, schrieb eine Polemik zu der These des Arrested Development. In ihrem Buch The Sexes Throughout Nature (1875) ging sie zwar nicht so weit, die Behauptung einer ›angehaltenen (physischen) Entwicklung‹ anzuzweifeln, aber sie bestritt, dass sie irgendetwas mit der geistigen Entwicklung zu tun haben könnte: »(The) earlier arrest of physical growth […] may not be coupled with earlier arrest of mental development«.46 Auch Blackwell griff wie Gamble die Evolutionstheorie nicht als solche an, sondern sie kritisierte die Gewichtung der Argumente. Dabei nahm sie besonders Spencer aufs Korn: »Spencer subtracts from the female and Darwin adds to the male« (18f). Im Zentrum von Blackwells Evolutionsinterpretation stand die Entwicklung unterschiedlicher Qualitäten bei Männern und Frauen. Sie entwarf eine Tabelle »Organic Equilibrium on Physiological and Psychological Equivalences of the Sexes« (58), in der neunzehn menschliche Qualitäten von Frauen und Männern kontrastiert werden. In der Summe jeweiliger Schwächen und Stärken stellte Blackwell ein Gleichgewicht der Geschlechter fest. (58) Während Männer Stärke in Muskeln und Intellekt herausgebildet hätten, wären bei Frauen komplementäre Qualitäten wie Leidensfähigkeit, mütterliche Liebe und soziale Intelligenz entstanden: »[…] the sexes in each species of being […] are always true equivalents – equals but not identicals in development«47 (meine Kursivierung) (33f). 46 | Blackwell 1976, 140f. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 47 | Auch Eliza Burt Gamble entwickelte in ihrer Darwinismus-Streitschrift The Evolution of Woman. An Inquiry into the Dogma of her Inferiority to Man (Gamble 1893) ein Komplementaritätsmodell geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Sie argumentierte, dass weibliche Tiere, obwohl möglicherweise unscheinbarer als die männlichen, alle Erbinformationen der natürlichen Selektion speicherten und damit einen »considerable degree of intelligence« bewiesen. Zu Blackwells und Gambels Darwinismus der Komplementarität siehe Fausto-Sterling 1997, 43-46. Betrachtet man die gegenwärtigen Debatten um Lebenswissenschaften aus weiblicher Perspektive, so lassen sich diese früh-feministischen Theorien einer ›guten‹ weiblichen Natur mit ›femalistischen Korrekturen‹ der gegenwärtigen Soziobiologie in Beziehung setzten, wie sie etwa Sarah Bluffer Hrdy in Mother Nature (Hrdy 1999) vertritt. In der Tat beruft Hrdy sich in ihrer Einleitung auf Blackwell: »Einer Handvoll intellektueller Frauen des 19. Jahrhunderts war die Evolution jedoch einfach zu bedeutend, um sie zu ignorieren. Anstatt sich abzu-
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Der Anspruch auf (politische) Gleichheit – Equality – gründet sich also hier auf Differenz und nicht etwa auf Gleichheit mit dem Mann. Das schon in der Ideologie der separaten Sphären ausgearbeitete Modell der Komplementarität der Geschlechter wird durch die neuen biologischen Lehren z.B. vom Geschlechtsdimorphismus gleichzeitig verfestigt, aber auch geadelt.48 So ist es ja gerade der Unterschied, der die Frau dem (weißen) Mann gleich macht, jedenfalls in Bezug auf seine weiße Race. Könnte sie keinen physischen und mentalen Unterschied aufweisen, wäre sie paradoxerweise ungleicher, denn dann wäre sie wie die sexuell undifferenzierten Primitiven und würde damit niederen Races gleichen. Diese Theorie der ›differentiellen Gleichheit‹ (Differential Equality) ist eine Art von ›Different-but-Equal‹-Doktrin,49 die sich von der ›Separate-but-Equal‹-Doktrin der Race-Gesetzgebung nur insofern unterscheidet, als sie keine Segregation der Lebenssphären bedeutet, sondern eine Segregation der kulturellen und politischen Zuständigkeiten. In der Tat war es für die amerikanische Frauenrechtlerin des ausgehenden 19. Jahrhunderts wesentlich existentieller, die zivilisatorische Überlegenheit gegenüber dem ›Primitiven‹ zu behaupten, als eine Gleichheit mit dem Mann. Der Geschlechtsunterschied machte weiße Frauen zu andersartigen, aber gleich wichtigen Agentinnen für Zivilisation wie weiße Männer. Antoinette Blackwell trug in diesem Zusammenhang ein interessantes Argument für die Notwendigkeit vor, Frauen mehr politische Gleichheit zuzugestehen. Sie argumentierte, dass nach Darwin die sexuelle Zuchtwahl die edelsten und wichtigsten menschlichen Charakteristiken hervorbrachte. Auf dieser Bühne der Evolution wären es aber die Frauen, die sich ihre Gefährten auswählten. Damit sie auf diese Weise die Gattung verbessern könnten, sei es wichtig, dass Frauen bei der Kür als freie urteilsfähige Menschen auftreten könnten.50 Und hier erinnert sich Antoinette Blackwell, die in ihren jungen Jahren Abolitionistin gewesen war, plötzlich an wenden, gingen sie auf Darwin und Spencer zu und klopften ihnen auf die Schulter, um ihre Unterstützung für diese revolutionäre Sicht der menschlichen Natur auszudrücken und um die beiden höflich daran zu erinnern, dass sie die halbe Spezies übergangen hatten« (Hrdy 2000, 39). 48 | Zur Polarisierung der Geschlechtscharaktere im bürgerlichen Zeitalter siehe den immer noch aktuellen Aufsatz von Karin Hausen (Hausen 1976). 49 | Russet 1989, 98. Für das von der rassistischen Formulierung des Plessy vs Ferguson Richterspruchs von 1896 der ›Separate-but-Equal‹-Doktrin abgeleitete Paradigma ›Different-but-Equal‹ siehe Rothenberg 1990, 47. 50 | Wie so häufig wurde auch hier der weibliche Verdienst nicht gewürdigt. Die geistige Urheberschaft der Idee eines »Gynozentrismus« gebührt Antoinette Blackwell, sie wird aber allgemein dem Soziologen Lester F. Ward zugeschrieben (Degler 1991, 111). Charlotte Perkins Gilman berief sich in ihrem evolutionistischen Feminismus weitgehend auf Wards ›gynozentrische‹ Interpretation von Darwins geschlechtlicher Zuchtwahl. Siehe
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die alte Analogie von den Frauen und den Sklaven, um ihren Anspruch auf Subjektivität und Freiheit zu begründen: »The girl slaved by conventionality in body and mind hinders the evolution of the race« (111). Die Analogie von Race und Gender wird nun nicht mehr selbst von Emanzipationsdiskursen gewählt und zur Ermächtigung in Anschlag gebracht, sondern sie wird als herrschender Diskurs vorgefunden und kann nur innerhalb dessen modifiziert werden. Die Rekapitulationstheorie verbindet Race und Gender in gemeinsamer Kindlichkeit, die Anthropometrie vermisst zu gemeinsamer geistiger Inferiorität. Die These vom zunehmenden Geschlechterdimorphismus bringt das kontra-intuitive Ergebnis hervor, weiße Frauen gleichzeitig zu deprivilegieren und als Hochzivilisation zu adeln. Der behauptete Nachteil einer sich zurück entwickelnden, geistigen Kapazität der weißen Frau wird paradoxerweise zu einem Zivilisationsvorteil für die weiße Race, da er durch die Muße, die sich Frauen für die Aufzucht wertvollen Hochzivilisationserbgutes erlauben konnten, entstanden ist. Für die ›niederen‹ Races sahen die neuen Zivilisationstheorien keinen Trost vor, wenngleich auf der politischen Ebene das Wahlrecht für schwarze Männer zumindest im Prinzip eine Kompensation bedeutete.51 Schwarze Frauen52 und, wie anderer Stelle genauer ausgeführt, weiße Proletarierinnen, Dienstboten und Landarbeiterinnen dagegen fielen vollständig aus allen Komplementaritäts- und Kompensationsmodellen heraus. Was die weißen Frauen betrifft, so ist die anthropometrische Kränkung der gehirnlichen Minderausstattung mit der Zeit aus dem kollektiven Bewusstsein geschwunden. Das Ergebnis einer weiß-weiblichen Zivilisationssuprematie hat seine eigene Entstehungsgeschichte aus der Race-Gender-Analogie vergessen. Die angebliche Kindlichkeit weißer Frauen und niederer Races verschiebt sich aus weiß-weiblicher Perspektive auf die Primitivität schwarzer Menschen. Die Fluchtlinie des Denkens wird hier auf die Gleichsetzung von Wildheit (Savagery) und Race-Differenz ausgerichtet. Auf der anderen Seite wird, wie schon erwähnt, eine Verbindung von zunehmender Geschlechterdifferenzierung und Zivilisationserfolg gezogen. Diese miteinander verkoppelte Konstitutionsgeschichte von Race und Gender Ressentiments, besonders im US-amerikanischen Sozialdarwinismus, hatte massivste Auswirkungen auf die geschwächte weiße Frauenbewegung nach eine ausführlichere Analyse zu Gynozentrismus und Gilmans ›Evolutionismus‹ weiter unten. 51 | Wegen einer großen Anzahl von Sonderklauseln und massivster Einschüchterung bei den Versuchen, sich für die Wahl registrieren zu lassen, konnte das Wahlrecht von Afroamerikanern im Süden nicht mehr wahrgenommen werden. 52 | Schwarze Frauen der Mittelklasse bemühten sich um ›Zivilisationsanschluss‹ über einen Zugewinn an Respektabilität. Siehe Giddings 1984 und Carby 1987. Als Agentur von Respektabilität fungierte insbesondere die so genannte ›Club-Bewegung‹.
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dem Bürgerkrieg. Die vielstimmig beklagten Rassismen des weißen Feminismus zur Jahrhundertwende speisen sich aus dieser ›vergessenen Genealogie‹. Michelle Newman faßt zusammen: »The theoretical linkage of the ›advancement of civilizations‹, ›racial progress‹, and the ›intensification of sexual difference‹ in dominant evolutionist theories deriving from Spencer’s initial formulation had a profound effect on how white women’s rights activists formulated their own claims to sexual equality in the post-bellum period. […] [they] argued that their sexual difference, the sign and measure of their civilized status, constituted the proof that they shared in the racial superiority of the white race.« 53
Für die Frauenbewegung wurde es jetzt wichtig, jede mögliche Analogie des weiß-weiblichen Status mit Race-Inferiorität abzuwenden. Weißer Superioritätsstatus bot Ausgleich für die frauenfeindlichen Kränkungen der Evolutionstheorien und verbriefte immerhin Teilhaberschaft an einer überlegenen Zivilisation. Antoinette Blackwell z.B. setzte sich entschieden dagegen zur Wehr, evolutionsbiologisch mit ›Wilden‹ in einen Topf geworfen zu werden. Mit Nachdruck verneinte sie, dass die amerikanische Frau minderbegabt und zum abstrakten Denken unfähig sei. »Not in New England«, rief sie aus. »Not in any locality where women have equal education. They have not become savants« (Kursivierung Blackwell) (Blackwell 1976, 147f).
D ER WEIBLICHE Z IVILISATIONSAUF TR AG – J ANE A DDAMS UND C HARLOT TE P ERKINS G ILMAN 2.7 Soziale Evolution und Sozialreform Antoinette Blackwells Hoffnung auf ›Equal Education‹ für Frauen war auch in New England keineswegs erfüllt, obwohl sich gerade an der Ostküste einige höhere Bildungsanstalten für Frauen etabliert hatten. Immer mehr Töchter aus dem weißen Bürgertum strömten in die Frauen Colleges, nicht zuletzt mit dem Ziel, später einen Erwerbsberuf zu ergreifen. Trotzdem begegneten viele Familien dem Wunsch ihrer Töchter nach besserer Erziehung mit Widerstand und verweigerten ihnen häufig den Eintritt in die Berufswelt. Auch für die gebildete oder bildungswillige weiße Frau gab es vorerst keine gesellschaftlich akzeptierte Position außerhalb der Woman’s Sphere.
53 | Newman 1999, 39. Weitere Ansätze, in der Historiographie amerikanischer Zivilisationstheorien Race und Gender systematisch zu verbinden, finden sich bei Bederman 1995 und Wiegman 1995.
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Die Sozialreformerin und Friedensnobelpreisträgerin (1931) Jane Addams und die wichtigste Frauenrechtspublizistin ihrer Epoche, Charlotte Perkins Gilman, kannten dieses Dilemma gut. Jane Addams musste bis zum Tod ihres Vaters warten, bevor sie ein Medizinstudium aufnehmen konnte, das sie allerdings wegen der extrem feindlichen Lernbedingungen in den Klassen, in denen sie gemeinsam mit männlichen Studenten unterrichtet wurde, und wegen des trockenen Lehrstoffes bald zu hassen lernte. Auf ihre Pflichten als Studentin nahm ihre verwitwete Stiefmutter keine Rücksicht, sondern erwartete den vollen Familieneinsatz, den man von ledigen Töchtern gewohnt war. Die Familie von Charlotte Perkins Gilman konnte ihr aus finanziellen Gründen keine formale Ausbildung ermöglichen. Diese stillte ihren Wissensdurst im Selbststudium. Jung verheiratet erlebte sie einen extremen Widerspruch zwischen den von ihr erwarteten Familienpflichten und ihrem Drang nach geistiger Beschäftigung. In beiden Fällen führten die Konflikte zu schweren seelischen Störungen. Sowohl Addams als auch Perkins Gilman wurden zu Patientinnen, die je nach Perspektive der diagnostizierenden Disziplin an Neurasthenie oder Hysterie erkrankten.54 Hier berührten sich ihre Lebenswege zum ersten Mal, denn beide unterzogen sich einer Liege-Kur der damaligen Kapazität für Neurasthenie, Dr. Weir Mitchell. Mitchell glaubte, die Leiden seiner Patientinnen durch ein Verbot jedweder geistigen Tätigkeit und rigidem Gender-Regiment lösen zu können, womit er implizit auch klar machte, dass er Frauenbildung für die Ursache des Krankheitszustandes hielt.55 In ihrer berühmten Erzählung »The Yellow Wallpaper« zeigte Charlotte Perkins Gilman auf, welche Verwüstungen ein vorsätzlich unterforderter Geist in einer bildungswilligen weiblichen Seele anrichten kann.56 54 | Zum Konzept von Hysterie als soziale Pathologie und Disziplinierung der Frau im späten 19. Jahrhundert im angloamerikanischen Raum siehe Smith-Rosenberg 1985, 197-217, Showalter 1987 und Chesler 1989. Siehe auch die Ausführungen zu Hysterie und Abolitionismus im frühen 19. Jahrhundert im Kapitel 1, S. 63-68. 55 | Zu Weir Mitchells ›Rest Cure‹ und ihre speziellen Auswirkungen auf Gilman siehe Golden 1992. 56 | Gilman 1998. Als Hysterikerin oder Neurasthenikern zu einer der Reiz unterdrükkenden Ruhekuren verurteilt, entziffert die Heldin im Muster ihrer gelben Tapete nach und nach eine gefangene Frau hinter Gittern, was von der späteren Kritik als Patriarchatskritik gedeutet wurde. Gilmans Erzählung »The Yellow Walpaper« wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem ›Foundational‹ Text feministischer Literaturkritik, die mit ihr gleichzeitig eine verkannte Autorin neu kanonisierte und das Instrumentarium einer politisierten Literaturkritik verfeinerte. Susan S. Lanser unterzog 1989 diesen Text erstmalig einer Race-Lektüre. Dort stellt sie die Kurzgeschichte in den Kontext einer zeitgenössischen Paranoia gegenüber einer ›Gelben Gefahr‹. Dieser nativistische Diskurs artikulierte eine Überflutungsangst vor chinesischer Immigration und
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Charlotte Perkins Gilman löste ihr Dilemma durch eine für damalige Verhältnisse skandalöse Scheidung und baute sich eine Existenz als Publizistin auf. Jane Addams fand einen anderen Ausweg aus der Qual der psychischen Invalidität, der ebenfalls jenseits von Ehe und Familie lag. Sie wurde zu einer der Gründerinnen des ersten amerikanischen ›Settlement-House‹. Dabei transferierte sie eine in England entstandene Initiative von religiöser Bildungsarbeit im Proletariat in die amerikanische Großstadt-Wildnis – daher die Vorstellung von ›Siedlungs‹-Häusern – und gründete in einem Slum Chicagos Hull-House. Die amerikanische Settlement-House-Bewegung reagierte auf eine gigantische demographische Veränderung in den großen Städten und ihre unkontrollierte Urbanisierung, die insbesondere durch zwei Migrationsströme geprägt war: der Binnenmigration der Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen, die den bedrückenden Verhältnissen des Südens entkommen wollten und in der Industrialisierung des Nordens auf bessere Einkommen hofften, und der Migration nach den Vereinigten Staaten, die neben den als assimilationsfähig geltenden meist protestantischen Nordeuropäern auch in großer Zahl katholische Südeuropäer und osteuropäische Juden in die Vereinigten Staaten brachte. Zwischen 1870 und 1890 kamen eine Viertel Million neuer Menschen nach Chicago. 1890 waren 40 Prozent der Stadtbewohner nicht in den USA geboren und noch weitere 38 Prozent Einwandererkinder der zweiten Generation. Gleichzeitig war die afroamerikanische Bevölkerung von vier auf fünfzehntausend angestiegen, 1910 waren es über 40 000 Menschen, die über subtile und weniger subtile Mittel in der Southside ghettoisiert wurden.57
war der lange in Kalifornien lebenden Gilman durch den Soziologen Edward Alsworth Ross bekannt, der Schriften gegen die ›Gelbe Gefahr‹ verfasst hatte und die weiße Bevölkerung vor so genanntem ›Race Suicide‹ warnte (Weinbaum 2004, 70f). Lanser liest die Fixierung der Heldin auf die Muster der gelben Tapete als eine Verschiebung der Unterdrückung, die sie eigentlich vom Arzt und ihrem weißen Ehemann erlitt, auf ein imaginiertes orientalisches Patriarchat, das sie im Tapetenmuster zu erkennen glaubt (Lanser 1993, 245). Lansers Text ist sehr hilfreich als Hinweis sowohl auf das RaceSentiment des frühen Feminismus als auch auf die Race-Blindheit des Second Wave Feminism, der sich seiner selbstgewählten Gründungsmüttern, wie Charlotte Perkins Gilman, in der Regel unkritisch näherte. Lansers Race-Lektüre von »The Yellow Wallpaper« war 1989 in Feminist Studies erschienen und hatte praktisch keinen Einfluss auf die feministische Literaturkritik. Allerdings wurde sie in der Gender-orientierten Geschichtsschreibung der amerikanischen Zivilisation wahrgenommen, die sich in den Neunzigern mit Sozialdarwinismus, Nativismus und Rassismus in den ›progressiven‹ Diskursen des Jahrhundertendes auseinandersetzte. Siehe Bederman 1995, 1991169, Newman 1999, 142f und Weinbaum 2004, 61-106. 57 | Zahlen und Einschätzung siehe Donovan 2006, 57f.
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In diesem Zusammenhang entstand der amerikanische ›Progressivism‹, in dessen Höhepunkt zwischen 1900 und 1910 sich eine Vielzahl von sozialen Reformbewegungen entwickelte, die zwischen humanitärer Intervention für das Gemeinwohl und den Ängsten der weißen protestantischen Eliten, in die Minderheit zu geraten, schwankte. Soziale Reformbewegungen und ›Progressivism‹ waren deshalb auch immer Projekte der Rassisierung, d.h. ›andere‹ problematische Bevölkerungen als Gruppen zu definieren und zu disziplinieren.58 Shane Vogel fasst zusammen: »The late-nineteenth century rise of sexology and criminology as scientific fields helped to medicalize and codify individuals as ›deviant‹ or ›degenerate‹, as well as define important distinctions between ›vice‹ and ›crime‹. These social scientific discourses complemented with pseudoscience of eugenics and theories of racial atavism to provide the authoritative foundation for various moral reform groups, vice squads, and sociologists in managing urban spaces and bodies. Whether in the service of God or greater civic order, phalanxes of anti-vice organizations and sociologists canvassed urban centers to catalogue and police the sexual and social threat fostered in cabarets, dance halls, and pool halls.« (Vogel 2009, 9)
Jane Addams gehörte zum liberalen Flügel progressivistischer Reform, d.h. sie war nicht ›nativistisch‹ eingestellt und unterstützte Immigration und anti-rassistische Initiativen. In der Forschung wird sie deswegen unter die ›Pluralisten‹ der Sozialreform gezählt.59 Doch so bedeutend und sichtbar sie auch war, so musste sie doch die Berechtigung ›als Frau‹ zu agieren, argumentieren. Sie entwickelte für ihre vielfältigen sozialreformerischen Projekte – Einführung eines Jugendstrafrechts, städtische Hygiene, gewerkschaftliche Organisation, politischer Pazifismus, Frauenwahlrecht und die Abschaffung der Prostitution, auf die noch gesondert zurückzukommen sein wird, – ein Konzept, das sie ›Civic‹- oder ›Municipal‹-Housekeeping nannte. Weitestgehend im Einklang mit den gesellschaftlichen Vorstellungen von weiblicher Tätigkeit, benutzte sie die Metapher des Haushalts als Synonym der Woman’s Sphere, um diese auf die gesamte Gesellschaft auszudehnen: »The men of the city have been carelessly indifferent to much of this civic housekeeping as they have always been indifferent to the details of the household. They have totally disregarded the capacity of the candidate to keep the streets clean […] if woman could keep on with their old business of caring for her house and rearing her children she will have to have some conscience in public affairs lying quite outside of her immediate household.« (Meine Kursivierung)60 58 | Siehe Glenn 2002, 3. 59 | Siehe Lasch-Quinn 1993. 60 | »The Utilization of Women in Government« in Newer Ideas of Peace zitiert nach
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Charlotte Perkins Gilman ging den umgekehrten Weg. Sie war deshalb weit mehr als Addams, die in ihrer Frühphase noch mit einem Quäker-Egalitarismus argumentierte, den hierarchisierenden Aspekten einer evolutionistischen Argumentation verpflichtet. Ihr Hauptwerk Women and Economics (1898) unterstreicht schon im Untertitel die Anlehnung an den sozialdarwinistischen Diskurs: A Study of the Economic Relation Between Men and Women as a Factor of Social Evolution. Der erste Satz der Studie lautet: »Since we have learned to study the development of human life as we study the evolution of species throughout the animal kingdom, some peculiar phenomena […] begin to show themselves in a new light.« (Gilman 1900, 1)
In ihrer groß angelegten Studie zur Lage der Frau hinterfragte Gilman den zivilisatorischen Wert der These von der zunehmenden Geschlechtsdifferenzierung und der daraus folgenden geschlechtlichen Arbeitsteilung. Im Gegensatz zu Herbert Spencer, Edward Clarke oder Stanley Hall sah sie darin keinen Entwicklungsfortschritt, sondern erklärte den derzeitigen Stand der Dinge im Vokabular der Evolutionstheorie zu einer ›Degeneration‹. Gilman argumentierte auf zwei Ebenen. Sie räumte ein, dass die Differenzierung der Geschlechter über eine lange Strecke durchaus zu einem Vorteil für die Zivilisation ausgeschlagen habe. In dieser Frage vertrat sie ein Stufenmodell der Zivilisation. In ihrer Version allerdings bedürfen Hochzivilisationen keiner geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung mehr, während sie für unterentwickelte Bevölkerungen als Zivilisierungselement unabdingbar seien. Hier nun brachte Gilman amerikanische Race-Verhältnisse ins Spiel. Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen hätten die erforderliche Zivilisationsstufe noch nicht erreicht, argumentierte sie, und entwarf ein Zwangsregime für die zurückgebliebenen Teile der schwarzen Bevölkerung bestehend aus einer der Sklaverei ähnlichen Art von Zwangsbewirtschaftung in Arbeitslagern. Nach Gilman könnte die afroamerikanische Mittelklasse in dem Maße in die bürgerlichen Freiheiten entlassen werden, indem die Männer sich dazu durchringen würden, verantwortliche Ernährer ihrer Familien zu werden. Eine patriarchalische Familienstruktur mit der daraus folgenden konventionellen Arbeitsteilung wäre nach Gilmans evo-
Deegan 1988, 232 und »Why Women should Vote«, zitiert nach Davis 2000, 113. Carol Smith-Rosenberg interpretiert das Konzept der Civic Motherhood als eine subversive Unterhöhlung der alten Gender-Ideologie innerhalb derselben: »[…] bourgeois matrons had transposed the Cult’s [of True Womanhood] original religious and moral imaginary into a female symbolic system that expressed women’s attitude toward family change and justified new roles for women outside the family« (Smith-Rosenberg 1985, 265).
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lutionärem Modell also eine notwendige Zwischenstufe der Zivilisation.61 In einem Artikel von 1908 »Suggestions for the Negro-Problem« schrieb sie: »We have to consider the unavoidable presence of a large body of aliens, of a race, widely dissimilar and in many respects inferior […] an alien race in a foreign land under social and religious conditions to which they are hereditary a stranger.« (Gilman 1908, 78f)
Diese drastischen Vorstellungen zur Race-Frage setzen in gewisser Weise die Deloyalisierung gegenüber dem schwarzen Amerika fort, die in der ersten Frauenbewegung aus Enttäuschung für das vorenthaltene Wahlrecht entstanden war. Gilmans Devaluierung schwarzer Menschen in der Zivilisationshierarchie ist eine wichtige Argumentationswaffe für die weiß-weibliche Suffrage, für die sie als national bekannte Aktivistin und Feministin vor allem stand. In dem Intersektionalitätsgefüge von Race, Gender und Klasse konzentriert Gilman sich auf die Zivilisationsüberlegenheit von Whiteness und – wie gleich zu sehen sein wird – insbesondere auf weiße Weiblichkeit. Dazu nutzt sie eine heterodoxe Interpretation der Evolutionstheorie und ihrer angeblich falschen Vorstellung von Weiblichkeit in schon voll zivilisierten Gesellschaften. Sie argumentiert, dass sich die zunehmende Geschlechtsdifferenzierung in den Hochzivilisationen zu einem solchen Exzess entwickelt habe, dass sie zu einem Nachteil für den Fortschritt der Individuen und der Gattung geworden sei. Denn die menschliche Frau sei das einzige Geschöpf im Tierreich, das ausgehalten, sprich für ihre Ernährung und die ihrer Kinder auf den Mann angewiesen sei. Alle anderen weiblichen Tiere könnten sich selbst ernähren und seien deshalb auch nicht abhängig vom Mann. Dieses ›sexuo-ökonomische‹ Verhältnis62 (94) habe zu einem ultra-femininen Status (167) und einer Gefangenschaft der Frau in der ›eisernen Folterkammer der romantischen Liebe‹ (65) geführt. Dabei war nach Gilman die von Herbert Spencer beobachtete ›angehaltene Entwicklung‹ der Frau ein deutlicher Hinweis auf diesen evolutionären Irrweg, denn in ihr zeigten sich Laster einer Periode menschlicher Entwicklung, die der weiblichen Gefangenschaft entsprächen (330). Gilmans Argument ist hier in einem inneren Widerspruch verfangen. Einerseits empfahl sie die patriarchalische Familienstruktur mit dem Mann als Ernährer als Zivilisationsagent für niedrige Races. An andere Stelle interpretierte sie dagegen das Patriarchat als orientalische Barbarei von Gesellschaften, die ihre Frauen in Harems hielten und wie in China ihre Körperform für den sexuellen Genuss züchteten. In letzterer Version wäre das Patriarchat ein Phä61 | Zu einer ausführlichen Diskussion von Gilmans Rassismen in der ›Negerfrage‹ siehe Bederman 1995, 121-169. Zu einer Vorstellung von Zivilisationsstufen, die eine Sukzession von Matriarchat, Patriarchat und späterer Geschlechterdemokratie vorsehen, siehe Newman 1999, 135f. 62 | Gilman 1900, 64. Im folgenden Text nach Klammern zitiert.
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nomen niederer Races (Lanser 1993, 244). 1912 schrieb Gilman in ihrer Zeitschrift Forerunner (April, 23-24): »Nearly all savage races are decadent and grossly androcentric«.63 Dieser innere Argumentations-Widerspruch löst sich auf, wenn man zwischen ›schwarzem‹ und ›weißem‹ Patriarchat unterscheidet. Das orientalische Patriarchat mit seinen geschlossenen Vorhängen und sexuellen Gelüsten ist nach Gilman barbarisch, daher ›schwarz‹. Der arischen (›weißen‹) Race schreibt Gilman eine andere Zivilisationsgeschichte zu, dort seien die Frauen vergleichsweise human und frei entwickelt gewesen und hätten daher starke Söhne mit einer weniger morbiden Libido hervorgebracht (Gilman 1900, 46). Die gewünschte geschlechtsdifferenzierte Familie in der afroamerikanischen Bevölkerung wird hier nun paradoxerweise ›weiß‹ markiert, und zwar nicht in Bezug auf die Hautfarbe, sondern in Bezug auf ihre Nachahmung des ›weißen‹ Patriarchats, in dessen sozialem Einflussbereich sie lebt. Gilman sah weibliche Berufstätigkeit und die Bekämpfung der Exzesse einer so genannten Ultra-Feminität als die Aufgabe einer verantwortlich gesteuerten sozialen Evolution in den Hochzivilisationen. (Weiße) Frauen müssen nach Gilman von der Hausarbeit und Kinderaufzucht freigestellt werden – diese Aufgaben könnten in Gemeinschaftshäusern mit professioneller Hilfe erledigt werden –, um den hohen Zivilisationsstand, den sie durch die geschlechtliche Ausdifferenzierung erreicht haben, segensreich für die Menschheit einzusetzen. Dabei haben Frauen allerdings auch die Pflicht, eine weitere evolutionstheoretische Erkenntnis gesellschaftlich nutzbar zu machen, nämlich ihre Macht, bei der sexuellen Selektion einen Gefährten zu wählen. Diese Strategie der Race-Verbesserung übernahm Gilman nicht etwa von Antonia Blackwell, sondern von dem befreundeten Soziologen Lester Frank Ward. Ward sah in der weiblichen Wahlmöglichkeit der sexuellen Auslese ein Mittel der Sozialreform. Frauen hätten zu lange nach Körpergröße und männlicher Skrupellosigkeit im Sinne des ›Survival of the Fittest‹ gewählt und sich damit an ihrer eigenen Unterdrückung beteiligt.64 Nun lebe man in einem Zeitalter, das mittels ›gynozentrischer Zuchtwahl‹ die Gattung erheben könne. Ward schrieb: »The way to civilize the race is to civilize women«.65 In der feministischen Utopie Herland (1922) ›löst‹ Gilman das Dilemma unbefriedigender Geschlechterordnungen durch einen Frauenstaat, der sich durch Parthenogenese vermehrt. In ihrer brillanten Studie Wayward Reproduction. Genealogies of Race and Nation on Transatlantic Modern State (2004) weist 63 | Zitiert nach Lanser 1993, 244. 64 | Lester F. Ward, Pure Sociology. A Treatise on the Origins and Spontaneous Developments of Society (1903), zitiert nach Degler 1991, 111. 65 | Lester F. Ward, »Our Better Halfs« Forum 6 (November 1888) 274, zitiert nach Newman 1999, 51. Wie zuvor angemerkt hatte aber eigentlich Antonia Blackwell die Priorität für diese Idee.
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Alys Eve Weinbaum darauf hin, dass Gilmans Utopie nicht nur frei von patriarchalischen Strukturen ist (sowie von Heterosexualität, was eine quere Lektüre ermöglicht) sondern auch ethnisch purifiziert ist, ja sich selbst als eine arische (ayran) Gesellschaft versteht. Hier trifft man wiederum auf eine dichte Stelle der gegenseitigen Artikulation von Race und Gender, die insbesondere die feministische Geschichtsschreibung problematisch erscheinen lässt. Obwohl in jüngeren Editionen von Gilmans Werken und in der Gilman Rezeption ihr, wie Weinberg herausarbeitet, »maternalist racial nationalism« (62) erwähnt ist, so wird er doch meist den theoretischen Schriften beigemessen. Den literarischen Werken wird dagegen eine höhere Weisheit zugeschrieben, oder ihr rassisierter Sozialdarwinismus wird als zeitgenössisches ›Fehlurteil‹ relativiert. Was aber eigentlich unternommen werden muss, ist die rassisierten (und im amerikanischen Fall nationalistischen und nativistischen) Grundlagen des modernen Feminismus zu reflektieren. Das heißt im Übrigen nicht, dass das Problem gelöst wäre, wenn man Charlotte Perkins Gilman de-kanonisiert (das beträfe auch viele andere), sondern es muss reflektiert werden, dass eine solche DeThematisierung und Verharmlosung oder ein Einkapseln von Rassismus in der Geschichte des Feminismus das Ergebnis einer nur mit der Kategorie Gender operierenden Suche nach feministischen Vorbildern und Ursprüngen ist. Eine intersektionale Lektüre kann diese Schieflage verhindern. Das einäugige Ergebnis spiegelt in gewisser Weise auch schon seinen ›Ursprung‹ wieder, nämlich Gilmans Emanzipationsutopien für weiße Frauen gegen ein weißes Patriarchat und auf die Kosten nicht-weißer Amerikaner und Einwanderer. Auch Jane Addams bezog sich mit ihrem sozialreformerischen Modell vom Civic Household auf eine revisionistische Neuinterpretationen der Evolutionstheorie. Für sie war der britische Biologe, Stadtplaner und Sozialreformer Patrick Geddes von großer Bedeutung.66 Ebenso wie Lester F. Ward, Gilmans wissenschaftliche Inspiration, war Patrick Geddes von der Prägungskraft der Biologie für das soziale Leben überzeugt, wobei er allerdings die Zeichen der Natur anders las als Ward. Als leidenschaftlicher Verfechter der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung – Geddes sprach von ›ruinösen Resultaten‹ weiblicher Berufstätigkeit67 – formulierte er in The Evolution of the Sex (1889) folgendes Dogma bezüglich der intellektuellen und emotionalen Unterschiede zwischen den Geschlechtern:
66 | Addams besuchte Patrick Geddes bei einer Europareise in London, setzte sich mit seinem Werk auseinander und korrespondierte in der Folge mit ihm. Zum Einfluss von Geddes auf Addams siehe Alaya 1977 und Conway 1970. 67 | Geddes 1889, 268. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG »The differences may be exaggerated or lessened, but to obliterate them it would be necessary to have all the evolution over again in a new basis. What is decided by the protozoa cannot be annulled by an act of parliament […] we must insist upon the biological considerations underlying the relation of the sexes.« (Meine Kursivierung) (267)
Dieser auf der Oberfläche rigide biologische Determinismus bezüglich geschlechtsspezifischen Verhaltens war für Addams trotz allem interessant, da er als Konterbande eine immense Ermächtigung der weiblichen Position enthielt. Nach Geddes war die biologische Notwendigkeit des Geschlechtsunterschieds zwar unveränderlich gesetzt,68 allerdings bewertete er ihn nicht hierarchisch, sondern – wie Blackwell und Gamble – komplementär. Für ihn stellte sich die evolutionäre Position der Frauen als gleich berechtigt wie auch gleich wichtig dar. »It is equally certain that the two sexes are complementary and mutually dependant […] but to dispute whether males or females are higher is like disputing the relative superiority of animals and plants. Each is higher in its own way […].« (270)
Komplementarität und spirituelle Gleichheit war in den Geschlechter-Regimen des 19. Jahrhunderts öfter behauptet worden, sie waren aber bislang meist zu einer Eingrenzung des weiblichen Aktionsradius benutzt worden. Der spezielle Charme der Geddes’schen Konstruktion bestand darin, dass er nicht beim leeren Trost einer Differential Equality stehen blieb, sondern aus der Differenz einen weiblichen Zivilisationsauftrag konstruierte: »The more active males […] may have bigger brains and more intelligence, but the females especially as mothers, have indubitable a larger and more habitual share of the altruistic emotions. The males, being usually stronger, have greater independence and courage; the females excel in constancy of affection and sympathy.« (270f)
Die Thesen Geddes’ adelten den ›größeren Altruismus‹ der Frauen und gewährten damit eine evolutionstheoretische Legitimation für weibliche Bemühungen um Sozialreform. Geddes betonte die Gattungsschutzfunktion der Frau und ihre ›natürliche‹ Neigung, sich dem Sozialen und seiner Verbesserung zu widmen. Mit ihrem auf der Lektüre von Geddes basierendem Modell von ›Civic 68 | Diese ›Gesetztheit‹ ist biologisch begründet in der Zellstruktur und im Organismus. Der weibliche Organismus sei wie die Eizelle anabolisch d.h. passiv und konstruktiv, der männliche Organismus (z.B. das Sperma) katabolisch, nämlich aktiv, aber auch destruktiv (Geddes 1889, 270). Zu einer Analyse der Geddes’schen Theorie des geschlechtlichen Metabolismus siehe Russet 1989, 89-92 und zum Einfluss von Geddes auf Addams siehe Alaya 1977, 270f.
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Housekeeping‹ prangerte Jane Addams dann die männliche Vernachlässigung der Gesundheitsschutz-Gesetzgebung in Fabriken an oder die katastrophalen sanitären Zustände in Chicagos Slums. Sie forderte das Frauenwahlrecht, um diese Art von weiblicher Verantwortung für den ›gesellschaftlichen Haushalt‹ anmahnen und durchsetzen zu können (Addams 1907) und (Addams 1960). Die weibliche Forderung nach politischer Staatsbürgerschaft und damit die Forderung nach dem Wahlrecht gründete sich also in dieser neuen historischen Periode auf die segensreiche Funktion, die Frauen bei der Verbesserung der Menschheit haben. Von einem Gleichheits-, Gerechtigkeits- oder Rechtsanspruch, wie bei den Ladys von Seneca Falls war nicht mehr Rede.69 Jane Addams repräsentierte hier eine von Gilman abweichende Position, mit der Frauen auf den durchgesetzten Evolutionsdiskurs des zunehmenden Geschlechtsdimorphismus reagieren konnten. Sie akzeptierte die vom Wissenschaftsdiskurs vertiefte Geschlechtsdifferenz und die daraus abgeleitete geschlechtliche Arbeitsteilung und machte sie mit dem Modell des Civic Household für weibliche Machtansprüche produktiv. Charlotte Perkins Gilman ging den entgegengesetzten Weg. Die Frauenrechtlerin erklärte die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung für einen Irrweg der menschlichen Evolution und beanspruchte den öffentlichen Raum weiblicher Erwerbstätigkeit. Das hatte auch einen wesentlich radikaleren Reform-Zugriff auf das Geschlechterregime zur Folge. Beide Reformerinnen hatten sich mit dissidentischen Theorien der sozialen Evolution munitioniert – Gilman mit Lester F. Wards gynozentrischer Uminterpretation der sexuellen Zuchtwahl und Addams mit Patrick Geddes’ komplementärem Egalitarismus als Zivilisationsauftrag. Beide verstanden das sozialevolutionäre Modell nicht als schicksalhafte Fixierung, sondern als dynamisch und mit ›Social Engeneering‹ beeinflussbar. Unzählige sozialhygienische Projekte von der Prohibition über das Verbot des Glücksspiels bis zur Kleiderreform speisten sich aus dieser Überzeugung.
2.8 ›White Slaver y‹ Die weibliche Sozialreform setzte häufig bei Fragen moralischer Verhaltensregulierung an, die entweder Männer, bevorzugt niedere Klassen oder anderen Ethnien zum Gegenstand hatten, wie der Kampf um Alkohol- und Glücksspiel, oder es ging um die Bewahrung und Durchsetzung weiblicher Reinheit, wie sie in den Kampagnen zu ›Social Purity‹ zum Ausdruck kam. Prostitution war insofern eine dichte Stelle, in der alle Besorgnisse gebündelt wurden. In diesem Zusammenhang tauchte Ende des 19. Jahrhunderts eine überraschende Vokabel wieder auf, nämlich der Begriff des Abolitionismus. Diesmal hatte Aboli69 | Zu der Verbindung von Weiblichkeitsvorstellung und Sozialreform siehe auch das Kapitel »Jane Addams and Cultural Feminism« in Deegan 1988, 225-246.
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tionismus allerdings nichts mit der Abschaffung eines Sklaverei-Systems oder der Verbesserung des Lebens von Afroamerikanern und Afroamerikanerinnen zu tun, sondern mit der Abschaffung der Prostitution und der Beförderung weiblicher Tugend. Signifikanterweise wurde Prostitution zu jener Zeit ›White Slavery‹ – weiße Sklaverei – genannt. Diese eigenartige Konstruktion setzte voraus, dass es sich bei Prostitution weißer Frauen nur um eine genötigte Tätigkeit handelt, die sich durch Entführung, Vergewaltigung und Freiheitsberaubung sowie Techniken des Hörig-Machens durch ›Sklavenhändler‹ und Zuhälter erklärt. Sozialhistoriker interpretieren die ›White Slave Scare‹ (1900-1903) als ›moralische Panik‹ oder »boundary crises, that translates complex historical anxieties into reassuring melodramatic tales of villainous rogues and hapless maidens« (Diffee 2005, 416). Bis auf wenig abweichende Auffassungen besteht Übereinstimmung darüber, dass es ›Weiße Sklaverei‹ im Sinne eines systematischen Abfangens und Hörigmachens weißer Mädchen im Kern nicht gegeben habe, und dass auch niemals eine große Verschwörung zur Prostitutionsnötigung, den so genannten ›Vice Trust‹ existiert habe.70 Obwohl auch in Europa Anti-Prostitutions-Kampagnen (England, Frankreich, Deutschland) unter der Sklaverei-Metapher gefasst waren, hat die amerikanische Geschichte einen sehr spezifischen historisch-narrativen Bezug zu wirklicher Sklaverei. Sie verweist außerdem auf eine erneute Engführung von Race- und Gender-Diskurse, die sich schon in der obigen Diskussion eines Zivilisationskonzepts, das auf Race-Überlegenheit basiert, gezeigt hatte. Das Feld der Auseinandersetzung ist diesmal die weibliche Tugend. Für eine kurze historische Periode führte dieses Projekt Jane Addams und Charlotte Perkins Gilman, die sonst an sehr unterschiedlichen Fronten arbeiteten und sehr unterschiedliche Konzepte vertraten, zusammen. Gilman zog für eine Zeit in Jane Addams Settlement-Projekt Hull House. Ihre Abhandlung zur Abschaffung der Prostitution New Conscience and an Old Evil (1912) begann Jane Addams mit dem Kapitel »An Analogy«. Sie argumentierte hier, dass die glorreiche Tradition des Anti-Sklaverei-Abolitionismus als ›Transformation von Mitleid in politische Aktion‹71 unerwarteterweise ein uraltes Übel beseitigen konnte, die Sklaverei. Diese Erfahrungen ermutigten dazu, ein Übel, das ebenso so alt und anscheinend gleichermaßen unbekämpfbar sei wie die Sklaverei, in Angriff zu nehmen, nämlich die Prostitution. Die Analogisierung gab Addams auch Richtlinien für eine Strategie, nämlich über 70 | Siehe Keire 2001. In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts führten Ruth Rosen und Mark Thomas eine so genannte ›Myth-versus-Reality‹ Debatte, wo Rosen die Position einnahm, ›White Slavery‹ hätte es als Massenphänomen gegeben. Siehe Rosen 1982, 112-135. 71 | »Transforming pity into social action« (Addams 1912, 134). Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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die massenwirksame Erzeugung von Mitleid eine politische Aktion auf den Weg zu bringen. Das leistete, wie im Folgenden zu sehen sein wird, die ›White Slavery‹-Metapher. Die Strategie, Prostitution mit Sklaverei von weißen Mädchen zu analogisieren, wie jedoch eine gewisse Gewaltsamkeit auf. Das entging der Autorin nicht, denn sie vermerkte gleich zu Beginn ihres Buches: »It is always easy to overwork an analogy« (5). Voraussetzung für die Mobilisierung eines aktivistischen Mitleids war, dass die Opfer des gesellschaftlichen Unrechts absolut unschuldig sind, so wie die Sklaven schuldlos in die Knechtschaft geboren waren. Mit dieser Voraussetzung kommt eine zweite Dimension der Frauen-Sklaven-Analogie ins Spiel: Aus der alten Vignette der Sklavin als hilfloses Opfer sexueller Ausbeutung und der abgeleiteten Denkfigur der weißen Frau als Opfer patriarchaler und rechtlicher Versklavung analogisiert die Anti-Prostitutions-Propaganda die Metapher von der ›Weißen Sklaverei‹. Die in der Forschung häufig als ›moralische Panik‹ apostrophierte ›White Slavery Narrative‹72 war auch ein Modus der Verhandlung sich dramatisch verändernder Verhältnisse von Race, Gender, Sexualität und Nation. Große Teile des Aktivismus konzentrierten sich auf die Gefahren, die der ›unschuldigen‹ weißen Amerikanerin vom Lande drohten, wenn sie in die Stadt und in die neuen Erwerbsstrukturen etwa als Arbeiterinnen oder Ladenmädchen eintraten. In diesem Erzählstrang werden Verführer und Zuhälter aus dem Milieu der gefährlichen Einwanderer besetzt. Jane Addams argumentiert ebenfalls mit der verfolgten weiblichen Unschuld, nimmt aber ihrerseits mehrheitlich schlecht behütete und beschützte junge Immigrantinnen zum Gegenstand ihrer Besorgnis. Beide Erzählplots, der nativistische und der ›fortschrittliche‹, sind im Sinne von Omi/Winant ›Racial Projects‹. Race wird nicht nur als Gegenstand von Verteilungsgerechtigkeit in der Sozialstruktur verstanden, sondern auch als Unternehmen (Projekt) der Produktion von Bedeutung, als eine immer wieder neu ansetzende Erzählung, sozialen Veränderungen ›Sinn‹ zu verleihen: »[…] as contested theme at the level of social signification, of the production of meanings. By the former we mean such issues as the racial dimensions of social stratification and distribution, of institutional arrangements, political systems, laws etc. By the latter we mean the ways in which race is culturally figured and represented, the manner in which race comes to be meaningful as a descriptor of group or individual identity, social issues, and experience.« (Meine Kursivierung) (Winant 1998, 756)
In der ›White Slavery Narrative‹ verflechten sich über Race und Gender laufende Bedeutungsproduktionen zu einem Race-Gender-Projekt. 72 | Zur Genealogie und zum Kontext des Begriffs ›Moralische Panik‹ siehe »Umrisse einer moralischen Panik« in Sabelus 2009, 103-114.
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Das Gender-Projekt dieser zusammengespannten Artikulation kann auf Versatzstücke einer weit zirkulierten sozialen Erzählung zurückgreifen. Die Populärkultur der Jahrhundertwende hatte eine Welle sensationalistischer Geschichten über Prostitution hervorgebracht, die sich binnen Kurzem zu einem Genre entwickelte.73 Die ›White Slavery Narrative‹ ist wie die abolitionistische ›Erzählung‹ von den ›Geschwistern in Ketten‹ ein sentimentales Genre, entsprungen aus den ›Novels of Seduction and Rescue‹ (Beer/Joslin 1999, 6). Ihr Masterplot inszeniert, wie bereits erwähnt, ein junges Mädchen vom Lande, das von einem Sklavenhändler mit einem Eheversprechen oder einem anscheinend harmlosen Angebot für eine Stellung oder eine Bühnenkarriere in die Stadt gelockt wird. Beim ersten Treffen wird sie mit Injektionen, Chloroform oder so genannten ›Knockout-Tropfen‹ betäubt, und findet sich dann eingeschlossen in einem Bordell wieder.74 Das Mädchen wird gerettet, weil es ihr gelingt, einen Zettel auf die Straße zu werfen, worauf ›Hilfe, ich bin eine gefangengehaltene weiße Sklavin‹ steht, den ein Polizist findet, der dann zur Rettung schreitet. Während ihres Aufenthalts in Hull House machte sich Charlotte Perkins Gilman mit der Anti-Prostitutions-Kampagne vertraut. Sie schrieb eine Serie von Kurzprosa. In »The Girl in the Pink Hat« hören zwei reisende Damen im Zug zufällig mit an, wie ein Mann einem offensichtlich unerfahrenen Mädchen Versprechungen macht, um sie in die Stadt zu locken. Sie setzen sich auf die vermuteten Sklavenhändler auf die Spur und können die Unschuld just in diesem Moment durch couragierten Einsatz retten, als der Übeltäter sich anschickt, 73 | Connelly 1980, 115. Mark Thomas Connelly betrachtet die ›White Slave Narrative‹ als eine Kombination der afroamerikanischen ›Slave Narratives‹ als Geschichten von ›Bondage‹ und der alten ›Captivity Narrative‹ – einer weißen puritanischen Texttradition von Entführungsgeschichten Weißer durch Indianer, die die sexuelle und kulturelle Angst der Siedler vor Indianern, Wildnis und eigenen Regelverlust ausdrückte und von Entführten oder Pastoren als Geschichten von Versuchung, Glaubensstärke und Erlösung geschrieben waren Connelly 1980, 116-119. Brian Donovan weist darauf hin, dass die ›Captivity Narrative‹ zwei Standardcharaktere produzierte, nämlich den wilden gefährlichen Indianer und die bedrohte weiße Unschuld, und damit ein Legitimationsmuster für Landnahme, Vertreibung und Ausrottung der ›Indianer‹ lieferte. Die ›White Slavery Narrative‹ dagegen deckt ein größeres und widersprüchlicheres Feld ab, in dem sowohl religiöser Paternalismus als auch Kapitalismuskritik und sowohl auf weiße Suprematie gerichteter Nativismus als auch optimistisches Melting-Pot-Management ausgedrückt werden konnten (Donovan 2006, 17f). Siehe eine aktuelle Zusammenfassung der amerikanischen Diskussion mit europäischen Bezügen (Sabelus 2009). 74 | Dieser Masterplot wurde in vielen populären Romanen der Zeit variiert, besonders erfolgreich in House of Bondage von Reginald Wright Kauffmann und etlichen Stummfilmen. Z.B. TRAFFIC IN S OULS (1913) von George Loane Tucker und THE M USKETEERS OF P IG A LLEY (1912) von D.W. Griffith. Siehe auch Staiger 1995.
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sie ins Bordell zu verschleppen. Selbstverständlich sorgen die Damen auch für die Abstrafung des Verführers (Gilman 1980b). Diese romantische Version der ›White-Slavery-Narrative‹ thematisiert die gerettete Unschuld. In der unromantischen Version, dem pädagogischen Melodrama, verliert das Mädchen seine Jungfräulichkeit und damit ›alles‹ und kann nur noch von der entschlossenen Abolitionistin gerettet werden, indem sie gesellschaftlich nützlicher Arbeit zugeführt wird. In der Geschichte »His Mother« (Gilman 1994) gibt Gilman dieser Art der ›White-Slavery-Narrative‹ eine spezifische Facette. Eine Sitten-Polizistin, die diesen Beruf gewählt hat, um eine frühe uneheliche Vaterschaft ihres Sohnes durch gesellschaftlich nützliche Arbeit zu sühnen, erlangt Kenntnis davon, dass ein Sklavenhändler sich ein Mädchen gefügig machen will. Der auf frischer Tat ertappte Sünder stellt sich bei der Verhaftung als ihr eigener Sohn heraus und wird von der pflichtschuldigen Mutter der Justiz überantwortet. Diese Geschichte verbindet zwei Botschaften: Zum einen, dass das Übel aus dem Herzen der bürgerlichen Familie kommt – ohne Millionen ›anständiger‹ Freier gäbe es keine Prostitution – und zum zweiten, dass es selbstlosester mütterlicher Anstrengung bedarf, um das Problem in den Griff zu bekommen.75 In der Tat wurden die Kreuzzüge für moralische Reinheit (Purity Crusades) überwiegend von weiblichen Reformerinnen getragen,76 deren, in den Worten von Jane Addams, »primitive maternal instinct« (191) sie qualifizierte, das soziale Übel anzupacken. Als Nebeneffekt wurde hiermit auch das Argument gestärkt, dass Frauen das Wahlrecht brauchten. Denn nur mit ihrem interessierten Stimmpotential sei es möglich, das Zögern des (männlichen) politischen Establishments zu überwinden und eine strenge Gesetzgebung gegen Prostitution zu lancieren.77 Indem sie sich die moralische Energie des Abolitionismus sprachlich aneignete und für ihren politischen Kampf einsetzte, erwies sich die
75 | Im Gegensatz zur amerikanischen Debatte wurden z.B. in deutschen Anti-Prostitutions-Kampagnen die Freier und Dienstherren weiblicher Hausangestellter als Verursacher in den Blick genommen, und ihre Straffreiheit als Ungerechtigkeit gebrandmarkt. Im radikalen Flügel des deutschen Anti-Prostitutions-Abolitionismus wurde auch eine Verbindung zwischen Prostitution und Ehe gezogen. Lydia Gustava Heymann schrieb in der Zeitung Die Frauenbewegung (9/1903, 163) »Was nützt uns alle Frauenbewegung, was nützt uns wirtschaftliche Gleichheit, wenn wir Frauen uns nicht aus der Geschlechtssklaverei befreien« (meine Kursivierung), zitiert nach Wobbe 1989, 26-54. 76 | Siehe dazu das Kapitel »The Lady and the Prostitute« in Rosen 1982, 51-69. 77 | Kalifornische Frauen, die das Wahlrecht auf der Ebene des Bundesstaates bereits hatten, nutzen ihre gesammelte Abstimmungsmacht dazu, ein »Abetment Law« zu installieren, das erlaubte, gegen Bordelle zu klagen und damit zur Auflösung der Rotlichtbezirke beitrug (Hobson 1987, 150).
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sozialreformerische White Slavery Narrative als ein ausgezeichnetes propagandistisches Vehikel für den Kampf ums Wahlrecht. Dass Geschichten über Prostitution unter moralischem Deckmantel in einer viktorianischen Gesellschaft populär sind, ist weiter nicht verwunderlich, denn sie erfüllen die Funktion von Pseudo-Pornographie.78 Warum Sozialreformerinnen mit makelloser Reputation dieses Thema aufgreifen und wie Gilman und Addams ihre Abhandlungen mit rührenden Geschichten über »gefallene Mädchen« anreichern, ist dagegen erklärungsbedürftig.79 Es mag daran liegen, dass dieses thematische Feld eine mehrfache Funktion erfüllte: Erstens ist Prostitution eine Allegorie dessen, was Gilman in Women and Economics als ›sexuo-ökonomisches Verhältnis‹ definierte. Prostitution ist ein Verhältnis, in dem die im bürgerlichen Kontext nicht ansprechbare sexuelle Ausbeutung und Abhängigkeit von Frauen in aller Deutlichkeit sichtbar ist – weiße Frauen werden in der Konfabulation der White-Slavery-Narrative von einem Besitzer (Ehemann/Vater/Zuhälter) zu sexuellen Dienstleitungen angehalten. Im Gegenzug werden sie materiell abgesichert, für ihre niedrige Tätigkeit jedoch verachtet. Der Lohn ihrer Arbeit fließt dem Besitzer zu. Sollten die Frauen sich diesem Abhängigkeitsverhältnis entziehen wollen, ist ihre materielle Existenz vernichtet, und möglicherweise wird auch ihre physische Integrität bedroht.80 Über eine Polemik gegen Prostitution kann also eine grundsätzliche Kritik am Geschlechterverhältnis zur Sprache gebracht werden, die sonst in einer sittenkonservativen Gesellschaft nicht thematisiert werden kann: Zweitens findet die weibliche Polemik gegen Prostitution im Namen der weiblichen Tugend statt. Tugend wiederum ist unangefochten eine weibliche Domäne. Die Berufung darauf ist zwar zweischneidig, weil sie ebenso ein patriarchalisches Instrument der Kontrolle von Frauen ist. Wird Tugend aber öffentlich eingeklagt und dabei im Nebeneffekt die männliche Doppelmoral atta78 | Eine ähnliche pseudo-pornographische Funktion hatten auch die Abbildungen halbnackter Frauen ferner Völker in populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie National Geographic, siehe auch Collins/Lutz 1994. 79 | Jane Addams wurde von ihrer Umgebung davon abgeraten, dieses delikate Thema aufzugreifen, denn auch seriöse Thematisierungen von Prostitution liefen Gefahr, dass die Frivolität des Gegenstandes auf die Autorin abfärbte. Entgegen den Befürchtungen ihrer Freunde war das Buch zur White Slavery aber ein großer Erfolg, sowohl finanziell wie in der Kritik. Einzig Walter Lippman mokierte sich über den Sensationalismus des Stils: »A New Conscience and an Old Evil is a hysterical book, just because the real philosophical basis of Miss Addams’ thinking was not deliberate enough to withstand the shock of poignant horrors«, in Walter Lippman, A Preface to Politics (1914), zitiert nach Davis 2000, 183. 80 | Charlotte Perkins Gilman schrieb in Women and Economics auch ganz offen von einer Strukturähnlichkeit zwischen Ehe und Prostitution. Gilman 1900, 65.
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ckiert, hat man eine wichtige Arbeit im Civic-Household in Angriff genommen, die die männliche Herrschaft destabilisiert. Und drittens – und das ist für den hier diskutierten Zusammenhang am wichtigsten – verleiht ein Kreuzzug im Namen der Tugend der Aktivistinnen einen erhöhten Platz in der Zivilisationshierarchie. Schon am Anfang ihrer Überlegungen bestimmte Jane Addams ihr Unternehmen als einen Auftrag ›evolutionärer‹ Gattungshygiene: »Secure in the knowledge of evolutionary processes, we have learned to talk glibly of the obligations of race progress and the possibility of racial degeneration.« (13)
Das Wort ›Race‹ versteht sie hier als Menschheit, wobei der Kontext von Degeneration, wie oben ausgeführt, rassisierende Denotationen eröffnet. In dem konkreten Zusammenhang meinte Addams mit »racial degeneration«, dass das Erbgut durch Verbreitung von Geschlechtskrankheiten geschädigt wird. Besonders wichtig war ihr die Ansteckung der ›anständigen‹ Ehefrauen durch Gatten, die sich als Freier infiziert hatten und die Familien-Fruchtbarkeit und das Erbmaterial der Kinder durch Gonorrhoe und Syphilis beeinträchtigt hatten. Geschlechtskrankheiten würden zu »race deterioration« (131) führen. Charlotte Perkins Gilman widmete den erbbiologischen Folgen der Prostitution einen Roman, The Crux (1911), in der eine Ärztin ihre Freundin vor der Heirat mit einem syphilitischen Bewerber bewahrt.81
2.9 Tugend und Zivilisation Was ist aber nun mit den schwarzen Töchtern und Prostituierten? Sind sie auch Opfer einer ›weißen‹ Sklaverei? Hier wird die oben angesprochene Zweiteilung von Frauen in Zivilisationsträgerinnen und zu zivilisierende Objekte besonders deutlich. ›Niederen‹ Races fehlt nach dieser Grundannahme eine Basisvorstellung von Moralität. Eine schwarze Prostituierte kann deshalb keine ›weiße‹ Sklavin sein, weil eine Unschuld erst dann verdorben werden kann, wenn sie ursprünglich vorhanden war. Dazu hätte es eines zuerst gesunden Familienverbandes bedurft, aus dessen Obhut man fallen kann. Die schwarze Familie hat sich nach dieser Lesart diesen Zivilisationsvorteil noch nicht erarbeitet. Moral 81 | (Gilman 1980a). Addams und Gilman bewegen sich mit der Thematisierung von Geschlechtskrankheiten und Erbgut schon ein wenig aus dem weiß/weiblich dominierten White-Slavery-Abolitionismus hinaus in den sie ablösenden Text eines männlich dominierten Reformprojekts über ›Soziale Hygiene‹ in Gestalt der American Social Health Association (ASHA), die die moralisierenden Texte weiblicher Wohlfahrtsanstrengungen nach und nach mittels professionellem medizinischem Diskurs delegitimierten. Siehe Donovan 2006, 135f.
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wird damit zu einem Indikator für zivilisatorische Über- oder Unterlegenheit. Eine Race, die unfähig oder unwillig ist, ein geschlechtsspezifisches Tugend-Regime aufzubauen, kann zu Recht als ›primitiv‹ betrachtet werden. Races unterscheiden sich demnach neben ihrem biologischen Schicksal auch an ihrer sittlichen Verfasstheit. Der weiß/weibliche neue Abolitionismus der Anti-Prostitutions-Kampagnen ist so verstanden ein Unsittlichkeits-Abolitionismus. Als solcher wird er in die zivilisatorische Mission gestellt, die weiße Race vor Degeneration, also vor dem Absturz auf niedere Stufen der Evolutionsleiter zu bewahren. Hier wird erneut deutlich, dass die ›White-Slavery-Narrative‹ im Omi/Winant’schen Sinne ein ›Racial Project‹ ist, d.h. ein Modus rassisierender Bedeutungsstiftung. Mittels der Sittlichkeitserzählung wird Gruppenmitgliedschaft und Gruppencharakteristik über Grenzziehung hergestellt: zwischen einer weißen Gruppe, deren natürliche Tugend es zu bewahren gilt und deren sittlicher ›Fall‹ nur als extremster Zwang vorstellbar ist, und einer schwarzen (oder Immigranten-) Gruppe, deren ›natürliche‹ Unsittlichkeit eine Gefahr für die ›Integrität‹ der weißen Gruppe ist. White Slave Narrative, solange sie noch in weiblicher Hand war, ist als Race-Gender-Projekt auch ein Instrument, einen Geschlechterkonflikt im Sinne einer politischen Emanzipation zu verschärfen. Nach Charlotte Perkins Gilman war es unzweifelhaft die männliche Unsittlichkeit, die ›Race Detoriation‹ zu verantworten hat. Es bedurfte der moralisch reinen weiblichen Reformerin als avancierter Agentin der Zivilisation, um die Gattung vor einer selbst verursachten Degeneration zu retten. Jane Addams dagegen hielt sich mit der Patriarchatskritik stärker zurück. In Ancient Evil klafft eine sprechende Leerstelle bezüglich der anderen Seite des Vertrages von Sex gegen Bezahlung. Der Freier – als die Einkommensquelle der Prostitution – ist in ihrer Analyse praktisch inexistent. Es werden ausschließlich die Zuhälter als Sklavenhalter und Sklavenhändler angegriffen. Der männliche Doppelstandard wird nur beiläufig erwähnt – bestenfalls in der Nebenbemerkung, dass nur ›gute‹ Männer es erwägen würden, mit eigener Keuschheit zur Abschaffung der Prostitution beizutragen (197). Während die Race-Hierarchie in Addams’ Zivilisationskonzept sozusagen im Subtext verborgen ist, schob sie sich bei einer anderen berühmten Reformerin der Epoche, der Führerin der Women’s Christian Temperance Union WCTU für ein generelles Alkoholverbot, Frances Willard, stärker in den Vordergrund. Sie kämpfte im Gegensatz zu Addams offen für die Aufhebung des männlichen Doppelstandards. Mit dem Slogan »A White Life for Two« fasst sie die Forderungen nach lebenslanger Alkoholabstinenz, vorehelicher Keuschheit und anschließender Monogamie zusammen. Die Notwendigkeit des weiblichen Wahlrechts begründet sie mit der Chance, endlich Prohibition und gesellschaftliche Reinheit (Purity) durchzusetzen:
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Die Farbe Weiß war bei Willard in diesem Zusammenhang weit mehr als ein metaphorischer Zufall. In den neunziger Jahren gab die Reformerin eine Reihe von Interviews, in denen sie die Tugend der weißen Frau mit der angeblichen Gefahr kontrastierte, die ihr insbesondere von betrunkenen schwarzen Männern drohe: »The safety of the [white] woman […] is menaced in a thousand localities«.83 Die afroamerikanische Publizistin und Verlegerin Ida B. Wells protestierte scharf und öffentlich und hielt dagegen, dass Willards Sichtweise nur falsche und niedrige Rechtfertigungsargumente für grausame Lynchmorde wiederhole, die nach der Sklavenbefreiung endemisch wurden. Von einer Gefahr, die von schwarzen Männern für weiße Frauen im Süden ausginge, könne keine Rede sein, schrieb Ida B. Wells. Wenn es überhaupt eine Beziehung zwischen einem schwarzen Mann und einer weißen Frau gäbe, dann sei diese in der Regel freiwillig. Zu Lynchings käme es bei der Entdeckung einer solchen Beziehung, und zwar dann, wenn die weiße Frau – zu feige, sich zu ihrem schwarzen Liebhaber zu bekennen – behaupte, von ihm genötigt worden zu sein: »White men lynch the offending Afro-American, not because he is a spoiler of virtue, but because he succumbs to the smiles of white women.« (Wells 1892, 6)
Die weiße Reformerin Frances Willard war zutiefst geschockt von der Vorstellung einer freiwilligen Verbindung weißer Frauen und schwarzer Männer. Sie unterstellte Ida B. Wells, mit ihren Behauptungen einen regelrechten Anschlag auf die weiß-weibliche Tugend ausgeführt zu haben. Willard bewegt sich hier ganz in der Tradition des – wie weiter oben erläutert – ›Unaussprechlichen‹, denn sie umschreibt ihren Gegenstand mit »nameless acts«: »It is my firm belief, that the statements made by Miss Wells concerning white women having taken the initiative in nameless acts between the races, she has put an imputation upon (the female) half of the white race.« 84 82 | Frances Willard, »Presidential Address« in Minutes of the National Women’s Christian Temperance Union at the Nineteenth Annual Meeting (Chicago Women’s Temperance Publishing Association 1992, 128). Zitiert nach Newman 1999, 66. 83 | Westminster Gazette, 12. Mai 1894; zitiert in Ware 1992, 203. Das erste Interview war 1890 unter dem Titel »The Race Problem. Frances Willard on the Political Puzzle of South« in Voice (New York 23. Oktober 1890) erschienen, in dem Willard die Rückführung der Afroamerikaner nach Afrika empfohlen hatte. 84 | Zitiert in Ware 1992, 208, nach Ida B. Wells A Red Record. Tabulated Statistics
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Der über fast vier Jahre erbittert geführter Streit zwischen Frances Willard und Ida B. Wells zeigt deutlich, wie wichtig das Konzept der Tugend für die Behauptung einer weiß-weiblichen Zivilisationsüberlegenheit war. Diese in Zweifel zu ziehen – gar durch eine schwarze Journalistin – konnte auf keinen Fall hingenommen werden. Und obwohl Frances Willard Lynching scharf ablehnte, und Ida B. Wells eine leidenschaftliche Befürworterin der Prohibition war, war die Behauptung der Tugend der weißen Frau als Indikator ihrer Zivilisation für Willard weitaus zentraler als die Gemeinsamkeiten in den Lebensprojekten beider Reformerinnen. D.h. für Willard war weiße Suprematie wichtiger als eine inhaltliche Allianzmöglichkeit mit einer einflussreichen schwarzen Frau, oder radikalisiert gesagt: der Tugenddiskurs war das zentrale Mittel, Race-Hierarchie zu behaupten und herzustellen. Aber auch Jane Addams – in der Race-Frage um Lichtjahre progressiver als Frances Willard85 – war gleichermaßen in das Dogma der überlegenen weißweiblichen Tugend verstrickt. Das zeigt sich in einer Stellungnahme zu Lynching. Politisch einer egalitären Demokratie und der gemeinsamen Humanität von Schwarz und Weiß verpflichtet, folgte Addams gerne der Bitte der progressiven Zeitschrift Independent, eine Protestnote gegen Lynching zu veröffentlichen. Sie packte das Thema mit einer trickreichen rhetorischen Geste an, indem sie eine intelligente Verteidigung von Lynching aus der Perspektive eines Südstaaten-Kavaliers anbietet: »Let us assume that Southern citizens who take part and abet the lynching of certain class of crimes; that they have become convinced that the Southern Negro in his present underdeveloped state must be frightened and subdued by terror […].« (Meine Kursivierung) 86
An anderer Stelle im gleichen Artikel spricht sie von einer »peculiar class of crime committed by one race against another […]« (24). In beiden Äußerungen setzt Addams als wahr voraus, dass es sich bei Lynching um eine zu kritisierenand Alleged Causes of Lynchings in the United States 1892-1893-1894 (Chicago, 1895, 80). Siehe eine Gesamtdarstellung der Interview-Serie und des Konflikts bei Ware 1992, 198-212. 85 | Sie war eine der wenigen Zeitgenossinnen, die auf der Alltagsebene ›de-segregierte‹. Sie hatte eine Abordnung schwarzer ›Club-Women‹, die auf einer Konferenz in Chicago war, nach Hull House zum Lunch geladen, W.E.B. Du Bois dort zu einem Vortrag aufgefordert und Ida B. Wells dabei unterstützt, die Segregation der öffentlichen Schulen in Chicago zu verhindern. 86 | Erschienen unter dem Titel »Respect for the Law« in The Independent 3. Januar 1901, 20. Dokumentiert in Aptheker 1977, 24. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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de Selbstjustiz wegen einer tatsächlich stattgefundenen Vergewaltigung einer weißen Frau durch einen schwarzen Mann handele. Im Laufe des Artikels führt sie zwar die Südstaaten-Argumente ad absurdum, ihre Kritik an der LynchingPraxis zielt allerdings nur gegen die Selbstjustiz, nicht auf die zugrundeliegenden Legitimationsstrategien der weißen Täter. Addams zweifelte nicht an, dass es tatsächlich eine schwarz-männliche Neigung geben könnte, sich gewaltsam an weißen Frauen zu vergreifen. Ida B. Wells machte auch gegen Jane Addams Front. Seit Jahrzehnten hatte die Journalistin versucht, von ihr recherchierte statistische Informationen zur Lynchjustiz in den Südstaaten im politischen Diskurs zu etablieren. So wies sie nach, dass nur in einem Fünftel der Lynchings überhaupt der Vorwurf von Vergewaltigung erhoben wurde. Rechnet man die völlig unschuldigen Lynchopfer ab, war nach Wells bei den restlichen Fällen davon auszugehen, dass es sich meist um einverständige Sexualakte gehandelt habe.87 In einer zornigen Replik auf Jane Addams’ Artikel wies Wells zuerst auf deren Verdienste als Demokratin und Menschenrechtlerin hin, um dann umso heftiger den Bärendienst zu beklagen, den eine solche Unterstützung der Anti-Lynch-Kampagne erwiese. Jane Addams war über die genauen Zahlen hochwahrscheinich informiert. Sie wurden jedes Jahr als Mahnung in der jeweils ersten Nummer der Chicago Tribune veröffentlicht, und Addams war eine der bestinformierten Frauen ihrer Epoche, was soziale Ungerechtigkeit anbelangte. Jedoch registrierte ihr politisch Unbewusstes nur den Mythos vom schwarzen Vergewaltiger. Addams Fixierung auf eine weibliche sexuelle Opfer-Trope ruft das Echo einer langen Zeichenkette von rassisiert sexuellen Analogien auf und deren Sinnverschiebungen und Einordnungen in Hierarchien von Zivilisation. Dieses kulturelle Zeichensystem war zum ersten Mal mit der frühen Frauen-SklavenAnalogie des Abolitionismus aufgetaucht, als es über die sexuelle Ausgesetztheit der Sklavin gebildet wurde. Eine neue Variation bekommt es über die Verklammerung beider Bevölkerungsgruppen – der weißen Frauen und der Afroamerikaner beiderlei Geschlechts – im Konstrukt der ›niedrigen Races und Geschlechter‹ männlicher Theorien der sozialen Evolution. Der weiß-weibliche Ausweg aus dem Definitionsraum von Primitivität und Inferiorität war das Wiedererklimmen der Zivilisationsleiter über ein Primat der Tugend. Jane Addams’ 87 | Ida B. Wells wäre für diese Behauptung, die sie zuerst in ihrer Zeitung The Memphis Free Speech veröffentlicht hatte, fast selbst gelyncht worden. (Das Lynchen schwarzer Frauen war ein durchaus seltenes Phänomen). Sie verlor ihre Zeitung und konnte nie wieder nach Memphis zurückkehren (Aptheker 1977, 15). Die Zahlen stammen von Ida B. Wells aus ihrer Entgegnung auf Jane Addams »Lynching and the Excuse for it« in The Independent vom 16. Mai 1901. Im Zeitraum zwischen 1896 und 1900 wurden von 504 Lynchopfern 96 der Vergewaltigung bezichtigt, 1896 waren es noch 38 Prozent gewesen, 1897 18 Prozent und 1900 11 Prozent. Dokumentiert in Aptheker 1977, 29.
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und Charlotte Perkins Gilmans Teilnahme an der White Slavery-Kampagne war insofern kein beliebiges Projekt der Sozialreform, sondern Vehikel eines Anspruchs auf zivilisatorische Überlegenheit. Weiße Frauen zeigten sich nicht nur selbst als tugendhaft, sondern kämpften aktiv für die Tugend derjenigen weißen Frauen, die der ›Sklaverei‹ von männlichem Kommerz und Trieb in die Hände fallen und damit zu Quellen der Gattungs-Degeneration werden könnten, wobei neben dem Zivilisationsprojekt eugenische Fragen der Race-Verbesserung angesprochen sind.88 Die kulturelle Figur des schwarzen Vergewaltigers ist die Nachtseite dieses weiß-weiblichen Gleichheitsanspruchs gegenüber dem weißen Mann qua Zivilisation. Seine Existenz wird bei der Analogisierung von Prostitution mit White Slavery notwendig mitproduziert. Sie ist zudem das Vorzeichen einer neuen Konstruktion, die im beginnenden 20. Jahrhundert die Vorstellungen von Blackness bestimmen wird, die der bedrohlichen ›schwarzen‹ Sexualität. Das evolutionistische Paradigma von ›un-entwickelt‹ (inferior) – wenn auch nicht als permanent und an die Hautfarbe geheftet verstanden – hat über die Trope von Primitivität implizit das Phantasma von der ungezähmten Sexualität der Wilden im Gepäck.89 Eine alte Analogisierung von primitiv und wild (savage) transferierte das gemeinsame Dritte der Primitiv/Kind-Analogie von unreif/unentwickelt zu animalisch. Die Vorstellung einer Animalität des Wilden löste sich sodann von der Kindheitsparallele und verschob sich auf das Feld der Sexualität.90 Damit werden die ›unrestrained‹ und ›undeveloped‹ Races zur sexuellen Gefahr. Jane Adams trug – sicherlich gegen ihre besten Absichten – zu dem bei, was Ida B. Wells als »Black-Man-as-Rapist-Syndrom« bezeichnete. Es ist die Whiteness des Tugendkonzeptes und ihre Funktion zur Sicherung von Zivilisationsüberlegenheit, die es auch einer Frau wie ihr nicht erlaubte, ihre Perspektive auf nicht-weiße Races außerhalb der Zeichenkette primitiv = sexuell-aggressiv = unmoralisch zu entwickeln. Trotz ihrer unterschiedlichen sozialpolitischen Ausrichtung teilte Charlotte Perkins Gilman mit Jane Addams die Grundauffassung, dass die Tugend ›weiß‹ 88 | Zu Gilman und Eugenik siehe Davis 2003, 61-106. 89 | Die Prohibitionspropagandistin Willard stellte sich die Gefahr, die vom schwarzen Mann ausgehen könnte, noch vermittelt über seinen angeblichen exzessiven Alkoholgenuss vor. 90 | Siehe auch eine Analyse von Jacqueline Dowd Hall: »The ideology of racism reached a virulent crescendo, as the dominant image of blacks in the white mind shifted from inferior child to aggressive and dangerous animal«, zitiert nach (Wiegman 1995, 45a). In diesem Lichte besehen war es sicher kein Zufall, dass die zeitgleich entstehende Psychoanalyse sich zum ersten Mal mit der frühkindlichen Sexualität beschäftigte. In der oben beschriebenen Diskursverschiebung von Kindheit, Primitivität, Wildheit, Animalität und Sexualität ist man beim diskursiven Instrumentarium der Psychoanalyse angekommen.
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und weiblich sei und so verstanden das eigentliche Zivilisierungsinstrument der Gesamtgesellschaft. Das Konzept von White Slavery hat damit einen emblematischen Wert. Es konnotiert Unmoral mit einer früheren Zivilisationsstufe, es hebt die prinzipielle Unschuld der weißen Frau hervor – selbst wenn sie in die Fänge der Prostitution geraten war –, und als Subtext metaphorisiert es ›das sexuo-ökonomische Regime‹ (Gilman) als Sklaverei. Wenn also White Slavery ein degenerativer Rückfall im weißen Zivilisationsprozess ist, der durch reformerische weibliche Bemühungen behoben werden kann, Prostitution in primitiven Gesellschaften aber die Regel ist, die auch der Zivilisationsstufe von schwarzen Männern und Frauen entspricht, dann ist die Natur der Unmoral schwarz und die natürliche Farbe der Tugend weiß.
2.10 Queering Jane Addams Nun ›artikuliert‹ Jane Addams nicht nur die Kategorien Race (Unmoral) und Gender (Tugend), sondern auch die Frage von Heterosexualität hat in ihrem Fall eine unheimliche Präsenz oder man kann auch sagen eine offene Nicht-Präsenz. Die Frauen, mit denen sie in enger Beziehung gelebt und gearbeitet hat, benennt sie in der Einleitung ihrer Autobiographie im Neutrum als ›people‹: »The people with whom I have so long journeyed have become so intimate a part of my lot that they cannot be written of either in praise or blame […] that it is difficult to discuss them.« (Addams 1910, 1)
Sie gibt damit gleichzeitig eine ›intime‹ Verbindung (allerdings mit ›Leuten‹) zu, bestreitet dieselbe und nimmt sie aus der Diskussion. Die diskursive Strategie der Entnennung und Dethematisierung entzieht ihre Lebensform dem ›Wissen‹ von Dritten, und sie fliegt sozusagen als ›unkennnbare‹ Figur unter dem Radar eben jener sozialen Kontrolle, die sie für die Erhebung von afroamerikanischen Mädchen ins Reich der Tugend so dringlich empfohlen hatte. Die in der Regel von unverheirateten Frauen – oft in Zusammenhang mit Colleges – gegründeten Settlement-Houses waren erste Kernzellen einer professionellen Sozialarbeit, die Verantwortung für das großstädtische Elend der Industrialisierung und der großen Einwanderungswellen übernahm. Gleichzeitig boten sie eine Existenzform für gebildete Frauen. Jane Addams fand mit dem Settlement-House eine Lebensmöglichkeit jenseits der Ehe und der Kontrolle, die die Familie sonst gegenüber ihren unverheirateten Töchtern ausübte.91 Addams räumte diese subjektive Motivation für die Settlement-Bewegung immer ein. Sie schrieb, dass viele College-Abgängerinnen dazu verdammt seien, unter91 | Siehe »The College Woman and the Family Claim« The Commons III (Sept. 1898), 3-7, zitiert nach Davis 2000, 64.
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beschäftigt in Seelenqual und Neurasthenie dahinzutreiben. Diese Frauen könnten sich selbst helfen, indem sie den Armen hülfen. Recht ungeschminkt sagte sie einmal, sie wolle eine Institution »for invalid girls to go and help the poor« gründen. Carol Smith-Rosenberg beschreibt die innere Dynamik des SettlementHouse folgendermaßen. »A sororal intensity marked the inner dynamics of the settlement house [… they] called one another ›sister‹. Teachers and settlementhouse founders were loved as ›mothers‹« (Smith-Rosenberg 1985, 254). Für die kosmopolitische Reformerin und Symbolfigur des amerikanischen ›Progressivism‹, Jane Addams, waren diese Lebensarrangements riskant, da sie historisch in jener Zeit bedeutend wurde, als es zur Verwissenschaftlichung (Psychiatrie und Sexualwissenschaft) und Diskriminierung der Lesbierin als medico-soziologische Kategorie kam und gleichzeitig die Figur der unverheirateten weißen Frau (Spinster) als nationale Gefahr angesehen wurde (Duggan 2001) und (Franzen 1996). Die nativistische Angst, als Weiße in die Minderheit zu geraten, warf kinderlosen weißen Frau aktive Beteiligung an ›Race-Suicide‹ vor (Herring 2007, 35f). Queer-Theoretiker Herring liest Jane Addams als ›philantropic slummer‹, die sich der sozialen Kontrolle ihrer häuslichen Arrangements durch das mitten in den Slums gelegenen Settlement-House entzogen habe. Die in einem bürgerlichen Viertel inzwischen verdächtige Kohabitation unverheirateter weißer Frauen würde durch ihre funktionale Positionierung – eng mit und unter dem sexuell noch nicht disziplinierten Proletariat zu leben – unsichtbar gemacht (Herring 2007, 35f). Addams schreibt an zentraler Stelle in Twenty Years of Hull House, dass es immer ihr innigster Wunsch gewesen sei »to be swallowed an digested and to disappear in a bulk of people« (Addams 1910, 178-179) . Von diesem Standpunkt aus gelesen bekommt die von unverheirateten Frauen gesteuerte Settlement-Bewegung der amerikanischen Sozialreform der Jahrhundertwende noch eine ganz andere Dimension. Sie wird auch zu einem Unternehmen, Formen weiß weiblicher – sexueller und platonischer – Kommunalität von unverheirateten Frauen zu ermöglichen. Die Wahl des Aktivismus, Kampagnen zur moralischen Verbesserung, wie Prostitution, ›Social Purity‹ und Temperenz, fungiert damit als einen Art von Nebelwand, die eigene ›prekäre‹ Sexualität aus dem Blick zu nehmen. Dieses empfindliche Setting hindert Addams allerdings nicht daran, Disziplinierung durch Sexualität, die das (weiß/weibliche) Bürgertum schon lange erreicht hatte, mit Zeitverzögerung auf das Proletariat zu übertragen.92 Hier propagiert sie Heteronormativität – im Sinne von geordneten, eheförmigen, reproduktiven heterosexuellen Verhältnissen. Damit verlinkt sich ein Emanzipations- und Anerkennungsmodell (unkontrollierte lesbische Lebens92 | Michel Foucault schrieb: »Man muss sagen, dass es eine bürgerliche Sexualität und eine Klassensexualität gibt. Oder dass die Sexualität in ihrem historischen Ursprung bürgerlich ist und dass sie in ihren sukzessiven Verschiebungen und Übertragungen zu spezifischen Klasseneffekten führt« (Foucault 1983, 153).
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formen bei gleichzeitig hohem sozialem Ansehen) für weiße Frauen mit einem historisch nachfolgenden Disziplinierungsmodell für die niederen Klassen und Races (Männer und Frauen). Diese Modelle dienen in ihrer spezifischen Artikulation von Gender und Klasse als Ermöglichungsraum für ›perverses‹ Begehren.
D IE B ÜRDE DES S CHWARZEN M ANNES – W.E.B. D U B OIS UND DIE W EISSE F R AU 2.11 Race und Zivilisation Die neue Herrschaft des Sozialdarwinismus und seiner Erzählungen über niedere Races und Geschlechter93 stellte nicht nur für Frauenemanzipation sondern auch für einen möglichen Raceemanzipationsdiskurs ein großes Hindernis dar. Auch die afroamerikanische Intelligenz kämpfte mit dem evolutionistischen Urteil ihrer angeblichen Zurückgebliebenheit und Primitivität. Der bedeutendste afroamerikanische Intellektuelle seiner Zeit, W.E.B. Du Bois, machte eine komplexe Entwicklung von Anpassung und Widerstand durch, bevor er Darwins Diktum von den niedrigeren Races und Geschlechtern wie folgt kommentierte: »The statement that woman is weaker than man is sheer rot: It is the same sort of thing that we hear about the ›darker races‹ and ›lower classes‹. Difference, either physical or spiritual, does not argue weakness or inferiority. That the average woman is spiritually different from the average man is undoubtedly just as true as the fact that the average white man differs from the average Negro […] it is unconceivable that any fair minded person could for a moment talk about a ›weaker‹ sex. The sex of Judith, Candace, Queen Elizabeth, Sojourner Truth and Jane Addams was the merest incident of human function and not a mark of weakness and inferiority.« (Meine Kursivierung) (Du Bois 1915, 29)
Die Existenz von physischen und spirituellen Differenzen berechtige nicht zu irgendeinem Rückschluss auf Schwäche oder Unterlegenheit, sagt hier Du Bois. Er konstruiert eine Parallele von dunkleren Races und niederen Klassen auf der einen Seite und dem ›schwachen‹ Geschlecht auf der anderen Seite. Geschickt nutzt er hier den Zivilisationsanspruch der weißen Frau – interessanterweise ist Jane Addams die einzige weiß-amerikanische Zeitgenossin, die er mit einer 93 | Donna Haraway rechnet Evolutionstheorien zu den Ursprungsgeschichten, mit denen sich Menschen erzählen, wie sie unter den »quälenden Realitäten von Rasse, Klasse und Geschlecht miteinander leben möchten, und was es bedeutet, menschlich zu sein« (Haraway 1995b, 140, 152). Zu Evolutionstheorie als »Erzählung«, siehe auch Haraway 1981 und Latour/Strum 1986.
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Erwähnung adelt –, um sozusagen im Nebensatz die zivilisatorische Gleichheit des »Negro« einzufordern. Dazu hatte er sich nicht immer berechtigt gefühlt. In seiner Autobiographie Dusk of Dawn (1940) berichtete Du Bois, dass er in seiner Harvard-Ausbildung vom ersten Tag an mit einem wissenschaftlichen Race-Dogma der schwarzen Unterlegenheit konfrontiert worden sei, dessen Wahrheit auch er akzeptiert habe, weil es sich ihm als der durchgesetzte Stand der zeitgenössischen Wissensordnung präsentierte. Du Bois tröstete sich mit einer Vorstellung von schneller sozialer Evolution, die den Entwicklungsabgrund zwischen den Races in naher Zukunft für überwindbar hielt.94 Die »half developed« Races, von denen er 1899 in seiner soziologischen Studie The Philadelphia Negro noch gesprochen hatte, würden sich dann in einer beschleunigten sozialen Evolution auf die gleiche Ebene hinaufschwingen wie die entwickelten, sprich die weißen, Races. Denn wie Darwin schon gesagt habe, überwiege die innere Gleichheit die physische Ungleichheit der Races bei weitem, und auf dieser Tatsache beruhe die ›wissenschaftliche Doktrin von der menschlichen Brüderlichkeit‹.95 Die Du Bois-Forschung ist mehrheitlich der Auffassung, dass der afroamerikanische Vordenker sich zur Jahrhundertwende u.a. durch den Einfluss des kulturalistischen Denkens des deutsch-amerikanischen Anthropologen Franz Boas aus den Fallen des sozialdarwinistischen Denkens gelöst habe.96 Der Philosoph Kwame Anthony Appiah dagegen argumentiert, dass Du Bois sein ganzen Leben lang von der ›Natürlichkeit‹ zivilisatorischer Race-Unterschiede überzeugt geblieben sei (Appiah 1986). In der Gründungsschrift einer Negro Academy »The Conservation of Races« maß Du Bois noch 1897 jeder einzelnen Race einen unterschiedlichen Kulturauftrag zu, wobei die speziellen Talente schwarzer Menschen, wie Musikalität, Humor und Altruismus dafür vorgesehen seien, die ›geldgierige Plutokratie‹ gegenwärtiger »teutonic White94 | In Dusk of Dawn schrieb Du Bois: »I could accept evolution and the survival of the fittest, provided the interval between the advanced and the backward races was not made too impossible« (Du Bois 1986b, 626). 95 | In seinem Aufsatz »The Conservation of Races« (1897) schrieb Du Bois: »[…] so far as pure physical differences are concerned, the differences of men do not explain the difference in history. It declares, as Darwin himself said, that great as is the physical unlikeness of the various races of men their likeness are greater, and upon this rests the whole scientific doctrine of Human Brotherhood« (Du Bois 1986a, 816). 96 | Die Du Bois-Forschung datiert seine Loslösung vom sozialdarwinistischem Denken unterschiedlich. Arnold Rampersad hält die Entwicklung Du Bois’ mit dem Gründungsdokument der ›Niagra-Bewegung‹ von 1906 für abgeschlossen (Rampersad 1976, 98). David E. Blight und Robert Gooding Williams sehen diese Entwicklung schon 1890 vollendet (Du Bois 1997, 9). Zum Einfluss von Franz Boas auf Du Bois siehe Liss 1995 und Williams 1996.
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ness« abzumildern.97 Anthony Appiah kritisiert, dass Du Bois dem klassischen Fehlschluss aller unterdrückten und ausgegrenzten Bevölkerungen zum Opfer gefallen sei, das negative Urteil über ihre Gruppe durch positive Umwertung letztendlich doch zu bestätigen. Damit habe der wichtigste Vertreter des afroamerikanischen Emanzipationsdiskurses im frühen 20. Jahrhundert letztlich keinen Weg aus dem Ghetto des biologischen Essentialismus gefunden.98 Wie lange und wie stark Du Bois das evolutionistische Paradigma beibehielt, ist schwer zu entscheiden. Zweifellos geht Du Bois von einem Entwicklungsdefizit der Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen aus, das kompensiert werden muss. Dafür sprechen Vorstellungen von den talentierten zehn Prozent (Talented Tenth), die Benennung einer Bürgerrechtsorganisation als Verein zum ›Voranbringen‹ farbiger Menschen (National Association for the Advancement of Colored People) und die immer wieder verwandte Vokabel vom ›Hochziehen‹ der benachteiligten Race (Race-Uplift). Hier tut sich eine wichtige Parallele auf zwischen den weiß-weiblichen Zivilisationsansprüchen und Du Bois’ eigenen Vorstellungen. Auch er hielt die Frage der Moral für entscheidend für ›Race-Uplift‹. Interessanterweise entwickelte Du Bois diese Vorstellung am klarsten in dem schon oben erwähnten Text, der seine frühe Bindung an den evolutionistischen Diskurs am deutlichsten zeigt, nämlich in »The Conservation of Races«. Die Haupthindernisse, die sich nach seiner Auffassung dem Aufblühen der schwarzen Race entgegenstellten, waren Unmoral, Kriminalität, sexuelle Promiskuität und Prostitution. Die neu geschaffene Negro Academy müsse sich vereinigen, um die sozialen Übel abzustellen: »United to stop the ravages of consumption among the Negro people, united to keep black boys from loafing, gambling and crime, united to guard the purity of black women and to reduce the vast army of black prostitutes that is today marching to hell. […] Unless we conquer our present vices they will conquer us, we are diseased, we are developing criminal tendencies, and an alarmingly large percentage of our men and women are sexually impure […] The Academy should seek to gather the talented, unselfish men, the pure and noble minded women, to fight an army of devils that disgraces our manhood and our womanhood.« (Meine Kursivierung) (Du Bois 1986a, 83, 84f)
97 | Vgl. Du Bois 1986a, 822. 98 | Zu Appiahs Vorwurf entstand eine heftige Kontroverse innerhalb der afroamerikanischen Du Bois-Forschung, die im Band W.E.B. Du Bois. On Race & Culture (1996) dokumentiert ist (Bell/Grosholz/Steward 1996). Siehe dabei besonders die Aufsätze von Lucius Outlaw und Robert Gooding Williams, die Appiahs Einschätzung weit von sich weisen und Du Bois nach der Jahrhundertwende als einen kulturrelativistischen Kritiker jedes Race-Naturalismus interpretieren. Siehe Gooding-Williams 1996 und Outlaw 1996.
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An dieser Stelle berühren sich die Kampagnen für sexuelle Reinheit der weißweiblichen Sozialreform und Du Bois’ Race-Reformprojekt. In beiden Konzepten ist Zivilisationsfortschritt an Moralität gebunden. Doch für ein politisches Bündnis, das sich an dieser Überschneidung hätte entwickeln können, waren die Zeiten nicht mehr geeignet. Du Bois erkannte sehr wohl, dass der weiß-weibliche Zivilisationsdiskurs sich auf Kosten und in Abgrenzung zu den ›niederen‹ Races entwickelt hatte. Obwohl er, wie schon Frederick Douglass, ein unerschütterlicher Unterstützer des Frauenwahlrechts war – und blieb –,99 begleitete er das Abrücken weißer Reformerinnen vom naturrechtlichen Egalitarismus des alten abolitionistischen Paradigmas mit deutlicher Kritik. 1911 beklagte er in einem Leitartikel der Crisis, dass die ›Negerfrage‹ (Negro Question) zu einem strategischen Mittel verkommen sei, jede nur denkbare soziale Gefahr an die Wand zu malen, womit er sich zu einem frühen Theroetiker der später von Omi/Winant formulierten ›Racial Projects‹ machte: »The nemesis of every forward movement in the United States is the Negro question. Witness Woman Suffrage, The Liquor Question, Political Reform, the various efforts to rectify the Christian Church, and Socialism.«100
Von den weißen Reformerinnen schätzte er nur Fanny Garrison Villard, die Tochter des Abolitionisten William Lloyd Garrison, und Mary White Ovington, die über fast zwei Jahrzehnte mit Du Bois für die NAACP arbeitete.101 Mit Jane Addams, die Du Bois wegen ihres nationalen moralischen Prestiges in die Gründung der NAACP einband,102 hatte er ein besonderes, und in diesem Zusammenhang, erhellendes Verhältnis. Zum einen war Addams eine der ganz wenigen weißen Sozialreformerinnen, die sich aktiv mit Anti-Diskri99 | Du Bois 1911, Du Bois 1915 und Du Bois 1917. Die beiden letzten Du Bois Aufsätze sind nachgedruckt in Lewis 1995. Siehe zu Du Bois und der weißen Frauenrechtsbewegung auch Marable 1976, 78f. 100 | Du Bois 1911, 243f. Du Bois bestritt leidenschaftlich den aus der Frauenrechtsbewegung häufig vorgebrachten Vorwurf, dass die Stimmen der schwarzen Amerikaner bislang die lokalen Volksabstimmungen über das Frauenwahlrecht auf der bundesstaatlichen Ebene zu Fall gebracht hätten, und verdächtigt die Frauenverbände einer Politik, die lediglich weißen Frauen zum Wahlrecht verhelfen wolle. 101 | Zu Mary White Ovington siehe Kapitel 2, S. 201-204 und S. 232-234. 102 | Seine Wertschätzung von Addams kostete ihn die Sympathien der schwarzen Anti-Lynching-Aktivistin Ida B. Wells und erschwerte die Koordination des Kampfes gegen Lynching erheblich. Joy James untersucht Du Bois’ ›Maskulinismus‹ gegenüber schwarzen Frauen und weist nach, dass Du Bois Wells sogar vorsätzlich von der Liste der NAACP Erstunterzeichner streichen ließ und die NAACP systematisch ihre Publikationsarbeit zur Lynchjustiz unterschlug (James 1997, 153).
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minierungs-Politik beschäftigte. Sie lud berühmte Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen nach Hull-House ein, z.B. Booker T. Washington mit Gattin, auch Du Bois selbst. Als die National Convention of Colored Women in Chicago tagte, gab sie einen Empfang für die Teilnehmerinnen. Sie bekämpfte politisch die Segregationsversuche an öffentlichen Schulen. Auch beteiligte sie sich, wie weiter oben schon erwähnt, an der Anti-Lynching-Kampagne. Der zweite Punkt war aber noch entscheidender: Du Bois war sich mit Addams darüber einig, dass Tugend und moralische Reinheit eines der Hauptvehikel für Zivilisation darstellte. Auch er sah afroamerikanische Prostitution als einen Effekt unvollständiger, nicht-monogamer Familien: »The great weakness of the Negro family is still the lack of respect for the marriage bond, inconsiderate entrance into it, and bad household economy and family government. Sexual looseness than arises as a secondary consequence, bringing adultery and prostitution in its train.«103
Diese geistige Verwandtschaft motivierte Du Bois, Jane Addams in der zweiten Nummer des Zentralorgans der NAACP, Crisis, um einen Artikel über die moralische Reform der schwarzen Bevölkerung zu bitten. Addams schrieb darin, dass soziale Kontrolle (Social Control) von eminenter Bedeutung sei, die nach ihrer Auffassung nur durch Familienaufsicht zu bewerkstelligen sei. Dann verglich sie die Chancen armer italienischer Immigrantinnen, der Prostitution zu entgehen, mit denen von jungen Afroamerikanerinnen, die nach ihren Angaben in großer Zahl ein »disreputable life« (119) führen: »The Italian parents represent the social traditions which had been worked out during centuries of civilization, and […] through these customs and manners the new groups are assimilating into civilization […] A group of colored girls, on the other hand, are quite without this protection. If they yield more easily to the temptations of a city than
103 | W.E.B. Du Bois, The Philadelphia Negro (1899), zitiert nach Scott 1997, 4. Siehe auch die ausführliche Auseinandersetzung mit Du Bois’ Verteidigung der Ehre und Sinnlichkeit schwarzer Frauen in seinem späteren Werk Dark Princess (1928) von Claudia Tate (Tate 1998). Der sachliche Gehalt von Addams’ Aussage über die moralische Laxheit schwarzer Frauen wurde im Übrigen von soziologischen Studien der Zwischenkriegszeit bestritten. Siehe (Dollard 1935). Neun Jahre später schrieb Du Bois in »The Damnation of Women« eine engagierte Verteidigung der unehelichen Mutterschaft schwarzer Frauen, in der er den Ruf nach ›Tugend‹ als ökonomisch unrealistisch geißelte und die Tugendkampagnen weißer Frauen – Charlotte Perkins Gilman mit ihrer Verurteilung von »cheap women« wurde hier namentlich erwähnt – als heuchlerisch verurteilte (Du Bois 1969b, 181).
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Obwohl die Ähnlichkeiten der Argumentation von Du Bois und Addams sehr weit gehen, unterscheiden sie sich an einem signifikanten Punkt. Du Bois hatte von einer schnellen Schließung der Entwicklungslücken der afroamerikanischen gegenüber der weißen Bevölkerung gesprochen. Addams dagegen glaubte, dass der Aufbau respektabler Familien sehr lange dauern würde, denn als Gruppe könnten schwarze Amerikanerinnen und Amerikaner nur auf eine kurze Geschichte der sozialen Selbstdisziplin zurückblicken (»a shorter history of social restraint«) (Addams 1912, 119). Wegen der Sklaverei hätten Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen keine verfestigte Tradition des Familienlebens, sie seien wegen der noch größeren Armut gezwungen, in Rotlicht-Bezirken zu leben, wo ihre Kinder ohne pädagogische Korrektur schlechten Einflüssen ausgesetzt seien. Diese Vorstellung eines langfristigen Entwicklungsnachteils für Afroamerikaner fand sicher nicht Du Bois’ Zustimmung, allerdings kam ihm ein Aspekt dieser Argumentation entgegen: Addams griff in ihrem Artikel eine der zentralen Institutionen der Race-Diskriminierung an: die Segregation. Sie argumentierte, dass die Race-Trennung im öffentlichen Raum der schwarzen Bevölkerung die Chance nehme, sich an tugendhaften Beispielen der Weißen zu orientieren. Räumliche Rassentrennung wird hier nicht aus Fragen politisch sozialer Gerechtigkeit abgelehnt, sondern sie wird verurteilt, weil sie die weibliche Tugend gefährdet. Nach Addams konnte Moral nur von der weißen Seite kommen. Ohne Kontakt mit der weißen Zivilisation würde sich kein moralischer Fortschritt einstellen. Und genau deshalb sei die Aufhebung der Segregation zivilisatorisch notwendig. »The contemptuous attitude of the so-called superior race toward the inferior results in a social segregation of each race, and puts the one race group thus segregated quite outside the influences of social control, represented by the other. […] in every large city we have a colony of colored people who have not been brought under social control, and a majority of white people in the white community are tacitly endeavoring to keep from them those restraints which can be communicated only through social intercourse.« (Meine Kursivierung) (Addams 1911, 22)
2.12 Die weiße Frau als Zivilisationsagentur Du Bois erkannte die zivilisierende Kompetenz weißer Frauen um die Jahrhundertwende durchaus an. Diese Einstellung hatte auch bei früheren afroamerikanischen Führungspersönlichkeiten Tradition. Für Booker T. Washington waren es die Lehrerinnen und Arbeitgeberinnen, die wichtige Einübungen
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in ›Zivilisation‹ vermittelten. In seiner Autobiographie Up from Slavery (1901) sang er das Hohelied auf seine Arbeitgeberin Mrs. Viola Ruffner: »I soon began to learn that first of all, she wanted everything kept clean about her, that she wanted things done promptly and systematically, and that at the bottom of everything she wanted absolute honesty and frankness […] At any rate, I here repeat what I have said more than once before, that the lessons that I learned in the home of Mrs. Ruffner were as valuable to me as any education I got ever since.« (Washington 1969, 25)
Washington hatte mit Mrs. Ruffners Hilfe hauptsächlich Sekundärtugenden bürgerlicher Arbeitsethik wie Sauberkeit, Ordnung, Arbeitseffektivität, Sorgfalt, Ehrlichkeit und Offenheit verinnerlicht, die ebenso gut als oberste Richtlinien perfekter Dienstbarkeit funktionierten. Doch schien er den Wert des Zivilisationstrainings höher einzuschätzen als die Dressur zur freiwilligen Unterordnung. Auch Du Bois beteiligte sich zu Anfang des 20. Jahrhunderts am Lob der weißen Frau als Zivilisationsagentur, allerdings mit signifikanten Einschränkungen, die den impliziten Rassismus der weiß-weiblichen Sozialreform reflektierten. In seinem ersten Roman The Quest of the Silver Fleece (1911) porträtiert er zwei Lehrerinnen – Miss Smith, die Leiterin einer Schule für afroamerikanische Kinder, und die Lehrerin Miss Taylor, die frisch vom Frauen-College Bryn Mawr in den Süden kommt. An diesen Figuren veranschaulicht Du Bois den Unterschied zwischen der alten egalitären Abolitionistin und der jungen gebildeten Frau, die nur der weißen zivilisatorischen Mission verpflichtet ist. Der Roman The Quest of the Silver Fleece ist ein seltsamer Hybrid zwischen einem naturalistischen Pamphlet in der Tradition des Enthüllungsjournalismus und einer klassischen Romanze in der sentimentalen Tradition (Byerman 1992, 58). Die Erzählung läuft auf zwei Schienen. Das naturalistische Pamphlet beschäftigt sich dabei mit einem weißen Problem: Es hat die Verschiebung von Vermögen und Heiraten als Finanzaktion zum Gegenstand. Außerdem werden dort die Machenschaften zwischen Yankee-Kapital und alter Sklavenhalteraristokratie aufgedeckt – die Manipulation des Baumwollpreises, die Durchsetzung der neuen Sklaverei der Schuldknechtschaft (Peonage) und die Ausnutzung von Kinderarbeit in den neuen Baumwoll-Spinnereien des Südens. Die Romanze dagegen beschäftigt sich mit schwarzen Problemen: Der bildungshungrige Sklavensohn Blessed Alwyn liebt Zora und überzeugt das ungebärdige Mädchen, zur Schule zu gehen. Intrigen der weißen Plantagenwelt und der neidisch-prüden Lehrerin Miss Taylor bringen Zoras Tugend in Misskredit – als Tochter einer Bordellbesitzerin ist sie keine Jungfrau mehr – und die Liebenden auseinander. Bis zu diesem Punkt bewegt sich der schwarze Plot des Romans im klassischen Genre der ›gefallenen Unschuld‹. Die Handlung bleibt im Fortgang insofern diesem Muster treu, als die Liebenden eine Zeit der Bewährung zu bestehen haben. Gegen die Erzählkonvention allerdings läuft, dass die Bewäh-
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rung der unwürdigen Braut in der Gründung und der Führung einer schwarzen Selbsthilfekooperative zum Anbau und Verkauf von Baumwolle besteht, Sozialstation und Hospital inklusive. Der im politischen Intrigenklima der Hauptstadt Washington kurz als ›Token‹ emporgespülte und bald fallengelassene Ex-Liebhaber Blessed Alwyn dagegen wird bei der zweiten Bewerbung um die Schöne zurückgewiesen und muss sich im Gegenzug nun selbst den Respekt der ›Prinzessin‹ verdienen. Zwar ist die Frage der Unschuld noch immer zentral für die Romanze, aber sie hebt sich durch ein Konzept von Tugend durch Verdienst auf. Der nun bescheiden gewordene Freier dreht die Kräfteverhältnisse von Unschuld und Laster um und gewinnt Zora mit den Sätzen: »She is more than pure […] I am not worthy of her«.104 Du Bois’ Romanplot ist so betrachtet ein literarischer Kommentar über die Unangemessenheit der Addams’schen Konstruktion von Zivilisation durch Sexualmoral für schwarze Lebensverhältnisse. So wichtig die beiden Genre-internen Erzählstränge für Du Bois’ Botschaft auch sein mögen, so widmet er ihnen doch nicht den Löwenanteil der Handlung. Die Protagonistinnen des Romans sind, wie bereits erwähnt, zwei weiße Frauen: Miss Smith, die inzwischen greise Leiterin einer Schule für schwarze Kinder, die nach dem Bürgerkrieg nach Georgia gekommen ist, um den ehemaligen Sklaven Erziehung zu bringen. Miss Smith ist eine Abolitionistin der alten Schule, ganz entsprechend der kleinen Eloge, die Du Bois in The Souls of Black Folk auf die »New England Schoolmarms« gesungen hat, die zu Tausenden im Dienst der ›Freedmen‹-Büros einen Kreuzzug nach Süden antraten: »Behind the mists of ruin and rapine waved the calico dresses of women, who dared, after the hoarse mouthings of the field guns rang the rhythm of the alphabet. Rich and poor they were, serious and curious. Bereaved now of father and now of a brother, now of more than these they came planting New England schoolhouses.« (Du Bois 1997, 52)
Die junge Miss Taylor dagegen hat recht zögerlich und nur auf Wunsch ihres Bruders, eines Yankee-Spekulanten, eine Position in Miss Smith‹ Schule angenommen. Ihr Bruder will über sie an Informationen für einen größeren Finanz-Coup kommen. Miss Taylor ist nach dem Bild der zunehmend von Rassenvorurteil geprägten neuen Generation der Frauenrechtlerinnen entworfen. Zwar hat sie im College noch eine ergreifende Rede auf das 14. Amendment, das schwarzen Männern das Wahlrecht brachte, gehalten. Ihre Beziehung zu den Schülern ist allerdings nicht mehr von aufklärerischem Egalitarismus getragen, sondern vom Geist mildtätiger Herablassung. Du Bois benutzt hier seine berühmte Metapher vom Schleier, der die Rassen trennt,105 um eben diesen 104 | Du Bois 1989, 433. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 105 | »Then it dawned on me with a certain suddenness that I was different from the
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Schleier von der anderen Seite zu inspizieren: »The veil of color and race still hung thickly between her and her pupils« (130). Die bescheidenen Vorstellungen Miss Taylors über die Bildbarkeit ihrer Schüler könnten aus einer Rede des racepolitischen Quietisten Booker T. Washington stammen: »She believed that they should be servants and farmers, content to work under present conditions […] and she believed that local white aristocracy, helped by Northern philanthropy, should take charge of such changes.« (Meine Kursivierung) (130)
Du Bois vervollständigt die negative Zeichnung von Miss Taylors Sozialcharakter, indem er sie mit dem Sohn des Plantagenbesitzers verheiratet, der sie mit der Syphilis ansteckt, und sie eine monströse Totgeburt hervorbringen lässt. Die Romanfigur Miss Taylor, unwillig, die niedrigen Races emporzuheben (Uplift the Race), wird hier ironischerweise zum Opfer jener (weißen) Race-Degeneration, die Prostitutions-Abolitionistinnen so leidenschaftlich beschworen hatten. Miss Taylor wird als immer eng mit ihren männlichen ›Meistern‹ verbunden dargestellt, zuerst mit ihrem Yankee-Bruder, dann mit ihrem syphilitischen Ehemann, zuletzt mit ihrem greisen Schwiegervater, dem ehemaligen Sklavenhalter der Plantage. Der politische Stand ihrer Abhängigkeit spiegelt die Verfestigung ihres Race-Vorurteils. Miss Smith dagegen operiert außerhalb der patriarchalen Kontrolle ihrer eigenen Familie. Der Abstand, den sie dadurch vom ›Gesetz des Vaters‹ gewinnt, ermöglicht ihr, von der ständigen Intervention der weißen Plantagenbesitzer unbeeindruckt zu bleiben, denen Bildung für die Kinder ihrer ehemaligen Sklaven ein Dorn im Auge ist und die ständig die ökonomische Vernichtung der Schule planen. »I want to live in a world, where every soul counts« (24) ist Miss Smith’ Credo. Sie sieht keine Grenzen für die Bildbarkeit und Ambitionen ihrer Schutzbefohlenen. Auf die Frage einer ihrer Schüler »What’s the use for a […] nigger with an education?« (137) antwortet Miss Smith empört: »Finish your education, develop your talents, and then come to your life work as a full-fledged man and not a half-ignorant boy« (138). Diese Aussage spiegelte W.E.B. Du Bois’ eigenes politisches Credo, das sich von Booker T. Washingtons Unterwerfungskompromiss scharf unterscheidet. Er propagierte volle Menschenwürde, alle Bürgerrechte, politische Beteiligung und bestmögliche Ausbildung für Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen. Nur das könne zu voller Staatsbürgerschaft und Selbstrespekt führen. In The Quest of the Silver Fleece macht Du Bois sich den literarischen Trick der Verschiebung seiner eigenen Position auf die der tugendhaften und tief egalitären Neuengländerin zunutze, um seiner Botschaft gleichzeitig Zivilisationsautorität und das Zivilisationsrecht zu verleihen. Da die Moralität der schwarzen Fiothers; or like, mayhap, in heart and life and longing, but shut out from their world by a vast veil« (Du Bois 1997, 42).
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guren in diesem Bildungsroman erst geformt wird, und alle weiß-männlichen Figuren entweder degeneriert (der weiße Süden) oder freibeuterkapitalistisch (der Yankee Norden) sind, bleibt als kulturelle Autorität in der Tat nur die fast greise Abolitionistin, um die utopische Botschaft von der Race-Gleichheit zu verkörpern. Im Jahre 1911, in dem The Quest of the Silver Fleece erschien, war das gesellschaftliche Modell, das hinter diesen literarischen Bildern stand – ein Bündnis zwischen weißen Sozialreformerinnen mit dem afroamerikanischen Emanzipationsprojekt – nicht mehr als eine zurückblickende Heterotopie. Nach der Wende zum 20. Jahrhundert gab es nur noch wenige weiße Frauenrechtlerinnen, die egalitär mit der Race-Frage umgingen.
2.13 Blickverhältnisse Die letzten Reste der alten mentalen Verbundenheit verwehten, als sich Du Bois’ Blick für die soziale Arbeit der Diskriminierung zu schärfen begann. Dabei entdeckte er eine besondere Funktion der weißen Frau als Agentin von Diskriminierung in einem sexualisierten Blickverhältnis. Der Begriff ›diskriminieren‹ hat seine sprachliche Wurzel in ›unterscheiden‹. Unterschieden wird mit dem Blick. Die Race-Konzepte im Auge des weißen Betrachters prägen das Leben des Betrachteten, der mit einem Blick als schwarz identifiziert wird. Ein erster Blick organisiert alle Sichtweisen, die danach kommen. Ganz zu Beginn von Souls of Black Folk erzählt Du Bois einen kleinen, aber hier relevanten Vorfall, ein – wie er sagt: für ihn persönlich prägendes Erlebnis (Du Bois 1997, 42). Er hatte einer neuen Klassenkameradin, »a tall newcomer«, eine große, bunte Valentinskarte angeboten. Sie wies seine Gabe zurück, oder genauer, sie weigerte sich, die ihre mit der seinen zu tauschen. Das Mädchen tat das, schreibt Du Bois, »preemptorily, with a glance«. Was eigentlich eine liebevolle Geste werden sollte, eine Aufmerksamkeit, wurde zum Brandmal, zur rassisierenden Markierung.106 Dieser besondere Blick (Glance) lehrt Du Bois, dass seine Hautfarbe die weiße Betrachterin dazu ermächtigt, auf ihn herabzusehen, ihn zu meiden, zu verachten oder zu bemitleiden. Ein weißes Mädchen, selbst noch Außenseiterin in der Klasse (»a newcomer«), hat ihm diese existentielle Wunde zugefügt.107 106 | George Yancy beschreibt Du Bois’ Metamorphose nach dieser ›racial primal scene‹ folgendermaßen: »Hence Du Bois underwent a distinctive phenomenological process of coming to appear to himself differently as one who is expelled. He moved from sense of the familiar to the unfamiliar. A slippage occurred in his corporal schema. In this example Du Bois’ body schema has become problematic. He is forced to deal with the meaning of a racial epidermal schema as a result of (or introduced by the meaning constituting activities of) the young girl’s racial consciousness« (Yancy 2008, 83). 107 | Siehe eine ähnliche Lektüre dieser Szene bei Bergner 1998, 242.
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Es ist paradoxerweise nicht der eigentlich machtvolle weiße Mann, der die Insignien der gesellschaftlichen Anerkennung vergibt, sondern in der Regel die ›Verkörperung‹ der Zivilisation, die weiße Frau. Sie ist die Lehrerin, die mit ihrer Autorität das ›Schwarzsein‹ fühlbar macht, die Gastgeberin, die keinen farbigen Gast an ihrem Tisch duldet, die Aufseherin von Dienstboten und nicht zuletzt die tugendhafte Dame, jenes potentiell gefährdete Subjekt, das von unbilliger Berührung mit schwarzen Menschen im Alltag durch Segregation und Lynchterror beschützt werden muss. Jahre später wird Du Bois beschließen, bestimmten Frauen, die für Race-Diskriminierung stehen, seinerseits die Anerkennung zu versagen. In einer autobiographischen Skizze berichtet er von einem zufälligen Zusammenstoß mit einer Südstaaten-Lady. Er habe unwillkürlich den Hut gehoben, um sich zu entschuldigen. Diese Kavaliersgeste sei die letzte Reverenz gewesen, die er jemals gegenüber einer Dame der ehemaligen Sklavenstaaten gezeigt habe: »From that day to this I have never knowingly raised my hat to a Southern white woman« (Du Bois 2007, 14). Bei Frederick Douglass und dem frühen Du Bois fungiert die weiße Frau – zumal die Vorgesetzte, gegebenenfalls die Gattin des Sklavenhalters oder die Arbeitgeberin – noch als Anerkennungsspenderin, Nur wenig später wird eine weiß-weibliche Autorität zu einer potentiellen Bedrohung. James Weldon Johnson, Freund und Mitstreiter von Du Bois, schildert in seiner (fiktiven) Autobiography of an Ex-Colored Man (1910) eine noch brutalere Initiation seines Helden in das soziale Stigma seiner Hautfarbe. Die Schuldirektorin bittet die weißen Kinder aufzustehen, und der kleine hellhäutige Junge erhebt sich unschuldig mit den anderen, worauf ein einfaches »You sit down now and raise with the others«108 sein Race-Schicksal besiegelt. Johnson schreibt weiter: »That fateful day […] did […] a radical change, and young as I was, I felt fully conscious of it« (402). Derselbe Autor berichtet in seiner ›echten‹ Autobiographie Along this Way (1933) (Johnson 1961) von keiner solchen Szene – als Süd-Staatler hat er seine erste Erziehung in einer Schule für ausschließlich schwarze Kinder erhalten. Die Hautfarbe als Diskriminierungsgrund schien in dieser Umgebung so selbstverständlich mit den Tatsachen des Lebens verwoben zu sein, dass kein Schwellenerlebnis nötig war, um ihre Wirksamkeit im Bewusstsein zu verankern. Der literarische Kunst- und Rückgriff auf die mythische Allmacht eines ersten Blickes dagegen entzaubert soziale Tatsachen zu sozialen Taten, und macht klar, dass Vorurteile nötig sind, um Urteile in Kraft zu setzen. Wie schon der Titel andeutet, ist Passing ein Thema des Romans Autobiography of an Ex-Colored Man – der ›schwarze‹ Held kann wegen seiner hellen Hautfarbe als ›weiß‹ durchgehen (passen). Johnson refiguriert die Ursprungsszene des diskriminierenden Blicks noch zwei weitere Male. Der Ex-Colored Man trifft mit seiner weißen Geliebten, der nicht klar ist, dass er schwarz ist, auf einen 108 | Johnson 1989b, 16. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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ehemaligen, pechschwarzen Schulkameraden, der die ›reale‹ Farbe des Helden verraten könnte. Dieser grüßt ihn nicht, weil er die Qual seines heimlichen Race-Bruders ahnt. In einer dritten Szene gesteht der Held der Geliebten seine Herkunft. Nach einem ersten Schrecken heilt sie seine Ursprungswunde und heiratet den Ex-Colored Man. Die Ehe erweist sich als glücklich, wenngleich der Held immer wieder von der Vorstellung geplagt wird, dass seine Frau kleine menschliche Charakterschwächen seiner Hautfarbe anrechnen könnte.109 Praktisch in jeder Autobiographie afroamerikanischer Autoren gibt es diese »stockscenes of racial discovery«.110 Gwen Bergner schlägt vor, die persönlichkeitsstrukturierende Kraft dieser Szenen parallel zu Freuds Konstruktion der so genannten Primärszene zu begreifen. Nach Bergner funktioniert die Initiation in die Race Persona über den Blick, über ein visuelles Trauma, das über das Angesehenwerden entsteht. Nach Freud erschrickt der kleine Junge beim Anblick eines weiblichen Sexualorgans, imaginiert, dass der Penis als Strafe abgeschnitten worden ist, entwickelt daraus eine Kastrationsangst und bringt – über den langen Umweg des Ödipus Komplexes – eine männliche Geschlechtsidentität hervor. Analog dazu brächte somit die traumatisch erfahrene Blickbeziehung mit dem weißen (im Beispiel weiblichen) Gegenüber, in der sich der Betrachtete als defizitär wahrnimmt, eine ,schwarze‹ Race-Identität hervor.111 Kann man in diesem Zusammenhang von einem ›weißen‹ Blick sprechen? Die Filmkritikerin Jane Gaines untersucht in ihrem Aufsatz »White Privilege and Looking Relations« den Blick der Kamera auf schwarze Schauspieler und Schauspielerinnen. Sie nimmt eine Struktur wahr, die sie äquivalent zu Laura Mulveys berühmter Ableitung zur fetischisierenden Kraft des männlichen Bli109 | In einer Lebensbilanz zum Schluss seiner Autobiographie fragt sich der Held melancholisch, ob er ein »Hero of his Race« hätte werden können (und wollen), wenn er keine weiße Identität angenommen hätte. Der Autor dieser Reflektionen, James Weldon Johnson, wählte im wirklichen Leben den Weg aktiver Antidiskriminierungspolitik. In seinem anonym erschienenen Roman – er bekannte sich erst 1928 zu seiner Autorschaft – beseitigt er den Grund für die Diskriminierung, in dem er seinen Protagonisten eine weiße Identität annehmen lässt, anstatt die Diskriminierung an sich zu bekämpfen. 110 | Bergner 1998, 242. Diese Form von »racial discovery« ist allerdings eher ein Phänomen des Nordens, denn es ist eine Illusion der Gleichheit nötig, um eine Szene des Ausschlusses und der Brandmarkung zu erleben. Eine Wiederaufnahme und Weiterentwicklung dieses Problemkomplexes siehe in Kapitel 4 »Das Maskulinitätsprojekt«, S. 251-254. 111 | Ebd. 242. Die Tatsache, dass im ersten Fall eine Sozialisierung zur Herrschaft über die Überwindung des Ödipuskomplexes stattfindet und im zweiten Fall eine Sozialisierung in die Inferiorität, weil die Race-Wahrnehmung nicht überwunden werden kann, belastet diese Analogisierung mit einer logischen Schwäche. Doch die Strukturähnlichkeit einer Ich-Bildung über visuelles Trauma ist als Denkfigur so nützlich, dass ich – wenigsten für den Moment – diesen Strukturunterschied vernachlässige.
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ckes (Male Gaze) als ›weißen Blick‹ bezeichnet (Gaines 1988). Sie identifiziert eine Kombination von Vorbeiblicken (unfokussierter Kamera) und Fixierung (Starren). Besonders an der Inszenierung schwarzer männlicher Schauspieler fällt ihr auf, dass ihnen nicht gestattet wird, in gleich begehrender Weise das weiße Sexualobjekt zu betrachten. Das Blick-Verhältnis sei, schreibt Gaines, äquivalent zu den Race-Machtverhältnissen organisiert. Dem schwarzen Blick wird das ›Recht zu sehen‹ (Right to look) bestritten,112 der weiße Blick dagegen dominiert die Kamera-Perspektive.113 Aus der Kombination von Bergners »primal scenes of race« und Gaines’ »weißem Blick« lässt sich die Frage ableiten, ob einer auf der Anschauung und den sozialen Folgen des Geschlechtsunterschiedes basierenden Psychoanalysis of Sex eine äquivalent wirksame, ebenfalls visuell vermittelte Psychoanalysis of Race gegenübergestellt werden kann.114
2.14 Ein Weltuntergangsszenario Eine kaum beachtete utopische Erzählung von W.E.B. Du Bois – »The Comet« aus seinem Buch Darkwater. Voices behind the Veil von 1920 – kann als Allegorie für die oben entwickelten Blickverhältnisse dienen.115 In diesem Text wird 112 | Den Begriff ›Recht zu Sehen‹ entlehnt sie von Frederick Jameson, der ihn in The Political Unconscious allerdings nur anreißt. Siehe Jameson 1981. 113 | Gaines nutzt ihre Überlegungen, um einen Race-Ödipuskomplex zu entwerfen, der die psychoanalytische Denkform vom visuellen Erkennen des Geschlechtsunterschieds zum visuellen Erkennen des Race-Unterschiedes verschiebt. Obwohl ich selbst die Konstruktion einer verdrängten Schuld des weißen Mannes, die schwarze Frau besessen zu haben, nicht teile, hat die folgende Ableitung doch eine gewisse Brillanz und Binnenplausibilität: »Here is a sexual scenario to rival Oedipal myth: The black woman sexually violated by the white man, but the fact of the rape repressed and displaced on the virginal white woman, and thus used symbolically as the justification of the actual castration of the black man. It is against this historical scenario that we should place the symbolic castration that is the penalty of sexual looking – a penalty that must surely diminish in comparison with the very real thread of actual castration that such looking would have once carried with« (Gaines 1988, 24). Siehe meine eigene Entwicklung eines Rape-Lynching-Komplexes, der sich ebenfalls an den Ödipuskomplex anlehnt. 114 | Die Bezeichnung »Psychoanalysis of Race« stammt von Jean Walton, aus ihrem anregenden Aufsatz über Psychoanalyse und Modernismus (Walton 1997, 395). 115 | Der Erzählung »The Comet« ist gemessen an der umfänglichen Du Bois Philologie vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Eric Sundquist hat ihr in To Wake the Nation einen bescheidenen Platz eingeräumt (Sundquist 1987, 616f). Außer einer beiläufigen Erwähnung bei Rampersad, der das vollständige literarische Werk Du Bois’ in The Art and Imagination of W.E.B. Du Bois würdigt (Rampersad 1976, 171), machte die gesamte Du Bois-Philologie lange keinen Gebrauch von diesem ei-
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sowohl die Verfertigung von Race durch den Blick demonstriert, als auch ihre Auflösung. Auch hier ist die Perspektive der Betrachterin die einer weißen Frau. In der utopischen Fabel nähert sich der Halleysche Komet New York. Es wird eine gigantische Flutwelle erwartet. Der schwarze Bote Jim wird vom Präsidenten in die schon überflutungsgefährdeten Keller des Archivs geschickt, um zwei wichtige Dokumente zu bergen. In einer Geheimkammer wird er kurzfristig durch eine zufallende Tür gefangen. Als er wieder herauskommt, sind alle Menschen tot. Er greift sich Essensreste in einem Restaurant, in dem er zu Lebzeiten des Besitzers nicht bedient worden wäre, und findet schließlich nach langem Herumirren die schöne junge weiße Julia, die in ihrer Dunkelkammer ebenfalls zwischenzeitlich eingeschlossen überlebt hat. Julia – als Photographin ist sie sozusagen professionelle Blickerin – begegnet ihm zuerst mit Zurückhaltung, offenbar erscheint ihr die physische Nähe zu einem schwarzen Mann unbehaglich. Doch dann nehmen beide die Suche nach eventuell noch lebenden Verwandten auf. Während ihrer Reise in die Ruinen eines Weltuntergangs fallen nach und nach alle Vorurteile ab, und die Protagonisten gehen feierlich einer Zukunft als Gründungseltern einer neuen, besseren Menschheit entgegen. Diese wild-pathetische Race- und Gender-Fabel – eine Fusion von Jeremiade und visionärer Lyrik (Sundquist 1987, 610) – feiert dem realistisch-pessimistischem Schluss zum Trotz auf einer zweiten Textebene die Unio Mystica eines schwarzen Mannes mit einer weißen Frau auf den Trümmern der bisherigen Zivilisation als Beginn einer neuen Menschheit. Dabei konstruiert Du Bois die ganze Erzählung um die Beziehung zwischen Blickverhältnissen und Machtverhältnissen. Die Protagonisten müssen allerdings zuerst zum Kern ihrer Menschlichkeit vorstoßen, indem sie das visuelle Trauma ihrer rassisierten und vergeschlechtlichten Körper-Imagines konfrontieren und umkodieren. Du Bois zeichnet diesen Weg nach. Er zeigt, wie zuerst ein visuelles Trauma stattfindet, oder vielmehr ein schon installiertes Trauma aktiviert wird,116 wie dann der genartigen Text. Auch Claudia Tate, deren Studie Psychoanalysis and Black Novels ein ausgezeichnetes Kapitel über Du Bois’ Begehrensökonomie enthält, erwähnt »The Comet« nicht. Siehe Tate 1998, 47-86. 2002 gab dann Amy Kaplan der Erzählung einen systematischen Platz in ihren Überlegungen zum amerikanischen Imperialismus in The Anarchy of Empire in the Making of US Culture. Sie liest »The Comet« als eine Allegorie der systematischen ökonomischen Verwicklung der Vereinigten Staaten in europäische und eigene Imperialismen im ersten Weltkrieg. Die Entvölkerung von Manhattan figuriert dann als Echo des Gaskrieges und die Tatsache, dass der schwarze Arbeiter sozusagen im Bauch der Stadt schuftend überlebt hat, symbolisiert die internationalisierte Ausbeutung der afroamerikanischen Bevölkerung (Kaplan 2002, 73f). 116 | Zu Zitatförmigkeit von Diskriminierung als Aufrufen eines schon präexistenten Vorurteilsmusters siehe Butler 1997a, 34.
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Blick sich in einer existentiellen Situation – man könnte auch therapeutischen Situation sagen – aus seiner traumatischen Fixierung löst, und wie er, nachdem die alten Blick- und Machtverhältnisse wieder intakt sind, auf seine traumatische Fixierung zurückfällt. Nachdem scheinbar alle anderen Menschen dem Kometen zum Opfer gefallen sind, realisieren Jim und Julia zuerst nur, dass sie auf ein anderes Lebewesen treffen, obwohl sie schon davon überzeugt waren, vollkommen allein die Katastrophe überlebt zu haben. Gewaltsamer könnte Du Bois die Exposition kaum gewählt haben, um jene kurze unwahrscheinliche Farbenblindheit zu erzeugen, die ein zentrales Erfahrungsfragment für die Helden bereitstellt: Jim steht Julia gegenüber: »They stared a moment in silence. She had not noticed before that he was a Negro. He had not thought of her as white«.117 Der vom auktorialen Erzähler gewählte Unterschied in der Kategorisierung der beiden bildet das Ausgangsglied einer Signifikantenkette: »[…] he was a Negro« (meine Kursivierung) umfasst den ganzen Kosmos seiner Existenz. Seine Hautfarbe macht ihn zu einem »Negro«, seine ›Negroness‹ macht ihn zum ›Primitiven‹, seine Primitivität macht ihn zum potentiellen Vergewaltiger. Mit dem Begriff ›Negro‹ als Race-Markierung in Opposition zu einer Jungfrau in Gefahr (Damsel in Distress) zeichnet Du Bois ein eindeutiges Emblem von Machtverteilung, Geschlechtsposition und angenommenem Zivilisationsstand. Mit dem Blick des schwarzen Mannes auf die Frau bekommt man ein diffuseres Bild: »He had not thought of her as white«. Whiteness ist keine Race-Kategorie wie etwa ›caucasian‹ oder in gewisser Weise ›europäisch‹, sondern ein optisches Attribut, eine unmarkierte Norm, kein Stigma.118 Whiteness wird eher als Kontrast wirksam als durch sich selbst. In der gleichen Denkfigur wie Ralph Ellisons Invisible Man reflektiert Jim über die Paradoxie von extremer Identifizierbarkeit (Blackness) und extremer Unsichtbarkeit (als menschliches Wesen mit eigener Würde), zu dem der weiße Blick den schwarzen Mann verurteilt: »Yesterday, he thought with bitterness, she would scarcely have looked at him twice« (258). Das Verhältnis der Überlebenden bleibt prekär bis sich ein anderes Bezugssystem durchsetzt. Die zunehmend verzweifelte Julia, in einer patriarchalen Ordnung gewohnt, geleitet und geschützt zu werden, beruhigt sich über Jims Blackness, als sie gewahr wird, dass er Verantwortung übernimmt und nächste Schritte vorschlägt: »She looked at him now with strength and confidence. He did not look like a man, as she always pictured men, but he acted like one and she was content.« (Meine Kursivierung) (263) 117 | Du Bois 1969a, 258. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 118 | Zu Whiteness als unmarkierter Herrschaftsform siehe Frye 1983, Spelman 1988, Dyer 1988 und die Ausführungen in der Einleitung unter ›Begriffsklärungen‹, S. 24-30.
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Die Blickverhältnisse haben sich jetzt in die Freud’sche Familienromanze verschoben. Zwar sieht Julias Gegenüber nicht aus wie ein Mann, da ihm die ermächtigende Hülle der Whiteness fehlt, aber er benimmt sich wie einer. Nachdem sie Vater, Bruder und Verlobten verloren hat, sucht Julia nach einem Gender-Arrangement, das ihr Schutz bieten kann. Sie ist sich gleichwohl noch ungewiss, ob das Bild, das Gesehene, mit der sozialen Position, die mit dem Attribut Mann verbunden ist, in Einklang zu bringen ist. Doch bald entfaltet das als beruhigend angenommene Attribut ›Mann‹ im Unbewussten einen archaisch schwarzen Schrecken. Mit einer für die Zeit frappierenden Deutlichkeit gerät ihr das Sprechrohr der Telephonzentrale, die sie zusammen aufsuchen, um Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen, zum bedrohlichen Phallus: »She looked at the mouthpiece. She had never looked at one so closely before. It was wide and black, pimpled with usage; inert, dead; almost sarcastic in its unfeeling curve. It looked – she beat back the thought – but it looked – it persisted looking like – she turned her head and found herself alone. One moment she was terrified; than she thanked him silently for his delicacy.« (263)
Die Blickverhältnisse sind jetzt bei der Sexualität angekommen. Das Angstpotential ist genau wie das Begehren durch eine schwarze Maske ins Unendliche verstärkt. In ihren soeben noch bewunderten Beschützer projiziert die junge Frau die eigene unbewusste Begierde. Die aufkommenden sexuellen Gefühle mit sich selbst in Verbindung zu bringen, scheint Julia jedoch völlig abwegig: »She was alone […] with a stranger, with something more than a stranger, with a man alien in blood and culture, – unknown, perhaps unknowable […] she must fly; he must not see her again. Who knew what awful thoughts […].« (Meine Kursivierung) (264)
Jetzt scheint die Signifikantenkette geschlossen, mit allem, was der erste Blick auf den ›Negro‹ wahrgenommen hatte. Nachdem sie den ›Mann‹ in Jim erkannt und anerkannt hat, verbindet sie seine beunruhigende Blackness mit Sexualität, und ohne sich darüber bewusst zu sein, dass es ganz allein ihr Begehren ist, das Amok läuft, kodiert Julia Blackness mit Primitivität und mit Vergewaltigung. Das sexualpolitische und soziokulturelle Repertoire ist durchbuchstabiert, und Julias Whiteness ist von einem ungewissen Attribut zu einer bedrohlichen Qualität geworden, der virtuelle Lynchmob muss nur noch aktiviert werden. Aber noch immer sind die beiden Protagonisten ganz allein auf der Welt. Denn auch das Rape-Lynching-Szenario ist ein Blickverhältnis auf höherer so-
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zialer Ebene: Die Theatralisierung eines Strafrituals mit Zuschauern.119 Vorerst einmal jedenfalls flieht die um ihre Unschuld besorgte Heldin. Vom Autor wird sie nun in ihrer Körperlichkeit adressiert: »She gathered her silken skirts deftly about her young smooth limbs« (264). Sexualität, Mann, Blackness und das unkennbare (unknowable) Geheimnis sind zu einer einzigen phallischen Figur verschmolzen »He was standing at the top of the alley, – silhouetted, tall, black, motionless«120 (265). Es ist jetzt nur noch ihr Tunnelblick allein, ihre Fixierung, ihr Starren, welches das Schicksal der Beziehung bestimmt.121 Sein Blick auf sie ist jetzt irrelevant geworden: »Was he looking at her or away? She did not know – she did not care« (265). Natürlich treibt Julias Überlebensinstinkt sie zurück zum einzigen anderen Menschen auf der Welt. Eine neue Stufe des Vertrauens allerdings erfordert eine Desexualisierung der Struktur. Als sie zögernd zur »dark silent figure« (265) zurückkehrt, vergewissert sie sich, dass Sexualität kein Bestandteil ihres Bündnisses sein wird. Die Körperpolitik des Verhältnisses ist nun glasklar und erfordert keinerlei Erklärung. Das geflüsterte »Not-that« der Heldin, wird von Jim ohne ein zusätzliches Wort verstanden: »He answered slowly: ›No – not that!‹«. Ganz langsam dämmert den Protagonisten, dass mit der Zerstörung der alten Welt auch die Phantasmen der alten Struktur vernichtet sein könnten. Du Bois listet »terror, struggle hate and suffering […] crime squalor, greed and lust« (266) auf. Nach ihm sind das tote Dinge, ihre eigene Natur dagegen ist lebendig. Die Protagonisten schütteln den Ballast ab und werden daraufhin von einem Gattungsimpuls heimgesucht. Sie sind die einzigen, die die tote Welt mit 119 | Zu Lynching als ›spectacle‹ siehe das Kapitel »Deadly Amusements. Spectacle Lynchings and the Contradictions of Segregation as Culture«, in Hale 1998, 199-227. 120 | Die fast unübersehbar Freudianische Symbolik legt nahe, dass Du Bois mit dem Konzept der Psychoanalyse vertraut war. Das wäre möglich gewesen, da Freudianismus in den Zwanzigern besonders in New York eine modische Theorie war und in popularisierter Form breit kursierte. Siehe Douglas 1995 und Hale 1971. Die Sekundärliteratur bietet für eine derartige Vermutung allerdings wenig Anlass. Im Gegenteil, Du Bois beklagte 1954 in einem neuen Vorwort zu der Sklavenhandelsstudie Supression of the Slave Trade (1896), dass er die ausgezeichnete Gelegenheit, sich in Harvard bei William James mit Freud vertraut zu machen, nicht genutzt habe, und deshalb die psychosexuellen Energien der RaceFrage immer unzureichend interpretiert habe (Lewis 1993, 158). 121 | Hier könnte man eine Theorie eines White Female Gaze – äquivalent zum fetischisierenden Male Gaze der feministischen Filmwissenschaften – konstruieren, die den schwarzen Mann zum Phallus reduziert. In dem Gespräch mit Margaret Mead bezeichnet sich James Baldwin in schwarz-weißen heterosexuellen Liebesgeschichten als »wandelnder Phallus«: »(man hat keinen) Kopf, keine Arme, kein Garnichts, nur einen Phallus […] der Liebesakt wird zu einem Mord, bei dem man auch noch Selbstmord begeht« (Baldwin/Mead 1973, 40).
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Kindern bevölkern könnten, nur sie könnten den Fortbestand der Menschheit garantieren. Sie sind Adam und Eva einer neuen Menschengeneration: »[…] and quick with the same startling thought, they looked into each other’s eyes – he ashen and she crimson, with unspoken thought. To both, the vision of mighty beauty – of vast unspoken things, swelled in their souls.« (Meine Kursivierung) (266)
Mit den toten Dingen verschwindet auch der »imperial gaze«,122 der kategorisierende und interpellative Blick von Julia, der letzten Repräsentantin von Whiteness auf dem Globus. Diskriminieren (unterscheiden) macht jetzt keinen Sinn mehr, weil keine Deutungsgemeinschaft des Weiß-Seins mehr hergestellt werden kann. Die Protagonisten starren sich nicht mehr an auf der Suche nach rassisierenden und vergeschlechtlichenden Indizien, die ihre Position im Machtgefüge von Race und Sexualität fixieren würde, sondern sie sehen sich in die Augen, sie begegnen sich als menschliche Wesen. Im gleichen Moment verschwinden die Farbmarkierungen, die die Herrschaftsattribute der alten Struktur waren. Jims Teint wird aschgrau, Julias scharlachrot. Interessant dabei ist, dass Jim sich entfärbt und dass Julia sich verfärbt. Jims ›Whitening‹ ist gleichzeitig ein Symptom von Schrecken. Im Register von Körpersensationen bedeutet Erblassen einen abfallenden Blutdruck, ein Nachlassen der Vitalität. Julias Erröten ist ein Verdunkeln ihres Teints, es konnotiert Scham und Aufregung. Ihre körperlichen Symptome deuten auf erhöhten Blutdruck und verstärkte Sensualität hin. Die sexuellen Signifikanten haben jetzt das Geschlecht gewechselt. Es ist jetzt Julias Körper, der Sexualität signalisiert. Womit man beim klassischen heterosexuellen Blickverhältnis angekommen wäre, in dem der männliche Blick, wenn er die Frau sieht, ausschließlich Sexualität erkennt. Doch das männliche Blick- und Machtverhältnis, das im weiblichen Gegenüber nur das anzueignende Sexualobjekt identifiziert, steht dem schwarzen Mann nicht zur Verfügung. Oder anders ausgedrückt, sein Autor Du Bois entscheidet sich, diese klassische patriarchale Lösung nicht anzusteuern. Im selben Maße wie Jim an Blackness verliert, verliert er an Kraft (Potenz). Jim steht am Rande der überfluteten Keller des Telegraphenamtes, den »black waters«, die ihn mit »deadly rhythm« zu locken suchen, und fragt die weiße Frau, ob sie ihm erlaube, sich umzubringen: »The world lies beneath these waters now – may I go?« (267). Erst Jims Inanspruchnahme der radikalen Freiheit zum Selbstmord, bewegt Julia dazu, ein ›Individuum‹ wahrzunehmen. Mit der Individuation entwickelt sich auch die Möglichkeit des emotionalen Kontakts. Sie starrt ihn nicht mehr an, sie sieht nicht mehr nur seine Attribute sondern 122 | Der Begriff des ›Imperial Gaze‹ stammt aus E. Ann Kaplans Looking for the Other. Film and Feminism and the ›Imperial Gaze‹ (Kaplan 1997).
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sie sieht ihm ins Gesicht. Sie betrachtet Jim mit den Augen der Seele, und ihre eigene Seele antwortet: »She looked into his stricken, tired face, and great pity surged within her heart« (267). W.E.B. Du Bois exerziert hier in mikrochirurgischer literarischer Feinarbeit einen Prozess durch, den ich ›The Making and Unmaking of Race‹ nennen möchte. Ganz eindeutig produziert Julias diskriminierender (unterscheidender) Blick in der ersten Stufe der Begegnung Jim als ›schwarzen‹ Mann. Es ist nur die Abwesenheit des sozialen Raumes einer ständig wiederholten Race-Anrufung – des Blick-Echos sozusagen – die Julias Sichtweise auflöst. Das Erkennen der Markierung ›schwarz‹ verliert in dem Maße an Bedeutung, wie die soziale Blickachse eines hierarchischen Race-Regimes unwichtig wird. Die Wahrnehmung ›schwarz‹ bedeutet nichts mehr, wenn keine Struktur überlebt hat, die diese Information in ein Herrschaftsverhältnis übersetzen könnte. Im realistischen Teil der Geschichte ist der Preis für das zum VerschwindenBringen von Race zweifellos Sexualität. Nur im geschwächten und erbleichten Jim vermag Julia eine Seelenverwandtschaft zu entdecken. Nur der Sexualität ausschließende Vertrag (»Not-that«) ermöglicht Jim, die Partnerschaft mit Julia fortzusetzen. Du Bois will sich aber mit dieser ›kastrierten‹ Version nicht begnügen. Im metaphysisch-utopischen Teil der Geschichte wird eine mögliche sexuelle Union als Gründungsakt einer neuen nicht durch Race markierten Menschheit gefeiert. Auf dem Dach des Hochhauses, wo Jim Notraketen abfeuert, um anderen Überlebende von ihrer Existenz Nachricht zu geben, hat die nun vom Vorurteil gereinigte Julia eine Vision: »She was no mere woman. She was either high nor low, white nor black, rich nor poor. She was primal woman; mighty mother of all men to come and Bride of Life. She looked upon the man beside her and forgot all else but his manhood, his strong vigorous manhood – his sorrow and sacrifice. She saw him glorified. He was no longer a thing apart, a creature below, a strange outcast of another clime and blood, but the Brother Incarnate, Son of God, and great Allfather of the Race to be.« (269)
Dermaßen metaphysisch erhoben, macht sich Julia auf, Jims bislang verleugnete Männlichkeit im biblischen Sinn zu erkennen. Jim sieht einen Stern aufgehen, der das Licht wie einen Brautschleier (Bridal Veil) verteilt, und er empfindet sich als afrikanischen König: »Some mighty Pharao, some curled Assyrian Lord«123 (270). Er spürt einen Blick des Begehrens, der ihn nicht nur als Menschen, sondern auch als Mann erkennt. Die Physis erhöht sich in die Meta123 | Eric A. Sundquist metaphorisiert diesen Moment als »visionary moment of propagation […] (that) displays a simultaneous sexual and ideological ecstasy in lifting both the bridal veil and the veil of race« (meine Kursivierung) (Sundquist 1987, 617).
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Physis und evoziert die Unio Mystica: »Their souls lay naked in the night […]« (270). Für einen kurzen Moment gestattet sich die Erzählung »The Comet« die Auflösung der ›Primal Scene of Blackness‹: Die Verursacherin des traumatisierenden Blickes, die weiße Frau, wird durch außergewöhnliche Umstände – das Ende der bekannten Welt – dazu gezwungen, sich aus einer Medusa, die alle auf sie blickende Geschöpfe versteinert, in eine Aphrodite zu verwandeln, die die Morgenröte einer neuen Race-egalitären Zivilisation repräsentiert. Alys Eve Weinbaum hat in einer Untersuchung zu Du Bois’ Sexualpolitik darauf hingewiesen, dass dieser in seinen fiktiven Werken sehr häufig auf das Thema der ›interracial romance‹ zu sprechen gekommen sei und deutet das als die Allegorisierung einer politischen Bewegung der Aufhebung der Race-Segregation: »Without the promise of interracial romance as catalyst and reproducer of global interracial unity, the consolidation of white nationalism and the related decimation of black reproductivity together hold sway«.124 Die im Entstehen begriffene utopische Kultur wird jedoch von der (weißen) Zivilisation mit einem prosaischen Hupen beendet, das die Ankunft des überlebenden Vaters signalisiert. Er re-konstituiert mit den ersten beiden Worten »My Daughter« (271) die patriarchalische Sexualökonomie von Besitz und Verwandtschaft. Der mitreisende Verlobte versichert sich der Jungfräulichkeit seines zukünftigen Eigentums »Are you unharmed?« (272) und degradiert mit seinem »imperial gaze« den schwarzen – kurzfristig königlichen Gründungsvater der neuen Menschheit – zum »Nigger«. Julia kann sich nicht sofort auf die Blickverhältnisse der neuen, alten Ordnung einstellen. Aber sie wagt nicht mehr, ihre Augen zu erheben: »She did not look at him again« (272). In der Präsenz des Vaters ist ihr die ›Unmaking of Race‹ sexualökonomisch nicht mehr möglich und ›Remaking of Races‹ emotional noch nicht möglich. Ihr Blick ist noch nicht fest genug in der Racial Patriarchy verankert, um aus Jim wieder einen ›Nigger‹ zu machen. Die Race- und Gender-Ordnung allerdings ist wieder zurechtgerückt worden. Diese muss Race im Spannungsverhältnis von Vergewaltigungsangst und Inferiorität fixieren, um weißen Männern die Reinheit und den unheraus-
124 | Weinbaum 2007, 107. Daylanne English interpretiert in Unnatural Selections. Eugenics in American Modernism and the Harlem Renaissance (English 2004) Du Bois’ Vorliebe für ›interracial romance‹ als eugenisches Argument, dass Menschen ›gemischter Races‹, wie er selbst auch, stärker und ausdauernder seien, als ihre ›reinblütigen‹ Zeitgenossen. Zurückgeführt wird diese Auffassung auf einen schon bei Darwin erwähnten ›hybrid vigor‹, der in der Harlem Renaissance z.B. neben Du Bois auch von Jean Toomer und George Schuyler vertreten wurde, der mit seiner weißen Frau ihre gemeinsame Tochter als lebenden Beweis dieser Auffassung großzog (18). English interpretiert auch die Photoserien, ›Man of the Month‹ in Du Bois’ Zeitschrift Crisis und Wettbewerbe um das schönste Babyphoto in Du Bois’ Crisis als eugenisches Projekt (47f).
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geforderten Besitz ihrer Frauen zu garantieren und um es weißen Frauen zu ermöglichen, sich zivilisatorisch überlegen zu fühlen. Du Bois entfaltet in seiner Dystopie »The Comet« einerseits, dass die erzeugte Angst zwischen Menschen unterschiedlicher Races und Geschlechter funktional ist und der Herrschaftssicherung dient. Insofern sind die beiden Protagonisten nur Marionetten eines Race-Patriarchats. Andererseits wird jedoch in diesem Text herauspräpariert, dass sowohl die ›Stockscenes of racial Discovery‹ als auch der ›imperial Gaze‹ der Blickverhältnisse denaturalisiert werden können und damit der Konstruktionscharakter von Race zutage treten kann. Die soziale Konstruktion von Gender dagegen wird in Du Bois’ Text nur insofern angesprochen, als die Komplizenschaft von weißen Frauen mit dem Herrschaftsdiskurs thematisiert wird. Die Binaritäten von weiblich und männlich werden zwar durch die Instabilität von Race gestört, sie bleiben aber als ›Essenz‹ unberührt. Als afroamerikanischer Viktorianer verblieb W.E.B. Du Bois streng innerhalb der Grenzen vorgegebener Geschlechterordnungen. *** Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Paarung Abolitionistin und Sklavin/ Sklave das Emblem der anstehenden Emanzipationsdiskurse abgegeben. Ende des 19. Jahrhunderts werden die Race-Gender-Verhältnisse von einem neuen Paar beschrieben: der sozialreformerisch tätigen Neuen Frau (New Woman) und dem Primitive Man. Der Schlüsselbegriff dieser neuen Paarung ist nicht mehr Emanzipation, sondern Zivilisation. Diese Verschiebung durchlief folgende Koordinaten: Die alte Geschlechterideologie der Separaten Sphären war nach dem Differenzkonzept der Komplementarität gebildet. Weiße Männer und Frauen wurden als Teile gesehen, die sich mit unterschiedlichen Funktionen zu einem Ganzen zusammenfügten. In dieser Komplementarität war eine Hierarchie enthalten, die sich darauf bezog, dass soziale Räume wie Öffentlichkeit, Politik, Recht und Ausbildung für weiße Frauen unzugänglich waren. Die Mitglieder anderer Races standen zu diesem Gefüge nicht in Differenzbeziehung, weil sie noch keinen Anspruch auf die umstrittenen Räume erhoben. Diese Auseinandersetzung blieb vorerst ein Schlachtfeld von bürgerlichen weißen Frauen und Männern. Dass die Abolitionistin sich auf die Sklavin, den Sklaven bezog, hatte mit der imaginierten Strukturähnlichkeit beider Unterdrückungen zu tun, nicht mit einem ähnlichen oder gar gemeinsamen sozialen Raum. Die Neue Frau des Jahrhundertendes dagegen hatte einen Zweifrontenkrieg zu führen: Einerseits war die Gleichheit mit dem weißen Mann nicht erreicht, und andererseits beanspruchte der schwarze Mann als wahlberechtigter Staatsbürger einen Teil der Räume, die weißen (und schwarzen) Frauen durch ein anhaltend hierarchisches Gender-Regime versperrt blieben. New Women wie Jane Addams versuchten, das Differenzmodell der Geschlechterkomplementa-
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rität zu einem Hebel der Frauenemanzipation zu machen. Sie wollten über die Anerkennung der Verschiedenheit der Geschlechter einen Gleichheitsanspruch – ein ›Different but Equal‹-Paradigma – etablieren. Frauen wie Charlotte Perkins Gilman dagegen begriffen die Differenz zum weißen Mann nicht mehr als Seins-Komplementarität, sondern als politische Polarität. Sie verstanden die männliche Herrschaft als unangemessenen Machtanspruch gegenüber einem in der Struktur eigentlich ›gleichen‹ menschlichen Wesen. Für Gillmans Konzept war die Abgrenzung und Herunterstufung von Race von größerer Bedeutung als für Jane Addams. Funktional wurde dabei die Tugend. Defizite waren an beiden Grenzen auszumachen, an der sexuellen Grenze mit dem weißen Mann und an der Race Grenze mit dem schwarzen Mann. Die Besetzung dieses Terrains erlaubte eine Handlungsmöglichkeit, die weißen Frauen sonst verschlossen blieb. Die Zuständigkeit für Tugend war ihnen nicht abzusprechen, und sie verlieh ihnen zudem noch gegenüber beiden Grenzen eine Überlegenheit. White Slavery war somit ein dichtes semantisches Feld, den sozialrevolutionären Impetus des alten Abolitionismus nutzbar zu machen, eine moralische Überlegenheit zu postulieren, eine implizite Kritik an weißer Maskulinität unterzubringen und zudem eine quasi selbstverständliche zivilisatorische Überlegenheit gegenüber Afroamerikanern und Afroamerikanerinnen zu manifestieren. Beiden Emanzipationsstrategien sowohl auf der Gender- als auch auf der Race-Seite wurden vom Evolutionsdiskurs durchkreuzt. Er naturalisierte und verwissenschaftlichte das bestehende Differenz-Regime und behauptete Diskurshoheit. Während das Modell der geschlechtlichen Differenz über Komplementarität mit dem Evolutionsdiskurs argumentieren konnte, musste eine Intervention, die faktische Gleichheit und politische Entrechtung annahm, sich im Prinzip gegen den Evolutionsdiskurs stellen. Das ist aber in einer Wissensordnung, die den Evolutionsdiskurs als ›Wahrheit‹ von Geschichte und Verfasstheit der Gesellschaft begreift, nicht möglich. Gilman versuchte dieses Problem zu unterlaufen, indem sie sich als Avantgarde eines innovativen evolutionistischen Denkens positionierte und ein neues Stadium der Entwicklung der Geschlechterverhältnisse proklamierte. Entscheidend ist aber, dass beide Diskurse ein Konzept der Zivilisation benötigten, um ihre Ansprüche zu begründen. So ist aus der Kombination von Evolutions- und Rekapitulationstheorie, der Anthropometrie, den Thesen vom zunehmenden Geschlechterdimorphismus und der ›angehaltenen Entwicklung‹ ein Amalgam entstanden, das Race und Gender zu einem konkurrierenden Konstitutionszusammenhang in einem hegemonialen Meisterdiskurs verknüpft. An dieser Stelle wird die Race-Differenz konstitutiv, und die Paarung ›New Woman‹ und ›Primitive Man‹ prägt das Bild. Während der Abolitionismus-Diskurs die naturrechtliche Gleichheit aller Menschen und ihrer Würde zum Ausgangspunkt für beide Emanzipationsprojekte genommen hatte, begründet ein
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Zivilisationsdiskurs Status über den Grad der Entwicklung oder über die angenommene Position auf der Evolutionsleiter. Wenn weiß-weibliche Zivilisation zum Argument für Gleichheit mit dem weißen Mann wird, dann werden ›andere‹ Races notwendig zu Kontrastfolien für den behaupteten avancierten Stand der eigenen Entwicklung und der politischen Forderungen, die daraus ableitbar sind. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Logik des Gegensatzes von Kultur oder Zivilisation zu Natur. Im weißen Zivilisationsdiskurs werden die primitiven Races der Natur zugeschlagen, die entwickelten Races der Zivilisation. Donna Haraway interpretiert den zentralen Stellenwert der Natur-Kultur-Dichotomie als die westliche Suche »nach dem Selbst im Spiegel eines untergeordneten Anderen durch die ständige Wiederholung von Ursprungsgeschichten« (Haraway 1995b, 140f). Während also die Abolitionistin durch die analoge ›Gleichheit‹ mit dem Sklaven als unterdrücktem Wesen politisch zu gewinnen hatte, ist für die weiße Neue Frau der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Nähe zum ›Primitiven‹ bedrohlich. Für sie ist es deshalb überaus wichtig, einen Gegensatz zwischen ›niederen‹ Races und einer weiß-weiblichen Tugend-Zivilisation aufzubauen und zu pflegen. Das führt zu Konflikten und Konkurrenzen mit afroamerikanischen Emanzipationsansprüchen. W.E.B. Du Bois erkundet in seinem Roman The Quest of the Silver Fleece und in der Erzählung »The Comet« diese Rhetorik des Anspruchs weiß-weiblicher Zivilisationsüberlegenheit literarisch und untersucht dabei die verheerenden Auswirkungen dieser Differenzbildung auf schwarze Männer. Bewegung kommt in diese erstarrte Dichotomie erst, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr gewollt werden. Diese Situation trat historisch ein, als eine neue weiße Frauengeneration sich auf der kulturellen Bühne zu Wort meldet, die keinen Wert mehr auf den Anspruch von weiblicher Tugend in der Hierarchie der Zivilisationen legte, sondern die im Gegenteil einen sexuellen Modernismus proklamierte. Zeitgleich mit diesen Aufbrüchen re-signifizieren afroamerikanische Intellektuelle und Künstler den Bedeutungsraum des Begriffs Primitivität. Sie knüpften an europäische Avantgarden an, die afrikanische Kunst als Inspiration für eine neuen Einfachheit, Abstraktion und Vitalität für sich entdeckt hatten. Kreativer schwarzer Primitivismus wurde zu einem Adelsprädikat. Damit war die Herrschaft des hierarchisierten Gegensatzpaares Zivilisation und Primitivität ausgehebelt: Die weiß-weiblichen Protagonistinnen dieser neuen Kultur empfanden einen Zivilisationsbegriff, der auf weiblicher Tugend aufbaute, als Fessel; Teile der afroamerikanischen Avantgarden resignifizierten Primitivität als Motor von Vitalität und Kreativität. Eine neue Generation junger Künstler und Künstlerinnen der Harlem Renaissance und eine kleine Gruppe weißer Frauen aus der Bohème sprengte jenseits der bürgerlichen Tugend den fest gefügten Rahmen der Race-Gender-Ordnungen. Das nächste Kapitel wird
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sich mit dieser kurzfristigen und nur lokal wirksamen Verwerfung der alten Verhältnisse beschäftigen und die neue Paarung der weißen Bohémiennes mit neo-primitivistischen Künstlern bei ihren kulturellen Konfrontationen beobachten. Auch hier spielt die Natur-Kultur-Dichotomie eine große Rolle, nur dass jetzt die Sehnsüchte eines sexuellen Modernismus und künstlerischen Primitivismus auf die Naturseite projiziert werden, wobei Zivilisation als ›Überzivilisation‹ zu einer lästigen Erbschaft wird.
3. Primitivistische Renaissancen und sexuelle Modernismen
F USIONEN 3.1 Wilde Träume Traum 1 – Der afroamerikanische Satiriker George Schuyler erzählt in seiner Dystopie Black no More (1931) von einem Mann, der am Neujahrsabend 1933 in einem Nachtclub in Harlem eine wunderschöne blonde Frau zum Tanz auffordert: »›No‹, she said icily, ›I never dance with Niggers‹« (Schuyler 1989, 24). Gekränkt und verärgert findet er nur schwer in den Schlaf und träumt: »I dreamed of dancing with her, dining with her, motoring with her, sitting beside her on a golden throne, while millions of manacled white slaves prostrated themselves before me. Then there was a nightmare of grim, grey men with shotguns, baying hounds, a heap of gasoline soaked faggots and a screeching, fanatical mob.« (Ebd. 24)
Traum 2 – Die weiße Bohémienne Nancy Cunard, Liebhaberin primitiver Kunst und afroamerikanischer Künstler, berichtet von einem Kindertraum: »[I dreamed of] […] ›a dark continent‹ – with Africans dancing and drumming around me, and I one of them, though still white, knowing mysteriously enough, how to dance in their manner. Everything was full of movements in this dream; it was that which enabled me to escape in the end, going further, even further! And all of it was a mixture of apprehension that sometimes turned into joy, and even rapture.« (Cunard 1954, 140)
»The subject of the dream is the dreamer«, schreibt Toni Morrison in Playing in the Dark (Morrison 1992a, 17). Zwei Tänzer, zwei Races, zwei Geschlechter. Ein Traum von Triumph, Allmacht und Strafe auf der einen Seite, und ein Traum von Rhythmus und Kommunion auf der anderen. In beiden Träumen werden Color Lines überschritten. Im ersten Fall werden die Herrschaftsverhältnisse
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ins Gegenteil verkehrt – weiße Sklaven beugen sich vor dem schwarzen König. Im zweiten Fall werden die Herrschaftsverhältnisse abgeschafft, und eine ›gleiche‹ Weiße wird in den schwarzen Tanz integriert. Im ersten Fall stürzt der Traum in einen Alptraum ab – ein Lynchmob bildet sich am Horizont. Im zweiten Fall winkt Erlösung und Selbstvergessenheit. Beide Träume waren kühne Träume, wenn man bedenkt, wie erstarrt und hierarchisch die Race- und Gender-Verhältnisse zum Ausgang des 19. Jahrhunderts geworden waren. Sie zeigen ein kulturelles Klima des Aufbruchs aus dem Korsett viktorianischer Wohlanständigkeit an, mit dem Teile der amerikanischen Intelligenz das neue Jahrhundert begrüßten. Das folgende Kapitel wird sich hauptsächlich mit dem zweiten Traum auseinandersetzen. Nancy Cunard ist nicht die einzige weiße Frau der zwanziger und dreißiger Jahre, die den Abgrund zwischen den Races überspringen will, oder – anders ausgedrückt – sich an der angenommenen Vitalität und Natürlichkeit von Blackness bereichern will. Während die afroamerikanischen Aufbrüche aus dem Race Ghetto der Künstler und Künstlerinnen der Harlem Renaissance breit erforscht sind, gibt es in der Sekundärliteratur noch keinen Versuch, die diversen Stimmen weißer LebensstilRebellinnen, die sich an ›schwarzer‹ Kunst und Künstlern und Künstlerinnen inspirierten, zu einer korrespondierenden Diskursformation zusammenzufassen. Die in der Folge betrachteten weißen Frauen – die reiche Erbin und ›Primitivismus‹-Spezialistin Nancy Cunard, die plebejische Sex-Ikone und Boulevard-Autorin Mae West, die feinsinnige imagistische Poetin H.D., die politisierte Salondame Mabel Dodge Luhan und die Anti-Lynching-Aktivistin Mary White Ovington – waren exponierte Pionierinnen einer neuen Geschlechterordnung. Als ledige, geschiedene oder lesbische Frauen keiner persönlichen patriarchalischen Kontrolle unterworfen, gerieten sie im Überschreiten der alten Grenze der separaten Sphären in spezifischen Lebensverhältnissen an eine neue Grenze, die der afroamerikanische Soziologe Abdul JanMohammed »racial sexual border« nennt (JanMohamed 1992, 108). Die erotische, künstlerische und psychologische Investition in Blackness bestimmter Protagonistinnen der weißen weiblichen Bohème, wie sie in Nancy Cunards Traum aufscheint, wird sich in der Folge nicht als Spleen, sondern als Effekt ihrer Transformation in eine neue Sexualordnung erweisen.
3.2 Mongrel Manhattan Die Viktorianische Ära war mit dem ersten Weltkrieg endgültig im Untergang begriffen. Das sogenannte ›Jazz Age‹ – auch die ›Roaring Twenties‹ – genannt, produzierte eine Phase der Diffusion, des Experiments und der Umwertung. Diese Umbruchperiode führte zu kurzfristigen Verwischungen und performativen Überwindungen von Race- und Geschlechtergrenzen. Zwei kulturelle Moden bildeten den Nährboden für diese Entwicklung: die Begeisterung für
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›primitive‹ Kunst einerseits und eine neue libertäre Sexualethik andererseits. Mabel Dodge Luhan schreibt in ihren Memoiren über die Jazz-Age-Zeit: »[…] barriers went down and people reached for each other, who had never been in touch before; there were all sorts of new ways to communicate, as well as new communications. The new spirit was abroad and swept us all together.«1
Im 19. Jahrhundert wurde weiße bürgerliche Feminität über eine separate weibliche Sphäre definiert. Sie bezog sich auf das Haus, die Religion aber auch die Kultur. Auch Blackness war nach Abschaffung der Sklaverei in einen abgegrenzten Raum verwiesen worden, den die zeitgenössische Sozialwissenschaft nach dem indischen Vorbild als ›Kaste‹ bezeichnete.2 Der Begriff Kaste reflektiert die Tatsache, dass Hautfarbe als Kastenmerkmal Menschen mehr trennt als sonst möglicherweise gleiche Geschlechts- oder Standesangehörigkeit. Zudem war die Kasten-Segregation zwischen Schwarz und Weiß durch das Supreme CourtUrteil Plessy vs Ferguson 1896 und seine ›Separate-but-Equal‹-Doktrin rechtlich sanktioniert.3 Das ineinander Spielen von Kaste und Sphäre bildete die besagte
1 | Luhan 1999, 112. Die reiche Erbin Mabel Dodge Luhan wird häufig als verwöhnte Abenteurerin auf der Suche nach Sensationen geschildert. Eine Rehabilitation Luhans in Bezug auf sozialrevolutionäre Aspekte ihres Denken findet sich in Stansell 2000, 208f. 2 | Die Bezeichnung afroamerikanischer Lebensbeschränkung als geschlossene und ausgegrenzte ›Kaste‹ wurde in den dreißiger Jahren durch W. Lloyd Warner entwickelt und in berühmten Studien wie Caste and Class in a Southern Town von John Dollard (Dollard 1935) und von Davis/Gardner/Gardner Deep South. A Sociological Anthropology of Caste and Class ausgearbeitet (Davis/Gardner/Gardner 1941). Der Beschreibungswert des Kastenbegriffs war für die angesprochene Zeitperiode groß, denn der marxistische Klassenbegriff konnte die rabiate Abgrenzung zwischen weißem und schwarzen Proletariat nicht fassen, siehe Roediger 1991. Zu einer afroamerikanischen Kritik der vorwiegend weißen »Class-and-Caste«-Schule der amerikanischen Sozialwissenschaft als einem Modell von Verachtung und Mitleid (Contempt and Pity) siehe Scott 1997, 26-27, 35-36. Siehe auch die grundsätzliche Kritik an der frühen amerikanischen Soziologie in der Race Frage (Ferguson 2004). 3 | Der Richterspruch ›Separate but Equal‹ war durch eine Klage gegen Segregation in Eisenbahnabteilen entstanden. Der hellhäutige Afroamerikaner Homer Plessy hatte vorsätzlich in einem für Schwarze verbotenen Abteil Platz genommen und war, als er sich weigerte, seinen Sitz zu verlassen, verhaftet worden. Die von ihm angestrengte Klage, dass Rassentrennung im Fernverkehr verfassungswidrig sei, wurde mit der oben zitierten Begründung abgewiesen. Die Rechtsprechung führte zu einer neuen Welle von Segregationsgesetzen. Siehe Sundquist 1988 und Somerville 2000, 1f.
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›Racial-Sexual-Grenze‹,4 die durch wissenschaftliche Diskurse in der Biologie, Anthropologie und Medizin in den Rang einer ›natürlichen‹ Ordnung erhoben worden war und durch klare Demarkationslinien gegeneinander und vom dominanten Prinzip der weißen männlichen Hegemonie abgegrenzt wurde. Mit dem langsamen Niedergang des Sozialdarwinismus als Meistermetapher der Weltbetrachtung entkam das weibliche Geschlecht seiner ›natürlichen‹ Zurückgebliebenheit als ›niederes Geschlecht‹ auf der Evolutionsleiter. Eine große Rolle spielte dabei die Propagierung einer sogenannten Sexuellen Moderne (Sexual Modernism).5 Dieser Diskurs half einer neuen sozialen Spezies, der weiblichen Bohémienne, die Fesseln der Sphäre zu sprengen. Auch die ›Kaste‹ der Afroamerikaner zeigte Auflösungserscheinungen. Die schwarzen Soldaten der noch segregierten kämpfenden Truppen im 1. Weltkrieg hatten in Europa mit den alliierten Armeen die Erfahrung der Kastenlosigkeit gemacht und kritisierten die Segregation zu Hause.6 Auf diesem ›Expreßaufzug in die Moderne‹ und einer ›Revolution der Moral und der Sitten‹7 bildete sich für die kurze Zeit zweier Jahrzehnte im begrenzten Raum großstädtischen intellektuellen Lebens ein Energiefeld, das Transgressionen und Umwertungen bisheriger Demarkationen ermöglichte.
4 | Der Begriff »Racial-Sexual-Grenze« ist eine Variation des Sprachgebrauchs »racial sexual border« von Abdul JanMohammed (JanMohamed 1992, 108). Da ich den deutschen Rasse-Begriff vermeiden und nicht ›rassisch-sexuelle Grenze‹ schreiben will (siehe Unterkapitel »Begriffsklärung« in der Einleitung, S. 24-30) greife ich in diesem Ausnahmefall auf einen umständlichen deutsch-englischen Bezeichnungshybrid zurück. Zur Präzision der Zusammenfügung einer Race- und Gender-Ordnung existiert im Deutschen kein befriedigender Ausdruck. 5 | Als ›Sexual Modernism‹ bezeichnet man im angloamerikanischen Sprachraum das durch die Popularisierung der Psychoanalyse und durch erste ›progressive‹ Sexologen wie Havelock Ellis erzeugte Klima sexueller Reform, das mit den Modernisierungsschüben der Goldenen Zwanziger korrespondierte. Siehe auch Boone 1997. Zur Literatur siehe Miller 1998, Trask 2003, Hackett 2004 und Seelow 2005. 6 | Obwohl die afroamerikanischen Soldaten einen hohen Einsatz gezeigt hatten und 14,4 Prozent von ihnen (Vergleich 6,2 Prozent der Weißen) gefallen waren, weigerte sich die amerikanische Heeresleitung, sie auf der Siegesparade in Paris mitmarschieren zu lassen (Douglas 1995, 87ff). Aus Protest wurde in New York eine Siegesparade für die schwarzen Soldaten veranstaltet, die als Fanal für ein aufbrechendes Selbstbewusstsein in Harlem begrüßt wurde. Siehe Huggins 1971. 7 | Titel des ersten Kapitels der berühmten zeitgenössischen Studie zum Jazz Age Only Yesterday von Frederick Leslie Allen (Allen 1931).
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Anti-bürgerlicher Lebensstil wurde zu einem Labor – Alain Locke spricht von einem »Laboratory for a new Race-Welding«8 –, in dem die sozialen Fiktionen Race und Gender aufgemischt und im Zuge dieser Öffnung sowohl ein ›New Negro‹9 wie eine ›New Woman‹10 proklamiert wurden. Mongrel Manhattan – Bastard Manhattan – nennt Ann Douglas ihr Portrait der zwanziger Jahre, worin sie einen neuen (weißen) Frauentyp, den Bubikopf tragenden intellektuellen und lebenshungrigen Flapper, afroamerikanischen Künstlern und Künstlerinnen aus Harlem gegenüberstellt (Douglas 1995). Der ›Harlem Renaissance‹ genannte Aufbruch afroamerikanischer Kreativität war für die schwarze und den Teil der weißen New Yorker Intelligenzia, der nach Harlem pilgerte, ein ›Rite de Passage‹, ein kurzfristig zelebrierter Schwellenraum. Hier ließ sich wie unter einem Vergrößerungsglas beobachten, wie sich die Regime von Race und Gender des späten 19. Jahrhunderts auflösten, um sich über den Katalysator ›Primitivismus‹, der sich in den afrikanisch inspirierten Kunstformen der Moderne und in den neuen Triebtheorien der Psychoanalyse manifestierte, neu zu gruppieren. Ein wichtiges Moment dabei war sexuelle Libertinage, die implizit mit Blackness und dem ›schwarzen‹ Nachtleben von Harlem in Verbindung gebracht wurde. Die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Wendy Martin schreibt dazu: »The black body represented unrestrained, illicit desires, and black sexuality was associated with satanic chaos and bestiality. At the same time black culture represented freedom from routine, predictability, rigidity. Jazz culture and Harlem in the 1920’s represented liminal space, where whites could ›go slumming‹ to ›let off steam‹. That is
8 | Locke 1968. James Weldon Johnson nannte in Black Manhattan Harlem ein »largescale laboratory experiment in the race problem« (Johnson 1968, 281). 9 | Der Begriff ›New Negro‹ ist im Prinzip älter als Alain Lockes berühmte Anthologie von 1925. Zum ersten Mal wird er prominent von Booker T. Washington – ebenfalls in einer Anthologie – verwendet, die die ›Errungenschaften‹ der Race würdigt: The New Negro for a New Century (1900). Zur kulturellen Währung wurde er aber erst mit der Harlem Renaissance. Siehe Gates 1992 und Gates 1997. 10 | Auch der Begriff ›New Woman‹ wurde schon vor der Jahrhundertwende geprägt und bezeichnete anfangs unverheiratete weibliche Reformerinnen und sogenannte ›Progressives‹ wie Jane Addams and Charlotte Perkins Gilman. Erst in den frühen Zwanzigern verschmolz er mit einer jungen Generation von Lebensstil-Rebellinnen jenseits Viktorianischer Konventionen (Trimberger 1983, Balshaw 1999). Zur zweiten Bedeutung von New Women schreibt Carol Smith-Rosenberg: »[…] They placed more emphasis on self-fulfillment, a bit less on social service, and a great deal more on flamboyant presentation of the self […] (they) fused their challenge of gender conventions with a repudiation of bourgeois sexual conventions« (Smith-Rosenberg 1985, 177).
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG black jazz culture and Harlem became the cultural equivalent of the American libido.« (Meine Kursivierung) (Martin 1995, 318)
Auf dem Schnittpunkt Harlem/Greenwich Village produzierten die Differenzmaschinen Race und Gender neue Metaphern, die das Feld der bis dahin vorherrschenden biologisch-sozialen Bilder verließen und sich auf einer ganz neuen Landkarte verorteten, der Landkarte des Begehrens. Eine Entwicklung, an deren Ende als verklammertes Gegensatzpaar eine Sexualisierung von Race und eine ›Rassisierung‹ von Sexualität stehen, nimmt hier ihren Ausgang. Mongrel Manhattan ist die Bühne für diese neue Darstellungsform.
3.3 Neue Farben – Neue Körper Die Farbe Schwarz konnte bei diesen Vermischungen ihren Markierungscharakter verlieren. Zur neuen Mode schwarz-weißer Partys schreibt der Harlemer Romancier Wallace Thurman: »Color lines have been completely eradicated. Whites and blacks clung passionately together as if they were trying to effect a permanent merger. Liquor, jazz music, and close physical contact had achieved what decades of propaganda had advocated with little success.«11
Noch grundsätzlicher jenseits der Color Line definierte sich der Dichter Jean Toomer. Race-Differenzen sind seiner Auffassung nach Sprechakte, lediglich Worthülsen ohne stoffliche Referenz. Er designierte sich zum ersten bewussten Mitglied einer neuen ›American Race‹, die sowohl die Differenz von schwarz und weiß als auch die von Mann und Frau hinter sich gelassen habe, und zu einer neuen Art verschmolzen sei: the American: »The so-called family tree is largely verbal […] Let there be man and woman […] I have human values […] I am in a strict racial sense a member of a new race […] Jean Toomer is an American.«12
Auch auf dem Feld der Sichtbarkeit verschob sich die Wahrnehmung. Hatte bis dato die so genannte ›One Drop Rule‹ jeden Menschen, gleichgültig welcher Hautschattierung zum sozial schwarzen Menschen gemacht, wenn er nur einen 11 | Thurman 1992, 186. Im gleichen Roman formuliert Thurman diese Position auch programmatisch: »We don’t always have to beg and to do tricks. We want to loose our racial identity as such and be acclaimed for our achievements if any« (Thurman 1992, 200). 12 | Jean Toomer Collection, Box 32, Folder 7, 15, Beinecke Bibliothek, Yale. Zitiert nach Woodson 1999, 43.
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Tropfen ›schwarzen‹ Blutes in sich trug, bekam nun die gelegentliche Nichtwahrnehmbarkeit von Race bei sehr hellhäutigen Menschen einen Beweiswert für die Künstlichkeit von Race-Zuschreibungen überhaupt.13 Viele der Führer der 1909 gegründeten ersten Bürgerrechtsorganisation, der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), wie James Weldon Johnson und Walter White, waren so hellhäutig, dass man sie ironisch zu ›voluntary Negroes‹ erklärte. Zora Neale Hurston spottete über Johnson: »[he was] a man white enough to suit Hitler [who has been] passing for colored for years […] but just hasn’t made it.«14 ›Passing‹ wurde zum großen Thema der Epoche. Je weniger allerdings Race als Essenz betrachtet wurde, desto absurder und diffuser wurden die Passing-Geschichten.15 In dieser kurzen Treibhausperiode konnte der Zug auch in die Gegenrichtung steuern. Nicht nur die Möglichkeit des Für-Weiß-Durchgehens bewies die Unzuverlässigkeit von Race-Kategorien. Wie schon in Nancy Cunards eingangs zitiertem Traum konnte auch bei weißen Menschen eine Race-Maskerade, ein Blackening, beobachtet werden. Carl van Vechten, einer der berühmtesten weißen Mäzene afroamerikanischer Künste und Künstler ließ sich auf einer Party bei Mabel Dodge Luhan dermaßen von schwarzen Jazz Musikern hinreißen, dass er sich in den Augen der Bohémiens buchstäblich verdunkelte: »Carl rocked with laughter and little shrieks escaped him as he clapped his pretty hands. His big teeth became wickedly prominent and his eyes rolled in his darkening face, until he grew somewhat resembled the clattering Negroes before him.«16 13 | In einer Analyse von Johnsons Autobiography of an Ex-Colored Man behauptet Samira Kawash: »My claim is that the passing narrative is not about representation of blackness or whiteness; rather it is about the failure of blackness or whiteness to provide the grounds for a stable, coherent identity« (Kursivierung Kawash) (Kawash 1996, 63). 14 | Nach einer unpublizierten Passage ihrer Autobiographie Dust Tracks on a Road zitiert bei Sollors 1997, 494, N7. In der Passing-Satire Black No More macht sich Georg S. Schuyler über den blauäugigen Walter White lustig, »[…] who was known to be a Negro among his friends and acquaintances, but no one else would have suspected it« (Schuyler 1989, 94). 15 | Das Phänomen Passing wurde in jüngerer Zeit zu einem Schwerpunkt wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Siehe Ginsberg 1996, Sollors 1997 und Wald 2000. Werner Sollors entwickelt in seinem Buch Neither Black nor White die historische Bedingtheit der Passing-Geschichte: »[…] racial passing is particularly a phenomenon of the nineteenth and first half of the twentieth century. It thrived in modern social systems in which, as a primary condition, social and geographic mobility prevailed. A second constitutive feature for ›passing‹ was the widely shared social believe system, according to which certain decent characteristics, even invisible ones, were viewed as essential an more deeply defining than physical appearance« (Sollors 1997, 247-248). 16 | Luhan 1999, 122. Diese relativ seltene Bewegung, von weiß nach schwarz zu ›passieren‹, fand besonders im Medium der Musik statt, wie die Autobiographie des weißen
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So wie Whiteness und Blackness an Trennschärfe verloren, zeigten sich auch Auflösungserscheinungen in den Registern Maskulinität und Feminität, wie man in der deutlichen Androgynisierung der knabenhaften Gestalt des Flappers sehen kann.17 Susan Gubar und Sandra Gilbert beobachteten in ihrer feministischen Kulturgeschichte Sexchanges eine Welle von weiblichen ›Crossdressings‹ hinüber in die männliche Figur.18 Nicht nur berühmte Lesbierinnen, wie sie in den Gemälden der Romaine Brooks portraitiert werden (Abb. 5),19 sondern auch skandalumwitterte Liebhaberinnen männlicher Künstler wie Nancy Cunard (Abb. 6)20 oder Flapper wie das »It-Girl« Louise Brooks zeigen sich im Anzug mit Zigarettenspitze und Monokel.21 Bei der reichen Erbin und Kunstsammlerin Nancy Cunard, der Dichterin H.D. oder der frühen Bühnen-Persona von Mae West sieht man in den Selbstinszenierungen eine deutliche Abkehr von der viktorianischen Takelage: keine Korsetts, keine aufgesteckten Langhaarfrisuren, klare nackte Gesichter mit geraden Blicken ohne das Repertoire weiblicher Sittsamkeit. Wurde zur Jahrhundertwende noch jede stilistische Assoziation zu primitive Races peinlich vermieden, (Newman 1999) können jetzt auch Requisiten von Blackness wie afrikanischer Schmuck zu Zeichen eines moralischen Aufstandes werden. Nancy Cunard inszenierte in ihrer öffentlichen Persona sowohl die neue Androgynie wie auch afrikanische Elemente. Sie verkörperte die Epoche prototypisch als frivole, überschlanke Ikonen der Moderne mit kurzer Bop-Frisur, Kohle jüdischen Jazz-Musikers Mezz Mezzrow Really the Blues (1946) zeigt. Mezzrow war nach seiner sozialen und musikalischen Amalgamierung in die Musik und Harlem sogar davon überzeugt, dass er selbst biologisch negroide Züge herausgebildet habe. Zu einer Analyse der Mezz Mezzrow-Geschichte siehe Wald 2000, 53-82. Michael North nannte diese Aneignung schwarzer Stimme (Musik) »Rebellion through racial ventriloquism« (meine Kursivierung) (North 1994, 9). Michael Rogin benutzt in einer Analyse des ersten Tonfilms, THE JAZZ SINGER (1927) mit dem Schauspieler Al Jolsen, den Begriff »Musical Miscegenation«, um die Befruchtung von Whiteness durch schwarze Musik zu zeigen (Rogin 1992a, 437). 17 | Zu einer Sozialgeschichte des Flappers siehe Critop 1975, Fass 1977 und Haag 1992. 18 | Siehe Kapitel 8 »Cross-Dressing and Re-Dressing. Transvestitism as Metaphor« in Gilbert/Gubar 1989. 19 | Gilbert/Gubar 1989, 253. Bildnachweis: Romaine Brooks. Una Lady Troubridge. National Museum of American Art, Smithonian Institution. 20 | Man Ray Photo, Christian Tzara kniet vor Nancy Cunard im Frack und küsst ihre Hand. Bildnachweis: Ray 1983, 156. 21 | Majorie Garber fasst in Vested Interests diese Interessen zusammen: »A number of (female Modernists) […] no doubt drawing on what Freud considered the girl’s greater ›bisexuality‹ sought to disengage anatomy from destiny, postulating an identity whose transcendence of biological sexuality either explicitly or implicitly questioned gender roles prescribed by the conventional sexual ideologies they sought to deconstruct« (Garber 1993, 326f). Zum maskulinisierenden Aspekt von Rauchen und Monokel siehe Garber 1993, 219-231.
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umrandeten Augen und blutrotem Lippenstift. Sie war Heldin von Salon-Romanen, Modell berühmter Künstler der Moderne u.a. von Brancusi und Kokoschka, und posierte in exotischen Verkleidungen für Photographen wie Man Ray, Cecil Beaton und Barbara Ker-Seymer. Jane Marcus entwirft angesichts einer Photographie von Ker-Seymer ein geradezu lyrisches Portrait von Cunard. (Abb. 7)22
Abbildung 5, 6 und 7 »Her body was very much part of the history of the period, draped in tiger skins, wrapped in leopard, or backed by metal as in a metropolitan landscape of the Thirties Berlin. Breastless, white phallic, stretched in pleasure – or perhaps its pain –, caught in soft clothes manacles, bound by silken scarves, held by ivory chains, she becomes a boy or an androgynous creature«. (Marcus 1995, 38)
22 | Marcus 46 Fig. 4.
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Marcus’ Beschreibung entzieht sich scheinbar der Sexualisierung – brustlos, metallisch – und bedient dabei zugleich ein androgynes Zeichensystem. Die Sexualisierung findet über das Gestische statt, indem sie ein laszives Räkeln im Körpergenuss wahrzunehmen meint. Die Aneignung von Race-Signaturen bildet den anderen Pol des Zeichensystems, hier aus dem Großwildjäger-Repertoire des Kolonialismus mit Tiger und Leopardenfellen. Neben der imperialen schiebt sich noch eine zweite Dimension ins Bild: (Sklaven-)Fesselungen und Ketten. Ein weiteres neo-primitivistisches Race-Element waren Nancy Cunards afrikanische Elfenbein-Armreifen, von ihrer Mutter ›Slave Bangles‹ genannt, die zu ihrem Markenzeichen wurden. Sie ließ sich unzählige Male damit photographieren und trug sie an beiden Armen bis zu den Ellenbogen. (Abb. 8)23
Abbildung 8 Auch die weißeste aller weißen Sex-Stars der Zeit, die wasserstoffblonde Vaudeville-Königin Mae West, nutzte diese Strategie, die ich ›performing blackness‹ nennen möchte, als Ausdruck für ihren speziellen sexuellen Modernismus. Obwohl durch einen immensen Klassenunterschied getrennt, Cunard war Erbin eines Reedereivermögens, West Tochter einer armen deutschen Immigrantin und eines Kleinkriminellen aus Brooklyn, weisen beide Frauen in der Aneignung ›schwarzer‹ Zeichensysteme zur Erzeugung einer erotischen Aura erstaunliche Parallelen auf. West hat ihren unverkennbaren Bühnenstil von An-
23 | Man Ray Trust/A.D.G.P./Edition du Desastre.
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fang an nach schwarzen Vorbildern geprägt: die lasziv langsamen Bewegungen, die Art, ihren Texten ein ›double entendre‹ zu geben, das sich erst nach dem zweiten Hinhören erschließt und die synkopisch verjazzten Songversionen ursprünglich europäischer Bühnencouplets.24 Anders als Cunard, deren »Negrophilia«25 aus einer europäischen intellektuellen Faszination an primitiver Kunst erwachsen war, liegen Mae Wests Bezüge zu schwarzen Ausdrucksformen in der amerikanischen (weißen) plebejischen Tradition der Black Face-Minstrelshows, mit denen sie als Vaudeville-Darstellerin nicht nur vertraut war, sondern die sie in ihrer Frühzeit als ›Coon-Shouter‹ auch ausgeübt hatte. Love and Theft – Liebe und Diebstahl – titelt Eric Lott seine Studie über Black Face-Minstrelshows, eine der ersten Arbeiten, die über die berechtigte Kritik an dieser Theaterkonvention als rassistische Stereotypisierung hinausgeht und eine weiße Sehnsucht nach Vitalität, Chaos und Eros herausarbeitet, die sich ebenfalls mittels der schwarzen Maskerade Ausdruck verleiht.26 Um eine Art von ›Diebstahl‹ handelte es sich auch in Mae Wests Adaption des afroamerikanischen ›Shimmy‹. Diesen sehr statischen Tanzstil, der wenig Fußbewegungen, aber dynamisches Hüftrollen erfordert, hatte Mae West in schwarzen Tanzhallen in Chicago kennen gelernt. In ihrer Autobiographie zeigt sie sich fasziniert von der »naked, aching, sexual agony« (West 1976, 64) dieser Bewegungsform. »Signifying«, nennt Henry Louis Gates eine afroamerikanische Ausdrucksstrategie, die über Kopieren und vor allem Variieren eines weißen Verhaltens oder Stils sowohl komische Subversion als auch implizite Kritik ausdrückt (Gates 1988b). Der Shimmy ist eine besondere Variante dieser subversiven Mimikry, weil der Tanz nicht nur Race-Grenzen, sondern auch Geschlechtergrenzen mehrfach überschreitet. Ursprünglich ist der Shimmy eine ›signifying‹ Parodie auf den Beischlaf imitierenden Hüftschwung weißer Burlesque Tänzerinnen, den ›Cooch‹, einer Frühform von Striptease und Table Dancing (Watts 2001, 54). Von schwarzen Männern getanzt und variiert, ist er eine augenzwinkernde – Jill Watts nennt es ›hysterische‹ – Replik auf weiße erotische Kulturen. Mae West tanzt den Shimmy wieder in sein ursprüngliches Milieu zurück – das mit sexuellen Anspielungen aufgeladene weiße Vaudeville –, aber sie reichert ihn mit den synkopisierenden afroamerikanischen Rhythmen an, d.h. sie resignifiziert den Shimmy. Dieser kulturelle Liebesdiebstahl bringt ihr den Titel »Shimadonna« ein, und sie feierte damit in New York große Bühnenerfolge. Die Presse jubelte und zitierte dabei Anfeuerungsrufe aus der af24 | Zu einer Darlegung der ›schwarzen‹ Elemente in Mae Wests Performanz siehe Cheryl Watts Mae West. An Icon in Black and White (Watts 2001) und Robertson 1996, 33-37. 25 | Siehe den Aufsatz »Negrophilia« von James Clifford (Clifford 1989). 26 | Lott 1995. Lott bezieht seine Studie zwar auf die Frühzeit der Minstrelshows vor dem Bürgerkrieg und arbeitet den Klassenaspekt heraus, seine Denkfigur lässt sich meines Erachtens aber auch auf die oben beschriebenen Phänomene übertragen.
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roamerikanischen Kultur: »[…] when Mae swings into the shimmying thing the orchestra leader feels like quitting his post and shouting ›Atta girl, Mae go‹«.27 West lieferte auch ihre Gesangsnummern regelmäßig in Jazz und Blues Interpretationen. Sie kopiert dabei einen spezifischen ›dirty Blues‹ im Stil schwarzer Sängerinnen wie Ma Rainy und Bessie Smith, die mit ihren Texten und Auftrittsformen eine Mixtur von erotischer Aggression und Lockung verkörperten (Carby 1986). Zora Neale Hurston beschreibt in »Characteristics of the Negro Expression« (1934) einen Besuch von Wests berühmtem Skandalstück Sex: »I noted that Mae West in Sex had more flavor of the turpentine quarters than she did of the white bawd. I know that the piece she played on the piano is a very old Jook composition« (Hurston 1990, 186). Auch West teilt den exotischen und grenzauflösenden Blick auf Harlem als erotisches Mekka. Wie viele andere weiße New Yorker ging sie regelmäßig dort hin. In ihrem ursprünglich Black and White übertitelten Roman Constant Sinner (1931) über eine weiße Prostituierte und Kleinkriminelle, die hauptsächlich in Harlem aktiv wird, schreibt sie über den New Yorker Stadtteil: »The old story of civilization’s lust was being retold in Harlem […] the flesh cry that has persisted through all time – found expression in the region of New York’s black belt. Harlem is […] a museum of occult sex, a sensual oasis in the sterile desert of white civilization, where conventional people can indulge in unconventional excess.« 28 (Meine Kursivierung)
Performing Blackness war für West wie für Nancy Cunard eine Möglichkeit, ihre Darstellungsform zu erotisieren, mit einem unkonventionellen Lebensstil zu dekorieren oder ganz generell eine Metapher für Sexualität zu kreieren. Ein Leitmotiv dieser Studie ist, ›Metaphern auf historischer Wanderschaft‹ zu beobachten. Dieses wieder aufgreifend, soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass Blackness im sexuellen Modernismus aus dem Register ›primitiv‹ in das Register ›Sexualität‹ gewandert war. Primitivität verschob sich vom alten semantischen Feld der evolutionären Zurückgebliebenheit und Degeneration in einen neuen Bedeutungsraum von Vitalität und Sexus. Wenn jetzt das Zeichen Blackness angeeignet wurde, signifizierte es Sensualität und zunächst positiv besetzte Sexualität. Oder anders ausgedrückt, die Trope ›Primitivität‹ wurde im Sinne von Stuart Hall einer kulturellen Transformation unterzogen und neu artikuliert.29 Wirkte 27 | New York Dramatic Mirror, 25. September 1925, 1919. Zitiert nach Watts 2001, 50. 28 | West 1995, 103. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 29 | Siehe die Ausführungen zur Artikulation in der Einleitung S. 35-37. Dieses besondere Phänomen von Reartikulationen als kulturelle Transformationen von eigentlich reaktionären zu befreienden Tropen entfaltet Stuart Hall an Religionen, die sowohl herr-
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sie in der vorherigen historischen Verklammerung als Instrument der Hierarchisierung, die weißen Frauen einen Zivilsationsvorteil erbrachte, so wird sie jetzt zu einer Trope der Seelenverwandtschaft und Vergemeinschaftung. Bei dieser neuen Besetzung der Primitivismus-Trope handelt es sich auch um eine Rassisierung, die aus weißer Perspektive die Farbe Schwarz exotisiert, vitalisiert und sexualisiert. Trotzdem eröffnet diese Variante der Reartikulation von Primitivität einen kurzfristigen utopischen Möglichkeits-Raum der Verwischung von Race-Gender Binaritäten.
3.4 Modernismus – Harlem Renaissance Die Harlem Renaissance hat auf Fraktionen der weißen Bohème zweifellos faszinierend und belebend gewirkt. Jenseits der (weißen) Lust am (schwarzen) Mekka der Sensualität bezeichnet die Harlem Renaissance aber auch eine Kunst- und Literaturperiode, die zum ersten Mal in großem Ausmaß einen besonderen afroamerikanischen Stil kreierte. Damit steht sie in Beziehung zum gesamtamerikanischen kulturellen Klima und den Aufbrüchen der Zeit, die unter dem Schlagwort ›Modernismus‹ eine der fruchtbarsten Generationen von weißen Autorinnen und Autoren hervorbrachte, unter ihnen Gertrude Stein, T.S. Eliot, Scott Fitzgerald, Hilda Doolittle, Ernest Hemingway, Marianne Moore und Ezra Pound. In der neueren Literaturwissenschaft wird daher gefragt, inwiefern die afroamerikanischen Lyrikerinnen und Lyriker Gwendolyn Brooks, Countee Cullen, Helen Johnson und Langston Hughes, die Romanciers Nella Larson, Wallace Thurman, Jessie Fauset und Claude McKay und die bildenden Künstler Aaron Douglas und Archibald Motley als Vertreter und Vertreterinnen oder möglicherweise als Avantgarde des zeitgenössischen (weißen) Modernismus zu begreifen sind und ob sie eine eigene unabhängige Moderne geprägt haben. Seit den siebziger Jahren wogt um diese Fragen in den literatur- und kulturwissenschaftlichen Debatten ein Einschätzungskrieg. Dieser äußert sich in Verdikten, wie das von Nathan Huggins, dass die Harlem Renaissance ein ›gescheitertes‹ Projekt gewesen sei, und Urteilen wie dem von David Levering Lewis, dass es sich bei der Harlem Renaissance um eine ›Vogue‹ unter weißer Patronage und Dominanz gehandelt habe, welche sich in der Illusion wiegte, »Civil Rights per copyright« durchzusetzen.30 schaftssichernden Charakter haben können als auch in bestimmten Lokalitäten und Zeiten zu Befreiungstheologien mutieren können, wie z.B. die Rastafari-Bewegung in Jamaica (Hall 1996, 143). 30 | Huggins 1971, Lewis 1997. Diese Lesart der Harlem Renaissance als »failure« wurde schon von Zeitgenossen der Harlem Renaissance wie Alain Locke und James Weldon Johnson in rückschauenden Erinnerungen konstatiert und zum ersten Mal grundsätzlich
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Diesen Interpretationen stellt Houston A. Baker in seinem Essay »Modernism and the Harlem Renaissance« eine Lesart von Harlem als performativem Unternehmen gegenüber. Nach Baker geht es nicht darum, ob die Kulturproduzenten die Standards der weißen angloamerikanischen Moderne à la T.S. Eliot oder Ezra Pound erfüllen. Denn deren Zivilisationsmüdigkeit sei nicht das afroamerikanische Erbe. Dieses bestehe in der subversiven ›Maske‹ der Minstrelshow, im ›Sounding‹, dem Echo der Vitalität der Spirituals und des Blues, und in der anarchischen Tradition des ›Radical Marooning‹, der Fortführung karibischer Guerillataktiken von in den Wäldern verschanzten, entflohenen Sklaven. Die afroamerikanische Moderne sei damit gleichzeitig eine »mastery of form« und eine »deformation of mastery« (Baker 1987, 15). In einer kühnen Bewegung reklamiert er sodann den sozialen Quietisten Booker T. Washington zum Gründervater der afroamerikanischen Moderne, dem es als Meister der Maske gelungen sei, weiße Philanthropendollars zu akquirieren. Damit habe Washington sich gegen W.E.B. Du Bois gestellt, der mit seiner schwarzen Elite der ›Talentierten zehn Prozent‹ einen Weg der Integration und Akzeptanz durch die weiße Kultur verfolgt und damit die ›eigene‹ Moderne verkannt habe.31 Einen dritten Weg jenseits der Theorie des Scheiterns durch Bohème-Attitude und weiße Dominanz einerseits und der Baker’schen Reklamation einer eigenen vitalen afroamerikanischen Moderne andererseits geht George Hutchinson mit seiner Studie The Harlem Renaissance in Black and White (1965). Er sieht eine verwobene und sich gegenseitig konstituierende amerikanische Moderne in schwarz und weiß. Dabei hebt er bei der ›weißen Moderne‹ weniger auf das politisch europäische Exil ab, sondern mehr auf die zu Hause gebliebenen weißen Autoren wie Eugene O’Neill, Sherwood Anderson, Waldo Frank und DuBose Heyward, die sich in einer nie vorher und nie später dagewesenen Intensi-
von Harold Cruse in The Crisis of the Negro Intellectual (1967) formuliert: »The Harlem intellectuals were so overwhelmed of being ›discovered‹ and courted that they allowed a bona fide cultural movement […] to degenerate into a pampered and paternalized vogue« (Cruse 1984, 52). 31 | Ähnliche Strategien wie Baker bezüglich der originären, modernistischen Leistung der schwarzen Kultur verfolgen Michael North und Sieglinde Lemke. North entwickelt in The Dialect of Modernism. Race Language and Twentieth Century Literature (1994), dass er den Reichtum seines sprachlichen ›Vernacular‹ und die Musik einer ›black voice‹ für konstitutiv für die Moderne hält und weist der weißen Moderne eine ›racial Masquerade‹ nach (North 1994). Sieglinde Lemke argumentiert in Primitivist Modernism. Black Culture and the Origins of Transatlantic Modernism (1998) für die Interdependenz beider Modernismen, einer Dialektik und ihrer Fusion zu einer ›amerikanischen‹ Kulturleistung, die sich zwar von Europa habe inspirieren lassen, sich aber zu einem eigenen Modernismus verschmolzen habe (Lemke 1998).
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tät mit ›schwarzen‹ Themen und Charakteren beschäftigt hatten.32 Hutchinson relativiert dabei die gängige Lesart, dass zivilisationsmüde Autoren sich am Exotischen und Primitiven revitalisieren wollten. Er betont, dass sich beide Modernen in einem gemeinsamen Diskurs der Neubetrachtung von Race und nationaler Identität befunden hätten, die von den gedanklichen Umwälzungen des Deweys’chen Pragmatismus und der Boas’schen Revolutionierung der Anthropologie ausgegangen sei. Dabei habe sich die Anthropologie von einer Hilfsdisziplin des ›wissenschaftlichen Rassismus‹33 zu einem Instrument der Rassismuskritik entwickelt, in der Hautfarbe, Race und Kultur entkoppelt wurden.34 Die Projekte von Houston A. Baker und George Hutchinson sind zweifellos wichtige Korrekturen sowohl des Blickes auf die Harlem Renaissance als auch auf deren Interdependenz mit der weißen kulturellen Moderne. Baker re-evaluiert die als literarisch nicht sehr bedeutend eingeschätzte Harlem Renaissance mit spezifischen afroamerikanischen Elementen. Hutchinson arbeitet die inhaltliche und politische Korrespondenz zwischen der weißen progressiven Greenwich Village-Moderne und vor allem den sozialreformerischen Flügel der Harlem Renaissance und deren Zeitschriftenprojekte wie Crisis und Opportunity heraus. Beide an sich ›progressive‹ Monographien sind allerdings fundamental androzentrisch. Sowohl Bakers Geschichte des schwarzen Selbstausdrucks als auch Hutchinsons Kommunikations-Geschichte einer weißen politischen Avantgarde mit afroamerikanischen Intellektuellen konzentrieren sich auf die Leistungen der männlichen Schlüsselfiguren der Harlem Renaissance, auf ihre Gründervater-Qualität für später aufblühende Bewegungen wie die ›Black Aesthetic‹ einerseits und die weiß-männliche Bürgerrechts- und Anti-KriegsBewegung der sechziger Jahre andererseits. Frauen finden, wenn überhaupt, nur als Mediatorinnen ausführlichere Erwähnung, etwa Jessie Fauset als Kulturredakteurin der Crisis oder Zora Neale Hurston, deren Studium bei Franz Boas in der Sekundärliteratur als Beleg für den Transfer der Erkenntnisse der neuen kulturrelativistischen Anthropologie in den literarischen Raum der Harlem Renaissance instrumentalisiert wird. Eine eigene Würdigung der Leistungen schwarzer Autorinnen der Harlem Renaissance kommt in den Verhandlungen 32 | Siehe z.B. die Stücke All God’s Chillun Got Wings (1924) und Emperor Jones (1928) von Eugene O’Neill, die Gedichte »Dark Laughter« (1924) von Sherwood Anderson, »Holiday« von Waldo Frank und Porgy (1925) von DuBose Heyward. 33 | Zur allmählichen Herausentwicklung der amerikanischen Anthropologie aus einem biologisch evolutionistischen Diskurs von ›wissenschaftlichem Rassismus‹ zu einem kulturalistischen Konzept siehe Stocking 1968. 34 | Zum Einfluss von Franz Boas auf die Protagonisten der Harlem Renaissance siehe Hutchinson 1995, 62-94, Williams 1996. Für den Gesamtkomplex des Rückgangs des wissenschaftlichen, sozialdarwinistisch ausgerichteten, Rassismus, siehe auch Barkan 1992.
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der Einflusssphären unter Männern nicht vor. Afroamerikanische Literaturwissenschaftlerinnen wie Hazel Carby, Deborah McDowell, Cheryl Wall und Claudia Tate haben diese Nicht-Repräsentation korrigiert und Zora Neale Hurston, Jessie Fauset, Helen Johnson und Nella Larson einen bedeutenden Rang eingeräumt, wenngleich sie sie nicht immer unter dem Gesichtspunkt des Modernismus betrachteten.35 Die spezifische Beziehung weißer, weiblicher Figuren der Moderne wie die von Nancy Cunard oder H.D. zur Harlem Renaissance ist ebenfalls lange nicht explizit beleuchtet worden, obwohl Frauen wie sie zu ihrer Zeit als Ikonen der großen kulturellen Umbrüche der zwanziger Jahre galten. 1986 unternimmt die feministische Literaturwissenschaftlerin Shari Benstock mit Women of the Left Bank einen Korrekturversuch und richtet die Aufmerksamkeit auf eine bedeutende Gruppe in Paris exilierter Amerikanerinnen wie Djuna Barnes, H.D., Gertrude Stein und Rose Mcaulay. Im Gegensatz zur männlichen amerikanischen Moderne im europäischen Exil wie Ezra Pound oder T.S. Eliot seien die Frauen des linken Seineufers keineswegs konservativ gewesen, sondern sowohl im unkonventionellen Lebensstil – einige waren offen lesbisch – als auch in ihrer politischen Grundeinstellung progressiv: »Marginal political liberalism (was) generally constructed along the gender lines«.36 Susan Stanford Friedman hat auf den Einfluss der Harlem Renaissance auf weiße, weibliche ›Moderns‹ hingewiesen, wobei sie sich besonders auf Nancy Cunard konzentrierte und die Berührung von Hilda Doolittle (H.D.) mit schwarzer modernistischer Kunst registrierte.37 Gender and Modernism (1990) von Bonni Kime Scott macht dann erstmalig eine große weibliche amerikanische Moderne sichtbar und konstruiert einen Race-übergreifenden Kanon, der Zora Neale Hurston und H.D., Jessie Fauset, Marianne Moore und Nella Larson und Gertrude Stein in eine gemeinsame Kulturbewegung stellt (Scott 1990). Die Neubewertungen vergessener oder entpolitisierter Autorinnen der literarischen Moderne durch Shari Benstock, Susan Stanford-Friedman, Bonnie Kime Scott ist für meine Untersuchung zwar von großer Bedeutung, aber nur von begrenzter Reichweite. Die genannten Autorinnen betrachten die Verbindung der Protagonistinnen der Moderne zur Harlem Renaissance hauptsächlich unter dem Sammelbegriff eines ›Einflusses‹ auf die Moderne. Meine Studie dagegen fasst diese Beziehung schärfer und auch systematischer. Sie geht von der Hypothese aus, dass in jeder amerikanischen Frauenemanzipations35 | Siehe Caraway 1991, McDowell 1994, Wall 1995 und Tate 1998. 36 | Benstock 1986, 31. Siehe auch Weiss 1995. 37 | Susan Stanford Friedman schreibt »[…] H.D.’s personal experience with the Harlem Renaissance played a key role in deepening and broadening her early feminism into a fully progressive modernism based in an identification with all the people who exist as ›scattered remnant‹ at the fringes of culture (Friedman 1986, 94).
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bewegung die Notwendigkeit besteht, sich über eine Race-Gender-Analogie zu profilieren und zu definieren. Insofern ist die Auseinandersetzung weiblicher Moderns mit der Harlem Renaissance weit mehr als eine Einflussfrage oder ein exotisches Aperçu der Literaturgeschichte, sondern es ist ein Effekt von Emanzipation. Eine Auseinandersetzung mit der Frage von Race ist für die Vereinigten Staaten immer ein systematisches Indiz für einen kulturellen Paradigmenwechsel an der Geschlechterfront.38
S E XUALISIERUNGEN 3.5 Sexueller Modernismus und Race Die ›Neuen Frauen‹ des Jahrhundertbeginns waren nicht mehr durch die Schutz- und Disziplinierungsregimes von Tochterschaft und Ehe zu kontrollieren. Karen Lystra schreibt in einer Studie zu den New Women der zweiten Generation, dass weibliche Sexualität nicht länger als etwas begriffen wurde, was der Vater besitzt, sondern als das Eigentum der Frau (Lystra 1990). In Notizen zu einer Psychoanalyse bei Freud beschreibt H.D. eine Phase neurotischer Störungen: »[…] I wanted to be let out. I wanted to free myself of repetitive thoughts and experiences. […] I had something that I specifically owned. I owned myself« (Kursivierung H.D.) (H.D. 1984, 13). In der Tat hatte sich Hilda Doolittle mit Mühe der Kontrolle ihres Vaters entwunden, der ihr zuerst die Beziehung mit Ezra Pound verbot und sodann eine lesbische Leidenschaft zu einer Schulfreundin zu unterbinden suchte.39 In einem Rückblick auf die sittlichen Umbrüche der Zeit schreibt H.D. 1956: »The old Victorian law is hard. Sigmund Freud and Havelock Ellis tempered it for my generation« (H.D. 1984, 175). Die Psychoanalyse und Sexualwissenschaft bildeten das theoretische Rückgrat einer »Neuen Sexuellen Ära«.40 Freud war 1905 in den Vereinigten Staa38 | Im Vorgriff auf eine genauere Argumentation am Ende dieses Kapitels möchte ich hier schon festhalten, dass das nicht in jedem Fall umgekehrt gilt. Aufbrüche aus befestigten Geschlechterordnungen – man denke an das Frauenwahlrecht oder den Anstoß zum Liberal Feminism durch Betty Friedans Feminine Mystique (1963), siehe Kapitel 5, S. 308-309 – indizieren nicht unbedingt Bewegungen an der Race-Front. Im Folgenden wird deshalb auch von einer ›strukturellen Asymmetrie‹ von Race- und Gender-Emanzipationsdiskursen die Rede sein. 39 | Sexualität wurde zu einer Metapher für ›Freiheit‹, zu einer Quelle von Lebensfreude, Energie, Vitalität. Die Sexualhistorikerin Christina Simmons fasst zusammen: »[Sexuality was] a basic expression of personal rights in the 1920’s«, zitiert nach Haag 1992. 40 | D’Emilio/Freedman 1988, 233. Siehe zu einer ›neuen sexuellen Ära‹ im Modernism auch Trask 2003, 12.
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ten gewesen, und Ellis hatte dort eine spezielle Reputation, weil ein Teil seiner Werke in England verboten, in den USA aber zugänglich war. Die Freud’sche Triebtheorie wurde vor allem als Revolte gegen den Puritanismus gelesen, wobei besonders die Hysterieanalysen Eindruck machten, weil in ihnen weibliche Patientinnen offensichtlich an der Verdrängung ihrer erotischen Begierden litten.41 »Above all, Americans absorbed a version of Freudianism that presented the sexual impulse as an insistent force demanding expression«,42 fassen die Sexualhistoriker Estelle Freedman und John D’Emilio die amerikanische Sicht auf Freud zusammen. Havelock Ellis erklärte Sexualität zu einem Zentrum des Lebens: »ever wonderful, ever lovely […] all what is most simple, natural and good«. Die Ehe hielt er für eine eher ›tragische Kondition‹. Generell war er der Meinung, dass seine Zeitgenossen und Zeitgenossinnen weniger Zurückhaltung und mehr Leidenschaft nötig hätten (Somerville 2000). Sowohl Nancy Cunard als auch H.D. hatten auch persönlich Verbindung zu Ellis und Freud. Nancy Cunard veröffentlichte Havelock Ellis in ihrer Privatpresse Hours Press, und H.D. ließ sich von Freud analysieren und pflegte persönlichen Kontakt mit Havelock Ellis. Beide Frauen waren in der Avantgarde des sexuellen Modernismus. Die Lebensarrangements der bisexuellen Hilda Doolittle lagen jenseits aller viktorianischen Sexualmoral. In längeren Perioden lebte sie mit ihrer Tochter, ihrer lesbischen Freundin Bryher und unterschiedlichen, meist bisexuellen, Liebhabern zusammen, von denen einer – Kenneth Macpherson – mit Bryher verheiratet war, um ihre Eltern zu täuschen.43 In der ersten Phase von Nancy Cunards Prominenz stand vor allem ihre veröffentlichte Sexualität im Vordergrund. Die Eskapaden der »Princess of Primitivism« (Marcus 1995, 37f) füllten wegen ihrer schnell wechselnden bekannten Liebhaber und Liebhaberinnen die Gesellschaftsspalten der Gazetten. Die spielerische Selbstdarstellung als moderne sexuelle Libertine stieß erst dann 41 | Es ist gewiss kein Zufall, dass Freud berühmte Libertines seiner Zeit als Patientinnen behandelte, wie H.D. oder zu Analytikerinnen ausbildete wie Lou Andreas-Salomé, Marie Bonaparte und Ruth Mack Brunswick. 42 | D’Emilio/Freedman 1988, 223. Zur enthusiastischen ersten Rezeption der Psychoanalyse in intellektuellen Zirkeln in den USA siehe auch Douglas 1995, 108-119 und Hale 1995, 54-74. 43 | Zu Hilda Doolittles unkonventionell bisexuellem Lebensstil, siehe Gilbert/Gubar 1989, 230-238. Wie alle Verwissenchaftlichungen sozialer Diskurse hatte die Sexologie aber auch disziplinierenden Charakter. Carol Smith-Rosenberg liest Havelock Ellis’ Herausarbeitung des ›Lesbianismus‹ als besondere sexuelle Kondition als eine Art von ›Medizinalisierung‹ der bislang unsanktionierten, weiblichen Welt von »Love and Ritual« der New Women und als Disziplinierung unerwünschter, weiblicher Autonomie: »Havelock Ellis transformed the New Woman into a sexual anomaly and a political pariah« (Smith-Rosenberg 1985, 280).
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auf harte Kritik, als sie eine Liebesgeschichte mit dem afroamerikanischen Jazzmusiker Henry Crowder begann. Während diese Beziehung in Paris wenig Skandal auslöste, kam es in England zu einem Streit mit ihrer Mutter, der weit über einen privaten Familienkonflikt hinausreichte. Lady Emerald war eine elegante Gastgeberin in London,44 und Großbritannien praktizierte zu dieser Zeit die strikteste Race-Apartheid in Europa. Durch die Nachfrage einer scharfzüngigen Freundin nach der Tochter – »What is it now, drink, drugs or niggers?«45 – erfährt Lady Emerald, dass Nancy nicht nur mit einem schwarzen Mann befreundet ist, sondern auch mit ihm in London in einem Hotel lebt. Sie kürzt daraufhin deren Apanage, lässt ihre Tochter von Privatdetektiven verfolgen und erkundet bei den Behörden, ob sie und ihr Freund nicht ausgewiesen werden könnten. Nancy Cunard nahm die Vorurteile ihrer aus dem amerikanischen Süden stammenden Mutter zum Anlass, exemplarisch den Rassismus der angloamerikanischen Oberklassen und ihrer Institutionen aufs Korn zu nehmen. Sie verfasst das Pamphlet »Black Men and White Ladyship«, lässt es drucken und verschickt es als Weihnachtsgruß an alle Freunde der Mutter und andere öffentliche und halböffentliche Adressaten: »[…] your Ladyship, you cannot kill or deport a person from England for being a Negro and mixing with white people. You may take a ticket to the cracker Southern states of the U. S. A. and assist at some of the choicer lynchings which are often announced in advance […] No, with you it is the other trouble – class.« (69)
Neben ihrer Mutter exponiert sie weitere prominente Briten und Familienfreunde: Von dem berühmten Dirigenten Thomas Beecham berichtet sie, er habe vorgeschlagen, sie zu teeren und zu federn, und vom Schriftsteller George Moore teilt sie mit, er habe in einer Unterhaltung zugegeben, dass er dunkelhäutige Menschen verabscheue und sich bestenfalls vorstellen könne, mit gelben Menschen ab und zu ein Wort zu wechseln.46 Cunards Beziehung zu Crowder, die als private, wenngleich provokant zur Schau gestellte Liebesgeschichte begonnen hatte, wird nun zu einem öffentlichen Skandal über Race, Klassenprivilegien und Gender. Die Affäre der höheren Tochter wirft sie sozusagen buchstäblich aus der Familie, wobei im Konflikt verdeutlicht wird, dass nicht nur Klasse (eng44 | Zu Lady Cunards Aktivitäten als stilbildende Modedame und Gastgeberin siehe die Doppelbiographie Emerald and Nancy (Fielding 1968). 45 | Zitiert nach Cunard 1990, 103. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 46 | Ann Douglass bezeichnet das Motiv des Muttermords als die »Dark Legend of Matricide«. Sie sieht darin ein Kernmotiv der Moderne, meint dabei aber mehr den TugendKomplex der viktorianischen Matrone als die Auseinandersetzungen und Race- und Klassenverrat von Nancy Cunard (Douglas 1995, 217-254).
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lischer Adel und Großbourgeoisie) und Patriarchat (vertreten durch die Freunde der Familie) durch ihre ›Mesalliance‹ angegriffen sind, sondern beide Institutionen auf einer weißen ›Racial Sexual Order‹ oder – anders ausgedrückt – auf einem Race-Patriarchat basieren.47 Nancy Cunard erahnt das und macht in einem Vorgriff auf eine spätere neufeministische Strategie das Private politisch. Im Gegensatz zu Nancy Cunard beabsichtigte die Sex-Ikone Mae West durchaus keine anti-rassistische Manifestation, als sie das Stück Constant Sinner, das im Subplot eine Beziehung zwischen einem schwarzen Mann und einer weißen Frau behandelt, auf eine Broadway-Bühne brachte. Die blutjunge und hübsche Hauptperson, Babe Gordon, lebt davon, auf Boxkämpfen mit dem Gewinner anzubändeln, mit ihm sein Preisgeld durchzubringen und sich, sobald er pleite ist, einen neuen Gönner zu suchen. Mit der vielversprechenden weißen BoxHoffnung48 Bearcat landet sie einen besonders lukrativen Fang. Sie heiratet ihn, gibt das Geld mit beiden Händen aus und schiebt ihn ab, nachdem er beim Boxen verliert und finanziell ruiniert ist. In ihrem nächsten Lebensstadium findet man sie in Harlem als erfolgreiche Drogenhändlerin, wo sie als angebliche Kosmetikerin in einer Drogerie in Rouge-Tiegeln Kokain und Morphium verkauft. Ihr neuer Gönner ist diesmal der schwarze Zuhälter, Buchmacher und Glückspielmogul Money Johnson. Bei der Beschreibung der Figur taucht West tief ins primitivistische Vokabular der Zeit. »[…] the big colored brute […] was a huge lordly lion with plenty of self-assurance. His sunny features and hot and burning eyes held a magnetism that irresistibly drew the attention of women to him. His magnificent body, lynx eyes and pearly white grin had brought the women of Harlem crawling to him.« (Meine Kursivierung) 49
47 | Der Begriff »Racial Patriarchy« stammt von Barbara Omolade (Omolade 1983, 352). 48 | Seit dem Gewinn der Schwergewichtsmeisterschaft durch den schwarzen Boxer Jack Johnson stellten sich Boxkämpfe zwischen schwarzen und weißen Amerikanern als ›Race-Fights‹ dar, die ein enormes gesellschaftliches Konfliktpotential in sich trugen, wie Gail Bederman an dem systematischen Rufmord des ersten schwarzen Champions aufzeigt (Bederman 1995). Siehe eine ausführlichere Erörterung dieses Problems anlässlich der Affären um Mike Tyson im späten zwanzigsten Jahrhundert, siehe Kapitel 6, S. 386-395. Auch Mae West denkt in dieser Race-Dichotomie. Sie lässt den Manager aufstöhnen, als er Babe Gordons Interesse für seinen Boxer erkennt: »He knew Babe. Knew her like a book, for she had ruined more than one promising white hope« (meine Kursivierung) (West 1995, 17). 49 | West 1995, 109. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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In der Absicht, die Provokation auf die Spitze zu treiben, verweilt die Prosa genüsslich in der physischen Berührung von Schwarz und Weiß, die in einem starken Farbkontrast inszeniert wird: »The arm of the colored Apollo was over the back of Babe’s chair, and his large, bronze hand rested on her ermine shoulders, the fingertips caressing her cream-white throat.« (Meine Kursivierung) (110)
Der Aufbau dieser Kontrastspannung, die wissentlich mit dem Ressentiment gegen erotische Nähe zwischen unterschiedlichen Races spielt, dient dazu, das mit rassistischer Wut/Lust orchestrierte Begehren eines potentiell neuen weißen Liebhabers, Baldwin, zu unterstreichen: »Baldwin looked on fascinated, unable to take his eyes off the monstrous sight that held him spellbound. Could that woman be so blasée and jaded, that she had to visit the jungle for thrills. He loathed her, yet desired her. In spite of this instinctive antagonism toward the Negro who was intruding into the forbidden circle of white caste, Baldwin was forced to admit that he was a magnificent animal.« (Meine Kursivierung) (110)
In dieser Schilderung verknüpft West sehr unterschiedliche Strategien. Es geht ihr gleichzeitig darum zu provozieren, wie auch für die Legitimität schwarz-weißer Erotik zu werben – die sonst im Text nicht vorkommende rhetorische Figur der Leseransprache weist in diese Richtung. Der auktoriale Erzähler wechselt dabei die Perspektive und sagt: »Yes, Babe Gordon had a nigger lover, why not?« (110). Baldwin kommt dann doch mit Babe Gordon zusammen, als Money wegen seiner kriminellen Aktivitäten kurzfristig ins Gefängnis muss. Babe macht eine erneute Metamorphose zur ausgehaltenen Luxusgeliebten eines weißen Big Spender durch. Als der schwarze Zuhälter später aus dem Gefängnis zurückkommt, besucht Babe ihn, eigentlich um die Beziehung zu beenden, sie verfällt aber erneut seinem Magnetismus. Der vor Eifersucht rasende Baldwin überrascht die beiden in flagranti und erschießt nach einem Handgemenge Money Johnson. Die um ihren gesellschaftlichen Aufstieg fürchtende Babe überredet Baldwin zur Flucht und täuscht ihren später am Tatort eintreffenden Noch-Ehemann, den ausgenommenen Boxer Bearcat, über den wahren Sachverhalt. Er findet seine untreue Frau mit zerfetztem Kleid weinend über den toten schwarzen Mann gebeugt. Sie ›gesteht‹, ihn in Notwehr ermordet zu haben, um eine Vergewaltigung abzuwehren. Der edelmütige Boxer nimmt statt ihrer die Schuld auf sich, wird aber wegen ›Mord aus Leidenschaft‹ und des gesellschaftlich akzeptierten Furors gegen einen angeblichen schwarzen Vergewaltiger freigesprochen. Der Verteidiger von Bearcat lässt keinerlei Zweifel an der Race-Logik des Freispruchs. Er beschreibt den Angeklagten als einen Mann,
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der die besten Traditionen der ›weißen Rasse‹ verteidigt habe, die Ehre ihrer Frauen, und fordert Straffreiheit aufgrund eines »unwritten law […] which is as old as the history of mankind« (206). Der eigentliche Mörder, der rassistische Liebhaber, kommt gänzlich ungeschoren davon: Babe fährt mit ihm nach Paris, und Baldwin erlebt fortan sein Begehren nach Babe unter dem Phantasma der Race-Vermischung: »The frequent sight of black and white mingling together in Paris brings always the memory of Johnson’s face when he had shot him. He cannot avoid thinking of Babe’s white body and Johnson’s black body, darkness mating with dawn. It is terrible, and yet gives him a sensual thrill […] He is happy. But the black and white pattern is indelibly woven into the tapestry of his memory.« (Meine Kursivierung) (212)
Auf den ersten Blick ist Constant Sinner keine Geschichte, für die Mae West sich einen Ehren-Platz in den Annalen anti-rassistischer Prosa verdient hätte. Der schwarze Liebhaber wird trotz opulenter Charakterisierung seiner Qualitäten, die in ihrer Sexualisierung von Race durchaus problematische Untertöne hat, den weißen Interessen geopfert. Und als sei damit noch nicht genug für die Racial-Sexual-Grenze getan, geht der Mörder ungestraft von dannen, nachdem das rassistische Justizsystem bewiesen hat, dass die Ehre des abgehalfterten weißen Ehemanns wesentlich mehr zählt als das Leben eines schwarzen Zuhälters. So weit so schlecht.50 Der Roman erlebte in kurzer Zeit vier Auflagen und löste sensationalistisches Interesse und milde Missbilligung aus. Skandal dagegen machte die in Constant Sinner umgetitelte Geschichte Babe Gordon auf der Bühne. West versuchte anfänglich, den berühmtesten schwarzen Liebhaber-Darsteller der Epoche, Lorenzo Tucker, für die Rolle des Money Johnson zu besetzen. Die Produzenten allerdings hielten die ausführliche und explizite Darstellung von schwarz-weißer Leidenschaft mit einem schwarzen Schauspieler und einer weißen Schauspielerin für absolut unaufführbar. Sie verpflichteten entgegen Wests Wunsch den weißen Boulevarddarsteller George Givot, der mit schwarz geschminktem Gesicht auftrat und gehalten war, nach dem Schlussapplaus seine Perücke abzunehmen, damit das Publikum auch sicher wusste, dass es zu keinen ›gemischtrassigen‹ Intimitäten auf der Bühne gekommen war. 50 | In Arbeiten zu Mae West als Bühnenkünstlerin und Filmschauspielerin hat diese Dimension auch kritische Beachtung gefunden. Zu Constant Sinner schrieb Mary Beth Hamilton 1997: »In objectifying black characters Babe Gordon was no doubt a product of her time. Yet even in that context West’s excursions into ›primitive Harlem‹ leaves a peculiar unpleasant taste« (Hamilton 1997, 162). Und Simon Louvisch merkt ironisch an: »Mae’s treatment of her black characters […] has caused conniptions among her latter-day interpreters battling to square Mae’s status as iconic pioneer feminist with her stereotypical portrayals of blacks« (Louvish 2006, 175).
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*** Schwarze Schminke auf weißen Darstellern – das sogenannte ›Black Face‹ – war eigentlich einer bestimmten US-amerikanischen Theaterform vorbehalten, der Minstrelshow. Diese »Racial Masquerade«51 arbeitete mit allgemein bekannten Race-Stereotypen, wie dem städtischen Dandy Zip-Coon, der Mammy-Figur Aunt Jemina, der sexuell verführerischen Red Hot Mama oder dem dümmlichvitalen Südstaatler Jim Crow. Der Charakter des Stereotyps wurde auch durch Schminktechniken wie bewusst amateurhaftes Schwärzen mit angesengtem Flaschenkorken und riesige mit Fettschminke aufgemalte weiße oder wassermelonen-rote Münder unterstrichen. ›Black Face‹ war ein Stilmittel eines strukturell rassistischen, parodistischen Genres und nicht dafür vorgesehen, ernste schwarze Rollen auszufüllen.52 Wenn allerdings Techniken jenseits der Minstrelshow in einem weißen Boulevardstück eingesetzt wurden, nämlich schwarz geschminkte weiße Schauspieler, bedarf es einer Erklärung für den Export von Stilmitteln von einem Genre in ein anderes. Schon D.W. Griffith hat sich in seinem Film The Birth of a Nation (1915) des Kunstgriffs von Black Face im ernsten Genre bedient. Eines der ersten abendfüllenden Werke des amerikanischen Kinos erzählt die Geschichte der im Bürgerkrieg geschlagenen Südstaaten als nationale Tragödie, bei der der weiße Mann in der Rekonstruktions-Periode einer schwarzen Herrschaft ausgeliefert wurde. Die gesamte Nation konnte nach Griffith’ Lesart erst dann wieder neu geboren werden, als sich die Südstaaten mit der Gründung des Ku-Klux-Klan aus dieser Erniedrigung befreiten. Kernstück dieser ›nationalen Erzählung‹ ist die Schilderung der angeblichen Vergewaltigungsgefahr, der weiße Frauen durch schwarze Männer ausgesetzt seien und die auch in zwei Szenen gezeigt wird. Griffith besetzte die Rollen der schwarzen Vergewaltiger mit weißen Schauspielern in Black Face. Griffith war der Gedanke unerträglich, dass seine damalige Geliebte und Star des Films, Lillian Gish, von einem schwarzen Schauspieler angefasst werden könnte. Michael Rogin drückt das in einer Analyse von The Birth of a Nation in drastischen Worten aus: »[…] because no black could be allowed to manhandle Lillian Gish« (meine Kursivierung) (Rogin 1985, 182). Der Einsatz der auf den Bühnen schon im Rückzug begriffenen Black Face-Konvention eröffnete 51 | Der Begriff stammt von Michael Rogin, der damit die unterschiedlichen Formen der Aneignung schwarzen Signalements in der amerikanischen Populärkultur meint. Siehe (Rogin 1992b). 52 | Schon Frederick Douglass verdammt in seiner Zeitung North Star die Minstrelshows als rassistisch, und eine lange Reihe schwarzer Intellektueller von Ralph Ellison (Ellison 1972) über LeRoi Jones in Blues People (1963) und zuletzt Spike Lee in seinem filmischen Anti-Minstrel-Manifest B AMBOOZLED (2001) haben sich diesem Urteil angeschlossen.
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einen Ausweg, diese absolut unerwünschte Berührung zu vermeiden. Nach Rogin produziert dieses Verfahren allerdings einen sekundären Erkenntniseffekt: Weiße Schauspieler in Black Face beweisen mit ihrer ›echten‹ Race, dass im Film nicht (wirkliche) schwarze Menschen inszeniert werden, sondern weiße Projektionen von schwarzen Menschen im Bild erscheinen (ebd. 180-187). 1924 brach Eugene O’Neill mit seinem Stück All God’s Chillun got Wings zum ersten Mal das Tabu, ein schwarz-weißes Liebespaar – in diesem Fall sogar ein Ehepaar – auf eine amerikanische Bühne zu bringen. Trotz einer hetzerischen Pressekampagne blieb die Aufführung, die zu einem ersten Triumph für den jungen Künstler Paul Robeson wurde, relativ unbehelligt. Als körperliche Berührung wurde lediglich ein Küssen von Robesons Hand zugelassen.53 Auch noch 1931 in Constant Sinner war es ein Ding der Unmöglichkeit, schwarz-weiße Leidenschaft, bei der es zu einer echten Liebesszene auf offener Bühne kommt, darzustellen. Doch anders als O’Neill hatte Mae West keineswegs beabsichtigt, eine moralische Parabel auf amerikanische Race-Verhältnisse aufzuführen. Sie wollte – wie schon Nancy Cunard – weibliches Selbstbewusstsein und sexuelle Libertinage mit einer gewagten Besetzung akzentuieren. Die amerikanischen Race-Verhältnisse allerdings politisierten ihr Stück und machten sie in der Folge zu einer Protagonistin für eine anti-rassistische Besetzungspolitik auf amerikanischen Bühnen und im Film.
3.6 Lynching und Familienschande Das dramatische Zentrum von Constant Sinner ist das gesteigerte Verlangen des Kaufhauskönigs Baldwin nach Babe Gordon, weil sie ein Verhältnis mit einem schwarzen Mann hat. Ein nicht geahndeter Mord ist die Folge. Die Kombination dieser Tatsache mit der gesellschaftlich sanktionierten Straffreiheit des ›Mörders‹ Bearcat legte die innere Mechanik einer Lynching-Geschichte frei. Es handelt sich zwar nicht um Mob-Gewalt, aber der Mord an Money Johnson ist von Rassenvermischungs-Hysterie motiviert, und der Freispruch Bearcats ist Rassenjustiz und somit legalisiertes Lynching. Wie nah das fiktive LynchingSzenario einer realen Szene ist, zeigt das Nachspiel der Geschichte im wirklichen Leben. West wollte die Bevormundung, die Figur des Money Johnson in Black Face zu besetzen, auf die Dauer nicht akzeptieren und verpflichtete 53 | Duberman 1988, 55-57. Das düstere Psycho-Ehedrama zwischen einer unsicheren verwirrten jungen Frau und einem edlen schwarzen Jura-Studenten wurde allerdings eher als eine Parabel für die Unmöglichkeit von Mischehen gelesen. Als in den dreißiger Jahren eine erfolgreiche britische Othello-Inszenierung mit Paul Robeson in der Hauptrolle in die USA importiert werden sollte, scheiterte das an der Unvorstellbarkeit von Szenen der Leidenschaft zwischen schwarz und weiß auf einer amerikanischen Bühne (ebd. 138).
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für ein Gastspiel in Washington dann tatsächlich den schwarzen Schauspieler Valentino Lorenzo Tucker für die Rolle. Diese Umbesetzung – vorsichtshalber nicht angekündigt – sprach sich schnell herum. In Washington zeigte man sich nicht nur entsetzt über die Race-Mischung auf der Bühne – es gab noch einige andere ›schwarze‹ Parts, die mit afroamerikanischen Schauspielern besetzt waren –, sondern besonders über den nicht segregierten Umgang der Schauspieler hinter der Bühne.54 Im Zuge des öffentlichen Aufruhrs bildete sich ein tatsächlicher Lynchmob, der sich auf die Suche nach Tucker machte. West zahlte alle Schauspieler aus, warnte Tucker und gab ihm eine Extra-Gage von zwei Wochen. Er versteckte sich in einem segregiert-schwarzen Hotel und verließ die Stadt erst, als sich die Aufregung gelegt hatte. Lorenzo Tucker bemerkte später einmal über Mae West: »We have to look at folks like her with raised eyes and give them credit for their contributions«.55 Es wird berichtet, Mae West habe, provoziert durch diese harten Reaktionen, Geld für Anti-Lynching-Kampagnen gespendet (Robertson 1996, 34). 1932 geriet auch Nancy Cunard in die amerikanische Lynching-Mechanik. Bei einer Recherche für eine Anthologie über afroamerikanische und afrokaribische Errungenschaften, die den Titel The Negro tragen sollte, wohnte sie in einem Hotel in Harlem. Daraufhin dichtete ihr die Hearst-Presse eine Liebesaffaire mit dem Athleten, Schauspieler und Spiritual-Sänger Paul Robeson an, der zufällig im selben Hotel wohnte. In einem polemischen Artikel »The American Moron and the American Sense – Letters on the Negro« dokumentiert Nancy Cunard Hassbriefe an sie und Lynching-Drohungen gegen Robeson. Sie summiert: »Any interest [in Negro culture] manifested by a white person […] is immediately transformed into a sex-scandal […] to stir up as much fury as possible against Negros and their white friends. As in the South, it is always the ›rape‹ of white women by black men, so in the North it is always the ›scandal‹ of interracial relations.« (Cunard 1970a)
Cunard beobachtet hier, dass jede Nähe zu einem schwarzen Mann, und sei es im sachlichen Interesse, in einen Sex-Skandal transformiert wird, dass also die Sexualisierung von Race ein Mittel ist, die Race-Hierarchie der Gesellschaft intakt zu halten. Und sie erkennt ebenfalls, dass die dazu eingesetzten Disziplinarmaßnahmen die Zerstörung der Reputation der weißen Frau und eine Lynch-Drohung gegen den schwarzen Mann sind. Dieses intuitive Wissen der Mechanik eines Rape-Lynching-Komplexes setzt Cunard in eine verblüffende öffentliche Aktion um, die man im Vokabular der Sixties eine ›Umfunktionierung‹ nennen 54 | Die Hauptstadt war seit der Wahl des ersten Südstaatlers zum Präsidenten nach dem Bürgerkrieg, Woodrow Wilson (1913), zu einer segregierten Jim Crow-Stadt geworden. 55 | Zitiert nach Watts 2001, 139.
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würde. Cunard transformiert eine Pressekonferenz, auf der sie sich vorgeblich zu der unterstellten Liaison mit Paul Robeson äußern will, in eine politische Propagandaveranstaltung zur Anprangerung der rassistischen Prozesse um die ›Scottsboro Boys‹. Wie schon in »Black Men and White Ladyship« verwandelte sie einen an sie gerichteten Vorwurf moralischer Verfehlung in ein sexualpolitisches Tribunal über Rassismus, diesmal im amerikanischen Rechtssystem gegen staatlich sanktionierten Justizmord, den sie als Fortsetzung von Lynchmord mit anderen Mitteln versteht. In Scottsboro, Alabama, war neun schwarzen Jugendlichen unter der ständigen Drohung eines Lynchmobs der Prozess gemacht worden, weil sie angeblich in einem Güterzug zwei weiße Mädchen vergewaltigt haben sollten. Zweimal wurden alle neun zum Tode verurteilt. Erst der Supreme Court machte diesen mit internationaler Aufmerksamkeit verfolgten Skandal nach Jahren rückgängig. In Wirklichkeit hatte keiner der Angeklagten die Mädchen auch nur gesehen, geschweige denn angefasst, da sie in unterschiedlichen Waggons getrampt und ohnehin als Jungen verkleidet gereist waren. Wie sich später herausstellte, waren die beiden jungen Frauen Prostituierte, und konnten deshalb von der Polizei unter Strafandrohung gezwungen werden, gegen die neun schwarzen Jungen auszusagen. Sie wagten erst in den Berufungsprozessen die Wahrheit zu sagen. In einem Vergleich ihrer eigenen Position mit der der jungen Frauen schreibt Cunard eine Eloge auf die korrigierte Aussage der Prostituierten: »[…] It will never be forgotten, it is a very high and splendid point in the history of black and white. […] it needed great courage and moral […] With their testimony they were piercing the whole of the rotten Southern fabric of lies and race hatred, holding up to the entire world, tearing it inside out.« (Cunard 1970b, 170)
Über die Geste, Zeugnis abzulegen und über ›Zeugenschaft‹ die Welt zu verändern, verbindet sich Nancy Cunard im Geiste mit den jungen Prostituierten aus Alabama. Die Mädchen bringen den Justizmord-Versuch zum Scheitern. Auch Nancy Cunard greift eine rassistische Institution an. Sie verklagt die Hearst Presse bezüglich der Robeson-Geschichte auf Schadenersatz. Mit dem Schmerzensgeld – 1.500 Pfund – finanziert sie später die Negro-Anthologie, über die weiter unten noch zu sprechen zu sein wird. Cunard und West rührten mit ihrer Demonstration von schwarz-weißem Eros an einen neuralgischen Punkt, der weit über die Lynching-Ökonomie hinausreichte. Abgesehen davon, dass Lynching als politisches Disziplinierungsinstrument genutzt wird, verdeckt der Rape-Lynching-Komplex eine tiefer sitzende kulturelle Angst, die weniger mit der Tatsache von Sexualität als mit ihrem möglichen Ergebnis zu tun hat, nämlich dem Entstehen gemischtrassiger Kinder. Die Angst vor einer ›Verunreinigung des Blutes‹ ist in letzter Konsequenz eine
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Angst vor einer allgemeinen ›Mongrelisierung‹ und damit vor dem Verschwinden der Privilegien von Whiteness.56 In Constant Sinner dagegen prognostiziert Mae West eine Blutvermischung als Zukunft Amerikas.
»Now Harlem is the pool of sex, where all colors are blended, all bloods mingled. A pool, whose overflow will color the mind and body of thousands of generations to come. Breathing this atmosphere, Babe was in her element.« (Meine Kursivierung) (103) Keine andere Zeitgenossin hatte in dieser Epoche je die Radikalität, die Lösung des amerikanischen Race-Konflikts in einer Utopie der Blutvermischung zu suchen, die in zukünftigen Generationen, wie Mae West schreibt, sowohl die Körper als auch den Geist Amerikas ›einfärben‹ wird.57 Entsprechend schrill waren auch die Reaktionen auf die fiktionale Transgression. Die Frage der ›Blutvermischung‹ stellt neben dem Verschwinden des Privilegs von Whiteness noch ein anderes Problem, nämlich das der Verwandtschaft, dar: Aus dem ganz fernen ›Anderen‹ könnte nun plötzlich ein ganz nahes ›Eigenes‹ werden. Der Begriff der Familienschande erhält in diesem Zusammenhang eine neue Besetzung. Aus einer konservativen Perspektive ist es eine Schande, das Blut der Familie zu ›verunreinigen‹. Aus einer liberalen Perspektive ist es eine Schande der Menschheitsfamilie, eine Racial-Sexual-Grenze gegenüber anderen Menschengeschwistern zu errichten. Literarisch auf den Punkt gebracht hat dieses Thema Mary White Ovington. Die Fabrikantentochter mit College-Bildung und Gründerin des ersten Settlement-House in einem schwarzen Ghetto58 gehörte wie Charlotte Perkins Gilman und Jane Addams noch der älteren Generation der New Women an. Als eine der wenigen Weißen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im alten Geist des Abolitionismus eine echte Empörung über das amerikanische Race-Regime verspürten, gründete sie 56 | Zur Angst vor dem Verschwinden der sichtbaren Dominanz von Menschen europäischen Ursprungs und damit der Vorstellung, von einer schwarzen Mehrheit überrollt zu werden, siehe Frye 1983. 57 | Bemerkenswert an diesen Sätzen ist besonders die Vorstellung, dass auch Amerikas Geist und Sinn (Mind) von einer Vermischung profitieren würde. Ideen von der befruchtenden Wirkung schwarzer Körperlichkeit, von Rhythmusgefühl, Athletentum und Sensualität gehörten zum neo-primitivistischen Vokabular der Zeit. Man erinnere sich an Nancy Cunards Traum. Die Vorstellung, dass schwarzes Denken, Phantasie und geistige Kreativität das weiße Amerika bereichern könnte, ist eine erst über die Harlem Renaissance in Umlauf gebrachte Idee von der natürlichen Poesie der ›anderen‹ Race. 58 | Ovington hatte diese Erfahrung zur Grundlage genommen, eine erste soziologische Studie über die Situation der Afroamerikaner in New York zu schreiben. Sie erschien 1911 mit einem Vorwort von Franz Boas unter dem Titel Half a Man. The Status of the Negro in New York (Ovington 1911).
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zusammen mit W.E.B. Du Bois 1909 die heute noch bedeutende Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), deren Aktivitäts-Schwerpunkt damals eine Anti-Lynching-Politik war.59 Als Verbindungsoffizierin der verschiedenen regionalen NAACP-Gruppen bereiste Ovington unzählige Male die Südstaaten, führte Statistiken und sammelte Augenzeugenberichte von Lynchings, wobei sie sich oft großer persönlicher Gefahr aussetzte. Mary White Ovington lebte in New York und war eine der ganz wenigen weißen Frauen dieser Zeit, die gleichberechtigt und professionell mit schwarzen Männern wie Du Bois, Walter White oder James Weldon Johnson zusammenarbeitete. Um den Ausnahmecharakter dieser Zusammenarbeit historisch einordnen zu können, muss man sich vorstellen, dass Downtown New York streng segregiert war und es den schwarzen und weißen Kollegen der NAACP-Geschäftsstelle nicht einmal möglich war, gemeinsam in einem Restaurant zu essen. 1920 veröffentlicht Mary White Ovington den Roman The Shadow, in dem sie ihre spezifische ›Verwandtschaft‹ zur Fragestellung literarisch darstellte. Die Hauptfigur Hertha war von ihrer weißen Mutter ausgesetzt worden und von einer schwarzen Frau an Kindes statt aufgezogen worden. Glücklich in ihrer Familie lebend und mittlerweile dafür verantwortlich, einen kleinen Bruder zu erziehen, enthüllt ihr die Frau, die sie bis dahin für ihre Mutter gehalten hatte, dass sie keine hellhäutige Mulattin, sondern von Geburt weiß sei. Die Pflegemutter drängt sie, die Privilegien der weißen Race zu nutzen. Eine kleine Erbschaft ermöglicht Hertha, in den Norden zu gehen, und man kommt überein, alle Verbindungen zur schwarzen Welt ihrer Ex-Familie abzubrechen, um sie nicht zu kompromittieren. Sie beginnt in New York eine Ausbildung als Stenotypistin und freundet sich mit dem Südstaatler Dick an, der sich heftig in sie verliebt und sie zur Heirat drängt. Zwischen dem entflammten Liebhaber und seiner zögernden Angebeteten kommt es zu Misstönen, als sich herausstellt, dass Dick unbelehrbar rassistische Überzeugungen pflegt. Er ist von der angeblichen Amoralität aller schwarzer Frauen überzeugt und vertritt leidenschaftlich die Lynching-Strategie des Südens, als ›Bestrafung‹ imaginierte Vergewaltigung weißer Frauen durch
59 | Mary Ovington selbst schrieb zwei Berichte über die Gründungsphase, ein kurzes Erinnerungsprotokoll (Ovington 1914) und 1947 eine ausführlichere Bewegungsgeschichte, die 1970 wieder herausgebracht wurde (Ovington 1970). Ovingtons immenses politisches und kulturelles Verdienst ist heute fast vergessen, zu ihrer Zeit wurde sie jedoch von den schwarzen Mitkämpfern in der NAACP noch anerkannt. Walter White schrieb in seiner Autobiographie A Man Called White (1948), Ovington sei eine der wenigen gewesen, die »dared to speak out boldly for the Negro«, zitiert nach Wedin 1998, 140.
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schwarze Männer als Terror- und Disziplinierungsinstrument weißer Herrschaft einzusetzen: »Every white woman is afraid of black men. And good reason too. It ain’t safe for them to go out alone at night. Some places it ain’t hardly safe day and night. If we didn’t string up a black buck every now and then for an example, we’d never be safe.« (Meine Kursivierung)60
Die tief verletzte Hertha, sowohl die Ehre ihrer Pflege-Mutter im Herzen als auch um die Sicherheit ihres schwarzen Stief-Bruders besorgt, lässt sich zu den Worten hinreißen: »You’re nothing but a cheap Georgia cracker« (268). Sie ist nun eigentlich überzeugt, dass sie Dicks Werbung entmutigen muss, weil er ihre schwarze ›Verwandtschaft‹ nicht ertragen könnte und auch deshalb, weil sie ihn für seine Vorurteile verachtet. Dennoch zögert sie den endgültigen Bruch hinaus. Inzwischen ist auch ihr Stiefbruder Tom in der Stadt angekommen. Die beiden treffen sich heimlich in schwarzen Kirchen, um Familiennachrichten auszutauschen. Als die Mutter schwer krank ist, eilt Tom zu Hertha. Er sieht sie alleine nachts im Park, geht zu ihr und fasst sie am Arm, um ihr die Nachricht schonend mitzuteilen. Dick, der hinter den Büschen verborgen steht, sieht die Berührung und stürzt sich auf den schwarzen Mann. Der kann kurz entkommen, aber ein sich schnell bildender Mob schließt die Jagd erfolgreich ab, schlägt Tom zusammen und sucht nach einem Seil, um ihn aufzuknüpfen. Alle Versuche von Hertha, das Schlimmste zu verhindern, scheitern. Eine einzig denkbare Lösung erscheint vor ihrem inneren Auge: »And suddenly, like a bolt from heaven, the word came to her that should bring his release. She cried it at once, loudly shrilly. ›He’s my brother‹, she cried. ›He’s my brother, he’s a right to speak to me!‹ And then, on the still hot air, ›I’m colored, I’m colored!‹« (290) (Meine Kursivierung)
Fünf Jahre nach dem Erscheinen des Buches wird Walter Brainwright in seinem programmatischen Aufsatz »The Negro in the American Literature« in Alain Lockes New Negro Anthologie schreiben:
60 | Ovington 1920, 265. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. In einem Theaterstück, The Awakening, das sie als NAACP-Propaganda verstand, griff Ovington 1923 das Lynching-Thema noch einmal auf. Dort rettet die Heldin Helen einen Lynching-gefährdeten Mann, hilft der Mutter eines gelynchten Sohnes eine anklagende Grabrede zu schreiben und konvertiert zum Schluss ihren Bräutigam vom Rassismus zur Liberalität.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG »Miss Ovington daringly created the kinship of brother and sister between a black boy and a white girl, had it brought to disaster by prejudice, out of which the white girl rose to a sacrifice no white girl in a novel had hitherto accepted and endured.« (Meine Kursivierung) (Braithwaite 1968, 34)
Verwandtschaft ist das emphatische Zeichen, das flammende Schwert, mit dem die Romanheldin ein Lynching-Verbrechen verhindert, indem sie selbst als weiße Frau der Vorwand für einen Mord geworden wäre. Auf den ersten Blick scheint das Motiv eines der üblichen Genre-Mittel zu sein, mit dem Unterhaltungsliteratur ihre Gegenstände sentimentalisiert. Ovington führt hier zwei Genres zusammen: Weiße Liebes- und Verführungsromane, die mit Plot-Elementen von geheimer (edler) Herkunft angefüllt sind und die Tradition der schwarzen (und weißen) Race-Parabel, wie sie in der Figur des ›Tragischen Mulatten‹ verkörpert ist, dessen Schicksal meist auf einen Spannungshöhepunkt zuläuft, wenn sein leiblicher Vater ihn nicht anerkennt.61
3.7 Das ›Miscegenation‹-Tabu Ein zweiter Blick auf das Verwandtschaftsmotiv dieser Lynching-Erzählung bringt aber eine andere Struktur zutage, einen seltsamen Kurzschluss zwischen zwei kulturell machtvollen Tabus: Dem Inzesttabu und einem Tabu der RaceVermischung, eine Struktur, die Gwen Bergner ›Miscegenation-Tabu‹ nennt (Bergner 1995, 81). Miscegenation als Begriff ist eine amerikanische Wortschöpfung von 1863, die das lateinische ›miscere‹ (von mischen) mit dem Wort ›Genus‹ – im Englischen neben Geschlecht auch Race – zusammenführt.62 Diese Wortfindung stand in einem klaren politischen Zusammenhang. Die Angst vor Race-Vermischung wurde während des amerikanischen Bürgerkrieges in politischen Kampagnen geschürt, um die Wiederwahl Lincolns zu verhindern, der Sklaverei abschaffen wollte.63 61 | Zu einer Zusammenfassung des ›Tragic Mulatto‹-Motivs siehe Werner Sollors Kapitel »Exkurses on the ›Tragic Mulatto‹; or the Fate of a Stereotype« (Sollors 1997, 220-245). 62 | Erfunden wurde das Wort in dem Pamphlet »Miscegenation. The Theory of the Blending of Races. Applied to the American White Man and Negro« (1864) von David Croyle und George Wakeman. Die Autoren unterstellten, dass die Republikanische Partei die Plantagen den ehemaligen Sklaven übergeben und Mischehen befördern wolle. Der Begriff ›Miscegenation‹ fand von dort den Weg in den öffentlichen Diskurs. Zu einer ausführlicheren Auseinandersetzung mit der Geschichte und Rechtsprechung von Miscegenation siehe Sollors 2000, 3-16. 63 | Sollors 1997, 287. Zum Zusammenhang von Miscegenation und der Kampagne gegen Lincolns Wiederwahl siehe auch Smith 1998, 125.
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Eine besondere Schärfe bekam das Miscegenation-Tabu nach dem Bürgerkrieg, als die Trennung zwischen schwarzen und weißen Menschen nicht mehr über die Institution der Sklaverei zementiert war. Erst die Tatsache von nunmehr ›freien‹ Schwarzen rief ein Tabu auf den Plan, das sich auf die imaginierten sexuellen Beziehungen zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern fixierte. Ein Tabu ist nach Freud eine soziale Institution zur Verarbeitung starker aber ambivalenter Gefühle. Man verbietet sich damit etwas, was man eigentlich gern tun möchte, was aber sozial schädlich wäre (Freud 1999g, 2692, besonders 42). Für weiße Männer war Miscegenation vor dem Bürgerkrieg keineswegs ungewöhnlich, aber die Blutsvermischung fand ausschließlich und unter Zwangsbedingungen von oben nach unten statt, d.h. zwischen dem männlichen Sklavenhalter und seinem ›Besitz‹, der Sklavin. Die Kinder wurden nicht als eigene anerkannt und blieben Sklaven. Eine freiwillige Verbindung zwischen einem Sklaven und einer weißen Frau aus der Sklavenhalterkaste war dagegen an der Grenze zur Undenkbarkeit. An dieser Doppelmoral, dem absoluten Verbot für schwarze Männer, sich weißen Frauen zu nähern und der sexuellen Lizenz für weiße Männer, sich schwarze Frauen zu Willen zu machen, wird deutlich, dass das amerikanische Miscegenation-Tabu nicht etwa eine anthropologische Konstante bezeichnet, die RaceVermischungen überzeitlich und transkulturell sanktioniert, sondern dass es Produkt einer konkreten geschlechtsspezifisch ausdifferenzierten Racial Sexual Order ist. Gwen Bergner nennt diese Struktur eine ›homosoziale, heterosexuelle und koloniale Ökonomie‹, die eine Race-Hierarchie zwischen Männergruppen errichtet. Das moderne Miscegenation-Tabu ist analog zum Inzesttabu formuliert, obwohl es eine entgegengesetzte Ausschlussoperation beschreibt. Während das Inzesttabu sexuellen Kontakt innerhalb der Verwandtschafts-Familie verbietet, schließt das Miscegenation-Tabu den sexuellen Kontakt außerhalb der RaceFamilie aus. Es ist sicher kein Zufall, dass dem französischen Anthropologen Claude Lévi-Strauss diese Gleichzeitigkeit von Strukturverwandtschaft und Strukturwiderspruch während seines Exils als jüdischer Emigrant in den Vereinigten Staaten auffiel. Er kannte den Antisemitismus im alten Europa.64 In den USA machte er persönliche Erfahrungen mit der Obsession seines Gastlandes bezüglich Race-Vermischung. 1949 schreibt er in seinen Elementaren Strukturen der Verwandtschaft: »[…] incest proper, and its metaphorical form as the violation of a minor (by someone ›old enough to be her father‹, as the expression goes), even combines in some countries 64 | Der Faschismus kulminierte ebenfalls in einer Verschränkung des Inzesttabus mit einem Rassenvermischungsgebot. Das Wort ›Blutschande‹ bezeichnete sowohl verbotene Geschwisterliebe als auch arisch-jüdische Verbindungen. Siehe dazu Braun 1989.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG with its direct opposite, inter-racial sexual relations, an extreme form of exogamy, as the two most powerful inducements to horror and collective vengeance.« (Meine Kursivierung) (Lévi-Strauss 1969, 10)
Begriffe wie ›große Abscheu‹ und ›kollektive Rache‹ verweisen auf die historisch konkrete soziale Praxis des Lynching in den USA als Reche- und Empörungsdelikt für die angenommene Vergewaltigung einer weißen Frau. Ein Element für eine Erklärung dieser Verzahnung von Inzest und Miscegenation in einem strukturverwandten Tabu hat Lévi-Strauss selbst an anderer Stelle in den Elementaren Strukturen der Verwandtschaft geliefert. Er interpretiert nämlich Freuds Fassung des Inzesttabus um und schlägt vor, es nicht als Verbot, sondern als Exogamie-Gebot aufzufassen, also als eine Struktur, durch die Menschengruppen sich selbst zwingen, außerhalb der Familie zu heiraten, z.B. um Einfluss, Vermögen und Frieden zu sichern. Anders ausgedrückt kann man diese Struktur auch als eine soziale Institution beschreiben, in der Männer mit anderen Männern Kontakt aufnehmen, indem sie Frauen tauschen.65 Überträgt man Lévi-Strauss’ Beobachtung auf die USA, fällt auf, dass es die angeblich universale Tauschbeziehung in der konkreten Race-Hierarchie nicht gibt, dass nämlich weiße Männer mit schwarzen Männern keine Frauen tauschen.66 Pierre Bourdieu bietet einen Begriff an, der im Kern dieser Struktur liegen könnte. Er spricht von »Isotimie« – Ehrgleichheit (Bourdieu 1997, 204). Ein Mann kann sich nur als vollwertig empfinden, wenn er in den »kriegerischen Spielen« von anderen Männern als der ›Ehre‹ würdig anerkannt wird. Männer tauschen nur dann mit anderen Männern Frauen, wenn sie sie für ›ehrgleich erachten‹. Koloniale und postkoloniale Gesellschaften, zu denen die amerikanische Gesellschaft nach der Sklaverei in gewisser Weise gerechnet werden kann, verweigern den ehemals versklavten und heute immer noch diskriminierten schwarzen Männern diese Ehrgleichheit. Nimmt sich nach dieser Logik ein schwarzer Mann eine weiße Frau, so verkennt er seine Ehr-Ungleichheit und 65 | Gayle Rubin nahm 1975 das Frauentauschmodell in ihrem Essay »The Traffic in Women« auf, um ein sogenanntes ›Sex Gender-System‹ zu analysieren (Rubin 1975). Eine neuere Bezugnahme auf das Frauentauschmodell findet sich in Theorien der Postkolonialität. Laura Doyle schreibt in Bordering the Body. The Racial Matrix of Modern Fiction and Literature: »[…] they [the dominant culture] deprive subordinate group men not only of the power to circulate women freely and gain material resources but also of the power to disseminate images of ›their‹ women so as to develop their own cultural traditions and resources« (Doyle 1994, 26). 66 | Gwen Bergner sagt dazu: »In the colonial context, the operative ›law‹ determining the circulation of women among white men and black men is the miscegenation taboo, which ordains that white men have access to black women but that black men be denied access to white women« (Bergner 1998, 81).
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wird hart bestraft. Übersetzt in die amerikanische Racial-Sexual-Ordnung bedeutet das, er wird gelyncht. Wenn Nancy Cunard also ein öffentliches politisches Familiendrama über ihre Beziehung mit dem Jazzmusiker Henry Crowder inszeniert, und wenn Mary White Ovingtons Romanfigur eine Lynching-Gefahr abwendet, indem sie sich als Schwester ausgibt, reflektieren beide auf die innere Verwandtschaft, die in einer Post-Sklaverei-Gesellschaft das Inzesttabu mit dem Miscegenation-Tabu verschränkt. Den umgekehrten Weg kann das Miscegenation-Tabu aus schwarz-männlicher Perspektive nehmen. Hier wird ein Inzesttabu mobilisiert, um eine Berührungsangst zwischen den Races zu verstärken. In James Weldon Johnsons Autobiography of an Ex-Colored Man sitzt der Protagonist zufällig in der Oper neben einem weißen Mädchen, von dem er sich angezogen fühlt. Er selbst ist Mulatte. Während er noch der Ambivalenz seiner Neigung nachspürt, erkennt er auf der anderen Seite des Mädchens seinen eigenen weißen Vater. »Before I recovered from my first surprise (recognizing the father), there came another shock in the realization that the beautiful tender girl on my side was my sister. Then all the affection of my heart, stopped since my mother’s death, burst in fresh terrible torment, and I could have fallen at her feet to worship her […] I knew I could not speak, but I would have given a part of my life to touch her hand with mine and call her ›sister‹ […] I felt the almost uncontrollable impulse to rise up and scream to the audience: ›Here in your midst, is a tragedy, a real tragedy‹.« (Johnson 1989a,134)
In heiligem Schrecken flieht er die Szene. Fast ebenso ›verboten‹ wie ein Verhältnis von Bruder und Schwester wäre in diesem Fall auch das Verhältnis von Vater und Sohn, denn der Protagonist ist die illegitime Frucht einer Verbindung einer schwarzen Mutter mit dem vornehmen Opernbesucher. In weißer Gesellschaft würde der Vater seinen ›tragischen Mulatto‹-Sohn ohnehin verleugnen.67 Fünfunddreißig Jahre später wird Ralph Ellison in dem Meisterwerk der amerikanischen Moderne, Invisible Man, diesem Anziehungs- und Abstoßungsmuster von Inzest und Miscegenation eine allgemeinere Wende geben, die die Psycho-Historie der amerikanischen Race-Gender-Verhältnisse neu beleuchtet. In einer frühen Episode des Romans muss der Ich-Erzähler – in diesem Stadium der Geschichte ist er Student an einem schwarzen College – den reichen Philanthropen Mr. Norton über Land chauffieren. Auf der Fahrt beginnt der weiße Mann von der Perfektion und Schönheit seiner verstorbenen Tochter zu schwärmen: »She was a being, more rare, more beautiful, purer, more perfect,
67 | Siehe das Kapitel »Excurse on the ›Tragic Mulatto‹; or the Fate of a Stereotype« in Sollors 1997, 220-246.
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more delicate than the wildest dream of a poet«.68 Der weiße Mann zeigt seinem verlegenen Fahrer eine Miniatur seiner Tochter in einem weichen fließenden Kleid – »a flowing costume of soft flimsy material« (39) – und erklärt ihm, dass er nur ihretwegen zum Finanzier des College geworden sei. Sein Fahrer, ein schwarzer, von weißer Wohltätigkeit ausgehaltener Student, sei sozusagen die Frucht der Liebe des Vaters zu seiner Tochter: »So you see, young man, you are involved in my life quite intimately. Even so you have never seen me before. You are bound to a great dream and to a beautiful monument. If you become a good farmer, a chef, a preacher, doctor, singer – whatever you become, and even if you fail, you are my fate.« (Meine Kursivierung) (40)
Das Wort »intimately« unterstreicht dieses überaus seltsame Bild vom schwarzen Studenten als ›Sohn‹ und Zukunftshoffnung der virtuell inzestuösen Verbindung eines reichen weißen Vaters mit seiner reinen und perfekten Tochter.69 Mit dieser ›Familien‹-Konstruktion allegorisiert Mr. Norton eine euphemistische Geschichtsversion nationaler Race-Politik: Weiß-weiblicher Abolitionismus des Mitleids à la Uncle Tom’s Cabin hat Hand in Hand mit männlich progressiver Entschiedenheit die Sklaverei abgeschafft und nun die Verantwortung für die Erziehung der schwarzen ›Kinder‹ übernommen. Gewissermaßen den Negativabzug dieser Familienidylle präsentiert Ralph Ellison in der viel zitierten Trueblood-Episode des Romans ein paar Seiten weiter, die aber nie im Zusammenhang mit der oben behandelten Passage gelesen wird. Ein schwarzer Farmer mit dem sprechenden Namen »Trueblood« schwängerte seine Tochter und wurde dafür von seiner Frau mit einer Axt verwundet. Mr. Norton hat zum Entsetzen der Figur des Ich-Erzählers ein leidenschaftliches Interesse an der Affäre und lässt sich von Mr. Trueblood seine Geschichte berichten. Er habe mit Frau und Tochter das Bett geteilt, um sich vor nächtlicher Kälte zu schützen. Im Traum sei ihm dann eine weiße Frau erschienen, in deren Schlafzimmer er durch die Verwechslung einer Tür geraten sei. Der Ich-Erzähler beschreibt sie genauso wie Nortons Tochter im weichen fließenden Kleid: »a nightgown of white silky stuff« (52). Die weiße Frau beginnt zu schreien – ohne darauf hingewiesen werden zu müssen, assoziiert der Leser Lynching-Gefahr –, und Trueblood wirft in Panik die Frau aufs Bett, wo sie unter ihm versinkt. Beim Erwachen findet er sich über seiner Tochter wieder und hat sie, wie sich später herausstellt, dabei geschwängert. Noch einmal wird dann das Bild von der Tochter des Wohltäters und der weißen Traumfrau von Trueblood zusammengeführt: Als Mr. Norton die Brief68 | Ellison 1965, 39. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 69 | Valerie Smith hat zuerst auf den kaschierten Inzestwunsch des weißen Vaters hingewiesen (Smith 1988, 49).
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tasche zückt, um Trueblood für seine Geschichte mit einer Hundert-Dollar-Note zu bezahlen, erscheint dort wieder die Miniatur mit dem Platinrahmen: »But he did not look at it this time« (61). Wie schon vor ihm James Weldon Johnson ›färbt‹ Ellison die Inzest-Geschichte mit einer Race-Transgression ein, oder anders gesagt: Er dramatisiert über Inzest eine Race-Ungerechtigkeit. Hätte Trueblood nicht in namenloser Angstlust den Schrei der weißen Traumfrau ersticken wollen, hätte er seine Tochter nicht begattet. Er schändet stellvertretend für sein Begehren nach der weißen Frau sein eigen Fleisch und Blut. Ein kanonischer Text feministisch inspirierter, psychoanalytischer Theorie, Joan Rivières »Womanliness as a Masquerade« von 1929, arbeitet auf eine ähnliche Weise, diesmal umgekehrt mit der Ersetzung von Inzest durch Überschreiten der Color Line. Auch hier wird die soziale Dimension dieser inneren Verwandtschaft im Amerika des beginnenden 20. Jahrhunderts erhellt. Der Gegenstand der Fallstudie ist eine Amerikanerin aus den Südstaaten, wahrscheinlich eine Podiumsrednerin für das Wahlrecht für Frauen. Diese berichtet ihrer Psychoanalytikerin, dass sie nach gelungenen öffentlichen Auftritten ihre Seriosität entwertet, indem sie – praktisch gegen ihren eigenen Willen – ein lächerlich kokettes und hyperweibliches Verhalten an den Tag legt. Rivière nutzt diese Fallgeschichte zu dem Argument, dass ›weibliches‹ Verhalten keine an das biologische Geschlecht geknüpfte Eigenart ist, sondern eine Schutzreaktion, um väterliche Rache, die weibliche Kompetenz erzeugen könnte, zu entschärfen. Dass also Lächeln, Flirt und das Repertoire der Verführung Strategien sind, die dazu dienen sollen, die ›Kastration‹ des Vaters, die über den öffentlichen Eingriff in seine Domäne stattgefunden hat, zu maskieren.70 In Phantasien der Patientin taucht ein rächender Vater auf, den sie versöhnen möchte, indem sie sich ihm sexuell hingibt. Nun kommt ganz unvermittelt Race ins Bild: Die Patientin berichtet aus ihrer Vergangenheit von einer vergleichbaren Vorstellung, sich einem Angreifer hinzugeben, diesmal ist es ein schwarzer Mann: »This fantasy had been very common in her childhood and youth, which had been spent in the Southern States of America; if a negro came to attack her, she planned to defend
70 | Zu großer Bedeutung gelangte der Artikel der britischen Psychoanalytikerin und direkten Freud-Schülerin über eine eher beiläufige Bemerkung, dass es möglicherweise unterhalb dieser ›Maskerade‹ nichts genuin Weibliches gäbe. In der feministischen Theorie wurde diese Aussage zur Unterstützung einer Konstruktionsthese von Weiblichkeit vielfach aufgenommen. Vergleiche z.B. Weissberg 1994. Die Maskerade-Theorie legte auch einen der Grundsteine zu Judith Butlers Performativitäts-Theorie (Butler 1991, 80f).
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG herself by making him kiss her and make love to her (ultimately so that she could deliver him to justice).«71 (Meine Kursivierung)
Ein schwarzer Mann, der in den Südstaaten von einer weißen Frau der Vergewaltigung bezichtigt wird, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit gelyncht werden.72 Lynching wird häufig von einer zusätzlichen Grausamkeit begleitet, der Kastration. Die Kastrationsdrohung ist es aber wiederum, mit der nach Freud das Inzestverbot durchgesetzt wird. In der psychischen Ökonomie der Patientin wird das Inzestmotiv, die Vorstellung mit dem Vater zu schlafen, aufgerufen, um eine befürchtete väterliche Rache abzuwenden, die auf der Idee beruht, den Vater durch intellektuelle Souveränität, einem Gebiet, das sein Terrain ist, kastriert zu haben. In einer tiefer liegenden und älteren Phantasie verführt die Patientin dann einen schwarzen Mann, damit sie ihn stellvertretend der Kastration, nämlich dem Lynching, ausliefern kann. Diese Geschichte ist eine Art mikropsychologische Allegorie der Verklammerung des weiß-weiblichen Emanzipationsprojekts mit der Frage von Race. Sie erhellt, welch konkret historische Verbindung hier das Inzesttabu mit dem Miscegenation-Tabu eingegangen ist. Der eigentliche Antagonist ihrer Befreiung ist der Vater, oder gesellschaftlich gesprochen, das Patriarchat, das sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch immer widerständig gegen die weibliche Eroberung von Kanzel, Pult und Podium zeigte. Wenn die männliche Herr71 | Riviere 1986, 37. Es ist bemerkenswert, dass in dem stetigen Strom zahlreicher, sorgfältigster und tiefenscharfer feministischer Exegese dieses recht kurzen Textes niemals Race als impliziter oder expliziter Faktor in den Interpretationen auftaucht (Weissberg 1994). Erst in den späten Neunziger Jahren machten Jean Walton und Ann Pellegrini auf diese systematische Blindstelle von Joan Rivières Fallstudie aufmerksam (Pellegrini 1997, Walton 1997). 72 | Wie Jean Walton richtig kritisiert, reiht Joan Rivière den schwarzen Mann in dieser Phantasie umstandslos in eine Variation des bedrohlichen Vater-Imagos ein und übersieht die Race- und sexualpolitischen Machtverhältnisse des Südens. In einer historisierten Lacan’schen Interpretation liest Walton die Szene als eine Variation der These, dass der Mann den Phallus ›haben‹ müsse, während die Frau der Phallus ›sein‹ müsse, damit der Mann an ihr das Phallus-Haben erleben könne. Walton interpretiert dann die Phantasie einer inszenierten Vergewaltigung durch einen schwarzen Mann gemäß diesem Modell: »By playing the masquerade to the black man as audience, she will appear to ›be the phallus‹ in order that he will in turn want to have her as the ›site to which‹ he will penetrate. As soon as his imagined aggression has been thus defined as sexual in nature she will then deliver him to ›justice‹. That ›justice‹ of course in the violently racialized context that is the American South, will likely consists in the literal castration and lynching of the offending black man at the hands of the white men whose legal and social prerogative is it to be the proper possessors of the phallus« (Walton 1997, 231).
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schaft aus Angst vor Strafe (Ausschluss, Diskriminierung) nicht direkt herausgefordert werden kann, ist die Vorstellung eines schwarzen Liebhabers eine zweite Ebene der Provokation, die diesmal die weiße Suprematie ansteuert. Über den Akt, den Verführer der Gerechtigkeit (»Justice« kann sowohl Gerechtigkeit wie die Position Richter/Richterin bezeichnen) auszuliefern, verbündet sich die Tochter mit dem Vater und bringt ihrer eigenen Befreiung den schwarzen Mann zum Opfer. Konkret gesprochen, bietet die Tochter dem Vater die Kastration eines Dritten an, um ihren eigenen Entmannungsversuch an ihm ungeschehen zu machen.73 Exakt das war die Strategie der Frauenrechtskämpferinnen des Südens im frühen 20. Jahrhundert. Sie argumentierten, dass sie das Wahlrecht deshalb brauchten, um ihr Stimmengewicht gegen die schwarzen Männer in die Waagschale werfen zu können. Obwohl in der Rhetorik der Frauenwahlrechts-Kämpferinnen alte abolitionistische Überzeugungen fortbestanden, die offene Rassendiskriminierung verboten, suchte man mehr und mehr die Unterstützung des Südens und machte politische Kompromisse mit deren rassistischen Agenda. 1903 wurde auf Antrag der Vertreterinnen der Südstaaten auf der nationalen Konferenz der NAWSA beschlossen, das Wahlrecht an einen bestimmten Ausbildungsstand zu koppeln, womit man der Jim Crow-Gesetzgebung folgte. Sogenannte State-RightsSouveränität für die einzelnen regionalen Vereinigungen erlaubten den Suffragetten der ehemaligen Südstaaten, Wahlpropaganda unter explizit rassistischen Vorzeichen zu machen, nämlich die weißen Frauenstimmen als ein legales Mittel zu empfehlen, die schwarze Wählermacht zu überstimmen und weiße Suprematie zu befördern (Kraditor 1965, 137-138, 165). Weiße Suffragetten der Südstaaten versuchten also, den ›unwilligen Vater‹ davon zu überzeugen, auf einen Teil seiner Gender-Privilegien zu verzichten, wenn sie ihm dafür den Fortbestand seiner Race-Privilegien sicherten. Auf eine gesellschaftliche Dimension übertragen könnte man auch sagen, die weiße Frau rächt sich am schwarzen Mann für die Übermacht des weißen Mannes, der sie in eine Unterwerfungssymptomatik getrieben hat. Das macht sie, indem sie das illegitime Begehren des schwarzen Mannes erzeugt, um ihn dann – über die Agentur des weißen Mannes – abstrafen zu können. Insofern kann mit Recht behauptet werden, dass die weiter oben herausgearbeitete Konkurrenz von Race und Gender sich in das weiß-weibliche Unbewusste vieler Frauenwahlrechtskämpferinnen eingeschrieben hat.
73 | C.G. Jung war bei seinen weißen amerikanischen Patienten und Patientinnen aufgefallen, wie stark, das, was Toni Morrison ›africanist presence‹ nennt, im individuellen Unbewussten verankert ist: »The Negro lives within your cities and even within your houses, he also lives within your skin, subconsciously«. Zitiert nach Lemke 1998, 30. Siehe auch Palmié 1993.
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P RIMITIVISMUS 3.8 Negativabzüge Weiße Frauen nahmen zweifellos eine wichtige Rolle in der amerikanischen kulturellen Erzählung des Lynching ein. Gleichwohl dient die obige Entfaltung des inneren Zusammenhangs von Inzest und Miscegenation als Beleg der Tatsache, dass weiße Frauen nur eine Funktion im weiß-männlichen Diskurs sind, die Race-Vorherrschaft zu erhalten. Katrin Schwenk entwickelt in einem Essay den Zusammenhang folgendermaßen: »The myth of the black rapist held black men in check and justified violence against them. The myth of the virtuous (white) woman not only legitimated the lynchings but also served to solidify the relations between white men and white women: protection was traded for white women’s acquiescence to their status as property.« (Schwenk 1994, 321)
Betrachtet man unter dieser Voraussetzung das Engagement von z.B. Nancy Cunard oder Mary White Ovington gegen Lynching, sieht man, dass ihre Rolle – durchaus gegen ihre eigenen Intentionen – hoch ambivalent und nicht ungefährlich ist. Aus der Kämpferin gegen eine soziale Ungerechtigkeit kann auf diese Weise ein Vorwand für dieselbe werden. Die Anti-Lynching-Aktivistin kann dazu funktionalisiert werden, Race-Verhältnisse zu sexualisieren und damit indirekt ein Lynching-Klima zu erzeugen. Mary White Ovington veranstaltete 1908 Race-integrierte Dinners im halböffentlichen Raum des Cosmopolitan Clubs als Fanal gegen die durchgängige Race-Segregation in der Öffentlichkeit, die es Schwarzen und Weißen nicht ermöglichte, an einem Tisch zu essen.74 Diese relativ bescheidene, gleichwohl in ihrer Zeit extreme Geste der De-Segregation provozierte einen öffentlichen Skandal. Die New Yorker Presse sprach von »Miscegenation Dinners« und heizte eine Mobstimmung an. Sie beschrieb das Abendessen mokant als »fashionably attired (white women) in low-cut gowns leaned over the tables to chat confidently with Negro men of the true African
74 | Präsident Theodore Roosevelt provozierte einen nationalen Skandal, als er Booker T. Washington an seinen Tisch ins Weiße Haus einlud. Der Anthropologe Arnold van Gennep schreibt in The Rites of Passage, dass die Überschreitung sozialer Grenzen erst dann vollendet ist, wenn dem vormaligen Außenseiter gestattet wird, an einem gemeinsamen Mahl teilzunehmen (van Gennep 1960, 131, 169-170). Jane Addams Einladungen an schwarze Amerikaner und Amerikanerinnen zu gemeinsamen Essen im Hull-House wurden deshalb auch als bemerkenswerte politische Geste verstanden und gewürdigt.
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type«.75 Die Provinzpresse fuhr noch schwerere Geschütze auf. Der Richmond Leader schrieb: »We have bitter contempt for the whites who participated in it and illustrated that degeneracy will seek its level«. Und im St. Louis Dispatch stand: »This miscegenation dinner was loathsome enough to consign the whole fraternity of perverts who participated in it to undying infamy«.76 Das Vokabular dieser Verdikte ist zu dieser frühen Zeit noch eine Mischung aus sozialdarwinistischen Formeln wie ›Degeneration‹ und einer Rhetorik der Stigmatisierung wie ›verachtungswürdig‹ und ›infam‹. Aber es tauchen auch erste ›moderne‹, sexualisierte Stichwörter auf, wenn z.B. von Perversion gesprochen wird. Eine geradezu stoffliche Verbindung weißer Frauen als Lynching-Fanal hat Jean Toomer in dem Gedicht »Portrait in Georgia« eingefangen, wenn er die Beschreibung des Körpers weißer Frauen mit den Requisiten eines LynchingSzenarios überblendet: Hair – braided chestnut, Coiled like a lyncher’s rope Eyes – faggots Lips – old scars, or the first blisters, Breathe – the last sweet scent of cane, And her slim body, white as the ash Of black flesh after flame 77
Der Logik, die weiße Frau als Lynching-Lockvogel zu sehen, ist in diesem lyrischen Manifest nicht zu entkommen. Nancy Cunard findet eine performative Darstellungsform für dieses Dilemma. Im Wissen und aus der persönlichen Erfahrung heraus, dass Sexualpolitik Körperpolitik ist, dreht sie die kulturelle Logik um. Sie verweigert sich visuell der Annahme, dass sie als weiße LynchingKritikerin, die Beziehungen mit schwarzen Freunden pflegt, auch ein Lynching-Lockvogel sein muss: Jane Marcus interpretiert Porträts der deutschen Photographin Barbara Ker-Seymer als Inszenierungen Cunards als gelynchter Frau.78 Auf diesen Photos lehnt Cunard abwesend (ohnmächtig/tot?) mit nackten Schultern in einem Sessel. Um den extrem verlängerten weil nach hinten gebeugten – Hals sind in dichten Reihen mehrere Perlenschnüre geschlungen, so dass es aussieht, als werde sie gewürgt. Die kurze androgyne Haarfrisur und 75 | New York Press, 26. Januar 1911. Henning Marable weist nach, dass hinter diesen Presseberichten eine gesteuerte Kampagne zur Diskreditierung des NAACP stand, die sich gezielt des Miscegenation-Tabus bediente, um politischen anti-rassistischen Aktivismus unmöglich zu machen (Marable 1976, 78). 76 | www.spartacus.schoolnet.co.uk/USASovington.htm, abgerufen am 30.04.2003. 77 | Das Gedicht erschien zuerst 1923 in Modern Review. Hier zitiert aus Toomer 1988, 29. 78 | Marcus 1995, 44. Siehe auch Marcus 2004, 119f.
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das photographisch erzeugte ›schwarze Gesicht‹ tragen zur Assoziation von Gehenkten oder Gelynchten bei. (Abb. 9, 10 + 11)79 Jane Marcus öffnet einen Katalog von Fragen zu dieser Bildinszenierung:
Abbildung 9 und 10
Abbildung 11 »What does it mean, when Nancy Cunard switches roles and performs ›the white woman lynched‹ when in reality black men were lynched in the name of revenge for white women’s lost honor? Can the figure of the ›white woman hanged, bound, manacled, enslaved‹ ever disrupt in performance the racial fears of sexual mixing she wants to explode? […] When a white women claims the victim status of the lynched black man, can we read the performance of ›cross-racial‹ and ›cross-sexual‹ lynching drag as an attack of white males?« (Marcus 1995, 44-45)
79 | Abgebildet in Marcus 1995, 43-45.
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Marcus’ Fragen verdeutlichen die dichte Beschreibung zeitgenössischer Diskursveränderungen über Race und Gender in der Figuration Cunard.80 Es wird sichtbar, dass eine Sexualisierung von Race mit einer Maskulinisierung und vor allem Rassisierung des weiblichen Geschlechts einhergehen kann. Ausgedrückt werden kann dieser Zusammenhang allerdings nur auf der performativen Ebene. Es bedarf des stummen Mediums des Bildes, um die Überblendung von Race und Gender in einem Blick erfahrbar zu machen. Ein Text würde bei der Behauptung stehen bleiben. Die photographische Inszenierung dagegen kann unter bestimmten Umständen einen pseudo-unmittelbaren Transfer leisten. Die deutsche Photographin Ker-Seymer hatte Nancy Cunard in London nach der Veröffentlichung von »Black Men and White Ladyship« vorgeschlagen, für die experimentellen Photos zu posieren. Cunards weißes Gesicht ist darauf – wie sonst nur auf dem Filmnegativ – ›schwarz‹, und die dunklen Bildelemente sind hell. Das Negativ wird bei dieser Technik direkt auf Papier abgezogen und nicht in den schwarz-weiß Werten wie sonst üblich zu einem Positiv ›umgekehrt‹. Ker-Seymer nutzt bei diesem Vorgang eine Erfindung ihres amerikanischen Kollegen Man Ray, der diese Technik neben anderen Innovationen wie der Solarisation und den so genannten Rayographien in den zwanziger Jahren im Pariser Exil entwickelte (Phillips 1994, 197). In den Visual Culture Studies ist zuletzt verstärkt über die Möglichkeit politischer Agency durch Bilder nachgedacht worden. Antke Engel spricht in Bilder von Sexualität und Ökonomie (2009) von »Zwischenräumen«, die sich zwischen Darstellung, Rezeption, Objekt der Darstellung und Produktionsformen erobern lassen, wobei »[…] Normen brüchig werden und unerwartete ästhetische Ereignisse und Erfahrungen sich vollziehen (Engel 2009, 200). Nach Johanna Schaffer käme es für solche Bilder darauf an, Darstellungsregime und die darin enthaltenden Codes der Entwertung, Stereotypisierung und Verwerfung herauszufordern, was dazu führen könne, die der ehrenden Darstellung entzogenen ›Anderen‹ zu ehren (Schaffer 2008). Übersetzt auf Cunards Bildinszenierung einer weißen Frau, die als gelynchter schwarzer Mann inszeniert ist, würde das bedeuten, dass sie die Figuration ›weiße Frau‹, die im ›virtuellen Archiv aller kulturell verfügbaren Bilder‹ 81 eine Opfer-Trope verkörpern kann, 80 | Diese Bezeichnung ist eine Anleihe des hilfreichen Begriffs ›thick description‹ des Anthropologen Clifford Geertz, mit der er die Entwirr-Arbeit des Feldforschers beschreibt, in auf den ersten Blick ›einfachen‹ Ritualen und Gesten, komplexe sich überkreuzende Diskurse heraus zu präparieren. Für diese kulturelle Hermeneutik ist ›lokales Wissen‹ notwendig (Geertz 1973). 81 | Kaja Silverman unterscheidet zwischen dem ›virtuellen Archiv aller kulturell verfügbaren Bilder‹ als ›Screen‹, dem ›Gaze‹, dem Fundus dessen, was intelligibel dargestellt werden kann und dem ›look‹, der individuell biographischen und kulturellen Disposition des Betrachters (Silverman 1996).
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nutzt, um einer Opfergruppe, der die ehrende Darstellung ihres Leidens versagt ist, gelynchte schwarze Männer, eine Repräsentanz zu geben. In einer anderen Modellierung könnte man auch davon sprechen, dass Cunard sich mit gelynchten schwarzen Männern ›disidentifiziert‹, d.h. sie inszeniert sich im Lyching, kommentiert gleichzeitig das Lyching und positioniert sich gegen Lynching.82 In gewisser Weise kann der Negativabzug als das Black Face-Programm der Photographie verstanden werden. Wie andere amerikanische Innovationen in den visuellen Künsten – z.B. dem ersten abendfüllenden Film Birth of a Nation von Griffith, der von der Gründung des Ku-Klux-Klan handelt, oder der erste Tonfilm The Jazzsinger mit dem jüdischen Minstrel Künstler Al Jolson83 – wird auch hier ein Technologiefortschritt an einem Sujet demonstriert, das mit dem Unterschied der Hautfarben schwarz und weiß zu tun hat.84 Den ersten Negativabzug entwickelte Man Ray bei einer seiner berühmtesten photographischen Inszenierungen »Noire et Blanche«. Das Bild zeigt eine auf Puppenperfektion geschminkte weiße Frau mit quer gelegtem, ebenmäßigem Gesicht, die eine symmetrische schwarze afrikanische Maske aufrecht in die Kamera hält. Dieses Photo hat er in einen Negativabzug umgekehrt.85 (Abb. 12 + 13)86 Schon der Positivabzug hatte Binaritäten wie Kunst/Natur, Mann/Frau, Europa/Afrika durchkreuzt. Er hebt die Künstlichkeit des ›natürlichen Weibes‹ durch die artifizielle Geschminktheit hervor. Das Geschlecht der Maske ist uneindeutig. Es ist nicht zu erkennen, ob sie ein indigenes Artefakt oder ein Werk der primitivistischen Moderne ist. Hat schon die ursprüngliche Bildinszenierung im weitesten Sinn durch ihr primitivistisches Programm eine Race-Darstellungsform, schiebt sich bei dem Negativabzug die Race-Frage völlig in den Vordergrund. Die nun ›schwarze‹ Frau hält eine ›weiße‹ Maske – man erinnere sich an Frantz Fanons spätere emblematische Formulierung Peau Noire, Masques Blancs – und zeigt ganz analog zum Race- und Gender-Auflösungsprogramm der Harlem Renaissance sowohl Inszeniertheit als auch Maskenhaftigkeit und zuletzt den ›Effektcharakter‹ von Race vor.87 82 | Queer Performance Theoretiker José Esteban Muñoz spricht von einem ›Dissidentitificatory Subject‹ als jemandem, der/die »tactically and simultanously works on, with, and against a cultural form« (Muñoz 1999, 12). 83 | Vgl. Rogin 1985, Rogin 1992a und Rogin 1992b. 84 | Interessanterweise schmückte Max Ernst einen Ausstellungskatalog mit einer ›à Man Ray‹ getitelten Zeichnung, die eine schwarzhäutige Freiheitsstatue zeigt (Forrester 1994). 85 | Blanc et Noir titelt er 1929 zwei ›pornographische‹ Photographien seiner Freundin, die ihren Körper in schwarzen Bändern gefesselt zeigen (Heiting 2000, 74/75). 86 | Heiting 2000, 38/39. 87 | Zwei Portraits von Carl van Vechten der Jazzsängerin Bessie Smith bilden einen interessanten Kommentar zu Man Rays Masken-Inszenierung. Van Vechten photographierte
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Abbildung 12 und 13 Nancy Cunards Selbst-Ethnisierung als Black Face auf dem Photo von Ker-Seymer ist ein optischer Taschenspielertrick, eine Repräsentationsform. Weitaus stofflicher ist ein anderes ethnisches Requisit, ihre berühmten afrikanischen Elfenbein-Armreifen. Sie erzählen eine andere, vereinnahmende und überSmith gegenüber einer weißen Maske – dem Portrait eines antiken Griechen – und gegenüber einer schwarzen Maske. Die schwarze Maske war wahrscheinlich ein US-amerikanisches Artefakt eines kulleräugigen, lachenden schwarzen Mannes in der Tradition der Minstrel-Karikaturen. Interessant ist, dass van Vechten die weiße Maske als Zitat europäischer Hochkultur einsetzt und die schwarze Maske als Zitat einer Tradition von Unterdrückung und Diskriminierung. Konterkariert wird dieses ›rassistische‹ Setting allerdings durch Bessie Smiths Mimik: Sie lacht die antike Maske an oder vielleicht sogar aus. Die schwarze Maske, die ihr wie ein Teufelchen direkt auf der Schulter sitzt, und damit unheimlich nah an ihrem Gesicht, betrachtet sie mit ängstlichem Missbehagen. Man könnte diese beiden Photo-Inszenierungen als Erheiterung über eine tote – sprich unlebendige – weiße Tradition bezüglich der weißen Maske interpretieren und als Ärger, Angst und Unbehagen gegenüber den schwarzen Bildern, die die schwarze Minstrel-Maske versinnbildlicht. (Den Hinweis auf die Smith-Portraits verdanke ich Dorothea Löbbermann).
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wältigende Version ihrer Liebesgeschichte mit dem afroamerikanischen Jazzmusiker Crowder. Cunard nutzt den Körperschmuck zur Verführung ihres künftigen Liebhabers. In seiner Autobiographie berichtet Henry Crowder, dass Cunard ihm bei ihrer ersten Einladung die Sammlung ihrer Elfenbeinreifen vorgeführt hat: »They were the first of the kind I’ve seen, but in a peculiar manner they elicited my warmest admiration.«88 Sie ›verführt‹ ihn gewissermaßen mit ihrer Idee von ›seiner‹ Kultur. Er selbst lehnte beharrlich jede Assoziation mit Afrika ab – »I ain’t African, I am American« (98) wird er später sagen. Doch auch diese Äußerung brachte Cunard nicht von ihrem Afrika ab, das sie in Crowder hineinlesen wollte.
Abbildung 14 Auch hier inspiriert der Amerikaner Man Ray das primitivistische Programm. Der von ihm entworfene Buchumschlag von Henry Music – einem Würdigungsbuch von Crowders Kompositionen, das mit Gedichten weißer Künstler u.a. von Beckett und Cunard selbst angereichert ist – bringt dies überdeutlich zum Aus88 | Crowder/Speck 1987, 64. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. Die Werbung um den Jazzmusiker legt also in Florenz den gleichen kulturellen Weg zurück, den der Primitivismus nach Harlem genommen hatte. Über den Umweg der europäischen Moderne wie Picasso und Braque hatte der afroamerikanische Intellektuelle Alain Locke die Bedeutung afrikanischer Kunst schätzen gelernt und versucht, ihre Vitalität und Modernität zurück zu importieren und damit afroamerikanische Künstler zu einer eigenen Moderne anzuregen. Zu diesen Zusammenhängen siehe Lemke 1998, 47-48.
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druck. Es zeigt ein Portrait Crowders, auf dem seine Schultern mit Cunards bereiften Armen wie durch ein Joch niedergedrückt werden. (Abb. 14)89 Die Zeichen Primitivismus und Zivilisation sind auf dem Buchcover paradox verteilt. Crowder wird trotz der kuriosen Last sehr distinguiert in Hut, Mantel und Schal abgebildet. Gleichzeitig ist auf der rechten Seite ein großes afrikanisches Saiteninstrument hinein montiert. Es ist ein hinzugefügtes ›primitivistisches‹ Ornament, denn Crowder hat als Ragtime-Pianist nie mit afrikanischen Instrumenten gearbeitet. Die materielle Gewalt der Armreifen wird es am Ende sein, die die Verletzungen der ›unmöglichen‹ Liebe sichtbar machen. In der Spätphase der Beziehung trug Crowder oft Wunden davon, wenn er seine tobende Freundin nächtlich gegen ihren Willen nach Hause schleppte, weil sie zu viel getrunken oder andere Drogen genommen hatte. Cunard ›erschlägt‹ Crowder also genau mit den Symbolen, mit denen sie ihn ermächtigen wollte. Damit allegorisiert sie den funktionalen Charakter, den solche Zitate ›primitiver‹ Kunst für ihre eigene Selbstverwirklichung haben.90
3.9 Das Unbewusste und die Kunst Der Primitivismusdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts umfasst weit mehr als ein modisches Zeichensystem, das sich auf die Inspiration der modernen bildenden Kunst durch afrikanische Masken und Holzskulpturen bezieht.91 Vielmehr ist er 89 | Buchcover von Crowder 1930, gestaltet von Man Ray. Wie dauerhaft diese spezielle kulturelle Ikonographie der Verklammerung von Primitivismus, Kunst, weißer Frau und primitivistischer Inszenierung ist, konnte ich im Frühjahr 2002 in Paris beobachten. Eine Galerie primitivistischer Artefakte in St. Germain de Près hatte im Schaufenster als Standarddekoration sowohl ein Plakat von Man Rays »Noire et Blanche« im Positivabzug, daneben Cecil Beatons Armreifen-Photo von Nancy Cunard. Siebzig Jahre nach der eigentlichen kulturellen Konjunktur funktioniert der Radical Chic der PrimitivismusTrope als visuelle und Lebensstil-Attraktion noch immer. 90 | Die Cunard-Biographin Anne Chisholm hat die Vielschichtigkeit von Cunards Beziehung zu Crowder auf eine kurze Formel gebracht: »In Henry Crowder she found a cause, a symbol, a weapon, a victim« (Chisholm 1979, 119). 91 | Die erste systematische Kritik am Diskurs des weißen ›Primitivismus‹ in der Kunst als Aneignung und Ausbeutung einer tribalistischen Kunstform wurde von William Rubin in der Einleitung zum zweibändigen Katalog der MOMA-Ausstellung Primitivism in the 20th Century Art geleistet (Rubin 1984). Siehe dazu auch die Analyse dieses Textes von James Clifford: »Histories of the Tribal and the Modern«, der zwar Williams Kritik an der Konstruiertheit des Diskurses teilt, aber dessen Wegschieben des ›Primitiven‹ in überzeitliche Vergangenheit und das Fehlen der Einsicht in die Dialogizität von ethnologischen Diskursen zwischen Feldforscher und ›wildem‹ Untersuchungsobjekt bemängelt (Clifford 1988, 189-215). Marianna Torgovnick konzentriert sich in ihrer Studie Gone
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auch ein anthropologischer, ein biologischer und ein psychologischer Diskurs. Sieglinde Lemke unterscheidet in Primitivist Modernism neben dem ästhetischen einen ›chronologischen Primitivismus‹ (Romantisierung der Frühgeschichte der Menschheit als einfache und authentische Gefühlslage), einen ›kulturellen Primitivismus‹ (Romantisierung nicht-westlicher Menschen als natürlich und sexuell frei) und einen ›spirituellen Primitivismus‹ (Romantisierung mystischer Kräfte und dionysischer Ekstase) (Lemke 1998, 26). Alle Dimensionen der von Lemke katalogisierten Primitivismen basieren auf dem sogenannten »romantic racism« des frühen 20. Jahrhunderts.92 Die Kategorie ›primitiv‹ allerdings ist älter und ursprünglich nicht positiv romantisierend belegt. 1871 erblickte die Primitive Culture in der gleichnamigen Studie des Anthropologen Edward Burnett Tylor das Licht der anthropologischen Disziplin. Erwartungsgemäß war der Primitive nicht-weißer Race.93 Der ›primitive‹ Mann löste als Kategorie den Wilden und den Barbaren ab und bewies in seiner ›Zurückgebliebenheit‹ als lebendiges Archiv der Menschheitsgeschichte die Darwinsche Theorie von der natürlichen Auslese.94 Weiße Anthropologen – die ›Gewinner‹ des Evolutionsprozesses – studierten auf Forschungsreisen lebende primitive Völker, um durch eigene Anschauung Erkenntnisse über ›frühe Zivilisationsstufen‹ zu erlangen. Da Race als Essenz verstanden wurde, heftete sich das Primitive an die Hautfarbe – je entwickelter, je ›zivilisierter‹, desto bleicher. Alle dunkel pigmentierten Menschen erhielten, gleichgültig in welcher Kultur sie lebten, das Stigma des Primitiven. Diese Denkform wird von der im vorherigen Kapitel diskutierten Rekapitulationstheorie abgestützt. Nach ihr wiederholen sich im Reifeprozess des Einzelmenschen die Stadien der Menschheitsgeschichte. Die Rekapitulationstheorie ließ die Primitivismus-Trope auf die Psychologie, genauer gesagt, auf die in dieser Zeit entstehende Psychoanalyse ausgreifen. »Die sogenannt wilden und halbwilden Völker (kann man oft als) […] gut erhaltene Vorstufen unserer eigenen Ent-
Primitive ganz auf die Entlarvung der Schimären ›The White Man’s Primitive‹ (Torgovnik 1990). Sieglinde Lemke versteht den weißen Primitivismus eher als Verhandlungsmodell, der afrikanische und afroamerikanische Einflüsse zur Konstitution der Moderne nutzt, diese aber nicht anerkennt (Lemke 1998). 92 | Zitiert nach Lemke 1998, 27. 93 | Tylor 1871. Bedeutend zu diesem universalisierenden Diskurs beigetragen haben auch die viktorianischen Anthropologen Lewis Morgan, Ancient Society (1877) und John McLennon Studies in Ancient History (1886). Zu einer Monographie zum Thema siehe Stocking 1968. Siehe auch Rado 1997, 284f. 94 | Für die Zusammenhänge von Race, Anthropologie und Evolutionstheorie siehe Stocking 1968. Siehe auch Kapitel 2, »Wissenschaftlicher Rassismus«, S. 113-118.
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wicklung bezeichnen«95 schreibt Freud 1913 in Totem und Tabu. Mit diesem Buch entwirft er sozusagen die Bauanleitung des modernen Primitivismus-Diskurses. Totem und Tabu ist zunächst eine Gründungserzählung des Patriarchats. Danach hatte der Ur-Vater alle Frauen der Sippe monopolisiert. Die um Sexualität und Reproduktionschancen gebrachten Söhne verbündeten sich zu einer Bruderhorde und erschlugen gemeinschaftlich den Vater, um in den Besitz der Frauen zu kommen. Im heiligen Schrecken und im Versuch, das vatermörderische Verbrechen zu sühnen, wählten sich die Söhne ein Totemtier (als Vatersymbol) und verboten sich dessen Genuss. Und sie errichteten ein Tabu gegenüber dem Vater Tochter-Inzest, d.h. sie verinnerlichten den Grund, warum sie den Vater erschlagen haben. Das innerpsychische Inzesttabu hätte damit seine Wurzeln in einem wirklichen Ereignis aus der Frühgeschichte der Menschheit. Freud siedelt psycho-historisch individuelle Kindheit, Frühgeschichte der Menschheit und Neurosen und Psychosen der erwachsenen Menschen auf einer Stufe an. Alle drei Seinsformen sind ihm zufolge Aggregatzustände des ›Primitiven‹. Freud hat damit den ›anderen‹ Primitiven der Anthropologie und Evolutionstheorie zu unserem ›eigenen‹ Primitiven gemacht, der sich in der Kindheit, in der Neurose, aber auch im Unbewussten, im Traum und in der Kunst zeigt. Da das Denken der Primitiven nach Freud, »im höchsten Maße sexualisiert« (110) ist, steckt das Unbewusste der hochzivilisierten Menschen ebenfalls voller unsublimierter Sexualität. Unkontrollierte Triebaffekte des ›Es‹ wurden damit gleichzeitig zur Domäne des eigenen Primitiven wie auch von allen nicht-weißen Races der Menschheit.96 Die oben entwickelte kulturelle Strategie der Sexualisierung von Race findet hier ihre Meistertheorie. Die weibliche Psyche erklärt Freud dann in Gänze zum primitiven Territorium, zum »dark continent«. In seiner Schrift »Zur Laienanalyse« (1928) findet sich die viel zitierte Behauptung: »Vom Geschlechtsleben des kleinen Mädchens wissen wir weniger als von dem des Knaben. Wir brauchen uns dieser Differenz nicht zu schämen; ist doch auch das Geschlechtsleben des erwachsenen Weibes ein dark continent für die Psychologie.« 97 (Kursivierung Freud) 95 | Freud 1999g, 5. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 96 | Foster 1993, 72. Siehe auch die überarbeitete Fassung des Aufsatzes in Prosthetic Gods (2006, 1-55). Hal Fosters Aufsatz »Primitive Scenes« ist einer der wenigen theoretischen Versuche neben Mary Jane Doane (Doane 1991a) und Walton 2001, sich mit dem primitivistischen Diskurs innerhalb der Psychoanalyse auseinanderzusetzen. Zur Zivilisationsdiagnose in Totem und Tabu siehe auch Roelcke 1999, 180-204. 97 | Freud 1999d, 241. Mary Ann Doane arbeitet heraus, wie stark Freuds Trope des »dark continent« der weiblichen Sexualität (im deutschen Original ebenfalls englisch) von imperialistischen – in diesem Fall britischen – kolonialen Phantasien geprägt war
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Der Primitivismus-Diskurs der Psychoanalyse unterstützt damit außer der Sexualisierung von Race auch die in den obigen Ausführungen beobachtete Rassisierung von Geschlecht und Sexualität. Das Unbewusste und das kulturell Ersehnte treffen sich bei den weiblichen sexuellen Modernen damit nicht zufällig in einer Race-Metapher. Wie oben schon zitiert, träumt auch Cunard von dunklen Kontinenten: »a ›Dark Continent‹ – with Africans dancing and drumming around me […]!«98 Die Vorstellung vom inneren Primitiven hatte wichtige Gratifikationen. Sie konnte sich mit Träumen instinktgesteuerter, ›purer‹ Sexualität und Freiheit verbinden. Die Verschmelzung des Primitivismus-Diskurses mit der Psychoanalyse und dem Diskurs des sexuellen Modernismus brachte eine neue Welle anthropologischer Werke hervor, die sich dem ›freieren‹ Sexualleben primitiver Völker widmete. Z.B. unterstellten Bronislaw Malinowski in The Sexual Life of Savages (1929) oder Margaret Mead ihren Untersuchungsgruppen eine besonders vitale Sexualität.99 Maria Torgovnick fasst in ihrer Studie Gone Primitive. Savage Intellects and Modern Lives die neue Denkweise über den ›Primitiven‹ zu einer kurzen Liste zusammen: »Primitives are our untamed selves, our id forces – libidinous, untamed, violent dangerous. Primitives are mystics, in tune with nature, part of its harmonies. Primitives are free.«100 (Meine Kursivierungen)
Die Diskursberührung Primitivismus/sexueller Modernismus fand sowohl auf der Oberfläche statt – Primitive sind freie Menschen, weil nicht durch die Zivili(Doane 1991b). In einem Essay zum Begriff des »dark continent« schreibt Patrick Brantlinger, dass aus dem Blickwinkel viktorianischer Missionare und Eroberer Afrika in demselben Maße »dunkel« wurde, wie ihre Zivilisationsabsicht die »wilden Sitten« der Einheimischen erleuchtete (Brantlinger 1985). 98 | Ein wichtiger, in der obigen Analyse nicht zum Tragen kommender Aspekt dieses Traumes sind seine kolonialen Implikationen. Natürlich ist Nancy Cunard qua Erbschaft und Klasse dem englischen Kolonialismus verbunden und insofern auch dem Colonial Desire unterworfen, das nach Robert Youngs treffender Analyse die Kolonisierer phantasmatisch mit den Kolonialisierten verbindet (Young 1995). Die Postcolonial Theory hat sich, von wenigen Ausnahmen wie Ann McClintock und Gayatri Spivak abgesehen, nicht mit dem weiblichen Colonial Desire beschäftigt (McClintock 1995, Spivak 1989). 99 | Malinowski 1929. Siehe auch Margaret Meads Coming of Age in Samoa (1928) (Mead 1973) und Ernest Crawley, Studies in Savages and Sex (Crawley 1969). 100 | Torgovnik 1990, 8. Zu einer harschen Kritik an Torgovnicks zum Teil unhistorischen und kontextunabhängen Verdikten gegenüber Rassismen von Michel Leiris oder Sigmund Freud siehe Sigmund Perloff 1995.
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sation sublimiert –, als auch im Untergrund der Seele, wo auch bei zivilisierten Menschen ein primitives Triebleben angenommen wurde. Die Psychoanalyse hatte den okzidentalen modernen Menschen mittels seines frühgeschichtlichen Es sozusagen in direkter Linie mit den aktuell lebenden ›Primitiven‹ verbunden, was aus (weiß-)amerikanischer Perspektive bedeutet, mit Afroamerikanern. Radikalisiert gesprochen stellte also der sexuelle Kontakt eines weißen mit einem angeblich ›primitiven‹ schwarzen Menschen eine unmittelbare Verbindung sowohl mit der eigenen – verdrängten, weil überzivilisierten – Sexualität als auch mit der eigenen Seele her. So direkt, wie die hier idealtypisch verbundenen Diskurslinien gezogen wurden, sind diese Zusammenhänge nicht wirksam geworden. Es ist im 20. Jahrhundert keineswegs ein Liebeswahn zwischen Schwarz und Weiß ausgebrochen, um die befreienden Primitivismen der Seelen, Künste, Races und Geschlechter glücklich zu vereinen. Im Gegenteil: Über die Sexualisierung von Race gewann, wie oben aufgefächert, das Miscegenation-Tabu und in gewisser Weise auch die Lynching-Rhetorik an Schärfe. Es bedurfte deshalb einer Mediation, um die Racial-Sexual-Grenze zu überschreiten. Und diese lag genau dort, wo der Primitivismus-Diskurs in der Moderne erblüht war, in der Kunst. Moderne europäische Künstler wie Gaugin, Picasso, Nolde und Pechstein hatten durch ihre Begeisterung für indigene Formen und Motive afrikanischer Kunst die ›primitiven‹ Urheber dieser Artefakte ›veredelt‹.101
3.10 Hilda Doolittles Primitivismus Die Psychoanalyse räumt den Künstlern eine besondere Beziehung zum Unbewussten ein. Da Freud das Unbewusste als primitiv begreift, also als ein Echo der Frühgeschichte der Menschheit versteht, rückt er den Künstler in die Nähe von primitiven Menschen.102 So kommt es auch zum Umkehrschluss, primitive Menschen seien quasi von Natur aus Künstler. Im primitivistischen Diskurs der Moderne wird dem Zeitgenossen dunkler Hautfarbe deshalb ebenfalls eine natürliche Nähe zum Künstlertum nachgesagt. So schrieb C.G. Jung 1929: »Primitivity and accomplishments as an artist may go together. All Negros are marvellous artists in what they might produce. All artists have a very primitive side in their 101 | Dieses Interesse für primitive Kunst übertrug sich auf ein Interesse an gegenwärtigen afroamerikanischen Künstlern, ohne die kulturelle Differenz zwischen Afrika und den in den USA akkulturierten Nachfahren der Sklaven in Rechnung zu ziehen. 102 | Freud misst der Kunst eine primitive, animistische Gedankenallmacht bei: »In der Kunst allein kommt es noch vor, daß ein vom Wünschen verzehrter Mensch etwas der Befriedigung Ähnliches macht, und daß dieses Spielen – dank der künstlerischen Illusion – Affektwirkungen hervorruft, als wäre es etwas Reales« (Freud 1999b, 111).
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG characters and way of living. In their unconscious there is an ambiguous condition.« (Meine Kursivierung) (Jung 1984, 131)
Auch die Lyrikerin Hilda Doolittle ist auf der Suche nach dem Primitiven als Erneuerungskraft für ihre künstlerische Arbeit. Anders als Cunards und Wests performative Aneignung von Blackness und den Artefakten ›primitiver‹ Völker nimmt sie die These des Primitiven in ihrer eigenen Seele an. Sie hofft, diesen Schatz künstlerischer Kreativität mit der Psychoanalyse zu heben. Als Pfadfinder für dieses Unternehmen gewann sie 1933 Sigmund Freud selbst, der sie während der Analyse in ihrer Selbsterforschung bestärkte: »You discovered for yourself, what I discovered for the race«,103 habe Freud ihr gesagt, berichtet H.D. in Tribute to Freud by H.D. Als Freuds große Entdeckung beschreibt sie seinen gedanklichen Zusammenschluss von früher kollektiver Menschheitsgeschichte und dem Unbewussten des zivilisierten Einzelmenschen, die er aus der Rekapitulationstheorie entlehnt hatte. »He had brought the past into the present with his the childhood of the individual is the childhood of the race – or is it the other way round? – the childhood of the race is the childhood of the individual […] that particular field of the unconscious mind that went to prove that the traits and tendencies of obscure aboriginal tribes, as well as the shape and rituals of vanished civilizations were still inherent in the human mind.« (12-13) (Kursivierungen H.D.)
Für H.D. verbindet sich dieser Gedanke zusätzlich mit dem thematischen Schwerpunkt ihrer Arbeit. In dichterischen Gegenentwürfen zur griechischen, jüdischen und ägyptischen Mythologie – die sie Freud folgend als Kindheit der abendländischen Menschheit versteht – besingt sie die von Homer schlecht beleumundete Helena und eine dem jüdisch-christlichen Rufmord entrissene Menschenmutter Eva.104 Künstlerische Produktion (Mind) und der erotische Körper (Body) sind dabei ganz eng verbunden: »The soul existed explicitly, or showed its form through the medium of the mind, and the body, as affected by the mind’s ecstasies or disorders« (meine Kursivierung) (12), schreibt sie in ihrem Analyseprotokoll. Sie verspricht sich von der Redekur die Inbesitznahme ihres eigenen Körpers und ihrer eigenen Seele. »I could at least take stock of my very modest possessions of mind and body« (13). Behindert wird dieses Bemühen allerdings durch die ›disorders‹, die Krankheitssymptome der zu lange unterdrückten primitiven Seele, die nichts anderes sind als die Einschränkungen, die die zeitgenössische ›kulturelle Sexualmoral‹ besonders den Frauen auf103 | H.D. 1984, 18. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 104 | Zu einer Würdigung H.D.s als lyrische Archäologin eines primitiven Matriarchats siehe Rado 1997.
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erlegt und gegen die H.D. in ihren persönlichen Lebensarrangements immer revoltierte.105 Die psychoanalytische Suche der (weißen) Amerikanerin nach dem inneren Primitiven scheitert immer wieder an der eigenen Überzivilisation.106 Hier nun betritt Blackness die Bühne der Verhandlung. In der Schweiz begegnet H.D. der zeitgenössischen Ikone afroamerikanischer Männlichkeit, Paul Robeson. Sie glaubt in ihm eine andere, nicht-überzivilisierte Welt zu erkennen, um die sie ihn beneidet. Die Essayistin Elizabeth Shepley Sergeant fasst in einem Artikel der New Republik 1926 die kulturellen Phantasmen zusammen, die sich in den USA um die auch vom weißen Publikum idolisierte Robeson-Persona gebildet haben: »Paul Robeson is not merely an actor and a singer of Negro spirituals but a symbol. A sort of sublimation what the Negro may be in the Golden Age hangs about him […] Six feet two and one-half inches tall, twenty-seven years old, black as the Ace of Spades, he is a man of outstanding gifts and noble physical strength and beauty. His figure on the slave block, in Emperor Jones, is remembered like a bronze of ancient mold.« 107
Zeitgenössische Photos von Robeson, wie die von Nikolas Muray, inszenieren den durchtrainierten Athletenkörper Robesons als Akt vor einem kantigen Skulpturblock. (Abb. 15)108 H.D. trifft »The Body and Soul of Modernism«, wie Hazel Carby Paul Robeson nennt (Carby 1998, 45-83), 1930 in der Schweiz anlässlich des Experimentalfilms Borderline, den ihr Lebensgefährte Kenneth Macpherson mit Robeson, dessen Frau Eslande und anderen Freunden dreht.109 Die Filmstory ist eine
105 | Für das Konzept der »kulturellen Sexualmoral« siehe Freuds Aufsatz »Die ›kulturelle‹ Sexualmoral und die moderne Nervosität« von 1908 (Freud 1999c). Zu H.D. und »kultureller Sexualmoral« siehe Walton 2001, 49-50. 106 | Zur Auseinandersetzung mit der Binarität Natur-Zivilisation im Denken von H.D., siehe Walton 2001, 46-50. 107 | Die Journalistin und Essayistin Elizabeth Shepley Sergeant war Kriegskorrespondentin im 1. Weltkrieg und wurde wegen einer dort erhaltenen Verwundung berühmt, die einem ihrer Bücher, Shadow Shapes. The Journal of a Wounded Woman, den Titel gab (Sergeant 1920). Sie war auch Aktivistin für die Rechte der Pueblo Indianer in New Mexico. Als Mitglied der Künstlerkolonie in Taos, New Mexiko, um Mabel Dodge Luhan gehört auch sie zu der Gruppe avantgardistischer Frauen, bei denen sich das Interesse am Primitivismus und sexuellem Modernismus überkreuzte. 108 | Carby 1998, 59. 109 | Zu Borderline und besonders der sexualpolitischen Dynamik der an den Dreharbeiten beteiligten Personen siehe Jane Waltons Kapitel ›Nightmares of the Uncoordina-
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Paraphrase auf die Gegenüberstellung von (schlechter) weißer Zivilisation und (guter) schwarzer Natürlichkeit. Ein weißes neurotisches Ehepaar Thorne und Astrid (gespielt von H.D.) lebt in einem kleinen Schweizer Grenzdorf, wo Pete (Paul Robeson) als Kellner arbeitet und noch nicht weiß, dass seine Frau Adah (Eslande Robeson) inzwischen wieder im Dorf ist. Thorne verliebt sich in Adah, hat darüber quälende Auseinandersetzungen mit seiner Frau Astrid. Im Laufe der Geschichte versöhnen sich Pete und Adah und die ›hysterische‹ Astrid kommt bei einer dramatischen Messerszene zu Tode. Pete verlässt mit Adah das zunehmend fremdenfeindliche Dorf.110 Thorne blickt beiden sehnend hinterher.
Abbildung 15 In einem Text zum Film, »The Borderline Pamphlet«, führt H.D. aus, wie eng sie ihre eigene scheiternde Suche nach dem kreativ Primitiven in ihrer Seele mit einer Race-Utopie knüpft. An eine Beschreibung der heroischen Film-Inszensierung Paul Robesons durch Mcpherson schließt sie eine Eloge über die Natürlichkeit der ›Dark Race‹ an: ted White Folk‹. Psychoanalysis and the Queer Matrix of Borderline« in Friedan 1963, Walton 2001, 41-81. 110 | Jean Walton schreibt zur Storyline »The Robesons are clearly constructed as the ›natural‹ or primitivist heterosexual couple of the film, explicitly contrasted with the overcivilized therefore neurotic white hetero couple« (Walton 2001, 47). Zu Borderline siehe auch McCabe 2002 und speziell zur Robeson-Persona Dyer 1986.
3. P RIMITIVISTISCHE R ENAISSANCEN UND SEXUELLE M ODERNISMEN »Like a dream, the great Negro head looms disproportionate, and water and cloud, and rock and sky are all subsidiary to its being. Like a personal dream, gone further into a race dream. Light has been, it is obvious, created by that dark demon, conversant with all nature since the time of white men’s beginnings.« (Meine Kursivierung) (H.D. 1990, 122)
Anders als die von formalen Abstraktionsleistungen primitivistischer Kunst faszinierten bildenden Künstler und auch anders als die populärkulturelle Version von Mae Wests afroamerikanischem Primitiven ist es weder die Form noch die Vitalität, die H.D.s Race-Idee ausmacht. Race ist für sie das archaische Prinzip einer besseren, schöneren und einfacheren Welt, eine Definition, die Sieglinde Lemke in ihrer Taxonomie den »chronologischen Primitivismus« nennt. H.D. sieht ihren persönlichen Traum, Körper und Seele und Kreativität zu befreien, in einem Race-Traum, in ihrer Vision von Paul Robeson als Pete in Borderline verwirklicht. Dieselben künstlerischen Zweifel und die Blockierungen, die ihr an der Race-Traum-Figuration Robeson gekommen waren, führten H.D. drei Jahre später zu Freud nach Wien. Als sich die verabredete dreimonatige Sitzungsperiode ihrem Ende nähert, beginnt die Analysandin in der Hoffnung, doch noch eine Lösung/Heilung zu finden, ihre Assoziationen und Traumerzählungen zu vervielfachen und zu verdichten. Jetzt erst macht sie sich klar, dass Freud sich an verschiedenen Stellen skeptisch über die Möglichkeiten der Frau zu originären kreativen Leistungen geäußert hat.111 Das ärgert sie, aber es trifft sich auch mit ihren eigenen Selbstzweifeln. Sie zieht im Geiste eine Qualitätsbilanz ihrer Werke. Insbesondere hält sie ihren letzten Gedichtband Red Roses for Bronze für misslungen, der im Titelgedicht eine Hommage auf Paul Robeson und eine Verarbeitung der für sie bewegenden Begegnung enthält. »I feel that the latest volume […] is not altogether satisfactory«.112 Das skeptische Urteil über das Gedicht führt über das Wort ›befriedigend‹ (satisfactory) das erotische und das psychologische sowie das künstlerische Urteil zusammen. Die Zweifel an der eigenen Kreativität treffen sich mit der vorgestellten primitiven Quelle ihrer Inspiration – symbolisiert in Robeson als Modell ihrer Kunst. Hal Foster spricht in Anlehnung an Freuds Begriff vom Penisneid vom »primitive envy«, der weiße
111 | »I was rather annoyed with the professor in one of his volumes (as I remember) that women did not creatively amount to anything or amount to much, unless they had a male counterpart or a male companion from whom they drew their inspiration« (H.D. 1984, 149). H.D. bezieht sich da z.B. auf Äußerungen wie »[…] die unzweifelhafte Tatsache der intellektuellen Inferiorität so vieler Frauen (ist) auf die zur Sexualunterdrückung erforderliche Denkhemmung zurückzuführen […]« (Freud 1999c, 162). 112 | H.D. 1984, 148. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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Intellektuelle befallen habe, die in ›primitive Scenes‹ (analog zur Urszene) nach neuer Subjektivität und Stil gesucht hätten.113 In Red Roses imaginiert sich das lyrische Ich als Bildhauerin, die in einer Begegnung mit ihrem zukünftigen Modell sowohl eine erotische Überwältigung verspürt – es phantasiert, ihm die Kleider vom Leib zu reißen – als auch Verbindung mit ihrem innersten Ich für möglich hält und erzwingen will: »(I) force you to grab my soul’s sincerity/and single out/me,/me,/something to challenge and handle differently« (H.D. 1983, 213). In einer Art von paradoxer Pygmalion-Geschichte zieht das lyrische Ich das widerstrebende Modell in das Atelier, um sogleich die Form für die Bronze auszuarbeiten. Während im PygmalionMythos der Künstler sich in die Skulptur verliebt und sie mit Leben erfüllen will, verliebt sich hier die Künstlerin in die schon vorgestellte Skulptur und sieht die Vollendung ihrer Liebe im Artefakt, das sie von dem Modell in Bronze gießen will. Besser könnte das Projekt der Faszination der weißen Libertines durch schwarze Männer nicht allegorisiert werden. Es kommt nicht auf seine lebendige Präsenz an, sondern er ist ihr Artefakt, das sie nur in ihrer Konstruktion interessiert. Von der Perfektion der fertigen Skulptur geblendet – »the tall god standing« – wird die Bildhauerin kurzfristig von Eifersucht auf zukünftige fremde Betrachterinnen überflutet. Dann glaubt sie aber durch ihre Kunstfertigkeit eine dermaßen undurchdringliche Aura geschaffen zu haben – »I would clear so fiery a space«(215) –, dass nur ihr eigenes Begehren als unsterbliche rot leuchtende Rose Bestand haben wird. Die Bewunderung anderer Frauen, symbolisiert durch blassere weiße Blumen, wird dagegen zu einem kleinen Staubund Aschenhaufen verwittern. Wie schon bei Nancy Cunard, – die H.D. im Übrigen gut kannte und die ihr zweimal in der Beziehung zu den gleichen (weißen) Männern folgte – versprach die Liebe zu einem schwarzen Künstler, die sich im Fall Robeson weitgehend in H.D.s Phantasie abspielte, jenen direkten Zugang zur Kreativität, den die eigene Seelenarbeit hervorzubringen nicht im Stande war. In einer erzählerischen Nacharbeit der Begegnung mit Paul Robeson, Two Americans, beschreibt sich ihr fiktives Alter-Ego Raymonde Ransome im Vergleich zum ›natürlichem‹ Künstlertum des Idols als schwach (bleich): »[…] though he was complete, she was strikingly deficient. She was deficient, you might even say, crippled in some psychic song-wing; his song flowed toward all world, effort113 | Siehe Foster 2006, 2, 4. Foster kritisiert zwar den ›Primitivismus‹ der Psychoanalyse: »The evolutionist notion of ›the survival‹ that ontogeny recapitulates phylogny bedeviled psychoanalysis as much as anthropology and Freud did not shy away from its primitivist implications« (343, FN 5 meine Kursivierung). Aber er besteht gleichzeitig darauf, dass man nur mit psychoanalytischem Instrumentarium eine ›Kritik des Primitivismus‹ formulieren kann (2).
3. P RIMITIVISTISCHE R ENAISSANCEN UND SEXUELLE M ODERNISMEN less, full of benign power, without intellectual gap or cross purpose of hypercritical consciousness to blend in.« (H.D. 1930, 94)
Viele Repräsentantinnen der Moderne bewegen sich in einem ähnlichen Bildraum. Auch Nancy Cunard spricht von den amerikanischen Weißen als schwächlichem, ausgebleichtem Menschenschlag – »Notice how many of the whites are unreal in America, they are dim; the Negro is very real, he is there« (meine Kursivierung) (Cunard 1934a, 117). Mae West stellt dem sterilen weißen New York Harlem als sinnliches Mekka entgegen: »a sensual oasis in the sterile white desert of civilization«114 (meine Kursivierung).
3.11 Amerikanische Schulden Nun könnte man einwenden, dass Hilda Doolittles Verklärung von Paul Robeson wenig mehr bedeutet als die narzisstische Obsession einer selbstversunkenen exilierten Künstlerin für einen imaginierten Primitiven, die keinerlei Verbindung zu den aktuellen amerikanischen Race- und Gender-Demarkationslinien hat. Dem ist aber nicht so. So fern H.D.s literarische Sujets auch der zeitgenössischen amerikanischen Race-Politik liegen, so ist sie doch fähig, den politischen Gewaltcharakter der amerikanischen Erbschaft zu erkennen. Über Robeson und seine Frau merkt sie an: »They dwell on a cosmic racial borderline. They are black among white people« (H.D. 1990, 110). Gleich zu Beginn von Two Americans schreibt sie über Raymonde und ihren schwarzen Gast: »[…] they were masks, the one white the other as it happened, black […] in that moment Raymonde Ransome felt click into place, her place, and his place. […] for him, he had been always at war. They met in a field of honor, […] himself yet to be acclaimed for some king-ship the world is not ready to recognize.«115 (Kursivierung H.D.)
H.D. erkennt hier klar, welche Plätze die segregierte amerikanische kulturelle Ordnung Schwarz und Weiß zugewiesen hat. Wie in ihrer eigenen amerikanischen Familie ihr Platz und sein Platz historisch ausgesehen hätten, bringt die Psychoanalyse dann ganz nebenbei an den Tag. Gegen Ende ihrer Sitzungen kommt H.D. auf die Vergangenheit ihres Vaters zu sprechen. Er war mit seinen Eltern von der ursprünglichen Heimat Neu England weg nach Indiana gezogen. Unvertraut mit Farmarbeit, beschäftigte er sich zusammen mit seinem Bruder Alvan als Kopfgeldjäger. Sie fingen gegen Prämie entlaufene Sklaven 114 | Zitiert nach Watts 2001, 129. 115 | H.D. 1930, 93. Möglicherweise taucht hier zum ersten Mal das Motiv von den Race-Masken auf, das über den Titel von Frantz Fanons Black Skin, White Masks zu einem Paradigma von Race-Theory wird.
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aus den Südstaaten ein, die von Indiana aus versuchten, über die Grenze nach Kanada zu kommen. Trotz dieser zweifellos wenig sympathisierenden Haltung zur Abschaffung der Sklaverei folgten sie Lincolns Rekrutierungsaufruf zu den Unionstruppen. Der ältere Bruder Alvan starb im Lazarett an Typhus. Der jüngere Bruder Charles – H.D.s Vater – kehrte zurück. Lakonisch berichtet H.D., ihr Vater habe genau gewusst, dass seine Mutter die Sklavenbefreiung für keinen angemessenen Grund gehalten habe, das Blutopfer des Sohnes Alavan zu rechtfertigen: »He felt now that a million free emancipated darkies weren’t worth Alvan« (meine Kursivierung) (H.D. 1984, 179). Die sich in fast allen älteren amerikanischen Familiengeschichten individualisierende ›Schuld‹ des weißen Amerika an der anhaltenden Race-Ungerechtigkeit kann kaum klarer verdeutlicht werden als an einem Familieneinkommen, das sich über das Einfangen von Sklaven erwirtschaftet. Folgerichtig wurde der Bürgerkrieg zwar als Landflucht und als Abenteuer geschätzt, keineswegs aber als eine Kampagne zur Sklavenbefreiung. Fast scheint es, als habe H.D. mit ihrer Rolle im Film Borderline diese Familienschuld eingestanden und damit gleichzeitig abzutragen versucht. Ihrer Figur Astrid bleibt es vorbehalten, den Rassismus, der die Liebe zwischen den Color Lines unmöglich macht, zu verkörpern. In ihrem eigenen Kommentar zu Borderline kritisiert sie die weiße Frau im tragischen Liebesquartett als fanatisierte Rassistin: »Astrid, whose intemperate fury has lashed itself almost to dementia, screams, ›it has all happened because these people are black‹ […] Astrid rises in abstraction of fiend rage and claws the air shouting, ›nigger lover‹.« (H.D. 1990, 122f)
Auch Mae West spielt in Constant Sinner das intuitive Wissen über die amerikanischen Race-Schulden vor. Die von ihr zur Identifikation angebotene und im Bühnenstück selbst dargestellte Titelheldin ist schließlich verantwortlich für den Mord an ihrem Liebhaber, deckt zudem den Mörder und instrumentalisiert ihren betrogenen Ehemann – vertrauend auf die Rassenjustiz – als Coverup. Die innere Wahrheit der Racial-Sexual-Ordnung enthüllt sich also performativ: Über die Rollen der Astrid und Babe Gordon verkörpern H.D. und Mae West buchstäblich den amerikanischen Rassismus, dem sie diskursiv weltanschaulich kritisch gegenüberstehen. Hier ist nun eine Gelenkstelle, wo sich der (weiß-weibliche) modernistische Primitivismus-Diskurs mit einem spezifisch amerikanischen Schuldzusammenhang verbindet. Die Faszination am schwarzen Künstler ist neben den Vitalisierungsbedürfnissen einer als überzivilisiert empfundenen kreativen Wüste gleichzeitig ein Versuch, diese Ur-Schuld performativ zu überschreiten. Faszination und Anerkennung sollen die historische Verdinglichung von Menschen zu Sklaven kompensieren und versprechen in H.D.s Fall eine Erhebung des früheren Sklaven. Eine (kreative) Erniedrigung der ehemaligen Sklavenhalter
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bildet den Gegenpol. Das ›primitive Selbst‹ der weißen Bohémiennes spielt dabei eine wichtige Rolle. Als ›schwarzes‹ Unbewusstes verbindet es die virtuell Schuldige mit ihrem historischen Opfer. Die Hoffnung ist, dass die schwarzen und weißen Künstler als gleichgestellte Bewohner eines nicht-zivilisierten, künstlich primitiven Raums die immer noch sichtbare Herrschaftsdifferenz aufheben können. In diesem Zusammenhang versteigt sich H.D. zu einem seltsamen Rachetraum. Sie besetzt in ihrem Essay zu Borderline das amerikanische Lynching-Szenario mit einer ›gerechteren‹ Rollenverteilung. »If a black man is hanged for loving a white woman, why should not a white man be likewise lynched for loving a black one? Dream, I say. These conclusions happen only in the higher fantasy of dream value and ultimate dream justice.«116
Die Idolisierung des schwarzen Künstlers, und besonders seines Körpers, wie ihn H.D. in »Red Roses for Bronze« feiert, ist die Veräußerlichung des nationalen und sexualpolitischen Konflikts. Die Fetischisierung schwarzer Schönheit – in dem Gedicht sogar ganz buchstäblich über die Anfertigung eines Fetischobjekts, einer Bronzeskulptur – ermöglicht eine gefahrlose Inbesitznahme des nun nicht mehr bedrohlichen, weil durch eigenes Kunstschaffen sublimierten, Anderen. Das Begehren der Künstlerin leistet dabei den Transfer. Aus dieser Perspektive bekommt Nancy Cunards etwas befremdliches Epitaph auf Henry Crowder einen neuen Sinn: »Henry made me. I thank him«.117 Dieser Satz kann metaphorisch verstanden werden ›Er hat mich gemacht‹, was bedeutet, ›Er hat mich zu meinem wahren Selbst geführt‹. Der Satz kann aber auch profan wörtlich verstanden werden im Sinne von ›make‹, den sexuellen Akt ausführen. Diese Verschränkung von erotischer und künstlerischer Selbstverwirklichung hat auch damit zu tun, dass Henry Crowder Jazzmusiker, und damit ein Künstler war. Es ist also kein Zufall, dass amerikanische weiß-weiblichen Moderns ihre Tabubrüche am Katalysator der Harlem Renaissance erprobten und dort in der Aneignung des Fremden, der afrikanischen Kunst, des Shimmy oder der ›spirituellen‹ Robeson-Persona zu ihrer eigenen Kunst und Frauenrolle fanden. Sie wurden über diese Berührung politisiert und sorgten für die Exponierung der offenen Wunde des Lynching. Dabei haben sie Erhebliches für die Sichtbar116 | H.D. 1990, 123. Hält man sich an Freuds Grundthese, dass Träume Wunscherfüllungen sind, gibt es für diese befremdliche Äußerung der Dichterin noch einen weiteren psychologischen Subtext. Der Regisseur Macpherson, mit dem H.D. ein Verhältnis hatte, verliebte sich während der Dreharbeiten in Eslande, Paul Robeson Frau. So betrachtet würde sich hier ein Strafwunsch der Dichterin an ihrem Gliebten in ein paradoxes Lynching-Szenario übersetzen. 117 | Aus einem Brief an Charles Burkhard 24. April 1955. Zitiert in Friedman 2000, XVI.
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machung und Etablierung von afroamerikanischen Künstlern geleistet. Nancy Cunard stellte mit der Anthologie Negro die damals umfänglichste Kulturgeschichte afrikanischer, westindischer und afroamerikanischer Errungenschaften zusammen. Auf 800 Seiten anthologisierte sie über 150 Autoren und Autorinnen – zwei Drittel davon sind schwarz – in einer Art Enzyklopädie schwarzer Kultur und schwarzen Leidens. Praktisch alle bekannten zeitgenössischen afroamerikanischen Dichter, Kolonialismus-kritischen Anthropologen und Journalisten sowie weiße Liberale, die sich zur Race-Frage geäußert haben, sind dort vereint (Cunard 1934b).118 Mae West engagierte als erste Regisseurin überhaupt afroamerikanische Schauspieler für tragende und nicht-komische Rollen in ihren Stücken. Mary White Ovington hat neben ihrem außerordentlich mutigen politischen Engagement auch ein Theaterstück, zwei Historiographien des NAACP, eine soziologische Studie zur Lage der New Yorker Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen zur Jahrhundertwende, ein Band literarischer Portraits ihrer schwarzen Freunde geschrieben (Ovington 1927). Nun sollte man meinen, dass in der Geschichtsschreibung des frühen Feminismus oder der Race-Emanzipation oder in Darstellungen afroamerikanischer oder politischer Literatur solch außergewöhnliche und zu ihrer Zeit prominente Frauen einen herausragenden Platz einnehmen würden. Das ist aber keineswegs der Fall. Als Weiße, die sich für die schwarze Sache erwärmten, als männerverschlingende Libertines jenseits aller Feminismen, manchmal als Töchter hochvermögender Eltern der ausbeutenden und kolonisierenden Klassen, fallen die modernen Bohémiennes aus allen Erinnerungsmaschinen heraus, die auf klare Gruppenzugehörigkeit und individuellen Opferstatus getrimmt sind.119 Nancy Cunard ist heute fast völlig vergessen. Beim Nachforschen findet man unter vielen Schmähungen120 einige wenige, oft apokryph erschienene 118 | Zum Spannungsverhältnis zwischen Cunards humanistischen, kommunistisschen und klassenverräterischen Motiven zur Zusammenstellung der Anthologie, ihrem ›romantic racialism‹, und den Strategien der nicht-weißen Beiträger, die jeweiligen Anrufungen zu unterlaufen, siehe Winkiel 2006. 119 | Jane Marcus schreibt bezüglich Nancy Cunard: »[…] I’m assuming that it was her gender, her color, her class, her politics and her several sexualities as a set of (shifting) identities which set all the red lights flashing […] to discredit Nancy Cunard as an intellectual historian of black culture« (Marcus 1995, 33). 120 | Claude McKay z.B., selbst Apologet eines schwarzen Primitivismus, sprach von ihrem weißen Primitivismus als »white lice crawling over black bodies« und behauptete, sie nutze ihre schwarzen Bekanntschaften nur aus, um ihre Mutter zu bestrafen: »The Cunard daughter enjoys taking the Negro stick to beat the Cunard mother« (McKay 1970, 344). Auch Sieglinde Lemke kommt letztendlich zu einem Verdikt: »her alleged solidarity with the black race is constantly undermined by her primitivist and communist orthodoxy. In the end Cunard’s is an anti-racist racism« (Lemke 1998, 138).
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Würdigungen.121 Die Dichterin H.D. genießt in der feministischen Literaturwissenschaft zwar Aufmerksamkeit, allerdings berühren nur zwei Studien ihre politische Sensibilisierung für die Race-Frage.122 Und noch immer sind große Teile von H.D.s Oeuvre nicht allgemein zugänglich veröffentlicht. Zwei Studien beschäftigen sich mit Mae West und Race.123 Geradezu skandalös ist es, dass Mary White Ovingtons enorme Leistung als Gründerin und Seele des NAACP nur vereinzelten Spezialisten bekannt ist.124 Die Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Autorinnen bedenkend ist die schiere ›Rettung‹ der Protagonistinnen aus den Archiven der Race-Geschichte (Ovington), den Skandalchroniken von Smart Set (Cunard) und Burlesque (West) und von queer Modernism (H.D.) nicht befriedigend. Die Parallelen in den Politiken des intuitiven moralischen Protestes und die Konzentration auf das Thema der ›interracial romance‹, das schon bei Du Bois angeklungen war, legen nahe, diese Diskursformation noch auf einer anderen Ebene zusammenzufassen. Das in Literaturanalysen der Queer Theory zunehmend aufgegriffene Konzept der ›Minor Literature‹ als »minor practise of major language from within«125 von Deleuze und Guattari scheint hierfür geeignet. In einer paradigmatischen Kafka121 | Neben einer anekdotischen Salon-Biographie, die sie zusammen mit ihrer Mutter eher abschätzig darstellt (Fielding 1968) gibt es eine frühe Biographie, die den unkonventionellen Lebensstil hervorhebt mit einem kurzen Kapitel »The Negro Case« (Chisholm 1979). Eine einzige Studie, eine Art von Liebhaber-Nachlassband, widmet sich ihrer politischen Arbeit (Ford 1968). Bei den viel zitierten Harlem Historiographien von Huggins, Levering, Baker, Hutchinson ist Cunard praktisch inexistent, ebenso in den Historiographien zum Anti-Lynching-Engagement. Die einzige gegenwärtige vergleichende Darstellung von Lockes Anthologie The New Negro und Nancy Cunards umfänglichem Werk stammt von Sieglinde Lemke, die allerdings sowohl die primitivistischen Strategien als auch die deutlichen orthodox-kommunistischen Sympathien Cunards kritisiert, sowie ihre ›Essentialisierung von Race‹ (Lemke 1998). Eine längere unveröffentlichte Auseinandersetzung mit Nancy Cunard stammt von Sabine Broeck, die anders als Siglinde Lemke, die anti-rassistischen Verdienste der Autorin hervorhebt. Ich danke hier für die Einsicht in ihr Manuskript und erhellende Gespräche. 122 | Das neue Feld der Whiteness-Studies hat sich recht kritisch mit H.D.s literarischem Weißheitsprivileg beschäftigt. Im Ton strenger Denunziation werden dabei H.D.s Vorliebe für die Farbe Weiß als Metapher an unzähligen Beispielen vorgeführt. Siehe Curry 2000. 123 | Siehe Louvish 2006 und Watts 2001. 124 | Neben einer von ihr selbst geschriebenen Geschichte des NAACP ist 1998 eine erste Biographie herausgekommen (Wedin 1998). 125 | Deleuze/Guattari 1986, 16. Siehe eine Genealogie der Aufnahme des Konzeptes ›Minor Literature‹ für queere Äußerungsformen durch Lauren Berlant, Estelle Freeman, Judith Butler, Diane Fuss und Jose Esteban Muñoz in Herring 2007, 215, FN18
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Lektüre entwickeln Deleuze und Guattari, dass man den Dichter nicht symbolisch/psychoanalytisch/theologisch lesen sollte, sondern unmittelbar politisch. Dies sei Effekt einer dreifachen Paradoxie, die den Prager deutschen Juden betreffe: Die Unmöglichkeit nicht zu schreiben, die Unmöglichkeit, deutsch zu schreiben und die Unmöglichkeit nicht deutsch zu schreiben (16). Deleuze und Guattari nennen das »Deterriorialization of Language« (17). Der winzige Raum, in der sich eine solche Sprechposition befände, stelle eine unmittelbare Verbindung zur Politik her und bekäme damit einen kollektiven Wert. Nun ist das gemeinsame Dritte der hier zusammen diskutierten Autorinnen nicht das Sprachexil, aber eine gewählte Exterritorialität gegenüber der normsetzenden Gesellschaft. Sie suchen mit Bedacht anrüchige Orte auf, verkehren vorsätzlich mit anderen Klassen und Races. In Anlehnung an Scott Herring könnte man das auch eine Epistemologie des ›Slumming‹ nennen (Herring 2007). Es handelt sich nicht wie in Herrings unkonventionellen Lektüre von Jane Addams um ›philanthropic slumming‹ – außer vielleicht bei Mary Ovington – sondern um eine Flucht aus der Norm in »primitive scenes«, an denen nach Hal Foster von bestimmten weißen Intellektuellen der Epoche »new subjects and styles« entwickelt wurden (Foster 2006, 4f). Politisch wurden diese neuen Subjekte und Stile erst in der Konfrontation von Innen und Außen. Die romantisierten ›Anderen‹ waren draußen Opfer von todgefährlichem Rassismus. Das nahm den weißen weiblichen ›Slummern‹ die Möglichkeit, sich nicht zu äußern. Nancy Cunard fühlte sich gedrängt, ihrer Mutter das halböffentliche Pamphlet »Black Men and White Ladyship« zu schicken, H.D. war nicht in der Lage, in ihrer Paul Robeson Begegnung den strukturellen Rassismus ihres Heimatlandes wegzudenken, Mary Ovington hoffte mit ihrer Literatur für ihr Anti-Lynching-Projekt Herzen zu bewegen, die TourneeManagerin West hatte einen Mob zu konfrontieren. Es war auch unmöglich, im akzeptierten Mainstream der weißen literarischen Kultur zu veröffentlichen, die den moralisch verdächtigen Protagonistinnen keine kritische Autorität einräumen wollte (deshalb Veröffentlichungen als Pamphlete, Selbstverlag, oder in ›niederen Genres‹). Unter dieser Perspektive gelesen, erfüllen die hier zusammen gestellten Autorinnen die Kriterien einer ›Minor Literature‹: »Deterritorialization of language, the connection of the individual to a political immediacy and the collective assemblage of enonciation« (18). Diese Zuordnung der hier dargestellten Autorinnen, oder anders ausgedrückt, die Behauptung, sie wären unter dem Begriff ›Minor Literature‹ zu fassen, ist nicht von literaturwissenschaftlichem Eros, Texten passende Taxinomien beizuordnen und damit zu ›schließen‹, motiviert. Im Gegenteil, mir kommt es darauf an, eine Szene zu öffnen, auf der noch andere Äußerungsformen von weißen Frauen aus der Epoche lesbar werden. Diese Text könnten – selbst wenn ihre Autorinnen es anders wollten – nicht als hegemoniale Literatur funktionieren. Deleuze und Guattri entwickelten deshalb aus ihrer Analyse von
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Minor Literature einen heiteren Ratschlag, wenn die Positionalität solcher Autoren keine Kanonfähigkeit erlaubt: »Create the opposite […], know how to create becoming an minor« (26).
G INGERTOWN – G ESCHLECHTERORDNUNG DER H ARLEM R ENAISSANCE 3.12 Drei weiße Frauen Die Gleichzeitigkeit von sexuellem Modernismus und Primitivismus hatte kurzfristig die Demarkationslinien von Race und Gender porös gemacht. Das Motiv, die Color Line zu überschreiten, ging allerdings mehr von der weißen weiblichen Moderne aus als von afroamerikanischen Künstlern. Für diese wurde schneller deutlich, dass sich mit dem Niederreißen alter Barrieren neue Demarkationslinien an anderer Stelle zu bilden begannen. Die Bohémiennes überwanden zwar die Grenzen von Geschlechter-Sphären und Race-Kasten, aber damit ging auch eine Sexualisierung von Race und die Rassisierung von Sexualität einher. Diese stand zwar zunächst unter dem Banner der Befreiung und der Faszination am eigenen und fremden Primitiven. Aber sie wirkte weiterhin als Differenzmaschine, diesmal nur mit anderem Treibstoff. Beim Alten blieb, dass die Kategorien Blackness und weiße Feminität an die physische Person geheftet wurden und als zentrales Persönlichkeitsmerkmal galten. Neu war, dass dies nicht mehr unter biologischen, sondern unter sexualpolitischen Vorzeichen geschah. Die Sexualisierung von Race und die Rassisierung von Sexualität erwiesen sich in der Folge als zweischneidig. Nach einem ›kurzen Sommer der Anarchie‹ – um einen Buchtitel von Hans Magnus Ezensberger auszuleihen – setzt das Disziplinarregime des Lynching mit ›besseren‹, i.e. sexualpolitischen Argumenten ausgestattet und neuer Gewalt seine Herrschaft fort. Wenn man die bisherige Schilderung überblickt, so kann man jetzt sagen, dass die Beziehung der amerikanischen Gender- und Race-Emanzipationsdiskurse von einer strukturellen Asymmetrie gekennzeichnet ist. Die Veränderungen am Gender-Paradigma arbeiten sich immer an der Race-Frage als konstitutivem Außen ab. Die Race-Befreiungsdiskurse dagegen bleiben, wie im Folgenden gezeigt werden soll, für eine lange Zeit vergleichsweise unabhängig von Frauenemanzipationsfragen.126 Das hat mit der Grundkonstellation zu tun, 126 | Das Desinteresse an der Frage der Frauenemanzipation unterschied die jungen Bohémiens der Harlem Renaissance deutlich von den Etablierten und elitistischen Intellektuellen wie z.B. W.E.B. Du Bois, der in der Crisis die alte politische Verbundenheit zwischen weiblicher Frauenrechts-Bewegung und »neuem Abolitionismus« pflegte. Siehe z.B. Du Bois 1915 und Du Bois 1917.
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dass beide Diskurse sich in Beziehung zu einem dritten hegemonialen Prinzip setzen müssen, das den weißen Mann auf zwei Feldern privilegiert, nämlich in weißer Suprematie und in männlicher Herrschaft. Weiße Frauen nehmen am Race-Privileg teil und müssen sich nur gegenüber männlicher Herrschaft behaupten. Schwarzen Männern billigen sie das Herrschaftsprädikat wegen ihrer angeblichen Race-Unterlegenheit ohnehin nicht zu. Diese kämpfen sowohl gegen die Diskriminierung ihrer Race als ihnen auch wegen ihrer ›Ehrungleichheit‹ der Zugang zum Tempel der Maskulinität verweigert wird. In der weißen Frau sehen sie deshalb nicht ihre Hauptantagonistinnen, sondern im ungünstigen Fall Profiteurinnen der Race-Suprematie oder eine Gefahr, weil sie als Eigentum des weißen Mannes gelten. Im günstigen Fall können sie Türöffnerinnen ins weiße Privileg sein oder Trophäen. Aber auch letzteres verhindert geglückte Berührungen zwischen den Races. Weiße Frauen spielen dementsprechend in den kulturellen Emanzipationskämpfen der männlichen Harlem Renaissance eine eher marginale Rolle. Sie tauchen gelegentlich als Symbole weißer Herrschaft und als Zeichen eines entweder innerlich abgelehnten und/oder trotzig behaupteten Begehrens auf. Beispiele dafür sind Schuylers im Einleitungstext zitierter Traum von der weißen Frau, die den Tanz ablehnt, oder in James Weldon Johnsons Autobiography of an Ex-Colored Man, in dem die Ehe mit einer weißen Frau als Apotheose eines Passing-Romans zwar einen inhaltlich wichtigen, aber im Vergleich zum Gesamtroman, einen eher kleinen Raum einnimmt. Gleichwohl entstehen durch die mutigeren Kontakte zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern neue Problemfelder, die auch die Literatur der Harlem Renaissance in ihrem symbolischen Kosmos verarbeitet hat. Drei dieser Thematisierungen sollen hier kurz angesprochen werden: Jean Toomers Erzählung Bona und Paul, die den Liebesversuch zwischen einem ›dunklen‹ Studenten und einer weißen Kommilitonin schildert. Sodann werden Claude McKays schmerzhafte Race/Gender-Reibungen in Gingertown (Harlem) Gegenstand der Untersuchung sein und zuletzt Langston Hughes Verarbeitung der Trennung von seiner weißen Mäzenin Emilie Hapgood Osgood in seiner Autobiographie The Big Sea. Alle behandelten Texte erzählen, dass die Initiative zu der wie immer gearteten Beziehung von der weißen Frau ausgegangen ist. Diese Geschichten haben strukturell kein Happyend, und alle Protagonisten bleiben verloren und geschädigt zurück. Bei Jean Toomer kann wohl die größte Verwandtschaft in der Grenzauflösungssehnsucht mit den weißen Repräsentantinnen der Moderne ausgemacht werden. Sehr hellhäutig und ohnehin nur über eine afroamerikanische Großmutter mit schwarzer Race konnotiert, hat er sich selbst vielfach mit weißen Bohémiennes verbunden, unter anderen mit der Frau seines Freundes Waldo Frank, der Schriftstellerin Margaret Nauemburg, mit Mabel Dodge Luhan und der Malerin Georgia O’Keefe. Trotzdem stößt sein Projekt, Race in eine neue
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Americaness aufzulösen, an deutliche Grenzen, wenn er die Geschlechterbegegnung an der Racial-Sexual-Grenze literarisch erprobt. »Bona is soft, pale and beautiful«,127 beschreibt der Held der Geschichte, der Sportstudent Paul, seine weiße Angebetete. Sie hatte sich schon lange zu ihm hingezogen gefühlt und ein Rendezvous arrangiert, obwohl ihre Kommilitonen ihr zugeraunt hatten, er sei ein »dark-blood nigger« (74). In der männlichen Studentenkameraderie bislang jenseits der Race-Diskriminierung, fühlt Paul nun im Restaurant in Begleitung der weißen Frau das ganze Gewicht seiner fast unsichtbaren, ihm aber als Essenz zugeschriebenen, Race: »Suddenly he knew that people saw not attractiveness in his dark skin but difference. Their stares, giving him to himself, long empty within him, and were like green blades sprouting in his consciousness. There was fullness, strength and peace about it all. He saw himself cloudy but real.« (77)
Die Frau an seiner Seite macht ihn seine Race erfahrbar. Paradoxerweise führt das nicht zu einer Ablehnung seines zugeschriebenen Seins, sondern zu einer Annahme, ja sogar zu einer euphorisch verstärkten Selbstwahrnehmung. Er will aus dem Club stürmen und überprüfen, ob auch der Himmel, die Nacht, farbig geworden ist, ob er purpurn glänzt. In der neuen Selbstgewissheit streitet er sich mit Bona, tanzt er mit Bona und überträgt sozusagen seine leidenschaftliche Farbigkeit auf Bona, bis er sich eines Blickes des schwarzen Portiers bewusst wird: »They know that the pink-faced people have no part in what they feel. Their instincts lead them […] towards the big uniformed black man who opens and closes the gilded exit. […] As the black man opens the door for them, his eyes are knowing […] the face of the black man. It leers.« (79)
Paul ist sozusagen zwischen seinem eigenen purpurn-euphorischen Farbbewusstsein und dem abschätzigen Grinsen des schwarzen Portiers hin- und hergerissen. Er glaubt zu wissen, was der Türsteher über das gemischte Paar denkt, welche Beweggründe und egoistischen Motive er ihrer Romanze unterstellt und welches Ende dieser Geschichte er antizipiert. Gegen diese Sichtweise muss er sich zur Wehr setzen, sein so ganz anderes purpurnes Gefühl zeigen. Das imaginierte Klischee des Türstehers erstickt ihn. Paul lässt Bona am Park stehen, rennt zum Portier zurück, sagt ihm, dass er unrecht habe, dass etwas Wunderbares passieren werde, dass sich zwei Menschen in Leidenschaft begegnen werden, und dass weiß und schwarz ganz unzureichende Farben seien: »White Faces are petals of roses and dark faces are petals of dusk« (80) Er sei 127 | Toomer 1988, 76. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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jetzt unterwegs, um Rosenblätter zu sammeln, sagt er zu dem Portier. Aber als er zu Bona zurückkehren will, ist sie nicht mehr da. Jean Toomer ist sicher der entschiedenste Protagonist einer Strategie der Auflösung von Race im Diskurs der Harlem Renaissance. In der Geschichte »Bona and Paul« bekämpft Paul diese bezeichnende Differenz, bis sie verschwindet. Gleichzeitig verschwinden aber auch das eigene Ich und das Andere. Auch Bona verschwindet. Als Autor macht Jean Toomer ebenfalls Ernst mit dem spielerischen Race-Auflösungsprogramm. Er bestreitet, dass unter seinen Vorfahren Afroamerikaner sind und schreibt Nancy Cunard, die ihn für die Negro-Anthologie gewinnen will: »Though I am interested in and deeply value the Negro. I am not a Negro«.128 Allerdings quittiert Jean Toomer mit dem Austritt aus der zugeschriebenen dunklen Race auch seine Autorschaft. Außer im Privatdruck veröffentlicht er nicht mehr. Ausgehalten von reichen weißen Ehefrauen, verbringt er den Rest seines Lebens als Jünger und Lehrer der Gurdjieffschen Esoterikschule. Afroamerikanische Kritiker, wie Henry Louis Gates, äußern deutliche Ressentiments gegen Toomers Race-Verrat. Gates spricht von einer Race-Kastration und bedauert, dass Toomer seinen ›tiefen schwarzen Bass in einen falschen Sopran‹ verwandelt habe. Trotz dieses normativen Verständnisses von Race und Gender, das unterschwellig Race-Emanzipation als Maskulinisierungsprojekt ausgibt, entfaltet Gates eine der interessantesten Interpretationen von Toomers Dilemma: »Toomer in his sense, became less concerned with representing the race and thereby ›liberating‹ it – an impossibility – than with inventing an entirely new discourse, an almost mythical discourse in a strict sense of that term, in which irreconcilable opposites, sexual and racial differences were not so much reconciled as absent, unutterable, unthinkable, and hence unrepresentable.«129 (Meine Kursivierung)
So verstanden ist die Geschichte von Bona und Paul eine Art von Allegorie der Unmöglichkeit, Race-Differenzen qua Willensakt aufzulösen. Über Toomers Autor-Persona erschließt sich, dass die Racial-Sexual-Grenze sich in immer neuen Darstellungsformen als heteronormatives Race-Patriarchat neu ordnet. In dem Maße, wie sich Toomer seiner sichtbaren Race-Markierung verweigert,
128 | Zitiert nach Gates 1987, 205. 129 | Gates 1987, 210. Deutliche Kritik an der Haltung von Gates, der ansonsten eher für nachdenkliche Allianzen mit schwarzem aber auch mit weißem Feminismus bekannt ist, findet Siobhan Somerville: »Here Gates elaborates on the analogy between race and gender that guides his analysis: black is to masculine as white is to feminine; to reject either category is to fall somewhere in between […]« (Somerville 2000, 135).
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verschwindet er ebenso als Autor, wie sich seine Figuren, die Liebenden, im Nichts verfehlen. In einem autobiographischen Manuskript schreibt Toomer: »People see me and ask questions, though they are usually inhibited from asking outright. What race, what nationality, where did I come from, what do I do? I see myself and ask questions, for, when I really see myself, I am strange, or queer to myself as I am to you.«130 (Meine Kursivierung)
In dem Maße, wie der zuvor als ›Negro-Artist‹ berühmte Autor nicht mehr verstanden wird, versteht er sich auch selbst nicht mehr. Siobhan Somerville hält es für keinen Zufall, dass in diesem Kommentar das Wort ›queer‹ auftaucht, das früher seltsam und komisch meinte, in jüngerer Vergangenheit aber eindeutig homosexuell konnotiert ist: »Compulsory heterosexuality has been not simply parallel to discourses of racial segregation but integral to its logic; to disrupt naturalized constructions of racial difference involves simultaneously unsettling one’s relationship to normative constructions of gender and sexuality as well.« (Somerville 2000, 137)
Wie allgemein bekannt, hat Queer Theory das Wort ›queer‹, des komisch-unbestimmt Erotischen, aufgegriffen, um mit dieser Bezeichnung Diskurse über sexuelle Identität zu durchkreuzen, d.h. um Sexualität jenseits heteronormativer Binarität vorstellbar zu machen. Homo-, Bi- und Transgender-Sexualitäten werden so als ständiges Überschreiten und Infragestellen des Ewigkeitswertes hierarchisierter Sexualitäts-Oppositionen – Judith Butler nennt das die ›heterosexuelle Matrix‹ – verstanden. Eine queer-theoretische Interpretation von Toomer kann zeigen, dass ein Versuch, der Race-Binarität von Schwarz und Weiß zu entkommen, zwar die Eindeutigkeit seiner sexuellen Präferenz in Frage stellt – seine überaus fragilen Charaktere lassen sich sexuell sehr ambivalent lesen131 –, dass aber Race zu dieser Zeit nicht ›querbar‹ ist. Ein Versuch, die Race-Binarität aufzulösen, führt zur Auflösung der sprechenden und schreibenden Person. Toomers Affinität zum Gurdjieffschen Mystizismus ist insofern logisch, weil er sich über einen esoterischen Kosmos auch dem binarisierten abendländischen Diskurs entzieht.132 Ein zweiter Autor der Harlem Renaissance, Claude McKay, legt seine Liebesgeschichten über Missverständnisse zwischen den Races weniger metaphysisch 130 | Zitiert nach Somerville 2000, 136, Beinecke Rare Books, box 17, folder 485. 131 | Siehe die Interpretationen von den Erzählungen Jean Toomers »Kabnis« und »Withered Skin of Berries« von Sibhan Somerville (Somerville 2000, 140-145, 150-155). 132 | »Siehe eine Analyse von Toomers Beziehung zu Gurdjieff (Woodson 1999).
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an. Während Toomers Prosa erkenntnistheoretisches Terrain erkundet, erforscht McKay – ähnlich wie Cunard in ihrem »Black Men and White Ladyship« – die Reibungsfläche zwischen Race und Klasse. Seine Erzählung »Highball« ist in einer Kreuzstruktur angelegt.133 Der berühmte Sänger mit dem sprechenden Namen Nation – in einigen Persönlichkeitsfragmenten könnte auch hier wieder Paul Robeson Modell gestanden haben – ist bei weißen jüdischen Minstrel-Künstlern hoch angesehen und oft Ehrengast auf deren Banketten.134 Leider ist er in diesem Moment seiner Karriere nicht sehr erfolgreich.135 Er hat sich kürzlich von seiner schwarzen Frau scheiden lassen, um Myra zu heiraten. Sie ist die erste weiße Frau, die sich um ihn bemüht hatte. Da er weiße Verhaltenscodes nicht kennt, nimmt er nicht wahr, was andere Leute ›gewöhnlich‹ (commonplace) an ihr finden und erträgt freundlich ihr faules Gin-getränktes Leben an seiner Seite. Nach einer gewissen Zeit schenkt er ihren Klagen, seine weißen Freunde würden sie schneiden, Gehör und konfrontiert seine Künstlerkollegen mit Myras Vorwurf. Ihn treibt die stille Sorge um, sie seien entgegen dem Anschein doch Rassisten, die nicht akzeptieren würden, dass er eine weiße Frau hat. Die weißen Black FaceMinstrelkünstler sind aber klassenborniert und erklären ihm auf Nachfrage, sie fänden Myra zu billig und ungeschliffen für ihren Geschmack. Vom Klassenvorurteil seiner Freunde nun ebenfalls deprimiert, eilt Nation nach Hause, nur um dort doch mit einem Race-Vorurteil konfrontiert zu werden. Er hört hinter der Tür, wie seine Frau Myra mit einer Freundin darauf anstößt, dass sie eine dumme schwarze ›Pflaume‹ gefunden habe, die ihr die Drinks finanziert. Claude McKay nutzt die ›Liebesgeschichte‹, um an der Geschlechterfrage die Stauchungen zwischen Race-Kaste und Klasse zu beleuchten. Die weiße Künstlerclique kann zwar einen schwarzen Künstler ärmster Herkunft als Gleichen akzeptieren, mag aber mit Menschen niederer Klassen ohne künstlerischen Adel nicht belästigt werden.136 Nations Ehefrau Myra kann aus ihrer Perspektive deshalb einen schwarzen Mann heiraten, weil er vermögend ist und ihr einen 133 | »Highball« in McKay 1932, 105-139. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 134 | Die freundliche Beziehung zwischen dem Sänger Nation und den weißen Minstrel-Komödianten hat auch eine untergründige Ironie, weil Nation von ihnen als Studienobjekt und Verhaltensvorlage für Blackness funktionalisiert wird. 135 | Michael North liest »Highball« unter der Untersuchungsperspektive »rebellion through racial ventriloquism«. Nations früherer Erfolg hing von seiner ›primitiven‹ Simplizität ab. Als er beginnt, sein bilderreiches schwarzes ›Vernacular‹ auf Hoch-Englisch umzustellen, wird ihm der Erfolg untreu (North 1994, 144-147). 136 | Pierre Bourdieu hat in seiner Analyse der französischen Bourgeoisie Die feinen Unterschiede ein solches Verhalten beschrieben. Nach seiner Analyse, die allerdings für das späte 20. Jahrhundert entwickelt worden ist, differenzieren sich moderne Gesellschaften zunehmend in Milieus, die ihren ›Distinktionsgewinn‹ aus dem kulturellen Kapital – in diesem Fall Künstlertum – erwirtschaften (Bourdieu 1983).
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Lebensstil ermöglicht, der ihr in ihrer eigenen Klasse verschlossen bliebe. Sie gestattet sich zwar zu profitieren, ihre Race-Vorurteile hindern sie aber daran, ihn zu lieben. Myra erklärt ihrer Freundin das Konzept: »He pays the bills without asking any questions. I use up gallons of highball. He is all right as a reliable stand-by. Even if I’ve got to imagine sometimes he is somebody else« (130f). Hier ist die Liebesgeschichte keine Auflösungsutopie, sondern ein Grenzziehungsunternehmen. Der ›Besitz‹ der weißen Frau vernichtet Nations Selbstachtung. Hatte er am Anfang seiner Leidenschaft noch geglaubt, mit ihr endgültig die weiße Welt erobert zu haben – »she brought the alien white world close to him« (113) – ist sie es nun, die ihn in sein Race-Ghetto zurücktreibt und ihm seine weißen Künstlerfreunde durch die Enthüllung ihrer Klassenvorurteile vergällt. Auch die dritte Geschichte hat mit Klasse zu tun und endet ebenfalls im Desaster. Der Ich-Erzähler von Langston Hughes’ Autobiographie The Big Sea hatte eine Mäzenin gefunden, die ihn fast zwei Jahre lang finanziell unterhielt, ihn regelmäßig in ihre elegante Wohnung in der Park Avenue einlud, mit ihm ins Theater ging, ihm ihren Wagen und ihre Sekretärin zur Verfügung stellte und sich intensiv mit seiner Arbeit und seinen Plänen auseinandersetzte. Hughes’ Beschreibungen sind ausführlich und hymnisch: »My patron […] was a beautiful woman with snow-white hair and face that was wise and very kind […] She was an amazing, brilliant, and powerful personality. I was fascinated by her, and I loved her. No one else had ever been so thoughtful of me, or so interested in the things I wanted to do, or so kind and generous toward me.«137
Die enthusiastische Zuneigung beginnt sich einzutrüben, als der junge Autor nach Abschluss seines ersten Romans eine schöpferische Pause einlegen will. Weiterhin wird klar, dass beide Parteien unterschiedliche Ideen über die Basis des Mäzenats haben. Der junge Dichter glaubt, dass seine Wohltäterin allgemein seine Kreativität mit liebender Zuwendung und psychologischer Unterstützung fördern will. Sie dagegen ist auf ein inhaltliches Projekt fixiert. Sie möchte das ›Primitive‹ ihres Mündels herausarbeiten. Sie glaubt, dass Afroamerikaner eine tiefe spirituelle Quelle in sich tragen, die sie über ihre Zuwendung rein erhalten kann (316). Doch unglücklicherweise fühlt der junge Autor ›nicht den Rhythmus des Primitiven‹ in sich pulsieren: »I was only an American Negro […] I was not Africa« (325). Als der junge Autor einsichtig die Beendigung der mäzenatischen Zuwendung vorschlägt, aber um die Fortsetzung der ihn stützenden Freundschaft bittet, wirft ihm seine Mäzenin Beschimpfungen an den Kopf, die er sich außer Stande sieht, wiederzugeben. Vollständig traumatisiert von dieser Abschieds137 | Hughes 1940, 314-315. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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begegnung ist er über Wochen physisch und psychisch zerstört, kann nichts essen, verliert am Ende sogar seine Stimme und fühlt sich in einer ›anderen Welt‹ (327). Er kann niemandem sagen, warum er so plötzlich und schwer erkrankt ist. Wenn er nur daran denkt, wird er von Wellen der Übelkeit überschwemmt. »I thought she liked me« (Kursivierung Hughes), schreibt er und fügt an: »But I guess she only liked my writing, and not even that any more« (328). Um diese Geschichte zu verstehen, ist es nicht nötig zu wissen, was die Patronin gesagt hat, sondern nur, wo die Geschichte wieder gelandet ist: »So in the end it all came back very near to the old impasse of white and Negro again, white and Negro – as do most relationships in America« (meine Kursivierung) (325).
Interessant ist die Trauma-Struktur dieser Erzählung.138 Die Unfähigkeit zu sagen, welche schrecklichen Sätze die Mäzenin gesprochen haben mag, und die Somatisierung des Konflikts in die Körpersprache – sprich Hysterisierung – verweisen auf die oben entwickelte, strukturell asymmetrische Positionierung von weißer Frau und schwarzem Mann in der hegemonialen Ordnung. Solange die Mäzenin ihren Protegé ermächtigen kann, solange funktioniert sie – durch eine Metapher mütterlicher Liebe überdeckt – wie ein weißer Mann. Wenn sie ihrem Mündel die Ermächtigung aber entzieht, verschwindet für ihn die kurze Periode der ›Ehrgleichheit‹. Die Trennung von der Ersatz-Mutter kann aber nicht verarbeitet werden. Da sie paradoxerweise als Frau gar nicht berechtigt gewesen ist, die Ermächtigung zu verleihen, kann sie sie auch nicht entziehen. Zurück bleibt die Melancholie eines ›unbetrauerbaren Verlustes‹, da das Liebesobjekt nicht als verloren anerkannt wird, sondern zum verinnerlichten Bestandteil der eigenen Seele geworden ist.139 Die Krankheit des Körpers ist eine Folge dieser unauflösbaren Melancholie. Alle drei Geschichten sprechen von der ›dunklen‹ Seite der Verschmelzungsund Auflösungssehnsucht, die durchaus auch im schwarzen Harlem vorhanden ist. Die Liebe über die Races hinweg trägt diese Utopie in ihren literarischen Repräsentationen nicht. Die Whiteness/Blackness Mann/Frau-Hierarchie zerstört diese Berührung und lässt nur die Mimikry einer Beziehung zu, die nicht das Gegenüber als Menschen meint, sondern die Profite und Phantasmen, die aus seiner Blackness oder Whiteness zu ziehen sind. Auch Bona in Jean Toomers 138 | Roland Barthes interpretiert traumatische Erfahrung als Unsicherheit des Subjekts, wie es die Bedeutung von Objekten und Verhaltensweisen interpretieren soll. In einer anderen Terminologie gesprochen kommt es zu »kognitiven Dissonanzen« bezüglich des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, weil das Wissen des Individuums, wie die Gesellschaft normalerweise reguliert ist, gewaltsam mit gegenteiligen Erfahrungen zusammenstößt (Barthes 1985, 197). Generell zu Trauma und Erzählung siehe Tal 1996. 139 | Siehe dazu Freuds Ableitung von Melancholie als ›unbetrauerbarem Verlust‹ in Trauer und Melancholie (Freud 1999h).
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Geschichte nähert sich Paul, weil sie ihn für schwarz hält: »He is harvest moon, He is autumn leaf. He is a nigger […] that’s why I love« (meine Kursivierung) (72).
3.13 ›Queering White Men‹ Es ist also nicht die weiße Frau, an der die Literaten der Harlem Renaissance Auflösungs- und Fusionssehnsüchte realisieren. Die Racial-Sexual-Grenze baut sich an dieser Front immer wieder von Neuem auf, ja verschärft sich nach einem Durchbruchsversuch. Interessanterweise erscheinen jene Grenzgänge erfolgreicher, die innerhalb des gleichen Geschlechts und zwischen verschiedenen Races versucht werden.140 James Weldon Johnson verhandelt in seiner Autobiography of an ExColored Man (1912) die Schnittstelle zwischen der zerstörerischen Sehnsucht nach dem Phantasma der weißen Frau und den Transfer in die sicherere, homoerotisch gefärbte Beziehung zu einem weißen Mann. Er entwickelt den Begehrensabgrund ›weiße Frau‹ und die Utopie eines anerkennenden weißen Mannes in zwei sich berührenden Schlüsselszenen. Der Protagonist, ein gefeierter RagtimePianist, zieht in einem New Yorker Club, der auch von weißen Ghetto-Touristen (Slummern) besucht wird, die Aufmerksamkeit einer schönen weißen Frau auf sich. Obwohl vorgewarnt, dass sie einen eifersüchtigen schwarzen Liebhaber hat, kann er ihren Avancen nicht widerstehen. Der Ich-Erzähler lässt sich auf einen Champagner einladen und wird mittelbar Anlass und unmittelbar Zeuge davon, wie sie von ihrem schwarzen Liebhaber erschossen wird. Der Protagonist flieht das Lokal und irrt voller Angst, die polizeiliche Ermittlung würde ihn in das Verbrechen hineinziehen, durch die Stadt. Dort wird er von einem weißen Gönner und Liebhaber seiner Kunst zufällig im Taxi aufgelesen. Die Grenzüberschreitung, sich zu einer weißen Frau hingezogen gefühlt zu haben, wird parallel zur Grenzüberschreitung, in einem weißen Viertel angetroffen zu werden, erzählt: »What on earth are you doing strolling in this part of the town?«141 Während von der weißen Frau tödliche Gefahr ausgeht, bietet der ›Millionärsfreund‹, wie der Protagonist den Gönner nennt, Rettung, Trost, Einkommen und Anerkennung. Schon vorher ein großer Liebhaber der Musik des Protagonisten und Impressario seiner Kunst, nimmt er jetzt den bedrängten Zeugen eines Kapitalverbrechens mit auf eine Europareise, wo er ihn seinen Freunden vorstellt und großzügig mit finanziellen Mitteln ausstattet. »He bought me the same kind of clothes which he himself wore, and what was the best; he treated me in every way as he dressed me, as an equal, not as a servant. In fact, I don’t think anyone could have guessed that such a relation existed.« (Meine Kursivierung) (130) 140 | Siehe ein verwandtes Argument in Cruising Modernism (Trask 2003, 194). 141 | Johnson 1989a, 124. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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Als einzige Unbequemlichkeit der Beziehung ist zu vermerken, dass der Gönner ein seltsam vampirhaftes Verhältnis zur Musik seines Protegés unterhält. Manchmal muss er viele Stunden bis zur Erschöpfung für ihn spielen, wobei dieser mit unbewegtem Gesicht und geschlossenen Augen lauscht. In diesen Momenten ist die Hierarchie zwischen den beiden Männern wieder errichtet, wenngleich auf die Kritik eines Machtverhältnisses sofort ein Bestreiten desselben folgt: Kritik: »During such moments this man sitting there so mysteriously silent, almost hid in a cloud of heavy scented smoke, filled me with a sort of unearthly terror. He seemed to be some grim, mute, but relentless tyrant, possessing over me a supernatural power which he used to drive me merciless to exhaustion.« (Meine Kursivierung)
Verneinung: »But these feelings came so rarely; besides, he paid me so liberally I could forget much. There at length grew between us a familiar warm relationship, and I am sure he had decided a personal liking for me. On my part, I looked upon him at that time as about all a man could wish to be.« (121)
Im ersten Teil dieser kleinen Vignette ist auf der Ebene von Gefühlen allegorisiert, was die Geschichte der amerikanischen Race-Verhältnisse im historischen Kontinuum ausmacht. Jener ›unnachgiebige Tyrann‹, der den Helden mit ›überirdischem Terror‹ erfüllt, indem er den letzten Lebenssaft aus dem Musiker heraussaugt, ist Sklavenhalter und Sklaventreiber in einer Person, wenngleich er sein Eigentum nicht zur Mehrung seines materiellen, sondern seines spirituellen Reichtums nutzt.142 In den neuen Verhältnissen von nunmehr freien Menschen nach der Sklaverei wird die Ausbeutung durch Geld gemildert. Der Mediator Geld versachlicht allerdings das persönliche Abhängigkeitsverhältnis des Erzählers zu seinem Gönner nicht völlig. Im Gegenteil, die Herr/ Knecht-Verbindung wird sentimentalisiert: Der Protagonist will nicht nur die Anerkennung, die er über seine Einkleidung mit gleicher Garderobe wie sein Gönner auf der Haut zu spüren meint, sondern auch geliebt werden. Die selbstversichernde Rhetorik – »I am sure he had decided a personal liking for me« – enthüllt den doppelten Boden dieser Love for Sale-Beziehung. Der Halbsatz »I am sure« verweist die Sympathie seines Herrn ins Reich eines persönlichen 142 | Zu einem sehr frühen Zeitpunkt der amerikanischen Geschichte – Johnson hatte das Buch 1912 zuerst anonym veröffentlicht – taucht hier eine eher für das Ende des 20. Jahrhunderts typische Vorstellung von der weißen Ausbeutung schwarzer Kreativität auf.
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Eindrucks, den man mit einer persuasiven Formel betonen muss, um ihn glauben zu können. Und mit dem Wort »he had decided« macht er die Zuneigung implizit zum direkten Gegenteil von Liebe, nämlich zu einem Willensakt. Der letzte Satz des obigen Zitats zeigt freilich, wohin die Leidenschaft des Helden gerichtet ist, nämlich auf die ermächtigte Position des weißen Mannes: »I looked upon him […] about all a man could wish to be.« Der weiße Gönner verkörpert damit die Utopie der Emanzipation schlechthin: Er ist alles, was sich ein Mann zu sein wünschen könnte. An diesem Punkt zeigt sich, warum die weiße Frau in dieser historischen Konstellation nicht die gleiche Funktion in der Race-Emanzipation einnehmen kann. Abgesehen davon, dass der Kontakt mit ihr gefährlich ist, weil er das Territorium des weißen Mannes verletzt und sich damit einer Lynch-Gefahr aussetzt, ist sie auch nicht in der Lage, jene Anerkennung zu spenden, nach der gesucht wird.143 Nur ein weißer Mann kann den Helden zur ›Ehrgleichheit‹ emporziehen, die nur deshalb so süß schmeckt, weil sie Teilhabe am Privileg ist. Unter den realhistorischen Bedingungen von Jim Crow und der Segregation des frühen 20. Jahrhunderts lässt sich diese Gleichheit aber nicht als politische Gleichberechtigung realisieren, sondern muss sich in der Sprache der Liebe ausdrücken. Hier kommt der unüberlesbare, homoerotische Subtext dieser literarischen Repräsentation ins Bild. Obwohl vom Protagonisten subtil bestritten – er behauptet beim Abschied erstmalig ›brüderlich‹ umarmt worden zu sein –, deuten alle Indizien, Ausstattung, Geldzuwendung, privater nächtlicher Kunstgenuss in diese Richtung. »Racialized Homoerotics« nennt Siobhan Somerville diese besondere Struktur, die sie als Ersatzbildung zu der tödlichen Gefahr der heterosexuellen Überschreitung des Miscegenation-Tabus interpretiert.144
143 | Die Psycho-Logik dieser Struktur nennt die Psychoanalytikerin Jessica Benjamin das »Paradox der Anerkennung«. Nach ihr erkennt das männliche Kind den Geschlechtsunterschied zur Mutter und stellt fest, dass es nie wie sie sein kann, sondern ein prinzipiell Anderer ist. Die patriarchalische Konstruktion der Wirklichkeit lässt den Knaben glauben, dass die Mutter kein oder ein minderes Geschlecht habe. Da der Knabe Anerkennung braucht, kann sie nach dieser Erkenntnis nun nicht mehr durch seine Mutter erfolgen, der zuvor der Subjektcharakter verweigert wurde, d.h. die mütterliche ›Anerkennung‹ seiner Unabhängigkeit ist wertlos (Benjamin 1983, 283). 144 | Somerville 2000, 114-125. Auf eine interessante Weise wiederholt die zweite, nun unter dem Namen des Autors erscheinende, Publikationsweise der zuerst anonym erschienenen Autobiography (1927) das homoerotisch gefärbte Mentorenmuster des Buchinhalts. Der berühmte weiße homosexuelle ›Patron‹ der Harlem Renaissance, Carl van Vechten, sorgt dafür, dass das Buch bei Knopf publiziert wird, und versieht es mit einem autorisierenden eigenen Vorwort.
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In Wallace Thurmans Infants of the Spring (1932) wird Race-Politik ebenfalls nicht über die Binarität schwarzer Mann/weiße Frau verhandelt, sondern über die Konstellation schwarzer Mann/weißer Mann. Der Protagonist Raymond, Dichteranwärter der erblühenden Harlem Renaissance, befreundet sich mit dem schwedischen Studenten Stephen.145 Gegen den Rat vieler Wohlmeinender zieht dieser umstandslos in das berühmte Harlem ›Niggerati Manor‹ ein. Obwohl die homoerotische Anziehung zwischen Stephen und Raymond nicht auf der Textoberfläche erscheint, ist der Roman eines der wenigen Zeugnisse aus der Harlem Renaissance, in dem offen homosexuelle Charaktere geschildert werden z.B. in der Figur des Malers Paul.146 Das allmähliche Sichtbarwerden einer städtischen homosexuellen Kultur schuf hier kurzfristige Allianzen. In den weniger der Überwachung von Sittlichkeitskampagnen und Anstrengungen von sozialhygienischen Bewegungen ausgesetzten schwarzen Ghettos hatte sich ein eigenes Flair von männlicher Homosexualität herausgebildet, das einen großen Reiz auf homosexuelle Weiße wie Carl van Vechten, ausübte.147 Obwohl fast einer Mehrheit der jungen Harlemer Künstler gleichgeschlechtliche Neigung nachgesagt werden – Countee Cullen, Langston Hughes, Wallace Thurman, Claude McKay und Alain Locke –, war Homosexualität selten Thema ihrer literarischen Produktion (Woods 1993, 18), jedoch sowohl ein dechiffrierbarer Subtext als auch eine wichtige Kommunikationslinie zur weißen Gay Community.148 Die Beziehung von Wallace Thurmans Romanfiguren untereinander ist von beiderseitiger Überkompensation gezeichnet: Stephen und Raymond leugnen die Existenz und Bedeutung von Race-Kategorien. Stephen bezoeht sich auf seine europäische Herkunft, die bewirke, dass er die amerikanischen Obsessionen nicht teile, und Raymond behauptet für sich eine philosophische Farbenblidheit. Stephen beschreibt Raymonds Haltung: »Race to you means nothing […] You stand superior […] Illusions of Negros you have none [… you have] no special love for the race […] no despise for them.«149
Stephen gibt die Kohabitation in einem plötzlichen Anfall von anti-schwarzem Ressentiment auf. Anstatt naheliegenderweise beleidigt zu sein, entlastet Ray145 | Zur verdeckt-offenen Repräsentation von Homosexualität in der Harlem Renaissance siehe Garber 1983. 146 | Garber 1983. Siehe auch Löbbermann 2001. Ich möchte an dieser Stelle Dorothea Löbbermann für die nützlichen Hinweise bei der Diskussion dieses Kapitels danken. 147 | Als einziger Autor der Harlem Renaissance thematisiert Richard Bruce Nugent Homosexualität. Er stand auch für die Figur des Paul in Wallace Thurman Infants of the Spring Pate. Siehe Garber 1989 und Löbbermann 2002, 15f. 148 | Vgl. das Kapitel »Building Gay Neigborhood Enclaves« in Chauncey 1994, 227-271. 149 | Thurman 1992, 60f. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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mond seinen schwedischen Freund vom Schuldbewusstsein und erklärt die schwarze Sklavenmentalität und Überaufmerksamkeit, die Stephen in Harlem erfahren hat, zum eigentlich Schuldigen für dessen Rassismus-Ausbruch. Ähnlich wie Toomer, der beim Versuch, die Race-Kategorie in sich selbst zu vernichten, an das Ende der Darstellbarkeit gekommen war, bilanziert auch Thurman: »The struggle to free himself from race-consciousness had been hailed before actually accomplished, the effort to formulate a new attitude toward life had become seeking for a red badge of courage. That which might have emerged normally, if given time, had been forcibly exposed to the light. It now seemed as if the Caesarian operation was going to prove fatal both to the parent and to the child.« (147)
Anders als bei den literarischen Verhandlungen der heterosexuellen Racial-Sexual-Grenze, scheitern in den homosozialen Texten von Johnson und Thurman die Berührungsversuche ohne direkte Schuldzuweisung in leiser Melancholie. Sie scheitern an von außen oktroyierten sozialen Realitäten, die sowohl schwarze wie weiße Protagonisten schmerzen, die sie aber als unhintergehbar wahrnehmen.
*** Alle Race-Auflösungserzählungen spielen sich jeweils innerhalb der Kategorien von Schwarz und Weiß ab. Sie öffnen eine Passage aus dem untergeordneten Diskurs heraus in den hegemonialen Diskurs hinein. Nicht-schwarz zu sein bedeutete nichts Drittes, sondern immer implizit ›weiß‹. Die Passing-Geschichte kann dabei eine nationale Erzählbewegung ins ›Amerikanische‹ sein, wie es bei Jean Toomer angedeutet wird, oder eine Amalgamierungsutopie in ein gemeinsames kulturelles Milieu, wie es in Wallace Thurmans tanzendem Harlem gezeigt wird. Interessanterweise wird im Fall des schwarzen Mannes die Ermächtigung in der Kategorie Race mit der Einordnung in das schwächere Register der Kategorie Gender bezahlt. Brian Phillip Harper hat darauf hingewiesen, dass der Passing-Prozess eines schwarzen Mannes auch immer ein Feminisierungsprozess ist (Harper 1996, 103-126). Die fragilen selbstreflexiven Helden von Langston Hughes The Big Sea, Jean Toomers Cane oder James Weldon Johnsons Autobiography of an Ex-Colored Man bestätigen diese These. Sie sind nicht selten von großer physischer Schönheit, was sie feminisiert, und von ambivalenter sexueller Identität, was ihnen die Domäne des heteronormativen Patriarchats verwehrt. Die Gender-Auflösungserzählung, oder vielmehr die unterschiedlichen hier gezeigten performativen Auflösungen herkömmlicher Geschlechterordnungen von weiblicher Seite aus, scheint auf der Oberfläche einer ähnlichen Logik zu folgen. Die Ablehnung von viktorianischer Feminität bedeutet meist Maskulinität, wie z.B. Sandra Gilbert und Susan Gubar im Zeichensystem Monokel und Zigarette nachweisen, oder wie sie die generelle Maskulinisierung der Körper
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und Frisuren des Flappers andeutet. Insofern verschieben weibliche Emanzipationsprozesse ihre Figuren auf der Achse Mann/Frau, so wie der schwarze Emanzipationsdiskurs sich auf der Achse Schwarz/Weiß bewegt. Kommt bei den Frauen Blackness ins Spiel, bezeichnet es keine Ermächtigung, sondern eine Erotisierung. Es wird nicht die ganze Person als schwarz verstanden, sondern nur der ›Dark Continent‹ der weiblichen Sexualität schwarz konnotiert. Nancy Cunard und Mae West bedienen sich, wie oben ausführlich gezeigt, einiger Blackness-Accessoirs, um eine sexuelle Revolte zu illuminieren. Das gilt für alle sexualisierten Diskurse jenseits der Geschlechtsbinarität Mann/Frau. Dem homosexuellen weißen Mäzen Carl van Vechten wird sein Ausbruch aus der Heteronormativität und seine demonstrierte Libertinage mit schwarzen Künstlern ebenfalls als Race-Maskerade ausgelegt. Es scheint also, als ließen sich in den Goldenen Zwanzigern Race- und Gender-Zuordnungen trotz allem kulturrevolutionären Pathos nicht auflösen. Wenn es zu ›Querungen‹ kommt, sind sie anders als die postmoderne Queer Theory an der Wende vom 2. zum 3. Jahrtausend nicht ermächtigend, sondern im Gegenteil, platzverweisend. Trotzdem haben Passing und die Gender- und Race-Maskeraden weißer Frauen ein utopisches Potential. Die Unbestimmtheit der Durchgangsprozesse setzt die binären Oppositionen Schwarz/Weiß und Mann/Frau für Augenblicke außer Kraft und erzeugt quere Effekte.150 Die Race Maskerade verleiht der Position weißer Frauen eine performative Souveränität, die sich für kurze Zeit aus der Ökonomie, ein Tauschobjekt zwischen weißen Männern zu sein, herausnimmt. Auch die Ikonographie von Passing produziert ein anti-stereotypes Bild von schwarzer Männlichkeit. Es bewegt sich jenseits der Phantasmen Hypersexualität, Animalität und Primitivität. Die versuchten Verwischungen der Race-Demarkationslinien durch die Dichter der Harlem Renaissance sind im Gegensatz zur späteren Black Power-Rhetorik der sechziger Jahre kein Maskulinitätsprojekt, sondern eine Ermächtigung durch Kultur.151 150 | Zur Verbindung von Passing und Crossdressing schreibt Elaine Ginsberg: »The real possibility of gender passing – crossdressing – thus likely to threaten not only the security of male identity, but also, as does race passing, the certainties of identity categories and boundaries« (Ginsberg 1996, 13). 151 | In einer Analyse von Johnsons Autobiography of an Ex-Colored Man zeigt Philip Brian Harper, dass die ›emasculation‹ des Protagonisten so weit geht, dass er am Ende zur ›Mutter‹ seiner Kinder wird: »Thus the protagonist having been characterized as inappropriately feminine since boyhood and yet purged of the intimations of homoerotic desire generally attaching to such a characterization, finally reaches maturity by reprising the sort of selfless devotion enacted by his own mother« (Harper 1996, 112). Siehe auch die Analyse von Gayle Wald: »The Autobiography refuses to satisfy the desire for such a stabilized black masculine subject who can embody the valorous tradition initiated by ex-slaves such as Douglass« (Wald 2000, 38).
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In der Berührung von Harlem Renaissance mit der weiß-weiblichen Bohème überkreuzen sich also zwei Emanzipationserzählungen. Zum einen handelt es sich um eine Frauenemanzipation aus den Fesseln viktorianischer Feminität: Dazu musste die Rhetorik des sexuellen Modernismus entwickelt werden. Zum anderen handelt es sich um eine Race-Emanzipation aus dem Ghetto sozialdarwinistischer Verdikte von ›niederen‹ Races. Das brauchte den Katalysator der Kunst, um über das Vehikel Kreativität in den ›Adel‹ der (weißen) Menschlichkeit aufzusteigen. Romantischer Primitivismus war der Diskurs, der beide Emanzipationsgeschichten verband. Dem sexuellen Modernismus unterlegte er die ›primitive‹ Triebökonomie, und die Harlem Renaissance versah er sowohl mit afrikanischen Wurzeln, wie er sie gleichzeitig zu einer Avantgarde der Moderne machte. Die sexuelle Libertinage der weiß-weiblichen Bohème eignete sich zwar RaceZeichensysteme an, um erotische (Cunard) und kreative (H.D.) Vitalität zu signalisieren, aber alle Versuche, tatsächlich den Abgrund des Miscegenation-Tabus zu überwinden, scheiterten an der nicht verstandenen Dynamik eines auf weißer Dominanz beruhenden Race-Patriarchats. Der kreativen Emanzipation der Harlem Renaissance gelang zwar das eine oder andere Mal die ›Passage‹ in den (weißen) Kulturbetrieb. Da aber der Erfolg an den Diskurs des Primitivismus geheftet war, verlor sich die Besonderheit in dem Maße, wie der Autor oder die Autorin ›weiß‹ wurde. Die Große Depression der Dreißiger nahm dann den Lebensstil-Revolten des Jazz Age die Grundlage. Es sollte fast fünfzig Jahre, mehr als zwei Generationen, dauern, bis in den Siebzigern des 20. Jahrhunderts ein neuer Anlauf für eine Kulturrevolution genommen wurde, die mit den Registern Race, Gender und Sexualität spielte. Es war dann dem Second Wave Feminism vorbehalten, wiederum über eine sexuelle Revolution eine moderne Frauenbewegung voranzubringen. Auf der anderen Seite versuchte das Black Arts Movement in den Sechzigern, Race-Emanzipation über ein künstlerisches Programm zu befördern. Aber zu diesem Zeitpunkt waren die Karten schon neu gemischt. Die Differenzmaschinen Race und Gender, deren Zahnräder in der kulturellen Logik der Vereinigten Staaten scheinbar notwendig ineinandergreifen, re-artikulieren sich diesmal auf dem Boden einer spätkapitalistischen Konsumgesellschaft. Sie produzierten dabei neue Paarungen, die mit den Extremen Women’s Lib und Black Power ihre äußeren Demarkationslinien besetzten. Das nächste Kapitel befasst sich mit der Zeit zwischen der Großen Depression und der erneuten Kulturrevolution der Sixties. In dieser Periode wird Abschied von entgrenzenden Emanzipationsprojekten von Race und Gender genommen. Man sucht sein Heil einerseits erneut in Maskeraden weißer Weiblichkeit, die in den fünfziger Jahren im sogenannten Zeitalter der Häuslichkeit (Domesticity) einerseits kulminieren, und in einem schwarzen Projekt zur Gewinnung vollgültiger Maskulinität andererseits. Von letzterem wird das folgende Kapitel unter dem Titel »Das Maskulinitätsprojekt« handeln.
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4. Das Maskulinitätsprojekt
D IE E RZ ÄHLUNG DER E NT-M ANNUNG 4.1 Urszenen Es ist eine heiße Nacht, und ein Mann versucht, mit seiner Frau zu schlafen. Während er sich vergeblich müht, durchzuckt ihn die Erinnerung an frühere schwarze Geliebte, die in einer solchen Situation hilfreicher gewesen wären. Der Mann ist Sheriff in einer Kleinstadt der Südstaaten, in der ein Race-Konflikt in Zusammenhang mit der Registrierung schwarzer Wähler stattfindet. Ein junger Afroamerikaner wird dabei zusammengeschlagen und verhaftet. Vor dem County-Gefängnis wird für seine Freilassung demonstriert. Am Vortag war der Sheriff noch bei dem Aktivisten in der Zelle gewesen, um ihn davon zu überzeugen, seine Unterstützer wegzuschicken. Beim Anblick des misshandelten schwarzen Mannes erlebte der Sheriff denselben Gefühlsstau, der ihn nun auch am Vollzug seiner ehelichen Pflichten hindert. Auf der Suche nach Erleichterung schlug er dem Inhaftierten in die Genitalien. Bevor dieser in Ohnmacht fiel, sagte er die scheinbar sinnlosen Worte: »Her name is Julia Blossom«. In der Rückblende erscheinen nun zwei Erinnerungen des Sheriffs. Er wird in eine frühere Lebensperiode versetzt, in der er als Handelsvertreter gearbeitet hatte. Eines Tages suchte er die Großmutter des heutigen Häftlings. Dieser, damals noch ein kleiner Junge, weigerte sich, ihm zu sagen, wo ›Old Julia‹ war. Das Kind wollte, begreift der Sheriff heute, dass seine Großmutter mit ihrem vollen Namen Julia Blossom angeredet wird und nicht mit dem rassisierenden und infantilisierenden Vornamen. Von der Erinnerung übermannt, brüllt er den vor ihm auf dem Boden liegenden Mann an: »You lucky we pump some white blood into you every once in a while – your woman!«1 (Kursivierung Baldwin). Während der Sheriff die Beleidigung ausstößt, spürt er, wie eine Erektion – »violently stiffen« – entsteht.
1 | Baldwin 1984, 192. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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Nun kommt eine zweite Erinnerung an die Oberfläche, die in die Kindheit des Ich-Erzählers zurückreicht. Im Nebenzimmer kann er mit anhören, wie seine Eltern miteinander schlafen. Die unfreiwillige Zeugenschaft verängstigt und irritiert ihn. Am nächsten Tag fährt er mit seinen Eltern zu einem volksfestartig arrangierten Lynching.2 Die Mutter ist bei diesem Anlass schöner als je zuvor: »She was more beautiful than he had ever seen her, and more strange« (203). Der neue Blick auf die Mutter als Sexualpartnerin des Vaters und die Erwartung eines offensichtlich aufregenden Ereignisses überblenden für den Jungen erinnerte Erregung mit Vorlust auf das Lynching. Endlich angekommen, hebt der Vater den Jungen auf die Schultern. Auf der Richtstätte sieht er einen an Ketten aufgehängten nackten schwarzen Mann und gleich darauf die Szene einer Kastration: »He watched the hanging, gleaming body the most beautiful and terrible object he had ever seen till then. One of his father’s friends reached up, and in his hands he held a knife: and Jesse wished that he had been that man […] The man with the knife took the nigger’s privates in his hand […] Jesse felt his scrotum tighten; and huge, huge much bigger than his father’s, flaccid hairless, the largest thing he had ever seen till then, and the blackest […] then Jesse screamed and the crowd screamed as the knife flashed, first up, then down, cutting the dreadful thing away […].« (204)
Die hier pointiert zusammengefasste Erzählung mit dem Titel »Going to Meet the Man« stammt von James Baldwin. Sie macht deutlich, dass die geschwächte weiße Maskulinität des Erzählers aus den Südstaaten sich an einem Race-Phantasma aufrichtet. Zweimal wird hier ein problematischer Geschlechtsakt von einer Race-Phantasie durchkreuzt. Das imaginierte erotische Geschick einer schwarzen Frau könnte die Impotenz des Sheriffs aufheben, und die bezeugte Kastration eines schwarzen Mannes erlöst ihn von der Kastrationsangst, die er – denkt man im Modell des Ödipuskomplexes – gegenüber seinem Vater empfinden muss, da er mit ihm in Konkurrenz um die Liebe seiner Mutter steht.3 Hier entfaltet sich eine doppelte Urszene: Der Ich-Erzähler wird erstens Zeuge des Beischlafs seiner Eltern, und zweitens realisiert er, dass er ein weißer Mann ist. Das erste Ereignis entstammt dem Standardrepertoire der Psy-
2 | Siehe neuere Untersuchungen zur Spektakularisierung und ›Eventisierung‹ von Lynching als Volksbelustigung, siehe Allen/Lewis/Litwack/Hilton 2000, Apel 2004 und Wood 2009. 3 | Die britische Soziologin Lynne Segal schreibt zu Recht: »[Baldwin is] one of the most powerful and persuasive commentators on white American masculinity over the past three decades« (Segal 1990, 177).
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choanalyse und fällt damit in ein bekanntes Interpretationsmodell.4 Das zweite Ereignis beschreibt dagegen eine besondere Situation, die allerdings auch zu einem Standardrepertoire gehört, nämlich zur weißen Sozialisation in den amerikanischen Südstaaten, ganz unabhängig davon, ob man jemals persönlich Zeuge eines Lynching gewesen ist. Die Psychoanalyse der Produktion von Whiteness, wie sie Baldwin mit der Lynching-Szene in literarischer Form vorführt, ist im Gegensatz zur ersten Urszene – der Produktion von Maskulinität über die heimliche Zeugenschaft des männlichen Kindes beim Beischlaf der Eltern – kaum bekannt.5 Seit einigen Jahren versucht man in kulturwissenschaftlichen Ansätzen die Produktion von Blackness mit der Erfahrung einer Race-Urszene zu verknüpfen.6 Hal Foster nennt solche Urszenen »stockscenes of racial discovery« (Foster 1993, 71). Frantz Fanon gibt dazu die Anregung, wenn er berichtet, dass ein kleines Mädchen bei dem Anblick eines schwarzen Mannes erschrickt und ›Oh, look a Negro‹, ausruft. Foster schließt daraus, dass die Anrufung von Blackness als angsterzeugende Markierung7 einen ähnlichen Effekt für die Konstruktion von Schwarz-Sein hat wie die Unterwerfung unter die Kastrationsdrohung des Vaters einen Effekt für die Mann-Werdung des weißen Mannes hat. James Baldwin beschreibt hier den umgekehrten Fall. Eine weiß-weiße Urszene in einem bestimmten historischen Kontext, nämlich der Lynching-Ökonomie des Südens 4 | Die Psychoanalytiker Laplanche und Pontalis definieren knapp eine Urszene als »Szene der sexuellen Beziehung zwischen den Eltern, die beobachtet oder aufgrund bestimmter Anzeichen vom Kind vermutet und phantasiert wird. Es deutet sie im Allgemeinen als Akt der Gewalt von Seiten des Vaters […] er bewirkt beim Kind eine sexuelle Erregung und liefert einen Anhaltspunkt für die Kastrationsangst« (Laplanche/Pontalis 1972, 576-577). 5 | Eine der wenigen – und sehr frühen – Versuche, sich mit der innerpsychischen Produktion von Whiteness zu beschäftigen, stammt von der Psychoanalytikerin Helen McLean. 1946 interpretiert sie in dem Artikel »The Psychodynamic Factors of RaceRelations« unter Berufung auf Richard Wrights Native Son, das Bedürfnis nach weißer Superiorität als Kompensation für eigene Ohnmachtsgefühle: »The development of the myths of racial inferiority at least gave white men the illusion of being ›gods‹. They could control some inferior’s fate even if their own lives were so empty and impotent« (McLean 1946, 163). Es ist interessant, dass McLean sich zwar mit Lynching beschäftigt, aber die sexualpolitische Dynamik der Kastrationsdrohung nicht thematisiert. 6 | Siehe zur Entwicklung einer Race-Urszene Gwen Bergner (Bergner 1997 und Bergner 2005) sowie Jean Walton (Walton 1997 und Walton 2001). Ein ähnlicher Zusammenhang ist unter dem Untertitel »Blickverhältnisse« bereits im Kapitel 2 entwickelt worden, S. 160-167. 7 | Frantz Fanon nannte diese Struktur »The Negro is a phobogenic object« (Fanon 1952, 151).
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im 20. Jahrhundert, führt dazu, dass der heranwachsende Junge in einer Art von Initiation seiner Whiteness gewahr wird. Nach dem Lynching, so fährt die Erzählung fort, fühlt sich der kleine Junge, als hätte sein Vater ihn einer großen Mutprobe unterzogen und ihm ein Geheimnis enthüllt, das der Schlüssel zu seinem zukünftigen Leben sein würde. Deutlicher hätte Baldwin die sexuelle Ökonomie des Lynching als Symbolsystem eines Herrschaftsverhältnisses nicht allegorisieren können. Die Erzählung macht nicht nur klar, dass Race-Suprematie von weißer Sexualangst und Sexualneid durchwirkt ist, sondern sie illustriert auch, dass die weiße männliche Libido – oder um es präziser zu sagen, die weiße ›Potenz‹ – mit diesem Herrschaftsverhältnis verkoppelt ist. Der weiße Mann in der Erzählung wird impotent, als er um seine Übermacht gegenüber der anderen Race fürchten muss, und seine Manneskraft erholt sich, als er sich an die Kastration eines schwarzen Mannes erinnert. Er konstruiert seine Maskulinität über die heimliche Bruderschaft der weißen Suprematisten und durch seine Zeugenschaft der Kastration des Lynching-Opfers. Anders gelesen raubt er dem schwarzen Mann die männlichen Insignien, um sich selbst damit zu schmücken.8
4.2 ›The Quest for Manhood‹ Nachdem »Going to Meet the Man« lange Zeit wenig Beachtung fand, hat die Erzählung in den letzten Jahren in der Queer Theory, nicht zuletzt bedingt durch Baldwins Kultstatus als bekennend bisexuell/homosexueller Mann mehr Aufmerksamkeit erhalten.9 Unter anderen von William F. Pinar, der in seiner monumentalen über 1200 Seiten Studie The Gender of Racial Politics and Violence in America (2001) Lynching ›against the grain‹ heteronormativer Ödipusformationen liest. Für ihn sind öffentliche Lynching-Spektakel ein homoerotisch sadistisches Geschehen, die ein verbotenes gewaltsam unterdrücktes Begehren nach dem Körper junger schwarzer Männer reflektieren. So legt er den Schwerpunkt seiner Interpretation auf die Schlusspassage der Erzählung, in der der Sheriff zu seiner Potenz zurückfindet und seiner Frau zuraunt: »Come on sugar, I’m going to do you like a nigger, just like a nigger, come on, sugar, and love me just, you’d love a nigger« (Baldwin 1984, 272f). Für Pinar ist entscheidend, dass der Protagonist den Körper der weißen Frau sozusagen als Personifizie-
8 | Trudier Harris analysiert das ›Rauben‹ und ›Aneignen‹ des gefürchteten Sexualorgans als ein Hauptmotiv des Lynching (Harris 1984, 23). 9 | Siehe dazu prominent Lee Edelman »The part of the (w)ole« in Edelmann 1994, 4279 sowie Ferguson 2000, Reid-Pharr 2007, 96-121 und Kathryn Bond Stockton »Erotic Corpse: Homosexual Miscegenation and the Decomposition of Attraction« in Stockton 2006, 149-176.
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rung des schwarzen Mannes penetriert und von ihr wie ein schwarzer Mann begehrt werden will. In eine ähnliche Richtung argumentiert Matt Brim, wobei er einen besonderen Schwerpunkt auf die vorherige Impotenz des weißen Mannes und damit die Unfähigkeit, Kinder zu zeugen, legt: »the torture of the black man becomes the erotic stimulus for the white man’s heterosexual reproductive efforts« (Brim 2006, 187). Dieser »homoerotic Racism« (Kim 1997) bildet nach Brim neben dem auf den ersten Blick vorherrschenden heterosexistischen Rassismus eine wichtige und noch wenig diskutierte Dimension der Psycho-Logik von Lynching. Obwohl ich mich für meine Untersuchung auf die Funktion der weißen Frau in der »Anatomy of Lynching« (Wiegman 1993) konzentriere, haben beide Lesarten die Gemeinsamkeit, Lynching als ein gewaltsames und sexualisiertes Ritual unter Männern zu sehen, dem schwarze Männer physisch zum Opfer fallen und psychisch (auch ohne jede persönliche Erfahrung) dominiert werden. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, formuliert der als Sklave geborene Frederick Douglass 1845 sein schriftstellerisches und persönliches Projekt mit folgenden Worten: »You have seen how a man was made a slave, you shall see how a slave was made a man«.10 Dieser programmatische Satz umreißt ein Dilemma, das bis heute in den verschiedensten Konfigurationen Repräsentationen afroamerikanischer Maskulinität prägt: Zerstörte oder verweigerte Männlichkeit durch Sklaverei oder Rassismus auf der einen Seite und die Arbeit der Wieder- oder Neueroberung des Adelsprädikats ›Mann‹ auf der anderen Seite. Historisch hat sich daraus zuerst eine ›Erzählung der Entmannung‹ (Narrative of Emasculation) gebildet (Harris 1984, 28), die die unterschiedlichsten Äußerungsformen von oder über schwarze Männlichkeit durchwirkt, sei es in politischer Rhetorik, Literatur oder in sozialwissenschaftlichen Erhebungen. Im Gegenzug zur Erzählung der Entmannung entstand in den politischen sechziger Jahren eine Erzählung der Er-Mannung, oder um es im geschmeidigeren Englisch auszudrücken, eine ›Narrative of Re-Masculinization‹, die sich mit
10 | Douglass 1968, 47. Deborah McDowell analysiert die Sekundärliteratur zu Frederick Douglass: Narrative of the Life of Frederick Douglass, An American Slave als eine nachträgliche Setzung von Maskulinitätskonzepten, die sich aber innerhalb der Autobiographie als einem prinzipiell »androcentric genre« bewege (McDowell 1993, 44). So hätten z.B. Ronald Takiki und Richard Yarborough Douglass im Nachhinein zu einem gewaltbereiten Militanten rekonstruiert (Takiti 1993), (Yarborough 1997). Valerie Smith dagegen sieht schon früh eine grundsätzliche ›Quest for Manhood‹ in den Slave Narratives: »The plot of this standard narrative may thus be seen as not only the journey from slavery to freedom but also the journey from slavehood to manhood« (Smith 1987, 34).
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politisch-ideologischen Konzepten wie ›Black Power‹, ›Black Nationalism‹ den Black Panthern und den Black Muslims verbunden hat.11 Eine besondere Dringlichkeit bekam das Projekt zur Eroberung schwarzer Männlichkeit im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts. Die Hoffnungen auf Gleichstellung schwarzer Männer hatten sich zunächst mit dem Wahlrecht verbunden. Als die zunehmende Segregation der amerikanischen Gesellschaft diese Hoffnungen zerschlug, gründete die Harlem Renaissance ihren Emanzipationswunsch auf primitivistische Kreativität und künstlerische Produktion. Als unübersehbar wurde, dass diese Autorisierungsversuche langfristig keine Änderung brachten, verdichtete sich der Gerechtigkeitsanspruch in einer männlich-schwarzen Ermächtigungsstrategie, die hier ›das Maskulinitätsprojekt‹ genannt wird. Im Folgenden werden bekannte Texte afroamerikanischer Literatur und Essays untersucht, die um die Gefährdung und Eroberung von Maskulinität kreisen. Anders als in den abgeschlossenen Diskursformationen der vorherigen Kapitel wird hier eine Problemstellung nicht in einem begrenzten Zeitschnitt betrachtet, sondern das afroamerikanische Maskulinitätsprojekt über einen längeren Zeitraum beobachtet. Eine Abweichung vom bisherigen Vorgehen ist insofern gerechtfertigt, als sich die Herausbildung der Strategie über mehrere Generationen erstreckt. Das Maskulinitätsprojekt findet in unterschiedlichen Diskursformationen verschiedene Artikulationsformen. Wie virulent das Problem bis in die jüngere Gegenwart noch war, zeigt der ›Million Men March‹ von 1997, der sich eine nationale Manifestation afroamerikanischer Maskulinität zum Ziel setzte. Ebenso kann die ungebrochene Brisanz eines Maskulinitätsprojektes an Spike Lees ständig variierten Filmballaden männlicher Selbstermächtigung studiert werden, die am Schluss des Kapitels unter dem Gesichtspunkt afroamerikanischer Vaterschaft betrachtet werden.12 11 | Eine Reihe von Studien geht den einzelnen Perioden dieses Unternehmens nach. Es beginnt mit Calvin Herntons Sex and Racism in America (Hernton 1965), Michele Wallace betrachtet mit Black Macho and the Myth of Superwoman die Angelegenheit aus der Perspektive schwarzer Frauen (Wallace 1979). Am Kreuzungspunkt von Black Studies, New Men’s Studies und Gay and Lesbian Studies sind besonders in den Neunzigern mehrere Arbeiten zu diesem Themenkomplex publiziert worden. Siehe Harper 1996, Blount/Cunningham 1996, Carby 1998 und Carbado 1999a. 12 | Spike Lee nimmt eine Sonderrolle im hier diskutierten Maskulinitätsprojekt ein, insofern als seine Werke eine Art von Post-Remaskulinisierungs-Narrationen sind. Auf der Oberfläche erschien in den Achtzigern und frühen Neunzigern das afroamerikanische Maskulinitätsprojekt durchgesetzt. Lees Helden werden aber von einem systematischen Zweifel ob seiner ›Wirklichkeit‹ geplagt. Sie schwanken zwischen einer Noch-Performativität und Schon-Selbstgewissheit. Inzwischen haben neuere Formen afroamerikanischer Maskulinitätsmanifestationen häufig einen ironischen, selbstreferentiellen
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Wenn man sich kanonische Werke afroamerikanischer Dichter aus der Mitte des 20. Jahrhunderts wie von Richard Wright, Ralph Ellison oder James Baldwin betrachtet, fällt sofort auf, dass die ›Quest for Manhood‹ ein intertextuelles Unternehmen ist (Junker 2010, 96f). James Baldwin, ehemaliger Protegé von Richard Wright, kritisiert seinen Meister als versteinerten Protest-Romancier und schreibt ein Drehbuch zum Leben von Malcolm X (Baldwin 1995b). Black Panther Eldridge Cleaver verdammt in seinen Gefängnistagebüchern Baldwins Kritik an Wright als Verrat an Maskulinität (Cleaver 1992). Ralph Ellison lobt an Wright sein soziales (sprich kommunistisches) Engagement, äußert sich aber skeptisch über den künstlerischen Wert seiner Werke.13 Black Muslim-Führer Malcolm X rechnet mit dem nur literarischen Protest ab. Der Dichter Amiri Baraka dagegen glaubt an eine Verbindung von Ästhetik und Politik (Baraka 1966), die der Filmregisseur Spike Lee – von Baraka kritisiert14 – zwanzig Jahre später zu einem Neo-Radikalismus umcodiert, wobei er seine Arbeiten mit maskulinistischem Hip-Hop unterlegt. Unter der afroamerikanischen künstlerischen Elite ist ein ständiges Changieren zwischen Autorisierung durch geistige Väter und intellektuellem Vatermord zu beobachten.
4.3 Der Rape-Lynching-Komplex Der Archetyp gedemütigter afroamerikanischer Maskulinität ist Bigger Thomas. Die Hauptfigur aus Richard Wrights berühmtem Roman Native Son (1940) ist Chauffeur im Hause eines weißen Fabrikanten. Als er dessen betrunkene Tochter in ihr Zimmer bringen muss und sie dabei Lärm macht, erstickt er sie aus Angst, im Schlafzimmer der weißen Frau entdeckt zu werden. Zur Vertuschung des Totschlags verbrennt er die Leiche im Ofen der Zentralheizung. Bigger Thomas will auf diese Weise den erwarteten Anschuldigungen einer Vergewaltigung und damit der tödlichen Gefahr eines Lynching entkommen. Unterton. Man denke an die Will Smith-Persona aus der Fernsehserie The Fresh Prince of Bel-Air oder an die M EN I N B LACK-Filme. Der einzige genuine afroamerikanische Action Hero Wesley Snipes konnte es sich sogar leisten, im Film TO W ONG F OO, Thanks for Everything! Julie Newmar (1995) eine Drag Queen zu verkörpern, ohne grundsätzlich um sein Maskulinitätsprädikat fürchten zu müssen. Es bleibt abzuwarten, ob mit der Wahl des Afroamerikaners Barack Obama zur Präsidenten der Vereinigten Staaten das Diskursfeld ›prekäre afroamerikanische Maskulinität‹ mehr in den Hintergrund rückt oder erst recht in den Fokus gerät, wenn z.B. internationale Konflikte nicht ›männlich‹ genug konfrontiert werden. 13 | Ellison 1941, siehe auch Artikel über die intertextuellen Bezüge (Skerrett 2000). 14 | Der Mentor der Black-Arts-Bewegung, Baraka kritisiert Spike Lees M ALCOLM XVerfilmung: »We will not let Malcolm X’ life be trashed to make middle-class Negroes sleep easier« (Lee 1992).
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Wie ein Wiedergänger zieht Bigger Thomas seine Spur durch afroamerikanische Texte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So taucht er 1964 in Amiri Barakas Drama Slave auf, wo eine weiße Frau, die von ihrem schwarzen Ex-Ehemann als Geisel gehalten wird, ihn einen »second-rate Bigger Thomas« nennt (Baraka 1979b, 108), Eldridge Cleaver verherrlicht Bigger Thomas zur Ikone schwarzer Ghetto-Maskulinität (Cleaver 1992, 103f), Ishmael Reed sieht O.J. Simpson als Bigger Thomas,15 und Anthony Paul Farley identifiziert sich gar selbst mit Bigger Thomas, wenn er anlässlich des ›Million Men March‹ ausruft: »We, as Bigger Thomas, say to ourselves, if we could only resist the temptation to lash out at our spectacle-shrouded brothers and sisters, somehow the crown of thorns would be removed from our heads.« (Farley 1999, 72)
Bigger Thomas steht bei all diesen Bezügen für zwei ineinandergreifende Figurationen: erstens die gedemütigte Männlichkeit, die sich nur durch Gewalt manifestieren kann, und zweitens die Verklammerung von Unterdrückung und Sexualpolitik, d.h. im konkreten Fall von Vergewaltigungsverdacht und Lynching. Bei der bisherigen Untersuchung der Beziehung von Race- und GenderEmanzipationsdiskursen wurde immer wieder das Phantasma von Sexualität zwischen einer weißen Frau und einem schwarzen Mann thematisiert. In den zwanziger Jahren war man z.B. mit imaginierten Gefährdungen beschäftigt, die sich durch die Auflösungsutopien von Race und Gender und ihren möglichen sexualpolitischen Konsequenzen ergaben. Insofern war dort das MiscegenationTabu – wie im Kapitel »Primitivistische Renaissancen und Sexuelle Modernismen« entwickelt – das große Thema, als nach den Aufbrüchen des Jazz Age die Racial-Sexual-Grenzen erneut scharf gezogen wurden, schob sich die Vorstellung ihrer gewaltsamen Überschreitung wieder stärker in den Vordergrund und verdichte sich im ›Rape-Lynching-Komplex‹.16 Die Wortprägung Rape-Lynching-Komplex sieht sich in der Nachfolge der Bezeichnung eines »Southern Rape Komplex« des Soziologen W.J. Cash, der die Verbindung von ritueller Selbstjustiz und Vergewaltigungsphantasma als 15 | Ishmael Reed sieht den O.J. Simpson-Prozess als zeitgenössische Wiederaufnahme des Prozesses gegen schwarze Männlichkeit, wie er 1997 in seinem Artikel »Bigger and O.J.« schreibt (Reed 1997). 16 | Der Bezeichnung ›Rape-Lynching-Komplex‹ bin ich bisher nur einmal begegnet, nämlich im Vorwort des Gender/Sexuality-Readers von Roger Lancaster und Micaela di Leonardo (Lancaster/Di Leonardo 1997, 3). Meine eigene systematische Verwendung des Begriffs überschreitet die eher beiläufige heuristische Prägung von Lancaster und di Leonardo.
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eine soziale Pathologie der amerikanischen Südstaaten interpretiert (Cash 1941, 114-117). Die Bezeichnung Rape-Lynching-Komplex umschreibt nicht nur die Tatsache der kulturellen Verbindung von Rape und Lynching, sondern sie wird verstanden als ein Ergebnis der sich überschneidenden Machtregulierungen von Race und Gender in einem Race-Sexualitätsdispositiv. Ein solcher RapeLynching-Komplex weist Parallelen mit dem Symbolsystem des Freud’schen Ödipuskomplexes auf. Zentrales Scharnier beider Konstruktionen ist die Kastrationsdrohung durch eine Machtstruktur. Im Ödipuskomplex ist sie durch den Vater repräsentiert, im Rape-Lynching-Komplex strukturell durch die weiße Suprematie und konkret durch den Lynchmob. Mit Hilfe der Kastrationsdrohung hindert im Ödipuskomplex der Vater den Sohn daran, seine Mutter zu begehren. Die Herrschaft des weißen Mannes über den schwarzen Mann gründet auf einer ähnlichen psycho-logischen Struktur. Ein Rape-Lynching-Komplex hält den schwarzen Mann von den Frauen des weißen Mannes fern. Ein gewichtiger Unterschied zeigt sich in der Auswirkung beider ›Komplexe‹. Die zentrale kulturelle Arbeit des (weißen) Ödipuskomplexes besteht in seiner Überwindung durch den zur Reife kommenden Jungen. Über den Verzicht auf die Mutter und die Unterwerfung unter den Vater erwirbt der Sohn Teilhaberschaft an der symbolischen Ordnung oder anders gesagt, am (weißen) Patriarchat. Der Ödipuskomplex ist sozusagen die Schwelle zum Erwerb einer gesicherten Geschlechtsidentität. Der Rape Lynching-Komplex dagegen kann nicht überwunden werden. Afroamerikanische Männer, die in einer weißen Suprematie leben, können durch Unterwerfung nichts gewinnen, weil sie für den Verzicht nicht mit Anerkennung belohnt werden. Trotz der begrenzten theoretischen Reichweite des Ödipus-Modells für die afroamerikanische Sozialisation hält Hortense Spillers das psychoanalytische Paradigma der Verinnerlichung frühkindlicher Grenzerfahrungen für entscheidend zur Erklärung und ›Heilung‹ von beschädigter afroamerikanischer Identität. Sie plädiert aber für ein viertes Register der psychoanalytischen Theorie, das sie in der Nachfolge Frantz Fanons »Socionom« nennt. Es soll den Transfer des amerikanischen Race-Regime auf die innerpsychischen Instanzen beleuchten. »In my view, classical psychoanalytic theory offers some interesting suggestions along their route by way of (1) fetish object (if we read Freud with Marx on the fetish) and (2) certain Lacanian schemes, corrected for what I would call the ›socionom‹, for the speaking subject’s involvements with ideological apparatuses, which would embrace in turn a theory of domination.«17 17 | Spillers 1996, 88. Als erster nicht-weißer Theoretiker dachte Frantz Fanon in diese Richtung, nämlich in seiner Adaption der Lacan’schen Psychoanalyse auf das RaceSelbstbild in Black Skin White Mask (Fanon 1952). Der frühere W.E.B. Du Bois stand
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Das Wort ›Komplex‹ im Kompositum Rape-Lynching-Komplex soll eine Matrix sich überschneidender Gender- und Race-Regime bezeichnen, die von einer mit Strafe bewehrten historisch konkreten Racial-Sexual-Ordnung diszipliniert werden. Einer der ersten dokumentierten afroamerikanischen Patienten einer psychoanalytischen Kur, Horace Clayton, beschreibt in seiner Autobiographie das für die Alltagserfahrung eines schwarzen Mannes in den USA vor der Bürgerrechtsbewegung typische Wechselspiel von innerer psychischer Lage und äußerem Druck als »fear hate complex«: »I am convinced that the core of the Negro’s being is a fear-hate complex. My assumption is that all men in Western-European civilization have unconscious guilt and fear punishment for this guilt […] It can usually be resolved by treatment by a psychiatrist or even by rational cogitation. However in the Negro this psychological problem is intensified. For him punishment is ever present – violence, psychological and physiological –, leaps at him at every side. His personality is constantly brutalized by an unfriendly environment […] the Negro’s reaction to his own brutalization [is] subordination and hurt. This is the vicious circle in which the American Negro is caught and in which his personality is pulverized by an ever mounting, self propelling rocket of emotional conflict.« (Clayton 1965, 264-265)
Clayton schildert hier das oben ausgeführte Dilemma, dass ein wie immer gearteter Komplex beim afroamerikanischen Patienten nicht produktiv überwunden werden kann, weil seine Ängste nicht irrational und die Kastrationsdrohung nicht nur symbolisch ist, sondern blutige Realität werden kann. Horace Clayton, ein enger Freund Richard Wrights, war Analysand der heute völlig vergessenen Analytikerin Helen V. McLean,18 einer Schülerin der revisionistischen, deutschen Psychoanalytikerin Karen Horney, die in die USA ausgewandert war. Karen Horney war die erste Analytikerin, die Freuds Thesen vom Penisneid und sein Konzept von Weiblichkeit als ›kastriertem‹ Mangel hinterfragte und dem phallusfixierten Freudianismus das Konzept des männlichen Gebärneids gegenüberstellte (Horney 1997). Möglicherweise schärfte Horneys dissidentischer Blick auf die androzentrische Voreinstellung der orthodoxen Psychoanalyse den Blick ihrer Schülerin McLean für die zerstörerische
der Psychoanalyse fern, entwarf aber mit seinem Konzept der ›Tragic Twoness‹ und dem ›Double Consciousness‹ eine ähnliche Grundüberlegung über die gedoppelten psychischen Instanzen afroamerikanischer Selbstwahrnehmung, die Spillers später weiterentwickelt (Du Bois 1997). 18 | McLean 1944, McLean 1946 und McLean 1949, nachgedruckt in Grossack 1963, 113-139.
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Wirkung einer Sozialisation in Blackness. Zum Dilemma afroamerikanischer Männlichkeit in ihrer Zeit schreibt sie: »If the individual attempts to be mobile upwards by virtue of his ability or strong aggressive drives, he will fail to achieve satisfactory identity with the white group and will at the same time be resented by the Negro group. If he remains identified with the Negro group he feels impotent and insecure.« (McLean 1946, 161)
Auch Helen McLean sah also das Dilemma, dass die psychischen Ängste und Blockierungen afroamerikanischer Männer nicht überwunden werden können, da im Fall eines Versuchs mit Strafe gerechnet werden muss: »If he attempts self-assertion his behavior is interpreted by the white group as rebellion. Punishment will be meted out to him and his group.«19 Im Folgenden wird kurz der Rape-Lynching-Komplex in den Hintergrund treten und ein Beschreibungsmodell betrachtet werden, das psychische Struktur mit der gesellschaftlichen Machtstruktur in Verbindung bringt, aber jenseits der Psychoanalyse liegt. Foucault hat mit seinem Begriff ›Sexualitätsdispositiv‹ eine Kategorie bereitgestellt, die es erleichtern könnte, ein ›Socionom‹ für die Produktion von Race zu denken. Während ein rein psychoanalytisches Modell nach der Herstellung einer afroamerikanischen Subjektivität über den RapeLynching-Komplex fragt und damit Race als ›Problem‹ bereits voraussetzt, frage ich im Folgenden mit Hilfe Foucaults, warum und wie der herrschende Diskurs
19 | Ebd. 162. Helen McLeans Interesse an Race wurde durch persönliche Bekanntschaft mit Richard Wright und dem Analytiker-Duo Abram Kardiner und Lionel Ovesey geweckt. Deren viel beachtetes Werk The Mark of Oppression. Explorations in the Personality of the American Negro (1951) stellte eine erste Verbindung zwischen RaceFragen und Psychoanalyse her, indem sie kastrierende Aspekte von Diskriminierung im Freud’schen Modell betrachteten. Kardiner wurde von Freud selbst analysiert und schrieb darüber ein Erfahrungsbericht (Kardiner 1977). Kardiner und Ovesey standen unter dem Einfluss von Gunnar Myrdals epochaler Carnegie-Studie zum amerikanischen Race-Problem An American Dilemma. The Negro Problem and Modern Democracy (1944). Myrdals Vertrautheit mit psychiatrischen Modellen und die damals kursierende Denkweise, die ›Gesellschaft als Patient‹ zu betrachten, brachte zum ersten Mal die psychosozialen Effekte von Rassendiskriminierung ins öffentliche Bewusstsein. Im amerikanischen progressiven Diskurs entstand eine Vorstellung vom schwarzen Amerikaner als ›damaged personality‹. Der Sozialhistoriker Daryl Michael Scott untersucht in der Studie Pity & Contempt die Auswirkungen der These von der »damaged black psyche« in der Sozialpolitik und verwahrt sich stark gegen eine verengende Sichtweise von Afroamerikanern und Afroamerikanerinnen als pathologisierte Opfer weißer Herrschaftsstrukturen (Scott 1997).
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›racial Otherness‹ produziert und ausgrenzt und ob beide Modelle sozionomisch miteinander verschränkt werden können.
4.4 Ausschließungssysteme Nach Foucault ist Ausgrenzung eine Art und Weise, wie Machtdiskurse hervorgebracht werden. Er stellt sich die Frage, was für eine gesellschaftliche Funktion die ständige Produktion von ›Ausschließungen‹ hat. Präziser gefasst, fragt er, welche Ausgrenzungen nötig sind, damit Gesellschaft funktioniert: »Durch welches Ausschließungssystem, durch wessen Ausmerzung, durch die Ziehung welcher Scheidelinie, durch welches Spiel der Negativität und Ausgrenzung kann eine Gesellschaft beginnen zu funktionieren?« (Foucault 1976, 57)
Wie im Laufe meiner Studie entwickelt wird, ist die ›Scheidelinie‹ zu Race und Gender eine zentrale Voraussetzung für das Funktionieren der US-amerikanischen Gesellschaft. Fast immer spielte Sexualpolitik, wie beim Rape-LynchingKomplex zu sehen, dabei eine Rolle. Zur Vertiefung dieser sexualpolitischen Dimension ist ein kleiner Rekurs zu Foucaults Begriff des sogenannten Sexualitätsdispositivs sinnvoll. Mit dem Versuch, den Rape-Lynching-Komplex mit einer Race-Lektüre des Sexualitätsdispositivs zu verzahnen, verbindet sich die Hoffnung, die Schärfe und Nachhaltigkeit zu rekonstruieren, mit der in den USA immer neue Race-Gender-Projekte artikuliert werden und wie sie an diesem ›produktiven Machtverhältnis‹ mitwirken.20 Das Foucault’sche Sexualitätsdispositiv beschreibt eine Strukturlogik der Moderne, nach der – entgegen dem landläufigen Vorurteil – Kontrolle über Menschen nicht durch Unterdrückung von Sexualität gewonnen wird, sondern Macht durch eine grundlegende Sexualisierung aller Lebensbereiche ausgeübt wird. Konkretisiert auf die Frau bedurfte es der Kontrolle weiblicher Fruchtbarkeit, um das Arbeitskräftereservoir zu steuern. Die Regulierung von Sexualität war dabei nicht das Ziel, sondern ein Mittel. Als Nebeneffekt entstand im Zuge der Normalisierung reproduktionsnotwendiger Heterosexualität ›Homosexualität‹ als von der Norm abweichende ›Perversion‹. Die Sexualisierung des weibli20 | Macht ist nach Foucaults Auffassung produktiv, weil sie nicht als ein Repressionssystem von oben nach unten verstanden werden kann, sondern als »Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren«. Moderne Macht wird produktiv, wenn sie sich mit Wissen verknüpft. Emanzipationsdiskurse tragen dabei zur Strukturierung von Machtdiskursen bei. Z.B. hat die Sexualwissenschaft, die Homosexualität als ›natürliches‹ Sexualverhalten entkriminalisieren wollte, genau jene medizinischen Begriffe ›erfunden‹, die in der Folge zur Pathologisierung von Homosexualität verwandt wurden (Foucault 1983, 113, 123).
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chen Körpers, oder wie Foucault es nennt, die »Hysterisierung des Weibes«, löste im 19. Jahrhundert eine Wissensexplosion über die weibliche Besonderheit in medizinischer und anthropologischer Hinsicht aus.21 Wie bereits am Material der Durchsetzung sozialdarwinistischer Geschlechterdiskurse im Kapitel 2 entwickelt wurde, verschärfte sich die Vorstellung von Geschlechterdifferenz, und beide Geschlechter wurden mental und physisch als völlig gegensätzliche Entitäten begriffen, wobei der männliche Teil als Staatsbürger und der weibliche Teil als Gattungskörper verstanden wurde. Wenn aber die Sexualisierung von weiblichen Körpern ein effizientes Mittel war, um die Bevölkerung zu kontrollieren, Normen durchzusetzen und Rechte zu verteilen, dann liegt es nach den obigen Überlegungen zum Rape-LynchingKomplex nahe, dass auch ›schwarze Körper‹ in den USA über das Mittel der Sexualisierung reguliert wurden und werden. Wenn dem so sein sollte, ergeben sich zwei Fragen: Erstens kann man von einer ›Erfindung‹ von Race sprechen, ebenso wie man von einer Erfindung von (hysterisierter) Feminität sprechen kann? Zweitens kann man Race ebenso wie wichtige Gender-Aspekte ebenfalls durch ein Sexualitätsdispositiv verstehen? Zur ersten Frage: In den Postcolonial Studies spricht man schon seit längerer Zeit von einer ›Erfindung von Race‹ als Motor der Moderne.22 Auch die zweite Frage nach einem möglichen Race-Sexualitätsdispositiv sollte die Untersuchung des letzten Kapitels zur Harlem Renaissance und Sexuellem Modernismus positiv beantwortet haben. Das Miscegenation-Tabu ist ja genau die Schnittstelle, wo Sexualisierung und die Steuerung von Reproduktion zusammenkommen. Kobena Mercer situiert eine ›Sexualisierung‹ von Race in einem größeren imperialistischen Kontext: 21 | Der obige Text ist ein freies und stark verkürztes Referat der Foucault’schen Ablehnung einer, wie er sie nennt, Repressionshypothese und der Entwicklung des Sexualitätsdispositivs in Sexualität und Wahrheit. Zum Sexualitätsdispositiv selbst sagt Foucault: »[…] es hat seine Stärke nicht darin, dass es reproduziert, sondern darin, dass es die Körper immer detaillierter vermehrt, erneuert, zusammenschließt, erfindet, durchdringt und dass es die Bevölkerung immer globaler kontrolliert« (Foucault 1983, 128f). 22 | Die postkoloniale Theoretikerin Ann McClintock identifiziert eine ›Erfindung‹ von Race als kolonialistisch/modernes Unterfangen: »Imperialism and the invention of race were fundamental aspects of Western industrial modernity. The invention of race in urban metropoles […] became central not only to the self-definition of the middle class but also to the policing of dangerous classes« (meine Kursivierung) (McClintock 1995, 5). Laura Ann Stoler moniert zwar Foucaults ›Okzidentalismus ‹, d.h. die vollkommene Ausblendung des Kolonialismus in seiner Theorie, formuliert aber ›mit Foucault gegen Foucault‹, dass die europäischen Identitätsdiskurse von »healthy vigorous bodies« sich im Kontrast zu dem ›racialized Other‹ der ›colonial Subjects‹ gebildet haben (Stoler 1995). Foucault beschäftigt sich mit ›Rasse‹ und Rassismus hauptsächlich in den Logiken von Antisemitismus und Holocaust. Siehe z.B. Foucault 1986 und Margolis 1995.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG »The prevailing Western concept of sexuality […] already contains racism. Historically, the European construction of sexuality coincides with the epoch of imperialism and the two are interconnected […] The person of the savage was developed as the Other of civilization and one of the first ›proofs‹ of this otherness was the nakedness of the savage, the visibility of its sex.« 23 (Meine Kursivierung)
Zu einem anti-black Rassismus im heutigen Verständnis kam es erst nach dem Bürgerkrieg, als eine Grenze zwischen den auf dem Papier gleichen männlichen Staatsbürgern schwarzer und weißer Hautfarbe errichtet werden wollte.24 Diese Grenze entwickelt sich zur bereits mehrfach erwähnten Racial-SexualGrenze, und mit ihr entsteht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Mythos vom schwarzen Vergewaltiger. Zuvor wurde der Sklave als ›Sambo‹ gesehen, eine unbedrohliche, ›feminisierte‹ und ›sexlose‹ Figur, deren Sexualität für seine Besitzer nur insofern von Belang war, als sie neue Sklaven hervorbrachte.25 Diese sexualisierte Vorstellung von Race folgt einer ähnlichen Strukturlogik wie die Hysterisierung (Sexualisierung) weißer Frauen (die Sexualisierung afroamerikanischer Frauen folgt anderen Gesetzmäßigkeiten), aber sie beschreibt ein anderes Phantasma. Abdul JanMohammed versucht jedoch, die beiden kulturellen Muster der Sexualisierung von Race oder Gender in ein Verhältnis zu setzen: »The hysterization of the women’s bodies is paralleled on the racial-sexual border by the hysterization of the black male body, which is represented as saturated with sexuality. […] it is the hystericized oversexualized body of the black male that is used by discourse
23 | Mercer/Julien 1988, 108. Zitiert nach Somerville 2000, 5. 24 | George Fredrickson formuliert in The Black Image in the White Mind: »American racial prejudice had of course manifested itself in various forms as a concomitant of slavery since the seventeenth century, but racism – defined here as a rationalized ideology grounded in what were thought to be the facts of nature – would remain in an embryonic stage until almost the middle of the nineteenth century« (Fredrickson 1971, 2). 25 | Vgl. Unterkapitel »Sambo and the ›Daughters of Jefferson‹« in Kapitel 1, S. 8992. Die Sambo-Trope wurde zuerst von dem Soziologen Stanley Elkin rekonstruiert und machte von da an eine unerfreuliche Karriere in der sozialwissenschaftlichen Race-Forschung: »Sambo, the typical plantation slave, was docile but irresponsible, loyal but lazy, humble but chronically given to lying and stealing; his behavior was full of infantile sillyness and his talk inflated with childish exaggeration. His relationship with the master was one of utter dependence and childlike attachment. […] Although the merest hint of Sambo’s ›manhood‹ might fill the southern breast with scorn« (Elkin 1959, 82).
4. D AS M ASKULINITÄTSPROJEK T of racialized sexuality to reinforce hysterical boundaries between two racialized communities.« 26 (Meine Kursivierungen)
Mit dem Begriff ›rassisierte‹ Sexualität – racialized sexuality27 – beschreibt JanMohammed eine Struktur, die man auch ein ›Race-Sexualitätsdispositiv‹ nennen könnte. Ein solches amerikanisches Race-Sexualitätsdispositiv scheint sich mit einem auf weiße Weiblichkeit zugeschriebenen Sexualitätsdispositiv zu ergänzen, ja, beide scheinen geradewegs aufeinander zuzulaufen. Die fragile, unschuldige, gelegentlich von ihrem hysterischen Körper überwältigte Frau wird in diesem Definitionsraum zum natürlichen Opfer des nun über Triebexzess konzeptualisierten schwarzen Mannes. Ellen K. Feder z.B. entwickelt eine einem Race-Sexualitätsdispositiv ähnliche Struktur, indem sie das Modell von Biomacht nicht nur zu Herstellung von ›gendered‹ Bevölkerungen liest, sondern auch als Dispositiv zur Herstellung (oder Vermeidung) rassisierter Bevölkerungen (Feder 2007, 67). Der Rape-Lynching-Komplex kann so betrachtet als ein Ergebnis der sich überschneidenden Machtregulierungen von Race und Gender durch ein Race-Sexualitätsdispositiv gelesen werden. Die Sexualisierung des Weibes grenzt sie als Hysterikerin aus und erzeugt über ›unvernünftige‹ und regulierungsnotwendige Körperlichkeit männliche ›geistige‹ Herrschaft. Die Sexualisierung von Blackness grenzt den schwarzen Mann als von unzivilisierbarem Triebexzess gesteuert aus und erzeugt Whiteness als Ort zivilisierter Sublimationsfähigkeit. Foucaults Vorstellung von Diskurserzeugung durch Ausgrenzung ist immer dann sehr nützlich, wenn es um Fragen der Disziplinierung geht, also um Gesetze, Polizei, Hygiene, generell um die Ausgrenzung des ›Anderen‹ zur Bestimmung der Grenzen des Normalen. Ein Race-Sexualitätsdispositiv würde so verstanden weiße ›Race Supremacy‹ durch die Herstellung, Erfindung und Ausgrenzung disziplinierungsbedürftiger ›schwarzer‹ Sexualität regulieren. Ebenfalls verhindert ein solches Race-Sexualitätsdisositiv alle soziale Phantasie möglicher Mischehen, und steuerte damit die ›richtige‹ – also die gewünschte – ›reinrassige‹ Reproduktion. Über die Verknüpfung des Modells des RapeLynching-Komplexes mit dem Modell eines nach Race und Gender ausdiffe26 | JanMohamed 1992, 104f. Auch Frantz Fanon wählt in Die Verdammten dieser Erde (1956) den Ausdruck ›hysterisch‹, um die Situation des kolonisierten, feminisierten Eingeborenen vor jedem Befreiungsdiskurs zu beschreiben. Zitiert nach Dubey 1998, 3. 27 | Zur Definition von ›racialized sexuality‹ schreibt JanMohammed an anderer Stelle: »Racialized sexuality is structured by a set of allegorical discourses: silence and repression […] Whereas bourgeois sexuality is a product of an empiricist, analytical and proliferatory discursivity, racialized sexuality is a product of stereotypic symbolizing and condensing discursivity: the form is driven by a will to knowledge, the latter by the will to conceal its mechanism and its own will to power« (JanMohamed 1992, 105f).
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renzierten Sexualitätsdispositivs wird eine Schnittstelle zwischen individueller Psychostruktur und gesellschaftlicher Repression sichtbar. Race- und GenderKonstruktionen bilden sich zweifellos in der Psyche ab, aber das ›Dispositiv‹, das die psychische Hierarchisierung bewirkt, ist ein Effekt der Diskursproduktion. Und diese bedient sich der Sexualisierung zur Ausübung von Biomacht. Die Sexualisierung von Race und Gender ist die Folge.
4.5 ›Narrative of Emasculation‹ – Bigger Thomas Selbstgewisse Maskulinität ist unter den oben entfalteten Bedingungen nur schwer zu erringen. Afroamerikanische Theorie und Literatur des 20. Jahrhunderts umkreist dieses schmerzliche Thema in vielfältigen Variationen. Sozusagen eine Gesellschaftstheorie der Entmannung entwirft der afroamerikanische Soziologe Robert Staples 1982 in seiner einflussreichen Studie Black Masculinity. The Black Man’s Role in American Society.28 Die Sondersituation der Sklaverei habe dem schwarzen Mann Freiheit, Würde, Selbstbestimmung und Vaterschaft genommen, damit die Kontrolle über seine eigene Umgebung, was auch bedeutet die patriarchale Kontrolle über seine Familie. Diese mentale Erbschaft habe sich internalisiert und in die Gegenwart fortgeschrieben. Die Frustration darüber führe zu reaktiven Macho-Verhaltensmustern und produziere zudem eine Paranoia gegenüber einem sogenannten ›schwarzen Matriarchat‹.29 Einerseits sei der schwarze Mann weiterhin struktureller weißer Herrschaft unterworfen, leide also unter einer »subordinated masculinity«. Andererseits erlaubten ihm schlechtere ökonomische und soziale Bedingungen nicht, Versorger und Ober28 | Vor Robert Staples inzwischen klassischer Analyse stand Franklin Fraziers The Negro Family in the United States von 1939 (Frazier 1939). Von ›weißer‹ Seite kommt der Moynihan Report der amerikanischen Regierung The Negro Family. The Case for National Action (1965) zu ähnlichen Ergebnissen. Dort wird behauptet, dass sich in der afroamerikanischen Familie mangels moralischer männlicher Autorität eine ›institutionalisierte Kultur der Devianz‹, sprich eine unkurierbare Kriminalitätsneigung des jungen schwarzen Mannes, entwickelt habe (Moynihan 1965). Der Moynihan Report ist von afroamerikanischen Kritikern scharf angegriffen worden, als Sündenbock- und ›Blaming-the-Victim‹-Theorie (Wilkinson/Taylor 1977). Trotzdem sind Theorien schwarzmännlicher Devianz noch heute einflussreich, siehe die Ausführungen zu Fragen von Kriminalität und Race bei Omi/Winant 1994 und Stabile 2006. 29 | Natürlich hat eine solche Konzeptualisierung von Maskulinität als ein Recht auf patriarchale Kontrolle besonders zur Kritik von schwarzen Feministinnen geführt. So schreibt bell hooks: »To suggest that black men were dehumanized solely as a result not being able to be patriarchs implies that the subjugation of black women was essential to the black male’s development of positive self-concept, an ideal that only served to support a sexist social order« (hooks 1981, 21f).
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haupt einer Familie zu sein.30 Eine viel gelesene Studie über den Habitus afroamerikanischer Männlichkeit zum Jahrtausendende, Cool Pose (1992), beginnt mit den Worten: »Being black and male has meant being psychologically castrated – rendered impotent in the economic, political, and social arenas that whites have historically dominated« (Majors/Mancine 1992, 1). Die soziologischen Formulierungen machen deutlich, wie sehr eine ›Narrative of Emasculation‹ zwischen Opfer- und Re-Maskulinisierungstheorien oszilliert. Am eindrücklichsten lässt sich diese Entwicklung in ihren literarischen Verdichtungen und Inszenierungen in der Literatur beobachten. Richard Wrights Native Son sieht auf den ersten Blick wie eine klassische Opfergeschichte aus. Trotzdem sind Ent-Mannung und Re-Maskulinisierung von Anfang an verwoben. Der Autor orchestriert den Rape-Lynching-Komplex mit dem Bild eines ›Black Beast‹, das man eher von einer rassistischen Perspektive wie Thomas Dixons Clansmen erwarten würde.31 Wie ein Menschenaffe sehe er aus, sagte ein weißes Mädchen, als der Gefangene Bigger Thomas vorgeführt wird. Aber es ist nicht nur die Rollenprosa, auch Richard Wrights Erzählstimme arbeitet im Register des Animalischen: »His lower jaw protruded obnoxiously, reminding one of a jungle beast […] he acted like an earlier missing link in the human species. He seemed out of place in a white man’s civilization« (Wright 1991, 322). Wright porträtiert seinen Helden als seelisch monströs, und er stattet ihn mit einer monströsen Physiognomie aus. Dadurch sind seine Lebenschancen doppelt einschränkt, das rassistische Vorurteil, das ihn psychisch verkrüppelt, wird auf der Ebene visueller Beschreiung geradezu herbeigerufen. Welche Möglichkeiten gibt es für diesen Mann, sich als solcher zu fühlen? Jeder Versuch der Selbstsetzung schreit nach Gewalt, und in der Tat fühlt sich Bigger Thomas zum ersten Mal als Mann, nachdem er Mary ermordet hat. »The knowledge, that he had killed a white girl they loved and regarded as their symbol of beauty made him feel the equal of them, like a man who had been somehow cheated, but now evened the score.« (Wright 1991, 188)
Wright gelingt mit dieser psychischen Volte der Ermächtigung, die Kastrationsdrohung, die in jedem Lynchbild liegt, außer Kraft zu setzen. Hier ist genau der Punkt, wo die klassische Opfergeschichte in ein mörderisches Projekt der 30 | Dazu siehe auch Patterson 1980. 31 | Paul Hoch hat ein ›Black Beast‹-Phantasma als Projektion von Sexualitätsanteilen des weißen Mannes, die für ihn selbst gesellschaftlich tabuisiert sind, auf den schwarzen Mann interpretiert Hoch 1979, 54. Frantz Fanon erklärt das ›Black Beast‹Phantasma ebenfalls zu einer Kreatur des weißen Mannes. In einer Interpretation von Native Son untersucht er einen Zusammenhang von erstickender Repression und reaktiver Explosion (Fanon 1952, 140). Siehe auch Hernton 1987, 61-65.
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Re-Maskulinisierung umschlägt. Lynching – in Biggers Fall als offene Selbstjustiz verhindert, aber durch Rassenjustiz zur Hintertür wieder hineingekommen – findet zwar auf symbolischer Ebene statt, aber Kastration als psychische Entmannung ist nicht mehr möglich, weil, wie Michael Best es ausdrückt, durch die Ermordung der weißen Frau unrevidierbar eine »phallische Investitur« stattgefunden hat.32 Diese negative Teleologie, in der schwarze Maskulinität gegenüber weißer Männer durch die Schändung oder Zerstörung weißer Frauen behauptet werden kann, ist eine Saat des Rape-Lynching-Komplexes.33 Sie geht in den Sechzigern dramatisch auf, wenn Eldridge Cleaver die Vergewaltigung einer weißen Frau zum Akt politischer Auflehnung erklären wird. Richard Wrights Werk ist von Beschreibungen grausamster Lynching-Akte durchwirkt, die sich zu einem universellen Opfertext des schwarzen Mannes vereinigen.34 In seiner Autobiographie Black Boy entwirft er seine ›condition humaine‹ als Gelynchter gegenüber der weißen Gesellschaft, sogar noch bevor er in direkten Kontakt mit ihr tritt: »I had never been in my life abused by whites, but I already had become conditioned to their existence as though I had been victim of thousand lynchings.« (Meine Kursivierung) (Wright 1937, 84)
32 | Stephen Michael Best beschreibt diese Doppelstruktur afroamerikanischer Männlichkeit als »masculine emasculated«, die entweder Kastration oder sexuellen Exzess, sprich »phallic investiture« vorsieht (Best 1996, 112). 33 | Abdul JanMohammed formuliert diesen Zusammenhang von Maskulinisierung und Vergewaltigung in Native Son folgendermaßen: »Wright proceeds from a protagonist so profoundly castrated that he experiences himself as an already ›feminized‹ black male who needs to (re)assert his manhood through rape and murder« (JanMohamed 1992, 108). 34 | Richard Wright hat den Rape-Lynching-Komplex geradezu obsessiv verfolgt (Harris 1984). Vielfach wird das Modell der Gegenaggression oder, moderner ausgedrückt, der Putativnotwehr, variiert, der eine provozierende weiße Frau zum Opfer fällt. In »A Man who Killed a Shadow« (1961) muss ein Hausmeister, um die Bibliothek zu reinigen, einige Zeit mit einer ältlichen weiblichen Angestellten allein in einem Raum zubringen. Obwohl der schwarze Mann vor Unbehagen fast erstarrt, nötigt sie ihn gleichwohl in einem verkrampften Verführungsversuch unter ihrem Tisch zu putzen und ihn damit zu zwingen, unter ihren absichtlich hochgeschobenen Rock zu sehen. Als er das implizite erotische Angebot ablehnt, entwickelt sich ein Wortwechsel mit der wütenden und gedemütigten Frau, der in eine Ohrfeige mündet. Als sie zu schreien beginnt, erschlägt er sie, um einem Vergewaltigungsverdacht zuvorzukommen. Auch hier ist es der Schrei der weißen Frau der Tod des schwarzen Mannes. Er muss erstickt werden, um ihm das Überleben zu ermöglichen.
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Stephen Best umschreibt die Zentralität der Wright’schen Lynching-Metaphorik als »Lynch Pedagogy«.35 Der Kritiker sieht im literarischen Umkreisen ritualisierter Gewalt ein ästhetisch politisches Programm. In dem Gedicht »Between the World and Me« (1935) wird diese spezielle Ästhetisierung des Rape-Lynching-Komplexes zur Universalmetapher in einzelnen Schritten entwickelt (Wright 1935, 18). Ein lyrisches Ich imaginiert sich auf einem Waldspaziergang, stolpert plötzlich über menschliche Knochen und rekonstruiert aus den herumliegenden Dingen eine Lynching-Szene mit großem Publikum. Das rhetorisch sparsame Gedicht entwickelt sich langsam aus scheinbar harmlosen Aufzählungen, die wie Whitmansche Listen eine immer hymnischere Dringlichkeit bekommen. Die Vorstellung, dass es ein Opfer gegeben haben muss, entfalten die Indizien: »A vacant shoe, an empty tie, a ripped shirt, a lonely hat, and a/pair of trousers stiff with black blood«. Die Täter hinterliessen: »buttons, dead matches,/butt ends of cigars and cigarettes, peanut shells, a drained/gin flask, and a whore’s lipstick«. Damit ist der öffentliche Charakter des Lynching als ›Spectator Sport‹ angesprochen (Wood 2009). Die Tat setzt sich zusammen aus: »traces of tar, restless array of feathers, and the lingering smell of gasoline«. Die Außenperspektive des lyrischen Ichs, das sich sozusagen archäologisch ein Lynching rekonstruiert, wird im dritten Vers des Gedichtes aufgelöst. Die Spuren des rassistischen Strafrituals wandern im nächsten Vers in den Leib des Erzählers: »The grey ashes formed flesh firm and black, entering into my/flesh«. Sodann versetzt sich der Erzähler in die Lage des Lynching-Opfers, das den Flammentod als erlösende Taufe empfindet: »Then my blood was cooled mercifully, cooled by the baptism of gasoline«. Und zuletzt ist das lyrische Ich selbst zur Schädelstätte geworden, das seine geschändeten Knochen zur Mahnung ausstellt: »Now I am dry bones and my face a stony skull staring in yellow/surprise at the sun«.36 In diesem Gedicht wird die kulturelle Arbeit des Rape-Lynching-Komplexes demonstriert. Es übersetzt buchstäblich den Verinnerlichungsprozess. Der Dichter sieht nicht 35 | Best 1996. Siehe den Untertitel zu Stephen Michael Bests Aufsatz: »Richard Wright, Lynch Pedagogy, and Rethinking Black Male Agency«. 36 | Jean Toomer hatte gut zehn Jahre früher in seinem Gedicht »Portrait in Georgia« (1923) eine ähnliche poetische Operation vollzogen, nämlich den Skandal des Lynching an einen nicht-geschändeten Körper zu heften. Er hatte allerdings die weiße Frau, den Lynch-Lockvogel, zum Zeichensystem des Lynching gemacht und nicht den erschütterten, das Verbrechen nachträglich rekonstruierenden afroamerikanischen Zeitzeugen, der sich virtuell als Gelynchten inszeniert. Während Toomer noch die (individuelle) Ambivalenz von Verführung und Strafe verhandelt, hat sich Richard Wright in eine allgemeine »Lynching-Pädagogik« erhoben, die jeden schwarzen Mann unter den Fluch des Rape-Lynching-Komplexes stellt (Toomer 1988, 29). Siehe separate Analyse des Gedichtes von Toomer Kapitel 3, S. 213.
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nur die Requisiten eines Lynching-Spektakels, sondern er ist der blutende und verbrennende Körper jedes denkbaren Opfers.37 Lynching ist dermaßen – um im Freud’schen Vokabular zu sprechen – in seinem Über-Ich verankert, dass es sogar seine eigene physische Existenz überdauert und das ›kollektiv Imaginäre‹ repräsentiert. Noch als Schädel zeugt ein Fragment des ›sozialen Körpers‹ vom kollektiven Schuld- und Opferzusammenhang des Rape-Lynching-Komplexes. Ein Jahrzehnt später gestaltet Ralph Ellison am Schluss seines epochalen Romans Invisible Man (1952) ebenfalls eine (geträumte) Lynching-Szene in poetischen Metaphern. Die universelle Drohung der Kastration findet in diesem Text nicht über einen rituellen Lynching-Akt statt, der die angebliche Vergewaltigung einer weißen Frau zum Vorwand genommen hätte. Stattdessen wird sie in einer alptraumhaften Konfrontation mit allen weißen und schwarzen Männern herausgearbeitet, die dem ›Unsichtbaren Mann‹ im Laufe des Romans ›Manhood‹ verweigert hatten. Im Chor des Kastrationsmobs taucht Bledsoe auf, der nach Booker T. Washington modellierte Direktor eines schwarzen Colleges, der – gegenüber den Weißen katzbuckelnd – ein strenges Regime über seine schwarzen Studenten exerziert. Es erscheint der afrozentrische schwarze Führer Ras, der den ›Unsichtbaren Mann‹ wegen seiner Zusammenarbeit mit weißen Liberalen als Verräter brandmarkt. Und zuletzt betreten weiße Honoratioren inklusive des Zentralkomitees der kommunistischen Partei, im Roman ›Bruderschaft‹ genannt, die Bühne des Alptraums. Alle zusammen stellen den Flüchtenden und versuchen, ihn für ihr jeweiliges Projekt – quietistischen Reformismus, Race-Revolution oder Kommunismus – zu vereinnahmen. Der ›Unsichtbare Mann‹ dagegen verweigert alle ihre Programme und sagt, dass er keine Illusionen mehr habe. Daraufhin rotten sich seine Gegner zusammen und kastrieren den unbotmäßigen Individualisten. »But now they came forward with the knife, holding me; and I felt the bright red pain and they took the two bloody blobs and cast them over the bridge, and out of my anguish I saw them curve up and catch beneath the apex of the curving arch of the bridge, to hang there, dripping down through the sunlight in to the dark red water. […] ›Now you’re free of illusions‹, Jack said, pointing to my seed wasting upon the air.« 38
So wie Richard Wright in seiner poetischen Epiphanie das lyrische Ich in den Schädel des gelynchten Mannes versetzt hatte und ihn als Mahnung in den Himmel starren lässt, so figuriert hier das abgeschnittene Geschlecht im Alp37 | Zur Theorie des ›Seins‹ von Körpererfahrung sagt Bourdieu: »Was der Leib gelernt hat, das besitzt man nicht wie ein wiederbetrachtetes Wissen, sondern das ist man« (Bourdieu 1997, 122-147, hier 135). 38 | Ellison 1965, 458f. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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traum des ›Unsichtbaren Mannes‹ als Kristallisationspunkt einer Eschatologie. Während bei Wright eher die Figur des mahnenden Opfers zu metaphysischer Überhöhung gebracht wird, dient Ellison das Zeichen Kastration als Warnung vor einem Race-Krieg, der die Welt, wie man sie bisher kennt, vernichten wird. Auch hier, wie bei Wright, ist der gestirnte Himmel Zeuge. Der ›Unsichtbare Mann‹ ruft seinen Schändern zu: »[…] there’s your universe, and that drip drop upon the water you hear is all the history you’ve made, all you’re going to make« (meine Kursivierung) (459). Lynching wird von Ellison hier nicht nur als Diziplinierungsinstrument des weißen Mannes interpretiert, sondern als ein Regime, in das sich schwarze Projekte eingepasst haben, das ihnen selbst zur Voraussetzung ihres Handelns geworden ist und das sie als Legitimationshintergrund ihrer Haltungen brauchen. Nach dieser Interpretation ist es also nicht unlogisch, wenn sich afroamerikanische Männer selbst an der Kastration beteiligen, sich – im übertragenen Sinne – selbst kastrieren. Hier wird die Machtwirkung des Rape-Lynching-Komplexes besonders deutlich. Die Kastration gilt keiner imaginierten sexuellen Verfehlung, sondern beschreibt eine Sanktion für die Verweigerung der Verinnerlichung eines Diskurses, die den schwarzen Mann auf dem ihm zugewiesenen, niedrigen Platz halten soll. Dem Druck dieser Disziplinierung, fürchtet der Erzähler, werden die Betroffenen nicht mehr lange standhalten. Die Gewalt der Gegenreaktion konkretisiert sich in der Phantasie eines Roboters, der sich in Gestalt der Brücke mit eisernen Füßen anschickt, alles niederzutrampeln. In der letzten Geste des Romans erhebt sich der verstümmelte Mann unter Schmerzen und ruft: »No, no, we must stop him« (459). In Richard Wrights poetischer Vision figuriert das lyrische Ich als Schädel – als Mahnmal der Anklage gegen das weiße Verbrechen und verbleibt damit auf dem (Lynching-)Schlachtfeld. Das frisch pulsierende Blut in Ellisons Roman symbolisiert dagegen einen politischen Appell zur Umkehr, allerdings nicht in eine kollektive Politik, sondern in Richtung einer individualisierten Subjektposition.
4.6 Szenen einer Konditionierung – Ellisons ›Battle Royal‹ Grundsätzlich hat der Rape-Lynching-Komplex eine trianguläre Struktur. In dem ehernen Verbot, eine weiße Frau auch nur begehrend anzusehen, manifestiert sich über die Errichtung eines Tabus die Herrschaft des weißen Mannes. Paradigmatisch hat Ralph Ellison das in der berühmten und vielfach analysierten ›Battle Royal‹-Szene im Invisible Man (1952) gestaltet. Eine Gruppe schwarzer Highschool-Absolventen wird zur angeblichen Ehrung ihrer Leistungen zu einem Festakt mit ausschließlich männlichen weißen Honoratioren bestellt. Ironischerweise hatte sich der junge Protagonist die erwartete Auszeichnung durch eine Schulabschluss-Rede in der quietistischen Tradition von Booker T. Washington verdient, inder er den ›Schwarzen Mann‹ zur Bescheidenheit
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mahnt, d.h. sein rhetorischer Verzicht auf selbstgewisse Maskulinität (Selbstkastration) hatte ihn für eine Belohnung qualifiziert. Doch statt des Festaktes ist im Saal ein Boxring aufgebaut. Die angetrunkenen Honoratioren fordern die Preisträger auf, sich in Sportdress zu kleiden und gegeneinander anzutreten. Als die Jungen vor den grölenden Zuschauern erscheinen, erblicken sie zu ihrem Entsetzen eine vollkommen nackte Frau, eine »magnificent blonde« (20), auf deren Bauch eine amerikanische Flagge tätowiert ist. Das tiefe Wissen um den verbotenen Blick überschwemmt den Erzähler mit einer Woge von irrationaler Schuld und Angst, die ihm fast die Sinne schwinden lässt. Trotzdem kann er um den Preis der Blindheit seinen Blick nicht lösen. Je länger er sich dem verbotenen Blick hingibt, desto hässlicher kommt ihm der dargebotene weibliche Fetisch vor, das maskenhafte Gesicht der Frau erscheint ihm rot wie der Hintern eines Pavians, und er wird von Hass überschwemmt. Er will ihr ins Gesicht spucken, doch gleichzeitig will er flüchten, in den Boden versinken, die Frau vor den Blicken schützen, sie liebkosen und sie vernichten. Auch die weißen Männer, die dritte Achse des magischen Dreiecks, sind von der tanzenden Frau fasziniert. Sie versuchen sie zu berühren, ihrer in einer Orgie von Massenvergewaltigung habhaft zu werden. Da trifft der Blick des Jungen den der nackten Frau, und er erkennt durch ihre lächelnde Maske hindurch in ihren Augen das gleiche Entsetzen und die gleiche Abscheu, die ihn selbst fast überwältigt. Eine Gemeinschaft der Entwürdigten scheint dort auf, die eine Verbindung schaffen könnte, wenn die beiden Figuren Subjekte der Szene wären. Stattdessen werden ihre Körper und Seelen nur ausgestellt und vorgeführt, um ihnen in der Choreographie eines Initiationsritus gemeinsam das Stammeszeichen eines Herrschaftsverhältnisses einzubrennen. Die Battle Royal-Szene besetzt drei Standardrollen: den unter Todesangst (Kastrationsdrohung) gefesselten Knecht, die bezahlte Verführerin und vorgeführten Fetisch und die herrschende Claque der Voyeure, die sich mit gedoppeltem Vergnügen an der Verzweiflung ihrer Marionetten ergötzen. Aber die rassistische Funktionalisierung von Begehrensstrukturen ist nicht nur heteronormativ, sondern setzt auch die schwarzen Jungen und die weißen Männer in Beziehung. Einige der weißen Männer zwingen die Jungs wegzuschauen und andere zwingen sie hinzuschauen. Daniel Kim liest die großen schwarzen Zigarren der weißen Männer und die unwillkürlichen Erektionen einiger vorgeführter Schüler als Zeichensystem eines homoerotischen Rassismus (Kim 1997, 309). Kim weiterführend argumentiert Douglas Stewart: »Thus the erection spectacle operates to position the black boys as the erotic objects of the white homosocial gaze while simultaneously excluding them from the advantage that homosexuality confers on the white men« (Steward 2003, 524). Im weiteren Verlauf seines ›Erziehungsromans‹ erforscht Ellison den Rape-Lynching-Komplex aus der Perspektive der geglückten Internalisierung des
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Herrschaftsverhältnisses. Der Protagonist, inzwischen erwachsen und aktiver kommunistischer Agitator, wird von einer weißen Genossin zur politischen Diskussion in ihre Wohnung gebeten. Die sich schnell als Verführungsversuch entfaltende Szene stürzt den Helden in die gleiche Ambivalenz zwischen Mordlust und Kastrationsangst, die schon die Wright’schen Helden ins Verderben getrieben hatte: »I wanted both, to smash her and to stay with her and knew that I should do neither« (335). Trotz des Fluchtimpulses findet eine erotische Begegnung statt, doch raubt ihm post festum eine archaische Angst den Schlaf, die weiße Frau könne aufwachen und ›Vergewaltigung‹ schreien, zumal er nicht weiß, ob der in der Nacht heimgekehrte Ehemann ihn in der Dunkelheit im Bett seiner Frau erkannt hat. In Panik überlegt er, ob man ihn auf die Probe stellen wollte oder ihn in eine Falle hat laufen lassen. Er befürchtet, dass er zur Diskreditierung der Bewegung genutzt werden könnte oder gar den impliziten Rassismus der Partei rechtfertigen soll, indem er öffentlich an den Pranger gestellt würde. Der ›Unsichtbare Mann‹ bringt die tödliche Logik der triangulären Struktur des Rape-Lynching-Komplexes auf den Punkt: »Why did they have to mix their women into everything? […] Why did they insist upon confusing the class struggle with the ass struggle, debasing both us and them.« (337)
Ralph Ellison treibt den Rape-Lynching-Komplex zu einer aberwitzig farcenhaften Verdichtung in einer zweiten Verführungsszene. Der ›Unsichtbare Mann‹ wird seiner politischen Pflichten in Harlem enthoben, da er eine zu erfolgreiche, sprich zu maskuline, Politik gemacht hatte, die zu schwarzen Ghettoaufständen führte. In einer Mischung aus Eifersucht, Kleinmut, politischem Opportunismus (gegenüber der anti-kommunistischen ›Red Scare‹) und Partei-Raison wird der schwarze Agitator abkommandiert und dazu eingeteilt, zur Frauenfrage zu agitieren. Eine Genossin bittet um politische Instruktion, um dann recht übergangslos den Wunsch vorzutragen, ›vergewaltigt‹ zu werden.39 Der inzwi39 | Eine Studie zu Ellisons früheren Verbindungen zur amerikanischen Kommunistischen Partei entdeckte in älteren Versionen eine durchaus positive Beschreibung einer romantischen Beziehung zu einer weißen Genossin namens Louise, die aber einer antikommunistischen Selbstzensur des Autors zum Opfer gefallen ist (Foley 2003, 172). Ein weiblicher Vergewaltigungswunsch wird auch schon in der bereits erwähnten Erzählung von Wright, »A Man who Killed a Shadow«, eingeführt. In Chester Himes frühem Roman If He Hollers Let Him Go (Himes 1945) wird diese Seite des Rape-Lynching-Komplexes noch radikaler untersucht. Eine Arbeitskollegin umschwirrt hier den Helden mit Zeichen von Angst und Begierde. In einer der vielen Verführungsversuche sagt sie den Satz »All right, rape me, nigger«. Zitiert nach Harris 1984, 59. Amiri Baraka kippt 1964 die ganze Konstruktion des in einer Verführungssituation erzeugten Vergewaltigungswunsches wie ein Vexierbild. In seinem berühmten Theaterstück The Dutchman (1964), macht eine
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schen etwas abgebrühtere Protagonist macht die Verführerin betrunken und schreibt der von Alkohol halb besinnungslosen Frau mit ihrem Lippenstift auf den Bauch SYBIL YOU WERE RAPED BY SANTA CLAUS: SURPRISE (420). Ellison parodiert in dieser Szene die alten Primitivismus-Tropen der zwanziger Jahre und identifiziert sie klar als Phantasmen der weißen Frau: »I had to join her little dramas which she had dreamed up around the figures of Joe Louis and Paul Robeson […] I was expected to sing ›Old man River‹ […] or to do fancy tricks with my muscles […] (she casted me) in fantasies in which I was Brother Taboo-withwhom-all-things-are-possible.« (426)
Wenngleich Ellison sich im Invisible Man von der Sexualpolitik weg und zum politischen Konflikt hin bewegt, vermag die Dekonstruktion durch Lächerlichkeit die Kastrationsdrohung doch nicht ganz zu entschärfen. Während bei Wright die Gewaltverhältnisse konkret und unmittelbar erfahren werden, entwickelt Ellison eine Strukturanalyse, die auch die Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft mit einbezieht und damit die Matrix des Rape-Lynching-Komplexes differenzierter erforscht.
4.7 Baldwins Dilemma James Baldwin ist der erste Autor, der die Logik einer unausweichlichen und sexualisierten Opferposition des schwarzen Mannes attackiert. Er beruft sich dabei auf Ralph Ellison, bei dem er erste Anzeichen wahrnimmt, die Ambiguität und Ironie des schwarzen Alltags literarisch einzufangen (Baldwin 1995a, 16). Am Beispiel der Prosa seines ehemaligen Förderers Richard Wright arbeitet Baldwin heraus, dass reaktiv gewalttätige Schwarze wie Bigger Thomas nur eine Widerspiegelung weißer ›Black Beast‹-Theorien sind. Er argumentiert, dass sich die Autoren der ›Negro-Protestromane‹ an der Perpetuierung des Bildes eines rohen, gewalttätigen, ungebildeten, geschichts- und kulturlosen Schwarzen beteiligt haben, anstatt ein vielschichtigeres Bild des schwarzen Menschen zu zeichnen. Maskulinität sei innerhalb dieses kulturellen Szenarios nur als Gewaltexplosion vorstellbar: »All of Bigger’s life is controlled, defined by his hatred and his fear. And later, his fear drives him to murder and his hatred to rape; he dies having come, through his violence, weiße Frau einen schwarzen Fahrgast in der U-Bahn so lange an, bis er zögernd auf ihren Flirt eingeht. Sie dreht dann den Spieß um und behauptet, belästigt worden zu sein, und ersticht ihr Opfer. Dabei macht sie die weißen Fahrgäste zu einem passiven Lynch-Mob, die alle, obwohl sie die Situation erfassen den Zug verlassen ohne einzugreifen (Baraka 1979a). Siehe zu dieser Szene auch Steward 2003, 527f.
4. D AS M ASKULINITÄTSPROJEK T […] to a kind of life, having for the first time redeemed his manhood.« (Baldwin 1995b, 27)
Baldwin hält gegen Wright, dass Hautfarbe nichts mit Zugang zur eigenen Geschichte, zu Ethik, Menschenwürde und Kunst zu tun hat40 und Männlichkeit sich nicht notwendigerweise über Gewalt ausdrücken müsse.41 Ähnlich wie W.E.B. Du Bois formuliert Baldwin seinen eigenen Anspruch an Maskulinität sehr bewusst aus einem abendländischen Bildungskontext heraus, wobei er denselben gleichzeitig gegen seine weißen Repräsentanten ausspielt: »Negroes want to be treated like men: A perfectly straightforward statement, containing only seven words. People who have mastered Kant, Shakespeare, Marx, Freud, and the Bible find this utterly impenetrable.« (Baldwin 1985, 211-212)
Ralph Ellison hatte den Rape-Lynching-Komplex weitgehend entsexualisiert und auf die Ebene einer analytischen Allegorie gehoben. Im Epilog zu Invisible Man freilich materialisiert er ihn wieder zu einer weißen Verschwörung. Der ›Unsichtbare Mann‹ begründet sein inneres Exil im Keller mit der Angst davor, dass die Gestalten seines Traumes draußen mit ihren Messern darauf warten, »das Männchen zu kastrieren«, wie es in der deutschen Übersetzung heißt, oder »to ball the jack«, wie das amerikanische Original lautet.42 James Baldwins literarische Gestalt Rufus Scott in Another Country (1960) dagegen versteckt sich nicht im Keller. Im Gegenteil, der Jazzmusiker lebt in Greenwich Village und hat vorwiegend weiße Freunde, die – im Unterschied zu den Genossen aus Ellisons kommunistischer Partei – auch keiner ideologischen Vorgabe bedürfen, um ihre schwarzen Brüder als solche anzuerkennen. Auch trifft er in seinem Liebesleben eine eigenständige Wahl und bedarf nicht des Topos des Lynch-Lockvogels, der fast schon zum literarischen Klischee afroamerikanischer Literatur gewordenen Figur der verführerisch bedrängenden weißen Frau. 40 | Baldwin schrieb: »For Bigger’s tragedy is not that he is cold or black or hungry, not even that he is American, black: but that he has accepted a theology that denies him life, that he admits the possibility of his being sub-human and feels constrained, therefore, to battle for his humanity according to those brutal criteria bequeathed to him at his birth« (Baldwin 1995b, 27f). 41 | Fast zwanzig Jahre später begründet der militante Eldridge Cleaver eine bösartige Attacke auf James Baldwin, die ihn unter anderen als kranken Homosexuellen angreift, damit, dass er sich von der gewaltbereiten, zweifellos heterosexuellen Maskulinität von Wrights Helden bedroht gefühlt und deshalb ein Brutus-Messer in die Leiche von Richard Wright gestoßen habe (Cleaver 1992, 103). 42 | (Ellison 2003, 636), deutsch. (Ellison 1965, 464), englisch.
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In Another Country lauert das Verderben nicht im feindlichen Außen, sondern es ist ein korrespondierendes System von innerer Selbstverachtung und äußerem Hass. Rufus begegnet Leona, einer weißen Südstaatlerin, die gerade einer demütigenden Ehe entkommen ist und New York als Ort von Freiheit und Abenteuer romantisiert. Auch hier ist die Choreographie mit Vorzeichen von Gewalt durchsetzt. Eine erste Annäherung simuliert eine Vergewaltigung, löst sich aber in einverständiger Sinnlichkeit auf. In der Phantasie wird zunächst eine Lynching-Assoziation eingeführt, mehr um die Größe der Leidenschaft zu illustrieren als um Bedrohung zu evozieren. Als Rufus das erotische Angebot Leonas begreift, räsoniert er: »Nothing could have stopped him, not the white God himself nor a lynchmob arriving on wings«.43 Die Eröffnung enthält die Exposition des ganzen Drehbuchs. Nach der Vergewaltigungsgeste beginnt Leona zu weinen, und Rufus tröstet sie mit den prophetischen Worten: »I’d give you something to cry about« (26). Amiri Bararka präzisiert in seinem etwa zeitgleichen Stück Slave, das ebenfalls eine implodierende schwarz-weiße Beziehung zum Thema hat, das von Baldwin gestaltete Dilemma in dem Satz: »I hated you, because I wanted you« (meine Kursivierung) (Baraka 1979b, 114). Die sich entwickelnde Beziehung ist von Anfang an mit Momenten des Scheiterns durchwirkt. Sexualität wird zu einem Schlachtfeld, auf dem nach einer bitteren Logik gekämpft wird: Desto mehr und tabuloser Leona sich Rufus hingibt, je mehr sinkt sie in seiner Achtung. Er fühlt sich nur in seiner Funktion als Liebhaber, als »walking phallus« wahrgenommen (Baldwin/Mead 1973, 40). Es ist hier also gar kein realer Lynchmob nötig, Rufus und Leona für ihre Transgression zu strafen. Auch ohne direkte Konfrontation sieht Rufus sich einem weißen Vernichtungswillen ausgesetzt: »They got the world on a string, man, the miserable white cock-suckers, and they tying that string around my neck, they killing me« (425). Nach langer Qual sucht Rufus aus Selbsthass den Freitod.44 Mitte der sechziger Jahre kommt die ›Erzählung der Ent-Mannung‹, die den Race-Diskurs über afroamerikanische Männlichkeit seit Richard Wright bestimmt, zu ihrem vorläufigen Ende. Das archaische Setting Richard Wrights, in dem Gewalt immer neue Gewalt ausbrütet, verfeinerte sich im Laufe der Zeit bei Ellison und Baldwin zu strukturellen Analysen. Diese tauchen in die 43 | Baldwin 1998, 384. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 44 | Baldwins Literatur ist defätistischer als seine kämpferische Essayistik. In seiner Polemik gegen den Negro-Protestroman der Bigger Thomas-Schule fordert er dazu auf, die innere Mechanik von Hass und Selbsthass zu zerbrechen. Maskulinität müsse jenseits von blinder Aggressivität und dem entmannten inneren ›Nigger‹ entwickelt werden. Denn ließe er sich von diesem Dilemma fesseln, hätte der schwarze Mann sein Geburtsrecht als Mann aufgegeben: »He has surrendered his birthright as a man no less than his birthright as a black man« (Baldwin 1995c, 41).
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Feinmechanik von Verinnerlichungsprozessen ein und allegorisieren dabei wie Ellison im Battle Royal die psychosexuelle Einprägung des Rape-Lynching-Komplexes oder zeichnen wie Baldwin die »racialized oedipal narrative« (Kaplan 1996, 51) in der Seele weißer Männer nach. Generell aber hat man es mit einem Opfertext zu tun, der den Ausweg aus der Entmannung in der Anerkennung durch den weißen Mann sucht.
E RZ ÄHLUNG DER E RMANNUNG 4.8 ›I am a Man‹ Jenseits des Musters von Anerkennung durch den weißen Mann bewegt sich ein neu entstehender Diskurs der Er-Mannung, die ich im Kontrast zur Erzählung der Entmannung eine ›Narrative of Re-Masculinization‹ nennen möchte. Im Zuge der Bürgerrechtsbewegung verlor der auf der Unveränderbarkeit der Verhältnisse gründende Opferdiskurs an Bedeutung. Die neuen kämpferischen Positionen wollten ihr eigenes Maskulinitätsmodell von weißer Anerkennungsdomäne abkoppeln. Sie mussten sogar noch weiter gehen und ›weiße Maskulinität‹ anzweifeln, wie das Amiri Baraka tut: »Most American white men are trained to be fags. For this reason it is no wonder that their faces are weak and blank, left without the hurt that reality makes […] That red flush, those silk blue faggot eyes.« 45 (Meine Kursivierung)
Die Schwäche weißer Männlichkeit sieht Baraka in der Vernachlässigung des physischen Körpers, die er mit dem Schimpfwort ›fag‹ eher ins homosexuelle Register einschreibt als in eine Feminisierung.46 Eine nicht aus der Gewalt geborene Vorstellung von Maskulinität ist für den Black Muslim und späteren Black Panther Eldridge Cleaver undenkbar. Aus dem Gefängnis, wo er eine Strafe wegen Körperverletzung und Vergewaltigung absitzt, schreibt er eine wütende Polemik gegen Baldwin, insbesondere gegen dessen Angriff auf Richard Wright. Die Subtilität von Baldwins Gewaltanalyse in Another Country erscheint ihm so effeminiert wie Martin Luther Kings Kampagnen mit gewaltlosem Widerstand. Sie ist ihm lediglich 45 | Baraka 1966, 216. Für eine genauere Analyse dieses Textes siehe Harper 1996, 10f. 46 | Ron Simmons leitet die bei Baraka besonders spürbare Homophobie aus eigenen Ambivalenzen gegenüber seiner sexuellen Orientierung in seiner frühen Zeit in Chicago ab, die in seinem autobiographischen Frühwerk The System of Dante’s Hell (1966) auch relativ unverschlüsselt diskutiert werden (Simmons 1999).
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Symptom für Baldwins »self-effacing love for his oppressors«. Die Figur Rufus Scott ist in seinen Augen »a pathetic wretch […] who took a Southern Jezebel for his woman, with all that what these tortured relationships imply, was the epitome of a black eunuch who completely submitted to the white man« (Cleaver 1992, 104). In den Augen von Cleaver führt Baldwin einen publizistischen Guerillakrieg gegen schwarze Männlichkeit. Sein eigenes Programm dagegen ist eines der aktiven Selbstsetzung. Es darf nicht mehr um Anerkennung schwarzer Männlichkeit durch die weiße Gesellschaft gehen, sondern sie muss sich in einem Akt unmissverständlichen Widerstandes manifestieren.
Abbildung 16 Die afroamerikanischen Psychologen William Grier und Price Cobbs schrieben 1965 in ihrem Klassiker Black Rage: »Whereas the white man regards his manhood as an ordained right, the black man is engaged in a never ending battle for its possession. For the black man, attaining any portion of manhood is an active process« (Grier/Cobbs 1968, 49). (Abb. 16) Die berühmten Demonstrationsphotos eines Müllmänner-Streiks in Memphis, auf denen schwarze Männer Schilder tragen, auf denen »I am a Man« steht, sprechen dazu eine deutliche Sprache. Die Maskulinität des weißen Mannes auf dem obigen Bild ist für ihn selbst fraglos. Er würde sich im Gegenteil lächerlich – d.h. entmannt – vorkommen, trüge er ein Schild, das seine Männlichkeit behauptet. Damit würde er konzedieren, dass man sie in Zweifel ziehen könne. Opfer staatlicher Repression zu sein, beraubt ihn nicht seines eigenen und dem von außen anerkannten Selbstverständnis als Mann. Die schwarzen Demonstranten dagegen benutzen das Poster »I am a Man« zu einem doppelten Zweck. Sie konstituieren sich erstens als Einzelsubjekte – das am (ich bin) auf dem Plakat ist unterstrichen – und sie stellen sich zweitens als vielköpfige – i.e. machtvolle – politische Opposition von Männern dar. Der Black Muslim-Führer Malcolm X hat wie kein anderer maskuline Selbstsetzung zum politischen Programm gemacht. Er hat Frederick Douglass’ Slogan
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vom Sklaven, der zu einem Mann werden muss, zu einem Projekt repräsentativer Maskulinität zugespitzt, das nicht nur für alle schwarzen Männer sprechen will, sondern auch stellvertretend für sie handelt. Eine seiner letzten Reden vor seiner Ermordung beginnt er mit den Sätzen: »I’m the man you think you are. And if it doesn’t take legislation to make you a man and get you recognized, don’t even talk to that legislative, talk to me. No, if we were both human beings we’ll both do the same thing. And if you want to know what I’ll do, figure out what you’ll do. I’d do the same thing – only more of it.« (Malcolm X 1964, 25)
Maskulinität figuriert hier als politische und revolutionäre Setzung, die Malcolm X zuerst als Imam einer Muslim-Moschee und Sprecher Muhammad Elijas und dann nach dem Schisma als Agitator in eigner Sache glaubhaft verkörpert. Der Plot von Malcom X’ Lebensgeschichte, die er Alex Haley erzählt, löst sich aus der bisherigen Tradition von Autobiographien afroamerikanische Männer, deren Handlungsfaden von der Unterdrückung zur Entwicklung von Lebenschancen geführt wurde (Stone 1978, 176). Die Schilderung des Leidens des schwarzen Volkes diente bis dahin als politische Mahnung, von der Gesellschaft in ihrer jetzigen Struktur Gerechtigkeit einzufordern. Der lange Kampf und die Ehrenhaftigkeit des geschilderten Lebens waren in der afroamerikanischen, autobiographischen Tradition für zwei verschiedene Leserschaften exemplarisch konstruiert. Der eigenen Race sollten sie Heldenlegende und Vorbild liefern, der weißen Gesellschaft sollten sie Respekt und Achtung abnötigen und deren rassistische Vorurteile widerlegen. Dieser reformistischen Selbstinszenierung, die sich um Verbesserung der Lage innerhalb des Systems bemüht, stellt Malcolm X einen revolutionären Selbstentwurf entgegen, der keine ›moralische Geschichte‹ im klassischen Sinn mehr ist, sehr wohl aber eine Konversionsgeschichte.47 Manning Marable hat darauf hingewiesen, dass die inzwischen ikonische ›Autobiographie‹ von Malcolm X, auf die sich unzählige schwarze Konversiongeschichten zur politischen Radikalität beziehen, ein hoch-konstruiertes Werk ist (Marable 2009). Es speist sich aus drei Quellen: Malcolm Interviews, Malcolms eigene Mitschriften während des Interviews und Haleys Montagen, Zusammenfassungen, Kürzungen und Umstellungen. Neben dieser direkten Editionstätigkeit, die zum großen Teil noch mit Malcolm X abgesprochen war, kommen indirekte Einflüsse. Die Entstehung des Manuskripts war von ständigen juristischen Einsprüchen des ersten Verlegers Doubleday begleitet, die zu Vorabzensur geführt haben (insbesondere bei antisemitischen Passagen), andere Kapitel wurden im Nachhinein herausgeschnitten. So behauptet Marable, 47 | Eakin 1993. Siehe ausführlichere Erläuterungen zur afroamerikanischen Autobiographie in Kapitel 7, Abschnitt ›Autobiographische Operationen‹.
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dass das vollständige Manuskript Malcolm X nach seiner Pilgerfahrt nach Mekka viel deutlicher als Vereiniger des radikalen Flügels und der Martin Luther King Tradition positioniert habe, und dass eine solche Version möglicherweise politisch verhindert wurde. Dazu kommt, dass Alex Haley selbst Republikaner war und jedem schwarzen Nationalismus oder Autonomiebegehren gegenüber feindlich eingestellt war. Malcolm X zeichnet sich (oder lässt sich zeichnen) von Anbeginn als Outlaw, als schwer zu disziplinierendes Heimkind, Ghetto Hustler, Zuhälter in Boston, Rauschgiftdealer und illegaler Buchmacher in Harlem, zuletzt als Rauschgiftsüchtiger, Einbrecher und Strafgefangener. Zwischen ihm und der als unheilbar rassistisch gezeigten weißen Welt gibt es weder Verbindung noch Versöhnung. Kriminalität ist ein legitimes Mittel, in einer chancenlosen Situation zu überleben. Gegenüber der weißen Gesellschaft braucht es keine Überzeugungsarbeit, sondern nur Schuldzuweisung: »All of us – who might have probed space, or cured cancer, or built industries – were instead black victims of the white man’s American social system« (Malcolm X 1964, 104). Zwar haben wir es immer noch mit Resten einer ›Narrative of Emasculation‹ zu tun, denn die Urszene – Kastration durch den weißen Mann – ist Ausgang der Überlegung: »The rapist slavemaster who emasculated the black man«.48 Doch im Zentrum steht nicht das Beharren auf einer Opfergeschichte, sondern eine politisch motivierte Gegenaggression, eine Re-Maskulinisierung als Ich-Werdungsakt, die sich vor allem in Opposition zum weißen Mann als ›gleichwertigem‹ Konfliktgegner proklamiert: »The raw naked truth exchanged between the black man and the white man […] is needed in this country« (102). Der Rape-Lynching-Komplex tritt in einem solchen Selbstentwurf hinter eine Erzählung der Ermannung zurück. Die Aggressivitätsschübe von Richard Wrights Black Boys und Native Sons waren reaktive Explosionen, die von Angst und Dehumanisierung hervorgetrieben waren. Gewalt ist hier nicht als revolutionäres Fanal, sondern als ultima ratio eines Verzweifelten zu sehen. Lynching dient in diesem Zusammenhang als Symbol für das erklärte Ziel der weißen Gesellschaft, Schwarze auszurotten. Wie demonstriert, wird dabei das Macht/ Ohnmachtsverhältnis zwischen weißem und schwarzem Mann sexualisiert, um über die Errichtung von verbotenen Zonen Macht wirkungsvoller zu exekutieren und in den Betroffenen zu internalisieren. Das Begehren selbst ist nicht das Zentrum der Besorgnis, sondern die Waffe, die sich im Ernstfall gegen den tabubrechenden Begehrenden richtet. Diese Struktur entspricht weitgehend der Fassung, die Foucault dem Sexualitätsdispositiv gibt.
48 | Malcolm X 1964, 232. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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4.9 Kulturelle Autorisierung – ›Nation of Islam‹ Wenn eine Politik der Remaskulinisierung ins Werk gesetzt werden will, muss sie sich der Quellen der Autorisierung versichern. Das Maskulinitätskonzept einer weißen Suprematie speist sich aus zwei Quellen: einem kulturellen Überlegenheitsanspruch des weißen Mannes, der sich in seinem Nicht-SchwarzSein manifestiert, und dem sexuellen Herrschaftsanspruch, der sich in seinem Nicht-Frau-Sein signifiziert. Die große Attraktivität der Black-Muslim-Bewegung beruhte auf einem Konzept, das auch schwarzen Männern eine solche Doppelbinarität49 der kulturellen und sexualpolitischen Autorisierung ermöglichte: Erstens der ›umgedrehte‹ Schöpfungsmythos – »countermyth« (Kelley 1998, 427) – der afrozentrischen Theogonie der Nation of Islam, der das NichtWeiß-Sein zu einem Adelstitel erhebt, und zweitens eine religiös begründete Sexualpolitik, in der die Unterordnung der schwarzen Frauen und ihre Funktionszuweisung als Gebärerinnen eine – um mit den Worten von Paul Gilroy zu sprechen – »authoritarian, pastoral patriarchy« (Gilroy 1993c, 197) bildet. Wichtig ist anzumerken, dass auf den ersten Blick weiße Frauen in diesen Autorisierungs-Zusammenhängen keinen systematischen Platz haben. Die Black-Muslim-Theogonie kann hier nur kurz wiedergegeben werden. Ihr zufolge waren ursprünglich alle Menschen schwarz, lebten in Afrika und hatten eine große Kultur gegründet, von der die glorreiche Rasse der Shabazz die stärkste war. Ein dissidentischer Wissenschaftler namens Yacub wurde zusammen mit seinen Anhängern nach Patmos ausgewiesen. Aus Zorn über Allah beschloss er, den Teufel auf Erden zu erschaffen und züchtete über Generationen mit Mendelscher Auslese eine hellhäutige Rasse, die, je schwächer sie wurde, an Heimtücke und Bösartigkeit gewann. Zuerst entstanden so die Roten, dann die Gelben und schließlich die weißen ›Teufel‹, die sich dann wieder nach Afrika einschifften und dort binnen Kurzem die friedliche und reiche menschliche Ursprungs-Kultur in Kriege stürzten. Zur Strafe wurden sie in Ketten gelegt und fast nackt in europäische Höhlen deportiert. Allah sandte dann Moses, um den weißen Mann zu zivilisieren. Die Juden waren die ersten, mit denen die Zivilisierung gelang. Eine Prophezeiung legt fest, dass die weißen Teufel danach für sechs Jahrtausende die Welt regieren würden. Diese Periode ist nun zu Ende. Der Voraussage 49 | Ausgangspunkt für meine heuristische Begriffsbildung ›Doppelbinarität‹ war ein Gespräch zwischen Margaret Mead und James Baldwin Rap on Race 1971, wo beide ihre jeweilige Hauptopposition Nicht-Weiß (Baldwin) und Nicht-Mann (Mead) thematisierten. Margaret Mead sagt darin: »Es gibt viele solcher Menschen auf der Welt, Leute, die der weißen Welt entstammen, einer Welt, die davon gelebt und ihre Würde und ihre Identität darauf gegründet hat, dass sie nicht schwarz war – so wie viele Männer in diesem Land ihre Überlegenheitsgefühle darauf gegründet haben, dass sie keine Frauen sind.« Zitiert nach der deutschen Übersetzung. Siehe Baldwin/Mead 1973, 176.
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zufolge sind die stärksten und besten Schwarzen, der Stamm der Shabbazz, als Sklaven nach Amerika gebracht worden, um allen, die sich gegen die Unterdrückung der Weißen erheben, Zeugnis über diesen teuflischen Ursprung zu geben und den Kampf um ihre Vernichtung anzuführen (190f).50 Diese Inversion des judäo-christlichen Schöpfungsmythos erfüllt die Funktion einer kulturellen Autorisierung. Das Bild der ›weißen Teufel‹51 und einer schwarzen Hochkultur legitimiert Revolution und ermutigt zu einem Herrschaftsanspruch. Die Gegenüberstellung von Schwarz (gut) gegen Weiß (schlecht) kann damit außerhalb des Opferparadigmas gedacht werden. Der internalisierte Selbsthass – Du Bois’ ›Tragic Twoness‹ der inneren Selbstwahrnehmung, die vom rassistischen Blick von außen perpetuiert wird – kann in schwarzen Stolz umgewandelt werden.52 In der Forschungsliteratur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich bei der Nation of Islam um keinen genuinen Islam handelt, was sich anhand von gegenwärtigen Reibungen neu eingewanderter Muslime und ihren amerikanischen Brüdern gut nachvollziehen lässt, sondern eine Art von Para- oder Meta-Islam, der seine Wurzeln in einer ›Black Religion‹ zu Zeit der 50 | Die hier zusammengefasste Geschichte ist weitgehend eine Kurzform von Malcolm X’ Bekehrungsbericht von 1948 im Gefängnis. Diese ›unwissenschaftliche‹ Darstellung des Black Muslim Ursprungsmythos wurde gewählt, weil diese Version zum kulturellem Alltagswissen afroamerikanischen Gemeinschaft wurde. Für den soziokulturellen Hintergrund von Malcolm X’ speziellem Black Nationalism siehe Eric Dyson Making Malcolm (Dyson 1995). Für allgemeinere Informationen zur Geschichte der ›Nation of Islam‹ siehe Lincoln 1961, Essien-Udom 1962, Lee 1988 und Jackson 2009. 51 | Henry Louis Gates überliefert in seiner Autobiographie eine Anekdote, die von der kulturellen Wirkungsmacht des Bildes von den weißen Teufeln erzählt: Als seine Mutter 1959 den ersten Fernsehbericht über die Black Muslims, den CBS-Dokumentarfilm THE H ATE THAT H ATE P RODUCED, anschaute und sie Malcolm X über die weißen Teufel sprechen hörte, habe sie ruhig und mit beherrschter Stimme »Amen« gesagt (Gates 1995, 34). 52 | In der Nachfolge der Nation of Islam erfüllen säkulare Modelle über Schwarzafrika als Wiege der Zivilisation wie die wissenschaftliche Intervention Martin Bernals Black Athena. The Afro-Asiatic Roots of Classical Vivilization (1987) die gleiche Funktion kultureller Autorisierung. Eine abgemilderte, weniger religiöse Form dieser Gegenmythologie bietet Malcolm X mit der These an, dass wegen ihres guten Preis-Wert-Verhältnisses nur die stärksten und nobelsten Afrikaner in die Sklaverei verkauft wurden, die Söhne von Königen. Dagegen seien die weißen Einwanderer in den USA »dregs of society« ihrer Herkunftsgesellschaften gewesen. Zitiert nach Kelley 1998, 427. Aber auch für viele säkulare und christliche Afroamerikaner, die keineswegs afrozentrisch denken, verkörperte Malcolm X als politischer Held die Hoffnung einer Remaskulinisierung. Die obige Analyse untersucht lediglich den kulturellen Kontext, der Malcolm X und der Nation of Islam diese Autorisierung ermöglichte, die dann unabhängig von religiösen Dogmen durch das exemplarische Leben von Malcom X zur Wirkungsmacht fand.
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Sklaverei hatte und im Prinzip ein ›heiliger Protest‹ gegen weiße Suprematie und ihre materiellen Folgen gewesen sei. Im Süden habe sich diese Black Religion mit dem charismatischen Protestantismus (Baptisten, Methodisten) verbunden und sich durch die strenge Segregation auch ihren ›anti-white appeal‹, d.h. in religiöser Sprache, den weißen Mann als den Teufel zu sehen, erhalten. Durch die große Migration nach Norden wurde in den dort vorgefundenen Kirchen dieses Band zerschnitten.53 Die Abkehr vom Christentum und die Hinwendung zum Islam sind so betrachtet eine Verlagerung des ›heiligen Protests‹ unter ein anderes spirituelles Dach, das aber, ebenso wie das Christentum, den Anschluss an den ›Zivilisationsfortschritt‹ der monotheistischen Religionen nicht unterbricht. Der zweite Aspekt der oben erwähnten Doppelbinarität, die eine schwarze Remaskulinisierungsstrategie für sich organisiert, ist die Geschlechterhierarchie. Zur Behauptung einer starken und autonomen Maskulinität ist die Vorstellung einer an Geist, Charakter und Körper schwachen Frau essentiell (Saldana-Portillo/Jesefina 1997, 12). Jedoch ist diese archaische Geschlechterordnung in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht ohne Begründungsbedarf. Malcolm X versammelt in seiner Autobiographie deshalb eine Reihe von Beleg-Geschichten von betrügerischen Geliebten und zu starken, nörgelnden und ›entmannenden‹ Ehefrauen, die ihre Ehemänner in die Aggression und Flucht getrieben hätten. Unter anderem führt er seine eigene Mutter und seine hilfreiche Schwester Ella ins Feld. Die sexualpolitische Agenda der Black Muslims wirkt hier wie ein Gegengift: »Islam has very strict laws and teachings about women the core of them being that the true nature of man is to be strong, and a woman’s true nature is to be weak, and while a man must all time respect his woman, at the same time he needs to understand that he must control her if he expects to get her respect.« 54 53 | Siehe Jackson 2009, 36. 54 | Malcolm X 1964, 260. Paul Gilroy macht für die rigorose Gender-Politik dieser und der darauf folgenden Remaskulinisierungsstrategien eine Konzeptualisierung von Race als Familie verantwortlich, die er kritisiert. Die schwarze Community interpretiere ihre innere Malaise als Maskulinitätskrise, die durch eine Re-Installierung väterlicher Autorität gelöst werden könnte. Dieser inzwischen dominante Text findet in John Singletons Film B OYZ IN THE H OOD, wo eine starke Vaterfigur die in Haushalten alleinstehender Mütter aufgewachsenen Jugendlichen reformiert und dabei gleichzeitig die ›unfähigen‹ Mütter kritisiert. Siehe Lubiano 1992. Diese Polemik gegen den ›unfit‹ afroamerikanischen Vater setzt sich aber auch in afroamerikanischen soziologischen Analysen fort, z.B. in Robert Julius Wilsons berühmten Studien über die Chicago South Side Ghettos wie The Truely Disadvantaged (Wilson 1987). Siehe hierzu die Kritik von bell hooks an Wilsons Gender-Politik. Hooks argumentiert, der wichtigste Beitrag seines Werkes sei, Race entnaturalisiert zu haben und einen Klassenbegriff wieder fruchtbar gemacht zu
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Die von Malcolm X und der Nation of Islam propagierte Sexualpolitik ist jedoch nicht hauptsächlich von dem Projekt der Domestizierung der schwarzen Frau motiviert. Es ist nur ein Nebenschauplatz des übergeordneten Kriegsziels, Waffengleichheit mit den eigentlichen Hauptantagonisten, weißen Männern, herzustellen. Die bereits erwähnte Bourdieu’sche ›Ehrgleichheit‹ wird damit einseitig installiert.55 Malcolm X lässt keinen Zweifel daran, dass die Frauenfrage nur ein Ornament des Duells mit dem weißen Mann ist. Weiße Frauen sind für ihn Statussymbole,56 die am schwarzen Mann entweder sexuell interessiert sind und/oder aus einem gewissen inneren Masochismus diese Verbindung suchen: »It seems that some women love to be exploited« (111), sagt er über seine weiße Freundin Sophia, die ihn in einer frühenLebensphase oder weniger finanziert. Wichtig an der Frage der weißen Frau ist lediglich, dass man durch sie den weißen Mann verletzen kann. Dessen grösste Horrorvorstellung sei nämlich: »[the] image of a black man entering the body of a white woman« (306). Die weiße Frau – in Malcolm X’ Rhetorik fast immer mit dem besitzanzeigenden Fürwort attribuiert – ihre Frauen, unsere Frauen – hat den magischen Schrecken als todbringendes Tabu verloren. Sie fungiert hier als Trophäe, freilich nur in Malcolm X’ vorreligiösen Lebensphasen. Denn der spätere Kodex von ›racial pride‹ und religiösem Puritanismus erlaubt nur ergebene schwarze Ehefrauen. Die Lynching-Metaphorik, die wie oben gezeigt, das Generalparadigma von Ohnmacht ist, wird in einer solchen Rhetorik außer Kraft gesetzt. Vergewaltigung schwarzer Frauen wird nun im Gegenzug als Anklage gegen den weißen Mann thematisiert. Diese lange Geschichte habe schon in den Sklavenschiffen durch Aufseher und Eigner begonnen und habe weiter über die Plantagen die schwarze Race vergiftet. Malcolm X, selbst rothaarig und Nachkomme einer von ihrem Master vergewaltigten Sklavin, »learned to hate every drop of that white rapist’s blood that’s in me« (5). Der Opferdiskurs, der Wrights grimmige Lynching-Angst-Szenarios und Ellisons Allegorie der Unsichtbarkeit geprägt hatte, ist einer Gegenaggression gewichen: »We don’t believe that Afro-Americans should be victims any longer […] we believe that bloodshed is a two-way street«.57 Malcolm X’ Maskulinitätskonzept ist desexualisiert. Der puritanische und patriarchalische Verhaltenscode der Nation of Islam vernichtet die erotischen Konnotationen und verschiebt die Achse der Konfrontation auf Gewalt. Obwohl haben, dies sei aber auf Kosten einer Naturalisierung von Gender-Kategorien geschehen. Siehe bell hooks im Gespräch mit Paul Gilroy (Gilroy 1993b, 219). 55 | Bourdieu 1997, 204f. Zu einer genaueren Darlegung der Isotimiethese (›Ehrgleichheit‹) und seiner möglichen Fruchtbarkeit für eine Race-Gender-Analyse siehe Kapitel 3, S. 206-207. 56 | Malcolm X 1964, 60, 78, 108. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 57 | Zitiert nach Dyson 1995, 90.
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es zu Malcolm X’ Lebzeiten und unter seiner Führung nicht zu militanten Ghettoaufständen kam, war seine Maskulinitäts-Rhetorik bemerkenswert erfolgreich. Er wurde als ein gefährlicher und machtvoller Führer oder Antagonist begriffen, und seine Manhood stand im Zentrum der Würdigungen nach seiner Ermordung: »Malcolm was our manhood, our living black manhood […] honoring him we honor the best in ourselves […] Our own black shining Prince, who didn’t hesitate to die, because he loved us so.« 58
Der Schauspieler und Dramatiker Ossie Davis sprach diese viel zitierten Worte in seinem Nachruf auf den ermordeten Führer, schwarzen Nationalisten und schwarzen Muslim. Eldridge Cleaver, ebenfalls Muslim und Jünger Malcolm X zitiert im Folsom Gefängnis unter dem direkten Eindruck des tödlichen Attentats auf sein Idol die Zeilen von Ossie Davis. Und dann formuliert er sein eigenes Manhood-Revolutionsfanal: »We shall have our manhood. We shall have it or the earth will be leveled by our attempts to gain it« (Cleaver 1992, 66).
4.10 Vergewaltigung ist Politik mit anderen Mitteln Eldridge Cleaver greift mit provozierender Logik das eine Ende von Malcolm X’ Vergewaltigungsdiskurs auf, nämlich den Gedanken der Rache für die Vergewaltigung schwarzer Frauen. Er macht vorsätzliche und systematische Vergewaltigungen weißer Frauen zum politischen Programm. »Rape was an insurrectionary act. It delighted me, that I was defying and trampling upon the white man’s law, upon his system of values, and that I was defiling his women – and this point, I believe, was the most satisfying to me because I was very resentful over the historical fact of how the white man has used the black woman.« (Ebd. 26)
Die Trope der Vergewaltigung einer weißen Frau als Akt des politischen Aufstandes ist eine Inversion des Rape-Lynching-Komplexes. Die Kastrationsdrohung durch den weißen Mann wird durch den vorsätzlichen Tabubruch unwirksam gemacht und dabei – wie bei Bigger Thomas’ unabsichtlichem Tabubruch – Männlichkeit erzeugt. Die mögliche Strafe muss dann nicht mehr als Lynching-Akt begriffen werden, weil sie nicht an einem unschuldigen Opfer vollzogen werden, sondern als Rache des weißen Mannes, dem effektiv Schaden zugefügt wurde. Insofern hatte die Formulierung dieser politischen Allegorie der vorsätzlichen Vergewaltigung als Gegenzauber eine immanente Logik. Eine solche Formulierung konnte allerdings nur von einem ideologisch ungebunde58 | Epilog von Alex Healy. Zitat aus Ossie Davis’ Nekrolog (Malcolm X 1964, 521).
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nen Outcast wie Eldridge Cleaver kommen, nicht aus dem quietistisch-christlichen Bürgerrechtslager eines Martin Luther King und nicht vom asketischen Revolutionskonzept des Malcolm X. Cleaver war trotzdem nicht der erste, der Black Rage und Vergewaltigungswunsch zusammenbrachte. Historische Ironie will, dass ausgerechnet der von ihm als »little jive ass« beleidigte.59 James Baldwin schon 1951 formuliert, was Soul on Ice (1968) so berüchtigt machen sollte: »[…] no Negro living in America […] has not wanted […] to violate, out of motives of the cruelest vengeance, their women«.60 Cleaver selbst bezieht sich in seinem Text auf LeRoi Jones (Amiri Baraka), der 1964 in seinem Buch The Dead Lecturer als ästhetisches Programm forderte: »Come on Black Dada Nihilismus, Rape the white girls« (Cleaver 1992, 27). Ein genauerer Blick auf Cleavers Text führt von der Aufforderung zur wirklichen Vergewaltigung weg, hin zu einer ästhetischen Revolte. Die moralische Krise nach der Inhaftierung war die Geburtsstunde des Schriftstellers. Denn natürlich hätte dieser essayistische Anschlag auf das weiße Wertesystem keinen Verleger gefunden, wenn er nicht als warnendes Herzstück in einer moralischen Erzählung positioniert gewesen wäre. Cleaver beichtet in einem Vorspann, er habe in einer Gewissenskrise eingesehen, dass Vergewaltigung falsch sei. Diese Erkenntnis beruhe nicht auf der Einsicht, dass er das Gesetz 59 | Cleaver 1992, 98. Cleavers Homophobie war augenfällig aber durchaus ambivalent. Black Panther Huey Newton berichtet von einer Begegnung zwischen Cleaver und Baldwin, wo sich beide mit einem langen intimen Kuss begrüßt haben (Newton 1999). Queer-Theoretiker Robert Reid Pharr dekonstruiert Cleavers homophobe Tirade gegen Baldwin als tragikomischen Versuch, in einem »highly homosocial and homosexual prison« seine Heterosexualität zu beweisen und »to assert himself and the black community as straight« (Reid-Pharr 1996, 375). Offen ausgesprochene Homophobie war in den Sechziger Jahren ein wichtiges Element. Cleaver spricht von Homosexualität als »sickness« (106) und Amiri Baraka von einer »social aberration« (Reilly 1994, 200). Auch viele gegenwärtige Hip-Hop Rhetoriken konzentrieren sich auf das Aussprechen und die Abwehr von Homosexualität. Augenfällig ist das besonders in den Texten des weißen Rappers Eminem. Die Steetcredibility seines ›Performing Blackness‹-Hip-Hop stützt sich ganz auf Gaybashing, wie man an seinem Film 8 M ILE (2002) beobachten kann. Es steht zu vermuten, dass er die zweite Außenfront der Konstruktion von Maskulinität im Hip-Hop, misogyn von ›Bitches‹ und ›Hoes‹ zu sprechen, nicht nutzen kann, um seine schwarzen Mitkünstler nicht zu verärgern, und er deshalb die Energien der genretypischen Maskulinitätskonstruktion auf eine Homosexualitätsabwehr richtet. 60 | Baldwin 1984, 41. Aber auch Baldwin ist nicht der erste, der einen Vergewaltigungswunsch an der weißen Frau formuliert. Frederick Douglass spielt in seinem berühmten Brief an seinen ehemaligen Besitzer (und Vater) mit einer ähnlichen Drohung. Näheres dazu in Kapitel 1, S. 62, Fußnote 36.
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des weißen Mannes übertreten habe, sondern darauf, dass er seine Selbstachtung und damit paradoxerweise seinen Mannesstolz »pride as a man« verloren habe. Die Konversion des Autors ist die Voraussetzung für die Publikation. Eldridge Cleaver präsentiert seinen eigenen Vergewaltigungswunsch als ein von der weißen Gesellschaft verschuldetes Lehrstück. Die sozialrevolutionäre Botschaft autorisiert sich wie im Schlussplädoyer für Bigger Thomas über den Körper der getöteten oder geschändeten weißen Frau. An der ›tragischen‹ Notwendigkeit, sie zu verletzen, wird die rassistische Gesellschaft als sprachlose Gegengewalt heckendes Ungeheuer vorgeführt. Das Monster, bei Cleaver »The Ogre«, verschmilzt mit der weißen Frau und wird mit ihrer Vernichtung rhetorisch überwunden.61
›V ICTIM H ERO ‹ – S PIKE L EES F ILME 4.11 ›Quest for Fatherhood‹ Nach der Ermordung von Malcolm X und der Zerschlagung der Black Panther Party schien die Ermächtigung schwarzer Männlichkeit durch politischen Radikalismus historisch passé. Doch zwanzig Jahre später bildete sich in den Filmhochschulen und in der Hip-Hop-Szene eine Kultur, die die Zeichensysteme der politischen Heroen der Sechziger in einer Art von ästhetisiertem ›Recycling Radicalism‹ aufgriff.62 Auch ohne auf eine Massenbewegung zurückgreifen zu können, sollte eine neue Version schwarz-männlichen Selbstbewusstseins mit ›revolutionären‹ Insignien ausgestattet werden.63 Einer der erfolgreichsten Protagonisten dieser Strömung ist der Regisseur Spike Lee, der sich nach einigen viel beachteten Filmen mit seinem opus magnum Malcolm X an eine Hagiographie seines großen Vorbildes machte. Maskulinität ist noch immer das vordringliche Projekt, das aber von einem neuen Motiv, das ich die ›Quest for Fatherhood‹ nennen möchte, unterlegt wird. Spike Lee greift dabei einen speziellen (weißen und schwarzen) Diskurs der Neunzi61 | Die Literaturwissenschaftlerin Ann duCille verkürzt den tieferen Sinn von Cleavers rhetorischer Operation mit der drastischen Zusammenfassung: »screwing the white man by screwing his wife«. Siehe eine genauere Analyse des Konflikts zwischen Eldridge Cleaver und der ›weißen Frau‹ in den beiden Unterkapiteln ›Recycling Eldrige Cleaver‹ I und II Kapitel 5. S. 337-340 und S. 346-348. 62 | So der Titel eines Vortrages von Sieglinde Lemke und Gabriele Dietze zum New Black Cinema auf der DGFA-Tagung in Bonn April 2001. 63 | Michael Eric Dyson spricht von einer ›Politics of Nostalgia‹ (Dyson 1996a, 119) oder ›Neo-Nationalism‹ (Dyson 1996b), und Paul Gilroy bezeichnet die amerikanischen Neunziger als die »Sixties upside down« (Gilroy 1993b, 184).
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ger auf, der soziale Probleme der afroamerikanischen Gemeinschaft wie Armut, Drogenmissbrauch und Kriminalität nicht mehr ausschließlich als Ergebnis jahrzehntelanger Diskriminierung begreift, sondern in der Flucht abwesender Väter (absentee Fathers) aus der Verantwortung der Familienversorgung und Kindererziehung ein Zentralproblem Problem der Entwicklung sieht. Neuere Queer- und Whiteness Theories greifen die sowohl in weißer Sicht aber auch in politischen schwarzen Theorien verbreitete ›familiaristische‹ Version der Race-Benachteiligung scharf an. In Aberrations in Black. Toward a Queer of Color Critique (2004) polemisiert Roderick Ferguson gegen den soziologischen Blick auf Blackness als soziale ›Pathologie‹ gegründet auf ›nicht-normalen‹ Familienverhältnissen. Z.B. habe der Gründervater der amerikanischen Soziologie, Robert Parks, der als Gehilfe Booker T. Washingtons Tuskeegee Institute mit initiiert hat, ›racial difference‹ als Basis der ›discontents of progress‹ als ›social disorganization‹ in den wachsenden amerikanischen Großstädten gesehen. Parks habe damit eine Tradition begründet, die über Gunnar Myrdals American Dilemma, den Moynihan Report bis in die Gegenwart reiche.64 In Fergusons Formulierung ist dafür die Fixierung auf ein weißes ›Heteropatriarchat‹ (10f) verantwortlich, die Gemeinschaftsformen jenseits des ödipalen Dreiecks der weißen bürgerlichen Familie als deviant begreift und zu diskriminierenden sozialen Typologien wie dem ›jugendlichen Straftäter‹, den ›abwesenden Vater‹ und der ›Welfare Queen‹65 zu verdichtet.66 Julian B. Carter bietet einen weiteren Interpretationsversuch für diese Fixierung auf ein ›Heteropatriarchat‹ in seiner Studie The Heart of Whiteness (2007) an. Danach ist die heteronormative bürgerliche Liebesordnung, wie sie als vorbildhaft, modern und sexuell gesund in den zwanziger und dreißiger Jahren über Ehehandbücher und Aufklärungsschriften propagiert wurde, zu einem Ort, von dem aus Whiteness artikuliert wurde und zwar in Gestalt von ›Normalität‹. Er untermauert seine Behauptung mit zwei zu dieser Zeit sehr beliebten (weißen) Figurinen ›Norm‹ und ›Norma‹, die in verschiedensten Städten gezeigt wurden, um die Schönheit, Kraft und Gesundheit der Amerikaner beispielhaft vorzustellen. (Abb. 17)
64 | Ferguson 1990. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 65 | Siehe die erhellende Analyse von Wahneema Lubiano zu diesem speziellen ›racialized pattern of mother bashing‹ (Lubiano 1992). 66 | Hortense Spillers hat in ihrem berühmten und bereits mehrfach zitiertem Aufsatz »Mama’s Baby. Papa’s Maybe« aus dieser Tatsache einen Gegendiskurs gemacht und die Nicht-Ödipalität der afroamerikanischen Familie als potentiell nicht-patriarchalen Ort weiblicher Handlungsmacht und sanfter Männer charakterisiert, die die Möglichkeit hätten ›ja‹ zu ihrer inneren Weiblichkeit zu sagen (Spillers 1987, 227).
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Dieser unmarkierte Ort von Whiteness als familiare ›Normalität‹ hätte die bewussteren Äußerungen weißer Suprematie in der Rekonstruktionsperiode abgelöst und gleichzeitig die nicht-weiße Bevölkerung als deviant und pathologisch konstruiert:
Abbildung 17 »[…] by 1930 the white dominant culture of segregation was so deeply entrenched that whites no longer needed to fear loosing control over ›their‹ civilization. One result was the increasing ›blankness‹ of whiteness as a racial position […] Collapsing white civilization into marriage required the conceptual as well as legal, refusal to allow the legitimacy of love across the color line, and also of same sex relationships.« (Carter 2007, 20)
Spike Lee benutzt seine Malcolm X-Figur, um das neue gesellschaftliche Thema mit der alten Ikonographie einer politisch ermächtigten Maskulinität zu verbinden. Er tut das, indem er Vaterschaft zu einem angeblich zentralen Anliegen von Malcolm X’ Botschaft macht, wobei Lee geschickt die Adressaten ›verschiebt‹, um sich nicht in die Reihe der weißen ›absentee Father‹-Kritiker einzuordnen. Ausgerechnet vor einem bürgerlich-weißen Publikum in Harvard, wo er den Gegensatz von Klasse und Race zwischen Studenten und dem vortragenden Ex-Häftling ironisiert, lässt Lee in seinem Film Malcom X zu Vaterschaft und einer afroamerikanischen, moralischen Reform in der Tradition von Du Bois dozieren: »When Negroes stop getting drunk, stop being addicted to drugs, stop fornicating and committing adultery. When we get off the welfare, then we’ll be MEN. Earn what you need for your family, then your family respects you. They’ll be proud to say ›That’s my
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG father.‹ […] Father means you’re taking care of those children. Just ’cause you made them that don’t mean you’re a father. Anybody can make a baby, but anybody can’t take care of a woman.« (Lee 1992, 279)
Ein Vater sein zu können, hängt also davon ab, zuvor in einem Anerkennungsverhältnis ein ›Sohn‹ gewesen zu sein. Malcolm X als ›guter Sohn‹ wird in Spike Lees Film über seine leidenschaftliche Gefolgschaftstreue zu Elijah Muhammad entwickelt, dem spirituellen Führer der Black Muslims. Schon vorher zeigt sich seine Bereitwilligkeit, einem muslimischen Gefängnisprediger als Jünger und gehorsamer Sohn zu dienen. Die Entwicklung der Manhood-Rhetorik inszeniert Lee dann in direkter Verbindung mit der Figur von Malcolms leiblichem Vater: Malcolm X erinnert sich, wie sein Vater Earl Little von einer Ku-Klux-Klan-ähnlichen Vereinigung weißer Suprematisten (der Black Legion) überfallen wurde. Sein Vater sei mit den Worten »I am not a boy, I am a man« aus dem Haus gestürmt und habe auf die Rassisten geschossen. Nun ist der politisch gewollte Rückbezug auf die ermächtigende Vaterfigur nicht ohne Probleme. Das bisherige Race-Regime hat mit der glorifizierten Ausnahme von Malcolm X zumeist geschwächte und entmannte Väter hervorgebracht. So jedenfalls artikuliert der gängige hegemoniale Diskurs, dessen Interpellation Spike Lee in dieser Frage annimmt. Er löst das Dilemma der stigmatisierenden Anrufung durch eine metaphorische Verschmelzung von Ent- und Ermächtigung in der Figur des Schauspielers Ossie Davis, der in fast allen seinen Filmen eine strategisch wichtige Rolle spielt. Der bärig-liebenswürdig aussehende Schauspieler hatte eine lange Karriere in Film und Fernsehen, in der er fast immer in Uncle Tom-ähnlichen Rollen besetzt wurde. Ossie Davis ging ein ungeheures Wagnis ein, als er an Malcolm X’ Grab eine von ihm selbst verfasste Totenrede hielt, was ihn zur damaligen Zeit seine Karriere hätte kosten können. Spike Lee spielt in Malcolm X den Originalton von Davis’ Rede ein. Ossie Davis erklärte in seinem Nekrolog, dass der Unterschied zwischen ihm und Malcolm X der zwischen ›Negro‹ und ›Man‹ sei. Von sich selbst sagte Davis, dass er viel lächle und sich in allem an den weißen Mann wende. Malcolm X dagegen hätte den weißen Mann nie gebraucht. Seine Manhood habe er aus sich selbst – aus einer Selbstsetzung – und nicht aus der Anerkennung des weißen Mannes gezogen. Dann erklärte der Schauspieler Malcolm X zur ›Living Manhood‹ des schwarzen Mannes. In Get on the Bus (1996), einer filmischen Hommage an die Großdemonstration des ›Million Men March‹ verkörpert Davis die Rolle des alten Jeremiah und mit ihm zwei verschiedene Kulturstränge. In seinem früheren Leben war Jeremiah ein erfolgreicher Uncle Tom-Manager in einer großen Firma, der Vorzeige-Integrierte mit Einkommen und Vorstadtvilla. Dann verliert er aber seinen Job und damit seine moralische Statur, Vermögen und Familie. Andererseits spielt Jeremiah die westafrikanische Djembe-Trommel und verkörpert
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im Bus zum ›Million Men March‹ die einzige Persönlichkeit mit Beziehung zu afrikanischen Wurzeln. Sein Tod am Ende der Reise ist auch der Tod zweier konkurrierender Konzepte von schwarzer Vaterschaft: entweder Integration in die weiße Mittelklasse oder Afrozentrismus. Seine ›Söhne‹ nehmen im Million Men March die Fackel des toten ›Vaters‹ auf, die er selbst nicht mehr zum Sieg tragen kann, dessen Projekt sie aber weiterführen wollen. Der reale Million Men March hatte im Oktober 1997 fast eine Million afroamerikanische Männer in Washington zu einem ›March of Atonement‹ – einem Buße-Marsch – versammelt. Die Manifestation reagierte mit dieser Rhetorik auf die gesellschaftlich formulierten Vorwürfe der familiären Verantwortungslosigkeit schwarzer Männer.67 Die Demonstration sollte zu einem heiligen Tag werden: »In atonement for our misdeeds, seeking operational unity and solidarity among ourselves« (Carbado 1999c, 6). Doch Buße war nur ein vordergründiges Motiv der Manifestation. Es ging vor allem um eine Demonstration von Selbstbewusstsein, um den Nachweis, dass Hunderttausende männlicher Afroamerikaner zusammenkommen können, ohne dass es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt. Naturgemäß gab es viel Kritik von schwarzen und weißen Frauen an dem Ausschluss der Frauen und dem maskulinistischen Programm des Marsches. Zeitgleich zum Million Men March hielten berühmte schwarze Feministinnen wie Angela Davis und Paula Giddings eine Pressekonferenz, auf der sie den Marsch als reaktionär bezeichneten und die formulierte Absicht der Demonstranten, wieder die Kontrolle in ihren Familien zu übernehmen, scharf kritisierten.68 Mit dem Marsch sollte eine Gegenerzählung des als demütigend und verzerrend empfundenen Medien-Images des schwarzen Mannes inszeniert werden. Der Autor Ishmael Reed, leidenschaftlicher Unterstützer des Marsches, spielte dementsprechend auch den Buße-Aspekt des Million Men March herunter. Er sah den Zweck der Veranstaltung so: »The Million Men March challenged the media’s lies and stereotypes about African American males […] The problem was that members of other groups took this Day of Aton67 | Der Marsch hatte im Übrigen ein weißes Vorbild, die Bewegung der ›Promise Keepers‹, die über eine christlich-charismatische Botschaft sowohl an die Verantwortlichkeit der Familienväter appellierte, wie sie auch – in einer impliziten Polemik gegen die Frauenbewegung – die Väter wieder zu ›geistigen‹ Führern ihrer Familien machen wollte. Diese vorwiegend im Milieu der von der De-Industrialisierung betroffenen weißen Facharbeiter angesiedelte Strömung versammelte kurzfristig Hunderttausende, meist weiße Männer, in Baseball-Stadien, wo sie in Anknüpfung an das alte Roosevelt’sche Konzept des ›Muscular Christendom‹ zusammen beteten und männerbündische Freundschaften knüpften. Siehe eine ausführliche Analyse von Susan Falludi in Stiffed (Faludi 1999). 68 | Siehe eine Zusammenfassung der Kritik schwarzer Frauen in Harris 1999.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG ement to mean black men were the only ones who had to atone for. White men, as well as black and white women could use atonement to.« 69
Die Reaktionen auf die Demonstration waren gemischt. Viele Afroamerikaner unterstützten trotz politischer Gegnerschaft das Unternehmen, unter ihnen der Theologe Cornell West und der Politiker Jesse Jackson, auch Dichterinnen wie Maya Angelou. Andere lehnten den Marsch grundsätzlich ab, wie der Verfassungsrichter Leon Higginbotham (Higginbotham 1999). Für Spike Lee aber geriet der Million Men March in seiner fiktiven ›Filmdokumentation‹ einer Reisegruppe von Demonstrationsbesuchern, Get on the Bus, zu einer Meta-Allegorie über afroamerikanische Vaterschaft. Mit der Ossie Davis-Persona, in der sich historische Zeugenschaft und Rollenfach und damit auch die Erzählung der Ent-Mannung mit der der ErMannung überblenden, versucht Spike Lee in Get on the Bus eine patrilineare Erbschaft zu konstruieren, die über Uncle Tom und entlaufende Sklaven zu Malcolm X führt. Jeremiahs Quest-Tod im Bus bildet insofern den tragisch-heroischen Endpunkt der geschwächten väterlichen Linie. Obwohl Jeremiah weiß, dass er schwer herzkrank ist und die anstrengende Reise kaum überleben kann, will er diesen finalen Marsch in die Männlichkeit um keinen Preis versäumen. Mit einem Zitat von Malcolm X, der auf die Frage, wie er den Race-Kampf gewinnen wolle, mit ›by any means necessary‹ geantwortet hatte, zeigt auch Jeremiah seine Entschlossenheit. Der Schlusspunkt der wie auch immer unvollkommenen väterlichen Linie wird zugleich als zu ehrendes Erbe und Auftrag an die Zukunft verstanden, die nun endlich in greifbarer Nähe gewähnte Manhood für ein neues Bild und Selbstbewusstsein einzusetzen. In Get on the Bus gibt es auch ein tatsächliches Vater-Sohn-Gespann, das einen besonderen Platz im Zeichensystem Manhood und Sklaverei besetzt. Beide Filmcharaktere sind typische Verlierer afroamerikanischer Sozialisation. Der aus dem Slum-Proletariat stammende Vater hatte früh Familie und Kinder verlassen, der Sohn war Mitglied einer Gang und hatte zudem noch ein Strafregister. Der Film evoziert im Vorspann einen historischen Rückgriff auf Sklaverei mit elegisch braungetönten Großaufnahmen von Sklavenketten, eisernen Halskrausen und Fußeisen, die – wie um die Botschaft der Knechtschaft zurückzunehmen – auf den schönen nackten Körper eines schwarzen Athleten drapiert sind. Alle Kritik an den zu Anfang noch sehr unvollkommenen Mitreisenden wird vorab entkräftet, indem sie in den Kontext der historischen Leidensgeschichte 69 | Reed 1999, 51. Anthony Paul Farley schrieb: »The Million Men March was a General Strike against the race-pleasure system. For one day, there was a refusal to cooperate in the production of a spectacle […] the event may have been a new moment in the history of the body. The gender segregation was part of the performative nature of the Million Men March […] an antispectacle« (Farley 1999, 74f).
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der Sklaverei gestellt werden. In einem der ersten Bildschnitte nach dem Vorspann zoomt die Kamera noch auf andere Ketten. Der Vater hat sie an seinem Gürtel festgemacht, weil er laut Gerichtsbeschluss seinen straffälligen Sohn in Hausarrest halten soll. Nur mit Hilfe der Handschellen kann er seinen Sohn zum Million Men March mitnehmen. Die Motiv-Verbindung zur Sklaverei verschiebt sich damit auf eine andere Bedeutungsebene. Sie kettet Väter und Söhne in schicksalhafter Verantwortungslosigkeit aneinander. Weil der Vater den Sohn kurz nach dessen Geburt verlassen hatte, wird er vom Sohn gehasst. Und die Gang-Mitgliedschaft seines Sohnes kann man einerseits als Mannbarkeitsritual deuten, andererseits aber auch als Trotz gegen die Väter, die ihre Vorbild-Funktion verweigert haben. Der Vater versucht, die Ursprungsverletzung der abwesenden Vaterschaft durch tätige Reue zu heilen: »I was not man enough to accept my responsibility«, sagt er, als der Sohn fliehen will.70 Hier nun schließt Spike Lee einen gegenwärtigen Diskurs zum ›Problem‹ schwarzer Vaterschaft an. Die symbolische Bedeutung des Million Men March als ›March of Atonement‹ wird in dieser Konstruktion besonders augenfällig: Der ehemals verantwortungslose Vater tut ›Buße‹, um in einem als Vaterschaft recodierten Konzept von Männlichkeit das Recht zu erhalten, ein Vorbild für seinen ›selbstzerstörerischen‹ Sohn zu sein, den er über seine neue Verlässlichkeit wieder auf den rechten Weg bringen will. Folgerichtig werden die Ketten der Unterdrückung im Schlussbild zerbrochen. Vater und Sohn helfen sich am Ende des Marsches freiwillig gegenseitig. Im Abspann des Filmes sieht man die gelöste Handfessel auf dem Boden vor dem Lincoln Memorial in Washington liegen, dessen Inschrift »Free at last« einen deutlichen Hinweis auf die Befreiung aus der Sklaverei gibt. Spike Lees didaktisches Lehrstück stellt sich hier als Prozedur der Selbstaufklärung dar. Allerdings ist der weiße Mann nicht aus dem Bild verschwunden. Abraham Lincoln, der (weiße) Präsident (und Vater), der den Bürgerkrieg zur Befreiung der Sklaven geführt hatte, spendet selbst als Monument noch Anerkennung für die afroamerikanische Läuterung, und ist damit ironischerweise die letzte Autorisierungsinstanz dieses schwarzen Remaskulinisierungsprojekts.
4.12 Der Diskurs von der ›Bedrohten Art‹ Das Zeichensystem ›Jugendliche Ghettokriminalität‹ wird nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Versagens afroamerikanischer Vaterschaft diskutiert, sondern auch als eine Anklage gegen die weiße Gesellschaft eingesetzt. Diese Aufgabe übernimmt eine Endangered-Species-Trope. Im Vokabular des Natur70 | Die Fluchtszene spielt bezeichnenderweise in der Nacht in einer südlichen Sumpflandschaft. Das evoziert Bilder und Ikonographien aus den berüchtigten ›Chain-Gang‹Straflagern des Südens, die im kollektiven Gedächtnis als staatliche Fortsetzung der Sklaverei gedeutet werden.
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schutzes erscheinen hier schwarze junge Männer als eine vom Aussterben ›bedrohte Art‹. Die Begriffsanwendung auf afroamerikanische Jugendkriminalität stammt aus einem viel diskutierten Buch von Jewell Gibbs Young, Black and Male. An Endangered Species.71 Danach haben junge schwarze Männer in der US-amerikanischen Gesellschaft ein vielfaches Todesrisiko z.B. durch GangGewalt, dadurch, dass sie überproportional oft im Gefängnis oder auf Bewährung sind oder Rauschgift als Dealer oder/oder Konsumenten zu tun haben. Kristal Zook spricht in diesem Zusammenhang von einer »Endangered Black Man Narrative« als einem »larger myth of racial authenticity that is cultivated in ghettocentric culture« (Zook 1995, 87). Die Gewalt-Ikonographie des GangstaRap wird in diesem Zusammenhang auch als Konzept der Gegenwehr gegen Ausrottung verstanden. Die »ghetto realness« und der »black phallic excess«72 ihrer Auftritte wird in diesem Zusammenhang als Einschüchterungsversuch gegenüber dem Vernichtungswillen der weißen Gesellschaft gedeutet. Der Film-Sohn in Get on the Bus wird zugleich als potentiell gefährlicher Krimineller wie auch als eine vom Aussterben ›bedrohte Art‹ dargestellt. Das verbindet ihn wiederum mit seinem Vater. Spike Lee visualisiert den Zusammenhang in einer zentralen Passagen des Films: In Knoxville wird der Bus nach Washington von Südstaatenpolizisten angehalten und in einer offensichtlich rassistischen Schikane mit Rauschgift-Suchhunden durchsucht. Durch einen ›Zwischenfall‹ soll die Reise in die schwarze männliche Ermächtigung aufgehalten werden. Während die Polizisten in provokatorischer Absicht durch den Bus gehen, streift die Kamera Großaufnahme für Großaufnahme mit einem blauen Lichtfilter die Gesichter der Reisenden. Vater und Sohn bekommen in dieser Ikonographie würdigem Ernst und eine ›heroische‹ Statur. Die Patrouille findet keinen Grund zu größerem Polizeiexzess, unter anderem deshalb, weil die Reisenden ihre Manhood unterdrücken, um keinen Vorwand für Gewalt zu liefern. Die Cops verabschieden sich mit der sarkastischen Bemerkung »Have a nice trip, boys«, womit sie die Nichtanerkennung einer erwachsenen schwarzen Männlichkeit durch die weiße Gesellschaft deutlich machen. Diese Verkehrskontrolle ruft für alle amerikanischen Rezipienten ein jüngeres Ereignis auf, nämlich das weltweit ausgestrahlte Video des anlässlich einer Verkehrskontrolle zusammengeschlagenen schwarzen Autofahrers Rodney
71 | Gibbs 1988. Andere Autoren wie Haki Madhubuti in Black Men. Obsolete, Single Dangerous (1990) und Earl Ofarim Hutchinsons in The Assassination of the Black Male Image (1996) greifen diese ›cultural narrative‹ auf, siehe Madhubuti 1990 und Hutchinson 1996a. 72 | Best 1996, 126. Als intellektuellen Vorläufer der Rap-Rezitative sieht Best Richard Wrights Verständnis von Protestliteratur als buchstäblichem Widerstandsakt bei gleichzeitiger Konstruktion von Mannhaftigkeit.
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King.73 Die L.A. Riots haben sich an den Freispruch für die weißen Polizeischläger entzündet. In Get on the Bus sind Vater und Sohn plötzlich in der Gefahr vereint, die ihnen durch die möglicherweise gewalttätigen Südstaaten-Polizisten droht. Beide problematische kulturelle Erzählungen, die die beiden Figuren verkörpern – nämlich die von der unverantwortlichen Vaterschaft und die der verantwortungslosen Ghettokriminalität des Sohnes – werden hier durch die Endangered-Species-Trope aufgehoben. Paradoxerweise wird hier der ›schwache‹ Vater durch den gewalttätigen Sohn gestärkt. Der Ghetto-Hip-Hop wandert im Film von der Figuren-Themenmusik, die die Auftritte des Sohns begleitet, zu einem allgemeinen für Vater und Sohn gültigen Revolutions-Song, der beide Figuren untermalt. Damit wird ein ›softes‹ Konzept neuer Väterlichkeit mit einer selbstgewisssen Macho-Rhetorik verbunden, ohne sich gegenseitig außer Kraft zu setzen. Die blaustichige Heldengalerie von Get on the Bus einer würdig leidenden und im Dienste des Überlebens zurückgehaltenen Maskulinität verschmilzt in einem glaubwürdigen Opferdiskurs mit einer Heldengeschichte von Männern, die einen Aufbruch wagen. Paul Gilroy hat in seinem Aufsatz »Spiking Lee« auf die Doppelstruktur von Heroismus und Opferhaltung (victimage) in Lees Werk hingewiesen (Gilroy 1993c). Diese Neubetonung einer maskulinistisch figurierten Opfer-Trope hat verschiedene Gründe. Erstens drückt sich in ihr Frustration darüber aus, dass die Civil-Rights-Bewegung und ihre Strategie des gewaltlosen Widerstandes weder den Alltagsrassismus beseitigen noch ihn verhindern konnte und dass das schwarze Subproletariat weiterhin den sozialen Bodensatz der Gesellschaft bildet. Zweitens versinnbildlicht die Opfer-Trope die Tatsache, dass in den drogen- und gewaltverseuchten Stadtvierteln besonders männliche schwarze Jugendliche wegen ihrer hohen Todesrate zu einer ›gefährdeten Art‹ wurden.74 Und drittens gewinnt hier eine schon ältere Figuration wieder an kultureller Geltung, nämlich, dass die Weißen über gezieltes Einbringen von Drogen in die Ghettos, Polizeibrutalität und aufgezwungene Geburtenkontrolle
73 | Siehe eine genauere Analyse dieses Vorfalls in Kapitel 5.0 ›Ein Mann wird geschlagen‹. Spike Lee verwendet dieses Fernsehdokument im Vorspann zu seinem Film
M ALCOLM X. 74 | Auf einer symbolischen Ebene wird im Film das Bild der ›Endangered Species‹ ebenfalls aufgenommen. Der Bus, mit dem die Männer nach Washington fahren, trägt das Firmenlogo »Spotted Owl«. Die vom Aussterben bedrohte gefleckte Eule ist das strategische Hauptargument, wodurch kommerzielle Kahlschläge im amerikanischen Nordwesten und damit die Vernichtung der Urwälder der Pazifikküste verhindert werden sollen. Im Staat Washington tragen in der Holzindustrie Beschäftigte T-Shirts, auf denen sie sich selbst als gefährdete Tierart bezeichnen, weil sie im Falle eines radikalen Naturschutzes ihre Jobs verlieren würden mit dem Slogan »I Killed a Spotted Owl Today«.
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den während der Sklaverei an den Schwarzen begangenen Völkermord bis in die Gegenwart fortsetzen. Für das Projekt dieser Arbeit am wichtigsten ist aber eine vierte Dimension der Bedeutung eines schwarz-männlichen Opferdiskurses: Im ausgehenden 20. Jahrhundert gehörten Opferdiskurse zu den erfolgversprechendsten Rhetoriken, mit denen gesellschaftliche Gerechtigkeitsansprüche formuliert und durchgesetzt werden können (Brown 1995). Das kann man an dem politischen Erfolg der verschiedensten feministischen Kampagnen gegen Vergewaltigung, sexuelle Belästigung, häusliche Gewalt und Missbrauch studieren, die zuerst über individualisierte Opfergeschichten lanciert und dann politisiert wurden. Die Neubelebung eines Opferparadigmas, das in den Sechzigern gerade wegen seiner entmannenden Funktion ad acta gelegt wurde, scheint wieder erforderlich, um in der Konkurrenz der Opferdiskurse an Profil zu gewinnen. In seinen Filmen löst Spike Lee das Dilemma, wie zugleich die kulturelle Autorisierung eines Opferdiskurs genutzt werden kann, ohne dadurch den Anspruch auf anerkannte Maskulinität aufzugeben, indem er eine Ikonographie der, wie Paul Gilroy es nennt, ›heroic victimage‹ schafft.
4.13 ›Performative Masculinity‹ und Patrilinearität Spike Lees Filme eröffnen noch eine zusätzliche Dimension. Sie veranschaulichen, dass das Projekt afroamerikanischer Re-Maskulinisierung noch immer performativ ist.75 Durch die historische Erbschaft von Sklaverei, ungewisser und ambivalenter Vaterschaft, dem Miscegenation-Tabu und den unterschiedlichen Ausformungen des Rape-Lynching-Komplexes bleibt afroamerikanische Manhood bedroht. Die fortdauernde Behauptung von Maskulinität – ›I am a Man‹ – versucht performativ, d.h. mit Worten und anderen Repräsentationsformen, herzustellen, was im Kern und in der gesellschaftlichen Position nicht immer anerkannt wird. Zwar hatte Malcolm X an zwei wichtigen Punkten interveniert – der Entzauberung des weißen Vaters zum weißen Teufel, und der Eliminierung der weißen Frau durch ein schwarz-schwarzes Patriarchat –, aber Eldridge Cleavers Vergewaltigungsprogramm zeigt die bleibende Fixierung auf die entmannende Logik des Rape-Lynching-Komplexes. Zwanzig, dreißig Jahre später, nach dem angeblichen Erfolg der Civil-RightsBewegung findet Spike Lee eine ganze andere Situation vor. Die amerikanische Gesellschaft glaubt inzwischen, den Rassismus überwunden zu haben, und 75 | Josefina Saldana-Portillo spricht in ihrem Artikel »Consuming Malcolm X« von »performative masculinity« der Malcolm X-Figur (Saldana-Portillo/Jesefina 1997, 3). Für die Zwecke meiner Untersuchung wurde das Konzept ›Performative Masculinity‹ auf alle Formen schwarzer Maskulinitäts-Konstruktionen übertragen, die sich innerhalb der Narrative of Remasculation bewegen.
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man bestreitet massiv, dass er für den Alltag noch eine Rolle spielte. Die Malaise afroamerikanischer Männlichkeit wird aus dieser Perspektive nicht mehr auf ihre Diskriminierung als Race zurückgeführt, sondern auf ihre angeblich Raceneutrale Unverantwortlichkeit als Väter. Um diesen Vorwurf auszuhebeln, kann Lee allerdings nicht auf das vor-feministische Modell eines Race-Patriarchats à la Malcolm X zurückgreifen. Eine solche Strategie würde zu viele Konflikte mit schwarzen Frauen nach sich ziehen. In den befriedeten Neunzigern kann Lee sich aber auch nicht auf Malcolm X’ und Eldridge Cleavers Rhetorik der revolutionären Tat und des Black Nationalism beziehen. Das würde den politischen Frieden und damit auch die Finanzierung seiner Filme aus weißen Quellen gefährden. Spike Lee braucht ein anderes Autorisierungsmodell und wählt trotz aller Komplikation das der Vaterschaft. Sein Einsatz ist daher eine Re-Installierung der Patrilinearität. Um hier auf das psychoanalytische Beschreibungsmodell des Rape-Lynching-Komplexes zurückzukommen: Es braucht für den gelungenen Eintritt in die symbolische Ordnung einen starken Vater, der sowohl gefürchtet als auch überwunden werden kann. Nach amerikanischen Machtverhältnissen sind das weiße Väter, reale oder metaphorische. Will man jetzt aber den weißen Vater, der in der kulturellen Ordnung des Rape-Lynching-Komplexes den schwachen schwarzen Vater ersetzt hatte, aus der symbolischen Ordnung afroamerikanischer Maskulinität vertreiben, muss man zunächst einen starken schwarzen Vater aufrichten, an dessen Überwindung der Sohn sich erproben kann. Da ein erstarkter schwarzer Vater aber so einfach nicht gefunden werden kann, kommt es dem Sohn zu, sich einen solchen performativ zu rekonstruieren. Schon Malcolm X hat in seiner Autobiographie und mehr noch Spike Lee in seiner Hagiographie des Black-Muslim-Führers an dem Projekt der Konstruktion einer schwarzen Vaterfigur gearbeitet. Das ist im Fall von Malcolm X’ Vater nicht einfach. Historische Recherchen legen nahe, dass Earl Littles Haus nicht, wie von Malcolm X überliefert und in Lees Film wiederholt, von weißen Rassisten niedergebrannt wurde, sondern dass Little es selbst angezündet hat, um einer Zwangsräumung zu entgehen. Auch wurde Earl Little mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von Rassisten ermordet, sondern geriet auf der Flucht vor einem eifersüchtigen Ehemann unter die Räder einer Straßenbahn. Nicht einmal der Angriff der ›Black Legion‹ auf das Heim der Littles ist gesichert.76 Saldana Portillo räumt ein, dass es Malcolm hauptsächlich um eine symbolische Vaterschaft ging, die aber entscheidend für seine revolutionäre Identität war: »Earl Little presents for Malcolm X not only his natural father. Little also 76 | Die Daten der besonders in der afroamerikanischen Presse angegriffenen Enthüllungs-Biographie von Bruce Perry sind nicht durchweg gesichert. Siehe Perry 1991. Sie werden aber von vielen Kritikerinnen und Kritikern zumindest teilweise akzeptiert. Siehe z.B. Kelley 1998 und Saldana-Portillo/Jesefina 1997.
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represents an organic patrilinearity to a revolutionary consciousness« (meine Kursivierung) (Saldana-Portillo/Jesefina 1997, 4). Spike Lee braucht für sein eigenes Projekt ebenfalls eine väterliche Genealogie. Für das Vater-Sohn Gespann in Get on the Bus leistet dies eine geteilte Endangered-Species-Trope und eine abgeleitete Autorisierung über das Potential von Ghetto-Gewalt. Für den ›Sohn‹ Spike Lee, als akademischen Abkömmling der neuen schwarzen Mittelklasse, ist diese Herkunftslinie jedoch nicht attraktiv. Er sieht sich nicht als Opfer oder als ein früh vom rechten Wege abgekommenes Ghetto-Kid, sondern als Repräsentanten des ›Afroamerican Dream‹, als erfolgreicher Künstler und Geschäftsmann. Diese Position erlaubt es ihm, sich vorzustellen, dass der erfolgreiche Sohn den ›schwachen‹ Vater autorisieren könnte. Wie aber kann ein Sohn diese creatio ex nihilo bewerkstelligen? Dieses ›unmögliche‹ Projekt allegorisiert Spike Lee im Plot von He got Game (1998): Der Protagonist Shuttleworth (Denzel Washington) hat die knappe Hälfte einer Haftstrafe wegen Totschlag an seiner Frau abgesessen. Der Gouverneur gibt ihm Hafturlaub mit dem Versprechen, seine Strafe zu reduzieren, wenn es ihm gelänge, seinen Sohn – der jahrgangsbeste Basketball-Nachwuchsstar – dazu zu bewegen, sich an der Alma Mater des Gouverneurs als Sport-Stipendiat zu bewerben und damit die Siegeschancen von dessen Uni-Team zu verbessern. Bezeichnenderweise hatte der Vater in He got Game seinen Sohn Jesus genannt. Namensgebung und Benennung blicken in Verbindung mit afroamerikanischer Maskulinität auf eine lange Geschichte zurück. Frederick Douglass z.B. durfte wie alle Sklaven keinen eigenen Namen, sondern nur den Namen des Sklavenhalters tragen. In Freiheit haben viele Sklaven sofort einen neuen Namen angenommen, um sich der weiß-väterlichen Bezeichnung zu entziehen. Richard Wright nimmt mit seiner Figur Bigger Thomas dagegen die rassistische Etikettierung auf, indem er das Schimpfwort ›Nigger‹ mit dem rassistischen Phantasma des ›Big Black Buck‹ zu einer tragischen Allegorie verdichtet. Ralph Waldo Ellison, selbst von seinem Vater mit der Hypothek belastet, nach dem Transzendentalisten Ralph Waldo Emerson benannt zu sein, spricht in seinem Aufsatz »Hidden Name and Complex Fate« von der »suggestive power of naming«, die ihm ein Projekt der Selbstvervollkommnung auferlegt habe: »Our names being a gift of others, must be made our own«.77 Malcolm X entwindet sich der Benennung durch die weiße Oligarchie, indem er das X annimmt, um die Unbekanntheit seines Ursprungs durch die Sklavenverschleppung zu bezeichnen.78 Gegen Ende des 20. Jahrhunderts wird das Schimpfwort ›Nig-
77 | Ellison 1966, 151-154. Siehe dazu auch Skerrett 2000, 157. 78 | Hortense Spillers weist auf die Paralellität der X Unterschrift des Analphabeten mit dem Gegen-X schwarzer Selbstermächtigung hin: »[…] the notorious X adopted by illiterate persons as the signatory mark and by literate Black Muslims of the Twentieth
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ger‹ dann zu einer provokativen, selbst angenommenen Resignifizierung etwa durch Hip-Hop-Gruppen wie Niggaz with Attitude.79 Spike Lee löst in He got Game sein Vater-Sohn-Problem durch die besondere Variante von Namensgebung und Rekonstruktion der Patrilinearität. Der Vater, Mörder von Jesus’ Mutter, braucht die Gnade und Verzeihung seines eigenen Sohnes, um das Strafmaß für sein Verbrechen zu reduzieren. Der selbst ›väterlich‹ gezeichnete Sohn – er versorgt seine kleine Schwester80 – kann paradoxerweise seine Aufgabe nur deshalb erfüllen, weil der Vater ihm die Kunst, besonders gut Basketball zu spielen, vermittelt hat. In Rückblenden sieht man den Vater mit dem Sohn bis zur Erschöpfung Finten und Körpertäuschungen trainieren. Eine der väterlichen Erbschaften ist es damit auch, seinen Sohn ›streetwise‹ gemacht zu haben, indem er ihm Ghetto-Überlebensstrategien in den Körper einschreibt. Über die Macht des Vaters zu benennen, nämlich seinem Sohn den Namen Jesus, des Erlösers, zu geben, konstruiert Spike Lee also in einer zeitlich umgekehrten Genealogie eine patrilineare Gründungs- und Verantwortungsgeschichte. So wird das Gesetz des Vaters trotz seiner faktischen Ohnmacht erfüllt. Natürlich nimmt am Ende von He got Game der vom Vater als sein ›Erlöser‹ designierte Sohn das Basketball-Stipendium an, das seinem Vater die Freiheit verschafft. Die Produktion dieses afroamerikanischen Männlichkeitsdiskurses kann so betrachtet als performativer Akt verstanden werden, also »als diejenige diskursive Praxis, die das vollzieht, was sie benennt« (Butler 1997b, 36). Da aber in He got Game der Zeitpunkt der Namensgebung und der Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Erlöserfunktion auseinanderliegen spricht Slavoij Žižek von »retroaktive Performativität«. Diese Erweiterung des Begriffs von Performativität bringt nicht nur das in die Welt, was sie sagt, sondern sie aktiviert das schon Vorhandene durch Anrufung (Žižek 1991, 29-33). Mit dem Akt der Benennung hat also in diesem konkreten Fall der Vater seinen Sohn ermächtigt, ihn nach seinem eigenen Sündenfall wieder in die Rechte seiner Vaterschaft einzusetzen. Und damit schlägt Spike Lee den intellektuellen Salto Mortale, über die Re-Autorisierung des Vaters den Sohn mit einer patrilinearen Gründungslegende auszustatten, die den schwachen Vater durch einen starken erCentury United States as the slash against the first offensive, comes to stand by the blank drawn by father’s ›Gun‹« (Spillers 1989, 129). 79 | Das Wort ›Nigger‹ bleibt in weißem Gebrauch allerdings weiterhin ein Schimpfwort. Die Tatsache, dass einer der Ermittler im O.J. Simpson-Prozess, Mark Fuhrman, das Wort ›Nigger‹ in seinem täglichen Gebrauch verwendete, disqualifizierte ihn als unparteiischen Ermittler und trug maßgeblich zum Freispruch des Football-Stars bei. Siehe Kapitel 6, S. 412 und 416. 80 | Auch der Regisseur Spike Lee lässt wissen, dass er seinem gesamten Familienclan in seinem Film-Business Lohn und Brot verschafft.
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setzt. Im Unterschied zur erfundenen Rekonstruktion der Patrilinearität bei Malcolm X und der kathartischen Doppel-Emanzipation von Vater und Sohn in Get on the Bus hat Spike Lee hier das Kunststück vollbracht, den FilmSohn buchstäblich zum Kreator seines Vaters zu machen. Lee wickelt über die Haftstrafe des Vaters jene Buße individuell ab, die das Unternehmen des Million Men March kollektiv versucht hat. Nicht unterschlagen werden kann dabei allerdings, dass die Apotheose von Vater und Sohn über der Leiche der Mutter stattfindet. Dass in einem solch elaborierten Zeichensystem die schwarze Frau in den Diskurs-Schatten gerät, ist wenig verwunderlich. In School Daze (1988) z.B. setzt sich Half-Pint, gespielt von Spike Lee, gegen den Willen seines afrozentrischen Cousins der Aufnahmeprozedur einer Fraternity (universitäre Burschenschaft) aus. Der finale Initiationsritus besteht darin, dass er mit einer Frau schlafen muss. Der Zeremonienmeister zwingt den offensichtlich unerfahrenen HalfPint dazu, mit seiner eigenen Freundin, der bislang ebenfalls jungfräulichen und sehr hellhäutigen Schönheitskönigin des schwarzen Campus, zu schlafen. Jane ihrerseits wird in einer Art Liebesprobe zu dieser Dienstleistung verpflichtet, weil sie beweisen soll, dass sie die Fraternität – sprich die ›Community of Black Men‹ – mehr liebt als ihren individuellen Freund.81 Spike Lee ist mit dieser Erzählfigur geradezu eine Allegorie auf den Nicht-Ort gelungen, den das Weibliche im maskulinistischen Anti-Rassismus-Diskurs einnimmt. Von Jane wird verlangt, dass sie aus Passion für die gedemütigte Maskulinität aller schwarzen Männer zulässt, dass ihr Freund sie wie ein Zuhälter verschachert. Es liegt in der Logik der Sache, dass Jane diesen Gattungsauftrag als individuelle Liebesprobe missversteht. Nur deshalb gehorcht sie mit Widerstreben, um dann nach dem Verlust der Jungfräulichkeit zu ihrem Entsetzen zu erfahren, dass die Probe darin bestanden hätte, sich der Prüfung zu verweigern. Damit wird die Unmöglichkeit der schwarz-weiblichen Position, schwarze Maskulinität zu bestätigen, augenfällig. Wenn Jane sich hingibt, verrät sie ihren individuellen ›Besitzer‹, gibt sie sich aber nicht hin, verrät sie die kollektive schwarze Maskulinität. Die Unlösbarkeit dieses Dilemmas vertreibt sie von der Bühne der Repräsentation. Durch die ›Entehrung‹ ihres Freundes hat sie nun auch das ganze männliche Kollektiv entehrt und ist damit als Statussymbol wertlos geworden. Als der revolutionäre Cousin, gespielt mit Black Panther-Paraphernalia von Larry Fishbourne, von diesem Initiationsritus erfährt, läutet er die Feuerglocke der Schule und ruft ein emphatisches Wake-Up, einen Aufruf zur Selbstbesinnung und zum Aufstand in die Runde. Er stellt aber nicht das geschändete Opfer, nämlich die als Mannbarkeitsprobe geopferte Frau, in den Mittelpunkt 81 | bell hooks schreibt dazu, im Fall von S CHOOL DAZE werde die kollektive Erniedrigung schwarzer Frauen dazu eingesetzt, »black male bonding« zu befördern (hooks 1993).
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– sie verschwindet als Entität und als Körper völlig aus dem Bild –, sondern sein Weckruf richtet sich abstrakt gegen der Obsession afroamerikanischer Eliten mit Hellhäutigkeit (Rose 1994, 159). Der Weckruf kritisiert Fraternitys und ihre ›weißen‹ Demütigungsrituale. Zu einem ebenso funktionalen Einsatz der weiblichen Figur kommt es in Mo Better Blues (1990). Der untreue und narzisstische Trompeter Bleak missachtet seine Freundin so lange, bis er – an der Lippe verletzt – unfähig wird, weiter Musik zu machen. Dann erfleht er ihre Verzeihung, damit sie ihm einen Sohn ›schenkt‹, der an seiner Stelle ein genialer Musiker werden soll. Die Botschaft von Vaterschaft und Verantwortlichkeit ist hier nur dünner Lack auf einer narzisstischen Selbstverlängerung. Sie wird im Film jedoch als späte Einsicht, dass er die verletzte Frau für ihr Leiden zu entschädigen habe, inszeniert. Es wird hier offensichtlich, dass sich eine ›Quest for Manhood‹ auch in einer Recodierung zur ›Quest for Fatherhood‹ nicht von ihrem maskulinistischen Programm gelöst hat: Eine männliche Opferrolle wird privilegiert und schwarze Frauen aus dem Diskurs herausgeschrieben.82 Obwohl es nun fast so aussieht, als sei die weiße Frau ebenfalls aus diesem Kosmos eliminiert, kommt ihr in den Filmallegorien von Spike Lee immer noch die Funktion eines ›konstitutiven Außen‹ zu. Während in dem früheren Film jungle Feaver (1991) die weiße Frau über einen intakten Rape-LynchingKomplex noch immer die Außengrenze zum weißen Patriarchat markierte, verschiebt sich später ihre Bedeutung ganz darauf, eine Metapher von RaceSolidarität abzugeben. Während der Vater in He Got Game bei seiner HaftAusführung eine weiße (vom Geld seiner Bewacher bezahlte) Hure von ihrem schwarzen Zuhälter erlöst – im Schlussbild sitzt sie abgeschminkt im Bus auf dem Weg zurück in ihre moralisch intakte Kleinstadt-Heimat –, figurieren bei seinem Sohn Jesus weiße willige College-Mädchen als ›Lockvögel‹ weißer ausbeuterischer Sportmanager. Die weiße Frau ist in beiden Fällen die Grenze zum moralischen Abgrund, die dem Sohn als überwindbare Versuchung und dem Vater als nicht-umgehbares Statussymbol erscheint. Damit hat die Figuration weiße Frau eine weite Reise vom Symbol für Tugend und Zivilisation zur Grenzmarkierung einer schwarz-männlichen Moralität gemacht.
*** Ein ›Quest for Fatherhood‹ ist der logische Endpunkt für das afroamerikanische Maskulinitätsprojekt. Solange es nicht möglich ist, die Kastrationsdrohung zu überwinden, die von der weißen Suprematie über den Rape-Lynching-Komplex 82 | Carbado 1998 und Carbado 1999c. Es gibt eine reiche Literatur besonders afroamerikanischer Feministinnen, die sich mit diesem Themenkomplex beschäftigen. Siehe z.B. hooks 1990b, hooks 1990b, hooks 1992b und Wallace 1979.
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ausgeht, solange bleibt der Zugang zur symbolischen Ordnung, oder anders gesprochen, die Teilhaberschaft an der gesellschaftlichen Macht versagt. Doch steht zwischen dem weißen Vater und dem Wunsch, von ihm anerkannt zu werden, zunächst ein schwarzer Vater, den es zu installieren gilt, um die erste Stufe der Maskulinität zu erklimmen. Wenn – wie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA der Fall – eine gesellschaftlich akzeptierte Race-Hierarchie herrscht, kann keine Vaterfigur entstehen, die die notwendige Ermächtigung der Söhne bewerkstelligen könnte.83 Eine ›Narrative of Emasculation‹, wie sie in der Prosa von Richard Wright und Ralph Ellison und in gewisser Weise noch an Baldwin zu studieren war, ist dazu verdammt, die Schwelle zu beklagen, die zwischen ihren Figuren und einem vollgültigen Subjektgefühl steht. Das macht die Fixierung auf den Rape-Lynching-Komplex in ihren Werken aus. Das Kompositum Rape-Lynching-Komplex versucht die Dynamiken zu erfassen, die sich weiße Suprematie am Interface von Race, Gender und Sexualität zunutze macht. Durch die Lynchdrohung hält sie schwarze Maskulinität in Schach und setzt weiß-weibliche Tugend auf einen Denkmalsockel im Sinne der Befestigung eines Heteropatriarchats. In der Perspektive eines Race-Sexualitätsdispositivs gelesen ist der Rape-Lynching-Komplex die Grenzbarriere zur Verhinderung von Bevölkerungen gemischter Races. Damit ist die Frage von Reproduktion angesprochen. Die Sexualisierung von Race (und die Rassisierung von Geschlecht) regelt nicht nur, dass schwarze Männer von weißen Frauen ferngehalten werden, sondern auch die Beziehung von weißen Männern zu schwarzen Männern. Der auf einer phantasierten phallischen Kompetenz des schwarzen Mannes beruhende Sexualneid des weißen Mannes öffnet auch eine Begehrensdimension auf den schwarzen Körper. Insofern sind neben den heterosexistischen und rassistischen Dimensionen auch ein homoerotischer Rassismus genuine Bestandteile des Rape-Lynching-Komplexes. Obwohl Autoren wie Richard Wright, Ralph Ellison und James Baldwin selbst nicht auf autorisierende Väter zurückgreifen konnten, und sie durch die fehlende Anerkennung der weißen Gesellschaft zum Teil zu schwierigen und manchmal verbitterten Exil-Existenzen genötigt wurden, waren sie die erste Generation moderner afroamerikanischer Literatur, die den weißen Mann als Verursacher ihres Leidens explizit angreift. Damit wurden sie zu geistigen Vätern der nachfolgenden Generationen. Da ›Väter‹ überwunden werden müssen, um Zugang zur symbolischen Ordnung zu bekommen, überzogen die jungen 83 | Die Psychoanalytikerin Helen McLean machte eine ähnliche Beobachtung zur Jahrhundertmitte. Über den afroamerikanischen Mann sagt sie: »He longs for an omnipotent perfect father, whom he can trust implicitly. This kind of father does not exist. His white friends are all too human. His own masculine pride will not allow him to admit these unmasculine longings, so his angry protest mounts. One source for the anger is real discrimination« (McLean 1946, 166).
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Autoren die älteren mit Polemiken: Baldwin gegen Wright, Malcolm gegen alle und Cleaver und Baraka gegen Baldwin. Diese Vatermorde waren Vorraussetzungen für den Selbstschöpfungsakt der radikalen ›Söhne‹. Die Generation von Spike Lee findet sich nun in einem Dilemma vor. Für die radikale Erbschaft des Black Nationalism existiert kein gesellschaftliches Echo mehr, und eine neue schwarze Mittelklasse – zu der der Regisseur zweifellos selbst gehört – sucht eher den Kompromiss und Integration als die weitere Verfolgung des Maskulinitätsprojektes. Letzteres bleibt den Ghetto-Kulturen überlassen, die sich durch ihre Situation zu Maskulinitätsexzessen provozieren lassen. Der New Radicalism der neunziger Jahre, wie er sich in den Filmen von Spike Lee zeigt, ist eigentlich ein Rückgriff auf den ersten Durchbruch des Maskulinitätsprojekts in den Sixties. Spike Lee verbindet die performative Maskulinität der Ghetto-Kultur mit dem Echo der Black Panthers und wandelt beide in eine moralische Botschaft von Do the Right Thing (Titel eines frühen Spike Lee Films 1988). Er versucht dabei, zwei Autorisierungen zu verschmelzen, die der revolutionären ›Väter‹ und die der erfolgreichen Söhne, die ihre gescheiterten Väter ›retroaktiv‹ mit Bedeutung ausstatten. Mit der ständigen Artikulation und Re-Artikulation eines Maskulinitätsprojektes wird hier der Kampf gegen Race-Diskriminierung in der Sprache von männlichen Geschlechtspositionen gefasst. Oder in einem anderen Modell ausgedrückt: Der gegenhegemoniale Diskurs nimmt die Form eines Gender-Projektes an, nämlich der Entfaltung und Behauptung von Maskulinität. Dieses Gender-Projekt mit der eigenartigen Mischung einer Opfer-Helden-Figur mit Macho-Attitude ist, wie man leicht vermuten kann, nicht der ideale Bündnispartner für einen neo-feministischen Emanzipationsdiskurs. Die Geschlechterpolitik einer gekränkten Re-Maskulinisierung hält weder für weiße noch für schwarze Frauen Anschlussmöglichkeiten bereit, was die Vergewaltigungsdiskurse gegenüber schwarzen Frauen von Wright und Cleaver überdeutlich machen. Das nächste Kapitel geht zeitlich einen Schritt zurück und setzt sich mit radikalen ›Vätern‹ von Spike Lee wie Stokely Carmichael und Eldridge Cleaver auseinander. Paradoxerweise hatten gerade die Black Panthers und ihre unmittelbaren Vorgänger einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung eines neuen radikalen Feminismus, oder um es passiver zu formulieren, ihre Existenz und Denkweise wurde zur Initialzündung einer neuen, mehrheitlich weißen Frauenbewegung. Die ersten Wellen des Race-Emanzipationsdiskurses der Sixties waren er erstaunlicherweise mit weißen Frauen verbunden. Diese arbeiteten in größerer Zahl in der Tradition eines linken Aktivismus an ersten afroamerikanisch dominierten Bürgerrechtsinitiativen mit. Allerdings stießen sie sich bald an den frauenfeindlichen Kommunikationsformen ihrer Bündnispartner. In diesem Soziotop anti-rassistischer Propaganda reifte in der politischen Alltagserfahrung die
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Vorstellung, dass es analog zum Rassismus auch einen ›Sexismus‹ geben könnte, der einen neuen Feminismus erforderlich mache. Da beide Emanzipationsdiskurse seit dem 19. Jahrhundert durch den Rape-Lynching-Komplex geradezu darauf konditioniert sind, die Existenz des jeweils anderen als ›Gefahr‹ wahrzunehmen, ist die Race-Frühgeschichte des Second Wave Feminism besonders stark verschüttet. Das folgende Kapitel über »Second Wave Feminism und Körperpolitik« versteht sich insofern als eine Ausgrabungsarbeit.
5. ›Second-Wave-Feminism‹ und Körperpolitik
›S ECOND -W AVE -F EMINISM ‹ UND DIE M ATRIX VON R ACE 5.1 Gang-Banging Es ist ein sonniger Nachmittag. Ein weißes junges Mädchen sitzt auf der Schaukel und streckt die Beine in die Luft. Ein schwarzer Junge kommt vorbei und guckt ihr unter den Rock, so glaubt das Mädchen jedenfalls. Aufgeregt teilt sie diese Ungeheuerlichkeit mit, und es passiert, was passieren muss, wenn im Süden der Vereinigten Staaten in der ersten Jahrhunderthälfte des 20. Jahrhunderts dergleichen ausgesprochen wird. Eine Gruppe von Kavalieren tut sich zusammen, um die Ehre des Schaukelmädchens wieder herzustellen. Soweit verläuft alles nach dem Drehbuch des Rape-Lynching-Komplexes. Doch dann geschieht etwas Ungewöhnliches. Der Vater des schwarzen Jungen weigert sich, den südlichen Sitten Tribut zu zollen. Er stellt sich den Kavalieren mit geladenem Gewehr entgegen. Die, selbst unbewaffnet, lassen von ihrem Vorhaben ab. Nun waren die Herren aber aufgebrochen, eine ehrenvolle Tat zu vollbringen. Nach einigem Nachdenken finden sie die angemessene Aufgabe zur Wiederherstellung der allgemeinen Moral. Sie vergewaltigen – einer nach dem anderen – das weiße Mädchen: »to teach her a lesson about flirting with black men«.1
1 | Jordan 1995, 50, FN 6. Einige Zeit später, 1962, berichtet die weiße Civil Rights Aktivistin Penny Cash, dass sie in Smithville, Georgia, verhaftet wurde, weil sie angeblich zu schnell gefahren sei, in Wirklichkeit aber um sie an ihrer Agitation zur Registrierung schwarzer Wählerinnen und Wähler zu hindern. Im Gefängnis seien dann plötzlich die Wachen verschwunden und zwölf junge weiße Männer aufgetaucht: »If I ever came back, they said, they were going to throw me into the swamp. They said they’d fix me up a little first, before they throw me in« (Curry/Browning/Burlage/Patch/Del Pozzo/Thrasher/ Baker/Adams/Hayden 2000, 146).
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Was die jungen Männer taten, nachdem sie daran gehindert worden waren zu lynchen, nennt man im amerikanischen Englisch ›gang-banging‹ (Gruppen- oder Rudelvergewaltigung). Das Webster New World Dictionary (1988) weist dabei für das Wort Gang-Banging zwei Bedeutungen aus: »1. (vulgar) sexual intercourse, esp. rape, of one woman by several men in rapid succession. […] 2. a gang fight« (555). Obwohl das Wort ›gang‹ für Jugendbande im Prinzip Raceneutral ist, ist die Konnotation im späten 20. Jahrhundert eindeutig schwarz, d.h. bei Gang-Banging denkt man an Territorialkämpfe in den Ghettos großer Städte. Die soziale Konfliktpraxis der Bandenkriege liegt damit auf derselben sprachlichen Ebene wie das Demütigungsritual einer Gruppenvergewaltigung. Unter dieser Perspektive wirkt der Umschlag von Lynching zu Vergewaltigung weniger seltsam, als es zuerst den Anschein hatte. Auf der Zeitreise hat GangBanging eine Race angenommen: Die Tätigkeit einer Gruppe von Vergewaltigern, über deren Hautfarbe erst einmal keine Aussage gemacht wird, mutiert sprachlich zu einer (schwarzen) Straßengang, die kämpft, wobei Vergewaltigung nicht notwendig mitgedacht ist. Im April 1989 vergewaltigte eine Gruppe meist ›schwarzer‹ junger Puertoricaner, die sich als Gang verstand, im Central Park, New York, eine junge Investment-Bankerin, die spät am Abend zum Joggen unterwegs gewesen war. Die Vergewaltiger hatten das Opfer neben dem sexuellen Übergriff zusätzlich misshandelt und verstümmelt, ein Auge in den Schädel gedrückt und Gegenstände in ihre Scheide gestopft. Sie wurde erst am nächsten Morgen fast verblutet aufgefunden und überlebte schwer verletzt. Der Fall der ›Central-Park-Joggerin‹ verursachte nationales Aufsehen und wurde zu einer sexualisierten Metapher für die weiße Paranoia, in den Städten (Inner Cities) schwarzer Kriminalität ausgesetzt zu sein.2 Die Tatumstände des Verbrechens überschritten das Muster einer einfachen Vergewaltigung. Der Körper der jungen Frau war rituell verstümmelt worden. Dieses Gang-Banging war inszeniert wie ein Lynching. In der Einstiegsanekdote geschah die Gruppenvergewaltigung noch statt Lynching. Diese beiden Vor-Geschichten und ihre Drehungen in die jüngere Vergangenheit sind Allegorien für das Vorhaben dieses Kapitels. Ich möchte die Geschichte der neuen amerikanischen Frauenbewegung der siebziger Jahre als eine Wanderschaft der Metapher Vergewaltigung in das semantische Feld von Lynching erzählen. Es wird dabei die Vorannahme gemacht, dass der amerikanische Second-Wave-Feminism anders als europäische Neufeminismen durch 2 | Siehe die berühmte Analyse von Joan Didion »Sentimental Journey«, die die Medienaufmerksamkeit und Rhetorik gegenüber diesem Fall als eine kulturelle Erzählung interpretiert, in der ein weiblich konzeptualisiertes New York als eine von schwarzen Vergewaltigern geschändete Jungfrau verstanden wird (Didion 1992). Siehe auch die Analysen von Sabine Sielke (Sielke 2002) und Elisabeth Bronfen zu Didions exemplarischer Kulturkritik (Bronfen 1995).
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den Race-Emanzipationsdiskurs des gleichen Zeitraumes konstituiert ist und damit eine ganz besondere – an die eigene und die ›andere‹ Race gebundene – Sexualpolitik entwickelt. Der Faden, den das Vorspiel hier spinnt, wird sich erst am Ende des Kapitels wieder in den Text verweben.
5.2 Geborgte Rhetorik und vergessene Geschichte In den frühen siebziger Jahren ist die im letzten Kapitel entwickelte Diskursformation ›afroamerikanische Maskulinität‹, als ein zentrales Vehikel von Race-Emanzipation zu verstehen. Die Black Panthers hatten sich gegründet, und der Slogan ›Black Power‹ war als Autorisierungsgeste entstanden. Gleichzeitig begann nach fast hundert Jahren gedämpfter Aktivität eine neue Frauenbewegung sichtbar zu werden. Der alte, ehemals mächtige Frauenrechtsdiskurs des 19. Jahrhunderts hatte sich als Unter-Strömung im fortdauernden Kampf ums Wahlrecht erhalten und hatte die Figuration der ›Neuen Frau‹ hervorgebracht. In den Zwanzigern hatten Bohémiennes und Protagonistinnen des sexuellen Modernismus für kurze Zeit eine Lebensstil-Revolte in Szene setzen können, aber von einer massenhaften Frauenemanzipationsbewegung konnte schon lange nicht mehr die Rede sein. Für das plötzliche Auftreten eines neuen Feminismus in den sechziger Jahren stellen die inzwischen zahlreich erschienen Historiographien die unterschiedlichsten Gründe in Rechnung – Produktivkraft-Fortschritt, höherer Bildungsstand, Aufkommen einer Neuen Linken, frei zugängliche Geburtenkontrolle oder die Anlehnung an anti-koloniale Kämpfe in der Dritten Welt. All das sind wichtige Faktoren. Sie lassen allerdings ein bedeutendes Element unberücksichtigt, nämlich die US-typische Interdependenz von Race- und GenderBefreiungsdiskursen. In diesem Kapitel soll deshalb der Versuch unternommen werden, eine historische und konzeptuelle Beziehung der neuen weißen Frauenbewegung zur Race-Emanzipation der gleichen Zeitperiode zu rekonstruieren und damit erneut eine abgeschnittene Vorgeschichte wieder an die Oberfläche zu bringen, die weitreichende Folgen hatte. Die neue Frauenbewegung wurde von den Zeitgenossen und Zeitgenossinnen ›Second-Wave-Feminism‹3 genannt, eine Zuschreibung, die sich bald auch in den Texten aus der Bewegung selbst fand. Diese Etikettierung implizierte dreierlei: Einmal knüpfte man damit an eine erste Welle der Frauenemanzipationsbewegung an und stellte sich in die Tradition der »Declaration of Sentiments« von 1848 und der Frauenrechtskämpfe von Susan B. Anthony und 3 | Der Begriff wurde im New York Times-Magazin vom 10. März 1968 zum ersten Mal verwendet: »The Second Feminist Wave«. Zu einer modernen Diskussion um den Sinn der Bezeichnung Second Wave Feminism siehe das Vorwort von Linda Nicholson in ihrer gleichnamigen Anthologie (Nicholson 1997, 1-5).
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Elizabeth Cady Stanton. Mit dem Wort ›Feminismus‹ greift man zweitens auf eine jüngere Tradition zurück. Dieser erst um die Jahrhundertwende geprägte Begriff denotiert besonders die Militanz der Frauenrechtlerinnen im Kampf um das Wahlrecht.4 Und der Ausdruck ›Welle‹ assoziiert schließlich einen Aufbruch, eine Flutwelle, die den Feminismus als soziale Massenbewegung sieht. Weitere Selbstbenennungen weisen in andere Richtungen: Da ist zum einen der Begriff ›Women’s Liberation‹. Als Antwort auf die selbstgestellte Frage »What is Liberation« schrieb die Redaktion des gleichnamigen Frauenbewegungsblattes 1970: »In early parts of the century, women described themselves as ›suffragettes‹ or ›abolitionists‹ – the very words describe the limitation of their struggle: to gain the vote or to end slavery […] ›Liberation‹ [means that] women are asking for nothing less than the total transformation of the world.« 5
Moderne Frauenbefreiung verstand sich demnach als Überschreitung alter Feminismen, wobei die Bezugnahme auf den Abolitionismus und seine Zentralkategorie ›Sklaverei‹ offensichtlich selbstverständlich war. Women’s Liberation unterstellte weiterhin, dass Frauen bis zur Gründung ihrer Bewegung ›gefangen‹ oder ›unterdrückt‹ gewesen seien. Auch Gefangenschaft ist ein mehrdimensionales Deutungsmuster. Es kann topologisch verstanden werden, wie Betty Friedan es im ersten amerikanischen Manifest eines neuen liberalen Fe4 | Das Oxford English Dictionary (OED) gibt als Quelle für die erste Benutzung des Begriffs ›Feminismus‹ (1895) die deutsche Zeitschrift Atheneum an. Englischsprachige Quellen beginnen 1908 und verbinden das Wort mit den Suffragettenkämpfen in England. Nach dem OED ist ›Feminism‹: »Advocacy of the rights of women (based on the theory of the equality of the sexes)«. Zur Etablierung der Kategorie ›Feminism‹ im Gegensatz zu ›Women’s Rights‹ oder Kämpfe um die ›Suffrage‹ zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA, siehe Cott 1987. Ich danke Aline Oloff für den Hinweis auf eine ältere Genealogie des Begriffs im französischen Kontext. Dort taucht das Adjektiv ›feministisch‹ zum ersten Mal pejorativ in einer Schmähschrift vom bekannten Anti-Feministen Alexandre Dumas fils auf (1872). Von dort findet es den Weg in die Feder von Hubertine Auclert, die es 1882 in eine positive Selbstbezeichnung wendet (Offen 1987, 494). Interessanterweise existiert das Wort »féminisme« bereits vor dem Adjektiv im medizinischen Vokabular. 1871 ist eine Arbeit »Du féminisme et de l’infantilisme chez les tuberculeux« erschienen. Autor ist der Medizinstudent Ferdinand-Valère Faneau de la Cour, ein Schüler von Jean Lorrain. Laut Geneviève Fraisse bezeichnet féminisme hier eine verzögerte bzw. das gänzliches Ende von Entwicklung bei an Tuberkulose erkrankten Männern, auch als infantilisme (ebenfalls ein Neologismus) beschrieben (Fraisse 1995, 315f). 5 | Zitiert nach Crow 2000.
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minismus The Feminine Mystique (1963) tat, indem sie für den weißen amerikanischen Normal-Haushalt mit nicht-berufstätiger Mutter die schrille Metapher fand, er sei ein »comfortable concentration camp with infantilized women«.6 Gefangenschaft kann aber auch als äußeres Zwangssystem (Bondage) und damit als ›Sklaverei‹ verstanden werden. Der Second-Wave-Feminism vereinigte von Beginn an zwei sehr verschiedene politische Richtungen. Betty Friedan repräsentierte dabei den sogenannten Liberal Feminism, eine aus der weißen Mittelklasse erwachsene Gleichstellungsbewegung, die aus der Hausfrauenehe in die Berufstätigkeit strebte. Ein jüngerer Radical Feminism dagegen hatte seinen Ursprung in den politischen Aufbrüchen der sechziger Jahre. Beide Quellen vereinigten sich in den frühen Siebzigern zu einem mächtigen Bewegungsstrom und wären wohl ohne einander nicht zu der Bedeutung gekommen, die sie letztendlich erreicht haben. Der liberale Feminismus brauchte das Gefühl und die Rhetorik eines revolutionären Aufbruchs, der radikale Feminismus brauchte die Unterstützung einer Massenbewegung. Später teilte sich die Bewegung in einen eher dem kulturrevolutionären Erbe verpflichteten Cultural Feminism und einen in die Alltagsrhetorik einsickernden Mainstream Feminism. Die folgenden Darlegungen konzentrieren sich auf die Bewegungsgeschichte von radikalem und kulturellem Feminismus und beleuchten das knappe Jahrzehnt, in dem in einer Art von Kulturrevolution die damalige amerikanische Race- und Gender-Ordnung aufgestört wurde. Das Wort Befreiung im Begriff Women’s Liberation verweist noch auf eine weitere Bedeutungsschicht. Die Entstehung des Second-Wave-Feminism fiel weltgeschichtlich mit dem Ende des Kolonialismus zusammen. Politisch radikaler Feminismus sah sich in Einheitsfront mit den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. Robin Morgan, eine der radikalen Vertreterinnen der frühen Frauenbewegung, schrieb: »Women are colonized people. Our history, our values, and cross-cultural culture have been taken from us – a gynocidal attempt manifests most arrestingly in the patriarchy’s seizure of our basic and precious ›land‹: our bodies.«7 (Kursivierung Morgan)
6 | Zitiert nach Evans 1979, 18. 7 | Morgan 1970, 161. Die Kolonialismus-Analogie war in den USA stark mit den Kämpfen gegen den Vietnamkrieg verbunden. In einem »Fourth World Manifesto« unterstellen die Verfasserinnen eine genuine Verbindung zwischen Frauenbefreiung und anti-imperialistischen Kampf, da Krieg eine männliche Angelegenheit sei: »The demand for an end to sex roles and male imperialist domination is a real attack on the male citadel of war« (Burris 2000, 241).
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Der Frauenkörper wird hier mit einem kolonisierten und ausgebeuteten Drittweltland verglichen. Während Gefangenschaft und Kolonisierung sozusagen die Nachtseite einer Rhetorik der Befreiung ansprechen, leuchtet an der Tagseite ein utopisches Projekt auf: Befreiung aus den Fesseln traditioneller Weiblichkeit. Nicht von ungefähr wurden Verbrennungen von Büstenhaltern und die Störung von Schönheitswettbewerben mit Hinweisen auf den Fleischmarkt-Charakter solcher Veranstaltungen zu bleibenden Symbolen des Ausbruchs aus der Körperdisziplin der Weiblichkeit.8 Damit ist man zu einem weiteren Teil der Geschichte der Interpretation des Neuen Feminismus gekommen, nämlich seiner Selbstattribuierung als Radical Feminism, der die totale Transformation der bisherigen Welt fordert, wie der Untertitel von Shulamith Firestones flammendem Manifest Dialectic of Sex (1970) klarstellt: »The Case for a Feminist Revolution«. Eine Revolution, nicht mehr und nicht weniger schien notwendig, eine vollständige Veränderung der Welt war das Programm der Stunde. Sowohl die Vorstellung, dass eine fundamentale ökonomische Revolution – hier noch im marxistischen Zeichensystem gedacht – nötig ist, als auch das Wissen, dass sie allein nicht ausreichen würde, um die spezifische GruppenUnterdrückung zu beseitigen, hat die weiße Frauenbewegung der Black-PowerBewegung entliehen. Anne Koedt schrieb 1973 in dem Manifest »Women and the Radical Movement«: »A black male revolutionary would not be satisfied knowing only that the economic structure went from private to collective control: he would want to know about racism. And you would have to show him how white power and supremacy would be eliminated in that revolution before he wants to join you. Until we make that similar demand revolution will pass us by.« (Meine Kursivierung) (Koedt 2000, 66)
Die Wortfindung ›Male Supremacy‹, eine erste Formulierung für systematische männliche Herrschaft, leitet sich aus ›White Supremacy‹ ab, einer Bezeichnung, die für die Race-Macht des dominant weißen Amerika steht und Sklaverei und Segregation reflektiert.9 Der Kampfbegriff Frauenmacht – Women Power – ist 8 | Interessanterweise fand die berühmteste Büstenhalterverbrennung – geplant als politische Aktion vor den Toren des Miss Amerika Wettbewerbs in Atlantic City – gar nicht statt. Als angemeldete Demonstration wurde sie aus feuerpolizeilichen Gründen untersagt. Soviel zur Macht der Symbole. Siehe Rosen 2000, 160. 9 | Eine der wenigen Historiographien der Frauenbewegung, die Race- und Frauenemanzipation als interdependent diskutiert, – Sara Evans, Personal Politics. The Roots of Women’s Liberation (1979) – weist zwar auf Analogien der Selbstkonzeptualisierung der Frauenemanzipation mit der Race-Emanzipation hin, erwähnt erstaunlicherweise aber nicht den Bezugsbegriff White Supremacy (Evans 1979, 120).
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ein Echo von Black Power. Auch die Vorstellung von der Abbildung weiblicher Unterdrückung in der Seele der Frau, die Annahme eines geschlechtsspezifischen Minderwertigkeitskomplexes, war ein Echo kritischer Theorien über die persönlichkeitsschädigenden Auswirkungen von Rassismus (Kardiner/Ovesey 1951). Die Mark of Oppression fehlender Selbstachtung als Reaktion auf weiße Dominanz, wie sie die rassismuskritische Soziologie diagnostiziert hatte, wurde nun auch bei Geschlechterdiskriminierung aufgrund von männlicher Dominanz beobachtet. ›Sexismus‹ ist eine historisch sehr junge Begriffsbildung. Die erkenntnisleitende politische Formel des Second-Wave-Feminism wurde nach dem Vorbild des Begriffs Rassismus geprägt. Das Oxford English Dictionary (OED) weist den ersten Gebrauch von ›Sexismus‹ 1968 in der amerikanischen politischen Zeitschrift Vital Speeches nach. Dort schrieb die als Miss Caroline Bird vorgestellte Autorin: »[…] women […] don’t want to be segregated from the political mainstream. Like Negroes they resent being tokens. There is recognition abroad, that we are in many ways a sexist country. Sexism is judging people by their sex when sex does not matter. Sexism is intended to rhyme with racism. […] They learned this from fighting for the Negro rights. What they saw was that the identity of a Negro as a person was damaged by treating him ›like a Negro‹.« (Meine Kursivierung) (Bird 1968, 90)
Caroline Bird entlehnt ihre Beschreibung von Sexismus weitgehend aus dem Repertoire dessen, was landläufig unter Rassismus verstanden wurde. Die Parallele wird offen ausgesprochen, es ist von ›Tokens‹ die Rede, von Segregation und Anerkennungsproblemen, die zustande kommen, wenn man als Frau schlecht behandelt und nicht respektiert wird in Analogie zu einem schwarzen Menschen, der als ›Negro‹ behandelt wird. Erstaunlicherweise ist diese analoge Selbstdefinition des Second-WaveFeminism mit dem zeitgleichen Race-Emanzipationsdiskurs in den Darstellungen der Bewegungsgeschichte selten reflektiert. In den gängigen Selbsthistorisierungen der Frauenbewegung wird der ›gründende Moment‹ des neuen Feminismus aus weißen Konfliktpotentialen hergeleitet. Zwei ›Erzählungen‹ sind dabei vorherrschend. In der liberalen Version entzündet Betty Friedan mit ihrem Buch Feminine Mystique (1963) ein Fanal gegen das unerfüllte Hausfrauendasein der weißen Vorstädte und stößt damit eine Bewegung an (Banner 1984, 247). Die radikale Version sieht die Initialzündung in dem Schisma der Frauen der Neuen Linken mit dem weiß-männlichen Führungskader des SDS und in den spektakulären weiblichen Podiumsrevolten im Jahr 1968.10 Dort waren die Frauen unter Protest aus dem Plenum ausgezogen, als ihre Resolu10 | Siehe z.B. den Überblick von Barbara Ryan (Ryan 1992).
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tionen nicht zur Abstimmung zugelassen wurden, und sie hatten in der Folge autonome Frauengruppen gegründet. Eine andere Traditionslinie beschäftigt sich zwar mit der politischen Erbschaft der Bürgerrechtsbewegung für Women’s Lib, allerdings mit einem entweder romantisierenden oder einem abgrenzenden Impetus.11 Ein idealistisches Engagement weißer Aktivistinnen für Civil Rights wird zwar erwähnt, aber es herrscht ein kritischer Unterton vor, der vor allem gegenüber der männerdominierter Black Power deutlich antagonistische Empfindungen ausdrückt, gleichwohl aber deren Ermächtigungsstrategien zum Vorbild nimmt.12 Eine Interdependenz von Race- und Gender-Emanzipation, die über die Frage von Analogie und Bündnis hinaus die sexualpolitischen und paradigmatischen Verbindungen herauspräpariert, wird auch in den allerjüngsten Anthologien oder Darstellungen der Anfänge nicht gedacht.13 Diese historische Amnesie ist keineswegs zufällig. Mit der Ausblendung der Entstehungsgeschichte neuer Gender-Gerechtigkeitsdiskurse aus den Race-Emanzipationsparadigmen wiederholte man im 20. Jahrhundert einen Vergessensprozess, wie er schon im 19. Jahrhundert stattgefunden hatte. Der erste Feminismus entwickelte sich aus dem Race-Diskurs des Abolitionismus, verdrängte diese Genese aber nach dem Bürgerkrieg, als nur schwarze Männer das Wahlrecht erhielten. Die Konkurrenz um das wichtige Gut des Wahlrechtes vertrug keine sentimentalen Erinnerungen an gemeinsame abolitionistische Hymnen. 11 | Davis 1991, Diamond 1992. 12 | Freeman 1975, Echols 1989, 22-23. 13 | In Ruth Rosens Bezugnahme auf die Bürgerrechtsbewegung wird weder die Ermächtigungsfunktion der Civil-Rights-Rhetorik erwähnt noch die diskursive Entwicklung einer Vorstellung von Frauendiskriminierung aus einem Race-Paradigma (Rosen 2000, 94-111). In der Anthologie Radical Feminism von Barbara Crow werden trotz umfassender Dokumentation unverständlicherweise die ersten Second-Wave-Feminism Manifeste von Mary King und Casey Hayden nicht dokumentiert, die in der Bürgerrechtsbewegung entstanden waren. Und das Unterkapitel »Race« der Anthologie bewegt sich jenseits dieser Genealogie. Es handelt sich um soziologische Erklärungsversuche für das Nachlassen des Interesses der Frauenbewegung am anti-rassistischen Kampf. Es werden hauptsächlich die Fraktionierungen und Konflikte zwischen schwarzen und weißen Feministinnen dokumentiert. Letzteres ist in der gegenwärtigen Debatte das einzige Feld, in dem von weißen Feministinnen über Race-Gender-Antagonismen reflektiert wird (Crow 2000, 4-5). Ähnlich gelagert ist eine Studie von Jane Gerhard (2002) über Sexualpolitik und Feminismus, die ebenfalls nur die Konflikte mit dem schwarzen Feminismus dokumentiert, das Race-Gender-Feld von Sexualpolitik aber nicht berührt, was bei diesem Thema eine außerordentliche Blindstelle darstellt (Gerhard 2001, 102, 174-178, 180-190). Siehe zuletzt Breines 2006, 19-51.
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Wenn nun der Ursprung einer Geschichte vergessen wird, z.B. weil eine eigene Gründungslegende gebraucht wird, oder wenn eine Reflektion historischer Schuld vermieden werden soll, findet eine Bedeutungsverschiebung und Verdrehung statt, die durch eine Überblendung von Zeichen entsteht. In den Mythen des Alltags entwickelt Roland Barthes ein Konzept von Mythos als interessengeleiteter, historischer Vergesslichkeit. Für den hier zu verhandelnden Fall kann man wiederum wie Sabine Broeck von ›White Amnesia‹ sprechen (Broeck 1999). Barthes benutzt für seine These von der interessengeleiteten Vergesslichkeit ein Photo aus Paris Match, das einen schwarzen Soldaten in französischer Uniform zeigt, der beim Aufziehen der französischen Flagge militärisch salutiert (Barthes 1970). Die intendierte Botschaft ist, dass die französische Nation von ihren weißen und schwarzen Bürgern gleichberechtigt geliebt und respektiert wird. Abgeschnitten und übertüncht ist bei einer solchen Interpretation die Kolonialgeschichte, die sich Afrika Untertan gemacht und seine Bewohner unterdrückt hatte. Die gelungene Mythologisierung dieser Erbschaft in die neue Ideologie einer brüderlichen Nation kommt nach Barthes dadurch zustande, dass eine ursprüngliche Zeichenkette: schwarz = kolonialisiertes Subjekt von einer zweiten Zeichenkette überblendet wurde, die assoziieren soll: ›Bewohner des französischen Imperiums = französischer Patriot‹. Den Transfer für diesen Prozess leistet dabei die Fahne, einmal als Kriegszeichen der Landnahme und einmal als Symbol der Französischen Revolution, wobei letztere die staatstragende Ideologie ist. Eine Mythologie ist nach Barthes’ Lesart ein verdichteter Tatbestand, der seine Genealogie, d.h. die hervorbringende Signifikantenkette, ›vergessen‹ hat und über eine zweite Signifikantenkette eine neue Bedeutung erhält, die das nun Bezeichnete seiner Ursprungsgeschichte beraubt und als neue ›selbstverständliche‹ Verbindung naturalisiert oder im Sinne Stuart Halls in einer neuen Verkoppelung re-artikuliert.
5.3 Geburt einer Metapher: Paternalismus und ›The South‹ Schon in der ersten Frauenbewegung war eine Analogie von Race und Gender konstitutiv für einen Rechtediskurs gewesen. Ihre Neuauflage zur Mitte des 20. Jahrhunderts trifft auf eine vollkommen gewandelte Situation.14 Das Wahlrecht war auch für Frauen schon lange erfochten worden. Formal waren schwarze Amerikanerinnen und Amerikaner gleichgestellt, wenngleich die legalisierte ›Separate-but-Equal‹-Segregation sie um viele Lebenschancen in Bezug auf Ausbildung, Einkommen und Anerkennung gebracht hatte. Der komplett rechtlose Status der Sklaverei konnte also nicht mehr das gemeinsame Dritte der 14 | Stepan 1990. Zur konkreten Analogisierung im späten zwanzigsten Jahrhundert siehe Hogeland 1990. Grundsätzliche Überlegungen zu einer Race-Gender-Analogie und ihrem sich wandelnden gemeinsamen Dritten, siehe in Kapitel 1 und 2, S. 84-89 und S. 114-119.
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Analogie von (weißen) Frauen und Afroamerikanern und Afroamerikanerinnen sein. Die neue Race-Analogie geht einer anderen Dynamik nach, nämlich einer spezifischen Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft, wie sie dominierte Bevölkerungsgruppen in der US-amerikanischen Wirklichkeit erleben. Der norwegische Sozialforscher Gunnar Myrdal war der erste, der im 20. Jahrhundert eine Race-Gender-Analogie neu entdeckt, revitalisiert, oder sagen wir besser, neu konzeptualisiert hat. Er verhandelt dabei weniger ›objektive‹ Daten von Unterdrückung und Rechtlosigkeit als ein mentales Muster von Herrschaftslegitimierung und Unterwerfungsbereitschaft. Myrdal war von der Carnegie-Stiftung damit beauftragt worden, die »NegroQuestion« zu erforschen. Man versprach sich vom Ausländer ohne nationale Sklaverei-Vergangenheit den notwendigen fremden Blick für Das Amerikanische Dilemma, wie Myrdal die Auftragsstudie selbst übertitelte. Bei der Rekonstruktion der Apartheidspolitik (Segregation) des Südens stieß er neben der offensichtlichen Unterdrückung auf eine Dynamik, die er als Überreste des ›Paternalismus‹ des Sklaverei-Systems interpretierte: »[The South is dominated by a …] paternalistic idea which held the slave to be a sort of family member […] placed him beside women and children […] in drawing a parallel between the position of and feeling toward women and Negros, we are uncovering a fundamental basis of our culture […] The similarities in the women’s and the Negro’s problems are not accidental. They were […] originally determined in a paternalistic order of society.«15 (Meine Kursivierungen)
Zu einer ähnlichen Analyse wie Myrdal kommt, über zwanzig Jahre später, Gayle Rubin.16 In einer Studentenzeitung der Universität von Michigan schrieb sie 1969 unter der Überschrift »White Women as Nigger«: 15 | »Women, Servants, Mules and Other Properties«, Appendix 5, A Parallel to the Negro Problem in Myrdal 1944, 1073-1078. 16 | Gayle Rubin entwickelte sechs Jahre später in dem Aufsatz »The Traffic in Women« 1975 mit der Figuration ›Sex-Gender-System‹ ein zentrales Paradigma des modernen Feminismus (Rubin 2006). In Abkehr einer naturalisierenden Sicht auf die Frau als Effekt ihrer biologischen Essenz, argumentiert sie gestützt auf Marx, Freud und LéviStrauss, dass männliche Herrschaft willkürlich an die visuelle Wahrnehmung des Geschlechts angeheftet ist. Der verdinglichte Status der Frau kommt nach Rubin hauptsächlich dadurch zustande, dass sie als Ware und Geschenk unter Männern getauscht wird. Rubins Aufsatz war ein Meilenstein feministischer Theorie und half, die Kategorie Gender als kritischen Begriff für die soziale Konstruktion von Geschlechtsidentität zu installieren. Zu einer neueren Auseinandersetzung mit Rubins Leistung, die mit dem Aufsatz »Thinking Sex. Notes for a Radical Theory of the Politics of Sex« auch die Grundlagen für die später entwickelte Queer Theory gelegt hat, siehe das Sonderheft der
5. ›S ECOND -W AVE -F EMINISM ‹ UND K ÖRPERPOLITIK »I started seriously thinking about ›Women as Nigger‹ at a training session about racism […] I kept substituting female for black and was astonished by the similarities […] parallels in […] discrimination, rationalization of status, ascribed attributes, means of accommodation, such as ›supplicatory whining of voices‹ for blacks, rising inflictions, smiles, laughter, downward glances for women.«17
Im Anschluss zitiert Rubin die Soziologin Heather Dean, die erste Gesellschaftswissenschaftlerin nach Myrdal, die sich mit einer möglichen Strukturparallele von Race und Gender beschäftigte: »Read women for black men, read women for good Nigra, read male chauvinist for Southerner, for Southern ideology read Freud«.18 Interessant an dieser Ableitung sind zweierlei Bezüge: »Nigger« (in der weiblichen Form »Nigra«) und »The South«. ›Nigger‹ ist – jedenfalls im weißen Gebrauch – zweifelsohne ein Schimpfwort, das weit unter dem ebenfalls heute mit einem negativen Beiklang behafteten ›Negro‹ liegt und deshalb in gegenwärtigen Diskussionen strategisch als ›N-Word‹ entnannt wird. Aber auch die Bezeichnung ›Negro‹ ist nicht wertneutral. Weiße Menschen verstehen sich nicht als Mitglieder einer Race-Gruppe, und damit wird ›weiß‹, wie schon mehrfach erläutert, als stille Norm impliziert, die ein übergeordnetes Prinzip repräsentiert.19 ›Negro‹ als Kategorie ist an ein – auf der Oberfläche deskriptives – Differenzparadigma geheftet, an Physiognomie und Hautpigmentierung. Die Bezeichnung ›Nigger‹ dagegen transportiert zusätzlich moralische und kulturelle Devaluation. Nach dem OED bedeutet ›Nigger‹: »A Negro (colloqu. and usu. contemptuous). Except
Zeitschrift Differences, besonders ihr Interview mit Judith Butler (Rubin/Butler 1994). Zur Bedeutung von Rubins ›Traffic in Women‹-Artikel siehe auch die Ausführungen in Kapitel 3, S. 206, Fußnote 65. 17 | Rubin 1969, 231. Die ›Women as Nigger‹-Parallele hat 1969 Naomi Weisstein in einem mit ebenfalls »Women as Nigger« überschriebenen Artikel in Psychology Today aufgemacht, wobei sie von einem »typical minority stereotype of inferiority« spricht. Siehe Nachdruck des Artikels unter dem anderen Titel »›Kinder, Küche, Kirche‹ as Scientific Law« in Morgan 1970, 228-245, hier 244. 18 | Zitiert nach Rubin 1969, 234. Die Originalquelle ist eine Universitätszeitung: Heather Dean, »The Sexual Caste System« in Random, (University of Toronto), Oktober 1966. Der überaus grundlegende – und frühe – Text Heather Deans blieb zu seiner Zeit weitgehend unbeachtet. Eine Internet-Recherche ergab keine weiteren Werke einer Autorin dieses Namens. 19 | Zur ›Unmarkiertheit‹ von Whiteness siehe z.B. Frye 1983, Spelman 1988 und Stokes 2001.
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in Black English vernacular, where it remains common, now virtually restricted to contexts of deliberate and contemptuous abuse« (meine Kursivierung).20 Im Alltagsverständnis impliziert das Wort ›Nigger‹ über die Beleidigung hinaus einen machtkomplizenhaften Verhaltensstil. Ein ›Nigger‹ ist eine Person, die man ungestraft demütigen kann und die dabei nicht nur nicht rebelliert, sondern unterwürfig bleibt und zudem noch um Sympathie wirbt. Frauen als ›Nigger‹, wie Rubin ihren Aufsatz titelt, wären also nicht nur im einfachen Sinne unterdrückt, sondern willfährig lächelnde Komplizinnen ihrer eigenen Beherrschung. Diese Präzisierung verschiebt die Race-Gender-Analogie in die Domäne der Verinnerlichung. Es geht nicht mehr nur um äußere Indizien der Unterdrückung wie Ketten oder Korsetts oder um Recht und Anerkennung. Sondern es geht um die Herausbildung der Charaktermaske Sklavenmentalität. Mit einer so verstandenen Analyse wird auf manipulierte Seelen und ›soziale Körper‹ verwiesen, wie sie die systematische Ausübung von männlicher Herrschaft hervorbringt.21 Eine weitere Konnotation der Frauen-Sklaven-Analogie aus der Myrdal’schen Tradition war der ›Paternalismus‹ des Südens. Die euphemistische Vokabel wurde häufig für die Sklaverei als angeblich sorgendes Familiensystem für unmündige, kindliche Sklaven benutzt. Außerdem ist Paternalismus ein Aspekt von ›Kavalierstum‹ (Chivalry) der Südstaaten gegenüber weißen Frauen. Jenes Pseudoadelssystem der großen Plantgagenbesitzer hat einen besonderen Code des Chivaleresken hervorgebracht, der weiße Weiblichkeit auf ein Podest stellt. Das war für die soziale Konstruktion des Rape-Lynching-Komplexes in der Periode der Rekonstruktion von großer Bedeutung.22 ›The South‹ dient der Soziologin Heather Dean im obigen Zitat als Metapher für das komplexe Abhängigkeits- und Profitsystem, das Sexismus mit Rassismus verbindet. In einer Parallelkonstruktion stehen paternalistische Sklavenhalter/Kavaliere/Patriarchen lächelnd unterwürfigen Menschen (Sklaven – ›Nigger‹) und Frauen (›Women as Nigger‹) gegenüber.
20 | Der afroamerikanische Rechtsprofessor Randall Kennedy hat das Wort ›Nigger‹ in provokanter Absicht als Buchtitel für eine Studie über die Sozialgeschichte der Bezeichnung und ihren verletztenden Charakter gewählt (Kennedy 2003). 21 | Vgl. Bourdieus Theorie von der Inkorporation der männlichen Herrschaft in den weiblichen Körper als ›Habitus‹ (Bourdieu 1997). 22 | Jacquelyn Dowd Hall hat für eine Studie über die weiße Südstaaten-Lady Jesse Daniel Ames, die eine wichtige Anti-Lynching-Kampagne organisiert hatte, diese Struktur eines repressiven Kavalierscodes als Titel gewählt: Revolt against Chivalry (DowdHall 1979).
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N EUER A BOLITIONISMUS 5.4 ›Freedom Summer‹ 1964 Gayle Rubin war nicht die erste weiße junge Frau, die die Analogie von Raceund Gender-Unterdrückung wiederentdeckte. Das Geburtsjahr dieses neufeministischen Paradigmas kann bereits auf 1964 datiert werden. Sowohl die Denotationen der Bezeichnung ›Nigger‹ als auch die des ›Südens‹ bildeten dafür das Ferment. Keimendes feministisches Bewusstsein entwickelte sich im SNCC (Student Nonviolent Coordination Committee), einer Gruppierung schwarzer Studentinnen und Studenten, die in den Südstaaten der USA Segregation und politische Entmündigung der schwarzen Bevölkerung bekämpfen wollten. Sie gingen aufs Land, versuchten Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner dazu zu bewegen, sich als Wähler registrieren zu lassen, Ausbildung zu fordern und in sogenannten Sit-Ins das Recht zu erstreiten, in segregierten öffentlichen Räumen, besonders in Restaurants, bedient zu werden. Gestützt auf das Verfassungsgerichtsurteil Boyton vs Virginia (Dezember 1966), das Segregation in Verkehrsmitteln verbot, die die Grenze von Bundesstaaten überqueren, erzwangen sie als Freedom Riders schwarz-weiß integrierte Überlandbus- und Zugfahrten.23 Zu Beginn waren nur einige wenige Weiße beteiligt, darunter auch Frauen, die meisten selbst aus dem Süden. Danach rekrutierte der SNCC absichtlich weiße Freiwillige, weil nur sie ein Echo in den nationalen Medien erzeugen konnten. In den berühmten Freedom Summers von 1964 und 1965 arbeiteten vierhundert weiße Studentinnen und Studenten, diesmal mehrheitlich aus weißen Elitecolleges aus dem Norden, Schulter an Schulter mit schwarzen Männern und Frauen. Von dieser neuen Crew von Unterstützern hatten vorher die wenigsten jemals einen Menschen einer anderen Hautfarbe jenseits eines Dienstleistungsverhältnisses persönlich gekannt, noch in einer alltäglichen Form mit ihnen zusammengelebt. Diese utopische und auch romantische Aufbruchsvision war in den Niederungen des Südens nicht ohne Risiko, weil die Aktivisten Angriffen lokaler Rassisten und besonders des Ku-Klux-Klan ausgesetzt waren.24 23 | Das Verfassungsgerichtsurteil wurde aber von den Bus- und Eisenbahngesellschaften der Südstaaten weiterhin ignoriert, was den ›Freedom Riders‹ eine legale und legitime politische Plattform schuf. Siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Freedom_ Rides, abgerufen am 22.03.2010. 24 | Im Zuge des SNCC-Aktivismus wurden drei Studenten – James Chaney, Micael Schwerner und Andrew Goodman – 1964 von Ku-Klux-Klan-Mitgliedern ermordet. Schon im Jahr zuvor war der schwarze Civil Rights-Aktivist Medgar Evans ermordet worden, ohne dass das Verbrechen in der weißen Öffentlichkeit registriert wurde. Auch in
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Die physische Nähe – sei sie nun politisch und/oder privat – zwischen den Hautfarben im SNCC war für alle spannungsreich. Das betraf sowohl die weiblichen als auch die männlichen Kampfgefährten, wobei über letzteren, wenn sie sich mit weißen Frauen vertraut zeigten oder sichtbar eine Liebesbeziehung unterhielten, einer stetigen Lynching-Gefahr schwebte. Nicht wenige schwarze Frauen empfanden gegenüber den weißen Mitkämpferinnen starke Ressentiments, wenn diese, wie es häufig geschah, als Geliebte bevorzugt wurden. Im Verhältnis zum Raum, den dieses ›Problem‹ in der Literatur zum SNCC einnimmt, äußern sich den in dokumentierten biographischen Berichten nur sehr wenige weiße Frauen zu einem Liebesverhältnis mit einem schwarzen Mann. Die Nonchalance allerdings, mit der z.B. Penny Patch ihre Beziehung kommentiert, lässt das Ausmaß an Ressentiment erahnen, dass das Verhalten weißer Frauen bei schwarzen Frauen nach sich zog: »For the most part I felt no overt hostility [from black women] but I felt excluded. I now recognize that some may have been reacted to my romance with a black male staff member […] In retrospect, if I had known that my relationship with a black man could affect black women I would hope I would have acted with greater sensitivity and discretion. It is, however, unlikely that I would have changed my behavior significantly […] We were ready, black and white, to break all the taboos, SNCC men were handsome, they were brilliant, they were brave, and I was very much in love.« 25
Schwarze Frauen warfen ihren schwarzen Kampfgefährten rassistische Schönheitsstandards vor. Weiße Frauen fanden sie deren Zuneigung nicht wert, weil sie sie für unselbständig und männerfixiert.26 Viele weißen Frauen fanden sich dem Fall der Studenten konnte das FBI erst nach langer Kampagne dazu bewegt werden, die Ermittlungen und Rechtsbeugungen vor Ort zu kontrollieren und die Schuldigen, lokale Klan-Mitglieder aus dem kleinstädtischen Establishment, dingfest zu machen. Der Hollywoodfilm M ISSISSIPPI B URNING (1988) greift diese Tatbestände auf, schönt aber die Rolle des FBI erheblich und wurde deshalb von schwarzen Kritikern und Kritikerinnen wegen seiner ›Great-White-Men-Fight-For-Justice‹-Geste kritisiert. 25 | Curry/Browning/Burlage/Patch/Del Pozzo/Thrasher/Baker/Adams/Hayden 2000, 155. Siehe auch zu Patch und dem Ärger schwarzer Frauen (Breines 2006, 45f). Die Animosität schwarzer Frauen gegenüber den weißen Mitkämpferinnen führte gelegentlich zu einer ausstreichenden Geschichtschreibung. Im Sammelband Gender and the Civil Rights Movement 1999 kommen dann die in der Frühzeit einflussreichen (und in Führungspositionen befindlichen) weißen Frauen nicht mehr vor. Mit ›women‹ sind im Artikel »Women in the Student Non-Violent Coordination Committee. Ideology, Organizational Structure, and Leadership« ausschließlich afroamerikanische Frauen gemeint (Robnett 1999). 26 | Literarisch ist dieser Konflikt zwischen weißen Frauen und ihren schwarzen Mitkämpferinnen mit großer Tiefenschärfe von Alice Walker – früher selbst eine Aktivis-
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in einem überdeterminierten Spannungsfeld von eigener Race-Transgression – die Beziehung zu einem schwarzen Mann verstanden viele als anti-rassistische Praxis –, aber die beziehungen bargen auch die Gefahr emotionaler und sexueller Ausbeutung, denn das Verhalten der schwarzen Aktivisten gab selten gefühlsmäßige Sicherheit. Zudem konnte erotische Verweigerung als Rassismus ausgelegt werden. Mary King, die Pressesprecherin und eine der ersten weißen Aktivistinnen des SNCC, konstatiert in ihrer Autobiographie Freedom Song (1987): »Any black man manipulated this anxiety«.27 Wenn Historiographien des Second-Wave-Feminism den Bürgerrechts-Aktivismus weißer SNCC-Aktivistinnen als frühes Herkunftsmilieu von Women’s Lib überhaupt verzeichnen, wird die sexualpolitische Dimension dieser Zusammenarbeit nur zögerlich anerkannt. Die seltenen Ausnahmen fallen gelegentlich unerwartet euphorisch aus. Ruth Rosen z.B. protokolliert in einer im Jahr 2000 erschienenen Monographie The World Split Open: »Another veteran organizer recalled how much she enjoyed the adventure of sleeping with different black men as she visited the project in the Deep South« (Rosen 2000, 102f). Verantwortliche auf höherer Ebene sahen die Beziehungsspannungen zwischen Schwarz und Weiß jedoch durchaus in negativem Licht. Mit geradezu ernüchternder Offenheit warnt ein schwarzer Stabsmitarbeiter künftige weißweibliche Freiwillige vor der sexualpolitischen Dynamik möglicher Beziehungen mit schwarzen Männern. Er weist auf deren nur notdürftig verschleierte Feindseligkeit hin: »The only way or place a Negro man has been able to express his manhood is sexually and so you find a tremendous aggressiveness. And I say, quite frankly, don’t get carried away by it and don’t get afraid of it either. I mean don’t think it’s because you are so beautiful […] It’s not that at all […] what passed itself off as desire quite often […] is tin des SNCC – in ihrem Roman Meridian (1976) herausgearbeitet worden. Siehe dazu Lauret 1994, 124-144. 27 | Zitiert nach Rosen 2000, 103. Der weiße Leiter einer SNCC-Freedom School wird mit den Worten zitiert: »Every black SNCC worker with perhaps a few exceptions counted a notch on his gun to have slept with a white women – as many as possible« (King 1987, 464). Doug McAdam berichtet: »If you didn’t (have sex) you could count on being harassed. If you did, you ran the risk of being written off as a ›bad girl‹ and tossed off the project. This didn’t happen to the guys« (McAdam 1988, 108). Der schwarze Psychoanalytiker Alvin Poussaint hat sogar einen besonderen »White African Queen Complex« für die belastete Beziehung zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern kreiert, wobei er aber deutlich mehr Verständnis für die Feindseligkeit der schwarzen Aktivisten findet als für den Doublebind weißer Frauen, die keinesfalls als Rassistinnen dastehen wollten. Siehe Poussaint 1966 und Kritik an seiner Position Rothschild 1982, 152, FN 152.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG probably a combination of hostility and resentment, because he resents what society has done to him, and he wants to take it out on somebody who symbolizes the establishment of the society.« 28
Die sexualpolitische Situation war zwar ein Minenfeld, auf dem die Protagonisten und Protagonistinnen nicht verhindern konnten, nach der Choreographie des Rape-Lynching-Komplexes hin- und hergeschoben zu werden. Für die weißen Frauen der ersten Generation der weißen Southern SNNC Unterstützerinnen waren jedoch zunächst andere Erfahrungen entscheidend. In den Kampf einzutreten, bedeutete fast ausnahmslos den Bruch mit der Familie. Aber auch andere Sicherheiten lösten sich auf, nämlich die Selbstverständlichkeit, sich frei im öffentlichen Raum zu bewegen. Die Segregation der Races als zentrales Moment weißer Suprematie hatte in den Südstaten einen solch hohen Selbstverständlichkeitsgrad, dass die Aktivistinnen ihre Transgression, nämlich in schwarz-weiß integrierten Gruppen unterwegs zu sein, körperlich spürten. »I felt physically sick with fear, that I had crossed the color line«29, beschreibt Dorothy Burlage ihre Empfindung, als sie zum ersten Mal mit einem schwarzen Mann auf dem Beifahrersitz Auto fuhr. Und Casey Hayden konkretisiert: »I was breaking the barrier between people with my own body« (351). Das Logo des SNCC zeigt einen schwarz-weißen Handschlag (Abb. 18) D.h. eine habitualisierte extrem sozial überwachte Körperdistanz musste überwunden werden.
Abbildung 18
28 | Zitiert nach Rothschild 1982, 138. 29 | Curry/Browning/Burlage/Patch/Del Pozzo/Thrasher/Baker/Adams/Hayden 2000, 96. Zitate aus Curry im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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Für weiße Aktivistinnen, die in den Südstaaten geboren waren, stand häufig das eigene Selbstverständnis südstaatlicher Feminität im Wege, das der ›Southern Belle‹ oder der ›White Lady on a Pedestal‹. Einige Protagonistinnen berichteten, dass sie mit gestärkten Glockenröcken, honigblonden Wasserwellen und weißen Handschuhen die Szene betraten. Dieser Habitus stand einem Engagement für die ›schwarze Sache‹ nicht entgegen, sehr wohl aber den Geschlechterarrangement mit weißen Männern. Dorothy Burlage führt aus: »I had a steady compass directing me forward before my marriage, but after the wedding the needle started flipping around« (117). Nicht ohne Komik beschreibt sie, wie sie zwischen revolutionärer Lektüre und dem Bügelbrett hin- und her rennt: »I had learned in my Southern upbringing, that marriage was not just a way to legalize a loving relationship, but a jobdescriptiom – to be a helpmate for my husband« (117). Was später die ›Politics of Location‹, nämlich Intersektionen von Race, Klasse, Gender und Lokalität genannt wurde30, zeigte sich hier in der Verhandlung ›lokaler‹ südstaatlicher Feminität. Überwunden werden konnten diese ›genteel traditions‹ der Geschlechterordnung der Südstaaten in der sogenannten ›Beloved Community‹. Der SNCC hatte sich eine sehr spezifische basisdemokratische Diskussions- und Entscheidungskultur erarbeitet. Um einen Gegenpol zur grimmigen Oppression zu schaffen, der ihre zu agitierende Klientel unterworfen war, setzten sie demokratische Aushandlungen entgegen. Alle Entscheidungen wurden einvernehmlich getroffen, was häufig zu langen, auch quälenden, Entscheidungsprozeduren führte, aber gleichzeitig auch eine brüderlich/schwesterliche Verbindung zwischen schwarzen und weißen Aktivisten und Aktivistinnen schuf. Sue Trasher spricht von dieser kurzen Periode als einem »Dazzling moment of clarity […] the uniqueness and intensity of the moment [that …] we could be a ›Beloved Community‹ that trascended Difference« (250f). Es ist interessanterweise dieser Punkt – die Basisdemokratie des SNCC – und nicht die sexualpolitischen Spannungen, der die Frauenfrage auf den Tisch bringt. Im Freedom Summer 1964 waren die Balancen zwischen schwarzer Führung und weißen Hilfstruppen aus dem Gleichgewicht geraten. 1962 gab es nur 20 bezahlte ›Organizer‹. 1963 waren es schon 12 Bürokräfte, 60 ›Field Secretaries‹ und 121 ›fulltime‹ Freiwillige. Im Sommer 1964 jedoch hatte der SNCC 200 ›staff members‹, und viele davon waren weiß. 1963 waren von 41 Aktivisten im Feld 6 weiß. 1964 waren es bereits 20 Prozent (Breines 2006, 25). Die große Anzahl der Weißen und auch die Herkunft der meisten Neuankömmlinge aus dem Norden, die mit südstaatlichen Empfindlichkeiten nicht vertraut waren und damit auch nicht mit den Gefahren durch rassistische Mob-Gewalt brachte Komplikationen mit sich. Außerdem demonstrierten die neuen weißen 30 | Siehe die Keynote der feministischen Dichterin und Essayistin Adrienne Rich, gehalten auf einer Konferenz in Utrecht 1984, (Rich 1985).
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Aktivisten und Aktivistinnen mehr Selbstbewusstsein, was ein anti-white Ressentiment in der Bewegung selbst verstärkte. Die schwarze Führung versuchte, das Problem mit einer Strukturreform zu lösen. Die Basisdemokratie, und damit auch die Autonomie der ›field offices‹ sollte zugunsten einer ›Struktur‹, d.h. einer zentralen Führung, abgeschafft werden. Neben der Zurückdämmung des Einflusses von ›zu vielen‹ Weißen trug diese vorgeschlagene Reform zugunsten einer ›Struktur‹ auch dem sich zunehmend radikalisierenden und autoritären Führungsstil der erstarkenden Black-Power-Bewegung Rechnung. Im Herbst 1964 nach den chaotischen Erfahrungen des ›Freedom Summers‹ fand im Waveland Retreat eine Konferenz des SNCC statt, in der über die neue Strategie beraten werden sollte, und wo alle Fraktionen aufgefordert waren, ihre Wünsche, Probleme in Positionspapieren vorzutragen. Das war Anlass für einige weißen Frauen der ersten Generation, ihre Sorge vor und ihre Unzufriedenheit mit der neuen ›Struktur‹, die ihnen die ›Beloved Community‹ nehmen würde, in einem Positionspapier zusammenzufassen.31 Im Laufe der Beratung verdichtete sich, dass sie nicht eigentlich über Struktur, sondern über die Position von Frauen – sie unterschieden nicht zwischen schwarzen und weißen Frauen, obwohl keine schwarzen Frauen an dem Manifest beteiligt waren – schreiben wollten. Denn es war besonders den weißen Verantwortungsträgerinnen, die in der Öffentlichkeit früher ein starkes Profil hatten, bewusst geworden, dass sie an den Rand gedrängt werden sollten. Und es fiel ihnen auf, dass die Mittel, mit denen sie marginalisiert wurden, sich häufig auf ihr Geschlecht bezogen. Im November 1964 schrieben Mary King, Stabsmitarbeiterin für Pressekontakte und Kommunikation im SNCC, und Casey Hayden, Organisatorin des Büros in Jackson, das erste radikalfeministische Manifest des 20. Jahrhunderts »Woman in the Movement«. Der sich zuspitzende Antagonismus zwischen Weißen und Schwarzen – übersetzt in den von Frauen und Männern, insbesondere den zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern – wird zu einer Art intellektuellem Labor, in dem sich erste Formulierungen eines neuen politischen Feminismus herausdestillieren. Hundertfünfzig Jahre nach dem ersten Abolitionismus wird nun ein zweiter ›Segregations‹-Abolitionismus, die CivilRights-Bewegung, zur ›Hebamme‹32 der zweiten Frauenbefreiungsbewegung. Doch zunächst einmal ließ Mary King die Beispiellosigkeit und die Ungeheuerlichkeit ihres Unterfangens zurückschrecken: 31 | Nur einige einzige von vielen entgegengesetzten Quellen berichtet, dass in der Frühphase auch schwarze Frauen an dem Frauenpapier beteiligt waren. 32 | Sara Evans schreibt in ihrer politischen Bewegungsgeschichte Personal Politics. The Roots of Women’s Liberation: »Twice in the history of the United States the struggle for racial equality has been midwife to a feminist movement« (meine Kursivierung) (Evans 1979, 2).
5. ›S ECOND -W AVE -F EMINISM ‹ UND K ÖRPERPOLITIK »When it came the time to sit down on the typewriter, I was shaken with doubt. The issue was enormous. I was afraid. The reaction, I was convinced, would be one of ridicule. There was also a technical problem of how to write about some concerns involving women because – within the framework of civil rights movement and the fields of human rights and civil liberties at the time – women’s rights had no meaning and indeed did not exist. […] I quietly gathered examples of how the movement’s style and practice conflicted with its rhetoric when applied to women […] I had no trouble finding examples. They were everywhere.« (Meine Kursivierung) (King 1987, 443)
Die Autorinnen wagten nicht, das Manifest namentlich zu zeichnen. Mary King und Casey Hayden fallen in einigen neueren Bewegungsgeschichten einer seltsamen Enteignung ihrer Autorinnenschaft zum Opfer. Die Zeitschrift Ms – 1974 auf der Suche nach dem historisch ersten feministischen Manifest – schreibt das Papier der schwarzen SNCC-Aktivistin Rubie Doris Smith zu, obgleich diese der King/Hayden-Position feindlich gegenübergestanden hatte. Auch nachdem die Redaktion auf den Irrtum aufmerksam gemacht wurde, hat Ms den Fehler nie korrigiert, und so hat sich in einigen Linien der Geschichtsschreibung dieser Irrtum erhalten.33 Die historisch zweite Auflage eines radikalfeministischen Selbstentwurfs nach der »Declaration of Sentiments« 1848 beginnt also ebenfalls mit einem Bezug zur Race-Frage. Im Gegensatz zu den Konflikten im ersten Abolitionismus sind jetzt aber die Farben der Macht vertauscht. Es sind nicht mehr weiße Philanthropen, die mit einer Hilfstruppe weißer Ladys und wenigen schwarzen Frauen und Männern die Bewegung anführen, sondern es sind schwarze Studenten und Studentinnen, die zögerlich und zum Teil auch aus pressetaktischen Gründen weiße Kombattantinnen und Kombattanten zunächst als Mitkämpfer zulassen und später aus Autonomiegründen wieder verbannen. In beiden historischen Fällen, 1840 und 1965, kam es zu einem Konflikt über weibliche Repräsentanz und männlich dominierte Organisationskultur, der in der Folge zur Autonomisierung von Frauenbewegungen führte. Beide Frauenbewegungen haben sich aus der Klage mangelnder Partizipation gegründet: die frühen Abolitionistinnen wegen des Ausschlusses aus der englischen Anti-Sklaverei-Kon33 | Hole/Levine 1971, 110, King 1987, 250. Wie komplex die Beziehung zwischen weißen Frauen und schwarzen Frauen war, konnte man auch an dieser Fehlzuschreibung studieren. Rubie Doris Smith hatte die Autorinnenschaft nie dementiert und starb, bevor sie etwas hätte korrigieren können. Sie selbst fühlte eine intensive Feindschaft zu weißen Frauen und gab das in einem Interview auch offen zu: »Well to be honest, I think a lotta white women are screwed up terribly, but […] that’s their problem. I don’t worry much about them. I spent three years of hating white women so much it nearly made me crazy. It came from discovering how the whole world had this white idea of beauty […]« (Rothschild 1982, 148f). Zitiert nach Carson 1981, 254-255.
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ferenz und der Verweigerung der öffentlichen Rede, die weißen SNCC-Frauen wegen ihrer politischen Verbannung in die weiblichen Domänen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Im ersten Fall – bei der Abtrennung eines Frauenrechtsdiskurses vom Abolitionismus – fand der Ausschluss aus einer weiß/ männlich dominierten Organisation statt, die für die schwarze Sache kämpfte. Und beim zweiten Fall – bei der Abtrennung eines Frauenbefreiungsdiskurses von der Bürgerrechtsbewegung – geschah das aus einer schwarz dominierten Organisation heraus, die für die eigene Sache kämpfte. Inwieweit schwarze Frauen als Mitunterdrückte oder in diesem speziellen Fall als Mitunterdrückerinnen verstanden wurden, bleibt offen, da bereits im ersten Dokument der neuen Frauenbewegung der epistemologische Ausschluss schwarzer Frauen als Nullidentität stattfindet. Das Manifest von Mary King und Casey Hayden beginnt mit den Worten: »The woman in the SNCC is often in the same position as that token Negro hired in a corporation«. Auch steht ›Woman‹ wieder implizit für weiße Frauen und ›token Negro‹ für schwarze Männer. Wie die eingangs zitierte Erfinderin des Begriffes Sexismus, Caroline Bird, beginnen die SNCC-Frauen mit der Trope des ›token Negro‹. Mit dieser Selbstbeschreibung als ›eingekaufte‹ Vorzeigefrauen kündigen die Autorinnen die Loyalität des Schweigens aus Solidarität auf. Im Weiteren beklagen King und Hayden, dass man den Frauen in der Organisation mit einer Mischung von Verachtung und Herablassung begegne. Hayden schreibt rückblickend 2000 zur Race-Gender-Analogie und dem Positions-Papier: »It was a good critique, in many ways brave, a fine example of how the tools developed by analyzing racism were translated, inside the SNCC itself, and into an analysis of gender. All things were open to question« (meine Kursivierung) (Curry/Browning/Burlage/Patch/Del Pozzo/Thrasher/Baker/Adams/Hayden 2000, 366). Nach dieser Bestandsaufnahme wenden sich die Verfasserinnen einer größeren analytischen Dimension zu, die die systematisch institutionalisierte geschlechtliche Unterdrückung aus der Perspektive rassistischer Unterdrückung interpretiert. »The average white person finds it difficult to understand why the Negro resents being called ›boy‹, or being thought of as ›musical‹ or ›athletic‹. Because the average white person does not realize that he assumes he is superior. And naturally he does not understand the problem of paternalism. So too the average SNCC worker finds it difficult to discuss the women’s problem because of the assumption of male superiority. Assumptions of male superiority are as widespread and deep rooted […] to the woman as the assumptions of white supremacy are to the Negro […].« (Meine Kursivierung) (Evans 1979, 86f)
Hayden und King wenden sich hier einer weniger offensichtlichen kulturellen Dimension von Rassismus zu, nämlich der Zuschreibung von an sich positiven
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Qualitäten wie Musikalität und Sportlichkeit. Sie interpretieren diese Zuschreibungen als Herablassung eines paternalistischen Systems, das den ›Kindern‹ Kunst und Kraft erlaubt, um sein eigenes Überlegenheitsgefühl zu demonstrieren, das auf den Gegenpolen Arbeit und Intellekt beruht. Ein interessanter Gegensatz zum im dritten Kapitel diskutierten Primitivismusdiskurs der Harlem Renaissance-Bohémiennes, die ja z.B. in Figurationen wie H.D. und Nancy Cunard eher Anschluss an schwarze ›Primitivität‹ gesucht hatten.
5.5 ›Race – Class – Gender‹ Die Parallelisierung von weißer Suprematie und Patriarchat ist der Dreh- und Angelpunkt der Entwicklung eines Sexismus-Begriffs als Diskriminierungsform männlicher Herrschaft. Erst die Analyse eines Sexismus als einer ähnlich dem Rassismus alle Lebensbereiche durchwirkenden Unterdrückungsstruktur eröffnet eine feministische Perspektive auf die eigene Situation. In ihrer Autobiographie berichtet Mary King über Alltagserfahrungen in schwarzen Ghettos, wo sie aus Sicherheitsgründen, Solidarität und um die Kampagnenkasse nicht zu belasten, wohnte. Dort fiel ihr auf, dass schwarze Männer den Blick abwenden und die Augen senken, wenn sie ihnen auf der Straße begegnete. King ordnet dieses Verhalten einem Effekt des von ihr nicht als solchem bezeichneten aber als Struktur wirksamen Rape-Lynching-Komplexes zu: »[…] decades of killing, castrating, or terrorizing black men, often on flimsy or fabricated charges of molesting or raping white women, had produced this protective reaction« (King 1987, 76). Zusammen mit Casey Hayden machte sie noch andere Erfahrung, nämlich, dass sie als weiße Frauen bei einigen schwarzen Männern zum Objekt sexualisierten Hasses waren. Man weckte sie in der Nacht mit Telephonanrufen und beschimpfte sie als ›white pussy‹. Direkt im Anschluss an diese Schilderung berichtet Mary King, dass sie zusammen mit ihrer Freundin neben Doris Lessings Golden Note Book Simone de Beauvoirs Deuxieme Sexe studiert habe. Bemerkenswert habe sie gefunden, dass de Beauvoir die Ehe als eine Form von Sklaverei bezeichne.34 Auch Casey 34 | Betty Friedans Feminine Mystique (1963), das kurz zuvor erschienen war, ließ die beiden Bürgerrechts-Aktivistinnen unberührt. Sie hielten die Streitschrift für Interessenpolitik weißer Hausfrauen in den Suburbs, die die schwarze Lebenserfahrung totschwieg. Friedans sogenanntes ›Problem, das keinen Namen hat‹ bezog sich auf die geistige Unterforderung weißer Hausfrauen mit College-Abschluss, die sich – infantilisiert – im Käfig ihrer Häuslichkeit wiederfanden. Der Friedan’sche liberale Frauenrechtsdiskurs war in ihren Augen keine revolutionäre Strukturanalyse, sie entwickelte keinen Sexismus-Begriff, sondern sie war ein Programm für das Recht auf Chancengleichheit weißer Amerikanerinnen. Race als Untersuchungskategorie sucht man im Stichwortverzeichnis von Friedan ebenso vergebens wie im Text eine Reflektion darüber, dass
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Hayden wählt Bilder der Sklaverei, wenn sie sich an die de Beauvoir-Lektüre35 erinnert: »At the time these books described my experience as a free women in an enchained culture« (Hayden 1988, 51). Diese metonymische Berührung von Schilderung sexistischer Belästigungen im Alltag mit ersten Spuren feministischer Selbstermächtigung, die wiederum durch die Sklaverei-Metapher gefiltert sind, bildet die Urszene eines neuen politischen Feminismus. Mary King und Casey Hayden sind sozusagen die Geschwister Grimké36 eines ›neuen Abolitionismus‹.37 Die Metapher betrifft nicht Sklaverei selbst, sondern die langfristigen psychohistorischen Effekte der Sklaverei. Die Klassenherkunft der Neuen Abolitionistinnen spielte für die Besonderheit dieser Erfahrung eine entscheidende Rolle. Als vormals behütete weiße junge Frauen war ihnen bisher die direkte Realisierung ihres weiblichen Objektstatus erspart geblieben. Der paternalistisch-chivalereske Code ihrer vormalig fast ausschließlich weißen Umgebung verschleierte diese Erfahrungsmöglichkeit. Erst durch das Machtgefälle zwischen den weißen Aktivistinnen und ihren afroamerikanischen Kameraden wurden solche Einsichten möglich. Wiewohl anti-rassistisch im Vorsatz, wird durch die Wortwahl der Autorinnen deutlich, dass sie die telephonischen Beleidigungen ihrer Nachbarn umso drastischer empfanden, als sie von einer deprivilegierten Race kamen. Die Frauen stellen die Diskursmacht wieder her, indem sie die Anrufe der Männer als ›abweichendes Verhalten‹ einschätzten. Mary King interpretiert sie als »almost pathological preoccupation of some black men with […] white women« (King 1987, 76). Intuitiv erahnen sie aber gemeinsame sexistische Grundlagen von ›white pussy‹Beleidigungen und dem ›Respekt‹ ihrer weißen Freunde, die sie ebenfalls nicht als gleichrangig betrachteten. Die Lektüre von de Beauvoir gibt ihnen dabei ein afroamerikanische Frauen schon immer ihren Lebensunterhalt in aushäusiger Berufsarbeit – meist als Hausangestellte weißer Frauen – verdienen mussten. Kommentare zu Friedans weißem und klassenspezifischen Feminismus siehe auch bei den afroamerikanischen Feministinnen Giddings 1984 und Higginbotham 1992. 35 | Es ist interessant, dass bei den vielen de Beauvoir-Verweisen in den Texten der SNCC Aktivistinnen niemals erwähnt wird, dass de Beauvoir deutliche Parallelen zwischen der Lage weißer Europäerinnen und den amerikanischen unter rassistischem Regime lebenden Schwarzen ausmacht. (Auch de Beauvoir läuft in epistemologische Falle, schwarze Frauen unter ›Schwarze‹ zu subsummieren.) Beide Gruppen seien vom herrschenden euro- und androzentrischen Diskurs als ›Andere‹ zur Definition des ›Eigenen‹ konzipiert worden. Frauen sei es aber im Gegensatz zu diskriminierten Volksgruppen und Klassen nicht möglich, sich als revolutionäres ›Subjekt‹ zu setzen (Beauvoir 1999, 15). Siehe z.B. in der Einleitung Beauvoir 1999, 10, 13, 20. 36 | In einem euphorischen Portrait der schönen blonden Texanerin Casey Hayden bezeichnet King sie als die Schwester, die sie nie gehabt habe (King 1987, 74). 37 | So bezeichnet der Historiker Howard Zinn die Aktivitäten des SNCC (Zinn 1964).
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Instrumentarium an die Hand, sich als ›das andere‹ aller – auch marginalisierter – Männlichkeiten zu begreifen.38 Diese Einsicht hätte kaum über eine Melancholie über die schlechte Verfasstheit der Welt hinausgereicht, wenn sich nicht in der Praxis ein zweiter Konflikt entzündet hätte, bei dem es um die Rede-Macht und die Kontrolle über die Organisation ging, die beide auch beim SNCC fest in männlicher Hand waren.39 Die auf den Kopf gestellte Race-Realität des SNCC verhalf wiederum der sonst gesamtgesellschaftlich dominierten Gruppe der schwarzen Männer zu einer Machtposition über die weißen Aktivistinnen. Ohne diese kognitive Dissonanz wäre es den von der üblichen Geschlechtsrollen-Sozialisation geprägten weißen Frauen nicht so schmerzlich aufgefallen, dass ihre Funktion sich auf zuarbeitende, machtlose Organisationsarbeit beschränkte. Weiße Frauen, die in weißen politischen Zusammenhängen arbeiteten, bei Students for a Democratic Society (SDS) etwa, hielten ihre untergeordnete Rolle viel länger für selbstverständlich. Erst zwei Jahre später, als sie Kings und Haydens Manifest in die Hände bekamen, setzte ein Problembewusstsein ein. Bei den weißen Frauen im SNCC fiel auch stärker ins Gewicht, dass von ihnen geschlechtsspezifische Arbeiten erwartet wurden. Auch hier erhellte die paradoxe Race-Hierarchie die Ausbeutungsverhältnisse. Weiße Frauen kochten das Essen, wuschen die Wäsche und tippten die Manuskripte für schwarze Männer. Besonders den von Haus aus eher vermögenden weißen Studentinnen aus nördlichen Eliteuniversitäten – Harvard und Stanford waren prominent vertreten – fiel es schwer, sich plötzlich als Quasi-Bedienstete wiederzufinden. Eine SNCC-Mitarbeiterin gab
38 | Robert Connell (heute Raewyn Connell) hat in den neunziger Jahren eine Theorie zur ›hegemonialen Männlichkeit‹ entwickelt, die einen besonderen Schwerpunkt auf das Verhältnis hegemonialer (weißer, heterosexueller) und marginalisierter (homosexueller, ethnisch diskriminierter) Männlichkeiten legt und eine ›patriarchale Dividende‹ beschreibt, die auch marginalisierte Männlichkeiten aus der Herrschaft über Frauen erzielen können (Connell 1999). Siehe eine genauere Erörterung zu ›patriarchaler Dividende‹ und Race im Postscript dieser Studie, siehe S. 422. 39 | In ihrer Studie zu den Race-Gender-Verhältnissen im SNCC arbeitet Mary Rothschild die Paradoxie der Machtfrage heraus: »When the volunteers […] arrived in the South, they found themselves in projects in which the social structure of American society was turned on its head. In general young black men and then women held the power and status in the project and, in most cases considerably below them, where white men and then white women. In a few projects, due to the individuals involved, the women shared some of the men’s status, though they rarely shared their power […] the racial dynamics changed only very infrequently when, in response to some particular tension, the men would bond, black and white together, in a controlling position over the women, who remained divided« (Rothschild 1982, 132).
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zu Protokoll: »We did not come down here to work as a maid this summer. We came down to work in the field of civil rights«40 (meine Kursivierung). Der erste neufeminisische Bewusstseinsschub erfolgte an einer historischen Schnittstelle, bei der ein gesamtgesellschaftlicher Civil-Rights-Diskurs, der Schwarz und Weiß vereinte, langsam unmöglich wurde und ein kulturrevolutionärer Feminismus jenseits einer reformerischen Gleichstellungsrhetorik noch nicht möglich war. Epistemologisch gesehen zwar ›wahr‹, aber noch nicht im ›Wahren‹, ging das Manifest von Mary King und Casey Hayden zwischen siebenunddreißig weiteren Resolutionsentwürfen unter.41 Seine Bedeutung konservierte sich ironischerweise in einer Anekdote, die in der historischen Erinnerung ihren Anlass überlebt hat. Sie reißt den Abgrund auf, der zwischen (nicht nur, aber hauptsächlich weißem) Frauenemanzipationsdiskurs und schwarzer (männlicher) Selbstermächtigung bestand: Stokely Carmichael, der spätere Black Panther-Führer, kommentierte das Papier der weißen Frauen am Rande der Konferenz mit den Worten: »The only position for women in the SNCC is prone«.42 Beim sich später herausbildenden Second-Wave-Feminism als identifizierbarer Diskursformation galt diese Bemerkung immer als Beweis für den ultimativen Sexismus der männlichen, insbesondere der schwarzen, SNCC-Aktivisten. Lois Banner, eine der ersten Historiographinnen der Frauenbewegung schrieb: »Stokely Carmichael’s renowned statement that the proper position of the women in the movement is ›prone‹ expressed the extreme sexism women often encountered.« (Banner 1984, 251)
Die SNCC-Aktivistin Mary King versucht in einer weit ausholenden Situationsbeschreibung den Worten von Carmichael die Spitze zu nehmen. Sie erzählt 40 | Rothschild 1982, 138. Casey Hayden dagegen erinnert sich an das Gegenteil: »The Freedom Houses got never cleaned« (Hayden 1988, 53). 41 | Michel Foucault nimmt die eigentlich vom Epistemologen Canguilhem stammende Unterscheidung von ›Wahr-Sein‹, aber sich noch nicht ›im Wahren‹ zu befinden, in seiner Schrift Die Ordnung des Diskurses auf, um zu erklären, warum z.B. Wissensformationen wie die Mendel’sche Vererbungslehre eine ganze Generation übersehen wurden, weil das allgemeine Paradigma der Erkenntnis für diese Denkform noch keine Struktur hatte (Foucault 1989, 24f). 42 | ›Prone‹ heißt auf dem Bauch mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegend. Im sexuellen Kontext ist es auch eine Anspielung auf Analverkehr. ›Prone‹ wird in der Polizeisprache auch dafür verwandt, eine Verhaftungssituation zu beschreiben, bei der die Gestellten aufgefordert werden, sich mit hinter dem Nacken gefalteten Händen hinzulegen. Siehe eine Anmerkung zu dieser Parallelität in der Vorgeschichte zum Kapitel 6 »Ein Mann wird geschlagen«, S. 359-367.
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von einer heiteren und trinkfreudigen Party auf einem mondbeschienenen Bootssteg am Strand, wo die tagsüber verfeindeten Aktivisten und Aktivistinnen nachts Frieden schlossen und feierten.43 Dann entwirft sie das Portrait eines hübschen und witzigen Entertainers aus Trinidad, der wegen seines Talents als Stand-Up-Comedian auch Stokely Starmichael genannt wurde. Innerhalb einer längeren Aufführung, wo er sich über alle denkbaren Prätentionen des SNCC lustig gemacht habe, sei es dann schließlich zu dem notorischen Satz gekommen, der allen, inklusive den Verfasserinnen des Manifestes, als besonders drastischer Witz erschienen sei: »Stokely threw back his head and roared outrageously with laughter. We all collapsed with hilarity. His ribald comment was uproarious and wild. It drew us all closer together, because, even in that moment, he was poking fun at his own attitudes.« (King 1987, 452)
Kings verharmlosender Version für die beschriebene Szene schließt sich auch Alice Echols an, die aber zwei weitere schwarze Zeitzeuginnen benennt, Cynthia Washington und Muriel Tillinghast, die sich ›nicht amüsiert‹ erinnern, allerdings für das Manifest der beiden weißen Frauen ebenfalls kein Verständnis hatten.44 Da King und Hayden der Sache nicht schaden wollten, konnten sie auch verdienstvolle Personen nicht in unvorteilhaftem Licht erscheinen lassen. Das liebevolle Portrait des Stand-Up-Comedian Stokely Carmichael gehört in dieses Drehbuch. Spätere weiße Feministinnen aus dem politisch radikalen Lager wie Robin Morgan und Lucy Freeman waren, nachdem die Anekdote die Runde gemacht hatte, dagegen weniger mild gestimmt und machten Carmichael zum
43 | Mary King hatte begonnen, ihren Job als Öffentlichkeitsarbeiterin zunehmend ›unsichtbarer‹ zu verrichten, weil immer mehr Mitkämpfer daran Anstoß nahmen, dass sie weiß war. Das Frauen-Manifest war unter anderem auch daraufhin geschrieben, die dezentralen Tendenzen zu stärken, die männlichen Führungsanspruch weniger fühlbar machen würden, wie auch die Inopportunität von Weißsein auf höheren Ebenen zu mildern (King 1987, 448). In der afroamerikanischen Geschichtsschreibung der SNCC bleibt das feministische Manifest marginal, z.B. widmet Clayborne Carson dem Papier ganze zwei wenngleich rhetorisch emphatische Seiten einer 350 Seiten umfassenden Studie (Carson 1981, 147-148). Eine positive Ausnahme bildet der ehemalige SNCC-Aktivist und zur Zeit der Buchveröffentlichung amtierende Bürgermeister von Atlanta, Andrew Young. In seinem Vorwort zu ihrer Autobiographie würdigt er Mary Kings Verdienste für die Frauenbewegung mit der interessanten Metapher »She’s opened a Pandora’s Box«. Siehe Young in (King 1987, xv). 44 | Echols 1989, 31. Dass Carmichael seine Bemerkung keineswegs beiläufig meinte, zeigt sich drei Jahre später, als er sie auf dem Londoner Kongress »Dialectics of Liberation« 1967 wiederholte (Rosen 1982).
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sexistischen Charaktermaske schlechthin.45 Ruth Rosen fasst in einer neueren Bestandsaufnahme der Frauenbewegung The World Split Open (2000) den Symbolcharakter von Carmichaels Äußerung mit den Worten zusammen: »Clearly he (Carmichael) had touched a raw nerve. His joke captured the racial and sexual tensions within the movement, North as well as in the South. Raised to be ›nice‹ girls, movement women generally welcomed sexual adventure, but as daughters of the fifties, they also feared sexual exploitation. They wanted respect – as political comrades and lovers. Carmichaels joke reinforced their fears, legitimizing the need for an autonomous women’s movement.« (Meine Kursivierung) (Rosen 2000, 109f)
5.6 Nowhereland Zum dritten Mal ist eine historische Konstellation erreicht, in der sich weiße Frauen mit Mut und Nonkonformismus gegen Race-Ungerechtigkeiten eingesetzt haben. Diese Konstellation unterscheidet sich von den anderen dadurch, dass sie unter schwarzer Führung steht – in abgewandeltem Sinne hatte das auch schon auf Mary Ovington zugetroffen.46 Auch hier arbeiteten die weißen Frauen auf einem Terrain, in dem sie in der Minderheit waren. Mit erstaunlicher Einstimmigkeit wird diese Tatsache von den weißen SNCC Aktivistinnen als Übertreten, Durchbrechen einer sonst unüberschreitbaren ›Color Line‹ gefasst: Joan C. Browning schreibt: »I was truely surprised that crossing the color line was a one-way-trip«.47 Allerdings garantiert die einfache Fahrkarte ohne Rückschein keine Integration in die schwarze Bevölkerung. Auch wenn manche Protagonistinnen sich als fast schon schwarz erlebten. Wenn Penny Patch schreibt: »If I looked at my arm I would see it was white, but if I looked at other people […] I came to feel that I looked just like them« (143), ist ihr doch klar, dass schwarze Menschen ihrer Farb-Illusion nicht folgen. Deshalb ist Joan Brownings Analyse wohl zutreffend, wenn sie sagt: »[participation in the SNCC] made us outcasts in white society, skin separated from black people. I became at once, irrevocably, racially homeless.« (63, meine Kursivierung)
Was aber tun, wenn hier wie dort ›kein Ort nirgends‹ ist? 1966 werden alle weißen Mitglieder des SNCC ausgeschlossen, um unter Stokely Carmichael eine 45 | Siehe besonders die Einleitung zu Robin Morgans berühmter Anthologie Sisterhood is Powerful (Morgan 1970) oder Lucy Freeman (Freeman 1975, 57) und Hole/ Levine 1971, 110. 46 | Siehe Kapitel 3, S. 232-234. 47 | Curry/Browning/Burlage/Patch/Del Pozzo/Thrasher/Baker/Adams/Hayden 2000, 81. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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separatistische schwarze Organisation weiterzuführen. Was aber machen Aktivistinnen wie Casey Hayden, nachdem sie eingesehen haben, dass es für sie unmöglich geworden war, in die rassisch segregierte Gesellschaft des Südens zurück zu kehren? Judith Butler hat im Zusammenhang mit Intersexualität einmal davon gesprochen, dass Menschen ›verworfen‹ (abject) werden/sind, wenn ihre Existenz nicht ›intelligibel‹ ist. D.h., wenn das, was in der Moderne als Mensch gilt, auf der Grundvoraussetzung, entweder männlich oder weiblich zu sein, basiert, dann ist ein Zwitter nicht ›einsehbar‹ oder nicht existent.48 Die Überquerung der Color Line hat für die weißen SNCC Aktivistinnen eine ähnliche Non-Entität hervorgebracht. Hier lässt sich im Übrigen deutlich nachvollziehen, dass es nicht um Farbe geht, also nicht um das epidermische Schema, sondern um das Privileg, das an die ›richtige‹ Farbe im ›richtigen‹ Kontext geknüpft ist. Dorothy Burlage fasst zusammen: »I had crossed the color line, and burnt many bridges behind me. And there I was: not a typical Southerner not a northerner, not an academic, not a liberal, not a leftist, not a hippie, not a feminist. I wasn’t black, but I didn’t feel very white. I did not fit anywhere. I couldn’t go back, but I didn’t know how to go forward.« (127)
Und wieder ist eine Diskursformation anti-rassistischer weißer Frauen ›aus der Geschichte‹ gefallen.49 Die Geschwister Grimké sind frühzeitig ›retired‹, vielleicht, weil sie eine weiße Frauenbewegung nicht wie Cady Stanton und B. Anthony von der Race-Frage abkoppeln wollten. Die Diskursformation der anti-rassistischen aber ›primitivistischen‹ weißen Bohémiennes in der Harlem Renaissance ist nur auf dem Reißbrett rekonstruierbar und die SNCC Aktivistinnen verstreuten sich demoralisiert und traumatisiert in alle Himmelsrich48 | Butler 1990. In einem Artikel in der Frankfurter Rundschau konkretisiert Butler diese These mit den Sätzen: »Der Diskurs über Subjekte (ob es sich dabei um einen Diskurs über geistige Gesundheit, Rechte, Kriminalität oder Sexualität handelt) ist für die gelebte und aktuelle Erfahrung eines solchen Subjektes konstitutiv, weil ein solcher Diskurs nicht nur über Subjekte berichtet, sondern die Möglichkeit artikuliert, in denen Subjekte Intellegibilität erreichen, und das heißt, in denen sie überhaupt zum Vorschein kommen«. Zitiert nach Hark 1999, 26. 49 | Wie schon bei den weißen Frauen, die in der Harlem Renaissance aus unterschiedlichen Gründen, die ›Color Line‹ überquert hatten, (siehe Kapitel 3, S. 235) sind auch die weißen Mitstreiterinnen des SNCC sowohl aus der Geschichte der Civil-Rights-Bewegung als auch aus der der Frauenbewegung entweder herausgeschrieben oder als problematisch interpretiert worden. Auch neuere Race-Gender integrierte Monographien der Frauenbewegung, wie Separate Roads to Feminism (2004) von Benita Roth, erwähnen das Frauenmanifesto nur am Rande und geben ihm keine systematische Bedeutung.
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tungen und machten nicht mal den Versuch, in der weißen Frauenbewegung Fuß zu fassen, die, wie der nächste Abschnitt zeigen wird, sich über ihre Intervention entwickelt hat: Casey Hayden schreibt: »It was too little, too late for me […] I saw Women’s Lib, when later it emerged as emulating black nationalism. I found it unattractive. I was by then in a different life.« (371)
Eines der Ziele der hier vorliegenden Untersuchung ist es, den dünnen Faden weiß/weiblichen Anti-Rassismus aus den Erinnerungswebstühlen von Race-, Black-Feminism- und Women’s-Lib-Diskursen herauszuziehen, die sie nur als Kettfäden, aber nicht als Mustergestalter begreifen. Im Sinne von Linda Alcoff geht es hier um die Erarbeitung eines Doppelbewusstseins, das sie »White Double Consciousness« nennt und als Rekonstruktionsarbeit an antirassistischen Traditionslinien in Kombination mit weißer Hegemonie(selbst) kritik versteht (Alcoff 2006, 221f). Mir kommt es dabei nicht auf die Etablierung eines Gegenkanons an. Ich will auch nicht den Second-Wave-Feminismus von seinem notorischen Rassismus entlasten und weiße Ausnahmefiguren zu Protokoll geben. Mich interessiert hier eher eine frühe und positionsuntypische Verkörperung des Phänomens Intersektionalität. Die eigentlich erst an Figurationen schwarzer Frauen theoretisierte intersektionelle Nichtexistenz oder die des epistemologischen Privilegs der Marginalisierung wird ausnahmsweise an weißen Überquererinnen der Color Line deutlich.50 Hier kann man sehen, dass auch der gegenhegemoniale Diskurs intersektionale Unsichtbarkeiten produziert. Die weißen SNCC-Aktivistinnen haben einen nicht unerheblichen Preis dafür bezahlt, ihren Körper, wie Casey Hayden schreibt. auf der Linie zu platzieren (›put their bodies on the line‹). Nach dem Freedom Summer sind für viele Jahre ihre Lebenswege unstet, suchend und oft nicht erfüllt. In den Historiographien der Civil-Rights-Bewegung und des Second-Wave-Feminism nehmen sie keinen oder nur einen peripheren Raum ein. Aber sie haben, wenn auch für kurze Zeit, das epistemologische Privileg genossen, ihre Intersektionalität utopisch fruchtbar zu machen, weil sie in gewisser Weise durch beide Augen sehen konnten. Man kann diese ›neither/or‹ oder ›and/both‹ Positionen weißer SNCCAktivistinnen auch im Rahmen der Queer Theory lesen. Jedoch hat unter den beschriebenen Bedingungen im SNCC das Unterlaufen der Binaritäten nicht zur Eroberung von Freiräumen wie bei Jane Addams erotisierter Frauenwelt oder kreativen Formen von Normkritik, wie sie der Primitivismusdiskurs für 50 | Das epistemologische Privileg der Randständigkeit und der ›double vision‹ war zuerst von Women of Color theoretisiert worden, z.B. in der feministischen Standpunkt Theorie von Patricia Hill Collins (Collins 1990) oder der ›Borderland/La Frontera‹- Positionierung von Gloria Anzaldua (Anzaldúa 1987). Siehe Einleitung S. 31, Fußnote 25.
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die Bohemiennes der zwanziger Jahre eröffnet hatte, geführt. Die beteiligten SNCC-Aktivistinnen haben sich von ihrem Weißsein entfremdet und dabei ihre Gender-Positionierung entdeckt. Sie haben sich zwar mit ihrem Weißsein ›disidentifiziert‹,51 konnten aber trotzdem die Bedingungen der Produktion von Ungleichheit für Frauen nicht für einen größeren Kreis sichtbar machen. Stattdessen wurden sie von ihrer selbst gewählten Zuordnung exiliert. Georg Lukács’ berühmtes Diktum von der transzendentalen Obdachlosigkeit (Lukács 1971, 32) des modernen Menschen variierend, erlebten sie den für weiße Menschen überaus seltenen Aggregatzustand einer ›racial homelessness‹. Dieser Zustand ist deshalb so rar, da weiße Menschen sich in der Regel als race-less erleben und lediglich nicht-weiße Menschen als Träger von Races ansehen und dementsprechend rassisieren. Nur in der außergewöhnlichen Labor-Situation minorisierter weißer Frauen in einer politischen Initiative zur Beendigung einer segregierten Gesellschaft konnte der ›falsche Universalismus‹ des Weißseins wahrgenommen werden.
›R ADICAL F EMINISM ‹ – S E XISMUSKRITIK ALS R E VOLUTION 5.7 SDS und ›Women Power‹ Nach 1965 zerfiel die prekäre Balance zwischen weißen und schwarzen Bürgerrechtskämpferinnen und -kämpfern immer mehr. Auch für Casey Hayden und Mary King war die Luft dünn geworden, und sie waren auf dem Absprung. Im Sommer 1965 setzten sie sich noch einmal zusammen und versuchten, ihre Erfahrungen als politische Aktivistinnen und als Frauen in einer männerdominierten Bewegung in einem abschließenden Papier zu bündeln. Sie versandten ihr ›Sex and Caste. A Kind of Memo‹-Papier an ein paar Dutzend Bürgerrechts-, AntiKriegs- und SDS-Aktivistinnen, die bei der Lektüre des Manifestes erste Bekanntschaft mit einem neo-feministischen Paradigma machten. Wieder beginnen King und Hayden ihr Argument mit der Strukturparallele zwischen schwarzer und weiblicher Unterdrückung. Frauen wie Schwarze seien in einem Kastensystem gefangen, das sie dazu zwinge, demütigende Umwege zu gehen, wenn sie politisch etwas durchsetzen wollten. Die Bürgerrechtsbewegung habe sie aber gelehrt: »[…] to think radically about the personal worth and ability of people whose role in society had gone unchallenged before, a lot of women in the movement have begun trying to apply those lessons to their own relations with men.« 52 51 | Zur Kategorie der ›Disidentitfikation‹ als kreativ kritischem Umgang mit Zuschreibungen siehe Muñoz 1999. 52 | Zitiert nach Evans 2001, 99.
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›A Kind of Memo‹ markiert noch einen weiteren wichtigen Entwicklungsschritt der Frauenbewegung. Das Papier gab nämlich Anlass zur ersten autonomen Geste des politischen Feminismus. Auf einer Programmkonferenz des SDS, 1965 in Champaign Urbana, wurde das Hayden/King-Papier auf die Tagesordnung gesetzt. Nach heftigen Kontroversen absentierte sich eine separate Frauengruppe und diskutierte weiter. Als nach einer Weile männliche SDS-Genossen Zugang zur Debatte forderten, wurde ihnen das mit dem Hinweis auf ihren sabotierenden Diskussionsstil verwehrt. Damit war die erste ›autonome‹ Frauengruppe entstanden, die später die Regel in der feministischen Politik werden sollte. Es keimte die Einsicht auf, dass die männliche Herrschaft im Allgemeinen die unterdrückende Struktur war und die Kampfgenossen des SDS dazu gehörten. Hatte man das erst einmal eingesehen, konnte man kaum mit Männern gegen deren Herrschaft kämpfen. Frauen begannen, sich unter dieser Perspektive als Leidensgenossinnen einer identischen Unterdrückung zu sehen, und fanden sich deshalb in Frauengruppen zusammen, um für ihre Interessen zu fechten. Damit war eine der wichtigsten Strategien des Radical Feminism geboren.53 So wie die erste Race-Genealogie des Second-Wave-Feminism in Vergessenheit geriet und nur die Anekdote von Stokely Carmichaels Sexismus-Exzess überlebte, so geriet auch eine zweite Race-Genealogie – die direkte Auseinandersetzung und Konkurrenz mit der Race-Emanzipation – in Vergessenheit. Als eigentliches Gründungsmoment des radikalen Feminismus versteht die Bewegungsgeschichtsschreibung das Schisma der politisch aktiven Frauen mit der Neuen Linken (New Left) drei Jahre später. Der Bruch wird 1968 auf einer nationalen Konferenz zur Vereinigung der Linken, der NCNP (National Conference for a New Politics), datiert. Doch auch diesem Konflikt, der als Spaltung weißer Frauen von unsoldarischen weißen Männern beschrieben wird, geht eine Race-Gender-Auseinandersetzung voraus, die die Sache überhaupt erst ins Rollen brachte. Diesmal ist nicht die sexuelle Ausgesetztheit und die Klassen-Deprivilegierung weißer Frauen in den Bürgerrechtskampagnen des Südens die heimliche Erkenntnishilfe, sondern eine handfeste Konkurrenz um die Macht. Auf der erwähnten Konferenz hatten die afroamerikanischen Black-PowerDelegierten, wiewohl sie nur ein Sechstel der Anwesenden stellten, 50 Prozent Beteiligung in allen Entscheidungsgremien verlangt und erhalten. Eine spontan gebildete Frauenfraktion hatte darauf 51 Prozent der Repräsentation gefordert, gemessen am weiblichen Bevölkerungsanteil. Die Abstimmung darüber 53 | Siehe die neue Zusammenstellung von Manifesten und Zeugnissen der ersten Periode bis in die frühen Siebziger von Barabara Crow (Crow 2000). Für Gesamtdarstellungen der politischen Wurzeln des Radical Feminism siehe Freeman 1975, für einen Überblick über die Verbindung mit den Bürgerrechtsdiskursen siehe Evans 2001 und für eine Analyse von genuin feministischem Radikalismus siehe Echols 1989.
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wurde mit Geschäftsordnungstricks verhindert, weil angeblich die Zeit nicht mehr ausreichte (Hole/Levine 1971, 49). Als dann einem Delegierten der Native Americans für sein Anliegen doch noch Zeit eingeräumt wurde, stürmten drei Frauen vom Women’s Caucus das Podium, unter ihnen Jo Freeman und Shulamith Firestone, und verlangten Gehör. Der Vorsitzende strich darauf Shulamith Firestone über den Kopf und sagte: »Move on, little girl, we have more important issues to talk about than women’s liberation«. In einem Interview mit Sara Evans bezeichnete Jo Freeman jenen Moment als den ultimativen historischen Umschlagpunkt für ein neues feministisches Bewusstsein und für eine autonome, ›separatistische‹ Frauenbefreiungsbewegung: »That was the genesis. We had a meeting next week with women in Chicago« (Echols 1989, 49). Auch hier wird die vormals unterdrückte Position von Frauen von ihnen selbst in Race-Kategorien gefasst. Während die SNCC Frauen sich als ›token Negroes‹ verstanden hatten, interpretierten dissidentische Radikalfeministinnen wie Marge Piercy ihre frühere Stellung in der Bewegung im Nachhinein als die von »House-Niggers of the Left« (Piercy 1970, 482). Mit der Forderung nach 51 Prozent Frauen-Repräsentation wurde zum ersten Mal die Machtfrage gestellt und zwar signifikanterweise in direktem Vergleich mit den Forderungen der schwarzen Minorität – dass ›schwarze Frauen‹ auch zur Kategorie ›Frauen‹ gerechnet werden können, fiel damals noch niemandem auf. Trotzdem unterschlagen etliche Historiographien der radikalen Frauenbewegung die Race-Vorgeschichte dieses Eklats, kurioserweise auch Jo Freeman, die schließlich selbst das Podium gestürmt hatte.54 Offen äußert sie allerdings ihr Ressentiment gegenüber dem Verhalten schwarzer Delegierter. Sie kommentiert den konfrontativen Stil schwarzer Redner. Diese hätten ›Kill Whitey‹-Parolen gerufen und einer in der Majorität jüdischen Delegiertenschar abverlangt, eine Resolution gegen den Zionismus zu verabschieden. Außerdem kritisierte Freeman, dass die vom Bewusstsein ihrer historischen Schuld geplagten Genossen zu ihrer eigenen Denunziation applaudiert hätten. Für Jo Freeman war also die Solidarität mit der eigenen Race, die angegriffene Whiteness oder das als ›weiß‹ verstandene Jüdisch-Sein, fühlbarer als der Machtkonflikt, den sie als weiße Frauen mit den Black Panthers hatte. Im direkten Race-Gender-Konflikt verhielten sich die weißen Frauen damit strukturell ähnlich wie ihre schwarzen Schwestern und sahen nur die Angriffe auf die ›eigene‹ Race. Eine Bezugnahme auf den Race-Emanzipationsdiskurs fand allerdings statt: Die Frauen realisierten, dass sie von der Durchsetzungsstrategie der Black Panther gelernt hatten:
54 | Freeman 1975, 60, auch Echols 1989, 48-49. Von der Seite afroamerikanischer Historiker siehe McAdam 1988.
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Eine weitere Verwandtschaft mit Black Power-Strategien tat sich im Laufe der Geschichte auf. So wie Black Power die Bindung zum weißen Amerika zu durchschneiden suchte, so durchtrennten die radikalen Feministinnen die paternalistischen Bindungen zu ihren männlichen Ex-Genossen und organisierten sich autonom. Einige Frauengruppen verboten sogar die Mitgliedschaft heterosexuell liierter Genossinnen. ›Mit dem Feind schlafen‹ galt als verdächtig, ähnlich wie es schwarze Frauen erboste, wenn ihre schwarzen Genossen vorwiegend mit weißen Frauen schliefen. Es ist von gewisser historischer Ironie, dass weiße Männer aus Schuldbewusstsein gegenüber schwarzen Männern den Impuls für die Bildung einer separaten kulturrevolutionären Frauenbewegung gegeben haben. In ihrem Buch The Dialectic of Sex erzählt Shulamith Firestone diese prekäre Allianz zwischen weißen und schwarzen Männern noch einmal in Form einer psychoanalytischen Familienromanze. Dort beschreibt sie Black Power als den revoltierenden illegitimen Sohn und die weißen New Left Aktivisten als die schwächelnden ehelichen Söhne des großen weißen Vaters: »The black male is the tough guy Bastard Brother, the illegitimate son wanting a chance at that power. The Half-Brothers made a deal: The disinherited Brother’s street ›smarts‹, raw strength of discontent to aid the pampered neurotic Legitimate Son, in exchange for tactics, rhetoric, above all, a portion of that son’s birthright when he attains the throne, What the two brothers are really talking about is not justice and equality but (male) power.« 55 (Meine Kursivierung)
Der hier beschriebene Bonding-Prozess zwischen weißen und schwarzen Männern in der radikalen Bewegung hatte schon im SNCC stattgefunden. Mary Rothschild berichtet, dass Spannungen gelöst wurden, indem man über weiße Frauen herzog (Rothschild 1982, 132). Die Aktivistin Donna Goodman klagt in einem Interview, sie hätte sich besonders vor den sonntäglichen Partys gefürchtet, die regelmäßig in Tiraden über die ›white bitches‹ endeten, eine der wenigen Gelegenheiten, wo schwarze und weiße Männer sich ernsthaft gefühlsmäßig verbunden hätten. Diese halb-öffentlichen Demütigungen hatten sie tief verletzt: »I couldn’t deal with it. Not at all. It was just so painful. It tore me up inside«.56
55 | Firestone 1970, 114. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 56 | Interview Jane Goodman, zitiert in Rothschild 1982, 144.
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5.8 Shulamith Firestone – Recycling Eldridge Cleaver I Die Herablassung der Podiumsredner der NCNP-Konferenz und die Ignoranz gegenüber den Frauenforderungen wurden zur Initialzündung für die Suche nach einem eigenen feministischen, kulturrevolutionären Paradigma. In der Folge war Shulamith Firestone an der Gründung mehrerer autonomer Frauengruppen beteiligt, den Redstockings und den Feminists, und sie veröffentlichte im Jahr 1971 The Dialectic of Sex, eines der einflussreichsten Bücher des Radikalfeminismus. Firestone argumentiert hier wie ihre Vorgängerinnen durch die Maske einer Race-Analogie, und sie schärft ihre Argumente an einem schwarzen Gegenpol. Sowie Stokely Carmichael in späteren Interpretationen den männlichen Herrschaftswillen und die sexualisierte Dominanz (Male Supremacy) verkörpert hatte, stellt in Firestones Kosmos der Black Panther-Führer Eldridge Cleaver das Modell für Sexismus dar. Sie nimmt den Fehdehandschuh auf, den Cleaver 1968 in seinem Pamphlet Soul on Ice in den Ring der Geschlechterkämpfe geworfen hatte, als er – wie im letzten Kapitel über das afroamerikanische Maskulinitätsprojekt ausführlich erläutert – Vergewaltigung von weißen Frauen zu einem Akt der revolutionären Selbstsetzung erklärt hatte. Firestone allerdings fühlt sich von Cleaver nicht persönlich provoziert, ihr Interesse gilt vielmehr der Entstehung von Cleavers Vergewaltigungsphilosophie. Im Gefängnis hatte Cleaver ein weißes Pin-Up-Girl an die Zellenwand geheftet, eine allgemein geduldete Praxis. Ein Wachmann hatte es abgerissen. Auf Cleavers Protest schlug ihm die Wache vor, er könne ja eine schwarze PinUp-Schönheit aufhängen. In einem inneren Tumult aus Wut und Selbstekel überprüft Cleaver das Phantasma der weißen Frauen sowohl in der kollektiven Phantasie, als auch in seinem eigenen psychosexuellen Muster. Er analysiert erstens die Funktion der weißen Frau als privilegierten Besitz des weißen Mannes, der unter Lynching-Androhung verteidigt wird. Zweitens erkennt er, dass die weiße Suprematie auch seine eigenen Schönheitsstandards manipuliert hat und ihm weiße Frauen erotischer erscheinen lässt als schwarze.57 Drittens ist er darüber entsetzt, dass sein Begehren so fremdbestimmt ist, dass er sogar beim Anblick des Zeitungsphotos einer weißen Frau Lust empfindet, derenthalben ein vierzehnjähriger schwarzer Junge gelyncht wurde. Cleaver bezieht sich hier auf den Fall des Jungen Emmett Till, der 1953 einem Lynchmob zum Opfer fiel, weil er angeblich einer weißen Frau nachgepfiffen hatte, worauf im Folgenden noch genau eingegangen werden wird. Die Erkenntnis seiner rassistisch artikulierten Sexualität überspült Cleaver mit einer solch machtvollen Welle von Selbstverachtung, dass er einen Nervenzusammenbruch erleidet. Der Gefängnis-Psychiater fragt ihn nach seiner Mutterbeziehung, Cleaver dagegen sieht in der weißen Frau das angemessene Objekt einer heilenden Gegenaggression. 57 | Siehe zu Cleavers ›interracial desire‹ Barnett 2004, 13-21.
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Shulamith Firestone nutzt den Rohstoff der Beichte von Cleaver, um daraus ihren eigenen Sexismusbegriff zu schmieden. Sie beginnt in ihrem Kapitel »Racism: The Sexism of the Family of Man« kursiv und apodiktisch: »Racism is a sexual phenomenon« (105). Firestone entwickelt diese Behauptung aus Eldridge Cleavers ›Offenherzigkeit‹ (Honesty) über sein zwanghaftes, aber von ihm selbst innerlich abgelehntes Begehren nach weißen Frauen. Mit einer Nonchalance in der Wortwahl, die heute nicht mehr möglich (und auch nicht mehr wünschenswert) wäre, entwirft sie ein psychoanalytisches Race-Modell der »Family of Man«.58 Das schwarz-männliche Begehren nach der weißen Frau entstehe aus der Struktur der Menschenfamilie, in der der weiße Mann der Vater und die weiße Frau die Mutter sei. Dem schwarzen Sohn gelüste gemäß der ödipalen Logik nach der weißen Mutter, und nur die väterliche Kastrationsdrohung (Lynching als Kastration) könne ihn vom Vollzug abhalten.59 Durch dieses Begehrensmuster geprägt, blieben ihm nur drei Verhaltensalternativen: Er kann sich unterwerfen, respektive Charakterrollen wie schwarzer Bourgeois, Sportler oder Musiker annehmen. Er kann sich der Zumutung entziehen, was ihn entmaskulinisiert, zum ziellos rebellierenden Ghettojugendlichen macht, er kann zur Mimikry von Männlichkeit mutieren, nämlich zur Standardfigur des schwarzen Zuhälters, oder er kann sich erheben und die Macht des Vaters bekämpfen, wie es nach ihrer Auffassung Black Power tut (106-115). Als Ergebnis ihrer Ermittlung präsentiert Firestone dann die zweite Aussage über die Verbindung von Rassismus und Sexismus: »Racism is Sexism extended« (105). Hier ist es zu einer entscheidenden Verschiebung der Akzente gekommen. In der ersten Frauenbewegung hatte man in einer Parallel- oder Analogie-Konstruktion argumentiert. Die Frau war rechtlos wie ein Sklave, die Ehe war ein Institut wie die Sklaverei. Diese Logik hat sich mit dem Feminismus der zweiten Welle grundsätzlich umgekehrt. In der neuen Sichtweise wird das Ursprungs58 | Ann McClintock entwickelt eine interessante Kritik an der Familienmetapher als ein ideologisches Programm, Geschichte und Herrschaftsstrukturen in einem beschriebenen Tatbestand unsichtbar zu machen: »The power of the family trope was twofold. First, the family offered an indispensable figure for sanctioning social hierarchy within a putative organic unity of interests. Because the subordination of women to man and children to adults were deemed natural facts […] Second the family offered an invaluable trope for figuring historical time. Within the family metaphor, both, social hierarchy (synchronic hierarchy) and historical change (diachronic hierarchy) could be portrayed as natural and inevitable, rather than historically constructed and therefore subject to change« (Kursivierung McClintock) (McClintock 1995, 45). 59 | Firestones Modell ist sozusagen eine Skizze des im letzten Kapitel ausgearbeiteten Rape-Lynching-Komplexes, die aber bei der schieren Analogie stehenbleibt und die Unmöglichkeit der Überwindung des Race-Ödipus durch den schwarzen Mann nicht weiter reflektiert.
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modell ›Rassismus‹ zu einer abgeleiteten Form des Sexismus. Die Beziehung zwischen Rassismus und Sexismus hat sich von einer äußeren rechtlichen zu einer inneren psychologischen Analogie gewandelt. Firestone macht dabei die Logik des Sexismus nicht etwa am weißen Mann fest, sondern am ›illegitimen‹ Begehren des schwarzen Mannes und dem daraus entstehenden reaktiven Machismo, wie ihn nach ihrer Auffassung Cleaver verkörpert. Der Black PantherFührer wird damit zu einem Prototyp für den Sexismus aller Männer. Die Wahl von Eldridge Cleaver als Folie zur Entwicklung sowohl eines Sexismus-Begriffs als auch zu der Vorstellung einer Hegemonie von Sexismus über Rassismus ist natürlich nicht zufällig. Sie ist die ›Wiederkehr des Verdrängten‹ der historischen Race-Gender-Konkurrenz und des vergessenen Machtkampfes mit den Black Panthers beim Schisma mit der New Left.60 Feministische Sexualpolitik hat in der Folge, wie im nächsten Kapitel gezeigt werden wird, die Tendenz, männlichen Sexismus mit Beispielen von Verfehlungen afroamerikanischer Männer zu illustrieren, ohne dass die hier entwickelte Geschichte der feministischen Machtkämpfe mit dieser Sündenbockfigur erinnert wird. Hinter der Idee, Sexismus als Grundstruktur von Rassismus zu begreifen, steckt die Vorstellung, dass, würde erst einmal das Patriarchat zum Einsturz gebracht, auch alle anderen Systeme der Dominierung zu Fall kämen.61 Interessant dabei ist, dass beim neuen Begriff Sexismus, der zunächst aus der Ableitung von Rassismus entwickelt wurde – kaum hat er sich etabliert – die Richtung der Ableitung umgekehrt wird. Rassismus wird jetzt im Lichte von Sexismus betrachtet. Bei Kate Millett, die mit Sexual Politics 1969 das zweite wichtige Manifest des Radical Feminism vorlegte, ist Sexismus lediglich »more pervasive« als Rassismus, also eine Steigerung. Bei Shulamith Firestone wird Rassismus dann schon zur Ableitung von Sexismus. Dieser ist »Sexism extended«. Die Gruppe Redstockings, die Firestone mit ins Leben gerufen hat, manifestiert die Hegemonie von Sexismus über Rassismus dann überdeutlich, indem sie Rassismus zur Unterkategorie von Geschlechterhierarchien macht:
60 | Gayle Rubin hatte schon 1969 eine klare Position gegen Eldridge Cleaver eingenommen, als es unter linken Frauen noch opportun war, Black Power zu heroisieren. Interessanterweise kombiniert sie ihn dort als Modell-Misogynen mit dem weißen Guru der Counter Culture, Herbert Marcuse: »The importance of sex relationships should never be underestimated in order to appreciate fully the implications of women’s liberation for radical politics by such men as Eldridge Cleaver and Herbert Marcuse. Radical men, who think of women’s liberation as a secondary, unimportant issue, are blinded by their own chauvinism. They fail to see real oppression and even more, they fail to see the explosive potential of the issue« (Rubin 1969, 239). 61 | Lisa Maria Hogeland nennt diese Vorstellung die »Radical Feminist Domino Theory« (Hogeland 1990, 47).
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Catharine MacKinnon, die bekannte Protagonistin diverser Anti-PornographieKampagnen bringt zwanzig Jahre später diese Sichtweise zu einer übersichtlichen Zuspitzung. Im Aufsatz »Has Sexuality a History?« schreibt sie: »[…] the experience of hierarchy is the experience of sex under unequal conditions. The historical task will be […] to capture it as a dynamic, one that happens always through gender. Then we will see how much racism, genocide, homophobia, and class exploitation we could explain.« (Meine Kursivierung) (MacKinnon 1992, 126)
›C ULTUR AL F EMINISM ‹ – E NT WICKLUNG EINER O PFERKULTUR 5.9 Susan Brownmiller – Vergewaltigung als Meistermetapher Obwohl die frühen radikalen Feministinnen sexuelle Ausbeutung und Verobjektivierung des weiblichen Körpers durchaus im Blick hatten, verstanden sie sich doch als Teile der Sexuellen Revolution, als Rebellinnen und als Erbinnen der Theorien von Norman O. Brown und Herbert Marcuse, die sich vom Ende der Sexualrepression eine lustbetonte hedonistische Gesellschaft versprachen. Shulamith Firestone hoffte, dieses Projekt im Interesse der Frauen mit der Abschaffung der biologischen Mutterschaft und dem Zerreißen der seidenen Fesseln der romantischen Liebe voranzutreiben (Firestone 1970, 103-139). Kate Millett schockierte die Nation mit einem offenen Bekenntnis zu ihrer Bisexualität. Anne Koedts berühmtes Statement vom »Mythos vom vaginalen Orgasmus« wollte nicht die Lust abschaffen, sondern im Gegenteil der Klitoris einen Ehrenplatz in ihrer Geographie geben.62 Es ging darum, die ›falschen‹ Arrangements – Ehe, die Festlegung auf die biologische Mutterschaft und unbefriedigende Sexualpraktiken und normierte Heterosexualiät – zu ändern. Mitte der siebziger Jahre verblasste der Charme der sexuellen Revolution. Nicht nur von Feministinnen wurde sie immer stärker als ein Unternehmen verstanden, von dem langfristig nur Männer profitierten: »[…] people seem to believe that sexual freedom (even when it is only the freedom of actively offe62 | Für eine Lektüre des Radical Feminism 1968-1975 als Avantgarde der sexuellen Revolution siehe Gerhard 2001, 81-117.
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ring oneself as an object) is freedom«.63 Sexualpolitik blieb zwar im Zentrum, thematisch hatte sie sich aber zu einem Untersuchungsfeld männlicher Herrschaft einerseits und weiblicher Opferposition andererseits verwandelt. Während der radikale Feminismus eher von einer kulturrevolutionären Gleichheit der Geschlechter ausging, die bislang durch männliche Herrschaft und eine Art Gehirnwäsche verhindert worden sei, setzte ein neuer Cultural Feminism Weiblichkeit als eine ›andere‹, bessere Seinsform, also als das essentiell Weibliche gegen machtorientierte Männlichkeit.64 Die im radikalen Feminismus noch als Sklaveneigenschaften angesehenen, ›weiblichen‹ Verhaltensweisen wie Liebesfähigkeit, Friedfertigkeit und Zurückhaltung definierten sich im Kulturfeminismus um zu Tugenden einer weniger aggressiven und stattdessen demokratischen, weiblichen Kultur. Dabei geriet besonders ›männliche‹ Sexualität als ein Mittel zur Dominierung von Frauen in den Fokus der Kritik. In den Mittelpunkt ihrer Studie über Vergewaltigung, Against our Will (1975) stellte Susan Brownmiller ›Körperliche Integrität‹ (Bodily Integrity). Pamela Haag interpretiert später Brownmillers Wendung von einem autorisierenden Radical Feminism zu einem opferbetonten ›Victim Feminism‹ als eine Bewegung, den Körper mit dem Geist (Mind) zu vereinigen. Deshalb wird nach ihrer Auffassung die Metapher ›Vergewaltigung‹ zur ultimativen Invasion des weiblichen Besonderen (Haag 1996, 40ff). Der Körper wird damit zum strategischen Terrain, zum Hebel künftiger Identitätspolitik: »Essentializing the body as wo63 | Dana Densmore, zitiert in (Gerhard 2001, 109). 64 | Alice Echols entwickelte den Begriff des ›Cultural Feminism‹ bei einer Analyse der neuen Sexualfeindlichkeit der Frauenbewegung nach den Diskursen der sexuellen Revolution, die sich Mitte der Siebziger Jahre in Anti-Pornographiedebatten zeigte (Echols 1983; Echols 1984). Siehe auch Eisenstein 1983. Neuere Analysen zur Sexualfeindlichkeit des Cultural Feminism siehe bei Gerhard 2001, 149-183 und zu den philosophischen Implikationen siehe Alcoff 1988. Die späteren Debatten ›Essentialismus‹ versus ›Konstruktivismus‹, die die neunziger Jahre bewegten, haben in dieser Transformation des Radikalfeminismus in einen Kulturfeminismus ihre Grundlage. Bei der Genese des Second-Wave-Feminism lagen die Bausteine für ein Konstruktions- und ein Essenz-Modell von Weiblichkeit noch unsortiert durcheinander. Was in der Bürgerrechtsbewegung als ein Rechte-Diskurs begonnen hatte, verwandelte sich im marxistisch angehauchten Radical Feminism in einen Ausbeutungsdiskurs, der sich im kulturellen Feminismus zur sexuellen Ausbeutung reduzierte. Dieser mutierte in einen Objektivierungsdiskurs, der dann über die Metapher der Vergewaltigung an den weiblichen Körper angeheftet wurde. Susan Brownmillers im Kern essentialistische Vergewaltigungsstudie Against our Will (1975) wurde zeitgenössisch als legitime Weiterentwicklung der Firestone’schen Dialectic of Sex verstanden, obwohl Firestones Furor gegen Ehe, Mutterschaft, heterosexuelle Romanze und biologische Reproduktion ebenso Basis für eine konstruktivistische Theorie sein kann.
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men’s shared political consciousness, thereby setting the stage for subsequent identity politics.«65 Wendy Brown hat in ihrer Analyse moderner Identitätspolitik, States of Injury (1995), darauf hingewiesen, dass jede politisch ausrichtbare Opfererzählung auf dem verletzten Körper basiert (Brown 1995, 52-77). Die neu geschaffenen ›Identitäten‹ aber, die in ihrer Entstehung ursprünglich mit Machtansprüchen und Women’s Power konnotiert waren, wandeln sich nun in Opferidentitäten, die ihre politischen Ansprüche aus dem Ausmaß der wehrlosen Objekthaftigkeit gegenüber fremden Übergriffen ableiteten. Die Skala der Leiden und damit auch der Ansprüche an die Gesellschaft bemisst sich nach dem Grad der Verletzung. Eine ›Kultur der Klage‹, oder um den schönen Titel von Lauren Berlants Studie zu benutzen, von Female Complaint (2008), bedient sich einer Sprache des Schmerzes.66 Wie Shulamith Firestone filtert auch Susan Brownmiller den Erkenntnisprozess der Basisstruktur Sexismus über eine Race-Reflektion. Dabei steuert sie zunächst das zentrale Versatzstück des amerikanischen Rape-Lynching-Komplexes, die Vergewaltigung einer weißen Frau durch einen schwarzen Mann, an. Ihr Kapitel »A Question of Race« beginnt mit der Feststellung: »No single event ticks off the American political schizophrenia with greater certainty than the case of a black man accused of raping a white woman […] Racism and sexism and the fight against both converge at the point of interracial rape, the baffling crossroads of an authentic, peculiarly American dilemma.« 67 (Meine Kursivierung)
Wie im letzten Kapitel gezeigt, ruft die Vorstellung der Vergewaltigung einer weißen Frau durch einen schwarzen Mann im amerikanischen kollektiv Imaginären automatisch das Strafritual von Lynching auf. Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts verkörperte der schon bei Cleaver erwähnte Fall von Emmett Till die Quintessenz dieses spezifischen Unrechts.68 Der erst vierzehnjährige Junge war 1955 bei einem Verwandtenbesuch im Süden gelyncht worden, weil er einer Verkäuferin nachgepfiffen hatte. Die örtlichen Gerichte sprachen seine Mörder mit ausschließlich weißen Geschworenen frei. Seine Mutter bahrte daraufhin die
65 | Haag 1996, 51. Marilyn Frye spricht in ihrem Essay »Rape and Respect« vom Körper als »Domäne« (Frye 1977, 336) und Shere Hite von Territorium: »This is my body, my breasts, and my cunt, and they are my territory, and if anybody, even my husband, tries to take it, it’s war, baby« (Hite 1976, 460). 66 | Siehe den Essay Culture of Complaint (Hughes 1994). 67 | Brownmiller 1986, 210. Es ist gewiss kein Zufall, dass Brownmiller mit dem impliziten Myrdal-Zitat – »American Dilemma« – Paternalismus und den amerikanischen Süden aufruft. 68 | Siehe eine ausführliche Darstellung des Falls Emmett Till in Whitfield 1988.
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geschundene Leiche in Chicago öffentlich auf, um die nationale Schande anzuzeigen. Der Fall von Emmett Till wurde zu einem Wendepunkt der Lynching Wahrnehmung, weil er in einem neuen visuellen Regime präsentiert wurde. Bislang gab es zwei visuelle Darstellungsformen des Lynching: Das im Norden gelegentlich publizierte Pressephoto eines meist hängenden Körpers und die populären Lynchpostkarten des Südens. Letztere war dem nationalen Gedächtnis entzogen und wurde erst im Jahr 2000 zunächst durch eine kleine Ausstellung in Manhattan einer entsetzten Öffentlichkeit über eine Wanderschau und den Katalog Without Sanctuary. Lynching Photography in America bekannt gemacht. Die Postkarten zeigen meist grauenhaft verstümmelte Körper vor lächelnden Volksmassen (oft mit Frauen und Kindern) in Sonntagskleidern. Der Emmett Till-Fall dagegen kam zunächst als Photo des aufgebahrten Jungen mit aufgedunsenem und zerstörtem Gesicht in die Presse (Abb. 19). Um diese Gesichtslosigkeit zu kompensieren kursierte sodann eine Photographie eines sehr gepflegten und freundlich lächelnden schwarzen Jungen (Abb. 20) und schließlich tauchte ein immer wieder reproduziertes Photo seiner untröstlichen Mutter an seinem Grab auf, die vom Habitus her als Mittelklasse identifizierbar war (Abb. 21). Diese Präsentationsform konterkarierte fast alle kursierenden LynchingNarratives vom schwarzen Ungeheuer, angeblich dysfunktionalen afroamerikanischen Familien und mobilisierte zum ersten Mal auch die weiße Mittelklasse in großer Zahl gegen die stille Duldung der rassistischen Mobgewalt im Süden als ›local color‹. Diese Botschaft erreichte insbesondere liberale weiße Frauen. Wie schon Mary King, für die Emmett Tills Lynching zur Basismotivation für ihr SNCC-Engagement wurde,69 protokolliert auch Susan Brownmiller den Emmett Till-Fall als kathartisches Erlebnis, das ihren Blick auf die Welt entscheidend verändert hatte. In moralischer Überkompensation reagiert sie für die nächsten fünfzehn Jahre mit ostentativer Freundlichkeit, wenn ein schwarzer Junge oder Mann ihr nachpfeift oder ihr möglicherweise drastischere Vorschläge macht: »I smiled my nicest smile of comradely equality […] Wasn’t a whistle or a murmured ›May I fuck you?‹ an innocent compliment? And did not white women in particular have to bear the white man’s burden of making amends to Southern racism?«70
69 | Mary King berichtet, wie sie als Schülerin in der Zeitung ein Bild von Emmett Tills gelynchtem Körper sah und über die Tatsache, dass er erst vierzehn Jahre alt war, so erschüttert gewesen sei, dass sie anderntags in der Schule eine Rede über Gerechtigkeit gehalten habe (King 1987, 250f). 70 | Brownmiller 1986, 247. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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Wie schon bei Mary King und Casey Hayden zeigt sich hier ein ähnliches Muster: Die weibliche Kompassion mit dem potentiellen Opfer – dem lynchgefährdeten schwarzen Mann – hält zunächst eine eigene Viktimisierung für vernachlässigbar. In einem zweiten Schritt empfindet Brownmiller aber die Selbstzensur umso vehementer, und die Überkompensation schlägt in Gegenaggression um. Susan Brownmiller schreibt: »It took fifteen years for me to resolve these questions in my own mind, and to understand the insult implicit in Emmett Till’s whistle, the depersonalized challenge of ›I can have you‹ with or without racial aspect.« (Meine Kursivierung) (248)
Abbildung 19 und 20
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Abbildung 21 Indem Brownmiller angeblich von Race abstrahiert, gewinnt sie Einsicht in die Logik von Sexismus. Es ist allerdings wichtig hier festzuhalten, dass es nicht wie bei King und Hayden Rassismus selbst ist, sondern das Verhalten des Rassismus-Opfers Till vor dem Lynching, das die Autorin über den Tatbestand weiblicher Objekthaftigkeit erleuchtet. Unmittelbar im Anschluss an die Erkenntnis schreibt sie: »Today a sexual remark on the street causes me a fleeting but murderous rage.« (Meine Kursivierung) (248)
Nimmt man die Formulierung ernst, dann spricht die Autorin jetzt selbst in der Rhetorik des Lynching. Sie wird ›flüchtig‹ von einem Totschlag-Impuls – »murderous rage« – heimgesucht. Hier sind wir in einem ersten Schritt wieder bei dem Vorspann dieses Kapitels, der Geschichte von dem weißen Mädchen, angekommen, das anstatt den Grund eines Lynchings abzugeben, selbst vergewaltigt wird, nur in umgekehrter Reihenfolge. Aus einer Polemik gegen Vergewaltigung als gesellschaftliche Grundstruktur entwickelt sich ein Impuls zum Lynching.71
71 | Einen etwas anderen Anschnitt des Artikulationszusammenhangs Rape und Lynching wählt Kathryn Stockton, wenn sie von Vergewaltigung als »gendering and racializing violence« spricht (Stockton 2006, xxiv).
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5.10 Reycling Eldridge Cleaver II Der Schritt von der Identifikation mit dem potentiellen Opfer zur Rhetorik des Lynch-Wunsches war auf der Zeitachse ein großer, schließlich dauerte er nach eigenen Angaben fünfzehn Jahre. Im Text allerdings ist dieser Schritt verblüffend klein. Es bedurfte lediglich einer Argumentationslinie von ein paar Seiten, um über das amerikanische Dilemma des phantasierten schwarzen Vergewaltigers und der Vergegenwärtigung des Unrechts des Lynching-Paradigmas zum kämpferischen Feminismus zu kommen und von diesem zum Lynching-Impuls. Es war dann nur noch eine Provokation nötig – und die liefert, wie bereits mehrfach erwähnt, Eldridge Cleaver –, um von überkompensierter Leidensbereitschaft zur potentiell vigilantischen Rachetäterin zu mutieren. Um diesen geistigen Salto Mortale zu bewerkstelligen, war allerdings eine besondere Vorstellung vom eigenen Opferstatus anzunehmen. Eldridge Cleavers Vorsatz, weiße Frauen als revolutionäre Tat zu vergewaltigen, bildet die Folie für einen solchen Opferbegriff, der sich über den fiktiven Text ›Sie tun es nicht nur, sondern sie kündigen es auch noch an‹ dramatisiert. Eldridge Cleavers Botschaft war zweifellos an den weißen Mann gerichtet, hatte aber besonders im Cultural Feminism leidenschaftliche Leserinnen gefunden, die bei der Lektüre nicht nur Cleaver, sondern eine systematische Komplizenschaft des männlichen Geschlechts in Gänze und darin insbesondere wieder den NewLeft-Macho zu erkennen glaubten. Susan Brownmiller schreibt: »Cleaver’s thought pattern and ideological construct he used to justify his career as a rapist […] Besides being a rare glimpse into the mind of a rapist, it reflects a strain of thinking among black intellectuals and writers that became quite fashionable in the late sixties and was taken up with astonishing enthusiasm by white male radicals and parts of the white intellectual establishment as a perfectly acceptable excuse for rape by black men. […] The blame as he [Cleaver] saw it, belonged on white women.« (249)
Über die Unterstellung, dass weiße Frauen Schuld an ihrer eigenen Vergewaltigung haben sollten, installiert sich eine sehr spezielle Opfer-Trope. In der deutschen Sprache verschmelzen zwei Bedeutungen des Opferbegriffs, die im Englischen getrennt sind: Im Englischen spricht man von ›victims‹, also Menschen, denen etwas angetan wurde, und von ›sacrifice‹, dem Opfer, das von jemandem, einer Gruppe, einer Gemeinschaft gebracht wird, um eine Versöhnung, Reinigung oder Heiligung zu erwirken. Nimmt man die begriffliche Engführung, die in dem deutschen Wort ›Opfer‹ beide Phänomene integriert, zum Modell für Brownmillers Wandlung, kommt man der Logik ihres Erkenntnisprozesses leichter auf die Spur. Ein symbolisches Opfer in der antiken Tradition sieht vor, dass eine Gesellschaft durch einen Frevel (Lynching) gestört (in Unfrieden gestürzt) wird und ein Held/eine Heldin dazu auserse-
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hen wird, sie durch ein Opfer (Sacrifice) zu reinigen.72 Überträgt man diese Ausdifferenzierung des Opferbegriffs auf das vorliegende Problem, hat man folgende Sachlage: Nachdem also Emmett Till zum Opfer (Victim) geworden ist, hat Susan Brownmiller das symbolische Opfer (Sacrifice) erbracht, sich mit ihrer eigenen mentalen Zustimmung sexuell belästigen zu lassen, um damit die Gesellschaft von Unrecht zu reinigen. Ein gewichtiges Element des symbolischen Opfers löst sich aber für die junge Frau nicht ein: die Reziprozität. Die abendländische Opferlogik sieht Reziprozität vor. Das Opfer in der Antike wurde durch ein Geschenk der Götter belohnt.73 Das Opfer wird nicht mit einer Erhebung zum Märtyrertum belohnt, sondern mit einer geschlechtsspezifischen Devaluierung bestraft.74 Die Demütigung, die Brownmiller durch die sexuellen Anzüglichkeiten erlebt, bleibt nicht nur an ihr haften, sondern die Tatsache, dass sie sich nicht zur Wehr setzt, provoziert für Dritte Zweifel an ihrem Ruf. Jetzt doppelt viktimisiert, wechselt sie in der Logik des Opfers vom Sacrifice zum Victim. Zuerst hat sie selbst ein Opfer gebracht, dann ist sie von der weißen Community – sprich den linken Genossen – geopfert worden, und das macht sie schließlich selbst zum Opfer. Nun einem anderen Diskurs zugehörig, nämlich dem ›discourse of victimhood‹, fände sie Trost in der Bestrafung des Verursachers. So betrachtet ist die Aggression gegen Emmett Till im Besonderen und den schwarzen Mann im Allgemeinen eine inhärent logische Verschiebeaktion. Der Pfiff von Emmett Till wird nun von einer unschuldigen Äußerung jugendlicher Vitalität zu einem »deliberate insult, just short of a physical assault« (195). Findet sich jetzt, wie in Cleavers Polemik, eine Stimme, die die Erniedrigung des schwarzen Mannes durch rächende Vergewaltigung vergelten will und die Opferung der weißen Frau im Angesicht der Größe des Unrechts für gerechtfertigt erklärt, ist damit das schlechthin Böse identifiziert. In Cleavers und Brownmillers Diskurs überschneiden sich zwei ›Blaming the Victim‹-Texte von jeweils durch weiß-männliche Herrschaft unterdrückten Protagonisten. Bei ihrer Berührung entstehen Funken, die gerade jene Explosionsherde bedrohen, von denen sie sich hatten abwenden wollen: Sexismus und 72 | Burkert 1972. Siehe auch Girard 1987. 73 | In der Aufklärung säkularisiert sich die Opferlogik in eine Vertragslogik des Tausches oder in eine instrumentelle Logik des Tausches (Reiter 1991, 131). 74 | Das hat damit zu tun, dass nur dann ein Mitglied einer beherrschten oder niedrig hierarchisierten Gruppe (in diesem Fall weiße Frauen) von einem Opfer profitieren kann, wenn es vom dominanten Diskurs dafür eingesetzt worden ist, wie etwa die Krankenschwester im Feldlazarett (Florence Nightingale). Ein Opfer auf eigene Rechnung ändert dagegen nichts an der ursprünglichen Wertstruktur, in die es hineingebracht wurde. Es reinigt also die Gesellschaft nicht. Brownmillers Dilemma besteht darin, über den paradoxen Weg des Anti-Rassismus keine Unterstützung für Sexismus-Kritik gewonnen zu haben, sondern Munition für einen erneuerten Rassismus.
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Rassismus. Ein Unterschied kann dabei nicht unterschlagen werden. Eldridge Cleaver war ausdrücklich nicht angetreten, um Sexismus zu bekämpfen. Sexismus war ihm weder als Wort noch als Konzept vertraut und einsichtig. Die Verfügung über den weiblichen Körper – wenn auch nur in Gestalt eines Pin-Up – erschien ihm ein selbstverständliches Menschen(Männer)-Recht. Für Brownmiller dagegen schließt sich der Kreis der Opferlogik vollständig. Sie wollte ursprünglich Rassismus bekämpfen, begreift sich auf diesem Weg als Opfer von Sexismus und kodiert dann das frühere potentielle Opfer zum Aggressor und sexualisierten Monster um. Der dann gegen sie erhobene Rassismus-Vorwurf wird konsequenterweise von Brownmiller als ungerecht empfunden, da sie ja für sich selbst eine Geschichte des anti-rassistischen persönlichen Opfers protokolliert.
A USTAUSCH VON P ROVOK ATIONEN – A FROAMERIK ANISCHE R E AK TIONEN 5.11 Der Pfiff von Emmett Till Schwarze Feministinnen begründen ihre Zurückhaltung gegenüber dem weißen Feminismus u.a. mit dessen unreflektierter Nähe zum Phantasma des schwarzen Vergewaltigers. Mit scharfer Kritik geht Angela Davis das Race-Kapitel von Susan Brownmiller an. Sie erklärt es zu einer ›schmerzlichen Ironie‹, dass weiße Feministinnen behaupten, schwarze Männer neigten besonders zu sexueller Gewalt gegenüber (weißen) Frauen. Davis beschuldigt Brownmiller – wie ein knappes Jahrhundert zuvor Ida B. Wells, Jane Addams und Frances Willard –, sie würde den rassistischen Mythos vom schwarzen Vergewaltiger befördern (Davis 2001, 52). Zum Verständnis für das Folgende ist ein Nachtrag der Vorgeschichte des Emmett Till-Lynchings notwendig. Die Begegnung mit der weißen Frau war nicht zufällig, sondern eine Mutprobe des jungen Nordstaatlers. Seine Südstaaten-Cousins hatten seine Eroberungsgeschichten weißer Frauen angezweifelt. Als Gegenbeweis bat er im Laden die ihm unbekannte Verkäuferin um ein Rendezvous und wurde von der indignierten Frau mit gezogener Waffe verjagt. Emmett Tills berühmter Pfiff bekommt in diesem Zusammenhang eine etwas andere Konnotation: Er ist auch ein Versuch, eine Demütigung zu überspielen oder sich zu rächen. In ihrer Polemik gegen Brownmiller erwähnt Angela Davis nicht, dass der Pfiff von Emmett Till eine Reaktion auf eine verlorene Mutprobe war, und sie erzählt nicht, dass die Schärfe von Brownmillers Race-Vergewaltigungspolemik hauptsächlich in einer Replik auf Eldridge Cleaver war. Susan Brownmiller dagegen erzählt nicht, wie es überhaupt zu Cleavers Provokation gekommen ist, sie unterschlägt das Pin-Up, die Selbstkritik, den Nervenzusammenbruch und die Therapie. Hier zeigen sich unterschiedliche politische Programme. Wäh-
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rend Angela Davis über die Vergewaltigungsmetapher einen impliziten Rassismus des weißen Feminismus anprangert, macht Susan Brownmiller das Argument des radikalen Feminismus der Sechziger von der vorgängigen Struktur des Sexismus gegenüber dem Rassismus stark. Die Metapher Emmett Till bildet die Grundlage für die Empörungsrhetoriken beider Fraktionen.75 Als weiterer Mitfechter im Spiegelkabinett der Race-Gender-Konkurrenz meldet sich der prominente afroamerikanische Autor Ishmael Reed mit Attacken auf den weißen und nun auch den schwarzen Feminismus zu Wort. Für Reed ist der Kern des Skandals – wie auch schon für Angela Davis – Susan Brownmillers kalkulierter Tabubruch, wenn sie das neuzeitliche Emblem für die Grausamkeit des Lynching, den Jungen Emmett Till, des Sexismus beschuldigt. Zu seinem berühmten Pfiff schrieb sie: »The whistle was no small Hubba-hubba or melodious approval for a well turned ankle […] it was a deliberate insult just short of physical assault, a last reminder to Carolyn Bryant, that this black boy, Till, had in mind to possess her.«76
Ishmael Reed organisiert einen ganzen satirischen Roman um diese in seinen Augen unverzeihliche Aussage. Mit dem Titel Reckless Eyeballing baut er den zum Lynch-Vorwand genommenen Pfiff in eine noch harmlosere Geste um – in einen Blick. In der Hoffnung, Brownmillers implizierten Tabubruch herauszuarbeiten, verschiebt er die Race-Frage auf den Holocaust. Er lässt die weiße feministische Produzentin Becky French (Brownmiller)77 mit der zögerlichen Hilfe der schwarzen Autorin und Regisseurin Tremonisha Smarts (Alice Wal-
75 | Bis heute ist die Frage, was wirklich vor dem Laden, im Laden und nachdem Emmett Till wieder herauskam, geschehen ist, Gegenstand von heftigen Kämpfen. Emmett Tills Mutter hat z.B. immer drauf bestanden, dass er keine Photos von weißen Klassenkameradinnen bei sich gehabt habe, sondern ein Starphoto von Hedi Lamarr, das beim Kauf des Portemonnaies bereits vorhanden gewesen wäre, und es hätte niemals eine Mutprobe gegeben, (dann würden seine Cousins eine gewissen Mitschuld tragen), auch hätte er nicht gepfiffen, sondern als Stotterer um einen Ausdruck gerungen, und wenn er gepfiffen hätte, dann hätte das einem Checkers Spiel vor dem Laden gegolten. In einer peniblen Rekonstruktion der Quellen und Interviews mit Überlebenden hat Deverey Anderson bestätigt, dass es eine Mutprobe gegeben hat und außerhalb des Ladens entweder den berühmtem ›Wolf-Whistle‹ oder eine verbale ›Anmache‹ (Anderson 2008). 76 | Brownmiller 1986, 247. Diese Passage wurde von vielen schwarzen und weißen Kritikerinnen zitiert z.B. auch von hooks 1981, 51, und Giddings 1984, 310. 77 | Der Name ist ein Kompositum aus Marylin French, die in ihrem Roman ebenfalls eine signifikante Vergewaltigung eines schwarzen Mannes an einer weißen Frau schildert, und Susan Brownmiller.
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ker)78 ein Stück über Eva Braun planen, in dem sie von der passiven Komplizin zum heroischen Opfer Hitlers und zur Antifaschistin wird.79 Der ursprüngliche Emmett Till-Opfer-Plot transfiguriert sich im Laufe der Bearbeitung durch Produzentin und Regisseurin zu einem Emmett Till-Täterplot, der als ausgegrabene Leiche aufgrund der dramatischen Aussage der sexistisch angestarrten weißen Verkäuferin, Carolyn, der Blick-Vergewaltigung überführt wird. Die Emmett Till-Geschichte ist damit ein weiteres Mal zum Verschiebebahnhof skandalisierender Metaphorik geworden. Eldridge Cleaver hatte über die Entlarvung seines eigenen Begehrens nach der Lynchanklägerin Carolyn Bryant zur Provokation der rächenden Vergewaltigung gefunden. Susan Brownmiller hatte 78 | Ishmael Reed eröffnet hier einen Nebenkriegsschauplatz mit Alice Walkers Roman The Color Purple (und besonders mit Spielbergs Verfilmung), den er in Reckless Eyeballing als Tremonisha Smarts Stück The Wrong Headed Man parodiert, das in einer zentralen Szene einen schwarzen Bösewicht zeigt, der seine Frau eine hohe Treppe hinunterstürzt. Smart (Walker) wird als eine Figur gezeichnet, deren Mission es ist, schwarze Männer als Aggressoren zu porträtieren, und die dafür von einem unbekannten Terroristen wie eine Kollaborateurin in Frankreich kahl geschoren wird. Mit dem Treppensturz spielt er auf drastische Gewaltszenen des Mannes von Celie, Mister, in Walkers Color Purple an. Nach Auffassung Reeds generieren solche Schilderungen ein Lynch-Klima gegen den schwarzen Mann. Ishmael Reed bezieht sich dabei auf eine Zeugenaussage im berühmten ›Howard Beach Fall‹, wo im gleichnamigen New Yorker Stadtteil eine Gruppe weißer Männer in einem weißen Viertel eine Gruppe schwarzer Teenager, die mit einer Autopanne dort gestrandet waren, dermaßen bedroht hatten, dass einer von ihnen bei der panischen Flucht vor ein Auto lief und tödlich verletzt wurde: Die Freundin des einen Täters hatte zu Protokoll gegeben, er sei bei Spielbergs Color Purple Verfilmung sehr erbittert über die negative schwarz-männliche Hauptfigur gewesen, siehe Reed 1988 und Reed 1986. Bei einer Erörterung der Beziehung von Reeds Roman Reckless Eyeballing zu Alice Walkers The Color Purple kommt Katrin Schwenk zu folgender Auffassung: »One could describe Walker’s novel as demonstrating the uses of revising history, while Reed’s parody would point to the abuses of history writing« (Schwenk 1994, 324). 79 | Becky French sagt dabei zu Eva Braun: »She may be a Nazi whore to sexists like you, but to many of us she epitomizes women’s universal suffering« (Reed 1986, 5). Reckless Eyeballing hat noch einen weiteren Subplot zur ›Judenfrage‹, mit dem er das schwarz-weiße Lynching-Szenario durch ein christlich-jüdisches zu erleuchten versucht. Reed lässt Jim Balls jüdischen Produzenten, Frank Minsk, im Süden durch einen Lynch-Mord umkommen, in der parodistischen Rekonstruktion des antisemitischen Justizskandals ›Frank‹, bei dem der jüdische Fabrikmanager Leo Frank wahrscheinlich fälschlich des Mordes an einer Fabrikarbeiterin angeklagt wurde und nach der Revision des Todesurteils in eine lebenslängliche Strafe von einem Lynch-Mob aus dem Gefängnis entführt und getötet wurde. Zu einer Erörterung von Reeds Position zu ›Judenfrage‹, z.B. seine andauernde Polemik gegen Steven Spielberg ›als Jude‹, siehe Melnick 1994.
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im gezielten Tabubruch, das Lynchopfer als Sexisten zu entlarven, zu einem generellen Nachdenken über Sexismus als Verletzung weiblicher Integrität provoziert. In beiden Fällen funktionierte die Provokation, allerdings so gut – oder zu gut –, dass sie für bare Münze genommen wurde, d.h. die kritisierten Autoren werden buchstäblich interpretiert und für ihre ›Verschiebung‹ verurteilt. Ishmael Reed scheitert in gewisser Weise daran, diese Zuspitzung der Zuspitzung noch einmal parodieren zu wollen. Der kalkulierte Skandal von Brownmillers Emmett Till-Interpretation ist durch Reeds Version der Exhumierung von Emmett Till und seiner erneute Verurteilung durch ein feministisches Tribunal nicht mehr zu übertreffen. Schon allein deshalb nicht, weil man für diese Art Skandalisierungsstrategie die Konversion einer Opfer-Trope in eine Täter-Trope braucht. Das hat Brownmiller bereits geleistet, indem sie Till zum Sexisten erklärt. Wenn Reed hier die Verkäuferin Carolyn Bryant als fiktionale Emmett Till-Anklägerin, diesmal mit einem feministischen Chor im Hintergrund, zur Täterin macht, führt er damit die Geschichte nur zu ihrer ursprünglichen Szene zurück, aus der sie Cleaver und Brownmiller herausgedreht hatten. Die Parodie des weißen Feminismus läuft leer, weil sie nur eine Variation des alten Plot ist, der weiße Frauen zu willigen Gehilfinnen und Denunziantinnen des Lynching-Szenarios macht.
5.12 Das Elend der Binarität – ›Advancing Luna‹ Ishmael Reed machte keinen Unterschied zwischen weißem und schwarzem Feminismus bezüglich seiner Gefährlichkeit für den schwarzen Mann. Die von ihm angegriffene Autorin Alice Walker sieht das deutlich anders. Sie macht – wenn auch zögerlich – den Antagonismus zur weißen Frau zum wichtigeren Konflikt als die Kritik am schwarzen Machismo. Besonders deutlich wird das an der Frage der Vergewaltigung einer weißen Frau durch einen schwarzen Mann. Genau in dieser Engführung verkantet Walker den wunderbaren Text »Advancing Luna – and Ida B. Wells«. Die schwarze Ich-Erzählerin trifft im Süden während einer SNCC-Kampagne auf Luna, ein mittelmäßig hübsches weißes Mädchen aus dem Norden, dessen zähe Geradlinigkeit ihr gelegentlich auffällt. Ein Jahr später in New York braucht sie Unterschlupf und nimmt Lunas Angebot an, bei ihr in einer heruntergekommenen Gegend in der Lower Eastside einzuziehen. Die sich intensivierende Freundschaft im Bohème-Milieu bekommt einen plötzlichen Sprung, als Luna ihr unvermittelt gesteht, dass sie vor einem Jahr im Süden von einem schwarzen Genossen, dem wenig prominenten und unansehnlichen Freddie Pye, vergewaltigt worden ist.80 Der erste Bruch erfolgt nach der Frage »Why didn’t you scream?« und der Antwort »You know why«. 80 | Obwohl im SNCC keine Vergewaltigung zur Anzeige kam, wurden in späteren Interviews sexuelle Übergriffe eingeräumt. Das Stanford University Radio KZSU ließ 1965 Interviews mit Freiwilligen machen, die davon berichteten, Mary Rothschild beruft sich
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Beide Protagonisten begreifen unmittelbar, dass sie in eine kommunikative Sackgasse geraten sind. Vor dem inneren Auge der Erzählerin taucht ein Photo von Emmett Till auf, und das laute Schweigen zwischen den Frauen wird im Text selbst durch das Bild der vom Lynch-Mob gerösteten Zunge Emmett Tills symbolisiert.81 Ab diesem Moment ist die Freundschaft der beiden jungen Frauen von sich überkreuzendem Gefühlen von Verlegenheit und Zorn blockiert: »Suddenly I was embarrassed. Then angry, very, very, angry. How dare she tell me this, I thought« (Kursivierung Walker) (Walker 1983, 93). Nellie McKay spitzt in einer Analyse der Geschichte das geschilderte Problem zu der Aussage zu: »The story provides a crucial space, in which we see, how women’s cross-racial relationships are held hostage by the self-interest of systems of white male power« (McKay 1991, 249). Alice Walker allerdings belässt es nicht bei diesem Ende. Die Erzählerin wendet sich mit der Bitte um geistigen Beistand an die Anti-Lynch-Aktivistin Ida B. Wells,82 die ihr ebenfalls rät, Schweigen zu bewahren, weil die Lynching-Gefahr für den schwarzen Mann so unschätzbar größer und existenzbedrohender ist als das Seelenheil der vergewaltigten weißen Freundin. Alice Walker konstruiert mehrere Auflösungen der Geschichte. In der ersten sieht ein paar Wochen später die Ich-Erzählerin Freddie Pye, den früheren Vergewaltiger, aus dem Schlafzimmer von Luna kommen. Auch hier wäre ein Ende der Geschichte möglich. Nun hätte die Geschichte nach den Variationen a) Sprachlosigkeit b) Entscheidung für die Solidarität mit dem schwarzen Mann im Besonderen und der Race im allgemeinen c) mit dem Beziehungsdrama des schwarzen Mannes und der weißen Frau enden können und dem ›gerechten‹ Ressentiment der schwarzen Zuschauerinnen.
auf eigene vertrauliche Interviews (Rothschild 1982, 153, FN36) und Ms berichtete im Juli 1977 75-79, 93-97 über derartige Vorfälle. 81 | Für die innere Verbindung von Vergewaltigung und Zum-Verstummen-Bringen (Silencing) siehe eine Analyse Patricia Kleindienst Joplin »The Voice of the Shuttle is Ours« der antiken Philomela Geschichte, die von ihrem Schwager vergewaltigt wurde, und der man die Zunge herausgeschnitten hat, damit sie ihren Peiniger nicht verraten kann. Philomela webt dann die Anklage in ein Stück Stoff ein (Joplin 1991). In Walkers Revision des Mythos, die inhaltlich für den gefährdeten schwarzen Mann Partei nimmt, ist es bezeichnenderweise Tills abgeschnittene Zunge, die diesmal nicht von Vergewaltigung, sondern von Lynching Zeugnis gibt. 82 | Zu Ida B. Wells Kontroverse mit der weißen Reformerin Jane Addams vgl. Kapitel 2, S. 145-148. Ida B. Wells Position zum Lynching fasst Valerie Smith in einem Aufsatz zu »Advancing Luna« folgendermaßen zusammen: »(Lynching is) an excuse to get rid of the Negroes who were acquiring wealth and property and thus ›keep the nigger down‹«. Aus Ida B. Wells Autobiographie Crusade to Justice zitiert nach Smith 1990, 273.
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Der Gerechtigkeitssinn von Walkers Protagonistin ist aber grundsätzlicher und selbstquälerischer. Jetzt versucht sie Freddie Pye zu entwerfen. Sie imaginiert ihn als vorgeführten Token: Pye war zu einer weißen New Yorker Spendenralley eingeladen gewesen, um über den Rassismus des Südens zu sprechen. Man hatte sich hinter vorgehaltener Hand über seinen Dialekt und seine Ungebildetheit amüsiert und ›vergaß‹ sich darum zu kümmern, ob er Geld und Unterkunft hat. Er kennt in New York niemanden außer Luna, vertraut sich ihrem Mitleid an und schleicht sich nach einer spannungsgeladenen Nacht mit unausgesprochenen Vorwürfen und Verständnislosigkeiten wieder aus dem Haus. Die Balancen haben sich erneut verschoben. Ein Opfer-Täter wird sichtbar, seine Vergewaltigung als kompensatorische Selbstermächtigung fast verständlich, seine Jämmerlichkeit offensichtlich. Nun könnte die Geschichte sozusagen als tragische enden, als ein Plot von unschuldig Schuldigen, die über doppelte Unterdrückung aneinandergekettet notwendig Leiden und Missverständnis produzieren. Würde man es in Genres ausdrücken, hätte man mit dem Verstummen ›das Unheimliche‹ der American Gothic, mit Ida B. Wells’ Belehrung ein Race Morality Tale und mit Freddie Pyes Rückkehr das Melodrama oder die Tragikomödie durchgearbeitet. Aber Alice Walker hat erst drei Kombattanten des Rape-Lynching-Komplexes auf der Bühne. Es fehlt noch der große weiße Mann. Bislang wurde eine Abfolge von Komplizenschaften verhandelt. Luna ist durch Nicht-Schreien zur Komplizin ihrer eigenen Vergewaltigung geworden. Die Erzählerin wird mit ihrer ›Sister in Crime‹ Ida B. Wells zur Komplizin des Verschweigens, und Freddie selbst wird zum Komplizen der weiß männlichen Herrschaft, deren Schrecken die anderen zu seinem Schutz nötigt. Nun erfährt die Erzählerin von einem vierten Komplizen. Auf einer Politreise in Kuba trifft sie auf einen dunkelhäutigen Künstler, der ihr folgende Version ihrer eigenen Geschichte anbietet: Die amerikanische Regierung habe Freddie Pye gegen Bezahlung dafür angeworben, weiße Frauen zu vergewaltigen, in der Hoffnung, eine würde sich wehren und Anzeige erstatten. Dadurch sollte die Bewegung diskreditiert werden. Er könne das beurteilen, denn man habe ihm selbst ein solches Angebot unterbreitet. Nun haben wir über seinen potentiellen dunkelhäutigen Komplizen den weißen Mann auf der Bühne. In Gestalt des Geheimdienstes versucht er die Mechanik des Rape-Lynching-Komplexes in Gang zu setzen, um den Widerstand der SNCC Aktivisten zu zerstören. Alice Walker ist es so mit, ›fiktiv imaginärem Wissen‹ gelungen (McKay 1991, 258), in einer selbstreflexiven never-ending Story einen gesellschaftlichen Zusammenhang zu erhellen, der den Akteuren in den Nebelwerfern ihrer Empörungsrhetorik und Selbstgerechtigkeit verborgen bleiben musste. Valerie Smith macht in ihrem Aufsatz »Split Affinities. The Case of Interracial Rape« den Vorschlag, die Geschichte Alice Walkers in einen sozialen Prozess zu verwandeln (Smith 1990). Die afroamerikanische Universitätsprofessorin berichtet, dass sie von Walkers literarischer Vorlage häufig Gebrauch
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macht, um in ihrer Klasse einen Erkenntnisprozess zu erzeugen. Smith nutzt die zu erwartenden Reaktionen der Studierenden – weiße Studentinnen neigen dazu, die Vergewaltigung als ein Gender-Problem zu sehen und für Luna Partei zu ergreifen, schwarze Studentinnen neigen dazu, die Vergewaltigung als ein Race-Problem zu sehen und Freddie Pyes Position einzunehmen –, um ihnen zu verdeutlichen, dass jede der Positionen ungerecht ist, und dass man zu ungerechten Schlüssen kommen muss, wenn man jeweils exklusiv in den Kategorien Race und/oder Gender denkt. Die Ungerechtigkeit entsteht durch das Denken in Binaritäten, die keine Intersektionalität der schwarzen Frau in Rechnung zieht. Als Seiteneffekt werden dabei auch Vergewaltigungen an schwarzen Frauen als ›unwichtiger‹ wahrgenommen, ein Phänomen, das leicht nachweisbar ist.83 Valerie Smith sieht dabei die Geschichte und das folgende soziale Labor in der Klasse als Exerzitium eines Grenzfalls (Bordercase). Sie bezieht sich mit diesem Begriff auf Mary Poovey, die als Grenzfälle Räume intensiver Debatten betrachtet, die entstehen, weil der zur Diskussion stehende Fall die Opposition herausfordert, auf der alle anderen Annahmen, Lebenstatsachen und Ordnungskategorien basieren.84 Das überdeterminierte Schweigen in »Advancing Luna« entsteht deshalb, weil Lunas Whiteness nach den binären Logiken von Mann/Frau und schwarz/weiß nicht als Race angesehen wird, sie also nur als geschlechtliches Wesen wahrgenommen wird, während Freddie Pyes Gender im Konfliktfall von seiner Race dominiert wird. Freddie Pye kann nicht für seine Geschlechtsaggression verantwortlich gemacht werden, weil seine Race ihn in Lynching-Gefahr bringt. Luna kann ihre Geschlechtsverletzung nicht geltend machen, weil ihre Race dem Vergewaltiger zur tödlichen Gefahr wird. Die schwarze Erzählerin von »Advancing Luna« weiß, dass ihre eigene Geschlechtsverletzung wenig zählen würde. Sie weiß auch, dass Lunas Verletzung allein durch die Tatsache, dass sie ein zu verteidigender Besitz des weißen Mannes ist, so bedeutend ist, dass sie ein Lynching heraufbeschwören könnte. Dieses nicht aussöhnbare Wissen verknotet die Geschichte in das Amerikanische Dilemma. Die oben beschriebenen Verknotungen sind nicht deshalb so unlösbar, weil sie binär angeordnet sind, sondern wegen der darin implizierten Hierarchie. Der ›Grenzfall intensiver Debatte‹ wäre nicht so brisant, wenn nicht ›weiß‹ macht83 | Nach dem ›Central Park Jogger Case‹ (1989), fand ein Journalist heraus, dass in derselben Woche achtundzwanzig Frauen nicht-weißen ethnischen Hintergrunds vergewaltigt wurden und kein einziger Fall in der Zeitung Erwähnung fand. Siehe »A Week of Rapes and 28 Not in the News«, New York Times, May 29, 1989, 25, zitiert nach Smith 1990, 286. 84 | »Border cases are […] the sites of intensive debates, […] because they threaten the opposition upon which all other oppositions are claimed to be based« (Poovey 1988, 12).
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voller als ›schwarz‹ und ›männlich‹ machtvoller als ›weiblich‹ wäre. Lunas Whiteness ist in dieser Geschichte dermaßen dominant, dass sie unsichtbar wird. Dieses Ergebnis ist also keine Frage von vorsätzlichem Ausschluss, sondern ein Effekt hierarchisierter Binarität.85 Elisabeth Spelman hat in ihrer Studie Inessential Woman darauf hingewiesen, dass nicht nur der dominante Diskurs solche Formen von Ausgrenzung erzeugt, also der implizite amerikanische Rassismus, sondern dass auch Gegendiskurse wie die weiße Frauenbewegung machtgestützte Ausschlüsse praktizieren, wenn sie ihr Frausein zur Priorität und damit unausgesprochen ihre Whiteness zur Grundlage ihres politischen Handelns machen,86 wie auch auf maskuline Selbstermächtigung ausgerichtete Race-Emanzipations-Diskurse wie die der Black Panthers, ihre Race und damit unausgesprochen Maskulinität zur Priorität ihres Handelns machen.87 Beide Diskurse schließen strukturell schwarze Frauen aus. Die frühe These des Radical Feminism, dass Rassismus eigentlich nur erweiterter Sexismus sei, ist eine logische Konsequenz dieser neuen Priorität. In der Folge erzeugt das eine Sexismus/Rassismus-Hierarchie mit Sexismus an der Spitze.88 Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Diese Neuhierarchisierung führt dazu, den schwarzen Vergewaltiger als besonders monströs herauszustellen, weil er ja umso sexistischer sein muss, je mehr er seine Race überschreitet. Im angeblichen Übersehen von Race über das Herausarbeiten von Emmett Tills Sexismus bringt Brownmiller dann vexierbildhaft seine Race zur Sichtbarkeit. Das geschieht aber nur, weil ein weißes Opfer imaginiert ist, dessen stille Machtposition systematisch unsichtbar bleibt. Während Shulamith Firestone Cleavers Vergewaltigungsphilosophie noch dazu nutzt, über sein reaktives Vergewaltigungsmodell die Logik des Sexismus zu entfalten, wird er bei Susan Brownmiller zum Prototyp von Vergewaltigung sui generis, wobei Rassismus als Urheber und verantwortliche Struktur für Cleavers Polemik allmählich aus
85 | Diese Struktur hat Elizabeth Spelman im Kapitel »Woman the One and the Many« herausgearbeitet (Spelman 1988, 133-159). Siehe auch den Abschnitt »Begriffsklärungen« in der Einleitung, S. 24-30. 86 | Es dauerte bis zur Mitte der achtziger Jahre, bis der weiße Feminismus dieses Strukturproblem nicht nur zu erkennen, sondern auch einzusehen begann. Ellen Pence, die einzige weiße Beiträgerin der berühmten Anthologie All the Men are Black, all the Women are White, but Some of Us are Brave, reflektiert: »While I fully understood how sexism dehumanizes men, it never crossed my mind that my racism must somehow dehumanize me« (Pence 1982, 75). 87 | Siehe die Analysen von Michele Wallace (Wallace 1979), hooks 1990b und hooks 1990a. 88 | Siehe das Kapitel »Gender and Race. The Ampersad Problem of Feminist Thought« in Spelman 1988, 114-132.
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dem Bild verschwindet. Cleaver mutiert zur eingeschwärzten Verkörperung eines allgemeinen Machismo und Sexismus. Emmett Till kommt dabei die Funktion der Katharsis im Wortsinn der ›Reinigung der Leidenschaften‹ zu. Wie idealtypische Figuren in einer griechischen Tragödie fechten ›Schwarzer Mann‹ und ›Weiße Frau‹ über dem symbolischen Opfer Emmett Tills einen Stellvertreterkampf aus, der, wiewohl gegen den weißen Mann gezielt, nur in den eigenen Reihen Schaden anrichtet. Während Cleaver an seiner Emmett Till-Geschichte sein eigenes manipuliertes Begehren hassen lernt und Vergewaltigung legitimiert, ›überwindet‹ Susan Brownmiller ihr Mitleid und ihre reaktive Überkompensation auf den Lynchtod des Jungen, um dann ›gereinigt‹ die Logik des Sexismus umso klarer zu sehen. In der ersten Struktur wird Vergewaltigung zum anti-rassistischen Manifest, im zweiten Fall kann – überspitzt ausgedrückt – Lynching zur antipatriarchalen Tat werden. Kimberlé Crenshaw fasst diese Logik folgendermaßen zusammen: »In feminist contexts, sexuality represents a central site of the oppression of women; rape and the rape trial are its dominant narrative trope. In antiracist discourses, sexuality is also a central site upon which the repression of blacks has been premised; the lynching narrative is embodied as its trope. (Neither narrative tends to acknowledge the legitimacy of the other; the reality of rape tends to be disregarded within the lynching narrative; the impact of racism is frequently marginalized within rape narratives).« (Crenshaw 1992, 405)
Die Konzentration der Frauenbewegung auf ein Vergewaltigungsparadigma und die Zuspitzung des anti-rassistischen Bürgerrechtsdiskurses auf Lynching führt, wie Kimberlé Crenshaw zeigt, zu einer gegenseitigen Artikulation, oder man könnte auch sagen, zu einer konkurrierenden Verkennung der jeweiligen Ansprüche. Das ist um so problematischer, als die jeweilig andere Gruppe – in der Figur der weißen Frau als Lynching-Vorwand und die des schwarzen Mannes als Vergewaltigungspropagandist – auch noch für die tödliche Logik des Rape-Lynching-Komplexes verantwortlich gemacht wird. Vergewaltigung wird so betrachtet zu Lynching, nämlich zu einem Lynching-analogen systematischen Abschreckungs- und Einschüchterungsritual, das die Gesellschaft allen Frauen vor Augen stellt, um sie in Schach zu halten. Susan Brownmiller spitzt zu: »Rape is to women as lynching was to blacks: the ultimate physical threat by which all men keep all women in a state of psychological intimidation. Women have been raped by men, most often by gangs, for many of the same reasons that blacks were lynched by gangs of whites: as group punishment for being uppity, for getting out of line, for failing to recognize ›one’s place‹, for assuming sexual freedom, or for behavior no more provocative than walking down the wrong road at night in the wrong part of town and presenting a convenient, isolated target for group hatred and rage. Castration the traditional
5. ›S ECOND -W AVE -F EMINISM ‹ UND K ÖRPERPOLITIK coup de grace of a lynching, has its counterpart in the gratuitous acts of defilement that often accompany a rape, the stick rammed up a vagina, the attempt to annihilate the sexual core.« 89 (Meine Kursivierung)
In Susan Brownmillers Analyse verwebt sich – wie in der Gang-Banging-Vorgeschichte angekündigt – der voraus geworfene Faden mit der Hauptgeschichte. Wenn Vergewaltigung Lynching ist, dann wird verständlich, warum die südlichen Kavaliere der Einstiegsszene dieses Kapitels Gruppenvergewaltigung als Ersatztätigkeit für ein gescheitertes Lynching für logisch hielten. Diese Aneignung des Lynching-Paradigmas für ein feministisches Anliegen setzt sich fort. 1989 schreibt Catharine MacKinnon zur Strafrechtsreform amerikanischer Sexualpolitik: »In feminist analysis, a rape is not an isolated event or mortal transgression or individual interchange gone wrong but an act of terrorism and torture within systemic context of group subjection, like lynching.« (Meine Kursivierung) (MacKinnon 1989, 172)
In dieser Lesart wird weibliche Existenz als einer universellen Vergewaltigungsdrohung unterworfen geschildert, die analog zur Lynching-Drohung als Regiment des Schreckens vorauseilenden Gehorsam, d.h. angepasste Weiblichkeit, erzeugt.
*** Die Universalisierung von Sexismus als ›condition humaine‹ war der entscheidende Schritt zur Verdrängung der Race-Genealogie des Second-Wave-Feminism. Nach dem eingangs erwähnten Modell der Mythenbildung von Roland Barthes ging die Analogiebildung folgende Schritte durch: Wenn Race systematische Unterdrückung bedeutet und Sex (als weibliches Geschlecht) ebenfalls systematisch unterdrückt ist, dann ist Sex = Race. Die systematische Unterdrückungsform von Race ist Rassismus. Die systematische Unterdrückungsform von Sex verhält sich strukturgleich, also ist Sexismus wie Rassismus. Nun wird die zweite Bedeutungskette aufgemacht. Die systematische Unterdrückungsform für Frauen ist Sexismus. Bis dahin bewegen sich die Analogien in ParallelKonstruktionen. Jetzt aber kommt eine Aussage, die alle künftigen Aussagen 89 | Brownmiller 1986, 254. Zu der gleichen Metaphorik, nur unter umgekehrten Vorzeichen, kommt die afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin Nell Irvin Painter bei einer Analyse von Lynching, das sie als umgekehrte Vergewaltigung bezeichnet: »Like actual rapes against women (these symbolic rapes) were rituals of power and degradation, as white men burnt, whipped, and murdered in attempt to close the circle of their power over black men« (Painter 1988, 49).
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neu hierarchisiert. Sexismus bedeutet, dass das Patriarchat die vorherrschende Struktur aller Herrschaft ist. So betrachtet ist Rassismus nur noch ein Effekt von Sexismus. An diesem Punkt ist der Weg nicht mehr weit, schwarzen Sexismus als ultimativen Beweis für die Priorität und Omnipotenz patriarchaler Herrschaft zu interpretieren. Und damit ist das so genannte ›Black-Poster-Boy‹Syndrom geboren, mit dem sich das nächste Kapitel auseinandersetzen wird. Diese hier sehr deutlich werdende Konkurrenz von Race- und GenderEmanzipationsdiskursen führte im weißen Second-Wave-Feminism zu einer Inversion des Rape-Lynching-Komplexes. Wie bereits mehrfach erläutert, ist die angebliche Gefährdung der weißen Frau durch den schwarzen Mann und die damit verbundene Kastrationsdrohung durch Lynching ein zentraler Faktor der Disziplinierung des afroamerikanischen Mannes. Die weiße Frau ist damit virtuell in das Herrschaftsverhältnis der weißen Suprematie eingebunden. Wenn jetzt Eldridge Cleaver, der hier als Sprecher eines allgemeinen Problems und nicht als Einzelindividuum fungiert, die Position ernst nimmt und sich für Vergewaltigung weißer Frauen als politische Tat ausspricht, verändert das auch die weibliche Perspektive auf Vergewaltigung. Sie wird jetzt als politisch motiviertes Demütigungsritual verstanden und mit Lynching gleichgesetzt. Der Rape-Lynching-Komplex wird damit in die zweite Ableitung getrieben, man könnte auch sagen, er wird ›invertiert‹. Vergewaltigung verliert damit den Charakter einer Einzeltat. Eine universelle Vergewaltigungsdrohung wird nun wie die Kastrationsdrohung als Disziplinierungsstrategie des Patriarchats zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung seiner Macht gelesen. Die US-amerikanische Vorstellung von Vergewaltigung ist damit auf eine Weise rassisiert (racialized), wie es in keiner anderen westlichen Gesellschaft sonst der Fall ist. Sabine Sielke spricht von einer amerikanischen ›Rape Rhetoric‹: »[…] American rape narratives are overdetermined by a distinct history of racial conflict« (Sielke 2002, 2). Der Second-Wave-Feminism kann dieser Logik nicht nur nicht ausweichen, sondern er verwandelt aktiv das Race-Projekt in ein Race-Gender-Projekt ›Rape as Lynching‹. Der dabei invertierte Rape-Lynching-Komplex erlaubt der feministischen Wahrnehmung, schwarze Männer jetzt eher in die Klasse Male Suprematists einzuordnen als in die Klasse der Opfer des Rassismus. Diese Entwicklung bringt einerseits eine relative Bedenkenlosigkeit im Angriff auf schwarze Symbolfiguren wie Verfassungsrichter-Kandidat Clarence Thomas und Sportidol O.J. Simpson in sexuellen Tribunalen hervor. Das Phänomen der ›Black-Poster-Boys‹ produziert andererseits Inessential Women, wie Elizabeth Spelman die Sinnentleerung der Position afroamerikanischer Frauen im weiß-feministischen Diskurs nennt, die nur in ihrer biologischen Geschlechtseigenschaft, aber nicht in ihrer durch Race geprägten Geschlechtswirklichkeit wahrgenommen werden.
6. ›Black-Poster-Boys‹ und die großen Tribunale
›S E XUAL H AR ASSMENT‹ – C L ARENCE T HOMAS 6.1 Ein Mann wird geschlagen Am 3. März 1991 fiel den Autobahnpolizisten Tim und Melanie Singer ein zu schnell fahrendes Auto mit drei schwarzen Männern darin auf. Sie versuchten das Fahrzeug anzuhalten, konnten es aber erst nach einer Verfolgungsjagd stoppen. Inzwischen waren einundzwanzig Polizisten des Los Angeles Police Department (LAPD) am Schauplatz eingetroffen. Schließlich sprang ein großer über hundert Kilo schwerer Mann aus dem Auto, begann auf der Straße herumzutanzen und griff sich dabei mehrfach an den Rücken. Die Autobahnpolizistin Melanie Singer zog eine Dienstpistole und forderte ihn auf, sich auf den Boden zu legen, weil sie nicht erkennen konnte, ob er eine Waffe hatte. Der Mann drehte sich um und schüttelte seine rechte Gesäßhälfte. Die inzwischen eingetroffenen Hilfstruppen aus Los Angeles zeigten sich nicht amüsiert und beschieden der Autobahnpolizistin, die bis dahin für die Verhaftungsprozedur verantwortlich war, sie würden ab sofort die Angelegenheit handhaben. Fünfundsechzig Schlagstock-Hiebe, zwei Stromschläge mit dem Elektroschocker und viele wilde Knüffe und Tritte später waren sie mit ihrer Handhabung fertig. Die volle Kraft des Gesetzes hatte bei dem fünfundzwanzigjährigen Autofahrer Rodney King eine Gesichtslähmung, neun Schädelfrakturen, ein gebrochenes Jochbein, eine zersplitterte Augenhöhle und ein gebrochenes Bein hinterlassen. Diese Szene hätte möglicherweise, wie viele andere Verkehrskontrollen, bei denen unter einem Vorwand polizeiliche Zwangsmittel exzessiv gegen afroamerikanische Autofahrer eingesetzt worden waren, niemals das Licht der Öffentlichkeit erblickt, wenn nicht zufällig der Manager einer Installationsfirma an diesem Tag seinen neuen Camcorder ausprobiert hätte. Ohne dass es die prügelnden Polizisten bemerkt hätten, filmte George Halliday die Szene aus
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seinem Fenster und verkaufte das Video an eine Fernsehstation. Der Sender erkannte sofort die Brisanz des Bandes. Das siebenundachtzig Sekunden lange Video mit deutlichen, aber dunkel verwackelten Bildern erreichte über »New Age teleabolitionist networks«, wie Houston A. Baker spöttisch bemerkt, ein nationales und internationales Publikum (Baker 1993, 43). Das Land war entsetzt über die Polizeibrutalität. Präsident Bush d.Ä. ließ verlauten, dass ihm der Anblick dieser Szenen Übelkeit verursacht habe. Schon Martin Luther King Jr. hatte auf die Macht der visuellen Medien bei der Entwicklung einer Race-Opfertrope hingewiesen. Zu den niedergeknüppelten Straßendemonstrationen in Alabama sagte er: »We will no longer let you beat us with clubs in dark corners […] we will make you do it in the glaring light of the television!«1 (Meine Kursivierung). Was aber ›sah‹ die Nation? Offensichtlich sehr Unterschiedliches. Während der (weiße) Diskurs der Mainstream-Medien sich auf Verletzung der bürgerlichen Freiheiten durch Polizeigewalt konzentrierte, sah die afroamerikanische Öffentlichkeit eine konkrete historische Erzählung vor ihren Augen ablaufen. Zwei Tableaus aus ihrem kollektiven Gedächtnis hatten dabei besondere Gewalt. Einerseits ›sah‹ man das Bild des vom Aufseher geschlagenen und disziplinierten Sklaven, andererseits ›sah‹ man eine Lynching-Szene, in der ein Mob weißer Männer sich zusammenrotteten, um einen schwarzen Mann totzuschlagen.2 Viel seltener ›sah‹ man, dass tatsächlich das gesamte Standardpersonal der Lynching-Szene am Tatort aufgetreten war: Neben dem Mob und dem Opfer gab es auch eine weiße Frau in einer wichtigen Funktion, die Polizistin Melanie Singer.3 Die zur Prügelorgie führende Szene mit dem ›Tanz‹ von Rodney King könnte man in diesem Licht auch folgendermaßen interpretieren: In den Augen der herbeigeholten LAPD-Hilfstruppen war die Autobahnpolizistin Me1 | Zitiert nach Garrows 1978, 78. 2 | Siehe Gilmore 1993, 31-33. Robert Gooding Williams berichtet, dass nach der Ausstrahlung der Prügelszene die Black Students Union aus Amherst als Protestaktion vierzig gehenkte Strohpuppen über den ganzen Campus verteilte, die mit roter Farbe bespritzt waren und an denen Zeitungsartikel über schwarze Opfer von weißer Mob- und Polizeigewalt – meist Lynchings – festgesteckt waren (Gooding-Williams 1993, 168f). 3 | In der Sekundärliteratur wird Melanie Singers Rolle praktisch nicht bemerkt. Ausnahmen sind Ruth Gilmore, die eine Gender-Lektüre der Rodney King-Ikonographie allerdings mit Zuspitzung auf die Perspektive der schwarzen Frau entwickelt (Gilmore 1993) und Linda Williams, die in einer Gesamtanalyse des O.J. Simpson-Prozesses »Trials in Black and White« eine kurze Lektüre von Melanie Singers Rolle anbietet, der ich auch den Großteil des hier benutzten Materials verdanke (Williams 2001, 274-279). In den achtzehn Artikeln zum Rodney King Fall, die in der Anthologie Reading Rodney King versammelt sind (Gooding-Williams 1993), taucht Melanie Singer nur einmal in der Erwähnung von Ruth Gilmore auf.
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lanie Singer Gegenstand einer obszönen Geste eines gefährlichen schwarzen Mannes. In der Folge wurde ihre Ehre von einer Gruppe von ›Kavalieren‹ in Gestalt der LAPD gerettet und sie vor weiterer Ungemach ›beschützt‹. Für diese Interpretation spricht Sergeant Koon. Der kommandierende LAPD-Officer beschreibt in seiner Autobiographi Presumed Guilty (1992), Rodney Kings Griff zu seinem Gesäß folgendermaßen: »Then he grabbed his butt with both hands and began to gyrate his hips in a sexually suggestive fashion. Actually it was more explicit than suggestive«.4 Hätte die Polizistin selbst die fast abgeschlossene Verhaftung durchführen können, d.h. wäre sie nicht von ihren Kollegen ›exzessiv‹ beschützt worden, gäbe es möglicherweise keinen Fall Rodney King. Nun kann man die Vorgeschichte aber auch weiter variieren. Möglicherweise war für die Prügelorgie weniger der Schutzimpuls der LAPD-Officers von Bedeutung, als die Tatsache, dass sie sich beleidigt fühlten, weil ein schwarzer Mann in ihrer Anwesenheit, gegenüber einer ihrer Frauen eine eventuell obszöne Geste machte. Sergeant Stacey Koon begründet, warum er geglaubt hatte, Officer Singer den Fall aus der Hand nehmen zu müssen: »Melanie wasn’t so much fearful as offended. She was being mocked in front of her peers«5 (meine Kursivierung). Diesem Deutungsmuster zufolge würde es sich um eine Respektlosigkeit ihnen selbst gegenüber handeln. Dieser Frevel wäre nur durch eine Demütigung des schwarzen Mannes zu rächen. Er muss in den Staub gebracht werden, in eine Position, die man in der Polizeisprache auch ›prone‹ nennt – man erinnere sich an Stokely Carmichaels Ausspruch von derselben Position der Frau in dem SNCC als Sexualobjekt.6 Wenn ein zu Verhaftender angewiesen wird, sich in eine ›prone‹ Position zu begeben, soll er sich bäuchlings auf den Boden legen, Gesicht nach unten und die Hände über dem Nacken falten. Möglicherweise wollten die männlichen Polizisten aber auch nicht, dass es der Polizistin Melanie Singer gelingt, Rodney King zu überwältigen. Im Prozess jedenfalls sagte Officer Singer aus, dass sie die Lage unter Kontrolle gehabt habe. Sie sei sowohl in der Rangordnung diejenige gewesen, die für die Verhaftung zuständig war, als sie auch verfahrensadäquat erst dann die Waffe gezogen hätte, als es dafür einen berechtigten Grund gab. Das hier geschilderte Szenario findet in den neunziger Jahren statt. Staatliche Behörden waren durch Affirmative Action verpflichtet, bei gleicher Qualifikation bevorzugt Frauen anzustellen. Wie allgemein bekannt, hat sich besonders der Männerbund der Polizei mit mehr oder weniger subtilen Mitteln gegen die Einstellung von Frauen gesperrt. Im Fall der Verhaftung von Rodney King hätten die Polizisten der LAPD dabei zusehen müssen, dass der einzige 4 | Zitiert nach Williams 2001, 278. 5 | Zitiert nach Williams 2001, 278. Im folgenden Text sind die Koon Zitate nach Seitenzahl bei Williams zitiert. 6 | Vgl. Kapitel 5, S. 328.
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Cop in ihrer Runde, der polizeiliche Gewalt am Mann ausführt, die einzige anwesende Frau ist. Das realisierten auch die drei schwarzen Verdächtigen – unter ihnen Rodney King –, die Frauen in der Truppe möglicherweise genauso skeptisch betrachteten, wie ihre Gegner, die Polizisten. Es ist recht wahrscheinlich, dass die ›obszöne‹ Geste Rodney Kings weniger Melanie Singers Status als Frau galt als der Tatsache, dass sie ihn als Frau verhaften wollte. Nach dieser Lesart ist die Maskulinität beider Parteien, die der angehaltenen Autofahrer und die der Polizisten, in Frage gestellt. Die Rodney King-Gruppe wird entmannt, weil sie von einer Frau verhaftet wird, und die Polizisten sind entmannt, weil ihre soldatische Phalanx von einer Frau aufgebrochen wird. In beiden Fällen spielt übrigens die Race der Männer und der Frau keine entscheidende Rolle. Damit sind wir allerdings immer noch nicht ganz am Ende der GenderLektüre des Rodney King Falles angekommen. Sergeant Koon kommentiert in seinem Buch sodann, warum er glaubt, dass Melanie Singer die Waffe gezogen hat: »Control and Common Sense were set cast aside […] Melanie’s Jane Wayne and Dirty Harriett hormones kicked in. She drew her pistol and advanced to within five feet to the subject« (Meine Kursivierung) (278). Die Autobahnpolizistin sagt im Prozess aus, dass das Ziehen der Waffe eine normale Prozedur gewesen sei. Aus Sicht ihrer Kollegen allerdings war die Tatsache, dass die Frau die Waffe zog, ein Problem. Dass Melanie Singer von einem wichtigen Insignium männlicher Macht in kontrollierter Form Gebrauch macht, wird hier umcodiert in einen Exzess des weiblichen Körpers. Nun sind plötzlich die He-Man-Images von John Wayne und Dirty Harry eine Hormonfrage. Nach dieser Interpretation – und die war schließlich mit prozessentscheidend für den ersten Freispruch der Prügelpolizisten – hätten die Eingreifer Schlimmeres verhindert, nämlich, dass Rodney King sonst von einer übernervösen weiblichen Ordnungskraft erschossen worden wäre. ›Übernervös‹ wäre Melanie Singer gewesen – so spekuliert Sergeant Koon, womit wir wieder zum Beginn der Geschichte und dem universellen Lynching-Motiv zurückkommen –, weil sie sich vor dem schwarzen Mann fürchtete. Die Los Angeles Times gibt zur Erklärung der angeblichen Furcht von Melanie Singer Nachhilfe in amerikanischer Kulturgeschichte: »In the society there’s this sexual prowess of blacks on the old plantations on the South and intercourse between blacks and whites on the plantation. And there’s where the fear comes in, because he’s black« (278). Die Race- und Gender-Dynamik der Rodney King-Vorgeschichte ist also außerordentlich diffizil, denn es überschneiden sich hier drei wichtige Problemfelder: erstens ein Ennui weißer Polizisten an der Frauenemanzipation in der Truppe: Hier wird die Gender-Konkurrenz zwischen Frauen und Männern im Allgemeinen verhandelt. Zweitens das Problem Rodney Kings, eine weiße Polizistin als Staatsmacht anzuerkennen: Hier wird eine Race-Gender Konkurrenz um gesellschaftliche Macht nach Civil Rights Movement und Women’s Movement thematisiert. Und drittens das klassische Lynching-Szenario, das
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angeblich zum Schutz der weißen Frau inszeniert wird: Hier wird der Machtkonflikt zwischen weißen und schwarzen Männern verhandelt, der sich im vorliegenden Beispiel im Beleidigen (Rodney King) oder In-Ehren-Halten (LAPD) der weißen Frau ausdrückt. Melanie Singer jedenfalls liegt nichts am vorbereiteten Skript des LynchingLockvogels. Durch die Verweigerung der ihr zugedachten Rolle hilft sie dabei, die Prügelorgie als Polizeiexzess sichtbar zu machen. Sie sagte als Zeugin der Anklage gegen ihre Kollegen aus.7 Sie interpretierte vor Gericht Rodney Kings Verhalten als das eines potentiell harmlosen Mannes, der wahrscheinlich unter Drogeneinfluss gestanden hatte. Diesen Eindruck habe er durch seinen merkwürdigen Tanz verstärkt. Sie habe die Situation jederzeit unter Kontrolle gehabt, und ihre Kollegen hätten einen wehrlosen Mann fast totgeschlagen. Diese Version der Geschichte entspricht auch dem, was ganz Amerika auf dem Videoband gesehen hat. Und damit kommen wir zur letzten Variante dessen, was ›gesehen‹ werden kann. Auf großen öffentlichen Druck erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen exzessiver Polizeigewalt gegen vier der auffälligsten Prügelpolizisten. In der Sorge, in Los Angeles selbst eine zu voreingenommene Jury zu bekommen, verlegte man den Gerichtsort nach Simi Valley, einem weißen Vorort. Zusätzlich schloss man das Video in seiner ursprünglichen Form als Beweismittel aus. Das Dokument würde eine emotionalisierte Reaktion hervorrufen und die Jury beeinflussen, wurde argumentiert. Die Jury ›sah‹ deshalb etwas anderes als das amerikanische Publikum glaubte, gesehen zu haben. Ihnen wurden nur Standbilder des Videos gezeigt. Alle Bewegungen, bei denen Rodney Kind die Hand erhob, konnten hier als Geste des Angriffs gedeutet werden und nicht als Geste des Selbstschutzes oder der Verteidigung.8 Die Einzelbilder drehten einen Akt der Verteidigung in einen Akt der Aggression um. Die afroamerikanische Gemeinschaft konnte dieser Verkehrung der Situation nicht folgen, denn das 7 | Gegen die eigenen Kollegen auszusagen, wird natürlich als extrem illoyal und als Bruch des Corpsgeistes der Truppe verstanden. Auch hier verschwindet Melanie Singer aus dem Bild. Wenn man über google.com in der Bildsuchmaschine Rodney King aufruft, geriet man unter anderem auf eine Service Homepage der LAPD 1995. Dort waren Photos der Prozessteilnehmer der Rodney King Nachverhandlungen abgespeichert. Es fanden sich alle Beteiligten, Staatsanwälte, Richter, aber kein Photo von Melanie Singer. (URL nicht mehr aufrufbar). 8 | Bei dem Auswahlprozess von Jurys wird immer großer Wert darauf gelegt, dass die potentiellen Teilnehmer und Teilnehmerinnen nicht schon den Medien vorbeeinflusst sind. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit kommen dann besonders medienresistente Menschen in die engere Auswahl, möglicherweise eben auch welche aus der statistisch kleinen Menge der Amerikaner, die das Rodney King-Video nicht (in motion) gesehen haben.
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Bild, das sie sich gemacht hatten, war mit kollektiver Erinnerung gesättigt. Sie hatten eine Szene aus dem Geschichtsbuch ›gesehen‹, nämlich die öffentliche und demonstrative Disziplinierung eines Sklaven durch eine Gruppe von Aufsehern, oder wie Houston A Baker sagt: »[…] a postmodern writing of ›uncorrected‹ slave behavior« (Baker 1993, 42). Judith Butler interpretiert die systematische Blindheit der weißen Jury als Weltwahrnehmung in einem »racially saturated field of visibility«.9 Dieses Feld von Sehgewohnheiten sei von einer weißen Paranoia gegenüber Gewalt in den Ghettos der großen Städte gesättigt, die unausgesprochen als ›schwarz‹ verstanden wird: »[…] the blows he suffers are taken as the blows they would suffer if the police were not protecting them from him. Thus the physical danger in which King is recorded is transferred to them; they identify with that vulnerability, but construe it as their own, the vulnerability of whiteness, thus refiguring him as a threat.«10 (Kursivierung Butler) (Ebd. 19)
Diese rassisierende Umwertung der Evidenz führte dazu, dass die Angeklagten freigesprochen wurden. Dieses Urteil wiederum ›sah‹ die latino-afroamerikanische Community, aus deren Mitte Rodney King kam, nicht ein. Sie stürmten auf die Straßen, schlugen ihre Stadtviertel kaputt und legten sich mit jedem Polizisten an, der sich ihnen in den Weg stellte. Die unter der Bezeichnung ›L.A. Riots‹ in die Geschichte eingegangenen Straßenschlachten in Los Angeles dauerten drei Tage, kosteten fünfzig Menschenleben und Tausende von Verletzten. Das Bild des geschlagenen schwarzen Mannes wurde im Laufe der Ereignisse dahingehend ›korrigiert‹, dass das meist gezeigte Riot-Video im Fernsehen eine Szene war, wo ein weißer Lastwagenfahrer von einer Gruppe schwarzer Jugendlicher verprügelt wurde.11 Zentral war an der Rodney King-Geschichte ihr Drohpotential für den sozialen Frieden. Die L.A. Riots stehen in einem größeren sozioökonomischen Zusammenhang der langen Periode neokonservativer Politik, in der – steuerlich subventioniert durch staatliche Hypotheken – die Weißen die Innenstädte verließen. Damit brachen wegen geringerem Steueraufkommen der Innercitys für 9 | Butler 1993, 15. Im Weiteren führt sie aus: »The visual representation of the black male body being beaten on the street by policemen and their batons was taken up by the racist interpretative framework to construe King as the agent of violence, one whose agency is fantasmatically implied as the narrative precedent and antecedent to the frames that are shown.« (Kursivierung Butler) (16). 10 | Ebd. 19. 11 | Für eine vergleichende Studie zum Medieneinsatz des Rodney-King-Videos mit dem des geschlagenen weißen Busfahrers siehe Fiske 1996, 125-190.
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Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen sowie hispanische Migranten und Migrantinnen die sozialen Dienste von der Straßenreinigung bis zum Schulsystem zusammen. Howard Winant beschreibt die Entwicklung der systematischen Vernachlässigung in den achtziger Jahren als eine Tendenz von »benign to malign neglect« (von wegschauender zu bösartiger Vernachlässigung) (Winant 1994, 71). Der Polizei, als der einzig gut ausgestatten fühlbaren und repressiven Staatsagentur fiel dabei eine besondere Rolle zu. Min Hyong Song interpretiert die L.A. Riots insofern als: »[… an] outburst of public violence that demanded relief from too much policing, too little social interaction, and an individualism that rewards greed without concern for consequences« (Song 2005, 4). Die afroamerikanische Frustration mit dem als rassistisch begriffenen Justizsystem war damit zur ständig glimmenden Lunte eines jederzeit anfachbaren Volksaufstandes geworden. In den folgenden Ausführungen werden drei große Tribunale gegen schwarze Männer aufgerollt werden, die die Vereinigten Staaten in den neunziger Jahren bewegt haben: Das Senatshearing zu Clarence Thomas Berufung zum Supreme Court Oktober 1991 und die Prozesse gegen den Boxweltmeister Mike Tyson Januar/Februar 1992 und der Prozess gegen den Football Spieler O.J. Simpson 1993, der im direkt Zusammenhang mit dem Volksaufstand der so genannten L.A. Riots diskutiert wurde. In allen drei Prozessen spielt die Metapher des Lynching eine große Rolle. Im Gegensatz zur unsichtbaren Präsenz von Melanie Singer treten in diesen Verfahren sexualpolitische Bildräume des RapeLynching-Komplexes offen zu Tage, indem sich weiße Frauen zu Wort melden. Ich habe mich hier für den Begriff ›Tribunal‹ entschieden, weil er gestattet, mehrere Aspekte dieser historischen ›Events‹ zusammenzufassen. Erstens die Neutralität gegenüber den Verfahrensweisen – nach dem OED ist ein ›tribunal‹ lediglich ein »place of judgement or decision«12 erlaubt z.B. ein Hearing und Gerichtsprozesse unter einer Rubrik zu diskutieren. Zweitens ist etymologisch interessant, dass das Tribunal im alten Rom eine erhöhte Position bezeichnet, wobei die Legitimation zur Machtausübung also durch eine räumliche Erhebung symbolisiert wird (diese topologische Position wird im Clarence Thomas Hearing, das die Senatoren von ihren erhöhten Tischen aus durchführten, von besonderer Bedeutung sein). Drittens: eine – in diesem Fall deutsche – Intertextualität für den Tribunalbegriff, Friedrich Schillers bekannte Gedichtzeile »die Szene wird zum Tribunal« aus den »Kranichen des Ibikus« beschreibt den Prozess der Tribunalisierung. Und zuletzt sind Tribunale, wie z.B. das Vietnam Tribunal zur Klärung amerikanischer Kriegsverbrechen oder das Revolutions-
12 | http://dictionary.oed.com/cgi/entry/50257514?single=1&query_type=word& queryword=Tribunal&first=1&max_to_show=10 (edition 1989), abgerufen am 07.12. 2009.
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tribunal in Frankreich nach 1789, grundsätzliche Verhandlungen von Gesellschaften an Krisenpunkten wo ›soziale Dramen‹ aufgeführt werden. In seiner Studie From Ritual to Theater entwickelt der Anthropologe Victor Turner eine Theorie des ›Sozialen Dramas‹. In vorstaatlichen und antiken Gesellschaften seien Theater, insbesondere Tragödien, eine rituelle Praxis gewesen, mit der soziale Konflikte dargestellt, ausgetragen und symbolisch gelöst werden konnten. Denn wenn ein großer sozialer Konflikt unbearbeitet und insofern ›ungelöst‹ bliebe, verlöre die Gemeinschaft den Sinn für Legitimität und damit ihre Kohärenz. In der Moderne sei der Gerichtsprozess zu einem säkularen Substitut für das religiöse Ritual und die exemplarische Tragödie geworden: »The narrative component in ritual and legal action attempts to rearticulate opposing values and goals in a meaningful structure, the plot of which makes cultural sense. Where historical life itself fails to make cultural sense in terms of the formerly held good, narrative and cultural drama may have the task of poesis, that is of remaking cultural sense even when they seem to be dismantling ancient edifices of meaning that can no longer redress our modern ›dramas of living‹.«13
In den ›sozialen Dramen‹ der im Folgenden zu untersuchenden ›Großen Tribunale‹ wird der ›common sense‹ (im Gramsci’schen Sinne) neu justiert.14 Das Format von amerikanischen Gerichtsprozessen oder Senatshearings, ihre Ritualisierung, antagonistische Verfahrensführung und der performative Effekt der ständigen Wiederholung von Argumenten stellen den benötigten ›kulturellen Sinn‹ her.
13 | Turner 1980, 168. Siehe auch Robert Hariman, der in Popular Crimes von spektakulären und medienbegleiteten Prozessen als ›Social Drama‹ spricht »[…] to manage emotional responses to troubling situations« (Hariman 1993, 5). 14 | In der amerikanischen Forschung werden für diese besondere Gruppe von Prozessen, die in den neunziger Jahren Race-Gender-Konfrontationen zum Thema hatten andere Begriffe gewählt, z.B. mit recht überzeugenden Argumenten »Provoking Assaults« von Lynn Chancer als »highprofiled violent crimes that become symbolic of perceived social problems«. Typisch für sie sei, dass sie »partialization« produzieren, d.h. stark antagonistische Entweder/Oder-Positionen und dass sie Zweifel aufkommen lassen, ob der Angeklagte nicht möglicherweise das Opfer sei und das Opfer der schuldige Part (Chancer 2005, 7). Anna Cuklanz spricht von »issue-oriented trials«, wobei sie mit ›issue‹ sexualpolitische Krisen meint, Race, in der klassisch weißfeministischen Weise, aber weitgehend unberücksichtigt lässt (Cuklanz 1996, 33-47).
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6.2 ›Hightech-Lynching‹ Der berühmte afroamerikanische Verfassungsrichter Thurgood Marshall trat 1991 von seinem Posten zurück. Präsident Bush d.Ä. nominierte als neuen Kandidaten den deutlich konservativen – ebenfalls afroamerikanischen – Berufungsrichter Clarence Thomas. Seine Nominierung war den Demokraten und anderen Progressiven ein Dorn im Auge. Der liberale Recherche-Journalismus lief auf Hochtouren, um Informationen gegen den Kandidaten zu sammeln. Am Ende des Senatshearings, von dessen Ergebnissen es abhängen würde, ob Thomas berufen wird, tauchte plötzlich eine ehemalige Mitarbeiterin des Kandidaten auf, die schwarze Rechtsprofessorin Anita Hill. Sie sagte aus, Thomas habe sie 1980, als er ihr Chef gewesen sei, sexuell belästigt. Die Anschuldigung wog umso schwerer, als beide in einer staatlichen Agentur zur Verhinderung von Diskriminierung am Arbeitsplatz zusammengearbeitet hatten, der EOOC (Equal Employment Opportunity Comission), und somit selbst für Musterprozesse wegen sexueller Belästigung im Berufsleben zuständig gewesen waren. Nach Hills Aussage hatte Clarence Thomas sie um private Rendezvous’ gebeten. Sie verweigerte diese mit dem Hinweis auf ihre professionelle Beziehung. In der Folge brachte Thomas Hill sie in Verlegenheit, indem er ihr den Inhalt pornographischer Filme erzählte, Gruppensex, Vergewaltigungen und Sex mit Tieren beschrieb, über die Größe seines Penis und seine Talente in oralem Sex räsonierte und seltsame Anmerkungen machte, z.B. dass er in seiner Cola-Dose soeben ein Schamhaar gefunden habe. Außerdem ließ er sich über physische Details ihrer Figur aus. Auch deutliche Hinweise über die Unerwünschtheit seines Verhaltens führten nach der Aussage von Professor Hill zu keiner Veränderung.15 Nach drei Tagen Befragung und Zeugenaussagen zu seinem Charakter und seiner Reputation verlas Clarence Thomas folgende Erklärung zur bisherigen Prozedur. »[…] from my standpoint as a black American, it is a high-tech lynching for uppity blacks who in any way deign to think for themselves, to do for themselves, to have different ideas, and it is a message that unless you kowtow to an old order, that is what will hap15 | Die in die Enge getriebene Mitarbeiterin versuchte daraufhin zu vermeiden, mit ihrem Chef allein zu sein und reagierte auf den erhöhten psychischen Stress und den Anschlag auf ihr Selbstverständnis als berufstätige Frau mit Krankheit. Eine unbegründete Kündigung auf einer eigentlich geliebten Arbeitsstelle hätte einen sicheren Einschnitt in ihre Karriere bedeutet: »I began to be concerned that Clarence Thomas might take out his anger with me by degrading me […] I also thought that he might find an excuse for dismissing me«. Siehe »Statement of Professor Anita F. Hill to the Senate Judiciary Committee, October 11, 1991« in Chrisman/Allen 1992.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG pen to you. You will be lynched destroyed, caricatured by a committee of the US-Senate rather than hang from a tree.«16 (Meine Kursivierung)
Mit dem Catchwort vom »high-tech lynching« evoziert Thomas ein Szenario, in dem statt der fanatisierten Südstaatler auf einer Waldlichtung nun das ganze Land via elektronischer Medien das Publikum für den Lynchmob in Gestalt der weiß-männlichen Senatoren abgibt. Das magische Wort Hightech-Lynching mobilisierte gleichzeitig ›white guilt‹ and ›black rage‹ (Spillers 2009, 162) und entwickelte in der Folge ein Eigenleben, das alle anderen Argumente und Aussagen überstrahlte und sich zu einem Fakten schaffenden Sprechakt verdichtete.17 Trotz kaum abweisbarer Evidenz der Aussagen von Anita Hill – sie hatte sich während der Periode der Belästigung mehreren Freunden anvertraut, was diese auch im Senatshearing bezeugten – wurde Clarence Thomas zum Bundesrichter berufen.18 Das Senatshearing führte zwei der wichtigsten Felder von Gender- und Race-Emanzipationsdiskursen zusammen: Das Recht auf freie Abtreibung einerseits und Affirmative Action andererseits. In beiden Fällen war die langfristige Rechtslage ungewiss, und alles hing von der Person des neuen Richters und der Frage ab, wie er im Fall von einschränkenden Verfassungsklagen zu den besagten Themen votieren würde.19 Mehrere Modellklagen bezüglich sogenannter 16 | Zweites Statement von Richter Clarence Thomas vom 11. Oktober 1991. Zitiert nach Chrisman/Allen 1992. 17 | Claudia Brodsky Lacour hat diese Verbindung mit der Sprechakttheorie von John L. Austin in ihrem Aufsatz »Doing things with words‹. Racism as Speechact and the Undoing of Justice« zuerst gezogen (Lacour 1992). Erstaunlicherweise konzentriert sie sich aber auf das Wort Racism und nicht auf das viel näherliegende Lynching. 18 | Seine Hightech-Lynching-Rede weist im Übrigen bis in die Formulierungen erstaunliche Parallelen zu Susan Brownmillers feministischer Aneignung der LynchingMetapher auf. Sie beschreibt einmal Vergewaltigung als eine Kollektivstrafe »for being uppity, for getting out of line« (meine Kursivierung) (Brownmiller 1986, 254). 19 | Eine Reihe zentraler Supreme Court Urteile hatte das Verhältnis zwischen Races und Staat und zwischen Gender und Staat entscheidend geprägt, sowohl in negativer wie in positiver Hinsicht. Mit der Dred Scott-Entscheidung legte der Supreme Court 1846 fest, dass ein Sklave auch in einem Bundesstaat ohne Sklavensystem kein freier Mensch war und sich als Individuum nicht auf den Verfassungsgrundsatz, dass alle Menschen gleich erschaffen worden sind, berufen konnte. Die Entscheidung Plessy vs Ferguson von 1896 legte fest, dass Segregation verfassungskonform sei und legalisierte über die ›Separate but Equal-Doktrin‹ die Jim Crow-Rassentrennungsstatute im Süden. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts stellte sich der Supreme Court in den Dienst der Integration und de-segregierte mit dem berühmten Richterspruch Brown vs Board of Education (1954) mit einem Streich das amerikanische Schulsystem. Zum Geltungsbe-
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umgekehrter Diskriminierung (Reverse Discrimination) standen an, in denen weiße Amerikaner Affirmative Action anfochten.20 An mehreren Fronten waren zudem Klagen gegen die Straffreiheit von Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten eingebracht worden.21 Präsident Bush d.Ä. wollte mit der Nominierung von Thomas zwei unterschiedliche Probleme lösen. Als selbst erklärter Gegner von Abtreibung wollte er zum ersten mit einem konservativen Kandidaten die Mehrheiten umstoßen. Zweitens herrschte ein öffentlicher Druck, den als ›schwarzes‹ Eigentum betrachteten frei werdenden Sitz im Supreme Court wieder afroamerikanisch zu vergeben. Clarence Thomas schien dafür die Idealbesetzung zu sein. Der selbst über ein Affirmative-Action-Programm zu einem Yale-Abschluss gekommene Richter hatte sich mehrfach gegen ›gesetzliche Bevorzugung‹ ausgesprochen und gegen angebliche schwarze Wohlfahrtsabhängigkeit polemisiert, indem er seine Schwester Emma Mae Martin als antriebsschwache, arbeitslose WelfareMother apostrophierte.22 Dieser künftige Richter war also genau die kritische ginn des neuen Gesetzes musste der Besuch schwarzer Schülerinnen in weißen Schulen wie in Little Rock, Arkansas, (1957) mit der Nationalgarde durchgesetzt werden. Mit Virginia vs Loving 1967 wurde jedes einzelstaatliche Verbot für Mischehen aufgelöst. Zur Rechtsgeschichte der Bürgerrechte vgl. Bardolph 1970. Im Jahr 2007 votiert dann ironischerweise der konservative schwarze Verfassungsrichter Clarence Thomas für eine Verfassungsentscheidung, die Brown vs Board of Education stark einschränkt, indem sie das Argument von Race-Diskrimination für Schulintegration unwirksam macht (Spillers 2009, 150). 20 | Siehe zu ›Reverse Discrimination‹ Omi/Winant 1994, 128. 21 | Mit der Entscheidung Roe vs Wade (1973) wurde Abtreibung straffrei gemacht und damit ein zentraler Schritt zur Frauenemanzipation geleistet. Freie Abtreibung war für den weißen Feminismus schon immer ein zentrales Anliegen. Interessanterweise ist diese Frage für die afroamerikanische Community – obwohl von größeren sozialen Problemen geplagt – weniger wichtig. Die Zustimmung zu freier Abtreibung ist dort signifikant geringer. Nach einer Studie von 1989 befürworten nur 28 Prozent der schwarzen gegenüber 41 Prozent der weißen Bevölkerung das freie Recht auf Abtreibung. Zitiert nach Swain 1992, 223. 22 | Diese Beschreibung seiner Schwester war eine grobe Mißrepräsentation. Emma Mae Martin, Mutter von vier Kindern, war von ihrem Mann verlassen worden und arbeitete normalerweise in zwei Mindestlohn-Jobs, um ihre Familie zu ernähren. Erst als ihre Tante, die sie aufgezogen hatte, pflegebedürftig wurde, nahm sie mangels Alternativen kurzfristig Sozialhilfe in Anspruch. Nach dem Tod ihrer Tante begann sie sofort wieder zu arbeiten. Recherchiert wurde die Geschichte von Karen Tumulty, Los Angeles Times, 5. Juli, 1991. Siehe auch Kritiken von Painter 1992, 201f und Stansell 1992, 260-262. Als Monument der Aufopferungsbereitschaft schwarzer Frauen saß sie dann während des Hearings hinter ihrem Bruder, um ihre Unterstützung zu demonstrieren.
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Stimme, die eine knappe liberale Mehrheit zum Kippen bringen konnte.23 Wenn mit Thomas’ Hilfe Affirmative Action auf der bundesstaatlichen Ebene abgeschafft würde, dann hätte er neben seiner eigenen Community hauptsächlich den Frauen geschadet, schwarzen wie weißen.24 Der Senatsausschuss zur Bestätigung von Bundesrichtern war zu diesem Zeitpunkt mehrheitlich demokratisch, entsprechend turbulent war die Befragungsprozedur. ›Sexual Harassment‹ als Bezeichnung einer Form von Geschlechtsdiskriminierung war nur einer Spezialistenszene bekannt, hatte aber bis dato in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen keine prominente Rolle gespielt und wurde vielfach nicht als legitime Klage angesehen.25 Eine viele Millionen zählende Fernsehnation verfolgte das Hearing und lernte dabei, was genau unter sexueller Belästigung verstanden wurde. Die New York Times definierte Sexual Harassment als eine ›unerwünschte sexuelle Annäherungen faktischer oder verbaler Natur‹ und auch ›Diskussionen explizit sexuellen oder pornographischen Inhalts von Männern gegenüber untergeordneten Frauen am Arbeitsplatz‹ zähl-
23 | Verkompliziert wurde die Angelegenheit auch dadurch, dass aus der afroamerikanischen Community keine eindeutigen Signale kamen. Zwar sprachen sich die Bürgerrechtsorganisation NAACP und der Caucus of Black Congressmen zögerlich gegen Thomas aus, aber Martin Luther Kings ehemalige Organisation, die Southern Christian Leadership Conference (SCLC) unterstützte Thomas, während die afroamerikanische Urban League neutral blieb. Zur Führungs- und Entscheidungsschwäche afroamerikanischer Interessengruppen siehe Marable 1992. Die auf schwarze Wählerstimmen angewiesenen demokratischen Senatoren aus den Südstaaten, die gerne gegen die Republikaner gestimmt hätten, befanden sich im Dilemma. Für die politischen Konflikte in der afroamerikanischen Community siehe auch Swain 1992, 226f. 24 | Blindheiten dieser Art sind nicht selten. So waren es die Stimmen kalifornischer Frauen, die aus ›Rache‹ für den Freispruch O.J. Simpsons Affirmative Action auf der Bundesstaatsebene abwählten, ohne zu bedenken, dass sie dabei ihre eigenen Interessen schädigten. Die ›Proposition 209‹, die Affirmative Action auf Staatsebene beseitigte, wurde mit 54 Prozent der abgegebenen Stimmen angenommen. Weiße Frauen waren mit 58 Prozent der Wähler überdurchschnittlich an der Abwahl beteiligt (Lopez 2002). 25 | Eric Fassin spricht von dem Hearing als einem ›Sexual Event‹, das paradigmatischen Charakter gehabt habe, weil es einen »break of intelligibility« bedeutet habe. Während die meisten Frauen die Gewaltsamkeit der angesprochenen sexuellen Belästigung sofort nachvollzogen und die Gelegenheit des Hearings nutzen wollten, diese Form von sexualisierter Gewalt zu delegitimieren, waren viele Männer ratlos oder ärgerlich und verweigerten, die Schwere der Verfehlung einzusehen. ›They just don’t get it‹ wurde zu einem geflügelten Wort. Nach Fassin hat das Hearing eine ›sexuelle Serie‹ gestartet, die sich in den folgenden Prozessen fortsetzte (Fassin 2002, 133f).
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ten dazu.26 Sexual Harassment als subtile Ausnutzung männlicher Privilegien am Arbeitsplatz war zwar seit geraumer Zeit strafbewehrt, hatte aber kaum öffentliche Aufmerksamkeit.27 Wenn eine solche Anschuldigung trotzdem erhoben wurde, schadete sie häufig eher den Klägerinnen als dem Verursacher. Bislang waren es hauptsächlich Vertreterinnen des weißen Mittelklasse-Feminismus gewesen, die ohne allzu großen Erfolg versucht hatten, sexuelle Belästigung als schwerwiegende sexistische Verfehlung auf die nationale Agenda zu bringen. Die afroamerikanische Rechtsprofessorin Anita Hill war dabei eine unerwartete Repräsentantin, um das Problembewusstsein bezüglich sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu stärken, doch aus der Perspektive des (weißen) Feminismus eine hochwillkommene. Prominente Frauen wie die Juristin Catharine MacKinnon28 und die Harvard-Psychologin Carol Gilligan29 nahmen für Anita Hill Partei und organisierten schon während des Prozesses eine nationale Debatte über Sexual Harassment als Geschlechtsdiskriminierung.30 Viele 26 | Meine Übersetzung zitiert nach der New York Times bei (Marable 1992, 66). An gleicher Stelle ergab eine Umfrage, dass vier von zehn Frauen einen solchen Übergriff persönlich erlebt, allerdings nur eine von acht den Vorfall auch gemeldet hatte. Erst 1986, also sechs Jahre nach den von Hill berichteten Vorfällen, wurde Sexual Harassment vom Supreme Court als geschlechtliche Diskriminierung anerkannt, die vom Titel VII des Bürgerrechtsgesetzes von 1964 abgedeckt wurde, siehe Ders., 77. 27 | Zur Zeit des Hearings konnte allerdings noch keine finanzielle Kompensation geltend gemacht werden. Kurz nach dem Hearing zog Präsident Bush d.Ä. ein angekündigtes Veto für ein entsprechendes Gesetz zurück. Im Gesetz U.S.C: § 1981 können je nach Größe der Firma Entschädigung zwischen 50.000 und 300.000 Dollar geltend gemacht werden (Ross 1995, 228, 238 FN1). 28 | Die lang jährigen feministischen Bemühungen um die Strafverfolgung von sexueller Belästigung sind stark von Catharine MacKinnon beeinflusst, die 1979 eine PionierStudie über sexuelle Belästigung veröffentlichte (MacKinnon 1979). 29 | Carol Gilligan sagte voraus, dass der Fall Hill/Thomas für die Frage des Sexual Harassment eine nationale Signalwirkung haben würde, ähnlich der, die das berühmte Photo von Nik Ut eines vom Kampfstoff Napalm verbrannten kleinen Mädchens für den Vietnamkrieg gehabt hatte, das die öffentliche Meinung ›umdrehte‹. Zitiert in Newsweek, 28. Dezember, 1992, 20-22. Interessant ist auch hier, dass Gilligan in einer Metapher des Sehens – einem skandalisierenden Bild – spricht. Denn zentral für die nationale Aufregung war, dass man das mögliche Opfer im Live-TV sehen konnte. 30 | Sexuelle Belästigung widerfährt zwar Frauen aller Races, kann dabei aber sehr unterschiedliche Formen annehmen. So ist es z.B. häufig nicht unterscheidbar, ob die Diskriminierung stärker von einem rassistischen oder einem sexistischen Impuls ausgeht, wenn etwa Beleidigungen wie ›cunt‹, ›piece‹ oder ›beaver‹ mit Suffixen wie ›black‹, ›Nigger‹ und ›jungle‹ versehen werden (Crenshaw 1992, 412). Deshalb sind auch schwarze Frauen überproportional von Harassment-Fällen betroffen. Kimberlé Crenshaw spricht
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feministische Stimmen brachten daraufhin sexuelle Belästigung mit Vergewaltigung in Zusammenhang. So schrieb die weiße Literaturwissenschaftlerin Claudia Brodsky Lacour: »[…] verbal Sexual Harassment is a mental violation, a form of rape without traces of semen to identify« (Lacour 1992, 141). Auch die afroamerikanische Sozialwissenschaftlerin Gayle Pemberton schloss sich dieser Position an: »Men commonly sexually harass women […] Like its furthest conclusion – rape – it has little to do with sex and everything to do with power« (meine Kursivierungen) (Pemberton 1992, 187). Wie im letzten Kapitel gezeigt, hatte der Second-Wave-Feminism Vergewaltigung als soziales Einschüchterungsritual in die Nähe von Lynching gerückt. Clarence Thomas gelingt es jetzt mit seinem dramatischen HightechLynching-Vorwurf, die Lynching-Metapher wieder eindeutig auf den schwarzen Mann zurück zu fixieren. Er durchtrennt damit die Assoziationskette ›sexuelle Belästigung ist Vergewaltigung‹ und die im letzten Kapitel entwickelte Weiterführung ›Vergewaltigung ist Lynching‹. Mit dem Hightech-Lynching-Vorwurf mobilisiert er die weiße historische Schuld am schwarzen Leiden. Und damit auch niemand über die Zusammenhänge in die Irre gehen kann, bietet er den nachfragenden Senatoren eine kleine Lynching-Pädagogik31 an und verknüpft sie mit seiner eigenen Lebensgeschichte: »Senator, in the 1970s I became very interested in the issue of lynching. And if you want to track through this country in the 19th and 20th century the acts of lynching of black men, you will see that there is invariably or in many instances, a relationship with sex […] That is the point, I’m trying to make […] that this is High Tech Lynching. I cannot shake off these accusations, because they play to the worst stereotypes we have about black men in this country.« 32 (Meine Kursivierung)
Mit dem Kompositum Hightech-Lynching gelingt es Thomas, das semantische Feld des Lynching wieder umzuarbeiten und es ausschließlich auf die Gefährdung des schwarzen Mannes einzurichten. Thomas dreht damit die feministische Inversion des Rape-Lynching-Komplexes zurück, indem er auch das ›Hain diesem Zusammenhang von »intersektionaler Unterdrückung«, die in anti-rassistischen Diskursen nicht zum Tragen kommt, weil die traditionellen Lesarten von Rassismus sich auf Machtdifferenzen zwischen Männern beziehen (Crenshaw 1992, 419). Auch hier, wie in den vorherigen Debatten des Radikalfeminismus der siebziger Jahre schon sichtbar, erweist es sich als fatal, Race und Gender nicht intersektional, sondern als getrennte Entitäten zu behandeln. 31 | So eine Bezeichnung von Stephen Best, die er für eine Analyse von Richard Wrights Gebrauch der Lynching-Metapher als Zentraltrope verwendet (Best 1996). 32 | »Excerpts from the Senate’s Hearing on the Thomas Nomination« New York Times, 13. Oktober, 1991, 31, zitiert nach Pemberton 1992, 185-186.
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rassment‹ für sich in Anspruch nimmt: »Thomas covertly suggested that he was being subjected to a form of sexual harassment more gruesome than any verbal harassment ever can be« (hooks 1992a, 81). Dem Gender-Gerechtigkeitsdiskurs wird damit die Möglichkeit entwunden, die Lynching-Metapher für männliche sexuelle Gewalt in Anspruch zu nehmen und ebenfalls von dem magischen Wort zu profitieren. Der Hightech-Lynching-Vorwurf geht in zwei Richtungen: Systemisch richtet er sich an die Senatoren als Repräsentanten eines immer noch rassistischen Regimes, das Lynching duldet, oder zumindest historisch geduldet hat.33 Die weißen Senatoren müssen den Vorwurf, ein Lynchmob zu sein, abweisen und werden damit notgedrungen – auch in ihren progressiven Fraktionen – zu Thomas’ Komplizen.34 Und er trifft die Frau – in diesem Fall Anita Hill –, die über ihre angebliche Verletzung durch den schwarzen Mann den Lynching-Vorwand liefert. In dieser Logik kann es aus der (männlichen) Race-Perspektive keine Anerkennung von sexueller Belästigung geben,35 denn 33 | Die Senatoren sind in ihrer Funktion als Gesetzgeber somit die angemessene Adresse für die Ausführungen von Thomas. Es ist trotz vieler parlamentarischer Initiativen vor und nach der Bürgerrechtsbewegung niemals gelungen, Lynching ausdrücklich in einem Gesetzestext zu sanktionieren oder das Verbot von Lynching als Verfassungszusatz zu etablieren. Lynching ist zwar als Gewaltanwendung außerhalb des staatlichen Gewaltmonopols unter anderen Delikt-Titeln strafwürdig z.B. unter dem Titel gemeinschaftlicher Totschlag oder ›Conspiracy for Murder‹, für den Fall, dass sich in einem lynch-freundlichen sozialen Klima ein Ankläger findet. Lynching unter rassistischer Motivation galt aber nicht als strafverschärfend, anders als die heutige Hate Crime-Gesetzgebung. 34 | Im absoluten Gegensatz zum Bild des Hightech-Lynching steht eine Interpretation, die das Verfahren als Gang-Rape von Anita Hill analysiert. Michael Thewell spricht dabei die sexistische Komplizenschaft von Thomas mit den weißen Senatoren zur Abweisung von Anita Hills Beschuldigungen an: »No High-tech Lynching or otherwise, took place in that committee room. But something uncomfortable close to a gang rape certainly did« (meine Kursivierung) (Thelwell 1992, 122). 35 | Kurioserweise dürfte Clarence Thomas nur deshalb Bundesrichter geworden sein, weil er eines sexuellen Vergehens beschuldigt wurde und über den Vorwurf des Hightech-Lynching das Komitee dazu brachte, ihm das Richteramt als Entschädigung für sein Leiden zuzubilligen. Es spricht viel dafür, dass Thomas, hätte er den LynchingVorwurf nicht eingebracht, nicht Bundesrichter geworden wäre. Und zwar weniger, weil er ein potentieller Belästiger war, sondern weil während des Hearings klar geworden war, dass er eigentlich keine afroamerikanische Unterstützung hatte und damit Bushs Strategie für eine ihm genehme Besetzung des Supreme Court gescheitert war. Das Stichwort Lynching aber schloss die Reihen einer reflexartigen afroamerikanischen Parteilichkeit und schuldbeladener weißer Liberalität und beschaffte Clarence Thomas so die erforderlichen Mehrheiten.
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dadurch würde die ermächtigende Opferposition von Thomas zunichte gemacht: »[…] Hill’s race drops out, as she is presented as a surrogate for ›feminism‹ or feminist discourse, which in turn stands for the white women making false accusations for rape« (Markovitz 2004, 130). Obwohl ihn eine schwarze Frau beschuldigte, war es für Thomas möglich, den Bedeutungsraum Lynching für sich in Anspruch zu nehmen, weil er virtuell dem formierten weißen Feminismus gegenüberstand.36 Thomas’ Rückzug auf die traditionelle Bedeutung der Lynching-Trope als Fanal des Anti-Rassismus löscht Anita Hill als schwarze Frau praktisch aus. Er macht sie in den Augen der schwarzen Community zu einer zweifelhaften Person. Vor ihrem Auftritt beim Senatsausschuss war die politisch konservative Rechtsprofessorin eine schwer zu verortende Erscheinung. Der Lynching-Vorwurf versetzt Anita Hill in bekanntes Terrain, nämlich in die Rolle der Race-verratenden schwarzen Frau, der ›Black-Woman-as-Traitor-of-the-Race‹.37 Ann duCille nennt die kulturellen Erwartungen an die schwarze Frau einen »discourse of deference«. Sie geht davon aus, dass sie geschlechtliche Diskriminierung durch schwarze Männer wegen deren angeblich größeren Leiden, vom Rassismus entmannt zu werden, zurückstellen.38
36 | Den Subtext ›weiße Frau‹ erwähnt Thomas zwar nicht, aber er verlässt sich darauf, dass die vage Erwähnung einer »relationship with sex« den Bedeutungszusammenhang von Lynching zur Ehrenrettung der weißen Frau heraufbeschwören wird. Dass die Beschuldigung von einer schwarzen Frau ausgeht, fällt dabei unter den Tisch, denn es gibt keinen einzigen belegten historischen Fall von Lynching zur Rettung der Ehre einer schwarzen Frau. Wenn allerdings, wie Anita Hill in ihrer Autobiographie berichtet, einige schwarzen Frauen, die ihre weißen Vergewaltiger angezeigt hatten, selbst gelyncht worden sind (Hill 1997a, 16-34). Aber weder der Beschuldigte noch die von der performativen Gewalt des Hightech-Lynching-Vorwurfs entwaffneten Senatoren reflektieren diese Feinheit. Zur politischen Entleerung der Lynching-Metapher und der Ersetzung der weißen Frau als Lynching-Grund durch eine schwarze Frau, siehe McKay 1992, 284-285 und Thomas 1992, 284-285. 37 | Painter 1992, 204f. Siehe auch die berühmte Kontroverse um die Romane von Alice Walker und Ntozake Shange, denen ›Black Male Bashing‹ vorgeworfen wurde. Eine wichtige Rolle spielt kulturell die Trope der ›emasculating Saphire‹ (Lubiano 1992), der kastrierenden schwarzen Frau, die eine literarische Zuspitzung in Gayle Jones’ Evas’s Man erfährt, wo die Protagonistin Medina Canada ihren schwarzen Peiniger vergiftet und anschließend in einer leichenschänderischen Fellatio den Penis abbeißt (Jones 1976, 128-129). Für diese Zusammenhänge siehe auch (duCille 1996a, 72-79). 38 | »Discourse of deference« bedeutet nach DuCilles Definition »a nationalistic, masculinist ideology of uplift that demands female deference in cause of empowering the race by elevating the men« (duCille 1996b, 65).
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Dieses Regime von Race-Solidarität für schwarze Frauen funktionierte im Hill/Thomas-Hearing zum ersten Mal nicht mehr vollständig. 1600 afroamerikanische Frauen unterschrieben eine Erklärung »African American Women in Defense of Ourselves« zur Verteidigung von Anita Hill, die sie in der New York Times abdruckten: »We are particularly outraged by the sexist and racist treatment of Professor Hill, an African American woman who was maligned and castigated for daring to speak publicly of her experience of sexual abuse. The malicious defamation of Professor Hill insulted all women of African American descent and sent a dangerous message to any woman who might contemplate a Sexual Harassment complaint […].« 39
In einer wegweisenden Anthologie zum Thema hatte auch Toni Morrison mehrheitlich schwarz-feministische Beiträge versammelt, die sich außerordentlich kritisch zu Thomas’ Rolle äußerten (Morrison 1992b). Mit dieser kleinen, aber bedeutenden Schar intellektueller Frauen hatte sich eine Front aufgetan, die sich gegen das manichäische Entweder-Oder von Race- und Gender-Emanzipationsdiskursen stemmte. Die beispiellose Initiative zur Ehrenrettung von Anita Hill hinterließ bei der Mehrheit der afroamerikanischen Community allerdings keinen tiefen Eindruck. Das Tabu, in der Öffentlichkeit über Race-interne Konflikte ›schmutzige Wäsche zu waschen‹ (airing dirty Linen), führte dazu, dass die schwarze Unterstützung für Clarence Thomas in den Meinungsumfragen nach dem Hearing anstieg, obwohl eine signifikante Anzahl von Afroamerikanern und Afroamerikanerinnen überzeugt war, dass Clarence Thomas Anita Hill sexuell belästigt hatte.40 Im Folgenden soll anhand von Analysen der schriftlichen, medialen und visuellen Repräsentationen der Hill-Persona die ›Unmöglichkeit‹ der Position schwarzer Frauen im semantischen Feld von Race-Gender-Konkurrenzen aufgezeigt werden.
39 | Die ganzseitige Anzeige erschien in der New York Times am 17. November 1991. Zitiert nach Chrisman/Allen 1992, 291. 40 | Durchgängig wurde Clarence Thomas von etwa 60 Prozent der African American Community unterstützt (Marable 1992, 70). Die Zustimmungsraten explodierten in der schwarzen Bevölkerungsgruppe nach dem Hearing von 54 Prozent auf 80 Prozent (!) (Crenshaw 1992, 417). Über ein Drittel aller befragten Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen gaben an, dass Thomas auch dann berufen werden sollte, wenn die Anschuldigungen wahr wären, eine Position, die im Gegensatz dazu nur ein Fünftel der weißen Befragten teilte (Burnham 1992, 306-307).
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6.3 Anita Hill: Schriftlichkeit – Wörtlichkeit – Bildlichkeit Im Vorwort der Anthologie zum Hearing – Race-ing Justice. En-gender-ing Power (1992) – schreibt Toni Morrison: »Without individuation, without non-racial perception, black people as a group, are used to signify the polar oppositions of love and repulsion. On the one hand, they signify benevolence, harmless and servile guardianship, and endless love. On the other hand, they have come to represent insanity, illicit sexuality, and chaos […] The participants were black and therefore ›known‹, serviceable, expendable in the interests of lining out one or the other of two mutually antagonistic confabulations.« (Morrison 1992b, iv)
Nach Morrisons Analyse ist es weniger wichtig, wie die Etikettierungen von Blackness aussehen, vielmehr will sie deutlich machen, dass Zuschreibungen von Blackness für das weiße Selbstverständnis konstitutiv sind. Auf diese Weise lässt sich die erstaunliche Variabilität von zum Teil widersprüchlichen Zuschreibungen, was ›schwarz‹ zu sein hat, erhellen. Besonders gut war das Phänomen an den schwankenden Auffassungen zu Anita Hill zu beobachten. Sie änderten sich, je nachdem, in welchem Rezeptionsmodus, man könnte auch sagen, in welchem Aggregatszustand, sich die jeweiligen Interpretationsgemeinschaften befanden. Als Ausgangsthese für die folgende Erörterung soll gelten: Anita Hills Glaubwürdigkeit hing davon ab, welche Medien sie als wie schwarz oder als wie weiblich erscheinen ließen. Es geht um die Beziehung von Schriftlichkeit und von verbaler und visueller Repräsentation – also von Wörtlichkeit und Bildlichkeit. Beginnen wir mit Wörtlichkeit. Catharine MacKinnon bezieht sich in einem Plädoyer für das Verbot von Pornographie Only Words (MacKinnon 1993) auf Anita Hills Aussage vor dem Senatskomitee, um zu illustrieren, wie Pornographie gegen die angebliche Intention der Darstellung wirksam wird. In pornographischem Material würde häufig die Überwältigung von anscheinend widerständigen Frauen gezeigt, wobei das rezipierende Publikum diese Situation für sich als Zustimmung der Frauen zum Sexakt umkodiere. MacKinnon greift dabei auf eine in J.L. Austins Sprechakttheorie beschriebene Sprechsituation zurück, die er ›illocutory force‹ nennt. Ein illokutionäres Kraftfeld wird dann wirksam, wenn eine massive Beleidigung die Angesprochene zum Verstummen bringt. Spricht eine solchermaßen verstummte Person dann doch, haben ihre Worte eine ganz andere Bedeutung als die intendierte Aussage. Nach MacKinnons Lesart ist genau dieses mit Anita Hill geschehen, als sie von den Senatoren gezwungen wurde, die beleidigenden und obszönen Worte von Clarence Thomas mehrfach zu wiederholen. Die Tatsache, dass sie obszöne Worte sexuellen Inhalts aussprach, wurde von den Senatoren und der Fernsehnation implizit als Äußerungen ihrer Sexualität verstanden und kritisiert.
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Trotz der Subtilität dieser Beobachtung, die viel von der sexuellen Dynamik des Hearings erklärt, macht MacKinnon Anita Hills Aussage zu einem Race-neutralen sexualisierten Sprechakt, indem sie ausschließlich auf die Wörtlichkeit ihrer Aussage abhebt. Ihr Brennglas ist farbenblind auf das Gender-Problem der sexuellen Erniedrigung gerichtet und auf die schon in Vergewaltigungsprozessen beobachtete weibliche Ohnmacht, vor männlichen Gremien (Gerichten und Komitees) über Zeugenaussagen (Sprechakte) sexuelle Übergriffe als Verletzungen zur Sanktion zu bringen.41 Das Ausblenden von Race in MacKinnons Überlegungen ist allerdings mehr als eine Komplexitätsreduktion. Als juristische Sachverständige für sexuelle Verfehlungen wird sie in einer Fernsehsendung von Tom Brockaw gefragt, ob sexuelle Belästiger – wie möglicherweise Clarence Thomas einer sei –, zu Wiederholungstaten neigten. MacKinon antwortet: »Well, I hate to put it this way, but he is not dead«.42 Wie schon sechzehn Jahre vor ihr Susan Brownmiller mit ihrer verschobenen Reaktion – dem ›murderous rage‹ – auf Emmett Tills Pfiff,43 assoziiert auch die Juristin MacKinnon hier eine Lynching-Metapher: Die sexuelle Verfehlung eines (schwarzen) Mannes provoziert einen Mordwunsch des verletzten Geschlechts gegenüber dem Angreifer, weil er als unreformierbarer Wiederholungstäter eingeschätzt wird.44 41 | Völlig offen ist, was passiert wäre, wenn eine weiße Frau die Anklage erhoben hätte. Die Meinungen schwanken. Einige glauben, dass Thomas dann noch nicht einmal nominiert worden wäre, wenn aber doch, er bestimmt abgelehnt worden wäre. Siehe Higginbotham 1995, 33. Andere sind sicher, dass Thomas dann als moralischer Sieger vom Platz gegangen wäre. Ich neige der letzten Version zu, da mit einer weißen Frau als Lynch-Lockvogel die Hightech-Lynching-Trope noch besser funktioniert hätte. Es sei denn, der Klägerin wäre gelungen, sich wirksam als gedemütigtes Vergewaltigungsopfer zu präsentieren, dann hätten Thomas’ Übergriffe allerdings weitaus drastischer sein müssen, als die bezeugten verbalen Ausfälle. 42 | Zitiert nach Burnham 1992, 313. 43 | Siehe Kapitel 5, S. 348-351. 44 | MacKinnons Farbenblindheit gegenüber Thomas schlug vor den Hearings eher positiv an. Sie hatte in einer Gesprächsrunde des Intellektuellen-Magazins Tikkun, wo sie als einzige weiße Frau eingeladen war, seine Kandidatur befürwortet. Trotz der offensichtlich problematischen Haltungen von Thomas zu Fragen der Bürgerrechte, hatte sie ihn mit dem Argument unterstützt, seine Lebenserfahrung und sein Realitätssinn eines in Armut und im segregierten Süden aufgewachsener Afroamerikaners, würde seine Urteile positiv beeinflussen. »Tikkun Roundtable: Doubting Thomas, September/Oktober 1991«, referiert nach Stansell 1992, 254-257. Es steht zu vermuten, dass MacKinnon Thomas wegen seiner konservativen Agenda unterstützte und von ihm im Supreme Court Hilfe für ihre Anti-Pornographie-Bewegung in Form von Gesetzesinitiativen erhoffte. Eine andere Race-neutrale weiß-feministische Perspektive auf den Fall ventiliert
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Das Bemerkenswerte an dieser Gedankenlosigkeit ist weniger, dass sie implizit rassistisch ist, sondern dass sie mit einer gewissen Unschuld ›systematisch‹ rassistisch ist, insofern, als eine Separierung von Race und Gender jene Übertretungen auf ›intersektionalen‹ Feldern produziert. Wenn sowohl der Race- wie der Gender-Gerechtigkeitsdiskurs das moralische Gewicht des Lynching-Verbrechens in Anschlag bringt, der eine für Race, der andere für ›rape‹, dann wird das gemeinsame Kind bei der Aufteilung ermordet und die Elternschaft des jeweilig anderen entwertet. Kimberlé Crenshaw fasst die daraus entstehende Diskurskonkurrenz mit folgenden Worten zusammen: »[…] the debacle constituted a classic showdown between antiracism and feminism. The tropes, whether explicitly invoked, as lynching, or implicitly referenced, as rape, served to communicate in shorthand competing narratives about the hearings and about what ›really‹ happened between Clarence Thomas and Anita Hill.« (Meine Kursivierung) (Crenshaw 1992, 407f)
Die totalisierende Kraft der antagonistischen Vergewaltigungs- oder Lynchmetapher blendet den jeweils anderen Zusammenhang aus und konstruiert zwei Weltsichtsysteme, die sich gegenüber dem jeweils anderen Prinzip sozusagen in geistiger Notwehr befinden. Der rhetorische ›Overkill‹ der Argumente ist insofern kein Zufall, sondern Aufrüstungspropaganda in einem imaginierten Überlebenskampf. Einen integrativen Versuch, Race und Gender zusammen zu sehen, macht Judith Butler, indem sie – um auf die ursprüngliche Fragestellung von Wörtlichkeit, Schriftlichkeit und Sichtbarkeit zurückzukommen – die visuelle Repräsentation Anita Hills im Medium Fernsehen untersucht. Butler kritisiert MacKinnons Ausblendung der Race-Dynamik in der Hill-Frage.45 Für die Sexualisierung von Anita Hill sei nicht nur ihr Sprechen verantwortlich, sondern besonders die Tatsache – und hier schließt Butler sich an Toni Morrison an –, dass sie über das nationale Fernsehen millionenfach repräsentiert sichtbar schwarz sei:
Nancy Fraser, die am Beispiel Hill/Thomas über die Transformation der öffentlichen und privaten Sphären zum Jahrtausendende nachdenkt (Fraser 1992). 45 | Butler 1997a, 82f. Judith Butlers Auseinandersetzung mit Catharine MacKinnon in Exitable Speech hat den Hill/Thomas-Fall nur am Rande zum Gegenstand. Die Studie ist eine philosophische Reflektion darüber, inwieweit eine Einschränkung der Rechtes auf Redefreiheit (Freedom of Speech) durch Emanzipationsdiskurse, wie sie z.B. die Anti-Pornographie-Bewegung anstrebt, nicht kontraproduktiv ist, weil sie unter anderem die resignifizierende Beanspruchung von Beleidigungen wie ›Nigger‹ und ›queer‹ verunmöglicht.
6. ›B L ACK -P OSTER -B OYS ‹ UND DIE GROSSEN T RIBUNALE »African-American status permits a spectacularization of sexuality and a recasting of whites as outside the fray, witnesses and watchers who have circuited their own sexual anxieties through the publicized bodies of blacks […] Hill’s speech act […] is the ›example‹ of pornography, because, as black, she becomes the spectacle for the projection and living out of white sexual anxiety.« (Meine Kursivierung) (Butler 1997a, 84-85)
Butler weist also darauf hin, dass Anita Hills Sichtbarkeit als schwarze Frau einen unsichtbaren historischen Kontext von Sexualität aufruft, der auf die Geschichte der Sklaverei zurückgeht, wo der Zugriff des Masters auf die Körper der Sklavinnen nicht verhindert werden konnte und ihnen dadurch das Recht auf sexuelle Integrität verwehrt wurde.46 Die kulturelle Gleichsetzung von Tugend und Wahrheitsliebe respektive Amoralität und Verlogenheit entwertet zudem die Anschuldigung einer schwarzen Frau.47 Kombiniert mit Judith Butlers Argument, dass weibliche Blackness in den USA ein Feld von verschobener, ›spektakularisierter‹ – d.h. als sichtbar 46 | Der entlaufenen oder emanzipierten Sklavin fehlte damit die nötige Ehrbarkeit, um sich als bürgerliches weibliches Subjekt in einen Freiheitsdiskurs einzubringen. Nell Painter bemerkt, dass das Phantasma des sexuell promisken schwarzen Mädchens sozusagen das Spiegelbild der weißen Frau auf dem Podest weiblicher Tugend war (Painter 1992, 207). Zu diesem Problemkomplex gibt es eine umfangreiche Forschung, wobei hier besonders auf Paula Giddings hingewiesen werden soll (Giddings 1984). Siehe die vergleichende Analyse von Lauren Berlant über Harriet Jacobs, Frances Harper’s Lola Leroy und Anita Hill, in der sie eine spezielle Verbindung von sexueller Ausbeutung und Nationalgeschichte zieht: »[… in] the public history of African American Women […] coerced sexualization has been a constitutive relais between national experience and particular bodies« (Berlant 1993, 55). Siehe zur gleichen Thematik auch Alexander 1995 und Lubiano 1992. 47 | Es gibt eine lange Tradition der Gleichsetzung von – unterstellter – sexueller Freizügigkeit schwarzer Frauen und ihrem daraus abgeleiteten angeblichen Mangel an Wahrheitsliebe. Der klarste Hinweis für dieses Glaubwürdigkeitsdefizit vor Gericht ist die Tatsache, dass die durchschnittliche Verurteilung für Vergewaltigung von schwarzen Frauen zwei Jahre beträgt und die von weißen Frauen zehn Jahre (Crenshaw 1992, 412-413). Zur Neubelebung des Vorwurfs, schwarze Frauen seien unglaubwürdig, hatte der national breit diskutierte Fall der Tawana Brawley beigetragen. Im November 1987 war die Fünfzehnjährige bewusstlos, geschlagen und möglicherweise vergewaltigt aufgefunden worden. Auf ihren Körper waren die Worte »KKK« (Ku-Klux-Klan) und »Nigger« geschrieben. Sie beschuldigte sechs weiße Männer der Entführung und des Missbrauchs. Im Laufe der Ermittlung tauchten viele Ungereimtheiten in ihrer Geschichte auf, die letztlich dazu führten, dass sie fallen gelassen und Tawanas Geschichte als Vortäuschung einer Straftat abgetan wurde. Zu einer Analyse über Glaubwürdigkeitsstrukturen und kollektives Gedächtnis, siehe Markowitz 2000.
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inszenierter – sexueller Imagination ist, erklärt die paradoxen und extremen Schwankungen der öffentlichen Meinung über die Glaubwürdigkeit Anita Hills. Die Meinungsumfragen registrierten zu Beginn, als Anita Hills zu erwartende Zeugenaussage lediglich von den Printmedien verbreitet wurde, dass ihr geglaubt wurde. Nach einem der bis dato größten Fernsehspektakel der Nation,48 ging ihre Glaubwürdigkeit deutlich zurück, obwohl alle Kommentare sich über ihre beeindruckende und würdige Selbstpräsentation einig waren. Während ihrer Aussage kam zur Sichtbarkeit von Blackness die akustische Sexualisierung der performativen Obszönität hinzu, die durch das wiederholte Aussprechen sexueller Beleidigungen erzeugt wurde. Nach dem Verblassen der Bilder stieg ihre Glaubwürdigkeit wieder an,49 und Anita Hill wurde in der kulturellen Erinnerung nun zur ›Rosa Parks of Sexual Harassment‹ emblematisiert.50 Das nationale Fernsehspektakel erklärt den Rückgang von Zustimmung, weil die Blackness von Anita Hill sozusagen ihre Aussage überstrahlte und konterkarierte.51 Mit dem Verblassen der Bilder konnte dann wieder der Text dominieren, der zu Anfang den Diskurs regiert hatte. Diese Mechaniken führen zu dem Phänomen, das viele Kritikerinnen als 48 | Die Einschaltquoten des Hill/Thomas-Hearings verzeichneten bis zu 40 Millionen Zuschauer tagsüber, was eine außergewöhnlich hohe Quote für die Zeit ist. 49 | Bevor die Anschuldigungen auftauchten, waren 65 Prozent aller Männer und 61 Prozent aller Frauen für eine Bestätigung von Thomas. Als die Sexual Harassment-Vorwürfe durch die Presse gingen, also vor Anita Hills Fernsehauftritt, fiel die Unterstützung der Frauen auf 43 Prozent, die der Männer blieb bei 61 Prozent. Direkt nach ihrem Fernsehauftritt glaubten wieder 51 Prozent der Frauen, dass Thomas bestätigt werden sollte. Die Männer verharrten weiterhin auf 61 Prozent. Nach schwarz und weiß ausdifferenziert lag die schwarze Zustimmung immer über 50 Prozent und kletterte nach dem Hearing um noch mal um 5 Prozent. Die Zahlen stammen aus unterschiedlichen Meinungsumfragen der New York Times des gleichen Zeitraumes. 50 | Rosa Parks war die schwarze Frau, die sich 1955 weigerte, für einen weißen Mann im Bus den Platz zu räumen und in die für Schwarze bestimmten, hinteren Busreihen zu gehen. Der sie unterstützende Bus-Boykott zwang die Stadtverwaltung von Montgomery in die Knie und bildete den Auftakt zur Civil-Rights-Bewegung. Die Wortprägung »Rosa Parks of Sexual Harassment« stammt von einem Mitglied ihres Verteidigungsteams. Siehe Ogletree 1995, 146. 51 | Viele afroamerikanische Autorinnen und Autoren haben das über die Sichtbarkeit von Blackness aufgerufene Zeichensystem thematisiert, z.B. James Baldwin in einem Interview mit Studs Terkel 1961: »What white people see when they look at you is not visible. What they do see when they look at you is what they have invested you with […] all the agony, and pain, and the torment […] of which everyone in this country is terrified«. Zitiert nach Pemberton 1992, 178. Siehe auch die Ausführungen zur schwarzen ›Unsichtbarkeit‹ in Kapitel 2 und 4, S. 165 und S. 382.
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das Weiß-Werden (Whitening) von Anita Hill beschrieben. Kimberlé Crenshaw beschreibt das instabile Image von Anita Hill folgendermaßen: »A black woman, herself a victim of racism, was symbolically transformed into the role of a would-be white woman whose unwarranted finger-pointing whetted the appetite of a racist lynch mob […] Hill (and Thomas) had to be de-raced, so that they could be represented as actors in a recognizable story of Sexual Harassment.« 52 (Meine Kursivierung)
Beigetragen zu diesem Unsichtbar-Werden von Hills Hautfarbe hat ihre Weigerung, eines der bereitliegenden Rollenklischees für schwarze Frauen zu verkörpern. Als konservativ gekleidete Yale-Absolventin und Juraprofessorin besetzte sie keine der – wie Toni Morrison schreibt – schon immer ›gewussten‹ Positionen schwarzer Weiblichkeit, die unter den Stichworten Aunt Jemina, Mammy, betrügerische Jezebel, sinnliche Saphire oder Welfare Queen abgerufen werden können (Painter 1992, 211). An anderer Stelle sagt Morrison: »Not only did the senate fail to understand to recognize me, because of my lack of attachment to certain institutions, like marriage and patronage, they failed to relate to my race, my gender, my race and gender combined, and in combination with my education, my career choice and my demeanour.« 53
Weil Hill in kein Rezeptionsmuster passte, wurde sie unsichtbar, oder anders gesagt ›unmarkiert‹. Und als unmarkierter Mensch wurde sie ›weiß‹ und damit universalisierungsfähig. Der Rezeptionsprozess befand sich also in einer gleitenden Umformung von der Schriftlichkeit der Anklage (erste bildlose Pressemeldungen) – Harassment wurde als Hinderungsgrund für eine Nominierung anerkannt – zur Mündlichkeit, wo im MacKinnon’schen Sinn die Anklage wegen Belästigung zu einer Sexualisierung der Anklägerin führte, allein durch die Tatsache, dass sie sexuelle Worte sprechen muss.54 Der nächste Schritt war dann die sicht52 | Crenshaw 1992, 402f, 407, siehe auch Jordan 1995, 38. 53 | New York Times, Oct. 17, 1992, 6L zitiert nach Fiske 2005, 195. 54 | Eine andere Erklärung, warum das Sprechen obszöner Worte Anita Hill geschadet habe, bietet die Medientheoretikerin Lynne Joyrich in ihrem Aufsatz »Epistemology of the Console«. Nach ihrer Auffassung lebt das Fernsehen von sexuellen »Anspielungen« (Allusions), um darüber die instabilen Grenzen von gleich/anders, innen/außen, öffentlich/privat, geheim/enthülllt, gesund/krank und lebendig/tot zu verhandeln. Fernsehen sei ein Medium, das immer wieder einen Raum des ›Unsagbaren‹ konstruiere und gleichzeitig ein exzessives Gespräch darüber autorisiere. Anita Hills erzwungene Deutlichkeit habe sie deshalb zu einer verdächtigen Figur gemacht (Joyrich 2001, 441-445).
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bare Dramatisierung Anita Hills in einem »racial passion play«, wie Patricia Williams die Tribunale der Neunziger nennt (Williams 1997, 280). Hier greifen die Glaubwürdigkeitsdefizite, die mit der Figur der schwarzen Frau assoziiert werden. Anita Hills Verschwinden vom Bildschirm – sie verweigerte sich nach dem Hearing allen TV-Auftritten – machte sie dann zu einer bleibenden Ikone gegen Sexual Harassment.55 Zuletzt verschriftlichte Hill ihre Position selbst. Als erste in der Reihe der ProtagonistInnen der hier verhandelten sexualpolitischen Tribunale veröffentlichte Hill ihre Autobiographie, viele weitere folgten, insbesondere im Zusammenhang mit dem O.J. Simpson-Prozess. Jedes Buch präsentiert sich auch visuell. Hills Autobiographie Speaking Truth to Power (1997) ist mit einem magischen Portrait der Autorin gestaltet, das Annie Leibowitz photographiert hat. Die Ikonographie des Schutzumschlags ist eine Allegorisierung der angesprochenen Interdependenzen von Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit, Schriftlichkeit, Mündlichkeit und Weiß und Schwarz. Anita Hill ist im Halbprofil, mit einer weißen Bluse bekleidet, zu sehen, sie stützt sich offenbar auf einem Tisch ab. Ihr Blick geht in die Ferne. Er kommuniziert nicht mit den Betrachtern und Betrachterinnen. Die Konturen ihres dunklen Teints verschwimmen fast im ebenfalls dunklen Hintergrund des Bildes. Mit ihrer physischen visuellen Repräsentation wird hier auf den unsichtbaren Aspekt der Dialektik von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Blackness angespielt, wie er im Titel von Ralph Ellisons Invisible Man sprichwörtlich wurde. Das strahlende Weiß der Bluse dagegen visualisiert den Whitening-Prozess, den Hill während der Hearings durchlaufen hat. Weiß-Sein wird hier über das Kostüm von (gestärkter, gewaschener) Reinheit assoziiert. Dazu trägt Hill eine Herrenhemd-ähnliche Bluse, was auf die Anmaßung ihrer männlichen Sprechposition verweist. (Abb. 22) Mit Sicherheit hat die sich ihrer visuellen Strategien sehr bewusste Photographin Annie Leibowitz viele der Besonderheiten dieses wohlinszenierten Bilds als kalkulierte Klischeebrüche angelegt. So soll vermutlich durch die lose getragene Bluse mit dem maskulinen Schnitt eine visuelle Sexualisierung Hills verhindert werden, ebenso wie die Bluse als demonstrativ ›beiläufig‹ (casual) 55 | Als ein Beispiel der vielen Elogen auf Anita Hill siehe z.B. Susan Deller Ross: »Anita single-handedly changed American attitudes toward sexual harassment. Virtually overnight by dint of her dignity, intelligence, and courage, she demolished the notion that Sexual Harassment is trivial. We can safely say that professor Anita Hill has indeed been a catalyst for change that has just begun. And for that we are truly in her debt« (Ross 1995, 238). Anita Hill hat inzwischen mehrere Ehrungen und Preise erhalten, z.B. den Margareth Bent Award der ABA Commission on Women, und einen Preis der Sektion Women in Legal Education of the American Associations of Law Schools 1992. Natürlich gab es auch Dämonisierungen von Anita Hill. 1993 erschien unter dem Titel The Real Anita. The Untold Story eine Monographie, die negative Statements und ›Beweise‹ ihrer angeblichen Lügen zusammenträgt (Brock 1993).
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getragenes Kleidungsstück Hills überstrenge Präsenz im hochgeschlossenen roten Kleid während des Hearings aufweichen soll. Diese kleinen Subversionen können aber nicht verhindern, dass sich trotzdem die amerikanische Meta-Narration von Schwarz und Weiß durch den genderideologiekritischen Phototext hindurch pausen.
Abbildung 22 Der Name ›Anita Hill‹ ist übergroß mit vergleichsweise dünnen schwarzen Lettern über die untere Umschlaghälfte verteilt. Er wirkt fast ornamental und nicht mehr wie eine zu entziffernde Schrift, eine interessante Visualisierung der Tatsache, dass Hills Name zu einem nationalen Emblem, zu einem Signifikanten für Sexual Harassment geworden ist. Der Name beschreibt weder die im Hintergrund verschwimmende Person noch die Autorin, die als Zeitzeugin und Juristin eine Analyse Race-bezogener Sexualpolitik vorlegt. Der Name Anita Hill ist hier Programm, ein Synonym für die Popularisierung der Problematik von Sexual Harassment.56 Genau wie ihr Gesicht fast in dem kontrastarmen Hintergrund verschwindet, ist auch der Buchtitel »Speaking Truth to Power« – 56 | Eine Anekdote aus eigener Anschauung unterstützt die Behauptung. Ich hatte die Gelegenheit, in der Boston Public Library anlässlich der Premiere des Buches 1997 anwesend zu sein. Fünf Jahre nach den aktuellen Ereignissen fand sich dort ein sehr großes und überwältigend weiß-weibliches Publikum mittlerer Jahrgänge ein, die Anita Hill beim Fan-Defilée mit Zurufen wie »You have been brave«, »I admire your courage« oder »I want to thank you, Anita, you changed my life« feierten, womit sie zweifellos Hill als Heroine des Kampfes gegen Sexual Harassment ansprachen.
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klein und weiß auf einen silbernen Untergrund gedruckt – ebenfalls in Gefahr, sich im Hintergrund zu verlieren. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass der Umschlag Hochglanz laminiert ist und Lichtreflexe erzeugt. Während das verschwindende Schwarz von Hills Physis nicht mehr entziffert werden muss – diskursives Verstehen ist nicht nötig, da, wie Toni Morrison ausführt, alles, was Blackness bedeutet, bereits ›gewusst‹ ist –, kostet es je nach Lichteinfall gewisse Mühe, das flimmernde Weiß der Schrift zu lesen. Als Person zurückgefallen oder zurückgewandert in allzu kenntliches oder unkenntliches Schwarz (die kontemplative Pose überschreitet allerdings die RaceErwartung), bleibt Anita Hill als Text nahezu unlesbar weiß. Die in kleinen Typen ausgeführten Buchstaben des Buchuntertitels Speaking Truth, der inhaltlich eine mündliche Gegenwehr anzeigt, durchkreuzen ihren überdimensionierten Namen, so wie in der Tat das Label »Anita Hill« zu einem Markennamen für sexuelle Belästigung geworden ist und sich von seiner Trägerin gelöst hat. Der semantische Kern der Aussage verliert sich im hellen ›weißen‹ Hintergrund, der Untertitel Speaking Truth to Power hat sich in eine weiße Botschaft aufgelöst. So hat sich kurioserweise der Rape-Lynching-Komplex wieder geradegerückt. Obwohl das Tribunal eine schwarz/schwarze Besetzung hat, produziert der Lynching-Vorwurf, dass Anita Hill nur in ›weißer Maske‹ wahrgenommen werden kann. Das Clarence Thomas Hearing setzt den Anfang einer Serie von Tribunalen über sexualisierte Gewalt, wo gegen prominente schwarze Männer als Angeschuldigte verhandelt wird. 1992 folgt Mike Tyson und 1995 O.J. Simpson. In jedem der Fälle geht es um die Anerkennung der Schwere und Strafwürdigkeit von bis dato nicht konsequent verfolgter sexualisierter Gewalt. Nach Sexual Harassment kam Date Rape (Tyson) und Domestic Violence (Simpson). Im Hill/ Thomas Hearing sehen wir den ersten Akt eines Race-Gender-Projektes, das eine Krise und Neuverhandlung des ›Common Sense‹ anzeigt. Das Ergebnis des ersten Aktes ist ambivalent. Zwar hat Clarence Thomas ›gewonnen‹ über eine Mixtur von ›Male Bonding‹ und ›White Guilt‹57, aber die Frage von Sexual Harassment ist über den Prozess langfristig auf die soziale Agenda gekommen, und ein sogenannter Hill-Effekt hat bei den nächsten Wahlen erstmals weibliche Senatoren durchgebracht.58 Der Machtzugewinn weißer Frauen wurde mit einer erneuten Rassisierung von Sexualpolitik erkauft. Die Revitalisierung der Lynching-Trope – auch in ihrer virtuellen Form des Hightech Lynching – wurde 57 | Julie Ellison unterscheidet die frühe ›liberal-white-guilt‹, entstanden in der Bürgerrechtsbewegung gegenüber den radikaleren schwarzen Kämpfern und identifiziert »neo-white liberal guilt«, die die Erwähnung von Race vermeidet und einen ›cultural universalism‹ anstrebt (Ellison 1996, 345f). Siehe auch Omi 1996, 147f. 58 | Markovitz 2004, 133. Siehe auch Hill 1997b.
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von Thomas in eine Ermächtigungsstrategie verwandelt. Er zeigte ›Mannesmut vor Fürstenthron‹ mit seinem Lynchvorwurf. An diesem Krisenscheitelpunkt zeigt sich, wie sich Race- und GenderEmanzipationsgeschichte in der Post-Civil-Rights-Ära und nach dem Niedergang des kämpferischen Feminismus einordnen, und vor allem, wie den jeweils vorgetragenen Forderungen nachgegeben wird. Zunächst ist der konservative afroamerikanische Richter hegemoniefähig und der Harassment-Diskurs nicht. In der Folge wird sich aber zeigen, dass dieses sexuelle Privileg weißer (und schwarzer) Männer über auf Druck zustande gekommene Gesetzgebung eingeschränkt wird. Insofern hatte das erste Tribunal ein großes Revirement angestoßen: Das weiße Patriarchat wurde zu einem Kompromiss gezwungen und konnte dabei gleichzeitig das schwarze Patriarchat kooptieren. Für ein ›schwarzes Patriarchat‹ erfolgte die Ermächtigung ebenfalls über eine Opfertrope. Definitiv nicht ermächtigt wird die schwarze Frau als schwarze Frau. Anita Hill selbst analysiert in ihrem Artikel zum Fall von häuslicher Gewalt, dass es für eine schwarze Frau unmöglich ist, den Vorwurf sexualisierter Gewalt gegen einen schwarzen Mann von Gefahren, die vom Rassismus ausgehen, zu trennen (Hill 1997b) Markovitz fasst präzise zusammen: »whatever rhetorical resources made available by these struggles (of the black woman) were gendered in such a way as to have rendered them functionally unavailable to black women«59 (meine Kursivierung).
59 | Sozialwissenschaftler errechneten einen Anita Hill-Effekt, der vielleicht Bill Clinton, aber mit Sicherheit viele zusätzliche weibliche Kongressabgeordnete und mehrere Senatorinnen ins Amt brachte. Nach intensiven Kampagnen, dass man nie wieder ein derart weiß-männlich dominiertes Senatskomitee sehen wolle, gewannen in der Wahl nach den Hearings elf Frauen die Primaries (Vorwahlen) für den Senat. Zum ersten Mal wurden sechs Senatorinnen gewählt (vorher waren nie mehr als zwei), darunter die erste Afroamerikanerin, Carol Moseley Brown, die expliziten Wahlkampf mit dem Hill/ Thomas-Hearing gemacht hatte. 108 Frauen gewannen ihre Primaries für Sitze im Kongress (1990 waren es 70), die erste Puerto-Ricanerin wurde gewählt und weitere sechs Women of Color, was einer Verdreifachung der früheren Zahl bedeutete. Die Zahl der weiblichen Kongressabgeordneten stieg von 29 auf 48 (Norton 1995, 245).
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›D ATE R APE ‹ – M IKE T YSON 6.4 Ein Drama in drei Akten Das erste Race-Gender-Tribunal – das Hill/Thomas Hearing – traf noch auf ein noch unkonditioniertes Live-TV-Publikum. Der Prozess wegen Vergewaltigung (genauer wegen Date-Rape/Verabredungsvergewaltigung) gegen den Ex-BoxChampion im Schwergewicht, Mike Tyson, 1992 war dann schon der zweite Akt eines mittlerweile vertrauten sozialen Rituals der Gender- und Race-Gerechtigkeits-Ermittlung in (gerichts-)verfahrensmäßiger Form. In beiden Fällen ging es um männliche sexuelle Verfehlungen, die ein Alltagsphänomen sind und bis dato häufig nicht geahndet wurden. Das war bei Sexual Harassment der Fall und sollte jetzt auch bei Date Rape der Fall sein. Unter Date Rape versteht man eine ›minderschwere‹ Form von Vergewaltigung, die während eines ›Dates‹, eines im US-Kontext regelhaft ablaufenden Treffens potentieller Liebes- oder Sexualpartner, zustande gekommen ist. Bis zum Zeitpunkt der Nötigung und des Übergriffs waren beide Beteiligte einverständig zu einem Rendezvous verabredet gewesen. Allerdings hatte zwischen dem Prozess gegen Mike Tyson und dem Clarence Thomas-Hearing ein weißer Mann vor seinen Anklägern gestanden: Der ›Golden Boy‹ William Kennedy Smith, ein Neffe des damals amtierenden Senators von Massachusetts, Edward Kennedy, war beschuldigt worden, die weiße Frau Patricia Bowman vergewaltigt zu haben. Er hatte die Bar-Bekanntschaft zu einer nächtlichen Swimmingpool-Party eingeladen und sie dann nach ihrer Aussage, die durch gerichtsmedizinische Indizien unterstützt wurde, vergewaltigt.60 Der Angeklagte räumte den Geschlechtsakt ein, bestritt aber die Vergewaltigung. Die Narben und Abschürfungen der Klägerin erklärte er mit der ›Wildheit‹ der erotischen Spiele und verwies auf die Drogenvergangenheit Bowmans.61
60 | Lawrence 1995, 221-222. Die TV-Präsentation des Opfers, Patricia Bowman, zeigt eine neue Volte des Sichtbarkeits-/Unsichtbarkeitsproblems. In der Live-Berichterstattung des Fernsehens wurde sie aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes mit einem blauen Fleck (blue Dot) über dem Gesicht gezeigt. Die namentliche Anonymität wurde schnell durch Indiskretionen der Klatschpresse aufgehoben, Bowmans Aussehen aber blieb durch den Farbfleck verborgen. Charles R. Lawrence bietet dann auch eine Lektüre der Patricia Bowman-Geschichte als rassisierendem Prozess an, obwohl es sich ja um ein »white-on-white-crime« handelt. Im Aufsatz »The Master visits the Slave Quarters« interpretiert er Patricia Bowman als race-markierte ›White Trash‹-Figur, über die Kennedy Smith sozusagen qua Race-, Klassen- und Gender-Privileg glaubte, verfügen zu können. 61 | Detaillierte Analysen des William Kennedy Smith-Prozesses siehe z.B. bei Thaler 1994 und Sanday 1996, 210-222.
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Ein paar Monate später wurde Mike Tyson beschuldigt, eine Kandidatin des Miss Black America-Pageant, Desirée Washington, unter einem Vorwand auf sein Hotelzimmer gelockt und dort vergewaltigt zu haben. Obwohl die Zeichen umgekehrt standen – Patricia Bowman ging sofort zur Polizei und konnte körperliche Verletzungen vorweisen, die auf Gegenwehr schließen ließen, Desirée Washington kam später zur Polizei und hatte unspezifische innere Abschürfungen – wurde der gutaussehende und eloquente Medizinstudent William Kennedy Smith von einer mit seiner glamourösen Familiengeschichte sympathisierenden Jury freigesprochen.62 Dagegen wurde der schwarze Schwergewichtsboxer Mike Tyson mit einiger Reputation als ungehobelter Frauenheld zu sechs Jahren Haft verurteilt, von denen er die Hälfte absitzen musste. Beide Fälle hatten eine große Presseresonanz, aber die Mike Tyson-Berichterstattung – in den Printmedien häufig im Sportteil63 – übertraf die über William Kennedy Smith um ein Vielfaches.64 Im Gegensatz zu William Kennedy Smith‹ Beziehungen in höchste Kreise hatte Mike Tyson nichts als seinen Ruhm und Status als ehemaliger Box-Star und eine problematische Ghettoherkunft samt einem Vorstrafenregister vorzuweisen. Zudem verstärkte die Strategie seiner Verteidigung den ubiquitären Mythos vom schwarzen Vergewaltiger. Die Nobelanwälte Vincent Fuller und 62 | Senator Edward Kennedy war an diesem Abend ebenfalls mit seinem Sohn Patrick und William Smith in der Bar gewesen und machte eine Aussage zu Gunsten seines Neffen, die entscheidend für den späteren Freispruch gewesen war. Ohnehin mit Sexskandalen belastet, machte die Verwicklung in den William Smith-Prozess Senator Kennedys Lage im Hill/Thomas-Hearing prekär. Er hielt sich in den Befragungen weitgehend zurück. Die Ironie des Schicksals wollte, dass er als einziger Senator ein Statement zur Ehrenrettung Anita Hills abgab. June Jordan vermerkt das in einer elegischen Anklage an die schwarze Community und besonders an die ausbleibende Ritterlichkeit schwarzer Männer gegenüber Anita Hill: »The only powerful man to utter and to level the appropriate word of revulsion as a charge against his peers – the word was SHAME – that man was US Senator Kennedy, a white man whose ongoing successful career illuminates the unequal privileges of male gender, white race, and millionaire class identity« (Jordan 1991/1992, 57). 63 | In der Zeit der unmittelbaren Prozessberichterstattung wurden 458 von den 568 erschienenen Artikeln auf der Sportseite veröffentlicht (Lule 1995, 181). Das führte zur sarkastischen Frage weiblicher Journalisten, ob Vergewaltigung denn inzwischen zu einem neuen exotischen Sport geworden wäre. »Letter to the Editor«, New York Times, 4. März, 1992, 22A. 64 | Laut einer Auszählung von prominenten Rechtsfällen zwischen 1985 und 1997 wurden 9.864 Artikel über den Mike Tyson-Fall veröffentlicht, was ihn nach dem O.J. Simpson-Fall (103.589 Artikel), dem Hill/Thomas-Hearing (20.311 Artikel) und dem Rodney King-Fall (25.190 Artikel) zum viertprominentesten Rechtsfall der neunziger Jahre macht (Chancer 1996, 103f).
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Cathleen Beggs hatten sich darauf festgelegt, dass Tyson genau wie Kennedy den Geschlechtsakt zugeben sollte. Zu seinen Gunsten wurde in Anschlag gebracht, dass jedem Mädchen, das ihn nachts um zwei Uhr in sein Hotelzimmer begleite, klar gewesen sein müsse, dass ein Beischlaf erwartet würde. Dabei wurde auf Mike Tysons weit bekannte Reputation als ›Lady’s Man‹ verwiesen.65 Die Pressereaktionen auf diese im Prozess vorgeführten Race-Stereotypisierungen verstärkten sich noch mit Bildern von animalischer Kraft und unkontrollierbarer Wut, die mit Tysons Boxerimage verschmolzen.66 New York Times-Korrespondent Berkow schrieb unter dem Titel »The ›Animal‹ in Mike Tyson«: »What Mike Tyson has never understood was that only until he stopped acting like an animal outside the ring would he be fine«.67 Und die Chicago Tribune ergänzte: »[…] fighters are like attack dogs, trained to be vicious and rewarded for it, but unfit to be around innocent people«.68 Gegen diese Stereotypisierungen setzte ein Verteidigungsreflex der schwarzen Community ein. In USA Today war in einer Buchrezension zu lesen, Tyson werde als »pathetic love-starved man-child« beschrieben, »He is a victim, not a victimizer«. Und die Washington Post zitiert den Präsidenten des World Boxing Council, Jose Suleiman, mit den Worten: »I am starting to think it is true what certain people say, that it was a dinner of blacks by white cannibals«69 (meine Kursivierung). Afroamerikanische Kirchenführer versammelten sich hinter Tyson und entschuldigten ihn als Opfer der sozialen Umstände und eines grim65 | Zu seiner Verteidigung für diese erotischen ›Freiheiten‹ führte Tyson an: »Pageants officials told me to touch, play with, and hug the contestants. I said (to the officials) […] I like that part«. Zitiert in Awkward 1999, 134. Eine Studie mit dem Titel Athletes and Acquaintance Rape geht den speziellen soziosexuellen Verkehrsformen von idolisierten und an Groupies gewöhnten Hochleistungssportlern wie Boxern und Football-Spielern nach, die ›sexual favors‹ für selbstverständlich halten und ein ›Nein‹ nicht als Ablehnung ihrer Avancen interpretieren. Insbesondere zum Fall Tyson siehe das Kapitel »Indiana vs. Michael G. Tyson« (Benedict 1989, 69-89). Dass es dem Boxer an Delikatesse bei seinen Flirtmanieren mangelte, bestätigten mehrere andere Miss-America-Kandidatinnen, die aussagten, Tyson habe sie öffentlich und unerwünscht intim berührt. Vor Gericht kam dann ein besonders bizarrer Zwischenfall zu Sprache: Als Tyson einer der Schönheitsköniginnen sichtbar zu nahe trat, sei ihr Liebhaber herangestürmt. Der Boxer habe ihn mit der Frage gestoppt: »Oh, is this your woman? Are you going to beat me up?« Zitiert nach Garrison/Roberts 1994, 16. 66 | Jack Lule hat unter dem Titel »The Rape of Mike Tyson. The Press and Symbolic Types« 568 Zeitungsstories gesichtet und die dort benutzten rassistischen Stereotypen zusammengetragen (Lule 1995). 67 | NewYork Times vom 11. August 1991, Sektion 8, 2. 68 | Zitiert nach Lule 1995, 182. 69 | Zitiert nach Lule 1995, 185.
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migen Rassismus. Lynn Chancer, die die afroamerikanischen Gegennarrationen zum hegemonialen Diskurs in den großen Tribunalen untersucht, nennt diesen speziellen Diskurs ›reversing‹ (defending the defendant).70 Nach Jack Lules Worten wurde der öffentlichen Meinung eine eindimensionale Alternative angeboten: »He was either a crude, sex-obsessed, violent savage who could barely control his animal instincts or he was a victim of terrible circumstances, almost saved from the streets by a kindly overseer but who finally faltered and fell to the connivance of others.« (Lule 1995, 181)
Der Vergleich des Falles William Kennedy Smith mit dem von Mike Tyson rief afroamerikanische Gerechtigkeitsdefizite auf. Der Kontrast zwischen dem glatten Freispruch für Smith und der eindeutigen Verurteilung Tysons machte ›weißes Privileg‹ überdeutlich. Bei Clarence Thomas und der Frage von Sexual Harassment konnte man noch gewisse Zweifel hegen, ob die Protagonisten und Protagonistinnen nur zufällig schwarz waren und keine zur Opferung bestimmten Platzhalter für weiße Probleme.71 Es fand sich auch die Einschätzungen, dass Hill/Thomas Symbole für die Aufnahme in die weiße Gesellschaft seien, die nun endlich einsehe, dass Afroamerikaner dieselben Probleme wie sie hätten und sie damit als gleichberechtigte Bürger anerkenne.72 Im Fall von Mike Tyson dagegen konnte es keinen Zweifel geben, dass mit seinen offen zur Schau getragenen sexuellen Meriten auch Tysons Blackness mit auf der Anklagebank saß. Die Black Community sammelte sich hinter ihm und brachte die Lynching-Metapher ins Spiel. Die afroamerikanische Zeitung New Amsterdam News schrieb am 15. Februar 1992: »Here’s another Lynching of a Black man. The girl’s story was rehearsed, and the Whites backed the girl«. Der Rape-Lynching-Komplex dreht hier eine interessante Volte. Obwohl Tyson ja der Vergewaltigung einer Frau bezichtigt wird, spricht man jetzt davon, dass er metaphorisch vergewaltigt werde. Eine unwahrscheinliche Koalition von Queen Latifa, eigentlich für eine Art medienwirksamen schwarzen Feminismus zuständig, und der gewiss nicht unter Feminismus-Verdacht stehende Spi70 | Als weitere Strategien macht sie ›substituting‹ (blaming the victim), ›exceptionalizing‹ (›yes, but‹) und ›partializing‹ (taking a side) aus Chancer 2005, 238f. 71 | Die Black-Studies-Professorin Maulana Karenga sprach von »sacrificial black surrogates«, die einem »racial harassment« ausgesetzt seien (Karenga 1992). 72 | Dem afroamerikanischen Soziologen Orlando Patterson zufolge mache der Fall Hill/Thomas deutlich, dass die Kultur der Sklaverei nun tot sei. Das Hearing sei ein »powerful expression of the cultural-symbolic change that has taken place in America with respect to the final acceptance of Blacks as integral – even if still greatly disadvantaged – members of society« (Patterson 1995, 57).
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ke Lee finden sich zusammen, wenn sie in TV-Interviews vom ›rape of Mike Tyson‹ sprechen. Hier kann man eine weitere Facette der Mechanik des Rape-Lynching-Komplexes sehen. Während im Second-Wave-Feminism Lynching als Metapher für Vergewaltigung angeeignet wurde, dreht man jetzt in polemischer Absicht, die Besetzung des Komplexes um. Metaphorisch wird von einer Vergewaltigung des ›schwarzen Mannes‹ gesprochen, die wie Lynching ist. Es schwingt dabei noch eine zusätzliche Dimension mit. In der amerikanischen Öffentlichkeit wird vorausgesetzt, dass Vergewaltigung unter Gefangenen eine Alltagspraxis ist und eine Art und Weise, Gefängnishierarchien durchzusetzen. Als zukünftiger Häftling wird der Box-Weltmeister sicherlich eine Bedrohung für die bis dahin installierte Gefängnishierarchie sein und somit ist auch er selbst einer Vergewaltigungsgefahr ausgesetzt.
6.5 Ab- und Aufrechnungen – Black-Poster-Boys Die afroamerikanische Gemeinschaft war nun kurz hintereinander Zeuge der ›Kreuzigung‹ eines berühmten schwarzen Mannes geworden, in einem der Fälle sogar im deutlichen Kontrast zu dem Freispruch eines weißen Mannes bei einer vergleichbaren Anklage.73 Aber auch der Gender-Gerechtigkeitsdiskurs beschäftigte sich mit dem ›Body Count‹. Beim ›dritten Streich‹, fanden viele weiße Frauen, hatten sie es endlich verdient zu ›gewinnen‹. Die Verurteilung von Tyson wurde als der lang fällige Sieg an der Gender-Gerechtigkeitsfront gefeiert. Das People-Magazin, eine von vorwiegend weiblichem Publikum gelesene Edelklatsch-Gazette, titelte »JUDGEMENT DAY: Payback Comes to Sexual Predator« und schrieb: »After the Clarence Thomas hearings and the William Kennedy Smith trial, it was beginning to seem as if women might never win a round in the he-said-she-said battle of the sexes. This time, though, a panel of 12 jurors chose to believe the accuser.« 74
Helen Neuborne, die damalige Direktorin von NOW (National Organization of Women), sprach von einem »important victory«, und in der Los Angeles Times stand auf der Meinungsseite unter dem Titel »Sexist Myths Take a Beating«:
73 | Die Sichtweise, den Tyson-Prozess als »Three Act Morality Play« einzuordnen, stammt von Charles R. Lawrence III. Siehe Lawrence 1995. 74 | People, Februar 24, 1992, 36.
6. ›B L ACK -P OSTER -B OYS ‹ UND DIE GROSSEN T RIBUNALE »Women everywhere should be encouraged by the verdict. The system had shown itself willing to believe rape-survivors, at least some of the time and even against the word of a powerful man.«75
Ähnlich wie bei Sexual Harassment ist es schwierig, sogenannten Date Rape als Verletzung der sexuellen Autonomie zur Anklage zu bringen. Als ›richtige Vergewaltigung‹ (real Rape) zählte lange Zeit nur eine sexuelle Attacke, die überfallartig von einem ›verrückten Fremden‹ (crazed Stranger) bei nachweisbarer starker Gegenwehr (utmost Resistance) der Frau stattfand.76 Schon früh hatten feministische Studien darauf hingewiesen, dass nur 42 Prozent aller Vergewaltigungen von völlig fremden Männern begangen werden,77 und über die Hälfte der Opfer sich aus Angst in den aufgezwungenen Akt ergeben und deshalb keine gerichtsmedizinisch feststellbaren Zeichen von Gegenwehr aufweisen können.78 In der Figur von Mike Tyson überschneidet sich die weiße Ikonographie des ›crazed Stranger‹, der durch seine Kampf- und Lebensgeschichte und durch seine ›racial Otherness‹ Anlass zu dieser Interpretation gibt, mit der des ›normalen‹ Date Rape-Täters, der im ritualisierten amerikanischen DatingSystem eine (noch) nicht-sexuelle Verabredungssituation ausnutzt. Dem Boxer kam in der Diskussion um Date Rape die problematische Funktion zu, ein weitverbreitetes Phantasma zu verkörpern, das männliche Sexualität als unbeherrschbare Urkraft begreift, die, wenn sie einmal in Gang gesetzt ist – über physische Nähe, freundliche Kommunikation und dem Einverständnis, miteinander allein zu sein – kurz: zu ›daten‹ – angeblich nicht mehr aufhaltbar ist. Mike Tyson wurde damit zu einer Verkörperung von männlicher Sexualität.79 75 | Nach Barbara Novovitch, »Tyson Rape Conviction May Aid Rape Victims«, Reuters, 12. Februar, 1992 und Los Angeles Times, 12. Februar, 1992, B7 (Gloria Allred). Beides zitiert in Lawrence 1995, 217. 76 | So auch der Titel der Studie von Susan Estrich, die die Einschränkung des Vergewaltigungsmodells auf einen ›verrückten Fremden‹ angreift und auch Date Rape und verwandtschaftlichen Missbrauch zu ›real rape‹ erklärt (Estrich 1987). 77 | Das sind die Zahlen einer Auswertung von Polizeiakten von 1958-1960 zitiert nach Sanday 1996, 186. 78 | Susan Brownmiller verwendet als erste den Terminus ›Date Rape‹ (Brownmiller 1986, 453). Diana Russel interviewte 1978 930 College-Studentinnen, von denen 24 Prozent eine ausgeführte und 31 Prozent eine versuchte Vergewaltigung angaben. 35 Prozent waren von Bekannten vergewaltigt, nur 11 Prozent von Fremden und 3 Prozent von Verwandten belästigt worden (Russel 1974). Das erste Buch, das sich ausschließlich mit Date Rape beschäftigt, stammt von Robin Warshow (Warshow 1988). 79 | Männliche (Sport-)Berichterstatter diskutierten Tyson dann auch konsequenterweise als Essenz von Männlichkeit. Der Time-Reporter Richard Corliss schrieb: »Innocent or guilty, though, Tyson is more to be pitied than feared – not because he may loose
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Diese wurde durch seine Blackness verstärkt, oder anders ausgedrückt, durch Blackness rassisiert. Der afroamerikanische Kulturkritiker Earl Ofari Hutchinson bezeichnet dieses Phänomen in der konkreten historischen Situation als die Herstellung von sogenannten »Black-Poster-Boys«.80 Er argumentiert, Clarence Thomas und Mike Tyson würden dazu missbraucht, mit ihrer schwarzen Haut sexuelle Verfehlungen zu Markte zu tragen, die Race-neutral wären und in allen Bevölkerungsgruppen vorkommen. Das Herausstellen schwarzer Protagonisten für Kampagnen gegen sexuelle Gewalt sei eine rassistische Sündenbockpolitik. Insbesondere weiße Feministinnen revitalisieren nach dieser Auffassung das alte Phantasma vom schwarzen Vergewaltiger. Ishmael Reed schreibt in seinem polemischen Essay »Buck Passing«: »Black men have become the sacrificial lambs of all male evil. Men from other ethnic groups whose treatment of women is, in some cases worse, than that accorded black women by black men join the attack on black men as a way of covering their own record of abuse against women; they pass the buck to black men. […] For the feminists who are making money and gaining publicity for denouncing O.J., Clarence Thomas, Mike Tyson, and the ›Million Men March‹, the enemy is black man.« (Reed 1999, 46, 51)
Nach dieser Interpretation brachten im Mike Tyson-Prozess ein schwarzer Mann als Angeklagter und eine schwarze Frau als Klägerin schwelende weiße Opfertexte des spät-feministischen Gerechtigkeitsdiskurses zur Darstellung. Mit der Konzentration auf Mike Tyson wird ein allgemeines Problem auf seine Race-Persona verschoben. Black-Poster-Boy Mike Tyson ist als Zeichensystem besonders ergiebig, weil durch ihn noch weitere kulturelle Narrationen der Zeit bedient wurden, z.B. die These von der Schuld schwarzer Männer an der Gewalt in den Ghettos. Tyson eignete sich mit seiner Unterklassenherkunft sehr gut für diese Projektion. Außerdem verkörperten die Black-Poster-Boys Thomas und Tyson reaktionäre Gesetzgebung (Clarence Thomas) und robusten Machismo (Mike Tyson) und waren gut als ›Feinde‹ feministischer Politik geeignet. Sie wurden zur Inkarnation der (schlechten) Maskulinität emblematisiert, sozusagen als ihre schwarze Seite. Zudem war es erfolgreicher, sich mit schwarzen Protagonisten his freedom and his livelihood, but because he seems an exemplar of all those sad studs who are prisoners of manhood«. Richard Corliss, »In Judgement of Iron Mike«, Time, 10. Februar 1992, 66. Zitiert nach Awkward 1999, 12. 80 | (Hutchinson 1996a). Auch Ishmael Reed spricht von »feminist harassment to which black men have been subjected, portrayed as posterboys for sexism by women who are silent about such practice that occur in their ethnic group« (meine Kursivierung) (Reed 1997, 185).
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zu konfrontieren als mit der weißen Machtelite. Thomas’ Ruf war grundsätzlich beschädigt, und Tyson wurde schließlich verurteilt. Gegen weißes sexuelles Fehlverhalten war bisher noch keine der Kampagnen gewonnen worden, wie man bei William Kennedy Smith, aber auch dem Fall Bob Packwood und der Tailhook-Affäre schmerzhaft feststellen musste.81 So betrachtet sind die großen sexualpolitischen Tribunale der neunziger Jahre Black Face-Minstrel-Shows, wo mit schwarzen Statthaltern eines weißen Geschlechterkrieges die Emanzipationsenttäuschungen des anti-feministischen Backlash verhandelt werden.82 Wenn man sich vergegenwärtigt, wer zu Gericht saß, und wer diese Kämpfe gewonnen und wer sie verloren hatte, sieht man, dass die eigentlichen Gegner der feministischen Kampagnen weiße Männer waren. Selten zeigte es sich so deutlich, dass die Macht im Staate noch immer beim weißen Mann liegt, wie in den Fernsehbildern des Hill/Thomas-Hearings mit den erhöhten Senatoren-Bänken, die mit Ausnahme eines japanisch/amerikanischen Senatoren ausschließlich von weißen Männern besetzt waren. Es ist insofern auch logisch, dass der ›Mann‹ Clarence Thomas die gesellschaftliche Machtverhandlung gewinnen muss, insofern er sich regelkonform verhält.83 81 | Bob Packwood war ein weißer Senator, der gewohnheitsmäßig seine Büroangestellten belästigte und sich trotz massivster Bemühungen auch nach Kenntnis der Tatbestände noch drei weitere Jahre im Amt halten konnte. Die Tailhook Affaire: Im September 1991 nahm die Navy-Hubschrauberpilotin Lieutenant Paula A. Coughlin an der Jahresversammlung der Tailhook-Organisation, einem Traditionspflege-Verein der Navy, in Las Vegas teil. Als sie nach dem offiziellen Programm in Abendgarderobe einen der Empfänge besuchen wollte, wurde sie im Flur von einer großen Gruppe Männer abgepasst, die sie durch eine Art Spießrutenspalier jagten und dabei in jeder nur denkbaren Weise demütigten und unsittlich berührten. Coughlins Versuche, in der Navy für diese Gruppennötigung Disziplinarverfahren zu erreichen, wurden sehr lange vom Militär blockiert. Die sogenannte Tailhook-Affäre wurde zu einem nationalen Skandal. 82 | Backlash ist der Titel eines polemischen Buches der Journalistin Susan Faludi, die in den späten Achtzigern in der öffentlichen Sphäre eine Denunziation des Feminismus und eine Kampagne gegen seine Errungenschaften ausmacht. Der Buchtitel bekam in der Folge Slogancharakter (Faludi 1991). 83 | Dass der ›Mann‹ Mike Tyson verliert, liegt auch daran, dass Profiboxen in der amerikanischen Kultur schon lange eine beliebte Arena von buchstäblich mit den Fäusten ausgetragenen, männlichen Race-Konkurrenzen ist. Zu Jahrhundertbeginn wurden die weißen Kontrahenten schwarzer Boxer ›Great White Hope‹ genannt. Beim Sieg eines afroamerikanischen Athleten über einen weißen Preiskämpfer kam es immer wieder zu weißen Race Riots. Vgl. Bederman 1995. Der erste schwarze Schwergewichtsweltmeister Jack Johnson (1908) wurde solange von Pressekampagnen und Gerichtsverfahren – u.a. wegen seiner Affären mit weißen Frauen – verfolgt, bis er um Ansehen und Vermögen gebracht war (Gilmore 1975 und Smith 1998, 324-329).
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Und es ist sicher auch kein Zufall, dass die Geschworenen im Mike Tyson-Prozess von einem weißen, sehr soldatisch wirkenden, Ex-Offizier der US-Marine repräsentiert wurde. Die afroamerikanische Gemeinschaft dagegen sah in den Tribunalen weniger eine sexualpolitische Auseinandersetzung als ein Symbolsystem, in dem angeblich überwundener Rassismus sich in der politisch konservativen Ära von Reagan und Bush d.Ä. wieder an die Oberfläche arbeitete.84 Prominente schwarze Männer in Verfahren wegen sexuellen Fehlverhaltens zu verwickeln, wurde nach ihrer Auffassung dazu benötigt, um Afroamerikaner und Afromerikanerinnen als gesamte Bevölkerungsgruppe in Misskredit zu bringen. Die Tatsache, dass es sich um sexuelle Verfehlungen handelte, war in ihren Augen insofern funktional, weil damit das alte Zeichensystem des Rape-LynchingKomplexes aufgerufen und eine rassistische Diskriminierungsmaschine in Gang gesetzt werden konnte. Die tribunalförmig ausgetragene Konkurrenz von Race- und Gender-Gerechtigkeitsanforderungen richtete viel Schaden an. So ist im Medienspektakel des Hill/Thomas-Hearings untergegangen, dass zwei im Kern progressive und demokratische Fraktionen mit vitalen Interessen am Richteramt – die Black Community, der es um den Erhalt von Affirmative Action geht, und der politische Restbestand der Frauenbewegung, die das Recht auf Abtreibung (prochoice) erhalten will – einem fachlich mittelmäßigen, politisch reaktionären und dazu vergleichsweise jungen Kandidaten zu einer lebenslänglichen Machtposition verholfen haben.85 Zwar sind an der Gender-Front Teilsiege eingefahEbenfalls denke man an die zwischenzeitliche Stigmatisierung Muhammed Alis, als er sich weigerte, in Vietnam zu kämpfen, und Muslim wurde. 84 | Siehe die Studie Turning Back. The Retreat of Social Justice (Steinberg 1995). 85 | Verfassungsrichter unterliegen keiner Pensionsgrenze und bestimmen selbst den Zeitpunkt ihres Rückzugs vom Amt. Clarence Thomas erwies sich als überaus konservativer Verfassungsrichter. Zwar sind bis zum Abschluss dieser Studie Affirmative Action und freie Abtreibung nicht zur Gänze zurückgenommen, wenngleich es in Einzelentscheidungen wie der Frage der Elternzustimmung und der Länge der Warteperioden zu Einschränkungen kam (Planned Parenthood vs. Casey no. 91-744). Doch schon im ersten Jahr bestätigen Thomas’ Entscheidungen und seine Minderheitenvoten die vorab geäußerten Befürchtungen. Insbesondere war Thomas’ Haltung bei bürgerrechtsrelevanten Urteilen bezüglich der Rechte von Gefangenen – überproportional viele Insassen in US-amerikanischen Gefängnissen sind schwarz – auffällig: Z.B. sein Minderheitenvotum, dass in Ketten vorgeführte Gefangene bei Renitenz geprügelt werden dürfen (Hudson vs. McMillan no. 90-6531). Angesichts dieser Fakten schwand die schwarze Sympathie für den Richter. Die einflussreiche afroamerikanische Southern Christian Leadership Conference (SCLC) nahm 1992 ihre Unterstützung für Thomas zurück. Siehe die Einleitung von (Chrisman/Allen 1992, xxxvii-xlii). Eine Monographie, die die ersten
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ren worden: Sexual Harassment ist seither leichter zur Anklage zu bringen, und Gesetzesänderungen ermöglichen Entschädigung, bei Date-Rape-Fällen kann inzwischen mit Verurteilungen gerechnet werden. Aber das Verhältnis zwischen einem afroamerikanischen und einem weiß-feministischen Gerechtigkeitsdiskurs hatte sich signifikant verschlechtert und das Konkurrenz-Dilemma strebte im O.J. Simpson-Prozess einem neuen Tiefpunkt zu.
›DOMESTIC VIOLENCE‹ – O.J. SIMPSON 6.6 Ein Doppelmord und zwei Erregungsgemeinschaften Im August 1995 werden im Stadtteil Brentwood von Los Angeles zwei Leichen gefunden, die mit unzähligen Stichwunden hingemetzelt worden waren. Es handelt sich um Nicole Simpson Brown, die weiße Ex-Ehefrau des beliebten schwarzen Football-Spielers O.J. Simpson und Mutter zweier seiner Kinder, und um Ron Goldman, Kellner in einem Nobelrestaurant, der seit kürzerem mit Nicole Simpson befreundet war. O.J. Simpson war als bekannt eifersüchtiger Ex-Ehemann ein naheliegender Verdächtiger. Zunächst sieht es so aus, als ob der Ex-Athlet, der inzwischen auch als Schauspieler (in der Naked Gun Trilogie) und hochbezahlter Werbeträger für Orangensaft (OJ) und Hertz-Mietautos sehr populär ist, zur Tatzeit in Chicago war. Eine minutiöse Rekonstruktion ergibt aber, dass ihm zwischen dem Mord und dem Abflug eine kurze Zeitspanne für die Tat geblieben wäre. Ein von Simpson zurückgelassener Brief, als er versucht, sich durch eine Flucht der Verhaftung zu entziehen, lässt sich als vages Eingeständnis und Selbstmordabschiedsbrief deuten. Das Interesse der Öffentlichkeit sollte in dem darauffolgenden ›Prozess des Jahrhunderts‹ (Trial of the Century), der sich mit allen Voruntersuchungen über eineinhalb Jahre hinzog, nie mehr erlahmen. Der Prozess wurde im Fernsehen live in Court-TV übertragen. Die Berichterstattung umfasste in 613 Stunden live-Mitschnitte des Prozessgeschehens und erreichte mit der Urteilsverkündung die größte jemals in der amerikanischen Fernsehgeschichte gemessene Zuschauerzahl, nämlich 142 Millionen Zuschauer, was nach der Agentur für Einschaltquoten, Nielsen-Rating, 91 Prozent aller potentiellen Fernsehzuschauer ausmacht. Das Medienereignis O.J. Simpson übertraf im Publikumsinteresse sogar den ersten Golfkrieg.86 Der Medienphilosoph Peter Sloterdijk hat den interessanten Begriff der ›Erfünf Sitzungsperioden von Thomas untersucht (1991-1995), kommt zu dem Schluss: »The dates […] indicate, that Justice Thomas was the most conservative member of the Rehnquist Court in every issue area during each of the terms« (Gerber 1999, 212). 86 | Mediendaten zum O.J. Simpson siehe Chancer 1996.
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regungsgemeinschaft‹ geprägt, um die Bildung von Publikumsformationen um ein Thema zu beschreiben: »Moderne Nationen sind Erregungsgemeinschaften, die sich durch telekommunikativ, zumeist mehr schriftlich, dann mehr audiovisuell erzeugten Synchronstress in Form halten. Mit Hilfe synchronisierender Hysterien und homogenisierter Paniken versetzen sie sich selbst fortwährend in jene Mindestspannung, die nötig ist, um das erneute Aufklaffen der Frage, ob die Revolution hier beendet sei oder eine Fortsetzung verlange, zu verhindern, oder zu vertagen.« (Sloterdijk 1998, 42)
Hier haben wir es nicht nur mit einer, sondern mit zwei großen und sehr unterschiedlichen Erregungsgemeinschaften zu tun, die ›synchron‹ am O.J. Simpson-Prozess wie schon an den anderen beiden Tribunalen teilnahmen: die afroamerikanische Community und die ›Community‹ weißer Frauen. Für beide Gemeinschaften trifft zu, dass ihre ›Revolutionen‹ keineswegs beendet waren und möglicherweise gerade durch die Tribunale selbst ›nach Fortsetzungen verlangten‹. Der Prozess wurde tagsüber (Daytime-Television) und live ausgestrahlt. Ort, Zeit und Situation spielten bei dem sich entwickelnden Rezeptionsverhalten eine große Rolle. Man verfolgte die Live-Übertragungen im häuslichen Wohnzimmer oder am Küchenfernseher, – was in der Mehrheit weiße Frauen betraf, also mitten im Erfahrungsschauplatz ihrer eigenen unvollendeten Revolution.87 Die Zuschauerinnen waren für vergleichbare Sendezeiten an Soap Operas gewöhnt, ›never ending stories‹, wie Tania Modleski sagt, die die Familienmutter zur zentralen Protagonistin des Lebensdramas machen. Nun begann der ›endless flow‹ des live übertragenen Prozesses den Tag in ähnlicher Weise zu strukturieren, wie vorher die anderen Fernsehsendungen.88 Das weiße weibliche Publikum rezipierte die Ereignisse intuitiv in GenreKonventionen, die es in dieser Sendeschiene erwartete, um so mehr, als der Inhalt des Prozesses eine große Nähe zu den Inhalten der Soaps hatte: Sex, Crime, und das Thema der ›Family in Jeopardy‹ (Familie in Bedrängnis).89 Die Zuschauer und Zuschauerinnen wurden gewissermaßen ›verführt‹, die Geschehnisse zu 87 | Lynn Spigl arbeitet in ihrer Analyse über die Auswirkung des Mediums Fernsehen in der amerikanischen Familie und der damit einhergehenden Aufhebung der Grenze von öffentlichem und privaten Raum Making Room for TV (1992) heraus, dass das Fernsehen nicht nur die private Wohnstube in einen Theaterzuschauerraum verwandelt, sondern auch eine nationale Bühne bereitet, auf der Amerikanerinnen darüber diskutieren, wie man leben soll (Spigl 1992). 88 | Mediendaten zum O.J. Simpson siehe Chancer 1996. 89 | Die hauptsächliche Faszination des Fernsehdiskurses bestehe nach George Lipsitz in drei Einheiten: der Präsentation von Waren, der Erregung und dem Management
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fiktionalisieren. Es kam – wie John Fiske es ausdrückt – zu einer Art von ›Hyperrealität‹ im live-TV (Fiske 1996). Daniel Dayan und Elihu Katz sprechen in diesem Zusammenhang davon, dass der »televisual event« über die bloße Tatsache, dass er im Fernsehen erscheint, zu einer Art von Performance des Ereignisses mutiert (Dayan/Katz 1992, 92-93). Der Rezipientin geht es nicht mehr um eine wie immer geartete Wahrheit des Ereignisses, sondern die Prozess-›Szenen‹ werden wie gestaltete Fiktion auf ihre Brauchbarkeit in einer ›guten Geschichte‹ hin bewertet. Der TV-Journalismus hat sich im Laufe der Ereignisse immer mehr auf diese Publikumserwartung eingestellt und die Vorgänge als ›Infotainment‹ im melodramatischen Modus präsentiert (Williams 2001, 260-264). Während die Erregungsgemeinschaft der weißen Frauen sich leidenschaftlich für die Frage ›Gewalt in der Ehe‹ interessierte und damit gegen O.J. Simpson eingestellt war, nahm die afroamerikanische Erregungsgemeinschaft von Beginn an leidenschaftlich für O.J. Simpson Partei. Sie waren ebenso gebannt wie weiße Frauen um den Fernseher geschart, aber sie sahen eine andere Geschichte.90 Alarmierte Aufmerksamkeit fand die Frage, ob nach den L.A. Riots ein schwarzer Mann vor einem Gericht in Los Angeles Gerechtigkeit bekommen würde. Hier wurde die im Kapitelanfang erzählte Rodney King Geschichte aufgerufen.91 Eine besondere Rolle spielte dabei ebenfalls eine Autoverfolgungsjagd. O.J. Simpson hatte versucht, sich seiner Verhaftung durch eine Flucht in seinem Jeep, einem ›weißen Bronco‹, zu entziehen. Das Fernsehen hatte diese Flucht wiederum live dokumentiert. Auch hier ›sah‹ ihn die afroamerikanische Gemeinschaft als entlaufenden Sklaven, der von Kopfgeldjägern verfolgt wird. Das weiße Amerika, das ihm damals noch zujubelte, erinnerte sich dagegen eher an seine berühmten Durchbrüche quer übers Feld als Football-Spieler. Viele Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen empfanden die weißen Reaktionen auf den Prozess als eine Wiederbelebung rassistischer Klischees vom schwarzen Mann als einem übersexualisierten Monster. Damit war auch die vertraute Bühne für die kulturelle Erzählung des Rape-Lynching-Komplexes bereitet. Das quasi hautnahe Dabei-Sein der beiden Erregungsgemeinschaften am Fernsehgerät schuf für die Rezipienten und Rezipientinnen sowohl eine von Appetit und Gelüsten und dem sentimentalen Thema der ›Familie in Bedrängnis‹ (Lipsitz 1997, 12f). 90 | Der Mediensoziologe Murray Edelman weist darauf hin, dass ›politische Spektakel‹ für unterschiedliche Rezeptionsgruppen unterschiedliche Bedeutung haben. In Constructing the Political Spectacle schreibt Murray Edelman: »There are separate spectacles for different groups of people […] (who) fit news accounts into a story plot that reflects their respective values« (Edelman 1988, 94-95). 91 | Shoshanna Felman nennt die Sympathie, die O.J. Simpson bei seiner ›Flucht‹ im weißen Bronco noch entgegenschlug, eine »cross-legal resonance« mit dem Rodney King-Fall (Felman 1997, 767).
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Authentizität der unmittelbaren Zeitzeugenschaft, der Immersion in die Ereignisse, ja geradezu ein Mitspielen.92 Sie vereinigten die jeweiligen Zuschauer und Zuschauerinnen zu einer virtuellen Jury, die sich mit Mit-Jurorinnen und Juroren auf ein abschließendes Urteil vorbereiteten. Die Frage der Jury war auch im wirklichen Prozess von großer Bedeutung. Im Versuch, die Fehler des Rodney King Falles zu vermeiden, wo der Freispruch einer weißen Jury für die Prügelpolizisten zu einem Volksaufstand geführt hatte, wurde deshalb mit Vorsatz der Prozess in einem Innenstadt-Bezirk angesetzt, in dem aus demographischen Gründen besonders viele afroamerikanische Geschworene nominiert werden würden. Aus mehr als tausend Bewerbern und Bewerberinnen wurde am Schluss ein Panel gebildet, dem mit ausdrücklichem Einverständnis der Staatsanwältin zehn Frauen – neun davon waren afroamerikanischer Abstammung – von zwölf Mitgliedern angehörten. Sie wurden über ein Jahr in einem Hotel in Klausur gehalten, damit sie in ihrer Meinungsbildung vom Medienrummel unbeeinflusst blieben. Sie verstanden sich, wie sie es später formulierten, als ›Geiseln der Gerechtigkeit‹ (Hostage to Justice). Das Ziel der Verteidigung war es, bei der Jury ›begründete Zweifel‹ (Reasonable Doubt) an der Stichhaltigkeit der Anklage zu wecken. Zur Zeit des Urteilsspruchs – dem ›Verdict‹ – hielt die Nation den Atem an. Ähnlich wie bei Präsident Kennedys und Lady Dianas Tod erinnert sich die überwiegende Mehrzahl der Amerikaner und Amerikanerinnen heute daran, wo sie sich beim Urteilsspruch aufhielten und wie sie sich fühlten. Der letztendliche Freispruch aus Mangel an Beweisen löste Entsetzen und Wut bei der weißen Mehrheit aus, besonders bei Frauen. In schwarzen Stadtvierteln dagegen gab es Autokorsos, Jubelstürme und Konfettiparaden.93 Der O.J. Simpson-Prozess war in seiner langen Laufzeit zu einer Bühne geworden, auf der die unvollendeten Revolutionen von Race- und Gender-Gerechtigkeit aufeinander stießen. Dieses Szenario wurde dadurch besonders erkennbar, weil die Staatsanwaltschaft von Los Angeles eine weibliche Anwältin – die Mainstream-Feministin Marcia Clark – zur Chefanklägerin berief. Sie entschloss sich, die Mordanklage auf O.J. Simpsons Strafakte als gewalttätiger Ehemann zu stützen. Sie sah eine Chance, über die Frage häuslicher Gewalt 92 | Die Medientheoretiker Nikolaus Abercrombi und Brian Longhurst haben für dieses Phänomen ein sogenanntes »spectacleperformance paradigm« entwickelt, das die Grenze zwischen Publikum und Dargebotenen bei der Durchdringung des Alltags mit medialisierten Erfahrungen die Grenze auflöst. Die »dispersen« Zuschauer sind dabei Rezipient, Publikum und Performer zugleich (Abercrombie/Longhurst 1998, 72f). Für den Hinweis danke ich Karin Esders. 93 | Ich sah den Juryspruch im Fernsehen in einem Hörsaal der juristischen Fakultät der University of Chicago. Der einzige anwesende Afroamerikaner, der Hausmeister, brach in spontanen Jubel aus. Auf die entsetzten Reaktionen der weißen Studentinnen und Studenten verließ er fluchtartig den Raum.
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(domestic Violence) in der Nachfolge von Sexual Harassment und Date Rape den Prozess zu einem Tribunal über Gender-Gerechtigkeit aufzubauen. Die Verteidigung von Simpson wurde von einem berühmten afroamerikanischen Bürgerrechtsanwalt, Johnnie Cochran, angeführt. Die afroamerikanische Community verstand den Prozess als exemplarische Wiedergutmachung für den Freispruch der Rodney-King-Schläger und die darauf folgenden L.A. Riots, also als eine Frage der Race-Gerechtigkeit. Im O.J. Simpson-Prozess prallen zwei Reformdiskurse aufeinander, die sich aus den Gerechtigkeitsverhandlungen der sechziger Jahre ableiten und sich inzwischen zu problematischen Ideologien verdichtet haben: Der Diskurs der Farbenblindheit (Colorblindness) in der Race-Frage und der Diskurs der Gleichheit (Equality) in der Frauenfrage. Die Critical Race Theory diagnostiziert eine ›Ideologie der Farbenblindheit‹ als ein mentales Muster, das Whiteness nicht als Race begreift, sondern als eine Condition Humaine. Jemanden als ›farblos‹ einzuschätzen – so wie der Golfspieler und Partylöwe O.J. Simpson in Hollywood vor der Anklage sicherlich wahrgenommen wurde – bedeutet, ihn eigentlich für weiß zu halten. Das vorsätzliche Übersehen der Farbe ist nach Neil Gotonda eine »technical fiction«, weil man willentlich negative Vorstellungen, die man mit der Hautfarbe verbindet, unterdrückt und nur noch ,weiß‹ sieht (Gotonda 1995, 271f). Auf der Ebene des Unbewussten bleibt damit alles, was man davor über Blackness geglaubt hat, unberührt, weil jede positive Erfahrung der fiktionalen Whiteness des Gegenübers zugeschrieben wird (Crenshaw 1997, 98f). Er wurde e-raced. In dem Moment aber, wo er in den Augen des Publikums eines Verbrechens beschuldigt wird, das im kollektiven Unbewussten mit Blackness verbunden ist, wie ein Mord im Eifersuchtswahn, wird er als Othello wieder in die Race-Kategorie zurückgeschoben, oder wie Kimberlé Crenshaw schreibt reraced oder un-eraced (Crenshaw 1997, 103, 109). Crenshaws These lässt sich mit einem Titelbild der Time verifizieren. Auf dem Cover wurde O.J. Simpsons Haut dunkler eingefärbt als seine wirkliche Hautfarbe, was durch den direkten Vergleich mit einem identischen Newsweek-Titelbild derselben Woche unübersehbar wurde. Das Magazin behauptete zwar, dass alle Photos, gleichgültig welcher Race die Abgebildeten angehörten, mit Graphikprogrammen nachbehandelt würden und dass es sich bei dem Titelblatt ohnehin nicht um ein dokumentarisches Photo, sondern um eine ›Photo-Illustration‹ handele (Harper 1996, 127-130). Dennoch lässt sich kaum bestreiten, dass man den nun dunkeler eingefärbten O.J. Simpson als Verbrecher wahrgenommenen hat. Hier kommt die laut Crenshanw ›untouched suppressed ideas of blackness‹ wieder an die Oberfläche zurück und ›re-races‹ O.J. Simpson. (Abb. 23) Die Ideologie der Gleichheit für Frauen funktioniert anders. Die Frauenpolitik der neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts war sehr stark auf Sexual- und Körperpolitik ausgerichtet. Probleme wie Doppelbelastung durch
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Beruf und Familie, Chancengleichheit und gleicher Lohn für gleiche Arbeit waren möglicherweise schon auf dem Weg zur Lösung, aber die Verletzbarkeit des weiblichen Körpers durch sexuelle Gewalt hatte sich nicht gemindert und wurde immer deutlicher als ›ungerechter‹ Geschlechtsnachteil empfunden. Aus weiß-weiblicher Sicht war das Versprechen der Gender-Gerechtigkeit durch die Verwundbarkeit des weiblichen Körpers unterminiert. Generell blieben Frauen in dieser Sichtweise durch die patriarchalische Einstellung bedroht, ihren Körper als Privateigentum ihrer Familie zu betrachten. Besonders gut kann man dies an der langen Weigerung der Gesetzgeber sehen, Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand anzuerkennen.94 Hier hatten auch weiße Frauen einen Strauß mit der Justiz auszufechten, die ungenügenden Schutz bot, häusliche Gewalt nur zögerlich verfolgte und niedrige Strafen für die Täter aussprach.
Abbildung 23 Der Race-Gerechtigkeitsdisput mit der Justiz thematisiert ganz andere Probleme, nämlich das Recht, nicht belästigt, zusammengeschlagen, von vorneherein für schuldig gehalten und schließlich mit gefälschten Beweisen verurteilt zu werden. Dem Gender-Gerechtigkeitsdiskurs geht es um Schutz in der privaten Sphäre, in Liebes- und Verwandtschaftsbeziehungen, Wohnungen und Betten (Duncan 1996, 131). Andrea Dworkin, eine der leidenschaftlichsten Advokatinnen feministischer Sexualpolitik, erklärt ihre Sicht des Unterschiedes von Race- und Gender-Gerechtigkeit folgendermaßen: »While race hate is expressed through forced segregation, woman hate is expressed through forced closeness, which makes punishment swift, easy and sure« (Dworkin 1997, 49).
94 | Drucilla Cornell argumentiert, dass, solange Gleichheit nur der abstrakten Kategorie des Geschlechts zugebilligt und der ›sexual persona‹ kein Bürgerrecht – »worthy to equal citizenship« – verliehen wird, körperliche Integrität nicht mit Sicherheit geschützt werden kann (Cornell 1995, 7).
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A UTOBIOGR APHISCHE O PER ATIONEN – O.J. S IMPSON 6.7 Erzählformen Der O.J. Simpson-Prozess ist möglicherweise die erste gerichtliche Auseinandersetzung der amerikanischen Rechtsgeschichte, die aus nahezu jeder Perspektive autobiographisch ›erzählt‹ worden ist.95 Drei führende Staatsanwälte Christopher Darden, Marcia Clark, Hank Goldberg haben Bücher über sich und den Fall geschrieben, dazu vier der Verteidiger des ›Dreamteam‹, unter ihnen der Bürgerrechtsanwalt Johnnie Cochran und Alan Dershowitz, fünf Mitglieder der Jury, der Angeklagte selbst, und einige Zeugen, sowohl aussagende wie auch ungehörte. Sidonie Smith weist darauf hin, dass sich Lebensbeschreibungen in kulturell vorgebahnte Schneisen einfinden: »In telling their stories narrators take up models of identities that are culturally available« (Smith/Watson 1996, 9). Und der kognitive Psychologe Jerome Bruner spricht von ›possible lives‹ als Leitlinie einer Selbstbeschreibung, die sowohl in die Vergangenheit wie auch in die Zukunft reicht: »I believe that the ways of telling and the ways of conceptualizing that go with them become so habitual that they finally become recipes for structuring the experience itself, for laying down routes down into memory for not only guiding the life narrative to the present but directing it to the future.« (Bruner 1987, 31)
Insofern ist das Genre der Autobiographie ein Verhandlungsraum von vorgefundenem Diskurs und Übersetzung von Erfahrung in diesen Diskurs. Ist die Erzählung erst einmal formuliert, produziert sie ›Wahrheit‹. In Practice of Everyday Life schreibt Michel de Certeau: »The story does not express a practice. It does not limit itself to telling about a movement. It makes it« (meine Kursivierung) (De Certeau 1984, 81). Eine Erzählung liefert eine Auflösung (Closure), sie gibt einen ›Sinn‹ des Ereignisses. Für die große Mehrheit des weißen Publikums hatte der O.J. Simpson-Prozess keine Lösung, er machte für sie keinen Sinn. Die Redaktion der Los Angeles Times beendete ihren Dokumentationsband über den Prozess mit den Worten: »That discussion rages unresolved«.96 Der weiße Journalist Joseph Bosco beklagte den Mangel an befriedigender Auflösung mit der Forderung: »The mystery must be solved«, und der frühere Staatsanwalt Vincent Bugliosi drückte sein Missvergnügen mit dem Buchtitel Outrage (Entrüstung) aus. Die beiden 95 | Eine Amazon.com Recherche ergab 2003 99 lieferbare Titel mit Bezug auf den Prozess, 2010 sind es schon 380. Eine Key-Word-Suche in der Library of Congress bietet O.J. Informationen in Zehntausender Packs an. 96 | Los Angeles Times’ O.J. Simpson Reader (1995), 95.
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möglichen juristischen Lösungen – Verurteilung oder ›Beweis‹ der Unschuld – waren für ein weißes Publikum auf dieses ›soziale Drama‹ nicht in Anwendung zu bringen. Es blieb ungelöst durch einen ›Freispruch aus Mangel an Beweisen‹, oder präziser der Einstellung des Verfahrens aufgrund von begründeten Zweifeln an den Beweismitteln (Acquittal on reasonable Doubt). Das afroamerikanische Publikum dagegen sah in der O.J.-Geschichte durchaus eine Lösung. Ihr Happyend erzählte einen »Triumph der Gerechtigkeit« (Triumph of Justice). So fasst der afroamerikanische Rechtsprofessor Paul Butler seine Lesart des O.J. Simpson-Prozesses wie folgt zusammen: »At least criminal justice could work for an African American man. Even one charged with violence against a white woman, an allegation with historical resonance in the US« (Butler 1996, 31). Eine weiße Women’s Studies-Professorin dagegen schreibt in der New York Times ihre ›Geschichte‹: »This is a story about race and gender and how they intersect. It’s about a black man married to white woman being judged by black women.«97 Gleiche Ereignisse produzieren also in unterschiedlichen Erzählformen unter unterschiedlicher Perspektive unterschiedliche Lösungen (Closures), oder, um es mit dem schönen Begriff von Jacques Rancière auszudrücken: sie stehen im ›Unvernehmen‹.98 Hier kreuzen sich erneut die beiden Basisbinaritäten schwarz/weiß und Race/Gender und bilden sich überkreuzende Intersektionalitäten aus. Die schwarze Fabula99 der O.J. Simpson-Berichte ist eine Geschichte von Verfolgung und Verdammnis (Prosecution and Doom), ihre tragischen Helden, schwarze Männer, werden dort als hoffnungslose Kämpfer gegen das Klischee vom ›Black Beast‹ gezeigt. Earl Ofari Hutchinson schreibt: »When a black man was accused of a crime against a white woman […] guilt is not the issue« (Hutchinson 1996b, 11). Wie die meisten schwarzen Intellektuellen erkennt auch Toni Morrison im O.J. Simpson-Prozess ein Lynching-Szenario: »A media pogrom, a lynching with its iconography intact: a chase, a cuffing, a mob, name calling, a white female victim. And most of all, the heat, the panting, the flared nostrils of a pack already eager to convict« (Morrison/Lacour 1997, xiii). Die weiße Fabula dreht sich um Verbrechen und Strafe (Crime and Punishment). Diese teilt sich stärker als die schwarze Fabula entlang von Geschlechtergrenzen. Die Fabula weißer Frauen konzentriert sich auf Gewalt, insbesondere auf häusliche Gewalt und hat den Grundtenor ›Gewalt von Männern an Frauen führt zum Mord‹. Marcia Clark, die leitende Staatsanwältin äußerte diese 97 | New York Times, Oct. 8, 1. 98 | Kongeniale deutsche Übersetzung des französischen Titels ›Mesentente‹ (Rancière 2002). 99 | Die Verwendung des ›Fabula‹-Begriffs bezieht sich auf Narrationstheorien, die zwischen Fabula und Sujet unterscheiden. Jerome Bruner versteht Sujet als den ›plot of narrative‹ und Fabula als ›timeless underlying theme‹ (Bruner 1986, 7, 17-21).
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Grundüberzeugung am deutlichsten. Als sie erfuhr, dass O.J. Simpson des Mordes verdächtigt war, rief sie nach Aussage von Zeugen aus: »He is guilty as hell, he is a wife-beater. He is evil« (Bosco 1996, 1). In den Texten weißer Männer findet man eine etwas andere Fabula. Sie lautet ›Eifersucht führt zu Mord‹. Auf den ersten Blick wirkt ihre Fabula stärker rassisiert, als die der weißen Frauen. Denn im Herzen ihrer Eifersuchtsgeschichten tauchte immer das Miscegenation-Tabu auf. Shakespeares Othello ist in diesen Texten einer der am häufigsten genannten kulturellen Bezüge.100 Eine schwarz/männliche Erzählung kann grob zusammengefasst werden als ein modernes Märchen über die Unfähigkeit des weißen Mannes, das ›letzte Tabu‹ zu akzeptieren, nämlich ein Liebesverhältnis zwischen einer weißen Frau und einem schwarzen Mann (Hutchinson 1996b, 14f). Es muss demnach demonstriert werden, dass auch ein fast ›weißer‹ schwarzer Mann weder berechtigt noch in der Lage ist, mit einer weißen Frau eine glückliche Beziehung zu führen. Ishmael Reed spitzt zu: »The murder of a white person, especially a Nordic appearing white woman, puts the entire black male population under suspicion […] Many whites believed that Simpson had taken something that belonged to them. Their property – our women […] miscegenation had made people hysterical.« (Reed 1997, 177, 187, 191)
Aus vielen Stimmen der weiß/männlichen Perspektive klingt die Geschichte zunächst wie ein race-neutrales Thema, nämlich das von Ruhm und Vermögen (Fame and Fortune): Ein Held der Football-Arena mit einem dunklen Geheimnis entkommt der gerechten Strafe, weil er reich genug ist, sich die Freiheit zu erkaufen. Dieser Plot beschäftigt sich stark damit, dass ein hochbezahltes
100 | Man entrümpelte dabei mit dem sogenannten ›Othello-Syndrom‹ eine längst überholte psychoanalytische Theorie, die davon ausging, dass schwarze Männer, die eine weiße Geliebte haben, unter einer pathologischen Aggression leiden, weil sie ihren Race-bedingten Minderwertigkeitskomplex nicht mit ihrer Rolle als Mann einer ›überlegenen‹ Frau verbinden könnten (West 1968). Diese Theorie wurde zum Prozess auch in der Los Angeles Times aufgewärmt. Siehe Grier 1995 und Kellerman 1995. Sogar ein prominentes Mitglied des Verteidigungsteams, Alan Dershowitz, kann sich der Eifersuchts-Fabula des weißen Mannes nicht entziehen. Zum Prozessverlauf schreibt er: »The narrative of love, jealousy, rage, murder and suicide and this modern day Othello seemed to be moving inexorably towards a predictably tragic denouement« (Dershowitz 1996, 21).
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Anwaltsteam mehr Ressourcen zur Verfügung hat als die ›arme‹ Staatsanwaltschaft.101 Im ›White Men’s Plot‹ wird die Klassendimension stark gemacht.102 Die Narration weißer Frauen ist, wie zu erwarten, mit Geschlechterfragen befasst. Häusliche Gewalt bildet hier den Kern. Die Storyline geht ungefähr so: Sogar die Schönen und Reichen schlagen ihre Frauen, d.h. alle Frauen können eines Tages Opfer ihrer Intimpartner werden, gleichgültig, welch privilegierte Existenz sie sonst haben. In einer Boulevardzeitung wurde das Leben der ermordeten Ex-Gattin von O.J. Simpson unter folgender warnender Überschrift zusammengefasst: »How domestic violence and murder can spring out of a context of enormous adulation, bonhomie, luxury and love« (Weller 1995, X). Auf den ersten Blick erscheinen beide weiße Sujets farbenblind. Wirft man aber einen Blick auf die Fabula, sieht man schnell, dass auch sie rassisiert sind. Die Fabula des weißen Mannes konzentriert sich auf Eifersucht in gemischtrassigen Beziehungen. Marcia Clarks Charakterisierung von O.J. Simpson als ›evil‹ verweist auf manichäisch religiöse Bilder vom weißen Gott und dem schwarzen Teufel. Die vergeschlechtlichte Substruktur der Erzählungen ist ebenfalls offensichtlich. Die Othello-Fabula funktioniert nur, wenn ein eifersüchtiger schwarzer Mann als Mörder angenommen wird. Themen häuslicher Gewalt werden ebenso klar in Geschlechterordnungen von männlichem Verursacher und weiblichem Opfer gelesen. Gleichgültig, wie sehr sich die Geschichten hinter oberflächlich farbenblinden und geschlechtsneutralen Sujets verstecken mögen, die Fabula ist tief in Race- und Gender-Mythologien verwurzelt.
6.8 Frauenbilder in Schwarz und Weiß ›Das Private ist politisch‹ war einer der Hauptslogans des Second-Wave-Feminism. Subjektive Standpunkte bekommen damit den Status von Befreiungsdiskursen.103 Die weiße Staatanwältin Marcia Clark bewegt sich in ihrem Bekenntnisbuch Without Doubt in diesem Muster. Sie ändert den feministischen Slogan geringfügig ab: »Just all good politics is local, all good history is personal«.104 Indem sie die Reichweite des ursprünglichen Slogans verlängert, präsentiert sie 101 | Alan Dershowitz entwirft ein üppiges Bild, in dem Luxusautos eine wichtige Rolle spielen: »The Simpson Case was the first and most multiple car rash on information superhighway, and the cars where all Mercedesses, Bentleys and Rolls Royces« (Dershowitz 1996, 16). 102 | Nach Darnell Hunt entspricht das dem ›Celebrity Defendant Project‹, das dem Angeklagten vorwirft, er habe sich seine Verteidigung mit seinem Reichtum erkauft (»too much money«) (Hunt 1999, 46). 103 | »Feminine subjectivity requires a representative status in order to be liberating« (Ostrov Weisser 1996, 4). 104 | Clark 1997, 3. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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sich selbst als Bewegerin der Geschichte und exemplarische Frau, die, wenn man sie zur rechten Zeit am rechten Ort positioniert, einen großen Einfluss auf die Emanzipation der Frau im Allgemeinen haben kann, indem sie Anliegen der Frauenbewegung auf die nationale Tagesordnung setzt. Clarks Anspruch wurde vom postfeministischen Diskurs aufgenommen. Die Zeitschrift Ms wählte sie wegen ihres Engagement gegen Domestic Violence im O.J. Simpson-Prozess zur Frau des Jahres. Die Oktobernummer von 1994 erschien mit einem Cover, auf dem eine scheinbar endlose Liste von Frauen abgedruckt war, die von ihren Partnern und Ex-Partnern ermordet worden waren. In der Einleitung stand: »Every year 1.500 women and girls […] are killed. There are no memorial walls bearing the names of the women who had lost their lives at this war waged at home«. Der Rekurs auf ein »memorial wall« bezieht sich auf Namenslisten in Vietnam- oder Holocaust-Mahnmalen. Ms versucht damit, misshandelten und getöteten Frauen einen Ehrenplatz im kollektiven Gedächtnis einzuräumen, indem sie die Opfer häuslicher Gewalt in der Rhetorik von Kriegsopfern präsentiert.105 Marcia Clark wählt in ihrem Buch einen kolloquialen Tonfall, der mit Alltagssprache und Polizeijargon durchsetzt ist. Was die Geschlechterbeziehungen angeht, konstatiert sie nüchtern: »I’ve never been one to cry sexism. But I know the score. I know that I have to be tougher and better than the guys I work with« (117). Der Wunsch, eine von den Jungs zu sein, steht im scharfen Gegensatz zu der Rhetorik leidender Selbsterfahrung, die Clark anschlägt, nachdem das Urteil gesprochen wurde und sie damit als Staatsanwältin den Prozess ›verloren‹ hatte. Die Erzählerin spricht von Orientierungsverlust und Verwirrung. Sie sei von ›Wogen der Trauer‹ überspült worden (470). Damit befand sie sich im Einklang mit der Mehrheit des weiß/weiblichen Publikums. Alan Dershowitz berichtet von der Aussage einer anderen weißen Frau: »The acquittal was like a swift kick in my stomach. I felt nauseated, pained, frightened, even violated, as I heard the words ›not guilty‹« (Dershowitz 1996, 16). Dieser Wechsel des Sprachgestus entspricht auch einem Wechsel des Stylings, dem sich die Staatsanwältin während des Prozesses unterzog. Der lässige Strubbel- und Minirock-Look der ersten Auftritte wurde durch ein damenhaftes Outfit mit knielangem Kostümrock und geglätteter Föhnfrisur ersetzt. Die Feminisierung von Clarks Image spiegelte auch einen Wechsel der Prozessstrategie wider, die zuerst auf Gewalt in der Ehe abgestellt war, was sie mit ihrem burschikosen Auftreten unterstrich. Als sie dann auf einen Indizienprozess mit einem ›mountain of evidence‹ umschwenkte, brachte sie sich wieder in den objektivierten männlichen Diskurs ein, eben als weibliche Hälfte. Ein drittes Stadium der Selbstinszenierung erreicht Clark auf dem Cover ihres Buches. 105 | Unter diesen Auseinandersetzungen liegt die Frage »Wem gehört der Holocaust?« Zur »Amerikanisierung des Holocaust«, siehe Sielke 2000.
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Abbildung 24 und 25 Auf dem Umschlagphoto sitzt sie in einem Bauwollsweater und Jeans lässig auf einer Leiter und verkörpert das klassische ›Mädchen von Nebenan‹ (Girl next Door). Das Bild soll signalisieren, dass der autobiographische Prozess ein erfolgreicher Pfadfinder zum eigentlichen Ich gewesen ist, wie auch der Titel Without Doubt signalisiert. (Abb. 24) Auf dem Rücken des Umschlags ist nur Clarks Hals abgebildet. Man sieht, eingerahmt von einer Jeansjacke, eine Kette auf der nackten Haut mit einem Anhänger, auf den das Wort »Faith« eingraviert ist. Der Anhänger gleicht den Erkennungsmarken, mit denen verwundete oder tote Soldaten identifiziert werden können. Die semantische und visuelle Fusion von Schmuck, Kampf, Soldatentum und Glauben reflektiert sowohl die ermächtigende Kapazität des Opferdiskurses als auch noch einmal den Anspruch, Anschluss an die National Narrative zu bekommen. (Abb. 25) Die afroamerikanischen Jurorinnen wählen in ihrem gemeinschaftlichen Buch zum Prozess, Madam Forman, einen anderen visuellen Stil der Selbstdarstellung. Anstatt sich wie Clark nach dem erschöpfenden Prozess gelockert zu präsentieren, zeigt ihr Buchumschlag ein Triumvirat von eleganten Damen in blauen Business-Kostümen und gestärkten weißen Blusen (Abb. 26). Während Marcia Clarks Image von der Forschheit zur Feminisierung wanderte, um am Schluss wieder bei einer geläuterten Forschheit zu landen, versuchen die afroamerikanischen Geschworenen vor allem, ein Image von Professionalität und Respektabilität gegen die Woge von Kritik zu setzen, der ihr Freispruch nach sich gezogen hatte. »The acquisition of professionalism is sexualized: its asser-
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tion masculinizes as well as whites«, schreibt die afroamerikanische Juraprofessorin Patricia Williams,106 und sie fügt hinzu, dass bei schwarzen Frauen auch professionelles Auftreten nicht gegen ihre Blackness ankommt: »I was raised to be acutely conscious of the likelihood that no matter what degree of professional I am, people will greet and dismiss my black femaleness as unreliable, untrustworthy, hostile, angry, powerless, irrational, and probably destitute«.107
Abbildung 26 Houston A. Baker wählt als afroamerikanischen Modus autobiographischen Sprechens das Wort »repudiating« (als unberechtigt zurückweisen) (Baker 1972). William Andrews spricht von einem Gestus des Widerspruchs gegen »historically diminishing images« (Andrews 1986, 5). Geringfügig variiert kann man hier von der Jurorinnen-Autobiographie als Antwort auf ein eingeschliffenes Vorurteil sprechen. Die Erzählungen der Geschworenen bewegen sich entlang bekannter 106 | Williams 1991, 198. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 107 | Ebd. 147. Aber es gab noch einen zweiten Grund für die schwarzen Geschworenen, sich sichtbar zu machen: Die Strafprozessordnung erfordert, dass die Juroren während des Prozesses weder sprechen noch in den Live-TV-Mitschnitten zu sehen sein dürfen, d.h. die Fernsehkameras zeigen alle Prozessbeteiligten außer den Juroren. Diese Position allegorisiert gewissermaßen die Lage schwarzer Frauen. Joanne Braxton beginnt ihre Studie über die Autobiographie afroamerikanischer Frauen mit den Sätzen: »We have been as invisible to the dominant culture as rain. We have been knowers, but we have not been known.« (Meine Kusivierung) (Braxton 1989). Zur rechtlichen Valenz des Jury-Spruchs siehe auch Alexander 1995.
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Tatsachen benachteiligter afroamerikanischer Lebensumstände und bestreiten im gleichen Atemzug, dass diese einen negativen Einfluss auf den Charakter der Erzählerin gehabt haben. Die Geschichte entwickeln sich ungefähr folgendermaßen: ›Ja, wir waren sehr arm, aber meine Eltern haben mich gut versorgt, und wir hatten jeden Tag Essen auf dem Tisch‹, oder: ›Ja, wir waren zwar viele Kinder, aber wir wurden streng erzogen und lebten nicht auf der Straße‹, oder ›Ja, wir hatten schon als Teenager uneheliche Babys‹, – bei zwei Jurorinnen war das der Fall – ›aber wir haben unsere Kinder gut versorgt und die Schule abgeschlossen‹.108 bell hooks nennt den Schreibgestus afroamerikanischer Frauen ein »Zurücksprechen« (Talking back). Die Geschichten der schwarzen Geschworenen sind Überlebensgeschichten, die über die Mühen berichten, wie trotz eines rassistischen Umfeldes ein wertvolles und anständiges Leben geführt werden kann. »Collective black female experience has been about the struggle to survive in diaspora«, schreibt bell hooks und warnt davor, dieses ›Überleben‹ mit einem Selbstverwirklichungsprozess zu verwechseln, wie er in den Emanzipationsnarrationen weißer Frauen generisch ist: »Opposition and resistance cannot be made synonymous with self-actualization«.109 Das bedeutet freilich nicht, dass Gewalt in intimen Beziehungen auf die leichte Schulter genommen wird. Marcia Clarks Konstruktion der reichen und privilegierten Nicole Simpson – ein langjährigen Opfer ehelicher Gewalt – überzeugte die Geschworenen nicht. Carrie Bess protokolliert: »My husband William Bess and I broke up. One day he jumped on me. That was it for me« (Cooley/Carrie/Rubin-Jackson 1995, 51). Genau so nüchtern kommentiert Amanda Cooley: »Zeke and I separated due to his alcoholism and the traumatic effects he experienced from the Vietnam war« (ebd. 35). In den Autobiographien der afroamerikanischen Geschworenen sind Verletzungen durch Männer nicht der wichtigste Punkt. In ihren Lebensbeschreibungen ist die Frage von Race weitaus wichtiger als ihre Geschlechtsidentität. Eine Jugend in Armut, keine Ausbildungschancen und das Leben in vergleichsweise gefährlichen Stadtvierteln wird als eine Frage von Race verstanden, nicht als eine von Gender. Die weiße Staatsanwältin ließ sich von der irrigen Annahme leiten, die Geschlechtswahrnehmung der schwarzen Jurorinnen sei im Prinzip die gleiche wie die von weißen Frauen. Eine lange Tradition der Klage schwarzer
108 | Die Autobiographieforscherin Sidonie Smith weist darauf hin, dass Autobiographien von diskriminierten Bevölkerungsgruppen in einem grundsätzlichen Dilemma stecken: »Oppressed subjects can either comply with these discursive pressures or manoeuvre through them in search of resistance« (Smith 1993, 406). 109 | hooks 1992b, 51. Stephen Butterfield schreibt zur afroamerikanischen Autobiographie: »the self in black autobiography is not an individual with a private career […] but […] conceived as a member of an oppressed social group with ties and responsibilities to other members« (Butterfield 1979, 2-3).
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Frauen gegen Universalisierungstendenzen des weißen Feminismus hätte sie eines Besseren belehren können.110 Als besonders verhängnisvoll erwies sich, dass Marcia Clark die unterschiedliche Konzeption von Leiden in weißen und schwarzen Lebensgeschichten nicht verstanden hat. In der afroamerikanischen Autobiographie ist Leidensfähigkeit ein Mittel der Tilgung, des Ausgleichs und der Erlösung, ein »redemptive tool«, wie Mary Burgher es ausdrückt (Burgher 1979, 119). Leidensfähigkeit ist hier keine Waffe in den Geschlechterkriegen oder ein Opferkapital, sondern eine Kraftquelle persönlichen Überlebens, der Entwicklung eines Race-Selbstbewusstseins und der Reinigung (Purification). Marcia Clarks Erzählung dagegen ist eine Narration der Konversion (Conversion Narrative). Die Voraussetzung für ihre Identitätsbildung ist die Erkenntnis männlicher Herrschaft und das Abschütteln des Joches. Der Lebensweg wird als eine Reise aus dem Dunkel, der Unwissenheit und der Unterdrückung ins Licht der Erkenntnis und Selbstermächtigung beschrieben. Der Gender-interne Konflikt schwarzer und weißer Frauen macht im O.J. Simpson-Prozess deutlich, dass hier Kollektivgeist gegen Individualismus steht, Überleben gegen Selbstverwirklichung und Verantwortungsbewusstsein gegen Freiheit. So ist wenig verwunderlich, dass Anklage (Marica Clark) und Urteil (Jury) nicht zum gleichen Ergebnis kommen.
6.9 Männerbilder in Schwarz und Weiß Der lebensgeschichtliche Konflikt zwischen Marcia Clark und den Geschworenen hat sich noch an einer klassischen Grenze abgespielt, der Racial Divide. Noch komplexer wurde es, wenn die Prozessparteien der gleichen ›Race‹ gegnerischen Positionen annahmen, wie die beiden afroamerikanischen Prozessgegner, Verteidiger Johnnie Cochran und Staatsanwalt Christopher Darden mit ihren Lebensgeschichten. Beide positionieren sich mit Bedacht in der Tradition afroamerikanischer exemplarischer Autobiographie. Cochran z.B. löst eine Gewissenskrise – er hatte es versäumt, an Martin Luther Kings legendärem Marsch nach Washington teilzunehmen –, indem er sich seinen afroamerikanischen Vorvätern und deren Maskulinitätsprojekt zuwandte: »I realized Du Bois’s descriptions, how Frederick Douglass has resolved his own inner struggle because he bravely stood for the ideals of his early manhood – ultimate assimilation through self-assertion, and on no other terms« (Cochran 1996, 85). Christopher Darden schreibt, er habe seine geistige Heimat in einem Seminar über afroamerikanischer Kultur gefunden. »We read black writers like Du Bois, Ralph Ellison, and Richard Wright. I wasn’t just instructed in these classes. I was de-
110 | Higginbotham 1992, 255. Diese Art von Irrtum ist, wie George Yúdice sagt, konstitutiv für jede »ethics of oppression« (Yúdice 1995, 281).
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fined«.111 Obwohl also beide ein gleiches Genre für sich in Anspruch nehmen, signalisieren nicht nur beider Buchtitel ein unterschiedliches Projekt – In Contempt (Darden) und Journey to Justice (Cochran) –, sondern sie differieren auch erheblich in der Plotstruktur. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass einer der beiden Kontrahenten den Prozess ›gewonnen‹ und der andere ihn verloren hat. Robert Steptoe charakterisiert die Hauptlinie der afroamerikanischen autobiographischen Tradition als eine Erzählung des Aufstiegs, eine ›Narrative of Ascent‹ (Steptoe 1979, 67). Nach Steptoe entwickelte sich das Genre über die Jahrhunderte zu einem ›Call and Response‹-Muster, dessen Eckpfeiler Frederick Douglass Slave Narrative, Richard Wrights Black Boy und schließlich Malcolm X’ Autobiographie bilden. Als außergewöhnlich selbstreflexive Tradition steht die afroamerikanische Biographie immer mit der Race-Politik der USA in Verbindung »addressing and altering sociopolitical as well as cultural realities« (Andrews 1993, 1). Das Selbst wird in der afroamerikanischen Autobiographie sowohl von Männern wie auch von Frauen als ›historical self‹ begriffen (Stone 1973). In Übereinstimmung mit den Genrekonventionen spricht Cochran von seiner ärmlichen Kindheit in Louisiana, von seinen frommen, hart arbeitenden Eltern, die ihre Kinder Selbstrespekt und den hohen Wert von Bildung lehrten. Zielgerichteter Ehrgeiz, gemildert durch Religiosität und Hingabe an die Eltern, führten zu einer außergewöhnlichen Karriere als Jurist, zuerst in die der Staatsanwaltschaft und dann in eine erfolgreiche Kanzlei. Kathartische Momente von Krise, Zweifel und Zorn erlebte er in juristischen Niederlagen. Er scheiterte daran, den wegen eines vermutlich untergeschobenen Mordes verurteilten Black Panther Geronimo Pratt aus dem Gefängnis zu holen. Gebete und väterlicher Rat halfen ihm aus der Krise und erneuerten die Selbstverpflichtung zu einer Journey to Justice. Der juristische Sieg im O.J. Simpson-Prozess wird im Text zu einer Apotheose und Belohnung für die »dark nights of the soul« (Cochran 1996, 143). Die Niederlagen übersetzen sich im Nachhinein zu ›Versuchungen‹ auf dem Weg zur Erlösung. Entsprechend präsentiert Cochran sich visuell. Mit über der Brust gekreuzten Armen strahlt er auf dem Buchumschlag vor Selbstbewusstsein und Zuversicht. Wohlstand und Mut zur ostentativen Eleganz wird durch Designerbrille und opulente, weiße Manschetten signalisiert. Ein Kreuz auf dem Revers verweist auf religiöse Affiliation. Seine säkulare Berufung wird durch den Bildhintergrund eines 111 | Darden 1996, 53. Johnnie Cochran greift Du Bois’ Konzept der tragischen Zweiheit (Tragic Twoness) auf, die jedem schwarzen Mann auf der einen Seite das diskriminierte Außenbild seiner Person zurückspiegelt und der sich andererseits als vollberechtigter Bürger und wertvolle Persönlichkeit fühlt. Er behauptet, sein Prozessgegner Christopher Darden sei an diesem Doppelbewusstsein gescheitert: »[His] […] unresolved ›two-ness‹ [is] a difficult burden for an African American professional to bear in this society« (Cochran 1996, 369).
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Gefängnishofes aufgezeigt, dem häufigen Aufenthaltsort seiner Mandanten. Seine visuelle Selbstinszenierung ist darauf ausgerichtet, sich als afroamerikanische Führungspersönlichkeit zu präsentieren, mit allen Requisiten des Race-Up-Lifts ausgestattet: Wohlstand, Bildung, Religion und soziale Verantwortung. (Abb. 27) Christopher Dardens Autobiographie liest sich wie eine Inversion der generischen Narrative of Ascent bezüglich der Storyline und der thematischen Zuspitzungen. Er konzeptualisiert seine Lebensgeschichte ganz ähnlich wie die seiner weißen Kollegin Marcia Clark als eine ›Wendepunkterzählung‹. Er berichtet vom temporären Abgleiten in die Kleinkriminalität während der Zeit an der Universität. Sein Konversionserlebnis ereilt ihn im Wald, wo er sich vor der Polizei versteckt, nachdem er bei einem Kaufhausdiebstal beinahe erwischt worden wäre. In einer Abbildung 27 plötzlichen Erleuchtung erkennt er: »I lay there in that muddy field, cold and miserable, marveling how stupid I was […] I was constantly endangering everything I’d accomplished […] I don’t know if I ever disliked myself again so much as I did that rainy day«.112 Darden begreift sich als Opfer, als »victim of his own guilt«, (51) das Angst vor seinem eignen Erfolg bekommen hat. Er habe sich nicht berechtigt gefühlt, bessere Leistungen und Aussichten als die meisten anderen Afroamerikaner zu haben. Interessanterweise folgt Christopher Darden hier der Rhetorik der weißen post-feministische Geschichte. Auf seinem Buchumschlag präsentiert er sich in düster brütender Pose, ein tragischer Held, der noch immer über einen dunklen Moment der Justizgeschichte nachdenkt. Sein Blick und sein Arm sind einer ungewissen Zukunft zugewandt. Wie ein Kommentar zu seiner Adaption des feministischen Erzählmusters und seiner untergeordneten Stellung als zweiter Staatsanwalt, sieht man Marcia Clark als Über-Ich über seiner Schulter dräuen. (Abb. 28). Albert E. Stone bezeichnet die afroamerikanische Autobiographie auch als »ritual journey from opression to opportunity« (Stone 1973, 76). Auch Dardens Erzählung hält sich an diese Konvention, doch die dramatische Peripetie des Textes ist kein Schlüsselerlebnis des Kampfes gegen den Rassismus, sondern genau das Gegenteil. Im Prozess hatte er die undankbare Aufgabe, der Jury zu erklären, warum jene Tonbandaufnahmen nicht als Beweismittel zugelassen wurden, auf denen der Hauptermittler, Police Officer Mark Fuhrman, 112 | Darden 1996, 50 Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert.
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zweiundvierzig Mal das beleidigende Wort ›Nigger‹ benutzt hat. Darden argumentierte, dass eine überwiegend afroamerikanisch besetzte Jury darüber dermaßen erzürnt sein würde, dass sie die notwendige Unparteilichkeit verlöre. Verteidiger Cochran attackierte den Staatsanwalt daraufhin als ›Uncle Tom‹, der sich von einer rassistischen Polizei benutzen lasse und deren Vorurteile auch noch verharmlose (204). Das beleidigende ›N-word‹, wie man es im Prozessfortgang formulierte, war der Wendepunkt des Verfahrens. Die schuldzuschreibende Macht einer rassistischen Beleidigung spielte hier exakt dieselbe Rolle wie im Clarence ThomasHearing der Hightech-Lynching-Vorwurf. Sie lähmte und delegitimierte die Anklage gegen O.J. Simpson. Theoretiker der Critical Race Theory analysieren in der Anthologie Words that Wound, dass rassistische Beleidigungen dominieren und verletzen, ja sogar körperliche Schmerzen verursachen können (Matsuda/ Lawrence/Delgado/Crenshaw 1993). Diese virtuelle Potenz des ›N-word‹ entfaltete im Prozess sein volles Gewicht und neigte die Waagschale der konkurrierenden Opferdiskurse auf die Seite von O.J. Simpson. Dardens Bemühungen, eine Privatperson Fuhrman zu konstruieren, die rassistische Beleidigungen ausstößt, und diese von einem Polizeibeamten Fuhrman zu trennen, der objektive und sorgfältige Polizeiarbeit macht, war der Anfang der Niederlage der Staatsanwaltschaft. Paradoxerweise wurde Darden zum Opfer eines Eindruckes, dass er von den Worten, ›die verwunden‹ nicht verletzt werden konnte. Er fühlte sich stattdessen vom Gegenteil verletzt, von dem ihm zum Vorwurf gemachten Wort ›apologist‹ (Verharmloser), das ihn in der Konsequenz zum Außenseiter in der eigenen GemeinAbbildung 28 schaft machte.113 Der Titel von Dardens
113 | Tatsächlich war Christopher Darden von Fuhrmans exzessivem und beleidigendem Gebrauch des Wortes ›Nigger‹ tief beleidigt. Die Tonbänder wurden während einer Expertenberatung mit einer Drehbuchschreiberin aufgenommen und waren dazu gedacht gewesen, lebensechte Atmosphäre für ein Drehbuch zu vermitteln. Robert Shapiro erinnerte sich deutlich an Dardens entsetzten und angeekelten Blick, als er zum ersten Mal die Fuhrman-Bänder anhörte (Shapiro 1996, 323).
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Buch In Contempt114 reflektiert seine ortlose und komplizierte Position, für die sogar ein politologischer Begriff, »the Darden Dilemma«, geprägt wurde (Cose 1997).
6.10 ›White Male Noise‹ Nach den vielen ›deplazierten‹ Stimmen wenden wir uns am Schluss einer im Prozess selbst nicht repräsentierten aber im Medienkosmos omnipräsenten Stimme zu, der von weißen Männern.115 Idealtypisch wurde sie von dem früheren Staatsanwalt Vincent Bugliosi dargestellt. Er verankerte seine Erzählung in der allgemeinen Entrüstung und nannte sie Outrage. Sein Bestseller brachte die Auffassung der weißen Majorität zum Ausdruck, die das Urteil ein Armutszeugnis für die Gerechtigkeit interpretierte. Interessanterweise fasst Bugliosi diese Meinung in einer vergeschlechtlichten Metapher, nämlich als eine Fehlgeburt der Justiz (Miscarriage of Justice). Im Furor des Zola’schen J’Accuse schlägt er auf alle Beteiligten ein, insbesondere auf die Jury und die Staatsanwaltschaft. Er denunziert die dort Agierenden als Idioten und Schwachköpfe, die ihren Beruf verfehlt hätten. Nach Bugliosis Auffassung hat O.J. Simpson nicht nur eine weiße Frau ermordet, es war auch noch seine weiße Ex-Frau. Und um das Maß der Unerträglichkeit voll zu machen, tötet er auch noch einen zufällig anwesenden weißen Mann, der versucht hatte, sein Opfer zu beschützen. Angeklagt wurde Simpson von einer hysterisierten feministischen Frau (Clark) und ihrem Token, einem schwarzen Gehilfen (Darden). Der eigentlich vorgesehene weiße Staatsanwalt, Tom Hodgeman, hielt dem Druck nicht stand und musste ins Krankenhaus. Simpson wurde von jüdischen Liberalen (Shapiro und Dershowitz) und einem agitierenden ›Race-Man‹ verteidigt,116 und schließlich entriss ihn eine Jury armer und ungebildeter afroamerikanischer Frauen seiner gerechten Strafe. Auf dem Cover seines Buches ist eine Pressephoto von O.J. Simpson abgedruckt, das sein berühmtes schiefes Grinsen – in der feindlichen Presse allgemein als ›leer‹ (anzügliches Grinsen) bezeichnet – nach seinem Freispruch zeigt. (Abb. 29)
114 | Die Rechtsformel »In Contempt« (Missachtung des Gerichts) wird eingesetzt, um ungebührliches Betragen von Prozessteilnehmern zu disziplinieren. Staatsanwälte und Verteidiger können während des Prozesses aufgrund dieser Regel kurzfristig zu Geldund sogar Haftstrafen verurteilt werden. Das ist Christopher Darden passiert. 115 | Die weißen Anwälte des Dreamteams sprachen ja nicht als weiße Männer sondern für den Angeklagten O.J. Simpson. 116 | ›Race Man‹ ist eine Bezeichnung für afroamerikanische Männer, die Stolz über ihre Hautfarbe und Zorn über ihre Diskriminierung zum Zentrum ihrer Existenz gemacht haben. So sind die Bürgerrechtsführer Race-Men, aber auch Ossie Davis und Spike Lee. Siehe exemplarische Analyse unter dem Titel Race Men von Hazel Carby (Carby 1998).
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In diesem archetypischen Szenario wird alles auf die Bühne gebracht, was in den Augen weißer Konservativer falsch am Amerika der neunziger Jahre ist: Die Schwäche weißer Maskulinität, die angenommene Unfähigkeit weißer Männer, für ihre Sache geradezustehen, die Nachsicht, Sympathie und unterstellte sexuelle Kompetenz, die man afroamerikanischen Sportlern (Simpson, Tyson) und Musikern (Jackson und Gangsta Rap) zubilligt. Hinzu kommen zeternde Feministinnen, die die Machtbalancen und damit die Sicherheit und den Frieden innerhalb der Familien stören. Als besonderes Ärgernis wird schwarze Emanzipationsrhetorik vermerkt, die ununterbrochen die längst erledigte Race-Frage in der Diskussion hält, und nicht zuletzt besteht die Jury angeblich auch noch aus ›Welfare Queens‹, die ständig Kriminelle zur Welt bringen und dann später deren Untaten entschuldigen. Outrage (Schmach, Schande, Empörung, Entrüstung) ist das einzig mögliche Wort, den Gemütszustand der ›Silent Majority‹ wiederzugeben. Bugliosis Text repräsentiert mehr oder weniger idealtypisch die Diskursformation des New-Cultural-Racism, wie die Critical Race Theory postmoderne Rassismen nennt (Crenshaw/Gotonda 1995). Richard Delgado entwirft eine virtuelle Kerngeschichte (stock Story) des Cultural Racism: ›Die Sklaverei war ein Verbrechen und eine Schande für die Menschheit. Die Rekonstruktion und die Jim Crow-Gesetze waren eine historische Periode von niederträchtigem weißem Rassismus, jedenfalls im Süden der Vereinigten Staaten. Das Civil Rights Movement und geänderte Gesetze habe Gerechtigkeit gebracht. Natürlich gibt es noch Rassismus, aber nur von sehr wenigen pathologischen und böswilligen Menschen, die man mit der vollen Kraft des Gesetzes bestrafen sollte. Im Alltagsleben dagegen hat Rassismus aufgehört zu existieren. Es gibt nur noch soziale Probleme wie Wohlfahrtsabhängigkeit und Kriminalität in bestimmten Wohnvierteln der großen Städte. Schwarze Menschen haben häufig diese Probleme. Abbildung 29 Genaugenommen sind sie das Problem.117 Unter den bereits erwähnten Ideologien der Farbenblindheit und der impliziten Verschiebung des Race-Ressentiments auf Probleme der Sozialpolitik und Kriminali117 | Vgl. Delgado 1995.
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tät118 verbirgt sich erfolgreich sein eigentliches Projekt, nämlich die weiß-männliche Frustration an den anhaltenden Forderungen nach Race- und Gender-Gerechtigkeit von weißen Frauen und schwarzen Frauen und Männern. Trotzdem fühlt sich Bugliosi bemüßigt, ein paar rituelle Figuren von Anti-Rassismus anklingen zu lassen. In seinem Schlußplädoyer faßt er zusammen: »As if African Americans haven’t suffered enough throughout this nation’s history because of the calcified minds of squint-eyed bigots, because of their fiercely partisan and ultimately unjustified of someone most known to be a savage killer, they may start suffering though more indirectly through the hands, who have traditionally been supportive of them.« (Bugliosi 1996, 278)
Nur der erste Punkt seiner Jeremiade reflektiert eine historisch unbestreitbare Quelle von Rassismus, die Sklaverei. Punkt zwei und drei dagegen sind Umkehrungen, die das Opfer von Rassismus für die Tatsache des Rassismus verantwortlich machen (Blaming the Victim). Sie implizieren, dass Rassismus deshalb stattfindet, weil Afroamerikaner glauben wollen, O.J. Simpson sei unschuldig. Oder weil wohlmeinende Weiße jetzt wütend auf alle Afroamerikaner seien. Diese Verkehrung von Ursache und Wirkung, die Äußerung des Vorwurfs von Rassismus in einen Grund zu verwandeln, warum es überhaupt rassistische Ressentiments gibt – so verstanden aus enttäuschter Gutwilligkeit – beschreibt Judith Butler als ein »metaleptisches Verfahren«.119 Dieses stilisiert die Wirkung einer Tat in Nachhinein zum Grund für dieselbe um, damit die Tat als legitim und notwendig dargestellt werden kann. Indem die schwarze Community als unvernünftig, unfair, parteilich und sogar als einen Gattenmord entschuldigend porträtiert wird, erscheint die Gegenreaktion, eine hohe Verurteilung zu fordern, nur logisch. Begreift man die Gegner als feindlich, erscheint es nicht unbillig, sie hart zu behandeln. Und damit schließt sich der Kreis der Argumentation Bugliosis. Er legitimiert Rassismus in derselben Bewegung, mit der er seine Existenz bestreitet und gleichzeitig die Opfer für seine Existenz verantwortlich macht. Was dabei der Aufmerksamkeit entgleitet, ist die Tatsache, dass er die ganze Black Community für die vermuteten Taten eines Einzelindividuums verantwortlich macht. Dieser Schluss vom Einzelnen auf die Gruppe ist die systematische Voraussetzung aller Diskriminierung, Rassismus und Sexismus gleichermaßen. 118 | Jonathan Markowitz spricht von der weiß/männlichen Berichterstattung als dem Heraufbeschwören von »Blackness als Racialiced Violence« und der Erfindung eines Prototypen, des »Criminalblackman« (Markovitz 2004, 69, 82). 119 | Butler 1998, 75. Die Denkfigur ist aus Nietzsches Genealogie der Moral entliehen. Dort schreibt er: »[…] Es gibt kein ›Sein‹ hinter dem Tun, Wirken, Werden; ›der Täter‹ ist zum Tun bloß hinzugedichtet – Das Tun ist alles«. Zitiert nach (Butler 1998, 69).
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Der ermittelnde Polizist Mark Fuhrman, dessen häufiger Gebrauch des Wortes ›Nigger‹ den Prozess entscheidend beeinflusst – wenn nicht entschieden – hatte, geht in seiner Autobiographie zum Prozess bei der rhetorischen Verhandlung von Rassismus noch einen Schritt weiter. In einer Gegenbewegung beschuldigt er das Team der Verteidigung des Rassismus: »They took advantage of racial sensitiveness and exploited this country’s horrible legacy of injustice toward black people. They had no defense other than their client’s skin color. If that isn’t racism, I don’t know, what it is.« (Fuhrman 1997, 268)
Diese Strategie lenkt von der Anschuldigung, Rassist zu sein, ab, indem man den Ankläger selbst des Rassismus bezichtigt, allein deshalb, weil er vom Standpunkt seiner Race spricht. Das führt dazu, dass über Race zu sprechen als ein Heraufbeschwören des Gespenstes des Rassismus gesehen wird. Butler nennt diesen Prozess einen ›performativen Selbstwiderspruch‹: »An act of speech that in its very acting produces a meaning that undercuts the one it purports to make«.120 Auf Rassismus übertragen bedeutet das, derjenige, der Rassismus zur Sprache bringt oder jemanden anderen des Rassismus anklagt, im Auge eines weißen Dritten als Rassist angesehen werden kann. Richard Yúdice arbeitet in seinem Essay »What’s White Straight Man To Do?« heraus, dass die Abwesenheit des weißen Mannes als Interessenvertreter seiner selbst innerhalb des O.J. Simpson-Prozesses ein Gefühl von Ohnmacht hervorgebracht hat. Das bezog sich vor allem auf die Sorge, die Definitionsmacht über die kulturellen Standards verloren zu haben. Eine Strategie, sich die Kontrolle zurückzuerobern, sei es, eine Opferrolle – in diesem Fall das angebliche Leiden daran, für einen Rassisten gehalten zu werden – zu okkupieren. Um dieser Botschaft gesellschaftliche Akzeptanz zu verschaffen, müsse man sich die ›Rhetorik des Unterdrücktseins‹ (Rhetoric of Oppression) aneignen (Yúdice 1995, 271). Damit wird letztendlich auch der Text von Bugliosi, wie auch schon der seiner weißen Anwaltskollegen im Prozess selbst, zu einem hybriden Genre. Da das Programm des Selfmade Man, die Welt zu gestalten, sich durch die Niederlage im O.J. Simpson-Prozess nicht erfüllt hat, greift auch Bugliosi – freilich aus ganz anderen Gründen als Darden und Shapiro – auf einen Opfertext zurück, der sein Genre problematisch macht. Er fühlt sich als Opfer eines ungerechtfertigten Rassismusverdachts. Die zusammenbrechenden Genrekonstruktionen der oben beschriebenen deplazierten Erzählungen zeigen, dass man nicht ist, was man zu sein glaubt, sondern nur das sein kann, was man sein soll. Eine Selbstdarstel120 | Butler 1998, 120. Die Kategorie ›performativer Selbstwiderspruch‹ stammt nicht von Judith Butler selbst, sondern von Hans Apel. Butler macht diesen Begriff hier für eine Analyse von Ressentiment-Strukturen produktiv. Zur Problematisierung des ›performativen Selbstwiderspruchs‹ in der Diskursethik siehe Appiah 1986, 11f.
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lung kann nur rund und befriedigend sein, wenn sie sich innerhalb der für die Gruppenmitgliedschaft vorgesehenen Genrekonvention abspielt.
*** Nun mag es verwundern, dass von fast allen Prozessteilnehmern und -teilnehmerinnen die Rede gewesen ist, nur nicht von O.J. Simpson selbst. Diese Auslassung ist mit Absicht vorgenommen worden und will ein Sinnbild für das Verfahren der ganzen Untersuchung setzen. Für die hier beschriebenen Diskursformationen ist O.J. Simpsons Selbstäußerung in der Tat nicht nötig, weil nicht er, sondern seine phantasmatische Race auf der Anklagebank sitzt. Es geht nicht darum, wer O.J. Simpson ist, sondern was aus der Tatsache, dass seine Haut eine bestimmte Pigmentierung aufweist, gemacht wird. Insofern schien es mir erkenntnisförderlich zu sein, O.J. Simpson als Leerstelle zu belassen und keine Spekulationen darüber anzustellen, ob er schuldig oder unschuldig ist, oder wie er sich im Prozess gefühlt haben mag.121 Das juristisch relevante Prozessergebnis war Freispruch wegen Mangel an Beweisen. Es wurde während des Prozesses zweifelsfrei festgestellt, dass die ermittelnden Beamten Beweise manipuliert hatten. Insofern war der Urteilsspruch der Jury, unter Vorgabe des ›begründeten Zweifels‹ (Reasonable Doubt) entscheiden zu müssen, juristisch einwandfrei. Selbst wenn die Ermittlungsorgane, wie mir der Berufungsanwalt Allan Dershowitz in einem persönlichen Gespräch nahelegte, möglicherweise Beweise gegen einen ›schuldigen Mann‹ gefälscht hätten (›they framed a guilty man‹), müssen nach der amerikanischen Strafprozessordnung Angeklagte, in deren Prozess unrechtmäßig erworbene Beweismittel vorgelegt werden, freigesprochen werden. Das Schweigen Simpsons wirkt wie eine große Leinwand, auf die die Gerechtigkeitsverhandlungen seiner Zeit projiziert werden. Doch sie bilden nur die Schatten angenommener und verworfener Identitäten, die der große Projektor des herrschenden Diskurses wirft, je nachdem, in welche Richtung das Licht fällt, um an dieser Stelle Ernesto Laclaus Referenz auf das Höhlengleichnis aufzunehmen, das nach Artikulationsformen der hegemonialen Ordnung beschreibt. Die irrlichternden Schatten und ihre Vielstimmigkeit erzeugen am Ende etwas, das man ›White Noise‹ (weißes Rauschen) nennen könnte. Um 121 | O.J. Simpson hat selbst zwei Bücher zu seinem Fall geschrieben: I Want to Tell You (1995) und ein seltsames fiktionales Pseudogeständnis: If I did it. Confessions of a Killer (2007), das mehrfach vor der Publikation zurückgezogen wurde und dessen Rechte dann an die Goldmann-Familie gingen. Das Faktum, dass die Anwälte O.J. Simpson geraten haben im Prozess zu schweigen, zeigt im Übrigen, dass es keiner handelnder und sprechender Subjekte bedarf, um die gewaltige Semantisierungsmaschine von Race-Otherness in Bewegung zu setzten.
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zum Schluss noch einmal auf Peter Sloterdijks ›hysterischen Synchronstress‹ zurückzukommen: White Noise erzeugt jene »Mindestspannung, die nötig ist, um das erneute Aufklaffen der Frage, ob die Revolution hier beendet sei oder nach einer Fortsetzung verlange, zu verhindern oder zu vertagen« (Sloterdijk 1998, 42). So gesehen könnte man die großen Race-Gender Tribunale der Neunziger auch als gigantische Verschiebeaktionen verstehen, wo zwar die Unzufriedenheit mit den ›unvollendeten Revolutionen‹ zur Darstellung gebracht wird, aber nicht die Verursacher des Problems angegriffen werden, sondern sich die ›Opfer‹ aufgrund einer ganz besonderen historischen und psychokulturellen Konditionierung einen Schaukampf liefern. Insofern artikulierten die Großen Tribunale eine Krise des Neoliberalismus als Race-Gender-Projekte. Min Song lässt diese bereits in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts beginnen und konstatiert schnörkellos: »The changes might be tracked through the terms of official multiculturalism, post-civil-rights, and free-market ideology or, to be more blunt, managed diversity, right wing backlash, and neoliberalism.« (Kursivierung Song) (Song 2005, 206)
Nach Omi/Winant reagierte der amerikanische politische Diskurs auf den wirtschaftlichen Einbruch und die militärischen Niederlagen der achtziger Jahre (Vietnam, Kambodscha) mit einer neokonservativen Wende. Der Staat, in den sechziger Jahren als Garant für neue Bürgerrechte und kompensatorischer Umverteilung in Stellung gebracht, wurde jetzt als Moloch begriffen, der die Wirtschaftskräfte durch zu hohes Steueraufkommen lähme und die undynamischen Elemente (sprich u.a. nicht-weiße Menschen) in teurer Wohlfahrtsabhängigkeit halte und dazu mit ›Preferential Treatment‹ den dynamischeren Bevölkerungsteilen (sprich weißen Menschen) das Fortkommen verbaue.122 Während man die Truely Disadvantaged (Wilson 1987) in der der de facto Segregation der innerstädtischen Ghettos zurückließ, repräsentierten Richter wie Clarence Thomas und reiche Sportheroen wie Mike Tyson und O.J. Simpson den ›integrierten‹, gewinnenden Teil der schwarzen Bevölkerung. Über die Großen Tribunale allerdings wurden sie ›Re-Raced‹ und zugleich im Prinzip nachgewiesen, dass ein Aufstieg nicht möglich und nicht gewollt ist.123 Eine ähnliche Doppelbewegung von ›Blaming the Victim‹ (dem Opfer die Schuld geben) und Delegitimation fand in der gleichen Zeit in Bezug auf den Frauen-Emanzipationsdiskurs statt. Die angeblich meritokratische Grundein122 | Omi/Winant 1994, 117f. Im Sinne von Omi/Winant spricht Darnell Hunt im Hinblick auf die Verbindung verstärkter Race-Diskussion und Neoliberalismus von ›political projects‹ (Hunt 1999, 149). 123 | Toni Morrison titelt bereits die Anthologie zum Clarence Thomas Hearing mit Race-ing Justice and En-gendering Power (Morrison 1992b).
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stellung des neoliberalen Weltbildes ließ weiße Gender-Emanzipations-Narrative zunehmend unattraktiv erscheinen. Ähnlich wie neokonservative Afroamerikaner (Clarence Thomas vor und nach seiner Hig-tech Lynching-Rede) gesellten sich jüngere Third-Wave-Feministinnen zum hegemonialen Diskurs. Katie Roiphe war dem ›alten‹ Feminismus Sexualfeindlichkeit vor (Roiphe 1993) und Christina Hoff Sommers polemisierte mit dem Titel Who Stole Feminism. Women who have Betrayed Women (Sommers 1993) gegen die feministische Müttergeneration. Detailreich und bitter listet Susan Faludi 1992 in Backlash. The Undeclared War against Women die konservative Attacke auf den politischen Feminismus und seine materiellen Folgen bezüglich Einkommen (Glas-Ceilings) und Körperdisziplin (Anorexie, Bulimie, Fitnesswahn und ›Schönheitsterror‹) auf. Die sogenannte ›Ökonomisierung des Sozialen‹ und die neoliberale Erwartung an alle Marktteilnehmer und Markteilnehmerinnen, sich als chancengleiche ›Unternehmer ihrer selbst‹ zu begreifen, hatte sich auch bei weißen Frauen durchgesetzt.124 Von Seiten weißer hegemonialer Männlichkeit ging es jedoch darum, den Kampf um zunehmend knapper werdenden ›gute Jobs‹ nicht mit weiblichen Bewerberinnen teilen zu müssen. Die neue Streitbarkeit weißer Frauen gegenüber sexualisierter Gewalt in den Großen Tribunalen war so verstanden ein Echo auf zunehmend aggressives männliches Verhalten, das sich durchaus sexualisierter Wegbeißtechniken bediente. Die Großen Tribunale verlinkten gegenwärtige und historische Race- und Gender-Projekte: In der Neuartikulation transportierten sie Relikte und Zitate früherer Race-Gender Projekte: Die ›Slavery of Marriage‹-Geschichte in Domestic Violence, die ›White-Slave‹-Geschichte im Date-Rape als Narrativ des arglos mitgehenden Mädchens das verraten und genötigt wird. Dem alles durchwirkenden Rape-Lynching-Komplex kam die besondere Funktion zu, die Sklavereigeschichte und die aus ihr entstandene Racial-Sexual-Ordnung/Grenze an die Gegenwart anzuschließen. In den Großen Tribunalen wurden weiße Verleugnung eines anhaltenden Rassismus’, wirtschaftliche Vernachlässigung der Innercities, Deckelung (nicht nur weiß-weiblicher) Gleichheitsansprüche zusammengepackt und in eine Sprache der Sexualpolitik verschoben. Diese buchstabieren Race- und Genderdiskurse als Opferdiskurse aus und inszenierten Race- und Gender-Ansprüche an die Gesamtgesellschaft als sexualpolitische Konflikte untereinander.
124 | Zur ›Ökonomisierung des Sozialen‹ siehe Bröckling/Krasmann/Lemke 2000 und Frauen und Minderheiten beiderlei Geschlechts als ›Unternehmer(innen) ihrer selbst‹ siehe (Pieper/Gutièrrez Rodrigues 2003).
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7. Postscript
7.1 Emanzipation oder Flexibler Liberalismus Der Vorwahlkampf für die demokratische Präsidentschaftskandidatur 2007 und 2008 zwischen Hillary Rodham Clinton und Barack Hussein Obama weist auf den ersten Blick alle Anzeichen eines US-amerikanischen Race-Gender-Projektes auf, wie es in den bisherigen Ausführungen entwickelt wurde. Es war eine tiefe ökonomische und ideologische Krise zu verhandeln. Der Marktliberalismus hatte sich nicht nur für Minderheiten und ›Working Poor‹ als verheerend herausgestellt, sondern er war mit dem großen Crash von 2008/2009 – zumindest zwischenzeitlich – auch für den weißen Mittelstand bedrohlich geworden. Ganz in diesem Sinne interpretiert Walter Benn Michaels die historische Besonderheit, erstmals jeweils eine weiße Frau und einen schwarzen Mann als aussichtsreiche Kandidaten für das höchste Amt im Staate im Rennen zu haben, nicht als Fortschrittsindikator für Race- und Gender-Gerechtigkeit, sondern als eine Ablenkung von der weiterhin wachsenden Umverteilung der gesellschaftlichen Reichtümer von unten nach oben. Während 1947 das obere Fünftel der US-Amerikaner über 43 Prozent des Volkseinkommens verfügt hatte und das untere Fünftel nur über 5 Prozent, verfügten nach einem halben Jahrhundert von Feminismus und Anti-Rassismus das obere Fünftel über 50,5 Prozent und das untere nur noch über 3,4 Prozent: »[…] it is not discrimination that has produced the almost unprecedented inequality Americans face today, it is capitalism […] Racism and sexism are just sorting devices«. (Meine Kursivierung) (Michaels 2008, 36f)
Michaels identifiziert einen Neoliberalismus des Zentrums (die demokratischen Kandidaten Obama und Clinton) und einen der Rechten (den republikanischen Kandidaten McCain). Dem Neoliberalismus des Zentrums sei es gelungen, die Nutzung von Diversität in Gestalt einiger gut ausgebildeter weiblicher und/oder nicht-weißer Leistungsträger als positive Ressource einzubauen, und deshalb funktioniere er besser. Der rechte Neoliberalismus dagegen glaube, Diversity-
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Politics schade den Wirtschaftsabläufen, und deshalb prognostiziert Michaels 2008 vor der Wahl, dass der ›schlechtere‹ Neoliberalismus wahrscheinlich abgewählt werden würde.
7.2 ›Hegemoniale Maskulinität‹ und Identity Performance Theor y Im Ergebnis hat Michaels recht behalten. Jedoch sollte man sich nicht mit seiner neo-marxistischen Reduktion auf Ökonomie und Kapitalismuskritik begnügen, denn gegenseitige Artikulationen von Race und Gender im Clinton/Obama-Vorwahlkampf weist Dimensionen eines komplexeren Zusammenhangs auf, der etliche neue Elemente enthält. Die Kampagne für die Präsidentschaft verhandelte nicht in erster Linie Konkurrenz um Opferkapital, denn beide Kandidaten kämpften um die Macht über die gesamte Gesellschaft. Früher erfolgreiche Opfertropen wie der Kampf gegen sexualisierte Männergewalt oder der Rape-Lynching-Komplex sind für den Griff nach dem höchsten Amt nicht effektiv, denn eine Führungsposition erfordert Kompetenz und Charisma. Vom zukünftigen amerikanischen Präsidenten (und paradoxerweise auch von der zukünftigen Amtsträgerin) wird das erwartet, was man in der Männlichkeitsforschung nach R.W. Connell ›Hegemoniale Männlichkeit‹ nennt (Connell 1995) oder, nach Bourdieu ›männliche Herrschaft‹ (Bourdieu 1997), wie bereits an anderer Stelle ausgeführt.1 Bourdieu spricht von ihr als einer ›libido dominandi‹, die primär als Wunsch konstituiert ist, andere Männer zu dominieren und sekundär auch Frauen: »[…] männliche Herrschaft ist das Paradigma [und oft das Modell und der Gegenstand] aller Herrschaft. Ultramaskulinität geht fast immer einher mit einem politischen Autoritarismus.« (Meine Kursivierung) (Bourdieu 1997, 216)
Die Herrschaftsparadigmen von Bourdieu und Connell definieren sich über die Herrschaft von Männern über alle Frauen. Für Bourdieu ist letzteres und die Neigung zu ›Ernsten Spielen‹ mit Todesrisiko charakteristisch für männliche Herrschaft. In Connells Modell der Hegemonialen Männlichkeit wird mehr Wert auf die Hierarchien zwischen unterschiedlichen Männlichkeiten gelegt, was es für die Interpretation der Figuration Obama etwas offener macht. Materiell, ethnisch und sexuell marginalisierte Männer werden demnach zwar von Hegemonialer Männlichkeit unterdrückt, profitieren aber von einer ›patriarchalen Dividende‹, die ihnen sowohl die Herrschaft über ihre Frauen und/ oder generelle Misogynie erlaubt. Hegemoniale Männlichkeit setzt sich über die Komplizenschaft nicht-hegemonialer Männlichkeiten mit der hegemonialen und mit weiblicher Fügsamkeit (Compliance) durch. Weibliche Fügsamkeit wird darüber erreicht, dass nur deutlich vergeschlechtlichte Feminitätsmodelle 1 | Siehe Kapitel 3, S. 206.
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bei Frauen von Männern anerkannt werden und deshalb gesellschaftliche Erfolgsaussichten haben. Das Paradigma Hegemoniale Männlichkeit, wiewohl breit etabliert, wurde in den letzten Jahren einer ergänzenden Neubewertung unterzogen, die Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten marginalisierter Männlichkeiten – z.B. Herausforderung durch Protest-Maskulinitäten (etwa Black Panther)2 oder die Machtwirksamkeit weißer Weiblichkeitsinszenierungen3 herausarbeiteten. Für eine Interpretation des Obama/Clinton Vorwahlkampfes ist besonders die Denkfigur ›Dialectical Pragmatism‹ interessant (Demetriou 2001, 10), die hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten zu hybriden Mustern verwebt, um die Suche nach besten und modernsten Lösungen zur Aufrechterhaltung von Dominanz zu beschreiben.4 Der Erfolg der Figuration Obama spricht für eine pragmatisch dialektische Verhandlung von erwarteter schwarzer Maskulinität, verkörpertem Anti-Klischee und Insignien (weißer) Hegemonialer Männlichkeit, die implizit mit dem Amt verbunden sind. ›Critical Race Theory‹5 hat zur Beschreibung der Flexibilität marginalisierter ›Identitäten‹ eine so genannte ›Identity Performance Theory‹ entwickelt, die sich explizit an feministische Performativitätstheorien im Sinne von Judith Butler anlehnt. Devon W. Carbado und Mita Gulati entfalten in »Working Identity« (2000), dass sich geschlechtlich und/oder sexuell und/oder ethnisch markierte Außenseiter (Outsiders) am Arbeitsplatz um eine ›Identity Performance‹ bemühen, um vermutete Stereotypisierung der weißen (oft männlichen) Kollegen zu unterlaufen, die ihrer Karriere im Weg steht: »Employees not only work at their
2 | Für eine Zusammenfassung von Revisionen und Neuansätzen der Denkfigur Hegemoniale Männlichkeit siehe »Hegemonic Masculinity. Rethinking of a Concept« (Connell/ Messerschmidt 2005). 3 | Die Machtwirksamkeit weißer Feminität, insbesondere gegenüber Race-markierten ›Anderen‹, ist breit in der feministischen Critical Whiteness Theory (Newman 1999) und im postkolonialen und transnationalen Feminismus diskutiert worden Trinh 1989 und Ang 2003 und Chow 2003. Für einen inneramerikanischen Vergleich beider Ansätze siehe Frankenberg/Mani 2001. 4 | Übertragen auf deutsche Verhältnisse ließe sich darüber die neue Machttüchtigkeit bekennend schwuler Politiker wie Wowereit, von Beust und Westerwelle interpretieren, wenngleich die befremdlichen —Beust 2010 — und tumultarischen — Westerwelle 2011 — Rücktritte auf eine gewisse Instabilität ›schwuler‹ Machtfähigkeit schließen lassen. 5 | ›Critical Race Theory‹ ist aus der ›Critical Legal Theory‹ entstanden. In dieser Tradition fokussiert sie juristische Fragen wie Gesetzestexte, Gesetzesinitiativen und Anfechtungen am Supreme Court und die gerichtliche Bekämpfung von Diskriminierung. Siehe die Anthologien von Crenshaw/Gotanda/Peller/Kendall 1996 und Crenshaw/ Gotonda 1995 und Delgado 1995 und Delgado/Stefancic 2001.
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work, but also at performing their identities«.6 Mit diesem Ansatz gewinnt man eine Untersuchungsperspektive dafür, welchen Anpassungsleistungen markierte Personen auf dem Weg zu Führungspositionen unterworfen sind und welche Strategien sie selbst entwickeln, entweder ›unter Radar‹ weiterzukommen oder in Dialectal Pragmatism neue akzeptable Persönlichkeitsmodelle zu verhandeln.7 Die meisten der von Carbado/Gulati identifizierten Strategien unterliegen dem Assimilationsgebot (Assimilationist Bias).8 Dieses verlangt Außenseitern ab, sich den Verhaltenscodes der Mehrheit anzupassen und damit zu »honorary insiders« (1303) zu werden, wie es z.B. O.J. Simpson bis zu seinem Prozess im weißen Hollywood gewesen war (Carbado 1999b). Die Autoren nennen jene Identity-Performace-Strategien, die auf dieses Ziel gerichtet sind, ›Comforting‹- und ›Partial Passing‹-Strategien (1300f). Comforting bedeutet, (weißen männlichen) Kollegen so entgegenzutreten, dass sie keinen Rassismus-Sexismus-Vorwurf vermuten und sich deshalb unbedroht fühlen, ›Partial Passing‹ meint, dass sich die Aufstiegswilligen einen Habitus zulegen, der sie wie weiß erscheinen lässt.9 Wohl wissend, welche Herausforderung die Figuration eines vergleichsweise jungen schwarzen Mannes für das Amt des Präsidenten darstellt, inszenierte sich Barack Obama zunächst innerhalb der Comforting- und Passing-Rhetorik. Er betrat die nationale Bühne mit einem ›weißen‹ Normenpaket: Aufsteigergeschichte, Eliteausbildung, Kleinfamilienstatus und assimilationsfreundliche Zielstrebigkeit und Konzilianz. Auf der Achse weiß/schwarz konnte diese Identity Performance weißes Unbehagen gegenüber als ›schwarz‹ vermuteten 6 | Carbado/Gulati 2000, 1270. Im folgenden Text nach Seitenzahlen zitiert. 7 | In den Fokus juristischer Überlegungen ist diese besondere Situation von Minderheiten in der Arbeitswelt geraten, weil Identity Performance einer besonderen Anstrengung bedarf, die Außenseiter gegenüber Insider-Kollegen benachteiligt. Misslingende Identity Performances können Gründe für Benachteiligung sein, ohne dass sie vor Gericht eine Chance hätten, als Diskriminierung am Arbeitsplatz anerkannt zu werden, weil möglicherweise gleichzeitig andere Outsider mit gelungeneren Identity Performances befördert wurden. 8 | Zum Assimilationsgebot (Assimilationist Bias) siehe Yoshino 1998. 9 | Carbado/Gulati veranschaulichen ihre These in dem Aufsatz »The Fifth Black Woman«. Eine Kanzlei hatte unter fünf schwarzen Frauen, die zur Beförderung in die Kanzleipartnerschaft anstünden, nur vier befördert. Die fünfte Kollegin unterschied sich von den anderen durch eine ›schwarze‹ Identity Performance. Sie trug an ›Casual Fridays‹ westafrikanische Kleider, ihr Haar war nicht geglättet, sie war Black Muslim, nahm nicht an Firmenpartys teil, wohnte in einem schwarzen Viertel und lud niemanden zu sich nach Hause ein. Obwohl sie eine bessere Leistungsbilanz hatte, sprach ihre Identity Performance in den Augen ihrer weißen Chefs gegen ihre Beförderung.
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Persönlichkeitsdefiziten vermeiden. Schwieriger wurde das auf der Achse maskulin/feminin. Wie oben entwickelt, erfordert das Amt Hegemoniale Maskulinität. Obama verkörperte jedoch die ›falsche‹ Maskulinität, nämlich das für Weiße bedrohliche Gespenst afroamerikanischer Hypermaskulinität oder die des ›Angry Black Man‹. Diese Gefahr spielte Obama über pointierte Ruhe, auch ›Obama-Calm‹, ›Obama-Cool‹ oder ›No-Drama-Obama‹ genannt, herunter. Er zeigte sich moderat und nicht konfrontativ. Mit dieser Demonstration von Gelassenheit erfüllt Obama eine Rolle, die in der Critical Race Theory als die eines ›Debiasing Agenten‹10 bezeichnet wird, nämlich diejenigen sehr sichtbaren Vorbilder, die die Erwartung des Publikums, wie eine marginalisierte Persönlichkeit in einer hervorgehobenen Position sich verhalten könnte, umarbeiten. Diese Identity-Performance-Strategie produziert allerdings ein anderes Problem, denn Obamas demonstrativ verbindliche Qualitäten könnten ihn als zu ›feminin‹ für das Amt wirken lassen. Critical-Race-Theoretiker Frank Ruddy Cooper macht für die Feminitätsgefahr die Diskursform ›bipolar black Masculinity‹ verantwortlich, die jeden schwarzen Mann mit dem Dilemma belaste, entweder als ›guter‹ (farblos, feminin) oder ›böser‹ (black, ›angry‹, maskulin) schwarzer Mann gesehen zu werden. Obama vermochte es dennoch, diese Voreinstellung auszubalancieren: »Obama seems to have resolved that conflict by being masculine enough to pass the Commander-in-Chief-test yet feminine enough to make people comfortable with his blackness« (Cooper 2006, 637). Dabei sei ihm das Kunststück gelungen, sich nicht zu feminisieren, sondern der erste ›Unisex-Präsident‹ der USA zu werden. Denn Feminisierung bedeute für einen Mann einen de-sexualisierenden Aura-Verlust. Das Unisex-Prinzip dagegen funktioniere anders. Unisex Bluejeans z.B. würden an Frauen- und Männerkörpern jeweils unterschiedlich erotisierend wirken, und das sei sogar in der Wahrnehmung des gleichen Geschlechts möglich. So hätte die gereifte Obama Identity-Performance auch Queering Potential: Während der Kampagnen war viel die Rede davon, dass weiße amerikanische Männer einen ›Man Crush‹ auf Obama hatten, was so viel
10 | Kang/Banaji 2006, 1063. Wollte man im 20. Jahrhundert eine Genealogie der afroamerikanisch maskulinen Debiasing Agents aufstellen, würde sie vom Schauspieler Sidney Poitier über Bill Cosby zu Morgan Freeman führen, dessen Verkörperung von Nelson Mandela zuletzt in I NVICTUS (2009) den ultimativen ›Debiasing Agent‹ darstellt. Eine andere Genealogie ließe sich auch über schwarze Präsidentendarstellungen im Film und Fernsehen aufmachen. Hierbei darf keinesfalls die Funktion des liebenswürdigen schwarzen Präsidenten David Palmer (Dennis Haysbert) der beliebten Fernsehserie »24« unterschätzt werden, die US-Amerikaner an einen schwarzen Präsidenten ›gewöhnt‹ hat. Siehe einen Artikel in der Newsweek unter dem bezeichnenden Titel »Diversity Training«. http://www.newsweek.com/id/107572, abgerufen am 05.04.2010.
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wie eine homosoziale Verliebtheit bedeutet.11 In der Figuration Obama liegt so gesehen ein noch nicht ausgeschöpftes oder auch neu zu erfindendes Potential an performativer Identitätsgestaltung.
7.3 Der Feminitätsimperativ Während Barack Obama sich ganz auf das Projekt ›debiasing blackness‹ konzentrieren musste, erfüllte Hillary Clinton das für Dominanz im höchsten Amt der USA implizite Weißheitsgebot. Aber sie musste ihre fehlende Maskulinität kompensieren. Sie bemühte sich deshalb besonders in Fragen der nationalen Sicherheit um eine ›assertive‹ (starke, konfliktfähige und durchsetzungsfähige) Rhetorik. Wie bereits erwähnt, ist der Druck auf Frauen sehr groß, die jeweilig lokal und historisch geltende Weiblichkeitsinszenierung ›aufzuführen‹.12 Der daraus entstehende Feminitätsimperativ für aufstiegswillige Frauen wird in feministischer arbeitspsychologischer Literatur als Effekt von ›Gender-Role-Incongruity‹ beschrieben. Danach wären Geschlechtsrollen sowohl deskriptiv (wie sie ausgeführt werden) als auch ›injunktiv‹ (wie sie aufgeführt werden sollten) zu verstehen. Von Frauen erwartet man ›communal‹ und von Männern ›agentic‹ Verhalten. Qualifikation für Führungspositionen wird an der Kapazität gemessen, ›agentic‹ zu sein. Wenn sich eine Frau aber ›agentic‹ verhält, verletzt sie die ›injunktive Norm‹ und wird am Arbeitsplatz negativer beurteilt als ein Mann, der das gleiche Verhalten zeigt.13 Das trifft auch auf die Präsidentschaftskandidatin Hillary Rodham Clinton zu, die als unweiblich und aggressiv kritisiert wurde. Als sie sich dann zu den Vorwahlen in New Hampshire öffentlich den Tränen nah zeigte, gewann sie zwar eine Vorwahl, wurde aber in der Presse als »weepy witch« und »Kleenex«14 feminisiert und damit wieder entauthorisiert. In einer kombinierten Analyse der öffentlichen Personas von Hillary Clinton, Sarah Palin und Michelle Obama kommt Critical-Race-Theoretikerin Ann McGinley zu dem Schluss, dass Frauen eine »split personality« (gespaltene Persönlichkeit) abverlangt wird: »requiring performances that volley back and forth 11 | Siehe z.B. den Artikel »The Obama Man Crush« in http://www.theroot.com/views/ obama-man-crush, abgerufen am 02.04.2010. Diese Beobachtung ließ sich auch an den Wahlurnen verifizieren, wo historisch erstmalig in großer Zahl weiße Männer in den Vorwahlen einen schwarzen Kandidaten wählten: 43 Prozent New York, 39 Prozent New Jersey, 49 Prozent Massachusetts, 44 Prozent Ohio, 56 Prozent Virginia und sogar 59 Prozent in Wisconsin. Daten bei Pinderhughes 2008, 51f. 12 | Connell/Messerschmidt sprechen von ›emphasizing Feminity‹ (Connell/Messerschmidt 2005, 831). 13 | Vgl. »Role Congruity Theory of Prejudice toward Female Leaders« in (Eaglly/Karau 2002, 276-290). 14 | Zitiert nach Pollitt 2008, 10.
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between feminine warmth and masculine toughness« (McGinley 2009, 724). Die drei Frauen hätten unterschiedlich erfolgreiche Identity Performances dargeboten. Clinton war eine der Ersten der Generation von Second Wave-Feministinnen, die ein Jurastudium an einer Eliteuniversität absolviert und in einer berühmten Kanzlei gearbeitet hatte. Nach McGinley hätte sie in damals noch feindlichen Arbeitsumgebungen Akzeptanz durch Desexualisierung und Herunterspielen familiärer und libidinöser Affiliationen zu erlangen versucht. Dabei habe sie sich maskulinisiert, was auch durch ihre anonymen Hosenanzüge und flachen Schuhe betont worden sei. Als ihr die »media hypervigilance of women’s appearance and dress« (715) bewusst wurde, versuchte sie, das ›Weiblichkeitsdefizit‹ mit demonstrativer Farbigkeit der Hosenanzüge vergeblich zu konterkarieren. McGinley schreibt: »Hillary Clinton, therefore, found herself in a double bind: Either to act more feminine and be judged incompetent or act masculine and be considered unlikeable« (717). Die zwanzig Jahre jüngere republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin dagegen habe das Haar lang und weiblich und kurze Röcke mit hochhackigen Pumps getragen,15 sich demonstrativ mit ihren vier Kindern gezeigt und ihren Status als Ehefrau betont, die zu ihrem Mann aufblicke. Trotzdem pflegte sie eine markig aggressive Rhetorik mit rassistischen Untertönen gegen den demokratischen Kandidaten Obama, ließ wissen, dass sie Elche jage, und als kämpferische Konservative bezeichnete sie sich selbst als ein ›Pitbull with Lipstick‹. Palin löste zu Beginn ihrer Überraschungskandidatur als ›Running-Mate‹ des republikanischen Senators John McCain einen sympathisierenden Medienhype aus. Weil sie dem Feminitätsimperativ besser entsprach –»she embraced her gender« (720), – konnte sie sich im Gegenzug eine aggressivere politische Rhetorik leisten. Michelle Obama kandidierte zwar nicht um ein öffentliches Amt, aber ihre Identity Performance stand als potentielle First Lady unter verschärfter Beobachtung. McGinley diagnostiziert einen Lernprozess, in dem Michelle Obama sich zunächst als starke schwarze Frau dargestellt, ihren Gatten ironisiert (z.B. Schnarchen und schlechten Morgenatem protokollierte) und eine deutliche Distanz zu US-amerikanischem Rassismus markiert habe. Das brachte sie in Gefahr, das Black-Matriarch-Stereotyp, das Bild der aggressiven, dominanten schwarzen Frau zu verkörpern. Nach den ersten Kritiken, die sie als »unpatriotic angry black woman nursing racial grievances despite her successful life story«16 charakterisiert hatten, schwenkte sie in die Rolle der treusorgenden 15 | Katherine Bartlett beschreibt anschaulich den Karriere-Frauen-Dress-Code als Regime der Disziplinierung: »[Women should be] appropriately exposed (legs), painted (eyes, lips, cheeks, hair) elevated (high-heeled shoes), and vulnerable (clothes that prevent easy movement and escape)« (Bartlett 1994, 2541). 16 | Siehe den polemischen Zeitungsartikel »Michelle No Belle«, Boston Herald, 21.02.2008, 19.
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Gattin und Mutter ein. McGinley vermutet, dass möglicherweise beide Stadien nötig waren, Barack Obamas Kandidatur zu befördern. Zunächst habe sie ihn als beherrschten Ehemann feminisiert, und ihm damit ›Aggressivität und Gefährlichkeit‹ für das angesteuerte weiße Wählerpotential genommen. Ihre darauffolgende strategische Fügsamkeit habe dann Obamas Qualifikation für hegemoniale Männlichkeit gesteigert, weil er damit Herrschaft über seine Frau gezeigt habe (ebd. 723). Alle drei Verhaltensmodelle zeigen, dass Personen gleichen Geschlechts stark unterschiedene Identity Performances lancieren können, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Am einflussreichsten für die Differenzen waren dabei die Faktoren Race und Age. Hillary Clinton war auf der Achse männlich/weiblich wegen ihres Alters sehr stark in Gefahr, in das unpopuläre Maskulinitätsmuster zu gleiten. Die jüngere, Attraktivitätsmustern nähere Sarah Palin, konnte sich eine aggressivere Rhetorik leisten, weil sie das Weiblichkeitsgebot (emphasizing Femininity) mit Aussehen und Familiendemonstration übererfüllte. Das galt interessanterweise nicht für Michelle Obama, die, obwohl hübsch und jung, das ›bossy‹ Image einer schwarzen Matriarchin weginszenieren musste. Da sie nicht als Führungsperson zu wählen war, konnte sie sich ohne Gefahr feminisieren. Damit heteronormalisierte sie die Obama-Familie in eine Hausfrauenehe.17 Das hatte für den Ehemann nicht nur auf dem Register Maskulinität positive Auswirkungen, sondern spielte auch eine nicht zu unterschätzende Rolle, Barack Obama weniger ›schwarz‹ erscheinen zu lassen. Strategische Feminisierung war für Hillary Clintons Kampf um die Präsidentschaft nur bei ausgewählten Gelegenheiten eine Option. Das war sicher einer der impliziten Gründe dafür, auf der Achse schwarz/weiß zu kompensieren, was auf der Achse Maskulinität/Feminität nicht lösbar war. Nicht wenige Kritiker identifizierten in ihrer Kampagne rassistische Untertöne. So schrieb die bekannte linke Essayistin Katha Pollitt: »In the name of demonstrating her superior ›electability‹ she and her surrogates have invoked the racist and sexist playbook of the right […] seeking to define Obama as too
17 | Auf der Konferenz »Obama and the Pradigm Shift« in der Universität Giessen vom 30. Juni bis zum 3. Juli 2010 an der Universität Giessen haben mehrere Vortragende darauf hingewiesen, dass Michelle Obamas Performance als ausgeglichene pflichtbewusste und initiative ›Civic Mother‹ ein in der Community geschätzes und erwünschtes Anti-Klischee afroamerikanischer Weiblichkeit darstelle. Siehe die Vorträge von Michaela Hampf (Berlin), Greta Oslon und Birte Christ (Giessen) und Allyson Hobbes (Tulane) verschriftlicht in: Olson/Christ 2012. Siehe Conference-Schedule http://www. greta-olson.com/obama/schedule.html, abgerufen am 25.10.2010
7. P OSTSCRIPT black, too foreign, too different to be president at a moment of high anxiety about the national security.«18 (Pollitt 2008, 12)
Clinton reiht sich hier in die lange historische Tradition weißer Feministinnen ein, im Kampf für politische Ziele auf rassistische Stereotype zurückzugreifen.19 Die meisten dieser Versuche camouflierten sich mit Klassenfragen. Obama hatte z.B. über die Mentalität weißer Bevölkerungen in kleinen Städten Pennsylvanias gesagt: »it’s not surprising then they get bitter, they cling to guns or religion or antipathy to people who aren’t like them […] as a way to explain their frustrations«.20 Die Clinton-Kampagne hatte diese Äußerung sofort aufgegriffen und Obama Klassendünkel nachgesagt.
7.4 Race-Anrufungen Nun konnte sich Obama nicht darauf verlassen, von weißen Männern gewählt zu werden. Er musste auch einen Weg finden, sein ›natürliches‹ Wählerpotential, die afromamerikanische Bevölkerung, zu aktivieren, deren Kritik an seiner ›weißen‹ Identity Performance als ›Uncle Tom‹, ›Token‹ und ›Sell-Out‹ immer hörbarer wurde und die nach demonstrierter Race-Solidarität verlangte. Auf seiner ›Blackness‹ bestanden auch weiße politische Gegner, die nicht darauf verzichten wollten, aus dem Phantasma von der Bipolarität schwarzer Männlichkeit Kapital zu schlagen. Dabei konzentrierten sie sich auf Obamas Beziehung zu dem afrozentristischen Prediger Jeremiah Wright, der Taufpastor seiner beiden Kinder gewesen war. Dieser hatte sich und seine Gemeinde in der Tradition der ›Holy Religion‹-Brandprediger gegen weißen Rassismus und einen angeblich geplanten Genozid an der afroamerikanischen Bevölkerung durch Drogen, Armut und Gewalt positioniert. Mit einer sehr geschickten Geste kombinierte Obama beide Anrufungen, die der afroamerikanischen Community und die seiner politischen Gegner, die ihn über ›guilt by assoziation‹ (Kontaktschuld) mit Jeremiah Wright zum Weißen18 | Mit diesem Zitat soll übrigens keineswegs unterstellt werden, Obama und seine Kampagne hätten sich keine sexistische Rhetorik zunutze gemacht. Auf die Verschränkung von Sexismus und Rassismus wird weiter unten zurückgekommen sein. 19 | In deutschen Migrationszusammenhängen, in denen der Mainstream-Feminismus deutlich rassistische (islamophobe) Züge trägt, spricht Birgit Rommelspacher von ›hegemonialer Weiblichkeit‹ (Rommelspacher 2007). Ich selbst spreche, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, in einer Weiterentwicklung der »patriarchalischen Dividende« der Connell’schen Theorie von der hegemonialen Männlichkeit von »okzidentalistischer Dividende« (Dietze 2009a, 260). 20 | Siehe transcript der Rede in http://inkslwc.wordpress.com/2008/04/12/barackobama-bitter-pennsylvanians-cling-to-guns-or-religion/, abgerufen am 12.04.2010.
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Hasser machen wollten. In seiner berühmten Race-Rede vom 18. März 2007 im für die US-Demokratie symbolträchtigen Philadelphia ›querte‹ er vorhandene Diskurse, indem er sich weder als angreifender ›Race-Man‹ noch als Opfer positionierte: »[…] I have asserted a firm conviction […] that working together we can move beyond some of our old racial wounds.«21 Race ist nicht als Motiv für seine Politik eingesetzt, sondern als etwas, was als Motiv für politisches Handeln überwunden werden muss. Obama erkennt die Last der Geschichte an, verweigert es aber, sich zum Opfer derselben zu machen: »For the African-American community, that path means embracing the burdens of our past without becoming victims of our past. It means continuing to insist on a full measure of justice in every aspect of American life.« (Meine Kursivierung) (Ebd.)
Die Interessen weißer Frauen spricht er als Gleichstellungsproblem an, indem er die sogenannte ›Glasdecke‹ erwähnt, die sie daran hindert, die oberste Karriereleiter zu erklimmen: »But it also means binding our particular grievances – for better health care, and better schools, and better jobs – to the larger aspirations of all Americans – the white woman struggling to break the glass ceiling, the white man who’s been laid off, the immigrant trying to feed his family.« (Ebd.)
Nach seiner Lesart handelt es sich nicht um Sexismus, den es zu bekämpfen gilt, sondern es sind Ungerechtigkeiten in beruflichen Hierarchien und wirtschaftliche Probleme. Mit dieser Aufzählung unterläuft er die besondere Dynamik amerikanischer Race-Gender-Konkurrenz, die sich darüber, wie im Kapitel 5 entwickelt, auseinandersetzt, ob Sexismus oder Rassismus jeweils die schlimmere, ältere, umfassendere oder grundsätzlichere Diskriminierungsform sei. Trotz des Ausweichens auf eine andere Ebene wird die Figuration ›weiße Frau‹ am Schluss seiner Rede zu einer zentralen Argumentationsfigur. Obama erzählt dort die Geschichte der dreiundzwanzigjährigen Ashley Baia. Diese Anekdote wird sowohl durch ihre Position als ›closure‹ der Rede aufgewertet als auch durch die besondere Gelegenheit, an der er sie zum ersten Mal erzählt haben will, nämlich an Martin Luther Kings Geburtstag, in dessen Heimatgemeinde, der Ebenezer Baptist Church in Atlanta. Jene Ashley Baia habe als einzige Weiße in einer Wahlunterstützungsgruppe gearbeitet. Bei seinem Besuch hätten alle Mit21 | Siehe Transcript der Rede »We the People for a more perfect Union« vom 18. März in Philadelphia in http://www.cbsnews.com/stories/2008/03/18/politics/main3947908. shtml, abgerufen am 31.03.2010. Im Folgenden ohne Seitenangaben aus diesem Transcript zitiert.
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glieder erzählt, warum sie dabei sind. Ashley sagte, weil ihre Mutter an Krebs erkrankt sei, ihr deswegen gekündigt worden sei und sie ihre Krankenversicherung verloren habe. Obama fährt fort, dass Ashley, anstatt der neoliberalen Version von den zu vielen ›faulen Schwarzen‹ und den ›undeserving poor‹ zu glauben, die angeblich das soziale System ›belasten‹, sie sich afroamerikanische Verbündete gesucht habe, die mit ihr zusammen den Kampf gegen die Ungerechtigkeiten im Gesundheitssystem führen wollten. Als letzter sei ein alter schwarzer Mann gefragt worden, warum er sich für Obama engagiere. Darauf habe er geantwortet »I am here because of Ashley« (ebd.). Obama komponiert aus dieser Aussage den grandiosen Schlusspunkt seiner Rede, in dem er das Leitmotiv einer ›perfekteren Union‹ an einem schwarzen Mann und einer weißen Frau konkretisiert: »›I’m here because of Ashley‹. By itself, that single moment of recognition between that young white girl and that old black man is not enough. It is not enough to give health care to the sick, or jobs to the jobless, or education to our children. But it is where we start. It is where our union grows stronger. And as so many generations have come to realize over the course of the two-hundred and twenty one years since a band of patriots signed that document in Philadelphia, that is where the perfection begins.« (Meine Kursivierung) (Ebd.)
Mit ›Ashley‹ werden die weißen Abolitionistinnen von 1848 und die weißen SNCC Agitatorinnen von 1964/65 aufgerufen und in die Obama-Kampagne eingebunden und zwar nicht als politische Korporation ›weißer Frauen‹ oder ›weißer Feministinnen‹ oder ›weißer Unterklassen‹, sondern als ethisch wertvolle Individuen, die in gegenseitiger Anerkennung (wobei der schwarze Mann alt ist und mehr Leidenserfahrung verkörpert) eine perfektere Union anstreben. Damit hat Obama ein heterotopisches Race-Gender-Projekt lanciert, das identitätsbasierte Politik unterläuft. Obama bedient sich in seiner Identity Performance des Umgehens, Unterlaufens und ›Querens‹ des Bad-Black-Man-Stereotyps einer deutlichen ›Comfort-Strategie‹ gegenüber potentiellen weißen Wählern, was ihm eigentlich verbietet, Bezug auf Rassismus zu nehmen. Indem er aber die Distanzierung vom afrozentrischen Radikalen Wright mit dem Erbe Sklaverei verbunden hat, konnte er das afroamerikanische Publikum für sich gewinnen. Genaugenommen hat er damit den rassistischen rechten Gegnern, die ihn zu einem hasserfüllten Black Panther stilisieren wollten, die Waffe in der Hand umgedreht und zusätzlich mit der Ashley Baia-Geschichte eine interessante – linke – Fraktion des weißen Feminismus ins Boot geholt.
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7.5 Feminismus-Anrufungen Während ein Rückgriff auf die Geschichte des Rassismus in einem bestimmten historischen Abschnitt für die Obama-Kampagne nützlich war, blieb die Thematisierung von Sexismus für Clinton riskant. Für sie als ältere Frau war ein unattraktives Emanzen-Image schwierig. Aber anders als der zögerliche Obama gegenüber der afroamerikanischen Unterdrückungsgeschichte etablierte Clinton eine gewisse Selbstverständlichkeit gegenüber der Geschichte der Frauenbewegung. Bereits 2007 sagte sie: »When I was growing up I didn’t think I would run for president, but I could not be standing here without the women’s movement, without generations of women who broke down barriers, the civil rights movement that gave women and people of color the feeling that they were really part of the American dream.« 22
In der Formulierung »Women and people of color« taucht das klassische Intersektionalitätsproblem der Entnennung schwarzer Frauen unter der Kategorie Frau auf. Nicht nur deshalb hatte sie bei afroamerikanischen Feministinnen nicht viel zu gewinnen. Alice Walker bringt es auf den Punkt: »It is hard to relate what it feels to see Mrs Clinton (I wish she felt self-assured enough to use her own name) referred to as ›a woman‹ while Barack Obama is walway referred to as a black man. One would think she is just any women, colorless, race-less, past-less, but she is not. She carries the history of white womenhood in America in her person; it would be a miracle if we, and the world did not react to this fact. How dishonest it is, to attempt to make her innocent of her racial heritage.« (Meine Kursivierung) (Walker 2009, 86)
Für viele weiße Feministinnen, auch nachfolgender Generationen, war Clinton zunächst die Erfüllung des Anspruchs: ›Jetzt sind wir endlich dran‹. Die in den Jahren des Backlash zurückgegangene Empfindlichkeit (oder die Artikulierbarkeit von Kritik) gegenüber Sexismus stieg wieder an. So hörte man z.B. in The Nation wieder ungewohnt klare Worte wie: »The media are hopelessly sexist and relentlessly trivial« (Pollitt 2008, 19). Allerdings gab es auch eine gesteigerte Notwendigkeit für eine solche Kritik. Chris Matthews von MSNBC nannte Clinton einen ›she-devil‹, die von ihrem Image als betrogene Frau profitiere23, ein Fox News-Kommentator meldete Haushaltsprobleme an: »When 22 | http://www.americanchronicle.com/articles/view/36034, abgerufen am 31.03.2010. 23 | Der Moderator des eigentlich mit den Demokraten sympathisierenden Magazins ›Hardball‹ war wegen seiner andauernden sexistischen Angriffe auf Hillary Rodham Clinton sogar genötigt, sich öffentlich zu entschuldigen. http://www.washingtonpost.com/wpdyn/content/article/2008/01/17/AR2008011702828.html, abgerufen am 29.03.2010.
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Hillary Clinton speaks, men hear ›take out the garbage‹« und Rush Limbaugh fragte seine Zuhörer, ob dieses Land wirklich eine Frau tagtäglich vor seinen Augen älter werden sehen wolle.24 Für diese Studie besonders aussagekräftig war der Aufdruck eines Anti-Clinton-T-Shirts: ›I wish Hillary had married O.J.‹, womit impliziert ist, dass sie unter diesen Umständen tot wäre. Zwar eilten der Kandidatin berühmte Second-Wave-Feministinnen wie Gloria Steinem von MS und Robin Morgan zur Hilfe, die ein »sociopathic women-hating« in der Anti-Clinton-Rhetorik ausmachen,25 aber es mischten sich in die Verteidigung auch kritische Stimmen von weißen Feministinnen wie Eve Enseler, Barbara Ehrenreich, Nancy Fraser, die öffentlich oder in Unterschriftenlisten zum Obama-Camp wechselten.
7.6 Konkordanz der Anrufungen War man also in den Obama/Clinton Kampagnen wieder bei dem alten Mechanismus ›Race trumps Gender‹ angelangt, der von weiß-feministischer Seite oft so bitter kommentiert wird, oder muss man diese Problemstellung in den postfeministischen- und post-Bürgerrechts-USA mit einer staatlich unterstützten Diversity-Rhetorik neu aufrollen? Zur Beantwortung dieser Frage ist es nützlich, noch einmal auf das Verhältnis von Rassismus und Sexismus zurückzukommen. Gegen weiße Frauen gerichteter Sexismus nimmt ihnen die Würde, als vollständige und nicht-vergeschlechtlichte Individuen betrachtet zu werden. Aber es nimmt ihnen nicht die privilegierte Mitgliedschaft im Whiteness-Club. Wie oben mehrfach erläutert wurde, ist deshalb für die meisten schwarzen Frauen ein an ein farbneutrales Patriarchat gerichteter Sexismusvorwurf unerheblich. Sexismuskritik wurde zudem durch Androzentrismus und Ageism entwertet. Viele Männer und junge Frauen aller Hautfarben lasen sie als einen Text älterer Frauen, die ihren Attraktivitätsverlust beklagten. Da Sexismuskritik zudem, wie oben ausgeführt, als ›weiße‹ Angelegenheit und damit als das Einfordern eines Privilegs verstanden wurde, war sie nicht anschlussfähig an eine ›neue Vision‹ von Amerika. Rassismus gegenüber nicht-weißen Männern und Frauen und seine Kritik daran spart kein Feld gesellschaftlichen Privilegs aus und kann deshalb auch unambivalent konfrontiert werden. D.h. die Obama-Kampagne konnte, nachdem die Race-Frage über Jeremiah Wright und die ›Speech on Race‹ machtvoll auf die Agenda gerückt worden war, von einer anti-rassistischen Rhetorik profi24 | Zitiert nach Reed 2008, 11. 25 | Ron Morgan nimmt hier einen berühmten Essay aus dem Jahre 1970 »Good by to all that« auf und nennt ihre bitterböse Sexismus-gegen-Hillary-Liste »Good by to all that #2«. http://www.animalliberationfront.com/Practical/Shop--ToDo/Politics/Goodbye2 AllThat.htm, abgerufen am 29.03.2010.
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tieren. Rassismuskritik funktionierte nicht nur unter Bindestrich-Amerikanern und Amerikanerinnen nicht-europäischer Abstammung, sondern auch bei weißen US-Amerikanerinnen und US-Amerikanern. Jedenfalls schloss AntiRassismus kurzzeitig an den American Dream, eine immer perfektere Union (more perfect Union) zu bilden, an. Weiße Unterstützer und Unterstützerinnen der Obama-Kampagne konnten sich von der historischen Hypothek der Sklaverei entlasten und sich kurzfristig als ›bessere Menschen‹ begreifen. Das erklärt auch die große Emotionalität und den ›Bewegungscharakter‹ der Obama-Kampagne. Wir haben es hier mit dem komplexen Paradox zu tun, dass ein Rassismus-Vorwurf ermächtigend und strukturell heroisch sein kann (siehe Hightech Lynching), ein Sexismus-Vorwurf aber in vielen Bereichen als kleinlich, klagend und unsouverän gilt. Daher funktioniert ein Sexismusvorwurf in Territorien, in denen männliche Ermächtigungsrhetorik zählt, wie es z.B. beim Präsidentenamt der Fall ist, nicht. Als Hypothese für das Entstehen und Funktionieren eines solchen Paradoxes wäre hier anzubieten, dass der Gewichtungsunterschied von Sexismus und Rassismus im kulturell Unbewussten der USA an der historischen ›Schuld‹ der Weißen an der Versklavung schwarzer Menschen gemessen wird. Diese ›Schuld‹ wird allgemein anerkannt, wenngleich sie vielfach bereits als beglichen verstanden wird und die Erinnerung daran als lästig gilt (siehe die Rhetoriken im O.J. Simpson-Prozess zur angeblichen Unangemessenheit der ›RaceCard‹). Geschlechtsunterdrückung dagegen wird nicht als ›Schuld‹ der Männer im Allgemeinen gesehen, sondern als Zeichen von Rückständigkeit, die von beiden Geschlechtern gemeinsam im Zivilisationsprozess überwunden wurde. Sexismus gilt daher als Äußerungsform einzelner rückständiger Individuen und nicht als zu tilgende gesamtgesellschaftliche Schuld und ist daher nicht so gut politisierbar. Weißer Anti-Rassismus hat eine hohe politische Autorisierungskompetenz, einen schuld-kompensatorischen ›Wohlfühl-Charakter‹ und verspricht Community/Gemeinschaft mit den vormals Unterdrückten. Sexismuskritik hat keinen gemeinschaftsbildenden Charakter und ist auch wegen der Unterstellung, sie beträfe nur ältere Frauen, ›unsexy‹. Insofern hat es Clinton geschadet, gegen einen schwarzen Mann zu kandidieren. Nun allerdings hat der Wohlfühl-Charakter der ›Obama-Mania‹ nur bis zur Wahl und Obamas Sieg und wenige Wochen darüber hinaus angehalten. Was dann passierte fasst der New York Times Kolumnist Frank Rich folgendermaßen zusammen: »Depending on where you stand — on the given day — he is either an overintellectual, professorial wuss or a ruthless Chicago machine pol rivaling the original Boss Daley. He is either a socialist redistributing wealth to the undeserving poor or a tool of Wall Street’s Goldman Sachs elite. He is a terrorist-coddling, A.C.L.U.-tilting lawyer or a closet Cheneyite upholding the worst excesses of the Bush administration’s end run on the Consti-
7. P OSTSCRIPT tution. He is a lightweight celebrity who’s clueless without a teleprompter or a Machiavellian mastermind who has ingeniously forged his Hawaiian birth certificate, covered up his ties to Islamic radicals and bamboozled the entire mainstream press. He is the reincarnation of J.F.K., L.B.J., F.D.R., Reagan, Hitler, Stalin, Adlai Stevenson or Nelson Mandela.« 26
Das Bedürfnis nach ›Differenz‹ zur Ära Bush trug zunächst nur bis zur Abwicklung des ›falschen‹ Präsidenten. Dazwischen schob sich das unausgesprochene Weißseinsgebot hegemonialer Männlichkeit wieder mehr in den Vordergrund.
*** Ich gehe hier mit Bedacht das Risiko ein, eine wissenschaftliche Arbeit mit einem tagespolitischen Postscript ausklingen zu lassen. Selbstverständlich sind zeitgenössische Ereignisse Momentaufnahmen und werden häufig durch spätere Perspektivierungen und Trendwenden umgewertet. Ich habe der Verführung, in der Conclusio einen aktuellen Zusammenhang zu nutzen, trotzdem nachgegeben, weil ich zum Schluss noch ein paar öffnende Fragen erwägen möchte, die zeitgleich mit der historischen Paarung Clinton/Obama verstärkt aus akademischen Diskursen ins allgemeine Bewusstsein traten. So wurde immer wieder gefragt, ob hybride Figurationen wie Obama ein Indikator dafür, dass ein Post-Race- oder Beyond-Race-Zeitalter am Horizont auftaucht. Es wurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass nun Handlungsmöglichkeiten jenseits von ›Identitätspolitik‹ als Quelle von Ermächtigung, Gruppensolidarität und dem Anspruch auf Machtteilhabe möglich sind. Es wurde darüber nachgedacht, ob männlich-schwarze Race- und weiblich-weiße Gender-Positionen nicht mehr unauflösbar in hierarchisierten Binaritäten gefangen und zu Opferkonkurrenzen verdammt seien und die zunehmende Globalisierung, Transnationalisierung und Hybridisierung die lokalen Bindungen an konkurrierende Emanzipationsgeschichten und Rhetoriken auflösen könne.
26 | New York Times vom 03.04.2010 in http://www.nytimes.com/2010/04/04/ opinion/04rich.html, abgerufen am 04.03.2010. Interessant am Chor der Obama-Kritiker war auch ein signifikanter links-liberaler Anteil, dessen Schärfe zunächst befremdete. Betrachtet man dieses Phänomen jedoch unter dem Gedanken des oben diskutierten Phantasmas von der ›bipolar Black Masculinity‹, bekommt es mehr Plausibilität. In einem Leserbrief an den Autor obiger Analyse schrieb ein liberaler Obama-Unterstützer: »the often angry and intemperate talk [from] white liberals who voted for Obama [took place because they] expected a ›sweeping Republicans-be-damned kind of agenda‹ in part because they expected a black guy to be intemperate, impetuous, impatient [rather than] measured, deliberate, patient«. http://www.nytimes.com/2010/03/28/ opinion/28rich.html, abgerufen am 04.04.2010.
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Gegen diese optimistische Lesart möchte ich halten, dass Obamas Sieg, der ihn damit zum mächtigsten Mann der Welt, also zur Verkörperung hegemonialer Ordnung machte, für den utopischen Impetus der Fragen nur ein schwacher Indikator ist. Es wurde zwar in den Schlussbetrachtungen demonstriert, dass Race- und Gender über Identity Performances durchaus flexibilisiert werden können. Aber es wurde auch deutlich, dass das nur in auf einer bestimmten Weise verschalteten Registern möglich ist. Der Verschaltungsprozess folgt der Logik ›Otherness‹ auf anderen Szenen der Ungleichheit mit Hypernormalisierung zu kompensieren. Obamas Blackness wird z.B. über die Heteronormalisierung seiner Familie entfärbt, Clintons Feminität wird über ihr spätes ›possessive Investment in Whiteness‹27 konsumierbar gemacht. Die Tendenz, über strategische Normalisierung ›Otherness‹ vergessen zu machen, zeigt sich auch an der Frage, auf welchen Achsen keine qualitativen Veränderungen in der politischen Rhetorik auftauchten. Bei der ›Yes We Can‹Rhetorik waren die Native Americans ausgespart. Die Erinnerung an den Völkermord der Settlerkolonisten an den indigenen Amerikanern und Amerikanerinnen hätte die Einschreibung in Whiteness untergraben. Whiteness wäre dann als eine schuldbeladene (genozidale) und nicht als erstrebenswerte Norm erschienen. Die Selbstaffirmation des Westens, mit Kolonisierung des ›Restes‹ der Welt, Aufklärung, Fortschritt und Zivilisation für alle gebracht zu haben, wurde durch die Ausgrenzung der Native Americans in der ›More Perfect Union‹ nicht angetastet. Die Gender-Ordnung im Weißen Haus lebt die klassische Kernfamilie vor, obwohl Michelle Obama vor ihrer Heirat und noch lange danach eine bedeutendere Karriere als ihr Mann gemacht hat. Gay Marriage stand lange nicht auf der politischen Tagesordnung. Somit bleiben geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als Regime hierarchisierter androzentrischer GenderOrdnungen, Heteronormativität und Ethnozentrismus (der schwarze Präsident als höchster Repräsentant der weißen Zivilisationsleiter, daher der Ausschluss der Native Americans) die Voraussetzung von hegemonialer Herrschaft. Damit hat sich zwischenzeitlich die okzidentale Spätmoderne auf den Registern Color und Gender insofern flexibel gezeigt, als sie Protagonisten und Protagonistinnen zulässt, die innerhalb der abendländischen Hegemonie-Produktion eine angemessene Identity-Performance zeigen. Diese im Obama/Clinton-Beispiel eingerasteten Scharniere sind es, an denen unter anderen Umständen Post-Race-, Post-Gender- und Post-Identitäts-Figurationen denkbar wären. Michel Foucault beendet seine Analyse des bürgerlichen Macht-, Wissens- und Wahrheitskomplexes in der Ordnung der Dinge mit einer Heterotopie, mit der er andeutet, dass die Konstruktion des ›Menschen‹ als Krone der eigenen Schöpfung verschwinden könnte, wie »[…] am Meeresufer ein Gesicht im Sand« (Foucault 1971b, 462). Damit würde 27 | Siehe das Buch gleichen Titels von Lipsitz 1998.
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auch die Biologie, d.h. der Evolutionismus als Leitwissenschaft aufsteigender Zivilisationskompetenz (des weißen Mannes) ihren Anspruch auf Allerklärung verlieren. Der epistemologische Trick, die eigene superiore Existenz durch die Auslagerung in eine angeblich unbeeinflussbare Natur zu legitimieren, verlöre an Überzeugungskraft. Die Kategorie ›Natur‹ hätte damit wie ›Sex‹ in der Kritik des dekonstruktiven Feminismus keine prädiskursive Existenz mehr. Eine neuere Schule anthropologischen Denkens, die in der Anthologie Race, Nature, and the Politics of Difference zusammengefasst ist, formuliert programmatisch: »We insist on the historical specifity of particular racisms and naturalisms. We agree that racial and natural verities must be robbed of their naturalizing power« (Moore/Kosek/Pandian 2003, 3). Die Frauenfrage ist jedoch nur partiell über eine Denaturalisierung weiterzubringen. Schließlich ist diese Botschaft, dass Frauen nicht sind, sondern gemacht werden, seit John Stuart Mill und Harriett Taylor Mill, wiederaufgenommen von Simone de Beauvoir und radikalisiert durch die feministische Dekonstruktion, seit 150 Jahren unterwegs, ohne einen unumkehrbaren Eindruck in der hierarchisierten Geschlechterordnung zu hinterlassen. Hier muss weniger über das Verhältnis von Natur und Zivilisation wie in der Race-Frage, sondern über das Verhältnis Natur und Kultur neu nachgedacht werden. Es ist zu fragen, ob revidierbar ist, dass das Weib als ›Natur‹ im Kontrast zu Kultur konzipiert wird, und deshalb die Spitze der Zivilisationshierarchie nicht erklimmen kann. Pierre Bourdieu z.B. erklärt Die männliche Herrschaft darüber, dass sie sich zu einem Bewusstsein über die Verfasstheit der Welt entwickelt hat, einer Doxa, die sich im sozialen Körper zu einem Habitus abgespeichert hat. Diese ließe sich nur aufsprengen, wenn prinzipiell das Natur-Kultur-Verhältnis in Frage gestellt würde.28 Schon Gayle Rubin, die asymmetrische Sex-Gender-Systeme auf soziale Praktiken wie Frauentausch und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zurückgeführt und denaturalisiert hat, steuert das Natur-Kultur-Verhältnis an, wenn sie sich eine ›genderless society‹ wünscht, um den ständigen Refigurationen der an Natur angehefteten Weiblichkeit zu entgehen (Rubin 2006, 109). Epistemologische Zweifel dieser Art greifen nicht nur Denkformen an, sondern ein Verständnis von Moderne und Fortschritt auf den Achsen von Natur/ Zivilisation und Natur/Kultur und damit das Verständnis von Geschichte. Das
28 | Bourdieu schließt seine Studie »Die männliche Herrschaft« mit den Worten: »Alles veranlasst […] zu der Annahme, dass die Befreiung der Frau eine wirkliche kollektive Kontrolle jener gesellschaftlichen Herrschaftsmechanismen zur unabdingbaren Voraussetzung hat, die verhindern, dass die Kultur […] anders begriffen wird als ein soziales Distinktionsverhältnis, behauptet gegen eine Natur, die nie etwas anderes ist als das naturalisierte Schicksal beherrschter Gruppen (Frauen, Arme, Kolonisierte, stigmatisierte Ethnien usf.)« (Bourdieu 1997, 217).
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betrifft hegemoniale und gegenhegemoniale Diskurse gleichermaßen. Ella Shohat bringt eine solche Perspektive für feministisches Denken auf den Punkt: »While it is a commonplace in feminist studies to link Modernity to the rise of feminism, it could be argued that the crisis of Modernity in the wake of anticolonial and antiracist interrogation has also reshaped feminism itself so that it has begun to shed the white man’s and white woman’s burden of enlightenment and its concomitant narrative of progress.« (Shohat 2006b, 10)
Auch Paul Gilroy plädiert dafür, die okzidentale Fortschrittsgeschichte vom Kopf auf die Füße zu stellen und den Kolonialismus nicht als ein in ›fernen Territorien‹ abgespaltenes Herrschaftssystem, sondern als ›Labor der Moderne‹ zu verstehen, die auf ›Raciologie‹ gründet. Wie Shohat in feministischen Praktiken Möglichkeiten sieht, über ein kritisches Verhältnis zur Moderne Allianzen zu schließen, sieht Gilroy Chancen für Bündnisse westlicher Zivilisationsmüdigkeit mit der Weisheit der ehemals Versklavten. Diese wünschenswerten De-Zentrierungen sind aber erst dann komplett, wenn Race und Gender integriert betrachtet werden. Das macht jedoch nur dann Sinn, wenn die Situierung der Betrachtenden und damit ihre eventuelle Teilzugehörigkeit zu hegemonialen Strukturen Bestandteil der Denk- und Handlungsform ist, d.h. wenn sie selbstreflexiv sind. In von Männern verfassten Schriften der Postcolonial Theory sind hegemonie(selbst)kritische (Dietze 2007) Bezüge auf Androzentrismus mit Ausnahme von Stuart Hall eher selten. Eine Öffnung in dieser Frage konnte man in der ›Queer of Color‹- oder der ›Queer of Diaspora‹-Theory beobachten, wenngleich diese mehr auf Heteronormativität als auf Androzentrismus gerichtet ist. Eine Heteronormativitätskritik ›erledigt‹ eine Kritik an Androzentrismus nicht notwendig mit und wenn sie es tut, dann auch nicht vollständig. Das leistet zwar die Masculinity Theory, der es aber an einer Ausdifferenzierung hegemonialer Aspekte von Feminität fehlt. Diese Fragen wiederum haben ›Black Feminist Thought‹ und postkoloniale und transnationale Feministinnen theoretisiert. Obwohl in den Gender Studies mehr und mehr über Race nachgedacht wird, ist die Formation derjenigen weißen Gender-Theoretikerinnen und -Theoretikern, die der Reflektion von Whiteness einen systematischen Platz einräumen, erst im Entstehen. Die Studie Weiße Frauen in Bewegung positioniert sich in den zuletzt angerissenen Fragestellungen auf mehreren Ebenen. Zum ersten versteht sie sich als diskursanalytische Untersuchung einer bestimmten US-amerikanischen Konstellation von gegenseitig sich artikulierenden Race- und GenderEmanzipationsdiskursen. Zweitens möchte sie die Funktion dieser Diskurse als Race-Gender-Projekte analysieren. Und drittens sieht sie sich als ein Beitrag zu einer situierten und hegemonie(selbst)kritischen Epistemologie innerhalb weiß-feministischen Denkens. Öffnungen wie Post-Race- und Post-Identity-Per-
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spektiven wird dabei mit großer Sympathie begegnet, um gegebenenfalls zur »Deterritorialization of the binary figuration of black/white« (Wiegman 1995, 8) – und feminin und maskulin – beitragen zu können. Jedoch glaube ich wie Linda Alcoff, dass als Voraussetzung dazu zunächst die Ausbildung eines ›Double White Consciousness‹ nötig ist, das aus einer Kombination von (Selbst)Kritik und Rekonstruktion des anti-rassistischen Erbes bestehen sollte (Alcoff 2006, 221f). Weiße Frauen in Bewegung zielt insofern nicht nur auf Kritik an ›hegemonialen (weißen) Feminismen‹ und androzentrischen Beschränkungen anderer Emanzipationsbewegungen und deren systemische Verklammerung in OpferKonkurrenzen. Sondern sie reiht sich in Programme ein, die gegenseitige Artikulationen von Marginalisierten entkoppeln wollen, Hegemonie(selbst)kritik produktivieren und Intersektionalitäten sowohl ›queren‹ als auch die Existenz von ›Mehrfachidentitäten‹ als epistemologische Chance begreifen.
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Filmographie
Bamboozled (2000, Release Deutschland 2001), von Spike Lee The Birth of a Nation (1915), von D.W. Griffith Borderline (1930 UK), von Kenneth Macpherson Boyz in the Hood (1991, Release Deutschland 1992), von John Singleton Do the Right Thing (1988, Westdeutschland 1989), von Spike Lee Get on the Bus (1996), von Spike Lee He got Game (1998, Release Deutschland 1999), von Spike Lee Invictus (2009, Release Deutschland 2010) von Clint Eastwood The Jazzsinger (1927, Release Deutschland 1929), von Alan Crosland Jungle Feaver (1991, Release Deutschland 1991), von Spike Lee Malcolm X (1992, Release Deutschland 1993), von Spike Lee Men in Black Filme (I/1997, II/2002), von Barry Sonnenfeld 8 Mile (2002, Release Deutschland 2003), von Curtis Hanson Mississippi Burning (1988), von Alan Parker Mo Better Blues (1990, Release Westdeutschland 1990), von Spike Lee The Musketeers of Pig Alley (1912), von D.W. Griffith Naked Gun I, II, III: The Naked Gun: From the Files of Police Squad! (1988, Release Westdeutschland 1989), von David Zucker The Naked Gun 2½: The Smell of Fear (1991, Release Deutschland 08.08.1991), von David Zucker Naked Gun 33 1/3: The Final Insult (1994, Release Deutschland 12.05.1994), von Peter Segal
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School Daze (1988), von Spike Lee Traffic in Souls (1913), von George Loane Tucker To Wong Foo, Thanks for Everything! Julie Newmar (1995, Release Deutschland 1996), von Beeban Kidron
*** Fernsehserie »The Fresh Prince of Bel-Air« (1990), Creators: Andy Borowitz, Susan Borowitz
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Abbildungen
S. 60 S. 61 S. 80 S. 82 S. 183 S. 183 S. 183 S. 184 S. 214 S. 214 S. 217 S. 218 S. 226 S. 278 S. 289 S. 320 S. 344 S. 344 S. 345 S. 383 S. 400 S. 406 S. 406 S. 407
Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9+10 Abb. 11 Abb. 12+13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25 Abb. 26
S. 411 S. 412 S. 414
Abb. 27 Abb. 28 Abb. 29
Am I not a Woman, Anti-Slavery Signet Am I not a Man, Anti-Slavery Signet The Greek Slave, Skulptur von Hiram Powers Black Greek Slave Romaine Brooks: Una Lady Troubridge Man Ray, Tzara kniet vor Nancy Cunard Nancy Cunard, liegend Man Ray, Nancy Cunard mit Armreifen Nancy Cunard, Negativabzug Nancy Cunard mit würgendem Halsband Man Ray: Masken und Negativ Buchcover: Henry Crowder Paul Robeson ›I am a Man‹, Foto aus Müllmännerstreik in Birmingham Norm und Norma SNCC-Logo Emmett Till als Lynchopfer Emmett Till als Junge mit Hut Emmett Till mit seiner Mutter Buchcover: Anita Hill O.J. Simpson in Newsweek und Time Titel photoshopped Buchcover: Marcia Clark, Without Doubt, Front Buchcover: Marcia Clark, Without Doubt, Back Buchcover: Amanda Cooley, Carrie Bess und Marsha Rubin-Jackson, Madam Foremen. Rush to Judgement? Buchcover: Johnnie Cochran Jr., Journey to Justice Buchcover: Christopher Darden, In Contempt Buchcover: Vincent Bugliosi, Outrage
Namensregister 1 A Addams, Jane: 128-151, 154, 155, 171, 172, 179 FN 10, 201, 212 FN 74, 234, 332, 348, 352 FN 82 Respect for the Law (1901), 146f New Conscience and an Old Evil (1912), 138f, 141, 142 FN 79, 143, 144 Twenty Years of Hull-House (1910), 149f Social Control (1911), 156 Agassiz, Elizabeth Cary: 116 FN 31 Agassiz, Louis: 115, 115 FN 30, 116 FN 31 Ames, Jesse Daniel: 40 FN 40, 316 FN 22 Andersch, Alfred: 73 FN 60 Anderson, Sherwood: 188, 189 FN 32 Angelou, Maya: 192 Anthony, Susan B.: 77, 86, 88 FN 86, 89, 91, 92, 96, 307, 331 Anzaldua, Gloria: 31 FN 25, 332 FN 50 Aristoteles: 105 Assing, Ottilie: 95, 95 FN 98 Astell, Mary: 76 Austin, J. L.: 386 FN 17
B Baia, Ashley: 430f Baldwin, James: 41, 167 FN 121, 195, 257, 274, 274 FN 40+41, 275, 277,
278, 286, 286 FN 59+60, 302, 303, 380 FN 51 Another Country (1962), 276 Going to Meet the Man (1965), 51, 252, 253, 254 Rap on Race (1971), 281 FN 49 Baraka, Amiri (LeRoi Jones): 41, 197, 257, 257 FN 14, 258, 273 FN 39, 276, 277, 277 FN 46, 286, 286 FN 59, 303 Barnes, Djuna: 190 Barthes, Roland: 23, 242, FN 138 Mythen des Alltags (1957), 313, 357 Beaton, Cecil: 183 Beauvoir, Simone de: 437 Deuxième Sexe (1949), 325, 326, 326 FN 35, Beecher Stowe, Harriet: 50, 57, 63 FN 38, 69-73, 75, 93 Uncle Tom’s Cabin (1852), 50, 57, 57 FN 25, 69, 71, 72 FN 57, 208 Beecher, Catharine: 49, 54 FN 18, 70 FN 53, 71, 72, 72 FN 57 Beecher, Henry Ward: 78 FN 68, 93 Beecher, Lyman: 70 FN 53 Bess, Carrie: 408 Bhabha, Homi: 114 FN 23
1 | Die kursiven Seitenzahlen beziehen sich auf Textabschnitte im Buch, in denen die Autorin oder der Autor gesondert behandelt werden.
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG Bird, Caroline (Miss): 311, 324 Bissel, Mary T.: 124 FN 45 Blackwell, Antoinette (Antonia) Brown: 121, 125, 125 FN 47, 126, 126 FN 50, 128, 134, 134 FN 65, 136 Blackwell, Henry: 78 Boas, Franz: 152, 189, 189 FN 34, 201, FN 58 Böll, Heinrich: 73 FN 60 Bonaparte, Marie: 192 FN 41 Bourdieu, Pierre: 206, 249 FN 136, 270 FN 37, 316 FN 21, 422, 437, 437 FN 28 Bourne, George: 89 FN 87 Bowman, Patricia: 386, 386 FN 60, 387 Brachet, Jean Louis: 66 Brancusi, Constantin: 183 Braun, Eva: 350, 350 FN 79 Brawley, Tawana: 379 FN 47 Briquet, Pierre: 66 Broca, Paul: 122 FN 43 Brown, Norman O.: 340 Brooks, Gwendolyn: 187 Brooks, Louise: 182 Brooks, Romaine: 182 Brown, Carol Moseley: 385 FN 59 Brown, Wendy: 40, 42, 342 Brown, William Wells: 82 FN 74 Browning, Joan C.: 330 Brownmiller, Susan: 41, 340-351, 355357, 368 FN 18, 377, 391 FN 78 Brunswick, Ruth Mack: 192 FN 41 Bryant, Carolyn: 349, 350, 351 Bryher (Annie Winifred Ellerman): 192 Bugliosi, Vincent: 401, 413, 414, 415, 416 Burlage, Dorothy Dawson: 320, 321, 331 Bush, George H.W.: 10, 32, 360, 367, 369, 371 FN 27, 373 FN 35, 394 Bush, George W.: 9, 434, 435 Butler, Judith: 22-25, 28, 42, 83 FN 78, 98, 164 FN 116, 209 FN 70, 233 FN 125, 239, 299, 315 FN 16,
331, 331 FN 48, 364, 364 FN 9, 378-379, 415-416, 423
C Caldwell, Charles: 115 Carmichael, Stokeley: 303, 328, 329, 329 FN 44, 330, 334, 337, 361 Cash, Wilbur Joseph (W.J.): 258, 259 Chandler, Elizabeth Margaret: 46, 5759, 64, 67, 68, 74, 75 Chaney, James: 317 FN 24 Child, Lydia Maria: 55, 58 FN 27, 76 FN 65, 79 FN 70, 90 An Appeal in Favor of that Class of Americans Called Africans (1833), 50, 76 Clark, Marcia: 398, 401, 402, 404, 405, 406, 408, 409, 411, 413 Clarke, Edward: 111, 121 FN 41, 132 Clayton, Horace: 260 Cleaver, Eldridge: 41, 257, 258, 268, 275 FN 41, 277, 278, 285287, 296, 297, 303, 337-340, 342, 346-348, 350, 351, 355, 356, 358 Clifford, James: 185 FN 25, 219 FN 91 Clinton, Hillary Rodham: 9, 11, 20, 421, 422, 423, 426, 427, 428, 429, 432, 432 FN 23, 433, 434, 435, 436 Cobbe, Frances Power: 101, 102 Cobbs, Price: 278 Cochran, Johnnie Jr.: 399, 401, 409, 410, 410 FN 111, 412 Cook, Helen: 77 Cooley, Amanda: 408 Craft, Ellen: 82 Crew, Mary: 45 FN 2 Cruse, Harold: 188 FN 30 Crowder, Henry: 193, 207, 218, 219, 219 FN 89, 219 FN 90, 231 Cullen, Countee: 187, 246 Cumbahee River Collective: 31
N AMENSREGISTER Cunard, Lady Emerald: 193, 193 FN 44, 232 FN 120 Cunard, Nancy: 175, 176, 182, 183, 185, 186, 190, 192, 207, 212-215, 218, 219, 219 FN 89, 222, 222 FN 98, 228, 229, 233, 233 FN 21, 248, 249, 325 Black Men and White Ladyship (1930), 193, 194, 215, 216, 234 Negro. An Anthology (1934), 20, 232, 232 FN 120, 238, 240 The American Moron (1938), 199, 200
D Darden, Christopher: 401, 409, 410414, 416 Darwin, Charles: 101-118, 120-126, 151, 152, 152 FN 95, 170 FN 124, 220 Davis, Angela: 22 FN 8, 88 FN 86, 291, 348, 349 Davis, Ossie: 285, 290, 292, 413 FN 116 De Lauretis, Teresa: 33 Dean, Heather: 315, 315 FN 18, 316 Derrida, Jacques: 60 FN 32 Dershowitz, Alan: 401, 403-405, 413, 417 Descartes, René: 102, 103 FN 4 Dewey, John: 189 Dixon, Thomas: 267 Doolittle, Hilda (H.D.): 176, 182, 187, 190, 192 FN 41, 223-229, 230, 231 FN 116, 233, 233 FN 122, 234, 325 The Borderline Pamphlet (1930), 227, 227 FN 111, 230, 231 Red Roses for Bronze (1932), 227, 228, 231 Two Americans (1930), 228, 229 Tribute to Freud by H.D. (1956), 191, 224 Douglas, Aaron: 187 Douglas, Mary: 64 FN 40
Douglass, Ann Murray: 71 FN 55, 179, 193 FN 46 Douglass, Frederick: 18, 46, 47, 62 FN 36, 81 FN 71, 87, 89-99, 118, 154, 161, 197 FN 52, 248 FN 151, 255, 278, 286 FN 60, 294, 409, Narrative of the Life of Frederick Douglass (1845), 92, 93, 255 FN 10, 410 My Bondage my Freedom (1855), 94 FN 97 The Claim of the Negro Ethnologically Considered (1874), 115 FN 29, Douglass, Sarah: 51 FN 11, Du Bois, William Edward Burghardt (W.E.B.): 146 FN 85, 151, 153-156, 160, 160 FN 106, 161, 167 FN 120, 170 FN 124, 188, 202, 233, 235 FN 126, 259 FN 17, 275, 282, 289, 409, 410 FN 111 The Conservation of a Race (1897), 152, 153 The Philadelphia Negro (1899), 152, 152 FN 95, 155 FN 103 The Souls of Black Folk (1903), 158, 160 The Quest of Silverfleece (1911), 157159, 173 The Damnation of Women (1920), 155 FN 103 The Comet (1920) 164-173 Dark Princess (1928), 155 FN 103 Dusk of Dawn (1940), 152, 152 FN 54 DuBose, Heyward: 189 FN 32 Dumas, Alexandre fils: 308, FN 4 Dworkin, Andrea: 400
E Echols, Alice: 329, 341 FN 64 Ehrenreich, Barbara: 433
497
498
W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG Elija, Muhammed: 279, 290 Eliot, T.S.: 187, 188, 190 Ellis, Havelock: 178 FN 5, 191, 192, 192 FN 43 Ellison, Ralph: 197 FN 52, 274-277, 298, 302, 409 Invisible Man (1952), 207-209, 257, 270-272, 274, 275, 277 Emerson, Ralph Waldo: 298 Eminem: 286 FN 59 Engels, Friedrich: 64, 107, 108 Ensler, Eve: 19 FN 6 Ernst, Max: 216 FN 84 Evans, Medgar: 317 FN 24
F Fabian, Johannes: 113 Faludi, Susan: 291 FN 67, 393 FN 82, 419 Fanon, Frantz: 26 FN 15, 216, 229 FN 115, 253, 253 FN 7, 259, 259 FN 17, 265 FN 26, 267 FN 31 Fauset, Jessie: 187, 189, 190 Firestone, Shulamith: 310, 335, 336, 337340, 341 FN 64, 342, 355 Fishbourne, Larry: 300 Fitzgerald, Scott: 187 Forten, Sarah: 51 Foucault, Michel: 19, 43, 65 FN 43, 66, 67, 261-263, 265, 280, 328 FN 41 Ordnung der Dinge (1966), 107, 107 FN 11, 109, 436 Archäologie des Wissens (1969), 21, 22 FN 9 Überwachen und Strafen (1975), 63, 98 FN 103, 123 Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit (1976), 19, 52, 65 FN 42, 111 FN 18, 150 FN 92, 262 FN 20, 263 FN 21 Frank, Leo: 350 Frank, Waldo: 188, 189 FN 32, 236
Fraser, Nancy: 378 FN 44, 433 Freeman, Lucy: 329, 330 FN 45 Freud, Sigmund: 28, 58, 71, 73, 162, 166, 167 FN 120, 182 FN 21, 191, 192 FN 41, 206, 209 FN 70, 210, 223, 223 FN 102, 224, 227, 228 FN 113, 231 FN 116, 259-261, 270, 275, 314 FN 16, 315 Studien über Hysterie (1895), 71, 192 Bruchstücke einer Hysterieanalyse (1905), 69, 70, 70 FN 52, 71, 192 Die kulturelle Sexualmoral und die moderne Nervosität (1908), 225, 227 FN 111 Totem und Tabu (1913), 205, 211, 221, 221 FN 96 Trauer und Melancholie (1916), 242 FN 139 Die Frage der Laienanalyse (1928), 221 Friedan, Betty: 191 FN 38, 308, 309, 311, 325 FN 34 Fuhrman, Mark: 299 FN 79, 411, 412, 412 FN 13, 416
G Gamble, Elizabeth Burt: 124, 125, 125 FN 47, 136 Garrison, William Lloyd: 45 FN 1, 55, 58, 78 FN 68, 89, 90 FN 89, 154 Gates, Henry Louis: 93 FN 94, 185, 238, 238 FN 129, 282 FN 51 Gauguin, Paul: 223 Geddes, Patrick: 135-137 Geertz, Clifford: 215 FN 80 Gennep, Arnold van: 212 FN 74 Giddings, Paula: 22 FN 8, 87 FN 84, 88 FN 86, 291, 326 FN 34, 379 FN 46 Gilligan, Carol: 371, 371 FN 29 Gilman, Charlotte Perkins: 20, 128-151, 155 FN 103, 172, 179 FN 10, 201
N AMENSREGISTER Women and Economics (1898), 132, 142, 142 FN 80 The Yellow Wallpaper (1892), 129, 130 FN 56 Suggestions on the Negro Problem (1908), 133 The Crux (1910), 143 His Mother (1914), 141 The Girl in the Pink Hat (1916), 140 Herland (1922), 134 Gilroy, Paul: 24 FN 12, 32, 33, 33 FN 28, 281, 283 FN 54, 284 FN 54, 287 FN 63, 295, 296, 438 Gish, Lillian: 197 Goldberg, Hank: 401 Goldman, Ron: 395, 417 FN 121 Goodman, Andrew: 317 FN 24 Gouges, Olympe de: 18 FN 4, 76, 77 Gould, Stephen Jay: 116 FN 30, 117 FN 34 Ontgeny and Phylogeny (1977), 119 Mismeasure of Men (1981), 110, 110 FN 15, 118 FN 36, 122 FN 43 Gramsci, Antonio: 36, 37, 366 Green Philips, Ann: 45 FN 2 Grier, William: 278, 403 FN 100 Griffith, David Lewlyn Ward (D.W.): 140 FN 74, 197, 216 Griffith, Julia: 95 Grimké, Angelina: 20, 48-50, 55, 56, 56 FN 21, 62, 72 FN 65, 75, 77, 81, 85, 326, 331 Grimké, Sarah: 50, 55, 61, 62, 65 FN 41, 72 FN 56, 76, 77, 79 FN 70, 81, 326, 331 Gurdjieff, Georg I.: 238, 239, 239 FN 132
H Haeckel, Ernst: 117 Haley, Alex: 279, 280 Hall, Stanley: 108 FN 13, 111, 117 FN 33, 122 FN 42, 132
Hall, Stuart: 35, 35 FN 33, 36, 37, 186, 186 FN 29, 313, 438 Halliday, George: 359 Haraway, Donna: 111 FN 18, 112, 112 FN 19, 151 FN 93, 173 Hardaker, M. A. (Miss): 124 FN 45 Harding, Sandra, 112 FN 19 Hayden, Casey: 312 FN 13, 320, 322-326, 326 FN 36, 327, 328, 328 FN 40, 329, 331-334, 344, 345 Heymann, Lydia Gustava: 141 FN 75 Higginbotham, Leon, 292, 326 FN 34, 377 FN 41, 409 FN 110 Hill Collins, Patricia: 31, 32, 332 FN 50 Hill, Anita: 10, 376-385, 387 FN 62 Himes, Chester: 273 FN 39 Homer: 224 hooks, bell: 22 FN 8, 88 FN 86, 266 FN 29, 283 FN 54, 300 FN 81, 349 FN 76, 373, 408, 408 FN 109 Horney, Karen: 260 Hughes, Langston: 187, 246 The Ways of White Folk (1934), 26 FN 15 The Big Sea (1940), 136, 141, 142, 247 Hurston, Zora Neale: 181, 186, 189, 190
I Irigaray, Luce: 68, 68 FN 49
J Jackson, Andre: 52 Jackson, Jesse: 27 FN 17, 292 Jackson, Michael: 414 Jacobs, Harriet: 97, 379 James, William: 167 FN 120 Johnson, Helen: 187, 190 Johnson, Jack: 194 FN 84, 393 FN 83 Johnson, James Weldon: 161, 162 FN 109, 179 FN 8, 181, 181 FN
499
500
W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG 13, 187 FN 30, 202, 207, 209, 236, 243, 244 FN 142 247 Jolson, Al: 216 Jones, Gayle: 374 FN 37 Jung, C.G.: 211 FN 73, 223, 224
K Kant, Immanuel: 102, 275 Kardiner, Abram: 261 FN 19, 311 Kauffmann, Reginald Wright: 140 FN 74 Kelley, Abby: 45, 47, 48, 55, 67, 68, 68 FN 48, 96 Kemble, Fanny: 90 Kennedy, Edward: 386, 387 FN 62 Kennedy, John F.: 13, 398 Kennedy Smith, William: 386, 386 FN 60+61, 387, 388, 389, 390, 393 Ker-Seymer, Barabara: 183, 213, 215, 217 Kimber, Abby: 45 FN 2 King, Martin Luther Jr.: 277, 280, 286, 360, 370 FN 23, 409, 430 King, Mary: 312 FN 13, 319, 322-329, 333, 334, 343, 343 FN 69, 344 King, Rodney: 294-295, 359-364, 387 FN 64, 397, 397 FN 91, 398, 399 Koedt, Anne: 310, 340 Kokoschka, Oskar: 183 Koon, Stacey: 361, 362 Krafft-Ebing, Richard von: 121
L Lacan, Jacques: 259, 259 FN 17 Laclau, Ernesto: 35, 36, 37, 417 Lady Diana: 398 Larson, Nella: 187, 190 Le Bon, Gustave: 118 Lee, Spike, 256 FN 12, 257, 287-303, 390, 413 FN Do the Right Thing (1988), 303
School Daze (1988), 300 Mo Better Blues (1990), 297 Jungle Feaver (1991), 301 Malcolm X (1992), 257 FN 14, 287, 289, 290, 295 FN 73, 297 Get on the Bus (1996), 292-295, 298, 300 He Got Game (1998), 298, 299 Bamboozled (2001), 197 FN 52 Leibowitz, Annie: 382 Leiris, Michel: 222 FN 100 Lessing, Doris: 325 Lévi-Strauss, Claude: 205, 206, 314 FN 16 Lincoln, Abraham: 204, 204 FN 63, 230, 293 Linné, Carl von: 111 Lippman, Walter: 142 FN 79 Little, Earl: 290, 297 Locke, Alain: 179, 179 FN 9, 187 FN 30, 203, 218 FN 88, 233 FN 121, 246 Luhan, Mabel Dodge: 176, 177, 177 FN 1, 181, 225 FN 107, 236 Lundy, Benjamin: 57 FN 26, 58 FN 26
M Ma Rainy (Gertrude Rainy): 186 Mcaulay, Rose: 190 McKay, Claude: 187, 232 FN 120, 236, 239, 240, 246 Macpherson, Kenneth: 192, 225, 231 FN 116 Malcolm X: 257, 257 FN 14, 278-290, 292, 296-298, 300, 410 Malinowski, Bronislaw: 222 Man Ray: 182 FN 20, 183, 215, 216, 216 FN 84+87, 218, 219 FN 89 Marcuse, Herbert: 339 FN 60, 340 Marshall, Thurgood: 367 Martin, Emma Mae: 369, 369 FN 22 Marx, Karl: 14, 25, 259, 275 Matthews, Chris: 432
N AMENSREGISTER May, Samuel: 79 McCain, John: 421, 427 MacKinnon, Catharine: 340, 357, 371, 371 FN 28, 376-378, 378 FN 45, 381 McLean, Helen V.: 253 FN 5, 260, 261, 61 FN 19, 302 FN 83 McLennon, John: 220 FN 93 Mead, Margaret: 167 FN 121, 222, 281 FN 49, 276 Mezzrow, Mezz: 182 FN 16 Mill, Harriet Taylor: 437 Mill, John Stuart: 101, 102, 437 Millett, Kate: 28 FN 20, 339, 340 Mitchell, Weir: 129 Morgan, Lewis: 220 FN 93 Morgan, Robin: 309, 329, 330 FN 45, 433 Morrison, Toni: 20, 22 FN 8, 23, 211 FN 73, 378, 381, 384 Playing in the Dark (1992), 17, 18, 47, 175 Raceing Justice, End-gendering Power (1992), 375, 376, 418 FN 123 Birth of a Nation Hood (1997), 402 Morton, George Samuel: 116, 116 FN 31 Motley, Archibald: 187 Mott, Lucretia: 45 FN 2, 46, 46 FN 3, 46 FN 4, 48, 90, 90 FN 89 Myrdal, Gunnar: 261 FN 19, 288, 314-316, 342 FN 67
O O’Keefe, Georgia: 236 O’Neill, Eugene: 188, 189 FN 32, 198 Obama, Barack Hussein: 9-11, 19 FN 6, 20, 257 FN 12, 421-427 Obama, Michelle: 426-428, 436 Omi, Michael: 24, 35, 37, 38, 139, 144, 154, 266 FN 28, 418, 418 FN 122 Osgood, Emilie Hapgood: 236 Ovesey, Lionel: 261 FN 19, 311 Ovington, Mary White: 154, 176, 201204, 207, 212, 232-234, 330
P Packwood, Bob: 393, 393 FN 81 Palin, Sarah: 426-428 Parks, Rosa: 380, 380 FN 50 Patch, Penny: 318, 330 Pence, Ellen: 355 FN 86 Pechstein, Max: 223 Picasso, Pablo: 218 FN 88, 223 Powers, Hiram: 79, 79 FN 69 Pratt, Geronimo: 410 Pugh, Sarah: 45 FN 2
Q Queen Latifa: 389
N
R
Nauemburg, Margaret: 236 Neal, Elizabeth: 45 FN 2 Neuborne, Helen: 390 Nightingale, Florence: 347 FN 74 Nietzsche, Friedrich: 415 FN 119 Nugent, Richard Bruce: 246 FN 147
Reed, Ishmael: 258, 258 FN 15, 291, 351, 392 FN 80 Reckless Eyeballing (1986), 349, 350 FN 78+79, 351 Buck Passing (1999), 392 Bigger and O.J. (1997), 403 Remond, Charles: 47 Rivière, Joan: 209, 210 FN 71, 210 FN 72 Robeson, Eslande, 226
501
502
W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG Robeson, Paul: 198, 198 FN 53, 199, 200, 225-231, 234, 240, 274 Rock, Chris: 9 Roosevelt, Theodore: 212 FN 74 Rose, Ernestine: 49 FN 9 Ross, Edward Alsworth: 130 FN 56 Rothschild, Mary: 327 FN 39, 336, 351 FN 80 Rubin, Gayle: 28, 41, 206 FN 65, 314317, 339 FN 60, 437 Ruffner, Viola: 157
S Schlink, Berhard: 73 FN 60 Schuyler, George S.: 170 FN 124, 175, 181 FN 14, 236 Scudery, Madelaine de: 76 Sergeant, Elizabeth Shepley: 225, 225 FN 107 Shange, Ntozake: 374 FN 37 Shapiro, Robert: 412 FN 113, 413, 416 Simpson, James Orenthal (O.J.): 10, 11, 13, 20, 41, 258, 258 FN 15, 299 FN 79, 358, 360 FN 3, 365, 370 FN 24, 382, 384, 387 FN 64, 395-418, 424, 434 Simpson, Nicole Brown: 395, 408 Singer, Melanie: 359-363, 365 Singleton, John: 283 FN 54 Smith, Adam: 63 Smith, Rubie Doris: 323, 323 FN 33 Southwick, Abby: 45 FN 2 Spencer, Herbert: 109, 110, 113, 114 FN 22, 117, 121, 132, 133 Spivak, Gayatri: 42, 222 FN 98, 83 Stanton, Elizabeth Cady: 46, 46 FN 4, 51, 52, 55, 77, 84, 85 FN 82, 87-89, 91, 96 FN 99, 308 Stanton, Henry: 46 FN 4 Staples, Robert: 266, 266 FN 28 Stein, Gertrude: 187, 190
Steinem, Gloria: 433 Steward, Maria W.: 49 FN 9 Stone, Lucy, 48, 62, 77-79, 81 FN 71, 82, 90 FN 89 Stowe, Calvin: 72 FN 58 Stowe, Charles: 72 FN 57 Sumner, Graham: 114, 114 FN 25, 120, 120 FN 40
T Tappan Brothers, Arthur und Lewis: 45 FN 1 Terkel, Studs: 380 FN 51 Thomas, Clarence: 10, 41, 358, 359-386, 389, 390, 392-394, 412, 418, 418 FN 123, 419 Thurman, Wallace, 187: 246 Infants in the Spring (1932), 180, 180 FN 11, 246 FN 47, 247 Till, Emmett: 41, 337, 342-344, 347, 348-352, 355, 356, 377 Tillinghast, Muriel: 329 Tocqueville, Alexis de: 54 Toomer, Jean: 170 FN 24, 180, 236, 238, 239, 247 Portrait in Georgia (1923), 213, 269 FN 36 Cane (Bona and Paul) (1923), 237, 238 Train, Georg Francis: 90 Trasher, Sue: 321 Truth, Sojourner: 50 FN 11, 95, 151 Tubman, Harriet: 50 FN 11, 95 Tucker, George Loane: 140 FN 74 Tucker, Lorenzo: 196, 199 Tylor, Edward Burnett: 118, 220 Tyson, Mike: 41, 194 FN 48, 365, 384, 386-394, 418
N AMENSREGISTER
U Ut, Nik: 372 FN 29
V Vechten, Carl van: 181, 216 FN 87, 245 FN 144, 246, 248 Virey, Jean Jacques: 66 Voisin, François: 66, 66 FN 44
W Walker, Alice: 22 FN 8, 318 FN 26, 374 FN 37, 432 Advancing Luna – and Ida B. Wells (1981), 351-358 Meridian (1976), 319 FN 26 The Color Purple (1982), 350 FN 78 Wallace, Michele: 22 FN 8, 30, 256 FN 1, 301 FN 82, 355 FN 87 Ward, Lester Frank: 134 Warner, W. Lloyd: 177 FN 2 Washington, Booker T.: 155, 156, 159, 179 FN 9, 188, 212 FN 74, 270, 271, 288 Washington, Cynthia: 329 Washington, Desirée: 387 Wayne, John: 362 Weld, Theodore Dwight: 56 FN 23 Wells, Ida B.: 20, 145-148, 154 FN 102, 348, 351-353 West, Cornell: 292 West, Mae: 176, 182, 184-186, 194, 194 FN 48, 196, 199, 227, 229-233, 248 The Constant Sinner (1931), 186, 194, 196, 196 FN 50, 198, 201, 230 White, Frances Emily: 124 FN 45 White, Walter: 181, 181 FN 14, 202, 202 FN 59 Whytt, Robert: 65, 65 FN 43, 66 FN 44 Willard, Frances: 144, 145, 145 FN 83, 146, 348 Winant, Howard: 24, 35, 139, 144, 154, 266 FN 28, 365, 418, 418 FN 122
Wishard, Margaret: 124 FN 45 Winslow, Emily: 45 FN 2 Whittier, John Greenleaf: 56 FN 23 Wright, Frances: 48 FN 9 Wright, Jeremiah: 429, 433 Wright, Richard: 41, 257, 261 FN 19, 269 FN 36, 266-271, 275-277 Between the World and me (1935), 269, 270 Native Son (1940), 267, 268 FN 33+34, 298, 302, 303, 409 Black Boy (1945), 268 A Man who Killed a Shadow (1961), 268 FN 34
503
Sachregister 1 A ABA – American Bar Association, Commission on Women: 382 FN 15 Abolutionismus, Abolitionism: 18, 19, 21, 23, 48-52, 55, 57, 57 FN 24, 69, 70, 72, 73, 78, 79, 84, 93, 97, 107, 108, 129 FN 54, 138, 141, 147, 172, 201, 208, 235 FN 126, 308, 312, 317, 322-324, 326 Abtreibung: 11, 39, 369 Abtreibungsrecht, Pro-Choice: 369, 369 FN 21, 394, 394 FN 85 ACLU – American Civil Liberties Union: 434 Affirmative Action: 11, 32, 89, FN 88, 361, 368-370, 394, 394 FN 85 Afrikanistische Präsenz, Africanist Presence: 18, 20, 43, 411 FN 73 Afrozentrismus, afrozentrisch: 270, 281, 282 FN 52, 291, 300, 429, 431 Ageism: 433 American Anti-Slavery Society: 45, 46 FN 5, 48, 96 American Colonization Society, 49 Amerikanisches Dilemma: American Dilemma, 261 FN 19, 284, 314, 342, 342 FN 67, 346, 350 Androgynie: 182, 213
Androzentrismus, androzentrisch: 189, 260, 326 FN 35, 433, 438 Anthropometrie, Vergleichende Anatomie: 116, 117, 122 FN 43, 127, 172, Antikommunismus, Red Scare: 273, 273 FN 29 Anti-Pornographie-Bewegung: 340, 376, 377 FN 44, 378 FN 45 Anti-Rassismus, anti-rassistisch: 85 FN 81, 110, 131, 194, 198, 213 FN 75, 296, 312 FN 13, 319, 326, 332, 347 FN 47, 348, 356, 372 FN 30, 374, 415, 421, 433, 434, 439 Antisemitismus, antisemitisch: 36, 205, 263 FN 22, 279, 350 FN 79 Arbeitsteilung, geschlechtliche, geschlechtsspezifische: 52, 119, 120, 122, 122 FN 43, 123, 125 FN 47, 132, 135, 137, 324, 436, 437 Ariertum, Arier, Ayren, arisch: 36, 134, 135, 205 Arrested Development, Angehaltene Entwicklung: 121, 125, 133 Artikulation, gegenseitige Artikulation: 21, 21 FN 7,24, 35-38, 40, 42, 86, 135, 140, 151, 303, 356 ASHA – American Social Health Association: 143 FN 143
1 | Die kursiven Seitenzahlen beziehen sich auf Textabschnitte im Buch, in denen der Begriff gesondert behandelt wird.
506
W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG Autobiographie, autobiographisch: 149, 319, 325, 361 Autobiographie, afroamerikanische: 94 FN 97, 95, 152, 157, 161, 162, 162 FN 109, 181 FN 14, 202 FN 59, 218, 236, 239, 241, 245 FN 144, 245 FN 55, 260, 268, 277, 279, 282 FN 51, 283, 297, 352 FN 85, 374 FN 36, 382 Autobiographie, autobiographische Prozeßverabeitung des O.J. Simpsom Prozess’: 401-419
B Bigger Thomas (fig.): 257, 258, 258 FN 15, 266-271, 274-276, 287, 289 Biologischer Determinismus, Biologismus: 106, 132, 153, 314 FN 16 Biopolitik: 152 Bisexualität, bisexuell: 182 FN 21, 192, 192 FN 43, 254, 340 Black Aesthetic: 189 Black Arts Movement: 249, 257 FN 14 Black Feminism: 13, 31, 312 FN 13, 332, 348, 349, 351, 389 Black Muslims, Nation of Islam: 256, 257, 277, 278, 281-285, 290, 297, 298 FN 78, 424 FN 9 Black Nationalism: 256, 297, 303, 332 Black Panther, Black Panther Party: 38, 41, 256, 257, 277, 286 FN 58, 287, 300, 303, 307, 328, 335, 337, 339, 355, 410, 423, 431 Black Power: 256, 283 FN 50, Black Rage: 278, 286, 368 Black-Beast-Theorie: 267, 267 FN 31, 274, 402 Blackness, Schwarzsein: 25 FN 14, 28, 47, 148, 165-168, 170, 176, 177, 179, 181, 181 FN 13, 182, 186, 224, 225, 240 FN 134, 242, 248, 253, 261,
265, 286 FN 59, 288, 376, 379, 380, 380 FN 51, 382, 384, 389, 392, 399, 407, 415 FN 118, 425, 426, 429, 436 Blackness, performing, performative: 184, 186, Black-Poster-Boys: 41, 75, FN 61, 358, 359, 390-395 Blickverhältnis, weißer Blick: 22, 160165, 166, 168, 170, 171, 253 FN 6 Boheme: 23, 173, 176, 187, 188, 249, 351 Bürde des weißen Mannes, White Men’s Burden: 118, 343, 410 FN 111 Bürgerkrieg, amerikanischer, Civil War: 17 FN 1, 19, 38, 39, 50, 78, 8688, 98, 108, 128, 158, 185, 185 FN 26, 197, 199, 204, 205, 230, 264, 293, 312 Bürgerrechte, Civil Rights: 41, 89, 91, 93, 159, 185, 187, 286, 303, 305 FN 1, 312, 312 FN 13, 317 FN 24, 318 FN 25, 328, 334, 334 FN 53, 356, 369 FN 19, 371 FN 26, 377 FN 44, 384, 394 FN 85, 399, 400 FN 94, 401, 413 FN 116, 418, 433 Bürgerrechtsbewegung, Civil Rights Movement: 12, 38, 256, 257, 195, 296, 312, 312 FN 13, 318, 319, 323325, 331-333, 341 FN 64, 362, 373 FN 33, 380 FN 50, 384 FN 57, 414, 418, 432 Bürgerrechtsorganisation: 149, 181, 202, 370 FN 23
C Christentum, Christ, christlich: 55, 59, 79 FN 70, 81 FN 73, 107, 224, 282, 282 FN 52, 286, 291 FN 67, 350 FN 79 Civic Household: 54, 131, 137, 143 Civic Motherhood: 132 FN 60,
S ACHREGISTER Color Line: 41, 175, 180, 209, 230, 235, 289, 320, 330-332 Common Sense, Moral Sense, Schottische Philosophie: 63, 63 FN 37 Common Sense, Gramsci: 36, 366, 385 Crisis: 155, 170 FN 124, 189, 235 FN 126 Critical Legal Theory: 423 FN 5 Critical Race Studies, – Theory: 12, 243 FN 5, 399, 412, 414, 423, 425, 426 Critical Whiteness Studies, – Theory, Whiteness Studies, – Theory: 12, 26 FN 15, 233 FN 22, 288, 423 FN 3 Crossdressing: 182, 248, 248 FN 150 Cult of True Womanhood: 54-56, 81, 82, 87, 91, 98, 132 FN 60
D Dark Continent: 175, 221, 221 FN 97, 222, 248 Darwinismus: 101-106, 108, 115 FN 26, 124, 125 FN 47 Darwinismus, Auslese natürliche, Natural Selection: 109, 113, 117, 134, 220 Darwinismus: Auslese sexuelle, Zuchtwahl, Sexual Selection: 109, 120, 113, 126, 126 FN 50, 134, 137, 281 Darwinismus, Evolution, evolutionistisch, Evolutionstheorie: 102-116, 118-120, 122-128, 132-137. 143, 144, 147, 148, 151-153, 172, 173, 177 FN 1, 186, 189 FN 83, 220 FN 95, 221, 228 FN 118, 437 Darwinismus, Soziale Evolution, Social Evolution: 128-137 Date Rape, Acquaintance Rape: 41, 384, 386-395, 399, 419 Declaration of Sentiments: 46, 46 FN 5, 307, 323 Degeneration: 123, 132, 144, 148, 159, 186, 213
Degeneration, ›rassische‹ racial: 143, 144 Dekonstruktion: 17, 274, 437 Demokratische Partei, Demokraten, demokratisch (im Sinne der gleichnamigen Partei): 9, 10, 20, 89, 90, 370, 370 FN 23, 394, 421, 427 Dimorphismus geschlechtlicher, Geschlechtsdimorphismus: 109, 119-122, 126, 127, 237, 172 Disidentifikation, disidentifizieren, Disidentification: 34, 216, 333 Diskursanalyse, diskursanalytisch: 43, 438 Diskursanalyse, Archäologie, archäologisch: 22 FN 9, 107, 111 FN 17, 269, Diskursanalyse, Genealogie, genealogisch: 22, 22 FN 9, 134, 415, FN 119 Doppelbinarität: 281, 281 FN 49, 181, 283 Doppelstandard männlicher, Doppelmoral, Double Standard: 142, 144, 192, 305 Double Consciousness, Tragic Twoness, Doppelbewusstsein: 260 FN 17, 332, 410 FN 111, Double Vision: 332 FN 50 Double White Consciousness: 332, 439 Drag: 214, 257 FN 12 Dystopie: 171, 175
E Ehrgleichheit, Isotimie: 206, 242, 245, 284, 284 FN 55 Endangered-Species-, Bedrohte ArtTrope: 293-296 Enthüllungsjournalismus, Muckragging: 157, 297 FN 96 Entmannung, entmannen, Emasculation (narrative of): 84 FN 81, 84, 93, 96, 211, 248 FN 258, 251-277,
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG 278, 280 FN 283, 296 FN 75, 302, 362, 375 EOOC – Equal Employment Opportunity Commission: 367 Erregungsgemeinschaft, Erregungsgemeinschaften: 395-401 Essentialismus: 29, 42, 233 FN 121, 341 FN 64 Essentialismus, strategischer: 42 Ethnozentrismus: 436 Eugenik, eugenisch: 114, 114 FN 24, 131, 148, 170 FN 124 Eurozentrismus, eurozentrisch: 111 Exogamie-Gebot: 206 Exzeptionalismus, amerikanischer: 114 FN 23
F Farbenblindheit, Colorblindness: 22, 165, 377, 377 FN 44, 399, 404, 414, 432 Faschismus, faschistisch: 29, 36, 37, 73 FN 60, 205 FN 64 Feminismus, Feminism, feministisch, 20, 27 FN 19, 31, 57 FN 24, 76 FN 64, 126 FN 50, 130 FN 56, 135, 190 FN 37, 232, 304, 306-308, 310, 311, 314 FN 16, 322, 326, 326 FN 34, 328, 331 FN 49, 334, 338, 374, 378, 385, 389, 393 FN 82, 421, 423 FN 3, 437, 439 Feminismus, afroamerikanischer, schwarzer, Black Feminism (siehe Black Feminism) Feminismus, Cartesianischer: 102, 103 FN 4 Feminismus, kultureller, Cultural Feminism: 137 FN 69, 309, 340-348 Feminismus, liberaler, Liberal Feminism: 191 FN 38, 309
Feminismus, Mainstream-Feminism: 309, 429 FN 19 Feminismus, radikaler, Radical Feminism, Radikalfeminismus: 303, 309, 310, 312 FN 13, 330-340, 341, 349, 355, 372 FN 30 Feminismus, Second-Wave (siehe Second-Wave-Feminism) Feminismus, transnationaler, Transnational Feminism: 423 FN 3, 438 Feminismus, weißer: 21, 41, 112, 128, 238 FN 129, 348, 349, 351, 355 FN 86, 369 FN 21, 371, 374, 431 409, 439 Feminismus-Anrufungen: 432-433 Feminitätsimperativ, Weiblichkeitsgebot: 426-429 Fetisch, fetischisieren: 162, 167 FN 121, 231, 272 Flapper: 179, 182, 182 FN 17, 248 Französische Revolution, Revolutionstribunal: 18 FN 4, 76, 77, 313, 365-366 Frauenbewegung, Die: 141 FN 72 Frauenbewegung, Women’s Movement, Women’s Liberation, Women’s Power: 9, 12, 41, 128, 191 FN 67, 249, 308-310, 312, 319, 322 FN 32, 329 FN 42, 330, 332, 333337, 339, 339 FN 60, 358, 362, 432 Frauenrechtsbewegung, Women’s Rights: 18-20, 33 FN 28, 46-51, 69, 78, 79, 81 FN 71, 82, 84 FN 82, 8689, 92, 99, 101, 102, 108, 112, 116, 126, 128, 129, 154 FN 99+100, 158, 160, 211, 235 FN 26, 307, 308 FN 4, 323-325 Frauentausch: 206 FN 65, 437 Frauenwahlrecht, Women’s Suffrage: 46, 50 FN 11, 62, 86, 88 FN 86, 89, 90-92, 96 FN 99, 131, 133, 137,
S ACHREGISTER 154, 154 FN, 100, 191 FN 38, 194, 211, 308, 308 FN 4 Freedmen: 158 Freedom Riders: 317, 317 FN 23 Freedom Summer: 317-325 Fugitive Slave Act: 69 FN 51, 72 FN 57, 73, 84 FN 80
G Gangsta-Rap: 294, 414 Gay and Lesbian Studies: 256 FN 11, Gebärneid: 260 Gender-Projekte: 35, 38-40, 144, 303, 419 Genius of Universal Emancipation: 50, 57 FN 26, 59 Geschlechterhierarchie: 28, 91, 108, 242, 282 Glasdecke, Glas Ceiling: 430 Greek Slave, The, griechische Sklavin: 78-84 Große Depression: 249 Gynozentrismus, gynozentrisch: 126 FN 50, 134, 137
H Harlem Renaissance: 34, 170 FN 24, 173, 175, 176, 178, 179, 179 FN 9, 187-199, 201, 201 FN 57, 216, 231, 231 FN 49 235-248, 249, 256, 263, 325 Häusliche Gewalt, Domestic Violence: 41, 74 FN 61, 296, 384, 385, 395401, 402, 404, 405 Hegemonie(selbst)kritik: 332, 338, 339 Hermeneutik der Empathie: 83, 84 Heteronormalismus, heteronormalisiert: 428, 436 Heteronormativität, heteronormativ: 150, 238, 239, 247, 248, 254, 272, 288, 436, 438
Heteropatriarchat: 288, 288 FN 66, 302 Heterosexualität, hetrosexuell: 34, 135, 149, 150, 167 FN 21, 168, 205, 226 FN 110, 239, 245, 247, 255, 262, 275 FN 41, 286 FN 59, 341 FN 44 Heterosexismus, heterosexistisch: 255, 301, 327 FN 38, 336, 340 Heterosexuelle Matrix: 28, 239 Heterotopie: 160, 436 Hip-Hop: 257, 286 FN 59, 287, 295, 299 History of Science: 103, 105 FN 6, 107 FN 11, 112 FN 19 Holocaust: 73, 263 FN 22, 349, 405, 405 FN 105 Homophobie: 22 FN 8, 277 FN 46, 286 FN 59, 340 Homosexualität: 34, 246, 246 FN 147, 254 FN 9, 261, 262, 262 FN 20, 272, 286 FN 59 Homosozialität, homosozial: 205, 247, 272, 286 FN 59, 426 Hypochondrie: 66, 68 Hysterie, Hysterikerin, hysterisch: 30, 60 FN 32, 63-74, 98, 111 FN 18, 129, 129 FN 54+56, 143 FN 79, 185, 192, 198, 226, 242, 263-265, 396, 403, 413, 418
I Identitätspolitik, Identity Politcs: 20, 27, 33, 341, 342, 435 Identity Performance, – Theory: 422428, 429, 431, 436 Ideologiekritik, ideologiekritisch: 110, 112, 114 FN 21, 383 Impotenz: 252-255, 261, 267 Independent, The: 146, 146 FN 86, 147 FN 87
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG Innercity, Innenstadt, Inner City: 32, 207, 364, 398, 418, 419 Interdependenz: 14, 23, 24, 31, 112, 188 FN 31, 189, 307, 312, 382 Intersektionalität, intersektional: 12, 14, 21 FN 7, 24, 27, 28, 30-35, 42, 50, 85 FN 81, 103, 112 FN 19, 119, 123, 135, 332, 354, 372 FN 30, 387, 402, 432, 439 Intersektionalität, queer: 24, 34 Intersexualität: 331 Inzest: 206-210, 221 Inzest, Inzesttabu: 24, 205-207, 221
J Jazz Age: 20, 176, 177, 249, 258 Jeremiade: 164, 415 Jim Crow, Jim Crow Gesetzgebung: 99, 197, 199 FN 54, 211, 245, 268 FN 19, 414 Judentum, Jude/Jüdin, jüdisch: 49 FN 9, 130, 182 FN 16, 205, 205 FN 64, 216, 224, 234, 240, 281, 335, 350 FN 79, 413
K Kapitalismus, kapitalistisch, Freibeuterkapitalismus: 35, 107, 114, 140 FN 73, 422 Kaste, Kastensystem, Caste: 12, 21, 177, 177 FN 2, 178, 195, 205, 235, 240, 333, 338 Kastration: 94, 96, 209, 210, 211, 238, 252, 254, 268, 268 FN 32, 270272, 280 Kastration, Kastrationsangst: 93 FN 96, 162, 253 FN 4, 273 Kastration, Kastrationsdrohung: 210, 253, 253 FN 5, 259, 160, 267, 272, 274, 285, 301, 338, 358
Kindstod: 69, 71-74, 93 Kollektiv Imaginäres: 39, 73, 270, 342 Kollektivkörper: 17 Kollektivsubjekt: 27, 27 FN 29 Kollektives Gedächtnis: 293, FN 70, 260, 264, 379 FN 47, 405 Kolonialismus: 25, 25 FN 14, 32, 33, 114 FN 21, 117, 184, 222 FN 98, 232, 263 FN 22, 309, 309 FN 7, 438 Komplementarität, geschlechtliche; Polarisierung der Geschlechtscharaktere: 52, 104, 108, 111 FN 18, 119, 125-127, 136, 137, 171, 172 Kulturrevolution, kulturrevolutionär, Cultural Revolution: 11, 244, 249, 309, 328, 336, 337, 341 Kommunismus, kommunistisch: 270, 233 FN 121, 257, 270, 273, 273 FN 39, 275 Konstitutives Außen: 36, 99, 235, 301 Konstruktivismus: 341 FN 64 Ku-Klux-Klan: 26, 197, 216, 290, 317, 317 FN 24, 379 FN 47
L LAPD, Los Angeles Police Department: 359-361, 363 FN 7 L. A. Riots: 11, 295, 364, 365, 397, 399, 431 Lesbentum, Lesbierin, lesbisch: 26 FN 15, 31, 31 FN 25, 150, 176, 182, 190192, 192 FN 43, 256 Lynching, lynchen, Lynchmord: 21, 34, 39, 39 FN40, 40, 41, 91, 145147, 167, 167 FN 119, 193, 198-204, 206-208, 210, 212-216, 223, 231, 231 FN 116, 235, 245, 252-255, 257-263, 267-276, 280, 284, 285, 296, 302, 306, 316, 318, 337, 338, 342-346, 348-354, 356-358, 360, 360 FN 2, 362, 363, 365, 368 FN 17+18, 372-
S ACHREGISTER 374, 377, 378, 381, 384, 389, 390, 402 Lynch(ing)-Lockvogel: 213, 269 FN 36, 275, 363, 377 FN 41 Lynching, Anti-Lynching Kämpfe, -Kampagnen: 144 FN 102, 154, 154 FN 2, 155, 176 Lynching, HighTech-Lynching: 10, 367-376 Lynchmob: 39, 166, 175, 176, 198, 199, 203, 230, 259, 270, 274 FN 40, 276, 321, 337, 339, 350 FN 79, 352, 360, 360 FN 2, 368, 373, 381, 402
M Macht-Wissens-Komplex: 123, 124, 436 Male Supremacy, männliche Suprematie: 310, 337, 340, Männlichkeit, hegemoniale: 397 FN 38, 419, 422-426, 429 FN 19, 435, Männlichkeit, Manhood: 25, 67 FN 47, 92-98, 113, 169, 275, 278, 285, 292294, 338, 341, 391 FN 79 Männlichkeit, Männliche Herrschaft: 143, 172, 310, 314 FN 16, 334, 341, 347, 422, 437, 437 FN 28 Männlichkeit, marginalisierte: 327, 327 FN 38, 422, 423 Männlichkeitsforschung, Masculinity Studies, New Men’s Studies: 12, 256 FN 11, 422, 438 Marxismus, marxistisch: 35, 36, 117, 117 FN 2, 310, 341 FN 64, 422 Maskulinismus, Hyper- und Ultramaskulinität: 154 FN 102, 422 Maskulinität, Masculinity, afroamerikanische, schwarze, 225, 248, 255, 256, 258, 258 FN 15, 267, 268 FN 32, 276, 278, 287, 297, 299, 429, Maskulinität, performative, 296-301, 303
Maskulinität, Re-Maskulinisierung, 267, 268, 277-287, 296, 303 Maskulinitätskrise: 283 FN 54 Maskulintätsprojekt: 248, 252-303, 337, 409 Matriarchat. Matriarchy, matriarchalisch: 133 FN 61, 244 FN 104 Matriarchat, afroamerikanisches, schwarzes: 30, 266, 427, 428 Melting Pot: 140 FN 73 Memphis Free Speech, The: 147 FN 87 Million Men March, March of Atonement: 256, 258, 290-293, 300, 392 Mimikry: 185, 242, 338 Minor Literature: 233-235 Minstrelshow, Black Face: 185 FN 26, 188, 197, 197 FN 52, 198, 216, 217, 217 FN 87, 240, 240 FN 134, 393 Miscegenation, Blutschande : 21, 34, 182, 213 Miscegenation-Tabu: 204-213, 223, 245, 249, 258, 263, 296, 403 Misogynie: 110, 123, 286 FN 59, 339 FN 60, 422 Misogynie, wissenschaftliche: 118-128 Modernismus, Modernism, Modernists: 163 FN 114, 170 FN 124, 182 FN 21, 187-191, 220, 225, 243 FN 140 Modernismus, sexueller, Sexuelle Moderne: 76, 173, 174, 177, 183, 184, 186, 191-198, 225 FN 107, 249, 258, 263, 307 FN 177 Modernismus, primitivistischer: 220, 230 Modernisierung: 40, 178 FN 5 Mongrel, Mongrelisierung, Bastardisierung: 34, 176-180, 201, 336 Monogenie (siehe Polygenie) Moralische Panik, Moral Panic: 138, 139, 139 FN 72
511
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG More Perfect Union, Perfektere Union: 9, 430 FN 21, 431, 434, 438 Moynihan Report: 266 FN 28, 288, Ms, 323, 352 FN 80, 405, 433 Mulatte, ›Tragischer Mulatte‹, ›Tragic Mulatto‹: 202, 204, 204 FN 61, 207
N NAACP – National Association for the Advancement of Cored People: 21, 23, 154, 154 FN 102, 155, 181, 202, 202 FN 59, 203 FN 60, 213 FN 75, 232, 233, 233 FN 124, 370 FN 23 National Convention of Colored Women: 155 Native Americans: 335, 436 Nativismus: 129 FN 56f, 131, 135, 139, 140 FN 73, 150 Naturwissenschaftskritik, feministische: 112 NCNP – National Conference for a New Politic: 334, 337 Neoliberalismus, New Economy, Marktliberalismus: 32, 32 FN 27, 38, 421, 418-422, 431 Neorassismus: 37 Neue Frau, New Woman: 53, 171-173, 179, 179 FN 10, 192 FN 43 Neurasthenie: 129, 129 FN 56, 150 New Left, Neue Linke: 307, 311, 334, 336, 339, 346 New Negro: 179, 179 FN 9, 203, 233 FN 121 New Radicalism, Neo-Radikalismus: 21, 257, 303 Normalisierung: 34, 262, 436 NOW – National Organization of Women: 11, 390 N-Word, ›Nigger‹: 42, 159, 170, 175, 193, 195, 230 237, 243, 252, 254, 273 FN
39, 276, FN 44, 298, 299, 299 FN 79, 314-317, 334, 352 FN 82, 371 FN 30, 378 FN 45, 279, 412, 416 NWSA – National Women’s Suffrage Association: 145 FN 82
O O.J. Simpson-Prozess: 10, 11, 13, 20, 41, 258, 258 FN 15, 299 FN 79, 358, 360 FN 3, 365, 370 FN 24, 382, 384, 387 FN 64, 395-418, 424, 434 Okzidentalismus, okzidentalistisch: 14, 39 FN 39, 363 FN 22 Okzidentalismus, okzidentalistischen Dividende: 33, 429 FN 19 One-Drop-Rule: 33, 180 Ontogenie-Phylogenie , Rekapitulation: 117, 127, 172, 220, 224, 228 FN 13 Othello, Othello-Syndrom: 198 FN 53, 399, 403, 403 FN 100, 404
P Parthenogenese: 134 Passing, Für-Weiß-Durchgehen: 33, 34, 161, 181 FN 13-15, 248, 248 FN 150, 392, 424 Paternalismus, paternalistisch: 30, 140 FN 73, 313-317, 324-326, 336, 342 FN 67 Patriarchat, patriarchal, patriarchy, patriarchal: 41, 53 FN 16, 61 FN 35, 76, 85, 91, 93, 104, 108, 129f FN 56, 132-135, 139, 142, 144, 159, 165, 168, 170, 176, 194, 210, 221, 241 FN 43, 247, 259, 266, 266 FN 29, 281, 284, 301, 309, 316, 325, 327, 329, 356, 358, 385, 400, 433 Patriarchale Dividende: 327 FN 38, 422, 429 FN 19
S ACHREGISTER Patrilinearität: 292, 296-301 Peonage: 157 Performativität, performativ: 176, 188, 213, 215, 224, 230, 247, 248, 256 FN 12, 292 FN 69, 296, 366, 374 FN 32, 380, 426, Performativität, Performativitätstheorie: 209, 209 FN 70, 423, Performativität, retroaktive: 299 Petitionsrecht: 49, 50, 56, 82, 87 FN 85 Phylogenie (siehe OntogeniePhylogenie) Politics of Location: 331 Polygenie-These, MonogeniePolygenie: 115, 116, 116 FN 31+32 Pornographie: 142, 142 FN 78, 216 FN 85, 340, 341 FN 64, 367, 370, 376, 377 FN 44, 378 FN 45, 379 Pornographie of Pain: 68 FN 50 Pornotropisch: 60 FN 31 Post-Civil-Rights: 385, 418 Postfeminismus, postfeministisch: 405, 411, 433 Post-Gender: 436 Post-Identität: 436, 438 Postkoloniale Studien, Postcolonial Studies: 12, 14, 31, 49, 76, 222 FN 98, 263, 438 Postkolonialität, postcolonial: 29, 31 FN 25, 32, 33, 22, 37, 206, 206 FN 65, 263 FN 22, 423 FN 3, 438 Post-Race, Beyond-Race: 435, 436, 438 Post-Sklaverei-Gesellschaft: 37, 207 Potenz: 168, 254, 412 Primitivismus, primitivistisch: 41, 173, 174, 175-234, 249, 256, 258, 274, 325, 328, 332, Privileg, Deprivilegierung: 85, 86, 92, 127, 326, 234 Privileg, epistemologisches: 31, 31 FN 21, 232, 232 FN 50
Privileg, männliches: 91, 92, 211, 236, 371 Privileg, weißes: 21, 33, 39 FN 40, 47, 87, 91-93, 99, 162, 201, 202, 211, 233 FN 122, 236, 242, 389, 433 Privileg, weibliches: 28, 39 FN 40, 47, 58, 62 FN 35 Progressivism: 331, 350 Prohibition: 137, 144, 146, 148 FN 89 Promise Keeper: 291 FN 67 Prostitution: 40, 57, 131, 137-144, 148150, 153, 155, 159, 186, 200, 340 Prostitutions-Abolutionismus, AntiProstitionskampagnen: 137, 138, 141 FN 75, 143 FN 81, 144 Psychoanalyse, psychoanalytisch: 28, 57, 58, 69-73, 148 FN 90, 162, 163, 166, 167, 178, 179, 182 FN 21, 191, 192, 205, 206, 209-211, 220-225, 227-229, 231 FN 116, 234, 242 FN 139, 253, 259-261, 270, 275, 297, 314, 315, 336, 338, 403 FN 100 Psychoanalyse,Triebtheorie: 179, 192, 221, 223, 249, 265 Psychoanalyse, Ödipuskomplex, -formation, ödipal: 93 FN 96, 162, 252, 254, 259, 288, 288 FN 66, 338, 338 FN 59 Puritanismus, puritanisch: 116 FN 30, 140 FN 73, 192, 284
Q Quäker, Quäkerin: 46, 48, 50, 57 FN 26, 107, 132 Queer: 33, 34, 159-161, 216 FN 82, 226 FN 109, 233, 233 FN 125, 239, 378 FN 45, 425 Queer, Queer Intersectionality, queere Intersektionalität: 24, 34 Queer, Queer of Color: 34, 288, 438 Queer, Queer of Diaspora: 438
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG Queer, Queer Theorie, Queer Theory: 12, 14, 21 FN 7, 33, 34, 150, 233, 239, 248- 254, 286, FN 59, 288, 314 FN 16, 232 Queer, Queering Jane Addams: 149-151 Queer, Queering white Men: 243-248
R Race, Race-Anrufungen: 169, 433-439 Race, Sexualisierung von: 263-266, 302, 397 Race-Emanzipationsdiskurse: 18, 21, 23, 86, 92, 232, 235, 238, 245, 249, 303, 307, 307 FN 9, 311, 312, 334, 335, 355, 368 Race-Gender-Analogie: 74 FN 6, 84-89, 95, 106, 116 FN 32, 118, 127, 191, 313 FN 14, 314, 316, 324 Race-Gender-Projekt(e): 24, 39, 40-42, 50, 139, 144, 262, 358, 384, 418, 421, 432, 438 Race-Hierarchie: 106, 108, 112, 113, 144, 146, 199, 205, 206, 302, 327 Race-Patriarchat: 170, 171, 194, 194 FN 47, 238, 249, 297 Race-Regime: 108, 169, 201, 259, 260, 290 Race-Projekt, Racial Project: 24, 35, 37-38, 41, 139, 144, 154, 358 Race-Suicide: 150 Race-Uplift: 153 Racial Sexual Border: 176, 178 FN 4, 264 Radical Chic: 219 FN 89 Rape-Lynching-Komplex: 199, 200, 257-263, 265, 267-275, 277, 280, 285, 296, 297, 301, 302, 304, 305, 316, 320, 325, 338 FN 58, 342, 353, 356, 265, 272, 385, 389, 390, 393, 397, 419, 423 Rape-Lynching-Konplex, invertiert,
Inversion des Rape-Lynching Komplex’: 41, 358, 372 Rassenjustiz, Justizmord: 189, 230, 268 Rassisierung: 147, 160, 164, 168, 251, 265, 333, 358, 364, 386 FN 60, 392, 403, 404 Rassisierung von Sexualität: 42, 180, 187, 215, 222, 235, 265, 302, 384 Rassismus, Rassisten, rassistisch: 10, 22, 25, 25 FN 14, 30, 31 FN 27, 35 FN 33, 37, 87, 90, 95, 108-110, 118, 130 FN 130, 189, 185, 193, 197 FN 52, 200, 202, 203 FN 60, 217 FN 87, 222 FN 100, 230, 234, 240, 247, 255, 263 FN 22, 264, 267, 269, 272, 273, 279, 280, 282, 287, 290, 293-298, 304, 307, 311, 317319, 321, 324, 325, 326 FN 35, 337, 339, 342, 345, 347-349, 353, 357, 358, 365, 373, 374, 385, 388 FN 66, 389, 392, 394, 397, 408, 411, 412, 414-416, 419, 424, 427-434 Rassismus, Anti-Rassismus, Rassismuskritik: 85 FN 81, 107 FN 11, 110, 131, 189, 194, 196, 198, 213 FN 74, 233 FN 121, 300, 303, 311, 312, 319, 326, 331, 332, 347, 356, 372, 374, 421, 433, 434, 439 Rassismus, homoerotischer, homoerotic: 272, 302 Rassismus, struktureller, institutioneller: 20, 25, 33 FN 31, 196, 200 Rassismus und Frauenbewegung: 22, 22 FN 8, 50 FN 11, 88 FN 86, 128, 133 FN 61, 135, 157, 211, 332, Rassismus und/oder Sexismus: 22 FN 8, 29, 30, 30 FN 22, 316, 338, 339, 355, 358, 371 FN 30, 428 FN 18, 430, 433 Rassismus, wissenschaftlicher (siehe Wissenschaftlicher Rassismus)
S ACHREGISTER Redstockings: 337, 339, 340 Rekonstruktion, Reconstruction: 35, 197, 289, 316, 414 Religion: 18, 55, 57 FN 25, 75, 102 FN 3, 107, 108, 116 FN 131, 119, 130, 133, 186 FN 29 Religion, afroamerikanische: 281-284, 366, 404, 410, 411, 429, 429 FN 20 Religion, Erweckungsbewegungen, charismatische Praxen: 65, 65 FN 42, 70, 107, 283 Religion, Erweckungserlebnis, Konversion: 70, 71 Religion und Geschlechterordnung: 36, 53-56, 99, 123 FN 60, 177 Religion und Protestantismus: 75, 105, 106, 130, 131 Religion und Race, ›Curse of Ham‹: 106, 106 FN 110, Religion und rechte Politik: 39 Repressionshypothese: 263 FN 21 Republikanische Partei: 12, 86, 87, 89, 204 FN 62, 280, 370 FN 23, 421, 427 Reverse Discrimination, Umgekehrte Diskriminierung: 269 Revolution, The: 87, 90
S Sambo Trope, 89-92, 119, 264, 264 FN 25 SCLC – Southern Christian Leadership Conference: 370 FN 23, 395 FN 85 SDS – Students for a Democratic Society: 311, 327, 333-337 Second-Wave-Feminismus, – Feminism, Neo-Feminismus: 20, 42, 249, 304 305-317, 319, 321, 332, 334, 357, 358, 372, 390, 404, 433 Segregation, segregiert: 32, 35, 38, 53, 108, 126, 146 FN 85, 155, 156, 161, 167
FN 119, 170, 177, 177 FN 3, 178, 199, 199 FN 54, 202, 212, 229, 239, 245, 256, 283, 289, 292 FN 69, 310, 311, 313, 314, 317, 320, 322, 331, 333, 368 FN 19, 377 FN 44, 400, 418 Sentimentalismus, Sentimentalism: 64, 66, 68, 73, 75 FN 63, 77, 98, 108, 140, 244, 312, 397 FN 89 Sentimentalismus, Literatur, Sentimental Literature: 63, 64 FN 39, 68, 69, 73, 74, 157, 204 Sentimentalismus, Sentimental Wounding: 68, 69, 93 Separate not Equal: 99 Separate Spheres, Women’s Spheres, Separate, Getrennte Sphären: 39, 52, 53, 53 FN 16, 55, 56 FN 22, 58, 63, 106, 128, 131 Settlement-Bewegung, -Houses, HullHouse: 130, 138, 140, 146 FN 85, 149, 150, 155, 201, 212 FN 74 Sex-Gender-System, 28, 314 FN 16, 437 Sexismus: 30, 41, 110 FN 116, 311, 316, 324, 325, 342, 345, 347 FN 74, 348, 349, 355-358 Sexismus, afroamerikanischer Männer: 22 FN 8, 228, 334, 337, 358, 430, 432, 433 Sexismus, Sexismuskritik: 333-340, 432-434, Sexismus und/oder Rassismus siehe bei (Rassismus und/oder Sexismus) Sexualisierung: 75 FN 63, 191-212, 262, 263, 266 Sexualisierung von Race: 88, 180, 184, 191-212, 263-265, 378, 380-382 Sexualisierung von Weiblichkeit: 65 FN 42, 88, 262-265 Sexualität: 12, 23 FN 9, 33, 34, 36, 41, 42, 60, 65 FN 42, 75, 75 FN 63, 139, 150, 150 FN 92, 166 168, 186, 191 FN 39, 192, 200, 215, 221, 239,
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG 249, 258, 262, 264, 276, 302, 331 FN 49, 379 Sexualität, männliche: 341, 391 Sexualität, rassisierte: 148, 148 FN 90, 166, 167, 168, 169, 180, 186, 222, 223, 235, 265, 337, 376 Sexualität, weibliche: 119, 150, 191, 221 FN 97, 222, 248 Sexualitäts-Dispositiv: 262, 263, 263 FN 21, 265, 280 Sexualitäts-Dispositiv: Race-Sexualitätsdispositiv, 259, 263, 265 Sexualmoral: 41, 158 Sexualmoral, kulturelle: 224, 225 FN 105 Sexualmoral, viktorianische: 192 Sexualökonomie, sexuelle Ökonomie: 158, 170, 254 Sexualpolitik, sexualpolitisch: 21, 170, 213, 258, 262, 274, 281, 284, 307, 357, 419 Sexualpolitik, feministische: 312 FN 13, 339, 341, 400 Sexualpolitik, rassisierte: 383, 384 Sexualwissenschaft, Sexual Science: 110, 150, 191, 262 FN 20, Sexuelle Belästigung, Sexual Harassment: 10, 41, 296, 359-386, 389, 391, 395 Sexueller Missbrauch, Sexual Abuse: 74 FN 61, 296, 375, 379 FN 47, 391 FN 76 Sittlichkeit, Tugend, Reinheit, Purity: 54, 62 FN 35, 137, 144, 173, 193 FN 46, 301, 302 Sittlichkeit, Sittlichkeitsbewegung, Purity Campaigns: 141, 155, 246 Sklavenaufstand: 77 Sklavenemanzipation, Sklavenbefreiung: 18, 50, 51 FN 11, 91, 96 FN 100, 109, 145, 230
Sklavenemanzipation, sofortige, Immediate Emacipation: 49, 55, 78 FN 68 Sklavenemanzipation, allmähliche, Gradual Emancipation: 49, 50 SNCC – Student Nonviolent Coordination Committee: 317, 317 FN 24, 318, 319333, 335, 336, 343, 351, 353, 361, 431 SNCC, Beloved Community: 321, 322 Socionom: 261 South, der Süden, Südstaaten, Deep South: 85, 145 FN 83, 146, 161, 177 FN 2, 193, 199, 200, 209, 210, 258, 264 FN 25, 278, 313-317, 319-321, 327 FN 39, 330, 331, 343, 362 South, Southern Rape Complex: 199, 258 Sozialarbeit: 119, 149 Sozialdarwinismus, sozialdarwinistisch: 99, 106, 109-120, 123 FN 43, 124, 127, 130 FN 56, 132, 135, 151, 152, 156 FN 96, 178, 189 FN 34, 213, 249, 263 Soziales Drama, Social Drama: 366, 366 FN 13, 402 Sozialhygiene, Social Hygiene: 131, 143 Sozialreform: 40, 49 FN 9, 108, 128-137, 142, 148, 150, 154, 157, 160, 171, 189 Soziobiologie: 111 FN 17, 125 FN 47 Staatsbürgerschaft, politische: 32, 84, 91, 97, 108, 137, 159 Subjektivierung, Subjection: 42, 83, 98, 98 FN 103, 101, 357 Supreme Court, Verfassungsgericht: 11, 200, 317 FN 23, 365, 368 FN 19, 369, 371 FN 26, 373 FN 35, 377 FN 44, 423 FN 5 Supreme Court, Entscheidungen: Boyton vs Virginia, 317 Supreme Court, Entscheidungen: Brown vs Board of Education, 368f FN 19
S ACHREGISTER Supreme Court, Entscheidungen: Dred Scott, 368 FN 19 Supreme Court, Entscheidungen: Hudson vs McMillan, 394 FN 85 Supreme Court, Entscheidungen: Planned Parenthood vs Casey, 394 FN 85 Supreme Court, Entscheidungen: Plessy vs Ferguson, 126 FN 49, 177, 177 FN 3, 368 FN 19 Supreme Court, Entscheidungen: Roe vs Wade, 361 FN 21 Supreme Court, Entscheidungen, Virginia vs Loving, 369 FN 19 Survival of the Fittest, Überleben des Tüchtigsten: 113, 114, 114 FN 21, 134, 152 FN 94 Syphilis: 143, 143 FN 81, 159
T Tabu: 41, 81 FN 71, 198, 204-207, 210, 213 FN 75, 221, 221 FN 96, 223, 231, 245, 249, 258, 263, 267 FN 31, 271, 276, 280, 284, 285, 296, 349, 351, 375, 403 Tailhook Affäre: 393, 393 FN 81 Talented Tenth, Talentierte Zehn Prozent: 153, 188 Thomas-Hill-Hearing: 20, 367-376 Totem, Totemtier: 221, 221 FN 96
U Ultra-Feminität: 133, 134 Unbewusstes, Unconscious: 70, 166, 211, 211 FN 73, 219-223, 224, 231, 260, 399 Unbewusstes, kollektives, kulturelles: 399, 434
Unbewusstes, politisches, Political Unconscious: 17, 17 FN 2, 147, 163 FN 112 Uncle Tom (fig.): 71, 71 FN 55, 72 FN 57, 290, 292, 412, 429 Urban League: 370 FN 23 Urszene, Primal Scene: 49, 251-254, 228, 253, 253 FN 4, 280 Urszene, Race-Urscene: 160 FN 106, 163, 170, 253, 253 FN 6,
V Vampirismus: 119, 244 Vererbung, partielle: 109, 120, 121 Vergewaltigung, Rape: 24, 34, 39, 41, 58, 58 FN 27, 74 FN 61, 89, 89 FN 87,138, 147, 147 FN 87, 166, 170, 195, 197, 202, 206, 210, 210 FN 72, 257, 258, 268, 268 FN 33+34, 270, 273, 273 FN 39, 276, 277, 285-287, 296, 303, 306, 337, 340-358, 367, 368 FN 18, 372, 377-379, 386, 387, 387 FN 63, 389-391, 391 FN 76+78, 400 Vergewaltigung, Gruppenvergewaltigung, Gang-Rape, Gang-Banging: 272, 305-307 Vernacular: 188 FN 31, 240 FN 135, 316 Vietnamkrieg: 309 FN 7, 371 FN 29, 394 83, 405, 408, 418 Viktorianismus, viktorianisch: 97 FN 102, 98, 116 FN 30, 142, 171, 176, 179 FN 10, 182, 192, 193 FN 46, 220 FN 93, 222 FN 97, 247, 249
W Wahlrecht, Suffrage: 19 Wahlrecht, Educated Suffrage: 87, 90 Wahlrecht, Universal Suffrage: 19, 86, 87, 91
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W EISSE F RAUEN IN B EWEGUNG WCTU – Women’s Christian Temperance Union: 144, 145 FN 82 Weibliche Sonderanthropologie: 53 FN 15, 103 FN 4, 263 Weiblichkeit: 23 FN 9, 25, 25 FN 13, 27, 29, 40, 50 FN 11, 52-65, 81, 83, 92, 96, 111 FN 18, 113 FN 20, 133, 137 FN 69, 209 FN 70, 249, 260, 265, 288 Fn 66, 310, 316, 341, 341 FN 64, 357, 381, 423, 426, 427, 428, 428 FN 17, 429 FN 19, 437 Weiblichkeit als Maske, Maskerade: 209 FN 70, 216, 217-219, 226, 229 FN 15, 248, 249, 384 Welfare Queen: 288, 381, 414 White Slavery: 137-143, 144 Whiteness, Weißsein: 23 FN 10, 25, 26, 26 FN 15, 33 98, 113, 133, 148, 165, 165 FN 118, 166, 168, 181 FN 13, 182 FN 16, 201, 233 FN 122, 242, 253, 253 FN 5, 254, 265, 288, 289, 315, 335, 354, 355, 364, 399, 433, 436, 438 Whiteness, White Amnesia: 18, 313 Whiteness, White Supremacy, Weiße Suprematie, Suprematisten: 20, 36, 38, 115, 115 FN 26, 121, 140 FN 73, 146, 211, 236, 254, 259, 281, 283, 289, 290, 301, 302, 310, 320, 324, 325, 337, 358 Wissenschaftlicher Rassismus: 108, 109, 110 FN 14, 112, 113-118, 189, 189 FN 33+34 Women in Legal Education of the American Associations of Law Schools: 382 FN 55 Women’s Movement (siehe Frauenbewegung) World’s Anti-Slavery Convention: 46 FN 4
Z Zivilisation: 20, 54, 64 FN 39, 68 FN 50, 86, 90 FN 90, 98, 188, 189, 219222, 225, 225 FN 106, 226, 282 FN 52, 283, 301, 4334, 436, 438 Zivilisation, Zivilisationsauftrag, weiblicher: 118-151 Zivilisation, Zivilisationshierarchie: 19, 101-173
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