Entgeltfortzahlung und Konkurrenzen [1 ed.] 9783428542802, 9783428142804

Daniel David Schneider legt mit seiner Arbeit eine umfassende Analyse des deutschen Entgeltfortzahlungsrechts vor. Er be

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German Pages 660 Year 2014

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Entgeltfortzahlung und Konkurrenzen [1 ed.]
 9783428542802, 9783428142804

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 322

Entgeltfortzahlung und Konkurrenzen Von

Daniel David Schneider

Duncker & Humblot · Berlin

DANIEL DAVID SCHNEIDER

Entgeltfortzahlung und Konkurrenzen

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn

Band 322

Entgeltfortzahlung und Konkurrenzen

Von

Daniel David Schneider

Duncker & Humblot · Berlin

Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-14280-4 (Print) ISBN 978-3-428-54280-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84280-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahrstrimester 2013 von der Bucerius Law School als Dissertation angenommen. Das Manuskript habe ich im Juli 2012 abgeschlossen. Die mündliche Prüfung fand am 20. März 2013 statt; Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand von diesem Tage. Vereinzelt konnten noch spätere Änderungen berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Professor Dr. Matthias Jacobs, der bereits während des Studiums mein Interesse für das Arbeitsrecht geweckt und gefördert hat. Er war es auch, der mich überhaupt auf den Gedanken gebracht hat, zu promovieren. Während der Promotionszeit stand er mir nicht nur jederzeit mit Rat zur Seite, sondern hat mich vor allem stets darin bestärkt, das Projekt in seinem gesamten Ausmaß zu realisieren. Professor Dr. Jochem Schmitt danke ich herzlich dafür, dass er sich trotz des Umfangs der Arbeit ohne zu Zögern bereit erklärt hat, das Zweitgutachten zu erstellen. Des Weiteren danke ich der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung sehr für die Übernahme eines wesentlichen Teils der Druckkosten. Arno Doebert, Martin Hejma, Ingmar Krohm, Isabelle Moog, Max Neeb, Oliver Ramcke, Vincent Rodenbusch, Jan Sturm und Aldo Trentinaglia danke ich für die gemeinschaftliche gewissenhafte Durchsicht des Manuskripts. Darüber hinaus möchte ich besonders Martin Hejma und Jan Sturm für die zahlreichen fruchtbaren Gespräche und wertvollen Anregungen danken. Ein großer Dank gilt meiner Familie, vor allem meinen Großeltern Jörn und Marianne Ulrich und meiner Großtante Marie-Luise Ulrich. Vor allen anderen aber danke ich meinen Eltern Vera Ulrich und Burghard Schneider. Sie haben mir jede Unterstützung zuteil werden lassen, die sich ein Sohn nur wünschen kann. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Berlin, im Januar 2014

Daniel Schneider

Inhaltsübersicht 1. Teil Einführung

45

§ 1 „Ohne Arbeit kein Lohn“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

§ 2 Zusammentreffen mehrerer Arbeitsausfallgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

§ 3 Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Umfang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50 50 51

2. Teil Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

53

§ 4 Rechtsnatur und Berechnungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rechtsnatur der Entgeltfortzahlungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Berechnungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verhältnis von Rechtsnatur und Berechnungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 54 56 62

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gemeinsame Voraussetzungen aller Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Vergütungsanspruch bei alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für den Arbeitsausfall (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Anspruch auf Entgeltfortzahlung an Feiertagen (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) . . . E. Vergütungsanspruch bei vorübergehender Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Anspruch auf Urlaubsentgelt (vgl. § 1 BUrlG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Vergütungsansprüche im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft . . . . . H. Vergütungsanspruch bei Annahmeverzug des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vergütungsanspruch in Fällen des Betriebsrisikos (vgl. § 615 S. 3 i.V. m. S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Vergütungsanspruch bei Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten . .

63 64

68 76 91 96 102 116 148 172 179

10

Inhaltsübersicht K. Vergütungsanspruch bei Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 14 S. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L. Vergütungsanspruch bei Ausübung des Entfernungsrechts gemäß § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Vergütungsanspruch bei persönlicher Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) N. Vergütungsanspruch bei Arbeitsversäumnis wegen Betriebsratstätigkeiten . . O. Vergütungsanspruch im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen (vgl. § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, 3, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Q. Vergütungsanspruch bei Besuch von Sprechstunden oder sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . R. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 6 Untersuchung von Ausschlussgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Unbezahlter Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Elternzeit (vgl. § 15 BEEG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Sonstige Risiken des Arbeitnehmers (vgl. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB) . . . . . . . .

194 201 205 207 246 254 272 279 282 282 283 323 323 330 340

§ 7 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

3. Teil Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

346

§ 8 Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ansatz der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kein Vergütungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Addition aller Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Prioritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Prinzip des geringsten Risikos des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Vorrang des für den Arbeitnehmer günstigeren Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . G. Hierarchieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

346 347 359 360 361 365 370 373 375

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Konkurrenzen als Wertungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Dreistufiger Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Einzelne Konkurrenzen nach dem dreistufigen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

375 376 378 418 580

Inhaltsübersicht

11

§ 10 Lösung des Problems der Mehrfachkausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Bedeutung der Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall . . . . . . . . . . . . . . . B. Übertragung des dreistufigen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Behandlung ausgewählter Fallgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

580 580 581 582 588

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Doppel- und Mehrfachkausalität in verschiedenen Entwürfen zu einem Arbeitsvertragsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Neuer Gesetzentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kommentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

588 589 592 604 627

4. Teil Wesentliche Ergebnisse

628

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einführung

45

§ 1 „Ohne Arbeit kein Lohn“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

§ 2 Zusammentreffen mehrerer Arbeitsausfallgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

§ 3 Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Umfang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50 50 51

2. Teil Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

53

§ 4 Rechtsnatur und Berechnungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rechtsnatur der Entgeltfortzahlungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Berechnungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Lohnausfallprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bezugsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterscheidung von Geld- und Zeitfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis der Faktoren zu den Berechnungsmethoden . . . . . . . . a) Geldfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verhältnis von Rechtsnatur und Berechnungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 54 56 56 57 58 58 59 60 60 62

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gemeinsame Voraussetzungen aller Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirksamer Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Privatrechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verpflichtung zur Leistung von Diensten . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Persönliche Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besondere Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 64 64 64 64 65 65 66 67

14

Inhaltsverzeichnis II. Kausalität für den Arbeitsausfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Vergütungsanspruch bei alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für den Arbeitsausfall (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenseitiger Vertrag und synallagmatische Leistungspflichten 2. Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB . . 3. Alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Maßstab zur Bestimmung der Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . b) Allein oder weit überwiegend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bezugspunkt bei alternativer Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine isolierte Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruchserhaltende Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitnehmer im Sinne des EFZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Krankheit des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durch die Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit . . . . . . . . . . aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Qualitative Teilunmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Quantitative Teilunmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kein Verschulden des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Anwendung des § 276 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein Abstellen auf Sphärengesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Verschulden gegen sich selbst“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Modifikation bei ausdrücklich normierten Pflichten . . . . . . . e) Behandlung von Mitverschulden Dritter oder des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verstreichen der Wartefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kein Verweigerungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 7 EFZG . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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68 68 69 70 70 70 71 71 73 73 73 74 76 76 76 76 77 79 80 80 80 80 81 81 82 83 84 84 85 85 87 87 88 88 89

Inhaltsverzeichnis

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D. Anspruch auf Entgeltfortzahlung an Feiertagen (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitnehmer im Sinne des EFZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitsausfall infolge des gesetzlichen Feiertags . . . . . . . . . . . . . 3. Kein unentschuldigtes Fernbleiben vor oder nach dem Feiertag . a) Letzter Arbeitstag vor oder erster Arbeitstag nach einem Feiertag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unentschuldigtes Fernbleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umfang des Anspruchsausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Vergütungsanspruch bei vorübergehender Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. In der Person des Arbeitnehmers liegender Grund . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff der „Verhältnismäßigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen bei verhältnismäßig erheblichem Arbeitsausfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kein Verschulden des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kein vertraglicher Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Anspruch auf Urlaubsentgelt (vgl. § 1 BUrlG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzlicher Anspruch auf Urlaub nach dem BUrlG . . . . . . . a) Persönlicher Anwendungsbereich des BUrlG . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung des Kalenderjahrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ablauf der Wartefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konkreter Tag als Urlaubstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Ausschöpfung des Urlaubskontingents . . . . . . . . . . . . . b) Kein Sonn- oder gesetzlicher Feiertag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewährung durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Willenserklärung des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dringende betriebliche Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorrangige Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer . . . . d) Sonderproblem: Kein Kausalitätserfordernis? . . . . . . . . . . . . .

91 91 92 92 92 92 93 93 93 95 95 96 96 96 97 97 99 99 101 101 101 102 102 102 104 106 106 106 106 107 108 108 108 109 109 110 111 112

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Inhaltsverzeichnis IV.

Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berechnung des Geldfaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berechnung des Zeitfaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Vergütungsansprüche im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft . . . . . I. Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Akzessorietät zu § 13 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirtschaftliche Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben als Normzweck c) Europarechtswidrigkeit der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anforderungen des Art. 11 RL 92/85/EWG . . . . . . . . . . . (1) Zulässigkeit einer Absenkung des Vergütungsniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Maßstab für die Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgerungen für die Zulässigkeit der Umsetzung . . . . . . . 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anspruch auf Mutterschaftsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchschnittliches tägliches Nettoeinkommen von mehr als A 13,– . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderproblem: Kein Kausalitätserfordernis? . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Berechnung des Geldfaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berechnung des Zeitfaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umlage auf die Arbeitgebergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anspruch auf Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . 1. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Europarechtliche Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässige Umsetzung hinsichtlich der Vergütungshöhe . . (1) Einheitlicher Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Hypothetische Vergütung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG als Untergrenze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten als Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113 113 114 115 116 116 116 116 117 118 118 119 119 119 119 120 120 122 122 123 124 125 125 125 126 126 126 128 128 128 128 129 129 129 130

Inhaltsverzeichnis cc) Zulässige Umsetzung hinsichtlich der erfassten Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitnehmerin im Sinne des MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschäftigungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verdienstausfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anspruch auf bezahlte Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anspruchsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Untersuchung im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitgebers . . . . . . . . d) Freistellung durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anspruch auf Gewährung bezahlter Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Stillende Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auf Verlangen der Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewährung durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zum Stillen erforderliche Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zeitliche Lage der Stillzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Vergütungsanspruch bei Annahmeverzug des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 615 S. 1 BGB als anspruchserhaltende Norm . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis von Verzug und Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Probleme des Ausschließlichkeitsdogmas im Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterscheidung von Annahmeunwilligkeit und -unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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132 133 133 133 134 134 134 136 136 137 137 137 138 138 139 140 140 140 141 141 141 144 145 145 146 147 148 148 148 149 149 150 153 153

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Inhaltsverzeichnis III.

Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Angebot des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatsächliches Angebot (§ 294 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wörtliches Angebot (§ 295 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entbehrlichkeit eines Angebots (§ 296 BGB) . . . . . . . . . . . . . d) Sonderfall unwirksame Kündigung durch den Arbeitgeber . . . 2. Leistungsmöglichkeit (§ 297 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nichtannahme trotz Möglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmsweise Berechtigung des Arbeitgebers zur Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kein vertraglicher Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufrechterhaltung der Vergütung; keine Pflicht zur Nachleistung 2. Dauer des Annahmeverzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderfall auflösend bedingtes Weiterbeschäftigungsangebot nach unwirksamer Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Annahme einer annahmeverzugsbeendenden Wirkung durch einen Teil der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine Beendigung des Annahmeverzugs . . . . . . . . . . . . . . 3. Anrechnung (§ 615 S. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenstand der Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitlicher Umfang der Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vergütungsanspruch in Fällen des Betriebsrisikos (vgl. § 615 S. 3 i.V. m. S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff des Betriebsrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusätzliche Voraussetzungen aus § 615 S. 1 BGB? . . . . . . . . . . . 4. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Vergütungsanspruch bei Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten . . I. Generelle Anwendbarkeit von Zurückbehaltungsrechten zugunsten des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 320 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

154 154 154 155 156 156 158 159 159 160 161 161 161 162 162 163 163 164 168 168 168 171 172 172 173 174 174 175 176 177 178 179 179 180 180

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2. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenseitiger Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Synallagmatische Leistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Synallagma bei Entgeltrückstand des Arbeitgebers . . . . bb) Synallagma bei Weigerung des Arbeitgebers, zukünftig Entgelt zahlen zu wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Vorleistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorleistungspflicht bei Entgeltrückstand des Arbeitgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorleistungspflicht bei Weigerung des Arbeitgebers, zukünftig Entgelt zahlen zu wollen? . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Bewirkung der Gegenleistung trotz Einredefreiheit . . e) Eigene Vertragstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kein Verstoß gegen Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. § 273 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestand des § 273 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenseitige Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchsetzbarkeit des Gegenanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konnexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kein Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Vergütungsanspruch bei Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 14 S. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschäftigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Belästigung oder sexuelle Belästigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Belästigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sexuelle Belästigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine analoge Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen . . . . . . . . . . 4. Erforderlichkeit zum Schutz des Beschäftigten . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L. Vergütungsanspruch bei Ausübung des Entfernungsrechts gemäß § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181 182 182 182 182 184 185 185 186 186 187 187 188 188 188 189 189 189 190 190 191 192 194 194 195 196 196 196 196 198 198 199 200 201 201 201

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Inhaltsverzeichnis I. II. III.

Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschäftigter im Sinne des ArbSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmittelbare erhebliche Gefahr am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . 3. Verlassen des Arbeitsplatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine zumutbare Aufforderung zur Wiederaufnahme der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Vergütungsanspruch bei persönlicher Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . N. Vergütungsanspruch bei Arbeitsversäumnis wegen Betriebsratstätigkeiten . . I. Vergütungsanspruch des Betriebsratsmitglieds während seiner Tätigkeit für den Betriebsrat (vgl. § 37 Abs. 2, 3 BetrVG) . . . . . . . . 1. Anspruch auf bezahlte Freistellung für Betriebsratstätigkeiten im Einzelfall (vgl. § 37 Abs. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betriebsratsmitglied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wahrnehmung von Aufgaben des Betriebsrats . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit der Arbeitsbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Erfordernis einer Befreiung durch den Arbeitgeber? . . . d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruch auf Freizeitausgleich gemäß § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG und auf Vergütung wie Mehrarbeit gemäß § 37 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erfüllung von Betriebsratsaufgaben außerhalb der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Betriebsbedingte Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Primär: Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich . . . . . . (1) Ausgleich vor Abgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zeitraum der Arbeitsbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201 202 202 202 203 203 203 204 205 205 206 206 207 207 208 208 208 209 210 210 210 212 213 215

216 216 217 217 217 217 218 218 218 219

Inhaltsverzeichnis

II.

III.

(3) Rechtsfolgen bei verspäteter Geltendmachung . . . . . (4) Keine Eigenmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Subsidiär: Anspruch auf Abgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergütungsanspruch des vollständig freigestellten Betriebsratsmitglieds (vgl. § 38 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betrieb mit wenigstens 200 Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahl des freizustellenden Betriebsratsmitglieds durch den Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Keine Aufhebung der Wahl durch die Einigungsstelle . . . . . d) Pflicht zur Anwesenheit während der betrieblichen Arbeitszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Dauer der Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zulässigkeit von Teilfreistellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freistellung unter Entgeltfortzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Freizeitausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergütungsanspruch des für Schulungs- oder Bildungsveranstaltungen freigestellten Betriebsratsmitglieds (vgl. § 37 Abs. 6 i.V. m. § 37 Abs. 2, 3, § 37 Abs. 7 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergütungsanspruch des für erforderliche Schulungen freigestellten Betriebsratsmitglieds (§ 37 Abs. 6 i.V. m. § 37 Abs. 2, 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt der Schulungs- oder Bildungsveranstaltung . . . . . bb) Umfang der Freistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Beschluss des Betriebsrats und Bekanntgabe . . . . . . (2) Erfordernis einer Befreiung durch den Arbeitgeber? d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bezahlte Freistellung (§ 37 Abs. 6 i.V. m. § 37 Abs. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Freizeitausgleich (§ 37 Abs. 6 i.V. m. § 37 Abs. 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergütungsanspruch des für geeignete Schulungen freigestellten Betriebsratsmitglieds (§ 37 Abs. 7 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . a) Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 220 220 221 222 222 223 223 223 224 225 226 228 229 230 230 230

231

232 232 232 234 234 236 237 237 239 240 240 240 241 241 241

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Inhaltsverzeichnis c) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Als geeignet anerkannte Schulungs- oder Bildungsveranstaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . O. Vergütungsanspruch im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen (vgl. § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Versäumnis von Arbeitszeit aufgrund einer Betriebsratswahl . . . 2. Erforderlichkeit der Arbeitsversäumnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tätigkeit im Wahlvorstand oder als Vermittler . . . . . . . . . . . . b) Ausübung des aktiven Wahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausübung des passiven Wahlrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfordernis einer Befreiung durch den Arbeitgeber? . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, 3, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG b) Regelmäßig innerhalb der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anforderungen an eine außerhalb der Arbeitszeit stattfindende Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Hohe Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Drohender Eingriff in den unternehmerischen Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verhältnis von Betriebsvollversammlung außerhalb der Arbeitszeit und Betriebsteilversammlung innerhalb der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zulässige Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teilnahme des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung des Lohnausfallprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergütung von Wegezeiten und Erstattung zusätzlicher Fahrtkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

242 242 243 244 246 246 247 247 247 249 250 250 252 253 253 254 254 254 257 258 258 258 259

260 260 261

262 263 264 264 264 266

Inhaltsverzeichnis c) Rechtsfolgen bei Verlust des Charakters als Betriebsversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Während der Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teilnahme des betreffenden Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Q. Vergütungsanspruch bei Besuch von Sprechstunden oder sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besuch einer Sprechstunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besuch des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abstrakt zulässiger Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konkrete Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Erfordernis einer Befreiung durch den Arbeitgeber? . . . . . . . 2. Sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . R. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Untersuchung von Ausschlussgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtmäßiger Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorliegen eines Streiks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Arbeitskampfbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Interner Beschluss der Gewerkschaft . . . . . . . . . . . . . (a) Erfordernis einer Urabstimmung . . . . . . . . . . . . . (b) Zur Übernahme von „wilden“ Streiks . . . . . . . . (2) Bekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Führung durch tariffähige und tarifzuständige Parteien . .

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268 269 269 269 270 270 270 271 271 272 272 272 273 274 274 274 275 275 276 276 278 279 279 282 282 283 284 284 284 284 285 285 285 286 287 287

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Inhaltsverzeichnis

II.

III. IV.

(1) Tariffähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG . . (aa) Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG (bb) Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Vereinigung von Arbeitnehmern . . . . . . . . . (dd) Gegnerfreiheit und Gegnerunabhängigkeit (ee) Anerkennung des geltenden Rechts . . . . . . . (ff) Umstrittene Voraussetzung: Überbetrieblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Tarifwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Soziale Mächtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Tarifzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zulässiges Kampfziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abschluss eines Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Arbeitskampfrechtlich zulässiger Inhalt des angestrebten Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Einhaltung der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Wahrung der Kampfparität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ultima-Ratio-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Einhaltung des Gebots fairer Kampfführung . . . . . . . hh) Kein Verstoß gegen ein besonderes Kampfverbot . . . . . . ii) Erfordernis einer Streikteilnahmeerklärung des Arbeitnehmers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtswidriger Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtmäßige Aussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arbeitskampfbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kampfziel, Friedenspflicht und Kampfparität . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtswidrige Aussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsstilllegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitskampfrisikolehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Telos und dogmatische Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289 289 289 290 291 291 291 292 293 293 296 297 297 299 300 300 301 302 303 305 306 307 310 310 311 311 311 311 312 312 314 315 315 317 317 319 319

Inhaltsverzeichnis

C. D.

E.

F.

b) Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Betriebstätigkeit . . c) Drohende Störung der Kampfparität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unbezahlter Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung und Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit . . . . . . . . . . . 2. Einführung nach § 19 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elternzeit (vgl. § 15 BEEG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besonderes Verhältnis zum betreuten Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Persönliche Betreuung und Erziehung des im gleichen Haushalt lebenden Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff des Haushalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Persönliche Betreuung und Erziehung des Kindes . . . . . . . . . 4. Erklärung des Anspruchstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Dauer und zeitliche Lage der Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dauer der Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verlängerung der Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorzeitige Beendigung der Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesetzlich geregelte Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Fortfall der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitliche Lage der Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Risiken des Arbeitnehmers (vgl. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB) . . . . . . . I. Systematische Einordnung und Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Verlagerung des Risikos auf den Arbeitgeber . . . . . . . . . . 2. Gegenseitiger Vertrag und synallagmatische Leistungspflicht . . 3. Unmöglichkeit der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 320 321 322 323 323 323 324 324 326 329 330 330 331 332 332 332 333 333 334 334 336 336 336 337 337 337 339 340 340 340 341 341 341 341 343 344

§ 7 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345

26

Inhaltsverzeichnis 3. Teil Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

346

§ 8 Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ansatz der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz der Monokausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konsequenzen für die Anwendung des Lohnausfallprinzips . . . . II. Relevanz von Rechtsnatur und Berechnungsmethode . . . . . . . . . . . . . III. Ausschließliche Kausalität bestimmter Ausfallgründe . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kein Vergütungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Addition aller Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Prioritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anknüpfung an Kausalitätserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anknüpfung an Wertungsgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Prinzip des geringsten Risikos des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB als Ausgangspunkt der Risikozurechnung . . II. Systematische Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Teleologische Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Mangelnde Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Vorrang des für den Arbeitnehmer günstigeren Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . I. Fehlender dogmatischer Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anknüpfung an das Arbeitnehmerschutzprinzip? . . . . . . . . . . . . . 2. Anknüpfung an das Günstigkeitsprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Kritikpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Hierarchieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

346 347 348 348 351 353 354 356 359 359 360 361 361 364 365 365 366 367 368 369 370 370 371 371 372 372 373 375

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Konkurrenzen als Wertungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Dreistufiger Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufbau des dreistufigen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Stufe: Lösung auf Tatbestandsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweite Stufe: Lösung durch spezialgesetzliche Regelung oder Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dritte Stufe: Normspezifische Einzelfallbetrachtung . . . . . . . . . . II. Behandlung hypothetischer Kausalverläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

375 376 378 379 379 380 381 382

Inhaltsverzeichnis

III.

1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hypothetische Kausalverläufe in der Judikatur des BAG . . . aa) Nichtberücksichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berücksichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hypothetische Kausalverläufe im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . 3. Unbeachtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenzrelevante Aspekte der einzelnen Ausfallgründe . . . . . . . 1. Vergütungsanspruch bei alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für den Arbeitsausfall (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 EFZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anspruch auf Entgeltfortzahlung an Feiertagen (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergütungsanspruch bei vorübergehender Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anspruch auf Urlaubsentgelt (vgl. § 1 BUrlG) . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Akzessorietät zu § 13 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung von § 24 i Abs. 4 SGB V im nationalen Recht . . c) Bedeutung des europarechtlichen Hintergrunds . . . . . . . . . . . aa) Richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weitere Modifikation aufgrund von Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grafische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Anspruch auf Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) 8. Anspruch auf bezahlte Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Anspruch auf Gewährung bezahlter Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Vergütungsanspruch bei Annahmeverzug des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Vergütungsanspruch in Fällen des Betriebsrisikos (vgl. § 615 S. 3 i.V. m. S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Vergütungsanspruch bei Erhebung der Einrede des § 320 BGB 13. Vergütungsanspruch bei Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts des § 273 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Vergütungsanspruch bei Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 14 S. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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388 389 390 391 391 392 393 393 394 395 398 399 399 401 402 402 403 403 403 404 404

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Inhaltsverzeichnis 15. Vergütungsanspruch bei Ausübung des Entfernungsrechts gemäß § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Vergütungsanspruch bei persönlicher Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Vergütungsanspruch bei Arbeitsversäumnis wegen Betriebsratstätigkeiten (§ 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . 18. Vergütungsanspruch im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen (vgl. § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Vergütungsanspruch bei Besuch von Sprechstunden oder sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. Rechtmäßiger Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Rechtswidriger Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24. Rechtmäßige Aussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25. Rechtswidrige Aussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26. Arbeitskampfrisikolehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27. Unbezahlter Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28. Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29. Elternzeit (vgl. § 15 BEEG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30. Sonstige Risikotragung durch den Arbeitnehmer (vgl. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine tatbestandliche Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitsunwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wegerisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Einzelne Konkurrenzen nach dem dreistufigen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zusammentreffen von alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammentreffen mit rechtmäßiger Aussperrung . . . . . .

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420 420 422 422 422 424 424

Inhaltsverzeichnis

II.

dd) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit vorübergehender Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit Leistungsverweigerungsrecht aus § 14 S. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammentreffen mit Feiertag (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) . . . . . b) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzlicher Vorrang von § 3 Abs. 1 EFZG . . . . . . . . bb) Teleologische Reduktion bei Wahrung des Erholungszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Befürwortung einer teleologischen Reduktion . . . . . (2) Konsequenzen einer teleologischen Reduktion . . . . c) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zulässigkeit einer Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anhaltspunkte für die Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammentreffen mit Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit europarechtlich geprägten Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung bei Spende von Organen oder Geweben (vgl. § 3a Abs. 1 EFZG) . . cc) Zusammentreffen mit Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Überwiegende Auffassung: Vorrang des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gegenauffassung: Vorrang des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG (3) Vorrang des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . dd) Zusammentreffen mit Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammentreffen mit Sprechstunde oder sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zusammentreffen mit Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtmäßiger Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

424 425 425 426 426 427 427 427 430 430 431 432 433 434 434 435 436 437 438 438 438 438 439 440 440 441

442 442 442

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Inhaltsverzeichnis (2) Rechtswidriger Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 (3) Rechtmäßige Aussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 (4) Arbeitskampfrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 gg) Zusammentreffen mit Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 b) Differenzierende Lösung (Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 aa) Keine Lösung auf Tatbestandsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 bb) Überwiegende Ansicht: Vorrang des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 cc) Vorrang des für den Arbeitnehmer günstigeren Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 c) Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall . . . . . . . . . 450 aa) Zusammentreffen mit alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 bb) Zusammentreffen mit Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 (1) Einführung und praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . 450 (2) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 (3) Keine Lösung auf Tatbestandsebene . . . . . . . . . . . . . . 452 (4) Vorrang des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG . . . . . . . . . . . . . . . . 453 (a) Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 (b) Lembkes historisch-genetischer Einwand . . . . . . 454 (c) Einwand des systematischen Vergleichs zu §§ 13, 14 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 (d) Einwand mangelnder Rechtssicherheit . . . . . . . . 456 (e) Einwand des weitergehenden Schutzumfangs von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . 457 (f) Einwand der Spezialität des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 (g) Einwand der vermeintlichen Benachteiligung der erkrankten gegenüber der gesunden Schwangeren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 (h) Europarechtskonformität eines Vorrangs des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 cc) Zusammentreffen mit subsidiären Tatbeständen . . . . . . . 459 dd) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Entgeltfortzahlungstatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 (1) Möglichkeit einer Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 (a) Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG . . . . 461

Inhaltsverzeichnis

III.

(b) Voraussetzungen des konkurrierenden kollektivrechtlichen Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Auflösung im Falle einer Kollision . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen eines Feiertags (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammentreffen mit alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammentreffen mit Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB) c) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammentreffen mit Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG, mit Sprechstunde oder mit sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammentreffen mit Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit europarechtlich geprägten Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammentreffen mit Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Möglichkeit einer tatbestandlichen Kollision . . . . . . (a) Zulässigkeit einer Betriebsversammlung an einem Feiertag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Differenzierung nach der zeitlichen Lage der Betriebsversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorrang von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . dd) Zusammentreffen mit Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammentreffen mit Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierende Lösung (Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorrang der Feiertagsvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

462 463 463 464 464

464 464 465

465 465 466 466 466 466 467 467 467 468 468 468 469 469 470 470 471 472 473

32

Inhaltsverzeichnis

IV.

V.

aa) Zusammentreffen mit subsidiären Tatbeständen . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen cc) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen von vorübergehender Verhinderung des Arbeitnehmers (vgl. § 616 S. 1 BGB) mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Subsidiarität des § 616 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit anderen subsidiären Tatbeständen cc) Zusammentreffen mit einem Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . dd) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammentreffen mit Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierende Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorrang des § 616 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit Betriebsrisiko (vgl. § 615 S. 3 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen cc) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen von bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammentreffen mit alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (§ 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammentreffen mit Feiertag (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) . . . . . c) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub oder Kurzarbeit . . aa) Auslegung der Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Besonderheiten bei Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Folgen von Kurzarbeit für den Umfang des Urlaubsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Anpassung „pro rata temporis“ . . . . . . . . . . . . . . . (b) Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH . . (2) Verhältnis von Kurzarbeit und Erholungsurlaub . . . .

473 473 474 474 474 474 475 475 475 475 476 477 477 477 477 480 482 482 483 483 483 483

483 483 484 484 485 486 486 488 490

Inhaltsverzeichnis (a) Verkürzung der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Auffassung von Neumann/Fenski . . . . . . . . (bb) Auffassung von Leinemann/Linck . . . . . . . (cc) Auffassung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Auffassung von Düwell und Bauer/Kern . (ee) Auffassung von Litzig . . . . . . . . . . . . . . . . . (ff) Auslegung der Arbeitgebererklärung . . . . . (b) Verkürzung der täglichen Arbeitszeit . . . . . . . . . (3) Folgen von Kurzarbeit für die Höhe des Urlaubsentgelts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Kurzarbeit im Referenzzeitraum . . . . . . . . . . . . . (b) Kurzarbeit „während“ des Urlaubszeitraums . . . (c) Auswirkungen der „Tirol“-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammentreffen mit Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB) e) Zusammentreffen mit rechtmäßiger Aussperrung . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammentreffen mit Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammentreffen mit Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfehlung des Erholungszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Besonderheiten bei Zusammentreffen mit Arbeitskampf (1) Rechtmäßiger Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtswidriger Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Besonderheiten bei Zusammentreffen mit persönlicher Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) . dd) Zusammentreffen mit Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierende Lösung (Zusammentreffen mit vorübergehender Verhinderung, vgl. § 616 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . c) Vorrang des bezahlten Erholungsurlaubs . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 S. 1 AGG und mit Betriebsrisiko (vgl. § 615 S. 3 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

490 491 491 492 493 493 494 500 501 501 502 504 506 507 508 508 508 510 511 512 512 512 513 514 517

517 519 519 520

520

34

Inhaltsverzeichnis

VI.

VII.

bb) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen cc) Zusammentreffen mit Arbeitskampfrisiko . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen von Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammentreffen mit alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammentreffen mit Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammentreffen mit Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB) 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Subsidiarität des Zuschusses gemäß § 24 i Abs. 4 SGB V . . b) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub . . . . . . . . . c) Zusammentreffen mit Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Ausfallgrunds . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierende Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorrang des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen bb) Zusammentreffen mit Aussperrung und Arbeitskampfrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen von Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Ausfallgrunds . . . . . . . . . . . . . .

520 521 522 522 522

522 522 523 523 523 524 524 525 527 527 527 527 529 529 529 530 531 531 532 532 532 532 532 533 533

Inhaltsverzeichnis

VIII.

IX.

aa) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit europarechtlich geprägten Tatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammentreffen mit Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Betriebsversammlung (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG), mit Sprechstunde oder mit sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammentreffen mit Streik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammentreffen mit Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit Feiertag (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) . . bb) Zusammentreffen mit subsidiären Tatbeständen . . . . . . . cc) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen dd) Zusammentreffen mit Aussperrung oder Arbeitskampfrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen einer bezahlten Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit Arbeitskämpfen und Arbeitskampfrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen von bezahlter Freistellung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Subsidiarität des § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit Streik oder Arbeitskampfrisiko . . cc) Zusammentreffen mit Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang des § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

533 533

534 534 535 535 535 535 536 536 537 537 538 538 538 539 539 540 540 541 542 542 543 543 543 543 544 544 545

36

Inhaltsverzeichnis

X. XI.

XII.

aa) Zusammentreffen mit anderen subsidiären Tatbeständen bb) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen dd) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen von Annahmeverzug des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 1 BGB) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen des Betriebsrisikos des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 3 BGB) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Ausfallgrunds . . . . . . . . . . . . . . aa) Subsidiarität von § 615 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit anderen subsidiären Tatbeständen cc) Zusammentreffen mit einem Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . dd) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammentreffen mit Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierende Lösung (Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorrang des § 615 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen bb) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammentreffen des Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 14 S. 1 AGG mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Subsidiarität des § 14 S. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammentreffen mit Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang des § 14 S. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zusammentreffen mit anderen subsidiären Tatbeständen

545 546 546 546 546 548 548 548 549 549 549 549 550 551 551 551 552 552 552 552 552 553 553 553 553 553 553 554 554 555 555 555

Inhaltsverzeichnis bb) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen cc) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Zusammentreffen des Entfernungsrechts gemäß § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang des § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Zusammentreffen einer persönlichen Meldung oder Vorstellung bei einer Erfassungs- oder Wehrersatzbehörde (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Subsidiarität des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG . . . . . . . . . . . . . bb) Zusammentreffen mit Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusammentreffen mit Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierende Lösung (Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorrang des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Zusammentreffen von kollektivrechtlichen Tatbeständen mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Zusammentreffen einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unbezahlter Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Ausfallgrunds . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37 556 556 556 556 556 556 557 557

558 558 558 559 559 559 559 560 560 560 561 561 561 562 562 563 566 566 566 566 566 567 567 568

38

Inhaltsverzeichnis XVII. Zusammentreffen einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . XVIII. Zusammentreffen einer Sprechstunde oder einer sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX. Zusammentreffen eines rechtmäßigen Streiks mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Ausfallgrunds . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang des rechtmäßigen Streiks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XX. Zusammentreffen eines rechtswidrigen Streiks mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI. Zusammentreffen einer rechtmäßigen Aussperrung mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXII. Zusammentreffen von Arbeitskampfrisiko mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII. Zusammentreffen von unbezahltem Urlaub mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIV. Zusammentreffen von nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang der nach § 19 KSchG eingeführten Kurzarbeit . . . . . XXV. Zusammentreffen von Elternzeit mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang der Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVI. Zusammentreffen von Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko mit anderen Verhinderungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lösung auf der ersten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösung auf der dritten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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570 570 570 571 571 571 572 572 573 574 574 574 575 575 575 576 576 576 576 577 577 577 577 577 578 579 579 579 580

§ 10 Lösung des Problems der Mehrfachkausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580

Inhaltsverzeichnis

39

A. Bedeutung der Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall . . . . . . . . . . . . . . . B. Übertragung des dreistufigen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Behandlung ausgewählter Fallgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zusammentreffen von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, Feiertag und Kurzarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zusammentreffen von Aussperrung, Feiertag und Erholungsurlaub . . III. Zusammentreffen von Arbeitskampf, Feiertag und Kurzarbeit . . . . . D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

580 581 582

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Doppel- und Mehrfachkausalität in verschiedenen Entwürfen zu einem Arbeitsvertragsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kodifikationsbestrebungen bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwurf von 1977 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwürfe der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gegenwärtige Bestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Neuer Gesetzentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Text des Entwurfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kommentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

588

582 585 586 588

589 589 590 590 592 592 592 592 593 604 627

4. Teil Wesentliche Ergebnisse

628

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 658

Abkürzungsverzeichnis A a. A. a. E. a. F. AAG Abs. AcP AE AEUV AFG AGB AGG AiB AP ArbG ArbGG ArbKrankhG AR-Blattei ES AR-Blattei SD ArbPlSchG ArbR ArbRB ArbSchG ArbuR ArbZG ARS Art. AT AuA BAG BAGE BÄO BAT BB BEEG Begr.

Euro anderer Ansicht am Ende alter Fassung Aufwendungsausgleichsgesetz Absatz Archiv für die civilistische Praxis Arbeitsrechtliche Entscheidungen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Arbeitsförderungsgesetz Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Arbeitsrecht im Betrieb Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeiterkrankheitsgesetz Arbeitsrecht-Blattei Entscheidungssammlung Arbeitsrecht-Blattei Systematische Darstellung Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeitsrecht aktuell Arbeits-Rechts-Berater Arbeitsschutzgesetz Arbeit und Recht Arbeitszeitgesetz Arbeitsrechtssammlung Artikel Allgemeiner Teil Arbeit und Arbeitsrecht Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesärzteordnung Bundes-Angestelltentarifvertrag Betriebsberater Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Begründer

Abkürzungsverzeichnis BErzGG BErzGG 1985 BeschSchG BetrAVG BetrVG 1952 BetrVG, BetrVG 1972 BGB BGBl. BGH BGHZ BPersVG BR-Drs. BSeuchG BSG BT-Drs. BUrlG BUSINESSEUROPE BVerfG BVerfGE BVerwG bzw. CEEP

DB dbr DGB DJZ DrittelbG EBRG EEK EFZG EG EGB EG-Vertrag ESC etc. EuGH EuZA EuZW

41

Bundeserziehungsgeldgesetz Bundeserziehungsgeldgesetz in der Fassung vom 6. Dezember 1985 Beschäftigtenschutzgesetz Betriebsrentengesetz Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung vom 11. Oktober 1952 Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung vom 15. Januar 1972 Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundespersonalvertretungsgesetz Bundesrats-Drucksache Bundesseuchengesetz Bundessozialgericht Bundestags-Drucksache Bundesurlaubsgesetz Vereinigung der Industrie- und Arbeitgeberverbände in Europa (früher UNICE) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise Centre européen des entreprises à participation publique et des entreprises d’intérêt économique général (Europäischer Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft) Der Betrieb Der Betriebsrat Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Juristen-Zeitung Drittelbeteiligungsgesetz Europäische Betriebsräte-Gesetz Entscheidungssammlung zur Entgeltfortzahlung an Arbeiter und Angestellte bei Krankheit, Kur und Mutterschaft Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft Europäischer Gewerkschaftsbund Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Sozialcharta et cetera Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

42 EWG EWiR EWS EzA EzB f. FA FeiertagslohnzahlungsG ff. Fn. Frankfurt a. M. FS GA GesBergV GewO GG GmbHR GMH Gruchot GS GVBl. LSA h. M. HAG HGB Hrsg. Hs. i.V. m. IfSG IG JherJb JR Jura jurisPR-ArbR JuS JW JZ KG KSchG KVLG KVLG 1989 LAG LAGE

Abkürzungsverzeichnis Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Entscheidungen zum Arbeitsrecht Entscheidungssammlung zum Berufsbildungsrecht folgende Seite Fachanwalt Arbeitsrecht Feiertagslohnzahlungsgesetz folgende Seiten Fußnote Frankfurt am Main Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gesundheitsschutz-Bergverordnung Gewerbeordnung Grundgesetz GmbH-Rundschau Gewerkschaftliche Monatshefte Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts Großer Senat des Bundesarbeitsgerichts Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Sachsen-Anhalt herrschende Meinung Heimarbeitsgesetz Handelsgesetzbuch Herausgeber Halbsatz in Verbindung mit Infektionsschutzgesetz Industriegewerkschaft Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Ausbildung juris PraxisReport Arbeitsrecht Juristische Schulung Juristische Wochenschrift JuristenZeitung Kammergericht Kündigungsschutzgesetz Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte

Abkürzungsverzeichnis Lkw LM LohnfortzahlungsG m.w. N. MitbestG MuSchG MuSchG 1952 MuSchV n. F. NJW NJW-RR Nr. NZA NZA-RR NZS öAT OGH OGHSt OLG PflegeZG RabelsZ RABl. RAG RdA RG RGSt RGZ RL Rn. RöV RVO S. SAE SCE SCEBG SchuldRModG SE SEBG

43

Lastkraftwagen Lindenmaier-Möhring Lohnfortzahlungsgesetz mit weiteren Nachweisen Mitbestimmungsgesetz Mutterschutzgesetz in der Fassung vom 18. April 1968 Mutterschutzgesetz in der Fassung vom 24. Januar 1952 Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Zeitschrift für das öffentliche Tarif- und Arbeitsrecht Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen Oberlandesgericht Pflegezeitgesetz Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsblatt Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Richtlinie Randnummer Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlung Reichsversicherungsordnung Satz (im Zusammenhang mit Normen)/Seite (im Zusammenhang mit Fundstellen) Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Societas Cooperativa Europaea (Europäische Genossenschaft) SCE-Beteiligungsgesetz Schuldrechtsmodernisierungsgesetz Societas Europaea (Europäische Gesellschaft) SE-Beteiligungsgesetz

44 SG SGB III SGB IV SGB IX SGB V SGB VIII SozR SprAuG StGB TVG TVöD u. a. UEAPME

UNICE

v. v. H. Var. vgl. VO Vorbem WehrPflG WiB WzS ZeuP ZfA ZPO ZStW ZTR

Abkürzungsverzeichnis Soldatengesetz (im Zusammenhang mit Normen)/Sozialgericht (im Zusammenhang mit Gerichtsentscheidungen) Drittes Buch Sozialgesetzbuch Viertes Buch Sozialgesetzbuch Neuntes Buch Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Sozialgesetzbuch Achtes Buch Sozialgesetzbuch Sozialrecht Sprecherausschussgesetz Strafgesetzbuch Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst unter anderem Union Européenne de l’Artisanat et des Petites et Moyennes Entreprises (Europäische Union des Handwerks und der Kleinund Mittelbetriebe) Union of Industrial and Employers’ Confederations of Europe (Vereinigung der Industrie- und Arbeitgeberverbände in Europa, heute BUSINESSEUROPE) von vom Hundert Variante vergleiche Verordnung Vorbemerkung Wehrpflichtgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung Wege zur Sozialversicherung Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes

1. Teil

Einführung § 1 „Ohne Arbeit kein Lohn“ Prinzipiell gilt im deutschen Arbeitsrecht: „Ohne Arbeit kein Lohn“.1 Dieser Grundsatz beruht auf dem Gedanken des gegenseitigen Gebens und Nehmens. Erbringt der Arbeitnehmer2 seine Arbeitsleistung, hat er im Gegenzug einen Anspruch auf Vergütung gegen den Arbeitgeber. Erbringt er sie nicht, besteht kein Anspruch. Beide Seiten erhalten etwas, müssen aber dafür auch etwas geben. Dieses Synallagma ist der elementare Grundgedanke des Leistungsaustauschs, der dem deutschen Schuldrecht wie auch anderen Rechtsordnungen immanent ist und der als Grundlage des globalen Wirtschaftslebens betrachtet werden kann.3 Die Regel „Ohne Arbeit kein Lohn“, die nach Auffassung des BAG für die wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Strukturelemente des Arbeitsverhältnisses kennzeichnend ist,4 ergibt sich aus § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Danach entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Schuldner der Hauptleistung – im Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer – selbst nicht leistet.5 Die Anwendbarkeit der

1 BAG 22.8.2012 – 5 AZR 652/11, NZA 2012, S. 1277, 1278; Brox/Rüthers/Henssler Arbeitsrecht Rn. 362 ff.; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 17 ff.; v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 291; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht I, S. 324; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 1; Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 159; Söllner AcP 167 (1967), S. 132, 132 ff.; Wollenschläger Arbeitsrecht Rn. 256. 2 Soweit im Folgenden die männliche Form verwendet wird, sind ebenso weibliche Personen gemeint. 3 Vgl. zum Synallagma im Schuldrecht allgemein Medicus/Petersen Bürgerliches Recht Rn. 213 ff.; Staudinger Eckpfeiler-Peter Huber D. Rn. 16 ff.; Zerres Bürgerliches Recht, S. 90. 4 BAG (GS) 17.12.1959 – GS 2/59, AP Nr. 21 zu § 616 BGB; ausführlich zum Synallagma im Arbeitsvertrag Söllner AcP 167 (1967), S. 132, 133–137; vgl. auch Preis/ Hamacher Jura 1998, S. 11, 12. 5 Staudinger-Otto § 326 Rn. A 7; MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 1, 9 ff.; der Sache nach auch Söllner AcP 167 (1967), S. 132, 136 f. Nach Bulla DB 1965, S. 1517, 1517 und Hanau/Adomeit Arbeitsrecht Rn. 793 ist auch § 614 BGB Ausdruck dieses Grundgedankens; kritisch dazu Söllner AcP 167 (1967), S. 132, 134; Sommer Nichterfüllung, S. 243. BAG 22.8.2012 – 5 AZR 652/11, NZA 2012, S. 1277, 1278 leitet den Grundsatz aus „den Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts i.V. m. § 614 BGB“ ab.

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1. Teil: Einführung

Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts auf das Arbeitsverhältnis wird heute allgemein anerkannt.6 Gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB setzt der Fortfall der Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers voraus, dass die Arbeitsleistung im konkreten Fall unmöglich im Sinne des § 275 BGB wird. Erbringt der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht im vorgesehenen Zeitraum, stellt sich die Frage, ob damit die Erbringung unmöglich geworden oder ob die Arbeitsleistung nachholbar ist. Die Unmöglichkeit der Nachholbarkeit kann sich aus rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkten ergeben. Fälle rechtlicher Unmöglichkeit sind in der Praxis selten und weitgehend unproblematisch zu handhaben, weswegen sie an dieser Stelle vernachlässigt werden können.7 Gleiches gilt für solche Konstellationen tatsächlicher Unmöglichkeit, in denen die Nachholung der Arbeitsleistung physisch nicht zu bewerkstelligen ist. Man denke etwa an den Fall, dass die dem Arbeitnehmer ursprünglich übertragenen Aufgaben während seiner Arbeitsverhinderung bereits von anderen Arbeitnehmern erledigt wurden. In den übrigen Konstellationen aber, in denen die Arbeitsleistung tatsächlich nachholbar wäre, kann Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB nur dann angenommen werden, wenn die Arbeitsleistung stets als absolute Fixschuld eingestuft wird. Eine absolute Fixschuld ist eine vertragliche Verpflichtung, bei welcher der Leistungszeit eine solch große Bedeutung zukommt, dass eine Nachleistung nicht im Interesse der Vertragsparteien liegt.8 Die überwiegende Meinung in der Literatur ordnet die Arbeitspflicht als absolute Fixschuld ein.9 Dem ist zuzustimmen. Zwar lässt sich dieser Ansicht unterstellen, sie argumentiere stark ergebnisorientiert mit dem Ziel, den Arbeitnehmer gerade vor einer Nachleistung bewahren zu wollen.10 Dieses Vorgehen ist jedoch unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt. Der Arbeitnehmer hat regelmäßig an den Tagen, 6 ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 3; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 12; Richardi ZfA 1988, S. 221, 254; MünchArbR-Richardi § 1 Rn. 16; Sommer Nichterfüllung, S. 38. 7 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 17 f., nennt als Beispiel für rechtliche Unmöglichkeit die drohende Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitzeit. 8 Vgl. zum Begriff der absoluten Fixschuld Hellfeier Leistungszeit, S. 20–22; Klunzinger Bürgerliches Recht, S. 270; Musielak Grundkurs BGB Rn. 442 f.; Sommer Nichterfüllung, S. 65 f. 9 Beuthien RdA 1972, S. 20, 22 f.; HK-ArbR-Boemke § 611 BGB Rn. 465; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 1; Söllner AcP 167 (1967), S. 132, 139; auch Staudinger-Richardi (2005) § 611 BGB Rn. 414; einschränkend nunmehr aber Staudinger-Richardi/ Fischinger § 611 Rn. 543; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 676 f.; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 13; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 390; ebenso für den Regelfall Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 211; eine strikte Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld ablehnend hingegen MüKoBGB-Ernst § 275 Rn. 48; Hellfeier Leistungszeit, S. 8 ff., 46 ff.; Sommer Nichterfüllung, S. 168 ff.; v. Stebut RdA 1985, S. 66, 67 ff.; ebenfalls kritisch Geißler Lohnanspruch, S. 48–50. 10 Ein Beispiel für derartige ergebnisorientierte Überlegungen findet sich bei Nierwetberg, BB 1982, S. 995, 998 f.

§ 1 „Ohne Arbeit kein Lohn‘‘

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die auf den Arbeitsausfall folgen, bereits die nächste Arbeitsleistung zu erbringen, und eine Nachleistung durch Überstunden wird häufig an der gesetzlichen Höchstarbeitszeit scheitern.11 Darüber hinaus lässt sich ein Verständnis der Arbeitspflicht als absoluter Fixschuld auch auf die Gesetzesentstehung des BGB stützen. In den Gesetzesmaterialien zu § 615 S. 1 BGB heißt es, dass „dem Dienstvertrag regelmäßig die Eigenschaft einer Art von Fixgeschäft beiwohnt“.12 Vor allem aber ging der Gesetzgeber des SchuldRModG davon aus, dass es sich bei der Arbeitspflicht um eine absolute Fixschuld handelt.13 Darüber hinaus stützt auch die Systematik des BGB diese Auffassung, da die Vorschriften der §§ 615, 616 BGB auf dem Konzept der Arbeitspflicht als absoluter Fixschuld aufbauen. § 615 BGB liegt die Vorstellung zugrunde, dass durch die unterbliebene Annahme der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber die Leistungserbringung durch den Arbeitnehmer unmöglich wird.14 Ähnliches gilt für § 616 BGB: Auch diese Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht nachholen kann, weswegen er zur Sicherung seines Lebensunterhalts auf eine Entgeltfortzahlung angewiesen ist.15 Soweit sich andere Stimmen in der Literatur16 und, in einer vereinzelt gebliebenen Entscheidung aus dem Jahre 1988,17 auch das BAG dafür aussprechen, in bestimmten Einzelfällen nur eine relative Fixschuld18 anzunehmen, ist dem nicht zu folgen. Es fehlt an eindeutigen und von der Praxis leicht zu handhabenden Kriterien für diese Differenzierung.19 Eine derartige Relativierung des Dogmas von der absoluten Fixschuld würde daher erhebliche Rechtsunsicherheit herbeiführen. Die Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld hat weitreichende Folgen. Die Nachholbarkeit der Arbeitsleistung ist dadurch ausgeschlossen.20 11 ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 676; vgl. zu dieser Problematik auch Beuthien RdA 1972, S. 20, 20; v. Stebut RdA 1985, S. 66, 67 f. 12 Mugdan Motive II, S. 257. 13 BT-Drs. 14/6040, S. 129; vgl. auch Gotthardt Schuldrechtsreform Rn. 90. 14 Staudinger-Richardi/Fischinger § 611 Rn. 543. 15 Staudinger-Richardi/Fischinger § 611 Rn. 543. 16 ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 677; MünchArbR-Blomeyer (2. Auflage) § 57 Rn. 11; Schaub-Linck ArbR-Hdb. § 49 Rn. 6; Sommer Nichterfüllung, S. 173 f. 17 BAG 17.3.1988 – 2 AZR 576/87, AP Nr. 99 zu § 626 BGB. 18 Vgl. zum Begriff der relativen Fixschuld Hellfeier Leistungszeit, S. 22 f.; Musielak Grundkurs BGB Rn. 443; Sommer Nichterfüllung, S. 66 f.; Zerres Bürgerliches Recht, S. 126. 19 Vgl. exemplarisch MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 15: „Bei Geltung einer flexiblen Arbeitszeit (. . .) kann eine relative Fixschuld im Sinne von § 323 Abs. 2 Nr. 2 anzunehmen sein“; unklar auch BAG 17.3.1988 – 2 AZR 576/87, AP Nr. 99 zu § 626 BGB. 20 Ehmann NJW 1987, S. 401, 406; Hellfeier Leistungszeit, S. 20–22; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 675.

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1. Teil: Einführung

Wendet man zudem das allgemeine zivilrechtliche Dogma der Alternativität von Unmöglichkeit und Verzug an,21 scheidet auch der Annahmeverzug aus.22 Vor allem aber ist § 326 Abs. 1 S. 1 BGB anzuwenden, so dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Gegenleistung, sprich die vertragsmäßige Vergütung, entfällt. Indes existiert im deutschen Arbeitsrecht eine ganze Reihe von Ausnahmen von diesem Grundsatz. Liegen bestimmte Umstände vor, die verhindern, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbringt, soll er dennoch einen Anspruch auf eine Vergütung erhalten. Diese Regelungen sind aber nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, in einem einzigen Gesetz zusammengefasst. Vielmehr sind sie auf verschiedenste Gesetze verteilt. Zu den bekanntesten derartigen Entgeltfortzahlungstatbeständen gehören der Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG, der Anspruch auf bezahlten Urlaub nach § 1 BUrlG, der Anspruch auf Mutterschutzlohn gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG und der Anspruch auf Feiertagsentgelt nach § 2 Abs. 1 EFZG.

§ 2 Zusammentreffen mehrerer Arbeitsausfallgründe Besondere Schwierigkeiten können auftreten, wenn mehrere Arbeitsausfallgründe oder Verhinderungsgründe23 gleichzeitig einschlägig sind und unterschiedliche Entgeltfortzahlungstatbestände auslösen.24 Welcher Entgeltfortzahlungstatbestand setzt sich durch, wenn sich eine Schwangere ein Bein bricht? Bekommt sie Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG, oder kann sie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Sinne des § 3 Abs. 1 EFZG beanspruchen? Oder erhält sie gar beides, oder überhaupt keine Vergütung? Die Antwort auf diese und ähnliche Fragen wird praktisch besonders dann relevant, wenn die Höhe der fortzuzahlenden Vergütung nach beiden Tatbeständen aufgrund abweichender Berechnungsmethoden unterschiedlich ausfallen kann.25 21 Das Dogma der Alternativität von Unmöglichkeit und Verzug besagt, dass bei Unmöglichkeit einer Leistung der Gläubiger nicht in Annahmeverzug geraten kann. Dieser Grundsatz ergibt sich aus § 297 BGB, wonach Voraussetzung für den Annahmeverzug die Leistungsfähigkeit des Schuldners ist. Letztere ist im Falle von Unmöglichkeit nicht gegeben. Vgl. zu diesem Themenkreis Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 17 ff.; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 4; ausführlich Sommer Nichterfüllung, S. 73 ff. 22 Auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Tatbestand des § 615 S. 1 BGB wird noch einzugehen sein; siehe dazu unten § 5 H.I.2. 23 Die Begriffe „Arbeitsausfallgrund“ und „Verhinderungsgrund“ werden im Folgenden als Synonyme gebraucht. 24 Zu diesem Schluss kommt auch Reinecke DB 1991, S. 1168, 1168. 25 Vgl. zur Bedeutung der Berechnungsmethoden Bulla DB 1965, S. 1517, 1517; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 2 f.; sowie noch ausführlich unten § 4 B. Die mit unterschiedlichen Berechnungsmethoden verbundene Problematik erkennt zwar auch

§ 2 Zusammentreffen mehrerer Arbeitsausfallgründe

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Gesetzliche Regelungen zur Lösung derartiger Konkurrenzen von Entgeltfortzahlungstatbeständen sind, soviel sei vorweggenommen, die Ausnahme. Beispiele für solch seltene Vorschriften sind § 9 BUrlG für das Zusammentreffen von bezahltem Erholungsurlaub und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, § 4 Abs. 2 EFZG für das Zusammentreffen von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Feiertag sowie § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG für das Zusammentreffen von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, Feiertag und Kurzarbeit. Verschärft wird die skizzierte Problematik dadurch, dass das deutsche Arbeitsrecht, dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ entsprechend, nicht für alle denkbaren Fälle des Arbeitsausfalls einen Entgeltfortzahlungstatbestand vorsieht. Stattdessen soll in vielen Konstellationen nach der Wertung des Gesetzes ein Vergütungsanspruch gerade ausgeschlossen sein. Beispiele für solche im Folgenden als „Ausschlussgründe“ bezeichneten Umstände sind der rechtmäßige Arbeitskampf, die Inanspruchnahme von Elternzeit und die Nichterbringung der Arbeitsleistung aufgrund von Arbeitsunwilligkeit. Das Zusammentreffen eines Ausschlussgrunds mit einem Arbeitsausfallgrund, der einen Entgeltfortzahlungstatbestand auslöst (Beispiel: ein streikender Arbeitnehmer erkrankt) ist noch brisanter als das Zusammentreffen zweier Arbeitsausfallgründe, die beide Entgeltfortzahlungstatbestände auslösen. Dabei geht es um die Frage, ob überhaupt ein Entgelt gezahlt wird, und nicht nur um eine Differenz in der Höhe des Entgelts. Unproblematisch ist hingegen das Zusammentreffen zweier Ausschlussgründe, da in diesen Fällen unter keinen Umständen Arbeitsentgelt gezahlt werden muss.26 Zur Veranschaulichung vgl. die folgende Grafik:

Reinecke DB 1991, S. 1168, 1168, hält diese Konstellationen aber dennoch für „weniger problematisch“. Ein anderer Grund für unterschiedliche Anspruchshöhen bei verschiedenen Entgeltfortzahlungstatbeständen war die zwischenzeitliche Kürzung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf 80% der vollen Vergütung durch das Arbeitsrechtliche Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 25. September 1996 (BGBl. 1996 I, S. 1476). Der Gesetzgeber hat die Kürzung nach dem Regierungswechsel auf Bundesebene durch Art. 7 Nr. 1 des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 (BGBl. 1998 I, S. 3843) inzwischen aber wieder zurückgenommen. 26 Ebenso Reinecke DB 1991, S. 1168, 1168, der insoweit als Beispiel das Zusammentreffen von Arbeitsbummelei (und somit einer Form der Schlechtleistung) und Arbeitskampf nennt.

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1. Teil: Einführung

Arbeitsausfallgründe / Verhinderungsgründe

Möglichkeit A:

Möglichkeit B:

Lösen einen Entgeltfortzah-

Lösen keinen Entgeltfortzah-

lungstatbestand aus

lungstatbestand aus (sogenannte Ausschlussgründe)

Denkbare Kollisionskonstellationen: A kollidiert mit A: Relevanz für die Höhe der Entgeltfortzahlung A kollidiert mit B: Relevanz dafür, ob überhaupt ein Entgelt gezahlt wird B kollidiert mit B: Es wird kein Entgelt gezahlt

§ 3 Ziel der Arbeit Die Arbeit verfolgt zwei wesentliche Ziele. Zum einen steht die eingehende Analyse der wichtigsten Arbeitsausfallgründe im deutschen Entgeltfortzahlungsrecht im Fokus. Dabei sollen strukturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten der einzelnen Tatbestände herausgearbeitet werden, um ein umfassendes Bild des Status quo des Entgeltfortzahlungsrechts zu zeichnen. Insbesondere ist die Frage zu beantworten, inwiefern der Gestaltung des Entgeltfortzahlungsrechts durch den Gesetzgeber ein in sich stimmiges, einheitliches Konzept zugrunde liegt. Zum anderen soll geklärt werden, wie zu verfahren ist, wenn mehrere Arbeitsausfallgründe gleichzeitig auftreten und wenigstens einer von ihnen eine Entgeltfortzahlung auslöst. Welcher Ausfallgrund setzt sich durch, erhält der Arbeitnehmer eine Vergütung und wenn ja, in welcher Höhe? Zur Beantwortung dieser Fragen kann auf die Erkenntnisse zurückgegriffen werden, die zuvor im Rahmen der Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts gewonnen wurden.

A. Gang der Untersuchung Der Gang der Untersuchung orientiert sich an den genannten Zielen. Die Arbeit besteht aus vier Teilen. Auf die Einführung in die Problematik (erster Teil)

§ 3 Ziel der Arbeit

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folgt in einem zweiten Teil die Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts. Diese beginnt mit generellen Ausführungen zu zwei wichtigen Komponenten aller Entgeltfortzahlungstatbestände, nämlich der Rechtsnatur und der anwendbaren Berechnungsmethode (§ 4). Danach werden nacheinander die einzelnen Arbeitsausfallgründe untersucht, und zwar zunächst Entgeltfortzahlungstatbestände (§ 5) und sodann Ausschlussgründe (§ 6). Durch dieses Vorgehen sollen Erkenntnisse über die Struktur des Entgeltfortzahlungsrechts und systematische Zusammenhänge zwischen den einzelnen Arbeitsausfallgründen gewonnen werden, die in einem Zwischenfazit (§ 7) zusammengefasst werden. Daneben erfüllt dieser zweite Teil der Arbeit eine wichtige weitere Funktion: Er bildet den Ausgangspunkt und eine wichtige Erkenntnisquelle für den dritten Teil der Arbeit, in dem das Zusammentreffen mehrerer Arbeitsausfallgründe problematisiert wird. In diesem Abschnitt wird zunächst ein Überblick über die in Rechtsprechung und Schrifttum zu diesem Problemkreis vertretenen Meinungen gegeben (§ 8), die bereits an dieser Stelle kritisch gewürdigt werden. Danach wendet sich die Untersuchung in § 9 zunächst der Konstellation der Doppelkausalität (Zusammentreffen von genau zwei Ausfallgründen) zu und stellt eine mögliche Lösung dieser Problematik vor. Ebenso wird in § 10 für die Konstellation der Mehrfachkausalität (Zusammentreffen von drei oder mehr Ausfallgründen) verfahren. Weiterhin enthält dieser Teil in § 11 den Entwurf eines Gesetzes, das die mit Doppel- und Mehrfachkausalität verbundenen und nach der derzeitigen Rechtslage bestehenden Schwierigkeiten und Unsicherheiten lösen soll. Schließlich werden im vierten Teil die wichtigsten Thesen der Arbeit zusammengefasst.

B. Umfang der Untersuchung Der immense Umfang denkbarer Arbeitsausfallgründe lässt es nicht zu, diese sämtlich in die Arbeit einzubeziehen. Stattdessen ist es erforderlich, eine Auswahl zu treffen. Die Untersuchung beschränkt sich auf die dogmatisch interessantesten und praktisch bedeutsamsten Ausfallgründe. Außen vor bleiben dagegen Tatbestände, die lediglich für kleinere Gruppen von Beschäftigten Bedeutung erlangen: – Entgeltfortzahlungstatbestände im Personalvertretungsrecht und dem Sprecherausschussgesetz, da diese Gesetze lediglich das Recht der Betriebsverfassung im Bereich des öffentlichen Dienstes und für leitende Angestellte regeln; – § 1 Abs. 2 S. 1 ArbPlSchG und § 9 Abs. 2 S. 1 ArbPlSchG, die ebenfalls nur in einem Teilbereich des Rechts des öffentlichen Dienstes anwendbar sind; – Tatbestände des Berufsbildungsgesetzes und des Jugendarbeitsschutzgesetzes, da diese Gesetze nur auf die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten und jugendliche Arbeitnehmer anzuwenden sind;

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1. Teil: Einführung

– Vorschriften des Arbeitssicherheitsgesetzes, soweit sie lediglich für Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit gelten; – Vergütungsansprüche der Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung (vgl. § 96 Abs. 4 und 6 SGB IX); – Vergütungsansprüche aus dem Recht der Unternehmensmitbestimmung (insbesondere MitbestG und DrittelbG); – Regelungen des BetrAVG. Dieses Gesetz ist für Kollisionskonstellationen mit anderen Arbeitsausfallgründen uninteressant, da die übrigen untersuchten Entgeltfortzahlungstatbestände einen noch tätigen Arbeitnehmer voraussetzen und für ehemalige Arbeitnehmer ohnehin nicht relevant sind. Ebenfalls nicht untersucht werden die Fälle, in denen der Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber wegen der Nichterbringung der Arbeitsleistung entfällt, aber ein Dritter eine Ersatzleistung erbringt. Leistungserbringer kann zum Beispiel der Staat (wie im Fall des Kurzarbeitgeldes gemäß §§ 95 ff. SGB III) oder ein Sozialversicherungsträger (wie im Fall des Krankengelds gemäß § 44 SGB V) sein.27 Bei diesen Zahlungsansprüchen ist gerade nicht das arbeitsvertragliche Synallagma betroffen, da der Arbeitgeber nicht zur Entgeltzahlung verpflichtet ist, obwohl er keine Leistung erhält. Es liegt daher auch keine Ausnahme vom Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ vor, und auf die Behandlung ebensolcher Ausnahmen sowie der bereits angesprochenen Ausschlussgründe soll sich diese Arbeit beschränken.

27 In diese Kategorie fällt auch der Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG. Zwar richtet sich dieser Anspruch formell gegen den Arbeitgeber. Dieser zahlt die Entschädigung jedoch gemäß § 56 Abs. 5 S. 1 IfSG „für die zuständige Behörde“ aus, welche die dafür aufgewandten Beträge auf Antrag auch erstatten muss (vgl. § 56 Abs. 5 S. 2 IfSG). Der Arbeitgeber fungiert insoweit nur als verlängerter Arm des Staates. Damit handelt es sich der Sache nach nicht um einen entgeltfortzahlungsrechtlichen, sondern um einen sozialrechtlichen Anspruch (vgl. hierzu auch Erdle § 56 vor Anmerkung 1; Bales/Baumann/Schnitzler § 56 Rn. 1, 20).

2. Teil

Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts Das Recht der Entgeltfortzahlung umfasst die unterschiedlichsten Gründe für einen Arbeitsausfall. Manche führen zu einer Entgeltfortzahlung (Entgeltfortzahlungstatbestände), andere gerade nicht (Ausschlussgründe).28 Auch wenn der Gesetzgeber die diversen Tatbestände teilweise sehr unterschiedlich ausgestaltet hat, lassen sich doch zwei Elemente identifizieren, die für alle Entgeltfortzahlungstatbestände von Bedeutung sind, nämlich zum einen die Rechtsnatur der Tatbestände und zum anderen die Berechnungsmethode, nach der die Höhe der fortzuzahlenden Vergütung bestimmt wird. Diesen beiden Komponenten widmet sich der erste Abschnitt dieses Teils (§ 4). Darauf folgt das Kernstück der Analyse, nämlich die ausführliche Untersuchung der einzelnen Entgeltfortzahlungstatbestände (§ 5) und Ausschlussgründe (§ 6). In einem Zwischenfazit (§ 7) werden die gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst.

§ 4 Rechtsnatur und Berechnungsmethode Im Folgenden werden – gewissermaßen „vorab“ – zwei Begriffe des Entgeltfortzahlungsrechts erläutert, deren Verständnis für die darauf folgende Analyse der einzelnen Arbeitsausfallgründe elementar ist. Wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird, lassen sich Entgeltfortzahlungstatbestände im Hinblick auf ihre „Rechtsnatur“ und ihre „Berechnungsmethode“ zumindest grob jeweils einer von zwei Gruppen zuordnen. Diese Zuordnung dient der Systematisierung des Entgeltfortzahlungsrechts und kann bei der Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage eine Rolle spielen, inwiefern der Gestaltung des Entgeltfortzahlungsrechts durch den Gesetzgeber ein in sich stimmiges, einheitliches Konzept zugrunde liegt. Auch bereits mit Blick auf den dritten Teil dieser Arbeit ist eine Auseinandersetzung mit Rechtsnatur und Berechnungsmethode geboten. Einige Stimmen in der Rechtsprechung wollen diese Komponenten zur Lösung von Konkurrenzen mehrerer Arbeitsausfallgründe heranziehen.29 Beide Begriffe scheinen auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben. Wie noch im Einzelnen unter C. erläutert wird, kann aber diskutiert werden, in28 29

Vgl. zu dieser Unterscheidung bereits oben § 1. Hierauf wird noch näher eingegangen; siehe dazu unten § 8 A.II.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

wiefern die Zuordnung eines Tatbestands zu einer bestimmten Berechnungsmethode von der Rechtsnatur abhängt oder umgekehrt. Aus diesen Gründen ist der Erörterung der beiden Begriffe im Folgenden ein zusammenhängender Abschnitt gewidmet.

A. Rechtsnatur der Entgeltfortzahlungstatbestände Ein Entgeltfortzahlungstatbestand kann entweder als eigenständige Anspruchsgrundlage ausgestaltet sein oder aber als Norm, die den originären Entgeltanspruch aus dem Arbeitsvertrag i.V. m. § 611 Abs. 1 BGB aufrechterhält. Liegt eine anspruchserhaltende Norm vor, durchbricht sie den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ aus § 326 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach der arbeitsvertragliche Entgeltanspruch eigentlich entfiele. Der Arbeitnehmer kann nach wie vor vom Arbeitgeber die arbeitsvertragliche Vergütung verlangen. Handelt es sich bei dem Tatbestand hingegen um eine eigenständige Anspruchsgrundlage, bleibt § 326 Abs. 1 S. 1 BGB unberührt, so dass der Arbeitnehmer seinen arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch verliert. Stattdessen erlangt er aber einen anderen, eigenständigen Vergütungsanspruch, der nicht im Arbeitsvertrag, sondern in dem betreffenden Entgeltfortzahlungstatbestand wurzelt. Diese Unterscheidung kann beispielsweise bedeutsam sein, wenn im Arbeitsvertrag Einwendungen des Arbeitgebers gegen Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers vorgesehen sind, zum Beispiel Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Zahlungsansprüchen. Solche Einwendungen können so ausgestaltet sein, dass sie sich nur auf den arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch erstrecken, nicht aber auf Entgeltersatzansprüche, die auf eigenständigen Anspruchsgrundlagen basieren.30 Man könnte erwägen, einheitlich alle Entgeltfortzahlungstatbestände als eigenständige, von den arbeitsvertraglichen Primärpflichten losgelöste Ansprüche zu behandeln. Ebenso ließe sich vertreten, allen Tatbeständen anspruchserhaltenden Charakter beizumessen.31 Beides kann indes nicht überzeugen. Insbesondere folgt der anspruchserhaltende Charakter aller Tatbestände – entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung32 – nicht aus der Systematik des allgemeinen Schuldrechts. Diese Stimmen argumentieren, § 326 Abs. 1 S. 1 BGB stelle die allgemeine Regel auf, dass der Entgeltanspruch aus dem Arbeitsvertrag i.V. m. 30 Vgl. LAG Berlin 14.1.2000 – 6 Sa 1951/99, NZA-RR 2000, S. 362; ErfK-Schlachter § 14 MuSchG Rn. 2, die aus dem Charakter von § 14 MuSchG als anspruchserhaltender Norm schlussfolgern, dass der nach dieser Vorschrift gezahlte Zuschuss den arbeitsvertraglichen Regeln über Verjährung, Pfändung, Aufrechnung und Abtretung sowie den tariflichen Ausschlussfristen unterliegt. Vgl. ferner zum Verhältnis von tariflichen Ausschlussfristen und Entgeltersatzleistungen BAG 8.9.2010 – 7 AZR 513/09, NZA 2011, S. 159 ff. 31 Dafür Boemke Arbeitsrecht § 5 Rn. 143, 145; Michalski Arbeitsrecht Rn. 462. 32 Michalski Arbeitsrecht Rn. 462, ebenso für den Anspruch aus § 3 Abs. 1 EFZG Müller-Glöge RdA 2006, S. 105, 105.

§ 4 Rechtsnatur und Berechnungsmethode

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§ 611 Abs. 1 BGB entfalle, sofern der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht erbringe.33 Indem der Gesetzgeber in bestimmten Fällen Entgeltfortzahlungstatbestände normiere, setze er diese Grundregel außer Kraft. Somit lebe stets der ursprüngliche Entgeltanspruch wieder auf. Indes muss eine Durchbrechung des Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“ rechtstechnisch nicht zwingend so ausgestaltet sein, dass immer die Rechtsfolge des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB außer Kraft gesetzt wird. Die Durchbrechung des Grundsatzes kann rechtstechnisch vielmehr auch dergestalt erfolgen, dass ein eigenständiger, vom arbeitsvertraglichen Anspruch unabhängiger Vergütungsanspruch kreiert wird. Zum Beispiel könnte der Gesetzgeber formulieren: „Anstelle des erloschenen Vergütungsanspruchs erhält der Arbeitnehmer eine Zahlung in Höhe von . . .“ Eine auf diese Weise vorgenommene Durchbrechung des geschilderten Grundsatzes ist mit der Systematik des allgemeinen Schuldrechts in gleicher Weise vereinbar wie die Aufrechterhaltung des originären Vergütungsanspruchs. Wie im Einzelnen noch zu zeigen sein wird, sind die diversen Entgeltfortzahlungstatbestände sehr unterschiedlich strukturiert. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, alle Entgeltfortzahlungstatbestände in einem einzigen einheitlichen Gesetz zusammenzufassen. Stattdessen sind Entgeltfortzahlungstatbestände in vielen einzelnen Partikulargesetzen enthalten, die alle ihrer eigenen Systematik unterliegen. Einige Entgeltfortzahlungstatbestände sind eindeutig auf den originären arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch bezogen,34 während in Bezug auf andere Tatbestände Wortlaut, Telos, Entstehungsgeschichte oder Systematik35 dafür sprechen, dass es sich bei ihnen um eigenständige Ansprüche handelt. Beispielsweise formuliert der Gesetzgeber in § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG, dass eine Schwangere unter bestimmten Voraussetzungen vom Arbeitgeber einen „Zuschuss“ zum Mutterschaftsgeld nach § 13 MuSchG, § 24 i SGB V erhält, was auf einen eigenständigen, vom arbeitsvertraglichen Entgelt losgelösten Vergütungsanspruch hindeutet. Es zeigt sich also, dass die Frage der Rechtsnatur nicht für alle Tatbestände einheitlich in die eine oder andere Richtung zu beantworten ist. Vielmehr ist eine nach den verschiedenen Tatbeständen differenzierende Lösung geboten.36 Daher wird im Rahmen der Analyse eines jeden Tatbestands unter anderem auch auf die Rechtsnatur einzugehen sein.37 33

Vgl. Michalski Arbeitsrecht Rn. 462; Müller-Glöge RdA 2006, S. 105, 105. Vgl. etwa die Formulierung in § 39 Abs. 3 BetrVG „. . . berechtigt den Arbeitgeber nicht zur Minderung des Arbeitsentgelts“. 35 Zu den vier Auslegungsmethoden und ihrer Anwendung vgl. Wank Auslegung, S. 39–72; Larenz Methodenlehre, S. 312 ff.; vgl. ferner Zippelius Methodenlehre, S. 39 ff. 36 So im Ergebnis auch Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 83 f. 37 Die diesbezüglichen Erörterungen finden sich in den Abschnitten § 5 und § 6 jeweils unter dem Gliederungspunkt „systematische Einordnung“. 34

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

B. Berechnungsmethoden Den meisten Entgeltfortzahlungstatbeständen ist gemein, dass sie auf der Rechtsfolgenseite die Zahlung eines Entgelts anordnen, dessen Höhe unter Anwendung einer von zwei anerkannten Berechnungsmethoden berechnet wird.38 Das deutsche Entgeltfortzahlungsrecht kennt de lege lata zum einen das Lohnausfallprinzip, zum anderen die Bezugsmethode, die auch Referenzmethode oder Referenzprinzip genannt wird. Im Rahmen der Analyse der einzelnen Tatbestände39 wird unter anderem auf die jeweils einschlägige Berechnungsmethode eingegangen.40 Um diese Ausführungen besser verständlich zu machen, werden im Folgenden die beiden Methoden Lohnausfallprinzip und Bezugsmethode und ihre Eigenheiten abstrakt dargestellt und analysiert. I. Lohnausfallprinzip Die meisten Tatbestände verwirklichen das Lohnausfallprinzip. Das Lohnausfallprinzip besagt, dass der Arbeitnehmer vergütungsmäßig so zu stellen ist, als ob er während der Zeit des Arbeitsausfalls41 gearbeitet hätte.42 Hierzu ist eine 38 Es existieren daneben noch weitere Berechnungsmethoden, die aber für die in dieser Arbeit untersuchten Tatbestände keine Rolle spielen. Ein Beispiel ist die sogenannte „abstrakte Berechnungsmethode“, die häufig in Tarifverträgen vorgesehen ist. Dabei wird die Vergütungshöhe nach einer festen Bezugsgröße ermittelt, die eine bestimmte – tatsächlich nicht erbrachte – Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Verhinderungszeitraum unterstellt, etwa acht Stunden täglich. Eine solche Berechnung erfolgt sowohl losgelöst von der in der Vergangenheit erbrachten Arbeitsleistung (Bezugsmethode) als auch von der bei unterstellter Weiterarbeit erbrachten hypothetischen Arbeitsleistung (Lohnausfallprinzip). Vgl. zu Einzelheiten Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 4; Neumann/Fenski § 11 Rn. 5. 39 Siehe dazu unten § 5. 40 Die diesbezüglichen Erörterungen finden sich jeweils unter dem Gliederungspunkt „Rechtsfolgen“. 41 Mit dem Begriff „Zeit des Arbeitsausfalls“ ist nicht der gesamte Zeitraum gemeint, in dem der Verhinderungsgrund vorliegt (etwa: eine vierwöchige Erkrankung), sondern nur der Anteil dieses Zeitraums, in dem der Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag und gegebenenfalls einer Konkretisierung durch den Arbeitgeber gearbeitet hätte (beispielsweise nur eine bestimmte Stundenzahl pro Werktag, nicht am Wochenende). 42 Ganz h. M., vgl. BAG 18.9.1973 – 1 AZR 102/73, AP Nr. 3 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 31.7.1986 – 6 AZR 298/84, AP Nr. 55 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 20.10.1993 – 581/92, AP Nr. 90 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 13.7.1994 – 7 AZR 477/93, AP Nr. 97 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 28.6.1995 – 7 AZR 1001/94, AP Nr. 112 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 6.12.1995 – 5 AZR 237/94, AP Nr. 9 zu § 611 BGB Berufssport; Bulla DB 1965, S. 1517, 1517; Fitting § 37 Rn. 57; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 84; MünchArbRBoewer § 69 Rn. 35; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 118. Demgegenüber differenzieren Belling/Hartmann ZfA 1994, S. 519, 532–540, zwischen Tatbeständen, bei denen der Arbeitnehmer so zu stellen ist, als hätte er gearbeitet, und Tatbeständen, bei denen der Arbeitnehmer so zu stellen ist, als läge der Verhinderungsgrund nicht vor.

§ 4 Rechtsnatur und Berechnungsmethode

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hypothetische Betrachtung anzustellen, bei der der betreffende Arbeitsausfallgrund hinweggedacht werden muss.43 Daneben dürfen jedoch auch etwaige konkurrierende Ausfallgründe nicht berücksichtigt werden. Die Gründe dafür werden noch näher erläutert.44 Das Lohnausfallprinzip ist also auf den Ausfallzeitraum und somit gegenwartsbezogen. Diese Eigenschaft unterscheidet es wesentlich von der Bezugsmethode. II. Bezugsmethode Andere Tatbestände sehen demgegenüber eine Vergütung nach der Bezugsmethode vor. Dabei wird die Vergütung des Arbeitnehmers nach dessen Verdienst in einem bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum berechnet.45 Somit erfordert die Bezugsmethode anders als das Lohnausfallprinzip keine gegenwartsbezogene, sondern eine vergangenheitsbezogene Betrachtung. Es sind folglich auch keine hypothetischen Erwägungen hinsichtlich der Vergütung des Arbeitnehmers anzustellen, die dieser ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte.46 Die Existenzberechtigung der Bezugsmethode wird teilweise bezweifelt, da von einigen Stimmen das Lohnausfallprinzip als das „gerechtere“ betrachtet wird.47 Die dahinter stehenden Überlegungen sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Das Lohnausfallprinzip garantiert, dass der Arbeitnehmer weder besser noch schlechter steht, als wenn er gearbeitet hätte.48 Dadurch verwirklicht das Lohnausfallprinzip den von vielen Entgeltfortzahlungstatbeständen verfolgten Zweck am besten, den Arbeitnehmer für sein entgangenes Entgelt zu kompensieren (sogenanntes Kompensationsprinzip).49 Der Zweck der Bezugsmethode erschließt sich jedoch bei näherer Betrachtung der Tatbestände, für die diese Methode vorgesehen ist, beispielsweise den Ansprüchen des Arbeitnehmers auf Urlaubsentgelt (§ 1 BUrlG i.V. m. § 11 BUrlG) und auf Arbeitsentgelt bei Beschäftigungsverboten (§ 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) sowie dem Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (§ 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG). Maßgeb43 Vgl. Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 2, nach dem bei einer Berechnung nach dem Lohnausfallprinzip darauf abzustellen ist, was der Arbeitnehmer voraussichtlich verdient hätte, wenn er nicht an der Arbeitsleistung verhindert gewesen wäre. 44 Vgl. unten § 8 A.I.3. 45 Vgl. BSG 22.6.1966 – 3 RK 105/63, AP Nr. 9 zu § 13 MuSchG; BSG 13.5.1987 – 7 RAr 7/86, SozR 4100 § 112 Nr. 30; Bulla DB 1965, S. 1517, 1517; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 83, 85–87; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 3. 46 Vgl. BAG 22.10.1986 – 5 AZR 69/85 (zitiert nach juris); SG Hamburg 24.6.2009 – S 2 KR 1377/07, NZA 2009, S. 1132. 47 Vgl. exemplarisch Bulla DB 1965, S. 1517, 1517, 1520; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 83; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 2; Neumann/Fenski § 11 Rn. 6. 48 Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 2. 49 Vgl. Bulla DB 1965, S. 1517, 1517, der diesen Gedanken ebenfalls als „Leitsatz“ des Entgeltfortzahlungsrechts versteht. Auf das Kompensationsprinzip wird unten unter § 5 P.I.2. und § 5 R. noch näher eingegangen.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

lich für die Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Bezugsmethode bei diesen Tatbeständen waren vor allem Praktikabilitätserwägungen.50 In der Praxis gestaltet sich die Berechnung nach dem Lohnausfallprinzip häufig schwieriger als nach der Bezugsmethode. Das liegt in der Natur des auf hypothetischen Erwägungen und einer Prognose beruhenden Lohnausfallprinzips. Gerade in Fällen längerfristiger Arbeitsverhinderungen wird es oft schwierig sein, zu präzisen und korrekten Ergebnissen zu gelangen. Die Bezugsmethode hingegen vermeidet diese Schwierigkeiten, indem sie auf den Durchschnittsverdienst während eines bestimmten Zeitraums abstellt, der vor allem bei längerfristigen Arbeitsverhinderungen in aller Regel einfacher zu ermitteln ist.51 III. Unterscheidung von Geld- und Zeitfaktor Zu berücksichtigen ist schließlich noch, dass sich nach der von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Dogmatik das aufgrund eines Tatbestands geschuldete Entgelt bei arbeitszeitabhängiger Vergütung des Arbeitnehmers stets aus der Multiplikation zweier Faktoren ergibt, nämlich eines Geldfaktors und eines Zeitfaktors.52 1. Begriffsbestimmungen Der Geldfaktor bestimmt den Geldwert der Arbeitsleistung für eine bestimmte Zeitspanne,53 beispielsweise die Höhe der Vergütung pro geleistete Arbeitsstunde. Welche Zeitspanne im Einzelfall zugrunde zu legen ist, hängt von der Ausgestaltung des jeweiligen Entgeltfortzahlungstatbestands ab. Im Regelfall gibt das Gesetz keine bestimmte Zeiteinheit vor. In diesen Fällen ist das Arbeitsverhältnis maßgeblich, und es kommt darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Beispiel nach Stunden, Tagen, Wochen oder Monaten bezahlt wird. Soweit im Folgenden im Rahmen der Analyse der einzelnen Tatbestände nicht explizit eine andere Regelung erwähnt wird, ist von dieser Konstellation auszugehen. Es ist aber auch möglich, dass ein Entgeltfortzahlungstatbestand eine bestimmte Zeiteinheit vorschreibt, zum Beispiel die Ermittlung eines täglichen Durchschnittsentgelts. Ferner kann in der betreffenden Zeiteinheit entweder nur reine Arbeitszeit (zum 50 Vgl. BT-Drs. 4/785, S. 4; SG Hamburg 24.6.2009 – S 2 KR 1377/07, NZA 2009, S. 1132; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 30 f., 2 f. 51 Vgl. Bulla DB 1965, S. 1517, 1517, 1520. 52 Vgl. hierzu für die Entgeltzahlung im Krankheitsfall BAG 26.6.2002 – 5 AZR 153/01 – AP Nr. 62 zu § 4 EFZG; ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 2 und Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 4 EFZG Rn. 4; für das Urlaubsentgelt BAG 15.12. 2009 – 9 AZR 887/08, EzA Nr. 60 zu § 13 BUrlG; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 3. Vgl. ferner Geißler Lohnanspruch, S. 129. 53 Vgl. BAG 9.11.1999 – 9 AZR 771/98, AP Nr. 47 zu § 11 BUrlG; BAG 15.12.2009 – 9 AZR 887/08, EzA Nr. 60 zu § 13 BUrlG; ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 3; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 8.

§ 4 Rechtsnatur und Berechnungsmethode

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Beispiel, wenn ein durchschnittliches Stundenentgelt für geleistete Arbeit ermittelt wird) oder aber sowohl Arbeits- als auch Freizeit enthalten sein (zum Beispiel, wenn auf das durchschnittliche tägliche Entgelt während eines bestimmten Referenzzeitraums abgestellt wird). Der Zeitfaktor demgegenüber beziffert die Zahl der Einheiten, auf die sich der Geldfaktor bezieht. Somit spiegelt der Zeitfaktor die Zeitspanne wider, während der für den betreffenden Verhinderungsgrund eine Entgeltersatzleistung gezahlt werden soll.54 Geldfaktor und Zeitfaktor eines Entgeltfortzahlungstatbestands müssen sich immer auf die gleiche Zeiteinheit beziehen, andernfalls ergäbe sich bei der Multiplikation beider Faktoren kein sinnvolles Ergebnis.55 2. Verhältnis der Faktoren zu den Berechnungsmethoden Der genaue Gehalt der Begriffe „Lohnausfallprinzip“ und „Bezugsmethode“ lässt sich nur bestimmen, wenn diese zu den genannten Faktoren in Bezug gesetzt werden. Die beiden Faktoren müssen hinsichtlich eines bestimmten Tatbestands nicht zwingend die gleiche Berechnungsmethode zugrunde legen. Vielmehr ist es möglich, dass sich die Berechnung des Zeitfaktors nach der einen und die des Geldfaktors nach der anderen Methode richtet.56 Auch kann auf einen oder beide Faktoren eine Mischform aus beiden Methoden anwendbar sein. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass weder die Begriffe Geld- und Zeitfaktor noch die Termini Lohnausfallprinzip und Bezugsmethode von den einschlägigen Gesetzen verwendet oder gar definiert werden. Sie werden zwar von den die Dogmatik des Entgeltfortzahlungsrechts prägenden Stimmen gebraucht57 und finden auch eine Entsprechung in einzelnen Entgeltfortzahlungs54 Vgl. BAG 9.11.1999 – 9 AZR 771/98, AP Nr. 47 zu § 11 BUrlG; BAG 15.12.2009 – 9 AZR 887/08, EzA Nr. 60 zu § 13 BUrlG; ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 3; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 7. 55 Wie bereits angedeutet gilt die skizzierte Unterscheidung in dieser Form nur, wenn der Arbeitnehmer in Abhängigkeit von der geleisteten Arbeitszeit vergütet wird. Bei einer ergebnisabhängigen Vergütung, etwa, wenn der Arbeitnehmer im Akkord oder auf Prämien-, Tantiemen- oder Provisionsbasis arbeitet, ist die Berechnung eines Zeitfaktors nicht sinnvoll, da der Arbeitnehmer ja gerade nicht in Abhängigkeit von der geleisteten Arbeitszeit vergütet wird (vgl. hierzu auch ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 13– 16). Stattdessen könnte man hier neben dem Geldfaktor einen „Anzahlsfaktor“ (dieser Begriff wird in Rechtsprechung und Literatur soweit ersichtlich nicht verwendet) einführen. Der Geldfaktor gäbe danach die Vergütung pro geleistete Einheit an, der Anzahlsfaktor die Zahl der geleisteten Arbeitseinheiten. Im Folgenden wird, soweit nicht ausdrücklich anders erwähnt, nur der arbeitszeitabhängig vergütete Arbeitnehmer als heutiger Regelfall in der Praxis behandelt. 56 Vgl. Geißler Lohnanspruch, S. 129; speziell für das Urlaubsrecht BAG 9.11.1999 – 9 AZR 771/98, AP Nr. 47 zu § 11 BUrlG; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 6. 57 Vgl. exemplarisch ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 2; Feichtinger/MalkmusMalkmus § 4 EFZG Rn. 25 f.; Neumann/Fenski § 11 Rn. 2–4; Schmitt § 2 EFZG Rn. 63, § 4 EFZG Rn. 2.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

tatbeständen. Zudem werden sie teilweise in den Gesetzesmaterialien verwendet oder in Bezug genommen.58 Dennoch ist der normative Gehalt dieser Begriffe und derjenigen Formulierungen, die in den Gesetzen verwendet werden, um diese Begriffe zu umschreiben, weitgehend unbestimmt. Er hängt stark von der Ausgestaltung des jeweiligen Tatbestands ab. Im Folgenden wird auf Grundlage der bekannten entgeltfortzahlungsrechtlichen Dogmatik definiert, was jeweils unter einer Berechnung von Geld- und Zeitfaktor nach dem Lohnausfallprinzip und der Bezugsmethode zu verstehen ist. Allerdings ist der Gesetzgeber auch nicht gehindert, bei der Berechnung der beiden Faktoren auf Mischformen zwischen beiden Methoden zurückzugreifen. Er könnte auch auf gänzlich andere Berechnungsmethoden abstellen. Die im Folgenden beschriebenen vier denkbaren Kombinationsmöglichkeiten stellen daher nur die theoretischen „Eckpunkte“ dar, zwischen denen der Gesetzgeber sich bei Anwendung von Lohnausfallprinzip und Bezugsmethode auf Geld- und Zeitfaktor bewegt. a) Geldfaktor Berechnet sich der Geldfaktor nach dem Lohnausfallprinzip, ist hypothetisch danach zu fragen, wie hoch das Entgelt des Arbeitnehmers pro Zeiteinheit gewesen wäre, wenn er im Zeitpunkt des Arbeitsausfalls gearbeitet hätte.59 Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls auch zwischen verschiedenen Teilen des Arbeitsausfalls zu differenzieren sein, etwa, wenn für einige der ausgefallenen Stunden Nachtarbeitszuschläge fällig werden. Wird hingegen die Bezugsmethode auf den Geldfaktor angewendet, ist auf das durchschnittliche Entgelt für die betreffende Zeiteinheit während einer bestimmten, mehrere dieser Zeiteinheiten umfassenden Periode in der Vergangenheit abzustellen.60 Anstatt einen Durchschnittswert zu ermitteln, könnte man auch auf eine bestimmte in der Vergangenheit liegende Zeiteinheit Bezug nehmen (zum Beispiel den letzten Arbeitstag vor Beginn des Arbeitsausfalls). b) Zeitfaktor Bei dem Zeitfaktor bedeutet eine Berechnung nach dem Lohnausfallprinzip, dass konkret gefragt wird, wie viele Zeiteinheiten der Arbeitnehmer gearbeitet

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Vgl. exemplarisch zum Urlaubsrecht BT-Drs. 4/785, S. 4. Vgl. exemplarisch für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 11 ff.; Schaub-Linck ArbR-Hdb. § 96 Rn. 83 ff., insbesondere Rn. 83 und 93; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 396 ff. 60 Vgl. für das Urlaubsentgelt BAG 9.11.1999 – 9 AZR 771/98, AP Nr. 47 zu § 11 BUrlG; ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 5 ff. 59

§ 4 Rechtsnatur und Berechnungsmethode

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hätte, wenn der betreffende Ausfallgrund hinweggedacht wird. Zudem müssen gegebenenfalls konkurrierende Ausfallgründe außer Betracht bleiben.61 Bei Anwendung der Bezugsmethode auf den Zeitfaktor dagegen wird zur Berechnung herangezogen, wie viele Zeiteinheiten der Arbeitnehmer in einer bestimmten Periode in der Vergangenheit gearbeitet hat. Insoweit ist hervorzuheben, dass bei Anwendung der Bezugsmethode auf den Zeitfaktor „in Reinform“ die tatsächlich ausgefallene Arbeitszeit nicht berücksichtigt werden kann. Ein solches Vorgehen liefe auf eine hypothetische Betrachtung im Sinne des Lohnausfallprinzips und damit auf eine Mischform zwischen beiden Methoden hinaus. Die Anwendung der Bezugsmethode auf den Zeitfaktor ist vielmehr lediglich in der Weise denkbar, dass der Arbeitnehmer für einen bestimmten Arbeitsausfall, an den ein Entgeltfortzahlungstatbestand anknüpft, unabhängig von dessen Dauer eine bestimmte Summe erhält.62 Dabei muss zu deren Ermittlung auf den im Referenzzeitraum geleisteten Umfang der für die Entgeltberechnung maßgeblichen Zeiteinheiten abgestellt werden.63 Die Anwendung der Bezugsmethode auf den Zeitfaktor ist nicht praxisgerecht, weil sich ein hiernach ohne jegliche Modifikationen konzipierter Entgeltfortzahlungstatbestand sehr weit von dem Kompensationsgedanken entfernte, der vielen Tatbestände zugrunde liegt. Die Höhe der Entgeltzahlung wäre vom Umfang der tatsächlich ausgefallenen Arbeitszeit völlig unabhängig. Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber eine solche Lösung in einer typischen Arbeitsausfallkonstellation für angemessen hält. In vielen Fällen würde er sich sogar – mit Recht – dem Vorwurf der Willkür aussetzen. Derartige Bedenken wären zum 61 Vgl. für das Urlaubsentgelt ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 3, 19; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 5; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 74 ff. Dabei ist anzumerken, dass auch bei Anwendung des Lohnausfallprinzips auf den Zeitfaktor der Zeitraum, während dem ein bestimmter Verhinderungsgrund einschlägig ist, nicht zwingend mit dem Zeitraum identisch sein muss, für den ein Entgelt fortgezahlt wird. Das kann sich zum einen daraus ergeben, dass in den Zeitraum, während dem der Verhinderungsgrund einschlägig ist, auch Freizeit fallen kann, wofür keine Lohnfortzahlung erfolgt. Wird der Arbeitnehmer beispielsweise bei einer Sechstagewoche tageweise bezahlt und ist er drei Wochen arbeitsunfähig erkrankt, so erhält er nicht etwa für alle 3 x 7 = 21 Tage eine Entgeltfortzahlung, sondern nur für die ausgefallenen 3 x 6 = 18 Tage. Zum anderen kann ein Entgeltfortzahlungstatbestand auf Rechtsfolgenseite eine besondere Einschränkung vorsehen, aufgrund derer auch für ausgefallene Arbeit keine Entgeltfortzahlung erfolgt (so gibt es beispielsweise bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall unabhängig von der Dauer der arbeitsunfähigen Erkrankung eine Beschränkung auf sechs Wochen pro Erkrankung [vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG]). 62 Damit kommt die Anwendung der Bezugsmethode auf den Zeitfaktor der sogenannten „abstrakten Berechnungsmethode“ nahe (vgl. dazu oben Fn. 38). 63 Eine Anwendung der Bezugsmethode auf den Zeitfaktor liegt im Übrigen nicht schon dann vor, wenn die Zahl der geleisteten Einheiten des Arbeitnehmers lediglich bei der Ermittlung eines Durchschnittslohns während des Referenzzeitraums berücksichtigt wird. Eine solche Rechenoperation bezieht sich auf den Geldfaktor, nicht den Zeitfaktor.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

Beispiel zu erwarten, wenn das Gesetz anordnete, dass die Höhe des Urlaubsentgelts nicht von der Dauer des betreffenden Urlaubs (sprich der Anzahl der aufgewendeten Urlaubstage) abhängen soll, sondern vom Entgelt des Arbeitnehmers in der ersten Aprilwoche des vergangenen Jahres. Dieses bewusst absurd gewählte Beispiel verdeutlicht, dass die Anwendung der Bezugsmethode „in Reinform“ auf den Zeitfaktor in der Praxis keine sinnvolle Lösung darstellt. Realistischerweise denkbar ist allenfalls eine Mischform aus Lohnausfallprinzip und Bezugsmethode zur Berechnung des Zeitfaktors. Dazu könnte dem Zeitfaktor ein Referenzzeitraum zugrunde gelegt werden, welcher der pauschalierten Länge des tatsächlichen Ausfallzeitraums entspricht64 oder der die Länge (nicht zwangsläufig die Lage) des Referenzzeitraums zu der tatsächlich ausgefallenen Arbeitszeit ins Verhältnis setzt65.

C. Verhältnis von Rechtsnatur und Berechnungsmethode Im Zusammenhang mit der Rechtsnatur von Tatbeständen und der ihnen zugrunde gelegten Berechnungsmethoden ist auch noch auf die Frage einzugehen, inwiefern beide Elemente miteinander verknüpft sind oder einander bedingen. Eine solche Verknüpfung könnte zum Beispiel dergestalt anzunehmen sein, dass bei Vorliegen einer bestimmten Rechtsnatur eines Tatbestands diesem stets eine bestimmte Berechnungsmethode zugrunde liegen muss oder umgekehrt. Insbesondere könnte der Rechtsanwender auf den Gedanken verfallen, dass die Bezugsmethode (jedenfalls hinsichtlich der Berechnung des Geldfaktors) nur bei eigenständigen Anspruchsgrundlagen anwendbar ist, das Lohnausfallprinzip dagegen bei anspruchserhaltenden Tatbeständen. De lege lata hat der Gesetzgeber diese beiden Kombinationsmöglichkeiten sehr häufig gewählt. Daraus den geschilderten Schluss zu ziehen wäre jedoch fehlerhaft. Auch wenn ein Entgeltfortzahlungsanspruch seiner Rechtsnatur nach unabhängig von den arbeitsvertraglichen Primärpflichten besteht, kann die Berechnung der nach dieser Anspruchsgrundlage zu zahlenden Vergütung nach dem Lohnausfallprinzip und damit unter Berücksichtigung eines hypothetischen arbeitsvertraglichen Entgelts erfolgen. Ebenso kann ein anspruchserhaltender Tatbestand, dessen Rechtsfolge also in der Weiterzahlung des originären arbeitsvertraglichen Ent64 Ein Beispiel hierfür könnte sein, dass der Gesetzgeber den Arbeitgeber für die Musterung eines Wehrpflichtigen pauschal einen Tag ein Entgelt fortzahlen lassen möchte und hierzu anordnet, dass auf die Vergütung abzustellen ist, die der Arbeitnehmer an dem letzten Arbeitstag vor der Musterung erzielt hat. 65 Zu diesem Zweck könnte man die Anzahl der tatsächlich im Referenzzeitraum gearbeiteten Zeiteinheiten unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Länge des Referenzzeitraums zur Länge des Ausfallzeitraums modifizieren. Zur Berechnung kann die folgende Gleichung mit x = gesuchte Zahl der Zeiteinheiten, die den Zeitfaktor ausmachen, verwendet werden: x / Zahl der im Referenzzeitraum gearbeiteten Einheiten = Länge des Ausfallzeitraums / Länge des Referenzzeitraums.

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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gelts besteht, anordnen, dass Letzteres nach der Bezugsmethode und damit vergangenheitsbezogen zu berechnen ist. Somit ist festzuhalten, dass Rechtsnatur und Berechnungsmethode auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt und daher strikt getrennt voneinander zu behandeln sind.66 Von der Rechtsnatur eines Tatbestands lässt sich ebenso wenig auf die anwendbare Berechnungsmethode schließen wie umgekehrt. In einigen Darstellungen in Rechtsprechung und Literatur hingegen werden die beiden Ebenen Rechtsnatur und Berechnungsmethode miteinander vermengt.67 Beiträge dieser Art lassen bei dem Rechtsanwender leicht einen falschen Eindruck vom Verhältnis von Rechtsnatur und Berechnungsmethode entstehen.68 Das darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass es dem Gesetzgeber freisteht, Rechtsnatur und Berechnungsmethoden nach Belieben zu kombinieren.

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen Im Folgenden werden die in dieser Arbeit untersuchten Entgeltfortzahlungstatbestände analysiert. Die Analyse der einzelnen Tatbestände (ab B.) wird jeweils unter vier verschiedenen Aspekten vorgenommen: Erstens soll der Tatbestand in das arbeitsrechtliche System der Entgeltfortzahlung systematisch eingeordnet werden. Zweitens wird das Telos, also der Zweck der Regelung, untersucht. Drittens werden die tatbestandlichen Voraussetzungen behandelt. Viertens wird auf die Rechtsfolgen des betreffenden Tatbestands hinsichtlich des Vergütungsanspruchs und dabei vor allem auf die anwendbare Berechnungsmethode eingegangen. 66 Im Grundsatz ebenso Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 83 f., der hervorhebt, dass es Tatbestände geben kann, die als eigenständige Anspruchsgrundlagen ausgestaltet sind und denen dennoch das Lohnausfallprinzip zugrunde liegt. 67 Vgl. beispielhaft Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a und Lunk Betriebsversammlung, S. 124, die Lohnausfallprinzip und Eigenständigkeit eines Vergütungsanspruchs als Gegensätze nennen; vgl. ferner GK-Weber § 44 Rn. 31, der eine Geltung des Lohnausfallprinzips bei § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG unter Verweis auf die Eigenständigkeit dieses Vergütungsanspruch verneint; vgl. weiterhin Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 80, der hinsichtlich des Anspruchs auf Urlaubsentgelt aus der Berechnung nach der Bezugsmethode ableitet, dass es sich um einen eigenständigen, vom Arbeitsentgelt gelösten Anspruch handeln soll. Ein positiv zu bewertendes Gegenbeispiel ist die Entscheidung BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, in der konsequent zwischen Rechtsnatur und Berechnungsmethode unterschieden wird (siehe zu dieser Entscheidung ausführlich unten § 5 P.I.4.a). 68 In diese Richtung weisen auch die Bemerkungen von Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 165 f., der darauf eingeht, dass der Begriff des Lohnausfallprinzips gelegentlich nicht nur zur Bezeichnung eines Berechnungsmaßstabs verwendet wird, sondern auch im Zusammenhang mit dem Rechtsgrund einer Leistung (originärer Arbeitsvertrag oder spezialgesetzliche Anspruchsgrundlage?).

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

Da es zwei Tatbestandsvoraussetzungen gibt, die gleichermaßen für alle Entgeltfortzahlungstatbestände gelten, werden diese vorab zusammenhängend erläutert. Dabei handelt es sich um die Voraussetzung eines wirksamen Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und um das Erfordernis der Kausalität des betreffenden Verhinderungsgrunds für den Arbeitsausfall. Beide Voraussetzungen werden im Folgenden allgemein für alle Tatbestände erläutert und müssen daher im Rahmen der Analyse der einzelnen Tatbestände nur noch thematisiert werden, wenn die betreffende Voraussetzung modifiziert wird.

A. Gemeinsame Voraussetzungen aller Tatbestände I. Arbeitsverhältnis Jeder der in dieser Arbeit untersuchten Tatbestände setzt ein wirksames Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber voraus. Dabei lassen sich zwei verschiedene Punkte voneinander abschichten: Zum einen müssen die Parteien einen wirksamen Vertrag geschlossen haben, und zum anderen muss es sich dabei gerade um einen Arbeitsvertrag handeln. 1. Wirksamer Vertrag Von dem Erfordernis der Wirksamkeit des Vertrages kann lediglich in bestimmten Konstellationen nach der Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis eine Ausnahme gemacht werden.69 Diese Rechtsfigur ist anwendbar, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund eines nur vermeintlich wirksamen Arbeitsverhältnisses für einen Arbeitgeber tätig wird. Um Schwierigkeiten bei einer etwaigen Rückabwicklung zu vermeiden, wird in einem solchen Fall das Verhältnis zwischen den Parteien für die Vergangenheit so behandelt, als ob ein wirksamer Arbeitsvertrag bestanden hätte. Für die Zukunft hingegen gelten nicht die allgemeinen Vorschriften über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Stattdessen kann jede Partei das Verhältnis ohne Weiteres durch einseitige Erklärung auflösen. 2. Arbeitsvertrag Weiterhin muss es sich bei dem betreffenden Vertrag gerade um einen Arbeitsvertrag handeln, bei dem sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber in dieser Eigenschaft gegenüberstehen. Ein Arbeitsvertrag liegt vor, wenn sich eine natürliche Person (der Arbeitnehmer) durch einen privatrechtlichen Vertrag zur Erbringung 69 Zum fehlerhaften Arbeitsverhältnis (nach anderer Terminologie auch als „faktisches Arbeitsverhältnis“ bezeichnet) allgemein vgl. ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 145– 149; Staudinger-Richardi/Fischinger § 611 Rn. 255 ff.; HK-ArbR-Kreuder § 611 BGB Rn. 206 ff.; gute Übersicht über die ältere Rechtsprechung und Literatur zu diesem Themenkreis bei Kässer Fehlerhafter Arbeitsvertrag, S. 53 ff.

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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von Diensten für einen anderen (den Arbeitgeber) verpflichtet und in persönlicher Abhängigkeit von diesem steht, sprich weisungsgebunden handelt oder in dessen Organsiationssphäre eingegliedert ist.70 a) Privatrechtlicher Vertrag Durch das Merkmal des privatrechtlichen Vertrags71 fallen Beamte, Richter und Soldaten ebenso aus dem Arbeitnehmerbegriff heraus wie zur Arbeit zwangsweise eingesetzte Strafgefangene und Sicherungsverwahrte.72 Auch Familienangehörige werden häufig nicht aufgrund eines Vertrags tätig, insbesondere wenn sie in Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung handeln, etwa der Unterhaltspflicht aus § 1360 BGB.73 b) Verpflichtung zur Leistung von Diensten Da es sich bei einem Arbeitsvertrag um eine spezielle Form des Dienstvertrags im Sinne der §§ 611 ff. BGB handelt, muss der Vertrag auf eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Leistung von Diensten für den Arbeitgeber gerichtet sein.74 Erste Voraussetzung ist insoweit, dass der Arbeitnehmer keinen Erfolg, sondern nur die Erbringung der Tätigkeit schuldet. Andernfalls liegt ein Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB vor, nicht aber ein Dienstvertrag.75 Zweitens muss der Arbeitnehmer die Dienstleistung auch gerade für einen anderen, nämlich den Arbeitgeber, erbringen. Dieses Merkmal grenzt Arbeitsverträge von Gesellschaftsverträgen ab.76 Wenn ein Gesellschafter aufgrund des Ge70 Vgl. Junker Arbeitsrecht Rn. 91; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 8 ff., 34 ff.; Staudinger-Richardi/Fischinger Vorbem zu §§ 611 ff. Rn. 223 ff. 71 Vgl. hierzu MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 199 ff.; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 128 ff.; Staudinger-Richardi/Fischinger Vorbem zu §§ 611 ff. Rn. 225. 72 Junker Arbeitsrecht Rn. 92 f.; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 200, 204; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 128, 132; zu Strafgefangenen BAG 3.10.1978 – 6 ABR 46/ 76, AP Nr. 18 zu § 5 BetrVG 1972. 73 Vgl. Junker Arbeitsrecht Rn. 93; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 208; ErfKPreis § 611 BGB Rn. 133. 74 Junker Arbeitsrecht Rn. 94; Staudinger-Richardi/Fischinger Vorbem zu §§ 611 ff. Rn. 224. 75 Vgl. BAG 23.4.1980 – 5 AZR 426/79, AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Junker Arbeitsrecht Rn. 94; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 1 Rn. 13; ErfKPreis § 611 BGB Rn. 12 ff.; Staudinger-Richardi/Fischinger Vorbem zu §§ 611 ff. Rn. 224; vgl. zur Abgrenzung auch BGH 16.7.2002 – X ZR 27/01, NJW 2002, S. 3323 ff. 76 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 1 Rn. 17; Junker Arbeitsrecht Rn. 95; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 137 ff.; vgl. auch BAG 28.11.1990 – 4 AZR 198/90, AP Nr. 137 zu § 1 TVG Tarifverträge Bau; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht I, S. 46–48.

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sellschaftsvertrags zur Leistung von Diensten für die Gesellschaft verpflichtet ist (vgl. § 706 Abs. 3 BGB), erbringt er diese Leistung als Beitrag im Sinne des § 705 BGB und nicht im Rahmen eines Arbeitsvertrags. Indes bleibt es dem Gesellschafter und der Gesellschaft unbenommen, jenseits der Beitragspflicht und des Gesellschaftsvertrags zu vereinbaren, dass der Gesellschafter aufgrund eines separaten Arbeitsvertrags für die Gesellschaft tätig wird.77 Drittens muss es sich um einen entgeltlichen Vertrag handeln. Durch dieses Merkmal unterscheidet sich ein Dienstvertrag vom unentgeltlichen Auftragsverhältnis im Sinne des § 662 BGB.78 Ob ein Vertrag entgeltlicher oder unentgeltlicher Natur vorliegt, ist durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. §§ 133, 157 BGB)79 zu ermitteln. Gemäß § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. c) Persönliche Abhängigkeit Weiterhin muss der Arbeitnehmer in persönlicher Abhängigkeit vom Arbeitgeber stehen.80 Der Begriff der persönlichen Abhängigkeit kennzeichnet den Grad der Fremdbestimmtheit des Arbeitnehmers bei der Erbringung der Dienstleistung und ist von der bloßen wirtschaftlichen Abhängigkeit eines freien Mitarbeiters zu unterscheiden.81 Die persönliche Abhängigkeit kann sich insbesondere aus zwei verschiedenen Gesichtspunkten ergeben: Zum einen kann die persönliche Abhängigkeit aus der vertraglich vereinbarten Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber folgen. Die Weisungsgebundenheit muss sich im Umkehrschluss zu § 84 Abs. 1 S. 2 HGB insbesondere auf die Art und die Zeit der Tätigkeit erstrecken.82 Zum anderen kann die Eingliederung in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation eine per77 BAG 28.11.1990 – 4 AZR 198/90, AP Nr. 137 zu § 1 TVG Tarifverträge Bau; Junker Arbeitsrecht Rn. 95; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht I, S. 47–48. 78 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 1 Rn. 18; Junker Arbeitsrecht Rn. 94; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 34; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 20. 79 Vgl. zur Auslegung Brox/Walker BGB AT Rn. 124 ff.; Faust BGB AT § 2 Rn. 10; Zerres Bürgerliches Recht, S. 46 ff. 80 Vgl. BAG 28.2.1962 – 4 AZR 141/61, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG 20.7.1994 – 5 AZR 627/93, AP Nr. 73 zu § 611 BGB Abhängigkeit; BAG 4.12.2002 – 5 AZR 667/01, AP Nr. 115 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht I, S. 41–48; Hromadka NZA 1997, S. 569, 570 ff.; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 1 Rn. 24 ff.; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 169 ff.; Staudinger-Richardi/Fischinger Vorbem zu §§ 611 ff. Rn. 226 ff. 81 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 1 Rn. 36; Junker Arbeitsrecht Rn. 97; vgl. auch MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 171. 82 Vgl. BAG 26.7.1995 – 5 AZR 22/94, AP Nr. 79 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Junker Arbeitsrecht Rn. 98; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 174 ff.

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sönliche Abhängigkeit begründen.83 Aus einer solchen Eingliederung kann sich ein umfangreiches Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit ergeben, woraus wiederum eine persönliche Abhängigkeit folgt.84 Neben diesen beiden Gesichtspunkten können auch die Verkehrsanschauung, arbeitsvertragstypische Vereinbarungen und die Wortwahl der Parteien im Vertrag eine Rolle für die Einstufung eines Vertrages als Arbeitsvertrag (anstatt als Vertrag eines freien Mitarbeiters) spielen.85 d) Besondere Personengruppen Die hier besprochen Tatbestände gelten grundsätzlich auch für solche Arbeitnehmer, die besonderen Personengruppen angehören, wie zum Beispiel die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten im Sinne des BBiG86 und die Gruppe der leitenden Angestellten. Letztere erfüllen zwar die genannten Merkmale eines Arbeitnehmers, üben jedoch teilweise aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung im Betrieb Funktionen eines Arbeitgebers aus.87 Deswegen hat der Gesetzgeber sie vom Anwendungsbereich einiger Gesetze ausgeschlossen (vgl. beispielhaft § 5 Abs. 3 S. 1 BetrVG, § 14 Abs. 2 S. 1 KSchG und § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG). Grundsätzlich finden die im Folgenden analysierten Tatbestände aber auch auf leitende Angestellte Anwendung. Gesondert hinzuweisen ist schließlich noch auf die Gruppe der arbeitnehmerähnlichen Personen. Arbeitnehmerähnlich sind solche Personen, die zwar rechtlich mangels persönlicher Abhängigkeit eindeutig nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind, aber gleichwohl in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit zu einem Arbeitgeber stehen und die aufgrund dieser Abhängigkeit ähnlich sozial schutzbedürftig wie Arbeitnehmer sind (vgl. auch § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG).88 Zu den arbeitnehmerähnlichen Personen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten im Sinne des § 1 Abs. 1 HAG und die ihnen Gleichgestellten im Sinne des § 1

83 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 1 Rn. 33; Junker Arbeitsrecht Rn. 99; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 179. 84 ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 51; vgl. auch BAG 30.11.1994 – 5 AZR 704/93, AP Nr. 74 zu § 611 BGB Abhängigkeit. 85 Vgl. Junker Arbeitsrecht Rn. 100. 86 Die Arbeitnehmereigenschaft von Auszubildenden ergibt sich aus § 10 Abs. 2 BBiG; vgl. auch Staudinger-Richardi/Fischinger Vorbem zu §§ 611 ff. Rn. 423; vgl. zum Berufsausbildungsverhältnis ErfK-Schlachter § 1 BBiG Rn. 1–5, § 3 BBiG Rn. 1–3. 87 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 3 Rn. 14 ff.; Junker Arbeitsrecht Rn. 112; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 236; vgl. auch ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 105. 88 Vgl. ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 110–116; HK-ArbR-Kreuder § 611 BGB Rn. 119–121; HK-BUrlG-Hohmeister § 2 BUrlG Rn. 16 f.; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 213 ff.; Staudinger-Richardi/Fischinger Vorbem zu § 611 ff. Rn. 341 ff.; vgl. auch Neumann/Fenski § 2 Rn. 70.

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Abs. 2 HAG.89 Grundsätzlich sind die im Folgenden untersuchten Regelungen nicht auf arbeitnehmerähnliche Personen anzuwenden, sofern es sich um spezifisch arbeitsrechtliche Vorschriften handelt. Ist diese Frage ausnahmsweise anders zu beurteilen, wird darauf gesondert hingewiesen. Normen hingegen, die nicht dem Arbeitsrecht, sondern dem allgemeinen Schuldrecht (beispielsweise § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB, § 273 BGB und § 320 BGB) oder dem Dienstvertragsrecht entstammen (beispielsweise § 615 S. 1 BGB und § 616 S. 1 BGB90), gelten auch für arbeitnehmerähnliche Personen. II. Kausalität für den Arbeitsausfall Die zweite Voraussetzung, die alle Tatbestände gleichermaßen aufweisen91, ist die der Kausalität des betreffenden Verhinderungsgrunds für den Arbeitsausfall.92 Problematisch ist dieses Erfordernis vor allem im Fall der Kollision mehrerer Verhinderungsgründe, so dass sich nicht auf den ersten Blick bestimmen lässt, welcher der beiden den Arbeitsausfall verursacht hat. Diese Kollisionskonstellationen, deren Behandlung im Zentrum dieser Arbeit steht, werden noch gesondert erörtert.93

B. Vergütungsanspruch bei alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für den Arbeitsausfall (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) Als erster Entgeltfortzahlungstatbestand soll § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB näher untersucht werden. I. Systematische Einordnung § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB bestimmt, dass der Schuldner einer Leistung abweichend von § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB trotz Befreiung von seiner Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB seinen Anspruch auf die Gegenleistung behält, wenn der Gläubiger für den Umstand, auf Grund dessen der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB nicht zu leisten braucht, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. In Arbeitsverhältnissen führt diese Regelung dazu, dass der 89 MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 219; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 114; Staudinger-Richardi/Fischinger Vorbem zu §§ 611 ff. Rn. 348; vgl. zum Begriff der in Heimarbeit Beschäftigten und der ihnen Gleichgestellten Schmidt/Koberski/Tiemann/ Wascher § 1 Rn. 1–30. 90 Vgl. Staudinger-Oetker § 616 Rn. 30. 91 Zu möglichen Besonderheiten des Anspruchs auf Urlaubsentgelt (vgl. § 1 BUrlG) vgl. unten § 5 F.III.2.d). 92 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 91 ff.; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 18. 93 Siehe unten § 8, § 9 und § 10.

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Arbeitnehmer trotz Nichterbringung seiner Arbeitsleistung für die entsprechende Zeit sein Entgelt beanspruchen kann, wenn der Arbeitgeber die Nichtleistung wenigstens weit überwiegend zu verantworten hat. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um einen anspruchserhaltenden Tatbestand. Dafür spricht schon der eindeutige Wortlaut, wonach der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf die Gegenleistung, also das arbeitsvertragliche Entgelt, „behält“. Auch kennzeichnet die systematische Stellung der Regelung in Abs. 2 diese als Ausnahme zur Grundregel des Abs. 1. Indem sie letztere außer Kraft setzt, stellt sie hinsichtlich der Entgeltzahlungspflicht den eigentlich nach dem Arbeitsvertrag bestehenden Zustand wieder her, und dieser besteht darin, dass der Arbeitgeber zur Zahlung der originären arbeitsvertraglichen Vergütung verpflichtet ist. II. Telos § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB trifft nach überwiegender Ansicht eine Regelung hinsichtlich der Gegenleistungsgefahr.94 Unter den in dieser Vorschrift aufgeführten Voraussetzungen soll das Synallagma durchbrochen und der Gläubiger der Leistung zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet bleiben, obwohl er selber die Leistung des Schuldners nicht erhält. Das bewahrt den Schuldner davor, die Gegenleistung nicht zu empfangen, obwohl nicht er selbst, sondern der Gläubiger die eigene Nichtleistung zu verantworten hat. Hinsichtlich des Zwecks der Norm werden verschiedene Erklärungsversuche in Ansatz gebracht. Einige Stimmen verweisen insoweit auf das allgemeine Verbot der Nachteilszufügung, dessen Ausdruck § 326 Abs. 2 BGB sei.95 Andere Autoren verstehen die Norm als Ausprägung des pacta-sunt-servanda-Grundsatzes.96 Eine dritte Auffassung rekurriert auf das allgemeine Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium).97 Dieser Grundsatz werde in § 326 Abs. 2 BGB dadurch verwirklicht, dass die Norm es dem Schuldner verwehre, Rechte aus einem Verhalten herzuleiten, für das er nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit einzustehen habe. Zu Recht weist aber Ernst98 darauf hin, dass der Grund von § 326 Abs. 2 BGB nicht in allgemeinen Rechtsgrundsätzen, sondern im Wesen des Synallagmas selbst zu sehen ist. In einem einseitigen Schuldverhältnis verfügt derjenige Gläubiger, der die Erbringung der Leistung 94 Staudinger-Otto § 326 Rn. C 2; MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 39; vgl. auch Soergel-Gsell § 326 Rn. 39. 95 So etwa Ulrich Huber Leistungsstörungen II, S. 749–751; Lotmar Arbeitsvertrag, S. 1117 f. 96 Soergel-Gsell § 326 Rn. 39; Kern AcP 200 (2000), S. 684, 700 f. 97 Vgl. zur Vorgängervorschrift des § 324 Abs. 2 a. F. BGH 11.11.1959 – IV ZR 33/ 59, WM 1960, S. 468, 470; Hüttemann Leistungsstörungen, S. 312 ff. 98 MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 41.

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verhindert, lediglich über eigene Rechte, indem er durch eine solche Handlung den Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit. Liegt dagegen ein gegenseitiger Vertrag vor, kommt eine entsprechende Handlung des Gläubigers einer Verfügung über die Rechte des Schuldners gleich, indem es ihm über die Grundregel des § 326 Abs. 1 BGB den Anspruch auf die Gegenleistung entzieht.99 § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB verhindert einen solchen Anspruchsverlust, indem die Vorschrift bestimmt, dass der Schuldner seinen Anspruch auf dasjenige behält, was ihm ohne das Eingreifen des Gläubigers zugestanden hätte, nämlich die Gegenleistung.100 III. Tatbestand 1. Gegenseitiger Vertrag und synallagmatische Leistungspflichten Erste Voraussetzung von § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB ist ein gegenseitiger Vertrag zwischen Schuldner und Gläubiger.101 Diese Anforderung ergibt sich bereits aus der systematischen Stellung der Vorschrift in Buch 2 Abschnitt 3 Titel 2 des BGB, der die amtliche Überschrift „Gegenseitiger Vertrag“ trägt. Diese Voraussetzung ist bei einem Arbeitsvertrag erfüllt.102 Daneben muss auch gerade zwischen der Leistung, die unmöglich im Sinne des § 275 BGB wird, und der Gegenleistung, die nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB entfallen soll, ein Synallagma bestehen.103 Auch diese Voraussetzung erfüllen im Arbeitsverhältnis die Pflicht des Arbeitnehmers zur Erbringung der Arbeitsleistung und die Pflicht des Arbeitgebers zur Vergütungszahlung.104 2. Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB Weiterhin muss die Leistungspflicht des Schuldners nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB ausgeschlossen sein.105 Im Arbeitsverhältnis wird nach hier vertretener Ansicht lediglich § 275 Abs. 1 BGB bedeutsam sein. Da es sich bei der Pflicht zur Arbeitsleistung um eine absolute Fixschuld handelt,106 tritt mit der Nichtleistung stets Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB ein. Ob im konkreten 99

MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 41. MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 41. 101 Vgl. MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 7; Soergel-Gsell Vor § 320 Rn. 3; StaudingerOtto § 326 Rn. B 18; zum Begriff der Gegenseitigkeit Staudinger-Otto/Schwarze Vorbem zu §§ 320–326 Rn. 1–16. 102 MüKoBGB-Ernst Vor § 320 Rn. 22; Soergel-Gsell Vor § 320 Rn. 8. 103 Staudinger-Otto § 326 Rn. B 20; vgl. Soergel-Gsell § 326 Rn. 8. 104 Soergel-Gsell Vor § 320 Rn. 19; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 3; vgl. zum Gegenseitigkeitsverhältnis dieser Pflichten bereits oben § 1. 105 MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 8; Staudinger-Otto § 326 Rn. B 21 ff.; Soergel-Gsell § 326 Rn. 9. 106 Vgl. dazu oben § 1. 100

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Fall darüber hinaus die Voraussetzungen für die Erhebung der Einreden des § 275 Abs. 2 oder 3 BGB vorliegen, ist unerheblich.107 Folglich ist dieser Voraussetzung immer schon dann genügt, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht erbringt. 3. Alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit des Gläubigers Ferner verlangt das Gesetz eine alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit des Gläubigers für den Umstand, auf Grund dessen der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB nicht zu leisten braucht. In diesem Zusammenhang ist erstens zu klären, nach welchem Maßstab sich der Begriff der Verantwortlichkeit bestimmt. Zweitens muss herausgearbeitet werden, unter welchen Umständen eine alleinige und – wesentlich problematischer – eine weit überwiegende Verantwortlichkeit anzunehmen ist. Drittens ist der Bezugspunkt der Verantwortlichkeit bei alternativer Kausalität fraglich. a) Maßstab zur Bestimmung der Verantwortlichkeit Hinsichtlich des Maßstabs, nach dem sich die Verantwortlichkeit bestimmt, könnte auf § 276 BGB zurückgegriffen werden. Danach hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Indes bezieht sich § 276 BGB sowohl seinem Wortlaut als auch seiner amtlichen Überschrift nach ausdrücklich nur auf die Verantwortlichkeit des Schuldners, nicht aber auf die des Gläubigers.108 Diese Vorschrift kann daher hier nicht angewendet werden.109 Nach einer in Bezug auf die Vorgängervorschrift § 324 Abs. 2 BGB a. F. verbreiteten Ansicht sollen stattdessen Sphärengesichtspunkte maßgeblich sein.110 Danach trifft den Gläubiger eine Verantwortlichkeit für den von ihm beherrschten Risikobereich. Problematisch ist dabei, nach welchen Kriterien die Abgrenzung der Risikosphären von Schuldner und Gläubiger erfolgen soll. Hier wird die abstrakte Beherrschbarkeit sowie der Ursprung von Risiken, aber auch die Absorption von Risikofolgen genannt.111 Die entscheidende Schwäche dieses Ansatzes liegt in seiner Unbestimmtheit.112 Es ist nicht möglich, handfeste Kriterien zu entwickeln, nach denen im Einzelfall die Risikozurechnung erfolgen könnte. Die genannten Kriterien sind 107

Vgl. Geißler Lohnanspruch, S. 51; Soergel-Gsell § 326 Rn. 9. Staudinger-Otto § 326 Rn. C 5. 109 A. A. Dötterl Unmöglichkeit, S. 20–27. 110 BGH 16.2.1956 – II ZR 141/54, LM Nr. 1 zu § 324 BGB; Beuthien Zweckerreichung, S. 76 ff.; Koller Risikozurechnung, S. 179–184; vgl. auch Erman JZ 1965, S. 657 ff.; Kronke, JuS 1984, S. 758, 760 ff. 111 Vgl. näher Koller Risikozurechnung, S. 77 ff. 112 Aus diesem Grunde ebenfalls kritisch Soergel-Gsell § 326 Rn. 43. 108

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allesamt sehr abstrakt und unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit zu wenig griffig. Zudem ist in systematischer Hinsicht anzumerken, dass Sphärengesichtspunkte nicht grundsätzlich im deutschen Zivilrecht verankert sind, sondern nur in wenigen ausdrücklich gesetzlich geregelten Ausnahmefällen herangezogen werden.113 Daher ist auch dieser Ansatz abzulehnen.114 Überzeugender ist es hingegen, mit der Rechtsprechung und großen Teilen der Literatur die vertragliche Risikoverteilung der Parteien zugrunde zu legen.115 § 326 BGB knüpft an eine vertragliche Beziehung zwischen den Parteien an. Dabei haben sich die Parteien im Rahmen der Privatautonomie aus freien Stücken dafür entschieden, miteinander zu kontrahieren – anders als etwa in vielen gesetzlichen Schuldverhältnissen. Daher ist es gerechtfertigt, sie auch in Bezug auf die Risikozurechnung den von ihnen ausgehandelten Bestimmungen zu unterwerfen.116 Für die Risikoverteilung ist die Auslegung des Vertrages nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. §§ 133, 157 BGB) entscheidend. Für das Arbeitsverhältnis folgt daraus regelmäßig, dass der Arbeitgeber den Arbeitsplatz zur Verfügung stellen und so ausstatten muss, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht erfüllen kann. Daher ist eine Verantwortlichkeit des Arbeitgebers beispielsweise zu bejahen, wenn dieser einem Berufskraftfahrer keinen Lkw oder einem Controller keinen Taschenrechner zur Verfügung stellt. Auch wenn die Risikoverteilung nach der vertraglichen Auslegung nicht eindeutig bestimmbar ist, lässt sich die Verantwortung dem Gläubiger dennoch jedenfalls dann zuweisen, wenn die Nichtleistung auf seinem Fehlverhalten beruht.117 Ein solches Fehlverhalten kann unter anderem in der Verletzung einer vertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht liegen.118 Im Arbeitsverhältnis ist insbesondere denkbar, dass der Arbeitgeber Vorschriften zur Arbeitssicherheit missachtet und somit seine Pflicht aus § 618 Abs. 1 BGB verletzt.119 Zudem können insbesondere Obliegenheitsverletzungen,120 unerlaubte Handlungen im Sinne der 113 BGH 18.3.1997 – XI ZR 117/96, NJW 1997, S. 1700, 1701; Soergel-Gsell § 326 Rn. 43; ein Beispiel für eine solche Ausnahme ist die nunmehr in § 615 S. 3 BGB kodifizierte Betriebsrisikolehre (vgl. dazu noch unten § 5 I.). 114 Ebenso BGH 18.3.1997 – XI ZR 117/96, NJW S. 1997, 1700, 1701; JauernigStadler § 326 Rn. 14; Soergel-Gsell § 326 Rn. 43. 115 Vgl. BGH 16.2.1956 – II ZR 141/54, BB 1956, S. 286; BGH 26.10.1979 – V ZR 58/76, NJW 1980, S. 700; BGH 26.6.1980 – VII ZR 257/79, BGHZ 77, S. 320, 324 ff.; jurisPK-BGB-Alpmann § 326 Rn. 17; MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 52, 55 ff.; Soergel-Gsell § 326 Rn. 44; Emmerich Leistungsstörungen § 11 Rn. 7. 116 Ähnlich MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 51, 55–62; Soergel-Gsell § 326 Rn. 44. 117 Vgl. dazu Soergel-Gsell § 326 Rn. 47–61; Staudinger-Otto § 326 Rn. C 7–C 14. 118 Staudinger-Otto § 326 Rn. C 9–C 10; Geißler Lohnanspruch, S. 74. 119 Beispiel von Geißler Lohnanspruch, S. 74 f. 120 OLG Hamburg 5.12.1990 – 4 U 92/90, NJW-RR 1991, S. 658; Staudinger-Otto § 326 Rn. C 11–C 14; Geißler Lohnanspruch, S. 75; Soergel-Gsell § 326 Rn. 47 ff.; vgl. auch Larenz Schuldrecht I, S. 400 f.

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§§ 823 ff. BGB121 und anderweitig treuwidriges Verhalten122 eine Verantwortlichkeit des Arbeitgebers begründen. b) Allein oder weit überwiegend Für die Nichtleistung des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber allein oder weit überwiegend verantwortlich sein. Von alleiniger Verantwortlichkeit lässt sich nur sprechen, wenn ein jeglicher Verantwortungsbeitrag des Arbeitnehmers ausscheidet. Wesentlich schwieriger ist zu bestimmen, was unter einer weit überwiegenden Verantwortlichkeit des Arbeitgebers zu verstehen ist. Die Gesetzesentstehung legt insoweit nahe, dass durch diese Formulierung ein Wertungsgleichklang mit der in Bezug auf § 254 BGB geltenden Rechtslage hergestellt werden sollte.123 Eine weit überwiegende Gläubigerverantwortlichkeit im Sinne des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB soll danach nur unter solchen Voraussetzungen anzunehmen sein, die im Rahmen von § 254 BGB eine Alleinverantwortlichkeit des Geschädigten begründen und dessen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger ausschließen. Ein solcher Fall ist in der Regel bei einer Mitverantwortlichkeit des Gläubigers von über 90% anzunehmen.124 Diese Zahl kann aber nur eine Richtlinie darstellen, von der je nach den Umständen des Einzelfalls auch abgewichen werden kann.125 c) Bezugspunkt bei alternativer Kausalität aa) Problemstellung Problematisch ist die bislang soweit ersichtlich nicht erörterte Frage, wann eine alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit des Arbeitgebers zu bejahen ist, wenn nicht nur einziger Umstand die Unmöglichkeit verursacht, sondern mehrere Ursachen unabhängig voneinander gesetzt werden (alternative Kausalität126). Die Problematik lässt sich anhand eines Beispiels verdeutlichen: Ein Berufskraftfahrer kann seine Arbeitsleistung einerseits nicht erbringen, weil er sich im Skiurlaub ein Bein gebrochen hat, so dass er weder Gas- noch Bremspedal bedienen kann. Darüber hinaus ist die Arbeitsleistung aber auch unmög121 OLG Hamburg 5.12.1990 – 4 U 92/90, NJW-RR 1991, S. 658; Emmerich Leistungsstörungen, § 11 Rn. 8; Geißler Lohnanspruch, S. 75. 122 RG 10.2.1941 – II 63/40, RGZ 166, S. 134, 147; Emmerich Leistungsstörungen, § 11 Rn. 8; Geißler Lohnanspruch, S. 75. 123 Vgl. ausführlich Staudinger-Otto § 326 Rn. C 6; ferner jurisPK-BGB-Alpmann § 326 Rn. 18; Soergel-Gsell § 326 Rn. 43. 124 Teilweise wird auch ein Verschuldensbeitrag von 80% bereits für ausreichend erachtet, vgl. MüKoBGB-Oetker § 254 Rn. 118; Staudinger-Otto § 326 Rn. C 6; Geißler Lohnanspruch, S. 76; Palandt-Grüneberg § 326 Rn. 9. 125 Vgl. Staudinger-Otto § 326 Rn. C 6. 126 Vgl. zu diesem Begriff unten § 8 A.I.1.

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lich, weil am fraglichen Arbeitstag alle Lkws beschädigt und daher nicht einsatzfähig sind – was, so sei unterstellt, der Arbeitgeber zu verantworten hat. Ist in einer solchen Konstellation § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB nur anwendbar, wenn der Arbeitgeber alle Umstände zu verantworten hat, auf Grund derer Unmöglichkeit eintritt? Das wäre im angeführten Beispiel nicht der Fall, da der Arbeitgeber zwar die Beschädigung der Lkws, nicht aber den Beinbruch zu verantworten hat. Oder ist § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB für jede Ursache isoliert zu prüfen, so dass es genügt, wenn der Arbeitgeber eine der Ursachen für den Arbeitsausfall zu verantworten hat? Dann käme die Vorschrift auch im Beispielsfall zur Anwendung. bb) Keine isolierte Betrachtung Zur Beantwortung dieser Frage ist die Norm auszulegen. Bei Betrachtung des Wortlauts fällt das Augenmerk auf die Formulierung „Ist der Gläubiger für den Umstand, auf Grund dessen der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten braucht, allein oder weit überwiegend verantwortlich“.127 Man könnte argumentieren, infolge der Verwendung des Wortes „den“ setze die Ausnahme nur einen einzigen Umstand voraus, für den der Gläubiger verantwortlich sein muss. Das spräche dafür, § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB isoliert auf jede einzelne von mehreren gleichwertigen Ursachen anzuwenden. Allerdings ist dieser Schluss fragwürdig. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Wahl der Formulierung diese besondere Konstellation im Blick hatte und eine isolierte Anwendung auf jede Ursache vorschreiben wollte. Die Gesetzesmaterialien enthalten jedenfalls keine entsprechenden Hinweise.128 Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Formulierung nur auf den Fall gemünzt ist, wenn lediglich ein einziger Ausfallgrund einschlägig ist. Sollte nach dem Willen des Gesetzgebers auch bei zwei konkurrierenden Ausfallgründen die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für nur einen der beiden genügen, hätte statt des Wortes „den“ das Wort „einen“ nahe gelegen. Hätte der Gesetzgeber somit formuliert: „Ist der Gläubiger für einen Umstand, auf Grund dessen der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten braucht, allein oder weit überwiegend verantwortlich“129, läge eine isolierte Betrachtung nahe. Da er das nicht getan hat, spricht der Wortlaut gegen diese Auslegung. In die gleiche Richtung weist auch ein systematisches Argument: § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB ist auch auf Fälle beidseitig zu vertretender Unmöglichkeit an-

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Hervorhebung durch Verfasser. Vgl. zur Vorgängervorschrift § 324 BGB a. F. Mudgan Motive II, S. 115; zu § 326 Abs. 2 BGB in der heutigen Fassung BT-Drs. 14/6040, S. 189. 129 Hervorhebung durch Verfasser. 128

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wendbar.130 Ist lediglich ein einziger Umstand für die Unmöglichkeit ursächlich, den sowohl Schuldner als auch Gläubiger teilweise zu verantworten haben, bleibt der Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung nur bestehen, wenn der Verantwortungsbeitrag des Gläubigers weit überwiegt. Daher ist in vielen Fällen der Anspruch auf die Gegenleistung ausgeschlossen, etwa bei gleichen Verantwortungsbeiträgen.131 Diese Konstellation ist mit dem oben angeführten Beispielsfall zweier alternativ kausaler Ursachen zu vergleichen, in dem die eine (fehlender Lkw) ausschließlich vom Arbeitgeber zu verantworten ist, die andere (gebrochenes Bein nach Skiurlaub) hingegen nicht. Führte man hier eine isolierte Betrachtung durch, bliebe der Anspruch auf die Gegenleistung bestehen, weil man im Falle des nicht zur Verfügung gestellten Lkw zu einer alleinigen Verantwortlichkeit des Arbeitgebers gelangt und damit die Voraussetzungen von § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB bejahen muss. Es überzeugt aber nicht, die beiden geschilderten – im Hinblick auf die geteilte Verantwortlichkeit der Parteien – wertungsmäßig vergleichbaren Konstellationen diametral entgegengesetzt zu lösen. Das sieht offenbar die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ebenso, da häufig beide Konstellationen unter dem Begriff der beidseitig zu vertretenden Unmöglichkeit zusammengefasst und hinsichtlich der Rechtsfolgen gleich behandelt werden.132 Zudem spricht eine weitere systematische Überlegung gegen die isolierte Betrachtung. Voraussetzung für die Anwendung der zweiten Variante von § 326 Abs. 2 S. 1 BGB (Annahmeverzug des Arbeitgebers) ist gemäß § 297 BGB die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Daran fehlt es, wenn der Arbeitnehmer aus anderen Gründen nicht leistungsfähig ist, etwa wie im Beispielsfall wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Hier sollte zwischen beiden Varianten des § 326 Abs. 2 S. 1 BGB ein Wertungsgleichklang hergestellt werden. Daher ist für die erste Variante ebenfalls zu konstatieren, dass der Arbeitnehmer in den Genuss der Rechtsfolgen des § 326 Abs. 2 S. 1 BGB (Lohn ohne Arbeit) jeweils nur kommen soll, wenn er leistungsfähig ist. Ist er aus vom Arbeitgeber nicht wenigstens weit überwiegend zu verantwortenden Gründen leistungsunfähig, greift § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB nicht ein. Nach alledem sprechen die besse130 Die Einzelheiten sind sehr umstritten, vgl. MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 77 ff.; Soergel-Gsell § 326 Rn. 87 ff.; Staudinger-Otto § 326 Rn. C 78–C 90; jurisPK-BGBAlpmann § 326 Rn. 18. 131 Eine Kompensation erfolgt nach überwiegender Ansicht über das Schadensersatzrecht, vgl. jurisPK-BGB-Alpmann § 326 Rn. 18; Stephan Lorenz Anmerkung zu BGH 17.7.2007 – X ZR 31/06, NJW 2007, S. 3491; Jauernig-Stadler § 326 Rn. 22; a. A. für einen anteiligen Fortbestand der Gegenleistung und zusätzliche Kompensation durch einen Schadensersatzanspruch Soergel-Gsell § 326 Rn. 94 f.; a. A. für die vollständige Aufrechterhaltung des Gegenleistungsanspruchs und Kürzung nach Maßgabe der Verschuldensbeiträge Staudinger-Otto § 326 Rn. C 83–C 86. 132 Vgl. hierzu die Beispiele bei MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 77.

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ren Argumente dafür, die isolierte Betrachtung abzulehnen. Die Voraussetzungen des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB sind in Fällen alternativer Kausalität erst erfüllt, wenn der Arbeitgeber für beide Ursachen wenigstens weit überwiegend verantwortlich ist. IV. Rechtsfolgen Liegen diese Voraussetzungen vor, behält der Arbeitnehmer abweichend von § 326 Abs. 1 BGB seinen Vergütungsanspruch. Es gilt hinsichtlich des Geld- und des Zeitfaktors das Lohnausfallprinzip. Auf seinen Vergütungsanspruch muss sich der Arbeitnehmer allerdings gemäß § 326 Abs. 2 S. 2 BGB dasjenige anrechnen lassen, was er infolge seiner Befreiung von der Arbeitspflicht erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Regelung entspricht § 615 S. 2 BGB,133 so dass auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen werden kann.134

C. Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) I. Systematische Einordnung Einer der praktisch wichtigsten Entgeltfortzahlungstatbestände ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 EFZG. Umstritten ist, ob es sich dabei um eine eigenständige Anspruchsgrundlage oder einen anspruchserhaltenden Tatbestand handelt. 1. Historische Entwicklung Um diese Frage beantworten zu können, ist zunächst ein Blick in die wechselvolle Geschichte der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hilfreich. § 3 Abs. 1 EFZG135 löste 1994 § 1 Abs. 1 LohnfortzahlungsG vom 27. Juli 1969136 ab.137 Das neue Gesetz sah zunächst in seiner bis 1996 gültigen Fassung vor, dass der Arbeitnehmer seinen originären Entgeltanspruch aus dem Arbeitsvertrag i.V. m. § 611 Abs. 1 BGB „nicht verliert“, wenn er „durch Arbeitsunfähigkeit . . . verhindert“ ist. Auch war in der Gesetzesbegründung von der „Weiterzahlung des Arbeitsentgelts“ die Rede.138 Es sollte sich somit nicht um eine eigenständige An133 Geißler Lohnanspruch, S. 132; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 65; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 148; vgl. auch Staudinger-Otto § 326 Rn. C 61. 134 Siehe dazu unten § 5 H.IV.3. 135 BGBl. 1994 I, S. 1014, 1065. 136 BGBl. 1969 I, S. 946. 137 Vgl. zur Gesetzesentstehung Harth Entgeltfortzahlung, S. 3 ff.; Kaiser/Dunkl/ Hold/Kleinsorge-Hold Einleitung EFZG Rn. 13 ff.; Schmitt Einleitung Rn. 65 ff. 138 BT-Drs. 12/5263, S. 12.

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spruchsgrundlage, sondern um den aufrecht erhaltenen ursprünglichen arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch handeln.139 Zwei Jahre später wurde § 3 Abs. 1 EFZG durch das Arbeitsrechtliche Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 25. September 1996140 dahingehend geändert, dass der Arbeitnehmer im Krankheitsfall nur eine Vergütung in Höhe von 80 v. H. des ihm zustehenden Arbeitsentgelts erhalten sollte. Im Zuge dessen wurde der Wortlaut der Vorschrift neugefasst; der Arbeitnehmer erhielt einen „Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen“. Von einigen Autoren wurde diese Wortlautänderung dahingehend interpretiert, dass § 3 Abs. 1 EFZG nunmehr eine eigenständige Anspruchsgrundlage bilden sollte.141 Andere Stimmen bezweifelten hingegen, dass mit der Änderung des Wortlauts zugleich ein grundlegender dogmatischer Wandel gewollt war.142 Das BAG verfuhr in seiner Rechtsprechung insoweit uneinheitlich.143 Eine weitere Änderung erfuhr das EFZG nach dem Regierungswechsel auf Bundesebene durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998.144 Die 1996 vollzogene Kürzung des fortzuzahlenden Entgelts auf 80 v. H. wurde rückgängig gemacht, allerdings ohne den Wortlaut des § 3 Abs. 1 EFZG wieder an den von 1994 anzupassen. Es blieb also bei der Formulierung, dass der Arbeitnehmer einen „Anspruch auf Engeltfortzahlung“ hat. 2. Anspruchserhaltende Norm Damit ergibt sich in dieser Frage folgendes Meinungsbild: Einige Stimmen, die noch in der Änderung von 1996 die Schaffung einer eigenständigen Anspruchsgrundlage sahen, fassten die Rücknahme der Kürzung zugleich als Rück139 Schmitt § 3 EFZG Rn. 9; Treber § 3 Rn. 4; Vogelsang Entgeltfortzahlung Rn. 421; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 1. 140 BGBl. 1996 I, S. 1476, 1477 f. 141 ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 45; Kunz/Wedde § 3 EFZG Rn. 19; Vogelsang Entgeltfortzahlung Rn. 422; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 1; ebenso Staudinger-Oetker § 616 Rn. 179, der allerdings bezweifelt, dass dieser Wandel vom Gesetzgeber gewollt war. 142 MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 82 Rn. 38; Treber § 3 Rn. 5; offengelassen von MünchArbR-Schlachter § 72 Rn. 9. 143 Vgl. einerseits BAG 16.1.2002 – 5 AZR 430/00, NZA 2002, S. 746, 747 unter Bezugnahme auf die Rechtslage nach § 1 Abs. 1 LohnfortzahlungsG sowie § 3 Abs. 1 EFZG in der bis 1996 gültigen Fassung, an der sich durch die Wortlautänderung nichts geändert habe, andererseits BAG 26.5.1999 – 5 AZR 476/98, NZA 1999, S. 1273, 1275: „entsteht der Anspruch . . . nach § 3 I EFZG“; vgl. zur uneinheitlichen Rechtsprechung des BAG auch Treber § 3 Rn. 5. 144 BGBl. 1998 I, S. 3843, 3849 f.

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kehr zur Dogmatik von 1994 auf.145 Die wohl überwiegende Meinung in der Literatur hingegen blieb dabei, dass es sich bei der § 3 Abs. 1 EFZG seit 1996 um eine eigenständige Anspruchsgrundlage handele, sich daran durch die Änderung von 1998 aber nichts geändert habe.146 Daneben gibt es eine dritte Strömung, die davon ausgeht, dass die dogmatische Konzeption von 1994 schon gar nicht durch die Neufassung von 1996 berührt wurde.147 Die erstgenannte Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Sie kann sich einzig auf den pauschalen Hinweis stützen, der Gesetzgeber habe 1998 die Änderungen von 1996 wieder rückgängig machen wollen.148 Das ist aber nicht plausibel, da sich schon die angebliche dogmatische Änderung von 1996 lediglich auf die seinerzeit erfolgte Wortlautänderung stützen kann. 1998 wurden durch die Änderung von § 4 EFZG nur die materiellen Kürzungen des Anspruchsumfangs zurückgenommen, während der Wortlaut des für die Anspruchsvoraussetzungen maßgeblichen § 3 Abs. 1 EFZG unverändert in der Form von 1996 verblieb. Daher ist anzunehmen, dass der Gesetzgeber jedenfalls 1998 die Dogmatik nicht ändern wollte. Somit bedarf noch die Frage der Erörterung, inwiefern 1996 eine Änderung der Dogmatik erfolgt ist. Dafür wird vorgebracht, mit der angestrebten Kürzung des fortzuzahlenden Entgelts auf 80 v. H. sei die Aufrechterhaltung des originären Entgeltanspruchs unvereinbar.149 Das aber ist unplausibel: Das EFZG sieht hinsichtlich des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung eine Trennung von Voraussetzungen (§ 3 EFZG) und Umfang (§ 4 EFZG) vor. Die Frage, ob eine eigenständige Anspruchsgrundlage oder eine anspruchserhaltende Norm vorliegt, kann einzig mit Blick auf die Voraussetzungen, also § 3 EFZG, beantwortet werden. Die Kürzung des fortzuzahlenden Entgelts auf 80 v. H. fand 1996 aber nur in § 4 EFZG seinen Niederschlag. Eine Neufassung des § 3 Abs. 1 EFZG und eine Änderung der Rechtsnatur der Entgeltfortzahlung waren daher mit der Kürzung nicht zwingend verbunden.

145 Treber § 3 Rn. 5, Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 184, ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 45, wohl auch Müller-Glöge RdA 2006, S. 105, 105. Bei Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 5 bleibt offen, ob sich die Rechtsnatur des § 3 Abs. 1 EFZG als anspruchserhaltende Norm erst aus der Gesetzesänderung von 1998 oder schon aus der Änderung von 1996 ergeben soll. 146 Schmitt § 3 EFZG Rn. 9, Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 47 Fn. 44; Harth Entgeltfortzahlung, S. 17; Kunz/Wedde § 3 EFZG Rn. 19; Vogelsang Entgeltfortzahlung Rn. 421; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 1; wohl auch Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 64. 147 BAG 16.1.2002 – 5 AZR 430/00, NZA 2002, S. 746, 747, MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 82 Rn. 38; wohl auch Schaub-Linck ArbR-Hdb. § 98 Rn. 9, der davon ausgeht, dass die Rechtsfolge des § 326 Abs. 1 BGB durchbrochen wird, und MünchArbR-Schlachter § 72 Rn. 9. 148 So argumentiert beispielsweise Treber § 3 Rn. 5. 149 Vgl. Schmitt § 3 Rn. 9 EFZG.

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Schon eher zu beachten ist der Hinweis der Befürworter einer eigenständigen Anspruchsgrundlage auf den Wortlaut des § 3 Abs. 1 EFZG sowie auf die amtliche Überschrift der Norm, die jeweils von einem „Anspruch“ sprechen.150 Indes ist zu berücksichtigen, dass in beiden Textstellen von einem „Anspruch auf Entgeltfortzahlung“151 die Rede ist. Fortgezahlt werden kann aber nur ein Entgelt, auf das der Arbeitnehmer ohnehin, das heißt ohne den krankheitsbedingten Arbeitsausfall, einen Anspruch hat, und zwar originär aus dem Arbeitsvertrag. Der Wortlaut ist in dieser Frage also nicht eindeutig.152 Für eine anspruchserhaltende Norm spricht demgegenüber die historisch-genetische Auslegung von § 3 Abs. 1 EFZG. Die Gesetzesbegründung zur Änderung von 1996 verdeutlicht, dass eine dogmatische Änderung vom Gesetzgeber 1996 nicht beabsichtigt war.153 Die Wahl der Formulierung „Anspruch auf Entgeltfortzahlung“ sollte danach nur klarstellen, dass in der Vorschrift des § 3 EFZG die Voraussetzungen für die Entgeltfortzahlung geregelt sein sollten, während sich der Umfang nach § 4 EFZG richtet.154 Nach alledem sprechen die besseren Argumente dafür, § 3 Abs. 1 EFZG als anspruchserhaltende Norm zu qualifizieren. II. Telos Bei § 3 Abs. 1 EFZG handelt es sich in erster Linie um eine Schutzvorschrift, die dem Arbeitnehmer in der unverschuldeten und doch unter Umständen existenzbedrohenden Lage der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit seine Existenzgrundlage sichern soll.155 Daneben verhindert die Entgeltfortzahlung, dass der eigentlich arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer aus finanziellen Gründen dennoch zur Arbeit erscheint, was eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustands nach sich ziehen kann. Zudem verfolgt die Norm einen weiteren Zweck: Sie verlagert die Pflicht zur Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers von den Sozialversicherungsträgern auf den Arbeitgeber und entlastet auf diese Weise die Krankenkassen.156 Diese Belastung des Arbeitgebers mit der Lebensunterhaltssicherung des Arbeitnehmers kann als Ausdruck der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstanden werden. Eine solche Pflicht trifft den Arbeit150

So etwa Vogelsang Entgeltfortzahlung Rn. 421–423; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 1. Hervorhebung durch Verfasser. 152 Vgl. Vossen Rn. 598 f.; a. A. offenbar Staudinger-Oetker § 616 Rn. 179. 153 Vgl. BT-Drs. 13/4612, S. 15. 154 Vgl. MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 82 Rn. 38; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 2. 155 ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 1; vgl. auch MünchArbR-Schlachter § 72 Rn. 7. 156 Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann (3. Auflage) § 3 EFZG Rn. 1, ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 1; v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 300; MünchArbR-Schlachter § 72 Rn. 7. 151

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geber als den wirtschaftlich in aller Regel wesentlich stärkeren Vertragspartner im Verhältnis zum schwächeren Arbeitnehmer.157 Zu erwähnen ist noch, dass sich dieser Schutzzweck nach dem Willen des Gesetzgebers nur auf die ersten sechs Wochen einer Krankheit bezieht, da gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EFZG eine Entgeltfortzahlung nur in diesem Zeitraum verlangt werden kann. Danach ist der Arbeitnehmer auf Ansprüche auf Krankengeld nach § 44 SGB V verwiesen. III. Tatbestand 1. Arbeitnehmer im Sinne des EFZG Der entgeltfortzahlungsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist gegenüber dem oben erläuterten allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff158 leicht modifiziert. Nicht als Arbeitnehmer im Sinne des § 3 Abs. 1 EFZG gelten Heimarbeiter, Hausgewerbetreibende sowie die diesen Personen Gleichgestellten. Insoweit trifft § 10 EFZG eine vorrangige und abschließende Regelung, nach der die Existenzsicherung für den Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit über einen Zuschlag zum Arbeitsentgelt erfolgt.159 2. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Die Voraussetzung der „krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit“ lässt sich in zwei Komplexe untergliedern: Zum einen muss der Arbeitnehmer erkrankt sein, zum anderen muss die Erkrankung die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hervorrufen. a) Krankheit des Arbeitnehmers Weder im EFZG noch in anderen arbeits- oder sozialrechtlichen Gesetzen wird der Begriff der Krankheit definiert.160 Ausgangspunkt der Bemühungen um eine allgemeingültige Definition muss daher der Krankheitsbegriff im medizinischen Sinne sein. Danach liegt eine Krankheit vor, wenn ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand gegeben ist, der einer Heilbehandlung bedarf.161 Durch die Vo157 Skeptisch MünchArbR-Schlachter § 72 Rn. 7; zum Begriff der Fürsorgepflicht allgemein vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 241. 158 Vgl. oben § 5 A.I. 159 Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 11–13; Schmitt § 3 EFZG Rn. 40; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 2. Zur Anwendbarkeit des EFZG auf Freiwillige im Bundesfreiwilligendienst vgl. Tiedemann NZA 2012, S. 602 ff. 160 ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 5; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 27; Schmitt § 3 EFZG Rn. 43. 161 Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 25; a. A. wohl BAG 26.7.1989 – 5 AZR 301/88, AP Nr. 86 zu § 1 LohnfortzahlungsG; BAG 7.12.2005 – 5 AZR 228/05, AP Nr. 34 zu § 1 TVG Tarifverträge: Lufthansa; Schmitt § 3 EFGZ

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raussetzung der Erforderlichkeit einer Heilbehandlung werden beispielsweise Schwangerschaften aus dem Anwendungsbereich des § 3 Abs. 1 EFZG ausgeschieden.162 Keine Voraussetzung ist hingegen die Heilbarkeit oder Behandlungsfähigkeit des Zustands.163 Diese Bindung des arbeitsrechtlichen Krankheitsbegriffs an die medizinische Definition führt zu einem dynamischen Begriffsverständnis, das durch die stete Fortentwicklung der Medizin fortwährend beeinflusst wird.164 Auf die Voraussetzung der Erforderlichkeit einer Heilbehandlung kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn die Regelwidrigkeit von einer gewissen Erheblichkeit ist.165 Beispielsweise kommt es im Zusammenhang mit einer Schönheitsoperation nicht darauf an, wie „hässlich“ der Arbeitnehmer ist.166 Andernfalls fiele auch eine Schwangerschaft unter den Krankheitsbegriff, was erkennbar zu weit ginge.167 Die Art und die Ursache der Erkrankung sind im Rahmen dieses Tatbestandsmerkmals ohne Bedeutung.168 Beides kann aber im Rahmen des Verschuldens des Arbeitnehmers eine Rolle spielen.169 b) Durch die Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit aa) Grundlagen Folge der Krankheit des Arbeitnehmers muss seine Arbeitsunfähigkeit sein. Entgegen einem verbreiteten Missverständnis löst erst diese Kausalität den EntRn. 49, Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 11, die das Erfordernis einer Heilbehandlung nicht erwähnen; noch weitergehend ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 7, die eine Behandlungsbedürftigkeit ausdrücklich nicht zur Voraussetzung machen wollen. 162 ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 5; im Ergebnis ebenso Kaiser/Dunkl/ Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 31, die die Schwangerschaft als ein den Lebensfunktionen des weiblichen Körpers entsprechenden Vorgang und daher nicht als Krankheit einstufen; ähnlich Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 47. 163 ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 7; Schmitt § 3 EFZG Rn. 57; Treber § 3 Rn. 17; a. A. Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 25. 164 ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 5; vgl. zur Anbindung an das medizinische Begriffsverständnis auch Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 22. 165 A. A. wohl Schmitt § 3 EFZG Rn. 49, 53 f. 166 Zu Recht weist allerdings Schmitt § 3 EFZG Rn. 54 darauf hin, dass auch eine Schönheitsoperation medizinisch indiziert sein kann, wenn die Hässlichkeit des Betroffenen zu einer psychischen Erkrankung führt. 167 Auch Schmitt § 3 EFZG Rn. 58 stuft eine normal verlaufende Schwangerschaft nicht als Krankheit ein. 168 Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 23. Somit sind insbesondere auch Alkohol- und Drogenabhängigkeit erfasst; vgl. Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 44 f.; Schmitt § 3 EFZG Rn. 51; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 11. 169 ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 6; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 38.

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geltfortzahlungsanspruch aus, nicht schon jede Krankheit im Sinne des Gesetzes.170 Arbeitsunfähig ist jedenfalls derjenige Arbeitnehmer, der seiner Tätigkeit objektiv nicht oder nur auf die Gefahr hin nachgehen kann, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert.171 Gleiches gilt in Fällen subjektiver Unzumutbarkeit, wenn der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers die Ausübung seiner Tätigkeit zwar nicht objektiv unmöglich macht, wohl aber eine Heilbehandlung erforderlich ist und diese ihrerseits den Arbeitnehmer an der Ausübung seiner Tätigkeit hindert.172 Auch Ansteckungsgefahr für Dritte kann eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen.173 bb) Qualitative Teilunmöglichkeit Neben den eindeutigen Konstellationen vollständiger Arbeitsunfähigkeit existieren auch noch die problematischen Fälle der Teilarbeitsunfähigkeit. Eine Teilarbeitsunfähigkeit kann in qualitativer Hinsicht (der Arbeitnehmer kann nur eine andere als die unmittelbar vor der Erkrankung ausgeübte Tätigkeit ausüben) oder in quantitativer Hinsicht (der Arbeitnehmer kann lediglich in zeitlich verringertem Umfang tätig werden) auftreten.174 Im Falle einer qualitativen Abweichung ist maßgeblich, ob der Arbeitgeber durch Ausübung seines Weisungsrechts aus § 106 GewO den Arbeitnehmer auf die dem Arbeitnehmer mögliche Tätigkeit verweisen kann. Besteht eine solche Möglichkeit, scheidet eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers aus.175 Macht der Arbeitgeber von diesem Recht Gebrauch, muss der Arbeitnehmer der Weisung nachkommen. Weigert er sich, verliert er gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB seinen Entgeltanspruch, ohne dass § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG eingreift. Verzichtet der Arbeitgeber hingegen auf eine Weisung, kommen zwar keine Ansprüche aus Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, dafür aber – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – aus Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB) in Betracht.176 170 ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 9; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 24; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 32. 171 BAG 9.1.1985 – 5 AZR 415/82, AP Nr. 62 zu § 1 LohnfortzahlungsG; BAG 26.7.1989 – 5 AZR 301/88, AP Nr. 87 zu § 1 LohnfortzahlungsG; Schmitt § 3 EFZG Rn. 61; Treber § 3 Rn. 20; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 13; ähnlich ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 9, die anstelle der Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustands darauf abstellen, ob das Ausüben der Tätigkeit nach ärztlicher Prognose die Heilung zu verhindern oder zu verzögern droht. 172 Schmitt § 3 EFZG Rn. 63; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 13, a. A. Kaiser/Dunkl/ Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 33. 173 Schmitt § 3 EFZG Rn. 64; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 38; zu denken ist beispielsweise an Infektionen mit Hepatitis B und C oder HIV. Vgl. zu den arbeitsrechtlichen Konsequenzen derartiger Erkrankungen Jacobs Übertragungsrisiko, S. 86–109. 174 Hierzu und zum Folgenden MünchArbR-Schlachter § 73 Rn. 17; Schmitt § 3 EFZG Rn. 67 ff.; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 18. 175 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 216; Schmitt § 3 EFZG Rn. 68; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 18.

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cc) Quantitative Teilunmöglichkeit Übertrüge man diesen Gedanken auf die Fälle der quantitativen Abweichung, müsste man insoweit konsequenterweise eine Teilarbeitsunfähigkeit hinsichtlich desjenigen Teils der Arbeitszeit annehmen, in der der Arbeitnehmer nicht arbeiten kann. Die herrschende Meinung folgt diesem Ansatz nicht, sondern hält den Arbeitnehmer in Fällen der quantitativen Abweichung überhaupt nicht dazu verpflichtet, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Sie spricht ihm für die gesamte Arbeitszeit einen Anspruch aus § 3 Abs. 1 EFZG zu.177 Zur Begründung wird insbesondere auf § 74 SGB V verwiesen. Das BAG178 und mit ihm ein Teil der Literatur179 entnehmen dieser Norm eine Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht, wenn er nur zu Teilleistungen in der Lage ist. Dieser Ansatz überzeugt nicht. Zunächst betrifft § 74 SGB V ausweislich seiner amtlichen Überschrift nur die sogenannte „stufenweise Wiedereingliederung“ des zunächst vollumfänglich arbeitsunfähigen Arbeitnehmers. Es fällt aber nicht jeder teilarbeitsunfähige Arbeitnehmer im Sinne des EFZG unter diese Vorschrift. Weiterhin hat die Regelung lediglich den Inhalt ärztlicher Bescheinigungen zum Gegenstand, was im Übrigen auch von Vertretern der herrschenden Meinung zugestanden wird.180 Eine darüber hinausgehende Aussage zur Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ist ihr nicht zu entnehmen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 74 SGB V um eine spezielle sozialrechtliche Regelung handelt, die im Rahmen der Auslegung des § 3 Abs. 1 EFZG keine Rolle spielen kann.181 Vorzugswürdig ist in Fällen der quantitativen Abweichung hingegen eine andere Regelung:182 Für den quantitativen Teil der Arbeitsleistung, den der Arbeitnehmer infolge seiner Arbeitsunfähigkeit nicht erbringen kann, ist er von der Arbeitspflicht befreit und erhält gemäß § 3 Abs. 1 EFZG Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Im Übrigen bleibt er zur Arbeitsleistung verpflichtet. Erbringt er diese, hat er in entsprechendem Umfang Anspruch auf seine vertragsmäßige Vergütung. Es muss dem Arbeitgeber jedoch freistehen, aus organisatorischen Gründen auf die Erbringung der Teilarbeitsleistung zu verzichten. Macht er von die176

Vgl. Staudinger-Löwisch/Feldmann § 297 Rn. 6. Schmitt § 3 EFZG Rn. 69; Matthes Lohnzahlung Rn. 88; Gitter ZfA 1995, S. 123, 160; Kasseler Hdb.-Vossen 2.2 Rn. 51. 178 BAG 29.1.1992 – 5 AZR 37/91, AP Nr. 1 zu 74 SGB V; BAG 19.4.1994 – 9 AZR 462/92, AP Nr. 2 zu § 74 SGB V. 179 Reinecke DB 1998, S. 130, 133; Schmitt § 3 EFZG Rn. 69; eher kritisch Staudinger-Oetker § 616 Rn. 215–221. 180 Schmitt § 3 EFZG Rn. 69. 181 Ähnlich Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 38 f. 182 Vgl. zum Folgenden Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 35 ff.; Schaub-Linck ArbR-Hdb. § 98 Rn. 17; MünchArbR-Schlachter § 73 Rn. 18; Worzalla/ Süllwald § 3 Rn. 1. 177

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

sem Recht Gebrauch, ist er aber im Gegenzug dazu verpflichtet, Annahmeverzugslohn nach § 615 S. 1 BGB zu zahlen. Der Arbeitnehmer behält also in jedem Fall seinen vollen Entgeltanspruch. Hingegen hat der Arbeitnehmer in diesen Fällen keinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung im möglichen Umfang.183 Es kann dem Arbeitgeber erhebliche organisatorische oder betriebliche Schwierigkeiten bereiten, einen nur teilweise arbeitsfähigen Arbeitnehmer tatsächlich zu beschäftigen.184 Eine entsprechende Verpflichtung, selbst bei einem berechtigten Interesse des Arbeitnehmers, belastete den Arbeitgeber unverhältnismäßig. 3. Kein Verschulden des Arbeitnehmers Ferner setzt der Entgeltfortzahlungsanspruch voraus, dass den Arbeitnehmer kein Verschulden trifft. Bezugspunkt ist insoweit die Verursachung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.185 Problematisch ist indes der anzulegende Maßstab. Insoweit kommen verschiedene Ansatzpunkte in Betracht. a) Keine Anwendung des § 276 Abs. 1 BGB Man könnte zunächst daran denken, auf § 276 Abs. 1 BGB zurückzugreifen. Nach dieser Vorschrift hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es sich bei dem Arbeitnehmer um den „Schuldner“ handelt. Das wiederum wäre gegeben, wenn den Arbeitnehmer eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht trifft, seine eigene Arbeitsunfähigkeit nicht zu verschulden. Rechtsprechung und Literatur lehnen eine solche Pflicht und die Anwendung von § 276 Abs. 1 BGB ganz überwiegend ab.186 Das BAG begründet seine Auffassung mit dem Argument, dass man – sofern man eine entsprechende Pflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber bejahte – konsequenterweise dem Arbeitgeber Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitnehmer wegen Nichterbringung der Arbeitsleistung zubilligen müsste. Ein solches Ergebnis sei nicht gewollt.187 Dem ist zuzustimmen, da derartige Anforderungen an den Arbeitnehmer dessen arbeitsvertragliche Sorgfaltspflichten (vgl. § 241 Abs. 2 BGB) überspannten. 183

MünchArbR-Schlachter § 73 Rn. 18; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 18. MünchArbR-Schlachter § 73 Rn. 18. 185 BAG 7.10.1981 – 5 AZR 1113/79, AP Nr. 46 zu § 1 LohnfortzahlungsG mit insoweit zustimmender Anmerkung Trieschmann; Junker Arbeitsrecht Rn. 279; StaudingerOetker § 616 Rn. 103; Eich BB 1988, S. 197, 200. 186 BAG 5.4.1962 – 2 AZR 182/61, AP Nr. 28 zu § 63 HGB; Kaiser/Dunkl/Hold/ Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 94; MünchArbR-Schlachter § 73 Rn. 40; vgl. auch Schmitt § 3 EFZG Rn. 121; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 37; a. A. Houben NZA 2000, S. 128, 130 f. 187 BAG 5.4.1962 – 2 AZR 182/61, AP Nr. 28 zu § 63 HGB mit zustimmender Anmerkung Hueck. 184

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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Es kann auch nicht überzeugen, wenn Houben188 trotz der Annahme solcher Sorgfaltspflichten Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer mit der Begründung ausschließen will, § 3 EFZG regele die Rechtsfolgen eines Verschuldens der Arbeitnehmers abschließend. Diese Konstruktion liefe im Ergebnis darauf hinaus, eine Obliegenheit anzunehmen. Unter diesen Umständen ist es dogmatisch verfehlt, das Erfordernis als „Pflicht“ und eben nicht als „Obliegenheit“ zu qualifizieren. b) Kein Abstellen auf Sphärengesichtspunkte Als untauglichen Maßstab wird man auch den in § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Var. 2 BGB verankerten Sphärengedanken qualifizieren müssen. Zwar hat diese Vorschrift mit der hier behandelten Konstellation gemein, dass § 276 Abs. 1 BGB nicht anwendbar ist.189 Stellte man aber konsequent auf Sphärengesichtspunkte ab, müsste man in nahezu allen Fällen (von Arbeitsunfällen einmal abgesehen) ein Verschulden des Arbeitnehmers und damit einen Anspruchsausschluss annehmen. Der Grund für eine Erkrankung wird in aller Regel eher in der Sphäre des Arbeitnehmers als in der des Arbeitgebers liegen.190 Ein solches Ergebnis widerspräche aber dem Schutzzweck des § 3 Abs. 1 EFZG. Zudem sollte man mit der Anwendung von Sphärengedanken im deutschen Zivilrecht zurückhaltend verfahren, da dieser keinem allgemeinen Rechtsgrundsatz entspricht, sondern lediglich vom Gesetzgeber in bestimmten Vorschriften gesondert normiert worden ist (vgl. etwa § 615 S. 3 BGB).191 c) „Verschulden gegen sich selbst“ Andere Stimmen ziehen den Rechtsgedanken des § 254 BGB heran und stellen auf ein „dem § 254 BGB ähnliches anspruchsbeseitigendes Verschulden gegen sich selbst“192 oder auf „§ 254 Abs. 1 BGB als Anknüpfungspunkt für den Verschuldensmaßstab“193 ab. Das BAG hingegen hat unter Zustimmung großer Teile der Literatur eine autonome entgeltfortzahlungsrechtliche Definition des Verschuldens entwickelt: Ein Verhalten soll anspruchsausschließend wirken, wenn es sich um einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verstän188

Houben NZA 2000, S. 128, 130 ff. Staudinger-Kaiser § 346 Rn. 170; Soergel-Lobinger § 346 Rn. 113; jurisPK-BGBFaust § 346 Rn. 63. 190 Vgl. zum Sphärengedanken auch die einleitenden Bemerkungen von MüllerGlöge RdA 2006, S. 105, 105. 191 Vgl. BGH 18.3.1997 – XI ZR 117/96, NJW 1997, S. 1700, 1701; vgl. auch Soergel-Gsell § 326 Rn. 43, die einer raumgreifenden Anwendung des Sphärengedankens im Zusammenhang mit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB skeptisch gegenübersteht. 192 Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 105. 193 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 38, 34 f. 189

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digen Menschen handelt, ein sogenanntes „Verschulden gegen sich selbst“.194 Im Ergebnis weichen diese Ansätze kaum voneinander ab. Vielmehr darf man annehmen, dass auch diejenigen Stimmen, die von § 254 Abs. 1 BGB ausgehen, den Begriff des groben Verstoßes gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen als zulässige Konkretisierung des Maßstabs aus § 254 Abs. 1 BGB verstehen.195 Dem groben Verstoß wiederum gleichzusetzen ist nach verbreiteter Ansicht das Erfordernis von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit auf Seiten des Arbeitnehmers.196 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Bemerkenswert ist indes, dass die Rechtsprechung im vorliegenden Zusammenhang auf eine nähere dogmatische Einordnung verzichtet, wenn sie von einem „Verschulden gegen sich selbst“ spricht.197 Überzeugend ist es insoweit, mit einigen Stimmen in der Literatur198 in diesem Erfordernis eine Obliegenheit des Arbeitnehmers zu sehen. Anders als die oben abgelehnte Einordnung als arbeitsvertragliche Pflicht ist eine Obliegenheit weder einklagbar noch verpflichtet ihre Verletzung zu Schadensersatz.199 Wohl aber wirkt sich eine Obliegenheitsverletzung typischerweise anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend aus.200 Das Erfordernis des „Verschuldens gegen sich selbst“ erfüllt diese wesentlichen Merkmale einer Obliegenheit. Der Maßstab des „Verschuldens gegen sich selbst“ gilt gemäß dem jüngst eingeführten § 3a EFZG für den Fall einer Organ- oder Gewebespende hingegen nicht: Da eine Entgeltfortzahlung bei einer freiwilligen Spende des Arbeitnehmers an sich an dessen Verschulden scheitern müsste, begründet diese Vorschrift einen eigenständigen, von § 3 Abs. 1 EFZG gelösten, verschuldensunabhängigen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.201

194 BAG 23.11.1971 – 1 AZR 388/70, AP Nr. 8 zu § 1 LohnfortzahlungsG; BAG 11.11.1987 – 5 AZR 497/86, AP Nr. 75 zu § 616 BGB; ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 23; Treber § 3 Rn. 62; vgl. auch Schmitt § 3 EFZG Rn. 121; leicht abweichend Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 94, der von einem „vorwerfbaren Verstoß gegen Gebote des eigenen Interesses“ spricht. 195 Vgl. dazu Staudinger-Oetker § 616 BGB Rn. 242 i.V. m. Rn. 106 f., 109. 196 Vgl. nur Staudinger-Oetker § 616 BGB Rn. 242 i.V. m. Rn. 109; Schmitt § 3 EFZG Rn. 121; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 37. 197 Vgl. exemplarisch BAG 5.4.1962 – 2 AZR 182/61, AP Nr. 28 zu § 63 HGB mit Anmerkung Hueck, kritisch zu der ungeklärten dogmatischen Grundlage des Anspruchsausschlusses Staudinger-Oetker § 616 Rn. 242 i.V. m. Rn. 103 ff. 198 Hofmann ZfA 1979, S. 275, 288 ff.; Eich BB 1988, S. 197, 199; Hromadka/ Maschmann Arbeitsrecht I, § 8 Rn. 76; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 217. 199 Staudinger Eckpfeiler-Peter Huber D. Rn. 7; Deutsch Versicherungsvertragsrecht Rn. 205 ff., insbesondere Rn. 206; kritisch zu diesen Abgrenzungskriterien Hähnchen Obliegenheiten, S. 244 ff. 200 Vgl. Staudinger Eckpfeiler-Peter Huber D. Rn. 7; Deutsch Versicherungsvertragsrecht Rn. 205 f. 201 ErfK-Dörner/Reinhard § 3a EFZG Rn. 1, 3 f.

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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d) Modifikation bei ausdrücklich normierten Pflichten Für eine weitere Modifikation dieses Maßstabs tritt Gutzeit202 ein, wenn die Auslegung des Arbeitsvertrags tatsächlich eine konkrete Pflicht des Arbeitnehmers ergibt, ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen oder zu unterlassen (zum Beispiel Skifahren). Verstößt der Arbeitnehmer hiergegen und verletzt sich dabei, soll nach Gutzeit eine echte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers anzunehmen sein. Dann sei § 276 Abs. 1 BGB anwendbar.203 Diese Einschränkung verdient Zustimmung. Es ist nicht erforderlich und entspricht auch nicht dem Willen der Vertragsparteien, eine vertragsimmanente Obliegenheit zu konstruieren, wenn bestimmte Anforderungen an das Verhalten des Arbeitnehmers von den Parteien zu vertraglichen Pflichten erhoben werden. Diese Einordnung ist auch im Hinblick auf mögliche Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüche des Arbeitgebers bedeutsam. Besteht eine entsprechende Pflicht des Arbeitnehmers und verletzt er diese, muss konsequenterweise auf § 276 Abs. 1 BGB zurückgegriffen werden. Dieser Modifikation steht auch nicht entgegen, dass eine derartige Differenzierung im Wortlaut des § 3 Abs. 1 EFZG nicht angelegt ist. Sie ergibt sich aus der allgemeinen zivilrechtlichen Dogmatik, der auch das Entgeltfortzahlungsrecht unterliegt. e) Behandlung von Mitverschulden Dritter oder des Arbeitgebers Dem Mitverschulden eines Dritten kommt grundsätzlich für den Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruchs keine Bedeutung zu.204 Entscheidend ist vielmehr, ob den Arbeitnehmer wenigstens ein Mitverschulden nach den soeben dargelegten Maßstäben trifft. Ist das der Fall, entlastet ihn das Mitverschulden eines Dritten nicht. Hat dagegen ein Dritter allein die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit verschuldet, bleibt der Entgeltfortzahlungsanpruch bestehen.205 Für diesen Fall ordnet § 6 EFZG einen gesetzlichen Forderungsübergang der Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den Dritten auf den Arbeitgeber an.206 Wird die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit teilweise vom Arbeitgeber und teilweise vom Arbeitnehmer verschuldet, ist die Rechtsfolge umstritten. Zum Teil wird vertreten, der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers bleibe auch bei einem Verschulden beider Parteien bestehen, sofern dem Arbeitnehmer nicht der Vor202

Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 38, 33 f. Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 38, 33 f. 204 Vgl. Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 172; Schmitt § 3 EFZG Rn. 125 f.; Treber § 3 Rn. 66. 205 Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 172; Schmitt § 3 Rn. 126. 206 Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 172; Schmitt § 3 Rn. 126; Treber § 3 Rn. 66. 203

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

wurf gröbster Fahrlässigkeit zu machen sei.207 Dem Arbeitgeber sei es bereits aufgrund seines Mitverschuldens versagt, sich auf das Verschulden des Arbeitnehmers zu berufen. Diese Sichtweise ist abzulehnen. Richtigerweise ist zur Beantwortung der Frage, ob ein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht, die Systematik der Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG heranzuziehen.208 Diese Norm besagt, dass jegliches Verschulden des Arbeitnehmers – und das schließt jedes noch so kleine Verschulden ein – den Entgeltanspruch ausschließt.209 Deswegen scheidet auch eine Quotierung entsprechend der Verschuldensbeiträge analog § 254 BGB aus.210 Vorzugswürdig ist demgegenüber ein anderer Ansatz, durch den sich wirtschaftlich eine Aufteilung des Vergütungsanspruchs entsprechend den Verschuldensbeiträgen erreichen lässt: Es bleibt bei dem vollständigen Fortfall des Entgeltfortzahlungsanspruchs. Der Arbeitnehmer erhält stattdessen entsprechend dem Mitverschuldensanteil des Arbeitgebers gegen diesen einen Schadensersatzanspruch wegen einer Nebenpflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB.211 4. Verstreichen der Wartefrist Gemäß § 3 Abs. 3 EFZG greift die Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG nur, sofern das Arbeitsverhältnis bereits wenigstens vier Wochen ununterbrochen bestanden hat. Der Zweck dieser Regelung liegt in der Kostenentlastung des Arbeitgebers.212 5. Kein Verweigerungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 7 EFZG Schließlich ist Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs, dass der Arbeitgeber kein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 7 EFZG geltend macht. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern, solange der Arbeitnehmer keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gemäß § 5 Abs. 1 EFZG vorlegt oder die ihn bei einem Auslandsaufenthalt treffenden Verpflichtungen im Sinne des § 5 Abs. 2 EFZG nicht erfüllt. Bei beiden Varianten handelt es sich lediglich um vorübergehende Verweigerungsrechte, die entfallen, sobald der Arbeitnehmer die geforderten Handlungen nachholt.213 Demge207

Schmitt § 3 EFZG Rn. 129; vgl. auch MüKoBGB-Müller-Glöge § 3 EFZG Rn. 38. Vgl. hierzu oben § 5 C.I. 209 Geißler Lohnanspruch, S. 116 f.; ähnlich Treber § 3 Rn. 67 f., Staudinger-Oetker § 616 BGB Rn. 249. 210 Geißler Lohnanspruch, S. 116; im Ergebnis ebenso ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 24; Staudinger-Oetker § 616 BGB Rn. 249; a. A. Treber § 3 Rn. 68. 211 Staudinger-Oetker § 616 BGB Rn. 249. 212 Vgl. BT-Drs. 13/4612, S. 11; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 39; Schmitt § 3 EFZG Rn. 326. 213 ErfK-Dörner/Reinhard § 7 EFZG Rn. 9; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 7 EFZG Rn. 16; Schmitt § 7 EFZG Rn. 29. 208

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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genüber handelt es sich bei der Variante des § 7 Abs. 1 Nr. 2 EFZG um ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht, das entsteht, wenn der Arbeitnehmer den Forderungsübergang bei Dritthaftung gemäß § 6 EFZG verhindert. Beispielsweise kann der Arbeitnehmer auf seine Forderungen gegen den Dritten vor ihrem Übergang nach § 6 EFZG auf den Arbeitgeber verzichten (in der Praxis häufig gegen Zahlung einer Abfindung durch den Dritten).214 Auch die Verletzung der Informationspflichten aus § 6 Abs. 2 EFZG begründet das Verweigerungsrecht des Arbeitgebers im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 2 EFZG.215 Gemäß § 7 Abs. 2 EFZG ist für sämtliche Verweigerungsrechte Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer sich nicht vom Vorwurf des Vertretenmüssens der von ihm verletzten Pflichten entlasten kann. Die negative Formulierung der Norm macht deutlich, dass das Vertretenmüssen des Arbeitnehmers widerleglich vermutet wird und er insoweit die Beweislast trägt.216 IV. Rechtsfolgen Als Rechtsfolge sieht § 3 Abs. 1 EFZG den Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen vor. Die „Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts“ und damit der Anspruchsinhalt ist in § 4EFZG geregelt. Diese Norm besagt, dass dem Arbeitnehmer für „den in § 3 Abs. 1 bezeichneten Zeitraum (. . .) das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen“ ist. Es soll also eine hypothetische und zukunftsbezogene Betrachtung vorgenommen werden. Dem Arbeitnehmer ist das Entgelt zu zahlen, das ihm ohne die Krankheit zugestanden hätte. Demnach geht § 4 Abs. 1 EFZG sowohl hinsichtlich des Geld- als auch des Zeitfaktors vom Lohnausfallprinzip aus.217 Indes weist § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG gegenüber anderen dem Lohnausfallprinzip unterliegenden Entgeltfortzahlungstatbeständen eine Besonderheit auf: Indem die Vorschrift auf die regelmäßige Arbeitszeit abstellt, wird das Lohnausfallprinzip für den Zeitfaktor in der Weise modifiziert, dass Schwankungen der individuellen Arbeitszeit im relevanten Zeitraum bei der Entgeltberechnung außer Betracht bleiben. Zur Ermittlung dieser „regelmäßigen“ Arbeitszeit des Arbeitnehmers ist statt der dem Lohnausfallprinzip grundsätzlich zugrunde liegenden hypothetischen Betrachtung218 eine vergangenheitsbezogene Betrachtung erforderlich und 214 Vgl. ErfK-Dörner/Reinhard § 7 EFZG Rn. 12; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 7 EFZG Rn. 28; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 7 EFZG Rn. 23. 215 Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 7 EFZG Rn. 26; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 6 EFZG Rn. 16; Treber § 7 Rn. 17. 216 MüKoBGB-Müller-Glöge § 7 EFZG Rn. 13; Schmitt § 7 EFZG Rn. 59; Treber § 7 Rn. 24. 217 Vgl. Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 88; Schmitt § 4 EFZG Rn. 27 f.; Worzalla/Süllwald § 4 Rn. 4. 218 Siehe oben § 4 B.I.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

geboten, die stark an die Bezugsmethode erinnert.219 Soweit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls kein aussagekräftigerer Zeitraum zur Verfügung steht, soll der Durchschnitt der individuellen220 Arbeitszeit der vergangenen zwölf Monate maßgeblich sein.221 Eine Abweichung der regelmäßigen von der hypothetischen Arbeitszeit des Arbeitnehmers ist sowohl nach oben wie nach unten denkbar. Ersteres ist beispielsweise bei Kurzarbeit, letzteres bei Überstunden möglich. Indes hat der Gesetzgeber genau für diese beiden Konstellationen den Begriff der regelmäßigen Arbeitszeit weiter konkretisiert. § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG schreibt vor, dass bei Kurzarbeit im Betrieb während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit die verkürzte Dauer als regelmäßige Arbeitszeit anzusehen ist. Damit wird die vergangenheitsbezogene Betrachtung für den Fall der Kurzarbeit außer Kraft gesetzt.222 Demgegenüber trifft § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG die Regelung, dass zusätzlich für Überstunden gezahltes Arbeitsentgelt nicht zum Arbeitsentgelt im Sinne des § 4 Abs. 1 EFZG gehört. Damit unterliegen Überstunden weder einer hypothetischen (Hätte der Arbeitnehmer Überstunden gemacht, wenn er nicht arbeitsunfähig erkrankt wäre?) noch einer vergangenheitsbezogenen Betrachtung (Hat der Arbeitnehmer in der Vergangenheit Überstunden gemacht?). Vielmehr bleiben sie bei der Berechnung des Arbeitsentgelts insgesamt außer Betracht.223 Hervorzuheben ist schließlich, dass gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG der Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber nur für sechs Wochen besteht. Dieser Zeitraum entspricht 42 Kalendertagen224 und wird nach den §§ 187 ff. BGB berechnet.225 Nach Ablauf der sechs Wochen kommt lediglich ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Krankengeld nach den §§ 44 ff. SGB V gegen die Krankenkassen in Betracht. Dieser Anspruch ist aber gemäß § 47 Abs. 1 S. 1, 2 SGB V auf 70 v. H. des letzten vollen monatlichen Brutto- und höchstens 90 v. H. des letzten vollen monatlichen Nettoeinkommens begrenzt. Wird der Arbeitnehmer

219

Zur Bezugsmethode siehe oben § 4 B.II. BAG 18.1.1973 – 5 AZR 362/72, AP Nr. 4 zu § 2 LohnfortzahlungsG; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 88; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Hold § 4 EFZG Rn. 57; Schmitt § 4 EFZG Rn. 29. 221 BAG 26.6.2002 – 5 AZR 592/00, AP Nr. 61 zu § 4 EFGZ; Feichtinger/MalkmusMalkmus § 4 EFZG Rn. 34; Schmitt § 4 EFZG Rn. 31; Treber § 4 Rn. 9. 222 Zur Sondervorschrift des § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG vgl. unten § 10 C.I. 223 Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Hold § 4 EFZG Rn. 61; MünchArbR-Schlachter § 74 Rn. 7; Schmitt § 4 EFZG Rn. 118. 224 BAG 22.8.2001 – 5 AZR 699/99, AP Nr. 11 zu § 3 EFZG; Müller-Glöge RdA 2006, S. 105, 109; MünchArbR-Schlachter § 74 Rn. 22; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 42. 225 Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 134, 143; Müller-Glöge RdA 2006, S. 105, 109; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 44 ff.; vgl. auch Schmitt § 3 EFZG Rn. 223. 220

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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mehrfach mit Unterbrechungen infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig, läuft die Sechs-Wochen-Frist weiter.226 Von neuem zu laufen beginnt die Frist gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG nur, wenn der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge dieser Krankheit arbeitsunfähig war oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge dieser Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.

D. Anspruch auf Entgeltfortzahlung an Feiertagen (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) I. Systematische Einordnung Ebenso wie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist die Entgeltfortzahlung an Feiertagen im EFZG geregelt, genauer in § 2 Abs. 1 EFZG. Die Frage, ob es sich bei dieser Norm um eine eigenständige Anspruchsgrundlage oder um eine anspruchserhaltende Norm handelt, wird in Rechtsprechung und Literatur nur selten problematisiert. Die überwiegende Ansicht nimmt eine eigenständige Anspruchsgrundlage an.227 Zu Beantwortung dieser Frage ist die Norm nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Zweck auszulegen. Hinsichtlich des Wortlauts ist zunächst festzuhalten, dass der Gesetzgeber hier – anders als im kontrovers diskutierten Fall des § 3 Abs. 1 EFZG228 – keine für Anspruchsgrundlagen typische Formulierung (zum Beispiel „kann verlangen“, „hat Anspruch auf“) verwendet hat.229 Vielmehr soll der Arbeitnehmer das „Arbeitsentgelt“ verlangen können, „das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte“, also seine arbeitsvertragliche Vergütung. Das spricht dafür, § 2 Abs. 1 EFZG als anspruchserhaltend zu qualifizieren. Dem Zweck von § 2 Abs. 1 EFZG und der Entstehungsgeschichte lassen sich keine gegenteiligen Anhaltspunkte entnehmen. In systematischer Hinsicht ist zudem zu berücksichtigen, dass es sich sogar bei § 3 Abs. 1 EFZG trotz des missverständlichen Wortlauts um eine anspruchserhaltende Norm handelt.230 Da der Wortlaut von § 2 Abs. 1 EFZG demgegenüber, wie gezeigt, den Charakter als eigenständige Anspruchsgrundlage in keiner Weise nahe legt, muss diese Vor226 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 39; MüKoBGB-Müller-Glöge § 3 EFZG Rn. 60 ff.; Schmitt § 3 EFZG Rn. 240 ff. 227 So Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 84; Vossen Rn. 759; wohl auch ErfK-Dörner/ Reinhard § 2 EFZG Rn. 1, 4; vgl. zur insoweit identischen Vorgängerregelung des § 1 FeiertagslohnzahlungsG BAG 10.12.1986 – 5 AZR 507/85, AP Nr. 51 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; a. A. wohl MünchArbR-Boewer § 71 Rn. 1; Henssler/Willemsen/ Kalb-Schliemann § 2 EFZG Rn. 1. 228 Vgl. oben unter § 5 C.I. 229 Vgl. zur Formulierungstechnik des Gesetzgebers Kaiser Bürgerliches Recht Rn. 28 ff. 230 Siehe oben unter § 5 C.I.

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schrift erst recht als anspruchserhaltender Tatbestand eingestuft werden. Somit sprechen die besseren Argumente dafür, entgegen der herrschenden Meinung § 2 Abs. 1 EFZG als anspruchserhaltende Norm zu qualifizieren. II. Telos Der Zweck von § 2 Abs. 1 EFZG liegt in der Sicherung des Arbeitseinkommens der Arbeitnehmer an gesetzlichen Feiertagen.231 Hierzu besteht Bedarf, da der Arbeitnehmer an gesetzlichen Feiertagen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen darf (vgl. § 9 Abs. 1 ArbZG)232 und er sich aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten auch nicht dazu genötigt sehen soll. Der Vorschrift kommt somit eine Existenzsicherungsfunktion zu.233 III. Tatbestand 1. Arbeitnehmer im Sinne des EFZG Anspruchsberechtigt sind Arbeitnehmer einschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten. Nicht erfasst sind hingegen Heimarbeiter, Hausgewerbetreibende sowie diesen Personen Gleichgestellte. 234 Für diesen Personenkreis enthält § 11 EFZG eine – recht komplexe – abschließende Spezialregelung.235 2. Arbeitsausfall infolge des gesetzlichen Feiertags Feiertagsentgelt nach § 2 Abs. 1 EFZG kann der Arbeitnehmer nur für Arbeitszeit verlangen, die an einem gesetzlichen Feiertag ausgefallen ist. Lediglich ein einziger Feiertag ist bundesgesetzlich normiert: Gemäß Art. 2 Abs. 2 des Einigungsvertrags vom 31. August 1990236 ist der 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit bundeseinheitlich ein gesetzlicher Feiertag. Weitere gesetzliche Feiertage ergeben sich aus den Feiertagsgesetzen der einzelnen Bundesländer.237 Welches Landesrecht einschlägig ist, richtet sich nach herrschender Meinung nach dem 231 ErfK-Dörner/Reinhard § 2 EFZG Rn. 1; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 2 EFZG Rn. 1; Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 38 Rn. 1a; Treber § 2 Rn. 2. 232 Vgl. Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 38 Rn. 1a; Treber § 2 Rn. 2. 233 Vgl. BAG 3.5.1983 – 3 AZR 100/81, AP Nr. 39 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; BAG 9.10.1996 – 5 AZR 345/95, AP Nr. 3 zu § 2 EFZG; BAG 16.11.2000 – 6 AZR 338/99, AP Nr. 44 zu § 15 BAT; Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 38 Rn. 1a; Treber § 2 Rn. 2. 234 MünchArbR-Boewer § 71 Rn. 5; MüKoBGB-Müller-Glöge § 2 EFZG Rn. 6; Schmitt § 2 EFZG Rn. 23. 235 Zu Einzelheiten vgl. die Kommentierungen bei Schmitt § 11 EFZG; ErfK-Dörner/ Reinhard § 11 EFZG und Feichtinger/Malkmus-Sabine Feichtinger § 11 EFZG. 236 BGBl. 1990 II, S. 885, 890. 237 Eine Übersicht über die einzelnen Feiertagsgesetze der Länder findet sich bei Schmitt § 2 EFZG Rn. 2.

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Arbeitsort und nicht etwa nach dem Wohnort des Arbeitnehmers oder dem Sitz des Betriebes.238 3. Kein unentschuldigtes Fernbleiben vor oder nach dem Feiertag Der Anspruch auf Feiertagsentgelt ist gemäß § 2 Abs. 3 EFZG ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer am letzten Arbeitstag vor oder am ersten Arbeitstag nach einem Feiertag unentschuldigt der Arbeit fernbleibt. Dieser Anspruchsausschluss geht auf den sogenannten „Bummelerlass“ vom 16. März 1940239 zurück und soll der eigenmächtigen Freizeitverlängerung durch den Arbeitnehmer vor und nach Feiertagen entgegenwirken.240 a) Letzter Arbeitstag vor oder erster Arbeitstag nach einem Feiertag Maßgeblich für die Frage, welcher Tag der letzte Arbeitstag vor oder der erste Arbeitstag nach einem Feiertag ist, sind nicht die betrieblichen Arbeitszeiten. Entscheidend ist vielmehr, an welchen Tagen gerade der betroffene Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, also die individuelle Arbeitszeit.241 Verletzt der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht an einem Tag, der zugleich der erste individuelle Arbeitstag nach und der letzte individuelle Arbeitstag vor einem gesetzlichen Feiertag ist, greift der Anspruchsausschluss für beide Feiertage.242 b) Unentschuldigtes Fernbleiben Ein Fernbleiben des Arbeitnehmers von der Arbeit ist unter zwei Voraussetzungen als unentschuldigt zu qualifizieren: Zum einen muss objektiv für den Arbeitnehmer eine Pflicht zur Erbringung seiner Arbeitspflicht bestehen und er dieser nicht nachkommen.243 Zum anderen muss dem Arbeitnehmer subjektiv die 238 MünchArbR-Boewer § 71 Rn. 3; Schmitt § 2 EFZG Rn. 28; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 10; a. A. Treber § 2 EFZG Rn. 28, der grundsätzlich auf den Betriebssitz abstellt, es sei denn, der Arbeitnehmer erbringt seine Arbeitsleistung längerfristig in einem anderen Bundesland. 239 RABl. 1940 I, S. 125. 240 BAG 28.10.1966 – 3 AZR 186/66, AP Nr. 23 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; MüKoBGB-Müller-Glöge § 2 EFZG Rn. 34; Schmitt § 2 EFZG Rn. 125; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 42. 241 MünchArbR-Boewer § 71 Rn. 12; Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 88; MüKoBGB-Müller-Glöge § 2 EFZG Rn. 36; Schmitt § 2 EFZG Rn. 130. 242 MünchArbR-Boewer § 71 Rn. 12; MüKoBGB-Müller-Glöge § 2 EFZG Rn. 36; Schmitt § 2 EFZG Rn. 132; Treber § 2 Rn. 70; a. A. Krüger RdA 1959, S. 424, der für den Verlust nur einer Feiertagsvergütung plädiert. 243 BAG 28.10.1966 – 3 AZR 186/66, AP Nr. 23 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 95 f.; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 46; vgl. ferner Schmitt § 2 EFZG Rn. 145 f.

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Arbeitsversäumnis vorzuwerfen sein.244 Insoweit ist ein Verschulden des Arbeitnehmers erforderlich, das allerdings nach zum Teil vertretener Ansicht auch darin liegen können soll, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Entschuldigungsgrund nicht unverzüglich mitteilt.245 Diese zusätzliche Anforderung an das Verhalten des Arbeitnehmers lasse sich zwar dem Gesetz nicht entnehmen, könne aber mit einer analogen Anwendung des § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG oder mit der Konstruktion einer entsprechenden arbeitsvertraglichen Pflicht begründet werden.246 Die Analogie zu § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG überzeugt nicht.247 Deren Rechtsfolge soll der Fortfall des Vergütungsanspruchs nach § 2 Abs. 3 EFZG sein. Bei unmittelbarer Anwendung hingegen verliert der Arbeitnehmer seinen Entgeltfortzahlungsanspruch nicht. Vielmehr kommen lediglich Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Betracht.248 Da die analoge Anwendung einer Vorschrift keine weitergehenden Rechtsfolgen erzeugen kann als ihre unmittelbare Anwendung,249 hilft eine Analogie an dieser Stelle nicht weiter. Auch die Konstruktion einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht des Arbeitnehmers zur unverzüglichen Mitteilung des Entschuldigungsgrundes ist abzulehnen: Zwar ließe sich – entgegen einiger anderslautender Stimmen in der Literatur250 – dieses Erfordernis noch mit dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 EFZG vereinbaren. Diese Vorschrift kann auch so gelesen werden, dass der Arbeitnehmer sein Fernbleiben von der Arbeit beim Arbeitgeber entschuldigen muss, um den Anspruchsausschluss zu verhindern. Das setzte begrifflich eine Mitteilung des Entschuldigungsgrunds an den Arbeitgeber voraus. Indes ist eine solche Lesart mit dem Zweck des Anspruchsausschlusses nicht in Einklang zu bringen.251 Dieser liegt, wie oben252 ausgeführt, in der Verhinderung einer eigenmächtigen Freizeitverlängerung durch den Arbeitnehmer. Eine solche eigenmächtige Verlängerung liegt 244 BAG 28.10.1966 – 3 AZR 186/66, AP Nr. 23 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 95, 97; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 46; Schmitt § 2 EFZG Rn. 145. 245 H.M., vgl. BAG 14.6.1957 – 1 AZR 97/56, AP Nr. 2 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; Schmitt § 2 EFZG Rn. 145, 149 f. 246 Schmitt § 2 EFZG Rn. 150. 247 Ebenfalls ablehnend Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 98; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 47; Treber § 2 Rn. 73; vgl. auch MüKoBGB-Müller-Glöge § 2 EFZG Rn. 35. 248 Vgl. zu den Rechtsfolgen einer Verletzung der Mitteilungspflicht Schmitt § 5 EFZG Rn. 175 ff. 249 Das zeigt sich schon daran, dass die Analogie ein Fall der Anwendung des Gleichheitssatzes ist, vgl. Zippelius Methodenlehre, S. 55 f. 250 Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 98; Treber § 2 Rn. 73. 251 Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 98; Treber § 2 Rn. 73; vgl. auch MünchArbR-Boewer § 71 Rn. 14. 252 Siehe oben unter § 5 D.III.3.

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aber gerade nicht vor, wenn der Arbeitnehmer es lediglich unterlässt, dem Arbeitgeber den Entschuldigungsgrund mitzuteilen. Folglich kann ein Verschulden des Arbeitnehmers nicht allein damit begründet werden, dass er es unterlässt, dem Arbeitgeber den Grund für die Arbeitsversäumnis mitzuteilen. c) Umfang des Anspruchsausschlusses Sind die Voraussetzungen des Anspruchsausschlusses gemäß § 2 Abs. 3 EFZG in der Weise erfüllt, dass der Arbeitnehmer während eines ganzen Arbeitstags unentschuldigt von der Arbeit fernbleibt, entfällt der Vergütungsanspruch für den ganzen Feiertag.253 Gleiches nimmt die heute ganz überwiegende Auffassung254 auch in Fällen an, in denen der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nur für den letzten Teil des dem Feiertag vorhergehenden Arbeitstages oder den ersten Teil des nächsten auf den Feiertag folgenden Arbeitstages unentschuldigt nicht erbringt. Dieser Ansatz überzeugt: § 2 Abs. 3 EFZG soll dem Arbeitnehmer jeglichen Anreiz zur eigenmächtigen Freizeitverlängerung nehmen. Diesen Zweck kann die Regelung nur erfüllen, wenn der Arbeitnehmer auch dann durch Wegfall seines Feiertagsentgelts sanktioniert wird, wenn er beispielsweise nur während der letzten beiden Stunden des letzten Arbeitstags vor dem Feiertag der Arbeit fernbleibt.255 IV. Rechtsfolgen Als Feiertagsentgelt erhält der Arbeitnehmer „das Arbeitsentgelt, das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte“. Die Höhe des Entgelts bestimmt sich dabei hinsichtlich des Zeit- wie des Geldfaktors nach dem Lohnausfallprinzip.256 Bei der Ermittlung des hypothetischen Entgelts sind – anders als im Falle der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die der Sonderregel des § 4 Abs. 1a EFZG unterliegt257 – auch hypothetische Überstunden zu berücksichtigen.258 253 MünchArbR-Boewer § 71 Rn. 14; ErfK-Dörner/Reinhard § 2 EFZG Rn. 25; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 49. 254 MünchArbR-Boewer § 71 Rn. 14; ErfK-Dörner/Reinhard § 2 EFZG Rn. 25; Schmitt § 2 EFZG Rn. 154; vgl. auch BAG 28.10.1966 – 3 AZR 186/66, AP Nr. 23 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; einschränkend Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 93, 99; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 50. 255 Ähnlich Schmitt § 2 EFZG Rn. 137. 256 Allgemeine Meinung, BAG 5.7.1979 – 3 AZR 173/78, AP Nr. 33 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 58; Matthes Lohnzahlung Rn. 290; Schmitt § 2 EFZG Rn. 63; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 32; der Sache nach auch BAG 19.4.1989 – 5 AZR 248/88, AP Nr. 62 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG. 257 Vgl. hierzu oben § 5 C.IV. 258 Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 66; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 33; Schmitt § 2 EFZG Rn. 80–82; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 35.

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E. Vergütungsanspruch bei vorübergehender Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB) I. Systematische Einordnung In § 616 S. 1 BGB ist geregelt, dass der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig wird, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Bei der Vorschrift handelt es sich nach überwiegender Meinung nicht um eine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern um eine Rückausnahme zu § 326 Abs. 1 BGB, wodurch der originäre Entgeltanspruch aus dem Arbeitsvertrag i.V. m. § 611 Abs. 1 BGB aufrechterhalten wird.259 Für diese Sichtweise spricht bereits der Wortlaut („der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht [. . .] verlustig“). In systematischer Hinsicht lässt sich für eine anspruchserhaltende Norm zudem anführen, dass § 616 S. 1 BGB die „Preisgefahr“ regelt.260 Aus der Sicht des Arbeitgebers handelt es sich dabei um die Gefahr, die Gegenleistung (= Entgeltzahlung) an den Arbeitnehmer erbringen zu müssen, ohne die Leistung des Arbeitnehmers zu erhalten.261 Diese Gegenleistung besteht aber gerade in der originären arbeitsvertraglichen Vergütung und nicht in einem Surrogat, das auf einer eigenständigen Anspruchsgrundlage beruht. Auch die historisch-genetische Auslegung der Norm deutet in dieselbe Richtung: Bereits der historische Gesetzgeber des BGB vom 1. Januar 1900 hob den systematischen Zusammenhang zwischen § 616 S. 1 BGB und dem heute in § 326 Abs. 1 BGB verankerten Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ hervor.262 Aus den genannten Gründen ist § 616 S. 1 BGB als anspruchserhaltende Norm zu qualifizieren. II. Telos § 616 S. 1 BGB soll die Rechtsfolgen des § 326 Abs. 1 BGB in Fällen außer Kraft setzen, in denen der Arbeitnehmer für einen kürzeren Zeitraum die Arbeitsleistung nicht erbringen kann, ohne dass eine der beiden Vertragsparteien die Unmöglichkeit zu vertreten hat.263 Dadurch wird aus Billigkeitserwägungen die

259 BGH 20.6.1974 – III ZR 27/73, AP Nr. 1 zu § 4 LohnfortzahlungsG; BAG 22.1.2009 – 6 AZR 78/08, AP Nr. 2 zu § 29 TvöD; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 3; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 157; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 20 ff.; a. A. Sieg JZ 1954, S. 338; ebenso noch ohne nähere Begründung BAG 18.1.2001 – 6 AZR 492/ 99, AP Nr. 8 zu § 52 BAT. 260 MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 3. 261 Vgl. zur Preisgefahr im Kaufrecht Oetker/Maultzsch Vertragliche Schuldverhältnisse § 2 Rn. 375 ff. 262 Mugdan Motive II, S. 258.

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Existenzgrundlage des Arbeitnehmers gesichert.264 Während der historische Gesetzgeber im Jahre 1900 als Motivation hierfür „sozialpolitische Rücksichten“ und „Gründe der Humanität“265 anführte, verstehen darauf aufbauend heute viele Stimmen die Norm als Ausprägung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.266 Gegen diesen Ansatz spricht indes in systematischer Hinsicht § 619 BGB: Aus dieser Vorschrift ergibt sich im Umkehrschluss, dass § 616 S. 1 BGB abdingbar ist. Mit dieser Konzeption des Gesetzgebers lässt sich ein Verständnis des § 616 S. 1 BGB als Ausdruck der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers kaum in Einklang bringen, da diese nicht der Disposition der Parteien unterliegen kann.267 Zudem gilt § 616 S. 1 BGB kraft seiner systematischen Stellung im Titel über Dienstverträge nicht nur für Arbeitsverhältnisse, sondern für alle Dienstverhältnisse. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist aber eine Rechtsfigur, die gerade den spezifischen Besonderheiten des Arbeitsrechts entspringt, so dass sie § 616 S. 1 BGB für sonstige Dienstverhältnisse nicht hinreichend erklären kann.268 Daher ist es überzeugender, einer neueren Gegenansicht zu folgen. Danach ist die Überlegung maßgeblich, dass personengebundenen Tätigkeiten das Risiko eines Ausfalls stets immanent ist. In Anlehnung an die allgemeine schuldrechtliche Regel „minima non curat praetor“ ist es sachgerecht, unerhebliche Verhinderungen des Dienstpflichtigen als bereits bei der Bemessung des Entgelts einkalkuliert und damit hinsichtlich der Gegenleistung als unbeachtlich zu behandeln.269 III. Tatbestand 1. In der Person des Arbeitnehmers liegender Grund § 616 S. 1 BGB erfordert einen in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund für dessen Leistungsverhinderung. Ein solcher kann allein in subjektiven und persönlichen Leistungshindernissen bestehen.270 Das bedeutet zwar nicht, 263 MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 1; Bamberger/Roth-Fuchs § 616 Rn. 1; SoergelKraft (12. Auflage) § 616 Rn. 2; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 1; vgl. auch Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 36 Rn. 1. 264 MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 2; vgl. auch MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 1. 265 Mugdan Motive II, S. 258. 266 BAG (GS) 17.12.1959 – GS 2/59, AP Nr. 21 zu § 616 BGB; Erman-Belling § 616 Rn. 1a; Bamberger/Roth-Fuchs § 616 Rn.1; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 616 Rn. 2; kritisch Staudinger-Oetker § 616 Rn. 11 ff. 267 MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 2; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 1; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 13, 141. 268 MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 2, Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 1; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 12. 269 MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 2; Dornbusch/Fischermeier/Löwisch-Kamanabrou § 616 BGB Rn. 2; v. Koppenfels NZS 2002, S. 241, 242; Henssler/Willemsen/ Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 1; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 15. 270 BAG 8.12.1982 – 4 AZR 134/80, AP Nr. 58 zu § 616 BGB; MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 10; Bamberger/Roth-Fuchs § 616 Rn. 6; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 17.

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dass die Gründe für den Arbeitsausfall gerade in den persönlichen Eigenschaften des Betroffenen zu finden sein müssen.271 Wohl aber muss es sich um Umstände aus der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers handeln, die gerade nicht am Betrieb anknüpfen und auch nicht mehrere oder alle Arbeitnehmer eines Betriebes betreffen.272 Folglich sind insbesondere die Pflege erkrankter Familienangehöriger und Lebenspartner, Familienereignisse, die Teilnahme an Prüfungen sowie die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten (zum Beispiel die Einberufung zum Schöffen) von § 616 S. 1 BGB erfasst.273 Auch während der Zeit, die der Arbeitnehmer nach § 629 BGB mit der Stellensuche verbringt, greift § 616 S. 1 BGB ein.274 Objektive Leistungshindernisse sind hingegen nicht erfasst.275 Dazu gehören sowohl solche Arbeitshindernisse, die auf gesamtgesellschaftlichen Umständen beruhen wie politische Unruhen oder Kriegseinwirkungen,276 als auch betriebsspezifische Umstände wie ein behördliches Betriebsverbot wegen SmogAlarms.277 Auch das Wegerisiko, also das Risiko des Arbeitnehmers, den Arbeitsplatz wegen Verkehrsbehinderungen nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen, fällt nicht unter § 616 S. 1 BGB.278 Bei Gleitzeitarbeit wird nach jüngster BAG-Rechtsprechung eine Verhinderung von § 616 S. 1 BGB nur erfasst, wenn sie während der Kernarbeitszeit erfolgt.279

271 ErfK-Dörner/Preis § 616 BGB Rn. 3; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 17; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 53. 272 Vgl. auch BAG 8.9.1982 – 5 AZR 283/80, AP Nr. 59; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 29; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 17. 273 Vgl. zu diesen und weiteren Beispielen MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 14; Bamberger/Roth-Fuchs § 616 Rn. 7; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 616 Rn. 13 ff.; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 56 ff.; zur Pflege des erkrankten Kindes des Arbeitnehmers vgl. Brose NZA 2011, S. 719 ff. 274 BAG 13.11.1969 – 4 AZR 35/69, AP Nr. 41 zu § 616 BGB; MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 14; Geißler Lohnanspruch, S. 125. Aus § 629 BGB selbst folgt nur ein Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht, nicht aber eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers für diese Zeit. Insoweit muss der Arbeitnehmer auf § 616 BGB zurückgreifen, vgl. Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 629 Rn. 2. 275 MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 14; ErfK-Dörner/Preis § 616 BGB Rn. 3; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 18, 52; jurisPK-BGB-Legleitner § 616 Rn. 4; a. A. Moll RdA 1980, S. 138 ff. 276 MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 14; Diller/Winzer DB 2001, S. 2094, 2095; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 52; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 35. 277 MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 14; jurisPK-BGB-Legleitner § 616 Rn. 5; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 76. 278 BAG 8.12.1982 – 4 AZR 134/80, AP Nr. 58 zu § 616 BGB; MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 14; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 76; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 52; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 29. 279 BAG 22.1.2009 – 6 AZR 78/08, AP Nr. 2 zu § 29 TvöD; jurisPK-BGB-Legleitner § 616 Rn. 10; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 616 Rn. 2; Bamberger/RothFuchs § 616 Rn. 2.

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Außerhalb dieser Zeit ist der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet.280 § 616 S. 1 BGB greift erst ein, wenn die Verhinderung zwar außerhalb der Kernarbeitszeit liegt, aber ein derartiges Ausmaß annimmt, dass sie zwingend auch das Gleitzeitfenster oder wenigstens einen Teil davon umfasst.281 In diesen Fällen kann der Arbeitnehmer keine Dispositionen treffen, die es ihm erlauben, den Arbeitsausfall zu vermeiden. 2. Verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit a) Begriff der „Verhältnismäßigkeit“ Weiterhin darf die Zeit des Arbeitsausfalls „verhältnismäßig“ nicht erheblich sein. Problematisch ist, wozu diese Zeit ins Verhältnis gesetzt werden soll. Eine Ansicht versteht dieses Tatbestandsmerkmal „ergebnisbezogen“.282 Um die Verhältnismäßigkeit der Zeit des Arbeitsausfalls beurteilen zu können, zieht diese Auffassung den Grund des Arbeitsversäumnisses und dessen Vorhersehbarkeit heran. Im Ergebnis werden die Interessen des Arbeitgebers an der Erträglichkeit des Arbeitsausfalls gegen die des Arbeitnehmers an der Anerkennung der Arbeitsverhinderung abgewogen.283 Die überwiegende Ansicht vertritt demgegenüber eine „belastungsbezogene“ Betrachtungsweise.284 Dazu setzt sie die Zeit des Arbeitsausfalls zur Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses ins Verhältnis, wobei sowohl die bereits verstrichene als auch die noch zu erwartende Laufzeit des Arbeitsvertrags zu berücksichtigen sind.285 Daraus folgt, dass bei langjährigen Arbeitsverhältnissen auch längere Zeiträume noch als unerheblich einzustufen sein können. Absolute Höchstgrenzen hat die Rechtsprechung insoweit nicht gezogen. In der Literatur wird vertreten, dass in Anlehnung an § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und § 19 Abs. 1 Nr. 2 b) BBiG die Höchstgrenze bei sechs Wochen anzusetzen ist.286 280

BAG 22.1.2009 – 6 AZR 78/08, AP Nr. 2 zu § 29 TvöD. BAG 22.1.2009 – 6 AZR 78/08, AP Nr. 2 zu § 29 TvöD; Bamberger/Roth-Fuchs § 616 Rn. 2. 282 MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 18; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 60; Henssler/ Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 41; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 96; wohl auch Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 616 Rn. 3; Kittner/Zwanziger/DeinertSchoof § 36 Rn. 6. 283 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 96; ähnlich ErfK-Dörner/Preis § 616 BGB Rn. 10a. 284 BAG (GS) 17.12.1959 – GS 2/59, AP Nr. 21 zu § 616 BGB; BAG 13.11.1969 – 4 AZR 35/69, AP Nr. 41 zu § 616 BGB; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 30–32; Hueck/ Nipperdey Arbeitsrecht I, S. 333 f.; jurisPK-BGB-Legleitner § 616 Rn. 16; SoergelKraft (12. Auflage) § 616 Rn. 22; Nikisch Arbeitsrecht I, S. 616; einschränkend ErfKDörner/Preis § 616 BGB Rn. 10a. 285 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 30; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 616 Rn. 22; Nikisch Arbeitsrecht I, S. 616. 286 Vgl. Haase, GmbHR 2005, 1260, 1266; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 60; vgl. ferner Staudinger-Oetker § 616 Rn. 93. 281

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Für die ergebnisbezogene Betrachtung spricht, dass sie eine flexible Berücksichtigung des spezifischen Grunds für den Arbeitsausfall ermöglicht. Die belastungsbezogene Betrachtung hingegen tendiert dazu, alle Gründe unabhängig von ihrer Bedeutung gleich zu behandeln, was im Einzelfall zu ungerechten Ergebnissen führen kann. Allerdings muss auch der ergebnisbezogenen Betrachtungsweise mit Vorbehalten begegnet werden. Zwar überzeugt es nicht, wenn Gutzeit287 der ergebnisbezogenen Betrachtung entgegenhält, dass diese nicht die ausgefallene zur vertraglich geschuldeten Arbeitszeit ins Verhältnis setzt, obwohl § 616 S. 1 BGB eben das verlange. Der Wortlaut der Norm nennt gerade keinen Bezugspunkt, zu dem die ausgefallene Zeit ins Verhältnis zu setzen ist, und es ist keineswegs zwingend, das vom Gesetzgeber verwendete Wort „Zeit“ auf die vertraglich geschuldete Arbeitszeit zu beziehen. Wohl aber lässt sich gegen die ergebnisbezogene Betrachtungsweise einwenden, dass sie bei kurzfristigen Dienstverhältnissen zu unbilligen Ergebnissen gelangt.288 Zu einer derartigen Situation kann es kommen, wenn der Dienstverpflichtete aufgrund des in seiner Person liegenden Grundes seine Leistung für die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses nicht erbringen kann. Handelt es sich dabei um einen besonders wichtigen Grund (etwa: lebensbedrohliche Erkrankung eines nahen und pflegebedürftigen Angehörigen), ist nach der ergebnisbezogenen Auffassung konsequenterweise dem nicht leistenden Dienstverpflichteten die gesamte Vergütung zu zahlen. Ein solches Ergebnis kann angesichts der in vollem Umfang ausgebliebenen Leistung nicht überzeugen. Die belastungsbezogene Betrachtungsweise hingegen löst diese Fälle angemessen dahingehend, dass keine Vergütung zu zahlen ist, da der Arbeitsausfall eine im Verhältnis zur Gesamtdauer des Dienstverhältnisses erhebliche – nämlich die gesamte – Zeit erfasst. Auch lässt sich gegen die ergebnisbezogene Auffassung anführen, dass sie durch die ihr immanente Interessenabwägung ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit herbeiführt.289 Zwar erzielt auch die belastungsbezogene Ansicht ihre Ergebnisse nicht mit mathematischer Genauigkeit. Zumindest aber setzt sie zwei konkrete Zeiträume zueinander ins Verhältnis und ist so für den Rechtsanwender leichter zu handhaben als die ergebnisbezogene Betrachtung. Damit wird deutlich, dass beide Auffassungen unter Unzulänglichkeiten leiden. Was die ergebnisbezogene gegenüber der belastungsbezogenen Betrachtung in vielen Fällen an Einzelfallgerechtigkeit gewinnt, geht auf Kosten der Rechtssicherheit sowie – in vielen Fällen von Kurzzeit-Dienstverhältnissen – der Billigkeit des Ergebnisses. Vorzugswürdig ist deswegen eine Kombination beider Ansätze.290 Grundsätzlich ist unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit der be287

Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 31. Insoweit zutreffend Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 31. 289 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 31; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 616 Rn. 22; a. A. offenbar Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 41. 288

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lastungsbezogene Ansatz anzuwenden. Indes darf im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit bei der Ermittlung der Verhältnismäßigkeit nicht lediglich starr auf die Dauer der Arbeitsverhinderung und des gesamten Arbeitsverhältnisses abgestellt werden. Stattdessen ist im Einzelfall als weiterer Gesichtspunkt auch die Bedeutung des Verhinderungsgrunds für den Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Man kann insoweit auch davon sprechen, dass zwar eine Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinne der ergebnisbezogenen Betrachtung vorgenommen wird, dabei aber die Dauer von Arbeitsausfall und Arbeitsverhältnis der wichtigste (und im Regelfall der einzig maßgebliche) Gesichtspunkt ist. b) Rechtsfolgen bei verhältnismäßig erheblichem Arbeitsausfall Sofern die Zeit des Arbeitsausfalls nach dem soeben dargelegten Maßstab als verhältnismäßig erheblich zu qualifizieren ist, entfällt die Pflicht des Arbeitgebers zur Fortzahlung der Vergütung vollständig und nicht nur hinsichtlich des die Verhältnismäßigkeit überschreitenden Teils.291 Die „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit des Arbeitsausfalls“ ist nicht als Begrenzung auf Rechtsfolgenseite, sondern als Tatbestandsmerkmal zu verstehen.292 Das ergibt sich daraus, dass § 616 S. 1 BGB seinem Zweck nach nur für zeitlich begrenzte Sachverhalte eine Entgeltfortzahlung statuieren soll. 3. Kein Verschulden des Arbeitnehmers § 616 S. 1 BGB setzt weiterhin voraus, dass der Arbeitnehmer „ohne sein Verschulden“ an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert war. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.293 4. Kein vertraglicher Ausschluss Schließlich darf § 616 BGB nicht vertraglich abbedungen sein, was nach allgemeiner Meinung sowohl tarif- als auch individualvertraglich möglich ist.294 290 Vgl. zum Folgenden ErfK-Dörner/Preis § 616 BGB Rn. 10a.; die ebenfalls einen variablen Maßstab anlegen wollen; Ähnliches klingt im Ergebnis bei Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 32 an; vgl. ferner Bamberger/Roth-Fuchs § 616 Rn. 9. 291 BAG (GS) 18.12.1959 – GS 8/58, AP Nr. 22 zu § 616 BGB; BGH 30.11.1978 – III ZR 43/77, AP Nr. 1 zu § 49 BSeuchG; MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 19; Bamberger/Roth-Fuchs § 616 Rn. 9; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 61; jurisPK-BGB-Legleitner § 616 Rn. 16; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 91. 292 MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 19; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 61; StaudingerOetker § 616 Rn. 90. 293 Siehe oben § 5 C.III.3. 294 BAG 6.12.1956 – 2 AZR 192/56, AP Nr. 8 zu § 616 BGB; BAG 25.10.1973 – 5 AZR 156/73, AP Nr. 43 zu § 616 BGB; BAG 8.12.1982 – 4 AZR 134/80, AP Nr. 58

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Die Abdingbarkeit ergibt sich im Umkehrschluss aus § 619 BGB, der lediglich §§ 617 f. BGB, nicht aber § 616 BGB zu zwingendem Recht erklärt. IV. Rechtsfolgen Liegen die Voraussetzung des § 616 S. 1 BGB vor, behält der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber. Die Höhe der Vergütung bemisst sich hinsichtlich des Zeit- und des Geldfaktors nach dem Lohnausfallprinzip.295 Zu beachten ist § 616 S. 2 BGB. Danach muss sich der Arbeitnehmer auf seinen Vergütungsanspruch den Betrag anrechnen lassen, der ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt. Leistungen aus freiwillig abgeschlossenen Versicherungen sind hingegen nicht anzurechnen.296 Bemerkenswert ist schließlich noch, dass § 616 S. 1 BGB im Gegensatz zu einigen anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen wie etwa § 1 BUrlG297 allein die Aufrechterhaltung der Gegenleistungspflicht des Arbeitgebers regelt, aber selbst keine Aussage über das Schicksal der Leistungspflicht des Arbeitnehmers trifft. Der Fortfall der Leistungspflicht ergibt sich unmittelbar aus § 275 Abs. 1 BGB, wenn der Arbeitnehmer die Leistung aufgrund der vorübergehenden Verhinderung tatsächlich nicht erbringt.298

F. Anspruch auf Urlaubsentgelt (vgl. § 1 BUrlG) I. Systematische Einordnung In § 1 BUrlG ist niedergelegt, dass jedem Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr ein Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub zusteht. Dieser Anspruch beinhaltet zwei wesentliche Elemente, zum einen die Freistellung von Arbeitspflicht und

zu § 616 BGB; MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 6; ErfK-Dörner/Preis § 616 BGB Rn. 13; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 141; a. A. Dersch RdA 1952, S. 53, 56 f. 295 MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 62; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 83; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 157; zum Begriff des Lohnausfallprinzips allgemein siehe oben § 4 B.I. 296 RAG 16.1.1940 – RAG. 140/39, ARS 38, S. 139, 145; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 63; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 47; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 125. 297 Der Anspruch gemäß § 1 BUrlG umfasst nach zutreffender Auffassung neben dem Anspruch auf Urlaubsentgelt auch den Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht, vgl. dazu noch unten § 5 F.I. 298 Vgl. MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 16; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 46; vgl. auch Soergel-Kraft (12. Auflage) § 616 Rn. 2.

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zum anderen die Vergütung. Beide ergeben sich unmittelbar aus § 1 BUrlG, während § 11 BUrlG nur die Höhe des Entgelts regelt.299 Diese Ausgestaltung trifft aber noch keine Aussage darüber, ob es sich bei § 1 BUrlG um eine eigenständige Anspruchsgrundlage oder um eine anspruchserhaltende Norm handelt. Das Gesetz beantwortet diese Frage nicht eindeutig. In Rechtsprechung und Literatur werden verschiedene Ansichten vertreten. Das RAG war der Meinung, der Urlaub setze sich aus zwei Ansprüchen zusammen, einem Anspruch auf Freizeit und einem Anspruch auf die Vergütung (sogenannte Theorie vom Doppelanspruch). Beide sollten ihre Grundlage in § 1 BUrlG finden.300 Die ältere Rechtsprechung des BAG sowie ein Teil der Literatur hingegen verstehen den Anspruch auf Urlaubsentgelt als Teil eines einheitlichen, vom vertraglichen Arbeitsentgelt gelösten Anspruchs auf bezahlte Freizeitgewährung und verorten diesen unmittelbar in § 1 BUrlG (sogenannte Lehre vom Einheitsanspruch).301 Demgegenüber stehen die neuere Rechtsprechung und ein großer Teil der Literatur auf dem Standpunkt, bei dem Urlaubsanspruch handele es sich nur um einen Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht, während sich der Entgeltanspruch für die Urlaubszeit aus dem Arbeitsvertrag ergebe.302 Das Urlaubsentgelt sei danach nichts anderes als das „normale“ Arbeitsentgelt. Die letztgenannte und heute herrschende Meinung verdient den Vorzug. Gegen die Lehre vom Einheitsanspruch spricht insbesondere, dass sie dogmatische Unstimmigkeiten mit sich bringt. Zu Recht weisen Leinemann/Linck darauf hin, dass es widersprüchlich ist, ein und denselben Anspruch zugleich als Zahlungsund als Freistellungsanspruch zu verstehen. Zudem gibt es im Wortlaut des § 1 BUrlG keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Arbeitnehmer im Sinne der Theorie vom Doppelanspruch zwei getrennte Ansprüche auf Freistellung und Entgelt zustehen sollen. Vielmehr ist nur von einem Anspruch auf „bezahlten Erholungsurlaub“ die Rede. Da aber ein einheitlicher Anspruch, der auf beide 299 Ebenso ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 1; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 1; vgl. auch die Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 4/207, S. 6, sowie den Ausschussbericht zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 4/785, S. 4, wonach § 11 BUrlG lediglich für die Berechnung maßgeblich ist; vgl. ferner HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 2. 300 RAG 11.1.1930 – RAG. 351/29, ARS 8, S. 280, 284; RAG 24.11.1937 – RAG. 169/37; ARS 31, S. 273, 274 f.; so auch später noch Streblow Erholungsurlaub, S. 55–57. 301 BAG 22.6.1956 – 1 AZR 296/54, AP Nr. 9 zu § 611 Urlaubsrecht; HK-BUrlGHohmeister Vorbemerkungen Rn. 5, § 1 BUrlG Rn. 2; Neumann/Fenski § 1 Rn. 68 f.; Rüthers/Beninca Anmerkung zu BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, AP Nr. 22 zu § 7 BUrlG; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 80. 302 BAG 28.1.1982 – 6 AZR 571/79, AP Nr. 11 zu § 3 BUrlG Rechtsmissbrauch; BAG 8.3.1984 – 6 AZR 600/82, AP Nr. 14 zu § 3 BUrlG Rechtsmissbrauch; HK-ArbRHolthaus § 1 BUrlG Rn. 6 f.; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 25 f.; HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 1; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 2; wohl auch v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 303; Arnold/Tillmanns-Thiel-Koch § 11 Rn. 2.

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Elemente zugleich gerichtet ist, dogmatisch kaum begründet werden kann, ist es vorzugswürdig anzunehmen, dass § 1 BUrlG einen Anspruch auf Freistellung gewährt und zugleich den Anspruch auf das Arbeitsentgelt aufrecht erhält. Dagegen lässt sich auch nicht überzeugend einwenden, der Charakter des § 1 BUrlG als eigenständige Anspruchsgrundlage ergebe sich unmittelbar aus der gesetzlichen Systematik der §§ 1, 11 BUrlG.303 Die systematische Trennung zwischen dem Urlaubsanspruch selbst (geregelt in § 1 BUrlG) und der Berechnung des Entgelts (geregelt in § 11 BUrlG) sagt nichts darüber aus, aus welcher Norm der Entgeltanspruch folgt. Auch aus dem Wortlaut des Gesetzes folgt nichts anderes.304 Dass § 1 BUrlG vom „bezahlten Erholungsurlaub“ spricht, bedeutet nicht, dass sich der Rechtsgrund für die Bezahlung zwangsläufig aus § 1 BUrlG selbst ergeben muss und nicht aus dem Arbeitsvertrag i.V. m. § 611 Abs. 1 BGB folgen kann. Durch diese Formulierung soll lediglich der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers für die Zeit des Urlaubs gesichert werden, indem sie den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ aus § 326 Abs. 1 S. 1 BGB für die Urlaubszeit außer Kraft setzt.305 Daran ändert auch nichts, dass in § 11 BUrlG vom „Urlaubsentgelt“ die Rede ist.306 Dieser Begriff bezieht sich auf die Vergütung während der Urlaubszeit, trifft aber keine Aussage darüber, in welcher Vorschrift der diesbezügliche Rechtsgrund zu finden ist. Auch der Zweck des Gesetzes, nämlich dem Arbeitnehmer eine Erholungsmöglichkeit zu verschaffen,307 erfordert es keineswegs, den Entgeltanspruch in § 1 BUrlG zu verorten. Für die Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers ist es allein von Bedeutung, dass er für die Urlaubszeit ein Entgelt erhält, nicht aber, worin dieses seine Rechtsgrundlage findet. Nach alledem sprechen die besseren Argumente dafür, § 1 BUrlG nicht als eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern als Ausnahme von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB zu verstehen, die den originären arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch während der Urlaubszeit aufrechterhält. II. Telos Motiv des Gesetzes ist es, dem Arbeitnehmer die „Gelegenheit zur selbstbestimmten Erholung“ 308 zu geben. Die Erholung soll der Erhaltung und Wieder303 So aber HK-BUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 2; ähnlich Neumann/Fenski § 1 Rn. 69 unter Berufung auf eine untrennbare Verbindung beider Elemente. 304 BAG 8.3.1984 – 6 AZR 600/82, AP Nr. 14 zu § 3 BUrlG Rechtsmissbrauch; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 20; a. A. Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 80. 305 BAG 8.3.1984 – 6 AZR 600/82, AP Nr. 14 zu § 3 BUrlG Rechtsmissbrauch; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 20. 306 Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 20. 307 Siehe dazu sogleich § 5 F.II. 308 BAG 20.6.2000 – 9 AZR 405/99, AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG; ErfK-Gallner § 1 BUrlG Rn. 4; HK-BUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 10; Kohte BB 1984, S. 609, 611; Klein BB 1965, S. 712, 713 f.; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 3; vgl. auch HKArbR-Holthaus § 1 BUrlG Rn. 10.

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auffrischung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers dienen.309 Zu diesen Zwecken soll der Arbeitgeber den Arbeitnehmer jedes Jahr für eine bestimmte Dauer von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freistellen.310 In diesem Zusammenhang ist auf drei Umstände besonders hinzuweisen: Erstens ist es nicht erforderlich, dass sich der Arbeitnehmer tatsächlich während seines Urlaubs erholt, damit der Urlaub den Anforderungen des BUrlG genügt. Es kommt vielmehr nur darauf an, dass der Arbeitnehmer die Möglichkeit erhält, seine Freizeit selbstbestimmt zur Erholung zu nutzen.311 Zweitens ist der Arbeitnehmer keineswegs verpflichtet, sich im Urlaub tatsächlich zu erholen. Er darf vielmehr währenddessen sogar in den Grenzen des § 8 BUrlG einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Drittens schließlich kommt es für die Entstehung, den Bestand und die Erteilung des Urlaubs nicht auf ein konkretes Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers an. Dabei mag dahinstehen, ob rechtstechnisch ein solches Bedürfnis Voraussetzung für die Anspruchsentstehung ist, aber unwiderleglich vermutet wird,312 oder ob man von vornherein auf das Bedürfnis als Anspruchsvoraussetzung verzichtet.313 Zweck der Vergütung des Erholungsurlaubs ist es wiederum, den Arbeitnehmer für den betreffenden Zeitraum finanziell abzusichern und auf diese Weise zu verhindern, dass der Arbeitnehmer allein aus Sorge vor Entgelteinbußen die Gelegenheit zur Erholung nicht wahrnimmt. Ohne eine entsprechende Regelung stünde zu befürchten, dass viele Arbeitnehmer in erheblichem Umfang darauf verzichteten, Urlaub zu nehmen, um sich für die entsprechende Periode ein Einkommen zu sichern. Hingegen ist das sogenannte Lebensstandardprinzip nach zutreffender Ansicht kein Element des Zwecks der Regelungen des BUrlG.314 Dieses Prinzip, wonach ein Entgeltfortzahlungstatbestand vor allem die Aufrechterhaltung des Lebensstandards während der Zeit des Arbeitsausfalls sichern soll, ist schon aufgrund seiner Unbestimmtheit ungeeignet, als Leitlinie die Reich-

309 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 4/207, S. 3; ferner BAG 8.3.1984 – 6 AZR 600/82, AP Nr. 14 zu § 3 BUrlG Rechtsmissbrauch; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 4; Höpfner RdA 2013, S. 65, 66. 310 ErfK-Gallner § 1 BUrlG Rn. 4; HK-BUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 10. 311 BAG 8.3.1984 – 6 AZR 600/82, BAGE 45, S. 184, 197; HK-BUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 10; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 3; Matthes Lohnzahlung Rn. 608. 312 So MünchArbR-Leinemann (2. Auflage) § 89 Rn. 11; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 5; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 1 BUrlG Rn. 4. 313 MünchArbR-Düwell § 78 Rn. 4; wohl auch ErfK-Gallner § 1 BUrlG Rn. 5; HKBUrlG-Hohmeister Vorbemerkungen Rn. 2; Höpfner RdA 2013, S. 65, 65. 314 BAG 12.1.1989 – 8 AZR 404/87, AP Nr. 13 zu § 47 BAT; LAG Thüringen 8.5.2000 – 8 Sa 429/99 (zitiert nach juris); Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 15; Natzel § 11 Rn. 3; derselbe Anmerkung zu BAG 12.1.1989 – 8 AZR 404/87, SAE 1990, S. 267, 268; a. A. offenbar Staudinger-Richardi/Fischinger § 611 Rn. 1157; zumindest der Sache nach am Lebensstandardprinzip festhaltend Neumann/Fenski § 11 Rn. 10; offengelassen von BAG 14.1.1992 – 9 AZR 193/90 (zitiert nach juris).

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weite einer Entgeltfortzahlungsregelung zu bestimmen.315 Der Lebensstandard eines Arbeitnehmers hängt nicht allein von seinem Einkommen, sondern auch von seinem Ausgabeverhalten und seinen Finanzreserven ab.316 Das Lebensstandardprinzip benachteiligt besonders sparsame Arbeitnehmer. Es kann aber nicht das Ziel des Gesetzes sein, eine besonders verschwenderische Haushaltsführung zu privilegieren. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber mit der Sicherstellung eines vierwöchigen bezahlten Jahresurlaubs im Sinne des § 1 BUrlG auch europarechtlichen Vorgaben genügt. Zunächst war die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, einen entsprechenden Anspruch vorzusehen, in Art. 7 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung niedergelegt. Diese Bestimmung wurde später durch Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ersetzt, ohne dass damit eine inhaltliche Änderung verbunden gewesen wäre. III. Tatbestand Ein Anspruch auf Urlaubsentgelt für einen bestimmten Tag entsteht, wenn der Arbeitnehmer grundsätzlich Anspruch auf Urlaub nach dem BUrlG hat und es sich darüber hinaus bei dem konkreten Tag des Arbeitsausfalls um einen Urlaubstag handelt. 1. Grundsätzlicher Anspruch auf Urlaub nach dem BUrlG a) Persönlicher Anwendungsbereich des BUrlG Anspruch auf Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG haben nur Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG. Gemäß § 2 BUrlG gelten auch arbeitnehmerähnliche Personen als Arbeitnehmer im Sinne des BUrlG.317 b) Bedeutung des Kalenderjahrs Der gesamte Anspruch auf Jahresurlaub entsteht mit Beginn des Kalenderjahrs (1. Januar bis 31. Dezember).318 Diese Erkenntnis ist insbesondere wegen § 7 315

Ebenfalls kritisch Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 162. Vgl. Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 162. 317 HK-BUrlG-Hohmeister § 2 BUrlG Rn. 16 f.; Leinemann/Linck § 2 BUrlG Rn. 42 ff.; Arnold/Tillmanns-Tillmanns § 2 Rn. 21 ff.; vgl. auch Neumann/Fenski § 2 Rn. 70. 318 HK-BUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 5 ff.; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 924; Neumann/Fenski § 1 Rn. 6 ff.; Arnold/Tillmanns-Zimmermann § 1 BUrlG Rn. 14. 316

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Abs. 3 S. 1 BUrlG bedeutsam, wonach der Urlaub grundsätzlich in dem Kalenderjahr genommen und gewährt werden muss, auf das sich der Urlaubsanspruch bezieht. Eine Übertragung in das folgende Jahr ist nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 S. 2 und 3 BUrlG zulässig. Erforderlich sind dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe, die eine Übertragung rechtfertigen. c) Ablauf der Wartefrist Einen Anspruch auf Vollurlaub erwirbt der Arbeitnehmer erst, nachdem das Arbeitsverhältnis sechs Monate ununterbrochen bestanden hat, vgl. § 4 BUrlG. Der Zweck dieser Wartezeit besteht vor allem darin, den Arbeitgeber vor den Lasten einer umfangreichen Freistellung des Arbeitnehmers zu schützen, wenn beide Parteien erst kurze Zeit zusammenarbeiten und die wechselseitigen Beziehungen noch recht locker sind.319 Ist die Wartezeit in einem Kalenderjahr noch nicht erfüllt worden, weil das Arbeitsverhältnis erst in der zweiten Jahreshälfte begründet wurde oder vor erfüllter Wartezeit endet, kann der Arbeitnehmer lediglich Teilurlaub nach § 5 Abs. 1 a), b) BUrlG beanspruchen.320 Dabei erwirbt der Arbeitnehmer nach zutreffender Ansicht auch keinen aufschiebend bedingten Anspruch auf Vollurlaub, da der Urlaubsanspruch aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 4 BUrlG erst mit Ende der Wartezeit entsteht und vorher gar nicht existiert.321 Daneben ist in § 5 Abs. 1 c) BUrlG ein weiterer Fall des Teilurlaubs geregelt. Diese Vorschrift erfasst die Konstellation, dass die Wartezeit erfüllt ist, aber der Arbeitnehmer in der ersten Jahreshälfte aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. In allen drei Fällen kann der Arbeitnehmer als Teilurlaub für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in diesem Kalenderjahr ein Zwölftel des Jahresurlaubs beanspruchen. Gerade nicht in § 5 Abs. 1 BUrlG geregelt ist hingegen die Konstellation, dass der Arbeitnehmer die Wartezeit erfüllt hat und in der zweiten Jahreshälfte aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Da der Katalog des § 5 Abs. 1 BUrlG abschließend ist, verbietet sich in dieser Konstellation eine analoge Anwendung. Vielmehr hat der Arbeitnehmer dann einen Anspruch auf Vollurlaub im Umfang des § 3 Abs. 1 BUrlG.322 319 ErfK-Gallner § 4 BUrlG Rn. 1; HK-BUrlG-Hohmeister § 4 BUrlG Rn. 1; Neumann/Fenski § 4 Rn. 1. 320 Leinemann/Linck § 4 BUrlG Rn. 1; vgl. ferner ErfK-Gallner § 4 BUrlG Rn. 1, 2, § 5 BUrlG Rn. 5, 11; MünchArbR-Düwell § 78 Rn. 22 ff. 321 Leinemann/Linck § 4 BUrlG Rn. 1; ErfK-Gallner § 4 BUrlG Rn. 1. Daneben ist umstritten, ob während der Wartezeit ein Anwartschaftsrecht des Arbeitnehmers besteht, dafür Neumann/Fenski § 4 Rn. 6; HK-BUrlG-Hohmeister § 4 BUrlG Rn. 4; ablehnend hingegen ErfK-Gallner § 4 BUrlG Rn. 1; Leinemann/Linck § 4 BUrlG Rn. 2. 322 Leinemann/Linck § 5 BUrlG Rn. 3 f.; Neumann/Fenski § 5 Rn. 27–30; vgl. auch BAG 16.6.1966 – 5 AZR 21/65, AP Nr. 4 zu § 5 BUrlG.

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2. Konkreter Tag als Urlaubstag a) Keine Ausschöpfung des Urlaubskontingents Urlaub für einen bestimmten Kalendertag kann ein Arbeitnehmer nur begehren, sofern er sein Urlaubskontingent noch nicht ausgeschöpft hat. Die Dauer des Urlaubs regelt § 3 BUrlG. In dessen Absatz 1 ist festgelegt, dass der Urlaub jährlich mindestens 24 Werktage dauert. Den Parteien steht es darüber hinaus frei, durch vertragliche Vereinbarungen zugunsten des Arbeitnehmers abzuweichen.323 Eine Abweichung zuungunsten des Arbeitnehmers ist hingegen im Umkehrschluss zu § 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG selbst durch Tarifverträge nicht möglich.324 b) Kein Sonn- oder gesetzlicher Feiertag Ferner kommen bestimmte Kalendertage nicht als Urlaubstage in Betracht. In § 3 Abs. 1 BUrlG ist bestimmt, dass Urlaub nur an Werktagen genommen werden kann. Was unter Werktagen im Sinne des § 3 Abs. 1 BUrlG zu verstehen ist, regelt Abs. 2. Danach gelten als Werktage alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind. Gesetzliche Feiertage sind bundeseinheitlich gemäß Art. 2 Abs. 2 des Einigungsvertrags vom 31. August 1990325 der 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit sowie die in den Feiertagsgesetzen der einzelnen Bundesländer genannten Tage.326 Folglich können Sonn- und gesetzliche Feiertage keine Urlaubstage sein. In diesem Zusammenhang ist gesondert auf die Behandlung von arbeitsfreien Samstagen einzugehen. Die Intention des Gesetzgebers ging eindeutig dahin, dem Arbeitnehmer pro Kalenderjahr genau vier Wochen Mindesturlaub zukommen zu lassen.327 Zu diesem Ergebnis kommt man auch bei Anwendung des § 3 Abs. 1 BUrlG auf Arbeitsverhältnisse mit Sechs-Tage-Wochen.328 Die Mehrzahl der Arbeitnehmer arbeitet heute jedoch in einer Fünf-Tage-Woche, wobei regelmäßig der Samstag arbeitsfrei ist.329 Bei unveränderter Anwendung des § 3 Abs. 1 BUrlG müsste diesen Arbeitnehmern Urlaub für 24 Arbeitstage und damit 323 BAG 3.10.1972 – 5 AZR 209/72, AP Nr. 4 zu § 9 BUrlG; HK-BUrlG-Hohmeister § 3 BUrlG Rn. 2; Neumann/Fenski § 3 Rn. ff.; Staudinger-Richardi/Fischinger § 611 Rn. 1139. 324 HK-BUrlG-Hohmeister § 3 BUrlG Rn. 1; Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 76; Arnold/Tillmanns-Rambach § 3 BUrlG Rn. 34. 325 BGBl. 1990 II, S. 885, 890. 326 Vgl. die Übersicht bei Schmitt § 2 EFZG Rn. 2. 327 BT-Drs. 12/6990, S. 45; vgl. MünchArbR-Düwell § 78 Rn. 30; Arnold/Tillmanns-Rambach § 3 Rn. 8; vgl. ferner ErfK-Gallner § 3 BUrlG Rn. 3. 328 ErfK-Gallner § 3 BUrlG Rn. 4; HK-BUrlG-Hohmeister § 3 BUrlG Rn. 6. 329 ErfK-Gallner § 3 BUrlG Rn. 6; HK-BUrlG-Hohmeister § 3 BUrlG Rn. 7.

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für vier Wochen und 4 Tage gewährt werden. Das liefe der soeben beschriebenen Absicht des Gesetzgebers zuwider. Um dieses Resultat zu verhindern, rechnete das BAG zunächst den arbeitsfreien Samstag in den Urlaub hinein, so dass der Arbeitnehmer für eine gesamte arbeitsfreie Woche sechs Urlaubstage nehmen musste.330 Damit kam er insgesamt genau auf die „gewünschten“ vier Wochen Urlaub. Dieser Ansatz versagt indes, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht so legt, dass je genommener Urlaubswoche auch ein Samstag im Urlaubszeitraum liegt oder sich unmittelbar an einen solchen anschließt.331 Als Reaktion hierauf korrigiert die überwiegende Ansicht heute § 3 Abs. 1 BUrlG teleologisch dahingehend, dass Arbeitnehmern mit einer Fünf-Tage-Woche von vornherein nur ein Anspruch auf 20 Tage zusteht. Zu diesem Ergebnis gelangt man durch Anwendung einer weitgehend akzeptierten Umrechnungsformel.332 Danach werden die im Gesetz genannten 24 Werktage durch die Anzahl der dem gesetzgeberischen Vorstellungsbild entsprechenden Arbeitstage pro Woche, sprich sechs, geteilt. Das Ergebnis (vier) wird mit der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage des betreffenden Arbeitnehmers multipliziert. Bei einer Fünf-Tage-Woche erhält der Arbeitnehmer somit 20 Urlaubstage, was vier Wochen Urlaub entspricht.333 c) Gewährung durch den Arbeitgeber aa) Willenserklärung des Arbeitgebers Naturgemäß Anlass für Konflikte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bietet der Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer Urlaub erhält. Hier kollidieren die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers mit den persönlichen Interessen des Arbeitnehmers, etwa wenn dieser die Weihnachtsfeiertage arbeitsfrei mit der Familie verbringen oder während einer Nebensaison ein besonders günstiges Reiseangebot nutzen möchte. Der Arbeitgeber wiederum steht vor dem Problem, für den Urlaubszeitraum entweder einen Ersatz für den Arbeitnehmer beschäftigen oder den Betrieb während dieser Zeit einschränken zu müssen. Beides kann den Arbeitgeber vor erhebliche organisatorische Probleme stellen und sich als kostspielig erweisen. Einen Ausgleich dieser Interessen versucht der Gesetzgeber in § 7 BUrlG. Er weist dabei dem Arbeitgeber das Recht zu, den Urlaubszeitraum 330 BAG 7.2.1963 – 5 AZR 54/62, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Urlaub und Fünf-Tage Woche; BAG 7.2.1963 – 5 AZR 32/62, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Urlaub und Fünf-Tage Woche. 331 MünchArbR-Leinemann (2. Auflage) § 89 Rn. 60; Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 12. 332 BAG 27.1.1987 – 8 AZR 579/84, AP Nr. 30 zu § 13 BUrlG; BAG 22.10.1991 – 9 AZR 621/90, AP Nr. 6 zu § 3 BUrlG; BAG 20.6.2000 – 9 AZR 309/99, AP Nr. 15 zu § 3 BUrlG; BAG 8.5.2001 – 9 AZR 240/00, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Blumenbinder; Arnold/Tillmanns-Rambach § 3 Rn. 9; ErfK-Gallner § 3 BUrlG Rn. 8; HK-BUrlG-Hohmeister § 3 BUrlG Rn. 8; Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 16 f. 333 Vgl. exemplarisch BAG 7.8.2012 – 9 AZR 760/10, NZA 2013, S. 104, 105.

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festzulegen. Zugleich erlegt er ihm aber die Pflicht auf, sich nach den Wünschen des Arbeitnehmers zu richten, sofern dem nicht dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten Vorrang verdienen, entgegenstehen (vgl. § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG). Rechtstechnisch handelt es sich bei der Gewährung um eine Willenserklärung des Arbeitgebers.334 Gegebenenfalls ist der Erklärungswert durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont zu ermitteln. Zweifel bei der Auslegung, insbesondere hinsichtlich der Frage, welche Urlaubsansprüche durch eine Gewährung erfüllt werden sollen, gehen zu Lasten des Arbeitgebers.335 Ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Abgabe dieser Willenserklärung besteht nach allgemeinen rechtlichen Grundsätzen erst, wenn der Urlaubsanspruch entstanden und fällig geworden ist.336 Weigert sich der Arbeitgeber, den Urlaub zu gewähren, muss der Arbeitnehmer ihn auf Abgabe dieser Willenserklärung verklagen. Eine Selbstbeurlaubung sieht das BUrlG nicht vor.337 Auch wenn der Urlaubsanspruch auf das Kalenderjahrbezogen ist und erst am 1. Januar für das gesamte Kalenderjahr entsteht,338 kann der Arbeitgeber diesen Urlaub auch bereits im vorausgehenden Kalenderjahr wirksam gewähren.339 Andernfalls käme es zu großen praktischen Schwierigkeiten, weil Urlaub für die ersten Tage eines Kalenderjahres nicht wirksam im Voraus gewährt werden könnte. Diese Rechtsunsicherheit würde Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen belasten und liegt daher nicht in ihrem Interesse.340 bb) Dringende betriebliche Belange Als problematisch erweist es sich, eine griffige Definition des Begriffs der dringenden betrieblichen Belange im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG zu erarbeiten. Einerseits sind dringende betriebliche Belange in diesem Sinne nicht schon 334 BAG 23.1.1996 – 9 AZR 554/93, AP Nr. 10 zu § 5 BUrlG; LAG Rheinland-Pfalz 12.11.2009 – 10 Sa 437/09 (zitiert nach juris); Arnold/Tillmanns-Arnold § 7 Rn. 15; ErfK-Gallner § 7 BUrlG Rn. 4; MünchArbR-Düwell § 78 Rn. 40; Leinemann/Linck § 7 BUrlG Rn. 4; jüngst von einer „nichttypischen Willenserklärung“ sprechend BAG 17.5.2011 – 9 AZR 189/10, NZA 2011, S. 1032, 1034. 335 Vgl. BAG 17.5.2011 – 9 AZR 189/10, NZA 2011, S. 1032, 1034. 336 BAG 28.11.1990 – 8 AZR 570/89, AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Übertragung; Arnold/ Tillmanns-Arnold § 7 Rn. 11. 337 Arnold/Tillmanns-Arnold § 7 Rn. 29; ErfK-Gallner § 7 BUrlG Rn. 9; Matthes Lohnzahlung Rn. 680; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 7 BUrlG Rn. 16–18. 338 Vgl. bereits oben § 5 F.III.1.b). 339 BAG 17.5.2011 – 9 AZR 189/10, NZA 2011, S. 1032, 1033 f.; vgl. ferner ErfKGallner § 7 BUrlG Rn. 5. 340 Die Unzumutbarkeit der Situation für den Arbeitnehmer betonend BAG 17.5.2011 – 9 AZR 189/10, NZA 2011, S. 1032, 1034.

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immer dann betroffen, wenn die Abwesenheit des Arbeitnehmers zu Betriebsablaufstörungen führte, da es regelmäßig bei Abwesenheit eines Arbeitnehmers zu solchen Störungen kommen wird.341 Andererseits wird die Betroffenheit des Arbeitgebers in dringenden betrieblichen Belangen jedenfalls dann bejaht, wenn durch die urlaubsbedingte Abwesenheit des Arbeitnehmers ein erheblicher Schaden droht.342 Für alle Fälle, die zwischen diesen beiden Eckpunkten liegen, nimmt die überwiegende Ansicht eine Interessenabwägung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls vor.343 Dieses vage Begriffsverständnis wird durch Schinz in überzeugender Weise konkretisiert. Danach sollen betriebliche Belange „dringend“ im Sinne des § 7 Abs. 1 BUrlG sein, wenn nicht vorhersehbare Umstände zu Personalmangel führen und die Urlaubsgewährung zu einer zusätzlichen, dem Arbeitgeber nicht mehr zumutbaren Belastung führte.344 Zudem plädiert er in nachvollziehbarer Weise dafür, besondere Gegebenheiten der jeweiligen Branche zu berücksichtigen und nennt als Beispiele hierfür Saisonarbeit, Vorlesungs- oder Unterrichtszeiten in Bildungseinrichtungen und Zeiten besonders starker Inanspruchnahme, etwa im Gesundheitswesen während einer Grippeepidemie.345 cc) Vorrangige Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer sind dann bei der Urlaubsgewährung zu berücksichtigen, wenn diese Wünsche unter sozialen Gesichtspunkten Vorrang verdienen. Zur näheren Bestimmung dieses Begriffs könnte man erwägen, auf die in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG im Zusammenhang mit der Sozialauswahl abschließend aufgeführten vier Kriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung des Arbeitnehmers abzustellen. Dagegen spricht indes, dass § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG auf den Vergleich mehrerer Arbeitnehmer unter sozialen Gesichtspunkten zugeschnitten ist, während im Rahmen des § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG Sachverhalte verglichen werden, nämlich die Urlaubswünsche an sich. Dementsprechend lehnt die überwiegende Ansicht eine Übertragung der Wertungen des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG auf § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG zu Recht ab und definiert den Begriff der „sozialen Gesichtspunkte“ autonom 341 ErfK-Gallner § 7 BUrlG Rn. 18; HK-BUrlG-Goretzki § 7 BUrlG Rn. 20; Leinemann/Linck § 7 BUrlG Rn. 39; Kittner/Zwanziger/Deinert-Litzig § 49 Rn. 129; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 7 BUrlG Rn. 27; a. A. offenbar Neumann/Fenski § 7 Rn. 15. 342 Leinemann/Linck § 7 BUrlG Rn. 38; Kittner/Zwanziger/Deinert-Litzig § 49 Rn. 129. 343 Leinemann/Linck § 7 BUrlG Rn. 39; Neumann/Fenski § 7 Rn. 12; vgl. auch ErfKGallner § 7 BUrlG Rn. 18; im Ergebnis ferner ebenso Arnold/Tillmanns-Arnold § 7 Rn. 44. 344 Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 7 BUrlG Rn. 27. 345 Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 7 BUrlG Rn. 27.

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urlaubsrechtlich.346 Dabei kommt es aber zu Überschneidungen mit den in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG genannten Kriterien, da zumindest auch Alter und Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer im Rahmen der autonom urlaubsrechtlichen Definition herangezogen werden.347 Zudem sollen insbesondere die familiären Umstände, das besondere Erholungsbedürfnis eines Arbeitnehmers sowie der Gleichbehandlungsgrundsatz zu den maßgeblichen Kriterien gehören.348 Eine Abwägung zwischen den Urlaubswünschen zweier Arbeitnehmer unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte ist aber überhaupt nur erforderlich und geboten, wenn die gleichzeitige Gewährung von Urlaub an beide Arbeitnehmer dem Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Belange im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Var. 1 BUrlG unzumutbar ist.349 Das ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut von § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG, aber aus dem systematischen Zusammenhang dieses Ausschlusstatbestands mit dem soeben erläuterten Ausschlusstatbestand der dringenden betrieblichen Belange. Dogmatisch handelt es sich bei Var. 2 um einen Unterfall der ersten Variante.350 d) Sonderproblem: Kein Kausalitätserfordernis? Gutzeit erblickt eine Besonderheit des Anspruchs auf Urlaubsentgelt verglichen mit anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen darin, dass dieser keine Kausalität des Verhinderungsgrunds für den Arbeitsausfall erfordern soll. Eine Prüfung der Kausalität sei entbehrlich, da der Urlaub vom Arbeitgeber gewährt werde und einen Anspruch des Arbeitnehmers auf völlige Freistellung von den bestehenden Arbeitspflichten bedeute.351 Der Arbeitnehmer habe ohnehin einen festen Anspruch auf Urlaub, und der Arbeitgeber erfülle mithin „nur“ Ansprüche des Arbeitnehmers.352 Diese Auffassung und ihre Begründung überzeugen nicht. Es vermag nicht einzuleuchten, weswegen ausgerechnet und ausschließlich im Zusammenhang mit dem Urlaubsentgelt die Kausalität des Verhinderungsgrunds entbehrlich sein soll. Allein mit einem Hinweis auf den Umstand, dass der Fortfall der Arbeits346

Arnold/Tillmanns-Arnold § 7 Rn. 46; ErfK-Gallner § 7 BUrlG Rn. 19; HKBUrlG-Goretzki § 7 BUrlG Rn. 21; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 7 BUrlG Rn. 30. 347 Vgl. HK-BUrlG-Goretzki § 7 BUrlG Rn. 21; Kittner/Zwanziger/Deinert-Litzig § 49 Rn. 134; Neumann/Fenski § 7 Rn. 17. 348 MünchArbR-Düwell § 78 Rn. 49; HK-BUrlG-Goretzki § 7 BUrlG Rn. 21; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 7 BUrlG Rn. 30 f. 349 ErfK-Gallner § 7 BUrlG Rn. 19; Leinemann/Linck § 7 BUrlG Rn. 43; Neumann/ Fenski § 7 Rn. 16; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 7 BUrlG Rn. 30. 350 So ausdrücklich MünchArbR-Düwell § 78 Rn. 49; ErfK-Gallner § 7 BUrlG Rn. 19. 351 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 91. 352 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 116.

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pflicht durch eine Willenserklärung des Arbeitgebers begründet werde, lässt sich eine solche Sonderstellung jedenfalls nicht überzeugend begründen. Die gleiche Struktur weisen auch andere Entgeltfortzahlungstatbestände auf, etwa § 7 Abs. 2 MuSchG oder § 16 MuSchG.353 Gleichwohl entspricht es bei diesen Tatbeständen der einhelligen Meinung, dass ein Kausalitätserfordernis besteht.354 Zudem ist eine Prüfung der Kausalität auch sinnvoll, um einen dogmatischen Ansatzpunkt für die Behandlung von Kollisionen mit anderen Arbeitsausfallgründen zu gewinnen. Verzichtete man bei § 1 BUrlG auf das Kausalitätserfordernis, müsste bei einer Kollision der Urlaubsgewährung mit einem weiteren Entgeltfortzahlungstatbestand in jedem Fall Urlaubsentgelt gezahlt werden. Je nachdem, ob man daneben den zweiten Vergütungsanspruch noch bestehen ließe, gelangte man zu dem Ergebnis, dass es entweder zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Doppelvergütung käme (wenn die zweite Vergütungspflicht fortbestehen soll) oder aber sich immer der Urlaub gegen den anderen Entgeltfortzahlungstatbestand durchsetzte (wenn die zweite Vergütungspflicht entfallen soll). Letzteres entspräche wohl kaum dem Willen des Gesetzgebers, denn für einen grundsätzlichen Vorrang des Urlaubs vor allen anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen fehlt es an Anhaltspunkten im Gesetzeswortlaut. Folglich ist es auch beim Urlaub geboten, die Kausalität der Urlaubsgewährung für den Arbeitsausfall zu prüfen. IV. Rechtsfolgen Gilt ein konkreter Kalendertag als Urlaubstag, erhält der Arbeitnehmer als Vergütung ein Urlaubsentgelt. 1. Grundlagen Gemäß § 1 BUrlG ist der Urlaub bezahlt. Die Berechnung des Urlaubsentgelts erfolgt gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat. Dabei sind gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BUrlG Überstunden nicht zu berücksichtigen, was der bereits erörterten355 Regelung des § 4 Abs. 1a S. 1 EFZG im Rahmen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entspricht. Die Rechtsnatur der Berechnungsmethode ist umstritten. Teilweise wird angenommen, dass § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG die Bezugsmethode356 oder eine modi353 Vgl. zu § 16 MuSchG unten § 5 G.III.3.d) und zu § 7 Abs. 2 MuSchG unten § 5 G.IV.3.c). 354 Vgl. exemplarisch für § 7 Abs. 2 MuSchG HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 28; für § 16 MuSchG Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 32. 355 Siehe oben § 5 C.IV. 356 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 80; vgl. allgemein zur Bezugsmethode oben § 4 B.II.

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fizierte Bezugsmethode357 zugrunde legt. Hierfür spricht, dass § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG auf den Durchschnittsverdienst während einer in der Vergangenheit liegenden Periode abstellt. Demgegenüber gehen andere Stimmen von einem gemischten System aus Bezugsmethode und Lohnausfallprinzip358 aus. Richtigerweise ist zwischen der Berechnung des Zeit- und des Geldfaktors, als deren Produkt sich das Urlaubsentgelt darstellt,359 zu differenzieren. 2. Berechnung des Geldfaktors Durch § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG wird zunächst einmal die Berechnung des Geldfaktors geregelt,360 der den Geldwert der ausgefallenen Arbeitszeit angibt.361 Insoweit lässt sich von einer modifizierten oder abgewandelten Bezugsmethode sprechen.362 Eine Modifikation der Bezugsmethode im Sinne des Lohnausfallprinzips liegt darin, dass nach § 11 Abs. 1 S. 2 BUrlG Verdiensterhöhungen von nicht nur vorübergehender Natur, die während des Berechnungszeitraums oder des Urlaubs eintreten, bei der Berechnung zu berücksichtigen sind.363 Dadurch wird der hypothetische Verdienst des Arbeitnehmers während des Urlaubszeitraums berücksichtigt. Zudem ordnet § 11 Abs. 1 S. 1 und 3 BUrlG zwei weitere Modifikationen an: Zum einen bleiben im Referenzzeitraum geleistete Überstunden bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes außer Betracht. Zum anderen werden gemäß § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG Verdienstkürzungen im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfall oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis nicht berücksichtigt.364 Zu dem erzielten Verdienst gehören auch 357 Davon geht offenbar der Gesetzgeber aus, vgl. den Ausschussbericht zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 4/785, S. 4; ebenso HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 8; ähnlich Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 7; wohl auch Neumann/Fenski § 11 BUrlG Rn. 6 f., die von einer „verbesserten Bezugsmethode“ sprechen. 358 So die wohl überwiegende Ansicht: BAG 7.7.1988 – 8 AZR 472/86, AP Nr. 22 zu § 11 BUrlG; ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 2a; MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 14; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 3; wohl auch Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 3–5; vgl. allgemein zum Lohnausfallprinzip oben § 4 B.I. 359 BAG 22.1.2002 – 9 AZR 601/00, AP Nr. 55 zu § 11 BUrlG; MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 15; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 9; ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 2a; vgl. allgemein hierzu schon oben § 4 B. 360 BAG 9.11.1999 – 9 AZR 771/98, AP Nr. 47 zu § 11 BUrlG. 361 BAG 22.1.2002 – 9 AZR 601/00, AP Nr. 55 zu § 11 BUrlG; Arnold/TillmannsThiel-Koch § 11 Rn. 4; MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 28; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 9. 362 Vgl. MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 18; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 5; ErfKGallner § 11 BUrlG Rn. 3. 363 Vgl. ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 2a; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 5; HKBUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 52 ff. 364 Vgl. näher HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 60–88; Ascheid/Preis/ Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 35; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 24; v. Hoyningen-Huene/ Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 39 sowie noch unten § 9 C.V.1.c)bb)(3)(a).

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Entgeltersatzleistungen wie Feiertags- und Urlaubsvergütung sowie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.365 § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG verlangt die Ermittlung eines durchschnittlichen Verdienstes. Das bedeutet, dass die im Referenzzeitraum vom Arbeitnehmer erzielte Gesamtsumme umgerechnet werden muss. Zu klären ist insoweit, welche Zeiteinheit bei der Bestimmung von Geld- und Zeitfaktor zugrundezulegen ist. § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG erwähnt zwar keine bestimmte Bezugsgröße. Da Urlaub aber nach dem sogenannten Tagesprinzip grundsätzlich tageweise (und nicht etwa stunden- oder wochenweise) gewährt wird, ist für den Referenzzeitraum ein durchschnittlicher Tagesverdienst zu ermitteln.366 Hierzu ist die in den 13 Wochen erzielte Gesamtvergütung durch die Anzahl der Tage zu teilen, an denen der Arbeitnehmer gearbeitet hat oder für die er eine Entgeltersatzleistung erhält, die in die Gesamtsumme miteinbezogen wird.367 Die Zahl der Arbeitstage ist individuell für jeden Arbeitnehmer und konkret aufgrund der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.368 Sofern ausnahmsweise Urlaub in Bruchteilen eines Tages angerechnet und vergütet wird, ist hinsichtlich des Entgelts auf entsprechende Bruchteile eines durchschnittlichen Tagesverdienstes abzustellen. 3. Berechnung des Zeitfaktors Die Berechnung des Zeitfaktors regelt § 11 Abs. 1 BUrlG nach einhelliger Meinung nicht. Stattdessen soll das Lohnausfallprinzip anwendbar sein.369 Zur Begründung wird angeführt, dass der Arbeitgeber nur solche ausgefallene Arbeitszeit bezahlen soll, die der im Urlaub befindliche Arbeitnehmer gearbeitet hätte, wenn er nicht von seiner Arbeitspflicht an diesen Tagen befreit wäre. Insoweit soll es auf die hypothetische Arbeitszeit während des Urlaubs und gerade nicht auf die Arbeitszeit im Referenzzeitraum ankommen.370 365 Vgl. BAG 24.11.1992 – 9 AZR 564/91, AP Nr. 34 zu § 11 BUrlG; ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 12; Kittner/Zwanziger/Deinert-Litzig § 49 Rn. 278; Arnold/TillmannsThiel-Koch § 11 BUrlG Rn. 31. 366 ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 16; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 36; Arnold/Tillmanns-Thiel-Koch § 11 BUrlG Rn. 34; a. A. MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 30, der auf die jeweils für die Entgeltbemessung einzel- oder tarifvertraglich vereinbarte Bezugsgröße abstellen möchte; wohl ebenso Busch NZA 1996, S. 1246, 1247. 367 ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 16; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 50; Arnold/ Tillmanns-Thiel-Koch § 11 BUrlG Rn. 34. 368 Vgl. ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 16; MünchArbR-Leinemann (2. Auflage) § 90 Rn. 16; vgl. ferner Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 50–52. 369 BAG 7.7.1988 – 8 AZR 472/86, AP Nr. 22 zu § 11 BUrlG; BAG 9.11.1999 – 9 AZR 771/98, AP Nr. 47 zu § 11 BUrlG; ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 3; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 28; Geißler Lohnanspruch, S. 135. 370 ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 3; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 74; Staudinger-Richardi/Fischinger § 611 Rn. 1158.

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Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Hierfür spricht insbesondere der Wortlaut des § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG. Dieser stellt auf den durchschnittlichen Arbeitsverdienst ab, was eindeutig auf den Geld- und nicht den Zeitfaktor gemünzt ist. Eine Anwendung der Bezugsmethode auf den Zeitfaktor setzt wie oben371 erläutert voraus, dass für einen bestimmten Arbeitsausfall unabhängig von dessen Dauer eine Summe gezahlt wird, die sich nach den vom Arbeitnehmer im Referenzzeitraum geleisteten Zeiteinheiten bemisst. Somit erhielte der Arbeitnehmer für jeden angetretenen Urlaub unabhängig von dessen Dauer eine fixe Summe. Für den Erholungsurlaub ist ein solcher Ansatz aber nicht sinnvoll, weil der Arbeitnehmer nach der Konzeption des BUrlG für jeden Urlaubstag eine bestimmte Summe erhalten soll, von der er während des Urlaubs leben kann. Das Urlaubsentgelt soll daher von der Dauer des Urlaubs abhängen. Mithin ist insoweit das Lohnausfallprinzip einschlägig.

G. Vergütungsansprüche im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft Im MuSchG existieren mit § 7 Abs. 2 S. 1, § 11 Abs. 1 S. 1, § 13 Abs. 1, 2, § 14 Abs. 1 S. 1 und § 16 S. 3 mehrere Vorschriften, die der werdenden oder stillenden Mutter unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine Vergütung gewähren, ohne dass sie ihre Arbeitsleistung erbringen muss. Zudem sieht § 13 MuSchG einen Anspruch der Schwangeren oder Wöchnerin372 gegen ihre Krankenkasse (§ 13 Abs. 1 MuSchG) oder gegen das Bundesversicherungsamt vor, wenn sie nicht krankenversichert ist (§ 13 Abs. 2 MuSchG). Dabei handelt es sich um einen sozialrechtlichen Anspruch, auf den hier nicht eingegangen wird. Die vier übrigen der genannten Vorschriften hingegen enthalten allesamt Ansprüche der Schwangeren gegen den Arbeitgeber und sollen im Folgenden erläutert werden. I. Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) 1. Systematische Einordnung a) Akzessorietät zu § 13 MuSchG § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG gewährt der Schwangeren einen Anspruch gegen den Arbeitgeber für die Zeit, in der sie aufgrund der vor- und nachgeburtlichen Mutterschutzfristen und der damit einhergehenden Beschäftigungsverbote (vgl. § 3 371

Siehe oben § 4 B.III. Soweit im Folgenden nur der Begriff der „Schwangeren“ verwendet wird, der die werdende Mutter bezeichnet, ist zugleich auch die Wöchnerin (stillende Mutter) gemeint. 372

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Abs. 2 MuSchG, § 6 Abs. 1 MuSchG) nicht arbeitet. Systematisch ergänzt der Tatbestand den bereits erwähnten sozialrechtlichen Anspruch gemäß § 13 Abs. 1, 2 MuSchG i.V. m. § 24i SGB V, § 8 Abs. 1, § 14 KVLG 1989.373 Nach diesen Vorschriften erhält die Schwangere aufgrund der Begrenzung gemäß § 24i Abs. 2 S. 2 SGB V aber maximal A 13,– pro Kalendertag (sogenanntes Mutterschaftsgeld). Die Differenz zwischen diesen A 13,– und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt kann die Schwangere nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG vom Arbeitgeber verlangen. Das Zusammenspiel der §§ 13, 14 MuSchG ist für die systematische Einordnung von § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG sehr bedeutsam. Zwar kann man nicht vom Wegfall des Zuschusses auf den Wegfall des Mutterschaftsgeldes selbst schließen: Es ist ohne weiteres denkbar, dass die „Grundleistung“ Mutterschaftsgeld fließt, der Zuschuss jedoch nicht. Umgekehrt hingegen wird man stets einen Fortfall des Zuschusses bejahen müssen, wenn das Mutterschaftsgeld entfällt. Ein Zuschuss zum Mutterschaftsgeld kann schon begrifflich nur geleistet werden, wenn auch das Mutterschaftsgeld selbst gezahlt wird. Somit ist festzuhalten, dass § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG akzessorisch zu § 13 MuSchG ist.374 b) Rechtsnatur Das BAG und mit ihm die ganz herrschende Ansicht in der Literatur geht ohne nähere Begründung davon aus, dass es sich bei dem Zuschuss nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG um einen Anspruch auf teilweise Fortzahlung des arbeitsvertraglichen Entgelts handelt.375 Dementsprechend soll der Anspruch auch den Bestim373 Der Gesetzgeber hat zum 30. Oktober 2012 die Regelungen über das Mutterschaftsgeld aus Gründen der Rechtsklarheit systematisch stark modifiziert. Damit waren indes keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen verbunden (vgl. BT-Drs. 17/ 10170, S. 24, 27 f.). Daher kann ohne weiteres auf Rechtsprechung und Literatur zur alten Rechtslage zurückgegriffen werden. Im Einzelnen hat der Gesetzgeber folgende Änderungen vorgenommen: Die Vorschriften zu den Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft, die bislang in den §§ 179, 195–200 RVO sowie – für den Bereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung – in den §§ 22–29 KVLG nomiert waren, wurden in das SGB V sowie in das KVLG 1989 überführt. Der für das Mutterschaftsgeld allgemein maßgeblichen Vorschrift des § 200 RVO entspricht nunmehr § 24i SGB V (vgl. BT-Drs. 17/10170, S. 24, 27). Der für die landwirtschaftliche Krankenversicherung maßgebliche § 29 KVLG findet sich in § 14 KVLG 1989 wieder (vgl. BT-Drs. 17/ 10170, S. 27 f.), der durch den Verweis auf das Dritte Kapitel des SGB V ergänzt wird. Die §§ 13, 14 MuSchG wurden durch entsprechende Änderungen der Verweise auf diese Vorschriften redaktionell angepasst (vgl. BT-Drs. 17/10170, S. 27). 374 Der Sache nach ähnlich BAG 7.10.1987 – 5 AZR 610/86, AP Nr. 7 zu § 14 MuSchG 1968. 375 Vgl. BAG 11.6.1986 – 5 AZR 365/85, AP Nr. 3 zu § 14 MuSchG 1968; BAG 22.10.1986 – 5 AZR 550/85, AP Nr. 4 zu § 14 MuSchG 1968; BAG 24.2.1999 – 10 AZR 258/98, AP Nr. 213 zu § 611 BGB Gratifikation; ErfK-Schlachter § 14 MuSchG Rn. 2; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 2; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/ Vieß § 14 MuSchG Rn. 8.

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mungen über das Arbeitsentgelt unterliegen, etwa hinsichtlich der Verjährung.376 Dieser Einordnung kann nicht gefolgt werden. Für eine eigenständige Anspruchsgrundlage spricht insbesondere der Wortlaut, in dem von einem Zuschuss in Höhe der Differenz zwischen dem Mutterschaftsgeld und dem Arbeitsentgelt die Rede ist. Bei dem Zuschuss und dem Arbeitsentgelt handelt es sich offenbar nach der Vorstellung des Gesetzgebers um zwei verschiedene Dinge. Somit muss man Zuschuss als eine eigenständige Lohnersatzleistung einstufen. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass es sich bei dem Zuschuss um die arbeitsvertragliche Vergütung handelt, hätte es nahe gelegen, dass Gesetz dementsprechend zu fassen. Zum Beispiel hätte der Gesetzgeber formulieren können: „Frauen, die Mutterschaftsgeld (. . .) beanspruchen können, haben daneben (. . .) für die Zeit der Schutzfristen (. . .) Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts in Höhe des durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelts abzüglich des Mutterschaftsgeldes.“ Zudem spricht der enge systematische Zusammenhang des § 14 MuSchG mit § 11 Abs. 1 S. 1MuSchG für die hier vertretende Ansicht. Auch bei dieser Norm handelt es sich nach zutreffender Ansicht um eine eigenständige Anspruchsgrundlage.377 Aus den genannten Gründen ist auch § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG als eigenständige Anspruchsgrundlage einzustufen. 2. Telos a) Wirtschaftliche Sicherung Der primäre Zweck von § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist die wirtschaftliche Absicherung der Schwangeren.378 Sie soll den gesetzlich vorgesehenen Mutterschutz ohne Sorge vor finanziellen Nachteilen in Anspruch nehmen können.379 Die Norm dient aber auch dem Gesundheitsschutz der Schwangeren und des Embryos oder Neugeborenen. Mangels finanzieller Unterstützung sähe sich die Schwangere sonst eventuell veranlasst, unter Verstoß gegen die Beschäftigungsverbote des MuSchG einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.380 Nachteilige Auswirkungen auf ihre Gesundheit oder auf die des geborenen oder ungeborenen Kindes könnten die unerwünschte Folge sein.

376 ErfK-Schlachter § 14 MuSchG Rn. 2; LAG Berlin 14.1.2000 – 6 Sa 1951/99, NZA-RR 2000, S. 362. 377 Vgl. dazu unten § 5 G.II.1. 378 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 1; ErfK-Schlachter § 14 MuSchG Rn. 1; Willikonsky § 14 Rn. 1; vgl. auch BAG 22.8.2012 – 5 AZR 652/11, NZA 2012, S. 1277, 1278. 379 Vgl. ErfK-Schlachter § 14 MuSchG Rn. 1; Willikonsky § 14 Rn. 1. 380 Vgl. BAG 22.8.2012 – 5 AZR 652/11, NZA 2012, S. 1277, 1278 (Rn. 22).

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b) Die Umsetzung europarechtlicher Vorgaben als Normzweck Zu beachten ist ferner, dass § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG gemeinsam mit § 13 MuSchG der Umsetzung von Art. 8 Abs. 1, Art. 11 Nr. 2 b) der Richtlinie 92/85/ EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz dient. Darin ist vorgesehen, dass Schwangere nach dem Recht der Mitgliedstaaten Anspruch auf wenigstens 14 Wochen ununterbrochenen bezahlten Mutterschaftsurlaub haben müssen. Zudem ist die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung für die Dauer des Mutterschaftsurlaubs zu gewährleisten. c) Europarechtswidrigkeit der Umsetzung aa) Anforderungen des Art. 11 RL 92/85/EWG Fraglich ist indes, welche Anforderungen an die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und an die Angemessenheit der Sozialleistung zu stellen sind. Zu Beantwortung dieser Frage ist die Richtlinie auszulegen.381 (1) Zulässigkeit einer Absenkung des Vergütungsniveaus Aufgrund der Formulierungen „ein“ Entgelt und „eine angemessene“ Sozialleistung ist zunächst zu konstatieren, dass die Mitgliedstaaten keine vollständige Vergütungssicherung gewährleisten müssen. Abweichungen sind vielmehr grundsätzlich auch zulasten der Arbeitnehmerin zulässig.382 Ein systematischer Vergleich mit anderen europarechtlichen Vorschriften bestätigt diese Auffassung. Die in Art. 11 Nr. 2 b) RL 92/85/EWG gewählte Formulierung ist wesentlich weniger strikt als etwa der Wortlaut des Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG, dem § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG nachgebildet ist. Darin ist niedergelegt, dass dem Arbeitnehmer aus seiner berechtigten Entfernung keinerlei Nachteile entstehen dürfen. Ein derart strikter Wortlaut steht jeglicher Absenkung der Vergütung durch nationale Vorschriften entgegen. Gleiches gilt für Art. 9 RL 92/85/EWG, welcher § 16 S. 3 MuSchG zugrunde liegt. Darin werden die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer Freistellung verpflichtet, die es der Arbeitnehmerin „erlaubt, die Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft ohne Gehaltseinbußen wahr381 Dabei gelten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze wie bei der Auslegung nationalen Rechts, vgl. Riesenhuber-Riesenhuber Europäische Methodenlehre § 11, insbesondere Rn. 13. 382 Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht § 20 Rn. 27; Fuchs/Marhold Europäisches Arbeitsrecht, S. 405; wohl auch Marlene Schmidt EG-Arbeitsrecht II. Rn. 59; vgl. ferner EuGH 1.7.2010 – C-471/08 (Parviainen), NZA 2010, S. 1284, 1286 (Rn. 50).

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zunehmen, wenn diese Untersuchungen während der Arbeitszeit stattfinden müssen.“ Auch diese Formulierung lässt eine Vergütungsreduktion nicht zu.383 Dass der Richtliniengeber in Art. 11 Nr. 2 b) RL 92/85/EWG eine verglichen mit den angeführten Beispielen zurückhaltende Formulierung gewählt hat, spricht für die Zulässigkeit von Abweichungen zulasten der Arbeitnehmerin. (2) Maßstab für die Angemessenheit Schwierigkeiten bereitet dem deutschen Gesetzgeber offenbar die Umsetzung von Art. 11 Nr. 3 RL 92/85/EWG. Diese Vorschrift konkretisiert den Begriff der angemessenen Sozialleistung. Danach ist eine Sozialleistung angemessen, wenn sie mindestens den Bezügen entspricht, welche die betreffende Arbeitnehmerin im Falle einer Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen erhalten würde. Es ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH384 davon auszugehen, dass dieser Maßstab auch für die „Fortzahlung eines Arbeitsentgelts“ gilt. Diese Schlussfolgerung ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von Art. 11 Nr. 3 RL 92/85/EWG. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Richtliniengeber davon ausging, dass es über die Höhe des Arbeitsentgelts keine Zweifel geben kann. Da nach deutschem Recht Entgeltfortzahlungstatbestände mit ganz unterschiedlichen Berechnungsmethoden existieren, besteht die Möglichkeit, dass die Zahlung eines Arbeitsentgelts niedriger ausfällt, als es der Maßstab des Art. 11 Nr. 3 RL 92/85/EWG für die Angemessenheit der Sozialleistung zulässt. Um ein solches Ergebnis zu verhindern und dem Schutzzweck der Richtlinie gerecht zu werden, ist es angebracht, den Angemessenheitsmaßstab für die Sozialleistung auf das Arbeitsentgelt zu übertragen.385 Dafür spricht ferner, dass es sich bei der Entgeltfortzahlung und der Gewährung einer Sozialleistung um äquivalente Umsetzungsmöglichkeiten handelt, an die vergleichbare Anforderungen gestellt werden sollten. bb) Folgerungen für die Zulässigkeit der Umsetzung Folglich muss die Schwangere wenigstens die Summe als Vergütung erhalten, die ihr nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zustünde, wenn sie arbeitsunfähig erkrankt wäre.386 Aufgrund der unterschiedlichen Berechnungsmethoden, die § 14 Abs. 1 383

Vgl. dazu noch unten § 9 C.II.3.a)aa). EuGH 27.10.1998 – C-411/96 (Boyle), Slg. 1998, I-6401 (Rn. 32–35). 385 EuGH 27.10.1998 – C-411/96 (Boyle), Slg 1998, I-6401 (Rn. 32–35); Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht § 20 Rn. 27; wohl auch Fuchs/Marhold Europäisches Arbeitsrecht, S. 405; Marlene Schmidt EG-Arbeitsrecht II. Rn. 59. 386 Dass mit der Bezugnahme auf eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen die nationalen Vorschriften über eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemeint sind, ergibt sich zweifelsfrei aus der Erklärung des Rates und der Kommission zu Artikel 11 Nummer 3 der Richtlinie 92/85/EWG zur Aufnahme in 384

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S. 1 MuSchG und § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zugrunde liegen, kann es im Einzelfall dazu kommen, dass die Vergütung nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG zuzüglich des Mutterschaftsgelds nach § 13 MuSchG niedriger ausfällt als jene, die nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG bei unterstellter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit geschuldet wäre. Ein derartiges Resultat widerspricht den skizzierten europarechtlichen Vorgaben.387 Eine richtlinienkonforme Auslegung388 von § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist nicht möglich. Es bleibt der Arbeitnehmerin in einem solchen Fall nur die Möglichkeit, die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.389 Ein Schaden besteht in Höhe der Differenz zwischen der nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG zuzüglich des Mutterschaftsgeldes gemäß § 13 MuSchG von der Arbeitnehmerin das Protokoll der 1608. Tagung des Rates. Daraus geht hervor, dass mit dieser Formulierung eine Bezugnahme auf die nationalen Sozialversicherungsvorschriften aller Mitgliedstaaten über die Zahlung von Leistungen bei krankheitsbedingter Abwesenheit vom Arbeitsplatz beabsichtigt war; vgl. auch Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht § 20 Rn. 27; Fuchs/Marhold Europäisches Arbeitsrecht, S. 405. 387 Der EuGH hat zu dieser Frage bislang noch nicht explizit Stellung genommen. Zwar erklärte er in der Rechtssache Gassmayr (EuGH 1.7.2010 – C-194/08, NZA 2010, S. 1113 ff.) eine nationale Bestimmung für europarechtskonform, wonach eine Arbeitnehmerin während ihres Mutterschaftsurlaubs einen auf einen Referenzzeitraum bezogenen Durchschnittslohn erhält. Die Vorlagefrage bezog sich aber nicht auf einen möglichen Verstoß wegen einer niedrigeren Vergütung als bei einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sondern nur darauf, ob eine bestimmte Zulage fortgezahlt werden muss. 388 Das Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts ist ein dem Gemeinschaftsrecht immanenter Rechtsgrundsatz. Er verpflichtet den Rechtsanwender, nationales Recht, mit dem gemeinschaftsrechtliche Richtlinien umgesetzt werden sollen, so auszulegen, dass es sich im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hält. In Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte ist anzunehmen, dass der nationale Gesetzgeber stets eine richtlinienkonforme Umsetzung bezweckt und sich lediglich missverständlich ausgedrückt hat. Vgl. näher Kerwer Gemeinschaftsrecht, §§ 5–8; ferner Herdegen Europarecht, § 8 Rn. 41 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein Europarecht Rn. 397 ff.; EuGH 16.12.1993 – C-334/92 (Wagner Miret), Slg. 1993, I-6911 (Rn. 20); EuGH 5.10.2004 – C-397/01 (Pfeiffer), Slg. 2004, I-8835 (Rn. 112); BGH 5.12.1974 – II ZB 11/73, NJW 1975, S. 213, 214; BGH 9.3.1993 – XI ZR 179/92, NJW 1993, S. 1594, 1595; BGH 11.1.1996 – IX ZR 56/95, NJW 1996, S. 930, 932; Büdenbender ZeuP 2004, S. 36, 38; Everling RabelsZ 50 (1986), S. 193, 224; Herber EuZW 1991, S. 401, 403; Hommelhoff AcP 192 (1992), S. 71, 95; Meilicke DB 1990, S. 1173, 1178; Roth EWS 2005, S. 385, 391; vgl. auch Ehricke EuZW 199, S. 553, 554; kritisch Höpfner Systemkonforme Auslegung, S. 254 ff. 389 Es handelt sich dabei um einen ungeschriebenen, aus dem Wesen der mit dem Vertrag geschaffenen Rechtsordnung folgenden Anspruch, vgl. dazu EuGH 26.3.1996 – C-392/93 (British Telecom), Slg. 1996, I-1631; EuGH 17.10.1996 – C-283/94 (Denkavit), Slg. 1996, I-5063. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die fehlerhafte Umsetzung der Richtlinie hinreichend qualifiziert gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Das ist der Fall, wenn der Mitgliedsstaat bei der Ausübung seiner Rechtsetzungsbefugnis deren Grenzen offenkundig und erheblich überschritten hat, vgl. EuGH 26.3.1996 – C-392/93 (British Telecom), Slg. 1996, I-1631 (Rn. 39–42); EuGH 17.10.1996 – C-283/94 (Denkavit), Slg. 1996, I-5063 (Rn. 48–50). Eine erhebliche Überschreitung ist hier zweifelhaft, da im Regelfall andere Entgeltfortzahlungstatbestände nicht wesentlich hinter dem von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG gewährleisteten Entgeltniveau zurückbleiben.

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beanspruchbaren Summe und der nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG geschuldeten Vergütung. 3. Tatbestand a) Anspruch auf Mutterschaftsgeld Voraussetzung für einen Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 MuSchG ist zunächst, dass es sich bei der Anspruchsstellerin um eine Frau handelt, der ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld nach § 24i SGB V oder § 13 Abs. 2 MuSchG zusteht. Insoweit ist irrelevant, ob tatsächlich Mutterschaftsgeld gezahlt wird, sofern nur der Anspruch als solcher besteht.390 Voraussetzung für den Anspruch auf Mutterschaftsgeld ist wiederum, dass der Arbeitgeber wegen der Mutterschutzfristen nach § 3 Abs. 2 MuSchG oder § 6 Abs. 1 MuSchG kein Arbeitsentgelt zahlt.391 Folglich greift § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG nicht ein, wenn die Arbeitnehmerin auf den Schutz des § 3 Abs. 2 MuSchG verzichtet und für ihre erbrachte Arbeitsleistung ein Entgelt erhält.392 Den Anspruch auf Mutterschaftsgeld können lediglich Frauen geltend machen, die unter den Geltungsbereich des MuSchG fallen. Dazu gehören gemäß § 1 MuSchG über den allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff hinaus auch die in Heimarbeit Beschäftigten.393 Problematisch ist, inwiefern sonstige arbeitnehmerähnliche Personen in den Schutz des MuSchG einzubeziehen sind. Das Gesetz schweigt zu dieser Frage. Daraus zieht die überwiegende Meinung den Schluss, das MuSchG sei auf arbeitnehmerähnliche Personen nicht generell anzuwenden.394 Auch eine analoge Anwendung wird mehrheitlich unter Verweis auf die angeblich fehlende planwidrige Regelungslücke abgelehnt. Der Gesetzgeber habe einige arbeitsrechtliche Gesetze wie das ArbGG und das BUrlG auf arbeitnehmerähnliche Personen erstreckt, gerade jedoch nicht das MuSchG.395 390 BAG 25.2.2004 – 5 AZR 160/03, AP Nr. 24 zu § 14 MuSchG 1968; Buchner/ Becker § 14 MuSchG Rn. 24; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 7; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 14 MuSchG Rn. 15. 391 Buchner/Becker § 13 MuSchG Rn. 53; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 13 MuSchG Rn. 17 f.; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 200 RVO Rn. 18. 392 Buchner/Becker § 13 MuSchG Rn. 55; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 7; Willikonsky § 14 Rn. 7. 393 Für die den in Heimarbeit Beschäftigten Gleichgestellten gilt das jedoch nur, soweit sie am Stück mitarbeiten. Letzteres ist der Fall, wenn die betreffende Frau selbst an der Verrichtung und nicht nur an der Organisation der Arbeit beteiligt ist; vgl. Buchner/ Becker § 1 MuSchG Rn. 73. 394 Buchner/Becker § 1 MuSchG Rn. 90; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 1 MuSchG Rn. 31; Willikonsky § 1 Rn. 17; wohl auch Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 1 MuSchG Rn. 5; demgegenüber spricht sich Beuthien RdA 1978, S. 2,10, für eine mutterschutzrechtliche Gleichstellung arbeitnehmerähnlicher Personen mit den in Heimarbeit Beschäftigten und den ihnen Gleichgestellten aus. 395 So explizit Buchner/Becker § 1 MuSchG Rn. 90; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 1 MuSchG Rn. 31.

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Der geschilderte Umkehrschluss überzeugt indes nicht. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber arbeitnehmerähnliche Personen ausdrücklich nur in den Anwendungsbereich einiger arbeitsrechtlicher Gesetze einbezogen hat, scheint eher Ausdruck eines mangelnden Problembewusstseins als eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu sein. Hierfür spricht auch, dass die Einbeziehung arbeitnehmerähnlicher Personen in den Anwendungsbereich des BUrlG nicht mit Besonderheiten des Urlaubsrechts gerechtfertigt wurde, die auf das Mutterschutzrecht übertragbar seien.396 Wie auch Vertreter der überwiegenden Ansicht zugestehen, lässt sich eine unterschiedliche Behandlung arbeitnehmerähnlicher Personen in Bezug auf die genannten Gesetze kaum begründen.397 Will man also dem Gesetzgeber keine Willkür unterstellen, muss man annehmen, dass diese Differenzierung auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht. Daher sprechen gute Gründe dafür, das MuSchG auf sämtliche arbeitnehmerähnlichen Personen zu erstrecken. Wie erläutert sind arbeitnehmerähnliche Personen solche, die von einem Arbeitgeber wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind (vgl. auch § 12a TVG).398 Eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern und arbeitnehmerähnlichen Personen in Bezug auf die Anwendung des MuSchG lässt sich vor dem Hintergrund dieses Begriffsverständnisses sachlich nicht rechtfertigen. Aufgrund der bereits per Definition festgelegten vergleichbaren sozialen Schutzbedürftigkeit haben arbeitnehmerähnliche Personen ein berechtigtes Interesse daran, ebenso wie Arbeitnehmer in den Genuss von Schutzgesetzen wie des MuSchG zu kommen. Besondere Umstände, die eine Schlechterstellung von schwangeren arbeitnehmerähnlichen Frauen rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Um den vor diesem Hintergrund drohenden Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG 399 abzuwenden, ist es geboten, den mutterschutzrechtlichen Arbeitnehmerbegriff des § 1 MuSchG verfassungskonform auszulegen und auch arbeitnehmerähnliche Frauen einzubeziehen. b) Durchschnittliches tägliches Nettoeinkommen von mehr als A 13,– Einen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld kann die Arbeitnehmerin nur verlangen, wenn ihr durchschnittliches kalendertägliches Nettoeinkommen A 13,– und damit den Betrag übersteigt, den sie maximal als Mutterschaftsgeld nach 396 Vielmehr wollte der Gesetzgeber den persönlichen Anwendungsbereich des BUrlG den zuvor geltenden landesrechtlichen Bestimmungen anpassen, vgl. BT-Drs. 4/ 207, S. 4. 397 Buchner/Becker § 1 MuSchG Rn. 90; kritisch zum uneinheitlichen Schutzniveau für arbeitnehmerähnliche Personen auch Buchner NZA 1998, S. 1144, 1145 ff. 398 Siehe oben § 5 A.I. 399 Vgl. zum Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG Sachs-Osterloh Art. 3 Rn. 8 ff.; BK-Rüfner Art. 3 Abs. 1 Rn. 16 ff.; speziell zu den Anforderungen an den Gesetzgeber vgl. Maunz/Dürig-Dürig/Scholz Art. 3 Abs. 1 Rn. 303 ff.

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§ 13 MuSchG erhält. Andernfalls besteht keine Differenz zwischen dem Mutterschaftsgeld und dem Nettoeinkommen, zu deren Ausgleich der Arbeitgeber nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG verpflichtet ist.400 Sofern die Anspruchsstellerin mehrere Arbeitsverhältnisse mit verschiedenen Arbeitgebern begründet hat, werden zur Ermittlung ihres maßgeblichen Gesamtnettoeinkommens alle einzelnen Nettoeinkommen addiert.401 Übersteigt die so ermittelte Summe kalendertäglich A 13,–, steht der Arbeitnehmerin gegen jeden ihrer Arbeitgeber ein Anspruch auf einen anteiligen Zuschuss zum Mutterschaftsgeld zu.402 c) Sonderproblem: Kein Kausalitätserfordernis? Braasch/Arnold haben die Auffassung vertreten, der Anspruch nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG, setze – anders als etwa der Anspruch nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG – keine Ursächlichkeit der Schutzfristen für den Arbeitsausfall voraus.403 Für den Zuschussanspruch komme es vielmehr allein auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses an.404 Zur Begründung führen sie an, in dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG sei anders als in § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG von Kausalität nicht die Rede.405 Dieser Ansicht ist zu widersprechen. Zu Recht fordert die überwiegende Ansicht im Rahmen des § 14 MuSchG die Ursächlichkeit der Schutzfristen für den Arbeitsausfall.406 Seinem Zweck nach soll der Anspruch auf den Zuschuss finanzielle Nachteile beseitigen, die der Arbeitnehmerin durch einen Arbeitsausfall infolge des Beschäftigungsverbots entstehen.407 Verursachen die Schutzfristen keinen Arbeitsausfall, besteht daher auch kein Anlass für einen Zuschussanspruch.

400 Lenz § 14 MuSchG Rn. 2; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 9; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 14 MuSchG Rn. 17. 401 BAG 3.6.1987 – 5 AZR 592/86, AP Nr. 6 zu § 14 MuSchG 1968; HK-MuSchG/ BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 10; ErfK-Schlachter § 14 MuSchG Rn. 4; Willikonsky § 14 Rn. 9. 402 BAG 3.6.1987 – 5 AZR 592/86, AP Nr. 6 zu § 14 MuSchG 1968; HK-MuSchG/ BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 10; ErfK-Schlachter § 14 MuSchG Rn. 4; Willikonsky § 14 Rn. 9. 403 Braasch/Arnold NZA 1986, S. 660, 663. 404 Braasch/Arnold NZA 1986, S. 660, 663. 405 Braasch/Arnold NZA 1986, S. 660, 663. 406 BAG 22.10.1986 – 5 AZR 550/85, AP Nr. 4 zu § 14 MuSchG 1968; Willikonsky § 14 Rn. 4; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 11 f.; Zmarzlik/Zipperer/ Viethen/Vieß § 14 MuSchG Rn. 28 ff.; vgl. auch LAG Berlin 28.7.1992 – 11 Sa 114/90, ArbuR 1993, S. 85. 407 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 11; vgl. Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 14 MuSchG Rn. 28.

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4. Rechtsfolgen Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, hat die Schwangere einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zahlung des Differenzbetrags zwischen A 13,– und dem um die gesetzlichen Abzüge verminderten durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt. Somit ist der Arbeitstag die Zeiteinheit, die der Berechnung von Zeit- und Geldfaktor zugrunde liegt. a) Berechnung des Geldfaktors Gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 MuSchG errechnet sich das durchschnittliche kalendertägliche Nettoeinkommen grundsätzlich aus den letzten drei abgerechneten Kalendermonaten. Nur bei wöchentlicher Abrechnung wird auf die letzten 13 abgerechneten Wochen vor Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG abstellt. Maßgeblich ist somit hinsichtlich des Geldfaktors grundsätzlich eine vergangenheitsbezogene Betrachtung und folglich die Bezugsmethode.408 Diese Berechnung wird durch § 14 Abs. 1 S. 3 MuSchG im Sinne des Lohnausfallprinzips modifiziert. Danach sind nicht nur vorübergehende Erhöhungen des Arbeitsentgelts, die während der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 MuSchG wirksam werden, ab diesem Zeitpunkt in die Berechnung einzubeziehen. Zum Arbeitsentgelt gehören neben der regelmäßigen Vergütung auch regelmäßig gezahlte leistungsabhängige Entgeltbestandteile wie eine Gewinnbeteiligung sowie Zulagen und Zuschläge, etwa für Nachtarbeit.409 b) Berechnung des Zeitfaktors Problematisch ist indes, welche Berechnungsmethode auf den Zeitfaktor anzuwenden ist. Diese Frage wird in der Literatur, soweit ersichtlich, nicht ausdrücklich thematisiert. Schon die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Geld- und Zeitfaktor bleibt unbeachtet. Zur Beantwortung dieser Frage kann auf die Überlegungen zurückgegriffen werden, die im Zusammenhang mit der Berechnung des Zeitfaktors beim Urlaubsentgelt angestellt wurden.410 Eine Anwendung der Bezugsmethode auf den Zeitfaktor liefe darauf hinaus, der Arbeitnehmerin unabhängig von der Dauer der 408 BAG 22.10.1986 – 5 AZR 69/85 (zitiert nach juris); BAG 7.3.1990 – 5 AZR 130/ 89, AP Nr. 9 zu § 14 MuSchG 1968; LAG Hamm (Westfalen) 24.10.1985 – 8 Sa 691/85, NZA 1986, S. 199; ArbG Aachen 12.7.1984 – 5 Ca 853/84, NZA 1984, S. 261; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 87; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 61; vgl. allgemein zur Bezugsmethode oben § 4 B.II. 409 Siehe zu weiteren Einzelheiten Buchner/Becker § 14 MuSchG Rn. 97–110; Lenz § 14 MuSchG Rn. 4; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 16; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 14 MuSchG Rn. 39. 410 Vgl. dazu oben § 5 F.IV.3.

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Schutzfristen eine fixe Summe zu zahlen, die sich nach der von ihr in den letzten drei Kalendermonaten geleisteten Arbeit richtet.411 Dieses Resultat ist erkennbar nicht gewollt, da zum einen die Dauer des Arbeitsausfalls im Fall des § 6 Abs. 1 MuSchG variieren kann und zum anderen in § 14 Abs. 1 S. 2 MuSchG vom „durchschnittlichen“ kalendertäglichen Nettoentgelt die Rede ist. Es soll also offensichtlich für jeden tatsächlich ausfallenden Arbeitstag eine Summe gezahlt werden, die von dem durchschnittlichen kalendertäglichen Nettoentgelt im Referenzzeitraum abhängt. Damit wird deutlich, dass sich die Berechnung des Zeitfaktors nach dem Lohnausfallprinzip richten muss. c) Umlage auf die Arbeitgebergemeinschaft Wirtschaftlich muss nicht der einzelne Arbeitgeber die Kosten des Zuschusses tragen, sondern die Gemeinschaft der Arbeitgeber. Das ergibt sich aus dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) vom 22. Dezember 2005412. Diese Neuregelung trug einer Entscheidung des BVerfG Rechnung, das die Kostentragungspflicht desjenigen Arbeitgebers, der von der jeweiligen Schwangerschaft der Arbeitnehmerin betroffen ist, für verfassungswidrig erklärt hat. Dabei argumentierte das BVerfG, die hohen finanziellen Belastungen bewegten Arbeitgeber dazu, Frauen im gebärfähigen Alter nicht mehr einzustellen, was das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 GG verletze.413 Das AAG sieht nun ein von Arbeitgeberbeiträgen getragenes Umlageverfahren vor, das die durch § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG entstehenden Belastungen auf die gesamte Gemeinschaft der Arbeitgeber verteilt.414 II. Anspruch auf Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) 1. Systematische Einordnung Neben dem bereits erörterten Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist der Anspruch auf „Arbeitsentgelt bei Beschäftigungsverboten“ (auch Mutterschutzlohn genannt) gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG der wichtigste Zahlungsanspruch der schwangeren Arbeitnehmerin gegen den Arbeitgeber. Er knüpft ähnlich wie der Zuschuss an bestimmte Beschäftigungsverbote während der Schwangerschaft und der Stillzeit an, hat aber einen weitergehenden Anwendungsbereich.

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Vgl. zur Anwendung der Bezugsmethode auf den Zeitfaktor oben § 4 B.III.2.b). BGBl. 2005 I, S. 3686 ff. 413 BVerfG 18.11.2003 – 1 BvR 302/96, NZA 2004, S. 33, 36 ff. 414 Buchner/Becker § 14 MuSchG Rn. 15 sowie Vor §§ 11–16 MuSchG 21 ff.; Willikonsky § 14 Rn. 2; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 3. 412

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Nach zutreffender Ansicht handelt es sich dabei um einen eigenständigen Anspruch und nicht um eine anspruchserhaltende Norm.415 Zwar ergibt sich die Rechtsnatur des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG als eigenständige Anspruchsgrundlage nicht schon daraus, dass diese Vorschrift auf Rechtsfolgenseite die Anwendung der Bezugsmethode vorschreibt.416 Ein solcher Zusammenhang zwischen Rechtsnatur und Berechnungsmethode lässt sich, wie erläutert, grundsätzlich nicht herstellen.417 In systematischer Hinsicht spricht aber die enge Verwandtschaft zu § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG418 dafür, ebenso wie in diesem Tatbestand auch in § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG eine eigenständige Anspruchsgrundlage zu erblicken. Der Wortlaut des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG steht einem solchen Normverständnis nicht entgegen. Zwar ist in ihm davon die Rede, dass dem Arbeitnehmer „mindestens der Durchschnittsverdienst [. . .] weiter zu gewähren“ ist, was man als Bezugnahme auf den arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch verstehen könnte. Indes ist es ebenso möglich, dass diese Formulierung gewählt wurde, um als Ausgangspunkt für die Berechnung der Vergütungshöhe die Bezugsmethode festzulegen, ohne damit zugleich die Rechtsnatur bestimmen zu wollen.419 Für den Charakter als eigenständige Anspruchsgrundlage lässt sich zudem der Zweck von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG ins Feld führen: Der Gesetzgeber wollte zum Wohle von Mutter und Kind einen auch verglichen mit anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen möglichst weitreichenden Mutterschutz gewährleisten. Dieses Ziel lässt sich am besten dadurch verwirklichen, dass der Anspruch als eigenständige Anspruchsgrundlage ausgestaltet wird und damit von Einwendungen unabhängig ist, die sich aus dem Arbeitsvertrag ergeben und sich auf das arbeitsvertragliche Entgelt beschränken. Somit sprechen die besseren Argumente dafür, § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG als einen eigenständigen Entgeltersatzanspruch einzustufen.

415 BSG 17.4.1991 – 1/3 RK 21/88, NZA 1991, S. 909, 911; ErfK-Schlachter § 11 MuSchG Rn. 2; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 5; HKMuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 3; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 11 MuSchG Rn. 1; HK-ArbR-Reinecke § 11 MuSchG Rn. 1; a. A. für die Aufrechterhaltung des arbeitsvertraglichen Lohnanspruchs Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 3; offenbar auch Schaub-Linck ArbR-Hdb. § 170 Rn. 1; Matthes Lohnzahlung Rn. 167; vgl. ferner BAG 13.2.2002 – 5 AZR 588/00, AP Nr. 22 zu § 11 MuSchG 1968, sowie den Beitrag des an diesem Urteil beteiligten Vorsitzenden Richters am BAG Müller-Glöge RdA 2006, S. 105,107, wonach die Rechtsfolge des § 11 MuSchG darin bestehen soll, dass entgegen § 323 Abs. 1 BGB der Anspruch auf die Gegenleistung nicht entfalle. Es ist aber zweifelhaft, ob damit zugleich § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG als anspruchserhaltende Norm eingestuft werden soll. 416 So aber der Sache nach HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 3. 417 Vgl. oben § 4 C. 418 Vgl. zur Rechtsnatur des § 14 Abs. 1 MuSchG oben § 5 G.I.1.b). 419 Vgl. zur Berechnung der Vergütung bei § 11 Abs. 1 MuSchG noch unten § 5 G.II.4.

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2. Telos a) Nationales Recht Der Anspruch aus § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG soll die Schwangere für die Zeit des Beschäftigungsverbots finanziell absichern und ihr den Anreiz nehmen, während dieser Zeit trotzdem zu arbeiten, was der Gesundheit von Mutter und Kind schaden könnte.420 Auf die entsprechenden Ausführungen zu § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG wird verwiesen.421 b) Europarechtliche Einflüsse aa) Grundlagen § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG dient unter anderem der Umsetzung von Art. 5, Art. 6, Art. 7 und Art. 11 Abs. 1 RL 92/85/EWG.422 Darin ist erstens festgelegt, dass die Mitgliedstaaten ein Beschäftigungsverbot bei einer Gefährdung für Sicherheit oder Gesundheit und möglichen Auswirkungen auf Schwangerschaft oder Stillzeit vorsehen müssen (vgl. Art. 5). Zweitens dürfen Schwangere und Stillende nicht zu einer Tätigkeit verpflichtet werden, bei denen eine Gefahrexposition droht (vgl. Art. 6). Drittens schließlich muss ein Nachtarbeitsverbot normiert werden (vgl. Art. 7). Während all dieser Beschäftigungsverbote muss die Schwangere einen Anspruch auf Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung erhalten (vgl. Art. 11 Nr. 1). Diese Regelung gilt indes nur für Fälle, in denen eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen oder ein Arbeitsplatzwechsel unmöglich ist. Zur Umsetzung der Vorgaben zu Beschäftigungsverboten bei einer Gefährdung für Sicherheit oder Gesundheit und bei einer Gefahrexposition wurden die bereits in § 4 MuSchG 1952423 vorgesehenen Beschäftigungsverbote durch das Gesetz zur Änderung des Mutterschutzrechts vom 20. Dezember 1996424 sowie die Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz vom 15. April 1997425 ergänzt. 420 BAG 28.6.1963 – 1 AZR 353/62, AP Nr. 2 zu § 10 MuSchG; BAG 8.9.1978 – 3 AZR 418/77, AP Nr. 8 zu § 11 MuSchG 1968; BAG 5.7.1995 – 5 AZR 135/94, AP Nr. 7 zu § 3 MuSchG 1968; Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 1; Henssler/Willemsen/ Kalb-Hergenröder § 11 MuSchG Rn. 1; Lenz § 11 MuSchG Rn. 1; HK-MuSchG/BEEGPepping § 11 MuSchG Rn. 1; ErfK-Schlachter § 11 MuSchG Rn. 1; Willikonsky § 11 Rn. 1; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 1; vgl. auch bereits BAG 14.10.1954 – 2 AZR 30/53, AP Nr. 1 zu § 13 MuSchG. 421 Siehe oben § 5 G.I.2. 422 Vgl. Nägele-Böhm, S. 431, der ausführt, dass die Richtlinie 92/85/EWG durch das Gesetz zur Änderung des Mutterschutzrechts vom 20. Dezember 1996, BGBl. 1996 I, S. 2110 ff. umgesetzt worden ist. Durch dieses Gesetz wurde unter anderem § 11 MuSchG den europarechtlichen Vorgaben angepasst. 423 BGBl. 1952 I, S. 69 ff. 424 BGBl. 1996 I, S. 2110 ff. 425 BGBl. 1997 I, S. 782 ff.

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Da schon der damalige § 10 MuSchG 1952 (heute § 11 MuSchG) eine Entgeltfortzahlung bei Beschäftigungsverboten im Sinne des § 4 MuSchG vorsah, wurde durch diese Lösung zugleich eine Vergütungsregelung getroffen. Ein Nachtarbeitsverbot war bereits in § 8 MuSchG 1952 vorgesehen und wurde durch Gesetz vom 24. August 1965426 im damaligen § 10 MuSchG 1952 (heute § 11 MuSchG) durch eine Entgeltzahlungspflicht bei Arbeitsausfall aufgrund eines Nachtarbeitsverbots ergänzt. Daher war eine gesonderte Umsetzung nach Erlass der Richtlinie entbehrlich. bb) Zulässige Umsetzung hinsichtlich der Vergütungshöhe Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob diese Form der Umsetzung den Erfordernissen der Richtlinie 92/85/EWG genügt. Wie erwähnt, fordert Art. 11 Nr. 1 RL 92/85/EWG von den Mitgliedstaaten die Gewährleistung der Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/ oder Gepflogenheiten. Fraglich ist, welchen Maßstab man insoweit anlegt. Hierzu ist die Richtlinie auszulegen.427 (1) Einheitlicher Maßstab Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Maßstab in Bezug auf die Zahlung „eines“ Arbeitsentgelts und der „Angemessenheit“ der Sozialleistung einheitlich gehandhabt werden sollte. Beide Arten der Vergütung sind austauschbare Äquivalente, und aus Sicht der durch diese Vorschrift zu schützenden Arbeitnehmerin spielt es kaum eine Rolle, ob sie ein Arbeitsentgelt oder eine Sozialleistung erhält. Diese Sichtweise entspricht auch dem Standpunkt des EuGH in Bezug auf die Frage der Entgeltsicherung während des Mutterschaftsurlaubs.428 Der insoweit maßgebliche Art. 11 Nr. 2 b) RL 92/85/EWG verwendet die gleiche Formulierung wie Art. 11 Nr. 1 RL 92/85/EWG. Es sind keine Gründe ersichtlich, weswegen bei identischem Wortlaut eine unterschiedliche Auslegung geboten sein sollte. (2) Hypothetische Vergütung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG als Untergrenze? Des Weiteren ist zu klären, ob die im Falle der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) zu zahlende Summe eine untere Grenze für die Verringerung der Vergütung bildet. Hierfür spricht, dass Art. 11 Nr. 3 RL 92/ 426

BGBl. 1965 I, S. 912 ff. Vgl. zur Auslegung von Richtlinien oben Fn. 381. 428 EuGH 27.10.1998 – C-411/96 (Boyle), Slg 1998, I-6401 (Rn. 32–35); vgl. auch oben § 5 G.I.2. 427

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85/EWG eine solche Untergrenze für die Sicherung der Vergütungsansprüche während des Mutterschaftsurlaubs nach Art. 11 Nr. 2 b) RL 92/85/EWG festlegt. Zu klären ist, ob Art. 11 Nr. 3 RL 92/85/EWG insoweit auf Nr. 1 analog anzuwenden ist.429 Diese Frage ist zu verneinen. Schon die Existenz einer planwidrigen Regelungslücke lässt sich bezweifeln. Der Wortlaut von Nr. 3 bezieht sich eindeutig ausschließlich auf Nr. 2 b). Aufgrund des engen systematischen Zusammenhangs der Vorschriften des Art. 11 RL 92/85/EWG ist nahezu ausgeschlossen, dass die Nichterwähnung der Nr. 1 in der Nr. 3 auf einem Versehen beruht. Es ist daher von einer bewussten Entscheidung des Richtliniengebers auszugehen.430 Zudem ist auch keine vergleichbare Interessenlage gegeben. In Nr. 1 wird anders als in Nr. 2 b) der Maßstab für die zu gewährleistende Vergütungshöhe noch weiter konkretisiert: Die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung hat entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten431 zu geschehen. Da somit Art. 11 Nr. 1 und Nr. 2 b) RL 92/85/EWG hinsichtlich der Mindestvergütungshöhe durch verschiedene Maßstäbe gekennzeichnet sind, ist keine vergleichbare Interessenlage gegeben. Ähnlich hat sich jüngst auch der EuGH geäußert. In seinem Urteil zu der Rechtssache Parviainen hob er hervor, dass Nr. 3 sich nur auf Nr. 2 b) und nicht auf Nr. 1 bezieht.432 Damit ist festzuhalten, dass die im Falle der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zu zahlende Summe keine untere Grenze für die Verringerung der Vergütung bildet. (3) Einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten als Maßstab Maßgeblich bleiben demnach allein die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten.433 Fraglich ist, welche Vorschriften und Gepflogenheiten des nationalen Rechts hier gemeint sind. In Betracht kommt zunächst diejenige deutsche Vorschrift, die die Entgeltfortzahlung aufgrund der Vorgaben in Art. 11 Nr. 1 der Richtlinie regelt, also § 11 Abs. 1 MuSchG. Eine solche Auslegung entwertete allerdings die Schutzfunktion der Richtlinie. Vergleichsmaßstab für § 11 MuSchG wäre diese Vorschrift selbst, so dass die nationale Umsetzung auf jeden Fall europarechtskonform wäre. Ein wirksamer Entgeltschutz kann auf diese Weise nicht gewährleistet werden. Aus diesem Grund ist auf andere nationale Vorschriften zum Vergleich abzustellen. In Betracht kommen insoweit nur andere Entgeltfortzahlungstatbestände des deutschen Rechts, die ähnliche Fall429 Rechtsfortbildung mittels Analogie ist auch im Gemeinschaftsrecht zulässig. Vgl. dazu Riesenhuber-Neuner Europäische Methodenlehre § 13 Rn. 32, der exemplarisch auf EuGH 19.11.2009 – C-402/07 und 432/07 (Sturgeon), Slg. 2009, I-10923 verweist. 430 In diese Richtung auch Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht § 20 Rn. 22, 18. 431 Hervorhebung durch Verfasser. 432 EuGH 1.7.2010 – C 471/08 (Parviainen), NZA 2010, S. 1284, 1285 (Rn. 41). 433 Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht § 20 Rn. 22, 18.

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konstellationen regeln und ein vergleichbares Schutzniveau gewährleisten sollen. Der daneben in der Richtlinie verwendete Begriff der Gepflogenheit ist dahingehend zu verstehen, dass alle ungeschriebenen – und damit nicht in Rechtsvorschriften niedergelegten – nationalen Rechtsgrundsätze erfasst werden. Folglich ist die nach § 11 MuSchG gezahlte Vergütung an dem für andere Ausfallgründe nach deutschem Recht gezahlten Entgelt zu messen. Aus dem Wortlaut von Art. 11 Nr. 1 der Richtlinie („angemessen“, „entsprechend“) folgt, dass durch den Verweis auf die nationalen Vorschriften und Gepflogenheiten keine absolute, konkrete Untergrenze für die Vergütungshöhe festgelegt werden sollte. Es ist keine vollständige Vergütungssicherung zu fordern.434 Vielmehr genügt es für eine richtlinienkonforme Umsetzung, wenn die Vergütung „angemessen“ ist, also nicht wesentlich hinter dem zurückbleibt, was nach anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen gezahlt wird.435 Dafür spricht die nachgiebige Formulierung des Art. 11 Nr. 1 RL 92/85/EWG. Hinsichtlich der näheren Begründung wird auf die obigen Ausführungen zur vergleichbaren Problematik bei der Auslegung von Art. 11 Nr. 2 b) RL 92/85/EWG verwiesen.436 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob man insoweit nur eine abstrakte oder – darüber hinausgehend – eine konkrete Vergleichbarkeit mit dem Entgeltniveau anderer Tatbestände verlangt. Eine abstrakte Vergleichbarkeit wäre bereits gegeben, wenn man davon ausgehen darf, dass im Regelfall die nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu zahlende Vergütung nicht wesentlich hinter dem zurückbleibt, was Arbeitnehmern generell nach anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen als Entgelt gezahlt wird. Eine konkrete Vergleichbarkeit setzt hingegen voraus, dass in jedem denkbaren Einzelfall die aufgrund § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu zahlende Vergütung nicht wesentlich hinter dem zurückbleibt, was als Entgeltfortzahlung für die Arbeitnehmerin nach wenigstens einem anderen Tatbestand vorgesehen ist. Welchen der beiden denkbaren Vergleichsmaßstäbe man anwendet, kann im vorliegenden Fall jedoch dahingestellt bleiben. Die Vorschrift wird beiden Maßstäben gerecht und genügt daher den genannten europarechtlichen Anforderungen. Die abstrakte Vergleichbarkeit ergibt sich bereits daraus, dass sich die Besonderheiten der Berechnungsmethode des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG verglichen mit anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen437 im Regelfall kaum auf die Vergütungshöhe auswirken werden. Wenn die Arbeitnehmerin ihr Entgelt monatlich 434 Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht § 20 Rn. 22, 18; Fuchs/Marhold Europäisches Arbeitsrecht, S. 405 f. 435 Vgl. Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht § 20 Rn. 18. 436 Siehe oben § 5 G.I.2. 437 Beispiele hierfür sind die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG, das Feiertagsentgelt nach § 2 Abs. 1 EFZG und das Urlaubsentgelt im Sinne des § 1 BUrlG.

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erhält und ihre Vergütungshöhe und Arbeitszeit keinen Schwankungen unterworfen ist, werden Berechnungen nach allen Tatbeständen zum gleichen oder annähernd gleichen Ergebnis kommen. Doch auch dem Erfordernis einer konkreten Vergleichbarkeit wird die nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu zahlende Vergütung gerecht. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG regelt nicht bloß die Entgeltfortzahlung, wenn ein Nachtarbeitsverbot nach § 8 MuSchG oder ein Beschäftigungsverbot nach § 4 MuSchG eingreift. Vielmehr wird auch die Vergütung bei Entgeltausfällen infolge des Sonntags- oder Mehrarbeitsverbots nach § 8 MuSchG und sonstiger Beschäftigungsverbote im Sinne des § 4 MuSchG und vor allem das Arbeitsentgelt bei individuellen Beschäftigungsverboten nach § 3 Abs. 1, § 6 Abs. 2, Abs. 3 MuSchG erfasst. Somit gilt § 11 MuSchG nicht nur für Fälle, in denen eine Entgeltfortzahlung europarechtlich geboten ist, sondern daneben auch noch für andere Konstellationen. Eine Vergütung nach § 11 MuSchG fällt in allen diesen Konstellationen gleich hoch aus. Somit kann die aufgrund europarechtlicher Erfordernisse nach § 11 MuSchG zu zahlende Vergütung nie hinter dem zurückbleiben, was als Entgeltfortzahlung für die Arbeitnehmerin nach wenigstens einem anderen – europarechtlich nicht vorgeschriebenen – Arbeitsausfallgrund vorgesehen ist. Nach alledem setzt § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG die europarechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Vergütungshöhe in zulässiger Weise um. cc) Zulässige Umsetzung hinsichtlich der erfassten Konstellationen Weiterhin ist fraglich, ob die deutsche Umsetzung auch alle Fälle erfasst, für die die Richtlinie Entgeltschutz gewährt. Art. 11 Nr. 1 RL 92/85/EWG verpflichtet die Mitgliedstaaten entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zur Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder des Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung in den Fällen Art. 5, 6 und 7 RL 92/85/EWG. In diesen drei Artikeln ist nicht bloß die Möglichkeit einer völligen Freistellung der Arbeitnehmerin aufgeführt, sondern – sogar vorrangig – die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen und/oder der Arbeitszeiten sowie die Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz. Geht eine solche Maßnahme mit einer Vergütungsreduktion einher, etwa, weil die Arbeitnehmerin infolge des Nachtarbeitsverbots auf einen Tagarbeitsplatz versetzt wird und ihre Nachtarbeitszuschläge verliert, ist hierfür ein angemessener Ausgleich zu schaffen.438 Dass § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG hinsichtlich der Vergütungshöhe diesen Anforderungen genügt, wurde soeben bereits dargelegt.439 Fraglich ist aber, ob diese Vorschrift gerade auch die Konstellation der Vergütungsreduktion durch Änderung der Arbeitszeiten oder Umsetzung erfasst. 438 439

Vgl. Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht § 20 Rn. 18. Vgl. oben § 5 G.II.2.b)bb).

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Daran könnte man zweifeln, weil § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG eine Vergütung ausdrücklich nur für den Fall vorsieht, dass die Arbeitnehmerin wegen eines Beschäftigungsverbots oder Nachtarbeitsverbots teilweise oder völlig mit der Arbeit aussetzen muss. Diese Formulierung könnte man dahingehend auslegen, dass ein Ausgleich nur erfolgen soll, wenn die Arbeitnehmerin infolge des Verbots weniger oder gar nicht mehr arbeitet, nicht jedoch, wenn sie für die gleiche Arbeitszeit ein geringeres Entgelt erhält. Eine derart enge Wortlautinterpretation verbietet sich indes,440 was bereits aus der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts folgt.441 Zudem entstünde andernfalls eine Lücke im Vergütungsschutzsystem des MuSchG, die sachlich nicht gerechtfertigt wäre und auch den Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers von einem lückenlosen Vergütungsschutz zuwider liefe.442 Nach alledem sind Art. 5, Art. 6, Art. 7 und Art. 11 Nr. 1 RL 92/85/EWG richtlinienkonform umgesetzt worden. 3. Tatbestand a) Arbeitnehmerin im Sinne des MuSchG Einen Anspruch nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG können nur Arbeitnehmerinnen im Sinne des § 1 MuSchG geltend machen. Dieser Begriff wurde oben bereits erläutert.443 b) Beschäftigungsverbot Weitere Voraussetzung für den Anspruch auf Mutterschutzlohn aus § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist, dass die Anspruchsstellerin unter ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1, § 4, § 6 Abs. 2 oder Abs. 3 MuSchG oder unter ein Mehr-, Nacht- oder Sonntagsarbeitsverbot nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 oder Abs. 5 MuSchG fällt. Die Aufzählung dieser Arbeitsverbote in § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist abschließend; die Vorschrift ist daher nicht analogiefähig.444 Als Beschäftigungsverbote nach § 4 MuSchG gelten auch solche, die in einer nach § 4 Abs. 4 MuSchG erlassenen Rechtsverordnung enthalten sind. Dazu gehören unter anderem die Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 3 MuSchV445, nach § 4 Abs. 1 i.V. m. Anlage 2 MuSchV, nach § 5 Abs. 1 MuSchV sowie nach § 22 RöV.446 440 Vgl. BAG 8.9.1978 – 3 AZR 418/77, AP Nr. 8 zu § 11 MuSchG 1968; Buchner/ Becker § 11 MuSchG Rn. 60; Meisel/Sowka § 11 MuSchG Rn. 10; HK-MuSchG/ BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 18. 441 Zur richtlinienkonformen Auslegung vgl. näher oben Fn. 388. 442 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 18. 443 Siehe oben § 5 G.I.3.a). 444 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 7; im Ergebnis ebenso Willikonsky § 11 Rn. 6; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 24. 445 Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz vom 15. April 1997 (BGBl. 1997 I, S. 782), zuletzt geändert durch Art. 5 Abs. 9 der Verordnung zur Neufassung

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

c) Keine Subsidiarität Weitere Voraussetzung ist, dass die Schwangere kein Mutterschaftsgeld nach § 13 MuSchG beziehen kann.447 Maßgeblich ist insoweit nicht, ob tatsächlich Mutterschaftsgeld gezahlt wird, sondern ob ein entsprechender Anspruch der Schwangeren besteht.448 Bei unbefangener Betrachtung könnte man die ausdrückliche Nennung dieser Voraussetzung im Wortlaut des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG für überflüssig halten, da die Ansprüche auf Mutterschaftsgeld und den Arbeitgeberzuschuss hierzu (§§ 13, 14 MuSchG) an andere Beschäftigungsverbote anknüpfen. Jedoch ist denkbar, dass mehrere dieser Beschäftigungsverbote gleichzeitig eingreifen. Für diese Fälle erlangt die Subsidiaritätsklausel Bedeutung, indem sie § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG für unanwendbar erklärt.449 d) Verdienstausfall Zudem muss der Verdienst der Schwangeren infolge des Beschäftigungsverbots gemindert sein.450 Setzt die Schwangere nicht vollkommen mit der Arbeit aus, sondern arbeitet sie mit verminderter Stundenzahl, besteht ein Anspruch nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG nur in Höhe der Verdienstminderung.451 4. Rechtsfolgen Bei der Berechnung von Zeit- und Geldfaktor ist auf den Arbeitstag als Zeiteinheit abzustellen. Hinsichtlich der anwendbaren Berechnungsmethode ist zwischen beiden Faktoren zu differenzieren. Die Berechnung des Geldfaktors erfolgt gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG vergangenheitsbezogen. Maßgeblich ist der Durchschnittsverdienst der Arbeitnehder Gefahrstoffverordnung und zur Änderung sprengstoffrechtlicher Verordnungen vom 26. November 2010 (BGBl. 2010 I, S. 1643, 1692). 446 Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlung in der Fassung vom 30. April 2003 (BGBl. 2003 I, S. 604); vgl. zu den genannten Beschäftigungsverboten auch HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 7. 447 Der auch nach der Überführung des Rechts des Mutterschaftsgeldes aus der RVO in das SGB V fortbestehende Verweis auf das „Mutterschaftsgeld nach den Vorschriften des Reichsversicherungsordnung“ dürfte auf einem Redaktionsversehen beruhen. 448 Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 71; Heilmann § 11 Rn. 15; HK-MuSchG/ BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 11; Willikonsky § 11 Rn. 4; vgl. auch Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 6. 449 Vgl. hierzu auch HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 14; Willikonsky § 11 Rn. 4. 450 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 16; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/ Vieß § 11 Rn. 10; vgl. auch Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 29 ff.; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 11 MuSchG Rn. 3; Lenz § 14 Rn. 2. 451 Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 57 ff.; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 16, vgl. ferner ErfK-Schlachter § 11 MuSchG Rn. 4 sowie unten § 5 G.II.4.

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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merin während der letzten drei Monate oder 13 Wochen vor Beginn des Monats, in dem die Schwangerschaft eingetreten ist. Folglich ist insoweit die Bezugsmethode anwendbar.452 Diese wird durch § 11 Abs. 2 MuSchG modifiziert.453 Zum einen sind im Sinne des Lohnausfallprinzips Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur zu berücksichtigen, auch wenn sie erst während oder nach Ablauf des Berechnungszeitraums eintreten (vgl. § 11 Abs. 2 S. 1 MuSchG). Zum anderen bleiben Verdienstkürzungen außer Betracht, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten (vgl. § 11 Abs. 2 S. 2 MuSchG). Dagegen sind gemäß § 11 Abs. 2 S. 3 MuSchG dauerhafte Verdienstkürzungen zu berücksichtigen, die nicht auf einem mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot beruhen und während oder nach Ablauf des Berechnungszeitraums eintreten. Diese Ergänzung soll verhindern, dass eine Schwangere, die einem mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot unterliegt, aufgrund des MuSchG besser steht als eine schwangere Arbeitnehmerin ohne Beschäftigungsverbot oder als nicht schwangere Arbeitnehmerinnen.454 Hinsichtlich der Entgeltbestandteile, die bei der Entgeltberechnung einzubeziehen sind, wird auf die Ausführungen zu § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG verwiesen.455 Die Berechnung des Zeitfaktors ist in § 11 Abs. 1 MuSchG nicht geregelt. Hinsichtlich der für die Berechnungsmethode maßgeblichen gesetzlichen Wertungen unterscheidet sich § 11 Abs. 1 MuSchG aber nicht erheblich von § 14 Abs. 1 MuSchG, so dass die insoweit angestellten Überlegungen auf § 11 Abs. 1 MuSchG übertragbar sind.456 Daher wird auf den Zeitfaktor das Lohnausfallprinzip angewendet.457 452 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 29; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 87; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 33; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 29. 453 Vgl. Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 126 ff.; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 87; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 34; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 43 ff. 454 Vgl. die Regierungsbegründung, BR-Drs. 1071/01, S. 12; ferner Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 133 f.; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 45; Zmarzlik/ Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 60. 455 Siehe dazu oben § 5 G.I.4, zu weiteren Einzelheiten vgl. HK-MuSchG/BEEGPepping § 11 MuSchG Rn. 31 ff. 456 Vgl. dazu oben § 5 G.I.4. 457 Der Sache nach ebenso Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 50 f.; wohl auch Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 76; vgl. ferner BAG 12.12.1990 – 5 AZR 16/90, AP Nr. 3 zu § 8 MuSchG 1968, wo zwar ausdrücklich davon die Rede ist, dass „der Verdienstausfall (. . .) nicht nach dem Lohnausfallprinzip (. . .) zu ermitteln“ ist, sondern vergangenheitsbezogen (also nach der Bezugsmethode); zugleich wird die Sache aber an das zuständige LAG zurückverwiesen, das Feststellungen darüber treffen soll, ob und gegebenenfalls an wie vielen Tagen die Klägerin während der Schwangerschaft überhaupt gearbeitet hätte. Daher ist anzunehmen, dass sich die vom BAG statuierte Nichtanwendbarkeit des Lohnausfallprinzips nur auf den Geldfaktor bezieht,

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

Ebenso wie für Leistungen nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG kann der Arbeitgeber für den Mutterschutzlohn, den er nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu leisten hat, Ersatz von den Krankenkassen nach den Vorschriften des AAG verlangen.458 Die für die Erstattung erforderlichen Mittel bringt die Krankenkasse auf, indem sie ihre entsprechenden Kosten nach § 7 AAG auf die Arbeitgeber umlegt (sogenanntes „U2-Verfahren“). Auf diese Weise wird gewährleistet, dass zwar die Arbeitgeberseite die Kosten wirtschaftlich trägt, aber nicht jeder einzelne Arbeitgeber entsprechend der bei ihm beschäftigten Schwangeren belastet wird. Dadurch soll verhindert werden, dass Arbeitgeber Frauen im gebärfähigen Alter aufgrund drohender Zahlungen nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG bei der Einstellung diskriminieren.459 III. Anspruch auf bezahlte Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG) 1. Systematische Einordnung § 16 S. 1, 2 MuSchG gewährt der Schwangeren einen Anspruch auf Freistellung von ihrer Arbeitspflicht für die erforderlichen Untersuchungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Satz 3 bestimmt, dass ein „Entgeltausfall [. . .] hierdurch nicht eintreten“ darf. Die Frage, ob es sich dabei um eine eigenständige Anspruchsgrundlage oder eine anspruchserhaltende Norm handelt, wird in Literatur und Rechtsprechung eher wenig beachtet.460 Zu ihrer Beantwortung ist die Norm auszulegen. Im Wortlaut des § 16 S. 3 MuSchG ist von „Entgeltausfall“ die Rede. Mit dem „Entgelt“, das trotz der Freistellung nicht „ausfallen“ darf, ist offensichtlich die gewöhnliche arbeitsvertragliche Vergütung gemeint. Das legt nahe, § 16 S. 3 MuSchG als anspruchserhaltende Vorschrift einzustufen. Auch aus systematischen Gesichtspunkten ergibt sich nichts Gegenteiliges. Insbesondere kann nicht überzeugend eingewandt werden, dass andere Entgeltfortzahlungstatbestände im MuSchG (§§ 11, 14 MuSchG) als eigenständige Anspruchsgrundlagen ausgestaltet sind. Diese beiden Normen beheben längerfristige wirtschaftliche Nachteile für schwangere Frauen. § 16 S. 3 MuSchG dagegen überbrückt lediglich eine sehr kurze Zeitspanne, nämlich die Dauer einer Vorsorgeuntersuchung. Daher ist nicht jedoch auf den Zeitfaktor. Vgl. ferner HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 46. 458 Buchner/Becker Vor §§ 11–16 MuSchG Rn. 14 ff.; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 50; ErfK-Schlachter § 11 MuSchG Rn. 12; Willikonsky § 11 Rn. 25. 459 Vgl. auch Buchner/Becker Vor §§ 11–16 MuSchG Rn. 20; HK-MuSchG/BEEGPepping Vorbemerkung zu §§ 11 bis 17 MuSchG Rn. 4. 460 Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 25 nehmen offenbar eine eigenständige Anspruchsgrundlage an; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 9 und Thau AuA 1997, S. 213, 215 hingegen sprechen von „Entgeltfortzahlung“, was eher darauf hindeutet, dass sie von einer anspruchserhaltenden Norm ausgehen; ähnlich Lenz § 16 Rn. 3.

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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§ 16 S. 3 MuSchG mit den §§ 11, 14 MuSchG strukturell nicht vergleichbar. Die Vorschrift § 16 S. 3 MuSchG ist vielmehr eher an § 616 BGB angelehnt, der ebenfalls nur Einnahmeausfälle für eine eher kurze Zeitspanne, namentlich eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ überbrückt.461 § 616 BGB ist aber nach richtiger Ansicht nicht als eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern als anspruchserhaltende Norm ausgestaltet.462 Auch die Entstehungsgeschichte weist in die gleiche Richtung. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass die Vorschrift einen „Verdienstausfall“ verhindern soll.463 Es liegt nahe, dass sich diese Formulierung auf das originäre arbeitsvertragliche Entgelt bezieht. Nach alledem ist § 16 S. 3 MuSchG als anspruchserhaltende Norm zu qualifizieren. 2. Telos Der Tatbestand soll sicherstellen, dass die Schwangere die medizinisch empfohlene und gebotene Vorsorge wahrnehmen kann, ohne wirtschaftliche Nachteile befürchten zu müssen.464 Damit kommt der Norm eine Anreizfunktion zu. Mittelbar dient sie dem Schutz der Gesundheit von Mutter und Kind. Die Säuglingssterblichkeit fällt bei Kindern von ärztlich betreuten Müttern geringer aus als bei solchen Kindern, deren Mütter sich nicht ärztlich betreuen lassen.465 Zu beachten ist, dass mit § 16 MuSchG europarechtliche Vorgaben umgesetzt werden. Art. 9 RL 92/85/EWG verlangt, dass schwangeren Arbeitnehmerinnen eine Freistellung von der Arbeit gewährt wird, die es ihnen erlaubt, die Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft ohne Gehaltseinbußen wahrzunehmen, wenn diese Untersuchungen während der Arbeitszeit stattfinden müssen. 3. Tatbestand a) Anspruchsberechtigung Anspruchsberechtigt sind schwangere Arbeitnehmerinnen.466 § 16 S. 2 MuSchG stellt klar, dass es dabei nicht darauf ankommt, ob die Betroffene krankenversichert ist oder nicht.467 461

Siehe dazu oben § 5 E.III.2. Siehe dazu oben § 5 E.I. 463 Vgl. den Ausschussbericht zu BT-Drs. 4/3652, S. 7 zu § 13b des Entwurfs. 464 ErfK-Schlachter § 16 MuSchG Rn. 1; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 16 MuSchG Rn. 1; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 1. 465 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 1. 466 Vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 16 MuSchG Rn. 2; HK-MuSchG/ BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 2; Willikonsky § 16 Rn. 1; vgl. auch Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 4–6; Lenz § 16 MuSchG Rn. 2; ErfK-Schlachter § 16 MuSchG Rn. 1; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 16 MuSchG Rn. 1. 462

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

b) Untersuchung im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung Weiterhin muss die Schwangere eine Untersuchung im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Schwangerschaft und Mutterschaft vornehmen lassen. Maßstab für die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind §§ 24c, 24d SGB V (ehemals §§ 195, 196 RVO). Hierunter fällt insbesondere die Untersuchung zur Feststellung der Schwangerschaft.468 Stellt sich dabei heraus, dass die Arbeitnehmerin nicht schwanger ist, bleibt der Freistellungsanspruch für die Untersuchung einschließlich des Vergütungsanspruchs unberührt.469 Auf diese Weise soll Arbeitnehmerinnen ein Anreiz dafür geboten werden, sich bei dem Verdacht einer Schwangerschaft möglichst frühzeitig untersuchen zu lassen, um Gefahren für Mutter und Kind rechtzeitig erkennen und entschärfen zu können.470 Aufgrund des Verweises von § 16 S. 2 MuSchG ist der Umfang der Leistungen der Krankenversicherungen auch für nicht krankenversicherte Schwangere maßgeblich.471 c) Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitgebers Des Weiteren muss die Schwangere bei der Durchführung der Untersuchung auf die Belange des Arbeitgebers Rücksicht nehmen.472 Diese ungeschriebene Voraussetzung folgt aus der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht der Arbeitnehmerin zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers (§§ 241 Abs. 2, 467 Satz 2 wurde erst zum 1. Januar 1997 durch das Gesetz zur Änderung des Mutterschutzrechts vom 20. Dezember 1996 (BGBl. 1996 I, S. 2110, 2111) in § 16 MuSchG eingefügt, um Art. 9 RL 92/85/EWG Rechnung zu tragen. Darin wird den Mitgliedstaaten vorgeschrieben, allen schwangeren Arbeitnehmerinnen, die ihren Arbeitgeber von der Schwangerschaft unterrichten, einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit für Vorsorgeuntersuchungen ohne Lohn- oder Gehaltseinbußen einzuräumen (vgl. Buchner/ Becker § 16 MuSchG Rn. 6; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 16 MuSchG Rn. 2). Da das deutsche Recht bis einschließlich 1996 in § 16 MuSchG einen solchen Anspruch nur für krankenversicherte Frauen vorsah, war es erforderlich, den geschützten Personenkreis auch auf Frauen ohne Krankenversicherung auszudehnen (ErfKSchlachter § 16 MuSchG Rn. 2; vgl. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 13/2763, S. 11). 468 Weitere Leistungen sind die Schwangerenvorsorge, die Beratung zur Bedeutung von Mundgesundheit für Mutter und Kind, die Einschätzung oder Bestimmung des Übertragungsrisikos von Karies, die Hebammenhilfe sowie die ärztliche Betreuung bei und nach der Entbindung; vgl. Lenz § 16 Rn. 2; Willikonsky § 16 Rn. 4 sowie Zmarzlik/ Zipperer/Viethen/Vieß § 195 RVO, § 196 RVO. 469 Meisel/Sowka § 16 MuSchG Rn. 6; Willikonsky § 16 Rn. 5; HK-MuSchG/BEEGPepping § 16 MuSchG Rn. 3. 470 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 3. 471 Vgl. Willikonsky § 16 Rn. 3. 472 Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 10; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 5.

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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242 BGB).473 Im MuSchG wird dieser allgemeine Grundsatz dahin konkretisiert, dass der Arbeitgeber durch die Pflichten, die ihm das MuSchG auferlegt, nicht stärker belastet werden soll als erforderlich.474 Insbesondere muss die Schwangere bei der Terminvereinbarung zur Untersuchung soweit wie möglich betriebliche Belange wahren.475 Zudem hat sie sich ordnungsgemäß am Arbeitsplatz abzumelden und dem Arbeitgeber den Termin so früh wie möglich mitzuteilen. 476 Damit geht zwingend die Pflicht der Schwangeren einher, den Arbeitgeber auch über die – gegebenenfalls nur vermutete – Schwangerschaft selbst zu informieren (vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 MuSchG).477 Bei dem Erfordernis der Rücksichtnahme auf Belange des Arbeitgebers handelt es sich um ein echtes Tatbestandsmerkmal. Trägt die Arbeitnehmerin dem nicht hinreichend Rechnung, entsteht kein Anspruch auf bezahlte Freistellung. d) Freistellung durch den Arbeitgeber Der Arbeitgeber muss die Arbeitnehmerin für die Zeit der Untersuchung durch ausdrückliche oder schlüssige Erklärung von der Arbeit freistellen. Tut er das nicht, hat die Schwangere kein Recht, die Arbeitsleistung zu verweigern und die Untersuchung aufzusuchen.478 Für eine solche Berechtigung zur Selbstjustiz fehlt es an Anhaltspunkten im Gesetz. Vielmehr kann die Schwangere gegen eine solche Gesetzesverletzung des Arbeitgebers gerichtlich vorgehen und den Arbeitgeber auf Abgabe der entsprechenden Willenserklärung verklagen.479 Denkbar ist aber, dass die rechtswidrige Verweigerung der Freistellung ein Zurückbehaltungsrecht der Mutter im Sinne des § 273 Abs. 1 BGB begründet. Macht die Arbeitnehmerin dieses Zurückbehaltungsrecht geltend, kann der Arbeitgeber in Annahmeverzug nach § 615 S. 1 BGB geraten, was wiederum einen Entgeltanspruch der Schwangeren begründet.480 473 Vgl. zu Nebenpflichten des Arbeitnehmers ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 707 ff., insbesondere Rn. 708; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 347 ff. 474 Vgl. HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 3. 475 Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 10; Lenz § 16 Rn. 2; ErfK-Schlachter § 16 MuSchG Rn. 2; Willikonsky § 16 Rn. 11; vgl. auch zu entsprechenden Rücksichtnahmepflichten des Arbeitnehmers im Rahmen des § 616 S. 1 BGB BAG 25.4.1960 – 1 AZR 16/58, AP Nr. 23 zu § 616 BGB. 476 Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 11; Lenz § 16 Rn. 2; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 5. 477 Willikonsky § 16 Rn. 10. 478 Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 9, 37; ErfK-Schlachter § 16 MuSchG Rn. 2; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 7; a. A. Willikonsky § 16 Rn. 11; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 16 Rn. 2. 479 Dabei ist auch an einstweiligen Rechtsschutz nach § 46 ArbGG, §§ 916 ff. ZPO zu denken. Aufgrund der begrenzten Dauer einer Schwangerschaft wird die erforderliche Eilbedürftigkeit häufig gegeben sein. 480 Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 37; vgl. zum Annahmeverzug unten § 5 H.

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4. Rechtsfolgen Das für die Zeit der Untersuchung fortzuzahlende Arbeitsentgelt berechnet sich nach überwiegender Meinung für den Geld- und den Zeitfaktor nach dem Lohnausfallprinzip.481 Die Arbeitnehmerin ist mithin so zu stellen, als ob sie in der versäumten Zeit tatsächlich gearbeitet hätte.482 Dabei sind hypothetische Überstunden und Kurzarbeit einzubeziehen.483 IV. Anspruch auf Gewährung bezahlter Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG) 1. Systematische Einordnung § 7 MuSchG verpflichtet den Arbeitgeber dazu, stillende Mütter von der Arbeitspflicht freizustellen. Im hier diskutierten Kontext ist insbesondere § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG interessant, wonach „durch die Gewährung der Stillzeit [. . .] ein Verdienstausfall nicht eintreten“ darf. Zu erörtern ist zunächst die Frage, ob es sich bei der Vorschrift um eine eigenständige Anspruchsgrundlage oder eine anspruchserhaltende Norm handelt. Der Wortlaut spricht eindeutig für Letzteres. Wenn der Gesetzgeber anordnet, dass während der Stillzeit „ein Verdienstausfall nicht eintreten“ darf, geht er offensichtlich davon aus, dass es sich bei dieser Vergütung um das originäre arbeitsvertragliche Entgelt handelt und nicht um ein Surrogat, das auf einer eigenständigen Anspruchsgrundlage beruht. Diesem Normverständnis steht auch die Systematik des MuSchG nicht entgegen. Insbesondere kann ebenso wie bei § 16 S. 3 MuSchG nicht überzeugend eingewandt werden, dass §§ 11, 14 MuSchG als eigenständige Anspruchsgrundlagen ausgestaltet sind. Diese Tatbestände sollen anders als § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG und § 16 S. 3 MuSchG längerfristige wirtschaftliche Nachteile ausgleichen und sind daher strukturell nicht mit §§ 11, 14 MuSchG vergleichbar.484 Auch die Entstehungsgeschichte enthält Anhaltspunkte dafür, in § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG eine anspruchserhaltende Norm zu erblicken. Die Berichterstatterin des zuständigen Bundestagsausschusses Rehling sprach in der abschließenden Bundestagsdebatte zum Erlass des MuSchG von einer „Weiterzahlung des Arbeitsentgelts“, womit offen-

481 Lenz § 16 Rn. 3; Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 26; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 68; a. A. HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 9, der unter Verweis auf die Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung von einer „Durchbrechung des Lohnausfallprinzips“ „in vollem Umfang“ spricht, ohne diesen Schluss näher zu erläutern. Zum Lohnausfallprinzip allgemein siehe oben § 4 B.I. 482 Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 28; Lenz § 16 MuSchG Rn. 3; HK-MuSchG/ BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 9; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 16 Rn. 6. 483 Buchner/Becker § 16 MuSchG Rn. 29; Willikonsky § 16 Rn. 15. 484 Vgl. zu dieser Argumentation bereits oben § 5 G.III.1.

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sichtlich das originäre arbeitsvertragliche Entgelt gemeint ist.485 Außerdem erklärte sie, die Norm weise nach Meinung des Ausschusses einen starken Bezug zu § 616 BGB auf, und bei diesem Tatbestand handelt es sich um eine anspruchserhaltende Norm.486 Folglich ist § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG als anspruchserhaltende Vorschrift zu qualifizieren. 2. Telos Mit § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG soll das Stillen des Kindes mit Muttermilch durch die Wöchnerin gefördert werden.487 Zu diesem Zweck verlagert der Gesetzgeber die wirtschaftlichen Lasten, die durch das Stillen entstehen, auf den Arbeitgeber und verpflichtet ihn zur Entgeltfortzahlung. Der Mutter soll es ermöglicht werden, ohne Angst vor finanziellen Einbußen ihre Arbeit unterbrechen zu können, um zu stillen. Die Ernährung des Kindes mit Muttermilch und die körperliche Nähe von Mutter und Kind während des Stillens sind für die Entwicklung des Kindes, aber auch für die Verfassung der Mutter vorteilhaft.488 Damit dient die Regelung auch den gesundheitlichen Interessen von Mutter und Kind.489 3. Tatbestand a) Stillende Mutter Anspruchsberechtigt sind gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 MuSchG stillende Mütter, die ihr eigenes Kind stillen und Arbeitnehmerinnen im Sinne des § 1 MuSchG sind.490 Dazu gehören auch Leihmütter, die das zu stillende Kind selbst ausgetra-

485

Vgl. den mündlichen Bericht der Abgeordneten Dr. Rehling zu BT-Drs. 2876, Bericht über die 180. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 12. Dezember 1951, Stenographische Berichte, S. 7522. Eine schriftliche Gesetzesbegründung zum MuSchG 1952 existiert nicht. 486 Vgl. den mündlichen Bericht der Abgeordneten Dr. Rehling zu BT-Drs. 2876, Bericht über die 180. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 12. Dezember 1951, Stenographische Berichte, S. 7522. Zur Rechtsnatur von § 616 BGB vgl. oben § 5 E.I. 487 Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 1; ErfK-Schlachter § 7 MuSchG Rn. 1; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 Rn. 1; vgl. auch Müller DB 1983, S. 1043, 1043. 488 Heilmann § 7 Rn. 4; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 1; Zmarzlik/ Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 1; vgl. auch HK-ArbR-Reinecke § 7 MuSchG Rn. 1. 489 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 1; Graue AiB 1999, S. 271, 274; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 1; vgl. auch LAG Baden-Württemberg 3.11.1989 – 5 Sa 106/88, AiB 1990, S. 266, 266; dagegen gehen Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 1 sowie ErfK-Schlachter § 7 MuSchG Rn. 1 offenbar davon aus, dass der Gesetzgeber allein im Interesse des Kindes handelte. 490 Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 6 f.; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 2, 5; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 2; vgl. ferner HK-ArbR-Reinecke § 7 MuSchG Rn. 2.

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gen haben.491 Nicht erfasst sind hingegen Adoptivmütter, die (biologisch) fremde Kinder stillen.492 Unerheblich ist, ob die Mutter das Kind zusätzlich zur Muttermilch auch noch anderweitig ernährt.493 Der Zeitraum, in dem der Anspruch entstehen kann, beginnt mit der Rückkehr der entbundenen Mutter in ihr Beschäftigungsverhältnis nach Ende des Beschäftigungsverbots gemäß § 6 Abs. 1 MuSchG.494 Nach dem Gesetzeswortlaut endet diese Periode erst, wenn die Mutter ihr Kind nicht mehr stillt. Eine davon unabhängige, auf ein bestimmtes Alter des Kindes abstellende Höchstdauer sieht § 7 MuSchG nicht vor. Dennoch ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob eine derartige Höchstgrenze anzunehmen ist.495 Teilweise wird eine zeitliche Begrenzung generell abgelehnt und die Entscheidung, wie lange ein Kind gestillt wird, der Mutter überlassen.496 Andere Stimmen befürworten dagegen eine feste Höchstgrenze, streiten aber darüber, bei welchem Alter des Kindes diese anzusiedeln ist – im Raum stehen beispielsweise zwölf Monate,497 drei498 oder sechs499 Jahre. Als weiterer Vorschlag steht eine Interessenabwägung zwischen dem Schutzbedarf des Kindes und den betrieblichen Interessen im Raum.500 Schließlich wird auch noch die Ansicht vertreten, unabhängig vom Alter des Kindes knüpfe der Anspruch auf Stillzeit daran an, ob die Ernährung mit Muttermilch verglichen mit sonstigen Nahrungsbestandteilen nicht mehr ins Gewicht falle.501

491 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 2; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/ Vieß § 7 MuSchG Rn. 2. 492 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 2. 493 Müller DB 1983, S. 1043, 1043; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 3; HK-ArbR-Reinecke § 7 MuSchG Rn. 2; einschränkend Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 7, nach denen die natürliche Ernährung wenigstes in einem wesentlichen Umfang erfolgen muss. 494 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 6. 495 Diese Rechtsfrage ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden (offengelassen von BVerwG 30.6.1988 – 2 C 60/86, NJW 1988, S. 3030, 3031). 496 LAG Baden-Württemberg 3.11.1989 – 5 Sa 106/88, AiB 1990, S. 266 f. mit zustimmender Anmerkung Heilmann; vgl. auch Heilmann § 7 Rn. 10. 497 LAG Niedersachsen 2.5.1983 – 13 Sa 4/83 (zitiert nach juris); LAG Niedersachsen 29.10.1087 – 10 Sa 379/87, NZA 1988, S. 312; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 7 MuSchG Rn. 3; Lenz § 7 MuSchG Rn. 2; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 8; im Grundsatz auch Meisel/Sowka § 7 MuSchG Rn. 3 (längere Stillzeit nur bei Vorliegen besonderer Umstände zulässig). 498 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 7; vgl. auch Willikonsky § 7 Rn. 7. 499 ArbG Hannover 4.11.1982 – 7 Ca 562/82 (zitiert nach juris). 500 ErfK-Schlachter § 7 MuSchG Rn. 2. 501 Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 2 unter Verweis auf VGH Hessen 12.2.1985 – 1 TG 146/85; vgl. demgegenüber aber Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 8, wo von zwölf Monaten als absolute Höchstgrenze die Rede ist. Vgl. ferner Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 11.

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Für die letztgenannte Ansicht wird angeführt, der Zweck von Stillzeiten sei die Ernährung des Kindes mit Muttermilch.502 Diese Argumentation greift jedoch zu kurz, da – wie oben503 erläutert – der eigentliche Zweck der Regelung in der Förderung der gesundheitlichen Interessen nicht nur des Kindes, sondern auch der Mutter liegt. Beides soll nicht nur durch die Ernährung des Kindes, sondern auch durch die körperliche Nähe während des Stillens erreicht werden. Zudem spricht der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit gegen diese Ansicht, da unklar bleibt, welchen Anteil an der Nahrung des Kindes das Stillen mit Muttermilch haben muss, damit er noch „ins Gewicht fällt“. Schließlich führte diese Ansicht in solchen Fällen, in denen eine Mutter bereits kurz nach der Geburt nur sehr wenig Muttermilch abgeben kann, dazu, ihr das Stillen gänzlich zu versagen. Das hat der Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Vielmehr ist es vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks gerade in solchen Fällen sinnvoll, die verfügbaren kurzen Stillzeiten möglichst gut zu nutzen. Auch fixe Höchstgrenzen sind abzulehnen. Dafür fehlen Anhaltspunkte im Wortlaut des Gesetzes.504 Zudem lassen feste Grenzen die notwendige Flexibilität im Einzelfall vermissen.505 Es mag Kinder geben, die schon nach wenigen Lebensmonaten nicht mehr gestillt werden müssen; bei anderen hingegen ist aufgrund ihrer physischen oder psychischen Verfassung ein längeres Stillen geboten. Ihnen würde eine feste Höchstgrenze nicht gerecht, insbesondere, wenn eine solche sehr früh (etwa bei zwölf Monaten) angesiedelt wäre. Soweit für eine feste Höchstgrenze von zwölf Monaten angeführt wird, darüber hinaus sei aus ernährungsphysiologischer und immunologischer Sicht eine Ernährung mit Muttermilch nicht erforderlich,506 ist dem entgegenzuhalten, dass das Gesetz Stillzeit nicht nur gewähren will, solange es gerade eben zwingend erforderlich ist, um gesundheitliche Schäden zu vermeiden, sondern darüber hinaus solange, wie es die Verfassung von Mutter und Kind fördert.507 Damit bleibt noch zu klären, ob eine objektive Interessenabwägung maßgeblich sein oder die Entscheidung allein der Mutter überlassen bleiben soll. Letzte502

Vgl. zu diesem Argument HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 7. Siehe oben § 5 G.IV.2. 504 LAG Baden-Württemberg 3.11.1989 – 5 Sa 106/88, AiB 1990, S. 266, 266; Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 11; Heilmann Anmerkung zu LAG Baden-Württemberg 3.11.1989 – 5 Sa 106/88, AiB 1990, S. 267; Heilmann § 7 Rn. 10; Lenz § 7 MuSchG Rn. 2; ErfK-Schlachter § 7 MuSchG Rn. 2; ebenfalls zweifelnd HK-ArbR-Reinecke § 7 MuSchG Rn. 3. 505 Vgl. auch LAG Baden-Württemberg 3.11.1989 – 5 Sa 106/88, AiB 1990, S. 266, 266. 506 Vgl. LAG Niedersachsen 29.10.1987 – 10 Sa 379/87, NZA 1988, S. 312, 313; vgl. auch HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 7. 507 Zudem weist das LAG Baden-Württemberg 3.11.1989 – 5 Sa 106/88, AiB 1990, S. 266, 266 zutreffend darauf hin, dass sich das Wort „erforderlich“ in § 7 Abs. 1 S. 1 MuSchG nicht auf das Stillen als solches bezieht, sondern nur auf die täglich zum Stillen erforderliche Zeit. 503

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res ist – mit Einschränkungen – vorzugswürdig. In aller Regel kann die Mutter am besten beurteilen, wie lange das Stillen den gesundheitlichen Interessen des Kindes und ihrer eigenen Verfassung dienlich ist.508 Es darf aber auch nicht verkannt werden, dass hier – in den durch natürliche Gegebenheiten gesetzten biologischen Grenzen – die Gefahr des Rechtsmissbrauchs droht. Die Mutter könnte die Stillzeit auf viele Jahre ausdehnen, was zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitgebers führte und auch vom Gesetzeszweck nicht mehr erfasst ist. In einem solchen Fall ist ausnahmsweise der Mutter die Berufung auf § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) zu versagen.509 Die in Rechtsprechung und Literatur vorgeschlagenen Höchstgrenzen können hierbei allenfalls Richtwerte darstellen.510 Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Stillen über das dritte Lebensjahr hinaus und damit während des Kindergartenbesuchs sozial unüblich ist, und erst recht in der Zeit ab dem sechsten Lebensjahr und damit des Schulbesuchs.511 Während der ersten drei Lebensjahre hingegen ist ein Rechtsmissbrauch nur anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, etwa die Aussage der Mutter, sie verlängere die Stillperiode nur, um weniger arbeiten zu müssen oder den Arbeitgeber zu schädigen. b) Auf Verlangen der Mutter Der Anspruch entsteht ferner nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut des § 7 Abs. 1 S. 1 MuSchG nur, sofern die Mutter vom Arbeitgeber die Gewährung von Stillzeiten verlangt.512 Tut sie das nicht und stillt ihr Kind dennoch während der Arbeitszeit, kann sie für diese Zeit nicht gemäß § 7 Abs. 2 MuSchG ihr Arbeitsentgelt verlangen. Keine Rolle spielt insoweit, ob dem Arbeitgeber bekannt ist, dass die Mutter stillt.513 Für das Verlangen ist keine bestimmte Form vorgeschrieben. Es kann daher sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen.514 Ausreichend ist jedes Begehren, das dem Arbeitgeber das Anliegen der Mutter verdeutlicht.515 508 Vgl. zu diesem Argument LAG Baden-Württemberg 3.11.1989 – 5 Sa 106/88, AiB 1990, S. 266 f.; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 7. 509 Vgl. auch Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 12; Meisel/Sowka § 7 MuSchG Rn. 2. 510 Ähnlich Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 12; vgl. auch HK-MuSchG/BEEGPepping § 7 MuSchG Rn. 7. 511 Vgl. Willikonsky § 7 Rn. 7; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 7. 512 Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 9; Meisel/Sowka § 7 MuSchG Rn. 6; HKArbR-Reinecke § 7 MuSchG Rn. 4; Willikonsky § 7 Rn. 4; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/ Vieß § 7 MuSchG Rn. 3. 513 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 9; vgl. auch Willikonsky § 7 Rn. 4. 514 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 9; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/ Vieß § 7 MuSchG Rn. 3; vgl. auch Willikonsky § 7 Rn. 4. 515 Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 9.

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c) Gewährung durch den Arbeitgeber Der Arbeitgeber muss die Stillzeit gewähren. Das bedeutet, dass er die Mutter für die zum Stillen erforderliche Zeit durch ausdrückliche oder schlüssige Erklärung von der Arbeit freistellen muss. Tut er das nicht, ist es der Mutter nicht erlaubt, die Arbeitsleistung zu verweigern und ihr Kind zu stillen.516 Für eine solche Berechtigung zur Selbstjustiz fehlt es an Anhaltspunkten im Gesetz. Vielmehr kann die Mutter gegen die Gesetzesverletzung des Arbeitgebers gerichtlich vorgehen und den Arbeitgeber auf Abgabe der entsprechenden Willenserklärung verklagen.517 Denkbar ist aber, dass die rechtswidrige Verweigerung der Freistellung ein Zurückbehaltungsrecht der Mutter im Sinne des § 273 Abs. 1 BGB begründet, der Arbeitgeber deswegen in Annahmeverzug im Sinne des § 615 S. 1 BGB gerät und sich daraus ein Entgeltanspruch der Schwangeren ergibt.518 d) Zum Stillen erforderliche Zeit Der Anspruch besteht gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 MuSchG nur für die „zum Stillen erforderliche Zeit“, mindestens aber zweimal täglich eine halbe Stunde oder einmal täglich eine Stunde. Diese Mindeststillzeiten hat der Arbeitgeber unabhängig davon zu gewähren, ob die Mutter im Einzelfall diese Zeit zum Stillen benötigt.519 Ist das nicht der Fall, kann sie den verbleibenden Rest der Mindeststillzeit anderweitig verwenden.520 Für eine Einschränkung enthält das Gesetz keine Anhaltspunkte. Über die Mindeststillzeiten hinaus kann die Mutter die Gewährung von Stillzeiten nur verlangen, soweit diese „erforderlich“ sind. Die Erforderlichkeit ist objektiv zu bestimmen. Die subjektiven Einschätzungen von Arbeitnehmerin oder Arbeitgeber sind unerheblich. Der Mutter ist so viel Zeit zu gewähren, dass sie das Stillen in Ruhe und in gehöriger Weise erledigen kann.521 Objektiv zum Stillen erforderlich ist dabei nicht nur die Zeit des Stillvorgangs an sich, sondern darüber hinaus auch die Zeit, die die Mutter zum Umziehen sowie dazu benötigt, 516 So aber Meisel/Sowka § 7 MuSchG Rn. 21; ErfK-Schlachter § 7 MuSchG Rn. 2; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 19; wie hier Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 9; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 42–44. 517 Zu Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes vgl. bereits oben Fn. 479. 518 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 44. 519 Müller DB 1983, S. 1043, 1043; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 16. 520 Müller DB 1983, S. 1043, 1043; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 16, 18; wohl auch Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 27; a. A. Henssler/Willemsen/ Kalb-Hergenröder § 7 MuSchG Rn. 3; Meisel/Sowka § 7 MuSchG Rn. 11; Zmarzlik/ Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 7. 521 BAG 3.7.1985 – 5 AZR 79/84, AP Nr. 1 zu § 7 MuSchG 1968; Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 17; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 7 MuSchG Rn. 2; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 4.

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um zum Stillraum oder – sofern die Mutter das Kind nicht an ihrem Arbeitsplatz beaufsichtigt – zu dem Ort zu gelangen, an dem sich das Kind aufhält, zum Beispiel eine Kinderkrippe. Grenzen ergeben sich aus der Pflicht der Arbeitnehmerin zur Rücksichtnahme auf betriebliche Belange.522 Daher muss sie zum Beispiel überlange zusätzliche Wegezeiten nach Möglichkeit vermeiden. Auch kann es im Einzelfall geboten sein, dass die Arbeitnehmerin zum Stillen ihre Arbeitsstätte nicht verlässt, sondern sich das Kind zum Stillen bringen lässt.523 Konkrete Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit im Einzelfall enthält § 7 Abs. 1 S. 2 MuSchG für die Konstellation, dass die zusammenhängende Arbeitszeit der Mutter acht Stunden überschreitet. In diesem Fall soll ihr eine Stillzeit von zweimal mindestens 45 Minuten oder, wenn in der Nähe der Arbeitsstätte keine Stillgelegenheit vorhanden ist, einmal eine Stillzeit von mindestens 90 Minuten gewährt werden. Anders als bei den bereits erörterten Mindeststillzeiten gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 MuSchG handelt es sich bei § 7 Abs. 1 S. 2 MuSchG nicht um eine absolute Untergrenze, sondern lediglich um eine Soll-Vorschrift.524 Im atypischen Einzelfall können, allerdings nur aus gewichtigen betrieblichen Gründen oder wenn die Mutter nicht die volle Zeit zum Stillen benötigt, daher auch geringere Stillzeiten angemessen sein.525 Eine Abweichung ist ferner auch zugunsten der Mutter denkbar.526 e) Zeitliche Lage der Stillzeit Die zeitliche Lage der Stillzeit bestimmt sich ebenfalls nach deren Erforderlichkeit.527 Die Erforderlichkeit wiederum ist das Ergebnis einer Abwägung, in die neben den gesundheitlichen Interessen von Mutter und Kind auch die betrieblichen Belange einfließen.528 Aufgrund des Schutzzwecks des Gesetzes müssen letztere im Zweifelsfall aber hinter erstere zurücktreten.529 Regelmäßig werden

522 Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 19; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 13; HK-ArbR-Reinecke § 7 MuSchG Rn. 4; Willikonsky § 7 Rn. 8; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 5. 523 BAG 3.7.1985 – 5 AZR 79/84, AP Nr. 1 zu § 7 MuSchG 1968; HK-MuSchG/ BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 13. 524 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 22; a. A. offenbar HK-ArbR-Reinecke § 7 MuSchG Rn. 4. 525 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 16; zurückhaltend Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 26. 526 Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 27; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 17; wohl auch Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 6. 527 Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 34; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 7 MuSchG Rn. 3; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 21; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 10. 528 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 21; vgl. auch Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 34.

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daher Wünsche der Mutter nach Lage und Verteilung maßgeblich sein.530 Als grobe Richtschnur wird häufig die Empfehlung von Kinderärzten angeführt, Säuglinge alle vier Stunden zu stillen.531 Die formelle Entscheidung über die zeitliche Lage der Stillzeit trifft der Arbeitgeber, da er nach dem Gesetz die Arbeitnehmerin durch eine Erklärung freistellen muss.532 Dabei steht ihm aber kein eigener Spielraum zu, sondern er muss sich nach der Erforderlichkeit richten. Nur wenn ein Verlangen zu dem von der Mutter gewählten Zeitpunkt objektiv nicht erforderlich ist, darf es der Arbeitgeber zurückweisen.533 4. Rechtsfolgen Gewährt der Arbeitgeber die Freistellung, muss die Mutter laut § 7 Abs. 2 S. 2 MuSchG die durch die Stillzeit versäumte Arbeitszeit weder vor- noch nacharbeiten. Auch eine Verrechnung mit gesetzlich vorgesehenen Ruhepausen ist unzulässig. Die Stillzeiten gelten als Teil der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit. Damit kommt ihnen der Charakter echter Freizeiten innerhalb der Arbeitszeit zu.534 Gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG behält die Arbeitnehmerin für die Stillzeiten ihren arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch. Die Berechnung erfolgt hinsichtlich des Geld- und des Zeitfaktors nach dem Lohnausfallprinzip, so dass die Arbeitnehmerin so zu stellen ist, wie sie stünde, wenn sie gearbeitet hätte.535 Damit sind gegebenenfalls hypothetische Zulagen und Prämien zu zahlen, nicht aber der Ersatz von Aufwendungen, die nur angefallen wären, wenn die Mutter tatsächlich gearbeitet hätte.536 529 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 21; vgl. auch Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 34. 530 Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 34; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 21, 23. 531 Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 34; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn.21; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 Rn. 10. 532 Vgl. HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 23; Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 37. 533 Wohl ebenso HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 23; a. A. offenbar Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 37, die im betrieblichen Interesse eine Festlegung abweichend vom Verlangen der Mutter zulassen wollen, sofern dadurch die Bedürfnisse von Mutter und Kind gewahrt bleiben. Diese Ansicht übersieht jedoch, dass aufgrund des ausdrücklichen Wortlauts des § 7 Abs. 1 S. 1 MuSchG der Anspruch nur besteht, wenn sich die gewährte Freistellung zeitlich mit dem Verlangen der Mutter deckt. 534 Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 39; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 11; vgl. auch Meisel/Sowka § 7 MuSchG Rn. 18. 535 Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 67; vgl. auch HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 27; Willikonsky § 7 Rn. 6; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 11; zum Lohnausfallprinzip allgemein vgl. oben § 4 B.I. 536 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 27.

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H. Vergütungsanspruch bei Annahmeverzug des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 1 BGB) I. Systematische Einordnung 1. § 615 S. 1 BGB als anspruchserhaltende Norm Gemäß § 615 S. 1 BGB kann der Dienstverpflichtete die vereinbarte Vergütung verlangen, wenn der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug kommt. Die Rechtsnatur der Norm ist umstritten. Während einige Stimmen in ihr eine eigenständige Anspruchsgrundlage erblicken537, geht die herrschende Meinung von einer anspruchserhaltenden Norm aus.538 Legt man die Vorschrift aus, ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Wortlaut „kann . . . verlangen“ eher auf eine eigenständige Anspruchsgrundlage hindeutet, da diese Formulierung für Anspruchsgrundlagen im BGB typisch ist.539 Andererseits spricht die Norm aber auch von der „vereinbarte[n] Vergütung“, was sich auf die originäre arbeitsvertragliche Vergütung (vgl. § 611 Abs. 1 BGB) bezieht. Der Wortlaut ist also nicht eindeutig. Ergiebiger ist die Systematik des Gesetzes. Insoweit spricht für eine anspruchserhaltende Norm, dass für arbeitgeberseitigen Annahmeverzug bereits in der allgemeinen Vorschrift des § 326 BGB in Abs. 2 S. 1 Var. 2 eine Regelung vorgesehen ist. Danach bleibt die Gegenleistung in Gestalt des originären Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmers bestehen, sofern der Arbeitnehmer die Nichterbringung der Arbeitsleistung nicht zu vertreten hat. § 615 S. 1 BGB ist eine besondere Ausprägung dieses Grundsatzes und zugleich eine vorrangige Spezialregelung.540 Es wäre dogmatisch unstimmig, in § 615 S. 1 BGB eine eigenständige Anspruchsgrundlage zu sehen, in § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 2 BGB hingegen einen anspruchserhaltenden Tatbestand.541 Somit ist § 615 S. 1 BGB als anspruchserhaltende Norm zu qualifizieren. Eine Besonderheit von § 615 S. 1 BGB besteht darin, dass die Norm keine eigenen Tatbestandsvoraussetzungen enthält, sondern an die die allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen des Annahmeverzugs (§§ 293 ff. BGB) anknüpft. Die eigenständige Bedeutung der Vorschrift liegt in einer Erweiterung der 537

Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 84; Staab Annahmeverzug, S. 16. BAG 19.10.2000 – 8 AZR 20/00, AP Nr. 11 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitgebers; BAG 18.9.2002 – 1 AZR 668/01, AP Nr. 99 zu § 615 BGB; KG 30.10.1978 – 12 U 1807/78, DB 1979, S. 170; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 9; ErfKPreis § 615 BGB Rn. 1; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 152. 539 Staab Annahmeverzug, S. 16; vgl. zur Formulierungstechnik des Gesetzgebers Kaiser Bürgerliches Recht, Rn. 28 ff. 540 Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 401; vgl. auch Hromadka/ Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 23–25; Richardi NZA 2002, S. 1004, 1008; offengelassen von BAG 13.6.2007 – 5 AZR 564/06, AP Nr. 11 zu § 611 BGB Film. 541 Vgl. zu § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 2 BGB Soergel-Gsell § 326 Rn. 39; Prütting/Wegen/Weinreich-Medicus/Stürner § 326 Rn. 12; Staudinger-Otto § 326 Rn. C 2. 538

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Rechtsfolgen.542 Im Gegensatz zu §§ 293 ff. BGB entbindet sie den Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht, ohne dass sein Vergütungsanspruch entfällt. 2. Verhältnis von Verzug und Unmöglichkeit a) Probleme des Ausschließlichkeitsdogmas im Arbeitsverhältnis Wie oben erläutert worden ist, kommt der Arbeitsleistung der Charakter einer absoluten Fixschuld zu.543 Eine Nachholung durch den Arbeitnehmer scheidet aus. Damit sind bei Nichterbringung der Arbeitsleistung die Unmöglichkeitsregeln des § 326 BGB einschlägig. Dieses Resultat hat für die Anwendung der Vorschriften über den Annahmeverzug problematische Folgen: Nach der allgemeinen zivilrechtlichen Dogmatik schließen sich Annahmeverzug und Unmöglichkeit gegenseitig aus.544 Bei konsequenter Anwendung dieses Grundsatzes könnte der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug geraten. Damit liefe § 615 S. 1 BGB im Arbeitsverhältnis leer.545 Diesen Schluss ziehen auch Teile der Literatur.546 Die ältere Rechtsprechung steht demgegenüber traditionell auf dem Standpunkt, der Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung dürfe die Anwendung des § 615 S. 1 BGB nicht vollkommen hindern. Dennoch halten diese Stimmen das Ausschließlichkeitsdogma von Verzug und Unmöglichkeit formell aufrecht.547 Zur Auflösung dieses Widerspruchs entwickelte die Rechtsprechung die sogenannte Abstrahierungsformel.548 Danach soll Unmöglichkeitsrecht greifen, so542 Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 3; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 1; vgl. ferner MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 1. 543 Siehe oben § 1. 544 BAG 6.3.1974 – 5 AZR 313/73, AP Nr. 29 zu § 615 BGB; BAG 25.5.1988 – 7 AZR 506/87, AP Nr. 36 zu Art. 140 GG; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 1; Bamberger/Roth-Fuchs § 615 Rn. 3; Sommer Nichterfüllung, S. 82 f. 545 Vgl. Geißler Lohnanspruch, S.58; Sommer Nichterfüllung, S. 86. 546 Beuthien RdA 1972, S. 20, 22 f.; Ehmann NJW 1987, S. 401, 406 ff.; Emmerich Leistungsstörungen § 25 Rn. 3; Geißler Lohnanspruch, S. 63 f.; Hellfeier Leistungszeit, S. 91; Sommer Nichterfüllung, S. 121–124; vgl. auch Hüffer Leistungsstörungen, S. 33; allerdings gehen diese Stimmen zum Teil davon aus, dass die Arbeitsleistung – anders als hier vertreten – keine absolute Fixschuld ist, so dass § 615 S. 1 BGB ein Anwendungsbereich verbliebe, soweit die Leistung nachholbar ist. Vgl. ferner SoergelWiedemann (12. Auflage) Vor § 293 BGB Rn. 16; der eine unmittelbare Anwendung des § 615 S. 1 BGB ablehnt, aber für eine Erhaltung des Lohnanspruchs durch eine analoge Anwendung oder einen Rückgriff auf das arbeitsrechtliche Schutzprinzip eintritt; ebenfalls für eine analoge Anwendung des § 615 S. 1 BGB Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 23, 26. 547 BAG 24.11.1960 – 5 AZR 545/59, AP Nr. 18 zu § 615 BGB; Ulrich Huber Leistungsstörungen I, S. 260. 548 Vgl. BAG 8.2.1957 – 1 AZR 338/55, AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; BAG 24.11.1960 – 5 AZR 545/59, AP Nr. 18 zu § 615 BGB; BAG 18.8.1961 – 4 AZR 132/60, AP Nr. 20 zu § 615 BGB; BAG 6.3.1974 – 5 AZR 313/73, AP Nr. 29

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fern die Leistung auch bei tatsächlicher oder unterstellter Annahmebereitschaft des Arbeitgebers wegen anderer Hindernisse nicht erbracht werden könnte. Diese Fälle werden vielfach als Annahmeunmöglichkeit bezeichnet. In allen anderen Fällen der sogenannten Annahmeunwilligkeit des Arbeitgebers hingegen sollen die Vorschriften über den Annahmeverzug zur Anwendung kommen. Diese raumgreifende Anwendung von Unmöglichkeitsrecht drohte jedoch den Arbeitnehmer insbesondere im Bereich von Zufallsstörungen vorbehaltlich der Ausnahmen des § 326 Abs. 2 BGB vergütungslos zu stellen. In Anbetracht der dadurch entstehenden Schutzlücke entwickelte die Rechtsprechung ein weiteres Instrument außerhalb der §§ 326, 615 BGB, nämlich die sogenannte Betriebsrisikolehre.549 Danach soll der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls aufgrund von Umständen aus dem betrieblichen Bereich mit der Folge tragen, dass die Vergütungspflicht aufrechterhalten bleibt.550 Eine dritte Ansicht (begründet von Picker) lehnt das Ausschließlichkeitsdogma ab und hält zudem die von der Rechtsprechung betriebene Differenzierung zwischen Annahmeunwilligkeit und Annahmeunmöglichkeit mit der anschließenden Korrektur über die Betriebsrisikolehre für überflüssig.551 Ihrer Meinung nach sind auch die Fälle der Annahmeunmöglichkeit unter § 615 S. 1 BGB als Gefahrtragungsregel zu fassen. Damit lehnt diese Auffassung das Ausschließlichkeitsdogma ab.552 b) Unterscheidung von Annahmeunwilligkeit und -unmöglichkeit Die Lösung dieses Problems ist durch eine kritische Auseinandersetzung mit den drei beschriebenen Ansichten zu erarbeiten. Zunächst ist auf die erstgenannte Literaturmeinung einzugehen, die streng am Ausschließlichkeitsdogma festhält. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Sie hätte zur Konsequenz, dass zu § 615 BGB; BAG 18.12.1986 – 2 AZR 34/86, AP Nr. 2 zu § 297 BGB; BAG 6.12.2001 – 2 AZR 422/00, EzA Nr. 9 zu § 1 KSchG Interessenausgleich; ebenso Neumann-Duesberg JuS 1970, S. 68, 69 f.; vgl. auch bereits Trautmann Gruchot 59 (1915), S. 434, 450 ff. 460 f.; Oertmann AcP 116 (1918), S. 1, 17 ff., 45 f. 549 Vgl. die knappe, aber übersichtliche Darstellung bei MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 4; vgl. ferner MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 56; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 63–66. 550 BAG 8.2.1957 – 1 AZR 338/55, AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 23.6.1994 – 6 AZR 853/93, AP Nr. 56 zu § 615 BGB; Bamberger/Roth-Fuchs § 615 Rn. 48; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 61; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 120. 551 Grundlegend Picker JZ 1979, S. 285, 290 ff.; vgl. ferner LAG Niedersachsen 23.7.1993 – 3 Sa 1369/92, LAGE Nr. 40 zu § 615 BGB; Henssler/Willemsen/KalbKrause § 615 BGB Rn. 9; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 18; Staudinger-Richardi/ Fischinger § 615 Rn. 210 ff., insbesondere Rn. 212 ff.; Rückert ZfA 1983, S. 1 ff.; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 225 f. 552 So ausdrücklich NK-BGB-Franzen § 615 BGB Rn. 5.

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§ 615 BGB im Arbeitsverhältnis ohne Anwendungsbereich bliebe. Spätestens seit der Einfügung des § 615 S. 3 BGB, in dem vom „Arbeitgeber“ die Rede ist, widerspräche ein solches Ergebnis dem Willen des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber des SchuldRModG ging offensichtlich sowohl davon aus, dass die Arbeitspflicht eine absolute Fixschuld darstellt,553 als auch davon, dass § 615 BGB auf Arbeitsverhältnisse anwendbar sein soll. Auch der Gesetzgeber des BGB von 1900 nahm an, dass der Fixschuldcharakter einer Dienstleistung die Anwendung von § 615 S. 1 BGB nicht hindert.554 Diese Argumente zeigen, dass das Ausschließlichkeitsdogma den gesetzlichen Wertungen widerspricht. Zu beachten ist weiterhin, dass das Ausschließlichkeitsdogma für Sachleistungsschulden entwickelt wurde.555 Seine Grundsätze passen jedoch nicht auf dauerhaft geschuldete Dienstleistungen.556 Anders als bei Sachleistungen ist im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses der Schuldner in Gestalt des Arbeitnehmers auf den Erhalt der Gegenleistung zur Sicherung seines Lebensunterhalts kontinuierlich angewiesen. Auch aus diesem Grund ist das Ausschließlichkeitsdogma nicht auf das Arbeitsverhältnis zu übertragen. Damit bleibt noch die Frage zu beantworten, ob mit der älteren Rechtsprechung zwischen Annahmeunmöglichkeit und Annahmeunwilligkeit zu differenzieren und für die Behandlung der Annahmeunmöglichkeit die Betriebsrisikolehre heranzuziehen ist oder ob im Sinne der letztgenannten Literaturansicht beide Fälle unterschiedslos unter § 615 S. 1 BGB zu fassen sind. Bereits vor der Schuldrechtsreform und der Einfügung des § 615 S. 3 BGB sprachen gute Gründe gegen die Rechtsprechung und für die von Picker begründete Literaturmeinung. Erstens ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung durch ihre Differenzierung zumindest formal am Ausschließlichkeitsdogma festhält.557 Soeben wurde jedoch dargelegt, weshalb die Übertragung dieses Dogmas auf Arbeitsverhältnisse bedenklich ist. Zweitens ist die Auffassung der Rechtsprechung inkonsequent, da sie ihr zunächst erzieltes Ergebnis – nämlich Anwendung von Unmöglichkeitsrecht und Fortfall der Vergütungspflicht des Arbeitgebers – für viele Fälle der Annahmeunmöglichkeit umgehend durch Anwendung der gesetzlich

553

Vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 129. Mugdan Motive II, S. 257; vgl. auch Picker FS Kissel (1994), S. 813, 823; Rückert ZfA 1983, S. 18 f. 555 Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 5; vgl. auch ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 3, der darauf hinweist, dass die Vorschriften über den Annahmeverzug für den einmaligen Leistungsaustausch konzipiert sind und die Besonderheiten des Arbeitsrechts nicht hinreichend berücksichtigen. 556 Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 5; vgl. auch ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 3; vgl. ferner zur Problematik der zeitlichen Komponente in Arbeitsverträgen in diesem Kontext Picker FS Kissel (1994), S. 813, 820 ff.; Staudinger-Richardi/ Fischinger § 615 Rn. 37; 42 f.; Richardi NZA 2002, S. 1004, 1008. 557 Vgl. Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 29. 554

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nicht geregelten Betriebsrisikolehre korrigiert. Dieses Ergebnis ließe sich wesentlich einfacher und dogmatisch sauberer mit der letztgenannten Literaturansicht erzielen, wenn man § 615 S. 1 BGB als Gefahrtragungsregel zulasten des Arbeitgebers auch auf die Fälle der Annahmeunmöglichkeit anwendete. Drittens steht Pickers Ansicht im Einklang mit den Wertungen des historischen Gesetzgebers.558 Dieser ließ erkennen, dass die Substratgefahr (also die Gefahr, dass fehlende oder funktionsunfähige Betriebsmittel die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich machen) vom Arbeitgeber getragen werden soll.559 Viertens schließlich ist zu berücksichtigen, dass in jedem Fall die Mitwirkung des Arbeitgebers unverzichtbare Voraussetzung für die Erbringung der Arbeitsleistung ist. Sowohl im Fall der Annahmeunwilligkeit wie auch der Annahmeunmöglichkeit unterbleibt diese Mitwirkung. Daher ist es gerechtfertigt, beide Fälle im Hinblick auf die Rechtsfolgen gleich zu behandeln.560 Endgültig obsolet geworden aber ist die Meinung der älteren Rechtsprechung durch die Schuldrechtsreform und § 615 S. 3 BGB.561 Mit dieser Vorschrift wird zwar die von der Rechtsprechung entwickelte und hier kritisierte Figur der Betriebsrisikolehre kodifiziert, was man bei unbefangener Betrachtung als Entscheidung des Gesetzgebers für die Ansicht Rechtsprechung deuten könnte. Jedoch ordnet die Norm als Rechtsfolge just die Geltung des § 615 S. 1 BGB für jene Fälle an, die traditionell unter die Betriebsrisikolehre gefasst wurden. Damit hat der Gesetzgeber bestätigt, dass – im Sinne von Picker – diese Fälle im Ergebnis nach § 615 S. 1 BGB zu lösen sind und nicht über die Betriebsrisikolehre –562 auch, wenn deren Grundsätze nicht angetastet werden sollten. Aus alledem folgt, dass die Betriebsrisikolehre überflüssig ist und aufgegeben werden sollte. Die Rechtsprechung hatte seit der Schuldrechtsreform noch keine Gelegenheit, ihre Auffassung zu korrigieren. Es ist aber nach dem eben Dargelegten zu hoffen, dass eine solche Korrektur baldmöglichst vorgenommen wird. Auch wenn sich der Gesetzgeber hinsichtlich der Rechtsfolgen Pickers Meinung angeschlossen hat, ist dogmatisch die Unterscheidung zwischen Annahmeunmöglichkeit und Annahmeunwilligkeit nicht entbehrlich geworden. Die Annahmeunwilligkeit wird unmittelbar von § 615 S. 1 BGB erfasst, während die Annahmeunmöglichkeit erst über den Verweis in § 615 S. 3 BGB den Rechtsfol558 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 8; Picker JZ 1979, S. 285, 292; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 7; Richardi NZA 2002, S. 1004, 1008; a. A. Rückert ZfA 1983, S. 1, 10 ff. 559 Vgl. Mugdan Motive II, S. 257 f. 560 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 8. 561 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 8; Luke NZA 2004, S. 244; 246; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 7. 562 Wie hier MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 8; Luke NZA 2004, S. 244, 246; ErfKPreis § 615 BGB Rn. 7; a. A. offenbar Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 6, der § 615 S. 3 BGB für „völlig nichtssagend“ hält; ebenfalls kritisch Richardi NZA 2002, S. 1004, 1008; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 225.

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gen des § 615 S. 1 BGB unterworfen wird.563 Zwar spricht – wie erläutert – dogmatisch viel dafür, dass bereits vor der Schuldrechtsreform § 615 S. 1 BGB auch die Fälle des Betriebsrisikos und der Annahmeunmöglichkeit erfasste und dass die von der Rechtsprechung entwickelte Betriebsrisikolehre überflüssig war. Jedoch hat der Gesetzgeber mit § 615 S. 3 BGB deutlich gemacht, dass unabhängig von der bis dahin bestehenden dogmatischen Grundlage diese Konstellationen seit 2002 unter § 615 S. 3 BGB fallen sollen.564 Es gibt keinen plausiblen Grund, sich diesem gesetzgeberischen Willen zu widersetzen. c) Schlussfolgerungen Die soeben erarbeiteten Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Das Ausschließlichkeitsdogma von Verzug und Unmöglichkeit ist nicht von Sachleistungsschulden auf Arbeitsverhältnisse übertragbar. Spätestens durch die Schuldrechtsreform hat der Gesetzgeber sowohl die Annahmeunmöglichkeit als auch die Annahmeunwilligkeit im Ergebnis den Rechtsfolgen des § 615 S. 1 BGB unterworfen. Für die Annahmeunmöglichkeit folgt die Geltung von S. 1 aus dem Verweis in S. 3, während die Annahmeunwilligkeit unmittelbar unter S. 1 fällt. Die Betriebsrisikolehre ist überflüssig und aufzugeben. II. Telos Der Zweck von § 615 S. 1 BGB liegt in der Verbesserung der Rechtsstellung des Arbeitnehmers gegenüber den allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen der §§ 326 Abs. 1, 293 ff. BGB.565 Der Arbeitnehmer soll – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die Nichtannahme der Arbeitsleistung zu vertreten hat – in Fällen des Annahmeverzugs nicht mit der Leistungs- und der Preisgefahr belastet sein, sprich, mit der Gefahr, die Leistung nachholen zu müssen oder die Vergütung zu verlieren.566 Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist insbesondere durch die Überlegung gerechtfertigt, dass der Arbeitnehmer auf seine Vergütung angewiesen ist, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können (Existenzsiche563 Ebenso Geißler Lohnanspruch, S. 85 ff.; Gotthardt Schuldrechtsreform Rn. 134 f.; Hellfeier Leistungszeit, S. 101 f.; Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 188; vgl. auch ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 126; Junker Arbeitsrecht Rn. 290 f. 564 Vgl. die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 14/6857, S. 47 f.; ebenso Geißler Lohnanspruch, Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 188; S. 85; unter Verweis auf die amtliche Überschrift auch Gotthardt Schuldrechtsreform Rn. 135; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 126. 565 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 1; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 1; vgl. auch MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 1, der die Norm als Arbeitnehmerschutzvorschrift einstuft. 566 Vgl. hierzu Picker FS Kissel (1994), S. 813, 816 ff.; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 BGB Rn. 2; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 1, die § 615 S. 1 BGB aus diesem Grund ausdrücklich als Gefahrtragungsregel qualifizieren.

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rungsfunktion). Er kann in der Regel seine Arbeitskraft kurzfristig nicht anderweitig verwerten.567 III. Tatbestand Da § 615 S. 1 BGB lediglich die Rechtsfolgen des Annahmeverzugs erweitert, ergeben sich die Voraussetzungen aus den allgemeinen Vorschriften der §§ 293 ff. BGB.568 1. Angebot des Arbeitnehmers Erste Voraussetzung des Annahmeverzugs nach den §§ 293 ff. BGB ist ein ordnungsgemäßes tatsächliches Angebot des Arbeitnehmers (§ 294 BGB). Unter bestimmten Voraussetzungen lässt § 295 BGB anstelle eines tatsächlichen Angebotes ein wörtliches genügen. Unter den noch weitergehenden Voraussetzungen des § 296 BGB ist ein Angebot sogar vollumfänglich entbehrlich. a) Tatsächliches Angebot (§ 294 BGB) Gemäß § 294 BGB liegt ein tatsächliches Angebot des Arbeitnehmers nur vor, wenn er dem Arbeitgeber die Leistung in der Weise anbietet, wie sie nach dem Arbeitsvertrag zu bewirken ist. Dazu muss der Arbeitnehmer die Leistung zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der richtigen Weise anbieten.569 Wann ein Angebot zur richtigen Zeit erfolgt, ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsvertrag.570 Ein Angebot „auf Vorrat“ genügt nicht, da der Arbeitnehmer damit im entscheidenden Zeitpunkt seine Leistungsbereitschaft nicht nachweist.571 Am richtigen Ort wird ein Angebot nur gemacht, wenn der Arbeitnehmer sich zum vertragsgemäßen Arbeitsort begibt. Regelmäßig ist die Arbeitsleistung eine Bringschuld, so dass der Betrieb des Arbeitgebers maßgeblich ist.572 In der richtigen Weise bietet

567 Vgl. MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 1; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 2; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 1. 568 ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 3; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 41; Geißler Lohnanspruch, S. 56; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 16. 569 BAG 29.10.1992 – 2 AZR 250/92, EzA Nr. 77 zu § 615 BGB; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 18; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 14; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 18; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 16; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 52; vgl. ferner Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 28 f., 31. 570 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 18; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 294 Rn. 13; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 52; vgl. auch Henssler/Willemsen/KalbKrause § 615 BGB Rn. 29. 571 LAG Schleswig-Holstein 23.5.2007 – 6 Sa 362/06, EEK 3337; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 18; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 52. 572 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 18; vgl. ferner Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 28; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 294 Rn. 13 f.

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der Arbeitnehmer die Leistung an, wenn sie der vertraglich geschuldeten Leistung entspricht. Insoweit ist zu beachten, dass die vertraglichen Vorgaben durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers (vgl. § 106 GewO) konkretisiert werden. Daher erfolgt ein Angebot auch dann nicht in der richtigen Weise, wenn sich der Arbeitnehmer dem ordnungsgemäß ausgeübten Direktionsrecht widersetzt.573 b) Wörtliches Angebot (§ 295 BGB) Anstelle eines tatsächlichen Angebots lässt das Gesetz gemäß § 295 S. 1 BGB unter bestimmten Voraussetzungen auch ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers ausreichen. Ein solches liegt vor, wenn der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber ausdrücklich oder konkludent erklärt, die geschuldete Leistung bewirken zu wollen.574 Dazu muss das Angebot inhaltlich so bestimmt sein, dass der Arbeitgeber erkennen kann, welche Leistung der Arbeitnehmer anbieten möchte.575 Dogmatisch handelt es sich bei einem wörtlichen Angebot um eine geschäftsähnliche Handlung. Es ist daher empfangsbedürftig.576 Gemäß § 295 BGB genügt ein wörtliches Angebot in zwei Ausnahmekonstellationen: Erstens ist das der Fall, wenn der Gläubiger ausdrücklich oder konkludent erklärt, dass er die Leistung nicht annehmen werde.577 Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn die Parteien über die wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf andere Art als durch eine Kündigung des Arbeitgebers streiten, etwa, wenn die Wirksamkeit einer Befristung fraglich ist.578 Zweitens genügt ein wörtliches Angebot immer dann, wenn zur Bewirkung der Leistung eine Mitwirkungshandlung des Gläubigers erforderlich ist.579

573 BAG 30.4.2008 – 5 AZR 502/07, AP Nr. 183 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; LAG Niedersachsen 8.10.2003 – 6 Sa 1926/02 (zitiert nach juris); MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 18; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 31; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 18. 574 JurisPK-BGB-Geisler § 295 Rn. 27 ff.; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 295 Rn. 17; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 56, 58; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 36. 575 Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 17; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 295 Rn. 17. 576 Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 17; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 36; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 16 (Fn. 79); Prütting/Wegen/ Weinreich-Zöchling-Jud § 295 Rn. 3. 577 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 21; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 33; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 295 Rn. 3 ff.; Prütting/Wegen/WeinreichZöchling-Jud § 295 Rn. 5 f. 578 BAG 19.9.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, S. 101, 103; zum Sonderfall der (unwirksamen) Arbeitgeberkündigung siehe unten § 5 H.III.1.d). 579 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 22; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 34 f.; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 295 Rn. 11 ff.; Prütting/Wegen/WeinreichZöchling-Jud § 295 Rn. 6.

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c) Entbehrlichkeit eines Angebots (§ 296 BGB) Noch geringere Anforderungen als § 295 BGB stellt § 296 BGB. Nach dieser Vorschrift ist jedwedes Angebot des Arbeitnehmers entbehrlich. Voraussetzung dafür ist wiederum, dass zur Leistungsbewirkung durch den Arbeitnehmer eine Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers erforderlich ist. Ferner muss für diese Mitwirkungshandlung eine Zeit kalendermäßig bestimmt (Satz 1) oder abhängig vom Eintritt eines bestimmten Ereignisses bestimmbar sein (Satz 2). Die Mitwirkungshandlung kann zum Beispiel in der arbeitgeberseitigen Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen liegen.580 d) Sonderfall unwirksame Kündigung durch den Arbeitgeber Seit langem wird in Rechtsprechung und Literatur darum gestritten, ob im Falle einer unwirksamen Kündigung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber noch ein tatsächliches oder wörtliches Angebot erfolgen muss oder ob ein solches nach § 296 BGB entbehrlich ist. Grundsätzlich ist gemäß § 294 BGB im ungekündigten Arbeitsverhältnis ein tatsächliches Angebot des Arbeitnehmers erforderlich, um den Annahmeverzug des Arbeitgebers zu begründen.581 Somit muss der Arbeitnehmer grundsätzlich jeden Tag aufs Neue an seinem Arbeitsplatz erscheinen und dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung anbieten.582 Spricht der Arbeitgeber jedoch eine unwirksame583 Kündigung aus, liegt darin nach ganz überwiegender Ansicht die schlüssige Erklärung des Arbeitgebers, er werde die Leistung des Arbeitnehmers bis auf Weiteres nicht mehr annehmen.584 Damit genügt jedenfalls gemäß § 295 S. 1 Var. 1 BGB ein wörtliches Angebot. Darüber hinaus ist umstritten, ob nicht sogar § 296 BGB eingreift. Dann wäre auch das wörtliche Angebot entbehrlich. Dazu müsste man das Zurverfügungstellen des Arbeitsplatzes als erforderliche Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers im Sinne des § 296 BGB einstufen. 580 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 22; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 16; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 69. 581 BAG 29.10.1992 – 2 AZR 250/92, EzA Nr. 77 zu § 615 BGB; BAG 30.4.2008 – 5 AZR 502/07, AP Nr. 183 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; BAG 18.11.2009 – 5 AZR 774/08, AP Nr. 2 zu § 4 ArbZG; Bamberger/Roth-Fuchs § 615 Rn. 17; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 27; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 5. 582 Vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 28. 583 Sofern die Kündigung wirksam ist, scheitern Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber für den folgenden Zeitraum schon daran, dass durch die Kündigung das Arbeitsverhältnis wirksam aufgelöst ist und im fraglichen Zeitraum gar nicht mehr besteht. 584 BAG 10.4.1963 – 4 AZR 95/62, AP Nr. 23 zu § 615 BGB; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 17; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 295 Rn. 6; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 41 f.

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Die ältere Rechtsprechung des BAG teilte diese Auffassung nicht und forderte ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers und die Ablehnung dieses Angebots durch den Arbeitgeber.585 Zwar erblickte das BAG ein solches Angebot bereits konkludent in der Erhebung einer Kündigungsschutzklage.586 Für die Zeit zwischen dem Ausspruch der Kündigung und der Erhebung der Kündigungsschutzklage jedoch blieb der Arbeitnehmer ohne Annahmeverzugsentgelt, sofern er nicht – in der Praxis die Ausnahme – täglich dem Arbeitgeber ein neues wörtliches Angebot machte. Diese Rechtsprechung erfuhr scharfe Kritik von weiten Teilen der Literatur.587 Mitte der 1980er Jahre änderte das BAG seine Rechtsprechung und schloss sich diesen Stimmen an.588 Seitdem vertritt es die Auffassung, den Arbeitgeber treffe die Verpflichtung, dem Arbeitnehmer durch Ausübung seines Direktionsrechts eine konkrete Tätigkeit zuzuweisen und ihm einen Arbeitplatz zur Verfügung zu stellen. Genüge er diesen Anforderungen nicht, erkläre er dadurch konkludent, seine Mitwirkung verweigern zu wollen. Damit soll das Angebot nach § 296 S. 1 BGB entbehrlich sein. Ein Teil der Literatur kritisiert jedoch diesen Wandel in der Rechtsprechung.589 Zur Begründung wird angeführt, nach der neueren Ansicht des BAG müsse der Arbeitnehmer überhaupt nur noch zur Arbeit erscheinen, sofern der Arbeitgeber ihm zuvor mitteile, welche Arbeitsleistung der Arbeitnehmer kon585 BAG (GS) 26.4.1956 – GS 1/56, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG; BAG 24.11.1960 – 5 AZR 545/59, AP Nr. 18 zu § 615 BGB; BAG 18.1.1963 – 5 AZR 200/62, AP Nr. 22 zu § 615 BGB; BAG 10.4.1964 – 4 AZR 95/62, AP Nr. 23 zu § 615 BGB; BAG 26.8.1971 – 2 AZR 301/70, AP Nr. 26 zu § 615 BGB; BAG 27.1.1975 – 5 AZR 404/74, AP Nr. 31 zu § 615 BGB; BAG 21.5.1981 – 2 AZR 95/79, AP Nr. 32 zu § 615 BGB. 586 Vgl. bereits BAG (GS) 26.4.1956 – GS 1/56, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG; ausdrücklich dann BAG 24.11.1960 – 5 AZR 545/59, AP Nr. 18 zu § 615 BGB; BAG 18.1.1963 – 5 AZR 200/62, AP Nr. 22 zu § 615 BGB; BAG 10.4.1964 – 4 AZR 95/62, AP Nr. 23 zu § 615 BGB; BAG 26.8.1971 – 2 AZR 301/70, AP Nr. 26 zu § 615 BGB; BAG 27.1.1975 – 5 AZR 404/74, AP Nr. 31 zu § 615 BGB. 587 Kritisch seinerzeit schon Beitzke Anmerkung zu BAG 10.7.1969 – 5 AZR 323/68, SAE 1970, S. 4, 4 f.; Blomeyer Anmerkung zu BAG 26.8.1971 – 2 AZR 301/70, AP Nr. 26 zu § 615 BGB; derselbe Anmerkung zu BAG 27.1.1975 – 5 AZR 404/74, AP Nr. 31 zu § 615 BGB; Nikisch RdA 1967, S. 241, 241–244; Söllner Anmerkung zu BAG 10.7.1969 – 5 AZR 323/68, AP Nr. 2 zu § 615 BGB Kurzarbeit; Stehl ArbuR 1967, S. 44, 44 ff.; ebenso später Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 21; SoergelWiedemann (12. Auflage) § 295 Rn. 11 und § 296 Rn. 3; vgl. auch Schäfer JuS 1988, S. 265, 266. 588 Vgl. zur außerordentlichen Kündigung BAG 9.8.1984 – 2 AZR 374/83, AP Nr. 34 zu § 615 BGB; BAG 24.11.1994 – 2 AZR 179/94, AP Nr. 60 zu § 615 BGB; zur ordentlichen Kündigung BAG 21.3.1985 – 2 AZR 201/84, AP Nr. 35 zu § 615 BGB; BAG 19.4.1990 – 2 AZR 591/89, AP Nr. 45 zu § 615 BGB; BAG 24.10.1991 – 2 AZR 112/ 91, AP Nr. 50 zu § 615 BGB; BAG 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NZA 2012, S. 858, 859; ferner generell BAG 19.9.2012 – 5 AZR 627/11, NZA 2013, S. 101, 103. 589 Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 39; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 296 Rn. 5; Schäfer JuS 1988, S. 265, 265 ff.; Stahlhacke ArbuR 1992, S. 8, 8 ff.; ebenfalls kritisch MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 27, der aber gleichwohl aus pragmatischen Überlegungen die Ansicht der Rechtsprechung stützt.

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kret verrichten müsse. Es könne vom Arbeitgeber aber nicht verlangt werden, sein Direktionsrecht (vgl. § 106 GewO) täglich gegenüber all seinen Mitarbeitern auszuüben.590 Zudem sei es in Anbetracht der Unsicherheit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses sinnvoll, vom Arbeitnehmer zu verlangen, sich darüber zu erklären, ob er nach wie vor leistungsbereit sei.591 Dem lässt sich jedoch mit der heute auch in der Literatur überwiegenden Auffassung592 entgegenhalten, dass es viel eher dem Arbeitgeber zuzumuten ist, dem Arbeitnehmer täglich einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, als dem Arbeitnehmer, seine Leistung täglich neu anzubieten. Immerhin ist es gerade der Arbeitgeber, der durch den Ausspruch der Kündigung das Arbeitsverhältnis in Frage stellt. Daher sollte er auch das Risiko tragen, dass sich die Kündigung als unwirksam erweist. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es einerseits für den Arbeitnehmer einen erheblichen Aufwand bedeutet, täglich ein neues Angebot machen zu müssen. Andererseits profitiert der Arbeitgeber hiervon kaum in nennenswertem Umfang. Will er den Annahmeverzug beenden und den Arbeitnehmer wieder einzusetzen, kann er dieses Ziel ebenso effektiv auf einem anderen, den Arbeitnehmer schonenden Weg erreichen: Dazu genügt es, wenn er dem Arbeitnehmer schlicht mitteilt, dieser solle wieder am Arbeitsplatz erscheinen. Schließlich spricht auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit für die neuere Rechtsprechung des BAG.593 2. Leistungsmöglichkeit (§ 297 BGB) Zweite Voraussetzung des Annahmeverzugs ist gemäß § 297 BGB, dass der Arbeitnehmer zur Zeit seines Angebots oder im Fall des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit imstande ist, die Leistung zu bewirken. Hierzu muss der Arbeitnehmer leistungswillig (subjektive Komponente) und leistungsfähig (objektive Komponente) sein.594 Leistungswillig ist der Arbeitnehmer, sofern er subjektiv nicht außerstande ist, vertragsgemäß zu leisten. Er muss den ernstlichen Willen haben, die angebotene

590

Staudinger-Löwisch/Feldmann § 296 Rn. 4; Stahlhacke ArbuR 1992, S. 8, 8. Staudinger-Löwisch/Feldmann § 296 Rn. 5. 592 Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 71; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 30; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 42 f.; im Ergebnis auch MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 27, der aber die dogmatische Grundlage dieser Auffassung bezweifelt; Matthes Lohnzahlung Rn. 46. 593 ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 30. 594 BAG 24.9.2003 – 5 AZR 591/02, NZA 2003, S. 1387, 1388; BAG 13.7.2005 – 5 AZR 578/04, AP Nr. 112 zu § 615 BGB; BAG 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NZA 2012, S. 858, 859; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 29; jurisPK-BGB-Legleitner § 615 Rn. 27; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 10; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 43; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 8. 591

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Leistung im zeitlich geschuldeten Umfang zu erbringen.595 Wie häufig bei subjektiven Voraussetzungen kann indes ein entsprechender Beweis im Prozess schwierig zu erbringen sein. Die Beweislast dafür, die Leistungsunwilligkeit des Arbeitnehmers darzulegen, trifft den Arbeitgeber.596 Die Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers wird durch ein tatsächliches Angebot zur Leistungserbringung indiziert.597 Die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers setzt voraus, dass er nicht durch objektive Umstände an der Leistungserbringung gehindert wird. Objektive Umstände sind solche, deren Eintritt nicht von seinem Willen abhängt. Sie können sowohl tatsächlicher wie auch rechtlicher Natur sein: Als Beispiel für ersteres mag die Beinamputation eines Fußballspielers, für letzteres der Entzug der Fahrerlaubnis eines Kraftfahrers598 oder der Verlust der Organstellung eines GmbHGeschäftsführers599 dienen. 3. Nichtannahme trotz Möglichkeit a) Grundsätzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Annahme Weitere Voraussetzung für den Annahmeverzug ist die Nichtannahme der Leistung durch den Arbeitgeber. Unmittelbar erfasst § 615 S. 1 BGB, wie oben600 dargelegt, nur die Annahmeunwilligkeit, also die Nichtannahme der Leistung trotz Möglichkeit. Fälle der Annahmeunmöglichkeit werden – jedenfalls seit der Schuldrechtsreform – erst über den Verweis in § 615 S. 3 BGB den Rechtsfolgen des § 615 S. 1 BGB unterworfen. Grundsätzlich ist der Arbeitgeber zur Annahme der Arbeitsleistung verpflichtet. Eine der wichtigsten Fallgruppen der Nichtannahme der Arbeitsleistung trotz 595

BAG 18.12.1974 – 5 AZR 66/74, AP Nr. 30 zu § 615 BGB; Henssler/Willemsen/ Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 46; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 297 Rn. 17; ErfKPreis § BGB 615 Rn. 46 f.; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 8; zweifelnd hinsichtlich des Erfordernisses der Leistungsbereitschaft unter Verweis auf den Gesetzeswortlaut hingegen Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 49. Zutreffend weist aber das BAG 7.6.1973 – 5 AZR 563/72, AP Nr. 28 zu § 615 BGB darauf hin, dass sich der leistungsunwillige Arbeitnehmer selbst außerstande setzt, die geschuldete Leistung zu erbringen. 596 Allgemeine Meinung, BAG 5.11.2003 – 5 AZR 562/02, AP Nr. 106 zu § 615 BGB; BAG 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NZA 2012, S. 858, 859; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 109; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 108; Staudinger-Richardi/ Fischinger § 615 Rn. 93; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 124. 597 Vgl. BAG 10.5.1973 – 5 AZR 493/72, AP Nr. 27 zu § 615 BGB mit kritischer Anmerkung Schnorr v. Carolsfeld; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 29; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 46; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 8. 598 BAG 18.12.1986 – 2 AZR 34/86, AP Nr. 2 zu § 297 BGB; LAG SchleswigHolstein 5.1.2006 – 2 Ta 262/05 (zitiert nach juris); MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 30; zu weiteren Beispielen vgl. Staudinger-Löwisch/Feldmann § 297 Rn. 12; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 48. 599 Weiterführend hierzu Lunk/Rodenbusch NZA 2011, S. 497, 499. 600 Siehe oben § 5 H.I.2.

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Möglichkeit liegt in der Verweigerung der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers, dessen zuvor ausgesprochene Kündigung sich als unwirksam erweist.601 Daneben ist § 615 S. 1 BGB aber auch in Konstellationen bedeutsam, die unter das sogenannte Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers fallen.602 Ein solcher Fall ist gegeben, wenn der Arbeitgeber zwar den Arbeitnehmer in seinem Betrieb einsetzen könnte, es aber unterlässt, da ein solcher Einsatz wirtschaftlich sinnlos wäre, etwa, weil keine Aufträge vorliegen oder sich die im Betrieb hergestellten Produkte nicht absetzen lassen. Für eine Nichtannahme der Leistung ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung ausdrücklich ablehnt. Vielmehr genügt jedes tatsächliche Unterbleiben der Annahme.603 Ob den Arbeitgeber hinsichtlich der Nichtannahme ein Verschulden trifft, ist unerheblich.604 b) Ausnahmsweise Berechtigung des Arbeitgebers zur Ablehnung Kein Annahmeverzug tritt ein, wenn der Arbeitgeber ausnahmsweise berechtigt ist, das Angebot des Arbeitnehmers abzulehnen.605 Das ist der Fall, wenn die Annahme des Angebots dem Arbeitgeber nach Treu und Glauben unzumutbar ist.606 Das wird in der Fallgruppe der unwirksamen arbeitgeberseitigen Kündigung relevant.607 Voraussetzung für einen solchen Ausnahmefall ist ein besonders 601 Vgl. Bamberger/Roth-Fuchs § 615 Rn. 24; Geißler Lohnanspruch, S. 64; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 11; vgl. auch Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 40. 602 Vgl. BAG 8.3.1961 – 4 AZR 223/59, AP Nr. 13 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 23.6.1994 – 6 AZR 853/93, AP Nr. 56 zu § 615 BGB; Geißler Lohnanspruch, S. 65; MüKoBGBHenssler § 615 Rn. 91; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 BGB Rn. 197. 603 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 35; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 11; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 95; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 16; vgl. auch Mugdan Motive II, S. 38. 604 BAG 10.5.1973 – 5 AZR 493/72, AP Nr. 27 zu § 615 BGB; BAG 4.10.2005 – 9 AZR 632/04, NZA 2006, S. 442, 444; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 11; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 10; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 96; vgl. auch bereits Mugdan Motive II, S. 37 f. 605 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 44; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 97; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 10. 606 BAG (GS) 26.4.1956 – GS 1/56, AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG; BAG 11.11.1976 – 2 AZR 457/75, AP Nr. 8 zu § 103 BetrVG 1972; BAG 29.10.1987 – 2 AZR 144/87, AP Nr. 42 zu § 615 BGB; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 26; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 44; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 97. 607 Vgl. MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 26; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 97; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 10; a. A. dagegen ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 62; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 66, die dazu tendieren, auch in dieser Fallgruppe bereits vom Fehlen eines ordnungsgemäßen Angebots auszu-

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krasses vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers.608 Zudem muss der Vertragsverstoß im Rahmen einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls schwerer wiegen als das Interesse des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung und seinem Vergütungsanspruch. Die Abwägung kann insbesondere zugunsten des Arbeitgebers ausfallen, wenn bei Annahme der Leistung Rechtsgüter des Arbeitgebers, seiner Familienangehörigen oder anderer Arbeitnehmer gefährdet wären, deren Schutz gegenüber den Interessen des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes vorrangig ist.609 4. Kein vertraglicher Ausschluss Schließlich dürfen die Entgeltfortzahlungsansprüche des Arbeitnehmers aus § 615 S. 1 BGB nicht vertraglich ausgeschlossen sein. Ein solcher Ausschluss ist individual- wie tarifvertraglich möglich, was sich im Umkehrschluss aus § 619 BGB ergibt.610 IV. Rechtsfolgen 1. Aufrechterhaltung der Vergütung; keine Pflicht zur Nachleistung Liegen die Voraussetzungen des § 615 S. 1 BGB vor, treten zwei Rechtsfolgen ein. Zum einen ist der Arbeitnehmer nicht zur Nachleistung verpflichtet.611 Das folgt auch bereits aus dem Charakter der Arbeitsleistung als absoluter Fixschuld.612 Zum anderen erhält der Arbeitnehmer die arbeitsvertraglich geschuldete Vergütung, was alle Leistungen mit Entgeltcharakter umfasst.613 Maßgeblich ist das zuletzt bezogene Bruttoentgelt.614 Zur Berechnung wird hinsichtlich

gehen, so dass der Arbeitgeber schon aus diesem Grund zur Nichtannahme berechtigt ist. 608 Vgl. MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 26; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 97; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 10. 609 Vgl. BAG 29.10.1987 – 2 AZR 144/87, AP Nr. 42 zu § 615 BGB; MünchArbRBoewer § 69 Rn. 26; Bamberger/Roth-Fuchs § 615 Rn. 25; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 45; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 97. 610 BAG 5.9.2002 – 8 AZR 702/01, AP Nr. 1 zu § 280 BGB n. F.; BAG 10.1.2007 – 5 AZR 84/06, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Ruhen des Arbeitsverhältnisses; Bamberger/ Roth-Fuchs § 615 Rn. 6; Geißler Lohnanspruch, S. 137–139; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 8; differenzierend MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 6–8; vgl. auch schon oben die Ausführungen zu einem möglichen Ausschluss des § 616 S. 1 BGB unter § 5 E.III.4. 611 MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 37; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 75; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 16; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 141. 612 Vgl. dazu oben § 1. 613 MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 36; MüKoBGB-Henssler § 615 BGB Rn. 51; Richardi/Fischinger § 615 Rn. 136. 614 KG 30.10.1978 – 12 U 1807/78, DB 1979, S. 170; MüKoBGB-Henssler § 615 BGB Rn. 51.

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des Geld- und des Zeitfaktors das Lohnausfallprinzip herangezogen.615 Auch hypothetische Überstunden sind zu vergüten.616 2. Dauer des Annahmeverzugs a) Grundlagen Der einmal eingetretene Annahmeverzug des Arbeitgebers dauert an, so lange seine Voraussetzungen vorliegen.617 Daher endet der Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer leistungsunfähig618 bzw. unwillig619 wird oder der Arbeitgeber die Leistung des Arbeitnehmers wieder als Erfüllung annimmt620. Im Falle des § 296 BGB entfällt der Annahmeverzug auch dann, sobald der Arbeitgeber die Mitwirkungshandlung nachholt.621 Darüber hinaus endet der Annahmeverzug auch mit dem Arbeitsverhältnis:622 Da es sich bei der Vergütung, die der Arbeitgeber während des Annahmeverzugs zahlt, um das originäre arbeitsvertragliche Entgelt handelt, kann der Arbeitnehmer hierauf nach Ende des Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch mehr haben. Schließlich entfällt der bereits eingetretene Annahmeverzug auch im Sonderfall des § 12 S. 4 KSchG.623 Nach § 12 S. 1 KSchG kann 615 BAG 18.9.2002 – 1 AZR 668/01, AP Nr. 99 zu § 615 BGB; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 152; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 14; Matthes Lohnzahlung Rn. 56; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 135. Zweifelhaft ist hingegen die Ansicht des BAG 23.6.1994 – 6 AZR 853/93, AP Nr. 56 zu § 615 BGB (dem folgend ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 76), wonach die Berechnung ähnlich wie bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erfolgen soll. Richtigerweise gilt zwar auch dort das Lohnausfallprinzip, jedoch wird es in erheblicher Weise modifiziert. Für Einzelheiten vgl. oben § 5 C.IV; allgemein zum Lohnausfallprinzip vgl. oben § 4 B.I. 616 BAG 18.9.2001 – 9 AZR 307/00, AP Nr. 37 zu § 611 BGB Mehrarbeitsvergütung; BAG 7.11.2002 – 2 AZR 742/00, AP Nr. 100 zu § 615 BGB; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 35; Bamberger/Roth-Fuchs § 615 BGB Rn. 30; Schaub-Linck ArbR-Hdb. § 95 Rn. 67. 617 BAG 19.1.1999 – 9 AZR 679/97, AP Nr. 79 zu § 615 BGB; BAG 16.5.2012 – 5 AZR 251/11, NZA 2012, S. 971, 972 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 46; SchaubLinck ArbR-Hdb. § 95 Rn. 59; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 65. 618 BAG 18.8.1961 – 4 AZR 132/60, AP Nr. 20 zu § 615 BGB; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 50; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 66; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 131. 619 BAG 16.5.2012 – 5 AZR 251/11, NZA 2012, S. 971, 972. 620 BAG 14.11.1985 – 2 AZR 98/84, AP Nr. 39 zu § 615 BGB; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 28 f.; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 66; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 124 ff. 621 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 49; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 296 Rn. 8; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 124; vgl. auch BAG 16.5.2012 – 5 AZR 251/ 11, NZA 2012, S. 971, 972. 622 Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 45; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 72; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 13; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 66; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 127 ff. 623 BAG 19.7.1978 – 5 AZR 748/77, AP Nr. 16 zu § 242 BGB Auskunftspflicht; Bamberger/Roth-Fuchs § 615 Rn. 27; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 129.

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der Arbeitnehmer, dem zu Unrecht gekündigt wurde und der den folgenden Kündigungsschutzprozess gewinnt, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verweigern, wenn er in der Zwischenzeit bereits ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist. Macht der Arbeitnehmer von diesem Recht Gebrauch, entfallen gemäß § 12 S. 4 KSchG gegebenenfalls rückwirkend alle Verzugslohnansprüche für den Zeitraum, in dem das neue Arbeitsverhältnis bereits bestanden hat.624 b) Sonderfall auflösend bedingtes Weiterbeschäftigungsangebot nach unwirksamer Kündigung Problematisch ist wiederum eine bestimmte Konstellation nach einer unwirksamen Kündigung durch den Arbeitgeber. Erhebt der Arbeitnehmer eine – letztlich erfolgreiche – Kündigungsschutzklage, kann es vorkommen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses eine vorläufige Weiterbeschäftigung unter der auflösenden Bedingung der Wirksamkeit der Kündigung anbietet. Umstritten ist, ob der Annahmeverzug dadurch gehindert oder beendet wird. aa) Annahme einer annahmeverzugsbeendenden Wirkung durch einen Teil der Literatur Ein gewichtiger Teil der Wissenschaft plädiert für ein Ende des Annahmeverzugs durch ein solches Angebot.625 Allein diese Lösung biete einen angemessenen Ausweg aus der Rechtsunsicherheit, die sich aus dem schwebenden Kündigungsschutzprozess ergibt und den Arbeitgeber belastet.626 Indem er einerseits dem Arbeitnehmer eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anbiete, andererseits aber an der Wirksamkeit seiner Kündigung festhalte, verhalte er sich interessengerecht.627 Er nehme die vom Arbeitnehmer angebotene Leistung als Erfüllung des ursprünglichen Vertrages an.628 Demgegenüber sei es dem Arbeitgeber nicht zumutbar, durch eine bedingungslose Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers seine eigene Kündigung in Frage zu stellen.629 Wenn der Arbeitgeber den gekün624 Vgl. zu den Rechtsfolgen von § 12 S. 4 KSchG ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 93; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 47. 625 Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 BGB Rn. 40 ff.; Henssler/Willemsen/KalbKrause § 615 BGB Rn. 70; derselbe NZA Beilage 1/2005, S. 51, 59; MüKoBGBHenssler § 615 Rn. 42; Löwisch DB 1986, S. 2433, 2433 f.; Ohlendorf ArbuR 1981, S. 109, 110; Opolony DB 1998, S. 1714, 1715 f.; Schäfer NZA 1984, S. 105, 110 f. 626 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 42. 627 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 42. 628 Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 BGB Rn. 40 ff.; Henssler/Willemsen/KalbKrause § 615 BGB Rn. 70; Löwisch DB 1986, S. 2433, 2433. 629 Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 BGB Rn. 42; Stahlhacke ArbuR 1992, S. 8, 14.

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digten Arbeitnehmer trotz ungewisser Rechtslage hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung beschäftige, laufe er Gefahr, den Prozessausgang zu präjudizieren.630 Man könne dem Arbeitgeber vorhalten, selbst nicht von der Wirksamkeit seiner Kündigung auszugehen. Zudem verbessere der Arbeitgeber durch das bedingte Weiterbeschäftigungsangebot die Rechtsstellung des Arbeitnehmers gegenüber der ohne Weiterbeschäftigung bestehenden Situation.631 Der Arbeitnehmer stehe infolge des arbeitgeberseitigen Angebots genauso wie in dem Fall, dass der Arbeitgeber eine Gestaltungsklage auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses erheben müsse. Diese Verbesserung müsse honoriert werden.632 Weiterhin spreche in dogmatischer Hinsicht für die Beendigung des Annahmeverzugs, dass die Weiterbeschäftigung allein vom Fortbestand des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht werde. Ein neuer Beendigungstatbestand werde gerade nicht geschaffen.633 Zudem sei an der Leistungswilligkeit eines Arbeitnehmers zu zweifeln, der ein solches Angebot ablehne, so dass in diesen Fällen schon die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nicht gegeben seien.634 bb) Keine Beendigung des Annahmeverzugs Diese Auffassung überzeugt nicht. Mit der Rechtsprechung635 und Teilen der Literatur636 ist vielmehr davon auszugehen, dass der Annahmeverzug nicht schon durch das Angebot einer vorläufigen Weiterbeschäftigung unter der auflösenden Bedingung der Wirksamkeit der Kündigung endet. Der Arbeitgeber kann nicht widerspruchsfrei einerseits das Bestehen des Arbeitsverhältnisses bestreiten und andererseits zugleich behaupten, er nehme die Arbeitsleistung in Erfüllung eben dieses Arbeitsverhältnisses entgegen.637 In Betracht kommt allenfalls die An630 So in anderem Zusammenhang BAG (GS) 27.2.1985 – GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; vgl. Stahlhacke ArbuR 1992, S. 8, 14. 631 Vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 70; derselbe NZA Beilage 1/2005, S. 51, 59. 632 Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 70; derselbe NZA Beilage 1/2005, S. 51, 59. 633 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 42. 634 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 42. 635 BAG 14.11.1985 – 2 AZR 98/84, AP Nr. 39 zu § 615 BGB; BAG 10.3.1987 – 8 AZR 146/84, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung; LAG Köln 25.6.1987 – 10 Sa 223/87, LAGE Nr. 4 zu § 15 BBiG; vgl. auch bereits BAG 21.5.1981 – 2 AZR 95/79, AP Nr. 32 zu § 615 BGB. 636 Berkowsky DB 1981, S. 1569, 1569 f.; Peter DB 1982, S. 488 ff.; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 68; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 99 ff.; HK-ArbR-Waas/ Palonka § 615 BGB Rn. 11. 637 So aber MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 42; wie hier dagegen Berkowsky DB 1981, S. 1569, 1569; Peter DB 1982, S. 488, 490; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 BGB Rn. 101 f.

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nahme der Arbeitsleistung nicht als Erfüllung des bisherigen, sondern eines geänderten Vertrages.638 Der ungewisse Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses gehört zum dem Risiko, dass der Arbeitgeber zu tragen hat, wenn er bei unklarer Rechtslage eine Kündigung ausspricht.639 Folglich ist es dem Arbeitgeber auch zumutbar, durch vorbehaltlose Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers seine eigene Kündigung in Frage zu stellen. Auch die übrigen Argumente der Gegenansicht greifen nicht durch – insbesondere auch Krauses640 Einwand, dass sich die Rechtsstellung des Arbeitnehmers durch das Angebot des Arbeitgebers verbessere: Krauses Argument liegt der Gedanke zugrunde, dass es das Angebot dem Arbeitnehmer ermöglicht, einen gesicherten Vergütungsanspruch für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses zu erlangen. Demgegenüber hinge der Vergütungsanspruch aus Annahmeverzugslohn nach § 615 S. 1 BGB ohne das Angebot des Arbeitgebers davon ab, ob der Arbeitnehmer den Kündigungsschutzprozess gewinnt. Somit stehe der Arbeitnehmer infolge des Angebots im Ergebnis genauso wie in dem Fall, dass der Arbeitgeber eine Gestaltungsklage auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses erheben müsse. Diese Verbesserung dürfe dem Arbeitgeber nicht zum Nachteil gereichen, sondern sei vielmehr zu honorieren. Dem ist jedoch entgegenzutreten. Die behauptete Verbesserung der Rechtsstellung des Arbeitnehmers wäre allenfalls zu honorieren, wenn der Arbeitgeber aus altruistischen Motiven handelte. Derartige Selbstlosigkeit ist jedoch in der Praxis nur selten der Beweggrund für ein solches Verhalten des Arbeitgebers. Vielmehr macht der Arbeitgeber gewöhnlich ein solches Angebot, um den Eintritt des Annahmeverzugs zu verhindern. Auch ist mehr als fraglich, inwiefern sich dadurch tatsächlich die Rechtsstellung des Arbeitnehmers verbessert. Ob es zu einer solchen Verbesserung kommt, hängt davon ab, wer letztlich den Kündigungsschutzprozess gewinnt. Siegt der Arbeitgeber, bringt das Angebot dem Arbeitnehmer in der Tat einen Vorteil, da er sonst für die Dauer des Prozesses keinen Vergütungsanspruch erwerben könnte. Siegt hingegen der Arbeitnehmer, verliert er nach der Gegenauffassung durch das bedingte Angebot seinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn. Warum jedoch derjenige Arbeitnehmer bestraft werden soll, der zu Recht Kündigungsschutzklage erhebt, und derjenige belohnt werden soll, der zu Unrecht klagt, erschließt sich nicht.

638 BAG 14.11.1985 – 2 AZR 98/84, AP Nr. 39 zu § 615 BGB; Peter DB 1982, S. 488, 490; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 101 f. 639 Vgl. zur Rechtsunsicherheit bei Kündigungen ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 67. 640 Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 70.

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Auch aus dem von Krause641 bemühten Vergleich zu der Situation, in der der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis durch eine Gestaltungsklage auflösen lassen müsste, ergibt sich nichts anderes. Krause vergleicht dabei die hier erörterte Konstellation mit dem folgenden Fall: Auf einen Arbeitgeberantrag hin kann das Arbeitsverhältnis nach einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG durch ein gerichtliches Gestaltungsurteil aufgelöst werden, sofern Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.642 Liegen die entsprechenden Voraussetzungen vor, wird gemäß § 9 Abs. 2 KSchG das Arbeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt aufgelöst, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.643 Für die darüber hinausgehende Zeit erhält der Arbeitnehmer mangels existierenden Arbeitsverhältnisses keinen Annahmeverzugslohn, auf den er ansonsten wegen der erfolgreichen Kündigungsschutzklage einen Anspruch hätte. Daran ändert sich auch nichts, wenn angesichts der üblichen langen Prozessdauer der Zeitpunkt der Auflösung bei Ausspruch des Urteils bereits verstrichen ist.644 Dann muss das Gericht das Arbeitsverhältnis rückwirkend auflösen.645 Dadurch entfallen auch rückwirkend die Verzugslohnansprüche des Arbeitnehmers.646 Zwar weist diese Konstellation mit dem hier diskutierten Fall hinsichtlich der Rechtsfolgen Ähnlichkeiten auf, da in beiden Fällen kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn besteht. Jedoch besteht auch ein gewichtiger Unterschied: Bei einem erfolgreichen Auflösungsantrag muss der Arbeitnehmer den Verlust seiner Annahmeverzugslohnansprüche gerade deshalb hinnehmen, weil Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht erwarten lassen. In der hier erörterten Konstellation werden solche Umstände hingegen regelmäßig nicht vorliegen. Sollten die Dinge ausnahmsweise anders liegen, bleibt es dem Arbeitgeber unbenommen, eben jenen Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 2 KSchG zu stellen, wodurch die Annahmeverzugslohnansprüche des Arbeitnehmers entfielen. Somit besteht die von Krause behauptete Vergleichbarkeit beider Konstellation nicht. 641

Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 70. Zu den Anforderungen, die insoweit zu stellen sind, vgl. v. Hoyningen-Huene/ Linck-Linck § 9 Rn. 52 ff.; ErfK-Kiel § 9 KSchG Rn. 12 ff.; Henssler/Willemsen/KalbThies § 9 KSchG Rn. 20 ff. 643 BAG 23.2.2010 – 2 AZR 554/08, AP Nr. 61 zu § 9 KSchG; Ascheid/Preis/ Schmidt-Biebl § 9 KSchG Rn. 84; v. Hoyningen-Huene/Linck-Linck § 9 Rn. 82; ErfKKiel § 9 KSchG Rn. 28. 644 Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 289, gehen davon aus, dass diese Konstellation die Regel ist. 645 H.M.; Ascheid/Preis/Schmidt-Biebl § 9 KSchG Rn. 87 f.; v. Hoyningen-Huene/ Linck-Linck § 9 Rn. 82, 84; Matissek FS LAG Rheinland-Pfalz (1999), S. 287, 293. 646 BAG 18.1.1963 – 5 AZR 200/62, AP Nr. 22 zu § 615 BGB; v. Hoyningen-Huene/ Linck-Linck § 9 Rn. 84; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 289. 642

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Für die überwiegende Ansicht lässt sich auch noch ein weiterer, von Richardi/ Fischinger647 zutreffend hervorgehobener Umstand ins Feld führen. Indem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein durch die Wirksamkeit der Kündigung auflösend bedingtes Angebot macht, erklärt er, die Arbeit als Erfüllung des ursprünglichen Vertrags nur unter der Bedingung anzunehmen, dass er den Kündigungsschutzprozess nicht gewinnt. § 293 BGB verlangt vom Arbeitgeber aber eine vorbehaltlose Annahme zur Abwendung des Annahmeverzugs, was auch interessengerecht ist: Wie schon ausgeführt worden ist, hat der Arbeitgeber die Risiken zu tragen, die sich daraus ergeben, in unsicherer Rechtslage eine Kündigung auszusprechen. Ließe man eine bedingte Annahme genügen, verlagerte sich dieses Risiko ungerechtfertigterweise auf den Arbeitnehmer.648 Schließlich spricht für die überwiegende Ansicht, dass der Arbeitgeber durch die hier vertretene Auffassung wirtschaftlich keinen Nachteil erleidet.649 Zu seinen Gunsten greift die Anrechnungsregelung des § 615 S. 2 BGB ein. Nimmt der Arbeitnehmer das auflösend bedingte Weiterbeschäftigungsangebot an, erhält er dafür seine Vergütung. Daneben besteht dem Grunde nach zwar auch ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn gemäß § 615 S. 1 BGB. Auf diesen muss sich der Arbeitnehmer jedoch gemäß § 615 S. 2 Var. 1 BGB die Vergütung anrechnen lassen, die er für seine Arbeit aufgrund der Annahme des auflösend bedingten Weiterbeschäftigungsangebots erhält.650 Der Arbeitnehmer wird also nicht „doppelt“ vergütet. Auch wenn der Arbeitnehmer das Weiterbeschäftigungsangebot des Arbeitgebers ablehnt, erleidet der Arbeitgeber hierdurch keinen Nachteil: Die Ablehnung einer Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen wird in der Regel als böswillig im Sinne des § 615 S. 2 Var. 2 BGB anzusehen sein, so dass sich der Arbeitnehmer auf seinen Annahmeverzugslohn diejenige Vergütung anrechnen lassen muss, die er erhalten hätte, wenn er das Weiterbeschäftigungsangebot akzeptiert hätte.651 Aus diesen Gründen geht auch die von der Gegenauffassung652 angeführte mangelnde Leistungswilligkeit desjenigen Arbeitnehmers, der das Weiterbeschäftigungsangebot ablehnt, nicht zulasten des Arbeitgebers. Nach alledem bleibt festzuhalten, dass ein durch die Wirksamkeit der Kündigung auflösend bedingtes Weiterbeschäftigungsangebot des Arbeitgebers den Annahmeverzug nicht ausschließt.

647 Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 BGB Rn. 103 entgegen Löwisch DB 1986, S. 2433. 648 Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 BGB Rn. 103. 649 ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 68; vgl. auch Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 104. 650 Vgl. Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 104 sowie noch ausführlich unten § 5 H.IV.3. 651 ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 68; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 BGB Rn. 104. 652 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 42; Opolony DB 1998, 1714, 1715 f.

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3. Anrechnung (§ 615 S. 2 BGB) a) Grundlagen Der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung gemäß § 615 S. 1 BGB wird durch § 615 S. 2 BGB begrenzt. Danach muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Diese Regelung entspringt dem Gedanken des schadensrechtlichen Vorteilsausgleichs.653 Danach muss sich der Geschädigte auf seinen Schadensersatzanspruch unter bestimmten Voraussetzungen die Vorteile anrechnen lassen, die er durch das schädigende Ereignis erlangt hat.654 Der Arbeitnehmer soll durch das Zusammenspiel von § 615 S. 1 und S. 2 BGB weder besser noch schlechter stehen, als wenn er tatsächlich gearbeitet hätte. Dogmatisch spricht viel dafür, die Regelung als Obliegenheit des Arbeitnehmers einzuordnen: Der Arbeitgeber kann zwar vom Arbeitnehmer nicht verlangen, seine Arbeitskraft anderweitig zu gebrauchen. Ihm kommt aber die Anrechnung zugute, wenn der Arbeitnehmer die vom Gesetz geforderte Verwendung seiner Arbeitskraft unterlässt.655 Die Anrechnung erfolgt kraft Gesetzes; es bedarf keiner entsprechenden Erklärung des Arbeitgebers.656 Die spezielle Anrechnungsregelung in § 11 KSchG geht in ihrem Anwendungsbereich als lex specialis dem § 615 S. 2 BGB vor,657 was im Ergebnis allerdings kaum Auswirkungen hat.658 § 11 KSchG erfasst die Konstellation, dass eine Kündigung durch gerichtliche Entscheidung für unwirksam erklärt wird, wodurch für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses Annahmeverzugslohnansprüche des Arbeitnehmers entstehen können. b) Gegenstand der Anrechnung Anzurechnen sind ersparte Aufwendungen, anderweitiger Verdienst sowie ein böswillig unterlassener Erwerb des Arbeitnehmers. 653 Bamberger/Roth-Fuchs § 615 BGB Rn. 34; HKW-Krause § 615 BGB Rn. 85; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 148; vgl. auch MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 62. 654 Vgl. zur Vorteilsausgleichung Prütting/Wegen/Weinreich-Medicus § 249 Rn. 78 ff.; jurisPK-BGB-Rüßmann § 249 Rn. 48 ff.; Staudinger-Schiemann § 249 Rn. 132 ff. 655 Ebenso MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 62; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 148. 656 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 63; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 85; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 83. 657 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 65; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 87; Staudinger-Richard/Fischinger § 615 Rn. 149. 658 Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass bei § 11 KSchG anders als im Rahmen des § 615 S. 2 BGB nicht dasjenige anzurechnen ist, was der Arbeitnehmer infolge des Unterbleibens der Arbeitsleistung erspart. Der Gesetzgeber ging offenbar davon aus, dass diese Beträge regelmäßig gering sind. Vgl. näher Henssler/Willemsen/ Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 87; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 149.

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Ersparte Aufwendungen (vgl. § 615 S. 2 Var. 1 BGB) sind alle Kosten, die dieser gewöhnlich tragen muss, um seine Arbeitsleistung erbringen zu können und die infolge der Annahmeverweigerung durch den Arbeitgeber nicht mehr entstehen.659 Dazu gehören beispielsweise Fahrtkosten, aber auch Kosten für Arbeitsbekleidung oder Arbeitsmaterial.660 Anzurechnender anderweitiger Verdienst (§ 615 S. 2 Var. 2 BGB) ist demgegenüber jede Leistung mit Entgeltcharakter, die der Arbeitnehmer erhält, weil er seine freigewordene Arbeitskraft anderweitig einsetzt.661 Hierunter fallen keine Nebenverdienste, die der Arbeitnehmer auch neben seiner bisherigen Tätigkeit erzielt hat oder hätte erzielen können.662 Nach allgemeiner Ansicht sind analog § 11 Nr. 3 KSchG auch bestimmte öffentlich-rechtliche Leistungen anzurechnen.663 Ein böswillig unterlassener Erwerb (§ 615 S. 2 Var. 3 BGB) schließlich ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft während des Verzugszeitraums trotz zumutbarer Möglichkeit nicht anderweitig einsetzt. Böswillig in diesem Sinne handelt der Arbeitnehmer, wenn er eine konkret bestehende ihm zumutbare Arbeitsmöglichkeit ablehnt oder schon verhindert, dass ihm ein entsprechendes Angebot gemacht wird.664 Dabei ist Voraussetzung, dass er sich aller objektiven Umstände, insbesondere der Zumutbarkeit des Angebots und der Nachteiligkeit einer solchen Ablehnung für den Arbeitgeber, bewusst ist.665 Der Arbeitnehmer muss hingegen nicht in der Absicht handeln, den Arbeitgeber zu schädigen.666 Das Erfordernis der Zumutbarkeit, das in der Spezialnorm § 11 Nr. 2 KSchG ausdrücklich erwähnt wird, ist aus der Perspektive des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Treu und Glauben zu beurteilen.667 In diesem Rahmen muss man auch die Berufsfreiheit des 659 Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 52; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 88. 660 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 67; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 88; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 17. 661 Vgl. Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 53; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 19 f.; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 89. 662 MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 43; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 69; SoergelKraft (12. Auflage) § 615 Rn. 53; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 20. 663 Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 55; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 94. 664 MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 48; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 93; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 23. Zum Zumutbarkeitsbegriff vgl. Fritz/Erren NZA 2009, S. 1242 ff. 665 Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 93; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 95; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 23. 666 BAG 16.5.2000 – 9 AZR 203/99, AP Nr. 7 zu § 615 BGB Böswilligkeit; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 48; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 74; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 95. 667 BAG 16.6.2004 – 5 AZR 508/03 AP Nr. 11 zu § 615 BGB Böswilligkeit; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 74; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 94; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 96.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

Arbeitnehmers aus Art. 12 GG berücksichtigen.668 Der Arbeitnehmer ist nicht dazu verpflichtet, eine geringwertige Arbeit anzunehmen, wenn berechtigte Aussichten bestehen, dass er in absehbarer Zeit eine für ihn günstigere Arbeit finden kann.669 Auch muss er nur Arbeiten in seinem bisherigen Tätigkeitsfeld ausführen und nicht etwa den Beruf wechseln.670 Hingegen ist die Aufnahme einer Arbeit beim bisherigen Arbeitgeber nicht generell unzumutbar.671 Der Arbeitnehmer muss sich aber nicht auf eine dauerhafte Vertragsänderung einlassen, weil es auf diese Weise zu einer endgültigen Verschlechterung seiner Arbeitsbedingungen käme.672 Eine solche muss er nicht hinnehmen, da ein Zwang zu einer dauerhaften Vertragsänderung gegen die Privatautonomie verstieße. Abweichende Maßstäbe sind nach überwiegender Ansicht hingegen bei der Änderungskündigung anzulegen. Hier erfolgt eine Anrechnung, wenn der Arbeitnehmer die Änderung nicht unter dem Vorbehalt der fehlenden sozialen Rechtfertigung der Änderungskündigung annimmt und ihm die angebotene Tätigkeit auch im Übrigen zumutbar ist.673 Unter diesen Voraussetzungen soll sogar eine Absenkung des Entgelts zulässig sein.674 Dieser Auffassung ist zu folgen. Der Unterschied zur sonstigen dauerhaften Vertragsänderung liegt darin, dass im Falle einer Änderungskündigung kein Verstoß gegen die Privatautonomie gegeben ist. Zu einer dauerhaften Änderung der Arbeitsbedingungen kommt es nur, wenn diese vom Arbeitsgericht nach Maßgabe des § 2 KSchG als gerechtfertigt anerkannt wird.675 Sofern die angebotene

668 BAG 16.6.2004 – 5 AZR 508/03 AP Nr. 11 zu § 615 BGB Böswilligkeit; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 48; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 94; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 96. 669 BAG 11.10.2006 – 5 AZR 754/05, AP Nr. 119 zu § 615 BGB; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 97; weitergehend Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 56, nach dem keine Verschlechterung hinzunehmen sein soll, die über geringfügige Änderungen hinausgeht; ähnlich MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 76. 670 Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 172; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 23. 671 BAG 17.11.2011 5 AZR 564/10, NZA 2012, S. 260 f.; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 49; Bamberger/Roth-Fuchs § 615 Rn. 43; Lüderitz/Pawlak NZA 2011, S. 313, 315 f.; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 98; vgl. auch schon oben § 5 H.III.1.d). 672 BAG 11.1.2006 – 5 AZR 98/05, AP Nr. 113 zu § 615 BGB; Bamberger/RothFuchs § 615 Rn. 43; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 20; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 98. 673 BAG 26.9.2007 – 5 AZR 870/06, AP Nr. 13 zu § 615 BGB Böswilligkeit; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 49; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 175 ff.; HKArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 24; im Ergebnis ebenso MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 77; wohl ablehnend ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 98. 674 BAG 16.6.2004 – 5 AZR 508/03, AP Nr. 11 zu § 615 BGB Böswilligkeit; Schulze NZA 2006, S. 1145, 1146 f.; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 99. 675 Ascheid/Preis/Schmidt-Künzl § 2 KSchG Rn. 338; v. Hoyningen-Huene/LinckLinck § 2 KSchG Rn. 208; ErfK-Oetker § 2 KSchG Rn. 70.

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Tätigkeit dem Arbeitnehmer im Einzelfall zumutbar ist, besteht kein Grund, dem Arbeitgeber die Anrechnung nach § 615 S. 2 BGB zu versagen. c) Zeitlicher Umfang der Anrechnung Umstritten ist, ob die Anrechnung für den gesamten Zeitraum des Annahmeverzugs oder gesondert für einzelne Zeitabschnitte erfolgt. Diese Frage ist bedeutsam, wenn der Arbeitnehmer nur für einen Teil des Zeitraums, auf den sich der Annahmeverzug erstreckt, eine andere Beschäftigungsmöglichkeit findet und er dabei eine Vergütung erhält, welche den für diesen Zeitabschnitt gezahlten Annahmeverzugslohn übersteigt.676 Bezieht man die Anrechnung auf den gesamten Zeitraum, wie die überwiegende Ansicht677 es tut, kommt die günstige Verwertung der Arbeitskraft in erster Linie dem Arbeitgeber zugute. Der Arbeitnehmer profitiert nur, wenn seine zeitweisen zusätzlichen Einkünfte so hoch sind, dass sie die Annahmeverzugslohnansprüche für den gesamten Zeitraum übersteigen. Rechnet man hingegen zeitabschnittsweise an, verbleibt dem Arbeitnehmer die günstigere Verwertung seiner Arbeitskraft.678 Entscheidend muss sein, wer von der günstigeren Verwertung der Arbeitskraft profitieren soll. Da der Überschuss in einem derartigen Fall allein auf dem Verhandlungsgeschick des Arbeitnehmers beruht, muss ihm günstigere Verwertung zustehen. Dafür spricht auch, dass ein solcher Überschuss dadurch zustande kommt, dass der Arbeitnehmer (und nicht der Arbeitgeber) seine Arbeitskraft einsetzt. Außerdem ist der im Annahmeverzug befindliche Arbeitgeber nicht schutzwürdig. Wiese man ihm den Überschuss zu, zöge er einen ungerechtfertigten Vorteil aus dem Annahmeverzug.679 Ferner überzeugt der Einwand der überwiegenden Ansicht nicht, der Arbeitnehmer solle generell keinen Vorteil aus dem Annahmeverzug ziehen können.680 In der hier diskutierten Konstellation zieht der Arbeitnehmer keinen Vorteil aus dem Annahmeverzug selbst, sondern aus der anderweitigen Verwertung seiner Arbeitskraft. Auch die folgende Kontrollüberlegung spricht für die hier vertretene Auffassung: Erzielt der Arbeitnehmer während des Annahmeverzugszeitraums eine höhere Vergütung als der gesamte 676

Vgl. hierzu das Beispiel bei Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 16. BAG 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, AP Nr. 52 zu § 615 BGB; BAG 16.5.2012 – 5 AZR 251/11, NZA 2012, S. 971, 973; so auch schon RG 12.7.1904 – Rep III 146/04, RGZ, 58, S. 402, 403 f.; ferner MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 45; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 66; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 54; Henssler/Willemsen/KalbKrause § 615 BGB Rn. 89; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 160. 678 So LAG Nürnberg, 6.8.1992 – 1 Sa 430/90 (unveröffentlicht); LAG Düsseldorf 1.9.2005 – 5 Sa 212/05, LAGE Nr. 4 zu § 615 BGB 2002; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 92; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 16; Boecken NJW 1995, S. 3218, 3219 ff. 679 Vgl. Preis/Hamacher, Jura 1998, S. 11, 16, 17. 680 BAG 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, AP Nr. 52 zu § 615 BGB; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 66; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 160. 677

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Annahmeverzugslohn, besteht über diesen hinaus keine Anrechnungsmöglichkeit.681 Somit sind etwaige Überschüsse nach der Konzeption des Gesetzes nicht dem Arbeitgeber, sondern dem Arbeitnehmer zugewiesen. Des Weiteren streiten auch Praktikabilitätserwägungen für eine zeitabschnittsweise Anrechnung. Da eine Gesamtberechnung erst nach Abschluss des Annahmeverzugszeitraums vorgenommen werden kann, bleibt unklar, auf welcher Grundlage in der Zwischenzeit Sozialversicherungsbeiträge abzuführen sind.682 Schließlich steht auch der Wortlaut entgegen der Ansicht des BAG683 einer zeitabschnittsweisen Anrechnung nicht entgegen.684 Daher ist diese vorzugswürdig.

I. Vergütungsanspruch in Fällen des Betriebsrisikos (vgl. § 615 S. 3 i.V. m. S. 1 BGB) I. Systematische Einordnung Im Zuge der Schuldrechtsreform hat der Gesetzgeber zum 1. Januar 2002 § 615 S. 3 BGB eingefügt. Danach gelten § 615 S. 1 und S. 2 BGB entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Es werden alle Konstellationen erfasst, die zuvor unter die von der Rechtsprechung durch Rechtsfortbildung entwickelte Betriebsrisikolehre fielen.685 Bei dieser Rechtsfigur, die durch § 615 S. 3 BGB endgültig obsolet geworden ist,686 handelte es sich um ein außerhalb von Verzugs- und Unmöglichkeitsrecht stehendes Instrument, das den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers in besonderen Konstellationen aufrechterhalten sollte. Inhaltlich ging es um bestimmte Fälle der von keinem Vertragspartner zu vertretenden Unmöglichkeit. Diese Rechtsprechung geht auf das sogenannte Kieler Straßenbahnurteil vom 6. Februar 1923 zurück, in dem das RG erstmals feststellte, dass man im Fall einer von keiner Seite verschuldeten Betriebsstörung nicht auf die Vorschriften des BGB zurückgreifen könne.687 Sowohl das RAG688 als auch das BAG689 haben diese Rechtsprechung im Grundsatz gebilligt und aufgegriffen. 681

Vgl. Preis/Hamacher, Jura 1998, S. 11, 16, 17. LAG Düsseldorf 1.9.2005 – 5 Sa 212/05, LAGE Nr. 4 zu § 615 BGB 2002. Die von Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 89 im Anschluss an BAG 24.8.1999 – 9 AZR 804/98, AP Nr. 1 zu § 615 BGB Anrechnung vorgeschlagene vorläufige abschnittweise Anrechnung ist umständlich und wenig praktikabel. 683 BAG 29.7.1993 – 2 AZR 110/93, AP Nr. 52 zu § 615 BGB; vgl. auch MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 45; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 89. 684 LAG Düsseldorf 1.9.2005 – 5 Sa 212/05, LAGE Nr. 4 zu § 615 BGB 2002. 685 Vgl. die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf, BT-Drs. 14/6857, S. 47 f.; vgl. ferner ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 120 sowie ausführlich oben § 5 H.I.2.b). 686 Vgl. oben § 5 H.I.2.b). 687 RG 6.2.1923 – III 93/22, RGZ 106, S. 272, 275. 688 RAG 20.6.1928 – RAG. 72/28, ARS 3, S. 116 ff. 682

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§ 615 S. 3 BGB wird von einigen Autoren für überflüssig gehalten, die im Sinne von Picker die Betriebsrisikofälle schon immer unter § 615 S. 1 BGB gefasst haben.690 Diese Ansicht ist indes abzulehnen.691 Wie oben692 erläutert worden ist, soll § 615 S. 3 BGB seit der Schuldrechtsreform nach dem Willen des Gesetzgebers die Fälle des Betriebsrisikos und damit der Annahmeunmöglichkeit erfassen. Insoweit spielt keine Rolle, ob diese Konstellation nach zuvor bestehender Rechtslage unmittelbar nach § 615 S. 1 BGB zu lösen war oder ob auf die Betriebsrisikolehre zurückgegriffen werden musste. Hervorzuheben ist aber noch einmal, dass § 615 S. 3 BGB ohne inhaltliche Änderungen auf der Betriebsrisikolehre aufbaut. Daher kann, was Voraussetzungen und Rechtsfolgen angeht, auf die Rechtsprechung zur Betriebsrisikolehre zurückgegriffen werden. Schließlich ist zu erwähnen, dass es sich bei § 615 S. 3 BGB um eine anspruchserhaltende Norm handelt. § 615 S. 3 BGB trifft selbst keine Regelung über die Vergütung für die Zeit des Arbeitsausfalls, sondern verweist auf § 615 S. 1 BGB. Bei diesem Tatbestand handelt es sich um eine anspruchserhaltende Norm.693 Daher liegt auch der Rechtsgrund für Vergütungszahlungen nach § 615 S. 3 BGB im Arbeitsvertrag i.V. m. § 611 Abs. 1 BGB und nicht in § 615 S. 3 BGB selbst. II. Telos § 615 S. 3 BGB soll die Gefahr des Arbeitsausfalls für den Fall auf den Arbeitgeber verlagern, dass dieser seine Belegschaft ohne Verschulden nicht beschäftigen kann.694 Griffe hier nicht § 615 S. 3 BGB, sondern Unmöglichkeitsrecht, entfiele der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Ein solches Ergebnis wird als unbillig erachtet: Da der Arbeitgeber den Betrieb und die betriebliche Gestaltung organisiert, leitet, die Verantwortung trägt und die Erträge bezieht, muss er gegenüber seinen Arbeitnehmern auch dafür einstehen, dass der Betriebsorganismus in Funktion bleibt und die Arbeitsmittel zur Verfügung stehen. Nur auf diese Weise kann der Arbeitnehmer seine 689 BAG 8.2.1957 – 1 AZR 338/55, AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; BAG 13.6.1990 – 2 AZR 635/89 (zitiert nach juris). 690 Besonders scharfe Kritik äußern Richardi NZA 2002, S. 1004, 1005 und Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 6. 691 Im Sinne der hier vertretenen Auffassung wohl auch Geißler Lohnanspruch, S. 85 ff.; Gotthardt Schuldrechtsreform Rn. 134 f.; Hellfeier Leistungszeit, S. 101 f.; Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 188; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 23; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 126; vgl. auch Junker Arbeitsrecht Rn. 290 f. 692 Siehe oben § 5 H.I.2. 693 Siehe oben § 5 H.I.1. 694 Vgl. MüKoBGB-Henssler § 615 BGB Rn. 100 und Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 199 f., die das Betriebsrisiko als Unterfall der Substratgefahr qualifizieren; vgl. ferner MünchArbR-Boewer § 615 Rn. 55.

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Arbeitsleistung erbringen und ein Entgelt erzielen.695 Unterbleibt die Arbeitsleistung aus Gründen, die aus der Sphäre des Arbeitgebers herrühren, ist es angemessen, diesem die Gegenleistungsgefahr aufzuerlegen und zur Vergütungszahlung zu verpflichten.696 Der Arbeitgeber kann diese Umstände besser kontrollieren und beeinflussen als der Arbeitnehmer. Beruht der Arbeitsausfall dagegen auf Umständen, die aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammen, trägt dieser die Gegenleistungsgefahr und erhält kein Entgelt. Darunter sollen nach überwiegender Auffassung auch Fälle zu fassen sein, in denen die Arbeitskampfrisikolehre greift.697 Hierauf wird noch näher eingegangen.698 Die vorstehenden Ausführungen demonstrieren, dass es sich bei § 615 S. 3 BGB um eine Gefahrtragungsregel handelt. III. Tatbestand 1. Grundlagen Das Betriebsrisiko erfasst die Konstellation, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung aus betriebstechnischen oder aus sonstigen Gründen nicht annehmen kann, die aus seiner Sphäre herrühren. Dabei geht es aber nur um Fälle, in denen das BGB nach der traditionellen Konzeption des BAG eine Schutzlücke hinsichtlich des Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers enthält.699 Keine derartige Lücke liegt vor, wenn der Arbeitgeber die Unmöglichkeit nach § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB wenigstens weit überwiegend zu vertreten hat.700 Dann bleibt der Vergütungsanspruch bereits nach dieser Vorschrift bestehen. Ebenfalls keine Lücke ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer nach § 276 BGB die Unmöglichkeit zu vertreten hat. In diesem Fall bleibt es bei dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“, und der Vergütungsanspruch entfällt nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB.701 Schließlich liegt auch dann keine Konstellation des § 615 S. 3 BGB vor, wenn nicht das Betriebs-, sondern das Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers betroffen

695 Vgl. BAG 8.2.1957 – 1 AZR 338/55, AP Nr. 2 zu § 615 Betriebsrisiko; vgl. auch Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 65. 696 In diesem Zusammenhang wird daher auch häufig der Begriff der „Sphärentheorie“ verwendet (vgl. dazu Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 65). 697 Vgl. hierzu die Darstellungen bei MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 101 ff.; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 75 ff.; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 242 ff. 698 Siehe dazu unten § 6 B.IV. 699 Vgl. die Entscheidung BAG 8.2.1957 – 1 AZR 338/55, AP Nr. 2 zu § 615 Betriebsrisiko, in der Senat vorrangig prüft, ob ein Erhalt des Entgeltanspruchs durch Anwendung der BGB-Vorschriften möglich ist. 700 Siehe oben § 5 B.III.3.a). 701 Soergel-Gsell § 326 Rn. 13; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 21.

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ist.702 Das Wirtschaftsrisiko erfasst zum Beispiel den Fall, dass die Arbeitsleistung erbracht werden kann, der Arbeitgeber sie aber nicht verwerten kann, zum Beispiel wegen Auftragsmangels.703 In solchen Konstellationen ist § 615 S. 1 BGB unmittelbar anwendbar, und es bedarf keines Rückgriffs auf Satz 3.704 2. Begriff des Betriebsrisikos Es erweist sich als problematisch, eine allgemeingültige und griffige Definition des Betriebsrisikos zu entwickeln. Als Ausgangspunkt kann man festhalten, dass die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung auf betriebstechnischen Gründen beruhen muss.705 Konkret werden Fälle erfasst, in denen es dem Arbeitgeber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, notwendige Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen. Des Weiteren muss der Mangel an Arbeitsmitteln dazu führen, dass der arbeitswillige Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann.706 Zur Ergänzung dieser sehr allgemeinen Begriffsumschreibung haben Literatur und Rechtsprechung eine umfangreiche Kasuistik entwickelt. An dieser Stelle werden lediglich einige wichtige Beispiele angeführt. Vom Betriebsrisiko erfasst sind regelmäßig Störungen, die auf technischem Versagen oder höherer Gewalt beruhen. Dazu gehören die Unterbrechung der Strom-, Gas- oder Wasserversorgung707 ebenso wie die Situation, in der in einer Fabrik aufgrund von Überschwemmungen oder übermäßigem Frost nicht gearbeitet werden kann.708 Auch die völlige Vernichtung der Betriebsstätte durch Naturereignisse oder einen Brand ist vom Betriebsrisiko erfasst.709 Gleiches gilt für die Situation, in der 702 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 91; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 23; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 33; wohl ebenso ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 136. 703 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 91; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 23; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 33. 704 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 91; Prütting/Wegen/Weinreich-Lingemann § 615 Rn. 23; wohl ebenso Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 37. 705 BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 Art. 9 GG Arbeitskampf; jurisPKBGB-Legleitner § 615 Rn. 49; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 120; Staudinger-Richardi/ Fischinger § 615 Rn. 196. 706 Vgl. MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 89; jurisPK-BGB-Legleitner § 615 Rn. 50; HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 32; vgl. ferner ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 120–122. 707 Vgl. MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 101; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 131; HKArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 32. 708 BAG 9.3.1983 – 4 AZR 301/80, AP Nr. 31 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 56; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 101; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 131. 709 BAG 28.9.1972 – 2 AZR 506/71, AP Nr. 28 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 56; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 101; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 131.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

zwar die Betriebsstätte selbst intakt ist, jedoch die zur Erbringung der Arbeitsleistung erforderlichen Rohstoffe nicht vorhanden sind.710 Auch rechtliche Gründe für die Unmöglichkeit können unter das Betriebsrisiko fallen, insbesondere die gesetzlich oder behördlich angeordnete Betriebsschließung.711 Gerade nicht unter das Betriebsrisiko gefasst wird hingegen das sogenannte Wegerisiko. Der Arbeitnehmer trägt das Risiko, aufgrund von Verkehrsstörungen jeglicher Art nicht oder nicht rechtzeitig zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen.712 Ein in diesem Zusammenhang häufig angeführtes Beispiel ist das Fahrverbot wegen Smogalarms.713 Das Wegerisiko ist aber auch betroffen, wenn die Straßen aufgrund von Glatteis nicht befahrbar sind714 oder öffentliche Verkehrsmittel wegen einer Demonstration nicht verkehren.715 Zu beachten ist schließlich noch, dass Entgeltansprüche nach § 615 S. 3 BGB vertraglich ausgeschlossen werden können. Insoweit gelten die Ausführungen zu § 615 S. 1 BGB entsprechend.716 3. Zusätzliche Voraussetzungen aus § 615 S. 1 BGB? Zu klären ist schließlich noch, ob des Weiteren auch die Voraussetzungen von § 615 S. 1 BGB vorliegen müssen. Bejaht man diese Frage, muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber in Annahmeverzug versetzen, um eine Vergütung zu erhalten. Maßgeblich ist, ob man § 615 S. 3 BGB als Rechtsgrund- oder als Rechtsfolgenverweisung versteht. Das BAG hat sich hierzu bislang nicht geäußert. In der Literatur ist diese Frage umstritten.717 Die Gesetzgebungsmaterialien behandeln diese Thematik nicht ausdrücklich.718 Dennoch kann man auf den Willen des Gesetzgebers zurückgreifen. Da710 MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 56; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 101; ErfKPreis § 615 BGB Rn. 131. 711 BAG 30.5.1963 – 5 AZR 282/62, AP Nr. 15 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; LAG Berlin 6.1.2003 – 7 Sa 1826/02 und 1844/02 (zitiert nach juris); MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 56; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 133. 712 MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 57; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 134; HK-ArbRWaas/Palonka § 615 BGB Rn. 34. 713 Ehmann NJW 1987, S. 401, 403; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 101; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 134. 714 BAG 8.12.1982 – 4 AZR 134/80, AP Nr. 58 zu § 616 BGB; MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 57; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 134. 715 ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 134. 716 Siehe oben § 5 H.III.4. 717 Für eine Rechtsgrundverweisung Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 121; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 90; für eine Rechtsfolgenverweisung ErfKPreis § 615 BGB Rn. 122; Geißler Lohnanspruch, S. 88; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 6; jurisPK-BGB-Legleitner § 615 Rn. 48. 718 Insoweit unergiebig BT-Drs. 14/6857, S. 47 f.

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nach war beabsichtigt, die frühere Betriebsrisikolehre der Rechtsprechung zu kodifizieren.719 Da nach der diesbezüglichen Rechtsprechung des BAG aber in Fällen des Betriebsrisikos kein Inverzugsetzen durch den Arbeitnehmer erforderlich war,720 muss man der Einordnung als Rechtsfolgenverweisung den Vorzug geben. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich der Gesetzgeber in der Sache der von Picker begründeten Literaturauffassung angeschlossen hat, wonach Betriebsrisikofälle unter § 615 S. 1 BGB fallen.721 Diese Entscheidung bezieht sich ausschließlich auf die Rechtsfolgen, nicht aber die Voraussetzungen von § 615 S. 1 BGB. Für einen gesetzgeberischen Willen, inhaltlich abweichend von der angesprochenen früheren BAG-Rechtsprechung zur Betriebsrisikolehre ein Inverzugsetzen des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer zu verlangen, liegen keine Anhaltspunkte vor. Dieses Resultat berücksichtigt auch die Interessen der Vertragsparteien in ausgewogener Weise: Wie bereits erläutert worden ist, wird § 615 S. 3 BGB ausschließlich auf Fälle der Annahmeunmöglichkeit angewendet. Es ist nicht ersichtlich, weswegen man vom Arbeitnehmer verlangen sollte, den Arbeitgeber durch das Anbieten der Arbeitsleistung in Verzug zu setzen, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung ohnehin nicht möglich ist. Eine solche Anforderung wäre zudem wirtschaftlich sinnlos. Der Arbeitnehmer könnte die hierzu erforderliche Zeit stattdessen dazu nutzen, seine Dienste im Sinne des § 615 S. 2 BGB anderweitig zu verwenden und damit die wirtschaftlichen Nachteile zu mildern, die dem Arbeitgeber drohen. 4. Ausnahmen Nach der Rechtsprechung des BAG ist die Betriebsrisikolehre und damit nach den oben722 entwickelten Grundsätzen auch § 615 S. 3 BGB in zwei wichtigen Ausnahmefällen nicht anwendbar. Zum einen geht es dabei um die Konstellationen, in denen der Arbeitsausfall auf einem Arbeitskampf beruht.723 Zum anderen – dieser Fall ist praktisch noch nie relevant geworden – soll trotz Vorliegen der übrigen Voraussetzungen von § 615 S. 3 BGB kein Vergütungsanspruch bestehen, wenn andernfalls die Existenz des Arbeitgebers gefährdet wäre.724 Daran stellt das BAG hohe Anforderungen: Es soll nicht genügen, dass der Betrieb des

719

Vgl. BT-Drs. 14/6857, S. 48; siehe ferner dazu schon oben § 5 H.I.2. BAG 7.12.1962 – 1 AZR 134/61, AP Nr. 14 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. 721 Vgl. dazu oben § 5 H.I.2. 722 Siehe oben § 5 I.I. 723 MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 55; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 39, HK-ArbR-Waas/Palonka § 615 BGB Rn. 35. Vgl. hierzu näher unten § 6 B.IV. 724 BAG 30.5.1963 – 5 AZR 282/62, AP Nr. 15 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; vgl. auch BAG 8.2.1957 – 1 AZR 338/55, AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; zustimmend MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 98. 720

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

Arbeitnehmers, dessen Entgeltanspruch in Rede steht, zerstört und daher funktionsunfähig ist. Vielmehr soll erforderlich sein, dass das gesamte Unternehmen in seiner Existenz bedroht ist. Gegen die Auffassung des BAG wendet sich zu Recht eine starke Literaturansicht. 725 Zwar lässt sich das Vorgehen des BAG dogmatisch plausibel über das in § 242 BGB verankerte Existenzvernichtungsgebot begründen.726 Indes hat der Gesetzgeber für derartige Situationen andere Instrumente vorgesehen. Insbesondere kann sich der Arbeitgeber um die Einführung von Kurzarbeit bemühen und nötigenfalls betriebsbedingt kündigen.727 Zudem ist dem arbeitswilligen Arbeitnehmer ein Entgeltverzicht im Hinblick auf die besonderen Gegebenheiten des Arbeitsrechts kaum zumutbar. Auch der Arbeitnehmer ist regelmäßig zur Sicherung seiner Existenz auf seine Vergütung angewiesen. Die vom BAG befürwortete Ausnahme würde ihn daher in seiner Existenz gefährden. Zudem können Existenzsicherungsaspekte im deutschen Arbeitsrecht generell nur zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden.728 Dieser Grundsatz lässt sich mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers rechtfertigen.729 Eine umgekehrte Fürsorgepflicht des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber hingegen, mit dem sich die hier diskutierte Ausnahme rechtfertigen ließe, existiert gerade nicht. IV. Rechtsfolgen § 615 S. 3 BGB verweist als Rechtsfolge auf § 615 S. 1 und 2 BGB. Daher gelten die Ausführungen zu den Rechtsfolgen des Annahmeverzugs entsprechend.730

725 Grundlegend Biedenkopf Betriebsrisikolehre, S. 14 ff., insbesondere S. 16; vgl. ferner MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 59; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 69; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 120; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 127; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 18. 726 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 98. Indes hinterfragt Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 52, berechtigterweise kritisch, ob nicht konsequenterweise dem Arbeitnehmer unabhängig von den Fällen des Betriebsrisikos immer der Entgeltanspruch zu verwehren wäre, wenn der Arbeitgeber in seiner Existenz gefährdet ist. 727 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 39; vgl. auch MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 60. 728 Das war beispielsweise die maßgebliche Motivation für die Schaffung des § 616 BGB; vgl. dazu oben § 5 E.II. 729 Vgl. dazu in Bezug auf § 616 BGB BAG 24.2.1955 – 2 AZR 10/54, AP Nr. 2 zu § 616 BGB; BAG (GS) 17.12.1959 – GS 2/59, AP Nr. 21 zu § 616 BGB; Erman-Belling § 616 Rn. 1a; Bamberger/Roth-Fuchs § 616 Rn. 1; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 616 Rn. 2. 730 Siehe oben § 5 H.IV.

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J. Vergütungsanspruch bei Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten Denkbar ist, dass der Arbeitnehmer die Vergütung für die Zeit verlangen kann, in der er seine Arbeitsleistung nicht erbracht hat, weil er berechtigterweise ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen kann. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu klären, ob ein Arbeitnehmer überhaupt die allgemeinen schuldrechtlichen Zurückbehaltungsrechte aus §§ 273, 320 BGB geltend machen kann (dazu sogleich I.). Sofern diese Frage bejaht wird, sind die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen der beiden Zurückbehaltungsrechte herauszuarbeiten (zu § 320 BGB sogleich II. und zu § 273 BGB sogleich III.). I. Generelle Anwendbarkeit von Zurückbehaltungsrechten zugunsten des Arbeitnehmers Nach der überwiegenden Auffassung können Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen Zurückbehaltungsrechte geltend machen.731 Andere Stimmen sprechen sich dagegen aus.732 Für die Anwendbarkeit von Zurückbehaltungsrechten zugunsten von Arbeitnehmern spricht in systematischer Hinsicht, dass §§ 273, 320 BGB im allgemeinen Schuldrecht des BGB geregelt sind. Damit gelten sie grundsätzlich für sämtliche Vertragsverhältnisse. Es bedarf also besonderer Gründe, wenn sich die Lage ausnahmsweise bei Arbeitsverhältnissen anders darstellen soll. Abel führt insoweit den Charakter der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld ins Feld.733 Diese Eigenheit stehe der Anwendbarkeit von Zurückbehaltungsrechten entgegen, da die Zurückbehaltung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer nicht nur zu einer Verzögerung der Erfüllung führe, sondern den Anspruch des Arbeitgebers vernichte. Da die Leistung nicht nachholbar sei, gehe dem Arbeitgeber die Leistung unwiederbringlich verloren.734 Das soll nach Grunsky jedenfalls dann nicht hinnehmbar sein, wenn der Arbeitnehmer im Gegenzug das Entgelt für den entsprechenden Zeitraum erhält. Dadurch werde das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung gestört.735 Zudem entspreche die Anwendung von §§ 273, 320 BGB auf Arbeitsverhältnisse nicht dem Zweck dieser Vorschriften, da der 731 BAG 25.10.1984 – 2 AZR 417/83, AP Nr. 3 zu § 273 BGB; BAG 8.5.1996 – 5 AZR 315/95, AP Nr. 23 zu § 618 BGB; BAG 9.5.1996 – 2 AZR 387/95, AP Nr. 5 zu § 273 BGB; Söllner ZfA 1973, S. 1 ff.; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 614 BGB Rn. 12 ff.; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 690; MünchArbR-Reichold § 37 Rn. 13 ff. 732 Grundlegend Abel JW 1922, S. 554, 555 f.; ebenfalls kritisch Grunsky JuS 1967, S. 60 ff. 733 Abel JW 1922, S. 554, 555; zustimmend Grunsky JuS 1967, S. 60, 61 (auch Fn. 7). 734 Vgl. Abel JW 1922, S. 554, 555; Grunsky JuS 1967, S. 60, 61. 735 Grunsky JuS 1967, S. 60, 61.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

Arbeitnehmer die Zurückbehaltungsrechte nicht zu Sicherungszwecken einsetze, sondern als Druckmittel.736 Diesen Argumenten ist mit der heute ganz überwiegenden Ansicht entgegenzuhalten, dass sich eine Unanwendbarkeit der §§ 273, 320 BGB auf Arbeitsverhältnisse nicht aus dem Gesetz ergibt.737 Zudem verwirklichen diese Vorschriften nicht bloß eine Sicherungsfunktion, sondern auch eine Druckfunktion,738 so dass der Gesetzeszweck ihrer Anwendung auf Arbeitsverhältnisse nicht entgegensteht.739 Weiterhin ist die von Abel und Grunsky angeführte Problematik nicht spezifisch arbeitsrechtlicher Natur, sondern stellt sich im Zusammenhang mit jeglicher Form von absoluten Fixschulden. Umso mehr ließe sich eine entsprechende Einschränkung des Anwendungsbereichs der §§ 273, 320 BGB nur rechtfertigen, wenn sich dafür im Gesetzeswortlaut Anhaltspunkte fänden, was aber nicht der Fall ist.740 Hinzu kommt, dass ein Ausschluss von Zurückbehaltungsrechten eine unzumutbare Einschränkung der Rechte des Arbeitnehmers bedeutete.741 Dadurch würde das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zu seinen Lasten gestört. Der Arbeitnehmer wäre gezwungen, eine weitere Arbeitsleistung zu erbringen, ohne das Entgelt für die bereits erbrachte Leistung zu erhalten. Auf diese Weise müsste der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auf unbestimmte Zeit Kredit gewähren – ein nicht hinnehmbarer Zustand.742 Nach alledem sind Zurückbehaltungsrechte auch auf Arbeitsverhältnisse anzuwenden. II. § 320 BGB 1. Systematische Einordnung § 320 BGB ist eine Vorschrift aus dem allgemeinen Schuldrecht, die es einer nicht vorleistungspflichtigen Vertragspartei ermöglicht, ihre Leistung so lange zurückzuhalten, bis Zug-um-Zug die Gegenleistung erbracht wird.743 Ihre systematische Stellung im Titel über gegenseitige Verträge verdeutlicht, dass sie nur für ebensolche gilt. Zudem berechtigt § 320 BGB nur zur Verweigerung einer Leistung, die auch gerade mit der nicht erbrachten Gegenleistung im Synallagma 736

Abel JW 1922, S. 554, 555. Söllner ZfA 1973, S. 1, 6; auch Grunsky JuS 1967, S. 61, Fn. 7 gesteht das zu. 738 Siehe zu § 320 BGB unten § 5 J.II.2 sowie zu § 273 BGB unten § 5 J.III.2. 739 Insoweit zutreffend Grunsky JuS 1967, S. 60, 61. 740 A. A. offenbar Heiderhoff JuS 1998, S. 1087, 1089, die meint, die §§ 273, 320 BGB seien „deutlich auf nachholbare Leistungen, § 320 BGB insbesondere auf den Kaufvertrag“ ausgerichtet. 741 Vgl. Preis Arbeitsvertrag-Preis II Z 20 Rn. 11. 742 Bydlinski FS Steinwenter (1958), S. 140, 150; Söllner ZfA 1973, S. 1, 6 f.; Heiderhoff JuS 1998, S. 1087, 1090. 743 Vgl. Soergel-Gsell § 320 Rn. 2; Prütting/Wegen/Weinreich-Medicus/Stürner § 320 Rn. 1; Staudinger-Otto § 320 Rn. 1. 737

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steht.744 § 320 BGB ist lex specialis gegenüber dem wesentlich allgemeineren § 273 BGB, der keinen gegenseitigen Vertrag und erst recht keine synallagmatischen Leistungspflichten verlangt, sondern sich mit Konnexität zwischen beiden Ansprüchen begnügt.745 Im Vergleich zu vielen anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen, die im Rahmen dieser Arbeit diskutiert werden, nimmt § 320 BGB eine Sonderstellung ein, da diese Vorschrift nicht die Rechtsfolge „Lohn ohne Arbeit“ anordnet. Daher ist es auch – anders als bei den übrigen Tatbeständen – sinnlos zu diskutieren, ob § 320 BGB eine eigenständige Anspruchsgrundlage ist oder den originären Entgeltanspruch aus dem Arbeitsvertrag i.V. m. § 611 Abs. 1 BGB aufrechterhält. Für die Beantwortung dieser Frage ist vielmehr die Rechtsnatur derjenigen Vorschrift maßgeblich, aus welcher der Arbeitnehmer bei Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts seinen Entgeltanspruch herleitet, nämlich § 615 BGB.746 2. Telos Das Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 BGB soll der Tatsache Rechnung tragen, dass bei gegenseitigen Verträgen regelmäßig eine Partei ihre eigene Leistung nur zu dem Zweck erbringt, die Gegenleistung zu erhalten. Ist dieser Zweck zum Beispiel aufgrund der Leistungsunwilligkeit der Gegenseite gefährdet, gewährleistet § 320 BGB, dass die leistungswillige Seite ihre Leistung nicht „umsonst“ erbringt. Damit ist die Sicherungsfunktion des § 320 BGB umschrieben.747 Die Vorschrift dient darüber hinaus aber auch als Druckmittel, um die Gegenseite ihrerseits zur Leistungserbringung Zug-um-Zug zu bewegen.748 Um diese zweite Funktion zu verwirklichen, verzichtete der Gesetzgeber anders als bei § 273 BGB darauf, der Gegenseite eine Abwendungsbefugnis durch Sicherheitsleistung einzuräumen.749 744 Palandt-Grüneberg § 320 Rn. 4; Prütting/Wegen/Weinreich-Medicus/Stürner § 320 Rn. 2; Staudinger-Otto § 320 Rn. 15. 745 Über das Vorrangverhältnis besteht Einigkeit, vgl. Staudinger-Bittner § 273 Rn. 2; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 9; Prütting/Wegen/Weinreich-Zöchling-Jud § 273 Rn. 2. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die umstrittene Frage, ob es sich bei § 320 BGB um einen Unterfall des § 273 BGB oder eine eigenständige Regelung handelt (ebenso Staudinger-Bittner § 273 Rn. 2); vgl. zu dieser Frage jurisPKBGB-Kerwer § 273 Rn. 34. 746 Siehe dazu sogleich unter § 5 J.II.4. § 615 S. 1 BGB ist ein anspruchserhaltender Tatbestand, vgl. oben § 5 H.I.1. 747 MüKoBGB-Emmerich § 320 Rn. 2; Palandt-Grüneberg § 320 Rn. 1; SoergelGsell § 320 Rn. 3; a. A. offenbar (ausschließlich Druckfunktion) BGH 4.7.2002 – I ZR 313/99, NJW 2002, S. 3541, 3542 f. 748 Palandt-Grüneberg § 320 Rn. 1; Soergel-Gsell § 320 Rn. 4; Staudinger-Otto § 320 Rn. 1; sogar für eine ausschließliche Druckfunktion BGH 4.7.2002 – I ZR 313/ 99, NJW 2002, S. 3541, 3542 f. 749 Palandt-Grüneberg § 320 Rn. 1; Soergel-Gsell § 320 Rn. 4; Staudinger-Otto § 320 Rn. 1.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

3. Tatbestand a) Gegenseitiger Vertrag Es muss ein wirksamer gegenseitiger Vertrag vorliegen. Ein gewöhnlicher Arbeitsvertrag erfüllt diese Voraussetzung.750 b) Synallagmatische Leistungspflichten Weiterhin muss die nicht erbrachte Gegenleistung mit der Leistung, die verweigert werden soll, im Synallagma stehen.751 Bei Arbeitsverhältnissen besteht grundsätzlich ein solches Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und der Vergütungspflicht des Arbeitgebers.752 Nebenpflichten des Arbeitgebers stehen hingegen nicht im Synallagma.753 Daher ist § 320 BGB insoweit nicht anwendbar. Stattdessen ist auf die allgemeine Vorschrift des § 273 BGB754 sowie gegebenenfalls auf spezialgesetzliche Zurückbehaltungsrechte wie beispielsweise § 14 S. 1 AGG zurückzugreifen.755 Die Frage des Synallagmas ist in zwei besonderen Konstellationen der Verweigerung der Vergütungszahlung durch den Arbeitgeber besonders zu würdigen, und zwar zum einen bei Entgeltrückstand des Arbeitgebers (dazu sogleich aa)), zum anderen in der Situation, dass der Arbeitgeber ankündigt, zukünftig die Vergütung zu verweigern (dazu sogleich bb)). aa) Synallagma bei Entgeltrückstand des Arbeitgebers Die Frage des Synallagmas wird insbesondere relevant, wenn der Arbeitgeber mit der Entgeltzahlung für in der Vergangenheit geleistete Dienste des Arbeit750

HK-ArbR-Kreuder § 611 BGB Rn. 2; Söllner AcP 167 (1967), S. 132, 136 ff. Palandt-Grüneberg § 320 Rn. 4; Prütting/Wegen/Weinreich-Medicus/Stürner § 320 Rn. 2; Staudinger-Otto § 320 Rn. 15. 752 MüKoBGB-Emmerich § 320 Rn. 24; Söllner AcP 167 (1967), S. 132, 136 ff. 753 Teilweise wird demgegenüber angenommen, dass die Einhaltung von Arbeitsschutzgesetzen Bestandteil von dessen Fürsorge- und Treuepflicht ist und es sich dabei um eine synallagmatische Hauptpflicht handelt (vgl. MüKoBGB-Emmerich § 320 Rn. 12; unklar Staudinger-Otto § 320 Rn. 16, der die Fürsorge- und Treuepflicht des Arbeitgebers „nur dem Range nach, nicht aber funktionell als Hauptpflicht ansieht“). Dieser Meinung ist nicht zu folgen (ebenso Staudinger-Oetker § 618 Rn. 263; Henssler/ Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 241; MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 987; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 615; MünchArbR-Reichold § 37 Rn. 13). Typischerweise hat bei synallagmatischen Pflichten eine Partei, die ihre Leistung nicht erbringt, immer noch ein Interesse am Erhalt der Gegenleistung. Dem Arbeitnehmer, der seine Leistung nicht erbringt, wird es hingegen regelmäßig gleichgültig sein, ob der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nachkommt, Arbeitsschutzgesetze einzuhalten – die Nichteinhaltung tangiert ihn nicht. 754 Söllner ZfA 1973 S. 1, 17; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 7 Rn. 133. 755 Vgl. MünchArbR-Reichold § 37 Rn. 13. Ist § 14 S. 1 AGG einschlägig, bleibt gemäß § 14 S. 2 AGG daneben § 273 BGB anwendbar. 751

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nehmers in Rückstand geraten ist und dieser nun die Erbringung der weiteren Arbeitsleistung unter Berufung darauf verweigern will. Insoweit ist umstritten, ob die Voraussetzungen des § 320 BGB erfüllt sind,756 oder ob in Ermangelung dessen auf die allgemeine Vorschrift des § 273 BGB zurückgegriffen werden muss.757 Zur Verdeutlichung der Problematik sei folgendes Beispiel angeführt: Der Arbeitgeber gerät mit der Vergütung für den Monat April in Entgeltrückstand. Daraufhin verweigert der Arbeitnehmer im Monat Mai die Leistung unter Berufung auf § 320 BGB. Es ist auf den ersten Blick zweifelhaft, ob ein Synallagma zwischen der April-Vergütung und der Arbeitsleistung im Monat Mai besteht. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen ist hier ein Synallagma zu verneinen, da es sich bei der April-Vergütung um die Gegenleistung für die im April erbrachte Arbeitsleistung handelt und nicht um die Gegenleistung für die Arbeitsleistung im Monat Mai. Das lässt sich anhand der folgenden Kontrollüberlegung nachvollziehen: In dem Fall, dass das Arbeitsverhältnis Ende April endet, steht dem Arbeitnehmer selbstverständlich ein Anspruch auf die April-Vergütung zu, obwohl er im Mai nicht mehr arbeitet. Nach diesen Grundsätzen scheiterte eine Anwendung des § 320 BGB. Indes kann diese Problematik überwunden werden. Dazu wird zutreffend auf die Rechtsprechung zu Sukzessivlieferungsverträgen und zu Mietverträgen verwiesen.758 Diese erkennt die Anwendbarkeit des § 320 BGB trotz fehlenden Synallagmas im eben dargestellten Sinne an.759 Dafür spricht bei Sukzessivlieferungsverträgen, dass bei diesem Vertragstyp die einzelnen Teilleistungen des Verkäufers in einem einheitlichen Vertrag zusammengefasst sind. Daher stehen sie in Gänze der Gesamtgegenleistung des Käufers gegenüber und mit dieser im Synallagma.760 Es gibt keinen Grund, in Arbeitsverhältnissen anders zu verfah756 Dafür Söllner ZfA 1973, S. 1, 7 ff.; Heiderhoff JuS 1998, S. 1087, 1088 f.; Schaub-Linck ArbR-Hdb. § 50 Rn. 3; MünchArbR-Reichold § 37 Rn. 13; wohl auch Carmen Hergenröder AR-Blattei SD Zurückbehaltungsrecht 1880 Rn. 75 ff., insbesondere Rn. 78. 757 Dafür die herrschende Meinung, vgl. BAG 9.5.1996 – 2 AZR 387/95, AP Nr. 5 zu § 273 BGB; LAG Köln 15.9.1993 – 8 Sa 449/93, AR-Blattei ES 1880 Nr. 1; Capodistrias RdA 1955, S. 53, 55; Haase DB 1968, S. 708 Fn. 3; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht I, S. 222; Kirschner DB 1961, S. 842, 842; Lotmar Arbeitsvertrag, S. 418 f.; Nikisch Arbeitsrecht I, S. 374; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 458; Weitnauer DB 1970, S. 1639 Fn. 6. 758 Söllner ZfA 1973, S. 1, 8; Heiderhoff JuS 1998, S. 1087, 1088; vgl. auch Bydlinski FS Steinwenter (1958), S. 140 ff., insbesondere S. 147 ff.; Staudinger-Otto § 320 Rn. 44 f. 759 Vgl. RG 7.2.1908 – Rep. II. 450/07, RGZ 68, S. 17, 22; BGH 15.2.1967 – VIII ZR 223/64; DB 1967, S. 1623; vgl. auch MüKoBGB-Emmerich § 320 Rn. 6; Soergel-Gsell § 320 Rn. 20. 760 MüKoBGB-Emmerich § 320 Rn. 6.

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ren. Arbeitsverträge und Sukzessivlieferungsverträge ähneln sich stark, da auch im Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer seine Leistung in vielen einzelnen Teilleistungen erbringt, die insgesamt einer Gegenleistung gegenüberstehen, nämlich der Vergütung.761 Außerdem haben Söllner und Heiderhoff überzeugend ein zusätzliches Argument für die Anwendbarkeit des § 320 BGB entwickelt.762 Wenn der Arbeitnehmer ein Zurückbehaltungsrecht (gleich ob § 320 BGB oder § 273 BGB) in berechtigter Weise geltend macht, folgt nach einhelliger Meinung für den betreffenden Zeitraum ein Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers daraus, dass der Arbeitgeber in Annahmeverzug gerät.763 Der Arbeitgeber befindet sich aber nicht schon deshalb im Annahmeverzug, weil er ein Angebot des Arbeitnehmers im Sinne des § 294 f. BGB ablehnt oder ein solches nach § 296 BGB entbehrlich ist. Vielmehr wird § 298 BGB herangezogen. Danach tritt der Annahmeverzug des Arbeitgebers dadurch ein, dass er zwar bereit ist, eine etwaige Arbeitsleistung des Arbeitnehmers anzunehmen, aber selbst die Zug-um-Zug geschuldete Gegenleistung nicht erbringt. Voraussetzung ist insoweit ein Synallagma. Unter diesen Umständen ist es inkonsequent, mangels Synallagma eine Anwendung des § 320 abzulehnen, stattdessen § 273 BGB anzuwenden und in der Folge den Annahmeverzug des Arbeitgebers aus § 298 BGB herzuleiten. Nach alledem scheitert die Anwendung des § 320 BGB bei Entgeltrückstand des Arbeitgebers nicht mangels Synallagmas. bb) Synallagma bei Weigerung des Arbeitgebers, zukünftig Entgelt zahlen zu wollen Macht der Arbeitgeber deutlich, er werde für zukünftige Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers kein Entgelt zahlen, liegt es auf der Hand, dass es dem Arbeitnehmer möglich sein muss, die Arbeitsleistung zu verweigern. Es wäre dem Arbeitnehmer unzumutbar, dem Arbeitgeber Kredit gewähren zu müssen, wenn der Arbeitgeber bereits ankündigt, diesen nicht zurückzahlen zu wollen.764 Bei der Anwendung § 320 BGB auf diese Konstellation stößt man hinsichtlich des Synallagmas nicht auf die gleichen Schwierigkeiten wie im Fall des Entgeltrückstands des Arbeitgebers. Die Vergütung, die nicht erbracht zu werden droht, ist genau die Gegenleistung für die Arbeit, die der Arbeitnehmer verweigert. Um im Bild des eben angeführten Beispiels zu bleiben: Der Arbeitnehmer möchte die

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Vgl. Ahrens Zurückbehaltungsrechte, S. 52; Heiderhoff JuS 1998, S. 1087, 1089. Söllner ZfA 1973, S. 1, 9; Heiderhoff JuS 1998, S. 1087, 1089. 763 Preis Arbeitsvertrag-Preis II Z 20 Rn. 11; vgl. ferner hierzu unten § 5 J.II.4. und § 5 J.III.4. 764 Vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 614 BGB Rn. 12; MüKoBGB-MüllerGlöge § 611 Rn. 9; MünchArbR-Reichold § 37 Rn. 13; Söllner ZfA 1973 S. 1, 6, 13 f. 762

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Arbeitsleistung für den Monat Mai verweigern, weil der Arbeitgeber ankündigt, für diesen Monat keine Vergütung zahlen zu wollen. Damit besteht ein Synallagma zwischen beiden Leistungen.765 c) Keine Vorleistungspflicht § 320 BGB setzt des Weiteren voraus, dass die gegenseitigen Leistungen zur gleichen Zeit zu bewirken sind.766 Hieran könnte man im Arbeitsverhältnis vor dem Hintergrund von § 614 S. 1 BGB zweifeln, der eine Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers festlegt. Hinsichtlich der Frage, ob diese Vorschrift einer Anwendung des § 320 BGB auf Arbeitsverhältnisse entgegensteht, ist zwischen zwei verschiedenen Konstellationen zu differenzieren. aa) Vorleistungspflicht bei Entgeltrückstand des Arbeitgebers? Die aus § 614 BGB folgende Vorleistungspflicht nimmt ein Teil der Lehre zum Anlass, bei Entgeltrückstand des Arbeitgebers § 320 BGB für unanwendbar und stattdessen § 273 BGB für einschlägig zu erklären.767 Das ist jedoch zu kurz gedacht, wie schon Bydlinski und ihm folgend Söllner überzeugend dargelegt haben.768 Die – unstreitig bestehende – Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers bezieht sich nur jeweils auf einen Vorleistungszeitraum. Gerät der Arbeitgeber hinsichtlich eines solchen Vorleistungszeitraums in Entgeltrückstand, kann nicht im Hinblick auf den folgenden Zeitraum argumentiert werden, dass der Arbeitnehmer im Verhältnis zur rückständigen Vergütung zur Vorleistung verpflichtet ist.769 Die Problematik soll anhand des oben gewählten Beispiels veranschaulicht werden: Der Arbeitgeber gerät mit der Vergütung für den Monat April in Entgeltrückstand. Will der Arbeitnehmer hinsichtlich seiner Arbeitsleistung im Monat Mai § 320 BGB geltend machen, steht dem die Vorleistungspflicht nicht entgegen. Zwar ist der Arbeitnehmer auch für den Monat Mai vorleistungspflichtig. Doch die Gegenleistung, auf die sich diese Vorleistungspflicht bezieht, ist nicht

765 MünchArbR-Reichold § 37 Rn. 13; Söllner ZfA 1973 S. 1, 13; wohl auch MüKoBGB-Müller-Glöge § 611 Rn. 9. 766 MüKoBGB-Emmerich § 320 Rn. 17; Soergel-Gsell § 320 Rn. 52; StaudingerOtto § 320 Rn. 2 ff. 767 Kirschner DB 1961, S. 842, 842; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 458. 768 Bydlinski FS Steinwenter (1958), S. 140, 149–151; Söllner ZfA 1973, S. 1, 7 f.; ebenso Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 7 Rn. 132. 769 Ebenso ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 458; im Ergebnis auch Soergel-Gsell § 320 Rn. 32; a. A. wohl BAG 25.10.1984 – 2 AZR 417/83, AP Nr. 3 zu § 273 BGB (Anwendung von § 273 BGB).

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die rückständige April-Vergütung, sondern die erst Ende Mai fällige Mai-Vergütung. Folglich steht die aus § 614 BGB folgende Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers einer Anwendung des § 320 BGB bei Entgeltrückstand des Arbeitgebers nicht entgegen. bb) Vorleistungspflicht bei Weigerung des Arbeitgebers, zukünftig Entgelt zahlen zu wollen? Problematisch könnte die Frage der Vorleistungspflicht aber in der Konstellation sein, dass der Arbeitgeber ankündigt, für die noch zu erbringende Arbeitsleistung keine Vergütung zahlen zu wollen. Anders als im Fall des Entgeltrückstands betrifft die Vorleistungspflicht hier genau die Arbeitsleistung, deren Vergütung der Arbeitgeber schon vor Fälligkeit verweigert. Doch bereits das RAG führte hierzu aus, dass „wer selbst vertragsuntreu ist, [. . .] aus der Vertragsuntreue des Gegners keinerlei Rechte geltend machen kann . . .“770 Söllner konkretisiert diese Aussage zutreffend dahingehend, dass die Weigerung des Arbeitgebers, bei Fälligkeit die Vergütung zu leisten, die Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers gemäß § 242 BGB entfallen lässt.771 Diese Argumentation wird auch durch den Rechtsgedanken von § 323 Abs. 4 BGB gestützt, wonach der Gläubiger von einem gegenseitigen Vertrag schon vor Fälligkeit der ihm geschuldeten Leistung zurücktreten kann, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden. Die Vorschrift bestimmt für Leistungsaustauschverträge, die keine Dauerschuldverhältnisse sind, dass der Gläubiger bei offensichtlicher zukünftiger Vertragsuntreue des Schuldners nicht am Vertrag festgehalten werden soll. Ebenso kann man es einem Arbeitnehmer nicht zumuten, vorzuleisten, wenn offensichtlich ist, dass sich der Arbeitgeber vertragsuntreu verhalten wird. Somit ist § 320 BGB auch in dieser Konstellation anwendbar. d) Keine Bewirkung der Gegenleistung trotz Einredefreiheit Der Arbeitgeber darf seiner Entgeltzahlungspflicht trotz Fälligkeit und sonstiger Einredefreiheit nicht nachgekommen sein.772 Weigert sich der Arbeitgeber, zukünftig ein Entgelt zu zahlen, steht die mangelnde Fälligkeit des arbeitnehmerseitigen Vergütungsanspruchs einer Anwendung des § 320 BGB nicht entgegen, da es dem Arbeitgeber gemäß § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich zu verwehren ist, sich auf die fehlende Fälligkeit zu berufen. Der Sache nach geht es um die gleiche Problematik wie bei der Frage, ob die Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers in dieser Konstellation einer Anwendung des § 320 BGB entgegen770 771 772

RAG 17.10.1931 – RAG. 94/31, ARS 13, S. 303, 307. Söllner ZfA 1973 S. 1, 14; vgl. auch Staudinger-Otto § 320 Rn. 11. Vgl. Soergel-Gsell § 320 Rn. 53; Staudinger-Otto § 320 Rn. 26.

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steht.773 Insbesondere kann auch hier der Rechtsgedanke des § 323 Abs. 4 BGB herangezogen werden. e) Eigene Vertragstreue Eine allgemein akzeptierte ungeschriebene Voraussetzung des § 320 BGB ist die eigene Vertragstreue desjenigen, der die Einrede erheben möchte.774 Wer sich endgültig vom Vertrag lösen und daher selbst nicht leisten möchte, ist auf Sekundärrechte verwiesen, die eine endgültige Abwicklung des Vertrages ermöglichen, insbesondere Rücktritt und Schadensersatz statt der Leistung.775 § 320 BGB ist demgegenüber ein Instrument, das lediglich bei vorübergehenden Leistungsstörungen angewendet wird. Auch das Verbot des venire contra factum proprium (vgl. § 242 BGB) steht einem Vorgehen desjenigen Arbeitnehmers entgegen, der einerseits die Druckfunktion des § 320 BGB nutzen möchte, um den Arbeitgeber zur vertraglich geschuldeten Gegenleistung zu bewegen, andererseits aber selbst nicht zur Leistung bereit ist.776 f) Kein Verstoß gegen Treu und Glauben Des Weiteren darf die Erhebung der Einrede nicht gegen Treu und Glauben verstoßen.777 Diese Voraussetzung folgt bereits aus § 242 BGB und wird durch § 320 Abs. 2 BGB noch einmal hervorgehoben. Zudem stellt die Norm klar, dass ein solcher Verstoß bei Teilleistungen insbesondere dann vorliegen kann, wenn die nicht bewirkte Gegenleistung geringfügig ist. Ob die Entgeltzahlung in einem Dauerschuldverhältnis wie dem Arbeitsverhältnis als Teilleistung im Sinne dieses Regelbeispiels zu qualifizieren ist, ist unerheblich. Jedenfalls verstößt auch im Arbeitsverhältnis eine Arbeitsverweigerung des Arbeitnehmers bei geringfügigen Entgeltrückständen des Arbeitgebers oder sonstigen geringfügigen Pflichtverletzungen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und schließt die Einrede aus.778

773 Vgl. hierzu oben § 5 J.II.3.c)bb); vgl. zum Verhältnis von Vorleistungspflicht und Fälligkeit bei § 320 BGB Staudinger-Otto § 320 Rn. 23, 11. 774 BGH 16.5.1968 – VII ZR 40/66, BGHZ 50, S. 175, 178; BGH 4.7.2002 – I ZR 313/99, NJW 2002, S. 3541 ff.; Palandt-Grüneberg § 320 Rn. 6; Soergel-Gsell § 320 Rn. 76; Staudinger-Otto § 320 Rn. 47. 775 Staudinger-Otto § 320 Rn. 47. 776 Vgl. MüKoBGB-Emmerich § 320 BGB Rn. 28; Staudinger-Otto § 320 Rn. 47. 777 BGH 27.2.1974 – VIII ZR 206/72, WM 1974, S. 369 ff.; Brandenburgisches OLG 20.6.2007 – 7 U 10/02 (zitiert nach juris); jurisPK-BGB-Alpmann § 320 Rn. 43 ff., 42 ff.; Palandt-Grüneberg § 320 Rn. 10; Staudinger-Otto § 320 Rn. 50. 778 MünchArbR-Reichold § 37 Rn. 13; Preis Arbeitsvertrag-Preis II Z 20 Rn. 26.

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4. Rechtsfolgen Die Einrede des § 320 BGB berechtigt den Arbeitnehmer, die eigene Leistung zu verweigern.779 Formal muss der Arbeitnehmer dazu sein Einrederecht durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ausüben,780 wobei in der Arbeitsverweigerung in aller Regel konkludent die Erhebung der Einrede liegt. Erhebt der Arbeitnehmer die Einrede, kann er Annahmeverzugsansprüche gegen den Arbeitgeber aus § 615 S. 1 BGB geltend machen.781 Zur Begründung des Annahmeverzugs ist § 298 BGB heranzuziehen.782 Nach dieser Norm kommt bei synallagmatischen Leistungspflichten der Gläubiger (hier: der Arbeitgeber) in Verzug, wenn er zwar die angebotene Leistung anzunehmen bereit ist, aber die verlangte Gegenleistung nicht anbietet. Diese Voraussetzungen sind sowohl in der Fallgruppe des Entgeltrückstands des Arbeitgebers als auch in der Konstellation, dass der Arbeitgeber das zukünftige Entgelt verweigert, gegeben. Das von § 298 BGB geforderte „Angebot“ des Arbeitnehmers ist in dessen ausdrücklicher oder konkludenter Erklärung zu erblicken, dass er die Arbeit nur deshalb nicht erbringt, weil der Arbeitgeber die Entgeltzahlung verweigert oder damit droht.783 Ferner kommt ein Vergütungsanspruch nur in Betracht, wenn der Annahmeverzug nicht aus sonstigen Gründen ausgeschlossen ist, etwa mangels Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers (vgl. § 297 BGB). Was die konkreten Folgen des Annahmeverzugs des Arbeitgebers betrifft, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.784 III. § 273 BGB 1. Systematische Einordnung Anders als § 320 BGB ist § 273 BGB nicht nur bei gegenseitigen Verträgen anwendbar, sondern ist wesentlich breiter angelegt. Die Vorschrift gibt einem Schuldner das Recht, seine Leistung zu verweigern, sofern dieser seinerseits gegen den Gläubiger einen Anspruch „aus demselben rechtlichen Verhältnis“ hat. 779 Er bleibt allerdings zur Leistung Zug-um-Zug verpflichtet (§ 322 Abs. 1 BGB); vgl. Staudinger-Otto § 320 Rn. 51 ff.; Prütting/Wegen/Weinreich-Medicus/Stürner § 320 Rn. 12. 780 MüKoBGB-Emmerich § 320 Rn. 35. 781 Heiderhoff JuS 1998, S. 1087, 1089; Schaub-Linck ArbR-Hdb. § 50 Rn. 10; Preis Arbeitsvertrag-Preis II Z 20 Rn. 11; a. A. Lotmar Arbeitsvertrag, S. 1129 (Fn. 106); Nikisch Arbeitsrecht I, S. 375 (Fn. 234). 782 Preis Arbeitsvertrag-Preis II Z 20 Rn. 11; Heiderhoff JuS 1998, S. 1087, 1089; vgl. auch (zu § 273 BGB) Staudinger-Oetker § 618 Rn. 278; a. A. Lotmar Arbeitsvertrag, S. 1129 (Fn. 106); Nikisch Arbeitsrecht I, S. 375 (Fn. 234). 783 Söllner ZfA 1973, S. 1, 10; vgl. auch (zu § 273 BGB) Staudinger-Oetker § 618 Rn. 278. 784 Siehe oben § 5 H.IV.

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Mit § 320 BGB785 hat das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB gemein, dass es sich dabei nicht um einen Entgeltfortzahlungstatbestand handelt. Vielmehr berechtigt die Norm zunächst nur den Arbeitnehmer zur Arbeitsverweigerung. Ein Vergütungsanspruch kann sich aber aus anderen Vorschriften ergeben, worauf noch einzugehen ist.786 Daher ergibt es ebenso wie in Bezug auf § 320 BGB keinen Sinn, zu diskutieren, ob es sich bei § 273 BGB um eine Anspruchsgrundlage oder eine anspruchserhaltende Norm handelt. 2. Telos § 273 BGB ist im Gegensatz zu § 320 BGB nicht Ausdruck des Synallagmas zwischen den Parteien (ich gebe nur, um zu erhalten), sondern findet seine Grundlage im Grundsatz von Treu und Glauben.787 Teil dieses Prinzips ist die Arglisteneinrede (exceptio doli, vgl. § 242 BGB). Sie schützt die Partei eines Schuldverhältnisses davor, rechtliche Nachteile durch arglistiges Verhalten der anderen Partei zu erleiden.788 Bei § 273 BGB handelt es sich um eine besondere Ausprägung dieser Arglisteneinrede.789 Das Gesetz unterstellt einem Gläubiger Arglist, wenn dieser einen Anspruch geltend machen will, ohne selbst leistungsbereit zu sein.790 § 273 BGB soll vor allem Gegenansprüche des Schuldners sichern. Indes muss man ähnlich wie bei § 320 BGB annehmen, dass der Norm zumindest mittelbar auch eine Druckfunktion zur Durchsetzung dieser Ansprüche zukommt. Der Gläubiger muss selbst leisten, um sich beim Schuldner befriedigen zu können.791 3. Tatbestand des § 273 Abs. 1 BGB a) Gegenseitige Ansprüche Das Zurückbehaltungsrecht des § 273 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass sich zwei Ansprüche gegenüberstehen. Es muss ein Anspruch des Gläubigers gegen den 785

Vgl. zu diesem Aspekt in Bezug auf § 320 BGB oben § 5 J.II.1. Siehe unten § 5 J.III.4. 787 Staudinger-Bittner § 273 Rn. 8; MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 2; Mugdan Motive II, S. 22; Prütting/Wegen/Weinreich-Zöchling-Jud § 273 Rn. 2. 788 Vgl. Mugdan Motive II, S. 22; jurisPK-BGB-Pfeiffer § 242 Rn. 66. 789 RG 5.7.1929 – II 587/28, RGZ 126, S. 383, 385 f.; RG 21.7.1936 – II 30/36, RGZ 152, S. 71, 73; Staudinger-Bittner § 273 Rn. 8. 790 RG 21.7.1936 – II 30/36, RGZ 152, S. 71, 73; BGH 24.10.1962 – V ZR 1/61, BGHZ 38, S. 122, 126; Staudinger-Bittner § 273 Rn. 8; MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 2. 791 Vgl. Staudinger-Bittner § 273 Rn. 4; MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 3. Bereits der historische Gesetzgeber sah in § 273 BGB nicht nur ein Sicherungs-, sondern auch ein Zwangsmittel, vgl. Mugdan Motive II, S. 23. 786

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Schuldner existieren, gegen den der Schuldner das Zurückbehaltungsrecht einwenden möchte, und ein Gegenanspruch des Schuldners gegen den Gläubiger.792 Anders als bei der Aufrechnung ist jedoch keine Gleichartigkeit der beiden Ansprüche erforderlich.793 Da bei Vergütungsrückstand des Arbeitgebers vorrangig § 320 BGB einschlägig ist,794 beschränkt sich der Anwendungsbereich von § 273 BGB im Arbeitsverhältnis auf den Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf die Einhaltung von Nebenpflichten. Wichtigstes Beispiel ist der Fall, dass der Arbeitgeber bestimmte Arbeitsschutzvorschriften nicht einhält, beispielsweise solche, die sich aus § 618 BGB ergeben.795 Soweit bei Verletzung von Arbeitsschutzgesetzen durch den Arbeitgeber die Arbeitspflicht nicht schon gemäß § 275 Abs. 1 BGB wegen rechtlicher Unmöglichkeit entfällt, muss es dem Arbeitnehmer möglich sein, das Zurückbehaltungsrecht einzuwenden.796 b) Durchsetzbarkeit des Gegenanspruchs Weiterhin muss der Gegenanspruch des Arbeitnehmers vollwirksam und durchsetzbar, das heißt insbesondere fällig, sein.797 Diese Voraussetzung ist bei Nebenpflichten des Arbeitgebers regelmäßig erfüllt, vor allem wenn unmittelbar für das Arbeitsverhältnis geltende Arbeitsschutzvorschriften verletzt sind. c) Konnexität § 273 BGB verlangt zudem, dass die gegenseitigen Ansprüche „aus demselben rechtlichen Verhältnis“ herrühren. Es ist sogenannte Konnexität erforderlich.798 Diese Einschränkung beruht auf dem Grundsatz von Treu und Glauben.799 Der Schuldner darf seine eigene Leistung nicht schon aufgrund jedes Gegenanspruchs verweigern, sondern nur, wenn eine gewisse Verbundenheit beider An792 Staudinger-Bittner § 273 Rn. 11 ff.; jurisPK-BGB-Kerwer § 273 Rn. 4–6; MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 8. 793 Staudinger-Bittner § 273 Rn. 11; jurisPK-BGB-Kerwer § 273 Rn. 4; MüKoBGBKrüger § 273 Rn. 8. 794 Vgl. oben § 5 J.II.3.b). 795 Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 618 BGB Rn. 30 f.; Staudinger-Oetker § 618 Rn. 276, ErfK-Wank § 618 BGB Rn. 25–27. 796 Vgl. Hollstein Der wilde Streik, S. 17 f.; Staudinger-Otto § 320 Rn. 16; a. A. Herschel RdA 1964 S. 7, 44, 45; Nikisch Arbeitsrecht I, S. 486. 797 Vgl. jurisPK-BGB-Kerwer § 273 Rn. 7; MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 30 f.; Prütting/Wegen/Weinreich-Zöchling-Jud § 273 Rn. 12. 798 Staudinger-Bittner § 273 Rn. 38 ff.; jurisPK-BGB-Kerwer § 273 Rn. 8 ff.; Prütting/Wegen/Weinreich-Zöchling-Jud § 273 Rn. 10; vgl. auch Mugdan Motive II, S. 23. 799 MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 13; jurisPK-BGB-Kerwer § 273 Rn. 8; vgl. auch Prütting/Wegen/Weinreich-Zöchling-Jud § 273 Rn. 2.

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sprüche besteht.800 Nur unter diesen Umständen ist es gerechtfertigt, die sofortige Befriedigung des Gläubigers von dessen Leistung abhängig zu machen. Es entspricht aber der ganz herrschenden Meinung, dass der Wortlaut des § 273 Abs. 1 BGB zu eng geraten ist.801 Es ist daher nicht erforderlich, dass die Ansprüche tatsächlich aus dem gleichen Rechtsverhältnis stammen. Vielmehr muss als Voraussetzung lediglich ein natürlicher, wirtschaftlicher Zusammenhang aufgrund eines innerlich verbundenen, einheitlichen Lebenssachverhalts zwischen den Ansprüchen existieren.802 Eine solche Verbindung besteht auch zwischen der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers und den Nebenpflichten des Arbeitgebers. Beide beruhen sogar auf demselben rechtlichen Verhältnis, so dass auch nach dem Wortlaut des § 273 Abs. 1 BGB dessen Voraussetzungen erfüllt sind. d) Kein Ausschluss Nach § 273 Abs. 1 BGB besteht das Zurückbehaltungsrecht nur, soweit sich nicht aus dem Schuldverhältnis etwas anderes ergibt. Besonderheiten des Schuldverhältnisses, die einer Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts entgegenstehen, können aus Gesetz, aus einer vertraglichen Vereinbarung, aus der Natur des Schuldverhältnisses oder aus Treu und Glauben folgen.803 Gesetzliche Ausschlussgründe sind eher selten804 und für die hier in Rede stehenden Nebenpflichtverletzungen ebenso irrelevant wie die Fallgruppe der Ausschlussgründe kraft der Natur des Schuldverhältnisses.805 Ein Ausschluss nach 800 BGH 22.2.1967 – IV ZR 331/65, BGHZ, S. 157, 167; BGH 3.7.1991 – VIII ZR 190/90, BGHZ 115, S. 99, 103 f.; MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 13. 801 BGH 3.7.1991 – VIII ZR 190/90, BGHZ 115, S. 99, 103; jurisPK-BGB-Kerwer § 273 Rn. 8; Jauernig-Stadler § 273 Rn. 9. 802 JurisPK-BGB-Kerwer § 273 Rn. 8; MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 13; JauernigStadler § 273 Rn. 9; vgl. auch Staudinger-Bittner § 273 Rn. 38. 803 Vgl. Staudinger-Bittner § 273 Rn. 67; jurisPK-BGB-Kerwer § 273 Rn. 12; Jauernig-Stadler § 273 Rn. 11–18. 804 Prominentestes Beispiel aus dem BGB ist der Fall des Stellvertreters, der gemäß § 175 BGB kein Zurückbehaltungsrecht an der Vollmachtsurkunde hat; vgl. StaudingerBittner § 273 Rn. 69. 805 Vgl. MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 49. Soweit Staudinger-Bittner § 273 Rn. 89 unter Berufung auf BAG 8.5.1996 – 5 AZR 315/95, AP Nr. 23 zu § 618 BGB von einer Begrenzung des Zurückbehaltungsrechts kraft Natur des Schuldverhältnisses in der Weise ausgeht, dass der Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung nicht in solchen Räumen verweigern kann, die zwar gefahrstoffbelastet sind, sich aber nicht in einem ordnungswidrigen Zustand befinden, ist dem zwar im Ergebnis zuzustimmen. Dogmatisch handelt es sich dabei aber nicht um eine Begrenzung des Zurückbehaltungsrechts kraft Natur des Schuldverhältnisses. Vielmehr hat der Arbeitgeber seine Nebenpflichten nicht verletzt, so dass § 273 Abs. 1 BGB schon mangels eines nicht erfüllten Gegenanspruchs des Arbeitnehmers auf Einhaltung dieser Nebenpflichten nicht zur Anwendung kommt.

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Treu und Glauben aufgrund von Unverhältnismäßigkeit ist bei nur sehr geringfügigen Pflichtverletzungen des Arbeitgebers denkbar.806 Hingegen ist der vertragliche Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts in der Praxis verbreitet.807 Zwar ist eine in AGB enthaltene Ausschlussklausel gemäß § 309 Nr. 2 b) BGB unwirksam.808 Möglich ist aber eine individualvertragliche oder tarifvertragliche Vereinbarung. 4. Rechtsfolgen Ebenso wie § 320 BGB berechtigt die Einrede des § 273 BGB den Arbeitnehmer, seine Leistung zu verweigern.809 Der Arbeitnehmer muss die Einrede durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung erheben.810 In aller Regel wird der Arbeitnehmer diese Erklärung konkludent durch die Arbeitsverweigerung abgeben. Ein Entgeltanspruch für die entfallene Arbeitszeit soll nach ganz überwiegender Ansicht daraus folgen, dass sich der Arbeitgeber wegen § 298 BGB im Annahmeverzug befindet.811 Die Vertreter dieser Auffassung übersehen jedoch, dass bei Nebenpflichtverletzungen das von § 298 BGB geforderte Synallagma nicht vorhanden ist.812 § 298 BGB ist daher unmittelbar nicht anwendbar. Man könnte erwägen, es bei diesem Ergebnis zu belassen und dem Arbeitnehmer keinen Entgeltanspruch zuzugestehen. Immerhin könnte der Arbeitnehmer bei schuldhaftem Verhalten des Arbeitgebers gegen diesen einen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB in Höhe des ihm entgangenen Entgelts geltend machen. Allerdings ist dieser auf Nebenpflichtverletzungen bezogene Anspruch vom Verschulden des Arbeitgebers abhängig, während der auf § 298 BGB gestützte Entgeltanspruch bei Hauptpflichtverletzungen verschuldens806 Vgl. Staudinger-Bittner § 273 Rn. 101; jurisPK-BGB-Kerwer § 273 Rn. 21; vgl. auch für geringfügige Lohnforderungen im Arbeitsverhältnis BAG 9.5.1996 – 2 AZR 387/95, AP Nr. 5 zu § 273 BGB; Jauernig-Stadler § 273 Rn. 17. Nach hier vertretener Auffassung hingegen ist für Lohnrückstand § 320 BGB und nicht § 273 BGB einschlägig, vgl. dazu oben § 5 J.II. 807 Vgl. Staudinger-Bittner § 273 Rn. 75; MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 44; Jauernig-Stadler § 273 Rn. 18. 808 MüKoBGB-Krüger § 273 Rn. 44; vgl. auch Staudinger-Bittner § 273 Rn. 76; Jauernig-Stadler § 273 Rn. 18. 809 Vgl. Staudinger-Bittner § 273 Rn. 119; Jauernig-Stadler § 273 Rn. 19. 810 Vgl. LAG Rheinland-Pfalz 18.2.2011 – 9 Sa 577/10 (zitiert nach juris) zu II.2. der Gründe. 811 Capodistrias RdA 1954, S. 53, 56; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht I, S. 222; Kirschner DB 1961, S. 842, 845; Staudinger-Oetker § 618 Rn. 278; Preis Arbeitsvertrag-Preis II Z 20 Rn. 11; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 116, 120; Weitnauer DB 1970, S. 1639 Fn. 6. 812 Vgl. dazu oben § 5 J.II.3.b); vgl. ferner Söllner ZfA 1973, S. 1, 9 f.; Heiderhoff JuS 1998, S. 1087, 1089; a. A. offenbar Staudinger-Oetker § 618 Rn. 278.

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unabhängig besteht. Diese Differenzierung lässt sich sachlich nicht rechtfertigen – auch nicht mit dem Argument, die Verletzung von Hauptleistungspflichten wiege schwerer als die von Nebenpflichten. Ob eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers genügt, um den Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht zu entbinden, beurteilt sich allein nach § 273 BGB und § 320 BGB, die beide verschuldensgelöst sind. Die nach der Gesetzeslage drohende Differenzierung zwischen beiden Fällen ergibt sich vielmehr allein daraus, dass §§ 273, 320 BGB die Frage des Entgeltanspruchs ungeregelt lassen und es insoweit auf § 298 BGB ankommt. Dessen Zweck besteht aber nicht vornehmlich darin, Rechtsfolgen der §§ 273, 320 BGB zu regeln. Eine Differenzierung zwischen beiden Fällen ist in § 298 BGB nicht angelegt, sondern beruht auf Zufall. Zudem ist § 298 BGB in keiner Weise an die Besonderheiten des Arbeitsrechts angepasst. Aus diesen Gründen ist es wertungsmäßig gerechtfertigt, auch dem Arbeitnehmer, der die Arbeitsleistung nach § 273 BGB verweigert, einen Entgeltanspruch zu gewähren. Fraglich bleibt, welchen Weg man beschreitet, um zu diesem Ergebnis zu gelangen. Ein Analogie zu § 628 Abs. 2 BGB813 führt nicht weiter, da auch dieser Schadensersatzanspruch vom Verschulden des Arbeitgebers abhängt.814 Vorzugswürdig ist es demgegenüber, § 298 BGB entsprechend anzuwenden. Voraussetzung für eine solche Analogie sind eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage. Die Regelungslücke ergibt sich daraus, dass dem Arbeitnehmer für die Zeit der berechtigten Arbeitsverweigerung kein Entgeltanspruch zusteht. Sie ist auch planwidrig, da der Gesetzgeber bei Schaffung der §§ 273, 320 BGB die Probleme übersehen hat, die bei Anwendung dieser Normen auf nicht nachholbare Leistungen entstehen.815 Bei § 320 BGB lässt sich das Problem des Entgeltanspruchs für die Zeit der berechtigten Arbeitsverweigerung durch die unmittelbare Anwendung des § 298 BGB noch beheben, bei § 273 BGB versagt jedoch – wie geschildert – dieses Institut. Dass schließlich diese beiden Konstellationen hinsichtlich der Frage des Entgeltanspruchs gleich zu behandeln sind und insoweit eine vergleichbare Interessenlage besteht, wurde soeben dargelegt. Damit sind die Voraussetzungen dieser Analogie gegeben. Liegen die übrigen Voraussetzungen des Annahmeverzugs vor, steht dem Arbeitnehmer ein Entgeltanspruch gem. § 615 S. 1 BGB zu.816 813 Dafür Lotmar Arbeitsvertrag, S. 1129 mit Fn. 106, der allerdings § 298 BGB nicht mangels Synallagma, sondern mangels Angebot des Arbeitnehmers für unanwendbar hält; ihm zustimmend Abel JW 1922, S. 554, 555. 814 Der Nachweis wird dem Arbeitnehmer aber erleichtert, da die Beweislastumkehr aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB auf § 628 BGB übertragen wird, vgl. dazu ErfK-MüllerGlöge § 628 BGB Rn. 48. 815 Diese Problematik findet jedenfalls in den Gesetzesmaterialien keine Erwähnung, vgl. auch Heiderhoff JuS 1998, S. 1087, 1089 Fn. 18. 816 Abzulehnen ist die von Preis/Hamacher Jura 1998, S. 116, 120 vertretene Ansicht, eine Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts durch den Arbeitnehmer sei

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K. Vergütungsanspruch bei Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 14 S. 1 AGG I. Systematische Einordnung § 14 S. 1 AGG ist im Jahre 2006 als Teil des AGG in Kraft getreten. Die Vorschrift berechtigt den Arbeitnehmer dazu, seine Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einzustellen, wenn der Arbeitgeber keine oder nur offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ergreift und soweit die Einstellung der Tätigkeit zum Schutz des Arbeitnehmers erforderlich ist. Anders als große Teile des AGG beruht § 14 S. 1 AGG nicht auf europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien.817 Vielmehr enthielt bereits vor Inkrafttreten des AGG § 4 Abs. 2 BeschSchG eine ähnliche Regelung, allerdings ausschließlich für sexuelle Belästigungen.818 Ursprünglich sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 18. Dezember 2004 für ein Antidiskriminierungsgesetz819 vor, den heutigen § 14 S. 1 AGG nicht nur auf Belästigungen und sexuelle Belästigungen, sondern auf sämtliche in § 1 AGG genannten Benachteiligungsgründe zu erstrecken. Nach einer Anhörung im Bundestagsausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 7. März 2005 beschloss der Ausschuss demgegenüber, das Leistungsverweigerungsrecht auf Fälle der Belästigung und sexuellen Belästigung zu beschränken.820 Aufgrund des vorzeitigen Endes der Legislaturperiode wurde das Gesetzgebungsverfahren zwar nicht mehr abgeschlossen. Die Regelung wurde aber in den Gesetzentwurf der Bundesregierung für das AGG vom 8. Juni 2006821 übernommen und vom Bundestag am 29. Juni 2006 beschlossen.822 Wird der Arbeitnehmer aufgrund von anderen Merkmalen im Sinne des § 1 AGG benachteiligt, steht er indes nicht schutzlos. Vielmehr kann er gemäß § 273 Abs. 1 BGB die Arbeitsleistung verweigern, sofern dessen Voraussetzungen vorliegen.823 Das ergibt sich aus § 14 S. 2 AGG, wonach § 273 BGB „unbenur bei erheblichen Nebenpflichtverletzungen zulässig, da ihm der Sache nach schuldbefreiende Wirkung zukomme. Für diese Einschränkung ergibt sich im Gesetz kein Anhaltspunkt. Die erheblichen Konsequenzen der Schuldbefreiung sind dem Arbeitgeber, der seine Nebenpflichten gegenüber dem Arbeitnehmer verletzt, aber auch zumutbar. Der sich vertragswidrig verhaltende Arbeitgeber ist insoweit nicht schutzwürdig. 817 Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 4; Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 3; Bamberger/ Roth-Fuchs § 14 AGG Rn. 1; Schiek-Kocher § 14 AGG Rn. 1; Meinel/Heyn/Herms § 14 Rn. 2. 818 HK-AGG-Buschmann § 14 Rn. 2; Rust/Falke-Eggert-Weyand § 14 Rn. 1; Meinel/ Heyn/Herms § 14 Rn. 1; vgl. auch Jauernig-Mansel § 14 AGG Rn. 1; Nollert-Borasio/ Perreng § 14 Rn. 1. 819 BT-Drs. 15/4538, S. 7, 34 f. 820 BT-Drs. 15/5717, S. 10. 821 BT-Drs. 16/1780, S. 10. 822 Vgl. zur Entstehung von § 14AGG auch Schiek-Kocher § 14 AGG Rn. 3.

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rührt“ bleibt. Der Formulierung „bleibt unberührt“ wird man darüber hinaus sogar entnehmen müssen, dass auch innerhalb des Anwendungsbereichs des § 14 S. 1 AGG diese Vorschrift nicht abschließend ist, sondern § 273 BGB daneben anwendbar bleibt. Dieser Umstand ist insbesondere deshalb bedeutsam, weil § 273 Abs. 1 BGB anders als § 14 S. 1 AGG nicht das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit zum Schutz vor weiteren Benachteiligungen enthält.824 Der Grund hierfür liegt darin, dass § 273 BGB in stärkerem Maße eine Druckfunktion zukommt,825 während bei § 14 S. 1 AGG der Schutzcharakter im Vordergrund steht.826 Indes ist § 14 S. 1 AGG trotz dieser raumgreifenden Anwendung von § 273 BGB nicht überflüssig. § 273 BGB enthält seinerseits Voraussetzungen, die über die Anforderungen von § 14 S. 1 AGG hinausgehen, insbesondere einen fälligen Leistungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber.827 Nach alledem bleibt festzuhalten, dass § 14 S. 1 AGG und § 273 Abs. 1 BGB sich hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs teilweise überschneiden (und in diesem Fall nebeneinander angewendet werden), daneben aber beiden Vorschriften jeweils ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt. § 14 S. 1 AGG ordnet an, dass der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers „erhalten bleibt“. Aus diesem Wortlaut, der sich auf das originäre arbeitsvertragliche Entgelt bezieht, folgt der Charakter des Tatbestands als anspruchserhaltende Norm.828 II. Telos Das Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 14 S. 1 AGG dient vor allem dem Schutz des Arbeitnehmers vor sexuellen und sonstigen Belästigungen.829 Damit 823 Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 16; Jauernig-Mansel § 14 AGG Rn. 1; Rust/ Falke-Eggert-Weyand § 14 Rn. 1; vgl. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/1780, S. 37, wonach neben § 14 S. 1 AGG für die Anwendung des § 273 „weitere Fallkonstellationen“ verbleiben sollen. 824 Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 26; Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 18. 825 Siehe oben § 5 J.III.2. 826 Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 1; HK-ArbR-Berg § 14 AGG Rn. 1; HK-AGGBuschmann § 14 Rn. 1; Meinel/Heyn/Herms § 14 Rn. 3; siehe dazu auch noch sogleich § 5 K.II. 827 Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 17; Rust/Falke-Eggert-Weyand § 14 Rn. 25; MüKoBGB-Thüsing § 14 AGG Rn. 16; hingegen halten Adomeit/Mohr § 14 Rn. 26 generell für weiter als § 14 AGG. 828 Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 4; für eine anspruchserhaltende Norm auch Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 20; Meinel/Heyn/Herms § 14 Rn. 5; MüKoBGB-Thüsing § 14 AGG Rn. 12; a. A. für eine eigenständige Anspruchsgrundlage Schiek-Kocher § 14 AGG Rn. 12. 829 Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 1; HK-ArbR-Berg § 14 AGG Rn. 1; HK-AGGBuschmann § 14 Rn. 1; Schiek-Kocher § 14 Rn. 2; ErfK-Schlachter § 14 AGG Rn. 1; MüKoBGB-Thüsing § 14 AGG Rn. 3.

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soll die Menschenwürde am Arbeitsplatz geschützt werden.830 Zugleich erlegt die Vorschrift dem Arbeitgeber die Pflicht auf, den Arbeitnehmer vor Belästigungen zu bewahren.831 Gegenüber diesem Zweck (Schutzfunktion) tritt – anders als bei §§ 273 und 320 BGB – die Druckfunktion bei § 14 S. 1 AGG in den Hintergrund,832 bleibt aber gleichwohl vorhanden.833 III. Tatbestand 1. Beschäftigter § 14 S. 1 AGG ist auf Beschäftigte im Sinne des § 6 AGG anwendbar. Beschäftigte im Sinne dieser Vorschrift sind Arbeitnehmer, Auszubildende, arbeitnehmerähnliche Personen, Bewerber für ein Arbeitsverhältnis sowie ehemalige Arbeitnehmer.834 Damit ist der Beschäftigtenbegriff des AGG weiter als der allgemeine arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff, der Bewerber, arbeitnehmerähnliche Personen und ehemalige Arbeitnehmer nicht umfasst.835 2. Belästigung oder sexuelle Belästigung Erste Voraussetzung für ein Leistungsverweigerungsrecht ist eine Belästigung oder sexuelle Belästigung des Arbeitnehmers. Beide Begriffe sind in § 3 Abs. 3 und 4 AGG legaldefiniert. a) Belästigung Eine Belästigung liegt gemäß § 3 Abs. 3 AGG in unerwünschten Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund im Zusammenhang stehen und bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Unerwünschte Verhaltensweisen können verbaler oder nonverbaler Art sein.836 Maßstab für die 830

HK-AGG-Buschmann § 14 Rn. 1. HK-AGG-Buschmann § 14 Rn. 1; vgl. auch Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 1. 832 HK-AGG-Buschmann § 14 Rn. 1; Meinel/Heyn/Herms § 14 Rn. 3; vgl. auch MüKoBGB-Thüsing § 14 AGG Rn. 3, der die Druckfunktion bei § 14 AGG offenbar gänzlich in Abrede stellt. 833 Vgl. auch HK-ArbR-Berg § 14 AGG Rn. 1 und Schiek-Kocher § 14 Rn. 2, nach denen § 14 AGG auch die Erleichterung des Rechtsschutzes und damit die Druckausübung auf den Arbeitgeber bezweckt. 834 Zu den Einzelheiten vgl. Adomeit/Mohr § 6 AGG Rn. 9–21; Bauer/Göpfert/Krieger § 6 Rn. 5–15; Schiek-Kocher § 6 AGG Rn. 2–7. 835 HK-AGG-Buschmann § 14 Rn. 4; Bamberger/Roth-Fuchs § 6 AGG Rn. 1; MüKoBGB-Thüsing § 6 AGG Rn. 2; zum allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff siehe oben § 5 A.I.2. 836 Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 41. 831

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Unerwünschtheit ist die Sicht eines objektiven Beobachters.837 Dieser muss davon ausgehen, dass das Verhalten des Handelnden unter den gegebenen Umständen von dem Betroffenen nicht erwünscht oder akzeptiert ist.838 Der Betroffene kann die Ablehnung gegenüber dem Handelnden ausdrücklich oder schlüssig zum Ausdruck bringen.839 Die unerwünschte Verhaltensweise muss sich zudem gerade auf eines der in § 1 AGG genannten Merkmale beziehen. Weiterhin muss sie bewirken oder bezwecken, die Würde der betroffenen Person zu verletzen. Alternativ genügt die subjektive Absicht des Handelnden, eine Würdeverletzung herbeizuführen, oder der objektive Verletzungserfolg (ohne subjektive Komponente beim Handelnden).840 Keine Würdeverletzung liegt bei nur geringfügigen Eingriffen vor.841 Indes dürfen hier die Anforderungen auch nicht überspannt werden, da nach dem Willen des Gesetzgebers die Schwelle nicht erst bei einer Verletzung der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 GG erreicht sein sollte.842 Schließlich müssen die unerwünschten Verhaltensweisen ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld schaffen.843 Einmalige Handlungen gelten nicht als Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG, da die Schaffung eines Umfelds ein Verhalten von gewisser Dauer voraussetzt.844 Bezweifelt werden darf hingegen, ob – wie vertreten wird845 – die Schaffung eines solchen Umfelds auch ein syste837 Adomeit/Mohr § 3 AGG Rn. 226; Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 42; Rust/ Falke-Eggert-Weyand § 3 Rn. 53; Meinel/Heyn/Herms § 14 Rn. 6; Henssler/Willemsen/ Kalb-Rupp § 3 AGG Rn. 13. 838 Henssler/Willemsen/Kalb-Rupp § 3 AGG Rn. 13; Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 42; Rust/Falke-Eggert-Weyand § 3 Rn. 53; wohl auch Schiek-Kocher § 3 AGG Rn. 72. 839 Vgl. Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 42; Schiek-Kocher § 3 AGG Rn. 72. 840 Ebenso Adomeit/Mohr § 3 AGG Rn. 229; Annuß BB 2006, S. 1629, 1632; Bauer/ Göpfert/Krieger § 3 Rn. 44; Rust/Falke-Eggert-Weyand § 3 AGG Rn. 61; vgl. ferner HK-ArbR-Bufalica § 3 AGG Rn. 19. Eventualvorsatz des Handelnden ist nicht zu fordern, da § 3 Abs. 3 AGG die Belästigung zur Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG erklärt, vgl. Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 39. Für das Vorliegen einer Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG kommt es auf eine subjektive Komponente beim Handelnden gerade nicht an, vgl. Nollert-Borasio/Perreng § 7 Rn. 6. 841 Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 43; HK-ArbR-Bufalica § 3 AGG Rn. 20; EggertWeyand § 3 AGG Rn. 57. 842 BT-Drs. 16/1780, S. 33; vgl. ferner Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 43; Rust/ Falke-Eggert-Weyand § 3 AGG Rn. 57; Henssler/Willemsen/Kalb-Rupp § 3 AGG Rn. 14. 843 Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 45; HK-AGG-Buschmann § 3 Rn. 68; Rust/ Falke-Eggert-Weyand § 3 AGG Rn. 58. 844 Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 45 MüKoBGB-Thüsing § 3 AGG Rn. 58; ebenso Adomeit/Mohr § 3 AGG Rn. 233, die in Fn. 793 die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/ 1780, S. 33), nach der der Betroffene auch bei einmaligen Handlungen nicht schutzlos bleibe, zu Recht als missverständlich kritisieren. 845 Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 45; auch noch Adomeit/Mohr (1. Auflage) § 3 AGG Rn. 134.

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matisches Handeln des Belästigers voraussetzt.846 Der Betroffene wird sein Umfeld auch dann als feindselig ansehen, wenn die ihm gegenüber ausgesprochenen Beleidigungen, Anfeindungen etc. nicht auf einem systematischen Plan des Handelnden beruhen, sondern spontan geschehen, sofern sie nur von einer gewissen Häufigkeit sind. Für die Wirkung solcher Äußerungen auf den Betroffenen macht es keinen Unterschied, ob sie geplant oder ungeplant erfolgen. b) Sexuelle Belästigung Eine sexuelle Belästigung liegt gemäß § 3 Abs. 4 AGG in unerwünschtem, sexuell bestimmtem Verhalten, das eine Würdeverletzung der betreffenden Person bezweckt oder bewirkt, insbesondere, wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Gemeint sind damit Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 3 AGG, die in einem sexuellen Kontext erfolgen.847 Die Aufzählung im Gesetzestext (unerwünschte sexuelle Handlungen, Aufforderungen zu unerwünschten sexuellen Handlungen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen) ist lediglich beispielhaft und nicht abschließend.848 Die sexuelle Belästigung muss eine Würdeverletzung bezwecken oder bewirken. Anders jedoch als im Fall des § 3 Abs. 3 AGG ist nicht zwingend erforderlich, dass ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Das Gesetz benennt durch Verwendung des Wortes „insbesondere“ die Schaffung eines solchen Umfelds lediglich als eine mögliche Konkretisierung des Begriffs der Würdeverletzung.849 c) Keine analoge Anwendung Nicht in § 14 S. 1 AGG erwähnt werden die anderen in § 3 definierten Formen einer Benachteiligung – die unmittelbare Benachteiligung (Abs. 1), die mittelbare Benachteiligung (Abs. 2) und die Anweisung zu einer Benachteiligung (Abs. 5).

846 Ebenfalls für eine niedrige Schwelle Thüsing in Bauer/Thüsing/Schunder NZA 2005, S. 32, 33. 847 Vgl. HK-AGG-Buschmann § 3 Rn. 76; Bamberger/Roth-Fuchs § 3 AGG Rn. 11; MüKoBGB-Thüsing § 3 AGG Rn. 65. 848 Adomeit/Mohr § 3 AGG Rn. 250, HK-ArbR-Bufalica § 3 AGG Rn. 22; zu Einzelheiten vgl. HK-AGG-Buschmann § 3 Rn. 55–58; MüKoBGB-Thüsing § 3 AGG Rn. 68 ff. 849 Adomeit/Mohr § 3 AGG Rn. 252; Bauer/Göpfert/Krieger § 3 Rn. 60; Rust/ Falke-Eggert-Weyand § 3 AGG Rn. 84.

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Damit steht dem Arbeitnehmer in diesen Fällen kein Leistungsverweigerungsrecht zu. Auch eine analoge Anwendung scheidet aus, da aufgrund des eindeutigen Wortlauts und der Entstehungsgeschichte von § 14 S. 1 AGG keine planwidrige Regelungslücke besteht.850 Während § 14 des Regierungsentwurfs zum Antidiskriminierungsgesetz noch ein umfassendes Leistungsverweigerungsrecht für alle Benachteiligungen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vorsah, wurde der Anwendungsbereich im Rahmen der Beratungen des 12. Ausschusses des Bundestages bewusst auf Belästigungen und sexuelle Belästigungen beschränkt.851 Diese Fassung wurde auch in das AGG übernommen. 3. Keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen Weitere Voraussetzung für ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers nach § 14 S. 1 AGG ist, dass der Arbeitgeber keine oder nur offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung der Belästigung oder sexuellen Belästigung ergreift. Ob eine vom Arbeitgeber ergriffene Schutzmaßnahme offensichtlich ungeeignet ist, beurteilt sich nach dem Maßstab eines objektiven Beobachters.852 Nur wenn für einen solchen ohne weiteres die Wirkungslosigkeit der Schutzmaßnahme erkennbar ist und die Belästigung noch nicht einmal reduziert werden kann, ist eine offensichtliche Ungeeignetheit zu bejahen.853 Zum Teil wird darüber hinaus in der Literatur vertreten, eine offensichtliche Ungeeignetheit sei auch bei teilweise wirksamen Maßnahmen gegeben, sofern ersichtlich besser geeignete Maßnahmen zur Verfügung stehen, die für den Arbeitgeber nicht wesentlich mehr Aufwand bedeuten.854 Diese Sichtweise ist jedoch mit dem eindeutigen Wortlaut unvereinbar, der nur absolut ungeeignete Maßnahmen für ein Leistungsverweigerungsrecht ausreichen lässt und gerade nicht auch solche Maßnahmen, die zwar nicht völlig ungeeignet, aber relativ weniger geeignet sind als andere.

850 Vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Rupp § 14 AGG Rn. 1; Meinel/Heyn/Herms § 14 Rn. 6; ErfK-Schlachter § 14 AGG Rn. 1; ebenso Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 5, die aber zutreffend darauf hinweisen, dass gegebenenfalls § 273 BGB einschlägig sein könnte. Zur Entstehungsgeschichte vgl. oben § 5 K.I. 851 Vgl. dazu BT-Drs. 15/4538 (Regierungsentwurf), S. 7, 34 f. einerseits sowie BTDrs. 15/5717 (Beschlüsse des Ausschusses), S. 10, 37 andererseits. 852 Vgl. Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 13; Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 6; ErfKSchlachter § 14 AGG Rn. 1; für einen Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers Henssler/Willemsen/Kalb-Rupp § 14 AGG Rn. 1. 853 Henssler/Willemsen/Kalb-Rupp § 14 AGG Rn. 1; Rust/Falke-Eggert-Weyand § 14 AGG Rn. 14. 854 ErfK-Schlachter § 14 AGG Rn. 1; Henssler/Willemsen/Kalb-Rupp § 14 AGG Rn. 1.

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4. Erforderlichkeit zum Schutz des Beschäftigten Schließlich muss die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts zum Schutze des Arbeitnehmers erforderlich sein. Die Erforderlichkeit fehlt, wenn dem Beschäftigten ein milderes Mittel als die Verweigerung der Arbeitsleistung zur Verfügung steht.855 Zu den milderen Mitteln kann zum Beispiel die Vermeidung von persönlichem Kontakt mit dem Belästigenden gehören, soweit der Betroffene hierauf Einfluss nehmen kann. Ein milderes Mittel liegt in aller Regel auch in der Erhebung einer Beschwerde nach § 13 Abs. 1 AGG.856 Nur wenn der Arbeitgeber über die Belästigung oder sexuelle Belästigung informiert ist, kann er wirksame Schutzmaßnahmen ergreifen. Die Beschwerde wird indes entbehrlich sein, wenn der Arbeitnehmer unter den gegebenen Umständen davon ausgehen darf, dass sie ohnehin erfolglos bleiben wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Belästigung vom Arbeitgeber selbst ausgeht und dieser zu erkennen gegeben hat, davon keinen Abstand zu nehmen. Die weit überwiegende Ansicht in der Literatur möchte darüber hinaus eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen und dem Arbeitnehmer das Leistungsverweigerungsrecht nur dann zugestehen, wenn die Art und Schwere der Belästigung zur Ausübung des Verweigerungsrechts nicht außer Verhältnis steht.857 Eine solche Relativierung des Leistungsverweigerungsrechts ist indes im Wortlaut nicht angelegt.858 Der Gesetzgeber hat die Formulierung „soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist“ gewählt und nicht etwa „soweit dies zu der Art und Schwere der Belästigung nicht außer Verhältnis steht“. Auch in der Gesetzesbegründung ist nur von einer Erforderlichkeits- und nicht etwa von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung die Rede.859 Für diese Sichtweise spricht auch der Schutzzweck von § 14 S. 1 AGG. Der Arbeitnehmer soll vor würdeverletzenden Belästigungen und sexuellen Belästigungen geschützt werden. Kann wirkungsvoller Schutz nur durch eine Leistungsverweigerung erlangt werden, muss dem Arbeitnehmer unabhängig vom Ausmaß der damit einhergehenden Arbeitgeberbelastung ein Leistungsverweigerungsrecht zustehen.

855 Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 15; Rust/Falke-Eggert-Weyand § 14 AGG Rn. 17; ErfK-Schlachter § 14 AGG Rn. 1. 856 Ebenso Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 16; Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 9, Rust/Falke-Eggert-Weyand § 14 AGG Rn. 17; a. A. HK-AGG-Buschmann § 14 Rn. 8. 857 Dafür Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 15; HK-ArbR-Berg § 14 AGG Rn. 5; Rust/ Falke-Eggert-Weyand § 14 AGG Rn. 17; Bamberger/Roth-Fuchs § 14 AGG Rn. 3; Schiek-Kocher § 14 AGG Rn. 10; Nollert-Borasio/Perreng § 14 Rn. 4 ff.; ErfK-Schlachter § 14 AGG Rn. 1; MüKoBGB-Thüsing § 14 AGG Rn. 7; a. A. offenbar Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 8–11. 858 Ebenfalls ablehnend Kittner/Däubler/Zwanziger-Zwanziger (7. Auflage) § 14 AGG Rn. 4. 859 BT-Drs. 16/1780, S. 37.

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5. Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts Das Leistungsverweigerungsrecht des § 14 S. 1 AGG muss der Arbeitnehmer nicht geltend machen. Es wird schlicht durch Fernbleiben von der Arbeit ausgeübt.860 Gemäß § 14 S. 1 AGG ist der Arbeitnehmer noch nicht einmal dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber mitzuteilen, weswegen er die Arbeit einstellt. Indes ergibt sich eine solche Verpflichtung in der Regel als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag.861 IV. Rechtsfolgen Liegen die Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts aus § 14 S. 1 AGG vor, behält der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt. Die Berechnung erfolgt hinsichtlich des Geld- und des Zeitfaktors nach dem Lohnausfallprinzip.862 Allerdings macht der Arbeitnehmer das Leistungsverweigerungsrecht auf eigenes Risiko geltend.863 Stellt sich später die Unrechtmäßigkeit der Leistungsverweigerung heraus, liegt eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vor. Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers, Abmahnung und Kündigung können die Folge sein.864

L. Vergütungsanspruch bei Ausübung des Entfernungsrechts gemäß § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG I. Systematische Einordnung In § 9 Abs. 3 S. 1 ArbSchG hat der Gesetzgeber den Arbeitgeber dazu verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die es den Beschäftigten bei unmittelbarer erheblicher Gefahr ermöglichen, sich durch Verlassen ihrer Arbeitsplätze in Sicherheit zu bringen. Gemäß § 9 Abs. 3 S. 2 ArbSchG dürfen den Beschäftigten hierdurch keine Nachteile entstehen, weshalb auch für diese Zeit eine Vergütung zu zahlen ist. Die Vorschrift erhält den originären arbeitsvertraglichen Entgeltan860 Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 12; vgl. auch Adomeit/Mohr § 14 Rn. 18; a. A. HK-ArbR-Berg § 14 AGG Rn. 6. 861 Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 18; Bauer/Göpfert/Krieger § 14 Rn. 12; vgl. auch Meinel/Heyn/Herms § 14 Rn. 13, die auf das arbeitsvertragliche Rücksichtnahmegebot abstellen. 862 Adomeit/Mohr § 14 AGG Rn. 20; HK-AGG-Buschmann § 14 Rn. 10; Meinel/ Heyn/Herms § 14 Rn. 19; MüKoBGB-Thüsing § 14 AGG Rn. 12; zum Lohnausfallprinzip allgemein vgl. oben § 4 B.I. 863 Gelhaar NZA 2009, S. 825, 826; ErfK-Schlachter § 14 AGG Rn. 1; MüKoBGBThüsing § 14 AGG Rn. 8; vgl. auch Meinel/Heyn/Herms § 14 Rn. 20. 864 LAG Köln 24.11.2010 – 5 Ta 361/10 (zitiert nach juris); Meinel/Heyn/Herms § 14 Rn. 20.

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spruch aufrecht und stellt keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar.865 Dafür spricht vor allem der Wortlaut von § 9 Abs. 3 S. 2 ArbSchG, wonach den Beschäftigten „aus ihrem Handeln keine Nachteile entstehen“ dürfen. Ein solcher Nachteil läge vor, wenn die Beschäftigten ihren originären arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch verlören, der ihnen zugestanden hätte, wenn sie ihre Arbeitsleistung erbracht hätten. II. Telos § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG dient der Umsetzung von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit vom 12. Juni 1989.866 In dieser Bestimmung der Richtlinie heißt es wörtlich: „Einem Arbeitnehmer, der bei ernster, unmittelbarer und nicht vermeidbarer Gefahr seinen Arbeitsplatz bzw. einen gefährlichen Bereich verlässt, dürfen dadurch keine Nachteile entstehen, und er muss gegen alle nachteiligen und ungerechtfertigten Folgen entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften bzw. Praktiken geschützt werden.“ Durch diese Formulierung wird deutlich, dass ein umfassender Arbeitnehmerschutz beabsichtigt ist. Dazu gehört insbesondere der Entgeltschutz für die Zeit einer berechtigten Entfernung.867 Das Entfernungsrecht dient vor allem dem Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers, aber auch der Verbesserung der Arbeitssicherheit.868 Zugleich bringt die Vorschrift die Vorstellung des Richtliniengebers zum Ausdruck, dass der Arbeitnehmer nicht lediglich passives Objekt hoheitlicher Arbeitsschutzmaßnahmen ist, sondern selbst als handelndes Subjekt am Arbeitsplatz auftreten soll.869 III. Tatbestand 1. Beschäftigter im Sinne des ArbSchG § 9 Abs. 3 S. 1 ArbSchG garantiert das Entfernungsrecht nicht nur für Arbeitnehmer, sondern für alle Beschäftigten im Sinne des § 2 Abs. 2 ArbSchG. Dazu gehören auch arbeitnehmerähnliche Personen im Sinne des § 5 Abs. 1 ArbGG

865 Staudinger-Oetker § 618 Rn. 275; wohl auch MüKoBGB-Henssler § 618 Rn. 95; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 618 BGB Rn. 33. 866 Pieper § 9 ArbSchG Rn. 12; vgl. auch Kollmer/Klindt-Kohte § 9 ArbSchG Rn. 60 f.; Spinnarke/Schork § 9 ArbSchG Rn. 2. 867 Vgl. Kittner/Zwanziger/Deinert-Bantle § 93 Rn. 98; Pieper § 9 ArbSchG Rn. 12; Kollmer/Klindt-Kohte § 9 ArbSchG Rn. 82; HK-ArbSchG-Aufhauser § 9 Rn. 9; Staudinger-Oetker § 618 Rn. 275. 868 Vgl. Kollmer/Klindt-Kohte § 9 ArbSchG Rn. 1. 869 Pieper § 9 ArbSchG Rn. 10; vgl. auch Bücker/Feldhoff/Kohte Arbeitsschutz Rn. 606.

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ohne die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten, ferner Beamte, Richter, Soldaten und die in Werkstätten für Behinderte Beschäftigten.870 Damit ist der arbeitschutzrechtliche Beschäftigtenbegriff weiter als der allgemeine arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff.871 2. Unmittelbare erhebliche Gefahr am Arbeitsplatz Dem Arbeitnehmer muss bei Verbleib an seinem Arbeitsplatz eine unmittelbare, erhebliche Gefahr für seine Sicherheit oder Gesundheit drohen.872 Das ist der Fall, wenn der Eintritt eines Schadens sicher oder sehr wahrscheinlich ist und der Schaden nach Art oder Umfang besonders schwer wiegt.873 Die Gefahr muss tatsächlich bestehen.874 Nimmt der Arbeitnehmer das Vorliegen einer Gefahr bloß irrtümlich an und entfernt er sich, handelt er pflichtwidrig. Ein Entgeltanspruch für die Zeit der Entfernung besteht in diesem Fall nicht, es sei denn, der Irrtum wird vom Arbeitgeber verursacht.875 3. Verlassen des Arbeitsplatzes Der Entgeltschutz nach § 9 Abs. 3 S. 2 ArbSchG greift weiterhin nur ein, wenn der Arbeitnehmer in Anbetracht der Gefahrenlage seinen Arbeitsplatz verlässt und daher seiner Arbeitspflicht nicht nachkommt. 4. Keine zumutbare Aufforderung zur Wiederaufnahme der Tätigkeit Schließlich darf nicht die Konstellation gegeben sein, dass die unmittelbare erhebliche Gefahr über einen längeren Zeitraum anhält und es dem Beschäftigten aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise zumutbar ist, auf eine Aufforde-

870 Ob die in den Werkstätten für Behinderte Beschäftigten schon unter den Arbeitnehmerbegriff fallen, ist umstritten (vgl. Kollmer/Klindt-Kohte § 2 ArbSchG Rn. 73– 76). Dem § 2 Abs. 2 Nr. 7 kommt daher eine klarstellende Funktion zu. 871 HK-ArbSchG-Aufhauser § 2 Rn. 2; Pieper § 2 ArbSchG Rn. 11; zu Einzelheiten ausführlich Kollmer/Klindt-Kohte § 2 Rn. 32 ff.; vgl. zum allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff oben § 5 A.I.2. 872 Kollmer/Klindt-Kohte § 9 ArbSchG Rn. 77; vgl. auch HK-ArbR-Hamm/Faber § 9 ArbSchG Rn. 6; Pieper § 9 ArbSchG Rn. 1. 873 Vgl. HK-ArbSchG-Aufhauser § 9 Rn. 6; MüKoBGB-Henssler § 618 Rn. 94; Pieper § 9 ArbSchG Rn. 1. 874 HK-ArbSchG-Aufhauser § 9 Rn. 8; Pieper § 9 ArbSchG Rn. 11; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 618 BGB Rn. 32; Staudinger-Oetker § 618 Rn. 272; ErfK-Wank § 9 ArbSchG Rn. 1; weiter dagegen HK-ArbR-Hamm/Faber § 9 ArbSchG Rn. 6; Kollmer/Klindt-Kohte § 9 ArbSchG Rn. 79–81. 875 Pieper § 9 ArbSchG Rn. 11, 13, vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 618 BGB Rn. 32; Staudinger-Oetker § 618 Rn. 272; ErfK-Wank § 9 ArbSchG Rn. 1.

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rung des Arbeitgebers hin seine Tätigkeit wieder aufzunehmen. Unter solchen Umständen muss der Arbeitnehmer gemäß § 9 Abs. 3 S. 3 ArbSchG an seinen Arbeitsplatz zurückkehren.876 Ab diesem Zeitpunkt besteht für ihn auch kein Entgeltschutz mehr. Davon unberührt bleibt der Entgeltschutz für den Zeitraum zwischen dem berechtigten Verlassen des Arbeitsplatzes und der Verpflichtung zur Wiederaufnahme der Tätigkeit. Ein solcher Ausnahmefall877 liegt vor, wenn die Tätigkeit des Beschäftigten zur Förderung oder Erreichung besonders wichtiger Zwecke nach einer Abwägung mit der Größe der Gefahr und der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erforderlich und angemessen ist.878 Zu solchen Zwecken können insbesondere der Schutz von Leib und Leben anderer Personen sowie die Begrenzung eines bereits eingetretenen Schadens gehören, wenn zu befürchten steht, dass sich die davon ausgehenden Gefahren sonst noch vergrößern.879 Diese Einschränkung des Entgeltschutzes ist auch mit der Richtlinie 89/391/EWG vereinbar, die ihrerseits in Art. 8 Abs. 3 c) eine entsprechende Ausnahme erlaubt.880 IV. Rechtsfolgen Liegen die Voraussetzungen einer berechtigten Entfernung vor, dürfen dem Beschäftigten gemäß § 9 Abs. 3 S. 2 ArbSchG keine Nachteile entstehen. Hierunter fällt – auch ohne ausdrückliche Klarstellung im Wortlaut – aufgrund des Schutzzwecks der Richtlinie nach zutreffender allgemeiner Ansicht auch ein umfassender Entgeltschutz.881 Der Arbeitnehmer ist so zu stellen, als ob er während der Zeit des Arbeitsausfalls gearbeitet hätte. Mithin ist das Lohnausfallprinzip hinsichtlich des Zeit- und des Geldfaktors anwendbar.882

876 Die Gegenauffassung (HK-ArbR-Hamm/Faber § 9 ArbSchG Rn. 7) plädiert nur für ein Recht des Arbeitgebers zur Aufforderung, verneint aber eine Pflicht des Arbeitnehmers, diese zu befolgen. Das dürfte indes kaum gemeint sein. Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer ohnehin folgenlos zur Wiederaufnahme auffordern. Zudem muss das Aufforderungsrecht im systematischen Zusammenhang mit Satz 1 betrachtet werden. Da dort keine Entfernungspflicht, sondern nur ein Entfernungsrecht des Arbeitnehmers statuiert wird, muss eine Ausnahme von diesem Recht konsequenterweise die ursprüngliche Arbeitspflicht wieder aufleben lassen. 877 HK-ArbSchG-Aufhauser § 9 Rn. 10; Pieper § 9 ArbSchG Rn. 14; Spinnarke/ Schork § 9 ArbSchG Rn. 6. 878 Kittner/Zwanziger/Deinert-Bantle § 93 Rn. 101a; vgl. auch Pieper § 9 ArbSchG Rn. 14. 879 Kollmer/Klindt-Kohte § 9 ArbSchG Rn. 87; Pieper § 9 ArbSchG Rn. 14; vgl. HK-ArbSchG-Aufhauser § 9 Rn. 10. 880 Vgl. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 13/3540, S.18. 881 Pieper § 9 ArbSchG Rn. 12; Kollmer/Klindt-Kohte § 9 ArbSchG Rn. 82; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 618 BGB Rn. 33; Staudinger-Oetker § 618 Rn. 275. 882 Vgl. allgemein zum Lohnausfallprinzip oben § 4 B.I.

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M. Vergütungsanspruch bei persönlicher Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) I. Systematische Einordnung In § 14 Abs. 1 ArbPlSchG883 ist niedergelegt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt weiterzahlen muss, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Wehrpflicht von der Erfassungsbehörde oder einer Wehrersatzbehörde aufgefordert wird, sich während der Arbeitszeit persönlich zu melden oder vorzustellen. Aus dem Wortlaut der Norm („hat der Arbeitgeber [. . .] das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen“) lässt sich der Charakter der Vorschrift als anspruchserhaltender Tatbestand ableiten. Dafür spricht auch die enge systematische Verwandtschaft von § 14 Abs. 1 ArbPlSchG mit § 616 BGB884 – ebenfalls eine anspruchserhaltende Norm.885 Die Vorschrift ist durch die jüngst beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht nicht gegenstandslos geworden.886 Zwar wird seit dem Inkrafttreten des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2011 außer im Spannungs- und Verteidigungsfall niemand mehr nach §§ 3 bis 53 WehrPflG gegen seinen Willen zum Wehrdienst herangezogen und zu diesem Zweck gemustert. Der Gesetzgeber hat aber den freiwilligen Wehrdienst eingeführt – zunächst in §§ 54 ff. WehrPflG, nunmehr geregelt in §§ 58b bis 58h SG. Wie sich aus § 16 Abs. 7 ArbPlSchG ergibt, gilt das ArbPlSchG auch für freiwillig Wehrdienstleistende mit der Maßgabe, dass die Vorschriften über den Grundwehrdienst anzuwenden sind. Diese Regelung knüpft ausweislich der Gesetzesbegründung an den seinerzeitigen § 56 WehrPflG (heute § 58f SG) an, wonach Regelungen in anderen Gesetzen oder Rechtsverordnungen, die an die Ableistung des Grundwehrdienstes anknüpfen, entsprechend anzuwenden sind.887 Daneben stellt die Gesetzesbegründung klar, dass das ArbPlSchG unabhängig von den Änderungen durch das Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 auch in den Fällen des sich an den Grundwehrdienst anschließenden freiwilligen zusätzlichen Wehrdienstes und des Wehrdienstes als Soldat auf Zeit gilt.888 Daher spielt § 14 ArbPlSchG nach wie vor eine Rolle in der Praxis.

883 Das ArbPlSchG ist nach wie vor in Kraft, da nur die Wehrpflicht ausgesetzt worden ist und die Möglichkeit eines freiwilligen Wehrdienstes besteht, vgl. §§ 58b–58h SG. Das ArbPlSchG gilt gemäß § 16 Abs. 7 ArbPlSchG auch für freiwillig Wehrdienstleistende. 884 Vgl. die Regierungsbegründung, BT-Drs. 2/3117, S. 17 f. 885 Siehe oben § 5 E.I. 886 Unklar insoweit Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 14 ArbPlSchG Rn. 1. 887 Vgl. Regierungsbegründung, BT-Drs. 17/4821, S. 21. Mit der Verschiebung der Vorschriften über den freiwilligen Wehrdienst von §§ 54 ff. WehrPflG in die §§ 58b bis 58h SG war keine inhaltliche Änderung verbunden, vgl. BT-Drs. 17/12059, S. 8. 888 Vgl. Regierungsbegründung, BT-Drs. 17/4821, S. 21.

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II. Telos § 14 Abs. 1 ArbPlSchG verlagert die wirtschaftlichen Lasten, die durch die Verpflichtung des Arbeitnehmers zu einer persönlichen Meldung oder Vorstellung bei einer Erfassungsbehörde oder einer Wehrersatzbehörde entstehen, auf den Arbeitgeber. Es handelt sich um eine spezielle Arbeitnehmerschutzvorschrift, die an den allgemeinen Tatbestand in § 616 S. 1 BGB über die Entgeltfortzahlung bei vorübergehender Verhinderung des Arbeitnehmers angelehnt und diesem nachgebildet ist.889 Auch § 616 BGB deckt persönliche Meldungen oder Vorstellungen bei einer Erfassungsbehörde oder einer Wehrersatzbehörde ab, ist jedoch nach ganz überwiegender Meinung abdingbar.890 § 14 Abs. 1 ArbPlSchG wurde eigens eingeführt, um diese Schutzlücke zu schließen.891 Folgerichtig ist § 14 Abs. 1 ArbPlSchG als zwingendes Recht ausgestaltet.892 III. Tatbestand Die Norm gilt nur für Arbeitnehmer im Sinne des § 15 Abs. 1 ArbPlSchG.893 Nicht erfasst sind die in Heimarbeit Beschäftigten (§ 7 ArbPlSchG), Handelsvertreter (§ 8 ArbPlSchG), Richter und Beamte (§ 9 ArbPlSchG) sowie wehrpflichtige Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis im Ausland stehen.894 Der Arbeitnehmer muss von der Erfassungsbehörde oder einer Wehrersatzbehörde zur persönlichen Meldung oder Vorstellung aufgefordert worden sein.895 Die in Betracht kommenden Behörden ergeben sich aus dem WehrpflichtG.896 Weiterhin ist Voraussetzung, dass die persönliche Meldung oder Vorstellung während der Arbeitszeit zu erfolgen hat. Insoweit genügt es jedoch, dass der Termin selbst außerhalb der Arbeitszeit liegt, der Arbeitnehmer aber einen Teil seiner Arbeitszeit für An- oder Abreise aufwenden muss.897 Als ausfallende Arbeitszeit gilt 889

Vgl. Regierungsbegründung, BT-Drs. 2/3117, S. 17 f. Siehe dazu oben § 5 E.III.4. 891 Sahmer/Busemann E § 14 S. 2. 892 Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 14 ArbPlSchG Rn. 1; Sahmer/Busemann E § 14 S. 2. 893 Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 14 ArbPlSchG Rn. 1; Sahmer/Busemann E § 14 S. 2. 894 Sahmer/Busemann E § 14 S. 2; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 14 ArbPlSchG Rn. 1. 895 Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 14 ArbPlSchG Rn. 1; Sahmer/Busemann E § 14 S. 3 f. 896 Sahmer/Busemann E § 14 S. 3 f. 897 Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 14 ArbPlSchG Rn. 1; Sahmer/Busemann E § 14 S. 3; vgl. auch LAG Niedersachsen 16.9.1968 – 6 Sa 414/68, BB 1969, S. 1226, 1226 f., das darüber hinaus für eine Erstreckung auf Arbeitszeiten plädiert, die nur mittelbar durch die Teilnahme an der außerhalb der Arbeitszeit liegenden Musterung versäumt wurden; dafür auch Gaisbauer RdA 1975, S. 116, 118. 890

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zudem die Zeit, die der Arbeitnehmer gegebenenfalls aufwenden muss, um sich auf den Termin vorzubereiten.898 Nicht erforderlich ist eine Willenserklärung des Arbeitgebers, mit der dieser den Arbeitnehmer von der Arbeit befreit. Vielmehr steht dem Arbeitnehmer sein Anspruch auf bezahlte Freistellung kraft Gesetzes zu, sofern die genannten Voraussetzungen vorliegen.899 Bei den Angelegenheiten im Sinne des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG handelt es sich um höchstpersönliche staatsbürgerliche Pflichten, deren Erfüllung nicht vom Gutdünken des Arbeitgebers abhängen darf.900 Zu beachten ist § 14 Abs. 2 ArbPlSchG, wonach der Arbeitnehmer dazu verpflichtet ist, dem Arbeitgeber die Ladung vorzulegen. An ein Versäumnis seitens des Arbeitnehmers knüpft das Gesetz indes keine Folgen hinsichtlich des Entgeltanspruchs. Denkbar sind allenfalls Schadensersatzansprüche sowie eine Abmahnung oder Kündigung.901 IV. Rechtsfolgen Liegen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG vor, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit, während der er seine Arbeitsleistung aufgrund der persönlichen Meldung oder Vorstellung nicht erbringen konnte. Die Berechnung erfolgt hinsichtlich des Zeit- und des Geldfaktors nach dem Lohnausfallprinzip.902

N. Vergütungsanspruch bei Arbeitsversäumnis wegen Betriebsratstätigkeiten Eine Reihe von Vorschriften gewährt dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltzahlung gegen den Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung wegen Tätigkeiten für den Betriebsrat nicht erbringen kann. Im Folgenden werden der Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Entgeltzahlung während seiner Tätigkeit für den Betriebsrat (§ 37 Abs. 2, 3 BetrVG; sogleich § 5 N.I.), der Entgeltanspruch des freigestellten Betriebsratsmitglieds (vgl. § 38 BetrVG; sogleich § 5 N.II.), der Entgeltanspruch des für erforderliche Schulungen freigestellten Betriebsratsmitglieds (vgl. § 37 Abs. 6 BetrVG i.V. m. § 37 Abs. 2, 3 BetrVG; sogleich § 5 N.III.1.) sowie der Entgeltanspruch des für geeignete 898

Sahmer/Busemann E § 14 S. 3. Sahmer/Busemann E § 14 S. 5. 900 Sahmer/Busemann E § 14 S. 5. 901 Sahmer/Busemann E § 14 S. 6 f. 902 Vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 14 ArbPlSchG Rn. 1, der zwar den Begriff „Lohnausfallprinzip“ nicht erwähnt, aber für die Berechnung eine hypothetische Betrachtungsweise zugrunde legt, was im Ergebnis auf das Lohnausfallprinzip hinausläuft. Zum Lohnausfallprinzip allgemein vgl. oben § 4 B.I. 899

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Schulungen freigestellten Betriebsratsmitglieds (vgl. § 37 Abs. 7 BetrVG; sogleich § 5 N.III.2.) erläutert. Soweit Vergütungsansprüche im Zusammenhang mit der Tätigkeit in anderen betriebsverfassungsrechtlichen Gremien entstehen können, verweist das Gesetz in vielen Fällen auf die hier erläuterten Vorschriften (vgl. etwa § 51 Abs. 1 S. 1 i.V. m. § 37 Abs. 1 bis Abs. 3 BetrVG für den Gesamtbetriebsrat, § 59 Abs. 1 i.V. m. § 37 Abs. 1 bis Abs. 3 BetrVG für den Konzernbetriebsrat, § 65 Abs. 1 i.V. m. § 37 BetrVG für die Jugend- und Auszubildendenvertretung, § 73 Abs. 2 i.V. m. § 37 Abs. 1 bis Abs. 3 BetrVG für die Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung, § 73b i.V. m. § 37 Abs. 1 bis Abs. 3 BetrVG für die Kozern-Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie § 76a Abs. 2 i.V. m. § 37 Abs. 2, 3 BetrVG für Beisitzer der Einigungsstelle), so dass die folgenden Ausführungen entsprechend gelten. Gleiches gilt für Mitglieder des Europäischen Betriebsrats, sofern sie im Inland beschäftigt sind (vgl. § 40 Abs. 1 S. 1 und 2 EBRG i.V. m. § 37 Abs. 1 bis Abs. 5, Abs. 6 S. 1 und 2 BetrVG).903 Über die Verweise in § 42 S. 2 Nr. 3 SEBG und § 44 S. 2 SCEBG werden §§ 37 f. BetrVG auch in der SE und der SCE angewendet. Den Entgeltschutz genießen Beschäftigte der SE und der SCE, ihrer Tochtergesellschaften und ihrer Betriebe, einer der beteiligten Gesellschaften oder juristischer Personen, der betroffenen Tochtergesellschaften und der betroffenen Betriebe, sofern sie in Deutschland beschäftigt sind. Erfasst werden Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums, Mitglieder des SE-Betriebsrates und des SCE-Betriebsrates, des Weiteren Arbeitnehmervertreter, die in sonstiger Weise bei einem Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung mitwirken und schließlich Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE und der SCE. Für die Tätigkeit von Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses trifft das BetrVG keine ausdrücklichen Regelungen. Es ist aber anerkannt, dass § 37 Abs. 2 und 3 BetrVG analog anzuwenden ist.904 I. Vergütungsanspruch des Betriebsratsmitglieds während seiner Tätigkeit für den Betriebsrat (vgl. § 37 Abs. 2, 3 BetrVG) 1. Anspruch auf bezahlte Freistellung für Betriebsratstätigkeiten im Einzelfall (vgl. § 37 Abs. 2 BetrVG) a) Systematische Einordnung Die Grundnorm im Bereich der Entgeltfortzahlung für Betriebsratsmitglieder ist § 37 Abs. 2 BetrVG.905 Das Gesetz geht davon aus, dass Betriebsratstätigkei903

Vgl. zu Einzelheiten Blanke Teil B. § 40 Rn. 5–8. ErfK-Kania § 107 BetrVG Rn. 13; GK-Oetker § 107 Rn. 37; HK-BetrVG-Steffan § 107 Rn. 6. 905 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 70, spricht insoweit von einer „Generalklausel“. 904

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ten grundsätzlich während der Arbeitszeit zu erledigen sind und diese Zeit auch wie Arbeitszeit vergütet wird (vgl. § 37 Abs. 2 BetrVG). Ist eine Erledigung während der Arbeitszeit aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, muss die Tätigkeit ausnahmsweise außerhalb der Arbeitszeit durchgeführt werden. Dann wird § 37 Abs. 3 BetrVG angewendet.906 Nach einhelliger Auffassung ist § 37 Abs. 2 BetrVG keine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern eine anspruchserhaltende Norm.907 Dafür spricht vor allem der Wortlaut „ohne Minderung des Arbeitsentgelts“. Er verdeutlicht, dass keine Entgeltersatzleistung gewährt werden soll, sondern der Arbeitnehmer weiterhin sein arbeitsvertragliches Entgelt bezieht. Daneben stützen systematische Erwägungen diese Sichtweise.908 Verstünde man § 37 Abs. 2 BetrVG als eigenständigen, von der arbeitsvertraglichen Vergütungspflicht losgelösten Anspruch, wäre diese Vergütung die Gegenleistung für die Betriebsratstätigkeit. Das aber wäre mit der Konzeption des Betriebsratsamts als Ehrenamt unvereinbar (vgl. § 37 Abs. 1 BetrVG).909 Vielmehr lässt § 37 Abs. 2 BetrVG die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers unter Entgeltfortzahlung ruhen, während dieser Betriebsratsaufgaben wahrnimmt. b) Telos Der Zweck von § 37 Abs. 2 BetrVG besteht vor allem in der Konkretisierung des in § 78 S. 2 BetrVG aufgestellten allgemeinen Grundsatzes, dass kein Betriebsratsmitglied auf Grund seiner Tätigkeit benachteiligt werden darf.910 Dadurch soll die Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder gewährleistet werden.911 Zudem ist die Vergütung von Betriebsratstätigkeiten vielerorts Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt genügend Bewerber für das Ehrenamt als Betriebsratsmitglied finden. Somit gewährleistet die Vorschrift auch die Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassungsorgane, namentlich des Betriebsrats.912 906

Vgl. dazu unten § 5 N.I.2. BAG 30.1.1973 – 1 ABR 22/72, AP Nr. 1 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 18.6.1974 – 1 ABR 119/73, AP Nr. 16 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 17.9.1974 – 1 AZR 574/73, AP Nr. 17 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 18.6.1995 – 7 AZR 1001/94, AP Nr. 112 zu § 37 BetrVG 1972; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 83 f.; GK-Weber § 37 Rn. 53; ErfKKoch § 37 BetrVG Rn. 6; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 120; Gloistein Betriebsrat, S. 79–82. 908 Vgl. zum Folgenden Knipper Arbeitsverhältnis, S. 22. 909 Knipper Arbeitsverhältnis, S. 22; Gloistein Betriebsrat, S. 85–88; zum Ehrenamtscharakter vgl. Moll/Roebers, NZA 2012, S. 57 ff. 910 Fitting § 37 Rn. 1; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 1; DKKW-Wedde § 37 Rn. 1. 911 Fitting § 37 Rn. 1; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 2 f.; GK-Weber § 37 Rn. 6; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 2. 912 Vgl. Richardi-Thüsing § 37 Rn. 2; GK-Weber § 37 Rn. 6; DKKW-Wedde § 37 Rn. 1, die die von § 37 BetrVG gewährleistete Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder als Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats verstehen. 907

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Hingegen ist § 37 Abs. 2 BetrVG nach der zutreffenden Auffassung des BAG913 kein Ausdruck des sogenannten Lebensstandardprinzips. Dieses Prinzip besagt, dass ein Entgeltfortzahlungstatbestand während der Zeit des Arbeitsausfalls den bisherigen Lebensstandard des Arbeitnehmers erhalten soll. Das Lebensstandardprinzip kann allenfalls in allgemeiner Weise die Konsequenzen von § 37 Abs. 2 BetrVG beschreiben, aber nicht zu seiner Auslegung herangezogen werden.914 Insoweit kann auf die entsprechenden Ausführungen zum Urlaubsrecht verwiesen werden.915 c) Tatbestand aa) Betriebsratsmitglied Bei dem Anspruchssteller muss es sich um ein Mitglied des Betriebsrats handeln. Ein leitender Angestellter kann kein Betriebsratsmitglied sein, da gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 BetrVG das BetrVG auf leitende Angestellte unanwendbar ist. Die betriebliche Mitbestimmung für leitende Angestellte ist separat im SprAuG vom 20. Dezember 1988916 geregelt. Hingegen werden die in Heimarbeit Beschäftigten erfasst, sofern sie in der Hauptsache für den betreffenden Betrieb arbeiten (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Keine Rolle spielt § 37 Abs. 2 BetrVG für Betriebsratsmitglieder, die nach § 38 Abs. 1 S. 1, 2 BetrVG vollständig von der Arbeit freigestellt sind.917 Insoweit enthält § 38 BetrVG eine vorrangige Sonderregelung.918 bb) Wahrnehmung von Aufgaben des Betriebsrats Ferner muss die Tätigkeit, für die das Betriebsratsmitglied die bezahlte Freistellung begehrt, zu den Aufgaben des Betriebsrats gehören. Unstrittig obliegen dem Betriebsrat Tätigkeiten, die ihm durch Gesetz zugewiesen sind.919 Wichtigste Rechtsquelle ist insoweit das BetrVG selbst.920 Doch auch in anderen Geset913 BAG 29.7.1980 – 6 AZR 231/78, AP Nr. 37 zu § 37 BetrVG 1972; anders noch BAG 10.6.1969 – 1 AZR 203/68, AP Nr. 12 zu § 37 BetrVG 1954. 914 BAG 29.7.1980 – 6 AZR 231/78, AP Nr. 37 zu § 37 BetrVG 1972. 915 Siehe oben § 5 F.II. 916 BGBl. 1988 I, S. 2312, 2316 ff. 917 Fitting § 37 Rn. 17; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 23; GK-Weber § 37 Rn. 18; zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer solchen Freistellung siehe unten § 5 N.II. 918 BAG 22.5.1973 – 1 ABR 2/73, AP Nr. 2 zu § 38 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 17; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 23. 919 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 28; Fitting § 37 Rn. 23; DKKW-Wedde § 37 Rn. 16. 920 Der Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrats dient unter anderem die Durchführung und die Teilnahme an Betriebsratssitzungen (§ 30 BetrVG), die Teilnahme an Sitzungen von Gesamt- und Konzernbetriebsrat (§§ 51, 30 BetrVG und §§ 59, 30 BetrVG) sowie der Betriebsräteversammlung (§ 53 BetrVG), die Erledigung allgemeiner Aufgaben (§ 80 Abs. 1 BetrVG), die Teilnahme an Besprechungen mit dem Arbeitgeber (§ 74

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zen finden sich derartige Zuweisungen. Beispielsweise führt der Betriebsrat Beratungen mit dem Arbeitgeber gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG durch. Auch die Zusammenarbeit des Betriebsrats mit Betriebsärzten und den Fachkräften für Arbeitssicherheit gemäß § 9 Abs. 1 ASiG sowie die Zusammenarbeit mit Arbeitgeber und Schwerbehindertenvertretung in Schwerbehindertenfragen nach § 99 Abs. 1 SGB IX fallen in diese Kategorie.921 Umstritten ist, inwiefern sich eine Zuweisung auch aus Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung ergeben kann. Während der überwiegende Teil der Literatur diese Frage uneingeschränkt bejaht,922 wollen andere Stimmen die Abdingbarkeit auf Sachverhalte beschränken, für die im BetrVG ausdrücklich die Möglichkeit einer Erweiterung der Aufgaben des Betriebsrats durch Vereinbarung vorgesehen ist.923 Ein Beispiel hierfür ist § 102 Abs. 6 BetrVG. Dagegen spricht indes, dass solche Vorschriften in der Regel die Rechte des Betriebsrats stärken sollen.924 Leitete man aus ihrer Existenz im Umkehrschluss ab, dass darüber hinaus keine Aufgabenzuweisung vereinbart werden darf, würde dadurch im Ergebnis der Betriebsrat geschwächt. Zudem ist ein Arbeitgeber nicht schutzwürdig, wenn er einer entsprechenden Betriebsvereinbarung oder einem entsprechenden Firmentarifvertrag zugestimmt hat oder einen entsprechenden Verbandstarifvertrag durch seine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband legitimiert. Er verhält sich widersprüchlich, wenn er einerseits eine derartige Vereinbarung mitträgt, zugleich aber den Betriebsratsmitgliedern keine Freistellung für die entsprechenden Tätigkeiten zubilligen möchte. Damit läge ein nach § 242 BGB unzulässiger Fall des venire contra factum proprium vor. Folglich sind Betriebsratsmitglieder auch für solche Aufgaben freizustellen, die dem Betriebsrat durch Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge zugewiesen sind. Die Frage, ob eine Tätigkeit zu den Aufgaben des Betriebsrats gehört, beurteilt sich nach einem objektiven Maßstab.925 Dem Betriebsratsmitglied steht aber ein Abs. 1 BetrVG), die Teilnahme an Sitzungen der Einigungsstelle (§ 76 Abs. 1 BetrVG), die Vorbereitung, Durchführung und die Teilnahme an Betriebs- und Abteilungsversammlungen (§ 42 Abs. 1, 2 BetrVG), die Teilnahme an Sitzungen der Jugend- und Auszubildendenvertretung (§ 65 Abs. 2 BetrVG), die Teilnahme an Sitzungen des Wirtschaftsausschusses (§ 108 BetrVG) sowie die Durchführung von Sprechstunden (§ 39 BetrVG). Vgl. zu Einzelheiten und weiteren Zuweisungstatbeständen im BetrVG HSWGNR-Glock § 37 Rn. 30; Fitting § 37 Rn. 23; DKKW-Wedde § 37 Rn. 18. 921 Vgl. zu Einzelheiten und weiteren Zuweisungstatbeständen außerhalb des BetrVG HSWGNR-Glock § 37 Rn. 30; Fitting § 37 Rn. 24; DKKW-Wedde § 37 Rn. 18. 922 Fitting § 37 Rn. 24; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 7; DKKW-Wedde § 37 Rn. 16. 923 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 29; einschränkend auch GK-Weber § 37 Rn. 23. 924 Im Fall des § 102 Abs. 6 BetrVG können Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen. 925 BAG 21.6.2006 – 7 AZR 418/05, AE 2007, S. 168–170; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 33; GK-Weber § 37 Rn. 21; vgl. auch BAG 31.8.1994 – 7 AZR 893/93, AP Nr. 98 zu § 37 BetrVG 1972; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 15.

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weitreichender und revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.926 Hierfür spricht die Unübersichtlichkeit der stetig wachsenden Materie, mit denen sich der Betriebsrat beschäftigen muss. Es besteht gerade in Einzelfragen eine große Rechtsunsicherheit über die genaue Abgrenzung des Aufgabenkreises des Betriebsrats, was den Beurteilungsspielraum rechtfertigt. Schließlich muss die betreffende Aufgabe des Betriebsrats gerade von demjenigen Betriebsratsmitglied wahrgenommen werden, das die Arbeitsbefreiung beansprucht.927 Diese Anforderung ist immer erfüllt, sofern die Aufgabe zwingend oder wenigstens regelmäßig von sämtlichen Betriebsratsmitgliedern wahrgenommen wird, wie etwa die Teilnahme an Betriebsratssitzungen (vgl. § 30 BetrVG). Obliegt eine Aufgabe hingegen einem bestimmten Mitglied, zum Beispiel die Teilnahme an Sitzungen des Wirtschaftsausschusses (vgl. § 107 Abs. 1 S. 1, § 108 Abs. 1 BetrVG), kann nur dieses Betriebsratsmitglied die Freistellung verlangen. Über seine Aufgabenverteilung entscheidet der Betriebsrat selbst.928 Er muss aber seine Arbeit an dem Prinzip der Rationalität ausrichten.929 cc) Erforderlichkeit der Arbeitsbefreiung Weiterhin muss die Arbeitsbefreiung nach Art und Umfang des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsratsmitglieds erforderlich sein.930 Diese Voraussetzung ist jedenfalls dann erfüllt, wenn die Wahrnehmung der betreffenden Aufgabe während der Arbeitszeit gesetzlich angeordnet ist.931 Das gilt beispielsweise für die Sitzungen des Betriebsrats, die gemäß § 30 S. 1 BetrVG in der Regel während der Arbeitszeit stattfinden. In den übrigen Fällen liegt die Entscheidung über die Erforderlichkeit bei dem betreffenden Betriebsratsmitglied. Dieses darf aber nicht nach freiem Ermessen befinden, sondern muss die Arbeitsversäumnis nach gewissenhafter Überlegung und vernünftiger Würdigung aller Umstände für notwendig halten, um seinen Aufgaben ge-

926 Richardi-Thüsing § 37 Rn. 15; GK-Weber § 37 Rn. 21; vgl. auch zur Frage, inwieweit eine Fehleinschätzung des Betriebsratsmitglieds eine Abmahnung rechtfertigt, BAG 31.8.1994 – 7 AZR 893/93, AP Nr. 98 zu § 37 BetrVG 1972; a. A. BAG 21.6.2006 – 7 AZR 418/05, AE 2007, S. 168–170; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 33; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 9. 927 ArbG Kiel 13.11.1978 – 4a BV 23/78, DB 1979, S. 1236; GK-Weber § 37 Rn. 22. 928 BAG 1.3.1963 – 1 ABR 3/62, AP Nr. 8 zu § 37 BetrVG; Fitting § 37 Rn. 45; GK-Weber § 37 Rn. 22; DKKW-Wedde § 37 Rn. 27. 929 BAG 1.3.1963 – 1 ABR 3/62, AP Nr. 8 zu § 37 BetrVG; Fitting § 37 Rn. 45; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 36; GK-Weber § 37 Rn. 22. 930 GK-Weber § 37 Rn. 32; DKKW-Wedde § 37 Rn. 26; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 34; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 10. 931 Fitting § 37 Rn. 36; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 10.

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recht zu werden.932 Folglich ist eine objektivierte ex-ante-Perspektive maßgeblich.933 Dabei spielt auch die Verhältnismäßigkeit der Arbeitsbefreiung eine Rolle. Das Betriebsratsmitglied muss die betrieblichen Belange einerseits und die Belange der Belegschaft andererseits gegeneinander abwägen.934 Eine solche Abwägung ist nicht nur bei der Entscheidung geboten, ob in einem bestimmten Fall die Erforderlichkeit überhaupt zu bejahen ist, sondern auch hinsichtlich der Art und des Umfangs der Arbeitsbefreiung.935 Dem Betriebsratsmitglied steht ein Beurteilungsspielraum zu.936 dd) Erfordernis einer Befreiung durch den Arbeitgeber? Umstritten ist, ob zu diesen materiellen Voraussetzungen auch noch eine formelle Anforderung in Gestalt einer ausdrücklichen oder schlüssigen Willenserklärung des Arbeitgebers tritt, mit der er die Arbeitsbefreiung bewilligt. Ein Teil des Schrifttums bejaht diese Frage,937 während die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung sowie der überwiegende Teil der Literatur eine solche Erklärung für entbehrlich halten. Sie verlangen lediglich eine Abmeldung bei dem Arbeitgeber, ohne dass dabei die Gründe und die näheren Umstände der Betriebsratstätigkeit offengelegt werden müssen.938 Das BAG hat zudem jüngst entschieden, dass sogar die Abmeldung entbehrlich sein soll, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls nicht ernsthaft in Betracht kommt, die Arbeitseinteilung vorübergehend umzuorganisieren.939 Das folge aus dem Zweck der Abmeldepflicht, der darin bestehe, dem Arbeitgeber die Arbeitseinteilung zu erleichtern, vor allem den Arbeitsausfall des Arbeitnehmers zu überbrücken.940 Könne dieser Zweck 932 BAG 6.8.1981 – 6 AZR 1086/79, AP Nr. 40 zu § 37 BetrVG 1972; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 10; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 34; vgl. auch Matthes Lohnzahlung Rn. 1891, der von „pflichtgemäßem Ermessen“ spricht. 933 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 10. 934 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 34; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 21; GK-Weber § 37 Rn. 33. 935 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 11; GK-Weber § 37 Rn. 36; DKKW-Wedde § 37 Rn. 26. 936 BAG 31.8.1994 – 7 AZR 893/93, AP Nr. 98 zu § 37 BetrVG 1972; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 10; GK-Weber § 37 Rn. 34; DKKW-Wedde § 37 Rn. 31. 937 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 46; kritisch gegenüber der h. M. auch Löwisch/Kaiser § 37 Rn. 17. 938 BAG 15.7.1992 – 7 AZR 466/91, AP Nr. 9 zu § 611 BGB Abmahnung; BAG 15.3.1995 – 7 AZR 643/94, AP Nr. 105 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 29.6.2011 – 7 ABR 135/09, NZA 2012, S. 47 ff.; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 12; GK-Weber § 37 Rn. 46, 49; DKKW-Wedde § 37 Rn. 44; für eine Abmeldung unter stichwortartiger Schilderung der geplanten Betriebsratstätigkeit hingegen noch BAG 14.2.1990 – 7 ABR 13/88, BB 1990, S. 1625. 939 BAG 29.6.2011 – 7 ABR 135/09, NZA 2012, S. 47 ff. 940 BAG 29.6.2011 – 7 ABR 135/09, NZA 2012, S. 47, 49.

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im Einzelfall nicht erreicht werden, bestehe für ein Abmeldeerfordernis kein Anlass. Der Arbeitgeber könne in diesen Fällen aber verlangen, dass ihm die Gesamtdauer der in einem bestimmten Zeitraum ausgeübten Betriebsratstätigkeit nachträglich mitgeteilt werde.941 Im Ausgangspunkt überzeugt die herrschende Meinung. Die Befürworter des Abmeldeerfordernisses haben zwar den Gesetzeswortlaut auf ihrer Seite. Danach „sind [Mitglieder des Betriebsrats] . . . zu befreien“, was nahe legt, dass der Arbeitgeber die Freistellung aktiv erteilen muss.942 Zudem können sie für ihre Auffassung das berechtigte Interesse des Arbeitgebers daran ins Feld führen, die Gründe für die Arbeitsbefreiung zu erfahren, um die Erforderlichkeit überprüfen zu können. Dieses Normverständnis führt jedoch zu praktischen Problemen, die die Gegenansicht verschweigt. Verweigert der Arbeitgeber die Erteilung der Arbeitsbefreiung unberechtigterweise, bleibt dem Betriebsratsmitglied keine Möglichkeit, zeitnah dagegen vorzugehen. Es könnte lediglich ein Gerichtsverfahren in die Wege leiten, doch selbst wenn es in dieser Frage um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachsuchte, muss es sich auf erhebliche Verzögerungen gefasst machen. Bis dahin bliebe ihm nur die Alternative, entweder der Betriebsratstätigkeit ohne erteilte Freistellung nachzugehen und dafür eine Entgeltminderung in Kauf zu nehmen oder aber die Betriebsratstätigkeit nicht auszuführen. Das drohte die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats in erheblichem Maße zu beeinträchtigen und führte darüber hinaus zu einer nicht hinnehmbaren Abhängigkeit des Betriebsrats vom Arbeitgeber.943 Demgegenüber werden die Interessen des Arbeitgebers kaum beeinträchtigt, wenn man auf das Erfordernis einer Befreiungserklärung verzichtet. Das Risiko, dass die Voraussetzungen einer Arbeitsbefreiung nicht vorliegen und damit auch das Risiko einer Entgeltminderung trägt das Betriebsratsmitglied. Zudem legt der Wortlaut des § 37 Abs. 2 BetrVG zwar das Erfordernis einer Befreiungserklärung nahe. Indes ist ein Normverständnis dahingehend, dass die Arbeitsbefreiung kraft Gesetzes eintritt, noch vertretbar. Der Wortlaut steht also der überwiegenden Auffassung nicht entgegen. Der Gegenansicht ist aber zuzugeben, dass die überwiegende Meinung das berechtigte Interesse des Arbeitgebers daran, die Gründe für die Arbeitsversäumnis zu erfahren, nicht hinreichend berücksichtigt. Vorzugswürdig ist es demgegenüber, vom Betriebsratsmitglied eine Abmeldung unter Angabe von Gründen und der Art der Betriebsratstätigkeit zu verlangen. Eine solche Abmeldung ist erforderlich, da der Arbeitgeber andernfalls die Notwendigkeit der Arbeitsbefreiung nicht nachprüfen und gegebenenfalls zuviel gezahltes Entgelt vom Betriebsrats941 942 943

BAG 29.6.2011 – 7 ABR 135/09, NZA 2012, S. 47 ff. Vgl. HSWGNR-Glock § 37 Rn. 46; Löwisch/Kaiser § 37 Rn. 17. Vgl. Richardi-Thüsing § 37 Rn. 26; GK-Weber § 37 Rn. 46.

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mitglied nicht zurückverlangen kann. Diesem berechtigen Interesse des Arbeitgebers wird in aller Regel kein berechtigtes Interesse des Betriebsratsmitglieds an der Geheimhaltung der Gründe entgegenstehen. Jedenfalls ist nicht nachzuvollziehen, dass – wie insbesondere das BAG meint – die Verpflichtung zur Offenlegung der Gründe das Betriebsratsmitglied schon im Vorfeld zu erledigender Betriebsratsaufgaben Rechtfertigungszwängen aussetzt, die sich nachteilig auf seine Amtsführung auswirken können.944 Das Betriebsratsmitglied soll sich auch nach hier vertretener Ansicht nicht vor dem Arbeitgeber für seine Tätigkeiten rechtfertigen oder sich mit diesem in der Frage der Erforderlichkeit auseinandersetzen, sondern ihm lediglich stichwortartig945 die Gründe des Arbeitsausfalls mitteilen.946 Unterbleibt die Abmeldung, will die ganz herrschende Ansicht dem Arbeitgeber lediglich Schadensersatzansprüche sowie die Möglichkeit einer Abmahnung oder Kündigung zubilligen.947 Die Berechtigung zur Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben und damit auch der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers sollen hingegen unberührt bleiben. Das kann nicht überzeugen. Es ist inkonsequent, in dem Abmeldungserfordernis zwar einerseits eine betriebsverfassungsrechtliche und individualrechtliche Pflicht des Betriebsratsmitglieds zu erblicken, aber andererseits dem Betriebsratsmitglied seinen Entgeltanspruch zu belassen. Zudem setzt eine wirkungsvolle Durchsetzung des Abmeldeerfordernisses die effektive Sanktionierung einer Verletzung voraus. Dieses Ziel lässt sich am besten erreichen, wenn man die Abmeldung zur Voraussetzung des Entgeltanspruchs nach § 37 Abs. 2 BetrVG erhebt.948 d) Rechtsfolgen Unter den Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG wird das Betriebsratsmitglied unter Entgeltfortzahlung von der Arbeitspflicht freigestellt. Die Berechnung des zu zahlenden Entgelts erfolgt hinsichtlich des Zeit- und des Geldfaktors nach

944 So aber BAG 15.3.1995 – 7 AZR 643/94, AP Nr. 105 zu § 37 BetrVG 1972; zustimmend Fitting § 37 Rn. 50a; DKKW-Wedde § 37 Rn. 46; kritisch hingegen GK-Weber § 37 Rn. 49. 945 Nicht erforderlich (und wohl auch praxisfern) ist eine genaue Schilderung der anstehenden Betriebsratsaufgaben, vgl. HSWGNR-Glock § 37 Rn. 47. 946 Das entspricht im Ergebnis der älteren Rechtsprechung des BAG, vgl. BAG 14.2.1990 – 7 ABR 13/88, BB 1990, S. 1625; ebenso Matthes Lohnzahlung Rn. 192; ebenfalls kritisch zur heute h. M. GK-Weber § 37 Rn. 49 unter Verweis auf die betriebliche Praxis. 947 ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 5; GK-Weber § 37 Rn. 51; Matthes Lohnzahlung Rn. 192. 948 Ähnlich wohl HSWGNR-Glock § 37 Rn. 46 ff. für den Fall, dass die von ihm geforderte Befreiungserklärung durch den Arbeitgeber nicht vorliegt und das Betriebsratsmitglied dennoch Betriebsratsaufgaben wahrnimmt.

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dem Lohnausfallprinzip.949 Hypothetische Überstunden und Zuschläge sind ebenso zu berücksichtigen wie hypothetische Kurzarbeit.950 2. Anspruch auf Freizeitausgleich gemäß § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG und auf Vergütung wie Mehrarbeit gemäß § 37 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BetrVG a) Systematische Einordnung Grundsätzlich sollen die Mitglieder des Betriebsrats ihre Betriebsratstätigkeiten während ihrer persönlichen Arbeitszeit erledigen.951 Kommen sie dem nach, greift – wie erörtert – § 37 Abs. 2 BetrVG. Kann das Betriebsratsmitglied seine Aufgaben ausnahmsweise aus betriebsbedingten Gründen nur außerhalb der Arbeitszeit wahrnehmen, entsteht ein Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung zu anderer Zeit unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts und subsidiär ein Anspruch auf Vergütung dieser Zeit wie Mehrarbeit.952 Für die Freizeit, die er zur Erledigung von Betriebsratsaufgaben aufwendet, steht dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Freizeitausgleich zu. Er kann vom Arbeitgeber vergütete Freistellung von seiner Arbeitspflicht zu anderer Zeit in dem Umfang verlangen, in dem er seine Freizeit für Betriebsratstätigkeiten aufwenden musste (vgl. § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG). Ist ein Freizeitausgleich unmöglich, muss die für Betriebsratstätigkeiten aufgewendete Freizeit wie Mehrarbeit vergütet werden (vgl. § 37 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BetrVG). Bei § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG handelt es sich um einen anspruchserhaltenden Tatbestand. Hierfür spricht der Wortlaut des Gesetzes, worin von einem „Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts“ die Rede ist.953 Für den subsidiären Anspruch auf Vergütung wie Mehrarbeit aus § 37 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 BetrVG kann nichts anderes gelten.

949 Vgl. BAG 18.9.1973 – 1 AZR 102/73, AP Nr. 3 zu § 37 BetrVG 1972; DKKWWedde § 37 Rn. 50; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 55; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 119; Matthes Lohnzahlung Rn. 193; Gloistein Betriebsrat, S. 83; ebenso zu § 46 BPersVG jüngst BAG 16.11.2011 7 AZR 458/10, NZA 2012, S. 626 ff. Zum Lohnausfallprinzip allgemein vgl. oben § 4 B.I. 950 MünchArbR-Joost § 220 Rn. 23; GK-Weber § 37 Rn. 60, 56; vgl. auch DKKWWedde § 37 Rn. 50 ff. 951 BAG 31.10.1985 – 6 AZR 175/83, AP Nr. 52 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 3.12.1987 – 6 AZR 569/85, AP Nr. 62 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 73; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 71; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 17. 952 Vgl. BAG 31.10.1985 – 6 AZR 175/83, AP Nr. 52 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 3.12.1987 – 6 AZR 569/85, AP Nr. 62 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 73; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 71. 953 Vgl. GK-Weber § 37 Rn. 100; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 93; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 51 jeweils unter Verweis auf die Rechtslage bei § 37 Abs. 2 BetrVG.

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b) Telos Hinsichtlich des Zwecks der Regelung gelten die oben zu § 37 Abs. 2 BetrVG angestellten Erwägungen entsprechend.954 c) Tatbestand aa) Erfüllung von Betriebsratsaufgaben außerhalb der Arbeitszeit Erste Voraussetzung ist, dass ein Betriebsratsmitglied eine Tätigkeit für den Betriebsrat ausführt. Auf die betreffenden Erläuterungen zu § 37 Abs. 2 BetrVG wird verwiesen.955 Außerdem muss das Betriebsratsmitglied die Betriebsratstätigkeit außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit wahrnehmen.956 bb) Betriebsbedingte Gründe Weiterhin müssen betriebsbedingte Gründe dafür vorliegen, dass das Betriebsratsmitglied die Betriebsratstätigkeit gerade außerhalb seiner Arbeitszeit erledigen muss. Betriebsbedingte Gründe sind gegeben, wenn bestimmte Gegebenheiten und Sachzwänge in der Betriebssphäre, beispielsweise die Eigenart des Betriebs oder die Gestaltung des Arbeitsablaufs, eine Erledigung außerhalb der Arbeitszeit erfordern.957 In diesem Zusammenhang hat sich eine umfangreiche Kasuistik entwickelt, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann.958 Gründe aus der Sphäre des Betriebs liegen jedenfalls dann vor, wenn der Arbeitgeber direkt oder indirekt dafür verantwortlich ist, dass der Betriebsrat seine Tätigkeit nicht während der Arbeitszeit wahrnehmen kann.959 Gleiches gilt in der Konstellation, dass in einer Frage, die die Mitwirkung des Betriebsrats erfordert, im Interesse des Betriebs eine schnelle Entscheidung des Betriebsrats geboten ist960 oder der Betriebsrat in 954

Siehe oben § 5 N.I.1.a) und § 5 N.I.1.b). Siehe oben § 5 N.I.1.c)aa) und § 5 N.I.1.c)bb). 956 BAG 31.10.1985 – 6 AZR 175/83, AP Nr. 52 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 3.12.1987 – 6 AZR 569/85, AP Nr. 62 zu § 37 BetrVG 1972; Henssler/Willemsen/ Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 17; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 42; GK-Weber § 37 Rn. 74. 957 Vgl. BAG 31.10.1985 – 6 AZR 175/83, AP Nr. 52 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 26.1.1994 – 7 AZR 593/92, AP Nr. 93 zu § 37 BetrVG 1972; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 76; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 43; GK-Weber § 37 Rn. 77. 958 Vgl. zu Einzelheiten die umfassenden Darstellungen bei Fitting § 37 Rn. 79–91; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 44 ff.; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 76–82; GK-Weber § 37 Rn. 78–87; DKKW-Wedde § 37 Rn. 65–77. 959 Vgl. BAG 26.1.1994 – 7 AZR 593/92, AP Nr. 93 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 80; MünchArbR-Joost § 220 Rn. 30; GK-Weber § 37 Rn. 78. 960 Fitting § 37 Rn. 80. 955

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einer kurzen Zeitspanne eine solche Fülle von Aufgaben zu erledigen hat, dass die übliche Arbeitszeit zu deren Bewältigung nicht ausreicht.961 Ausdrücklich benennt das Gesetz seit der BetrVG-Reform 2001 in § 37 Abs. 3 S. 2 BetrVG als betriebsbedingten Grund zudem die Konstellation, dass die Betriebsratstätigkeit wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten der Betriebsratsmitglieder nicht innerhalb der persönlichen Arbeitszeit erfolgen kann.962 Damit ist die früher umstrittene Frage beantwortet, inwiefern Betriebsbedingtheit anzunehmen ist, wenn der Grund für die Tätigkeit außerhalb der Arbeitszeit in dem individuellen Arbeitszeitmodell des Betriebsratsmitglieds liegt.963 Der Gesetzgeber hat diese Frage für Teilzeitbeschäftigte bejaht.964 Die gleichen Grundsätze gelten für Betriebsratsmitglieder, die in Wechselschicht oder Gleitzeit arbeiten.965 d) Rechtsfolgen aa) Primär: Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich (1) Ausgleich vor Abgeltung Liegen die Voraussetzungen des § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG vor, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Abgeltung der aufgewendeten Zeit kann der Arbeitnehmer nach dem eindeutigen Wortlaut von § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG hingegen nur verlangen, wenn eine Arbeitsbefreiung aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich ist. Dem Arbeitnehmer steht also nicht etwa ein Wahlrecht zwischen beiden Ausgleichsmechanismen zu.966 Der Zweck dieser Regelung besteht darin, die Arbeitsbelastung des einzelnen Betriebsratsmitglieds nach Möglichkeit zu beschränken.967 Darüber hinaus soll im Interesse des Ehrenamtsprinzips (vgl. § 37 Abs. 1 BetrVG) gewährleistet werden, dass Betriebsratsmitglieder nur dann zusätzliche Geldansprüche gegen den Arbeitgeber erwerben, wenn es unumgänglich ist.968 961

Fitting § 37 Rn. 80. HSWGNR-Glock § 37 Rn. 77; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 48; DKKW-Wedde § 37 Rn. 67. 963 Fitting § 37 Rn. 81; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 48; GK-Weber § 37 Rn. 79. 964 Fitting § 37 Rn. 82; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 18; GK-Weber § 37 Rn. 79–82; DKKW-Wedde § 37 Rn. 67. 965 Fitting § 37 Rn. 82; ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 7; Henssler/Willemsen/KalbReichold § 37 BetrVG Rn. 18. 966 BAG 25.8.1999 – 7 AZR 713/97, AP Nr. 130 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 93; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 85; GK-Weber § 37 Rn. 88. 967 BAG 25.8.1999 – 7 AZR 713/97, AP Nr. 130 zu § 37 BetrVG 1972; GK-Weber § 37 Rn. 88. 968 BAG 25.8.1999 – 7 AZR 713/97, AP Nr. 130 zu § 37 BetrVG 1972; GK-Weber § 37 Rn. 88. 962

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Der Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich steht dem einzelnen Betriebsratsmitglied und nicht dem Betriebsrat als Gremium zu.969 Er ist gegenüber dem Arbeitgeber unter Darlegung von Art und Umfang der ausgeführten Betriebsratstätigkeit geltend zu machen.970 Bei dem Entgelt, das der Arbeitnehmer während des Freizeitausgleichs erhält, handelt es sich nicht um eine Vergütung für die außerhalb der Arbeitszeit geleistete Betriebsratstätigkeit.971 Vielmehr erhält der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt für die Tätigkeit, die er ohne Freizeitausgleich hätte wahrnehmen müssen.972 Folglich kann das Betriebsratsmitglied für die außerhalb der Arbeitszeit geleistete Betriebsratstätigkeit keinen Mehrarbeitszuschlag geltend machen.973 Für diese Sichtweise spricht ein systematisches Argument: Das Betriebsratsmitglied steht ohne Mehrarbeitszuschlag ebenso, als wenn es nach § 37 Abs. 2 BetrVG unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts von der Arbeitspflicht befreit worden wäre. Da § 37 Abs. 3 BetrVG mit Abs. 2 eng verknüpft ist, sollte das Entgelt in beiden Fällen dogmatisch gleich behandelt werden. Die Berechnung des Arbeitsentgelts erfolgt – ebenfalls systematisch konsequent – hinsichtlich des Geld- wie des Zeitfaktors nach dem Lohnausfallprinzip.974 (2) Zeitraum der Arbeitsbefreiung Den Zeitpunkt der Arbeitsbefreiung legt der Arbeitgeber fest. Dabei heben einige Stimmen in der Literatur hervor, dass sich der Arbeitgeber dabei nach den Wünschen des Betriebsratsmitglieds zu richten habe, sofern dem keine betriebsbedingten Gründe entgegenstehen.975 Damit wären im Ergebnis die Interessen des Arbeitnehmers grundsätzlich vorrangig. Andere nehmen ein Bestimmungsrecht des Arbeitgebers nach billigem Ermessen (vgl. § 315 Abs. 1 BGB) an.976 969

Fitting § 37 Rn. 94; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 88; GK-Weber § 37 Rn. 89. BAG 25.8.1999 – 7 AZR 713/97, AP Nr. 130 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 94; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 20; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 53. 971 Davon geht aber DKKW-Wedde § 37 Rn. 81 aus; vgl. auch Peter AiB 2002, S. 203, 206. 972 BAG 19.7.1977 – 1 AZR 376/74, AP Nr. 29 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 102; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 93; GK-Weber § 37 Rn. 100; vgl. auch LAG BadenWürttemberg 26.8.1988 – 1 Sa 14/88, NZA 1989, S. 567, 567 f. 973 BAG 19.7.1977 – 1 AZR 376/74, AP Nr. 29 zu § 37 BetrVG 1972; HSWGNRGlock § 37 Rn. 93; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 51; GK-Weber § 37 Rn. 100. 974 Däubler Schulung Rn. 424; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 93; GK-Weber § 37 BetrVG Rn. 100. 975 Fitting § 37 Rn. 101; DKKW-Wedde § 37 Rn. 79. 976 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 87; MünchArbR-Joost § 220 Rn. 35; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 54; GK-Weber § 37 Rn. 94; in diesem Sinne nun auch jüngst BAG 15.2.2012 – 7 AZR 774/10, NZA 2012, S. 1112, 1114 (unter Anknüpfung an § 106 S. 1 GewO i.V. m. § 315 Abs. 3 GewO. 970

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Danach kommt es zu einer einzelfallbezogenen Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers und denen des Arbeitgebers, ohne dass die eine oder die andere Seite grundsätzlich den Vorrang verdient. Für die letztgenannte Ansicht spricht, dass der Gesetzgeber in § 37 Abs. 3 S. 1, 2 BetrVG anders als etwa im Fall des § 7 Abs. 1 BUrlG kein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Arbeitnehmers normiert hat.977 Daher verdient eine Abwägung nach § 315 Abs. 1 BGB den Vorzug. Dennoch muss der Arbeitgeber im Rahmen dieser Abwägung den Wünschen des Arbeitnehmers entsprechen, sofern betriebliche Interessen nicht entgegenstehen.978 (3) Rechtsfolgen bei verspäteter Geltendmachung Umstritten ist, ob der Anspruch erlischt, sofern er nicht unverzüglich geltend gemacht wird. Glock meint, der Anspruch müsse binnen eines Monats nach Ausführung der Tätigkeit erhoben werden.979 Dafür spricht § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG, wonach der Freizeitausgleich binnen eines Monats zu gewähren ist. Diese Sichtweise trägt jedoch dem Zweck dieser Norm nicht hinreichend Rechnung. Der Monatsfrist des § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG liegt der Gedanke zugrunde, dass eine – auch nur temporäre – Mehrbelastung des Betriebsratsmitglieds nach Möglichkeit zu verhindern ist. Zu diesem Zweck soll der Freizeitausgleich zeitlich in möglichst engem Zusammenhang mit der außerhalb der Arbeitszeit ausgeführten Betriebsratstätigkeit stehen. Deswegen muss er binnen eines Monats erfolgen. Somit handelt es sich um eine Arbeitnehmerschutzvorschrift, die nicht herangezogen werden kann, um nachteilige Rechtsfolgen für den Arbeitnehmer zu begründen.980 Daher ist der überwiegenden Meinung in der Literatur zuzustimmen, die davon ausgeht, dass der Anspruch nur den allgemeinen Grenzen von Verjährung und Verwirkung unterliegt.981 (4) Keine Eigenmacht Weiterhin ist zu erörtern, ob der Arbeitnehmer den Freizeitausgleich eigenmächtig in Anspruch nehmen darf, sofern der Arbeitnehmer die Gewährung unberechtigterweise und ohne erkennbaren Grund verweigert. Die überwiegende 977 Vgl. ausführlich BAG 15.2.2012 – 7 AZR 774/10, NZA 2012, S. 1112, 1114 f.; ferner Dütz DB 1976, S. 1428, 1480; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 54; GK-Weber § 37 Rn. 94. 978 So zutreffend auch Richardi-Thüsing § 37 Rn. 54; GK-Weber § 37 Rn. 94. 979 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 90; ebenso ArbG Gießen 26.2.1986 – 3 Ca 687/85, NZA 1986, S. 614; MünchArbR-Joost § 220 Rn. 35. 980 Vgl. GK-Weber § 37 Rn. 91. 981 Fitting § 37 Rn. 94; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 20; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 53; GK-Weber § 37 Rn. 91; vgl. ferner DKKW-Wedde § 37 Rn. 78.

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Meinung verneint diese Frage.982 Nur ein Teil der Literatur erkennt ein solches Recht an.983 Zur Begründung wird argumentiert, der Anspruch auf Freizeitausgleich sei durch Betriebsratstätigkeiten bedingt, und das Betriebsratsmitglied bedürfe für die Ausführung von Betriebsratstätigkeiten während der Arbeitszeit auch keiner Zustimmung des Arbeitgebers.984 Hierauf ist jedoch mit der überwiegenden Meinung zu entgegnen, dass eine solche Sichtweise die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers in unverhältnismäßiger Weise zu beeinträchtigen droht.985 Weigert sich der Arbeitgeber in rechtswidriger Weise, den Freizeitausgleich binnen eines Monats zu gewähren, steht dem Arbeitnehmer der Rechtsweg, insbesondere der einstweilige Rechtsschutz, offen.986 Das Betriebsratsmitglied darf daher den Freizeitausgleich nicht eigenmächtig in Anspruch nehmen. bb) Subsidiär: Anspruch auf Abgeltung Kann die Arbeitsbefreiung aus betriebsbedingten Gründen nicht vor Ablauf eines Monats nach Ausführung der Betriebsratstätigkeit gewährt werden, ist die aufgewendete Zeit nach § 37 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 BetrVG wie Mehrarbeit zu vergüten.987 Die Höhe des zu zahlenden Entgelts richtet sich nach den für das Arbeitsverhältnis geltenden tarif- oder arbeitsvertraglichen Regeln.988 Insoweit lässt sich auch von einer modifizierten Anwendung des Lohnausfallprinzips sprechen:989 Maßgeblich ist das Entgelt, dass dem Betriebsratsmitglied für den Zeitraum, in dem es die Betriebsratstätigkeit ausgeführt hat, zustünde, wenn es stattdessen gearbeitet hätte. Umstritten ist, ob zur Bestimmung des Begriffs der betriebsbedingten Gründe im Sinne von § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG auf die zu § 37 Abs. 3 S. 1 und S. 2 BetrVG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Einige Stimmen sprechen sich hierfür aus.990 Andere hingegen vertreten eine engere Auslegung und stellen darauf ab, ob objektive Gründe eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs gegeben 982 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 88; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 55; GK-Weber § 37 Rn. 90. 983 Fitting § 37 Rn. 96; DKKW-Wedde § 37 Rn. 79. 984 Fitting § 37 Rn. 96; DKKW-Wedde § 37 Rn. 79. 985 GK-Weber § 37 Rn. 90. 986 Vgl. GK-Weber § 37 Rn. 90. 987 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 94; GK-Weber § 37 Rn. 102; HK-BetrVG-Wolmerath § 37 Rn. 23. 988 GK-Weber § 37 Rn. 106. 989 A. A. offenbar die allgemeine Meinung, die den Begriff „Lohnausfallprinzip“ im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG, soweit ersichtlich, überhaupt nicht verwendet; vgl. allgemein zum Lohnausfallprinzip oben § 4 B.I. 990 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 95; MünchArbR-Joost § 220 Rn. 38; wohl auch Richardi-Thüsing § 37 Rn. 56 unter Verweis auf seine Erläuterungen zu § 37 Rn. 142 ff. (tatsächlich gemeint sind vermutlich die Erläuterungen zu § 37 Rn. 42 ff.).

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sind, die eine auch nur vorübergehende Abwesenheit des Betriebsratsmitglieds als nicht vertretbar erscheinen lassen.991 Zur Begründung wird darauf verwiesen, die Rangfolge zwischen den Ausgleichsmechanismen in § 37 Abs. 3 BetrVG diene dem Schutz des Arbeitnehmers, indem sie eine Mehrbelastung des Betriebsratsmitglieds nach Möglichkeit verhindere.992 Diese Auffassung verkennt jedoch, dass es auch bei der Auslegung des Begriffs der betriebsbedingten Gründe im Sinne des § 37 Abs. 3 S. 1 und 2 BetrVG maßgeblich auf objektive Gesichtspunkte ankommt.993 Eine objektive Auslegung entspricht dem Zweck von Abs. 3 S. 1 und 2 sowie dessen Zusammenspiel mit Abs. 2. Abs. 3 S. 1 und 2 kommt nur nachrangig gegenüber Abs. 2 zum Zuge, nämlich wenn aus betriebsbedingten Gründen die Betriebsratstätigkeit nicht während der Arbeitszeit ausgeführt werden kann. Dieses Rangverhältnis zwischen Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 und 2 gründet ebenso wie das Rangverhältnis zwischen Abs. 3 S. 1 und 2 sowie Abs. 3 S. 3 auf Arbeitnehmerschutzerwägungen. Eine Mehrbelastung des Arbeitnehmers soll so weit wie möglich vermieden werden. Dann aber ist es nur konsequent, in beiden Fällen (Abs. 3 S. 1 und 2 sowie Abs. 3 S. 3) jeweils gleichermaßen eine enge, an objektiven Gesichtspunkten orientierte Auslegung vorzunehmen. Diese Sichtweise stützt überdies der Gesetzeswortlaut, der in Abs. 3 S. 3 ebenso wie in Abs. 3 S. 1 und 2 nur von „betriebsbedingten Gründen“ ohne nähere Differenzierung spricht. II. Vergütungsanspruch des vollständig freigestellten Betriebsratsmitglieds (vgl. § 38 BetrVG) 1. Systematische Einordnung Anders als bei einer Arbeitsbefreiung unter Entgeltfortzahlung nach § 37 Abs. 2, 3 BetrVG muss ein nach § 38 BetrVG von der Arbeitpflicht gänzlich freigestelltes Betriebsratsmitglied nicht bei jeder Arbeitsbefreiung deren Erforderlichkeit nachweisen.994 Vielmehr kann – und muss995 – es seine gesamte Arbeitskraft der Betriebsratstätigkeit widmen. Die Erforderlichkeit der Arbeits-

991 Fitting § 37 Rn. 106; DKKW-Wedde § 37 Rn. 85; ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 8; vgl. auch GK-Weber § 37 Rn. 103. 992 Fitting § 37 Rn. 106; GK-Weber § 37 Rn. 103; vgl. zu dieser Argumentation in anderem Zusammenhang auch schon oben § 5 N.I.2.d)aa). 993 Der Sache nach ebenso HSWGNR-Glock § 37 Rn. 95; vgl. auch schon oben § 5 N.I.2.c)bb). 994 BAG 26.7.1989 – 7 ABR 64/88, AP Nr. 10 zu § 38 BetrVG 1972; ErfK-Koch § 38 BetrVG Rn. 1; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 1; DKKWWedde § 38 Rn. 4. 995 Zur Verpflichtung des freigestellten Betriebsratsmitglieds zur Erfüllung von Betriebsratstätigkeiten vgl. Fitting § 38 Rn. 77 f.; GK-Weber § 38 Rn. 77.

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befreiung wird unwiderleglich vermutet.996 Daraus folgt zugleich, dass es sich systematisch bei § 38 Abs. 1 BetrVG um eine gegenüber der Grundnorm des § 37 Abs. 2 BetrVG speziellere Vorschrift handelt.997 Infolge dieser engen Verwandtschaft ist es konsequent, § 38 BetrVG ebenso wie § 37 Abs. 2 BetrVG als anspruchserhaltende Norm einzustufen.998 2. Telos § 38 BetrVG erleichtert die Betriebsratsarbeit. Insbesondere sollen Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über die Erforderlichkeit einer Freistellung im Sinne des § 37 Abs. 2, 3 BetrVG vermieden werden.999 Damit dient § 38 BetrVG der Wahrung und Förderung des Betriebsfriedens. Mit dieser Regelung reagiert der Gesetzgeber auf die Tatsache, dass in größeren Betrieben der Betriebsrat eine enorme Menge an teilweise sehr komplexen Aufgaben zu bewältigen hat, die er ohne die völlige Freistellung einzelner Betriebsratsmitglieder nur unzureichend erfüllen könnte.1000 Gutzeit spricht insoweit treffend von einer praxisfreundlichen Regelung für Großbetriebe.1001 3. Tatbestand a) Betrieb mit wenigstens 200 Arbeitnehmern Für die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds nach § 38 Abs. 1 BetrVG ist zunächst Voraussetzung, dass ein Betrieb mit in der Regel wenigstens 200 Arbeitnehmern1002 vorliegt oder aber in einem kleineren Betrieb durch Tarifvertrag 996 BAG 12.2.1997 – 7 ABR 40/96, AP Nr. 19 zu § 38 BetrVG 1972; ErfK-Koch § 38 BetrVG Rn. 1; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 1. 997 BAG 9.10.1973 – 1 ABR 29/73, AP Nr. 3 zu § 38 BetrVG 1972; BAG 26.7.1989 – 7 ABR 64/88, AP Nr. 10 zu § 38 BetrVG 1972, BAG 26.6.1996 – 7 ABR 48/95, AP Nr. 17 zu § 38 BetrVG 1972; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 1; GK-Weber § 38 Rn. 8; a. A. HSWGNR-Glock § 38 Rn. 16, der davon ausgeht, dass § 38 BetrVG eine dogmatisch von § 37 BetrVG unabhängige Regelung ist, vgl. dazu auch unten § 5 N.II.4. 998 GK-Weber § 38 Rn. 84, im Ergebnis ebenso Knipper Arbeitsverhältnis, S. 22; Gloistein Betriebsrat, S. 85–88; a. A. Aden RdA 1980, S. 256 ff.; vgl. zur Frage des dogmatischen Verhältnisses von § 38 BetrVG zu § 37 Abs. 2 BetrVG noch ausführlich unten § 5 N.II.4. 999 BT-Drs. 6/1786, S. 41; BAG 19.5.1983 – 6 AZR 290/81, AP Nr. 44 zu § 37 BetrVG 1972; GK-Weber § 38 Rn. 1; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 1; DKKW-Wedde § 38 Rn. 1. 1000 Vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 1; GK-Weber § 38 Rn. 1. 1001 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 71 f. 1002 Teilzeitbeschäftigte werden dabei (nach Köpfen) mitgezählt, vgl. LAG Saarland 4.7.2001 – 2 TaBV 2/01, AiB 2002, S. 129; Fitting § 38 Rn. 9; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 10; DKKW-Wedde § 38 Rn. 9.

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oder Betriebsvereinbarung eine Freistellung vereinbart worden ist.1003 Letzteres ist gemäß § 38 Abs. 1 S. 5 BetrVG zulässig.1004 Ab einer Größe von 200 Arbeitnehmern verpflichtet das Gesetz den Arbeitgeber zur Freistellung von Betriebsratsmitgliedern. Die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder orientiert sich an der Betriebsgröße. Eine genaue Staffelung ergibt sich aus § 38 Abs. 1 BetrVG. Maßgeblich für die Zahl der Freistellungen ist jeweils die aktuelle Belegschaftsgröße im Zeitpunkt des Freistellungsbeschlusses.1005 Ändert sich diese Anzahl während einer Wahlperiode dauerhaft, ist die Zahl der Freistellungen gegebenenfalls anzupassen.1006 Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, sofern sich trotz abnehmender Belegschaftsgröße der Umfang der zu erledigenden Betriebsratsarbeit nicht gleichermaßen verringert.1007 b) Wahl des freizustellenden Betriebsratsmitglieds durch den Betriebsrat Weiterhin muss die Freistellung gerade das betreffende Betriebsratsmitglied erfassen. Die freizustellenden Mitglieder werden vom Betriebsrat gewählt, wobei der Wahl gemäß § 38 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Beratung mit dem Arbeitgeber vorauszugehen hat. Findet die Beratung nicht statt, ist die Wahl gleichwohl nicht unwirksam. Sie kann jedoch analog § 19 Abs. 1 BetrVG angefochten werden.1008 Zudem liegt im Unterlassen der Beratung eine grobe Pflichtverletzung des Betriebsrats, die zu dessen Auflösung nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG führen

1003 Durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung kann die Anzahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder nicht nur erhöht und in Betrieben mit unter 200 Arbeitnehmern eine Freistellung überhaupt begründet werden. Vielmehr kann in Betrieben mit 200 oder mehr Arbeitnehmern die Anzahl der Freistellungen auch abgesenkt werden, da dass Gesetz in § 38 Abs. 1 S. 5 BetrVG nicht von „günstigeren“, sondern nur von „anderweitigen“ Regelungen spricht, vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 12. 1004 Vgl. Fitting § 38 Rn. 28; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 12; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 21. 1005 Fitting § 38 Rn. 8; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 5; DKKW-Wedde § 38 Rn. 10; vgl. auch BAG 26.7.1989 – 7 ABR 64/88, AP Nr. 10 zu § 38 BetrVG 1972. 1006 BAG 26.7.1989 – 7 ABR 64/88, AP Nr. 10 zu § 38 BetrVG 1972; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 5; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 11; DKKWWedde § 38 Rn. 10 BetrVG. 1007 BAG 26.7.1989 – 7 ABR 64/88, AP Nr. 10 zu § 38 BetrVG 1972; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 5; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 11; DKKWWedde § 38 Rn. 10 BetrVG. 1008 LAG Berlin 19.6.1995 – 9 Ta BV 1/95; BB 1995, S. 2328; Fitting § 38 Rn. 46; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 16; DKKW-Wedde § 38 Rn. 40; a. A. für Unwirksamkeit ArbG Hagen 20.12.1972 – 2 BV 19/72, DB 1973, S. 191; Böhm DB 1974, S. 723, 725 f.; HSWGNR-Glock § 38 Rn. 31; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 29.

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kann.1009 Die Wahl erfolgt gemäß § 38 Abs. 2 S. 1 BetrVG geheim und in der Regel nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Liegt ausnahmsweise nur ein Wahlvorschlag vor, gelten gemäß § 38 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BetrVG die Grundsätze der Mehrheitswahl. Ist nur ein Betriebsratsmitglied freizustellen, genügt gemäß § 38 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG einfache Stimmenmehrheit zur Wahl. c) Keine Aufhebung der Wahl durch die Einigungsstelle Ist die Wahl erfolgt, hat das Betriebsratsmitglied sie angenommen,1010 und hält der Arbeitgeber die Freistellung des gewählten Arbeitnehmers für sachlich nicht vertretbar, kann er gemäß § 38 Abs. 2 S. 4 BetrVG innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Namen durch den Betriebsrat (vgl. § 38 Abs. 2 S. 3 BetrVG) die Einigungsstelle anrufen. Deren Spruch ersetzt gemäß § 38 Abs. 2 S. 5 BetrVG die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Die Einigungsstelle überprüft einzig die sachliche Vertretbarkeit der Wahlentscheidung des Betriebsrats.1011 Sachlich unvertretbar ist die Wahl insbesondere, wenn der Betriebsrat zwingende betriebliche Erfordernisse nicht berücksichtigt hat, etwa, wenn das freigestellte Betriebsratsmitglied eine Schlüsselposition einnimmt, durch einen anderen Arbeitnehmer nicht oder nicht gleichwertig ersetzt werden kann und eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Betriebes oder einer Abteilung droht.1012 Teilt die Einigungsstelle die Bedenken des Arbeitgebers, hebt sie gemäß § 38 Abs. 2 S. 5 BetrVG den Beschluss des Betriebsrats auf und bestimmt zugleich ein anderes freizustellendes Betriebsratsmitglied. Dabei hat sie die Belange des Betriebsrats, der betroffenen Arbeitnehmer und des Arbeitgebers abzuwägen.1013 Das Gesetz verpflichtet die Einigungsstelle zudem, bei dieser Abwägung den Minderheitenschutz im Sinne des § 38 Abs. 2 S. 1 BetrVG und damit die Grundsätze der Verhältniswahl zu berücksichtigen. Auch wenn dieses Kriterium keine absolute Priorität genießt, kommt ihm doch ein hoher Stellenwert zu, wodurch die Entscheidungsfreiheit der Einigungsstelle erheblich begrenzt wird.1014

1009 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 16; GK-Weber § 38 Rn. 45; DKKW-Wedde § 38 Rn. 40. 1010 Eine Freistellung wider Willen ist nicht möglich, vgl. BAG 11.3.1992 – 7 ABR 50/91, AP Nr. 11 zu § 38 BetrVG 1972; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 31; GK-Weber § 38 Rn. 42; DKKW-Wedde § 38 Rn. 55. 1011 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 20; GK-Weber § 38 Rn. 58; vgl. auch BAG 9.10.1973 – 1 ABR 29/73, AP Nr. 3 zu § 38 BetrVG 1972; BAG 26.6.1996 – 7 ABR 48/95, AP Nr. 17 zu § 38 BetrVG; Fitting § 38 Rn. 60. 1012 Vgl. Fitting § 38 Rn. 61; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 20; DKKW-Wedde § 38 Rn. 48. 1013 Fitting § 38 Rn. 66; GK-Weber § 38 Rn. 62; DKKW-Wedde § 38 Rn. 51. 1014 Fitting § 38 Rn. 66; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 38; DKKW-Wedde § 38 Rn. 52.

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d) Pflicht zur Anwesenheit während der betrieblichen Arbeitszeiten Mit der Freistellung geht zugleich die Pflicht des Betriebsratsmitglieds einher, ausschließlich Betriebsratsaufgaben wahrzunehmen oder sich dafür bereitzuhalten.1015 Zwar wird bei einem nach § 38 BetrVG freigestellten Arbeitnehmer unwiderleglich vermutet, dass die Arbeitsbefreiung zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben erforderlich ist. Die Wahrnehmung der Aufgaben selbst wird aber nur widerleglich vermutet.1016 Das freigestellte Betriebsratsmitglied ist an die betriebliche Arbeitszeit gebunden.1017 Währenddessen muss es sich am Sitz des Betriebsrats aufhalten, soweit Betriebsratsaufgaben nicht ausnahmsweise andernorts erledigt werden können oder müssen.1018 Tut es das nicht oder befindet es sich zwar am Sitz des Betriebsrats, geht jedoch keiner Betriebsratstätigkeit nach und hält sich auch nicht dafür bereit, verletzt es nach allgemeiner Ansicht jedenfalls seine Amtspflicht als Betriebsratsmitglied. Umstritten ist hingegen, ob daneben auch eine Verletzung der vertraglichen Arbeitspflicht zu bejahen ist. Bejaht man diese Frage, verliert das Betriebsratsmitglied seinen Vergütungsanspruch. Nach der überwiegenden Ansicht bestehen Arbeitspflicht und Amtspflicht nebeneinander.1019 Ein Teil der Literatur hingegen nimmt ausgehend von Glock an, dass die Amtspflicht die Arbeitspflicht verdrängt.1020 Dem ist aber angesichts der systematischen Konzeption des Gesetzes nicht zuzustimmen. Bei § 37 Abs. 2 BetrVG entspricht es der einhelligen Meinung, dass Arbeitspflicht und Amtspflicht nebeneinander bestehen.1021 Eine Abweichung hiervon bei § 38 BetrVG wäre nur dann konsequent, wenn man – wie Glock1022 – davon ausgeht, dass § 38 BetrVG kein Unterfall des § 37 Abs. 2 BetrVG, sondern eine vollständig eigenständige Norm ist. Diese Sichtweise ist aber abzulehnen. § 38 BetrVG ist 1015 BAG 17.10.1990 – 7 ABR 69/89, AP Nr. 8 zu § 108 BetrVG 1972; BAG 28.8.1991 – 7 ABR 46/90, AP Nr. 39 zu § 40 BetrVG 1972; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 49; GK-Weber § 38 Rn. 76; vgl. auch Fitting § 38 Rn. 77–79. 1016 BAG 19.5.1983 – 6 AZR 290/81, AP Nr. 44 zu § 37 BetrVG 1972; GK-Weber § 38 Rn. 82. 1017 Fitting § 38 Rn. 77; HSWGNR-Glock § 38 Rn. 48; GK-Weber § 38 Rn. 77. 1018 GK-Weber § 38 Rn. 77; vgl. auch Fitting § 38 Rn. 78. 1019 BAG 22.8.1974 – 2 ABR 17/74, AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG 1972; BAG 19.5.1983 – 6 AZR 290/81, AP Nr. 44 zu § 37 BetrVG 1972; LAG Berlin 16.10.1995 – 9 TaBV 5/ 95, NZA-RR 1996, S. 368, 368–370; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 56; GK-Weber § 38 Rn. 79; Fitting § 38 Rn. 79; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 28. 1020 HSWGNR-Glock § 38 Rn. 53 f.; dem folgend DKKW-Wedde (12. Auflage) § 38 Rn. 64. 1021 Vgl. Richardi-Thüsing § 37 Rn. 36; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 45; GK-Weber § 37 Rn. 35. 1022 HSWGNR-Glock § 38 Rn. 16.

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systematisch mit der Grundnorm des § 37 Abs. 2 BetrVG eng verwandt. Das zeigt schon der Aufbau des Gesetzes: § 38 BetrVG folgt unmittelbar auf § 37 BetrVG, was für das Verhältnis von Grundnorm zu Spezialfall eine typische Anordnung ist.1023 Der leicht abweichenden Wortwahl des Gesetzgebers („von ihrer beruflichen Tätigkeit . . . zu befreien“ versus „von ihrer beruflichen Tätigkeit . . . freizustellen“) kommt demgegenüber nur untergeordnete Bedeutung zu. Auch inhaltlich ist eine enge Verknüpfung beider Normen zu beobachten. Die Befreiung von der Arbeitspflicht für Betriebsratsaufgaben könnte auch in Großbetrieben nach der Regelung des § 37 Abs. 2, 3 BetrVG erfolgen. Allein hielt es der Gesetzgeber für praktikabel, ab einer bestimmten Betriebsgröße allen Beteiligten den umständlichen Erforderlichkeitsnachweis des § 37 Abs. 2 BetrVG in gewissem Umfang zu ersparen und die Erforderlichkeit bei nach § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitgliedern unwiderleglich zu vermuten.1024 Der enge Bezug beider Normen zeigt sich ferner daran, dass auch bei Anwendung von § 38 BetrVG die übrigen, nicht gänzlich freigestellten Betriebsratsmitglieder des Betriebs für ihre Arbeitsbefreiung anlassbezogen jeweils auf § 37 Abs. 2, 3 BetrVG zurückgreifen müssen. Es wäre ungewöhnlich, wenn der Arbeitsbefreiung verschiedener Betriebsratsmitglieder eines Betriebes unterschiedliche dogmatische Ansätze zugrunde lägen Zudem kann Glock unter Zugrundelegung der von ihm verfochtenen dogmatischen Konstruktion nur schwer erklären, nach welcher Rechtsgrundlage die nach § 38 BetrVG freigestellten und sich ordnungsgemäß verhaltenden Betriebsratsmitglieder ihre Vergütung erhalten sollen. Auf den Arbeitsvertrag kann nach Glock insoweit gerade nicht zurückgegriffen werden, weil der Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht entbunden ist.1025 Glock beruft sich vage auf „die bei der Freistellung geltenden individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen“,1026 ohne diese näher zu spezifizieren. Für die überwiegende Ansicht stellt sich dieses Problem nicht, da sie als Rechtsgrundlage für den Entgeltanspruch unproblematisch den Arbeitsvertrag heranziehen kann.

1023 Beispiele hierfür sind im Zivilrecht etwa der einfache vertragliche Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB und der Schadensersatz statt der Leistung, bei dem zusätzlich die Voraussetzungen von § 281 BGB oder § 283 BGB erfüllt sein müssen; ferner der Gefahrübergang im Kaufrecht (grundsätzlich mit Übergabe nach § 446 BGB, im Sonderfall des Versendungskaufs schon mit Auslieferung an die Transportperson nach § 447 BGB). Im Strafrecht besteht ein ähnliches Stufenverhältnis zwischen Grundtatbestand und Qualifikation, die ebenfalls häufig direkt hintereinander angeordnet sind (beispielsweise einfache und gefährliche Körperverletzung in den §§ 223, 224 StGB; Raub und schwerer Raub in den §§ 249, 250 StGB, schwere und besonders schwere Brandstiftung in den §§ 306a, 306b StGB). 1024 Vgl. BT-Drs. 6/1786, S. 41; ErfK-Koch § 38 BetrVG Rn. 1; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 1; GK-Weber § 38 Rn. 1. 1025 HSWGNR-Glock § 38 Rn. 56. 1026 HSWGNR-Glock § 38 Rn. 56.

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Nach alledem ist die von Glock entwickelte Auffassung abzulehnen. Demgegenüber ist der oben beschriebenen überwiegenden Ansicht zwar im Ergebnis zuzustimmen, wonach die Verletzung der Anwesenheitspflicht mit der Verletzung der Amts- und der Arbeitspflicht zusammenfällt. Gleichwohl bedarf diese auch vom BAG1027 aufgegriffene Formulierung einer Präzisierung. Sie legt bei unbefangener Betrachtung nahe, der Arbeitnehmer verletze die Arbeitspflicht dadurch, dass er keine Betriebsratstätigkeit erbringt. Die Betriebsratstätigkeit tritt aber im Rahmen des § 38 BetrVG nicht an die Stelle der Arbeitspflicht. Wäre das der Fall, erhielte der freigestellte Arbeitnehmer seine arbeitsvertragliche Vergütung auch als Gegenleistung für die Erbringung der Betriebsratstätigkeit. Das aber wäre mit der Konzeption des Betriebsratsamts als Ehrenamt unvereinbar (vgl. § 37 Abs. 1 BetrVG). Vielmehr bewirkt § 38 BetrVG, dass die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ruht, er aber dennoch sein Arbeitsentgelt erhält.1028 Verstößt der Arbeitnehmer gegen seine Anwesenheitspflicht, verliert er den Schutz des § 38 BetrVG. Deshalb lebt seine Arbeitspflicht wieder auf. Da er seiner Arbeitsleistung in einem solchen Fall nicht nachgeht, verliert er nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB seinen Entgeltanspruch.1029 e) Dauer der Freistellung Ist nach alledem ein Betriebsratsmitglied freigestellt, behält es diesen Status grundsätzlich bis zum Ablauf der Amtsperiode des Betriebsrats.1030 Davor endet die Freistellung nur ausnahmsweise, wenn das freigestellte Betriebsratsmitglied seine Zustimmung zur Freistellung widerruft oder vom Betriebsrat gemäß § 38 Abs. 2 S. 8 i.V. m. § 27 Abs. 1 S. 5 BetrVG abberufen wird.1031 Zur Abberufung bedarf es einer in geheimer Abstimmung zustande gekommenen Mehrheit von drei Viertel der Stimmen der Mitglieder des Betriebsrats, sofern die Betriebsratsmitglieder nach § 38 Abs. 2 S. 1 BetrVG nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt wurden.1032 Diese Regelung dient dem Minderheitenschutz.1033 Wäre zur Abberufung keine Dreiviertelmehrheit, sondern nur die einfache Mehrheit erforderlich, könnten die Grundsätze der Verhältniswahl durch die Abberu1027

BAG 22.8.1974 – 2 ABR 17/74, AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG 1972. Knipper Arbeitsverhältnis, S. 22; vgl. hierzu schon oben in Bezug auf § 37 Abs. 2 BetrVG § 5 N.I.1.a); für § 38 BetrVG gilt nichts anderes. 1029 Ein solches dogmatisches Verständnis legt auch die Formulierung von RichardiThüsing § 38 Rn. 56 nahe; unklar hingegen BAG 22.8.1974 – 2 ABR 17/74, AP Nr. 1 zu § 103 BetrVG 1972; GK-Weber § 38 Rn. 79. 1030 Fitting § 38 Rn. 71; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 23; GK-Weber § 38 Rn. 66. 1031 Fitting § 38 Rn. 71 ff.; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 44–46; GK-Weber § 38 Rn. 66–68. 1032 Richardi-Thüsing § 38 Rn. 45 f.; GK-Weber § 38 Rn. 68; DKKW-Wedde § 38 Rn. 57. 1033 Fitting § 38 Rn. 73; HSWGNR-Glock § 38 Rn. 37; GK-Weber § 38 Rn. 68. 1028

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fung unterlaufen werden. Diese Gefahr droht jedoch nicht, wenn alle freizustellenden Betriebsratsmitglieder vom Betriebsrat neu gewählt werden sollen. Eine Neuwahl muss auch nach § 38 Abs. 2 S. 1 BetrVG und damit unter Berücksichtigung der Grundsätze der Verhältniswahl erfolgen. Daher treten in diesem Fall die neu gewählten an die Stelle der zuvor freigestellten Betriebsratsmitglieder, ohne dass eine Abberufung mit Dreiviertelmehrheit erforderlich wäre.1034 § 38 Abs. 2 S. 8 BetrVG und § 27 Abs. 1 S. 5 BetrVG sind daher in diesem Sinne teleologisch zu reduzieren.1035 Erfolgte die Wahl gemäß § 38 Abs. 2 S. 2 BetrVG nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl oder durch einfache Stimmenmehrheit, gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Abberufung eines Betriebsratsmitglieds aus einem Ausschuss im Sinne der §§ 27 f. BetrVG.1036 Es genügt dann die einfache Mehrheit der Stimmen, sofern mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt (vgl. § 33 Abs. 1, 2 BetrVG).1037 f) Zulässigkeit von Teilfreistellungen Mit der Reform des BetrVG von 2001 hat der Gesetzgeber in § 38 Abs. 1 S. 3 und 4 BetrVG die zuvor umstrittene Frage bejaht, ob Teilfreistellungen zulässig sind.1038 Eine Teilfreistellung ist zum einen unbestritten dann gegeben, wenn ein in Teilzeit oder in Vollzeit beschäftigtes Betriebsratsmitglied nur von einem Teil seiner Arbeitszeit für Betriebsratsaufgaben freigestellt ist und im Übrigen noch in einem bestimmten Umfang seine Arbeitsleistung erbringt.1039 Zum anderen liegt eine Teilfreistellung im Sinne des § 38 Abs. 1 S. 3 und 4 BetrVG nach bestrittener, aber zutreffender Ansicht auch dann vor, wenn ein in Teilzeit beschäftigtes Betriebsratsmitglied für seine gesamte Arbeitszeit freigestellt wird.1040 Der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung dem Umstand Rechnung tragen, dass Teilzeitarbeit – auch unter Betriebsratsmitgliedern – eine „immer häufiger werdende Arbeitsform“ ist.1041 1034 Wie hier die herrschende Meinung, vgl. BAG 29.4.1992 – 7 ABR 47/04, AP Nr. 29 zu § 38 BetrVG 1972; HSWGNR-Glock § 38 Rn. 38; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 46; a. A. unter Verweis auf die ausdrückliche gesetzliche Regelung Fitting § 38 Rn. 75; DKKW-Wedde § 38 Rn. 57; differenzierend GK-Weber § 38 Rn. 68. 1035 Vgl. zu dieser Rechtsfigur Wank Auslegung, S. 89 f.; Zippelius Methodenlehre, S. 56. 1036 Richardi-Thüsing § 38 Rn. 46. 1037 Fitting § 38 Rn. 72; Richardi-Thüsing § 27 Rn. 26–28; GK-Weber § 38 Rn. 68. 1038 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 6; GK-Weber § 38 Rn. 27 ff.; DKKW-Wedde (12. Auflage) § 38 Rn. 16. 1039 HSWGNR-Glock § 38 Rn. 21; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 7; GK-Weber § 38 Rn. 28. 1040 Wie hier GK-Weber § 38 Rn. 28; vgl. auch Fitting § 38 Rn. 12; a. A. HSWGNRGlock § 38 Rn. 21; wohl auch Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 7. 1041 BT-Drs. 14/5741, S. 41; vgl. ferner GK-Weber § 38 Rn. 28; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 6.

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4. Rechtsfolgen a) Freistellung unter Entgeltfortzahlung Das freigestellte Betriebsratsmitglied ist für die Dauer der Freistellung von seiner Arbeitspflicht entbunden. Seine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten bleiben unberührt.1042 Zugleich behält es seinen arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch. Das freigestellte Betriebsratsmitglied erhält also das Entgelt, das es ohne die Freistellung verdient hätte.1043 Die Berechnung erfolgt ebenso wie bei § 37 Abs. 2 BetrVG hinsichtlich des Geld- und des Zeitfaktors nach dem Lohnausfallprinzip.1044 Bei dem Entgeltanspruch handelt es sich um einen Individualanspruch des Betriebsratsmitglieds. Demgegenüber steht der Anspruch auf Freistellung einer bestimmten Anzahl von Betriebsratsmitgliedern aus § 38 Abs. 1 BetrVG zunächst nur dem Betriebsrat als Gremium zu. Einen individuellen Anspruch auf Freistellung aus § 38 Abs. 1 BetrVG erhält ein Betriebsratsmitglied erst nach seiner Wahl durch den Betriebsrat. Dieser Anspruch leitet sich aus dem Gesamtanspruch des Betriebsrats auf Freistellung ab.1045 b) Freizeitausgleich § 38 BetrVG sichert die Vergütung des Betriebsratsmitglieds nur, soweit es Aufgaben während seiner persönlichen Arbeitszeit erledigt.1046 Für außerhalb dieser Zeit wahrgenommene Aufgaben kann § 38 BetrVG dem Arbeitnehmer keinen Entgeltanspruch vermitteln. Er kann aber einen Anspruch auf Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 BetrVG erwerben.1047 Ein Freizeitausgleich kommt danach nur in Betracht, wenn das freigestellte Betriebsratsmitglied Betriebsratstätigkeiten aus betriebsbedingten Gründen außerhalb seiner persönlichen Dienstzeit erledigen muss.1048 Glock nimmt demgegenüber an, dass § 37 Abs. 3 BetrVG mangels jedweder Arbeitspflicht unanwendbar ist, will aber dennoch das freigestellte Betriebsratsmitglied entsprechend von seiner Anwesenheitspflicht entbin1042 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 26; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 48; GK-Weber § 38 Rn. 76. 1043 Fitting § 38 Rn. 85; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 53; GK-Weber § 38 Rn. 84. 1044 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 29; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 53; GK-Weber § 38 Rn. 84. 1045 HSWGNR-Glock § 38 Rn. 8; ErfK-Koch § 38 BetrVG Rn. 1; GK-Weber § 38 Rn. 9. 1046 Vgl. HSWGNR-Glock § 38 Rn. 57; GK-Weber § 38 Rn. 87; DKKW-Wedde § 38 Rn. 69. 1047 Siehe dazu im Einzelnen oben § 5 N.I.2. 1048 BAG 21.5.1974 – 1 AZR 477/73, AP Nr. 14 zu § 37 BetrVG 1972; GK-Weber § 38 Rn. 87; Fitting § 38 Rn. 81; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 30.

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den – ein inkonsequentes Vorgehen.1049 Zudem sind die von Glock entwickelten Grundsätze aus den oben1050 dargestellten Gründen ohnehin abzulehnen, weshalb § 37 Abs. 3 BetrVG angewendet werden kann. Als Rechtsfolge ist in § 37 Abs. 3 BetrVG vorgesehen, dass der Arbeitgeber den Zeitpunkt des Freizeitausgleichs unter Abwägung der Interessen des Betriebsratsmitglieds und des Betriebs festlegt.1051 Eine solche Abwägung bei nach § 38 BetrVG vollständig freigestellten Betriebsratsmitgliedern wäre überflüssig und bloße Förmelei, da durch die Abwesenheit des Mitglieds keine Betriebsinteressen beeinträchtigt werden können. Daher können gänzlich freigestellte Betriebsratsmitglieder den Zeitpunkt des Freizeitausgleichs selbst bestimmen.1052 Anderes gilt indes bei Teilfreistellungen im Sinne des § 38 Abs. 1 S. 3, 4 BetrVG. In diesen Fällen können Betriebsinteressen durch die Wahl des Zeitpunkts des Freizeitausgleichs betroffen sein, so dass es bei der Abwägung und Festsetzung durch den Arbeitgeber bleiben muss. Hinsichtlich aller weiteren Rechtsfolgen gelten die obigen Ausführungen zu § 37 Abs. 3 BetrVG entsprechend.1053 Anzumerken ist insoweit noch, dass in aller Regel keine Gründe vorliegen werden, aufgrund derer der Freizeitausgleich nicht binnen eines Monats stattfinden kann.1054 Nur im Ausnahmefall extremer und unaufschiebbarer Arbeitsbelastung wird daher auch die Abgeltungsregelung des § 37 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 BetrVG angewendet.1055 III. Vergütungsanspruch des für Schulungs- oder Bildungsveranstaltungen freigestellten Betriebsratsmitglieds (vgl. § 37 Abs. 6 i.V. m. § 37 Abs. 2, 3, § 37 Abs. 7 BetrVG) In § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG hat der Gesetzgeber besondere Regelungen über die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern für Schulungen und Bildungsveranstaltungen1056 getroffen. Während in Abs. 6 die Freistellung für Veranstaltungen 1049 HSWGNR-Glock § 38 Rn. 57 a. E.; ebenso Richardi-Thüsing § 38 Rn. 51, dessen Auffassung aber wenigstens konsequent ist, da er anders als Glock § 38 BetrVG als Konkretisierung von § 37 Abs. 2, 3 BetrVG versteht. 1050 Vgl. oben § 5 N.II.3.d). 1051 Siehe dazu oben § 5 N.I.2.d)aa). 1052 Ähnlich, aber ohne Differenzierung zwischen vollständig und teilweise freigestellten Betriebsratsmitgliedern GK-Weber § 38 Rn. 88; Fitting § 38 Rn. 81; Henssler/ Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 30. 1053 Siehe dazu oben § 5 N.I.2.d). 1054 Ebenfalls skeptisch GK-Weber § 38 Rn. 89. 1055 Fitting § 38 Rn. 81; Richardi-Thüsing § 38 Rn. 52; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 38 BetrVG Rn. 30. 1056 Soweit ersichtlich, differenziert die allgemeine Meinung nicht zwischen Schulungen und Bildungsveranstaltungen, sondern verwendet beide Begriffe synonym. Ebenso wird im Folgenden verfahren.

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geregelt ist, welche die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlichen Kenntnisse vermitteln, gewährt Abs. 7 einen Anspruch auf Freistellung zur Teilnahme an als geeignet anerkannten Veranstaltungen. Dabei ist der Anspruch aus Abs. 6 auf eine Schulung gerichtet, die aus konkretem Anlass erforderlich ist und theoretisch zeitlich unbegrenzt andauern kann.1057 Hingegen stellt der Anspruch nach Abs. 7 losgelöst von konkreten Anlässen die „Fortbildungsgrundversorgung“ der einzelnen Betriebsratsmitglieder in einem festgeschriebenen Umfang von regelmäßig drei Wochen pro Amtszeit1058 sicher.1059 Der Anspruch nach § 37 Abs. 6 BetrVG steht zunächst dem Betriebsrat zu. Erst wenn der Betriebsrat entschieden hat, welches Betriebsratsmitglied an der Schulung teilnimmt, erhält dieses einen aus dem Anspruch des Betriebsrats abgeleiteten Individualanspruch.1060 Demgegenüber handelt es sich bei dem Anspruch aus § 37 Abs. 7 BetrVG von vornherein um einen Individualanspruch eines jeden Betriebsratsmitglieds.1061 1. Vergütungsanspruch des für erforderliche Schulungen freigestellten Betriebsratsmitglieds (§ 37 Abs. 6 i.V. m. § 37 Abs. 2, 3 BetrVG) a) Systematische Einordnung Da § 37 Abs. 6 BetrVG auf § 37 Abs. 2 und 3 BetrVG verweist, handelt es sich bei der Vorschrift ebenso wie bei der Generalklausel des § 37 Abs. 2, 3 BetrVG1062 um eine anspruchserhaltende Norm.1063 b) Telos Mit den in § 37 Abs. 6 BetrVG enthaltenen Regelungen erkennt der Gesetzgeber das Bedürfnis der Betriebsratsmitglieder an, Kenntnisse für die Betriebsratsarbeit erwerben zu müssen, um ihr Amt ausüben zu können. Dieses Ziel kann nicht allein autodidaktisch oder durch Vermittlung durch andere Betriebsratsmit-

1057

Vgl. ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 16; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 73; GK-Weber § 37 Rn. 181 ff. 1058 Für die erste Amtszeit eines Mitglieds erhöht sich der Umfang gemäß § 37 Abs. 7 S. 2 BetrVG auf vier Wochen. 1059 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 73. 1060 ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 12; GK-Weber § 37 Rn. 143; vgl. auch Henssler/ Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 37. 1061 ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 12; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 139; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 37. 1062 Vgl. dazu oben § 5 N.I.1.a). 1063 Vgl. Fitting § 37 Rn. 182; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 129; Richardi-Thüsing § 132 f.

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glieder erreicht werden.1064 Der Schulungsanspruch soll sicherstellen, dass die Betriebsratsmitglieder die notwendigen Erkenntnisse zur effektiven Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben erlangen.1065 Damit dienen diese Regelungen der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats und der gesamten Betriebsverfassung. Demgegenüber gehen Teile der Literatur davon aus, dass der Zweck von § 37 Abs. 6 BetrVG vor allem in der Herstellung „intellektueller Waffengleichheit“ zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber liegt.1066 Dieser Zweck ergebe sich aus der Stellung, die dem Betriebsrat im BetrVG eingeräumt werde.1067 Ein hoher Informationsstand des Betriebsrats sei unabdingbar, was auch aus anderen Vorschriften des BetrVG folge (beispielsweise § 80 Abs. 2 BetrVG).1068 Diese Auffassung überzeugt nicht und ist mit der überwiegenden Ansicht abzulehnen.1069 Zwar billigt das BetrVG in der Tat dem Betriebsrat weitreichende Informationsrechte zu, gerade in der erwähnten Vorschrift § 80 Abs. 2 BetrVG. Daraus lässt sich jedoch nicht die Herstellung intellektueller Waffengleichheit als Normzweck des § 37 Abs. 6 BetrVG ableiten. Vielmehr soll den Betriebsratsmitgliedern lediglich ermöglicht werden, die betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer effektiv wahrzunehmen.1070 Zudem weist Thüsing1071 zutreffend darauf hin, dass die Gesetzessystematik ebenfalls gegen das Gebot intellektueller Waffengleichheit spricht: Da in § 37 Abs. 6 BetrVG von erforderlichen Kenntnissen die Rede ist, müssten die Verfechter dieses Gebots annehmen, dass nach dieser Vorschrift Anspruch auf Freistellung für solche Schulungen besteht, die erforderlich sind, um die intellektuelle Waffengleichheit herzustellen. Dann fielen sämtliche Veranstaltungen mit einem Bezug zur Betriebsratsarbeit bereits unter Abs. 6. Soll Abs. 7 nicht leerlaufen, müsste man diese Vorschrift vom Bezug zur Betriebsratstätigkeit lösen und auch die Teilnahme an Veranstaltungen darunter fassen, die der Verbesserung der Allgemeinbildung dienen.1072 Ein solches Normverständnis findet jedoch im Wortlaut des 1064 Vgl. BAG 19.9.2001 – 7 ABR 32/00, AP Nr. 9 zu § 25 BetrVG 1972. Das gilt umso mehr, als die von Betriebsratsmitgliedern zu beherrschende Materie seit Inkrafttreten des BetrVG gewaltig gewachsen ist, vgl. GK-Weber § 37 Rn. 133. 1065 Vgl. GK-Weber § 37 Rn. 136. 1066 Däubler Schulung Rn. 85–147; Fitting § 37 Rn. 142; Kopp ArbuR 1976, S. 333, 333; Schoden Anmerkung zu BAG 6.11.1973 – 1 ABR 26/73, ArbuR 1974, S. 286, 287; DKKW-Wedde § 37 Rn. 105 f. 1067 Däubler Schulung Rn. 95 f.; DKKW-Wedde § 37 Rn. 106. 1068 Däubler Schulung Rn. 95 f.; DKKW-Wedde § 37 Rn. 106. 1069 LAG Köln 25.1.1993 – 3 TaBV 90/92, DB 1993, S. 789; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 130; Klinkhammer BB 1973, S. 1399, 1400; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 81; GK-Weber § 37 Rn. 127; vgl. auch BAG 11.9.1993 – 7 ABR 52/92, AP Nr. 92 zu § 37 BetrVG 1972. 1070 Vgl. auch HSWGNR-Glock § 37 Rn. 130. 1071 Richardi-Thüsing § 37 Rn. 82. 1072 Dafür wohl Däubler Schulung Rn. 123, anders aber in Rn. 277–279, wo er einen Bezug zur Betriebsratstätigkeit fordert.

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Abs. 7, gerade im Vergleich mit Abs. 6, keine Stütze.1073 Auch die Gesetzesbegründung legt einen Verzicht auf den Bezug zur Betriebsratstätigkeit bei § 37 Abs. 7 BetrVG nicht nahe.1074 Diese Vorschrift beruht laut Bericht des zuständigen Bundestagsausschusses auf § 78 Abs. 1 des Entwurfs der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, der gemeinsam mit dem Regierungsentwurf beraten wurde und teilweise auch Eingang in die Ausschussfassung fand.1075 In der Begründung zu § 78 Abs. 1 des Entwurfs der CDU/CSU-Fraktion heißt es, die Regelung diene vor allem dazu, die erstmalige Einarbeitung in die Aufgaben eines Betriebsratsmitglieds besonders zu fördern.1076 Dem Gesetzgeber schwebte also sehr wohl ein Bezug der Schulung zu Betriebsratsaufgaben vor. Diese Erkenntnis lässt sich auch anhand der folgenden Kontrollüberlegung nachvollziehen: Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass Veranstaltungen im Sinne des § 37 Abs. 7 S. 1 BetrVG keinen Bezug zur Betriebsratstätigkeit erforderten, hätte er nicht § 37 Abs. 7 S. 2 BetrVG geschaffen, wonach sich der Schulungsanspruch solcher Betriebsratsmitglieder um eine Woche pro Amtszeit erhöht, die dieses Amt zum ersten Mal übernehmen.1077 Schulungen zur Allgemeinbildung nützen allen Betriebsratsmitgliedern gleichermaßen, auch solchen, die schon mehrere Amtsperioden hinter sich haben. Schulungen mit konkretem Bezug zur Betriebsratsarbeit dagegen sind insbesondere für solche Betriebsratsmitglieder hilfreich, die dieses Amt zum ersten Mal bekleiden und daher noch keine Erfahrungen in diesem Bereich vorweisen können. Nach alledem bleibt es dabei, dass der Zweck von § 37 Abs. 6 BetrVG darin liegt, den Betriebsratsmitgliedern die notwendigen Erkenntnisse zur effektiven Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben zu verschaffen. c) Tatbestand Die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Freistellungsanspruch sind in § 37 Abs. 6 BetrVG nur knapp geregelt, was eine Vielzahl von Rechtsfragen ungeklärt lässt und erhebliche Rechtsunsicherheit hervorruft.1078 aa) Inhalt der Schulungs- oder Bildungsveranstaltung In § 37 Abs. 6 BetrVG selbst ist nur die Rede davon, dass Schulungen Kenntnisse vermitteln müssen, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind.1079 Darüber hinaus verweist § 37 Abs. 6 BetrVG aber auch auf die „Absätze 2 und 1073 1074 1075 1076 1077 1078 1079

Vgl. Richardi-Thüsing § 37 Rn. 82. Ebenso Richardi-Thüsing § 37 Rn. 82. Vgl. Ausschussbericht zu BT-Drs. 6/2729, S. 23. BT-Drs. 6/1806, S. 44. So wohl auch GK-Weber § 37 Rn. 218. HSWGNR-Glock § 37 Rn. 131. Richardi-Thüsing § 38 Rn. 98.

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3“ des § 37 BetrVG. In § 37 Abs. 2 BetrVG ist wiederum festgeschrieben, dass die Arbeitsbefreiung nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben eines Betriebsratsmitglieds erforderlich sein muss. Daher ist eine sogenannte doppelte Erforderlichkeitsprüfung durchzuführen.1080 Zum einen muss die Schulung Kenntnisse vermitteln, die nach Art und Umfang für den Betriebsrat generell erforderlich sind, um seine Aufgaben ordnungsgemäß zu erledigen (Erforderlichkeit unmittelbar aus § 37 Abs. 6 BetrVG).1081 Zum anderen muss die Freistellung auch für das konkret zu schulende Betriebsratsmitglied unter Berücksichtigung von Art und Größe des Betriebs erforderlich sein (Erforderlichkeit aufgrund des Verweises von § 37 Abs. 6 auf § 37 Abs. 2 BetrVG).1082 Zur näheren Konkretisierung ist es unentbehrlich, auf die von Literatur und Rechtsprechung entwickelte umfangreiche Kasuistik zurückzugreifen. Für Einzelheiten hierzu sei auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen.1083 Folgende Leitlinien sind zu beachten: Jedes Betriebsratsmitglied muss zur ordnungsgemäßen Erledigung seiner Aufgaben über Grundkenntnisse im Betriebsverfassungsrecht und im sonstigen Arbeitsrecht verfügen.1084 Vertiefte Kenntnisse sind dagegen nicht zwangsläufig bei jedem Betriebsratsmitglied erforderlich, wohl aber häufig bei dem Betriebsratsvorsitzenden, seinem Stellvertreter sowie den nach § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitgliedern, da diese Personen sich in aller Regel deutlich häufiger und in intensiverem Maße mit betriebsverfassungsrechtlichen Fragen auseinandersetzen müssen als die übrigen Betriebsratsmitglieder.1085 Es ist jeweils im Einzelfall festzustellen, welches Betriebsratsmitglied zur Erledigung seiner Aufgaben welcher Kenntnisse bedarf. Dem Betriebsrat steht nach der ständigen Rechtsprechung des BAG sowie der überwiegenden Meinung in der Literatur sowohl hinsichtlich des Inhalts einer 1080 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 132; GK-Weber § 37 Rn. 164; DKKW-Wedde § 37 Rn. 137; vgl. auch BAG 16.10.1986 – 6 ABR 14/84, DB 1987, S. 891, 891 f.; der Sache nach auch Richardi-Thüsing § 37 Rn. 98. 1081 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 132; ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 14; vgl. auch GKWeber § 37 Rn. 164. 1082 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 132; ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 15; GK-Weber § 37 Rn. 164. 1083 Vgl. die Darstellungen bei Fitting § 37 Rn. 149–160; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 159–160; GK-Weber § 37 Rn. 169; DKKW-Wedde § 37 Rn. 131–132; HK-BetrVGWolmerath § 37 Rn. 38 f. 1084 Fitting § 37 Rn. 163 f.; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 89, 91; GK-Weber § 37 Rn. 164, 166. Bei erstmals gewählten Betriebsratsmitgliedern wird die Schulungsbedürftigkeit vermutet, sofern die Schulung nicht kurz vor Ende der Amtszeit erfolgt, vgl. BAG 17.11.2010 – 7 ABR 113/09, NZA 2011, S. 816, 817 f.; vgl. ferner zur Schulung kurz vor Ablauf der Amtszeit BAG 7.5 2008 – 7 AZR 90/07, AP Nr. 145 zu § 37 BetrVG 1972. 1085 Fitting § 37 Rn. 167; vgl. auch BAG 8.2.1977 – 1 ABR 124/74, AP Nr. 36 zu § 37 BetrVG 1972.

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Schulung als auch der daran teilnehmenden Betriebsratsmitglieder ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.1086 Dabei muss der Betriebsrat aber die betroffenen Interessen des Betriebs, des Betriebsrats, der Betriebsratsmitglieder und der Arbeitnehmer in Betracht ziehen und gegeneinander abwägen. Maßgeblich ist, ob ein vernünftig denkender Dritter die Schulung des betreffenden Betriebsratsmitglieds zur ordnungsgemäßen Erledigung aller Aufgaben für erforderlich hält.1087 Ob sich im Nachhinein die Schulung tatsächlich als erforderlich erweist oder nicht, ist unerheblich.1088 bb) Umfang der Freistellung Ist die Schulung eines Betriebsratsmitglieds im Hinblick auf die vermittelten Kenntnisse grundsätzlich erforderlich, stellt sich die Frage nach dem zeitlichen Umfang der Freistellung. Grundsätzlich besteht der Schulungsanspruch zeitlich unbegrenzt.1089 Allerdings wird selbst bei komplexen Materien nach einer gewissen Zeit die Schulung (ihre Geeignetheit vorausgesetzt1090) dazu führen, dass das geschulte Betriebsratsmitglied alle notwendigen Informationen erhalten hat, um diese Materie sachgerecht bewältigen zu können. Daher begrenzt bereits die Erforderlichkeit den Umfang des Schulungsanspruchs auch in zeitlicher Hinsicht.1091 Rechtstechnisch ist allerdings zu beachten, dass sich das Kriterium der Erforderlichkeit, soweit es in § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG erwähnt ist, nur auf die Erforderlichkeit der vermittelten Kenntnisse, nicht aber den Umfang bezieht.1092 Indes verweist Abs. 6 bzgl. der Freistellungsmodalitäten auf Abs. 2. Danach erfolgt eine Freistellung nur für die erforderliche Dauer.1093 Somit kann auf das Erforderlichkeitskriterium auch für die Beschränkung des zeitlichen Umfangs zurückgegriffen werden. Das BAG und ein Teil der Literatur wollen die Dauer der Freistellung überhaupt nicht durch den Begriff der Erforderlichkeit begrenzen 1086 BAG 9.10.1973 – 1 ABR 6/73, AP Nr. 4 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 19.3.2008 – 7 ABR 2/07, EzB Nr. 17 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 174; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 114; GK-Weber § 37 Rn. 196; a. A. HSWGNR-Glock § 37 Rn. 164 f. 1087 Fitting § 37 Rn. 174, der Sache nach ebenso, aber einen Beurteilungsspielraum dennoch ablehnend HSWGNR-Glock § 37 Rn. 165. 1088 BAG 6.11.1973 – 1 ABR 8/73, AP Nr. 5 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 174; GK-Weber § 37 Rn. 196; DKKW-Wedde § 37 Rn. 154. 1089 Siehe oben § 5 N.III.1.a). 1090 Dem Kriterium der Geeignetheit wird im Rahmen der Darstellungen zum Erforderlichkeitsbegriff des § 37 Abs. 6 BetrVG kaum Beachtung geschenkt. Das lässt sich allenfalls damit erklären, dass die meisten Autoren es als Selbstverständlichkeit ansehen, eine Schulung nur dann als erforderlich qualifizieren zu können, sofern sie zur Informationsvermittlung auch geeignet ist. 1091 Ebenso Fitting § 37 Rn. 171; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 161; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 75 f.; DKKW-Wedde § 37 Rn. 140 f.; HK-BetrVG-Wolmerath § 37 Rn. 32. 1092 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 33; GK-Weber § 37 Rn. 182. 1093 GK-Weber § 37 Rn. 182.

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und beziehen ihn alleine auf die vermittelnden Kenntnisse. Zur Beschränkung der Dauer greifen diese Stimmen auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurück, teilweise auch als Angemessenheit bezeichnet.1094 Der Zeitaufwand müsse in einem vertretbaren Verhältnis zur notwendigen Kenntniserlangung stehen.1095 Der Arbeitnehmer soll gegebenenfalls auf eine umfassende Schulung verzichten müssen, obwohl das Betriebsratsmitglied ohne diese Schulung seine gesetzlich vorgesehenen Aufgaben nicht effektiv wahrnehmen kann. Diese zusätzliche Einschränkung im Vergleich zum Erforderlichkeitskriterium ist mit dem Zweck von § 37 Abs. 6 BetrVG unvereinbar.1096 Wie ausgeführt dient der Tatbestand dazu, die Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung zu gewährleisten. Nach der – zutreffenden – Konzeption des Gesetzgebers können die Betriebsratsmitglieder die ihnen übertragenen Aufgaben nur dann effektiv wahrnehmen, wenn sie über die erforderlichen Kenntnisse verfügen. Beschränkt man den Schulungsanspruch zeitlich durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wird dieses Ziel gefährdet. Ein Arbeitgeber kann auch durch ausgedehnte erforderliche Schulungen einzelner Mitarbeiter nicht so stark belastet werden, dass diese Beeinträchtigung zum beschriebenen sehr wichtigen Ziel (Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung) außer Verhältnis stehen könnte. Somit ist eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abzulehnen. cc) Verfahren (1) Beschluss des Betriebsrats und Bekanntgabe Ein Betriebsratsmitglied ist zur Teilnahme an einer Schulung im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG nur berechtigt, wenn der Betriebsrat einen entsprechenden Beschluss fasst.1097 Diese Voraussetzung folgt aus dem Verweis auf § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG. Fehlt ein solcher Beschluss, und das Betriebsratsmitglied nimmt dennoch an der Schulung teil, besteht kein Entgeltanspruch für die Zeit der Schulung.1098 Der Betriebsrat legt auch den Zeitraum der Schulung fest.1099 Dabei hat er gemäß § 37 Abs. 6 S. 3 BetrVG die betrieblichen Notwendigkeiten zu berück-

1094 BAG 8.2.1977 – 1 ABR 124/74, AP Nr. 26 zu § 37 BetrVG 1972; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 33; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 100; zurückhaltend ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 17; vgl. auch LAG Düsseldorf 22.3.1989 – 4 TaBV 196/88, LAGE Nr. 28 zu § 37 BetrVG 1972. 1095 Richardi-Thüsing § 37 Rn. 100. 1096 Ebenso DKKW-Wedde § 37 Rn. 141. 1097 Fitting § 37 Rn. 232; ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 23; Henssler/Willemsen/ Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 38; vgl. zu § 37 BetrVG BAG 28.8.1996 – 7 AZR 840/ 95, AP Nr. 117 zu § 37 BetrVG 1972. 1098 Fitting § 37 Rn. 232; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 38. 1099 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 38; Stege/Weinspach/ Schiefer § 37 Rn. 53; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 113.

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sichtigen und dem Arbeitgeber gemäß § 37 Abs. 6 S. 4 BetrVG die Teilnahme und die zeitliche Lage der Schulung bekannt zu geben. Da das Gesetz von betrieblichen Notwendigkeiten spricht und nicht etwa von bloßen betrieblichen Interessen oder Bedürfnissen, ist hier ein strenger Maßstab anzulegen. Eine Schulung muss nur verschoben werden, wenn es betriebliche Gründe zwingend erfordern.1100 Hat der Betriebsrat betriebliche Notwendigkeiten nicht hinreichend berücksichtigt, kann der Arbeitgeber nach § 37 Abs. 6 S. 5 BetrVG die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch ersetzt gemäß § 37 Abs. 6 S. 6 BetrVG die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Eine Frist sieht § 37 Abs. 6 BetrVG insoweit nicht vor. Für eine analoge Anwendung der Zwei-Wochen-Frist des § 38 Abs. 2 S. 4, 7 BetrVG spricht, dass der Betriebsrat ebenso wie bei Freistellungen nach § 38 BetrVG ein berechtigtes Interesse daran hat, binnen einer angemessenen und zeitlich eindeutig bestimmten Frist Klarheit darüber zu erhalten, ob der Arbeitgeber gegen die zeitliche Lage der Schulung vorgehen wird. Insoweit besteht in beiden Fällen eine vergleichbare Interessenlage.1101 Der Spruch der Einigungsstelle ist bezüglich der zeitlichen Lage der Schulung verbindlich, nicht hinsichtlich der Erforderlichkeit.1102 Unterbleibt die Unterrichtung des Arbeitgebers über die Teilnahme und die zeitliche Lage der Schulung, besteht nach richtiger Ansicht kein Entgeltanspruch des Betriebsratsmitglieds für die Zeit der Schulung.1103 Andernfalls bestünde kein Anreiz für den Betriebsrat, seiner Unterrichtungspflicht zu genügen. Zudem ist dem Arbeitgeber eine Entgeltzahlung für eine Schulung, über die er keinerlei Informationen besitzt und deren Gesetzeskonformität er deshalb nicht überprüfen kann, nicht zuzumuten.

1100 GK-Weber § 37 Rn. 266; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 39; DKKW-Wedde § 37 Rn. 153; a. A. Richardi-Thüsing § 37 Rn. 115. 1101 Ebenfalls für eine Analogie ArbG Hamm 26.9.1973 – 2 Ca 936/72, DB 1973, S. 2249; Fitting § 37 Rn. 244; DKKW-Wedde § 37 Rn. 159; für eine „vorsichtige Anlehnung“ an die Zwei-Wochen-Frist nach § 38 Abs. 2 S. 4, 7 BetrVG Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 41. Nach GK-Weber § 37 Rn. 272 muss der Arbeitgeber „in angemessener Zeit“ tätig werden. Dagegen verlangt Richardi-Thüsing § 37 Rn. 127 ein unverzügliches Tätigwerden des Arbeitgebers unter Verweis darauf, dass für den Arbeitgeber eine vorübergehende Freistellung zum Zwecke einer Schulung ein geringeres Gewicht habe als eine dauernde Freistellung nach § 38 BetrVG. Das mag zutreffen, steht einer Analogie aber nicht im Wege, da die Zwei-Wochen-Frist die Belange des Betriebsrats hinreichend wahrt. Zudem spricht gegen die beiden letztgenannten Ansichten, dass die Begriffe der angemessenen Zeit und der Unverzüglichkeit für alle Beteiligten weniger Rechtssicherheit bieten als eine analoge Anwendung der ZweiWochen-Frist aus § 38 Abs. 2 S. 4, 7 BetrVG. 1102 Fitting § 37 Rn. 243; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 41; GK-Weber § 37 Rn. 271. 1103 ArbG Hamm 26.9.1973 – 2 Ca 936/73, DB 1973, S. 2249, 2249 f.; MünchArbRJoost § 220 Rn. 103; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 124; Wichert DB 1997, S. 2325, 2325; a.A. LAG Baden-Württemberg 17.12.1987, 11 Ta BV 3/87, ArbuR 1988, S. 258; Fitting § 37 Rn. 242; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 40; GK-Weber § 37 Rn. 270; DKKW-Wedde § 37 Rn. 157.

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Auf der anderen Seite ist das betreffende Betriebsratsmitglied nicht schutzwürdig, wenn eine Unterrichtung durch den Betriebsrat unterbleibt. (2) Erfordernis einer Befreiung durch den Arbeitgeber? Wie bei Inanspruchnahme der Generalklausel des § 37 Abs. 2, 3 BetrVG ist auch bei Schulungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG umstritten, inwiefern eine Freistellungserklärung durch den Arbeitgeber Voraussetzung für den Entgeltanspruch ist. Bei § 37 Abs. 2, 3 BetrVG fordert nur ein Teil des Schrifttums eine solche Erklärung, während sie von der höchstrichterlichen Rechtsprechung und dem überwiegenden Teil der Literatur für entbehrlich gehalten wird.1104 Nach hier vertretener Ansicht ist bei § 37 Abs. 2, 3 BetrVG zwar keine Freistellungserklärung des Arbeitgebers erforderlich. Das Betriebsratsmitglied muss aber dem Arbeitgeber die Gründe für die Arbeitsbefreiung offen legen. Im Zusammenhang mit Schulungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG stellt sich das Meinungsbild anders dar: Zwar geht das BAG wohl auch hier davon aus, dass keine Befreiungserklärung des Arbeitgebers erforderlich ist.1105 Dem BAG folgt aber nur ein Teil der Literatur1106 und der Instanzgerichte.1107 Andere Stimmen sowie ein Teil der instanzgerichtlichen Rechtsprechung verlangt hingegen eine Freistellungserklärung.1108 Es vermag vor dem Hintergrund des Verweises von § 37 Abs. 6 BetrVG auf § 37 Abs. 2, 3 BetrVG nicht überzeugen, für beide Tatbestände verschiedene Maßstäbe anzulegen.1109 Nach richtiger Ansicht ist in beiden Fällen aus den oben1110 dargelegten Gründen keine Erklärung erforderlich. Der Arbeitnehmer muss aber zugleich den Arbeitgeber nicht nur – wie von § 37 Abs. 6 S. 4 BetrVG gefordert – über den Teilnehmer und die zeitliche Lage der Schulung unterrichten. Vielmehr erstreckt sich die Unterrichtungspflicht auch auf die näheren Einzelheiten wie Veranstalter, Thematik und Ort. Unterbleibt die Unterrichtung oder ist sie unvollständig oder fehlerhaft und hat der Arbeitnehmer dieses Versäumnis

1104

Siehe dazu oben § 5 N.I.1.c)dd). BAG 30.1.1973 – 1 ABR 1/73, AP Nr. 3 zu § 40 BetrVG 1972 mit Anmerkung Buchner verneint zunächst ausdrücklich das Erfordernis, bejaht aber sodann dennoch das Vorliegen einer Freistellung. 1106 So beispielsweise DKKW-Wedde § 37 Rn. 162; wohl auch Fitting § 37 Rn. 240 f.; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 121 ff. 1107 LAG Baden-Württemberg 17.12.1987 – 11 Sa 94/87, AiB 1988, S. 282 f.; LAG Düsseldorf 15.10.1992 – 12 (13) Sa 1035/92, LAGE Nr. 33 zu § 611 BGB Abmahnung; LAG Düsseldorf 6.6.1995 – 12 TaBV 69/95, NZA-RR 1996, S. 12, 13. 1108 LAG Frankfurt a. M. 27.2.1973 – 5 Sa 685/72, BB 1974, S. 884; HSWGNRGlock § 37 Rn. 184; MünchArbR-Joost § 220 Rn. 106; GK-Weber § 37 Rn. 278. 1109 So aber GK-Weber § 37 Rn. 278. 1110 Siehe oben § 5 N.I.1.c)dd). 1105

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zu vertreten, entfällt sein Entgeltanspruch für die Arbeitszeit, die infolge der Schulung ausfällt. Diese hier vertretene Auffassung bezüglich des Umfangs der Unterrichtungspflicht teilen auch einige Stimmen im Schrifttum.1111 Das BAG verlangt jedenfalls eine Unterrichtung über die zeitliche Lage der Schulung.1112 Zu der Frage, ob sich die Unterrichtungspflicht auch auf weitere Einzelheiten erstreckt, hat sich das BAG, soweit ersichtlich, bislang nicht geäußert. d) Rechtsfolgen aa) Bezahlte Freistellung (§ 37 Abs. 6 i.V. m. § 37 Abs. 2 BetrVG) Liegen die Voraussetzungen für eine Schulung nach § 37 Abs. 6 BetrVG vor, hat das betreffende Betriebsratsmitglied Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht für die Dauer der Schulung. Die Berechnung des Entgelts erfolgt aufgrund des Verweises auf § 37 Abs. 2 BetrVG hinsichtlich des Geld- und des Zeitfaktors nach dem Lohnausfallprinzip.1113 Die bezahlte Freistellung umfasst nicht nur die reine Schulungsdauer, sondern erstreckt sich auch auf An- und Abreise. Auch hypothetische Überstunden und Kurzarbeit sind zu berücksichtigen.1114 bb) Freizeitausgleich (§ 37 Abs. 6 i.V. m. § 37 Abs. 3 BetrVG) Überschreitet die Dauer der Schulung die individuelle Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds, steht diesem aufgrund des Verweises von § 37 Abs. 6 BetrVG auf Abs. 3 ein Anspruch auf Freizeitausgleich zu. Voraussetzung dafür ist die Überschreitung der persönlichen Arbeitszeit aus betriebsbedingten Gründen. Dazu gehören gemäß § 37 Abs. 6 S. 2 Hs. 1 BetrVG auch Besonderheiten der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung. Insoweit kann auf die Erläuterungen zu § 37 Abs. 3 S. 2 BetrVG verwiesen werden.1115 Somit steht auch teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern ein Anspruch auf Freizeitausgleich zu, jedoch nur bis zur Höhe der Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers.1116 Diese Be1111 So etwa Fitting § 37 Rn. 241; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 122, wobei unverständlich bleibt, wieso für § 37 Abs. 2, 3 BetrVG andere Maßstäbe gelten sollen (vgl. dazu Fitting § 37 Rn. 50 und Richardi-Thüsing § 37 Rn. 27). 1112 BAG 18.3.1977 – 1 ABR 54/74, AP Nr. 27 zu § 37 BetrVG 1972. 1113 Fitting § 37 BetrVG Rn. 182; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 195; Matthes Lohnzahlung Rn. 188; Stege/Weinspach/Schiefer § 37 Rn. 55. 1114 Vgl. BAG 23.4.1974 – 1 AZR 139/73, AP Nr. 11 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 3.12.1997 – 7 AZR 490/93, AP Nr. 124 zu § 37 BetrVG 1972; ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 18; Löwisch/Kaiser § 37 Rn. 63; Stege/Weinspach/Schiefer § 37 Rn. 55. 1115 Siehe oben § 5 N.I.2.c)bb). 1116 Fitting § 37 Rn. 193; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 135a; DKKW-Wedde § 37 Rn. 166.

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grenzung soll nach dem Willen des Gesetzgebers verhindern, dass teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder, die an einer Schulung teilnehmen, besser gestellt werden als vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder.1117 Ist ein Freizeitausgleich binnen eines Monats aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, ist die für die Schulung aufgewendete Zeit gemäß § 37 Abs. 6 i.V. m. § 37 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 BetrVG wie Mehrarbeit zu vergüten.1118 2. Vergütungsanspruch des für geeignete Schulungen freigestellten Betriebsratsmitglieds (§ 37 Abs. 7 BetrVG) Neben den Anspruch des Betriebsrats auf Teilnahme seiner Mitglieder an erforderlichen Schulungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG tritt der Individualanspruch eines jeden Betriebsratsmitglieds auf bezahlte Teilnahme an als geeignet anerkannten Schulungen gemäß § 37 Abs. 7 BetrVG. a) Systematische Einordnung Bei § 37 Abs. 7 BetrVG handelt es sich ebenso wie bei § 37 Abs. 2 BetrVG um eine anspruchserhaltende Norm. Zwar verweist Abs. 7, anders als Abs. 6, nicht auf Abs. 2. Das darf aber nicht über die enge systematische Verwandtschaft hinwegtäuschen, die zwischen Abs. 7 und Abs. 2 besteht. Abs. 2 ist die Grundnorm aller auf die Betriebsratstätigkeit bezogenen Freistellungs- und Entgeltfortzahlungstatbestände, auf der Abs. 7 dogmatisch aufbaut.1119 b) Telos § 37 Abs. 7 BetrVG bezweckt, die Qualifikation der Betriebsratsmitglieder zu erhöhen und die Erfüllung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben zu verbessern.1120 Dabei dürfen nicht solche Kenntnisse vermittelt werden, die zur Ausübung der Betriebsratstätigkeit erforderlich sind. Hierfür hat der Gesetzgeber bereits den in § 37 Abs. 6 BetrVG verankerten Schulungsanspruch vorgesehen. Andererseits geht der Anspruch nach Abs. 7 – wie geschildert –1121 auch nicht so 1117 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/5741, S. 41; BAG 10.11.2004 – 7 AZR 131/04, AP Nr. 140 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 193c; GK-Weber § 37 Rn. 207; DKKW-Wedde § 37 Rn. 167. 1118 GK-Weber § 37 Rn. 213; vgl. auch Fitting § 37 Rn. 187 sowie oben § 5 N.I.2.d)bb). 1119 Vgl. dazu oben § 5 N.I.1.a) sowie HSWGNR-Glock § 37 Rn. 234, der hinsichtlich der Durchführung der Arbeitsbefreiung eine Parallele von Abs. 7 mit Abs. 2 und Abs. 6 annimmt. 1120 BAG 11.8.1993 – 7 ABR 52/92, AP Nr. 92 zu § 37 BetrVG 1972; HSWGNRGlock § 37 Rn. 205. 1121 Vgl. oben § 5 N.III.1.b).

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weit, dass lediglich der Allgemeinbildung dienende Kenntnisse vermittelt werden. Vielmehr müssen Zielsetzung und Inhalt darauf angelegt sein, für eine sachund fachgerechte Ausübung der Betriebsratstätigkeit zu sorgen.1122 Der für die Betriebsratstätigkeit zu erwartende Nutzen darf kein bloßer Nebeneffekt von untergeordneter Bedeutung sein. Aus alledem ist zu folgern, dass Schulungen im Sinne des § 37 Abs. 7 BetrVG Kenntnisse vermitteln sollen, die zur Erledigung der Betriebsratsarbeit förderlich, aber nicht zwingend erforderlich sind.1123 c) Tatbestand aa) Als geeignet anerkannte Schulungs- oder Bildungsveranstaltung Die Schulungs- oder Bildungsveranstaltung muss von der zuständigen obersten Arbeitsbehörde des Landes als geeignet anerkannt sein. Es kommt allein auf die Anerkennung an, die tatsächliche Eignung der Veranstaltung ist unerheblich.1124 Bei der Anerkennung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, dessen Rechtswidrigkeit – etwa, weil die Veranstaltung in Wahrheit nicht geeignet ist – unbeachtlich ist. Solange sich der Verwaltungsakt nicht erledigt hat oder er aufgehoben, außer Vollzug gesetzt oder nichtig ist, entfaltet die Anerkennung Rechtswirkungen.1125 Aus diesem Grund muss an dieser Stelle nicht auf die Voraussetzungen einer Anerkennung eingegangen werden. Nach der Ansicht des BAG muss der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Schulung noch nicht erlassen worden sein. Vielmehr soll auch eine spätere rückwirkende Anerkennung genügen.1126 Dem ist zuzustimmen. Insbesondere kann dieser Ansicht nicht überzeugend entgegengehalten werden, sie führe zu nicht hinnehmbarer Rechtsunsicherheit.1127 Zwar entspricht es dem Zweck des Anerkennungsverfahrens, vor einer Schulung allen Beteiligten Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Anforderungen von § 37 Abs. 7 S. 1 BetrVG erfüllt sind. Indes ergeben sich aus einer nachträglichen Anerkennung für keinen der Beteiligten Nachteile. Aus Sicht des Betriebsrats und des Betriebsratsmitglieds wird auf diese Weise die Möglichkeit eröffnet, die Schulung ohne Entgeltausfall zu besuchen, sofern die nachträgliche Anerkennung erfolgt. Ob das Betriebsratsmitglied das Risiko tragen will, dass es nicht zu einer nachträglichen Anerkennung 1122

Vgl. BAG 11.8.1993 – 7 ABR 52/92, AP Nr. 92 zu § 37 BetrVG 1972. Vgl. BAG 11.8.1993 – 7 ABR 52/92, AP Nr. 92 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 37 Rn. 197; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 209; GK-Weber § 37 Rn. 218. 1124 Vgl. Fitting § 37 Rn. 224; DKKW-Wedde § 37 Rn. 172. 1125 Finkelnburg DB 1973, S. 968, 968; Fitting § 37 Rn. 224; GK-Weber § 37 BetrVG Rn. 235. 1126 BAG 11.10.1995 – 7 ABR 42/94; AP Nr. 115 zu § 37 BetrVG 1972; HSWGNRGlock § 37 Rn. 220; ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 22; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 36; vgl. auch Fitting § 37 Rn. 215. 1127 So aber GK-Weber § 37 Rn. 230. 1123

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kommt, kann es selbst entscheiden. Somit erweitert die Ansicht des BAG den Handlungsspielraum des Betriebsrats und der Betriebsratsmitglieder. Aus Sicht des Arbeitgebers treten ebenfalls keine nachteiligen Rechtsfolgen ein. Da eine Freistellungserklärung des Arbeitgebers nicht erforderlich ist,1128 sondern er lediglich über die Schulungsteilnahme unterrichtet wird, muss er im Zeitpunkt der Schulung nicht wissen, ob diese als geeignet anerkannt wird oder nicht. Die Einflussmöglichkeiten des Arbeitgebers beschränken sich auf die Anrufung der Einigungsstelle nach § 37 Abs. 7 S. 3 i.V. m. Abs. 6 S. 5 BetrVG, wenn er meint, der Betriebsrat habe bei der zeitlichen Lage der Schulung betriebliche Notwendigkeiten nicht hinreichend berücksichtigt. In diesem Zusammenhang ist die Frage der Anerkennung bedeutungslos. Zudem trägt das betreffende Betriebsratsmitglied und nicht der Arbeitgeber das Vergütungsrisiko in dem Fall, dass eine nachträgliche Anerkennung verweigert wird. Aus den genannten Gründen ist die Rückwirkung zuzulassen. bb) Verfahren Über die zeitliche Lage der Schulung entscheidet der Betriebsrat durch Beschluss.1129 Dabei sind die betrieblichen Notwendigkeiten zu berücksichtigen,1130 was aus dem Verweis von § 37 Abs. 7 S. 3 BetrVG auf § 37 Abs. 6 S. 3 BetrVG folgt.1131 Hingegen trifft der Betriebsrat keine Entscheidung darüber, welches Betriebsratsmitglied an welcher Schulung teilnimmt. Der Anspruch steht nicht dem Betriebsrat als Gremium, sondern den einzelnen Mitgliedern zu.1132 Es liegt im Ermessen eines jeden Betriebsratsmitglieds, an welchen Schulungen es teilnehmen möchte.1133 Der Betriebsrat prüft auch nicht die Eignung einer Schulung, sondern lediglich, ob die Schulung als geeignet anerkannt ist.1134 Der Betriebsrat muss dem Arbeitgeber gemäß § 37 Abs. 7 S. 3 i.V. m. § 37 Abs. 6 S. 4 BetrVG den Teilnehmer und die zeitliche Lage der Schulung bekannt geben.1135 Ist der Arbeitgeber der Auffassung, der Betriebsrat habe bei der Fest1128

Siehe dazu noch unten § 5 N.III.2.c)bb). HSWGNR-Glock § 37 Rn. 230 f.; GK-Weber § 37 Rn. 252–254; DKKW-Wedde § 37 Rn. 191. 1130 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 230; Löwisch/Kaiser § 37 Rn. 84; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 171. 1131 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 39. 1132 Fitting § 37 Rn. 233; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 38; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 171; vgl. zu dem unterschiedlichen Charakter der Ansprüche aus § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG schon oben § 5 N.III.1.a). 1133 Vgl. BAG 28.8.1996 – 7 AZR 840/95, AP Nr. 117 zu § 37 BetrVG 1972; ErfKKoch § 37 BetrVG Rn. 23; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 171; GK-Weber § 37 Rn. 263. 1134 Richardi-Thüsing § 37 Rn. 171; vgl. auch HSWGNR-Glock § 37 Rn. 230. 1135 Die Bekanntgabe kann auch durch das Betriebsratsmitglied selbst erfolgen; vgl. Richardi-Thüsing § 37 Rn. 173. 1129

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legung der zeitlichen Lage die betrieblichen Notwendigkeiten nicht hinreichend berücksichtigt, kann er nach § 37 Abs. 7 S. 3 i.V. m. § 37 Abs. 6 S. 5 und 6 BetrVG die Einigungsstelle anrufen.1136 Die Frist beträgt ebenso wie im Zusammenhang mit Schulungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG nach richtiger Ansicht analog § 38 Abs. 2 S. 4, 7 BetrVG zwei Wochen.1137 Einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers bedarf es nicht.1138 Der Arbeitgeber muss aber nicht nur über die zeitliche Lage, sondern auch über weitere Einzelheiten wie Veranstalter, Thematik, Ort und Anerkennung unterrichtet werden.1139 d) Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen des § 37 Abs. 7 BetrVG ergeben sich, anders als bei Abs. 6, nicht aus einem Verweis auf Abs. 2 und 3, sondern sind autonom als „bezahlte Freistellung für drei Wochen“ (vier Wochen unter den Voraussetzungen des Abs. 7 S. 2) definiert.1140 Das ändert aber nach allgemeiner Meinung nichts an der engen dogmatischen Verwandtschaft von Abs. 7 mit Abs. 2. Die bloße Entgeltzahlung richtet sich nach den gleichen Grundsätzen wie bei Abs. 2 und Abs. 6.1141 Es gilt auch hier hinsichtlich des Zeit- und des Geldfaktors das Lohnausfallprinzip.1142 Umstritten ist hingegen, ob auch die Regelungen des Freizeitausgleichs im Sinne von Abs. 3 angewendet werden. Abs. 7 selbst enthält keine Regelung über einen Freizeitausgleich. Einige Stimmen entnehmen aber dem in Abs. 7 S. 3 statuierten Verweis auf Abs. 6 S. 2 zugleich mittelbar einen Verweis auf Abs. 3.1143 Dafür soll sprechen, dass in Abs. 6 S. 2 auf „betriebsbedingte Gründe im Sinne des Absatzes 3“ Bezug genommen wird.1144 Dieser Ansatz überzeugt jedoch 1136 Fitting § 37 Rn. 243; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 174; GK-Weber § 37 Rn. 271; DKKW-Wedde § 37 Rn. 192; zum Begriff der betrieblichen Notwendigkeiten vgl. oben § 5 N.III.1.c)cc)(1). 1137 Vgl. dazu oben § 5 N.III.1.c)cc)(1). 1138 Vgl. dazu die entsprechenden Ausführungen zu § 37 Abs. 6 BetrVG oben unter § 5 N.III.1.c)cc)(2). 1139 Ebenso Fitting § 37 Rn. 241. 1140 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 45; Stege/Weinspach/ Schiefer § 37 Rn. 65; Wlotzke/Preis/Kreft-Kreft § 37 Rn. 90; a. A. offenbar RichardiThüsing § 37 Rn. 177. 1141 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 45, zu den Grundsätzen der Entgeltzahlung bei § 37 Abs. 2 und § 37 Abs. 6 BetrVG siehe oben § 5 N.I.1.d) und § 5 N.III.1.d)aa). 1142 Ebert BB 1975, S. 466 ff.; Matthes Lohnzahlung Rn. 183; Henssler/Willemsen/ Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 45, 14. 1143 So etwa Fitting § 37 Rn. 226; DKKW-Wedde § 37 Rn. 190; offenbar auch Richardi-Thüsing § 37 Rn. 177. 1144 Fitting § 37 Rn. 226.

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nicht.1145 Abs. 7 S. 3 verweist allein auf Abs. 6 S. 2, in dem definiert wird, wann im Zusammenhang mit Schulungen gemäß Abs. 6 betriebsbedingte Gründe im Sinne des Abs. 3 vorliegen. Ein Verweis auf eine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch auf Freizeitausgleich fehlt hingegen, da Abs. 3 weder unmittelbar noch mittelbar über einen Verweis auf Abs. 6 S. 1 (der seinerseits wiederum auf Abs. 3 verweist) in Bezug genommen wird.1146 Es liegt vielmehr nahe, dass es sich bei dem Verweis auf Abs. 6 S. 2 um ein Redaktionsversehen handelt. Dieses Versehen entstand, als im Zuge der BetrVGReform im Jahre 2001 in den Abs. 6 a. F. der jetzige Satz 2 eingeführt wurde.1147 Infolgedessen wurde aus Abs. 6 S. 2 bis 5 a. F. der heutige Abs. 6 S. 3 bis 6 n. F. Man wollte daraufhin die Verweisung in Abs. 7 S. 3 a. F. („Absatz 6 Satz 2 bis 5 finden Anwendung“) entsprechend anpassen, änderte jedoch versehentlich lediglich die Zahl „5“ in eine „6“, nicht aber die „2“ in eine „3“. Auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber einen Verweis auf den Freizeitausgleich statuieren wollte.1148 Es sollte sich vielmehr nur um eine redaktionelle Folgeänderung handeln,1149 die offenbar misslungen ist. Zudem ist es auch sachlich gerechtfertigt, hinsichtlich etwaiger Ansprüche auf Freizeitausgleich Schulungen nach Abs. 6 und Abs. 7 unterschiedlich zu behandeln:1150 Es ist einem Betriebsratsmitglied eher zumutbar, für lediglich „geeignete“ Schulungen im Sinne des Abs. 7 Freizeit ohne Ausgleich aufzuwenden als für „erforderliche“ Schulungen nach Abs. 6. In zeitlicher Hinsicht besteht der Anspruch eines jeden Betriebsratsmitglieds grundsätzlich für drei Wochen seiner Amtszeit.1151 Handelt es sich um die erste Amtsperiode eines Betriebsratsmitglieds, erhöht sich der Anspruch gemäß § 37 Abs. 7 S. 2 BetrVG auf vier Wochen.1152 Ersatzmitglieder, die gegebenenfalls für ein Betriebsratsmitglied endgültig nachrücken, erhalten einen anteiligen Freistellungsanspruch entsprechend ihrer verkürzten Amtszeit.1153 1145 Ebenso HSWGNR-Glock § 37 Rn.236; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 45; GK-Weber § 37 Rn. 247–249. 1146 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 236; vgl. auch GK-Weber § 7 Rn. 247. 1147 Löwisch BB 2001, S. 1734, 1742 f.; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 45; GK-Weber § 37 Rn. 248; vgl. auch HSWGNR-Glock § 37 Rn. 236; Löwisch/Kaiser § 37 Rn. 85. 1148 BT-Drs. 14/5741, S. 41; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 236; vgl. auch Löwisch/Kaiser § 37 Rn. 85; GK-Weber § 37 Rn. 248. 1149 BT-Drs. 14/5741, S. 41; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 236; GK-Weber § 37 Rn. 248; vgl. auch Löwisch/Kaiser § 37 Rn. 85. 1150 Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 45; GK-Weber § 37 Rn. 248. 1151 Fitting § 37 Rn. 219; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 223; Henssler/Willemsen/ Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 46; GK-Weber § 37 Rn. 237. 1152 HSWGNR-Glock § 37 Rn. 223; Löwisch/Kaiser § 37 Rn. 80; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 46; GK-Weber § 37 Rn. 237.

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O. Vergütungsanspruch im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen (vgl. § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG) I. Systematische Einordnung § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG bestimmt, dass die Versäumnis von Arbeitszeit aufgrund von Betriebsratswahlen – sei es durch Ausübung des Wahlrechts, durch Tätigkeit im Wahlvorstand oder durch Tätigkeit als Vermittler im Sinne des § 18a BetrVG – den Arbeitgeber nicht zur Minderung des Arbeitsentgelts berechtigt. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine anspruchserhaltende Norm.1154 Dafür spricht bereits der Wortlaut, der besagt, dass dem Arbeitnehmer das – arbeitsvertragliche – Arbeitsentgelt erhalten bleiben muss. In systematischer Hinsicht kann zudem ein Vergleich mit § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG herangezogen werden. Für diese Vorschrift wählte der Gesetzgeber eine sehr ähnliche Formulierung, und es ist anerkannt, dass es sich bei § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG um einen anspruchserhaltenden Tatbestand handelt.1155 In die gleiche Richtung weisen weitere systematische Erwägungen. Bei den Tätigkeiten als Wahlvorstand oder Vermittler handelt es sich um Ehrenämter.1156 Mit dieser Konzeption ist ein eigenständiger Entgeltersatzanspruchs unvereinbar, weil in diesem Fall die Vergütung eine unzulässige Gegenleistung für die Erbringung der Tätigkeit im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG wäre. Der Tatbestand ist vielmehr ähnlich wie § 37 Abs. 2 BetrVG konstruiert. Er lässt die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ruhen, während dieser Aufgaben im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG wahrnimmt. Dennoch behält der Arbeitnehmer sein arbeitsvertragliches Entgelt, um eine Benachteiligung infolge der Tätigkeit zu verhindern. Das Verbot derartiger Benachteiligungen ergibt sich aus § 78 S. 2 BetrVG analog.1157 Für diese Analogie spricht, dass der Gesetzgeber Arbeitnehmer im 1153 Fitting § 37 Rn. 221; Künzl ZfA 1993, S. 341, 356; Henssler/Willemsen/KalbReichold § 37 BetrVG Rn. 46; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 167; GK-Weber § 37 Rn. 242; a. A. (voller Anspruch) Wlotzke/Preis/Kreft-Kreft § 37 Rn. 86; DKKW-Wedde § 37 Rn. 185. 1154 So ausdrücklich GK-Kreutz § 20 Rn. 56; ebenso wohl auch Wlotzke/Preis/KreftKreft § 20 Rn. 22; Löwisch/Kaiser § 20 Rn. 24; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 20 BetrVG Rn. 14; Richardi-Thüsing § 20 Rn. 41. 1155 Siehe dazu unten § 5 P.II.1. 1156 Wlotzke/Preis/Kreft-Kreft § 20 Rn. 21; GK-Kreutz § 20 Rn. 56; Richardi-Thüsing § 20 Rn. 41. 1157 Wie hier GK-Kreutz § 78 Rn. 12, § 16 Rn. 80; für ein entsprechendes Benachteiligungsverbot in der Sache auch Richardi-Thüsing § 78 Rn. 9, der aber trotz des abweichenden Wortlauts offenbar davon ausgeht, dass sich das Benachteiligungsverbot bereits aus § 20 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG ergibt; ähnlich DKKW-Buschmann § 78 Rn. 7. Vgl. ferner Fitting § 78 Rn. 2, HSWGNR-Worzalla § 78 Rn. 1, die für eine ergänzende analoge Anwendung von § 78 BetrVG eintreten, sofern die unmittelbare Anwendung des § 20 BetrVG zu Schutzlücken führt.

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Sinne von § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG ebenso schützen wollte wie Betriebsratsmitglieder.1158 Mit § 78 BetrVG sollten die Mitglieder aller Institutionen des BetrVG erfasst werden. Es wurde versehentlich vergessen, Arbeitnehmer im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG in den Wortlaut der Vorschrift aufzunehmen.1159 § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG gilt auch für Wahlen zur Jugend- und Auszubildendenvertretung (vgl. § 63 Abs. 2 S. 2 BetrVG).1160 Auf die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung ist der Tatbestand sinngemäß anwendbar (vgl. § 94 Abs. 6 S. 2 SGB IX). Hingegen gilt die Norm nicht für Wahlen zu Gremien, deren Mitglieder von anderen betriebsverfassungsrechtlichen Gremien entsandt werden, beispielsweise den Gesamt- und den Konzernbetriebsrat, die Gesamt- und die Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie den Wirtschaftsausschuss.1161 II. Telos § 20 Abs. 3 BetrVG regelt die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers für alle durch Betriebsratswahlen entstehende Kosten.1162 Dazu gehören neben den Sachkosten der Wahl (zum Beispiel für die Bereitstellung von Stimmzetteln) auch die Entgeltkosten für die Arbeitszeit, die Arbeitnehmer im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen versäumen.1163 Diese Regelung soll sowohl das Wahlverfahren als auch die beteiligten Arbeitnehmer und ihr aktives wie passives Wahlrecht schützen und fördern.1164 Damit dient sie der Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung und ihrer Organe. III. Tatbestand 1. Versäumnis von Arbeitszeit aufgrund einer Betriebsratswahl Erste Voraussetzung des Entgeltanspruchs ist, dass ein Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG1165 aufgrund einer Betriebsratswahl einen Teil seiner Arbeitszeit 1158 Vgl. BAG 26.4.1995 – 7 AZR 874/94, AP Nr. 17 zu § 20 BetrVG; vgl. auch GKKreutz § 78 Rn. 3. 1159 BT-Drs. 6/1786, S. 47; einschränkend GK-Kreutz § 78 Rn. 13. 1160 ErfK-Koch § 20 BetrVG Rn. 1; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 20 BetrVG Rn. 1; Fitting § 20 Rn. 2. 1161 Vgl. GK-Kreutz § 20 Rn. 4; HSWGNR-Nicolai § 20 Rn. 2; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 20 BetrVG Rn. 1. 1162 Vgl. HK-BetrVG-Brors § 20 Rn. 7; HSWGNR-Nicolai § 20 Rn. 31; Henssler/ Willemsen/Kalb-Reichold § 20 BetrVG Rn. 1. 1163 Vgl. HK-BetrVG-Brors § 20 Rn. 7–10; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 20 BetrVG Rn. 11–14; Stege/Weinspach/Schiefer § 20 Rn. 10 ff. 1164 Vgl. HSWGNR-Nicolai § 20 Rn. 1, 31; ErfK-Koch § 20 BetrVG Rn. 1; Fitting § 20 Rn. 1. 1165 Vgl. zum betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff oben § 5 N.I. 1.c)aa).

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versäumt.1166 Die Arbeitsversäumnis kann mit seiner Tätigkeit im Wahlvorstand, mit seiner Tätigkeit als Vermittler im Zuordnungsverfahren nach § 18a BetrVG oder mit der Ausübung seines Wahlrechts im Zusammenhang stehen. Aus der vom Gesetzgeber in § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG gewählten Formulierung („keine Minderung des Arbeitsentgelts“) ergibt sich, dass alle drei genannten Tätigkeiten grundsätzlich während der Arbeitszeit durchgeführt werden dürfen und sollen.1167 Als Wahlvorstand darf nur tätig werden, wer als solcher nach Maßgabe der §§ 16, 17 und 17a BetrVG vom Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat oder dem Arbeitsgericht wirksam bestellt oder von der Betriebs- oder Wahlversammlung gewählt worden ist. Zur Betätigung im Wahlvorstand gehört im Interesse der korrekten Durchführung der Betriebsratswahlen über den zu engen Wortlaut von § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG hinaus auch die Tätigkeit von Wahlhelfern im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 2 WO.1168 Ein Vermittler wird gemäß § 18a Abs. 2, 3 BetrVG bestellt, wenn die Betriebsrats- und die Sprecherausschusswahlen1169 gleichzeitig einzuleiten sind und sich die Wahlvorstände nicht darüber einigen können, welche Beschäftigten den leitenden Angestellten und welche den Arbeitnehmern zuzuordnen sind. Der Vermittler muss Beschäftigter des Betriebs oder eines anderen Betriebs des Unternehmens oder Konzerns oder der Arbeitgeber sein (vgl. § 18a Abs. 3 S. 2 BetrVG). Er versucht zunächst, gemäß § 18a Abs. 2 S. 1 BetrVG eine Einigung zwischen den Wahlvorständen herbeizuführen. Misslingt dies, entscheidet er nach Beratung mit dem Arbeitgeber selbst über die Zuordnung (vgl. § 18a Abs. 3 S. 3 BetrVG). Auf Vermittler, bei denen es sich um leitende Angestellte handelt, ist § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG nicht anwendbar. Für diese Personen gilt stattdessen die vergleichbare Regelung in § 8 Abs. 3 S. 2 SprAuG.1170 Nicht erfasst wird in § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG der Fall, dass ein Wahlvorstand, ein Wahlhelfer, ein Vermittler oder ein Wahlberechtigter erforderlicherweise außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit tätig werden muss. Eine dem § 37 Abs. 3 BetrVG1171 vergleichbare Regelung über entsprechenden Freizeitausgleich und 1166 Vgl. Fitting § 20 Rn. 43; GK-Kreutz § 20 Rn. 56 f.; HSWGNR-Nicolai § 20 Rn. 42. 1167 GK-Kreutz § 20 Rn. 58, 64, 66; vgl. auch Richardi-Thüsing § 20 Rn. 42, 46; HSWGNR-Nicolai § 20 Rn. 43. 1168 ErfK-Koch § 20 BetrVG Rn. 11; GK-Kreutz § 20 Rn. 59; DKKW-Homburg § 20 Rn. 34. 1169 Der Sprecherausschuss ist das betriebsverfassungsrechtliche Vertretungsorgan der leitenden Angestellten und mit dem Betriebsrat als Vertretung der Arbeitnehmer vergleichbar, vgl. zu Einzelheiten das SprAuG vom 20. Dezember 1988 (BGBl. 1988 I, S. 2312), zuletzt geändert durch Art. 222 Neunte ZuständigkeitsanpassungsVO vom 31. Oktober 2006 (BGBl. 2006 I, S. 2407). 1170 GK-Kreutz § 20 Rn. 66. 1171 Vgl. dazu oben § 5 N.I.2.

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gegebenenfalls Abgeltung fehlt an dieser Stelle. Die insoweit bestehende Regelungslücke ist nach der überzeugenden Auffassung des BAG1172 durch eine Analogie zu § 37 Abs. 3 BetrVG zu schließen.1173 Dafür spricht die Systematik des BetrVG, das die Mitglieder des Wahlvorstands den Betriebsratsmitgliedern in ihrer persönlichen Rechtsstellung weitgehend gleichstellt.1174 Das BAG weist insoweit zu Recht auf § 15 KSchG und § 103 BetrVG hin.1175 Die Tätigkeit des Wahlvorstands liegt nicht weniger im Interesse des Unternehmens als die des Betriebsrats.1176 Außerdem ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit Einführung des § 37 Abs. 3 BetrVG im Jahre 1972 beabsichtigte, Wahlvorstände im Hinblick auf den Freizeitausgleich schlechter zu stellen als Betriebsratsmitglieder.1177 Vielmehr lässt sich die Differenzierung damit erklären, dass das BAG bereits vor der Einführung von § 37 Abs. 3 BetrVG einen Anspruch auf Freizeitausgleich für Betriebsratsmitglieder bejaht hatte,1178 während es an einer vergleichbaren Rechtsprechung für Wahlvorstände fehlte. Der Gesetzgeber hat bei der Novellierung im Jahre 1972 lediglich die Rechtsprechung des BAG aufgegriffen und dabei übersehen, dass sich im Zusammenhang mit Wahlvorständen ein vergleichbares Problem stellt. Aus alledem folgt, dass eine analoge Anwendung des § 37 Abs. 3 BetrVG auf Arbeitnehmer, die im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG tätig werden, zu bejahen ist. 2. Erforderlichkeit der Arbeitsversäumnis Weiterhin muss die Arbeitsversäumnis zur Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabe erforderlich sein. Fehlt es daran, bleibt dem Arbeitnehmer ein Entgeltanspruch versagt. Nicht erfasst ist in jedem Fall die Teilnahme an Betriebsoder Wahlversammlungen im Sinne der §§ 14a, 17 BetrVG, da insoweit § 44 Abs. 1 BetrVG lex specialis ist.1179 Im Übrigen ist zwischen der Tätigkeit im 1172 BAG 26.4.1995 – 7 AZR 874/94, AP Nr. 17 zu § 20 BetrVG. Die Entscheidung bezog sich zwar lediglich auf Wahlvorstände. Es ist aber nicht ersichtlich, weswegen für die Wahrnehmung anderer Tätigkeiten im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG etwas anderes gelten sollte. 1173 Ebenso Fitting § 20 Rn. 48; GK-Kreutz § 20 Rn. 58; DKKW-Homburg § 20 Rn. 34; Richardi-Thüsing § 20 Rn. 42; a. A. LAG Schleswig-Holstein 7.7.1994 – 4 Sa 88/94 (zitiert nach juris); ebenso unter Verweis auf den angeblich klaren Gesetzeswortlaut und die fehlende Gesetzeslücke Löwisch/Kaiser § 20 Rn. 25; Stege/Weinspach/ Schiefer § 20 Rn. 13a. 1174 BAG 26.4.1995 – 7 AZR 874/94, AP Nr. 17 zu § 20 BetrVG. 1175 BAG 26.4.1995 – 7 AZR 874/94, AP Nr. 17 zu § 20 BetrVG. 1176 BAG 26.4.1995 – 7 AZR 874/94, AP Nr. 17 zu § 20 BetrVG. 1177 BAG 26.4.1995 – 7 AZR 874/94, AP Nr. 17 zu § 20 BetrVG. 1178 Vgl. BAG 3.6.1969 – 1 ABR 1/69, AP Nr. 11 zu § 37 BetrVG. 1179 Wie hier GK-Kreutz § 20 Rn. 58, 64; a. A. offenbar Fitting § 20 BetrVG Rn. 43; unter Verweis auf die angeblich herrschende Meinung Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 20 BetrVG Rn. 14 mit Fn. 15; DKKW-Homburg § 20 Rn. 35; unklar HSWGNR-

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Wahlvorstand, der Tätigkeit als Vermittler und der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts zu differenzieren. a) Tätigkeit im Wahlvorstand oder als Vermittler Die Erforderlichkeit einer bestimmten Tätigkeit eines Mitglieds des Wahlvorstands oder eines Vermittlers beurteilt sich nach denselben Maßstäben wie die Erforderlichkeit von Betriebsratstätigkeiten nach § 37 Abs. 2 BetrVG.1180 Die Entscheidung liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Arbeitnehmers. Er muss die Arbeitsversäumnis nach gewissenhafter Überlegung und vernünftiger Würdigung aller Umstände für notwendig halten, um seinen Aufgaben gerecht zu werden. Dabei sind die betrieblichen Belange und die Interessen der Belegschaft gegeneinander abzuwägen. Erforderliche Handlungen eines Wahlvorstands sind jedenfalls solche Tätigkeiten, die zur Vorbereitung und Durchführung der Wahl gesetzlich angeordnet oder sonst notwendig sind.1181 Auch eine Schulung kann erforderlich sein, wenn der Wahlvorstand noch nicht über ausreichende Kenntnisse der Wahlvorschriften verfügt oder der Vermittler unzureichende Kenntnisse von der Abgrenzung des Personenkreises der leitenden Angestellten hat.1182 b) Ausübung des aktiven Wahlrechts § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG gewährt Entgeltschutz für die Ausübung sowohl des aktiven als auch des passiven Wahlrechts. Da – wie bereits erwähnt1183 – die Teilnahme an Betriebs- und Wahlversammlungen im Sinne der §§ 14a, 17 BetrVG bereits von § 44 Abs. 1 BetrVG abschließend geregelt wird, spielt § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG im Hinblick auf das aktive Wahlrecht vor allem für den Urnengang selbst eine Rolle.1184 Der Arbeitnehmer darf während seiner Arbeitszeit abstimNicolai § 20 Rn. 45, wonach sich die Entgeltzahlungspflicht in diesen Fällen „ergänzend“ (zu § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG?) aus § 44 Abs. 1 BetrVG ergeben soll. 1180 Ebenso GK-Kreutz § 20 Rn. 58; der Sache nach auch Fitting § 20 Rn. 43 und ErfK-Koch § 20 BetrVG Rn. 11; zum Erforderlichkeitsbegriff im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG vgl. oben § 5 N.I.1.c)cc). 1181 Hierunter fällt unter anderem die Erstellung der Wählerliste (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 WO), der Erlass des Wahlausschreibens (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 WO), die Prüfung der Vorschlagslisten (vgl. § 7 Abs. 1 WO), die Bereitstellung von Stimmzetteln, die Anwesenheit von Mitgliedern des Wahlvorstands während des Wahlvorgangs (vgl. § 12 Abs. 2 WO) sowie die Stimmenauszählung (vgl. § 13 WO). 1182 Vgl. für Wahlvorstände BAG 7.6.1984 – 6 AZR 3/82, AP Nr. 10 zu § 20 BetrVG 1972; Fitting § 20 Rn. 48; GK-Kreutz § 20 Rn. 60; Wlotzke/Preis/Kreft-Wlotzke § 20 Rn. 22. Bei HSWGNR-Nicolai § 20 Rn. 37 bleibt unklar, ob der Anspruch aus § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oder aus § 37 Abs. 6 BetrVG folgen soll. Für Vermittler vgl. Fitting § 20 Rn. 49. 1183 Siehe oben § 5 O.III.2. 1184 Vgl. GK-Kreutz § 20 Rn. 62; Richardi-Thüsing § 20 Rn. 46; ferner auch Fitting § 20 Rn. 45.

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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men und muss sich nicht darauf verweisen lassen, hierfür seine Freizeit zu opfern.1185 Dieser Grundsatz kann praktisch relevant werden, wenn der Arbeitnehmer seine Stimme in einem von seinem Arbeitsplatz räumlich entfernten Betriebsteil abgeben muss, wodurch längere Fahrzeiten entstehen können. Teilweise wird vertreten, die Aufstellung eines Organisationsplans für die Stimmabgabe und somit die Festlegung bestimmter Stimmzeiten durch den Arbeitgeber sei zulässig, sofern dadurch die Freiheit der Wahlteilnahme nicht eingeschränkt werde.1186 Dem ist nicht zuzustimmen. Auch der Arbeitnehmer muss bei der Wahl seines Abstimmungszeitpunkts betriebliche Belange berücksichtigen.1187 Belastungen des Arbeitgebers müssen nach Möglichkeit vermieden werden und dürfen nur entstehen, soweit andernfalls die Freiheit der Wahlteilnahme gefährdet wäre. Dadurch werden die Interessen des Arbeitgebers hinreichend gewahrt. Eine darüber hinausgehende Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit in Form eines durch den Arbeitgeber aufgestellten Organisationsplanes muss der Arbeitnehmer nicht hinnehmen. Neben der Stimmabgabe ist nach zutreffender Auffassung auch die Teilnahme an der öffentlichen Stimmenauszählung (vgl. § 13 WO) eine erforderliche Tätigkeit des Wählers.1188 Andernfalls liefe der Zweck des § 13 WO leer, die Überwachung der Stimmenauszählung durch die Öffentlichkeit zu gewährleisten. Die Entgeltschutzvorschrift des § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG bezweckt gerade den Schutz einer ordnungsgemäßen Durchführung des Wahlvorgangs. Damit wäre es unvereinbar, Arbeitnehmer vom Entgeltschutz auszuschließen, die durch Teilnahme an der Stimmenauszählung einen Beitrag leisten sollen, der nach der gesetzgeberischen Wertung des § 13 WO ganz offensichtlich zu begrüßen ist. Ohne Entgeltschutz stünde zu befürchten, dass die wahlberechtigten Arbeitnehmer aus Sorge vor Entgelteinbußen von ihrem Recht zur Teilnahme keinen Gebrauch machen würden. Es überzeugt auch nicht, wenn sich die Gegenansicht auf den Wortlaut von § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG beruft und argumentiert, die Beobachtung der Stimmenauszählung werde von diesem abschließenden Katalog nicht erfasst.1189 Dieser Vorgang ist vielmehr Teil der Ausübung des aktiven Wahlrechts, weil die 1185 Fitting § 20 Rn. 44; HSWGNR-Nicolai § 20 Rn. 43; Richardi-Thüsing § 20 Rn. 46; a. A. GK-Kreutz § 20 Rn. 62, der eine Stimmabgabe in den Pausen oder vor Beginn und nach Ende der Arbeitszeit für zumutbar hält, sofern sich dadurch die Freizeit des Arbeitnehmers nicht wesentlich verkürzt. 1186 So GK-Kreutz § 20 Rn. 63; Richardi-Thüsing § 20 Rn. 46. 1187 Vgl. dazu oben § 5 O.III.2.a); a. A. offenbar Fitting § 20 Rn. 45, der davon ausgeht, dass in der Ausübung des aktiven Wahlrechts ein stets notwendiges Versäumnis von Arbeitszeit liegt. 1188 Ebenso für Wahlbewerber DKKW-Homburg § 20 Rn. 37; a. A. LAG SchleswigHolstein 26.7.1989 – 3 Sa 228/89, AP Nr. 14 zu § 20 BetrVG 1972; Fitting § 20 Rn. 43; GK-Kreutz § 20 Rn. 65; HSWGNR-Nicolai § 20 Rn. 45. 1189 So aber LAG Schleswig-Holstein 26.7.1989 – 3 Sa 228/89, AP Nr. 14 zu § 20 BetrVG 1972.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

Arbeitnehmer nur auf diese Weise überprüfen können, ob jede abgegebene Stimme – und damit auch die eigene – ordnungsgemäß gezählt wird.1190 c) Ausübung des passiven Wahlrechts Inwieweit bestimmte Handlungen zur Ausübung des passiven Wahlrechts erforderlich im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG sind, ist sehr umstritten. Zwar will, soweit ersichtlich, niemand das passive Wahlrecht insgesamt vom Entgeltschutz gemäß dieser Vorschrift ausschließen. Die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur, gestützt von großen Teilen der Instanzrechtsprechung, hält eine Arbeitszeitversäumnis insoweit aber nur ausnahmsweise für erforderlich.1191 Diese Ansicht ist abzulehnen.1192 Es entspricht dem Zweck von § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG, die Teilnahme an Betriebsratswahlen zu fördern. Zudem sollen das Wahlverfahren und sein reibungsloser Ablauf geschützt werden. Dafür spricht auch der enge systematische Zusammenhang mit § 20 Abs. 1 und 2 BetrVG und insbesondere mit § 20 Abs. 1 S. 2 BetrVG, wonach niemand in der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränkt werden darf. Es wäre mit diesem Grundgedanken von § 20 BetrVG unvereinbar, Handlungen vom Entgeltschutz des § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG auszunehmen, die vom Gesetz als notwendige Voraussetzung zur Ausübung des passiven Wahlrechts benannt werden.1193 Die Entscheidung über die Erforderlichkeit trifft der Wahlbewerber. Dabei hat er seine eigenen Interessen mit den betrieblichen Belangen abzuwägen. 1190 Ähnlich DKKW-Homburg § 20 Rn. 37 für die Beobachtung der Stimmenauszählung durch Wahlbewerber. 1191 Nach dieser Auffassung sollen etwa lediglich die Überbringung eines Wahlvorschlags (vgl. § 7 WO) sowie die Teilnahme des Listenvertreters beim Losentscheid über die Reihenfolge der Ordnungsnummern (vgl. § 10 Abs. 1 S. 2 WO) zur Ausübung des passiven Wahlrechts erforderlich sein (GK-Kreutz § 20 Rn. 65). Nicht erforderlich sei die Sammlung von Stütz-Unterschriften für einen Wahlvorschlag (vgl. § 14 Abs. 4 BetrVG), die Vorstellung des Wahlbewerbers sowie die Teilnahme an der öffentlichen Stimmenauszählung nach § 13 WO (GK-Kreutz § 20 Rn. 65; Fitting § 20 Rn. 43; ErfKKoch § 20 BetrVG Rn. 11), das Sammeln von Stütz-Unterschriften (LAG Berlin 9.1. 1979 – 3 TaBV 6/78, BB 1979, S. 1036; LAG Hamm (Westfalen) 6.2.1980 – 3 TaBV 79/ 79, DB 1980, S. 1223), die Vorstellung in einer Außenstelle (ArbG Düsseldorf 21.7. 1981 – 1 Ca 2201/81, BB 1981, S. 1579) und die Teilnahme an der Stimmenauszählung (LAG Schleswig-Holstein 26.7.1989 – 3 Sa 228/89, AP Nr. 14 zu § 20 BetrVG 1972). 1192 Ebenso DKKW-Homburg § 20 Rn. 36 f. 1193 Vgl. DKKW-Homburg § 20 Rn. 36. Diese Grundsätze gelten jedenfalls für das Sammeln von Stütz-Unterschriften, das gemäß § 14 Abs. 4 BetrVG notwendige Voraussetzung für den Gebrauch des passiven Wahlrechts ist. Die Vorstellung eines Bewerbers ist zwar demgegenüber keine gesetzlich vorgeschriebene Voraussetzung für die Ausübung des passiven Wahlrechts. Sie ist aber faktisch erforderlich, um die Chancengleichheit aller Bewerber zu gewährleisten. Andernfalls würden im Betrieb noch unbekannte Bewerber gegenüber anderen Bewerbern, insbesondere solchen, die bereits Mitglied des Betriebsrats sind, benachteiligt. Auch das Recht der Teilnahme an der öffentlichen Stimmenauszählung im Sinne des § 13 WO steht dem Wahlbewerber zu; insoweit gelten die Ausführungen zur Ausübung des aktiven Wahlrechts entsprechend.

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3. Erfordernis einer Befreiung durch den Arbeitgeber? Anders als im Zusammenhang mit § 37 Abs. 21194 und Abs. 6 BetrVG1195 ist bei § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG unumstritten, dass der Arbeitnehmer keiner Freistellungserklärung durch den Arbeitgeber bedarf. In Übereinstimmung mit der hier im Hinblick auf § 37 Abs. 2 BetrVG vertretenen Ansicht ist jedoch für eine Entgeltfortzahlung nach § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG zu fordern, dass sich der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber abmeldet, ehe er seiner Tätigkeit nachkommen möchte.1196 Dabei muss er die Gründe des Arbeitsausfalls mitteilen, damit der Arbeitgeber die Erforderlichkeit der Arbeitsversäumnis überprüfen kann. IV. Rechtsfolgen Liegen die oben bezeichneten Voraussetzungen vor, behält der Arbeitnehmer seinen arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch. Die Berechnung richtet sich hinsichtlich des Geld- und des Zeitfaktors nach dem Lohnausfallprinzip1197 und ist mit jener nach § 37 Abs. 2 BetrVG vergleichbar.1198 Hypothetische Überstunden sind demnach ebenso zu berücksichtigen wie hypothetische Kurzarbeit.1199 Ist ein Vermittler Beschäftigter eines anderen Konzernunternehmens, richtet sich sein Entgeltanspruch gegen seinen eigenen Arbeitgeber und nicht gegen den Arbeitgeber des Betriebs, für den er als Vermittler tätig wird.1200 Der Grund ist darin zu sehen, dass es sich bei § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG nicht um eine eigenständige Anspruchsgrundlage handelt, sondern um eine anspruchserhaltende Norm.1201 Der Vermittler kann somit seine arbeitvertraglich vereinbarte Vergütung verlangen, und dieser Anspruch richtet sich ausschließlich gegen den eigenen Arbeitgeber.

1194

Siehe dazu oben § 5 N.I.1.c)dd). Siehe dazu oben § 5 N.III.1.c)cc)(2). 1196 Ebenso DKKW-Homburg § 20 Rn. 34; Richardi-Thüsing § 20 Rn. 46; Wlotzke/ Preis/Kreft-Wlotzke § 20 Rn. 24. 1197 BAG 26.4.1995 – 7 AZR 874/94, AP Nr. 17 zu § 20 BetrVG 1972; GK-Kreutz § 20 Rn. 56; Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 136 f.; Matthes Lohnzahlung Rn. 199; vgl. zum Lohnausfallprinzip allgemein oben § 4 B.I. 1198 Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 137; zur Berechnung der Vergütung nach § 37 Abs. 2 BetrVG vgl. oben § 5 N.I.1.d). 1199 GK-Kreutz § 20 Rn. 56; im Hinblick auf hypothetische Überstunden ebenso DKKW-Homburg § 20 Rn. 34; einschränkend ErfK-Koch § 20 BetrVG Rn. 11; vgl. für das Personalvertretungsrecht BAG 29.6.1988 – 7 AZR 651/87, AP Nr. 1 zu § 24 BPersVG. 1200 GK-Kreutz § 20 Rn. 66; Richardi-Thüsing § 20 Rn. 45; Wlotzke/Preis/KreftWlotzke § 20 Rn. 23. 1201 Zu dieser Frage vgl. oben § 5 O.I. 1195

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

P. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, 3, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) Nehmen Arbeitnehmer an Betriebsversammlungen teil, muss der Arbeitgeber die dafür aufgewendete Zeit unter bestimmten Voraussetzungen vergüten. Dabei kommen zwei verschiedene Tatbestände in Betracht. Zum einen erhält der Arbeitnehmer gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG eine Vergütung für die Teilnahme an Versammlungen im Sinne der §§ 14a, 17 und 43 Abs. 1 BetrVG sowie an Versammlungen, die auf Wunsch des Arbeitgebers einberufen werden. Zum anderen wird gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 BetrVG auch die Teilnahme an sonstigen Betriebsversammlungen im Sinne des § 43 Abs. 3 BetrVG vergütet, sofern diese im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber ausnahmsweise während der Arbeitszeit stattfinden. § 44 BetrVG ist gemäß § 71 S. 3 BetrVG auf die Jugend- und Auszubildendenversammlung, gemäß § 115 Abs. 5 BetrVG auf die Bordversammlung und gemäß § 95 Abs. 6 SGB IX auf die Schwerbehindertenversammlung entsprechend anwendbar.1202 I. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG 1. Systematische Einordnung Die Rechtnatur von § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG ist umstritten. Die Rechtsprechung und die überwiegende Meinung in der Literatur nehmen an, dass es sich um einen eigenständigen Vergütungsanspruch kollektivrechtlicher Natur handelt.1203 Ein kleinerer Teil der Literatur geht demgegenüber von einer anspruchserhaltenden Norm aus.1204 Zur Klärung dieser Frage ist die Vorschrift auszulegen. Der Wortlaut spricht eher für eine anspruchserhaltende Norm, da den Arbeitnehmern die Zeit der Teilnahme an einer Betriebsversammlung „wie Arbeitszeit zu vergüten“ ist. Die Vergütung von Arbeitszeit richtet sich nach dem Arbeitsvertrag i.V. m. § 611 Abs. 1 BGB. Allerdings ist dieses Verständnis nicht zwingend. Es ist auch mög1202 Vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Diller § 44 BetrVG Rn. 2; Fitting § 44 Rn. 2; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 1. 1203 BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972 zu III.2.e) der Gründe; Henssler/Willemsen/Kalb-Diller § 44 BetrVG Rn. 23; Fitting § 44 Rn. 26; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 5; Lunk Betriebsversammlung, S. 124 ff.; Wlotzke/Preis/Kreft-Roloff § 44 Rn. 1; GK-Weber § 44 Rn. 30. 1204 HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27; Kraft/Raab Gemeinsame Anmerkung zu BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85, AP Nr. 5 zu § 44 BetrVG 1972 und BAG 5.5.1987 – 1 AZR 666/85, AP Nr. 6 zu § 44 BetrVG 1972 unter I.3.c).; Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a–49c unter Verweis auf die Rechtslage bei § 37 Abs. 2 BetrVG (unstreitig eine anspruchserhaltende Norm, vgl. dazu oben § 5 N.I.1.a).

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lich, die Formulierung „wie Arbeitszeit“ so zu verstehen, dass gerade kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, sondern ein davon losgelöstes Surrogat, das sich lediglich ebenso bemisst „wie“ die arbeitsvertragliche Vergütung.1205 Der Wortlaut legt somit zwar eine anspruchserhaltende Norm nahe, ist aber nicht eindeutig.1206 In systematischer Hinsicht führt insbesondere das BAG für ein Normverständnis als eigenständige Anspruchsgrundlage an, § 44 Abs. 1 S. 2, 3 BetrVG lege eine Kostentragungspflicht des Arbeitgebers für das Zusammentreten der Betriebsversammlung als Organ der Betriebsverfassung einschließlich der Vergütungsforderungen der teilnehmenden Arbeitnehmer fest.1207 Daraus folge zugleich der kollektivrechtliche Charakter der Vergütungsansprüche. Diese Argumentation überzeugt indes schon deshalb nicht, weil § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG dem Arbeitgeber keine pauschale Pflicht zur Tragung aller Kosten einer Betriebsversammlung auferlegt, sondern nur die Vergütung der teilnehmenden Arbeitnehmer. Da die Vergütungsansprüche nur isoliert und nicht etwa im Zusammenhang mit „betriebsverfassungsrechtlichen“ Kosten genannt werden, lässt sich ihr kollektivrechtlicher Charakter auf diese Weise nicht schlüssig begründen. Zudem weisen Kraft/Raab zutreffend darauf hin, dass allein die Teilnahme an einer Betriebsversammlung als Tätigkeit in einem betriebsverfassungsrechtlichen Organ es nicht rechtfertigt, zugleich die Vergütung dafür als kollektivrechtlich zu qualifizieren.1208 Auch §§ 37 Abs. 2, 38 BetrVG regeln Vergütungsansprüche für die Tätigkeit in einem betriebsverfassungsrechtlichen Organ, nämlich dem Betriebsrat. Es ist aber unstreitig, dass es sich dabei um anspruchserhaltende Tatbestände handelt.1209 Indes lässt sich daraus auch nicht zwingend der anspruchserhaltende Charakter von § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG folgern, weil diese Vorschrift eine andere Normstruktur als §§ 37 Abs. 2, 38 BetrVG aufweist und auch der Wortlaut beider Vorschriften voneinander abweicht.1210 Somit führt auch die systematische Auslegung in dieser Frage zu keinem eindeutigen Ergebnis. 1205 So BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972 zu III.2.b) der Gründe; a. A. Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a, die offenbar der Ansicht sind, dass eine solche Auslegung mit dem Wortlaut nicht mehr vereinbar ist. 1206 A. A. Lunk Betriebsversammlung, S. 125–128, der meint, der Wortlaut spreche für eine eigenständige Anspruchsgrundlage. 1207 BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972 zu III.2.e) der Gründe. 1208 Kraft/Raab Gemeinsame Anmerkung zu BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85, AP Nr. 5 zu § 44 BetrVG 1972 und BAG 5.5.1987 – 1 AZR 666/85, AP Nr. 6 zu § 44 BetrVG 1972 unter I.3.c). 1209 Siehe oben § 5 N.I.1.a) und § 5 N.II.1. 1210 In § 37 Abs. 2 BetrVG ist von einer Freistellung „ohne Minderung des Arbeitsentgelts“ die Rede, während in § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG eine Vergütung „wie Arbeitszeit“ angeordnet wird; a. A. Kraft/Raab Gemeinsame Anmerkung zu BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85, AP Nr. 5 zu § 44 BetrVG 1972 und BAG 5.5.1987 – 1 AZR 666/85, AP Nr. 6 zu § 44 BetrVG 1972 unter I.3.c) a. E.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

Entscheidend sind daher die Entstehungsgeschichte und der Normzweck. Das BAG führt zugunsten eines eigenständigen Anspruchs an, der Gesetzgeber habe den Vergütungsanspruch kollektivrechtlich ausgestalten wollen, um ihn von individualrechtlichen Einwendungen unabhängig zu machen. Dadurch solle das Zusammentreten der Betriebsversammlung erleichtert werden.1211 Dieses Argument scheint auf den ersten Blick einzuleuchten, ist aber vor dem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund der Norm kritisch zu würdigen. Die Neuregelung von § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG im BetrVG 1972 sollte ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs sicherstellen, dass die Arbeitnehmer keine finanziellen Einbußen erleiden.1212 Einbußen sind aber auch keine zu befürchten, wenn man § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG als anspruchserhaltende Norm qualifiziert. Zwar mag der Anspruch, wie das BAG zu Recht befürchtet,1213 unter Umständen individualrechtlichen Einwendungen ausgesetzt sein. Indes trifft dieser Umstand auf sämtliche arbeitsvertraglichen Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer zu. Die Arbeitnehmer stehen nach diesem Normverständnis nicht schlechter als hinsichtlich ihrer übrigen Entgeltansprüche. Folglich ist es nicht zwangsläufig erforderlich, dem BAG in dieser Frage zu folgen, um dem gesetzgeberischen Willen gerecht zu werden. Das BAG möchte die Arbeitnehmer in Bezug auf Ansprüche aus § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG – aufgrund der Unabhängigkeit des Anspruchs von individualrechtlichen Einwendungen – sogar noch besser stellen als hinsichtlich ihrer übrigen Ansprüche. Damit geht es über die Intention des Gesetzgebers hinaus. Die Ansicht des BAG überzeugt daher nur, wenn der Gesetzgeber über die Vermeidung von Entgelteinbußen hinaus noch ein weitergehendes Ziel verfolgte, das eine solche Besserstellung der Arbeitnehmer rechtfertigt. An dieser Stelle hilft ein Vergleich zwischen § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG in seiner heutigen Fassung und § 43 Abs. 1 S. 2 BetrVG 1952 weiter. Diese Vorgängervorschrift sah lediglich vor, dass dem Arbeitnehmer durch die Teilnahme an einer Betriebsversammlung kein Entgeltausfall entstehen durfte. Daher wurde für die Teilnahme an einer Betriebsversammlung, die außerhalb der persönlichen Arbeitszeit stattfand, keine Vergütung gezahlt. Durch die Neuregelung, wonach eine Vergütung „wie Arbeitszeit“ vorgesehen ist, wird erreicht, dass auch eine Teilnahme an Betriebsversammlungen außerhalb der persönlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers vergütet wird. Auf diese Weise sollte ein Anreiz zur Teilnahme an Betriebsversammlungen außerhalb der persönlichen Arbeitszeit eines Arbeitnehmers geschaffen werden.1214 Mit der Änderung der Formulierung war also tat-

1211 BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972 zu III.2.e) der Gründe; vgl. auch Wlotzke/Preis/Kreft-Roloff § 44 Rn. 1. 1212 BT-Drs. 6/1786, S. 42. 1213 BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972 zu III.2.e) der Gründe. 1214 Vgl. BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972 zu III.2.c) und d) der Gründe; a. A. wohl HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27.

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sächlich eine Besserstellung der Arbeitnehmer beabsichtigt. Folglich ist es gerechtfertigt, mit dem BAG davon auszugehen, dass der Anspruch nach § 44 Abs. 1 S. 2, 3 BetrVG von individualrechtlichen Einwendungen unabhängig sein soll. Im Ergebnis ist daher § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG mit der überwiegenden Meinung als eigenständige Anspruchsgrundlage einzustufen. 2. Telos Der Tatbestand bezweckt, die Teilnahme der Arbeitnehmer an Betriebsversammlungen zu fördern.1215 Das gilt insbesondere auch für solche Betriebsversammlungen, die außerhalb der persönlichen Arbeitszeit eines Arbeitnehmers stattfinden.1216 Dieses Ziel wird durch die Gewährung von weitreichendem Entgeltschutz erreicht.1217 Damit möglichst viele Arbeitnehmer teilnehmen können, sollen Betriebsversammlungen in der Regel während der Arbeitszeit stattfinden.1218 Ist eine Veranstaltung während der Arbeitszeit ausnahmsweise wegen der Eigenart des Betriebs nicht möglich, gewährt Satz 3 auch für außerhalb der Arbeitszeit stattfindende Versammlungen Entgeltschutz einschließlich Fahrtkostenersatz.1219 Bemerkenswerterweise verleiht diese Anreizfunktion § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG, verglichen mit anderen Tatbeständen, eine besondere Stoßrichtung. Die meisten Entgeltfortzahlungstatbestände verfolgen das sogenannte Kompensationsprinzip. Sie wurden vor dem Hintergrund des Verdienstausfalls eingeführt, der mit dem Arbeitsausfall einhergeht. Der Arbeitsausfall ist gemeinhin ein unerwünschtes Ereignis, dessen Eintritt teilweise nicht zu vermeiden ist (zum Beispiel bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit) und teilweise als notwendige Nebenfolge in Kauf genommen wird (zum Beispiel bei bezahltem Erholungsurlaub). Für diesen Fall sehen die Entgeltfortzahlungstatbestände aus verschiedenen Erwägungen heraus eine Kompensation vor. Dieser Grundsatz wurde bei den bislang bereits analysierten Tatbeständen nicht explizit hervorgehoben, da es sich auf den ersten Blick um eine Selbstverständlichkeit handelt, die allen Entgeltfortzahlungstatbeständen zu Eigen zu sein scheint.1220 § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG ist demgegenüber anders konzipiert, indem der Anreizgedanke in den Vordergrund gerückt wird. Die Anreizfunktion knüpft nicht an die ausgefallene Arbeit an, sondern ist spezifisch auf das zum Arbeitsausfall 1215

Vgl. GK-Weber § 44 Rn. 2; Fitting § 44 Rn. 24. Siehe dazu bereits oben § 5 P.I.1. 1217 Vgl. Richardi-Annuß § 44 Rn. 1; Fitting § 44 Rn. 1; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 1; Wlotzke/Preis/Kreft-Roloff § 44 Rn. 1; GK-Weber § 44 Rn. 2; vgl. auch HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 1. 1218 Vgl. Richardi-Annuß § 44 Rn. 2; Fitting § 44 Rn. 39; GK-Weber § 44 Rn. 2. 1219 GK-Weber § 44 Rn. 2. 1220 Vgl. dazu unten § 5 R. 1216

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

führende Ereignis zugeschnitten – der Tatbestand soll den Arbeitsausfall sogar fördern. § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG verfolgt daher im Gegensatz zu den meisten Tatbeständen nicht in erster Linie das Ziel, den Arbeitnehmer für die ausgefallene Arbeitszeit zu kompensieren.1221 3. Tatbestand a) Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG Als erste Voraussetzung für einen Entgeltanspruch muss eine Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorliegen. Dazu gehören Wahlversammlungen im Sinne der §§ 14a, 17 BetrVG1222 sowie ordentliche Betriebsund Abteilungsversammlungen im Sinne des § 43 Abs. 1 S. 1 und 4.1223 Gleiches gilt für solche außerordentlichen Betriebsversammlungen, die nach § 43 Abs. 3 S. 1 BetrVG auf Verlangen des Arbeitgebers einberufen werden.1224 Nicht erfasst sind hingegen außerordentliche Betriebsversammlungen, die auf Wunsch des Betriebsrats oder wenigstens eines Viertels der wahlberechtigten Arbeitnehmer einberufen werden. Sie finden gemäß § 44 Abs. 2 S. 1 BetrVG in der Regel auch nicht während, sondern außerhalb der Arbeitszeit statt.1225 Folglich besteht für die Zeit der Teilnahme auch kein Entgeltschutz,1226 es sei denn, die Versammlung findet im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber ausnahmsweise doch während der Arbeitszeit statt.1227 b) Regelmäßig innerhalb der Arbeitszeit Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG müssen in der Regel während der Arbeitszeit stattfinden. Nur ausnahmsweise ist eine Veranstaltung außerhalb der Arbeitszeit zulässig, nämlich soweit die Eigenart des Betriebs es zwingend erfordert. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt und die Betriebsver1221

Vgl. dazu auch noch unten § 5 R. Das Gesetz spricht nur in § 14a BetrVG ausdrücklich von einer „Wahlversammlung“; in § 17 BetrVG verwendet es den Begriff „Betriebsversammlung“. Der Sache nach handelt es sich jedoch in beiden Fällen um besondere Betriebsversammlungen, die möglicher Teil des Verfahrens bei Betriebsratswahlen sind. 1223 DKKW-Berg § 44 Rn. 3; Fitting § 44 Rn. 5; GK-Weber § 44 Rn. 5; HSWGNRWorzalla § 44 Rn. 3. 1224 DKKW-Berg § 44 Rn. 3; Fitting § 44 Rn. 5; GK-Weber § 44 Rn. 5; HSWGNRWorzalla § 44 Rn. 3. 1225 Vgl. Fitting § 44 Rn. 6; HK-BetrVG-Tautphäus § 44 Rn. 3; GK-Weber § 44 Rn. 5. 1226 DKKW-Berg § 44 Rn. 30; HK-BetrVG-Tautphäus § 44 Rn. 21; GK-Weber § 44 Rn. 49. 1227 DKKW-Berg § 44 Rn. 31; HK-BetrVG-Tautphäus § 44 Rn. 22; GK-Weber § 44 Rn. 50; vgl. dazu noch unten § 5 P.II. 1222

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sammlung findet dennoch außerhalb der Arbeitszeit statt, besteht kein Vergütungsanspruch der teilnehmenden Arbeitnehmer.1228 aa) Begriff der Arbeitszeit Umstritten ist, ob mit dem vom Gesetz verwendeten Begriff der Arbeitszeit die betriebliche Arbeitszeit oder die persönliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemeint ist. Die ganz überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur stellt auf die betriebliche Arbeitszeit ab.1229 Nur ein kleiner Teil der Literatur hält die persönliche Arbeitszeit für maßgeblich.1230 Zur Begründung wird angeführt, es handele sich bei § 44 Abs. 1 BetrVG um eine Arbeitnehmerschutzvorschrift, und der Schutz der Arbeitnehmer erfordere es, auf die persönliche Arbeitszeit abzustellen.1231 Zudem führe das Normverständnis der herrschenden Meinung in kontinuierlich laufenden Betrieben dazu, dass die gesamte zur Verfügung stehende Zeit Arbeitszeit sei und es daher Versammlungen im Sinne des § 44 Abs. 2 BetrVG, die außerhalb der Arbeitszeit stattfinden müssten, gar nicht geben könne.1232 Diese Einwände sind beachtlich, können aber nicht durchgreifen. Der Arbeitnehmerschutz erfordert es nicht, auf die persönliche statt auf die betriebliche Arbeitszeit abzustellen. Zwar kann es nach der überwiegenden Ansicht dazu kommen, dass Betriebsversammlungen außerhalb der persönlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers stattfinden, was eine zusätzliche Belastung des Arbeitnehmers darstellt. Dieser Nachteil wird jedoch durch die dafür gezahlte Vergütung ausgeglichen. Zudem käme es nach der Gegenauffassung in einer Vielzahl von Betrieben (einschließlich all jener, die im Schichtbetrieb arbeiten) zu der Situation, dass eine Veranstaltung der Betriebsversammlung innerhalb der persönlichen Arbeitszeit aller Arbeitnehmer gar nicht möglich wäre. § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG sieht aber vor, dass Betriebsversammlungen nur ausnahmsweise außerhalb der Arbeitszeit stattfinden. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis drohte sich umzukehren, stellte man auf die persönliche Arbeitszeit ab. Der hier vertretenen Ansicht lässt sich auch nicht überzeugend entgegenhalten, dass in kontinuierlichen Betrieben keine Versammlungen außerhalb der Arbeits-

1228 Vgl. BAG 27.11.1987 – 7 AZR 29/87, AP Nr. 7 zu § 44 BetrVG 1972; RichardiAnnuß § 44 Rn. 30; Fitting § 44 Rn. 27; GK-Weber § 44 Rn. 38. 1229 BAG 9.3.1976 – 1 ABR 74/74, AP Nr. 3 zu § 44 BetrVG 1972 mit zustimmender Anmerkung Meisel; Richardi-Annuß § 44 Rn. 4; Dütz/Schulin ZfA 1975, S. 103, 109 f.; Fitting § 44 Rn. 8; MünchArbR-Joost § 224 Rn. 18; GK-Weber § 44 Rn. 8. 1230 HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 4; GK-Fabricius (6. Auflage) § 44 Rn. 3 ff. 1231 HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 4. 1232 HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 4; vgl. auch GK-Fabricius (6. Auflage) § 44 Rn. 3.

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zeit nach § 44 Abs. 2 BetrVG mehr stattfinden können. Das mag der Sache nach zwar zutreffen. Es ist aber nicht erkennbar, dass deswegen auf die persönliche Arbeitszeit abgestellt werden müsste. Der Vorschrift verbleibt ein hinreichend großer Anwendungsbereich in nicht-kontinuierlichen Betrieben. Für die Maßgeblichkeit der betrieblichen Arbeitszeit spricht schließlich auch noch, dass § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG eine Aussprache unter allen Arbeitnehmern ermöglichen soll.1233 Der Sache nach in die gleiche Richtung weist die Argumentation des BAG, wonach die Betriebsversammlung gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 BetrVG von den Arbeitnehmern des Betriebs gebildet wird und daher die Arbeitsgemeinschaft der Belegschaft verkörpert. Muss die Betriebsversammlung während der Arbeitszeit stattfinden, ist die für diese Arbeitsgemeinschaft kennzeichnende Arbeitszeit maßgeblich, nämlich die betriebliche Arbeitszeit.1234 bb) Anforderungen an eine außerhalb der Arbeitszeit stattfindende Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG (1) Hohe Anforderungen Eine Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG darf nur ausnahmsweise außerhalb der Arbeitszeit stattfinden, soweit es die Eigenart des Betriebs zwingend erfordert. Der Wortlaut verdeutlicht die hohen Anforderungen, die hieran zu stellen sind. Dafür spricht auch der Charakter des § 44 Abs. 1 BetrVG als Arbeitnehmerschutzvorschrift.1235 Voraussetzung sind organisatorisch-technische Besonderheiten des Betriebs, die eine Veranstaltung der Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit gebieten, etwa, weil es anderenfalls zu einer untragbaren Störung eines eingespielten Betriebsablaufs käme.1236 Ein Beispiel hierfür ist der Fall, dass infolge der Veranstaltung der Betriebsversammlung während der Arbeitszeit die Produktion des Betriebs für einen ganzen Tag

1233 GK-Weber § 44 Rn. 8; vgl. auch BAG 27.11.1987 – 7 AZR 29/87, AP Nr. 7 zu § 44 BetrVG 1972; Henssler/Willemsen/Kalb-Diller § 44 BetrVG Rn. 6; Fitting § 44 Rn. 8; Meisel Anmerkung zu BAG 9.3.1976 – 1 ABR 74/74, AP Nr. 3 zu § 44 BetrVG 1972. 1234 BAG 9.3.1976 – 1 ABR 74/74, AP Nr. 3 zu § 44 BetrVG 1972. 1235 BAG 27.11.1987 – 7 AZR 29/87, AP Nr. 7 zu § 44 BetrVG 1972; Fitting § 44 Rn. 17; ebenfalls in der Sache für hohe Anforderungen DKKW-Berg § 44 Rn. 9 f.; Wlotzke/Preis/Kreft-Roloff § 44 Rn. 8; Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 28; HK-BetrVG-Tautphäus § 44 Rn. 10; GK-Weber § 44 Rn. 18; zurückhaltend hingegen Richardi-Annuß § 44 Rn. 9; vgl. zum Charakter als Schutzvorschrift auch HSWGNRWorzalla § 44 Rn. 4. 1236 Vgl. BAG 26.10.1956 – 1 ABR 26/54, AP Nr. 1 zu § 43 BetrVG mit Anmerkung Dietz; LAG Saarland 21.12.1960 – Ta 6/58, AP Nr. 2 zu § 43 BetrVG; DKKW-Berg § 44 Rn. 10, 12; Fitting § 44 Rn. 17; Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 28; GKWeber § 44 Rn. 18.

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stillgelegt werden müsste. Bloße wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers genügen nur, wenn bei Veranstaltung der Betriebsversammlung während der Arbeitszeit unverhältnismäßige Schäden drohen.1237 (2) Drohender Eingriff in den unternehmerischen Zweck Des Weiteren ist mit einigen Stimmen in der Literatur eine Ausnahme zu bejahen, wenn die Veranstaltung der Betriebsversammlung innerhalb der Arbeitszeit in die Erfüllung eines vom Arbeitgeber gesetzten unternehmerischen Zwecks eingriffe.1238 Diese Problematik spielt insbesondere bei Warenhäusern oder bei Verkehrsbetrieben eine Rolle, die an bestimmte Öffnungszeiten oder Fahrpläne gebunden sind.1239 Es beeinträchtigte die Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 GG in unverhältnismäßigem Maße, wenn die zeitliche Lage der Betriebsversammlung zu einer auch nur vorübergehenden Vereitelung des Zwecks des Betriebs führte und diese Belastung durch eine Verlegung der Betriebsversammlung vermieden werden könnte. Zwar kommt es dadurch zu einer Mehrbelastung der Arbeitnehmer. Diese wird aber durch die Vergütung der zusätzlich aufgewendeten Zeit gemäß § 44 Abs. 1 S. 3 BetrVG kompensiert. Das besondere Bedürfnis für eine Verlegung ergibt sich in diesen Fällen daraus, dass der Arbeitgeber die Störung des Betriebsablaufs, anders als bei gewöhnlichen Produktionsbetrieben, nicht einfach durch Vor- oder Nacharbeit ausgleichen kann.1240 Dieser Umstand verleiht dem Eingriff in die Unternehmerfreiheit eine besondere Intensität. Mit den hier erhobenen Einwänden setzen sich auch einige Autoren der Gegenauffassung auseinander und bemühen sich, die Folgen für den Arbeitgeber auf andere Weise abzumildern. Beispielsweise soll in Warenhäusern die Betriebsversammlung während umsatzschwächerer Geschäftszeiten anzusetzen sein.1241 Diese Instrumente erweisen sich jedoch als zu unbestimmt. Wann genau beginnen umsatzschwächere Geschäftszeiten, verglichen mit umsatzstärkeren? Nicht zuletzt der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit spricht daher dafür, bei Eingriffen 1237 Vgl. Wlotzke/Preis/Kreft-Roloff § 44 Rn. 9; GK-Weber § 44 Rn. 19; HSWGNRWorzalla § 44 Rn. 14; vgl. auch BAG 9.3.1976 – 1 ABR 74/74, AP Nr. 3 zu § 44 BetrVG 1972, wonach die Grenze bei auf der Eigenart des Betriebs (und nicht der Disposition des Arbeitgebers) beruhender absoluter wirtschaftlicher Unzumutbarkeit erreicht sein soll. Zurückhaltend DKKW-Berg § 44 Rn. 10. 1238 HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 15 f.; ähnlich auch Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 29, 29a; a. A. die herrschende Meinung, vgl. BAG 9.3.1976 – 1 ABR 74/ 74, AP Nr. 3 zu § 44 BetrVG 1972; Richardi-Annuß § 44 Rn. 12; GK-Weber § 44 Rn. 18, 20; vgl. auch DKKW-Berg § 44 Rn. 10 f. 1239 Zu weiteren Beispielen vgl. HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 16 f. 1240 HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 16. 1241 Vgl. Fitting § 44 Rn. 18; HK-BetrVG-Tautphäus § 44 Rn. 11; GK-Weber § 44 Rn. 20; ähnlich Richardi-Annuß § 44 Rn. 12.

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in den unternehmerischen Zweck die Veranstaltung der Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit zuzulassen. (3) Verhältnis von Betriebsvollversammlung außerhalb der Arbeitszeit und Betriebsteilversammlung innerhalb der Arbeitszeit Ist es wegen der Eigenart des Betriebs unmöglich, eine Betriebsvollversammlung während der Arbeitszeit durchzuführen, stellt sich die Frage, ob eine Teilversammlung während der Arbeitszeit oder eine Vollversammlung außerhalb der Arbeitszeit anzusetzen ist. In § 42 Abs. 1 S. 3 BetrVG ist geregelt, dass – soweit möglich – Betriebsvollversammlungen stattzufinden haben. Diese Regelung nehmen einige Autoren zum Anlass, einen Vorrang der Vollversammlung außerhalb der Arbeitszeit vor der Teilversammlungen während der Arbeitszeit zu postulieren, da die Eigenart des Betriebs die Veranstaltung von Teilversammlungen nicht erfordere.1242 § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG dagegen legt fest, dass Betriebsversammlungen grundsätzlich während der Arbeitszeit stattzufinden haben, es sei denn, es ist aufgrund der Eigenart des Betriebs nicht möglich. Daraus ziehen andere Stimmen den Schluss, die Teilversammlung während der Arbeitszeit sei gegenüber der Vollversammlung außerhalb der Arbeitszeit vorrangig, da die Eigenart des Betriebs die Veranstaltung einer Vollversammlung außerhalb der Arbeitszeit nicht erfordere.1243 Bezogen auf die beiden einzelnen Vorschriften vermag die geschilderte Argumentation jeweils zu überzeugen. Betrachtet man hingegen beide Normen zusammen im systematischen Kontext des BetrVG, zeigt sich, dass das Gesetz lediglich isoliert das Verhältnis von Voll- und Teilversammlung sowie von Betriebsversammlung innerhalb und außerhalb der Arbeitszeit regelt, nicht indes das Verhältnis beider Gesichtspunkte zueinander.1244 Beide möglichen Lösungen haben Vorteile: Für den Vorrang einer Vollversammlung außerhalb der Arbeitszeit spricht das Integrationsziel der Betriebsversammlung.1245 Der Vorrang von Teilversammlungen während der Arbeitszeit hingegen wahrt das Interesse der Arbeitnehmer, ihre Freizeit nicht opfern zu müssen.1246 Keiner dieser Aspekte ist normativ gewichtiger als der andere; beide sind vor dem Gesetz

1242 Herschel DB 1962, S. 237, 239 f.; differenzierend HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 20. 1243 LAG Hamm (Westfalen) 16.12.1959 – 4 BV Ta 75/55, BB 1960, S. 288; Rüthers ZfA 1974, S. 207, 210 f.; im Grundsatz auch Wlotzke/Preis/Kreft-Roloff § 44 Rn. 11. 1244 Vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Diller § 44 BetrVG Rn. 17; GK-Weber § 44 Rn. 22. 1245 Richardi-Annuß § 44 Rn. 13. 1246 Richardi-Annuß § 44 Rn. 13.

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gleichwertig.1247 Daraus leitet die ganz überwiegende Meinung in der Literatur einen Ermessensspielraum des Betriebsrats ab. Je nach den Umständen des Einzelfalls soll das eine oder das andere Modell vorzugswürdig sein.1248 Diese Lösung ist zwar unbefriedigend, da ein Ermessen des Betriebsrats vom Gesetz nicht vorgesehen ist. De lege lata ist aber keine andere Lösungsmöglichkeit ersichtlich, die allen zu berücksichtigenden Gesichtspunkten hinreichend gerecht wird. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass de lege ferenda die Vollversammlung außerhalb der Arbeitszeit gegenüber der Teilversammlung innerhalb der Arbeitszeit vorrangig sein sollte, da die Aufteilung einer Betriebsversammlung in mehrere Teilversammlungen die Kommunikationsmöglichkeiten der Arbeitnehmer in erheblichen Maße einschränkt und eine klärende Aussprache verhindern kann. Demgegenüber fällt das Freizeitopfer, das den Arbeitnehmern abverlangt wird, verhältnismäßig gering ins Gewicht, da Betriebsversammlungen nach § 43 Abs. 1 S. 1 BetrVG lediglich einmal vierteljährlich abzuhalten sind und darüber hinaus die aufgewendete Zeit vergütet wird. Zudem wird eine solche Lösung auch den Interessen des Arbeitgebers besser gerecht. Die Vergütung der Teilnahme an einer Vollversammlung außerhalb der Arbeitszeit nach § 43 Abs. 1 S. 3 BetrVG belastet ihn geringer als Störungen des Betriebsablaufs, die von mehreren zu unterschiedlichen Zeitpunkten innerhalb der Arbeitszeit stattfindenden Teilversammlungen ausgehen. c) Zulässige Dauer Die Betriebsversammlung dauert so lange, wie es die Abwicklung aller Tagesordnungspunkte erfordert.1249 Sie kann theoretisch unbegrenzt andauern, konkrete gesetzliche Vorgaben gibt es insoweit keine.1250 Der Versammlungsleiter hat aber dafür zu sorgen, dass das notwendige zeitliche Maß nicht überschritten wird.1251 Unzulässig ist es, vor der Versammlung eine Höchstdauer festzulegen, etwa durch eine Betriebsvereinbarung.1252 1247 Richardi-Annuß § 44 Rn. 13; DKKW-Berg § 44 Rn. 14; GK-Weber § 44 Rn. 22; Fitting § 44 Rn. 19. Die Auffassung des BAG (Urteil von 9.3.1976 – 1 ABR 74/74, AP Nr. 3 zu § 44 BetrVG 1972) in einem obiter dictum, „dass Vollversammlungen wegen der besseren Kommunikationsmöglichkeiten grundsätzlich Vorrang vor Teilversammlungen haben sollten“, ist zwar de lege ferenda zu begrüßen, findet jedoch de lege lata keine ausreichende Stütze im Gesetz. 1248 Henssler/Willemsen/Kalb-Diller § 44 BetrVG Rn. 17; Fitting § 44 Rn. 19; Stege/ Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 30; HK-BetrVG-Tautphäus § 44 Rn. 13; GK-Weber § 44 Rn. 22; ausdrücklich ablehnend HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 20. 1249 ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 4; GK-Weber § 44 Rn. 16; ähnlich Fitting § 44 Rn. 12; MünchArbR-Joost § 224 Rn. 26. 1250 ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 4; GK-Weber § 44 Rn. 16. 1251 HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 11; vgl. auch Richardi-Annuß § 44 Rn. 21. 1252 Fitting § 44 Rn. 14; GK-Weber § 44 Rn. 16; HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 11; a. A. Rüthers ZfA 1974, S. 207, 224.

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d) Teilnahme des Arbeitnehmers Voraussetzung für einen Entgeltanspruch nach § 44 Abs. 1 S. 2 ist schließlich noch, dass der Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG1253 an der Betriebsversammlung teilnimmt.1254 Kommt er stattdessen seiner Arbeitspflicht nach, was ihm freisteht, behält er seinen arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch. § 44 Abs. 1 S. 2, 3 BetrVG spielt in diesem Fall keine Rolle. Bleibt der Arbeitnehmer hingegen sowohl der Arbeit als auch der Betriebsversammlung fern, entfällt jeglicher Vergütungsanspruch. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn der Arbeitnehmer nicht an der Betriebsversammlung teilnimmt, sondern seine Arbeitsleistung erbringen möchte und das wegen der Betriebsversammlung unmöglich ist. In dieser Konstellation greift § 615 S. 3 BGB1255 zugunsten des Arbeitnehmers ein, da die Organisation von Betriebsversammlungen unter das Betriebsrisiko des Arbeitgebers fällt.1256 4. Rechtsfolgen a) Anwendung des Lohnausfallprinzips Umstritten ist die Berechnung der Höhe des Entgeltanspruchs. Die meisten Stimmen in Rechtsprechung und Literatur schließen von der jeweils von ihnen angenommenen Rechtsnatur auf die Berechnungsmethode: Der kleine Teil der Literatur, der § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 BetrVG als anspruchserhaltende Norm einstuft, möchte das Lohnausfallprinzip anwenden.1257 Demgegenüber lehnt die überwiegende Ansicht1258 das Lohnausfallprinzip mit Verweis auf den Charakter als eigenständige Anspruchsgrundlage ab. Es soll aber stattdessen auch nicht etwa die Bezugsmethode gelten, sondern offenbar eine autonome, allein an § 44 1253

Vgl. zum betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff oben § 5 N.I. 1.c)aa); vgl. ferner zum Teilnahmerecht von Auszubildenden BAG 24.8.2011 – 7 ABR 8/10, NZA 2012, S. 223 ff. 1254 Richardi-Annuß § 44 Rn. 53; Fitting § 44 Rn. 26; MünchArbR-Joost § 224 Rn. 100; HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 26. 1255 Siehe zu Einzelheiten dieser Vorschrift oben § 5 I. 1256 MünchArbR-Joost § 224 Rn. 100–102; ebenfalls für einen Vergütungsanspruch (teilweise gestützt auf § 615 S. 1 BGB) Richardi-Annuß § 44 Rn. 53; Fitting § 44 Rn. 35; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 8; a. A. unter Verweis auf die angebliche gesetzgeberische Wertung des § 44 GK-Weber § 44 Rn. 65; im Ergebnis ebenso DKKW-Berg § 44 Rn. 26; Wlotzke/Preis/Kreft-Roloff § 44 Rn. 16; Stege/Weinspach/ Schiefer §§ 42–46 Rn. 53; HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 26. 1257 HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27; Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a; ebenso Matthes Lohnzahlung Rn. 222, der aber auf die Frage der Rechtsnatur nicht eingeht; für die Anwendung eines modifizierten Lohnausfallprinzips auch Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 137 f., der wohl ebenfalls von einer anspruchserhaltenden Norm ausgeht (vgl. S. 139). 1258 Richardi-Annuß § 44 Rn. 27; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 5; GKWeber § 44 Rn. 31; Fitting § 44 Rn. 26; im Ergebnis ebenso BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972.

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Abs. 1 S. 2, 3 BetrVG orientierte Berechnung vorgenommen werden.1259 Die Höhe der Vergütung orientiere sich an dem Entgeltanspruch, der dem Arbeitnehmer sonst für seine Arbeitsleistung während der im Betrieb üblichen Arbeitszeit zustehe.1260 Im Unterschied zum Lohnausfallprinzip entfalle die hypothetische Betrachtung (wie viel hätte der Arbeitnehmer verdient, wenn er gearbeitet hätte, statt an der Betriebsversammlung teilzunehmen?).1261 Diese Ansätze überzeugen nicht. Wie bereits oben1262 erwähnt worden ist, kann man von der Rechtsnatur eines Tatbestands nicht auf die Berechnungsmethode schließen. Es steht dem Gesetzgeber vielmehr frei, bei einem Tatbestand, den er wie § 44 Abs. 1 S. 2, 3 BetrVG als eigenständige Anspruchsgrundlage ausgestaltet hat, auf Rechtsfolgenseite die Geltung des Lohnausfallprinzips, der Bezugsmethode oder irgendeiner anderen Berechnungsmethode anzuordnen. Die anwendbare Berechnungsmethode ist durch Auslegung zu ermitteln. Gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG soll eine Vergütung „wie Arbeitszeit“ erfolgen, ohne dass es sich nach zutreffender Ansicht um ebensolche handelt.1263 Bei einer Vergütung „wie Arbeitszeit“ wird der Arbeitnehmer ebenso gestellt, als ob er während der Zeit der Betriebsversammlung gearbeitet hätte. Somit liegt eine Anwendung des Lohnausfallprinzips nahe, das den Arbeitnehmer so stellt, als ob er während der Betriebsversammlung gearbeitet hätte.1264 Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die dem Lohnausfallprinzip immanente hypothetische Betrachtungsweise nicht anwendbar sein soll.1265 Im Gegenteil drängt sich aufgrund der Wortwahl des Gesetzgebers („wie Arbeitszeit zu vergüten“) eine solche hypothetische Betrachtung geradezu auf. Auch aus der Entstehungsgeschichte folgt entgegen der Auffassung des BAG nichts anderes. Das BAG1266 stellt zunächst fest, dass die Entstehungsgeschichte eher gegen die Anwendung des Lohnausfallprinzips spreche. In der Folge führt das BAG dann aber lediglich aus, warum die Entstehungsgeschichte die Anwendung des Lohnausfallprinzips nicht zwingend gebiete, sondern ebenso eine andere Berechnungsmethode zulasse. Dieser Schluss ist für sich genommen schon zweifelhaft, da der Gesetzgeber mit § 44 1259 Richardi-Annuß § 44 Rn. 27; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Diller § 44 BetrVG Rn. 23 f.; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 5, 8; GK-Weber § 44 Rn. 32 f., 40 ff. 1260 Vgl. ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 8; Wlotzke/Preis/Kreft-Roloff § 44 Rn. 13; GK-Weber § 44 Rn. 40. 1261 GK-Weber § 44 Rn. 31; Fitting § 44 Rn. 26; vgl. auch Richardi-Annuß § 44 Rn. 27, 32. 1262 Siehe oben § 4 C. 1263 Das ergibt sich aus der Rechtsnatur des § 44 Abs. 1 S. 2, 3 BetrVG als eigenständige Anspruchsgrundlage, vgl. dazu oben § 5 P.I.1. 1264 Siehe dazu oben § 4 B.I. 1265 So aber GK-Weber § 44 Rn. 31; Fitting § 44 Rn. 26; vgl. auch Richardi-Annuß § 44 Rn. 27, 32. 1266 BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972.

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Abs. 1 BetrVG lediglich sicherstellen wollte, dass die Arbeitnehmer „keine finanziellen Nachteile“ erleiden sollen.1267 Die Arbeitnehmer sollen folglich ebenso stehen, als ob sie gearbeitet hätten, und dieses Ziel lässt sich durch das Lohnausfallprinzip am besten erreichen. Doch selbst wenn man dem BAG zugestünde, dass die Entstehungsgeschichte nicht zwangsläufig die Anwendung des Lohnausfallprinzips gebietet, bedeutet das noch nicht, dass diese gegen die Anwendung des Lohnausfallprinzips spricht. Vielmehr verhielte sich die Entstehungsgeschichte dann zur Frage der Berechnungsmethode neutral. Aus der Anwendung des Lohnausfallprinzips ergeben sich insbesondere zwei Konsequenzen: Erstens ist festzustellen, dass es trotz der hypothetischen Betrachtung für den Vergütungsanspruch keine Rolle spielt, ob die Betriebsversammlung außerhalb oder innerhalb der persönlichen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers stattfindet.1268 Bei Anwendung des Lohnausfallprinzips ist nicht bloß das Fehlen des Verhinderungsgrunds (in diesem Fall die Teilnahme an der Betriebsversammlung), sondern die Erbringung der Arbeitsleistung zu unterstellen.1269 Somit ergibt sich in beiden Konstellationen ein Entgeltanspruch. Zweitens hat die Anwendung des Lohnausfallprinzips Folgen für etwaige Zuschläge oder Kürzungen. Findet die Betriebsversammlung an einem Sonn- oder Feiertag statt und stünden dem Arbeitnehmer für an diesen Tagen geleistete Arbeit Sonn- oder Feiertagszuschläge zu, erhält der Arbeitnehmer entsprechende Zuschläge für die Teilnahme an der Betriebsversammlung.1270 Entsprechendes gilt für Mehrarbeitszuschläge, die dem Arbeitnehmer zustünden, wenn gearbeitet hätte, statt an der Betriebsversammlung teilzunehmen.1271 Spiegelbildlich ist der Anspruch entsprechend zu kürzen, wenn in dem Betrieb Kurzarbeit angeordnet ist.1272 b) Vergütung von Wegezeiten und Erstattung zusätzlicher Fahrtkosten Gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG umfasst der Vergütungsanspruch auch zusätzliche Wegezeiten. Zusätzliche Wegezeiten sind solche, die der Arbeitnehmer über 1267

BT-Drs. 6/1786, S. 42. Insoweit zutreffend Richardi-Annuß § 44 Rn. 32; vgl. auch BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972. 1269 Vgl. zu diesem Verständnis des Lohnausfallprinzips schon oben § 4 B.I. 1270 Ebenso Richardi-Annuß § 44 Rn. 37; DKKW-Berg § 44 Rn. 19; Fitting § 44 Rn. 31, a. A. BAG 1.10.1974 – 1 AZR 394/73, AP Nr. 2 zu § 44 BetrVG 1972; HKBetrVG-Tautphäus § 44 Rn. 16; GK-Weber § 44 Rn. 42. 1271 Ebenso DKKW-Berg § 44 Rn. 20; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 8; vgl. auch BAG 18.9.1973 – 1 AZR 116/73, AP Nr. 1 zu § 44 BetrVG 1972; a. A. GKWeber § 44 Rn. 42. 1272 Im Ergebnis wohl ebenso HSWGNR-Worzalla Rn. 27; a. A. BAG 5.5.1987 – 1 AZR 666/85, AP Nr. 6 zu § 44 BetrVG 1972; Richardi-Annuß § 44 Rn. 35; Fitting § 44 Rn. 30; GK-Weber § 44 Rn. 36. 1268

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die Zeit hinaus aufwenden muss, die er ohnehin benötigt, um seinen Arbeitsort zu erreichen. Sie können zum Beispiel entstehen, wenn die Betriebsversammlung zwar innerhalb der betrieblichen, jedoch außerhalb der persönlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers stattfindet.1273 Findet die Betriebsversammlung wegen der Eigenart des Betriebs außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit statt, wird zudem § 44 Abs. 1 S. 3 BetrVG angewendet. Danach erhält der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Ersatz zusätzlich angefallener Fahrtkosten. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Kosten der Betriebssphäre des Arbeitgebers zuzurechnen ist.1274 Es ist dem Arbeitgeber unzumutbar, die Kosten tragen zu müssen, wenn er deren Entstehung und Höhe nicht beeinflussen kann. Der Betriebssphäre zuzurechnen sind die Fahrtkosten, wenn die Betriebsversammlung an einem räumlich vom Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weit entfernten Ort stattfindet. Hingegen sind die Kosten einer Anreise aus dem Urlaub dem Arbeitnehmer zuzurechnen, da der Arbeitgeber den Urlaubsort des Arbeitnehmers und die dadurch bedingte Höhe der Anreisekosten nicht bestimmen kann.1275 Der Anspruch auf Fahrtkostenersatz wird nach zutreffender Ansicht nicht durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt.1276 Für eine solche Beschränkung besteht kein Anhaltspunkt im Gesetz. Gerade bei weiten, kostenintensiven Anreisen wird der Arbeitnehmer sein Recht zu Teilnahme an der Betriebsversammlung nur ausüben, wenn ihm hierdurch keine finanziellen Nachteile entstehen. Da das Gesetz bezweckt, die Teilnahme an Betriebsversammlungen zu fördern1277 und zugleich davon ausgeht, dass dem Arbeitnehmer durch die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Rechte keine Nachteile entstehen sollen,1278 ist eine Begrenzung durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip abzulehnen. Fahrtkosten können auch für Arbeitnehmer anfallen, die sich für eine Betriebsversammlung in den Betrieb begeben, die innerhalb der betrieblichen, jedoch außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit stattfindet. Da eine Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen wäre, ist in diesen Konstellationen § 44 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 1273 GK-Weber § 44 Rn. 45; vgl. auch DKKW-Berg § 44 Rn. 22; Fitting § 44 Rn. 36; Wlotzke/Preis/Kreft-Roloff § 44 Rn. 14; HK-BetrVG-Tautphäus § 44 Rn. 17. 1274 Anders wohl die herrschende Meinung, die – soweit ersichtlich – ein solches Erfordernis nicht erwähnt. 1275 Vgl. Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 51; HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 45; vgl. auch für im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer Richardi-Annuß Vor § 42 Rn. 9; für die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit von urlaubsbedingten Reisekosten hingegen BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972; wohl auch Fitting § 44 Rn. 41; einschränkend GK-Weber § 44 Rn. 46. 1276 So aber GK-Weber § 44 Rn. 46; HSWGNR-Worzalla § 45 Rn. 50; wie hier hingegen DKKW-Berg § 44 Rn. 25; wohl auch Fitting § 44 Rn. 41. 1277 Vgl. oben § 5 P.I.2. 1278 Vgl. DKKW-Berg § 44 Rn. 25.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

BetrVG analog anzuwenden.1279 Entsprechendes gilt, wenn die Betriebsversammlung zwar während der persönlichen und betrieblichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers stattfindet, der Arbeitnehmer aber aus betrieblichen Gründen hierzu gesondert anreisen muss, etwa, weil der Arbeitgeber ihn weit entfernt vom Ort der Betriebsversammlung einsetzt. c) Rechtsfolgen bei Verlust des Charakters als Betriebsversammlung Werden auf einer Betriebsversammlung Themen behandelt, die mit dem Betrieb in keinem Zusammenhang stehen oder sind auf ihr in nennenswertem Maße nicht teilnahmeberechtigte Personen anwesend und wird die Versammlung dadurch von ihrem eigentlichen Zweck entfremdet, verliert sie ihren Charakter als Betriebsversammlung. In diesem Fall entfällt nach einer Ansicht grundsätzlich die Vergütungspflicht des Arbeitgebers für den entsprechenden Zeitraum.1280 Es liege überhaupt keine Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG mehr vor, und die Vergütungspflicht sei eben daran geknüpft.1281 Eine andere Auffassung meint hingegen, der Vergütungsanspruch des einzelnen Arbeitnehmers bleibe auch in diesen Fällen uneingeschränkt bestehen, sofern sich die Versammlung nicht faktisch aufgelöst habe.1282 Der einzelne Arbeitnehmer habe keinen Einfluss darauf, ob die Versammlung rechtmäßig verlaufe.1283 Diesem Argument ist jedoch entgegenzuhalten, dass es dem Arbeitnehmer jederzeit freisteht, die Betriebsversammlung zu verlassen und dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung wieder anzubieten, um somit den arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch zu erlangen. Es ist daher aus Arbeitnehmerschutzgesichtspunkten nicht erforderlich, den Arbeitgeber mit einer uneingeschränkten Vergütungspflicht zu belasten. Ausnahmsweise kann der Arbeitgeber aber dennoch zur Zahlung der Vergütung verpflichtet sein, wenn er es unterlässt, die Arbeitnehmer auf die Gesetzeswidrigkeit hinzuweisen.1284 Den Arbeitgeber trifft eine Verantwortung oder Fürsorgepflicht dafür, dass die in seinem Betrieb abgehaltenen Versammlungen nicht gegen das BetrVG verstoßen. Unterlässt der Arbeitgeber einen entsprechenden Hinweis, schafft er einen Vertrauenstatbestand, aufgrund dessen die Arbeitneh1279 Richardi-Annuß § 44 Rn. 41; Fitting § 44 Rn. 39; GK-Weber § 44 Rn. 46; HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 46. 1280 H.M., LAG Düsseldorf 22.1.1963 – 8 Sa 444/62, AP Nr. 7 zu § 43 BetrVG; Richardi-Annuß § 44 Rn. 51; Fitting § 44 Rn. 34; Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 53; GK-Weber § 44 Rn. 55. 1281 Vgl. GK-Weber § 44 Rn. 55. 1282 HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 32; kritisch gegenüber der h. M. auch MünchArbR-Joost § 224 Rn. 91 f. 1283 HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 32. 1284 BAG 23.10.1991 – 7 AZR 249/90, AP Nr. 5 zu § 43 BetrVG 1972; LAG BadenWürttemberg 17.2.1987 – 8 (14) Sa 106/86, DB 1987, S. 1441, 1441 f.; Richardi-Annuß § 44 Rn. 52; Fitting § 44 Rn. 34; GK-Weber § 44 Rn. 55 f.

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mer davon ausgehen können, dass die Betriebsversammlung mit dem Gesetz in Einklang steht und ihnen ein Vergütungsanspruch zusteht. Dann muss ihn auch eine Vergütungspflicht aus Vertrauenshaftung treffen.1285 Ein solcher Vertrauenstatbestand liegt aber nicht vor, wenn kein Vertreter des Arbeitgebers an der Veranstaltung teilnimmt. In dieser Situation dürfen die Arbeitnehmer auch nicht darauf vertrauen, dass der Arbeitgeber die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Versammlung übernimmt.1286 II. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 2 BetrVG 1. Systematische Einordnung Außerordentliche Betriebsversammlungen nach § 43 Abs. 3 S. 1 BetrVG, die vom Betriebsrat oder auf Verlangen eines Viertels der wahlberechtigten Arbeitnehmer einberufen werden, müssen regelmäßig außerhalb der Arbeitszeit stattfinden (vgl. § 44 Abs. 2 S. 1 BetrVG). Ein Vergütungsanspruch besteht gemäß § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG nur ausnahmsweise, wenn die Versammlung im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber während der Arbeitszeit stattfindet. Anders als bei dem Anspruch aus Abs. 1 wird im Zusammenhang mit Abs. 2 die Frage der Rechtsnatur nicht kontrovers diskutiert. Nach allgemeiner Ansicht hat die Norm anspruchserhaltenden Charakter.1287 Dem ist zuzustimmen. Anders als bei Abs. 1 ist der Wortlaut von Abs. 2 eindeutig: Bei der vom Arbeitgeber zu zahlenden Vergütung handelt es sich um das „Arbeitsentgelt“ selbst und nicht um ein Aliud. Auch ein systematischer Vergleich mit § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG stützt diese Sichtweise. Die dort vom Gesetzgeber gewählte Formulierung ist mit der von § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG nahezu identisch, und auch bei dieser Vorschrift handelt es sich um einen anspruchserhaltenden Tatbestand.1288 2. Telos Mit § 44 Abs. 2 BetrVG wollte der Gesetzgeber die Interessen von Belegschaft, Betriebsrat und Arbeitgeber ausgleichen. Einerseits soll es dem Betriebsrat und den Arbeitnehmern unbenommen bleiben, jederzeit und theoretisch unbegrenzt Betriebsversammlungen nach § 43 Abs. 3 S. 1 BetrVG abzuhalten. Andererseits soll der Arbeitgeber hierdurch nicht belastet werden, weswegen nach 1285

Richardi-Annuß § 44 Rn. 52; GK-Weber § 44 Rn. 55. Weitergehend offenbar Richardi-Annuß § 44 Rn. 52, der eine Vergütungspflicht auch annimmt, wenn der Arbeitgeber an der Versammlung nicht teilnimmt, aber zuvor über sie unterrichtet worden ist. 1287 GK-Weber § 44 Rn. 53; Wlotzke/Preis/Kreft-Roloff § 44 Rn. 18; wohl auch Richardi-Annuß § 44 Rn. 46. 1288 Siehe dazu oben § 5 O.I. 1286

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§ 44 Abs. 2 S. 1 BetrVG im Regelfall kein Vergütungsanspruch vorgesehen ist. Wenn aber der Arbeitgeber einer Versammlung während der Arbeitszeit zustimmt, sollen die Arbeitnehmer keine Entgeltminderung hinnehmen müssen.1289 Dadurch werden sie davor geschützt, durch die Betriebsversammlung finanzielle Nachteile zu erleiden. Folglich handelt es sich bei § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG in erster Linie um eine Schutzbestimmung zugunsten der Arbeitnehmer.1290 Mittelbar wird auch die Teilnahmebereitschaft gestärkt, so dass dem Tatbestand eine Anreizfunktion zukommt. Sie steht aber nicht derart im Vordergrund wie bei § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG.1291 3. Tatbestand a) Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 1 BetrVG Ein Anspruch nach § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG setzt voraus, dass eine Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 1 BetrVG vorliegt. Eine solche Versammlung kann entweder auf Wunsch des Betriebsrats1292 oder eines Viertels der wahlberechtigten Arbeitnehmer einberufen werden (vgl. § 43 Abs. 3 S. 1 BetrVG).1293 b) Während der Arbeitszeit Die Versammlung muss während der Arbeitszeit stattfinden. Ebenso wie bei § 44 Abs. 1 BetrVG ist damit zwar die betriebliche Arbeitszeit gemeint.1294 Ein Entgeltanspruch des betreffenden Arbeitnehmers besteht aber nur, wenn er daran während seiner persönlichen Arbeitszeit (einschließlich etwaiger Überstunden und Kurzarbeit) teilnimmt.1295 Das folgt daraus, dass Abs. 2 im Gegensatz zu Abs. 1 lediglich eine Minderung des Arbeitsentgelts verbietet.1296 Eine solche 1289

Vgl. GK-Weber § 44 Rn. 3. BAG 27.11.1987 – 7 AZR 29/87, AP Nr. 7 zu § 44 BetrVG 1972; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 1. 1291 Vgl. zur Bedeutung der Anreizfunktion bei § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG oben § 5 P.I.2. 1292 Zu Versammlungen in diesem Sinne gehören nicht solche, die der Betriebsrat gemäß § 43 Abs. 1 BetrVG einberuft; insoweit greift vorrangig § 44 Abs. 1 BetrVG. 1293 DKKW-Berg § 44 Rn. 29; Fitting § 44 Rn. 43; HK-BetrVG-Tautphäus § 44 Rn. 21; GK-Weber § 44 Rn. 5. 1294 Richardi-Annuß § 44 Rn. 45; Fitting § 44 Rn. 43, 8; GK-Weber § 44 Rn. 49, 8 ff.; vgl. dazu bereits oben § 5 P.I.3.b)aa). Bei dauerhaft arbeitenden Betrieben führt dieses Begriffsverständnis dazu, dass Versammlungen im Sinne des § 44 Abs. 2 BetrVG vorbehaltlich des Einvernehmens des Arbeitgebers nicht als Voll-, sondern lediglich als Teilversammlung außerhalb der persönlichen Arbeitszeit der jeweils daran teilnehmenden Arbeitnehmer stattfinden können. 1295 Richardi-Annuß § 44 Rn. 46; DKKW-Berg § 44 Rn. 32; Fitting § 44 Rn. 46; GK-Weber § 44 Rn. 54. 1296 Richardi-Annuß § 44 Rn. 46; DKKW-Berg § 44 Rn. 32; Fitting § 44 Rn. 46. 1290

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droht nicht, wenn die Versammlung außerhalb der persönlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers stattfindet. c) Im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber Weiterhin ist das Einvernehmen des Arbeitgebers zur Veranstaltung während der Arbeitszeit erforderlich. Einvernehmen in diesem Sinne bedeutet Einwilligung und damit vorherige Zustimmung.1297 Es bedarf einer formlosen ausdrücklichen oder schlüssigen Willenserklärung des Arbeitgebers.1298 Aber auch wenn es daran fehlt, kann ein Entgeltanspruch aus Vertrauenshaftung bestehen, sofern der Arbeitgeber von der bevorstehenden Versammlung Kenntnis erlangt hat und es dennoch unterlässt, die Arbeitnehmer auf sein fehlendes Einvernehmen hinzuweisen.1299 In diesem Fall setzt der Arbeitgeber einen ihm zurechenbaren Rechtsschein, der haftungsbegründend wirkt. Der Arbeitgeber ist in seiner Entscheidung über das Einvernehmen frei und ungebunden.1300 Es kann weder durch einen Spruch der Einigungsstelle noch durch ein gerichtliches Urteil ersetzt werden.1301 Der Arbeitgeber kann sein Einvernehmen in zeitlicher Hinsicht auf eine bestimmte Dauer und auch in thematischer Hinsicht beschränken.1302 Unzulässig ist es nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes jedoch, das Einvernehmen unter der Bedingung zu erteilen, kein Entgelt zu zahlen.1303 d) Teilnahme des betreffenden Arbeitnehmers Schließlich ist Voraussetzung, dass der betreffende Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG1304 an der Betriebsversammlung teilnimmt. Fehlt es hieran, gelten die gleichen Grundsätze wie bei Abwesenheit von einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG.1305 1297

GK-Weber § 44 Rn. 24. Vgl. Richardi-Annuß § 44 Rn. 17; GK-Weber § 44 Rn. 26. 1299 LAG Baden-Württemberg 17.2.1987 – 8 (14) Sa 106/86, DB 1987, S. 1441, 1441 f.; Richardi-Annuß § 44 Rn. 48; DKKW-Berg § 44 Rn. 31; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 7; GK-Weber § 44 Rn. 58. 1300 GK-Weber § 44 Rn. 24. 1301 HK-BetrVG-Tautphäus § 44 Rn. 23; GK-Weber § 44 Rn. 24; HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 21. 1302 Richardi-Annuß § 44 Rn. 47; Fitting § 44 Rn. 21; GK-Weber § 44 Rn. 16, 26; vgl. auch HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 11. 1303 Vgl. Richardi-Annuß § 44 Rn. 47; DKKW-Berg § 44 Rn. 31; Fitting § 44 Rn. 43. 1304 Vgl. zum betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff oben § 5 N.I.1. c)aa). 1305 Siehe dazu oben § 5 P.I.3.d). 1298

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

4. Rechtsfolgen Liegen die Voraussetzungen von § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG vor, darf das Arbeitsentgelt des betreffenden Arbeitnehmers nicht gemindert werden. Es gilt nach einhelliger Meinung hinsichtlich des Geld- und des Zeitfaktors das Lohnausfallprinzip.1306 Aufgrund der Formulierung des Gesetzes besteht darüber hinaus kein Anspruch auf Vergütung zusätzlicher Wegezeiten oder Erstattung zusätzlicher Fahrtkosten.1307 Hypothetische Überstunden, Kurzarbeit sowie Zulagen sind bei der Berechnung der Vergütung zu berücksichtigen.1308 Verliert die Versammlung ihren Charakter als Betriebsversammlung, gelten dieselben Grundsätze wie bei Versammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG.1309

Q. Vergütungsanspruch bei Besuch von Sprechstunden oder sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) § 39 Abs. 3 BetrVG vermittelt Arbeitnehmern einen Entgeltanspruch für die Arbeitszeit, die infolge eines Besuchs von Sprechstunden oder einer sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats ausfällt.1310 Richtet die Jugend- und Auszubildendenvertretung eine Sprechstunde ein, folgt der Vergütungsanspruch der teilnehmenden Arbeitnehmer aufgrund des Rechtsgrundverweises in § 69 S. 3 BetrVG ebenfalls aus § 39 Abs. 3 BetrVG.1311 I. Systematische Einordnung Die Frage der Rechtsnatur des § 39 Abs. 3 BetrVG wird kaum beachtet. Soweit ersichtlich, spricht lediglich Glock diese Thematik an. Er geht von einer anspruchserhaltenden Norm aus.1312 1306 MünchArbR-Joost § 224 Rn. 104; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 7; GK-Weber § 44 Rn. 53 f.; vgl. allgemein zum Lohnausfallprinzip oben § 4 B.I. 1307 DKKW-Berg § 44 Rn. 33; Fitting § 44 Rn. 44; MünchArbR-Joost § 224 Rn. 104; GK-Weber § 44 Rn. 53. 1308 Vgl. GK-Weber § 44 Rn. 54; Fitting § 44 Rn. 45. 1309 Siehe oben § 5 P.I.4.c). 1310 Die Entgeltfortzahlung für die teilnehmenden Betriebsratsmitglieder richtet sich nach § 37 Abs. 2, 3 BetrVG und § 38 BetrVG; vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 39 BetrVG Rn. 7. 1311 Vgl. ErfK-Koch (12. Auflage) § 69 BetrVG Rn. 1; GK-Oetker § 69 Rn. 31; Henssler/Willemsen/Kalb-Schrader § 69 BetrVG Rn. 8. Die Vergütung der Mitglieder der Jugend- und Auszubildenden-Vertretung richtet sich hingegen nach § 65 Abs. 1 i.V. m. § 37 Abs. 2 BetrVG, vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Schrader § 69 BetrVG Rn. 8. 1312 HSWGNR-Glock § 39 Rn. 23.

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Glock ist zuzustimmen. Vor allem der Wortlaut („berechtigt den Arbeitgeber nicht zur Minderung des Arbeitsentgelts“) weist in diese Richtung. Doch auch die systematische Auslegung stützt dieses Normverständnis. Der Gesetzgeber wählte in § 42 Abs. 2 S. 2 BetrVG eine sehr ähnliche Formulierung; dieser Vorschrift kommt nach allgemeiner Ansicht eine anspruchserhaltende Funktion zu.1313 II. Telos Sprechstunden sollen die Kommunikation zwischen dem Betriebsrat und den einzelnen Arbeitnehmern erleichtern.1314 Durch Gespräche in Sprechstunden können potentielle Konflikte möglichst frühzeitig, formlos und unkompliziert entschärft werden. Dadurch wird der Betriebsfrieden gefördert, was den Interessen der Arbeitnehmer, des Betriebsrats und des Arbeitgebers dient.1315 Auch die Institutionalisierung dieser Kontaktmöglichkeit liegt im Interesse aller Beteiligten.1316 Die Arbeitnehmer erhalten die Gewissheit, zu bestimmten Zeiten während der Arbeitszeit mit Betriebsratsmitgliedern sprechen zu können.1317 Letztere wiederum müssen nicht ständig damit rechnen, von Arbeitnehmeranliegen fortlaufend in ihrer Arbeit unterbrochen zu werden. Zudem können sie sich gezielter vorbereiten.1318 Der Arbeitgeber profitiert vor allem dadurch, dass bei der zeitlichen Festlegung der Sprechstunde die betrieblichen Interessen berücksichtigt werden können und er weiß, wann er mit Arbeitsausfällen aufgrund von Sprechstundenbesuchen zu rechnen hat.1319 Die in § 39 Abs. 3 BetrVG angeordnete Entgeltfortzahlung soll es den Arbeitnehmern erleichtern und einen Anreiz dafür setzen, die Kontaktmöglichkeit durch einen Sprechstundenbesuch wahrzunehmen. Es ist anzunehmen, dass sonst aufgrund der drohenden Einkommensausfälle nur sehr wenige Arbeitnehmer davon Gebrauch machen würden. Diese Anreizfunktion ist aber nicht in der Geset-

1313

Siehe oben § 5 P.II.1. Vgl. Richardi-Thüsing § 39 Rn. 2; GK-Weber § 39 Rn. 1; Henssler/Willemsen/ Kalb-Reichold § 39 BetrVG Rn. 1. 1315 BAG 23.6.1983 – 6 ABR 65/80, AP Nr. 45 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 39 Rn. 1; GK-Weber § 39 Rn. 1; demgegenüber nehmen HSWGNR-Glock § 39 Rn. 4 und ErfK-Koch § 39 BetrVG Rn. 1 an, dass die Sprechstunde vor allem den Interessen des Arbeitnehmers dient. 1316 Fitting § 39 Rn. 1; GK-Weber § 39 Rn. 1. 1317 BAG 23.6.1983 – 6 ABR 65/80, AP Nr. 45 zu § 37 BetrVG 1972; Stege/Weinspach/Schiefer § 39 Rn. 3a; GK-Weber § 39 Rn. 1. 1318 BAG 23.6.1983 – 6 ABR 65/80, AP Nr. 45 zu § 37 BetrVG 1972; Stege/Weinspach/Schiefer § 39 Rn. 3a; GK-Weber § 39 Rn. 1; Fitting § 39 Rn. 1. 1319 BAG 23.6.1983 – 6 ABR 65/80, AP Nr. 45 zu § 37 BetrVG 1972; Stege/Weinspach/Schiefer § 39 Rn. 3a; GK-Weber § 39 Rn. 1; Fitting § 39 Rn. 1. 1314

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zesbegründung verankert und steht nicht so sehr im Vordergrund wie etwa bei § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG.1320 Die Entgeltfortzahlung für eine sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats dient dem gleichen Zweck in Betrieben, in denen der Betriebsrat auf die Einrichtung der – fakultativen – Sprechstunde verzichtet hat. Zudem soll verhindert werden, dass Arbeitnehmer durch die Wahrnehmung anderer betriebsverfassungsrechtlicher Rechte Nachteile erleiden, etwa bei Einlegung einer Beschwerde nach § 85 BetrVG. Damit dient die gesamte Entgeltfortzahlungsregelung des § 39 Abs. 3 BetrVG auch der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der im BetrVG vorgesehenen Betriebsverfassung. III. Tatbestand Ein Entgeltanspruch im Sinne des § 39 Abs. 3 BetrVG setzt voraus, dass der Arbeitnehmer entweder eine Sprechstunde des Betriebsrats besucht (sogleich 1.) oder diesen sonst in Anspruch nimmt (sogleich 2.). 1. Besuch einer Sprechstunde a) Einrichtung Zunächst muss der Betriebsrat beschließen, eine Sprechstunde einzurichten. Diese Entscheidung liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen.1321 Er bedarf dazu keiner Ermächtigung des Arbeitgebers.1322 Soll die Sprechstunde nach dem Willen des Betriebsrats während der betrieblichen Arbeitszeit stattfinden, muss er sich über Ort und Zeit gemäß § 39 Abs. 1 S. 2 BetrVG mit dem Arbeitgeber einigen. Kommt keine Einigung zustande, kann der Betriebsrat einen verbindlichen Spruch der Einigungsstelle herbeiführen, der die fehlende Einigung ersetzt (vgl. § 39 Abs. 1 S. 3, 4 BetrVG). Über Sprechstunden, die außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit stattfinden, entscheidet der Betriebsrat hingegen eigenverantwortlich.1323 Unter den Begriff der „Zeit“ der Sprechstunde, über die sich der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber nach § 39 Abs. 1 S. 2 BetrVG bei Durchführung der Sprech1320

Vgl. zur Bedeutung der Anreizfunktion bei § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG oben § 5

P.I.2. 1321 Fitting § 39 Rn. 5; HSWGNR-Glock § 39 Rn. 5; Richardi-Thüsing § 39 Rn. 3; vgl. auch GK-Weber § 39 Rn. 11, der aber für den Fall eines offensichtlichen Bedürfnisses den Betriebsrat dazu verpflichtet hält, eine Sprechstunde einzurichten. 1322 Fitting § 39 Rn. 5; HSWGNR-Glock § 39 Rn. 5; Richardi-Thüsing § 39 Rn. 3; GK-Weber § 39 Rn. 11. 1323 Fitting § 39 Rn. 11; Richardi-Thüsing § 39 Rn. 6; GK-Weber § 39 Rn. 14; DKKW-Wedde § 39 Rn. 12; a. A. unter Verweis auf den angeblich eindeutigen Gesetzeswortlaut HSWGNR-Glock § 39 Rn. 6.

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stunde während der betrieblichen Arbeitszeit einigen muss, fällt zweifellos die zeitliche Lage und die Häufigkeit.1324 Umstritten ist jedoch, ob auch über die Dauer der Sprechstunden eine Einigung erzielt werden muss. Während eine Ansicht die Frage bejaht,1325 nehmen andere Stimmen an, dass allein der Betriebsrat unter Berücksichtigung von Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit entscheiden soll.1326 Dafür gibt es jedoch im Gesetz keinen Anhaltspunkt. Die in § 39 Abs. 3 BetrVG erwähnte Erforderlichkeit bezieht sich nicht auf die Länge der Sprechstunde insgesamt, sondern auf die Zeit, die dem einzelnen Arbeitnehmer für den Besuch einer Sprechstunde zugestanden wird. Auch aus Arbeitnehmerschutzgesichtspunkten ist es nicht erforderlich, dem Arbeitgeber ein Mitspracherecht hinsichtlich der Dauer zu entziehen. Zum einen kann der Betriebsrat im Konfliktfall eine angemessene Lösung durch Anrufung der Einigungsstelle herbeiführen (vgl. § 39 Abs. 1 S. 3, 4 BetrVG). Zum anderen bleibt es den Arbeitnehmern unbenommen, den Betriebsrat außerhalb der Sprechstunde aufzusuchen, wenn sich diese als zu kurz für das Anliegen des betreffenden Arbeitnehmers erweisen sollte. Da es sich dabei um eine erforderliche sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats im Sinne des § 39 Abs. 3 BetrVG handelt, besteht auch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung während des Arbeitsausfalls. b) Besuch des Arbeitnehmers Des Weiteren muss der betreffende Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG1327 die Sprechstunde während seiner persönlichen Arbeitszeit aufsuchen. Findet der Besuch außerhalb der persönlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers statt, kommt keine Entgeltzahlung in Betracht. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut von § 39 Abs. 3 BetrVG, wonach keine Minderung des Arbeitsentgelts erfolgen darf. Eine solche Minderung ist begrifflich nur möglich, wenn der Arbeitnehmer einen Teil seiner Arbeitszeit versäumt.1328 c) Abstrakt zulässiger Inhalt Ferner darf der Arbeitnehmer die Sprechstunde nur aufsuchen, soweit sein Anliegen überhaupt Gegenstand einer Sprechstunde sein kann.1329 Dazu gehören 1324 Fitting § 39 Rn. 11; Richardi-Thüsing § 39 Rn. 5; GK-Weber § 39 Rn. 15; DKKW-Wedde § 39 Rn. 11. 1325 Fitting § 39 Rn. 12; HSWGNR-Glock § 39 Rn. 8; Wlotzke/Preis/Kreft-Kreft § 39 Rn. 3; GK-Weber § 39 Rn. 15. 1326 Richardi-Thüsing § 39 Rn. 5, DKKW-Wedde § 39 Rn. 11; HK-BetrVG-Wolmerath § 39 Rn. 4. 1327 Vgl. zum betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff oben § 5 N.I.1. c)aa). 1328 Vgl. zum Parallelproblem bei § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG oben § 5 P.II.3.b). 1329 Fitting § 39 Rn. 22; GK-Weber § 39 Rn. 8; vgl. auch DKKW-Wedde § 39 Rn. 17.

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alle Angelegenheiten, die mit dem Arbeitsverhältnis des betreffenden Arbeitnehmers oder seiner Stellung im Betrieb zusammenhängen und zugleich in den Aufgabenbereich des Betriebsrats fallen.1330 Soweit in dem betreffenden Betrieb eine Jugend- und Auszubildendenvertretung existiert und diese nicht gemäß § 69 BetrVG eigene Sprechstunden einrichtet, kann ein Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung gemäß § 39 Abs. 2 BetrVG an den Sprechstunden des Betriebsrats teilnehmen. Dann können die in § 60 Abs. 1 BetrVG genannten Arbeitnehmer die Sprechstunde auch aufsuchen, um Angelegenheiten mit der Jugend- und Auszubildendenvertretung zu erörtern. d) Konkrete Erforderlichkeit Über die abstrakte Zulässigkeit des Anliegens des Arbeitnehmers hinaus muss der Besuch der Sprechstunde auch konkret erforderlich sein. Das ist der Fall, wenn für den Besuch ein sachlicher Grund vorliegt.1331 Wie bei dem Erforderlichkeitsbegriff aus § 37 Abs. 2 BetrVG beurteilt sich das aus einer objektivierten ex ante-Perspektive.1332 Ferner spielen auch Verhältnismäßigkeitserwägungen eine Rolle. Der Arbeitnehmer muss nach Möglichkeit auf betriebliche Interessen Rücksicht nehmen und den Besuch der Sprechstunde auf das notwendige Maß beschränken.1333 e) Erfordernis einer Befreiung durch den Arbeitgeber? Der Arbeitnehmer muss sich bei dem Arbeitgeber vor Besuch der Sprechstunde ab- und nach seiner Rückkehr wieder anmelden. Darin liegt eine eher geringe Belastung des Arbeitnehmers, wohingegen für den Arbeitgeber diese Information von bedeutendem Wert sein kann, etwa, weil sie es ihm ermöglicht, einen anderen Arbeitnehmer als Ersatz anstelle desjenigen einzusetzen, der die Sprechstunde aufsucht. Auf diese Weise kann der Arbeitgeber laufende Produktionsprozesse aufrechterhalten. Ob der Arbeitnehmer darüber hinaus eine Erlaubnis des Arbeitgebers benötigt, ist ähnlich wie bei § 37 Abs. 21334 und Abs. 6 BetrVG1335 umstritten.1336 Teil1330 Vgl. Fitting § 39 Rn. 22; GK-Weber § 39 Rn. 8; DKKW-Wedde § 39 Rn. 17 f. Insbesondere können hierunter die Behandlung von Beschwerden (vgl. §§ 84 f. BetrVG), die Entgegennahme von Anregungen und Vorschlägen (vgl. § 86a BetrVG) und auch die Erteilung von Rechtsrat fallen. 1331 DKKW-Wedde § 39 Rn. 23; vgl. auch Fitting § 39 Rn. 29; Richardi-Thüsing § 39 Rn. 24. 1332 Siehe dazu oben § 5 N.I.1.c)dd). 1333 Vgl. GK-Weber § 39 Rn. 29. 1334 Siehe oben § 5 N.I.1.c)dd). 1335 Siehe oben § 5 N.III.1.c)cc)(2).

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weise wird dafür angeführt, das Gesetz lasse nicht ausdrücklich die Unterrichtung des Arbeitgebers genügen. Daher sei im Umkehrschluss (etwa zu § 2 Abs. 2 BetrVG) eine positive Befreiungserklärung erforderlich.1337 Zudem sei eine Befreiung notwendig, um die Ordnung des Betriebs und den Fortgang der Arbeit sicherzustellen.1338 Diese Argumente überzeugen aber nicht. Der Gesetzgeber bezweckte mit der positiven Normierung von Unterrichtungspflichten wie in § 2 Abs. 2 BetrVG nicht zugleich, ein Befreiungserfordernis bei § 39 Abs. 3 BetrVG zu statuieren. Bei Schaffung des heutigen § 2 Abs. 2 BetrVG im Rahmen der BetrVG-Reform 1972 sah der Regierungsentwurf zunächst vor, dass die Gewerkschaften sich über ihr Zutrittsrecht mit dem Arbeitgeber ins „Benehmen“ zu setzen hatten.1339 Der zuständige Bundestagsausschuss ging davon aus, dass dieser Begriff verwaltungsrechtlich und somit im Sinne einer Beteiligung ohne Mitentscheidungsbefugnis gemeint war.1340 Zur Klarstellung änderte er die Formulierung dahingehend, dass eine „Unterrichtung“ des Arbeitgebers erforderlich sein soll. Schlussfolgerungen für § 39 Abs. 3 BetrVG lassen sich daraus nicht ziehen. Unter systematischen Gesichtspunkten lässt sich vielmehr eine Parallele zu § 37 Abs. 2, Abs. 6 BetrVG ziehen. Nach zutreffender Auffassung bedürfen Betriebsräte in diesem Zusammenhang ebenfalls keiner Befreiungserklärung.1341 Dabei ist zu beachten, dass der Wortlaut von § 37 Abs. 2 BetrVG ein Befreiungserfordernis noch viel eher nahe legt als derjenige des § 39 Abs. 3 BetrVG. Wenn dennoch schon im Zusammenhang mit § 37 Abs. 2 BetrVG eine Befreiung entbehrlich sein soll, muss das Gleiche erst recht für § 39 Abs. 3 BetrVG gelten. Zudem gibt es auch keinen Grund, Betriebsräte hinsichtlich des Erfordernisses einer Befreiungserklärung besser zu stellen als andere Arbeitnehmer. Aus alledem folgt, dass keine Befreiungserklärung erforderlich ist. Führte man den angesprochenen Wertungsgleichklang zwischen § 37 Abs. 2 und 6 BetrVG und § 39 Abs. 3 BetrVG konsequent fort, müsste man vom Arbeitnehmer verlangen, die genauen Gründe darzulegen, aus denen er die Sprechstunde aufsucht. Für ein solches Erfordernis spricht das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an dieser Information. Andernfalls kann er nicht nachprüfen, ob die Voraussetzungen einer Entgeltfortzahlung im Sinne des § 39 Abs. 3 BetrVG vor1336 Für ein solches Erfordernis Dütz DB 1976, S. 1428, 1480 f.; GK-Weber § 39 Rn. 31; HSWGNR-Glock § 39 Rn. 20; Richardi-Thüsing § 39 Rn. 23; a. A. BAG 23.6.1983 – 6 ABR 65/80, AP Nr. 45 zu § 37 BetrVG 1972; DKKW-Wedde § 39 Rn. 23; Fitting § 39 Rn. 28; ErfK-Koch § 39 BetrVG Rn. 3. 1337 GK-Weber § 39 Rn. 31. 1338 Richardi-Thüsing § 39 Rn. 23. 1339 Vgl. BT-Drs. 6/1786, S. 3, 35. 1340 Vgl. Ausschussbericht zu BT-Drs. 6/2729, S. 19. 1341 Siehe oben § 5 N.I.1.c)dd) und § 5 N.III.1.c)cc)(2).

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

liegen. Indes können bei Arbeitnehmern, welche die Sprechstunde aufsuchen möchten, Belange betroffen sein, die von ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (vgl. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt werden.1342 Dieses Recht entfaltet über die Figur der mittelbaren Drittwirkung auch im Rechtsverkehr zwischen Privaten seine Wirkung.1343 Sind derartige Belange betroffen, muss der Arbeitnehmer in einer einzelfallbezogenen Abwägung darüber entscheiden, ob die Informationsinteressen des Arbeitgebers oder das eigene Persönlichkeitsrecht vorrangig sind.1344 Überwiegen die Informationsinteressen des Arbeitgebers oder ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers überhaupt nicht berührt, muss der Arbeitnehmer die Gründe für den Besuch stichwortartig offenlegen. 2. Sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats Gemäß § 39 Abs. 3 BetrVG bleibt der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers auch bei einer sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats erhalten. Darunter fällt jede erforderliche Beanspruchung außerhalb der Sprechstunden. Der Arbeitnehmer kann dazu seinen Arbeitsplatz verlassen und sich zu einem Betriebsratsmitglied begeben, oder das Betriebsratsmitglied kann den Arbeitnehmer an dessen Arbeitsplatz aufsuchen. In beiden Konstellationen bedarf der Arbeitnehmer keiner Erlaubnis des Arbeitgebers, um seine Arbeit unterbrechen zu dürfen. Er muss den Arbeitgeber aber unterrichten und ihm dabei grundsätzlich auch die Gründe der Inanspruchnahme offenlegen. Insoweit gelten die Erwägungen zum Sprechstundenbesuch entsprechend.1345 Gleiches gilt auch für den Erforderlichkeitsmaßstab. Ist eine Sprechstunde eingerichtet, muss diese nach Möglichkeit vorrangig genutzt werden.1346 Im Übrigen besteht kein grundsätzliches Vorrangverhältnis zwischen der Möglichkeit, dass der Arbeitnehmer ein Betriebsratsmitglied aufsucht, und der Variante, dass das Betriebsratsmitglied den Arbeitnehmer 1342 Vgl. zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Maunz/Dürig-Di Fabio Art. 2 Rn. 127–247; Stern/Becker-Horn Art. 2 Rn. 34–52; Kloepfer Verfassungsrecht II § 56 Rn. 45 ff.; v. Münch/Kunig-Kunig Art. 2 Rn. 30–43; BK-D. Lorenz Art. 2 Rn. 228–410. 1343 Vgl. zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, S. 198; Epping Grundrechte Rn. 343 ff., insbesondere Rn. 347 ff.; Kloepfer Verfassungsrecht II § 57 Rn. 57–63; Stern/Becker-Stern Einleitung Rn. 42– 46. 1344 Die ganz herrschende Meinung hingegen verneint generell eine Pflicht des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber die Gründe des Besuchs mitzuteilen, vgl. DKKW-Wedde § 39 Rn. 23; HSWGNR-Glock § 39 Rn. 21; vgl. auch Richardi-Thüsing § 39 Rn. 23; für eine Mitteilungspflicht im Fall der begründeten Annahme des Missbrauchs durch den Arbeitnehmer GK-Weber § 39 Rn. 32. 1345 Siehe oben § 5 Q.III.1.e). 1346 Ähnlich GK-Weber § 39 Rn. 35; Richardi-Thüsing § 39 Rn. 25; a. A. (gegen eine Pflicht zur vorrangigen Inanspruchnahme der Sprechstunde) BAG 23.6.1983 – 6 ABR 65/80, AP Nr. 45 zu § 37 BetrVG 1972; Fitting § 39 Rn. 30; DKKW-Wedde § 39 Rn. 28.

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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an dessen Arbeitsplatz aufsucht. Maßgeblich ist vielmehr, welches Vorgehen nach Abwägung der Interessen aller Beteiligten vorzugswürdig ist. IV. Rechtsfolgen Liegen die Voraussetzungen von § 39 Abs. 3 BetrVG vor, behält der betreffende Arbeitnehmer seinen arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch. Er wird hinsichtlich des Geld- und des Zeitfaktors nach dem Lohnausfallprinzip berechnet.1347

R. Zwischenfazit Die umfassende Analyse der wichtigsten Entgeltfortzahlungstatbestände hat gezeigt, dass sich systematische Einordnung, Zielsetzung, Normstruktur und Rechtsfolgen von Tatbestand zu Tatbestand sehr stark unterscheiden. Als übergreifende Gemeinsamkeit lässt sich allenfalls feststellen, dass diese Tatbestände in gewissem Umfang und im weitesten Sinne dem Arbeitnehmerschutz dienen und zu diesem Zweck die sich nach allgemeinem Schuldrecht ergebende Rechtslage – Verlust des Entgeltanspruchs – zugunsten des Arbeitnehmers korrigieren. Darüber hinaus ergeben sich aber große Unterschiede: Unter systematischen Gesichtspunkten ist hervorzuheben, dass die meisten Tatbestände den originären Entgeltanspruch aufrechterhalten, während einige wenige als eigenständige Anspruchsgrundlagen ausgestaltet sind. Zudem beeinflussen die Tatbestände auf unterschiedliche Weise das Synallagma von Leistung und Gegenleistung: Einige Tatbestände sichern allein die Entgeltfortzahlung bei Arbeitsausfall, treffen aber keine Aussage über das Schicksal der Arbeitspflicht. Ein Beispiel hierfür ist § 616 S. 1 BGB. Der Fortfall der Leistungspflicht des Arbeitnehmers ergibt sich in diesen Fällen unmittelbar aus § 275 Abs. 1 BGB, wenn der Arbeitnehmer die Leistung tatsächlich nicht erbringt. Andere Tatbestände hingegen gewähren neben dem Vergütungs- zugleich auch einen Freistellungsanspruch, wie etwa § 1 BUrlG, § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, § 14 Abs. 1 ArbPlSchG oder § 37 Abs. 2 BetrVG. Innerhalb dieser Gruppe lässt sich noch einmal unterscheiden zwischen solchen Tatbeständen, bei denen die Freistellung kraft Gesetzes eintritt (zum Beispiel § 14 Abs. 1 ArbPlSchG und § 37 Abs. 2 BetrVG), und anderen, bei denen die Freistellung eine entsprechende Willenserklärung des Arbeitgebers voraussetzt (zum Beispiel § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG). Auch die Zielsetzungen variieren teilweise stark. Der Gedanke des Arbeitnehmerschutzes ist zwar in gewissem Umfang allen Tatbeständen immanent. Wäh1347 Richardi-Thüsing § 39 Rn. 27; GK-Weber § 39 Rn. 34; vgl. allgemein zum Lohnausfallprinzip oben § 4 B.I. Von dem Vergütungsanspruch strikt zu unterscheiden ist der Entgeltanspruch des Betriebsratsmitglieds für die Zeit, in der es sich mit dem Anliegen des Arbeitnehmers befasst. Dieser Anspruch richtet sich nach § 37 Abs. 2, Abs. 3, § 38 BetrVG (vgl. GK-Weber § 39 Rn. 28).

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

rend er aber bei einigen Tatbeständen wie beispielsweise dem Anspruch auf Feiertagsentgelt (§ 2 Abs. 1 EFZG) das einzige oder wenigstens das zentrale Ziel darstellt, treten bei anderen Tatbeständen weitere Zwecke gleichberechtigt hinzu. Letzteres gilt etwa für den Anspruch auf Gewährung bezahlter Stillzeit (§ 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG), durch den nicht nur die Arbeitnehmerin, sondern auch ihr Kind geschützt werden soll. Bei einigen wenigen Tatbeständen schließlich stehen andere Erwägungen sogar im Vordergrund, und der Arbeitnehmerschutz scheint mehr die Funktion einer diffusen hintergründigen Idee als die eines übergeordneten Zieles zu erfüllen. Das gilt beispielsweise für die Vergütung der Teilnahme an einer Betriebsversammlung (§ 44 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG), die vor allem einen Anreiz zur Teilnahme setzen soll und damit der Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung dient. Ein anderer übergeordneter Gedanke, den die meisten Tatbestände verfolgen, ist die Kompensation für den Verdienstausfall, den der Arbeitnehmer durch einen Arbeitsausfall erleidet. Dieser bereits erwähnte Grundsatz kann als Kompensationsprinzip bezeichnet werden.1348 Die wichtigste Ausnahme hiervon ist § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG, der in erster Linie von einem Anreizgedanken geprägt ist und den Arbeitsausfall sogar fördern soll.1349 Auch § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG und § 39 Abs. 3 BetrVG verwirklichen – wenn auch in geringerem Umfang – eine Anreizfunktion.1350 Der Leitgedanke des Kompensationsprinzips kann bei der Auslegung von Tatbeständen, denen es zugrunde liegt, ebenso bedeutsam sein wie bei der Auflösung von Konkurrenzen mehrerer Entgeltfortzahlungstatbestände. Insbesondere steht das Kompensationsprinzip einer Mehrfachvergütung des Arbeitnehmers aufgrund verschiedener Entgeltfortzahlungstatbestände entgegen, weil der Arbeitnehmer dann besser stünde, als wenn er gearbeitet hätte.1351 Des Weiteren ist die Normstruktur der einzelnen Tatbestände häufig nur schlecht aufeinander abgestimmt. Selbst bei vergleichbarem Gesetzeswortlaut kommt ihnen teilweise ein unterschiedlicher Regelungsgehalt zu. Das gilt sowohl für die Voraussetzungen der einzelnen Tatbestände als auch auf Rechtsfolgenseite für die jeweiligen Berechnungsmethoden. Ein Beispiel sind die sehr ähnlichen Formulierungen in § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG („Stillenden Müttern . . . ist freizugeben“) und in § 37 Abs. 2 BetrVG („Mitglieder des Betriebsrats sind . . . zu befreien“). Trotz dieser Ähnlichkeiten setzt § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG eine Befreiungserklärung des Arbeitgebers voraus,1352 nicht aber § 37 Abs. 2 BetrVG.1353 1348 Vgl. hierzu bereits oben § 4 B.II.; ferner Bulla DB 1965, S. 1517, 1517, der diesen Gedanken ebenfalls als „Leitsatz“ des Entgeltfortzahlungsrechts versteht. 1349 Vgl. hierzu oben § 5 P.I.2. 1350 Vgl. zu den Zwecken von § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG oben § 5 P.II.2. und von § 39 Abs. 3 BetrVG oben § 5 Q.II. 1351 Vgl. hierzu unten § 9 A. 1352 Vgl. oben § 5 G.IV.3.c).

§ 5 Untersuchung von Entgeltfortzahlungstatbeständen

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Auch wenn man die Voraussetzungen der Tatbestände betrachtet, ergeben sich große Unterschiede und kaum Gemeinsamkeiten. Das mag zwar einerseits wenig überraschen, da die Tatbestände inhaltlich ganz verschiedene Bereiche potentiellen Arbeitsausfalls abdecken. Doch andererseits sind sogar bei den beiden eingangs erörterten allgemeinen Voraussetzungen aller Tatbestände, Bestehen eines Arbeitsverhältnisses und Kausalität für den Arbeitsausfall, viele Differenzen zu erkennen.1354 Dabei ist die Kausalität als Voraussetzung noch weitgehend anerkannt, wenngleich auch insoweit für den bezahlten Erholungsurlaub (§ 1 BUrlG) und den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (§ 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Ausnahmen diskutiert werden. Vor allem aber sind viele Abweichungen vom allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu bemerken. Teilweise wird er eingeschränkt, beispielsweise für die im BetrVG geregelten Tatbestände. Gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG ist das BetrVG auf leitende Angestellte nicht anwendbar. An anderer Stelle wird demgegenüber der Anwendungsbereich über den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff hinaus ausgeweitet. Das betrifft zum Beispiel das MuSchG, aber auch die im BGB geregelten Tatbestände, die alle Dienstverpflichteten erfassen. Im Hinblick auf die Rechtsfolgen schließlich ist festzustellen, dass die ganz überwiegende Anzahl der Tatbestände hinsichtlich Geld- und Zeitfaktor jedenfalls im Grundsatz dem Lohnausfallprinzip folgt. Demgegenüber gehen nur wenige Tatbestände für den Geldfaktor von der Bezugsmethode oder einem gemischten System aus. Der Zeitfaktor wird bei allen untersuchten Tatbeständen nach dem Lohnausfallprinzip berechnet. Eine von der tatsächlich ausgefallenen Arbeitszeit unabhängige Vergütung wird offenbar vom Gesetzgeber regelmäßig als ungerecht angesehen. All diese Unterschiede demonstrieren die mangelnde Einbettung der einzelnen Entgeltfortzahlungstatbestände in ein kohärentes „System der Lohnfortzahlung“1355. Ein System kann als „planmäßige[s] Gefüge einer Gedankenmehrheit“1356 definiert werden. Es setzt folglich das gewollte Zusammenwirken mehrerer Elemente zur Erreichung bestimmter Ziele voraus. Daran kann man im Hinblick auf das deutsche Entgeltfortzahlungsrecht getrost zweifeln. Der Grund hierfür liegt insbesondere darin, dass die einzelnen Tatbestände in vielen verschiedenen Partikulargesetzen anstatt in einem einzigen Gesetz geregelt sind und zudem zu unterschiedlichen Zeiten und unter verschiedenen Voraussetzungen

1353

Vgl. oben § 5 N.I.1.c)dd). Zu diesen beiden Voraussetzungen vgl. oben § 5 A. 1355 Gutzeit Lohnfortzahlung verwendet diesen Begriff im Untertitel seiner Arbeit. 1356 Köbler Wörterbuch, S. 410. Dieses Begriffsverständnis entspricht nur einem von vielen möglichen und vertretenen Systembegriffen. Vgl. näher zum Systembegriff in der Jurisprudenz Peine System, S. 29 ff., insbesondere S. 32 ff.; Canaris Systemdenken, S. 19 ff. 1354

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

entstanden sind. Kappenhagen spricht insoweit zutreffend von einer „starken Rechtszersplitterung“.1357 Dieses Ergebnis erschwert auch die Auflösung von Kollisionskonstellationen bei dem Zusammentreffen mehrerer Verhinderungsgründe.1358 Insbesondere wird es sich als schwierig erweisen, ein übergeordnetes Prinzip zu entwickeln, das sich dazu eignet, gleichermaßen sämtliche denkbaren Kollisionskonstellationen zu erfassen und aufzulösen. Es sind in der Literatur einige derartige Ansätze entwickelt worden. Sie werden noch im Einzelnen auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden.1359

§ 6 Untersuchung von Ausschlussgründen Nachdem oben1360 diverse Entgeltfortzahlungstatbestände analysiert wurden, widmet sich die Untersuchung im Folgenden den sogenannten Ausschlussgründen, also jenen Tatbeständen, die auf Rechtsfolgenseite gerade nicht die Zahlung einer Vergütung vorsehen. Ehe die einzelnen Ausschlussgründe untersucht werden (B. bis F.), bedürfen zunächst einige dogmatischen Grundlagen einer kurzen Erörterung (A.).

A. Gemeinsamkeiten In dogmatischer Hinsicht ist zu bemerken, dass Ausschlussgründe – man könnte sagen: spiegelbildlich zu Entgeltfortzahlungstatbeständen – unterschiedlicher Rechtsnatur sein können. Teilweise handelt es sich um Spezialregelungen zu § 326 Abs. 1 S. 1 BGB, die aber hinsichtlich des Vergütungsanspruchs die gleiche Rechtsfolge wie ebendiese Vorschrift vorsehen, nämlich den Fortfall des Vergütungsanspruchs. Die prominentesten Beispiele für solche Tatbestände sind mit rechtmäßigem Streik und Aussperrung im Bereich des Arbeitskampfrechts angesiedelt. Weitere Beispiele dieser Kategorie sind der unbezahlte Urlaub, Kurzarbeit sowie die Inanspruchnahme von Elternzeit. Neben diesen besonderen Ausschlussgründen, die eigenständig als Rechtsfolge den Fortfall des Vergütungsanspruchs vorsehen, existieren noch diverse weitere, welche diese Rechtsfolge über § 326 Abs. 1 S. 1 BGB herbeiführen. Hierunter fallen der rechtswidrige Streik, die Nichterbringung der Arbeitsleistung infolge von Arbeitsunwilligkeit sowie das Wegerisiko des Arbeitnehmers. Auf alle genannten Ausschlussgründe wird im Folgenden eingegangen.1361 Festzuhalten bleibt, dass es im Ergebnis für die 1357

Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 160 f. Auch das BAG erkannte schon früh die Probleme, welche die unterschiedlichen Vergütungsregelungen für die Auflösung von Kollisionskonstellationen hervorrufen, vgl. BAG 6.5.1963 – 1 AZR 114/62, AP Nr. 15 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG. 1359 Siehe dazu ausführlich unten § 8. 1360 Siehe oben § 5. 1361 Daneben existieren noch diverse weitere Ausschlussgründe in diesem Sinne, deren Untersuchung aber den hier vorhandenen Rahmen sprengen würde und die daher 1358

§ 6 Untersuchung von Ausschlussgründen

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Vergütung des Arbeitnehmers keine Rolle spielt, welcher der beiden unterschiedlichen Wege rechtstechnisch beschritten wird. Jeweils wird nur der ohnehin gültige Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ aufrechterhalten und gerade keine Ausnahme hiervon gemacht.

B. Arbeitskampf In der Praxis werden die Rechtsverhältnisse von Arbeitgeber und Arbeitnehmer regelmäßig durch Tarifverträge bestimmt, sei es aufgrund normativer und mithin unmittelbarer und zwingender Wirkung, sei es aufgrund schuldrechtlicher Bezugnahme auf einen Tarifvertrag im individuellen Arbeitsvertrag. Tarifverträge werden durch die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionen sowie, je nach Art des Tarifvertrages, auch von Arbeitgebern selbst ausgehandelt. Häufig gehen dem Abschluss eines Tarifvertrags lediglich Verhandlungen voraus. Unter Umständen kann es jedoch eine oder mehrere der beteiligten Koalitionen (in der Regel eine Gewerkschaft) für geboten erachten, ihrer Verhandlungsposition durch Arbeitskampfmaßnahmen Nachdruck zu verleihen – in der Hoffnung, die Gegenpartei dadurch zum Einlenken zu bewegen. Arbeitskämpfe werden daher mittelbar durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt, soweit sie für eine funktionierende Tarifautonomie erforderlich sind.1362 Zugleich sind sie aber als Störung der Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber volkswirtschaftlich schädlich und an sich unerwünscht.1363 Daher müssen sie im Interesse der Parteien, aber auch der gesamten Gesellschaft, auf das zur Druckausübung erforderliche Maß beschränkt werden und sind nur zur Durchsetzung rechtmäßiger Kampfziele und auch dann nur als ultima ratio zulässig.1364 Im Folgenden soll zunächst der Streik als praktisch wichtigste Fallgruppe untersucht werden (§ 6 B.I.), ehe sich die Arbeit dann der Aussperrung widmet (§ 6 B.II.). In beiden Konstellationen wird zwischen rechtmäßigem und rechtswidriaußen vor bleiben müssen. Beispielhaft seien die Beschäftigungsverbote nach dem IfSG oder nach § 284 SGB III (vgl. NK-SGB III-Scholz § 284 Rn. 125) sowie die Pflegezeit nach § 3 Abs. 1 PflegeZG genannt. Ob hingegen für eine kurzzeitige Arbeitsverhinderung zu Pflegezwecken im Sinne des § 2 PflegeZG die Vergütung fortzuzahlen ist, richtet sich gemäß § 2 Abs. 3 PflegeZG danach, ob sich eine solche Verpflichtung aus anderen gesetzlichen Vorschriften oder aus einer Vereinbarung ergibt. 1362 BVerfG 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BVerfG 4.7.1995 –1 BvF 2/86, 1 BvF 1/87, 1 BvF 2/87, 1 BvF 3/87, 1 BvF 4/87, 1 BvR 1421/86, AP Nr. 4 zu § 116 AFG; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 102; Junker Arbeitsrecht Rn. 590; Otto Arbeitskampfrecht § 4 Rn. 1 ff. 1363 BAG (GS) 28.1.1955 – GS 1/54, BAGE 1, S. 291, 300; Wollenschläger Arbeitsrecht Rn. 646. 1364 BAG (GS) 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Wollenschläger Arbeitsrecht Rn. 646; vgl. zur Begrenzung von Arbeitskämpfen auch BAG 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 10.6.1980 – 1 AZR 168/79, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

gem Arbeitskampf differenziert. Abschließend werden die Betriebsstilllegung (§ 6 B.III.) und die Arbeitskampfrisikolehre beleuchtet (§ 6 B.IV.). I. Streik 1. Rechtmäßiger Streik Für die Rechtsfolgen eines Streiks ist es von herausragender Bedeutung, ob es sich um einen rechtmäßigen oder rechtswidrigen Arbeitskampf handelt.1365 Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen sind gesetzlich nicht normiert. Lediglich einzelne Merkmale sind geregelt, etwa die Tariffähigkeit in § 2 TVG.1366 Die übrigen Voraussetzungen entspringen – wie nahezu das gesamte Arbeitskampfrecht – dem Gewohnheitsrecht und der richterlichen Rechtsfortbildung. Bei der Entwicklung dieser Anforderungen mussten die Gerichte stets versuchen, einen Ausgleich zwischen den skizzierten widerstreitenden Interessen zu erreichen: Einerseits müssen Arbeitskämpfe erlaubt sein und auch die notwendige Durchschlagskraft besitzen, damit die Kampfparteien mit ihnen rechtmäßige Ziele durchsetzen können. Andererseits sind sie im gesamtgesellschaftlichen Interesse so weit wie möglich zu beschränken. Vielleicht lässt sich die Linie der Rechtsprechung in dieser Frage mit der Formel „so viel wie nötig, so wenig wie möglich“ auf den Punkt bringen. a) Voraussetzungen Im Folgenden wird erörtert, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Beteiligung an einem rechtmäßigen Streik seinen Entgeltanspruch verlieren kann. aa) Vorliegen eines Streiks Zunächst muss überhaupt ein Streik vorliegen. Ein Streik ist nach überwiegender Ansicht bei gemeinsamer, planmäßiger Nichterbringung der Arbeitsleistung durch mehrere Arbeitnehmer gegen den Willen des Arbeitgebers gegeben.1367 Abzugrenzen ist der Streik durch Arbeitsniederlegung vom sogenannten Bummelstreik, bei dem die Arbeitnehmer zwar eine Arbeitsleistung erbringen, aber langsamer als geschuldet. Dogmatisch handelt es sich beim gewöhnlichen Streik um einen Fall der Nichtleistung, beim Bummelstreik hingegen um einen Fall der Schlechtleistung.1368 1365 Vgl. Junker Arbeitsrecht Rn. 602; Däubler Arbeitskampfrecht-Ög ˘ üt § 22 Rn. 1; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 3 Rn. 282. 1366 Allerdings nennt diese Vorschrift auch keine Voraussetzungen der Tariffähigkeit. 1367 Junker Arbeitsrecht Rn. 593; vgl. ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 161; Wollenschläger Arbeitsrecht Rn. 619. 1368 Vgl. Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Brox Rn. 28; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 24; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 256 f.

§ 6 Untersuchung von Ausschlussgründen

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bb) Arbeitskampfbeschluss (1) Interner Beschluss der Gewerkschaft Da es sich bei einem Streik um eine kollektive Kampfmaßnahme handelt, die von einer Koalition ergriffen wird, muss die betreffende Gewerkschaft einen entsprechenden Beschluss fassen.1369 Ist der Beschluss nicht gemäß der Satzung der Gewerkschaft zustande gekommen, ist er rechtswidrig.1370 Dadurch wird auch der Streik selbst rechtswidrig. (a) Erfordernis einer Urabstimmung Umstritten ist, ob dem Beschluss stets eine Urabstimmung unter den Gewerkschaftsmitgliedern vorauszugehen hat, selbst wenn die Gewerkschaftssatzung das nicht vorsieht. Dafür spricht zwar, dass es sich bei dem Streik um ein Druckmittel zur Durchsetzung von tarifvertraglich regelbaren Zielen handelt und er somit mittelbar Auswirkung auf die Normsetzung durch die Tarifvertragsparteien hat. Auch kann er zu wirtschaftlichen Folgen für unbeteiligte Dritte führen. Daraus könnte man herleiten, dass eine möglichst große demokratische Legitimation in Form einer Urabstimmung geboten ist.1371 Dem ist jedoch mit der überwiegenden Ansicht1372 entgegenzutreten. Die notwendige Legitimation durch die Gewerkschaftsmitglieder erfolgte bereits durch deren Beitritt zur Gewerkschaft. Indem ein Arbeitnehmer Mitglied einer Gewerkschaft wird, erkennt er die Satzung und damit auch das Verfahren an, das einem Arbeitskampfbeschluss zugrunde liegt. Dieser Schritt genügt als Legitimation.1373 Auch mit dem Ultima-RatioPrinzip lässt sich eine Verpflichtung zur Durchführung einer Urabstimmung nicht begründen.1374 Die Gewerkschaft ist zwar im Verhältnis zum Kampfgegner Zu den Folgen einer Schlechtleistung für den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers vgl. unten § 6 F.II.3. 1369 BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95, AP Nr. 140 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 136; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1012 f.; Otto Arbeitskampfrecht § 7 Rn. 29; vgl. auch MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 28. 1370 Vgl. Otto Arbeitskampfrecht § 7 Rn. 29. 1371 So für Erzwingungsstreiks (anders für kurze Warnstreiks) Bauer/Röder DB 1984, S. 1096, 1096–1098; vgl. auch Schüren Legitimation, S. 218, der die Urabstimmung als Kompensation für den mangelnden demokratischen Aufbau der Gewerkschaften einstuft. 1372 Bobke/Grimberg DB 1984, S. 1143, 1146; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 137; Michlik Urabstimmung, S. 160–199; Däubler Arbeitskampfrecht-Schumann (2. Auflage) Rn. 221; Däubler Arbeitskampfrecht-Wolter § 16 Rn. 12; vgl. auch Gitter JZ 1965, S. 197 ff.; Söllner FS Molitor (1988), S. 333, 337 f. 1373 Kissel Arbeitskampfrecht § 40 Rn. 11; vgl. auch Michlik Urabstimmung, S. 213 ff. 1374 So aber Brandner BB 1957, S. 1281, 1283; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht II/2, S. 986, 1025; vgl. auch Vorderwülbecke BB 1987, S. 750, 755 ff., der allerdings die Urabstimmung nicht zur Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Streiks erhebt.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

verpflichtet, unter mehreren zur Durchsetzung ihrer Ziele gleich geeigneten Mitteln stets das für diesen mildeste zu wählen.1375 Für die Frage, ob ein solches Mittel zur Verfügung steht, ist es aber ohne Belang, ob zuvor eine Urabstimmung durchgeführt wurde.1376 Zudem ist die Frage der Notwendigkeit einer Urabstimmung Teil des von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten weitreichenden Selbstverwaltungsrechts der Koalitionen.1377 Sie muss daher der Satzungshoheit der Gewerkschaft überlassen bleiben. (b) Zur Übernahme von „wilden“ Streiks Der Beschluss muss nicht zwingend darauf gerichtet sein, einen neuen Streik zu beginnen. Zulässig ist auch die Übernahme eines bereits laufenden sogenannten „wilden“ Streiks.1378 „Wilde“ Streiks sind solche, die ohne gültigen Gewerkschaftsbeschluss von mehreren Arbeitnehmern begonnen wurden und daher zunächst rechtswidrig sind. Beschließt die Gewerkschaft, den Streik zu übernehmen, legitimiert sie ihn. Damit wird der Streik – jedenfalls ex nunc – geheilt und ist von diesem Zeitpunkt an rechtmäßig.1379 Umstritten ist die Frage, ob darüber hinaus auch eine Heilung ex tunc erfolgt. Teilweise wird eine solche rückwirkende Heilung für möglich gehalten.1380 Andere Stimmen sind diesbezüglich eher kritisch.1381 Richtigerweise kann eine Heilung mit ex-tunc-Wirkung nicht zulässig sein. Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit erfordert es, die Rechtmäßigkeit eines Streiks zu einem bestimmten Zeitpunkt danach zu beurteilen, ob zu eben diesem Zeitpunkt alle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen vorliegen. Außerdem sollte im Interesse der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und zum Schutz des Arbeitgebers eigenmächtiges Handeln von Arbeitnehmern ohne Gewerkschaftsbeschluss sanktioniert werden. Es besteht kein Grund, Arbeitnehmer zu Lasten der Arbeitgeberseite zu schützen, 1375

Vgl. dazu noch unten § 6 B.I.1.a)gg)(1). Vgl. Michlik Urabstimmung, S. 174 ff. 1377 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 137; Däubler Arbeitskampfrecht-Schumann (2. Auflage) Rn. 221. 1378 BAG 5.9.1955 – 1 AZR 480/54, AP Nr. 3 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 21.10.1969 – 1 AZR 93/68, AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 72; Otto Arbeitskampfrecht § 6 Rn. 28; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 28. 1379 Vgl. BAG 5.9.1955 – 1 AZR 480/54, AP Nr. 3 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1380 Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1092; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 72; wohl auch BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95, AR-Blattei ES 170.1 Nr. 42 mit insoweit zustimmender Anmerkung Löwisch; ebenso Junker Arbeitsrecht Rn. 603 unter Verweis auf BAG 5.9.1955 – 1 AZR 480/54, AP Nr. 3 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Aus der in Bezug genommenen Entscheidung des BAG geht jedoch nicht eindeutig hervor, ob über eine ex-nunc-Heilung hinaus auch eine hier in Rede stehende ex-tunc-Heilung möglich sein soll. 1381 Konzen ZfA 1970, S. 159, 181–185; Otto Arbeitskampfrecht § 6 Rn. 30; Zöllner/ Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 433. 1376

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wenn diese unbefugt und ohne Zustimmung ihrer Koalition handeln.1382 Löwisch1383 meint demgegenüber, man müsse eine Heilung ex tunc zulassen, um es einer Koalition zu ermöglichen, eine ihr entglittene tarifliche Auseinandersetzung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dieser Auffassung ist nicht zuzustimmen. Für die zukünftige Kontrolle einer Koalition über einen Arbeitskampf ist insbesondere entscheidend, dass man eine Heilung mit ex-nunc-Wirkung für zulässig erachtet, was hier nicht in Streit steht. Hingegen spielt die Frage, ob eine Koalition einen in der Vergangenheit liegenden wilden Streik rückwirkend legitimieren kann, für die zukünftige Kontrolle über den Streik keine Rolle. (2) Bekanntgabe Weiterhin muss der intern rechtswirksam gefasste Beschluss auch bekannt gemacht werden.1384 Bei dem Beschluss handelt es sich um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung,1385 weshalb er den Regeln über Willenserklärungen unterliegt.1386 Der Beschluss muss daher dem Kampfgegner zugehen1387 und seinen Urheber, die aufgerufenen Teilnehmer sowie den geplanten Zeitraum des Streiks erkennen lassen.1388 Außerdem muss aus ihm hervorgehen, dass es sich bei der geplanten Kampfmaßnahme gerade um einen Streik handelt.1389 cc) Führung durch tariffähige und tarifzuständige Parteien Der Arbeitskampf ist nur zur Durchsetzung von tarifvertraglichen Forderungen zulässig.1390 Dieser Grundsatz folgt aus der Hilfsfunktion des Arbeitskampfs zur Sicherung der Tarifautonomie.1391 1382

Vgl. Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 433. Löwisch Anmerkung zu BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95, AR-Blattei ES 170.1 Nr. 42 unter 3; ebenso Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 72. 1384 Vgl. BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95, AP Nr. 140 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 138; Otto Arbeitskampfrecht § 7 Rn. 38. 1385 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 138; Otto Arbeitskampfrecht § 7 Rn. 38. 1386 Vgl. zur Behandlung rechtsgeschäftsähnlicher Handlungen Bork BGB AT Rn. 416; Brox/Walker BGB AT Rn. 95. 1387 Ähnlich Otto Arbeitskampfrecht § 7 Rn. 39, der die tatsächliche Kenntnisnahme der Gegenpartei fordert; weiter hingegen die herrschende Meinung, BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96, AP Nr. 146 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 185, wonach auch eine Verlautbarung über die Medien genügen soll, sofern die Information hinreichend klar zum Ausdruck gebracht wird; ähnlich ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 139 (es soll genügen, wenn typischerweise die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht). 1388 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 138; Otto Arbeitskampfrecht § 7 Rn. 38; vgl. auch BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96, AP Nr. 146 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1389 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 138; Otto Arbeitskampfrecht § 7 Rn. 38. 1390 Vgl. BAG 21.3.1978 – 1 AZR 11/76, AP Nr. 62 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1065 ff.; Junker Arbeitsrecht Rn. 603; Wollen1383

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Diese Voraussetzung verstößt nicht gegen die Vorgaben aus Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC. Die ESC ist ein 1961 unterzeichnetes völkerrechtliches Abkommen, dem sich die meisten Mitglieder des Europarats angeschlossen haben. Die Bundesrepublik Deutschland hat es 1964 ratifiziert.1392 Es soll der Bevölkerung grundlegende soziale Rechte einräumen. Darunter wird in Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten und vorbehaltlich von etwaigen Verpflichtungen aus Gesamtarbeitsverträgen genannt. Teilweise wird angenommen, eine Beschränkung des Streikrechts auf die Durchsetzung tarifvertraglicher Forderungen sei nach dieser Vorschrift unzulässig.1393 Träfe diese Auffassung zu, hätte das Konsequenzen für die Auslegung des deutschen Arbeitskampfrechts. Bei der ESC handelt es sich um eine von der Bundesrepublik eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung, die den Rang eines einfachen Gesetzes einnimmt und „deren Regeln die Gerichte beachten müssen, wenn sie die im Gesetzesrecht bezüglich der Ordnung des Arbeitskampfes bestehenden Lücken anhand von Wertentscheidungen der Verfassung ausfüllen“.1394 Es ist auch nicht erkennbar, dass eine einfachgesetzliche Öffnung des Streikrechts für nicht tarifbezogene Arbeitskämpfe verfassungsrechtlich unzulässig wäre.1395 Indes ist die Beschränkung des in Teil II Art. 6 Nr. 4 ESC vorgesehenen Streikrechts auf tarifbezogene Arbeitskämpfe gerechtfertigt.1396 Teil III Art. 31 Abs. 1 ESC erlaubt Einschränkungen und Begrenzungen der in der ESC vorgesehenen Rechte auch jenseits ausdrücklich genannter Eingriffstatbestände, „wenn diese gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer oder zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Sicherheit des Staates, der Volksgesundheit und der Sittlichkeit notwendig sind“. Eine hiernach zulässige Einschränkung des Streikrechts liegt auch in dem Verbot, durch einen Streik einen Tarifvertrag mit rechtswidrigem Inhalt zu erzwingen1397 oder tariflich überhaupt nicht regelbare Ziele zu verfolgen. Dieses Verbot ist Teil des deutschen Arbeitskampfrechts in seiner schläger Arbeitsrecht Rn. 649; vgl. ferner zur Erstreikbarkeit eines Tarifsozialplans BAG 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifsozialplan. 1391 BVerfG 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifsozialplan; vgl. auch bereits BAG (GS) 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1392 BGBl. 1964 II, S. 1261. 1393 Vgl. Nr. 82 des Berichts des Regierungsausschusses der ESC (XIII-4) an das Ministerkomitee des Europarats, ArbuR 1998, S. 154, 154 f.; vgl. auch Däubler ArbuR 1998, S. 144 ff. 1394 BAG 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1395 Vgl. zu Einzelheiten Däubler ArbuR 1998, S. 144, 145–147. 1396 Vgl. BAG 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1397 BAG 10.12.2002 – 1 AZR 96/02, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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„richterrechtlichen“ Verfestigung und in diesem Sinne gesetzlich vorgeschrieben.1398 Die Tarifautonomie, die durch die Beschränkung gewahrt werden soll, dient dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer im Sinne von Teil III Art. 31 Abs. 1 ESC, weil sie die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftslebens und angemessene Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber bewahrt. Würde die Tarifautonomie gestört, drohte die Gefahr, dass keine Tarifabschlüsse mehr erzielt werden, die derzeit – zumindest im Regelfall – für einen akzeptablen Ausgleich der Interessen beider Seiten sorgen. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zwischen den Tarif- und Arbeitsvertragsparteien könnte nachhaltig gestört werden. Insbesondere eine Veränderung zum Nachteil der Arbeitnehmer und die damit einhergehende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen liefe den umfassenden sozialen Schutzzwecken der ESC zuwider. Die Zulässigkeit der Beschränkung steht daher im Einklang mit den Zielen der ESC und dem Zweck der Eingriffsermächtigung in Teil III Art. 31 Abs. 1 ESC. Aus diesen Gründen darf nur zur Durchsetzung tarifvertraglich regelbarer Ziele gestreikt werden. Mithin muss die zum Streik aufrufende Gewerkschaft sowohl tariffähig als auch tarifzuständig sein.1399 (1) Tariffähigkeit Anders als die meisten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen ist die der Tariffähigkeit gesetzlich geregelt, nämlich in § 2 TVG. Auf Arbeitnehmerseite sind danach Gewerkschaften (vgl. § 2 Abs. 1 TVG) und deren Spitzenorganisationen (als Vertreter einer Gewerkschaft, vgl. § 2 Abs. 2 TVG oder im eigenen Namen, vgl. § 2 Abs. 3 TVG) wie etwa der DGB tariffähig. Eine Gewerkschaft ist eine Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG, die tarifwillig ist und über hinreichende soziale Mächtigkeit verfügt.1400 (a) Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG (aa) Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG Erste Voraussetzung einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG ist, dass eine Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG vorliegt. Erforderlich ist ein privatrechtlicher freiwilliger Zusammenschluss mehrerer natürlicher oder ju1398 Vgl. zur Gesetzesqualität des richterrechtlichen Arbeitskampfrechts im Sinne von Teil III Art. 31 Abs. 1 ESC BAG 19.6.2008 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf zu I.2.c)bb)(3) der Gründe. 1399 Vgl. Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1072; Junker Arbeitsrecht Rn. 603; Otto Arbeitskampfrecht § 6 Rn. 1; ferner Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 132 ff., 135 ff. 1400 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 2 § 2 TVG Rn. 6; vgl. auch Junker Arbeitsrecht Rn. 518; Wollenschläger Arbeitsrecht Rn. 530.

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ristischer Personen, der auf Dauer angelegt ist und über eine körperschaftliche Struktur verfügt.1401 Letzteres bedeutet dreierlei: Erstens muss die Gewerkschaft in ihrem Bestand vom Ein- und Austritt ihrer Mitglieder unabhängig sein, zweitens muss sie über eine organschaftliche Vertretung verfügen und drittens muss die Willensbildung durch Mehrheitsbeschlüsse und nicht bloß durch Einstimmigkeit erfolgen.1402 Ob darüber hinaus das Verfahren der Willensbildung demokratischen Grundsätzen genügen muss, ist umstritten. Dafür spricht zwar, dass die aus § 4 Abs. 1 S. 1 TVG resultierende Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien eine demokratische Legitimation des Willens erfordert, den die zuständigen Organe der Gewerkschaft äußern.1403 Dagegen lässt sich aber anführen, dass gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 TVG die normative Wirkung von Tarifverträgen nur für alle Tarifgebundenen und mithin auf Arbeitnehmerseite nur für jene Arbeitnehmer gilt, die der betreffenden Gewerkschaft angehören. Somit liegt in dem Akt des Beitritts des betreffenden Arbeitnehmers zu seiner Gewerkschaft eine hinreichende Legitimation.1404 (bb) Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Ferner erstreckt sich der Schutz des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG nur auf Vereinigungen, die die „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ bezwecken. Diese Regelung wird relativ weit dahingehend verstanden, dass der Verbandszweck in einem Bezug zur abhängigen Arbeit stehen muss.1405 Innerhalb dieses Spielraums muss die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen aber der alleinige Hauptzweck der Vereinigung sein.1406 Nicht mehr darunter fallen Industrie- oder Verbraucherverbände, auch wenn sie die Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder fördern.1407 1401 Vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 2 § 2 TVG Rn. 6; Henssler/ Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 32–34; Junker Arbeitsrecht Rn. 452 f. 1402 Vgl. zu Einzelheiten Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 394 ff.; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 32, 37; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 10–14; Junker Arbeitsrecht Rn. 453. 1403 So die ganz herrschende Meinung, vgl. Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 400 f. m.w. N.; Junker Arbeitsrecht Rn. 461; Löwisch ZfA 1970, S. 295, 306; Röckl DB 1993, S. 2382, 2383; Schüren Legitimation, S. 237; im Ergebnis ebenso Henssler/ Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 37. 1404 Im Ergebnis ebenso unter Verweis auf die unmittelbare grundrechtliche Legitimation der Koalition aus Art. 9 Abs. 3 GG Kemper Schutzbereich, S. 103 f.; vgl. ferner Scholz Koalitionsfreiheit, S. 176. 1405 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 23; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 219 ff.; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 40; Junker Arbeitsrecht Rn. 462; MünchArbR-Löwisch/Rieble § 155 Rn. 15. 1406 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 15; Kissel Arbeitskampfrecht § 4 Rn. 24; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 95; a. A. MünchArbR-Löwisch/ Rieble § 155 Rn. 17.

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(cc) Vereinigung von Arbeitnehmern Darüber hinaus müssen sich die Mitglieder gerade in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer zusammenschließen.1408 Nicht erfasst sind daher Verbände von Kriegsversehrten, Schülern, Studenten oder Strafgefangenen.1409 (dd) Gegnerfreiheit und Gegnerunabhängigkeit Zudem muss eine Koalition von Gegnern und Dritten frei und unabhängig sein.1410 Gegnerfreiheit in diesem Sinne bedeutet, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht in einem einzigen sogenannten „Harmonieverband“ zusammenschließen dürfen, wie es etwa während der Weimarer Republik üblich war. Andernfalls wäre eine effektive Vertretung der Interessen aller Mitglieder durch den Verband kaum gewährleistet.1411 Aus dem gleichen Grund ist auch die Gegnerund Drittunabhängigkeit zu fordern. Diese ist nur gegeben, wenn die Gewerkschaft von Arbeitgebern, ihren Verbänden wie auch von Dritten (unter anderem Staat, Kirche und Parteien) in personeller, organisatorischer und finanzieller Hinsicht getrennt existiert.1412 Der Grundsatz der Gegnerunabhängigkeit verbietet aber nicht eine bestimmte ideologische Ausrichtung der Gewerkschaft, die mit Interessen von Dritten (beispielsweise linksgerichteten Parteien oder christlichen Kirchen) korrespondieren kann.1413 (ee) Anerkennung des geltenden Rechts Ferner muss die Gewerkschaft das geltende Arbeitskampf-, Tarif- und Schlichtungsrecht anerkennen.1414 Diese Voraussetzung ergibt sich daraus, dass Gewerk1407 Vgl. Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 15; Junker Arbeitsrecht Rn. 462; vgl. auch Wollenschläger Arbeitsrecht Rn. 530. 1408 Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 38; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht II/1, S. 90 f.; Kissel Arbeitskampfrecht § 4 Rn. 11; vgl. ferner BVerfG 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, AP Nr. 31 zu § 2 TVG; BAG 15.3.1977 – 1 ABR 16/75, AP Nr. 24 zu Art. 9 GG. 1409 Vgl. Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht II/1, S. 427. 1410 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 25; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 41 ff.; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 16a–19, 22; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 96. 1411 Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 41; Junker Arbeitsrecht Rn. 454; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 96. 1412 Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 45 f.; Junker Arbeitsrecht Rn. 454, 460; vgl. auch Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 22. 1413 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 22; Junker Arbeitsrecht Rn. 460; Wollenschläger Arbeitsrecht Rn. 530. 1414 Ganz überwiegende Ansicht, vgl. BVerfG 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, AP Nr. 31 zu § 2 TVG; BAG 10.9.1985 – 1 ABR 32/83 AP Nr. 34 zu § 2 TVG; BAG 25.11.1986 – 1 ABR 22/85, AP Nr. 36 zu § 2 TVG; ErfK-Franzen § 2 TVG Rn. 10; Löwisch/Rieble § 2 Rn. 156–159; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht II/1, S. 434 f.

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schaften, die sich nicht dem geltenden Recht unterwerfen, die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragsrechts erheblich gefährden könnten.1415 Die Gewerkschaft muss aber nicht positiv erklären, dass sie das geltende Recht akzeptiert. Vielmehr genügt es, wenn ihr tatsächliches Verhalten mit dem geltenden Recht im Einklang steht. Zudem verliert die Gewerkschaft nicht schon durch jeden Rechtsverstoß ihre Koalitionseigenschaft. Voraussetzung ist insoweit vielmehr, dass die Gewerkschaft durch ihre Haltung und ihre Handlungen den Gesamteindruck vermittelt, sich außerhalb der Rechtsordnung zu stellen. (ff) Umstrittene Voraussetzung: Überbetrieblichkeit Nach herrschender Ansicht muss eine Gewerkschaft überbetrieblich organisiert sein.1416 Damit ist gemeint, dass die Mitglieder einer Gewerkschaft mehreren Unternehmen angehören müssen.1417 Die überwiegende Auffassung ist abzulehnen.1418 Diese Voraussetzung war allenfalls so lange gerechtfertigt, bis 1951 das Kündigungsschutzgesetz in seiner ersten Fassung1419 in Kraft trat.1420 Da nach zuvor bestehender Rechtslage der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern auch ohne soziale Rechtfertigung und damit fast nach Belieben kündigen konnte, wäre es ihm andernfalls möglich gewesen, eine nicht überbetriebliche Gewerkschaft durch Kündigung aller ihrer Mitglieder faktisch aufzulösen.1421 Seit Schaffung des Kündigungsschutzes ist diese Legitimation entfallen.1422 Andere Gründe, an der Voraussetzung festzuhalten, bestehen nicht. Koalitionen können ihrem Schutzauftrag auch dann gerecht werden, wenn sie nicht allen Arbeitnehmern einer Branche zugänglich sind. Voraussetzung dafür ist eine hinrei1415

Vgl. ErfK-Franzen § 2 TVG Rn. 10; Löwisch/Rieble § 2 Rn. 156. BAG 25.11.1986 – 1 ABR 22/85, AP Nr. 36 zu § 2 TVG; BAG 14.12.2004 – 1 ABR 51/03, AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; Schaub-Koch ArbR-Hdb. (13. Auflage) § 187 Rn. 15; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht II/1, S. 98 ff.; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 97. 1417 Der Begriff „Überbetrieblichkeit“ ist irreführend, da es der Sache nach nicht um die Frage geht, ob die Mitglieder der Gewerkschaft verschiedenen Betrieben angehören, sondern ob sie verschiedenen Arbeitgebern zuzuordnen sind. 1418 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 20; Stelling NZA 1998, S. 920 ff.; kritisch auch MünchArbR-Löwisch/Rieble § 155 Rn. 65. 1419 BGBl. 1951 I, S. 499 ff. 1420 Stelling NZA 1998, S. 920, 923 f. Treffend qualifizieren Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 20 denn auch die Voraussetzung der Überbetrieblichkeit historisch als „Unterfall der Forderung nach Unabhängigkeit vom sozialen Gegenspieler“. Henssler/Willemsen/Kalb-Henssler § 2 TVG Rn. 12 hingegen hält nach wie vor an dieser Begründung fest. 1421 Vgl. Stelling NZA 1998, S. 920, 923 f. 1422 Vgl. Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 20; Stelling NZA 1998, S. 920, 923 f.; vgl. auch Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 189 Rn. 21, der das Merkmal der Überbetrieblichkeit als Teilaspekt der Gegnerunabhängigkeit versteht. 1416

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chende Schlagkräftigkeit und soziale Mächtigkeit1423 der betreffenden Koalition, nicht aber die Überbetrieblichkeit. Jedenfalls dann, wenn nahezu alle Arbeitnehmer einer Branche in einem Unternehmen tätig sind (wie beispielsweise im Fall der Lokomotivführer), wird man kaum bezweifeln, dass die Gewerkschaften in der Praxis ihrem Schutzauftrag höchst effektiv nachkommen. Weiterhin führen die Befürworter der Aufrechterhaltung dieser Voraussetzung an, sie sei zur Abgrenzung von Gewerkschaften zu betriebsverfassungsrechtlichen Organen erforderlich.1424 Dahinter steht der Gedanke, dass eine Gewerkschaft, die auf einen einzigen Betrieb beschränkt ist, bei durchschnittlichem Organisationsgrad deutlich weniger Arbeitnehmer repräsentiert als der Betriebsrat. Dennoch kann die Gewerkschaft Tarifverträge und damit Normen schaffen, die Betriebsvereinbarungen übergeordnet sind. Doch auch dieses Argument vermag nicht durchzugreifen. Allen Arbeitnehmern des Betriebs bleibt es unbenommen, der Gewerkschaft beizutreten und Einfluss auf die innergewerkschaftliche Willensbildung und damit mittelbar auch auf den Inhalt der Tarifverträge zu nehmen. Aus alledem folgt, dass die Überbetrieblichkeit der Vereinigung kein Merkmal einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG darstellt. (b) Tarifwilligkeit Des Weiteren muss die Gewerkschaft bereit sein, auf den Abschluss von Tarifverträgen hinzuwirken.1425 (c) Soziale Mächtigkeit Schließlich verlangt die überwiegende Ansicht einschließlich der Rechtsprechung1426 für die Tariffähigkeit eine gewisse „soziale Mächtigkeit“ der Gewerk1423

Siehe dazu noch sogleich § 6 B.I.1.a)cc)(1)(c). Vgl. Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 407 f.; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 97. 1425 Ob man die Tarifwilligkeit bereits als Begriffsmerkmal einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG (so etwa Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht II/1, S. 105) oder lediglich als Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Koalition im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG (dafür Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 28; Junker Arbeitsrecht Rn. 464) versteht, kann im Rahmen dieser Untersuchung dahinstehen. Eine weitere – umstrittene – Voraussetzung für die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft ist die Arbeitskampfbereitschaft, also die Bereitschaft der Gewerkschaft, den Abschluss von Tarifverträgen nötigenfalls mit Arbeitskämpfen zu erstreiten. Da aber an dieser Stelle die Tariffähigkeit allein als Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines von der Gewerkschaft geführten Arbeitskampfes erörtert wird, ist von einer Arbeitskampfbereitschaft der Gewerkschaft stets auszugehen. Es ist daher nicht erforderlich, zu diskutieren, inwiefern diese Voraussetzung überhaupt ihre Berechtigung hat. 1426 BAG 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit, der Sache nach gebilligt von BVerfG 20.10. 1981 – 1 BvR 404/78, AP Nr. 31 zu § 2 TVG; ErfKDieterich Art. 9 GG Rn. 66; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 12 Rn. 24–27; 1424

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schaft. Damit ist ihre Fähigkeit gemeint, hinreichend Druck auf den sozialen Gegner auszuüben, um ihre tariflichen Ziele durchzusetzen.1427 Für ein solches Erfordernis spricht, dass andernfalls die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gefährdet wäre.1428 Stünde eine schwache, nicht „sozial mächtige“ Gewerkschaft einem mächtigen Arbeitgeberverband bei Tarifvertragsverhandlungen gegenüber, drohte der daraus resultierende Tarifvertrag allein den Vorstellungen der Arbeitgeberseite zu entsprechen. Er wäre dann kein Interessenausgleich als Ergebnis echter Verhandlungen, sondern käme einem Diktat der Arbeitgeberseite gleich.1429 Eine solche Verhandlungssituation widerspräche dem Leitbild des Tarifvertragssystems, wonach sich grundsätzlich gleich starke Sozialpartner gegenüberstehen sollen.1430 Die soziale Mächtigkeit ist nach der überwiegenden Ansicht nach objektiven Kriterien wie Mitgliederzahl, Anzahl der Betriebe, in denen die Gewerkschaft vertreten ist, personeller und sachlicher Ausstattung des Verbands sowie erfolgreichen Abschlüssen von Tarifverträgen in der Vergangenheit zu bestimmen.1431 Das letztgenannte Element begegnet dabei aber zu Recht erheblichen Bedenken.1432 Einen Tarifvertrag konnte die Gewerkschaft in der Vergangenheit nur abschließen, wenn sie zu diesem Zeitpunkt hinreichend sozial mächtig war. Erachtete man dieses Element als unabdingbare Voraussetzung, wäre es neu gegründeten Gewerkschaften unmöglich, jemals sozial mächtig und damit tariffähig zu werden. Eine solche Rechtslage stünde im Widerspruch zur Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG, die die Möglichkeit schützt, neue Koalitionen zu ErfK-Franzen § 2 TVG Rn. 11–14; MünchArbR-Rieble/Klumpp § 164 Rn. 10; kritisch dagegen Henssler/Willemsen/Kalb-Henssler § 2 TVG Rn. 18; Richardi NZA 2004, S. 1025, 1028. 1427 Vgl. ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 66; ErfK-Franzen § 2 TVG Rn. 11; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 48; ausführlich Doerlich Tariffähigkeit, S. 75 ff. 1428 Vgl. ErfK-Franzen § 2 TVG Rn. 11; MünchArbR-Rieble/Klumpp § 164 Rn. 10 f.; ferner Doerlich Tariffähigkeit, S. 221–223. 1429 Ähnlich BVerfG 20.10.1981 – 1 BvR 404/78, AP Nr. 31 zu § 2 TVG. 1430 Dieser Gedanke liegt auch der Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Kampfparität zugrunde; vgl. dazu noch unten § 6 B.I.1.a)ff). 1431 Vgl. BAG 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 431 f.; MünchArbR-Rieble/Klumpp § 164 Rn. 14; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 358 f.; relativierend allerdings jüngst BAG 5.10.2010 – 1 ABR 88/09, AP Nr. 7 zu § 2 TVG, wonach bei noch jungen Arbeitnehmerkoalition ohne Angaben zur Zahl ihrer Mitglieder und organisatorischen Leistungsfähigkeit allein die Anzahl abgeschlossener Tarifverträge die Tariffähigkeit nicht belegen könne, da die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition nicht mit dem Abschluss von Tarifverträgen entstehe, sondern hierfür Wirksamkeitsvoraussetzung sei. 1432 Ebenfalls kritisch ErfK-Franzen § 2 TVG Rn. 12; MünchArbR-Rieble/Klumpp § 164 Rn. 15, die zutreffend von einem „Zirkelschluss“ sprechen; vgl. auch Henssler/ Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 51 und BAG 5.10.2010 – 1 ABR 88/09, AP Nr. 7 zu § 2 TVG; an diesem Erfordernis festhaltend hingegen ArbG Köln 30.10. 2008 – 14 BV 324/08, ArbuR 2009, S. 100 ff.

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gründen. Daher kann man diesem Kriterium allenfalls Indizwirkung für die soziale Mächtigkeit zubilligen. Umstritten ist innerhalb der überwiegenden Ansicht, für welchen sachlichen und räumlichen Bereich die soziale Mächtigkeit zu bestimmen ist. Einige Stimmen gehen von einer relativen oder partiellen Tariffähigkeit aus. Danach soll die soziale Mächtigkeit für verschiedene Branchen oder Gebiete unabhängig voneinander zu beurteilen sein.1433 Demgegenüber bestimmen die Rechtsprechung und die überwiegende Anzahl der Autoren die soziale Mächtigkeit absolut und somit einheitlich für das gesamte Betätigungsfeld einer Gewerkschaft in sachlicher wie in räumlicher Hinsicht.1434 Der letztgenannten Auffassung ist zuzustimmen. Zwar mag die relative Tariffähigkeit präzisere und fairere Ergebnisse erzielen als die absolute Tariffähigkeit. Sie erkennt die Tariffähigkeit nur dort an, wo eine hinreichende Mächtigkeit wirklich gegeben ist. Das BAG hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass mit der Verwirklichung des Konzepts der partiellen Tariffähigkeit eine im Interesse einer funktionierenden Tarifautonomie nicht mehr hinnehmbare Rechtsunsicherheit einherginge.1435 Dem Abschluss jedes Tarifvertrags müsste eine individuelle Prüfung der Tariffähigkeit der beteiligten Gewerkschaft vorausgehen. Angesichts der oben benannten flexiblen Kriterien, nach denen die soziale Mächtigkeit zu bestimmen ist, wäre dies mit einem enormen Aufwand verbunden. Dieser könnte die Sozialpartner vom Abschluss von Tarifverträgen abschrecken. Dadurch würde das existierende Tarifvertragssystem in nicht zu unterschätzendem Maße gefährdet. Mit Recht fürchtet das BAG diese Konsequenzen und bevorzugt das zu weniger präzisen Ergebnissen führende Konzept der absoluten Tariffähigkeit, selbst wenn damit das – für die Tarifautonomie weniger gefährliche – Problem einhergeht, dass eine absolut tariffähige Gewerkschaft auch in Regionen oder Branchen als tariffähig gilt, in denen es ihr tatsächlich an Durchsetzungsfähigkeit mangelte.1436 Dabei stellt das BAG ausdrücklich klar, dass einer Gewerkschaft die Tariffähigkeit insgesamt nicht versagt werden darf, nur weil es ihr in einem Teilbereich an der hinreichenden Mächtigkeit fehlt. Dadurch soll auch gewährleistet werden, dass eine anerkannte Gewerkschaft ihre Tariffähigkeit insgesamt nicht verliert, wenn sie ihren Zuständigkeitsbereich durch Satzungsänderung auf Bereiche erstreckt, in denen sie noch nicht über eine hinreichende Mächtigkeit ver1433 Dütz DB 1996, S. 2385, 2389; Rieble FS Wiedemann (2002), S. 519, 532 ff.; MünchArbR-Rieble/Klumpp § 164 Rn. 16. 1434 BAG 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; Henssler/ Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 52; Richardi NZA 2004, S. 1025, 1029; Stahlhacke DB 1964, S. 697, 697 f.; vgl. auch Doerlich Tariffähigkeit, S. 287 ff., insbesondere S. 321. 1435 Vgl. BAG 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; zustimmend Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 52. 1436 Vgl. BAG 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit.

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fügt, diese aber erwerben könnte. Nur auf diese Weise kann dem in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG verankerten Recht der Gewerkschaften Rechnung getragen werden, ihren Zuständigkeitsbereich autonom und eigenverantwortlich festzulegen.1437 (2) Tarifzuständigkeit Weiterhin muss die Gewerkschaft auch für den Abschluss des Tarifvertrags, den sie durch den Streik erkämpfen möchte, zuständig sein.1438 Diese Voraussetzung ergibt sich daraus, dass die Tarifzuständigkeit der beteiligten Tarifvertragsparteien Wirksamkeitsvoraussetzung eines Tarifvertrags ist.1439 Die sogenannte Tarifzuständigkeit muss in räumlicher, zeitlicher, persönlicher sowie betrieblicher und fachlicher Hinsicht gegeben sein. Ihre Tarifzuständigkeit legen die Gewerkschaften eigenverantwortlich durch entsprechende Gestaltung ihrer Satzung fest.1440 In fachlicher und betrieblicher Hinsicht steht es den Gewerkschaften frei, sich einem von zwei Grundprinzipien unterzuordnen, dem Industrieverbandsprinzip oder dem Fachverbandsprinzip.1441 Ist eine Gewerkschaft nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert, ist sie für alle Arbeitnehmer der in diesem Industriezweig tätigen Unternehmen tarifzuständig. Dabei spielt es keine Rolle, ob die konkrete Tätigkeit des betreffenden Arbeitnehmers als branchenfremd anzusehen ist. Beispielsweise kann die dem Industrieverbandsprinzip folgende IG Metall Tarifverträge für einen Arbeitnehmer schließen, der als Koch in der Kantine eines stahlverarbeitenden Unternehmens arbeitet. Orientiert sich die Organisation einer Gewerkschaft dagegen an dem Fachverbandsprinzip, ist die Gewerkschaft für alle Arbeitnehmer einer oder mehrerer Berufsgruppen tarifzuständig, während die Branche des Unternehmens, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, keine Rolle spielt. Um im Bild des eben gewählten Beispiels zu bleiben: Eine (fiktive) Deutsche Koch-Gewerkschaft könnte sich für alle in der Essenszubereitung tätigen Arbeitnehmer tarifzuständig erklären. Es käme dann nicht darauf an, dass der betreffende Arbeitnehmer bei einem stahlverarbeitenden Unternehmen, einem Unternehmen der Luftfahrtindustrie, im Beherbergungsgewerbe oder in der Gastronomie tätig ist. Nach dem Fachverbandsprinzip sind in der Praxis beispielsweise die Piloten in der Vereinigung Cockpit oder die Lokomotivführer in der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer organisiert. 1437

Vgl. BAG 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit. Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 39; Löwisch ArbeitskampfrechtLöwisch/Rieble 170.2 Rn. 10; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 135. 1439 BAG 27.11.1961 – ABR 13/63, AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Berg/ Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 2 Rn. 104; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 39; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 10. 1440 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 2 Rn. 205; ErfK-Franzen § 2 TVG Rn. 33 f.; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 531. 1441 Vgl. zum Folgenden Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 2 Rn. 105 ff.; ErfK-Franzen § 2 TVG Rn. 34; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 531 ff. 1438

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dd) Zulässiges Kampfziel Weiterhin muss das von der Gewerkschaft mit dem Streik angestrebte Ziel unter arbeitskampfrechtlichen Gesichtspunkten zulässig sein.1442 Das bedeutet zum einen, dass die Gewerkschaft durch den Streik den Abschluss eines Tarifvertrags erkämpfen wollen muss. Zum anderen muss der Inhalt des angestrebten Tarifvertrags arbeitskampfrechtlich zulässig sein. (1) Abschluss eines Tarifvertrags Da die Gewerkschaft durch den Streik den Abschluss eines Tarifvertrags erzwingen wollen muss, sind politische Arbeitskämpfe nicht gestattet.1443 Ebenfalls nicht erlaubt sind sogenannte Demonstrationsstreiks, mit denen die Arbeitnehmer gegen eine Entscheidung des Arbeitgebers protestieren, ohne eine diesbezügliche tarifvertragliche Regelung anzustreben.1444 Heftig umstritten ist hingegen die Zulässigkeit sogenannter Sympathiestreiks. Bei einem Sympathiestreik kämpfen die streikenden Arbeitnehmer nicht dafür, ihrem Arbeitgeber einen Tarifvertrag aufzuzwingen. Vielmehr handelt es sich um eine Unterstützungsmaßnahme für einen anderen Streik, den sogenannten Hauptarbeitskampf. Diesen Hauptarbeitskampf führen andere Arbeitnehmer gegen einen anderen Arbeitgeber um einen Tarifvertrag. Durch den Sympathiestreik wollen die Arbeitnehmer auf ihren – an den Tarifverhandlungen nicht beteiligten – Arbeitgeber Druck ausüben, damit er den im Hauptarbeitskampf bestreikten Arbeitgeber zum Nachgeben veranlasst. Die ältere Rechtsprechung des BAG und der überwiegende Teil der Literatur halten solche Streiks für grundsätzlich unzulässig.1445 Eine Ausnahme bestehe nur, wenn der durch den Sympathiestreik bestreikte Arbeitgeber zuvor eine Neutralitätsverletzung begehe, etwa, indem er außerhalb des umkämpften Tarifgebiets einverständlich die Produktion eines anderen bestreikten Arbeitgebers über1442 Vgl. Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 3 Rn. 23 ff.; Hromadka/ Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 42 ff.; Otto Arbeitskampfrecht § 5 Rn. 1 ff.; Brox/ Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 138 ff. 1443 Junker Arbeitsrecht Rn. 605; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 42; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 511 f.; einschränkend Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 139, der eine Ausnahme für die Inanspruchnahme des Widerstandsrechts gemäß Art. 20 Abs. 4 GG machen möchte. 1444 Vgl. Junker Arbeitsrecht Rn. 605; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 42; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 141. 1445 BAG 5.3.1985 – 1 AZR 468/83, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 42; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 510 f.; Jacobs ZfA 2011, S. 71, 91 f.; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2. Rn. 162 ff.; Otto Arbeitskampfrecht § 10 Rn. 39; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 144; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 270 f.

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nehme, um dessen Lieferverpflichtungen zu erfüllen.1446 Auch eine hinreichende wirtschaftliche oder verbandsmäßige Verflechtung könne ausnahmsweise einen Sympathiestreik rechtfertigen.1447 Ein anderer Teil der Wissenschaft und – seit einem vielbeachteten Urteil im Jahre 2007 – auch die jüngere BAG-Rechtsprechung bejahen dagegen die grundsätzliche Zulässigkeit von Sympathiestreiks, stellen dafür aber besondere Voraussetzungen auf.1448 Ein Sympathiestreik sei in der Regel zulässig, sofern er nicht ausnahmsweise unverhältnismäßig, namentlich offensichtlich ungeeignet, nicht erforderlich oder unangemessen erscheine. Das BAG konkretisierte diese Vorgaben noch dahingehend, dass die „Nähe bzw. Weite zum Hauptarbeitskampf“ für die Verhältnismäßigkeitsprüfung maßgeblich sein soll.1449 In der betreffenden Entscheidung ließ das BAG für eine hinreichende Nähe zum Hauptarbeitskampf eine wirtschaftliche Verflechtung der Kampfgegner genügen. Zu dieser Diskussion ist festzustellen, dass es im Kern um die Frage geht, wie das Verhältnis von Regel und Ausnahme zu bestimmen ist.1450 Soll der Sympathiestreik grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unzulässig sein oder umgekehrt? Dass das BAG in seiner jüngeren Rechtsprechung von einer grundsätzlichen Zulässigkeit ausgeht, ist sehr bedenklich. Der bestreikte Arbeitgeber hat für sich genommen erst einmal keinerlei Möglichkeit, die Forderungen seiner streikenden Arbeitnehmer zu erfüllen.1451 Eine solche Reaktion ist nur der Arbeitgeberseite des Hauptarbeitskampfs möglich, auf die der im Wege des Sympathiearbeitskampfs bestreikte Arbeitgeber häufig keinen oder nur geringen Einfluss hat. Ein Unterstützungsstreik wird daher regelmäßig zur Unterstützung des Hauptarbeitskampfs ungeeignet sein.1452 Die Dinge mögen zwar in Ausnahmefällen – beispielsweise in der Konstellation, die der neuen BAG-Entscheidung zugrunde lag – anders liegen. Wenn die beiden bestreikten Arbeitgeber wirtschaftlich verflochten sind, etwa, weil sie dem gleichen Konzern angehören, ist eine Einflussnahme des durch den Sympathiearbeitskampf bestreikten Arbeitgebers auf sein Schwesterunternehmen denkbar. Eine solche Konstellation ist aber 1446 BAG 5.3.1985 – 1 AZR 468/83, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 271; Otto Arbeitskampfrecht § 10 Rn. 46. 1447 BAG 5.3.1985 – 1 AZR 468/83, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Otto Arbeitskampfrecht § 10 Rn. 42–45. 1448 BAG 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Dütz/ Thüsing Arbeitsrecht Rn. 707, 1098; wohl auch ErfK-Dieterich Art.9 GG Rn. 121; Junker Arbeitsrecht Rn. 605 f.; Wollenschläger Arbeitsrecht Rn. 651; weitergehend Däubler Arbeitskampfrecht-Wolter § 17 Rn. 85 ff. 1449 BAG 5.3.1985 – 1 AZR 468/83, AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1450 Vgl. ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 121. 1451 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 42; Jacobs ZfA 2011, S. 71, 91; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 144. 1452 Vgl. Jacobs ZfA 2011, S. 71, 91.

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die Ausnahme, nicht die Regel. Es bestand und besteht kein Bedarf für das BAG, vor diesem Hintergrund seine ursprüngliche Rechtsprechung auf den Kopf zu stellen. Vielmehr hätte im konkreten Fall das BAG die Zulässigkeit auch nach seinen alten Grundsätzen bejahen können.1453 Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass Sympathiearbeitskämpfe richtigerweise als grundsätzlich unzulässig einzustufen sind. Lediglich in einem Ausnahmefall, etwa, wenn zwischen den Arbeitgebern enge wirtschaftliche Verflechtungen bestehen, kann ein solcher Streik rechtmäßig sein. (2) Arbeitskampfrechtlich zulässiger Inhalt des angestrebten Tarifvertrags Darüber hinaus muss auch der Inhalt des angestrebten Tarifvertrags arbeitskampfrechtlich zulässig sein.1454 Ziele, die nicht unter die Regelungskompetenz der Sozialpartner fallen oder von der Rechtsordnung missbilligt werden, kommen hierfür nicht in Betracht.1455 Insbesondere darf die angestrebte tarifliche Regelung keine Rechte anderer Betroffener verletzen, etwa die negative Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers oder von Außenseiter-Arbeitnehmern oder die positive Koalitionsfreiheit von Andersorganisierten.1456 Auch die Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 GG spielt eine Rolle.1457 In diesem Bereich sind viele Einzelheiten umstritten.1458 Anders als der angestrebte Gegenstand der tarifvertraglichen Regelung unterliegt die Höhe der gewerkschaftlichen Forderung keiner gerichtlichen Kontrolle.1459 Das BAG geht insoweit zutreffend davon aus, dass andernfalls in unzulässiger Weise in die Koalitionsfreiheit der fordernden Gewerkschaft eingegriffen und die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gefährdet würde.1460 1453

Ebenso Jacobs ZfA 2011, S. 71, 74. ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 115; Junker Arbeitsrecht Rn. 607; Hromadka/ Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 43; Otto Arbeitskampfrecht § 5 Rn. 4 f.; vgl. auch Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1069 ff. 1455 Preis Kollektivarbeitsrecht, S. 366 f.; Otto Arbeitskampfrecht § 5 Rn. 8; vgl. auch Kissel Arbeitskampfrecht § 24 Rn. 9. 1456 Vgl. Däubler Arbeitskampfrecht-Däubler § 13 Rn. 16; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 115; MünchArbR-Löwisch/Rieble (2. Auflage) § 259 Rn. 20 ff.; MünchArbR-Rieble/Klumpp § 169 Rn. 44 ff.; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 434. 1457 Vgl. hierzu ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 116. 1458 Vgl. näher Junker Arbeitsrecht Rn. 510–515; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 45 i.V. m. § 13 Rn. 153 ff. 1459 BAG 21.6.1988 – 1 AZR 651/86, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 3 Rn. 159; Schaub-Koch ArbR-Hdb. (13. Auflage) § 193 Rn. 8a; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 508. 1460 BAG 21.6.1988 – 1 AZR 651/86, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 24.4.2007 – 1 AZR 252/06, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Sozialplan; zustimmend Schaub-Koch ArbR-Hdb. (13. Auflage) § 193 Rn. 8a; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 508. 1454

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

ee) Einhaltung der Friedenspflicht Ferner darf der Streik nicht gegen die Friedenspflicht verstoßen.1461 Die Friedenspflicht ist die aus einem vorangegangenen Tarifvertrag resultierende Verpflichtung der Gewerkschaft, für die Laufzeit dieses Tarifvertrags keine Arbeitskämpfe gegen den Vertragspartner zu führen.1462 Dabei ist zwischen der absoluten und der relativen Friedenspflicht zu differenzieren: Während die absolute Friedenspflicht jeglichen Arbeitskampf gegen den Kampfgegner verbietet, bezieht sich die relative Friedenspflicht nur auf Streiks zur Durchsetzung solcher tariflicher Forderungen, die mit einer im alten Tarifvertrag bereits geregelten Materie zusammenhängen.1463 Die relative Friedenspflicht ist jedem Tarifvertrag immanent und muss daher nicht ausdrücklich vereinbart werden.1464 Demgegenüber besteht eine absolute Friedenspflicht nur, wenn die Tarifpartner sie vereinbaren.1465 Bloße Vorbereitungshandlungen zu einem Arbeitskampf wie etwa die Durchführung einer Urabstimmung verstoßen noch nicht gegen die Friedenspflicht.1466 Erst die Arbeitsniederlegung selbst beeinträchtigt den Kampfgegner und soll daher durch die Friedenspflicht verhindert werden. ff) Wahrung der Kampfparität Weiterhin muss der Streik die Kampfparität der Tarifpartner wahren.1467 Dieser Anforderung liegt der Gedanke der Waffen- und Chancengleichheit der Verhandlungspartner zugrunde.1468 Keine Seite darf sich durch Arbeitskampfmaßnahmen in die Lage versetzen, der Gegenseite ihre Forderungen aufzuzwingen. Andernfalls wäre die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems gefährdet.1469 1461 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 124; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 352; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 31. 1462 Vgl. v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 506 f.; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 31; vgl. auch Junker Arbeitsrecht Rn. 608. 1463 Junker Arbeitsrecht Rn. 608; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 506 f.; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 47; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 31. 1464 Junker Arbeitsrecht Rn. 608; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 506 f.; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 48; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 31. 1465 Junker Arbeitsrecht Rn. 608; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 506 f.; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 48; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 31. 1466 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 50; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 36; Däubler Arbeitskampfrecht-Wolter § 16 Rn. 13. 1467 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 70 ff.; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 38 ff.; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 166 ff. 1468 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 70; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 166; vgl. auch Dütz/Thüsing Arbeitsrecht Rn. 726. 1469 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 70; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 166.

§ 6 Untersuchung von Ausschlussgründen

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Die Kampfparität bestimmt sich nach heute überwiegender Ansicht nach einem abstrakt-materiellen Maßstab.1470 Dabei stellt man auf die realen Kräfteverhältnisse der Kampfparteien über einen längeren Zeitraum ab.1471 Die konkreten Umstände des Arbeitskampfs werden nur berücksichtigt, soweit sie einer typisierenden Betrachtungsweise zugänglich sind. Situationsgebundene Vorteile einer Seite bleiben dabei ebenso außer Betracht wie das jeweilige Kampfziel.1472 Besonders wichtig ist dieses Kriterium bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit neuer Kampfmittel. Dementsprechend ist seine Bedeutung als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung des „klassischen“ Kampfmittels Streik gering. Hinzu kommt, dass das BAG von einer strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmerseite gegenüber der Arbeitgeberseite ausgeht, die erst durch das Kampfmittel Streik ausgeglichen wird.1473 Selbst die Durchführung eines Schwerpunktstreiks, der es der Gewerkschaft ermöglicht, mit geringem Aufwand eine relativ große Wirkung auf Arbeitgeberseite zu erzielen, verstößt daher nach zutreffender und ganz überwiegender Auffassung nicht gegen das Gebot der Kampfparität.1474 Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich in Zukunft neue Formen des Streiks entwickeln, die die Kampfparität stören und daher rechtswidrig sind. gg) Verhältnismäßigkeit Zudem muss der Streik verhältnismäßig sein.1475 Nach den vom Großen Senat des BAG im Jahre 1971 herausgearbeiteten Grundsätzen sind Arbeitskämpfe nur 1470 BAG 10.6.1980 – 1 AZR 168/79, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 71–76; Kissel Arbeitskampfrecht § 32 Rn. 18 ff.; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 168; vgl. auch Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.1 Rn. 64. 1471 Kissel Arbeitskampfrecht § 32 Rn. 24; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 167; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 444. 1472 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 76; zur Nichtberücksichtigung situationsgebundener Vorteile Kissel Arbeitskampfrecht § 32 Rn. 36. 1473 BAG 10.6.1980 – 1 AZR 168/79, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Berg/Platow/ Schoof/Unterhinninghofen Teil 3 Rn. 3, 6; vgl. auch Junker Arbeitsrecht Rn. 609; Brox/ Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 183. Die universelle Richtigkeit der Grundannahme des BAG, die Arbeitnehmerseite sei der Arbeitgeberseite hinsichtlich ihrer Schlagkraft grundsätzlich unterlegen, kann heute zumindest in einigen Bereichen stark bezweifelt werden. Das gilt insbesondere für die Fähigkeit einiger Spartengewerkschaften wie der Vereinigung Cockpit oder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, mit relativ geringem Aufwand den Arbeitgeber vollständig lahmzulegen und ihm binnen kürzester Zeit hohe finanzielle Verluste beizufügen. 1474 Dütz/Thüsing Arbeitsrecht Rn. 729; vgl. auch Kissel Arbeitskampfrecht § 32 Rn. 65–67. 1475 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 129 ff.; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 59–69; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 108 ff.; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 43; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 434–436; vgl. auch Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 578.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

zulässig, wenn zuvor alle anderen Verständigungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind und im Arbeitskampf das letzte mögliche Mittel (ultima ratio) zur Druckausübung liegt.1476 Zudem dürfen Streiks auch nur dann eingeleitet und durchgeführt werden, soweit sie geeignet und sachlich erforderlich sind, um rechtmäßige Kampfziele und den nachfolgenden Arbeitsfrieden zu erreichen.1477 Damit hat der Große Senat zwei wesentliche Elemente der durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung benannt, nämlich das Ultima-Ratio-Prinzip und die Voraussetzung der Angemessenheit. Hinzu tritt noch das sogenannte Gebot fairer Kampfführung, wonach die Kampfparteien nicht die Vernichtung des Kampfgegners betreiben dürfen.1478 (1) Ultima-Ratio-Prinzip Mit dem Ultima-Ratio-Prinzip spricht der Große Senat des BAG den Grundsatz der Erforderlichkeit an, wonach der Gewerkschaft kein für den Kampfgegner milderes Mittel zur Verfügung stehen darf, das zur Erreichung des Kampfziels ebenso gut geeignet ist wie der Streik.1479 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen, insbesondere, soweit es um die Wahl des Arbeitskampfmittels geht. Die Kampfparteien sind verpflichtet, unter mehreren gleich geeigneten Kampfmitteln stets das für die Gegenseite mildeste einzusetzen. Ausdruck des Ultima-Ratio-Prinzips soll nach Ansicht des BAG und der überwiegenden Ansicht in der Literatur aber auch sein, dass vor dem Arbeitskampf alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden müssen.1480 Die Relevanz dieses Kriteriums ist indes in erheblichem Maße zweifelhaft, da auch das BAG diese Voraussetzung „verwässert“, wie Dütz/Thüsing treffend formulieren.1481 Zwar soll die Gewerkschaft dem Kampfgegner ihre Forderungen bekannt geben und den Versuch unternehmen müssen, mit diesem in Verhandlungen zu treten. Da aber der Inhalt der gewerkschaftlichen Forderungen keiner Kontrolle unterliegt,1482 kann von der Gewerkschaft nicht verlangt werden, sich inhaltlich auf 1476

BAG (GS) 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BAG (GS) 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1478 BAG (GS) 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Dütz/ Thüsing Arbeitsrecht Rn. 742; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 67–69; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 42. 1479 Vgl. ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 132 f.; Dütz/Thüsing Arbeitsrecht Rn. 735 ff.; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 507 f.; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 62 ff.; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 108 ff.; Otto Arbeitskampfrecht § 7 Rn. 11 ff.; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 47 ff.; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 164. 1480 BAG (GS) 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 62; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/ Rieble 170.2 Rn. 109; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 47. 1481 Dütz/Thüsing Arbeitsrecht Rn. 736. 1482 Siehe oben § 6 B.I.1.a)dd)(2). 1477

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die Arbeitgeberseite zuzubewegen. Folglich kann auch die Frage, wie ernsthaft die Gewerkschaft eine Einigung versucht, ehe sie zum Streik aufruft, nicht überprüft werden. Zudem meint das BAG, es liege im Ermessen der Verhandlungspartner zu bestimmen, wann die Verhandlungen gescheitert seien.1483 Damit wird die Forderung des Großen Senats, Streik müsse Ultima Ratio sein, inhaltsleer. Es ist sinnlos, von einer Gewerkschaft zu verlangen, sich vor einem Streikaufruf mit dem Arbeitgeber an einen Tisch zu setzen und diesen zu fragen, ob er bedingungslos auf die gewerkschaftlichen Forderungen eingehen will. In aller Regel wird er das nicht in vollem Umfang tun, so dass die Gewerkschaft nach diesem erfolglosen Verhandlungsversuch zum Streik aufrufen darf. In einem Streikaufruf der Gewerkschaft liegt regelmäßig konkludent die Erklärung, dass sie die Verhandlungen für gescheitert erachtet.1484 In dieser Form verkommt die Forderung, alle Verhandlungsmöglichkeiten seien auszuschöpfen, zu einer bloßen Förmelei. Ihr geht jede praktische Bedeutung ab. Aus diesem Grund ist sie aufzugeben.1485 Ebenso ist eine in der Literatur vertretene Ansicht1486 abzulehnen, wonach die Gewerkschaft zwingend den Versuch einer Schlichtung zu unternehmen hat, ehe sie zum Streik aufruft. Da die Gewerkschaft in der Gestaltung ihrer Forderungen ebenso wie im Maß ihrer Nachgiebigkeit frei ist, bringt das Erfordernis einer Zwangsschlichtung keinen ersichtlichen Gewinn für alle Beteiligten.1487 (2) Angemessenheit Der Streik darf ferner in Umfang und Ausmaß nicht außer Verhältnis zum erstrebten Kampfziel stehen.1488 Wie erwähnt unterliegt das Kampfziel selbst, etwa 1483 BAG 21.6.1988 – 1 AZR 651/86, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. dazu Dütz/Thüsing Arbeitsrecht Rn. 736; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 47. 1484 Vgl. BAG 21.6.1988 – 1 AZR 651/86, AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hirschberg RdA 1989, S. 212, 215; de lege lata wohl auch Reuter ZfA 1990, S. 535, 558; zweifelnd Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 111; Hromadka/ Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 63. Demgegenüber verlangt Seiter Streikrecht, S. 514 f., dass die Verhandlungsführer das Scheitern der Verhandlungen übereinstimmend feststellen. 1485 Ebenfalls kritisch Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1151 f.; Otto Arbeitskampfrecht § 7 Rn. 21; ähnlich (wenn auch wohl im Ergebnis am Ultima-RatioGrundsatz festhaltend) ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 132 f. 1486 Für eine Zwangsschlichtung Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 112; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 202; Seiter Streikrecht, S. 511 f., 518; wohl auch Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 65, Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 603; vgl. auch BAG (GS) 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1487 Ebenfalls gegen eine Zwangsschlichtung Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1150 f.; MünchArbR-Otto (2. Auflage) § 285 Rn. 104; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 50; Kissel Arbeitskampfrecht § 69 Rn. 28 f. 1488 Vgl. BAG 10.6.1980 – 1 AZR 168/79, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, AP Nr. 174 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hromadka/

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die Höhe der Entgeltforderungen, keiner Kontrolle.1489 Überprüft wird lediglich, ob der Streik und seine Folgen angemessene Mittel zur Erreichung des Kampfziels darstellen.1490 Dabei wird man aber nicht per se davon ausgehen dürfen, dass höhere gewerkschaftliche Forderungen automatisch einen längeren oder umfassenderen Streik rechtfertigen. Andernfalls wäre dem Rechtsmissbrauch Tür und Tor geöffnet: Die Gewerkschaft müsste lediglich vor jedem Arbeitskampf bewusst utopisch hoch gewählte Forderungen stellen und könnte dadurch auch Streiks von sehr gravierendem Umfang und Ausmaß rechtfertigen.1491 Bislang ist es nicht gelungen, eine griffige Formel für die Angemessenheit zu entwickeln, die sämtliche denkbaren Fallgestaltungen erfasst. Da sich die grundsätzliche Zulässigkeit von Arbeitskämpfen erst aus der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG ergibt und ein Streik auch in Grundrechte der Gegenseite eingreift,1492 muss man im Einzelfall die betroffenen Grundrechtspositionen aller Beteiligten abwägen und zu einem Ausgleich bringen.1493 Insoweit ist auch von Belang, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der angegriffenen Partei Verteidigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.1494 In diesem Zusammenhang spielt auch die Frage eine Rolle, inwiefern die Interessen Drittbetroffener in die Abwägung mit einzubeziehen sind. Da es sich um eine Abwägung auf Grundrechtsebene handelt, können die Interessen Dritter nur berücksichtigt werden, soweit Dritte ihrerseits in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden.1495 Hier ist vor allem der Bereich der Daseinsvorsorge (sogenannte Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 59; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 51; kritisch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 3 Rn. 137 ff., insbesondere 146 ff. 1489 Siehe oben § 6 B.I.1.a)dd)(2). 1490 Vgl. Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 59; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 508; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 51. 1491 Ähnliches klingt auch bei MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 55 an. 1492 In Betracht kommen insoweit insbesondere die positive wie negative Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG sowie seine Unternehmerfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG; vgl. dazu schon oben § 6 B.I.1.a)dd)(2). 1493 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 130. 1494 BAG 22.9.2009 – 1 AZR 972/08, NJW 2010, S. 631, 636. 1495 Inwiefern man in diesem Zusammenhang von einer unmittelbaren oder nur von einer mittelbaren Grundrechtsbeeinträchtigung eines Dritten sprechen kann, hängt davon ab, ob man eine unmittelbare Bindung der Tarifpartner an die Grundrechte annimmt (vgl. hierzu ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 46–47). Dafür spricht, dass die Tarifpartner vom Gesetzgeber durch das TVG dazu ermächtigt werden, in den Tarifverträgen Normen zu setzen, die für tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer zwingend und unmittelbar wie Gesetze wirken. Da der Gesetzgeber nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden ist, liegt es nahe, diese Grundrechtsbindung auf die Tarifpartner zu übertragen. Für eine nur mittelbare Wirkung lässt sich dagegen anführen, dass es sich bei den Tarifpartnern trotz ihrer Normsetzungskompetenz um staatsfreie und unabhängige Private handelt, die zudem ein eigenes Grundrecht ausüben, nämlich das aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG. Die Beantwortung dieser Frage kann an dieser Stelle aber dahinstehen, da auch eine nur mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung von Dritten über das Instrument der mittelbaren Drittwirkung zu berücksichtigen ist. Das Grundgesetz be-

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existenzielle Drittbetroffenheit) relevant.1496 Dieser Bereich wird tangiert, wenn aufgrund des Streiks andere Menschen bestimmte Leistungen nicht mehr erhalten, auf die sie existenziell angewiesen sind und für deren Erbringung der Staat einzustehen hat.1497 Beispiele sind etwa die Flugsicherung, der Nah- und eventuell auch der Fernverkehr mit dem Zug oder die medizinische Versorgung.1498 In solchen Fällen muss die streikende Gewerkschaft wenigstens eine Notversorgung gewährleisten oder zulassen. Andernfalls ist der Streik unverhältnismäßig und somit rechtswidrig. (3) Einhaltung des Gebots fairer Kampfführung Eine weitere besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist das Gebot fairer Kampfführung. Es besagt, dass die Gewerkschaft während des Streiks berechtigte Interessen ihres Gegners wahren muss.1499 Daher darf sie keine Maßnahmen ergreifen, welche die Existenzvernichtung des Gegners bezwecken oder bewirken.1500 Eine Ausnahme hiervon ist nur zu machen, wenn die Existenzgefährdung des Kampfgegners gerade dadurch einzutreten droht, dass sich dieser den hohen Tarifforderungen einer Gewerkschaft beugt. Andernfalls käme es zu einer nach Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG unzulässigen Tarifzensur.1501 schränkt sich nicht nur darauf, vor unmittelbaren staatlichen Eingriffen zu schützen, sondern statuiert darüber hinaus eine objektive Werteordnung, die auch auf das Privatrecht und damit auf die rechtlichen Verhältnisse zwischen Privaten ausstrahlt (vgl. hierzu das sogenannte „Lüth-Urteil“ des BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, S. 198). Daher sind auch die Grundrechte Dritter insbesondere im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln (vgl. §§ 138, 242 BGB) zu berücksichtigen und auch in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Streiks einzubeziehen. Vgl. zur mittelbaren Drittwirkung im Arbeitsrecht ferner Gornik NZA 2012, S. 1399 ff., sowie bereits oben die Nachweise bei Fn. 1343. 1496 Vgl. ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 134; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1176; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 58 ff.; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 200; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 438 f. 1497 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 134; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1176. 1498 Vgl. hierzu und zu weiteren Einzelheiten und Beispielen Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1176 ff.; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 60 ff. 1499 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 67. 1500 Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 3 Rn. 166; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 131; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 67; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 508; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 218; MünchArbR-Ricken § 200 Rn. 42; grundsätzlich auch MünchArbR-Otto (2. Auflage) § 285 Rn. 157–160; vgl. auch BAG 30.3.1982 – 1 AZR 265/80, AP Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, wonach die Fortsetzung der Arbeit nach Ende des Arbeitskampfes möglich sein muss. 1501 MünchArbR-Otto (2. Auflage) § 285 Rn. 159; später zweifelnd allerdings Otto Arbeitskampfrecht § 8 Rn. 42; wohl für eine Begrenzung BAG 26.10.1971 – 1 AZR 113/68, AP Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter A.II.3.e); Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 436.

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Ein Verstoß gegen das Gebot fairer Kampfführung liegt ferner vor, wenn die Gewerkschaft arbeitswilligen Arbeitnehmern den Zutritt zum Betrieb verweigert oder Notstands- oder Erhaltungsmaßnahmen behindert.1502 Notstandsmaßnahmen sind solche Arbeiten, die zur Aufrechterhaltung einer im öffentlichen Interesse gebotenen und erforderlichen Mindestversorgung durchgeführt werden müssen, wie etwa die Sicherstellung der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Energie, aber auch der Betrieb von Krankenhäusern.1503 Erhaltungsmaßnahmen sind demgegenüber erforderliche Arbeiten, die die Anlagen und Betriebsmittel in einem Zustand erhalten, dass nach Ende des Arbeitskampfes die Arbeit wieder aufgenommen werden kann.1504 Die Arbeitnehmerseite muss daher Maßnahmen unterlassen, die zu Schäden an Gegenständen des Arbeitgebers führen. Beispielsweise muss sie einen Hochofen auch während des Streiks weiter betreiben, wenn dieser andernfalls durch Erkalten beschädigt würde.1505 In allen diesen Fällen ist herauszustellen, dass der Streik nicht schon durch das individuelle Fehlverhalten einzelner streikender Arbeitnehmer rechtswidrig wird.1506 Voraussetzung hierfür ist vielmehr, dass ein solches Verhalten durch die Gewerkschaft gebilligt oder sogar institutionalisiert oder gefördert wird. hh) Kein Verstoß gegen ein besonderes Kampfverbot Schließlich darf der Streik auch nicht gegen ein von der Rechtsordnung statuiertes besonderes Kampfverbot verstoßen. Beispielsweise verbieten nach allgemeiner Ansicht die in Art. 33 Abs. 5 GG genannten hergebrachten Grundsätze über das Berufsbeamtentum Streiks von Beamten, Richtern oder Soldaten.1507 Gemäß § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG dürfen auch der Betriebsrat und dessen Mitglieder in dieser Eigenschaft keine Arbeitskämpfe führen. Allerdings bleibt das

1502 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 67 f.; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 218 ff.; Otto Arbeitskampfrecht § 8 Rn. 22 ff. 1503 Vgl. ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 186; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 292; Junker Arbeitsrecht Rn. 618; MünchArbR-Otto (2. Auflage) § 285 Rn. 141; Otto Arbeitskampfrecht Rn. 26. Dieser Prüfungspunkt überschneidet sich teilweise mit der Frage der Angemessenheit, wenn eine existenzielle Drittbetroffenheit vorliegt, vgl. dazu oben § 6 B.I.1.a)gg)(2). 1504 BAG 30.3.1982 – 1 AZR 265/80, AP Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 291; Junker Arbeitsrecht Rn. 618; MünchArbR-Otto (2. Auflage) § 285 Rn. 141; Otto Arbeitskampfrecht § 8 Rn. 27. 1505 Beispiel von MünchArbR-Otto (2. Auflage) § 285 Rn. 143 und Otto Arbeitskampfrecht § 8 Rn. 27. 1506 Vgl. Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 69; vgl. ferner Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 431. 1507 BVerfG 18.11.1954 – 1 BvR 629/52, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG; vgl. ferner Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 320; Junker Arbeitsrecht Rn. 619; MünchArbR-Otto (2. Auflage) § 285 Rn. 191.

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Recht der Betriebsratsmitglieder unberührt, sich als Arbeitnehmer an einem gewerkschaftlichen Streik zu beteiligen.1508 ii) Erfordernis einer Streikteilnahmeerklärung des Arbeitnehmers? Erfüllt der Streik die soeben dargestellten Voraussetzungen, ist er rechtmäßig. Es stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen die Rechtsfolgen des Streiks einen einzelnen Arbeitnehmer treffen. Konkret ist zu klären, ob man eine ausdrückliche oder schlüssige Streikteilnahmeerklärung des Arbeitnehmers fordert. Die überwiegende Ansicht geht von einem solchen Erfordernis aus.1509 Demgegenüber wollen andere Stimmen auf das Kriterium der hypothetischen Kausalität abstellen und dem Arbeitnehmer die Rechtsfolgen des Streiks nicht nur zurechnen, wenn er an dem Streik teilgenommen hat, sondern auch dann, wenn er seine Arbeitsleistung aus einem anderen Grund nicht erbracht hat, aber gestreikt hätte, wenn der andere Verhinderungsgrund nicht vorgelegen hätte.1510 Eine derartige Konstellation ist beispielsweise gegeben, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist und sich deswegen nicht an einem gleichzeitig stattfindenden Streik beteiligt, er aber gestreikt hätte, wenn er gesund gewesen wäre. Für die letztgenannte Ansicht wird eine Parallele zum bürgerlich-rechtlichen Schadensrecht angeführt.1511 Die in § 287 S. 2 BGB und § 848 BGB angeordnete Haftung für Zufallsschäden trete nur ein, sofern der Schaden nicht auch bei rechtzeitiger Leistung oder ohne die Entziehung der Sache eingetreten wäre. Diese Wertung sei auf das Entgeltfortzahlungsrecht zu übertragen.1512 Auch Billigkeitserwägungen spielen eine Rolle.1513 Ein Arbeitnehmer, der andernfalls ge1508 GK-Kreutz § 74 Rn. 38, 64 ff.; v. Hoyningen-Huene JuS 1987, S. 505, 508; HKBetrVG-Lorenz § 74 Rn. 10; HSWGNR-Worzalla § 74 Rn. 25 f. 1509 So unter anderem BAG 31.5.1988 – 1 AZR 589/86, AP Nr. 56 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91, AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 1.3.1995 – 1 AZR 786/94, AP Nr. 68 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; BAG 26.7.2005 – 1 AZR133/04, AP Nr. 170 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Berlin 13.5.1991 – 9 Sa 14/91, LAGE Nr. 44 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; MünchArbR-Otto (2. Auflage) § 288 Rn. 4; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 99; Däubler Schulung Rn. 436; Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 195 Rn. 13; vgl. auch Junker Arbeitsrecht Rn. 623; BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04, AP Nr. 170 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1510 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 124 ff., insbesondere S. 134–140; LAG Berlin 12.12.1990 – 13 Sa 84/90, BB 1991, S. 1492; LAG Hamm (Westfalen) 31.1.1990 – 3 Sa 1539/89, DB 1990, S. 2274; LAG München 28.6.2012 – 4 Sa 33/12 (unveröffentlicht); Milde Anmerkung zu BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91, SAE 1992, S. 288 ff., Schaub-Koch ArbR-Hdb. (13. Auflage) § 194 Rn. 10; vgl. auch Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 440; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 22. 1511 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 135, 139. 1512 Vgl. Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 139. 1513 Vgl. Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 140: „Der einzelne Arbeitnehmer wollte streiken und hätte dies auch getan (. . .).“

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streikt hätte, könne Entgelt nicht bloß dafür erhalten, dass er zu Hause krank im Bett liege, obwohl er auch keine Vergütung erhalten hätte, wenn er gesund gewesen wäre. In diesem Fall hätte er gestreikt und deshalb kein Entgelt erhalten. Der Arbeitnehmer soll nach dieser Ansicht nicht besser oder schlechter stehen, als wenn er gearbeitet hätte.1514 Gegen diesen Ansatz spricht aber, dass sehr wohl ein Unterschied zwischen der Situation besteht, in der der Arbeitnehmer tatsächlich streikt und jener, in der er sich nicht am Streik beteiligt, es aber getan hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Wer aus einem anderen Grund an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert ist, kann nicht an Streikkundgebungen teilnehmen und durch seine Präsenz Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. Man kann den Wegfall des Vergütungsanspruchs infolge einer Streikteilnahme als „Preis“ verstehen, den der Arbeitnehmer dafür zahlen muss, dass er von seinem Streikrecht Gebrauch macht. Ist er bereit diesen Preis zu bezahlen, erhält er dafür etwas anderes, nämlich die Möglichkeit, den Arbeitgeber unter Druck zu setzen. Druck übt der streikende Arbeitnehmer nicht nur durch seine Arbeitsniederlegung, sondern beispielsweise auch dadurch aus, dass er an Streikkundgebungen vor dem Werkstor teilnimmt. Ist der Arbeitnehmer krank, kann er sein Streikrecht nicht in dieser Weise nutzen. In diesem Fall wäre es unangemessen, dem Arbeitnehmer den Preis des Entgeltverzichts abzuverlangen, obwohl er nichts dafür erhalten hat. Auch die angeführte Parallele zum Schadensrecht überzeugt nicht.1515 Die Aussage zweier haftungsrechtlicher Normen des BGB zur Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe ist nicht auf das Arbeitskampfrecht zu übertragen. Die diesem Rechtsbereich zugrunde liegende Dogmatik basiert vor allem auf Verfassungs-, Gewohnheits- und „Richterrecht“ und hat sich in den vergangenen 60 Jahren eigenständig und vom bürgerlichen Recht weitgehend losgelöst entwickelt.1516 Die genannten Normen des BGB entfalten daher keine nennenswerte Aussagekraft hinsichtlich der Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe im Arbeitskampfrecht. Ebenso wie die Gegenansicht das bürgerlich-rechtliche Schadensrecht als Argument für deren Berücksichtigung heranzieht, lässt sich ein Vergleich mit strafrechtlichen Grundsätzen dagegen einwenden. Im Strafrecht werden hypothetische Ersatzursachen mit Ausnahme rettender Kausalverläufe nach überwiegender Auffassung nicht berücksichtigt.1517 Zudem weist Gloistein

1514 Vgl. hierzu die Argumentation von Milde Anmerkung zu BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91, SAE 1992, S. 288, S. 290. 1515 Ebenso BAG 24.2.1961 – 1 AZR 17/59, AP Nr. 31 zu § 1 ArbKrankhG; vgl. allgemein zur Bedeutung von hypothetischer Kausalität im Schadensrecht Gebauer Kausalität, S. 81 ff. 1516 Vgl. zur Entwicklung des Arbeitskampfrechts seit 1945 Däubler Arbeitskampfrecht-Däubler § 7; Kissel Arbeitskampfrecht § 2 Rn. 30–38; Otto Arbeitskampfrecht § 2 Rn. 14 ff.

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zutreffend darauf hin, dass die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe schuldrechtlichen Grundsätzen zuwiderläuft.1518 Nach § 326 Abs. 1 BGB ist Voraussetzung für einen Fortfall der Gegenleistungspflicht die tatsächliche Nichtleistung und nicht bloß eine hypothetische. Eindeutig gegen die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe und für das Erfordernis einer Streikteilnahmeerklärung spricht schließlich der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe ist in der Praxis sehr problematisch. Es wird kaum gelingen, herauszufinden, was ein gesunder Arbeitnehmer getan hätte, sofern er sich nicht selbst dazu äußert. Es wären daher erhebliche Beweisschwierigkeiten zu erwarten.1519 Die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe kann auch nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, dass andernfalls dem Arbeitgeber unzumutbare Ergebnisse drohen. Solche kämen zwar grundsätzlich dann in Betracht, wenn der eigentlich streikwillige Arbeitnehmer seinen Streik nur für die Dauer eines hinzutretenden anderen Verhinderungsgrundes unterbricht, um aufgrund des anderen Verhinderungsgrundes eine Vergütung zu erhalten. Derartige Ausnahmekonstellationen lassen sich aber auch sachgerecht lösen, indem man dem Arbeitnehmer gegebenenfalls die Berufung auf den anderen Verhinderungsgrund als rechtsmissbräuchlich gemäß § 242 BGB verwehrt.1520 Entscheidend ist aber folgender Gesichtspunkt: Berücksichtigte man hypothetische Kausalverläufe, verwehrte man dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich gegen eine Teilnahme am Streik und dessen Rechtsfolgen zu entscheiden. Ist dem Arbeitnehmer beispielsweise die Pflege seines kranken Kindes (für die er gegebenenfalls nach § 616 S. 1 BGB eine Vergütung verlangen kann) wichtiger als die Teilnahme am gleichzeitig stattfindenden Streik, bliebe nach der Gegenauffassung unberücksichtigt, dass der Arbeitnehmer in dieser spezifischen Situation eben gerade nicht streiken, sondern sich um sein Kind kümmern will. In vergleichbarer Weise ist denkbar, dass ein Arbeitnehmer es an einem kirchlichen Feiertag aus religiösen Gründen ablehnt, zu streiken. Es wäre unbillig, dem Arbeitnehmer die Rechtsfolgen eines Streiks aufzuzwingen, an dem er sich gar nicht beteiligen möchte. Nach alledem müssen hypothetische Kausalverläufe außer Betracht bleiben. Die Rechtsfolgen eines rechtsmäßigen Streiks treten daher nur ein, wenn der betreffende Arbeitnehmer ausdrücklich oder schlüssig seine Teilnahme an dem 1517 Vgl. Kühl Strafrecht AT, § 4 Rn. 11 f.; einschränkend Sancinetti ZStW 2008, S. 661 ff.; vgl. zur Entwicklung der Behandlung hypothetischer Kausalverläufe im Strafrecht Samson Kausalverläufe, S. 23–48. 1518 Gloistein Betriebsrat, S. 107 f. 1519 Buchner DB 1966, S. 110, 111; Henssler Anmerkung zu BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90, SAE 1991, 347, 349 f. 1520 So i. E. auch Reinecke, DB 1991, 1168, 1175.

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Streik erklärt. Eine konkludente Teilnahmeerklärung ist regelmäßig in der Arbeitsniederlegung zu sehen.1521 Etwas anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber den Umständen des Einzelfalls nicht zweifelsfrei entnehmen kann, dass die Nichterbringung der Arbeitsleistung gerade auf der Streikteilnahme beruht. Hierzu kann es beispielsweise kommen, wenn der Arbeitnehmer während der dem Streik vorausgehenden Zeit erkrankt war und der Arbeitgeber daher nicht weiß, ob der Arbeitnehmer der Arbeit fernbleibt, weil er immer noch erkrankt ist oder weil er am Streik teilnimmt. b) Rechtsfolgen Ist der Streik nach den eben dargelegten Voraussetzungen rechtmäßig und beteiligt sich der Arbeitnehmer, werden die beiderseitigen Hauptleistungspflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber suspendiert.1522 Der Arbeitnehmer wird zwar von seiner Arbeitspflicht befreit, verliert aber im Gegenzug auch seinen arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch. Die nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten bleiben hingegen unberührt.1523 2. Rechtswidriger Streik Ist ein Streik rechtswidrig, weil nicht alle der oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, und nimmt der Arbeitnehmer dennoch an dem Arbeitskampf teil, werden die Hauptleistungspflichten nicht suspendiert. Vielmehr verletzt der Arbeitnehmer durch die Arbeitsniederlegung seine Arbeitspflicht.1524 Der Arbeitgeber kann dagegen gerichtlich vorgehen und den Arbeitnehmer auf Leistung verklagen.1525 Zudem kommen vertragliche wie deliktische Schadensersatzansprüche sowie eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht.1526 Der Entgelt1521 Vgl. Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 99; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 5; MünchArbR-Otto (2. Auflage) § 288 Rn. 5; zurückhaltend hingegen nunmehr Otto Arbeitskampfrecht § 14 Rn. 4. 1522 BAG 22.3.1994 – 1 AZR 622/93, AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 20.12.1995 – 10 AZR 742/94, AP Nr. 141 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 192; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 94; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 1; MünchArbR-Ricken § 203 Rn. 1. 1523 BAG 5.11.1992 – 6 AZR 311/91, AP Nr. 7 zu § 40 BAT; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Brox Rn. 296 f.; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 100; Otto Arbeitskampfrecht § 14 Rn. 2, MünchArbR-Ricken § 203 Rn. 12. 1524 Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 296; Junker Arbeitsrecht Rn. 625; Otto Arbeitskampfrecht § 15 Rn. 4; vgl. auch Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 41. 1525 Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1203; Junker Arbeitsrecht Rn. 625; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 41. 1526 Vgl. Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1203 ff., 1207 ff.; Junker Arbeitsrecht Rn. 625; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 44 ff., 51 ff.

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anspruch des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag i.V. m. § 611 Abs. 1 BGB entfällt gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB.1527 II. Aussperrung 1. Rechtmäßige Aussperrung Das „klassische“ Kampfmittel der Arbeitgeberseite und mithin das Gegenstück zum Streik ist die Aussperrung. Eine Aussperrung ist die planmäßige Ausschließung mehrerer Arbeitnehmer von der Arbeit unter Verweigerung der Entgeltfortzahlung zur Erreichung bestimmter Ziele durch einen oder mehrere Arbeitgeber.1528 Die Aussperrung kann durch einen einzelnen Arbeitgeber oder einen Arbeitgeberverband erfolgen. Man unterscheidet ferner zwischen der Abwehr- und der Angriffsaussperrung. Bei einer Abwehraussperrung handelt es sich um eine Reaktion der Arbeitgeberseite auf einen unmittelbar vorausgehenden Streik. Eine Angriffsaussperrung liegt demgegenüber vor, wenn die Arbeitgeberseite die Initiative zum Arbeitskampf ergreift. Die Zulässigkeit der Angriffsaussperrung wird in der Literatur heftig diskutiert, auch wenn die praktische Bedeutung dieser Frage gering ist. Dabei entzündet sich der Streit an der Frage, ob die Zulässigkeit einer Angriffsaussperrung zu einer Störung der Kampfparität führte.1529 Für die Frage, welche Rechtsfolgen eine Aussperrung nach sich zieht, ist wiederum von entscheidender Bedeutung, ob sie rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Daher werden im Folgenden die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Aussperrung diskutiert. a) Voraussetzungen Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Aussperrung gleichen in vielerlei Hinsicht denen eines Streiks. Insoweit kann für Einzelheiten weitgehend auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.1530 Lediglich auf Besonderheiten der Aussperrung wird ausführlicher eingegangen. aa) Arbeitskampfbeschluss Auch eine Aussperrung bedarf eines Arbeitskampfbeschlusses durch den oder die beteiligten Arbeitgeber. Dieser Beschluss muss dem Arbeitnehmer bekannt gegeben werden. Hierzu ist eine eindeutige Erklärung erforderlich. Nicht ausrei1527 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 143; Junker Arbeitsrecht Rn. 625; Otto Arbeitskampfrecht § 15 Rn. 1. 1528 Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Brox Rn. 45; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1029 f.; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 31; vgl. auch Otto Arbeitskampfrecht § 1 Rn. 20. 1529 Siehe dazu unten § 6 B.II.1.a)cc). 1530 Siehe oben § 6 B.I.1.a).

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chend ist in aller Regel, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ohne nähere Erläuterung auffordert, seine Arbeitsstätte zu verlassen.1531 bb) Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit Die Tariffähigkeit von Arbeitgeberverbänden ist wesentlich einfacher zu bestimmen als bei Gewerkschaften. Sie ist zu bejahen, wenn der Verband die Merkmale einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG erfüllt und tarifwillig im oben dargestellten Sinne ist.1532 Eine „soziale Mächtigkeit“ wird hingegen nicht geprüft.1533 Die Tarifzuständigkeit des Arbeitgeberverbands richtet sich nach seiner Satzung.1534 Bei einem einzelnen aussperrenden Arbeitgeber folgt die Tariffähigkeit und -zuständigkeit unmittelbar aus § 2 Abs. 1 TVG und dem Gegenstand des Unternehmens.1535 cc) Kampfziel, Friedenspflicht und Kampfparität Auch eine Aussperrung muss dem Ziel dienen, einen Tarifvertrag mit einem arbeitskampfrechtlich zulässigen Inhalt zu erstreiten.1536 Ferner darf die Friedenspflicht nicht verletzt werden.1537 Schließlich ist unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Kampfparität zum einen umstritten, ob eine Angriffsaussperrung der Arbeitgeberseite überhaupt zulässig sein kann. Zum anderen wird diskutiert, in welchem Umfang die – grundsätzlich von der überwiegenden Ansicht als zulässig anerkannte – Abwehraussperrung rechtmäßig ist. Hinsichtlich der ersten Frage ist mit der überwiegenden Ansicht in der Literatur dem Großen Senat des BAG zu folgen, der 1971 eine Angriffsaussperrung ausdrücklich für grundsätzlich zulässig erklärt hat.1538 Verweigerte man per se 1531 BAG 27.6.1995 – 1 AZR 1016/94, AP Nr. 137 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 31; vgl. zu den Anforderungen an die Erklärung auch Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1052; Henssler/Willemsen/ Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 222; MünchArbR-Ricken § 201 Rn. 5. 1532 Kempen/Zachert-Stein § 2 TVG Rn. 99. 1533 BAG 20.11.1990 – 1 ABR 62/89, AP Nr. 40 zu § 2 TVG; Otto Arbeitskampfrecht § 6 Rn. 8; Kempen/Zachert-Stein § 2 TVG Rn. 10; vgl. auch Reuß RdA 1972, S. 4, 7. 1534 ErfK-Franzen § 2 TVG Rn. 36; Henssler/Willemsen/Kalb-Henssler § 2 TVG Rn. 38; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 39. 1535 ErfK-Franzen § 2 TVG Rn. 20, 37; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 38 f. 1536 Vgl. Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 42 ff.; Junker Arbeitsrecht Rn. 605; Otto Arbeitskampfrecht § 5 Rn. 1 ff. 1537 Junker Arbeitsrecht Rn. 608; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 352 ff.; Otto Arbeitskampfrecht § 7 Rn. 1 ff. 1538 BAG (GS) 21.4.1971 – GS 1/68, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ebenso Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 80; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.1 Rn. 52–54; im Grundsatz und vorbehaltlich anderslautender landes-

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der Arbeitgeberseite dieses Kampfmittel, nähme man ihr die Möglichkeit, im Arbeitskampf die Initiative zu ergreifen und neue tarifliche Regelungen zu erstreiten. Ein solches Vorgehen kann aber gerade in Krisenzeiten erforderlich sein, wenn die wirtschaftliche Situation die Arbeitgeber dazu zwingt, bisherige tarifliche Leistungen abzubauen.1539 Die generelle Unzulässigkeit der Angriffsaussperrung ist auch nicht mit dem Argument zu rechtfertigen, die Arbeitnehmerseite sei der Arbeitgeberseite strukturell unterlegen, und diese Unterlegenheit werde erst durch die Zulässigkeit des Streiks als arbeitnehmerseitiges Arbeitskampfmittel ausgeglichen, wohingegen die Zulässigkeit einer Angriffsaussperrung dieses Gleichgewicht wiederum störte.1540 Zwar ist der einzelne Arbeitnehmer dem einzelnen Arbeitgeber gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit fraglos unterlegen. Für die vereinigte Arbeitnehmerseite, die einem oder mehreren Arbeitgebern gegenübersteht, lässt sich eine Unterlegenheit jedoch nicht pauschal für alle Fälle feststellen. Insbesondere in Konstellationen, in denen Spartengewerkschaften wie die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer oder die Vereinigung Cockpit mit relativ geringem Aufwand die gesamte Unternehmenstätigkeit des Arbeitgebers lähmen und binnen kürzester Zeit immense Schäden verursachen können, kann von einer strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmerseite keine Rede sein. Die Folgen für die Arbeitnehmer werden zudem dadurch begrenzt, dass die Angriffsaussperrung wie jedes Arbeitskampfmittel verhältnismäßig sein muss. Zur zweiten Frage ist festzustellen, dass insbesondere die ältere Rechtsprechung den zulässigen Umfang von Abwehraussperrungen stark eingeschränkt hat.1541 Diese Linie fußt auf der angesprochenen Erwägung, dass grundsätzlich ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bestehen soll, das erst durch die Zulässigkeit des Streiks auf Arbeitnehmerseite ausgeglichen wird. Eine Abwehraussperrung soll grundsätzlich jedenfalls dann zulässig sein, soweit andernfalls die Arbeitnehmerseite ihrerseits ein Verhandlungsübergewicht erlangen könnte. Eine solche Gefahr besteht beispielsweise bei Schwerpunktstreiks, durch die eine Gewerkschaft mit geringem Aufwand eine relativ große Wirkung auf der Arbeitgeberseite hervorrufen kann.1542 Auch in einem solchen gesetzlicher Regelungen Otto Arbeitskampfrecht § 10 Rn. 62 f.; a. A. Bertelsmann Aussperrung, S. 343 ff.; wohl auch Däubler Arbeitskampfrecht-Wolter § 21 Rn. 40 ff. 1539 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 80; Löwisch ArbeitskampfrechtLöwisch/Rieble 170.1 Rn. 52. 1540 So aber Bertelsmann Aussperrung, S. 328 ff., 343 ff.; Däubler JuS 1972, S. 642, 644 ff.; Kittner GMH 1973, S. 91, 100 ff. 1541 Vgl. zum Folgenden die Darstellungen bei Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 3 Rn. 326 ff.; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 81–84; Otto Arbeitskampfrecht § 8 Rn. 48 ff. 1542 BAG 10.6.1980 – 1 AZR 168/79, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen Teil 3 Rn. 327; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 81; Otto Arbeitskampfrecht § 8 Rn. 49.

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Fall soll aber nach dem BAG eine Abwehraussperrung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit räumlich auf das Gebiet beschränkt sein, in dem der Streikangriff erfolgte.1543 Ferner hat das BAG eine Quotenregelung entwickelt, welche die Möglichkeit von Abwehraussperrungen weiter einschränkt.1544 Streiken weniger als 25 % aller Arbeitnehmer, soll der Arbeitgeber maximal weitere 25 % der Arbeitnehmer aussperren dürfen. Streiken zwischen 25 und 50 % der Arbeitnehmer, soll der Arbeitgeber nur so viele Arbeitnehmer zusätzlich aussperren dürfen, dass insgesamt maximal 50 % aller Arbeitnehmer streik- oder aussperrungsbedingt nicht arbeiten. Streiken mehr als 50 % aller Arbeitnehmer, soll keine Aussperrung in Betracht kommen. Diese Rechtsprechung hat zu Recht starke Kritik in der Literatur erfahren.1545 Zunächst einmal ist, wie soeben erörtert, schon die Prämisse der grundsätzlichen strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmerseite abzulehnen. Vielmehr ist die Frage der Kampfparität anhand der realen Kräfteverhältnisse der beteiligten Kampfparteien in der jeweiligen Situation zu bestimmen, soweit die konkreten Umstände einer typisierenden Betrachtungsweise zugänglich sind.1546 Damit entzieht sich diese Frage einer abstrakt-generellen Quotenregelung, wie das BAG sie getroffen hat. Ihr fehlt die notwendige Flexibilität im Einzelfall. Zudem sind auch die vom BAG konkret festgeschriebenen Quoten nur schwer nachvollziehbar. Es leuchtet nicht ein, dass die Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers umso stärker eingeschränkt werden, je heftiger der Angriff der Arbeitnehmerseite ausfällt. Zwar müssen auch Abwehraussperrungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen und insbesondere angemessen sein. Dafür können aber aus den genannten Gründen keine festen Quoten den Maßstab vorgeben. Daher ist die dargestellte Ansicht des BAG abzulehnen. Aus diesem Grund ist es auch zu begrüßen, dass das BAG von seiner strikten Quotierung zusehends abrückt.1547 b) Rechtsfolgen Wird ein Arbeitnehmer rechtmäßig ausgesperrt, treten die gleichen Rechtsfolgen ein wie beim rechtmäßigen Streik.1548 Die Hauptleistungspflichten werden 1543

BAG 10.6.1980 – 1 AZR 690/79, AP Nr. 67 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BAG 10.6.1980 – 1 AZR 168/79, AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1545 Kittner ArbuR 1981, S. 289, 291 ff.; Lieb DB 1980, S. 2188, 2194 f.; kritisch auch Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1141 ff.; Otto Arbeitskampfrecht § 8 Rn. 65; MünchArbR-Ricken § 201 Rn. 8; zustimmend hingegen Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rieble 170.2 Rn. 183. 1546 Siehe dazu oben § 6 B.I.1.a)ff). 1547 Vgl. BAG 12.3.1985 – 1 AZR 636/82,AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 7.6.1988 – 1 AZR 597/86, AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 11.8. 1992 – 1 AZR 103/92, AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch Hromadka/ Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 84. 1548 Siehe dazu oben § 6 B.I.1.b). 1544

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suspendiert, während das Arbeitsverhältnis und die Nebenpflichten bestehen bleiben.1549 2. Rechtswidrige Aussperrung Genügt die Aussperrung den dargelegten Rechtmäßigkeitsanforderungen nicht, werden die Hauptleistungspflichten nicht suspendiert. Vielmehr gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB), sofern dessen Voraussetzungen vorliegen.1550 Dann bleibt der arbeitsvertragliche Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bestehen. Liegen die Voraussetzungen des Annahmeverzugs hingegen nicht vor, entfällt der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ersatzlos nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. In Betracht kommen aber Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nach den §§ 280 ff. BGB. III. Betriebsstilllegung Besondere Aufmerksamkeit verdient noch das Rechtsinstitut der sogenannten Betriebsstilllegung. Eine Betriebsstilllegung liegt vor, wenn der Arbeitgeber seine Tätigkeit in einem bestreikten Betrieb einstellt.1551 Das BAG meint, eine solche Maßnahme des Arbeitgebers sei stets zulässig und suspendiere die Hauptleistungspflichten, da für ihn keine Verpflichtung bestehe, gegen einen Streik Widerstand zu leisten und die betriebliche Tätigkeit soweit wie möglich aufrechtzuerhalten.1552 Es handele sich aber nicht um ein Arbeitskampfmittel, da der Arbeitgeber nicht aktiv in das Geschehen eingreife und den Kampf nicht ausweite.1553 1549 Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1201; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 94, 100; Otto Arbeitskampfrecht § 14 Rn. 2. Diese Grundsätze gelten indes nur für die sogenannte suspendierende Aussperrung. Die sogenannte lösende Aussperrung (sofern man sie überhaupt für zulässig erachtet, vgl. zu Einzelheiten Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 32) ist im vorliegenden Zusammenhang nicht von Interesse, da sie das Arbeitsverhältnis beendet und daher konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände nicht mehr eingreifen können. 1550 BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95, AP Nr. 140 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Otto Arbeitsrecht, Rn. 797; MünchArbR-Ricken § 205 Rn. 9; Schuh Streik, S. 172; a. A. hingegen Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1233, der auf die Voraussetzungen der §§ 293 ff. BGB verzichten möchte; unklar insoweit Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 42. Zum Annahmeverzug siehe oben § 5 H. 1551 Vgl. ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 217; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 211; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 33; Junker Arbeitsrecht Rn. 629; Otto Arbeitskampfrecht § 11 Rn. 12. 1552 BAG 22.3.1994 – 1 AZR 622/93 AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 31.1.1995 – 1 AZR 142/94, AP Nr. 135 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 17.2.1998 – 1 AZR 386/97, AP Nr. 152 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; zustimmend ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 220; Hanau NZA 1996, S. 841, 846 f.; MünchArbR-Ricken § 202 Rn. 1. 1553 Vgl. BAG 11.7.1995 – 1 AZR 63/95, AP Nr. 138 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter III.1. der Gründe. Demgegenüber lässt sich die Entscheidung BAG 13.12.2011 –

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Diese Rechtsfigur ist nicht anzuerkennen.1554 Erstens überzeugt die Sichtweise des BAG nicht, mangels aktiven Eingreifens des Arbeitgebers liege schon gar kein Arbeitskampfmittel vor.1555 Legt der Arbeitgeber den Betrieb still, übt er dadurch Druck auf die Arbeitnehmerseite aus und greift in den Arbeitskampf ein.1556 Außerdem bezieht der Arbeitgeber durch die Stilllegung auch jene Arbeitnehmer in den Arbeitskampf mit ein, die sich an dem vorangegangenen Streik gar nicht beteiligt haben.1557 Damit führt die Betriebsstilllegung in personeller Hinsicht zu einer Ausweitung des Arbeitskampfs. Zweitens ist die Auffassung des BAG abzulehnen, eine Betriebsstilllegung sei immer zulässig und suspendiere die Hauptleistungspflichten. Selbst wenn man die Betriebsstilllegung mit dem BAG nicht als Arbeitskampfmittel einstufte, kann man nach zutreffender Auffassung nicht zu diesem Ergebnis gelangen. Handelt es sich bei der Betriebsstilllegung nicht um ein Arbeitskampfmittel, fehlt für die Rechtsfolge der Suspendierung der Hauptleistungspflichten eine dogmatische Grundlage.1558 Stattdessen müsste der Arbeitgeber nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen in Annahmeverzug kommen (vgl. § 615 S. 1 BGB), wodurch der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers erhalten bliebe. Stuft man demgegenüber die Betriebsstilllegung zutreffend als Arbeitskampfmittel ein, ist sie an den dafür entwickelten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen zu messen. Insoweit sind an sie die gleichen Anforderungen zu stellen wie an eine rechtmäßige Aussperrung.1559 Auch die Rechtsfolgen können nicht über die einer rechtmäßigen Aussperrung hinausgehen.1560 Das Rechtsinstitut der Betriebsstilllegung erweitert daher den Handlungsspielraum des Arbeitgebers nicht. Es ist überflüssig und aufzugeben.

1 AZR 495/10, NZA 2012, S. 995, 996 f., (insbesondere Rn. 18) dahingehend verstehen, dass das BAG an dieser Auffassung nicht mehr festhält. Allerdings hat es sie, soweit ersichtlich, nicht ausdrücklich aufgegeben. 1554 Ebenso Kissel Arbeitskampfrecht § 33 Rn. 113 ff.; Lieb Gemeinsame Anmerkung zu den BAG-Urteilen 14.12.1993 – 1 AZR 550/93 und 22.3.1994 – 1 AZR 622/ 93, SAE 1995, S. 257 ff.; Otto Arbeitskampfrecht § 11 Rn. 22 ff.; Rieble SAE 1996, S. 227, 228; 232 ff.; Thüsing DB 1995, S. 2607, 2608. 1555 Otto Arbeitskampfrecht § 11 Rn. 22; vgl. auch Thüsing DB 1995, S. 2607, 2607 f. 1556 Vgl. Däubler Arbeitskampfrecht-Ög ˘ üt § 19 Rn. 90; ähnlich Kissel Arbeitskampfrecht § 33 Rn. 115; Otto Arbeitskampfrecht § 11 Rn. 22. 1557 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 33; Otto Arbeitskampfrecht § 11 Rn. 22. 1558 Vgl. Kissel Arbeitskampfrecht § 33 Rn. 114. 1559 Kissel Arbeitskampfrecht § 33 Rn. 121; zu den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer rechtmäßigen Aussperrung vgl. oben § 6 B.II. 1560 Vgl. Däubler Arbeitskampfrecht-Ög ˘ üt § 19 Rn. 90.

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IV. Arbeitskampfrisikolehre Arbeitskämpfe können nach herrschender Meinung nicht bloß Rechtsfolgen für die daran unmittelbar beteiligten Arbeitnehmer auslösen, sondern darüber hinaus unter bestimmten Voraussetzungen auch für andere Arbeitnehmer. Voraussetzung dafür soll nach der sogenannten Arbeitskampfrisikolehre sein, dass ein am Arbeitskampf unbeteiligter Arbeitnehmer – sei es in einem vom Arbeitskampf betroffenen Betrieb, sei es in einem dritten Betrieb – im konkreten Fall das Risiko des Arbeitsausfalls infolge des Arbeitskampfes tragen muss. 1. Telos und dogmatische Herleitung Dogmatischer Ausgangspunkt für die Zurechnung von Arbeitsausfallrisiken ist seit der Schuldrechtsreform § 615 S. 3 BGB.1561 Nach dieser bereits oben1562 eingehend erörterten Vorschrift trägt grundsätzlich der Arbeitgeber das Risiko, den Arbeitnehmer aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigen zu können. Nach überwiegender Ansicht1563 ist diese Risikoverteilung jedoch unter Umständen unbillig, wenn der Arbeitsausfall durch Arbeitskämpfe bedingt ist. Ursprünglich begründete das BAG seine Auffassung – damals noch als Ausnahme zu der Betriebsrisikolehre in Anlehnung an das bereits zitierte Kieler Straßenbahnurteil des RG1564 und die daran anknüpfende Rechtsprechung des RAG1565 – mit der sogenannten solidaritätsorientierten Sphärentheorie.1566 Danach soll bei einem arbeitskampfbedingten Arbeitsausfall diejenige Seite das Ausfallrisiko tragen, aus deren Sphäre die Störung herrührt. Ein nicht kampfbeteiligter Arbeitnehmer erhält danach kein Entgelt, wenn der Arbeitsausfall auf einen Streik durch dritte Arbeitnehmer zurückzuführen ist. Beruht der Arbeits1561 Vgl. ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 141; Junker Arbeitsrecht Rn. 293; Otto Arbeitskampfrecht § 16 Rn. 2; vgl. auch MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 118; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Bittner 170.3.2 Rn. 2. 1562 Siehe oben § 5 I. 1563 Vgl. etwa MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 118 f.; Kalb Betriebsrisikolehre, S. 116 f.; derselbe FS Stahlhacke (1995), S. 213, 226–229; Konzen Gemeinsame Anmerkung zu BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79 und 1 ABR 76/79, SAE 1981, S. 209 ff.; Lieb NZA 1990, S. 289, 295; Otto RdA 1987, S. 1, 2; Picker JZ 1979, S. 285, 293; Richardi ZfA 1985, S. 101, 115; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 226–228; a. A. und somit die Arbeitskampfrisikolehre ablehnend Eisemann ArbuR 1981, S. 357, 362 ff.; Linnenkohl/Rauschenberg ArbuR 1990, S. 137, 142 ff.; Trittin DB 1990, S. 322, 323 f.; Weiss ArbuR 1974, S. 37 ff.; kritisch auch Däubler ArbeitskampfrechtÖg˘üt § 19 Rn. 99 ff. 1564 RG 6.2.1923 – III 93/22, RGZ 106, S. 272, 275. 1565 RAG 20.6.1928 – RAG. 72/28, ARS 3, S. 116 ff. 1566 BAG 8.2.1957 – 1 AZR 338/55, AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko; vgl. hierzu Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1247 sowie die Darstellung der Entwicklung der Arbeitskampfrisikolehre bei BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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ausfall dagegen etwa auf einer Aussperrung anderer Arbeitnehmer, trägt der Arbeitgeber das Risiko. Der Rechtsgrund für diese sphärengestützte Risikozuweisung soll in einer generell unter Arbeitnehmern oder Arbeitgebern bestehenden Solidarität liegen. Das BAG hat im Jahre 1980 den Sphärengedanken aufgegeben.1567 Dieser Schritt ist zu begrüßen.1568 Allein die Tatsache, dass eine Betriebsstörung durch andere Arbeitnehmer verursacht wird, rechtfertigt es nicht, den mittelbar betroffenen Arbeitnehmer „in Sippenhaft“ zu nehmen. Zutreffend weist Henssler1569 darauf hin, dass auch bei einem beispielsweise durch Brandstiftung eines Arbeitnehmers verursachten Arbeitsausfall die übrigen Arbeitnehmer ihre Vergütungsansprüche nicht verlieren. Ebenso wenig lässt es sich rechtfertigen, einem Arbeitgeber Solidarität mit anderen Arbeitgebern aufzuzwingen, mit denen er möglicherweise nicht das Geringste zu tun hat. Derartige Solidaritätsgedanken beruhen auf reiner Fiktion und sind nicht geeignet, um die Arbeitskampfrisikolehre zu begründen.1570 Stattdessen zieht das BAG heute das Gebot der Kampfparität heran.1571 Danach ist eine Abweichung von dem heute1572 in § 615 S. 3 BGB niedergelegten Grundsatz, dass der Arbeitgeber das Risiko eines drittverschuldeten Arbeitsausfalls tragen muss, nur dann gerechtfertigt, wenn andernfalls eine Störung der Kampfparität und mithin der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie drohte.1573 Eine solche Störung soll vorliegen, wenn der Arbeitgeber als nicht unmittelbar kampfbetroffene Arbeitsvertragspartei zu Leistungen gezwungen wird, für die er aufgrund von Kampfmaßnahmen Dritter keine Gegenleistung erhält.1574 Um ein solches Resultat zu verhindern, verlieren die drittbetroffenen Arbeitnehmer – 1567

BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Ebenfalls kritisch gegenüber diesem Begründungsansatz Biedenkopf Betriebsrisikolehre, S. 14 ff.; Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1247 f.; Otto Arbeitskampfrecht § 16 Rn. 6; auch Ballerstedt ArbuR 1966, S. 225, 231. 1569 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 97. 1570 Biedenkopf Betriebsrisikolehre, S. 14 ff.; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 97; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 121. 1571 BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BAG 22.12.1980 – 1 ABR 76/79, AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 13.12.2011 – 1 AZR 495/10, NZA 2012, S. 995, 996; zustimmend ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 144; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 97; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 43; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Bittner 170.3.2 Rn. 10; a. A. (für das sogenannte Kausalprinzip) Otto Arbeitskampfrecht § 16 Rn. 15 ff., 18; ebenfalls kritisch gegenüber der Paritätslehre Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Rüthers Rn. 173; Zöllner/ Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 228. 1572 Das BAG stellte seinerzeit dagegen auf die heute überflüssige Rechtsfigur der Betriebsrisikolehre ab, vgl. dazu oben § 5 I. 1573 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 49; vgl. auch ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 144 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 97. 1574 Vgl. MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 97. 1568

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ebenso wie die unmittelbar kampfbetroffenen Arbeitnehmer – ihre Entgeltansprüche. 2. Voraussetzungen Im Folgenden werden die Voraussetzungen erörtert, unter denen ein Arbeitnehmer nach der Arbeitskampfrisikolehre seinen Vergütungsanspruch verliert. a) Arbeitskampf Erste Voraussetzung der Arbeitskampfrisikolehre ist das Vorliegen eines Arbeitskampfs. Anders als nach der früher vertretenen Sphärentheorie spielt es nach der Paritätslehre des BAG keine Rolle, von welcher Seite dieser initiiert worden ist.1575 Entscheidend ist allein, ob durch eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers eine Paritätsstörung droht.1576 Auf das Arbeitskampfmittel kommt es nicht an.1577 Zweifelhaft ist, ob auch rechtswidrige Arbeitskämpfe eine Zurechnung des Arbeitskampfrisikos begründen können. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass es im Interesse der Einheit der Rechtsordnung geboten ist, die in einem Arbeitskampf unzulässig handelnde Seite stärker zu belasten als die Gegenpartei, die den unzulässigen Angriff abwehren muss.1578 Vor diesem Hintergrund muss zwischen arbeitgeberseitigen und arbeitnehmerseitigen Arbeitskämpfen differenziert werden: Führt die Arbeitgeberseite einen rechtswidrigen Arbeitskampf, etwa eine Aussperrung, können drittbetroffene Arbeitnehmer deswegen ihren Entgeltanspruch nicht verlieren.1579 Schon die ausgesperrten Arbeitnehmer behalten im Falle ei1575 Vgl. BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BAG 22.12.1980 – 1 ABR 76/79, AP Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; MüKoBGBHenssler § 615 Rn. 109; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 218; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 46; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Bittner 170.3.2 Rn. 10; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 259; a. A. (Unanwendbarkeit der Arbeitskampfrisikolehre auf die Angriffsaussperrung) MünchArbR-Boewer (2. Auflage) § 79 Rn. 79. 1576 Siehe dazu noch sogleich § 6 B.IV.2.c). 1577 Gleichwohl ist es inkonsequent, wenn das BAG 13.12.2011 – 1 AZR 495/10, NZA 2012, S. 995, 996, die Arbeitskampfrisikolehre auch auf Fälle der Betriebsstilllegung erstrecken möchte, da es dieses umstrittenene – und nach hier vertretener Auffassung abzulehnende – Rechtsinstitut nicht als Arbeitskampfmittel einstuft (vgl. dazu oben § 6 B.III. mit Fn. 1553). Allerdings kann man vor dem Hintergrund der Entscheidung BAG 13.12.2011 – 1 AZR 495/10, NZA 2012, S. 995, 996 f. (insbesondere Rn. 18) die Frage stellen, ob das BAG nicht von seiner Einschätzung, bei der Betriebsstilllegung handele es sich um kein Arbeitskampfmittel, nicht implizit abrückt ist. 1578 Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Bittner 170.3.2. Rn. 29. 1579 Wie hier MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 110; Löwisch ArbeitskampfrechtLöwisch/Bittner 170.3.2. Rn. 29; Otto Arbeitskampfrecht § 16 Rn. 55; a. A. offenbar

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

ner rechtswidrigen Aussperrung ihren Entgeltanspruch, da sich der rechtswidrig aussperrende Arbeitgeber regelmäßig im Annahmeverzug befindet (vgl. § 615 S. 1 BGB).1580 Erst recht müssen dann aber die unbeteiligten nicht ausgesperrten Arbeitnehmer, für deren Arbeitsleistung der Arbeitgeber aufgrund des Arbeitskampfs keine oder keine sinnvolle Verwendung hat, eine Vergütung erhalten.1581 Schwieriger zu beurteilen ist die Rechtslage, wenn der Arbeitsausfall des drittbetroffenen Arbeitnehmers durch eine rechtswidrige Arbeitskampfmaßnahme der Arbeitnehmerseite verursacht wird. Auf Grundlage der heute überholten Sphärentheorie hat das BAG in seiner frühen Rechtsprechung konsequenterweise in diesen Fällen drittbetroffenen Arbeitnehmern Vergütungsansprüche versagt.1582 Ob sich dieses Ergebnis auch auf Grundlage der Paritätslehre halten lässt, wird unterschiedlich beurteilt. Einige Stimmen verneinen diese Frage.1583 Zur Begründung wird angeführt, rechtswidrige Arbeitskampfmaßnahmen könnten rechtlich für das Ergebnis von Tarifvertragsverhandlungen nicht relevant sein. Daher liege in diesen Fällen keine Paritätsstörung vor.1584 Dieser Ansatz greift indes zu kurz. Er übersieht die faktischen Auswirkungen, die auch rechtswidrige Streiks auf das Verhandlungsgleichgewicht der Parteien haben können.1585 Daher ist die Arbeitskampfrisikolehre auch bei rechtswidrigen arbeitnehmerseitigen Arbeitskämpfen anzuwenden.1586 Diese Sichtweise trägt im Übrigen dem oben aufgezeigten Gedanken Rechnung, im Falle unzulässiger Arbeitskämpfe die unzulässig handelnde Seite zu be- und die abwehrende Seite zu entlasten. b) Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Betriebstätigkeit Weiterhin muss es durch den Arbeitskampf für den Arbeitgeber unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar werden, die Betriebstätigkeit aufrecht zu erhalten.1587 Die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit muss wiederum dazu führen, dass gerade der betreffende Arbeitnehmer nicht oder nicht sinnvoll beschäftigt

Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 121; Brox/Rüthers ArbeitskampfrechtRüthers Rn. 180; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 227. 1580 Siehe im Einzelnen dazu oben § 6 B.II.2. 1581 Vgl. MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 110; Otto Arbeitskampfrecht § 16 Rn. 55. 1582 Vgl. BAG 25.7.1957 – 1 AZR 194/56, AP Nr. 3 zu § 615 BGB Betriebsrisiko. 1583 Ehmann Betriebsrisikolehre, S. 142 f.; Kalb Betriebsrisikolehre, S. 127–130; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 87; Otto Arbeitskampfrecht § 16 Rn. 56. 1584 So etwa Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 87. 1585 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 110 f. 1586 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 110 f.; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/ Bittner 170.3.2 Rn. 29; im Ergebnis ebenso Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 227; wohl auch Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 218; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 121. 1587 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 47.

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werden kann. Annahmeunmöglichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn eine technische Betriebsstörung eine Fortsetzung der Betriebstätigkeit verhindert (= Betriebsrisiko). Im Falle wirtschaftlicher Unzumutbarkeit dagegen ist die Aufrechterhaltung der Betriebstätigkeit zwar technisch möglich, aber aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten für den Arbeitgeber sinnlos, etwa wegen fehlender Absatzmöglichkeiten (= Wirtschaftsrisiko).1588 Dogmatisch handelt es sich um einen Fall von Annahmeunwilligkeit. Während der § 615 S. 3 BGB nur die Annahmeunmöglichkeit, nicht aber die Annahmeunwilligkeit erfasst,1589 ist es bei der Arbeitskampfrisikolehre gerechtfertigt, beide Konstellationen gleich zu behandeln und auch Fälle der Annahmeunwilligkeit einzubeziehen. Andernfalls könnte die kampfführende Gewerkschaft ihre Kampftaktik entsprechend anpassen. Sie würde dann vorwiegend Fälle von Unmöglichkeit und nicht wirtschaftlicher Unzumutbarkeit hervorrufen, um eine Anwendung der Arbeitskampfrisikolehre zu verhindern.1590 c) Drohende Störung der Kampfparität Darüber hinaus muss durch die Vergütungspflicht des Arbeitgebers eine Störung der Kampfparität drohen. Insoweit ist zwischen drittbetroffenen Arbeitnehmern in unmittelbar kampfbetroffenen und nur mittelbar kampfbetroffenen Betrieben zu differenzieren.1591 In unmittelbar kampfbetroffenen Betrieben ist eine gesonderte Prüfung der Paritätsrelevanz entbehrlich.1592 Sie ergibt sich bereits daraus, dass der betroffene Arbeitgeber selbst Kampfpartei ist und daher eine Vergütungspflicht das Kampfgleichgewicht zu seinem Nachteil verändern würde. In nicht unmittelbar kampfbetroffenen Betrieben hingegen muss die Paritätsrelevanz besonders begründet werden.1593 Eine Kampfbezogenheit kann vor allem in koalitionspolitischen Verbindungen liegen. Solche liegen vor, wenn die für den 1588

Vgl. zur Abgrenzung von Betriebs- und Wirtschaftsrisiko bereits oben § 5 I.III.2. Siehe dazu oben § 5 I.III.1. 1590 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 47; für die Gleichstellung von Betriebs- und Wirtschaftsrisiko auch MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 105; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Bittner 170.3.2 Rn. 49 f.; Otto Arbeitskampfrecht § 16 Rn. 16 f.; wohl auch BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter C.I.2. der Gründe. 1591 Vgl. zu dieser Differenzierung ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 145–147; Kissel Arbeitskampfrecht § 72 Rn. 5, 10; vgl. ferner die abweichende Differenzierung bei Otto Arbeitskampfrecht § 16 Rn. 28 ff. 1592 Vgl. BAG 14.12.1993 – 1 AZR 550/93, AP Nr. 129 zu Art.9 GG Arbeitskampf; Kissel Arbeitskampfrecht § 72 Rn. 5; vgl. ferner ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 146, der (vorbehaltlich der Möglichkeit einer Betriebsstilllegung) die Prüfung darauf beschränkt, ob die Fortsetzung des Betriebs dem Arbeitgeber möglich und wirtschaftlich zumutbar wäre. 1593 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 145; Kissel Arbeitskampfrecht § 72 Rn. 10. 1589

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betreffenden Betrieb zuständigen Verbände mit den kampfführenden Verbänden identisch oder wenigstens eng verbunden sind (sogenannter Binnendruck).1594 Dadurch kann das Verhandlungsgleichgewicht gestört werden, weil die drittbetroffenen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer versuchen könnten, ihren Verband zur Vermeidung weiterer Fernwirkungen zum Einlenken zu bewegen. Auf diese Weise könnte die Gegenseite auf die verbandsinterne Willensbildung entscheidenden Einfluss nehmen.1595 Aus ähnlichen Gründen ist eine Gefährdung der Kampfparität auch dann anzunehmen, wenn die Fernwirkungen in einem Betrieb auftreten, der zum gleichen Unternehmen oder Konzern wie der unmittelbar kampfbetroffene Betrieb gehört.1596 Daneben ist Kampfbezogenheit auch dann anzunehmen, wenn der nicht unmittelbar kampfbetroffene Arbeitnehmer direkt oder indirekt von dem Arbeitskampf profitiert (sogenannter Partizipationsgedanke).1597 Ein derartiger Vorteil ist beispielsweise gegeben, wenn der Arbeitnehmer in den Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrags fällt. Gleiches gilt, wenn der Arbeitskampf zum Abschluss eines Pilottarifvertrags führen soll, dem wegweisende Bedeutung für einen noch abzuschließenden Folgetarifvertrag zukommt und dieser voraussichtlich auch den Arbeitnehmer erfassen wird.1598 3. Rechtsfolgen Liegen die Voraussetzungen der Arbeitskampfrisikolehre vor, verlagert sich das Risiko eines arbeitskampfbedingten Arbeitsausfalls vom Arbeitgeber auf den nicht unmittelbar kampfbetroffenen Arbeitnehmer. Dieser verliert seinen Entgeltanspruch für die Zeit, in der er seine Arbeitsleistung nicht erbringen muss.1599 Das Arbeitsverhältnis selbst und leistungsbezogene Nebenpflichten bleiben hingegen bestehen.

1594 Vgl. ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 145; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 105; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 51; Junker Arbeitsrecht Rn. 633; kritisch Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1255 ff., insbesondere S. 1259. 1595 Vgl. Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 51; Junker Arbeitsrecht Rn. 633. 1596 Vgl. BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 105. 1597 Otto Arbeitskampfrecht § 16 Rn. 29; vgl. auch Brox/Rüthers ArbeitskampfrechtRüthers Rn. 172. Nach einer in der Literatur verbreiteten Ansicht soll die Verlagerung des Lohnrisikos sogar auf derartige Konstellationen begrenzt sein, vgl. etwa MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 118 f.; Kalb Betriebsrisikolehre, S. 118 ff.; derselbe FS Stahlhacke (1995), S. 213, 226–229. 1598 Junker Arbeitsrecht Rn. 633. 1599 BAG 22.12.1980 – 1 ABR 2/79, AP Nr. 70 zur Art. 9 GG Arbeitskampf.

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C. Unbezahlter Urlaub Ein weiterer Umstand, der den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers entfallen lässt, liegt in der Gewährung unbezahlten (Sonder-)urlaubs durch den Arbeitgeber. Hierüber existieren keine speziellen gesetzlichen Regelungen. Insbesondere gibt es keinen grundsätzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Gewährung unbezahlten Urlaubs.1600 Voraussetzung ist daher nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen eine entsprechende Vereinbarung, die das betreffende Arbeitsverhältnis erfasst.1601 Insoweit sind viele verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten denkbar. Die Vereinbarung kann sowohl individual- wie auch kollektivvertraglicher Natur sein. Zudem kann sie an bestimmten Gründen für eine Beurlaubung anknüpfen, etwa Betriebsratstätigkeiten, der Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Pflichten (zum Beispiel als Schöffe) oder einer Stellensuche bei absehbarer Beendigung des Arbeitsverhältnisses.1602 Schließlich kann sie sich entweder auf einen spezifischen Zeitraum beziehen oder aber lediglich eine Rahmenvereinbarung über eine bestimmte Anzahl unbezahlter Urlaubstage pro Jahr darstellen. Liegt eine derartige Vereinbarung vor, erhält der Arbeitnehmer während dieses Zeitraums keine Vergütung. Natürlich steht es den Parteien auch frei zu vereinbaren, dass der Arbeitnehmer einen Teil oder gar die volle Vergütung verlangen kann. In diesem Fall wird die Auslegung der Vereinbarung in der Regel ergeben, dass die zusätzlich gewährten Urlaubstage das Mindestkontingent aus § 3 Abs. 1 BUrlG erhöhen. In Bezug auf Konkurrenzen sind diese Urlaubstage dann ebenso zu behandeln wie der bezahlte Erholungsurlaub im Sinne des § 1 BUrlG.

D. Kurzarbeit I. Systematische Einordnung und Telos Auch die Einführung von Kurzarbeit in einem Betrieb kann den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ganz oder teilweise entfallen lassen. Bei Kurzarbeit handelt es sich um eine vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit aller oder 1600 Vgl. Leinemann/Link Rn. 4; einschränkend Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I, § 8 Rn. 180, die einen solchen Anspruch ausnahmsweise annehmen, wenn besondere persönliche Bedürfnisse des Arbeitnehmers es verlangen. Hiervon zu unterscheiden ist der in vielen Bundesländern nach den dort geltenden Bildungsurlaubsgesetzen vorgesehene Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeit zur Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen; vgl. beispielhaft § 5 des Gesetzes zur Freistellung von der Arbeit für Maßnahmen der Weiterbildung des Landes Sachsen-Anhalt vom 4. März 1998 (GVBl. LSA Nr. 10/1998, S. 92); vgl. ferner v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 304. 1601 HK-BUrlG-Hohmeister Vorbemerkungen Rn. 11; Leinemann/Linck Einleitung Rn. 4; Matthes Lohnzahlung Rn. 582; vgl. auch Arnold/Tillmanns-Zimmermann § 1 Rn. 10. 1602 Vgl. zu Einzelheiten HK-BUrlG-Hohmeister Vorbemerkungen Rn. 9 sowie ausführlich Neumann/Fenski § 1 Rn. 34–55.

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eines Teils der Arbeitnehmer eines Betriebes aufgrund eines erheblichen Arbeitsausfalls, der auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht.1603 Häufig liegt der Anlass in einer konjunkturell bedingten Verschlechterung der Auftragslage des Betriebes. Durch die Maßnahme wird in der Regel bezweckt, andernfalls drohende betriebsbedingte Kündigungen abzuwenden. Für den Arbeitnehmer liegt der Vorteil vor allem in dem Erhalt seines Arbeitsplatzes. Der Arbeitgeber hingegen spart Personalkosten und kann bei einer Verbesserung der Auftragslage auf sein qualifiziertes und eingearbeitetes Personal zurückgreifen, anstatt neue Mitarbeiter suchen und einarbeiten zu müssen. Wird Kurzarbeit eingeführt, arbeiten die betroffenen Arbeitnehmer weniger oder gar nicht und erhalten auch entsprechend weniger Gehalt. Die daraus resultierenden Einbußen werden teilweise durch die Zahlung von Kurzarbeitergeld gemäß §§ 95 ff. SGB III aufgefangen.1604 Dabei handelt es sich um einen sozialrechtlichen Anspruch, der für das im Rahmen dieser Arbeit untersuchte synallagmatische Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber irrelevant ist.1605 Bedeutsam ist hingegen der Umstand, dass Kurzarbeit die arbeitsvertragliche Vergütung wenigstens teilweise entfallen lässt. Insoweit ist Kurzarbeit ein Ausschlussgrund.1606 Dogmatisch handelt es sich bei Kurzarbeit um einen Unterfall des unbezahlten Urlaubs oder – im Falle einer Anordnung durch den Arbeitgeber nach § 19 KSchG – um eine einseitige unbezahlte Freistellung. Sie wird hier dennoch gesondert behandelt, da sie in verschiedener Hinsicht von Besonderheiten geprägt ist, die sich am besten zusammenhängend darstellen lassen. II. Tatbestand Es gibt zwei Möglichkeiten, Kurzarbeit einzuführen. Im Regelfall wird eine entsprechende individual- oder kollektivvertragliche Vereinbarung geschlossen. Ausnahmsweise kann der Arbeitgeber unter den besonderen Voraussetzungen von § 19 KSchG Kurzarbeit auch einseitig anordnen. 1. Vereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit Eine Verringerung von Arbeitszeit und Vergütungsanspruch im Rahmen von Kurzarbeit ist grundsätzlich nur durch eine entsprechende individual- oder kol1603 Vgl. Gamillscheg Arbeitsrecht I, S. 260; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 80; Otto Arbeitsrecht Rn. 523; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 657; vgl. auch den Wortlaut von §§ 95 f. SGB III. 1604 Nicht zu verwechseln mit dem Kurzarbeitergeld ist der sogenannte Kurzlohn. Hierbei handelt es sich um den verbleibenden arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber für die im Rahmen der Kurzarbeit noch geleistete Arbeit. 1605 Vgl. Bauer/Kern NZA 2009, S. 925, 925; Walker SAE 2010, S. 70, 71. 1606 Vgl. zur Terminologie näher oben § 2.

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lektivvertragliche Vereinbarung möglich.1607 Diese muss wirksam sein und das betreffende Arbeitsverhältnis erfassen. Eine entsprechende Klausel kann bereits im ursprünglichen Arbeitsvertrag enthalten sein.1608 Auch eine konkludente Vertragsänderung durch einseitige Anordnung des Arbeitgebers und widerspruchslose Umsetzung durch den Arbeitnehmer ist möglich.1609 Davon abgesehen ist vorbehaltlich des Verfahrens nach § 19 KSchG eine einseitige Einführung von Kurzarbeit durch den Arbeitgeber, etwa nur gestützt auf sein Direktionsrecht (vgl. § 106 GewO), aber unzulässig.1610 In Betracht kommt lediglich eine Verringerung von Arbeitszeit und Vergütung durch eine Änderungskündigung.1611 Zu der Frage, durch welche Art von Vereinbarungen Kurzarbeit wirksam eingeführt werden kann, hat die Rechtsprechung eine umfangreiche Kasuistik entwickelt. Unwirksam sind tarifvertragliche Klauseln, die den Arbeitgeber einseitig zur Einführung von Kurzarbeit ermächtigen, ohne Voraussetzungen, Umfang und Dauer näher zu regeln, da sie gegen tariflich unabdingbares Kündigungsschutzrecht verstoßen.1612 Zulässig ist es hingegen, Kurzarbeit durch eine förmliche Betriebsvereinbarung im Sinne des § 77 Abs. 2 BetrVG einzuführen.1613 Hierfür spricht auch, dass für Verkürzungen der Arbeitszeit in § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG

1607 BAG 16.12.2008 – 9 AZR 164/08, AP Nr. 40 zu § 7 BUrlG; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 81; Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 27 Rn. 160; Löwisch/Caspers/ Klumpp Arbeitsrecht Rn. 267; Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 197; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 6 Rn. 74; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 182; ErfKPreis § 615 BGB Rn. 14; Bauer/Kern NZA 2009, S. 925, 925 f.; Walker SAE 2010, S. 70, 70. 1608 A. A. HK-ArbR-Boemke § 611 BGB Rn. 451. Eine solche Klausel ist laut ErfKPreis § 611 BGB Rn. 657 und HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 61 indes in der Praxis die Ausnahme; vgl. auch Walker SAE 2010, S. 70, 71. 1609 LAG Düsseldorf 14.10.1994 – 10 Sa 1194/94; DB 1995, S. 682; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 657; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 6 Rn. 75. 1610 BAG 16.12.2008 – 9 AZR 164/08, AP Nr. 40 zu § 7 BUrlG; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 657 f.; Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 27 Rn. 160; Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 197; HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 61; Bauer/Kern NZA 2009, S. 925, 925; Walker SAE 2010, S. 70, 70; vgl. auch HK-ArbR-Boemke § 611 BGB Rn. 451. 1611 BAG 14.2.1991 – 2 AZR 415/90, AP Nr. 4 zu § 615 BGB Kurzarbeit; ErfKPreis § 611 BGB Rn. 658; Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 27 Rn. 160; HKBUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 61; Walker SAE 2010, S. 70, 71. 1612 Vgl. BAG 27.1.1994 – 6 AZR 541/93, AP Nr. 1 zu § 15 BAT-O; BAG 18.10.1994 – 1 AZR 503/93, AP Nr. 11 zu § 615 BGB; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 317; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 658; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 2; Kittner/ Zwanziger/Deinert-Schoof § 27 Rn. 163; HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 62; großzügiger hingegen noch BAG 15.12.1961 – 1 AZR 310/60, BAGE 12, S. 135, 136. 1613 BAG 14.2.1991 – 2 AZR 415/90, AP Nr. 4 zu § 615 BGB Kurzarbeit; ErfKPreis § 611 BGB Rn. 661; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 84; Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 197; HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 61; für strengere Anforderungen Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 27 Rn. 167.

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ein Mitbestimmungstatbestand vorgesehen ist.1614 Allerdings kann diese Möglichkeit tarifvertraglich wirksam ausgeschlossen werden.1615 Die Einführung durch eine formlose Regelungsabrede zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber ist in jedem Fall unwirksam.1616 Ist der Arbeitgeber aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung grundsätzlich zur Einführung von Kurzarbeit berechtigt, muss er weiterhin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG beachten. Andernfalls ist seine Maßnahme unwirksam (sogenannte Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung).1617 Um das Mitbestimmungsrecht zu wahren, genügt auch eine formlose Regelungsabrede zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.1618 Das Mitbestimmungsrecht umfasst sowohl die Frage, ob überhaupt Kurzarbeit eingeführt wird, als auch Modalitäten und Umfang.1619 Einschränkungen können sich während eines Arbeitskampfes ergeben.1620 2. Einführung nach § 19 KSchG Eine Möglichkeit zur Einführung von Kurzarbeit jenseits vertraglicher Vereinbarungen bietet § 19 KSchG. Hiernach kann die Bundesagentur für Arbeit den Arbeitgeber auf dessen Antrag per Verwaltungsakt ermächtigen, Kurzarbeit einseitig einzuführen. Voraussetzung ist, dass sie zuvor nach einer Massenentlassungsanzeige des Arbeitgebers im Sinne von § 17 KSchG eine Entlassungssperre nach § 18 KSchG erlassen hat. Zudem darf der Arbeitgeber nicht in der Lage sein oder es darf ihm nicht zumutbar sein, die Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Sperrfrist voll zu beschäftigen.1621 Will der Arbeitgeber diese Möglichkeit nut1614 ErfK-Kania § 87 BetrVG Rn. 31; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 2; HSWGNR-Worzalla § 87 Rn. 228; Walker SAE 2010, S. 70, 70. 1615 Löwisch/Caspers/Klumpp Arbeitsrecht Rn. 268. 1616 BAG 14.2.1991 – 2 AZR 415/90, AP Nr. 4 zu § 615 BGB Kurzarbeit; ErfKPreis § 611 BGB Rn. 661; Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 27 Rn. 171; Fitting § 87 Rn. 158; HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 61. 1617 Henssler/Willemsen/Kalb-Lembke § 106 GewO Rn. 37, 105; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 659 f.; ErfK-Kania § 87 BetrVG Rn. 31; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 79; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 6 Rn. 76; zu der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Clemenz § 87 BetrVG Rn. 38–43; ErfK-Kania § 87 BetrVG Rn. 136; Fitting § 87 Rn. 599; DKKW-Klebe § 87 Rn. 5; ablehnend Richardi-Richardi § 87 Rn. 104 ff.; HSWGNR-Worzalla § 87 Rn. 103–116. 1618 BAG 14.2.1991 – 2 AZR 415/90, AP Nr. 4 zu § 615 BGB Kurzarbeit; ErfKPreis § 611 BGB Rn. 661; Fitting § 87 Rn. 158. 1619 Henssler/Willemsen/Kalb-Clemenz § 87 BetrVG Rn. 84; MünchArbR-Matthes § 245 Rn. 34 ff. 1620 Vgl. ausführlich Fitting § 87 Rn. 164 ff.; ferner ErfK-Kania § 87 BetrVG Rn. 38; Richardi-Richardi § 87 Rn. 380. 1621 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 82; Henssler/Willemsen/Kalb-Molkenbur § 19 KSchG Rn. 2; ErfK-Kiel § 19 KSchG Rn. 2, 3; HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 2, 3; Thü-

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zen, muss er die Kurzarbeit durch eine einseitige Willenserklärung ankündigen.1622 § 19 KSchG soll den Arbeitgeber für die Zeit bis zum Ablauf der Sperrfrist finanziell entlasten.1623 Der Gesetzgeber erkennt auf diese Weise die schwierige wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers an.1624 Damit er in dieser Situation nicht auf das Einvernehmen mit der Arbeitnehmerseite angewiesen ist, wird ihm ein einseitiges Anordnungsrecht eingeräumt.1625 Außerdem soll die Vorschrift sofortige Entlassungen verhindern und der Bundesagentur für Arbeit die Möglichkeit einräumen, rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung umfangreicher Arbeitslosigkeit einzuleiten.1626 Umstritten ist, ob der Betriebsrat in dieser Konstellation sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG behält. Von einigen Stimmen wird diese Frage verneint,1627 überwiegend aber bejaht.1628 Eine vermittelnde Ansicht bejaht ein Mitbestimmungsrecht lediglich in Bezug auf die Modalitäten der Kurzarbeit, nicht aber für das „ob“ der Einführung.1629 Für den gänzlichen Fortbestand des Mitbestimmungsrechts wird angeführt, § 19 Abs. 1 KSchG ermächtige die Bundesagentur lediglich dazu, die Einführung von Kurzarbeit zuzulassen. Der Arbeitgeber könne hierüber aber nach wie vor frei entscheiden.1630 Dem ist indes entgegenzuhalten, dass der Arbeitgeber auch ohne § 19 KSchG immer die Möglichkeit hat, mit dem Betriebsrat die Einführung von Kurzarbeit zu vereinbaren.

sing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 1; Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 27 Rn. 173; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 192. 1622 HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 9. 1623 Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 2; v. Hoyningen-Huene/Linckv. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 1; Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 2; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 1. 1624 Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 KSchG Rn. 2. 1625 Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 2. 1626 Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert § 19 KSchG Rn. 1. 1627 Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 26; HSWGNR-Worzalla § 87 Rn. 245; Stege/Weinspach/Schiefer § 87 Rn. 83; Böhm BB 1974, S. 281, 284; Hanau BB 1972, S. 499, 500. 1628 Henssler/Willemsen/Kalb-Molkenbur § 19 KSchG Rn. 6; ErfK-Kiel § 19 KSchG Rn. 5; Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 28–30; v. Hoyningen-Huene/Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 17; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 31; Kittner/ Zwanziger/Deinert-Schoof § 27 Rn. 173; GK-Wiese § 87 Rn. 393; Fitting § 87 Rn. 155; DKKW-Klebe § 87 Rn. 131; v. Stebut RdA 1974, S. 332, 344–346. 1629 MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 82; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 10; Richardi-Richardi § 87 Rn. 355; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 193; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 10 Rn. 282. 1630 Henssler/Willemsen/Kalb-Molkenbur § 19 KSchG Rn. 6; HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 7; Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 29; v. HoyningenHuene/Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 17; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 31; GKWiese § 87 Rn. 393.

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Die Vorschrift vereinfachte die Lage für den Arbeitgeber somit nicht und wäre weitgehend sinnlos.1631 Folglich kann ein Mitbestimmungsrecht allenfalls noch hinsichtlich der Modalitäten der Einführung bestehen. Indes ist auch diese vermittelnde Ansicht abzulehnen. Seinem Zweck nach soll § 19 KSchG dem Arbeitgeber in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation zusätzliche Flexibilität gewähren. Dieses Ziel würde konterkariert, wenn man dem Arbeitgeber aufgäbe, unter Umständen zeitraubende Verhandlungen mit dem Betriebsrat über die Modalitäten zu führen. Zudem lässt sich in systematischer Hinsicht argumentieren, dass im Umkehrschluss zu § 19 Abs. 3 KSchG bei Anwendung von § 19 Abs. 1, 2 KSchG Betriebsvereinbarungen keine Rolle mehr spielen.1632 Schließlich überzeugt auch der Einwand nicht, ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Einführungsmodalitäten sei erforderlich, um die betrieblichen Interessen des Betriebsrats zu sichern, da die Zulassung durch die Bundesagentur für Arbeit lediglich im arbeitsmarktpolitischen Interesse erfolge.1633 Eine Mitbestimmung des Betriebsrats im Falle des § 19 KSchG drohte vielmehr die arbeitsmarktpolitischen Interessen zu behindern, die in der Entscheidung der Bundesagentur zum Ausdruck kommen.1634 Das wäre mit der hinter § 19 KSchG stehenden Entscheidung des Gesetzgebers, ebendiesen arbeitsmarktpolitischen Interessen eine große Bedeutung beizumessen, unvereinbar.1635 Daher ist ein Fortbestand des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG im Falle des § 19 KSchG abzulehnen. Zu klären ist weiterhin die Frage nach dem Verhältnis einer Vereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit zu einer Zulassung nach § 19 KSchG. Für tarifliche Bestimmungen regelt § 19 Abs. 3 KSchG, dass diese durch § 19 Abs. 1, 2 KSchG unberührt bleiben. Folglich ist § 19 Abs. 1, 2 KSchG nicht anzuwenden, soweit eine tariflichvertragliche Regelung über die Einführung, das Ausmaß und die Bezahlung von Kurzarbeit vorliegt und deren Auslegung nicht ergibt, dass ein Vorgehen nach § 19 Abs. 1, 2 KSchG dennoch möglich sein soll.1636 Keine Rolle spielt insoweit, ob die Tarifnormen nicht unmittelbar, sondern nur kraft arbeits1631 Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 26; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 10; ebenfalls kritisch Dornbusch/Wolff-Heckelmann/Beissel § 19 Rn. 21. 1632 Dornbusch/Wolff-Heckelmann/Beissel § 19 Rn. 21; vgl. auch Löwisch/Spinner § 19 Rn. 10; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 26. 1633 So aber v. Hoyningen-Huene/Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 17; vgl. auch KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 32. 1634 Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 26. 1635 Vgl. Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 26. 1636 Vgl. Henssler/Willemsen/Kalb-Molkenbur § 19 KSchG Rn. 7; ErfK-Kiel § 19 KSchG Rn. 6; HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 8 Löwisch/Spinner § 19 Rn. 13; Thüsing/ Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 31; v. Hoyningen-Huene/Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 18; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 36; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 22 ff.; Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 27 Rn. 173.

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vertraglicher Bezugnahme gelten. Insoweit ergibt sich aus dem Gesetz keine Unterscheidung.1637 Im Umkehrschluss folgt aus § 19 Abs. 3 KSchG, dass Betriebsvereinbarungen über Kurzarbeit nicht gegenüber § 19 Abs. 1, 2 KSchG vorrangig sein sollen.1638 III. Rechtsfolgen Wird Kurzarbeit wirksam eingeführt, verringert sich die Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers im vereinbarten Umfang. Entsprechendes gilt für den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers.1639 Möglich ist auch die völlige Freistellung des Arbeitnehmers (sogenannte „Kurzarbeit Null“).1640 Ist die Einführung hingegen rechtlich unzulässig und verweigert der Arbeitgeber infolgedessen die Annahme der Arbeitsleistung, kommt er in Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB).1641 Zudem kann der Arbeitnehmer verlangen, tatsächlich in vollem Umfang beschäftigt zu werden.1642 Besonderheiten gelten bei einer Einführung nach § 19 KSchG. Gemäß § 19 Abs. 2 KSchG darf der Arbeitgeber das Gehalt entsprechend der verkürzten Arbeitszeit reduzieren.1643 Diese Verringerung greift jedoch erst ab dem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis nach den allgemeinen gesetzlichen oder den vereinbarten Bestimmungen enden würde. Folglich ist der Arbeitgeber erst nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Kürzung berechtigt.1644 Er kann also, ohne eine Ankün1637 Henssler/Willemsen/Kalb-Molkenbur § 19 KSchG Rn. 7; v. Hoyningen-Huene/ Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 18; a. A. HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 8; Thüsing/ Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 32; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 39; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 28. Nach MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 83 handelt es sich nicht um Inhalts-, sondern um Betriebsnormen, die auch für Außenseiter unmittelbar gelten. 1638 HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 8; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 23; v. Hoyningen-Huene/Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 16; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 29; im Ergebnis ebenso Henssler/Willemsen/Kalb-Molkenbur § 19 KSchG Rn. 6; vgl. auch Löwisch/Spinner § 19 Rn. 10. 1639 BAG 15.12.1961 – 1 AZR 310/60, BAGE 12, S. 135, 141; Henssler/Willemsen/ Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 317; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 79; Zöllner/Loritz/ Hergenröder Arbeitsrecht, S. 147; Walker SAE 2010, S. 70, 71. 1640 ErfK-Kania § 87 BetrVG Rn. 35; LPK-SGB III-Kruse § 169 Rn. 8. 1641 ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 658; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 317; Henssler/Willemsen/Kalb-Clemenz § 87 BetrVG Rn. 94; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 79; Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 27 Rn. 176. 1642 ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 658. 1643 Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 18; v. Hoyningen-Huene/ Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 30; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 27; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 39; HK-ArbR-Bufalica § 19 KSchG Rn. 7; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 192. 1644 HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 10; ErfK-Kiel § 19 KSchG Rn. 10; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 16; Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 24; Dornbusch/WolffHeckelmann/Beissel § 19 Rn. 16; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 27; KRWeigand § 19 KSchG Rn. 39; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 301 f.

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digungsfrist einhalten zu müssen, sofort Kurzarbeit einführen, muss das Gehalt aber noch bis zu Ablauf der Kündigungsfrist weiterzahlen.1645 Allgemeine gesetzliche Bestimmungen im Sinne des § 19 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 KSchG sind nur die Vorschriften des § 622 BGB.1646 Sonderkündigungsschutzbestimmungen für Betriebsverfassungsträger, Schwerbehinderte, Schwangere, Wehrpflichtige oder Angehörige ähnlicher Personengruppen fallen hingegen nicht hierunter.1647 Zu den vereinbarten Bestimmungen zählen auch tarifliche Fristen,1648 und zwar unabhängig davon, ob sie länger oder kürzer als die gesetzlichen Fristen sind.1649 Die Frist beginnt nach allgemeiner Ansicht mit der Anordnung der Kurzarbeit durch den Arbeitgeber.1650 Hat der Arbeitgeber zuvor bereits gekündigt, ist dieser Zeitpunkt maßgeblich.1651

E. Elternzeit (vgl. § 15 BEEG) I. Systematische Einordnung Ebenfalls keine Vergütung erhalten Arbeitnehmer, die Elternzeit nach §§ 15 bis 21 BEEG in Anspruch nehmen. Bei der Elternzeit handelt es sich um eine auf maximal drei Jahre befristete unbezahlte Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht, die daran anknüpft, dass der Arbeitnehmer mit einem von ihm 1645 HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 10; Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 24. 1646 HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 11; ErfK-Kiel § 19 KSchG Rn. 10; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 16; Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 25; Dornbusch/ Wolff-Heckelmann/Beissel § 19 Rn. 17; v. Hoyningen-Huene/Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 32 f.; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 28; HK-ArbR-Bufalica § 19 KSchG Rn. 7. 1647 HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 11; Henssler/Willemsen/Kalb-Molkenbur § 19 KSchG Rn. 8; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 16; Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 25; Dornbusch/Wolff-Heckelmann/Beissel § 19 Rn. 17; v. Hoyningen-Huene/Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 32; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 28; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 44; HK-ArbR-Bufalica § 19 KSchG Rn. 7. 1648 HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 11; Henssler/Willemsen/Kalb-Molkenbur § 19 KSchG Rn. 8; ErfK-Kiel § 19 KSchG Rn. 10; Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 26; v. Hoyningen-Huene/Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 34. 1649 Löwisch/Spinner § 19 Rn. 18; HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 11; Henssler/Willemsen/Kalb-Molkenbur § 19 KSchG Rn. 8; ErfK-Kiel § 19 KSchG Rn. 10; Ascheid/Preis/ Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 29. 1650 HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 12; ErfK-Kiel § 19 KSchG Rn. 10; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 19; Thüsing/Laux/Lembke-Lembke/Oberwinter § 19 Rn. 24; Dornbusch/ Wolff-Heckelmann/Beissel § 19 Rn. 19; v. Hoyningen-Huene/Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 35; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 30; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 40. 1651 HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 12; Henssler/Willemsen/Kalb-Molkenbur § 19 KSchG Rn. 8; ErfK-Kiel § 19 KSchG Rn. 10; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 16; v. Hoyningen-Huene/Linck-v. Hoyningen-Huene § 19 Rn. 36; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 31; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 40.

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betreuten Kind im gleichen Haushalt lebt. Anders als bei unbezahltem Urlaub1652 hat der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen das gesetzlich garantierte Recht, Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Gemäß § 15 Abs. 2 S. 6 BEEG ist der Anspruch unabdingbar.1653 Abweichende Regelungen, die den Arbeitnehmer begünstigen, sind aber zulässig.1654 Neben einer völligen Freistellung ist in § 15 Abs. 4 bis 7 BEEG auch die Möglichkeit vorgesehen, die Arbeitszeit zu verringern. Dem Arbeitnehmer steht insoweit ein Wahlrecht zu.1655 II. Telos Die Regelungen über Elternzeit1656 sind nach dem Willen des Gesetzgebers ein wesentlicher Teil seiner Familienpolitik, die einen „abgestimmten Dreiklang“ aus nachhaltiger und gezielter finanzieller Stärkung von Familien, einer familienunterstützenden Betreuungsinfrastruktur und einer familienbewussten Arbeitswelt vorsehen soll.1657 Die Elternzeit ist Ausdruck der letztgenannten Komponente, wodurch der Gesetzgeber eine verbesserte Kinderbetreuung durch berufstätige Eltern gewährleisten möchte.1658 Den Eltern soll es erleichtert werden, ihre Zeit der persönlichen Betreuung und Erziehung ihres Kindes zu widmen. Demgegenüber stärkt das in den §§ 1 bis 14 BEEG geregelte Elterngeld die Familien in finanzieller Hinsicht. Allerdings geht der Anspruch auf Elternzeit nicht zwingend mit einem Anspruch auf Elterngeld einher. Ebenso wenig lässt sich umgekehrt ein Konnex herstellen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Elternzeit teilweise in § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b) BEEG an die Erfüllung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Elterngeld anknüpft.1659

1652

Siehe dazu oben § 6 C. Buchner/Becker § 15 BEEG Rn. 27 ff.; ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 9; HKMuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 49. 1654 Buchner/Becker § 15 BEEG Rn. 30; Henssler/Willemsen/Kalb-Gaul § 15 BEEG Rn. 7; vgl. auch MünchArbR-Heenen § 307 Rn. 2. 1655 Vgl. Buchner/Becker § 15 BEEG Rn. 33 ff.; kritisch zur rechtsdogmatischen Konstruktion des Gesetzgebers HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 8. 1656 Ursprünglich war die Elternzeit in den §§ 15 ff. BErzGG geregelt. Diese Vorschriften wurden zum 1.1.2007 als §§ 15 ff. in das neue BEEG übernommen. Aufgrund der Übergangsvorschrift des § 27 Abs. 2 BEEG werden die §§ 15 ff. des BEEG auch auf vor dem 1.1.2007 geborene Kinder angewendet. Literatur und Rechtsprechung zu den Regelungen des BErzGG hinsichtlich der Elternzeit können auf die entsprechenden Vorschriften des BEEG weitgehend übertragen werden, vgl. auch ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 1; MünchArbR-Heenen § 307 Rn. 3. 1657 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/1889, S. 2; ferner HK-MuSchG/ BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 8. 1658 Vgl. HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 8; ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 2. 1659 Vgl. Buchner/Becker Vor §§ 15–21 BEEG Rn. 11; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 8. 1653

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Die §§ 15–18 BEEG setzen zudem europäische Vorgaben über die Gewährung von „Elternurlaub“ um, die in der Richtlinie 2010/18/EU vom 8. März 2010 enthalten sind. Diese Richtlinie setzt eine von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB am 18. Juni 2009 geschlossene Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub in Kraft.1660 Die deutsche Regelung geht teilweise über die europäischen Vorgaben hinaus.1661 Insbesondere der in § 15 Abs. 2 S. 1 BEEG verankerte Anspruch auf Elternzeit von bis zu zwei Jahren übersteigt den viermonatigen Elterurlaub deutlich, den § 2 Abs. 2 der Rahmenvereinbarung fordert.1662 III. Tatbestand 1. Arbeitnehmer Einen Anspruch auf Elternzeit kann nur geltend machen, wer zu Beginn des Zeitraums, für den er Elternzeit beanspruchen möchte, als Arbeitnehmer beschäftigt ist.1663 Dazu gehören gemäß § 20 Abs. 1 BEEG die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten sowie unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 BEEG Heimarbeiter und Heimarbeitern Gleichgestellte. Unerheblich ist dagegen, ob das Arbeitsverhältnis bereits bei Geburt des Kindes bestand.1664 Leitende Angestellte behalten ihren Status während der Elternzeit, obwohl sie ihre Funktion während der Elternzeit nicht wahrnehmen.1665 2. Besonderes Verhältnis zum betreuten Kind Weiterhin verlangt das Gesetz in § 15 Abs. 1 S. 1 BEEG ein besonderes Verhältnis des Antragstellers zu dem von ihm betreuten Kind. Insoweit kommen mehrere verschiedene Konstellationen in Betracht: Es kann sich um das eigene Kind des Arbeitnehmers handeln (vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) BEEG), das Kind kann sich bei dem Arbeitnehmer in Adoptionspflege befinden (vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b) i.V. m. § 1 Abs. 3 Nr. 1 BEEG), oder es kann sich um das Kind des 1660 Diese Richtlinie löste die Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung vom 14. Dezember 1995 ab. 1661 Düwell FA 2010, S. 137, 137 und 139; ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 2. Allerdings weist Düwell auch zu Recht auf bestehende Umsetzungsdefizite hin, insbesondere im Zusammenhang mit dem Rückkehrrecht des Arbeitnehmers nach Beendigung der Elternzeit (S. 139), mit der Möglichkeit zur vorübergehenden Teilzeitarbeit nach Beendigung der Elternzeit (S. 140) und mit Ansprüchen des Arbeitnehmers auf Freistellung von der Arbeit bei höherer Gewalt (S. 140). 1662 Düwell FA 2010, S. 137, 139; ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 2. 1663 ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 3; Henssler/Willemsen/Kalb-Gaul § 15 BEEG Rn. 1; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 23. 1664 ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 3; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 23. 1665 ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 3.

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Ehegatten oder des Lebenspartners handeln, das der Arbeitnehmer in seinen Haushalt aufgenommen hat (vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b) i.V. m. § 1 Abs. 3 Nr. 2 BEEG). Ferner genügt es, wenn der Arbeitnehmer mit dem Kind in einem Haushalt lebt und eine Vaterschaftserklärung im Sinne von § 1594 Abs. 2 BGB abgegeben hat, diese aber noch nicht wirksam oder über die von ihm beantragte Vaterschaftsfeststellung im Sinne des § 1600d BGB noch nicht entschieden ist (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 b) i.V. m. § 1 Abs. 3 Nr. 3 BEEG). Schließlich kann der Anspruchsteller auch als Verwandter des Kindes bis zum maximal dritten Grad oder als Ehegatte oder Lebenspartner eines solchen Verwandten das Kind betreuen, weil die Eltern ihr Kind wegen einer schweren Krankheit, einer Schwerbehinderung oder Tod nicht selbst betreuen können (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 1 b) i.V. m. § 1 Abs. 4 BEEG). Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer ein Kind in Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII genommen hat. In allen diesen Fällen ist gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 BEEG die Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils erforderlich, soweit der Anspruchssteller nicht selbst sorgeberechtigt ist. Seit 2009 gehören gemäß dem neu eingefügten § 15 Abs. 1a BEEG auch Großeltern zum Kreis der Anspruchsberechtigten, wenn sie ein Enkelkind in den Haushalt aufnehmen, es selbst betreuen und erziehen und entweder ein Elternteil des Kindes minderjährig ist oder sich im letzten oder vorletzten Jahr einer Ausbildung befindet, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen wurde und die die Arbeitskraft des Elternteils im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt. Der Anspruch besteht nur für Zeiten, in denen kein Elternteil selbst Elternzeit in Anspruch nimmt. 3. Persönliche Betreuung und Erziehung des im gleichen Haushalt lebenden Kindes a) Begriff des Haushalts Weiterhin muss der Arbeitnehmer mit dem Kind im gleichen Haushalt leben und es selbst betreuen und erziehen. Der Haushalt ist der Mittelpunkt der privaten Lebensführung zur Befriedung der persönlichen Bedürfnisse einer Familie oder einer einzelnen Person.1666 Der Gesetzgeber verbindet mit der Anknüpfung an den Haushaltsbegriff die Vorstellung, dass das Kind in seiner ersten Lebensphase eine feste Bezugsperson erhält, was für seine gesamte Entwicklung von grundlegender Bedeutung ist.1667 Daher muss der Arbeitnehmer mit dem Kind in 1666 HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 18; vgl. auch Buchner/Becker § 15 BEEG Rn. 7, § 1 BEEG Rn. 58. 1667 Vgl. die Gesetzesbegründung zu § 1 BErzGG 1985, BT-Drs. 10/3792, S. 14 – diese Begründung bezieht sich zwar auf den Anspruch auf Elterngeld. Die Regelungen über die Elternzeit (damals: Erziehungsurlaub) knüpften in der Gesetzesfassung von

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einer räumlichen Gemeinschaft leben.1668 Der Elternzeitanspruch entfällt, wenn der Arbeitnehmer oder das Kind für längere Zeit außerhalb dieser räumlichen Gemeinschaft leben oder beide ohne festen Wohnsitz sind und nicht absehbar ist, wann die Haushaltsgemeinschaft wieder hergestellt werden wird.1669 Demgegenüber schaden nur vorübergehende Unterbrechungen nicht.1670 b) Persönliche Betreuung und Erziehung des Kindes Die persönliche Betreuung des Kindes durch den Arbeitnehmer umfasst primär die materielle Versorgung, aber daneben auch immaterielle Zuwendung.1671 Erziehung meint demgegenüber die Einflussnahme auf die Entwicklung des Kindes durch pädagogische Maßnahmen.1672 Auch insoweit sind nur vorübergehende Unterbrechungen unschädlich.1673 Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer das Kind nicht alleine betreut und erzieht, sondern diese Aufgaben zum Teil auf Dritte überträgt, sei es der eigene Partner, sei es eine professionelle Betreuungseinrichtung wie etwa eine Krippe.1674 4. Erklärung des Anspruchstellers Der Anspruchsteller muss die Inanspruchnahme der Elternzeit vor deren Beginn schriftlich1675 und rechtzeitig im Sinne des § 16 Abs. 1, 2 BEEG gegenüber dem Arbeitgeber erklären. Eine Zustimmung des Arbeitgebers ist nicht erforder1985 aber an den Anspruch auf Elterngeld an. Als 1991 die Voraussetzungen voneinander entkoppelt wurden, übernahm der Gesetzgeber den Haushaltsbegriff in § 15 BErzGG, vgl. hierzu BT-Drs. 12/1125, S. 8. 1668 Sowka Elternzeit, S. 23; vgl. auch MünchArbR-Heenen § 307 Rn. 6; HKMuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 18, der aber darüber hinaus bereits aus dem Haushaltsbegriff eine Obliegenheit des Arbeitnehmers zur Versorgung des Kindes ableiten will. Aufgrund des Wortlauts des § 15 Abs. 2 S. 1 BEEG und des Gesetzeszusammenhangs ist es aber vorzugswürdig, die Versorgungskomponente eher der Obliegenheit zur persönlichen Betreuung und Erziehung nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BEEG zuzuordnen. Weiter ist hingegen die Auffassung von Buchner/Becker § 15 BEEG Rn. 7, die eine gemeinsame Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft ausreichen lassen. 1669 HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 18; vgl. auch MünchArbR-Heenen § 307 Rn.6. 1670 Sowka Elternzeit, S. 23. 1671 HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 19. 1672 HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 19. 1673 HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 19. 1674 Sowka Elternzeit, S. 23; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 19; a. A. offenbar Buchner/Becker § 15 BEEG Rn. 7. 1675 Nach der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/3553, S. 22, soll die Schriftform lediglich die „Gesamtübersicht zum flexibilisierten Erziehungsurlaub“ (heute: Elternzeit) verbessern und somit vor allem der Klarstellung dienen. Missachtet der Arbeitnehmer das Formerfordernis, bleibt die Erklärung gleichwohl wirksam. Vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Gaul § 16 BEEG Rn. 1; a. A. Buchner/Becker § 16 BEEG Rn. 3.

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lich.1676 Die regelmäßige Frist zur Erklärung endet sieben Wochen vor Beginn der Elternzeit (vgl. § 16 Abs. 1 S. 1 BEEG). Ein Fristversäumnis des Arbeitnehmers führt nach zutreffender Auffassung aber nicht zum Untergang des Anspruchs.1677 Vielmehr verschiebt sich lediglich der Beginn der Elternzeit entsprechend nach hinten. Die Siebenwochenfrist soll nach dem Willen des Gesetzgebers dem Arbeitgeber nur hinreichend Gelegenheit geben, für die Elternzeit zu disponieren.1678 Mit seinem Verlangen muss der Arbeitnehmer zudem deutlich machen, für welche Zeiträume er Elternzeit während der ersten beiden seiner maximal drei Jahre, in denen Elternzeit genommen werden kann, beanspruchen möchte. Nur insoweit entfaltet die Erklärung des Arbeitnehmers auch Bindungswirkung. Eine nachträgliche Änderung der für die ersten zwei Jahre gewünschten Verteilung bedarf gemäß § 16 Abs. 3 BEEG der Zustimmung des Arbeitgebers.1679 Eine Verlängerung für das dritte Jahr ist nach zutreffender, aber bestrittener Ansicht auch nachträglich ohne Zustimmung des Arbeitgebers bis sieben Wochen vor Beginn des ersten Zeitraums während des dritten Lebensjahres, für den Elternzeit genommen werden soll, möglich.1680 Andernfalls wäre die Formulierung des § 16 Abs. 1 S. 1 BEEG („für welche Zeiten innerhalb von zwei Jahren Elternzeit genommen werden soll“) sinnlos. Selbstverständlich darf der Arbeitnehmer auch die Elternzeit auch schon vor deren Beginn auf das dritte Jahr ausdehnen. Allerdings ist er in diesem Fall an seine Erklärung gebunden.1681 Gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 BEEG kann die Siebenwochenfrist des Satz 1 aus wichtigem Grund verkürzt werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist diese Regelung insbesondere für den Fall der Adoptionspflege gedacht. In dieser Konstellation erfahren die Eltern häufig erst kurzfristig, dass sie ein Kind bei

1676 BAG 22.6.1988 – 5 AZR 526/87, AP Nr. 1 zu § 15 BErzGG; ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 2; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 40. Der Arbeitgeber kann die Elternzeit auch nicht einseitig anordnen, vgl. ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 2. 1677 Ebenso BAG 17.2.1994 – 2 AZR 616/93, AP Nr. 116 zu § 626 BGB; Buchner/ Becker § 16 BEEG Rn. 9; ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 5; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 16 BEEG Rn. 7. 1678 BT-Drs. 16/1889, S. 27; vgl. auch BAG 17.10.1990 – 5 AZR 10/90, AP Nr. 4 zu § 15 BErzGG; Buchner/Becker § 16 BEEG Rn. 6; ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 1; HKMuSchG/BEEG-Rancke § 16 BEEG Rn. 7. 1679 Der Arbeitgeber hat entsprechend § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu entscheiden, ob er der Verlängerung zustimmt, vgl. BAG 18.10.2011 – 9 AZR 315/10, NZA 2012, S. 262 ff. 1680 Wie hier Aschmoneit, NZA 2012, S. 247 ff.; Buchner/Becker § 16 BEEG Rn. 15; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 16 BEEG Rn. 3; Sowka Elternzeit, S. 19 f.; a. A. ErfKGallner (12. Auflage) § 16 BEEG Rn. 6; inzwischen jedoch einschränkend ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 6. 1681 BAG 19.4.2005 – 9 AZR 233/04, AP Nr. 44 zu § 15 BErzGG; HK-MuSchG/ BEEG-Rancke § 16 BEEG Rn. 3; Sowka Elternzeit, S. 29.

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sich aufnehmen dürfen.1682 Des Weiteren sieht § 16 Abs. 1 S. 3 BEEG vor, die Mutterschutzfrist auf die Sieben-Wochen-Frist anzurechnen. Eine weitere Fristerleichterung ist zudem in § 16 Abs. 2 BEEG angelegt: Soll sich die Elternzeit unmittelbar an die Mutterschutzfrist nach § 6 Abs. 1 MuSchG anschließen und kann die Arbeitnehmerin die Elternzeit aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund nicht rechtzeitig verlangen, kann sie das Verlangen innerhalb einer Woche nach Wegfall des Hinderungsgrundes nachholen. 5. Dauer und zeitliche Lage der Elternzeit a) Dauer der Elternzeit Der Anspruch auf Elternzeit erstreckt sich gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 BEEG auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes. Hat der Arbeitnehmer einmal erklärt, für welche Zeiträume er Elternzeit beanspruchen möchte, ist er grundsätzlich daran gebunden. Das Gesetz erlaubt eine Verkürzung oder Verlängerung der einmal beanspruchten Elternzeit nur eingeschränkt aus den in § 16 Abs. 3 und 4 BEEG genannten Gründen. aa) Verlängerung der Elternzeit Eine Verlängerung kommt grundsätzlich nur mit Zustimmung des Arbeitgebers in Betracht und muss sich im Rahmen des Dreijahreszeitraums des § 15 Abs. 2 BEEG halten.1683 Eine einseitige Verlängerung auf Wunsch des Arbeitnehmers ist gemäß § 16 Abs. 3 S. 4 BEEG ausnahmsweise möglich, wenn ein vorgesehener Wechsel der Anspruchsberechtigten aus einem wichtigen Grund nicht erfolgen kann. Damit wird der Fall erfasst, dass die Eltern des Kindes ursprünglich abwechselnd Elternzeit nehmen wollten und sich später herausstellt, dass der zweite Elternteil seine Elternzeit nicht antreten kann.1684 Seinem Zweck nach lässt § 16 Abs. 3 S. 4 BEEG eine Verlängerung auch nur im Rahmen des Dreijahreszeitraums nach § 15 Abs. 2 BEEG zu und nicht darüber hinaus.1685 Könnte der Wechsel der Anspruchsberechtigten wie vorgesehen erfolgen, wäre die Dauer der Elternzeit nach § 15 Abs. 2 S. 1 BEEG ebenfalls auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes begrenzt. Erforderlich ist, dass der Wechsel „aus einem 1682 Vgl. BT-Drs. 14/353, S. 22; Buchner/Becker § 16 BEEG Rn. 8; HK-MuSchG/ BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 8. 1683 ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 6; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 16 BEEG Rn. 11; vgl. auch Buchner/Becker § 16 BEEG Rn. 20; ferner Henssler/Willemsen/KalbGaul § 16 BEEG Rn. 9. 1684 Vgl. Buchner/Becker § 16 BEEG Rn. 30; ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 11; HKMuSchG/BEEG-Rancke § 16 BEEG Rn. 12. 1685 Vgl. auch HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 16 BEEG Rn. 11, der eine Verlängerung über den Dreijahreszeitraum hinaus nicht als Gewährung von Elternzeit, sondern als sonstigen Sonderurlaub einstuft.

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wichtigen Grund“ nicht erfolgen kann. Ein solcher Grund muss von solchem Gewicht und solcher Bedeutung sein, dass er es rechtfertigt, das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers hinter das Verlängerungsinteresse des Arbeitnehmers zurücktreten zu lassen. Eine derartige Ausnahmesituation wird nur anzunehmen sein, wenn das Kindeswohl eine weitere Betreuung durch den Arbeitnehmer erfordert.1686 Denkbar ist eine solche Situation beispielsweise, wenn der andere Elternteil verstirbt. bb) Vorzeitige Beendigung der Elternzeit (1) Gesetzlich geregelte Fälle Auch eine vorzeitige Beendigung ist gemäß § 16 Abs. 3 S. 1 BEEG grundsätzlich nur mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich, der nach billigem Ermessen entscheidet.1687 Etwas anderes gilt aber nach § 16 Abs. 3 S. 2 BEEG, wenn ein weiteres Kind geboren wird oder sonst ein besonderer Härtefall vorliegt. Letzteres ist insbesondere bei Eintritt einer schweren Krankheit, einer Schwerbehinderung oder dem Tod eines Elternteils oder eines Kindes der berechtigten Person oder bei erheblich gefährdeter wirtschaftlicher Existenz der Eltern nach Inanspruchnahme der Elternzeit der Fall. Dann kann der Arbeitgeber eine vorzeitige Beendigung nur aus dringenden betrieblichen Gründen ablehnen. Lehnt der Arbeitgeber das Ansinnen des Arbeitnehmers rechtswidrig ab, darf der Arbeitnehmer die Elternzeit nach der zutreffenden Auffassung des BAG einseitig beenden.1688 Das folgt insbesondere aus dem Wortlaut der Vorschrift,1689 da es dem Arbeitgeber ohne dringende betriebliche Gründen gar nicht möglich ist, das vorzeitige Ende der Elternzeit zu verhindern. Verstirbt das Kind während der Elternzeit, endet diese drei Wochen nach dem Tod des Kindes (vgl. § 16 Abs. 4 BEEG). Endete die Elternzeit ohnehin vor Ablauf der drei Wochen, ist dieser Zeitpunkt maßgeblich.1690 (2) Fortfall der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Elternzeit Hingegen endet die Elternzeit nicht ohne weiteres automatisch mit dem Fortfall einer ihrer Voraussetzungen.1691 Zwar spricht de lege ferenda einiges dafür, 1686 Ähnlich HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 16 BEEG Rn. 12; Sowka Elternzeit, S. 18; weiter hingegen ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 11. 1687 Vgl. Buchner/Becker § 16 BEEG Rn. 21; ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 7; HKMuSchG/BEEG-Rancke § 16 BEEG Rn. 15; vgl. auch BAG 21.4.2009 – 9 AZR 391/08, AP Nr. 9 zu § 16 BErzGG. 1688 BAG 21.4.2009 – 9 AZR 391/08, AP Nr. 9 zu § 16 BErzGG. 1689 BAG 21.4.2009 – 9 AZR 391/08, AP Nr. 9 zu § 16 BErzGG. 1690 Buchner/Becker § 16 BEEG Rn. 33; wohl auch HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 16 BEEG Rn. 18. 1691 Wie hier Personalbuch-Reinecke Elternzeit Rn. 20; ähnlich Buchner/Becker § 16 BEEG Rn. 22, die aber abhängig von den Umständen des Einzelfalls einen An-

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die Elternzeit auch in einem solchen Fall enden zu lassen. Billigerweise sollte ein Arbeitnehmer von der Elternzeit nur profitieren können, sofern er unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 BEEG ein Kind betreut und erzieht. Fällt eine dieser Voraussetzungen fort, gibt es keinen Grund mehr, den Arbeitgeber mit einer gesetzlich angeordneten unbezahlten Freistellung zu belasten. Es wäre daher sachgerecht, dem Arbeitgeber das Recht zuzugestehen, den Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung heranziehen zu dürfen. Umgekehrt sollte man auch dem Arbeitnehmer das Recht zubilligen, die Beschäftigung gegen Vergütung vom Arbeitgeber verlangen zu dürfen. Durch den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen sollten die Hauptleistungspflichten der Parteien wieder aufleben.1692 Indes hat der Gesetzgeber de lege lata eine andere Konstruktion gewählt. Lediglich in zwei Sonderfällen, nämlich dem „traurigen Fall“1693 des vorzeitigen Todes des Kindes (vgl. § 16 Abs. 4 BEEG) und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet die Elternzeit zwangsläufig. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber Arbeitnehmerinnen in einer weiteren Konstellation das Recht eingeräumt, die Elternzeit einseitig vorzeitig zu beenden, nämlich zur Inanspruchnahme der Schutzfristen nach § 3 Abs. 2 bzw. § 6 Abs. 1 MuSchG wegen der Geburt eines weiteren Kindes (vgl. § 16 Abs. 3 S. 3 BEEG). Für alle anderen Fälle hat der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung in § 16 Abs. 3 BEEG einen Interessenausgleich zwischen den Parteien vorgesehen, der die Zustimmung des Arbeitgebers voraussetzt.1694 Diese Regel gilt auch, wenn die Voraussetzungen der Elternzeit nachträglich entfallen. Gallner1695 hingegen meint, die Vorschriften in § 16 Abs. 3 und 4 BEEG seien nicht abschließend und erfassten den Fortfall der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Elternzeit nicht, weil auch der Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Gesetz keine Erwähnung gefunden habe. Gleichwohl ende die Elternzeit in diesem Fall anerkanntermaßen vorzeitig. Dabei übersieht Gallner aber, dass dieser ungeschriebene Beendigungstatbestand in der Gesetzesbegründung erwähnt1696 und auf diese Weise vom Gesetz-

spruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber aus dessen Fürsorgepflicht auf Zustimmung zur vorzeitigen Beendigung ableiten; dagegen für ein automatisches Ende der Elternzeit ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 8; im Grundsatz auch HK-MuSchG/BEEGRancke § 16 BEEG Rn. 19; für ein Wahlrecht des Arbeitgebers Sowka Elternzeit, S. 36. 1692 Vgl. hierzu ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 8, die bereits die geltende Rechtslage ähnlich bewertet. 1693 Dieser Ausdruck findet sich bereits in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/ 3553, S. 23). Die Verwendung einer derart emotional aufgeladenen Formulierung in Gesetzesmaterialien ist ungewöhnlich, aber zu begrüßen, weil sie zeigt, dass der Gesetzgeber die Tragweite der Situation für die Betroffenen anerkennt. Vgl. auch ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 8, die insoweit vom „tragischsten Sachverhalt“ weggefallener Elternzeitvoraussetzungen spricht. 1694 BT-Drs. 14/3553, S. 23. 1695 ErfK-Gallner § 16 BEEG Rn. 8. 1696 BT-Drs. 14/3553, S. 23.

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geber gebilligt wird. Somit bleibt es dabei, dass die vorzeitige Beendigung der Elternzeit in § 16 Abs. 3 und 4 BEEG abschließend geregelt ist.1697 b) Zeitliche Lage der Elternzeit Elternzeit können die Eltern frühestens für die Zeit ab der Geburt des Kindes nehmen.1698 Die Auffassung, wonach die Mutter Elternzeit erst nach Ablauf der Mutterschutzfrist des § 6 Abs. 1 MuSchG in Anspruch nehmen kann,1699 ist abzulehnen. Mutterschutzfrist und Elternzeit können gleichzeitig eingreifen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Anrechnungsregelung des § 15 Abs. 2 S. 2 BEEG. Danach ist die Mutterschutzfrist – für beide Elternteile1700 – auf den Dreijahreszeitraum der Elternzeit anzurechnen. Eine solche Regelung ist nicht bloß dann sinnvoll, wenn während der Mutterschutzfrist die Elternzeit gerade nicht greift, sondern kann auch bei einem tatbestandlichen Nebeneinander eine klarstellende Wirkung dahingehend entfalten, dass die drei Jahre Elternzeit für die Mutter nicht etwa erst nach Ende der Mutterschutzfrist beginnen und entsprechenden später enden als die des Vaters. Indem der Gesetzgeber die Dauer der Elternzeit an die ersten drei Lebensjahre des Kindes knüpft (vgl. § 15 Abs. 2 S. 1 BEEG), stellt er weiterhin klar, dass auch beide Elternteile gleichzeitig während der ersten drei Lebensjahre des Kindes in Elternzeit gehen können, sofern jedes für sich anspruchsberechtigt ist.1701 Auch wenn die Eltern ihre Elternzeit nicht gleichzeitig, sondern abwechselnd nehmen, ist für beide Teile die Elternzeit auf die ersten drei Lebensjahre begrenzt. Durch eine Aufteilung können die Eltern also nicht erreichen, dass das Kind während seiner ersten sechs Lebensjahre betreut wird, drei durch die Mutter und drei durch den Vater.1702 Auch wenn mehrere Kinder im Abstand von weniger als drei Jahren geboren werden und sich die auf die verschiedenen Kinder beziehenden Elternzeitansprüche überschneiden, dürfen die einzelnen Elternzeiten nicht addiert werden (vgl. § 15 Abs. 2 S. 3 BEEG).1703 Eine Verteilung der Elternzeit eines Arbeitnehmers auf maximal zwei Abschnitte ist ohne Zustimmung, eine weitergehende Aufteilung nur mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich (vgl. § 16 Abs. 1 S. 5 BEEG). Weiterhin ist eine Übertragung der Elternzeit im Umfang von bis zu zwölf Monaten auf die Zeit bis 1697

Vgl. Personalbuch-Reinecke Elternzeit Rn. 20. Vgl. BAG 22.8.2012 – 5 AZR 652/11, NZA 2012, S. 1277. 1699 Sowka Elternzeit, S. 12; vgl. auch HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 39. 1700 HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 39. 1701 HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 41; Sowka Elternzeit, S. 24 f. 1702 Treffend veranschaulicht von HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 41. 1703 HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 44. 1698

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zur Vollendung des achten Lebensjahrs des Kindes möglich, sofern der Arbeitgeber zustimmt (vgl. § 15 Abs. 2 S. 4 BEEG).1704 IV. Rechtsfolgen Beansprucht der Arbeitnehmer Elternzeit, werden die Hauptleistungspflichten für die betreffenden Zeiträume suspendiert.1705 Die nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten der Parteien bleiben hingegen bestehen.1706 Weiterhin hat der Gesetzgeber den Arbeitgeber in § 17 BEEG ermächtigt, dem Arbeitnehmer den Erholungsurlaub nach BUrlG für die Elternzeit zu streichen.1707 Der Arbeitnehmer genießt Sonderkündigungsschutz gemäß § 18 BEEG. Des Weiteren hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 4 bis 7 BEEG umfangreiche Regelungen über eine mögliche Teilzeitbeschäftigung des Arbeitnehmers getroffen.1708

F. Sonstige Risiken des Arbeitnehmers (vgl. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB) I. Systematische Einordnung und Telos Bislang wurden im Rahmen der Arbeit besondere Gründe für den Arbeitsausfall untersucht, die entweder einen Entgeltfortzahlungstatbestand auslösen oder aber gerade keinen Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers nach sich ziehen sollen. Den meisten von ihnen ist gemein, dass sie speziell gesetzlich normiert sind. Daneben existieren aber noch diverse weitere Arbeitsausfallgründe, die der Gesetzgeber nicht besonders geregelt hat. In diesen Fällen trägt das Entgeltrisiko grundsätzlich der Arbeitnehmer, was aus dem Prinzip „Ohne Arbeit kein Lohn“ folgt (vgl. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Sinn dieser Regelung liegt in der Sicherung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Dieser Zweck ergibt sich aus dem synallagmatischen Wesen des Arbeitsvertrags und aus dessen Charakter als Austauschvertrag.1709 1704

Sowka Elternzeit, S. 12. Vgl. BAG 22.6.1988 – 5 AZR 526/87, AP Nr. 1 zu § 15 BErzGG; BAG 10.5.1989 – 6 AZR 660/87, AP Nr. 2 zu § 15 BErzGG; BAG 10.2.1993 – 10 AZR 450/91, AP Nr. 7 zu § 15 BErzGG; Buchner/Becker Vor §§ 15–21 BEEG Rn. 27; ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 25; Sowka Elternzeit, S. 68. 1706 BAG 10.5.1989 – 6 AZR 660/87, AP Nr. 2 zu § 15 BErzGG; Buchner/Becker Vor §§ 15–21 BEEG Rn. 25, 32; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 50; Sowka Elternzeit, S. 63. 1707 Vgl. zu Einzelheiten Buchner/Becker § 17 BEEG Rn. 1 ff.; MünchArbR-Heenen § 308 Rn. 25–28.HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 17 BEEG Rn. 1 ff. 1708 Vgl. zu Einzelheiten Buchner/Becker § 15 BEEG Rn. 33–60; ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 10–24; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 58–87; HK-ArbRReinecke § 15 BEEG Rn. 17–46; vgl. ferner Norda Elternzeit, S. 5 ff. 1709 Vgl. zu Einzelheiten § 1. 1705

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II. Tatbestand Im Folgenden werden die Voraussetzungen erläutert, unter denen ein Arbeitsausfallgrund zur Anwendung von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB führt. 1. Keine Verlagerung des Risikos auf den Arbeitgeber § 326 Abs. 1 S. 1 BGB kommt nur zum Zuge, wenn sich das Vergütungsrisiko nicht ausnahmsweise aufgrund spezieller Regelungen auf den Arbeitgeber verlagert. Dazu kommt es, wenn einer der in dieser Arbeit untersuchten Entgeltfortzahlungstatbestände einschlägig ist.1710 2. Gegenseitiger Vertrag und synallagmatische Leistungspflicht Weiterhin muss ein gegenseitiger Vertrag vorliegen, und die nach § 275 BGB ausgeschlossene Pflicht muss eine synallagmatische Leistungspflicht sein.1711 Diese Voraussetzungen sind – wie bereits erläutert – bei Arbeitsverträgen und der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers erfüllt.1712 3. Unmöglichkeit der Arbeitsleistung Ferner muss es unmöglich sein, die Arbeitsleistung zu erbringen (vgl. § 275 Abs. 1 BGB).1713 Diese Voraussetzung ist – infolge der Einordnung der Arbeitspflicht als absolute Fixschuld1714 – ohne Weiteres erfüllt, wenn die Arbeitsleistung vollständig unterbleibt, also im Fall der Nichtleistung.1715 Hiervon zu unterscheiden ist die Schlechtleistung. Eine Schlechtleistung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer zwar am Arbeitsplatz erscheint und auch seiner Arbeitspflicht nachkommt, seine Leistung aber quantitativ oder qualitativ mangelhaft ist.1716 Der anzulegende Maßstab lässt sich nicht objektiv wie etwa bei Gat1710 Zur Bedeutung dieser Tatbestandsvoraussetzung für Kollisionen mit anderen Arbeitsausfallgründen vgl. unten § 9 B.III.30. 1711 Vgl. zu diesen Voraussetzungen Staudinger-Otto § 326 Rn. B 18 f. 1712 Vgl. oben § 5 B.III.1. 1713 JurisPK-BGB-Alpmann § 326 Rn. 6; MüKoBGB-Ernst § 326 Rn. 8; SoergelGsell § 326 Rn. 9; Prütting/Wegen/Weinreich-Medicus/Stürner § 326 Rn. 3 ff.; Staudinger-Otto § 326 Rn. B 21. 1714 Siehe oben § 1. 1715 Vgl. v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 295 sowie oben § 1. Das gilt auch in Fällen, in denen die Voraussetzungen der Einreden des § 275 Abs. 2 oder 3 BGB erfüllt sind. Da es sich nach zutreffender Ansicht bei der geschuldeten Arbeitsleistung stets um eine absolute Fixschuld handelt (vgl. dazu oben § 1), tritt auch in diesen Fällen Unmöglichkeit schon nach § 275 Abs. 1 BGB ein, ohne dass es auf § 275 Abs. 2, Abs. 3 BGB ankäme. Vgl. hierzu auch Geißler Lohnanspruch, S. 51. 1716 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 6 Rn. 123; vgl. auch MüKoBGB-Henssler § 626 Rn. 149.

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tungsschulden bestimmen, wofür § 243 Abs. 1 BGB anordnet, dass Sachen „mittlerer Art und Güte“ zu leisten sind. Vielmehr ist das individuelle Leistungsvermögen des betreffenden Arbeitnehmers entscheidend.1717 Eine Schlechtleistung ist daher nicht gegeben, wenn die Arbeitsleistung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers entspricht. Die dogmatische Behandlung einer Schlechtleistung ist nicht eindeutig geklärt. Richtigerweise ist zwischen quantitativen und qualitativen Mängeln zu unterscheiden.1718 Ein quantitativer Mangel liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seine Leistung nicht im geschuldeten Umfang erbringt, sondern zu langsam arbeitet (sogenannte Arbeitsbummelei). In einem solchen Fall stellt sich die Frage, ob darin wirklich eine Schlechtleistung hinsichtlich seiner gesamten Arbeitspflicht liegt oder ob nicht vielmehr eine teilweise Nichtleistung anzunehmen ist. Die Abgrenzung gestaltet sich häufig schwierig. Aus Gründen der Rechtssicherheit kann von einer teilweisen Nichtleistung nur für die Zeiten ausgegangen werden, in denen der Arbeitnehmer überhaupt nicht arbeitet, also eine eindeutige Pause einlegt. Sofern der Arbeitnehmer Leistungen erbringt, und mag er das noch so langsam tun, liegt eine Schlechtleistung vor.1719 Gleiches gilt während sehr kurzer Unterbrechungen dieser zu langsamen Tätigkeit, die auch einem normalen Arbeitsablauf immanent wären. Liegt nach diesem Maßstab eine Nichtleistung vor, greift § 326 Abs. 1 S. 1 BGB ein. Ist der quantitative Mangel hingegen als Schlechtleistung einzustufen oder liegt ein qualitativer Mangel vor (zum Beispiel die Ausführung einer falschen Tätigkeit), stellt sich die Rechtslage anders dar: Das Dienstvertragsrecht der §§ 611 ff. BGB kennt im Gegensatz zum Kauf- oder Werkvertragsrecht keine Nacherfüllungspflicht des Dienstverpflichteten. Damit bleibt es im Falle einer Schlechtleistung vollumfänglich bei der Vergütungspflicht des Arbeitgebers.1720 1717 BAG 20.3.1969 – 2 AZR 283/68, AP Nr. 27 zu § 123 GewO; BAG 17.7.1970 – 3 AZR 423/69, AP Nr. 3 zu § 11 MuSchG 1968; BAG 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 verhaltensbedingte Kündigung; Dütz/Thüsing Arbeitsrecht Rn. 149; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 6 Rn. 82; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 643; Staudinger-Richardi/Fischinger § 611 Rn. 532; Rüthers ZfA 1973, S. 399, 400 ff.; a.A für einen objektiven Maßstab im Sinne des § 243 Abs.1 BGB Hammen Gattungshandlungsschulden, S. 312 f.; v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 292 ff.; Staudinger-Schiemann § 243 Rn. 46; Wlotzke RdA 1965, S. 180, 188 f. 1718 Weitgehend im Anschluss an Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 6 Rn. 130– 133; MünchArbR-Reichold § 39 Rn. 29 f.; vgl. hierzu auch ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 684; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 116, 117; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 412. 1719 Im Ergebnis ähnlich Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 6 Rn. 131; vgl. auch MünchArbR-Reichold § 39 Rn. 29. 1720 BAG 17.7.1970 – 3 AZR 423/69, AP Nr. 3 zu § 11 MuSchG 1968; Hromadka/ Maschmann Arbeitsrecht I § 6 Rn. 136; v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 296; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 684; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing

§ 6 Untersuchung von Ausschlussgründen

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Das Risiko einer fehlerhaften Leistung liegt somit beim Dienstberechtigten. Diese auf den ersten Blick recht schwerwiegende Belastung des Arbeitgebers relativiert sich allerdings dadurch, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber für schuldhafte Schlechtleistungen nach den §§ 280 ff. BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist.1721 Die Risikoverlagerung wirkt sich daher im Ergebnis nur bei unverschuldeten Schlechtleistungen des Arbeitnehmers zulasten des Arbeitgebers aus. Da sich der Schlechtleistungsbegriff am individuellen Leistungsvermögen des Arbeitnehmers orientiert, betrifft diese Problematik in der Praxis nur sehr wenige Fälle. Dennoch gibt es im Schrifttum Bestrebungen, bestimmte Formen der Schlechtleistung als Nichtleistung einzuordnen und auf diese Weise die Rechtsfolge des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB anzuwenden. Beispielsweise sollen nach teilweise vertretener Auffassung alle Fälle vorsätzlicher quantitativer Minderleistung1722 und die Ausführung einer falschen Tätigkeit1723 als Nichtleistung und nicht als Schlechtleistung einzustufen sein. Diese rein ergebnisorientierten Ansätze sind aber mit der dargestellten dogmatischen Konstruktion des BGB unvereinbar.1724 Ihnen steht im Übrigen auch § 326 Abs. 1 S. 2 BGB entgegen, wonach im Falle einer Schlechtleistung Satz 1 gerade nicht anzuwenden sein soll.1725 Nach alledem lässt eine Schlechtleistung den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers unberührt. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB ist daher nur in Fällen der Nichtleistung einschlägig. 4. Fallgruppen Die Nichtleistung kann auf unterschiedlichsten Ursachen beruhen, die unter das Risiko des Arbeitnehmers fallen. Ein prominenter Fall ist die Arbeitsunwilligkeit des Arbeitnehmers. Diese Fallgruppe ist einschlägig, wenn der Arbeitnehmer sich entscheidet, der Arbeit unentschuldigt fernzubleiben oder er zwar am Arbeitsplatz erscheint, aber die Verrichtung der geschuldeten Tätigkeit verweigert. In solchen Konstellationen fehlt es an der Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers und somit an der subjektiven Komponente, die Voraussetzung für die Erbringung der Arbeitsleistung ist. § 611 BGB Rn. 412; vgl. auch Staudinger-Richardi/Fischinger § 611 Rn. 718; Preis/ Hamacher Jura 1998, S. 116, 117. 1721 Vgl. Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 6 Rn. 137; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 684; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 116, 117; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 411. 1722 Beuthien ZfA 1972, S. 73, 80–82; Richardi NZA 2002, S. 1004, 1011. 1723 MünchArbR-Blomeyer (2. Auflage) § 58 Rn. 8; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 116, 117. 1724 Kritisch auch v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 297; MünchArbR-Reichold § 39 Rn. 29. 1725 Gotthardt Schuldrechtsreform Rn. 190; ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 684; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 412.

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2. Teil: Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts

Es ist aber auch möglich, dass die Leistungserbringung an einem objektiven Umstand scheitert, der unter das Ausfallrisiko des Arbeitnehmers zu fassen ist. Dann fehlt es an der Leistungsmöglichkeit. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist das Wegerisiko des Arbeitnehmers.1726 Daneben ist auch das bereits gesondert erläuterte Arbeitskampfrisiko in diese Kategorie einzustufen.1727 Gleiches gilt für Beschäftigungsverbote, die einer Erbringung der Arbeitsleistung entgegenstehen. Hierunter fallen beispielsweise die fehlende Genehmigung für bestimmte EU-Ausländer (vgl. § 284 Abs. 1 SGB III), die fehlende Approbation eines Arztes1728 (vgl. § 2 Abs. 1, 2 BÄO), ein Beschäftigungsverbot nach § 2 Abs. 1 GesBergV oder bestimmte Beschäftigungsverbote und behördliche Maßnahmen gemäß dem IfSG.1729 III. Rechtsfolgen Gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB entfällt der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Gegenleistung in Gestalt der Vergütung.1730 Diese Rechtsfolge ist Ausdruck des Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“.1731 Ferner begeht der Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung,1732 weswegen der Arbeitgeber nach § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 283 BGB oder § 311a Abs. 2 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen kann, sofern der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung auch zu vertreten hat.1733 Zudem bietet ein solches Verhalten je nach Einzelfall genügend Anlass

1726

Vgl. dazu bereits oben § 5 I.III.2. Siehe dazu oben § 6 B.IV. 1728 Vgl. hierzu BAG 6.3.1974 – 5 AZR 313/73, AP Nr. 29 zu § 615 BGB. 1729 Für Verdienstausfälle infolge von Beschäftigungsverboten nach dem IfSG (in Betracht kommen unter anderem die §§ 16 ff., 28, 30, 31, 42 f., 44 IfSG) sieht § 56 IfSG unter bestimmten Voraussetzungen eine Entschädigung vor. Dabei handelt es sich aber nicht um einen Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber, sondern um einen sozialrechtlichen Anspruch. Zwar ist es der Arbeitgeber, der gemäß § 56 Abs. 5 S. 1 IfSG die Entschädigung auszahlen muss. Er tut das jedoch ausweislich des Gesetzeswortlauts „für die Behörde“, und die ausgezahlten Beträge werden ihm gemäß § 56 Abs. 5 S. 2 IfSG auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet. Folglich ist materiell nicht der Arbeitgeber zur Leistung verpflichtet, sondern der Staat. Aus diesem Grund wird § 56 IfSG hier nicht als Entgeltfortzahlungstatbestand behandelt, sondern lediglich die ihm zugrunde liegenden Beschäftigungsverbote als Ausschlussgrund eingestuft. 1730 ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 678, 680; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 399; vgl. auch Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 26 f. 1731 Vgl. BT-Drs. 14/6857, S. 47 f.; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 399. 1732 Eine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB liegt unabhängig davon vor, ob der Arbeitnehmer die Nichtleistung zu vertreten hat, vgl. v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 295 Fn. 34. 1733 Staudinger-Richardi/Fischinger § 611 Rn. 710; v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 295; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 20; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 408 f. 1727

§ 7 Zwischenfazit

345

für eine verhaltensbedingte Kündigung oder wenigstens eine Abmahnung des Arbeitnehmers.1734

§ 7 Zwischenfazit Die Analyse der in die Untersuchung einbezogenen Ausschlussgründe unterstreicht das bereits oben1735 festgestellte Ergebnis: Ein einheitliches und stringent durchdachtes System der Entgeltfortzahlung gibt es im deutschen Arbeitsrecht nicht. Die mangelnde Konsistenz zeigt sich bei den Ausschlussgründen sogar noch deutlicher als bei vielen Entgeltfortzahlungstatbeständen, da erstere im Gegensatz zu letzteren teilweise noch nicht einmal normiert sind. Dadurch entsteht zusätzliche Rechtsunsicherheit. Bereits an dieser Stelle lässt sich festhalten, dass die Erarbeitung eines Lösungsansatzes für das Problem der Doppel- und Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall dadurch erheblich erschwert wird, dass Ausschlussgründe einbezogen werden müssen. Jede Konkurrenz erfordert es, die von den beteiligten Ausfallgründen verfolgten Ziele miteinander in Einklang zu bringen oder aber zu priorisieren. Die Herstellung einer solchen Konkordanz ist umso problematischer, je unterschiedlicher diese Ziele sind. Schon die verschiedenen Entgeltfortzahlungstatbestände variieren hinsichtlich ihrer Zielsetzung stark. Ausschlussgründe aber verfolgen demgegenüber gänzlich gegenläufige Zwecke, da der Arbeitnehmer zumeist1736 nicht begünstigt, sondern belastet werden soll. Ist ein Ausschlussgrund an einer Konkurrenz beteiligt, erlangt die Frage der Auflösung im Vergleich zur Konkurrenz zweier Entgeltfortzahlungstatbestände zudem zusätzliche Relevanz, weil es dann nicht nur um die Frage der Entgelthöhe geht, sondern darum, ob überhaupt eine Vergütung gezahlt wird.1737

1734 Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 22; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing § 611 BGB Rn. 414. 1735 Vgl. oben § 5 R. 1736 Ausnahmsweise können Ausschlussgründe auch einmal dem Arbeitnehmerschutz dienen, zum Beispiel im Fall der Elternzeit. 1737 Vgl. hierzu bereits oben § 2 und insbesondere die dort abgebildete Grafik.

3. Teil

Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung Nachdem im zweiten Teil der Arbeit verschiedene Entgeltfortzahlungstatbestände und Ausschlussgründe analysiert wurden, widmet sich der folgende Abschnitt nun den Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung. Dabei steht die Frage im Zentrum, nach welchen Regeln sich die Vergütungszahlung richten soll, wenn mehrere Gründe für den Arbeitsausfall zusammentreffen. Von geringem Interesse sind in diesem Zusammenhang die Konstellationen, in denen zwei Ausschlussgründe (also Ursachen für einen Arbeitsausfall, die gerade keinen Entgeltfortzahlungstatbestand auslösen) gleichzeitig auftreten. Ein derartiger Fall liegt beispielsweise vor, wenn ein Arbeitnehmer in Elternzeit streikt. In einer solchen Konstellation wird niemand ernstlich bestreiten, dass der Arbeitnehmer kein Entgelt erhalten soll. Führt schon das Vorliegen eines einzelnen Ausschlussgrunds zum Fortfall des Vergütungsanspruchs, darf erst recht kein Anspruch bestehen, wenn sogar zwei Ausschlussgründe parallel auftreten. Die folgenden Erörterungen konzentrieren sich daher auf Kollisionen eines Entgeltfortzahlungstatbestands mit einem Ausschlussgrund sowie auf Kollisionen mehrerer Entgeltfortzahlungstatbestände. Zunächst soll im Sinne einer Bestandsaufnahme ein Überblick über die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Lösungsansätze gegeben werden (siehe § 8), die zugleich kritisch beleuchtet und bewertet werden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden sodann zur Erarbeitung eines eigenen Lösungsansatzes genutzt. Um dessen Darstellung übersichtlicher zu gestalten, wird zunächst das Problem der Doppelkausalität1738 für den Arbeitsausfall untersucht (siehe § 9). Danach wird erörtert, inwiefern sich die hierzu erarbeitete Lösung auf Fälle der Mehrfachkausalität übertragen lässt (siehe § 10).

§ 8 Meinungsstand Ausgangspunkt für die Erörterung von Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung ist eine Bestandsaufnahme des Meinungsspektrums in Rechtsprechung und 1738 Zur Erinnerung: Doppelkausalität liegt vor, wenn die Arbeit eines Arbeitnehmers gleichzeitig aus genau zwei Gründen ausfällt. Mehrfachkausalität setzt demgegenüber voraus, dass drei oder mehr Arbeitsausfallgründe zusammentreffen. Vgl. auch bereits oben § 3 A.

§ 8 Meinungsstand

347

Literatur. Die folgende Darstellung beschränkt sich aber nicht nur auf Lösungsvorschläge, die in Wissenschaft und Praxis tatsächlich diskutiert worden sind. Vielmehr werden auch weitere Ansätze einbezogen, die es ermöglichen, alle denkbaren Kollisionskonstellationen nach einem einheitlichen Konzept aufzulösen und die eine differenzierte Einzelfallbetrachtung entbehrlich machen. Der Grund für diese Einschränkung liegt in Praktikabilitätserwägungen: Ein einheitlicher Lösungsansatz ist gegenüber einer differenzierten Einzelfallbetrachtung vorzugswürdig, weil er in der Praxis wesentlich einfacher zu handhaben ist. Hinzu kommt der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit: Kann jeder Rechtsanwender durch gleichsam formelhafte Anwendung eines einheitlichen Lösungsansatzes zu eindeutigen Ergebnissen gelangen, wird dadurch die Ungewissheit über die Zahlung einer Vergütung und deren Höhe beseitigt. Eine differenzierte Betrachtung aller Einzelfälle hingegen wäre nicht bloß deutlich unübersichtlicher, sondern schaffte auch mehr Raum für Ungewissheiten, was die Lösung jeder einzelnen Konkurrenz angeht. Auf eine Einzelfallbetrachtung sollte daher nur zurückgegriffen werden, wenn sich die Entwicklung eines überzeugenden einheitlichen Lösungsansatzes aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen als unmöglich erweist.

A. Ansatz der Rechtsprechung Die Rechtsprechung – an der Spitze das BAG – verfolgt keinen einheitlichen Ansatz, mit dem sich sämtliche denkbaren Konstellationen einheitlich auflösen lassen. Stattdessen geht sie einzelfallbezogen vor.1739 Diese Entwicklung ist in erster Linie auf die bereits mehrfach angesprochene und aufgezeigte Zersplitterung des Entgeltfortzahlungsrechts und die uneinheitliche Struktur der diversen Tatbestände zurückzuführen. Viele einschlägige Entscheidungen lassen aber dennoch Prinzipien erkennen, die von der Rechtsprechung kollisionsübergreifend angewendet werden. Vor allem der Grundsatz der Monokausalität wird häufig herangezogen (I.). Daneben gibt es aber auch Bestrebungen, Konkurrenzen unter Berücksichtigung von Rechtsnatur oder Berechnungsmethode der betroffenen Tatbestände zu entscheiden (II.). Schließlich hat die Rechtsprechung in einigen Entscheidungen bestimmten Arbeitsausfallgründen grundsätzlich eine höhere Wertigkeit beigemessen als anderen und daraus deren Vorrang abgeleitet (III.). Diese Aspekte sind im Folgenden zu untersuchen und zu bewerten.

1739 Die Lösungen zu den einzelnen Kollisionskonstellationen, die die Rechtsprechung entwickelt hat, werden unten unter § 9 C dargestellt.

348

3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

I. Grundsatz der Monokausalität Das BAG greift in zahlreichen Entscheidungen zu diversen Entgeltfortzahlungstatbeständen auf den Grundsatz der Monokausalität zurück.1740 Dieses Prinzip lässt sich auf folgende wesentliche Kernaussage verdichten: Fällt die Arbeit aus, kann der Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung nur verlangen, wenn es sich bei dem zugrundeliegenden Grund für den Arbeitsausfall um die alleinige Ursache des Arbeitsausfalls handelt. Im Folgenden sollen zunächst die dogmatischen Grundlagen erläutert werden, auf denen dieses Prinzip beruht (1.). Sodann wird es kritisch gewürdigt (2.). Schließlich werden Konsequenzen für die Anwendung des Lohnausfallprinzips erläutert, die sich aus dieser Würdigung ergeben (3.). 1. Herleitung Um zu verstehen, weshalb die Rechtsprechung den Grundsatz der Monokausalität anwendet, und um diesen Ansatz bewerten zu können, muss zunächst geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen ein Umstand überhaupt als kausal für einen Arbeitsausfall anzusehen ist. Hierzu wird im Folgenden der allgemeine Kausalitätsbegriff in seinen Grundzügen erläutert. Dabei soll dieser nicht ausführlich hergeleitet werden. Vielmehr wird auf den Erkenntnisstand zurückgegriffen, der heute in der Rechtswissenschaft weitgehend akzeptiert ist. Das Kriterium der Kausalität ist nicht nur im Entgeltfortzahlungsrecht, sondern auch in vielen anderen Bereichen des Rechts bedeutsam.1741 Beispielsweise spielt es im allgemeinen Zivilrecht und im öffentlich-rechtlichen Staatshaftungsrecht für Schadensersatzansprüche eine wichtige Rolle. Auch bei der strafrechtlichen Bewertung von Sachverhalten ist Kausalität in vielerlei Hinsicht relevant, beispielsweise als unverzichtbares Tatbestandselement von Erfolgsdelik1740 Vgl. beispielhaft für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall BAG 22.8.1967 – 1 AZR 100/66, AP Nr. 42 zu § 1 ArbKrankhG; BAG 17.11.1977 – 5 AZR 599/76, AP Nr. 8 zu § 9 BUrlG; BAG 24.3.2004 – 5 AZR 58/03, AP Nr. 21 zu § 3 EFZG; BAG 24.3.2004 – 5 AZR 355/03, AP Nr. 22 zu § 3 EFZG; BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04, AP Nr. 170 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 13.12.2011 – 1 AZR 495/10, NZA 2012, S. 995, 996; für die Entgeltfortzahlung an Feiertagen BAG 2.12.1987 – 5 AZR 471/86, AP Nr. 52 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; BAG 10.7.1996 – 5 AZR 113/95, AP Nr. 69 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; BAG 10.1.2008 – 5 AZR 84/06, NZA 2007, S. 384– 387; BAG 15.5.2013 – 5 AZR 139/12, NZA 2013, S. 974, 975; BAG 23.10.1996 – 1 AZR 269/96, AP Nr. 146 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; für § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG BAG 22.3.1995 – 5 AZR 874/93, AP Nr. 12 zu § 11 MuSchG 1968; für § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG BAG 22.8.2012 – 5 AZR 652/11, NZA 2012, S. 1277, 1278 f.; der Sache nach auch für § 37 Abs. 2 BetrVG BAG 31.7.1986 – 6 AZR 298/84, AP Nr. 55 zu § 37 BetrVG 1972. 1741 Auch in anderen Wissenschaften kommt dem Kausalitätsbegriff große Bedeutung zu, vgl. Bunge Kausalität, insbesondere S. 403 ff.

§ 8 Meinungsstand

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ten.1742 Im Folgenden werden nur die Grundzüge des Kausalitätsbegriffs erläutert, die wichtig sind, um den Grundsatz der Monokausalität nachvollziehen zu können. Im Übrigen wird auf die einschlägigen umfangreichen Darstellungen zu diesem Themenkomplex verwiesen.1743 Diese Untersuchungen entstammen zwar meistens den angesprochenen Rechtsgebieten Straf- und Deliktsrecht, in denen besonders viele Fragen im Zusammenhang mit Kausalität diskutiert werden, und nicht dem Arbeitsrecht. Die in diesen Bereichen entwickelten Grundsätze lassen sich aber vielfach auf andere Bereiche des Rechts übertragen, in denen man sich mit Kausalität auseinandersetzen muss – auch auf die arbeitsrechtliche Entgeltfortzahlung.1744 Kausalität ist die Ursächlichkeit eines Umstands für einen Erfolg. Ein Umstand ist für einen Erfolg ursächlich, wenn er diesen hervorruft, also der Erfolg nicht eingetreten wäre, wenn der Umstand nicht existierte. Diese Überlegungen entsprechen der immer noch herrschenden Conditio-sine-qua-non-Formel, die häufig auch als Äquivalenztheorie bezeichnet wird.1745 Danach ist Ursache eines Erfolges jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass dieser Erfolg entfiele. Die Conditio-sine-qua-non-Formel weist jedoch – inzwischen weitgehend unbestritten – einige Schwächen auf. Bestimmte Konstellationen lassen sich durch sie ohne Modifikationen nicht befriedigend lösen. Insbesondere versagt dieser Ansatz bei alternativer Kausalität. In einer solchen Konstellation treffen mehrere voneinander unabhängige Umstände zusammen, die zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele.1746 Ein Beispiel1747 hierfür ist der Fall, dass zwei Personen A und B beide gleichzeitig auf Opfer O schießen und O an den ihn gleichzeitig treffenden Kugeln verstirbt. Dabei hätte jede der beiden Kugeln für sich genügt, um O zu töten. Bei konsequenter Anwendung der Conditio-sine-qua-non-Formel käme man hier zu dem Ergebnis, dass keiner der Umstände ursächlich für den Erfolg wäre. Für sich genommen kann man jeden der beiden Umstände hinwegdenken, ohne dass der Erfolg entfiele. Dieses Ergebnis kann aber nicht überzeugen, weil 1742

Kühl Strafrecht AT § 4 Rn. 5; vgl. auch Roxin Strafrecht AT I § 11 Rn. 1. Vgl. exemplarisch Bunge Kausalität; Engisch Kausalität; Quentin Kausalität, S. 11–140. 1744 Für eine Übertragung dieser Grundsätze auf das Entgeltfortzahlungsrecht auch Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 95 f. 1745 Vgl. für das Strafrecht die ständige Rechtsprechung: RG 12.4.1880 – Rep. 570/ 80, RGSt 1, S. 373, 374; RG 24.10.1910 – III 746/10, RGSt 44, S. 137, 139; BGH 28.9.1951 – 2 StR 391/51, BGHSt 1, S. 332, 333; BGH 27.11.1951 – 1 StR 303/51, BGHSt 2, S. 20, 24; BGH 25.1.1955 – 2 StR 366/54, BGHSt 7, S. 112, 114; BGH 30.3.1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, S. 195, 197; vgl. ferner Baumann/Weber/Mitsch Strafrecht AT § 14 Rn. 8 ff.; Krey/Esser Strafrecht AT Rn. 306; Puppe GA 2010, S. 551 ff.; Schlüchter JuS 1976, S. 312, 313 f.; Stratenwerth/Kuhlen Strafrecht AT § 8 Rn. 17 ff.; im Grundsatz auch Röckrath Kausalität § 2. 1746 Vgl. Gropp Strafrecht AT § 5 Rn. 25. 1747 Fall nach BGH 30.3.1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, S. 195 ff. 1743

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

der Erfolg dann überhaupt keine Ursache hätte. Auf diese Weise versagt die Conditio-sine-qua-non-Formel in Fällen alternativer Kausalität. Daher wird sie heute ganz überwiegend nur noch mit der Maßgabe angewandt, dass in Fällen alternativer Kausalität beide Umstände als kausal anzusehen sind.1748 Auch wenn die beschriebene Modifikation die Handhabung der Conditio-sinequa-non-Formel in der Praxis ermöglicht, empfinden viele Stimmen diese Lösung als wenig befriedigend. Es wurde daher nach einem alternativen Ansatz gesucht, der von vornherein einen problemlosen Umgang mit Fällen alternativer Kausalität garantieren sollte. In weiten Teilen der Literatur hat die von Engisch1749 entwickelte Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung Anhänger gefunden.1750 Danach ist ein Umstand für einen anderen kausal, wenn er mit diesem durch eine Reihe von Veränderungen (natur-)gesetzmäßig verbunden ist.1751 Im Ergebnis führt die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung zu den gleichen Resultaten wie die modifizierte Conditio-sine-qua-non-Formel, so dass nach wie vor beide konkurrierenden Formeln nebeneinander angewendet werden.1752 Die angesprochenen Leitlinien zur Bestimmung von Kausalität überträgt die Rechtsprechung grundsätzlich auch auf das Entgeltfortzahlungsrecht.1753 Dort wird die Conditio-sine-qua-non-Formel – allerdings ohne Modifikation – bei vielen Entgeltfortzahlungstatbeständen als Grundsatz der Monokausalität angewandt.1754 Diese Linie der Rechtsprechung stößt auch auf Zustimmung großer Teile der Literatur.1755 1748 BGH 20.2.2013 – VIII ZR 339/11, MDR 2013, S. 589 f.; Baumann/Weber/ Mitsch Strafrecht AT § 14 Rn. 41; Krey/Esser Strafrecht AT Rn. 316–319; Stratenwerth/Kuhlen Strafrecht AT § 8 Rn. 19; a. A. Frister Strafrecht AT 9. Kapitel Rn. 9–13. 1749 Engisch Kausalität, S. 13 ff., insbesondere S. 21 ff. 1750 Vgl. exemplarisch MüKoStGB-Freund Vor § 13 Rn. 334; derselbe Strafrecht AT § 2 Rn. 65; Hardwig GA 1956, S. 12 f.; Jescheck/Weigend Strafrecht AT, S. 283 f.; Kindhäuser Strafrecht AT § 10 Rn. 13; Kühl Strafrecht AT § 4 Rn. 22 ff.; Rönnau/Faust/ Fehling JuS 2004, S. 113, 114; Schulz FS Lackner (1987), S. 31 ff.; kritisch dagegen Puppe GA 2010, S. 551, 563 ff.; einschränkend auch Roxin Strafrecht AT I § 11 Rn. 15. 1751 Engisch Kausalität, S. 21; MüKoStGB-Freund Vor § 13 Rn. 334; derselbe Strafrecht AT § 2 Rn. 65; Jescheck/Weigend Strafrecht AT, S. 283; Kühl Strafrecht AT § 4 Rn. 22; Rönnau/Faust/Fehling JuS 2004, S. 113, 114; vgl. auch Roxin Strafrecht AT I § 11 Rn. 15. 1752 Vgl. Krey/Esser Strafrecht AT Rn. 320; MüKoStGB-Freund Vor §§ 13 ff. Rn. 334 für die Austauschbarkeit beider Formeln speziell im Hinblick auf das Entgeltfortzahlungsrecht Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 95 f. 1753 Vgl. zur Übertragbarkeit des strafrechtlichen Kausalitätsbegriffs auf das Zivilrecht (speziell das Haftungsrecht) Röckrath Kausalität, S. 9–11; zur Übertragbarkeit auf das Entgeltfortzahlungsrecht Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 95 f. 1754 Gräf/Rögele, NZA 2013, S. 1120, 1121, zweifeln allerdings daran, dass es einen allgemeinen Grundsatz der Monokausalität gibt. 1755 Vgl. exemplarisch zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) Brill DB 1972, S. 532, 532; ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 14; Feichtinger/Malkmus § 3 EFZG Rn. 59; Gola Entgelt, S. 37; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge

§ 8 Meinungsstand

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2. Kritik Dieser Ansatz ist im Folgenden kritisch zu würdigen. Nach dem Grundsatz der Monokausalität besteht ein Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers nur, soweit es sich bei dem betreffenden Verhinderungsgrund um die alleinige Ursache des Arbeitsausfalls handelt. Auf den ersten Blick leuchtet dieser Ansatz ein. Wenn neben einen ersten Verhinderungsgrund eine zweite Ursache für den Arbeitsausfall tritt, kann man sich den ersten Verhinderungsgrund hinweg denken, und es kommt dennoch zum Arbeitsausfall. In diesem Fall scheint der erste Verhinderungsgrund für den Arbeitsausfall nicht kausal zu sein. Daher soll der Vergütungsanspruch entfallen. Der Grundsatz der Monokausalität führt jedoch zu ähnlichen Problemen wie die unmodifizierte Conditio-sine-qua-non-Formel in Fällen alternativer Kausalität.1756 Wendet man ihn auf zwei konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände an, entfallen beide Ansprüche mangels Alleinursächlichkeit. Jeder für sich betrachtet ist nicht die einzige Ursache des Arbeitsausfalls. Diese Problematik kann anhand eines Beispiels illustriert werden: Man nehme den Fall, dass sich eine schwangere Arbeitnehmerin ein Bein bricht. Die Arbeitnehmerin kann nach dem Grundsatz der Monokausalität keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhalten, da mit der Schwangerschaft ein zweiter Ausfallgrund vorliegt und es an der erforderlichen Alleinursächlichkeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit für den Arbeitsausfall fehlt. Ebenso verhält es sich mit dem Anspruch auf Mutterschutzlohn: Entsprechend dem Grundsatz der Monokausalität kann kein Mutterschutzlohn gezahlt werden, weil das Beschäftigungsverbot infolge der Schwangerschaft nicht die einzige Ursache für den Arbeitsausfall ist. Nach dieser Lösung erhielte die Arbeitnehmerin überhaupt keine Vergütung. Dieses Ergebnis kann aber nicht überzeugen, da es darauf hinausläuft, dass der Arbeitsausfall weder durch den einen noch durch den anderen Verhinderungs§ 3 EFZG Rn. 56; Krause Arbeitsrecht § 13 Rn. 24; Müller-Glöge RdA 2006, S. 105, 106; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 20; zur Entgeltfortzahlung an Feiertagen (§ 2 Abs. 1 EFZG) Feichtinger/Malkmus § 2 EFZG Rn. 25; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 11; Vogelsang Entgeltfortzahlung Rn. 66; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 10; zur Vergütung bei vorübergehender Verhinderung (§ 616 S. 1 BGB) Erman-Belling § 616 Rn. 34; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 36; zur Zahlung von Mutterschutzlohn (§ 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 30; HKMuSchG/BEEG-Rancke § 11 MuSchG Rn. 19 ff.; Twesten Die Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung 2003, S. 449, 450; Willikonsky § 11 Rn. 7; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 12 f.; zur Zahlung von Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (§ 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 14 MuSchG Rn. 11; Willikonsky § 14 Rn. 4; vgl. ferner Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 14 MuSchG Rn. 28 ff.; zur Vergütung von Betriebsratstätigkeiten vgl. HSWGNRGlock § 37 BetrVG Rn. 58; GK-Weber § 37 Rn. 56. Zu Beispielen für die Anwendung des Grundsatzes der Monokausalität durch Rechtsprechung vgl. bereits oben Fn. 1740. Zur Kritik an diesem Ansatz vgl. die Nachweise unten in Fn. 1766. 1756 Vgl. zum Folgenden Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 94 f.

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grund verursacht wurde. Im Falle der Schwangeren mit dem gebrochenen Bein wäre weder die Schwangerschaft noch das gebrochene Bein ursächlich. Diese Lösung ist aber offensichtlich nicht richtig: Einen Arbeitsausfall, der durch nichts verursacht wird, kann es nicht geben.1757 Vielmehr müssen beide Umstände jeder für sich als Ursache angesehen werden. Zudem findet der Grundsatz der Monokausalität keine Stütze im Wortlaut des Entgeltfortzahlungsrechts. Das lässt sich beispielhaft anhand der Formulierung des § 3 Abs. 1 EFZG erläutern („Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert . . .“). Das Wort „durch“ soll lediglich die Voraussetzung eines Kausalzusammenhangs ausdrücken. Dem lässt sich aber kein Erfordernis von Alleinursächlichkeit entnehmen. Ursächlichkeit ist nach allgemeinen Grundsätzen auch im Falle von Mitursächlichkeit, nicht bloß bei Alleinursächlichkeit gegeben. Dieser Umstand wird anhand einer im Strafrecht viel diskutierten Konstellation besonders deutlich, der sogenannten kumulativen Kausalität.1758 Rufen mehrere Personen einen Erfolg in der Weise hervor, dass der Erfolg nur durch ihr Zusammenwirken ermöglicht wurde, aber jede einzelne Handlung für sich nicht ausreichend gewesen wäre, dann ist jede von ihnen kausal.1759 Ein Beispiel hierfür ist der Fall, dass zwei Personen dem Opfer unabhängig voneinander Gift verabreichen und das Opfer erst durch das Zusammentreffen beider Stoffe stirbt, während jede Dosis für sich alleine nicht ausgereicht hätte, um den Tod hervorzurufen.1760 Denkt man sich entsprechend der Conditio-sine-qua-non-Formel einen der beiden Tatbeiträge hinweg, entfällt der Erfolg. Jeder der beiden Täter ist mitursächlich und somit auch ursächlich im Sinne des Rechts geworden. Aus diesen Gründen hätte der Gesetzgeber § 3 Abs. 1 EFZG anders gefasst, wenn er Alleinursächlichkeit als Voraussetzung für eine Entgeltfortzahlung hätte normieren wollen. Beispielsweise wäre die folgende Formulierung möglich gewesen: „Wird ein Arbeitnehmer ausschließlich durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert . . .“.1761 Dass sich das Gesetz demgegenüber mit dem Wort „durch“ begnügt, legt nahe, Mitursächlichkeit für den Arbeitsausfall ausreichen zu lassen. Dieses Ergebnis überzeugt im Übrigen auch deswegen, weil es dem Umgang mit alternativer Kausalität nach der modifi1757

Ebenso Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 94. Vgl. zu dieser Problematik Baumann/Weber/Mitsch § 14 Rn. 37; Gropp Strafrecht AT § 5 Rn. 26 ff.; Kindhäuser Strafrecht AT § 10 Rn. 29; Krey/Esser Strafrecht AT Rn. 315. 1759 Vgl. Baumann/Weber/Mitsch § 14 Rn. 37; Gropp Strafrecht AT § 5 Rn. 26 ff.; Kindhäuser Strafrecht AT § 10 Rn. 29; Krey/Esser Strafrecht AT Rn. 315. 1760 Es handelt sich um ein in diesem Zusammenhang häufig erwähntes Beispiel; vgl. nur Baumann/Weber/Mitsch § 14 Rn. 37; Gropp Strafrecht AT § 5 Rn. 26; Kindhäuser Strafrecht AT § 10 Rn. 29; Krey/Esser Strafrecht AT Rn. 315. 1761 Hervorhebung durch Verfasser. 1758

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zierten Conditio-sine-qua-non-Formel entspricht: Von zwei Gründen, die jeder für sich, nicht aber beide gemeinsam hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfällt, ist jeder kausal.1762 Nun will auch die herrschende Meinung, die den Grundsatz der Monokausalität anwendet, in Fällen von konkurrierenden Verhinderungsgründen im Ergebnis nicht beide Ansprüche entfallen lassen.1763 Unter formaler Aufrechterhaltung des Grundsatzes der Monokausalität wird trotz fehlender Alleinursächlichkeit einer der Tatbestände angewendet.1764 Vom Ergebnis her betrachtet ist dieses Vorgehen verständlich, weil andernfalls der Arbeitnehmer ohne jegliche Entgeltfortzahlung schutzlos bliebe. Indes ist es inkonsequent, auf dem Papier an einem Prinzip festzuhalten, aber in der Praxis ständig davon abzuweichen.1765 Nach alledem bleibt vom Grundsatz der Monokausalität keine substantielle Aussage übrig. Er ist überflüssig und daher aufzugeben.1766 3. Konsequenzen für die Anwendung des Lohnausfallprinzips Die Untauglichkeit des Grundsatzes der Monokausalität hat auch Konsequenzen für die Anwendung des Lohnausfallprinzips.1767 Im Rahmen der hypotheti1762 Grundlegend zu Problemen dieser Art Kipp FS Martitz (1911), S. 211 ff. (insbesondere S. 220 ff.) mit seinen Ausführungen zur Doppelwirkung im Recht; ferner Peter AcP 132 (1930), S. 3 ff.; gegen Kipp hingegen Oellers AcP 169 (1969), S. 67 ff. 1763 Vgl. exemplarisch für das Verhältnis von Feiertag und Krankheit ErfK-Dörner/ Reinhard § 4 EFZG Rn. 20; ferner zu § 616 BGB Erman-Belling § 616 Rn. 37; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 36; allgemein vgl. auch Geißler Lohnanspruch, S. 115 f. (insbesondere Fn. 418). 1764 Teilweise werden insoweit auch Hilfskriterien zur Ermittlung des vorrangigen Tatbestands vorgeschlagen, wie etwa die Priorität des zeitlich zuerst aufgetretenen Tatbestands (Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 36, vgl. zu diesem Ansatz noch unten § 8 D.). Demgegenüber spricht sich Geißler Lohnanspruch, S. 116 Fn. 418 für eine einzelfallbezogene Betrachtung aus, soweit die Konkurrenz gesetzlich ungeregelt ist; ähnlich auch Erman-Belling § 616 Rn. 37, der den vorrangigen Tatbestand wertend ermitteln möchte. 1765 Vgl. exemplarisch zur Konkurrenz von Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (vgl. § 3 Abs. 1 EFZG) und Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) die Darstellungen von ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 14, 19 und ErfK-Schlachter § 11 MuSchG Rn. 5, die am Grundsatz der Monokausalität festhalten, aber dennoch im Falle einer Konkurrenz nicht annehmen, dass beide Ansprüche untergehen; vgl. ferner Müller-Glöge RdA 2006 S. 105, 106 ff., der ebenfalls vom Grundsatz der Monokausalität als entscheidendem Kriterium für das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ausgeht, um sodann das Konkurrenzverhältnis zwischen Annahmeverzug und insbesondere Mutterschutzlohn ausführlich zu erörtern und anhand anderer Gesichtspunkte zu entscheiden. 1766 Ebenso ausdrücklich Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 154 unter 5.; zu Tatbeständen, die mit § 37 Abs. 2 BetrVG kollidieren, vgl. Gloistein Betriebsrat, S. 96 f., 99; ebenfalls schon zu Recht kritisch Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 187; Ströfer DB 1984, S. 2406, 2406 f.; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 616 Rn. 9. 1767 Vgl. allgemein zu dieser Berechnungsmethode oben § 4 B.I.

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schen Betrachtung, die nach dem Lohnausfallprinzip vorzunehmen ist, muss zwingend unterstellt werden, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Arbeitsausfalls gearbeitet hätte. Es genügt hingegen nicht, lediglich den betreffenden Ausfallgrund hinwegzudenken, nicht aber alternativ kausale Verhinderungsgründe. Deren Berücksichtigung ist vielmehr unzulässig. Andernfalls umginge man auf Rechtsfolgenseite die Wertung, dass alternative Kausalität nicht zum Fortfall beider Vergütungsansprüche führen darf. Zur Verdeutlichung sei folgendes Beispiel gewählt: Die schwangere und einem Beschäftigungsverbot unterliegende Arbeitnehmerin bricht sich ein Bein und ist daher aus zwei Gründen arbeitsunfähig. Wendet man das Lohnausfallprinzip auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall an und denkt man sich lediglich das gebrochene Bein hinweg, berücksichtigt aber nach wie vor den Arbeitsausfall infolge des Beschäftigungsverbots, wird kein Entgelt fortgezahlt. Damit gelangte man zu dem gleichen Ergebnis wie nach dem – abzulehnenden – Grundsatz der Monokausalität. Als Konsequenz ist im gewählten Beispiel bei Anwendung des Lohnausfallprinzips auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall richtigerweise zu unterstellen, dass die Arbeitnehmerin gearbeitet hätte, also nicht schwanger gewesen wäre. II. Relevanz von Rechtsnatur und Berechnungsmethode In einigen Entscheidungen der Rechtsprechung sind Tendenzen erkennbar, Kollisionen zwischen mehreren Ausfallgründen unter Rückgriff auf die Rechtsnatur oder die Berechnungsmethode einer der beteiligten Tatbestände zu lösen. Beispielsweise begründete das BAG in verschiedenen Entscheidungen den Vorrang von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG (Vergütung bei Teilnahme an einer Betriebsversammlung) gegenüber anderen Ausfallgründen wie etwa Erholungsurlaub,1768 Arbeitskampf,1769 Kurzarbeit1770 oder Elternzeit1771 damit, dass § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht dem Lohnausfallprinzip folge.1772 Zugleich hat es deutlich gemacht, dass nach seiner Auffassung dieser Ansatz auch für das Verhältnis des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG zu weiteren Tatbeständen gelten könne.1773 Des Weite-

1768

BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85, AP Nr. 5 zu § 44 BetrVG 1972. BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972. 1770 BAG 5.5.1987 – 1 AZR 666/85, AP Nr. 6 zu § 44 BetrVG 1972. 1771 BAG 31.5.1989 – 7 AZR 574/88, AP Nr. 9 zu § 44 BetrVG 1972; die Entscheidung erging seinerzeit zum Erziehungsurlaub, einem Vorläufer der heutigen Elternzeit. 1772 Vgl. zum Verhältnis der Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG zu anderen Tatbeständen BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972; zustimmend GK-Weber § 44 Rn. 35, 37; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 5; Fitting § 44 Rn. 29 f. 1773 Vgl. insbesondere BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, wo arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer erwähnt werden. 1769

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ren stützte sich das BAG in den angesprochenen Entscheidungen auch darauf, dass es sich bei § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG um eine eigenständige Anspruchsgrundlage und nicht um einen anspruchserhaltenden Tatbestand handele. Daraus lasse sich ableiten, dass § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht von weiteren Voraussetzungen wie etwa dem Fehlen anderer Ausfallgründe abhängig sei.1774 Dieses Vorgehen kann nicht überzeugen. Zum einen trifft weder die Rechtsnatur eines Tatbestands oder eines Ausschlussgrunds noch die auf einen Tatbestand anwendbare Berechnungsmethode eine verlässliche Aussage darüber, welchen konkreten Zweck der Gesetzgeber mit der Normierung des betreffenden Ausfallgrunds verfolgt hat.1775 Wer sich an diesen Kriterien orientiert, läuft Gefahr, den Willen des Gesetzgebers im Hinblick auf die Wertigkeit einzelner Tatbestände zu ignorieren. Zum anderen lassen sich aus der Rechtsnatur oder der Berechnungsmethode nur eines Ausfallgrunds keine Rückschlüsse darauf ziehen, wie dieser im Verhältnis zu einem anderen Ausfallgrund, der auch über eine bestimmte Rechtsnatur und Berechnungsmethode verfügt, zu behandeln ist. Wenn überhaupt, dann müssten diese Komponenten in Bezug auf beide Ausfallgründe berücksichtigt werden, die an einer Kollision beteiligt sind. Doch selbst dann muss dieser Ansatz stets versagen, wenn beiden Tatbeständen die gleiche Berechnungsmethode zugrunde liegt. Ohnehin unterläuft der Rechtsprechung gelegentlich der Fehler, Konkurrenzen nur aus der Perspektive eines der beteiligten Tatbestände zu lösen.1776 Auch in der Literatur werden solche Lösungsansätze vertreten, vor allem in Kommentaren zu einem der beteiligten Ausfallgründe. Dabei lassen sich manche Autoren dazu verleiten, Konkurrenzen zwischen dem von ihnen behandelten Ausfallgrund und anderen Ausfallgründen allesamt nur aus der Perspektive „ihres“ Ausfallgrunds zu betrachten und unter Verweis auf Aspekte „ihres“ Ausfallgrunds zu lösen.1777 Eine solche Vorgehensweise verkennt, dass sich die beiden an einer Kollision beteiligten Ausfallgründe gleichberechtigt gegenüberstehen. 1774

BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972. Mit Recht aus diesem Grunde kritisch gegenüber einer Heranziehung des Lohnausfallprinzips zur Lösung der Kollision von unbezahltem Sonderurlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Ströfer DB 1984, S. 2406, 2406. 1776 Vgl. exemplarisch zum Verhältnis von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Mutterschutzlohn BAG 22.3.1995 – 5 AZR 874/93, AP Nr. 12 zu § 11 MuSchG 1968. Der Senat stellt bei der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses ausschließlich auf § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG ab und verliert kein Wort zum Zweck von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Auch in der Literatur ist eine derartige Vorgehensweise mitunter zu bemerken, vgl. etwa Gräf/Rögele, NZA 2013, S. 1120, 1121, die zur Auflösung der Konkurrenz zwischen Betriebs- und Wegerisiko ausdrücklich nur auf § 615 S. 3 BGB abstellen und somit die Konkurrenz nur aus der Perspektive des Betriebsrisikos betrachten möchten. 1777 Vgl. beispielhaft für die Kollision von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Betriebsrisiko Kasseler Hdb.-Vossen 2.2 Rn. 75. 1775

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III. Ausschließliche Kausalität bestimmter Ausfallgründe In weiteren Urteilen des BAG kommt noch ein dritter übergeordneter Aspekt zum Ausdruck, den die Rechtsprechung zur Auflösung von Konkurrenzen heranzieht.1778 Abstrakt gesprochen besteht dieser Ansatz darin, einigen bestimmten Ausfallgründen per se eine höhere Wertigkeit zuzusprechen als anderen. Die Höherwertigkeit eines Tatbestands soll dazu führen, dass andere im Einzelfall eigentlich einschlägige und damit konkurrierende Ausfallgründe nicht mehr kausal für den Arbeitsausfall werden. Auf diese Weise soll sich der höherwertige Ausfallgrund durchsetzen. Konkret teilen – ohne ausdrücklich eine entsprechende Kategorisierung vorzunehmen – die Rechtsprechung und weite Teile der Literatur der Sache nach alle Arbeitsausfallgründe in zwei Gruppen auf:1779 Die eine Gruppe (A) besteht aus Umständen, die nicht nur einen Arbeitsausfall herbeiführen, sondern zugleich auch die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendieren. Darunter sollen zum Beispiel der rechtmäßige Streik, die rechtmäßige Aussperrung und die Inanspruchnahme von Elternzeit fallen.1780 Zur anderen Gruppe (B) gehören solche Umstände, die zwar einen Arbeitsausfall herbeiführen, aber nicht auch die Hauptleistungspflichten suspendieren, wie etwa die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit oder der Urlaub.1781 Trifft nun ein Ausfallgrund der Gruppe A auf einen Ausfallgrund der Gruppe B, wird angenommen, nur der Ausfallgrund A werde kausal.1782 Da er eingreife, suspendiere er die beiderseitigen Hauptleistungspflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Somit bestehe keine Pflicht des Arbeitnehmers zur Erbringung der Arbeitsleistung. Damit könne der Ausfallgrund B nicht mehr für kausal für den Arbeitsausfall werden. Es träten daher ausschließlich die Rechtsfolgen von Ausfallgrund A ein, und zwar unabhängig davon, ob zeitlich Ausfallgrund A oder B zuerst aufgetreten sei. Diesem Ansatz kann nicht gefolgt werden.1783 Zwar trifft die Prämisse zu, die diesen Argumentationsmustern zugrunde liegt, nämlich dass einige Ausfall-

1778

Zu Nachweisen vgl. unten Fn. 1779. Vgl. exemplarisch für Urlaub und Streik BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, SAE 1998, S. 157 ff. mit zustimmender Anmerkung Dütz/Dörrwächter; für Elternzeit und krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 51. 1780 Vgl. zum Streik BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, SAE 1998, S. 157 ff. mit zustimmender Anmerkung Dütz/Dörrwächter; zur Elternzeit HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 51. 1781 Vgl. zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 51; zum Urlaub BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, SAE 1998, S. 157 ff. mit zustimmender Anmerkung Dütz/Dörrwächter. 1782 Vgl. zum Folgenden exemplarisch die Argumentation von HK-MuSchG/BEEGRancke § 15 BEEG Rn. 51. 1779

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gründe die Hauptleistungspflichten suspendieren und andere nicht. Die Schlussfolgerung aber, infolge der Suspendierung der Hauptleistungspflichten werde nur Ausfallgrund A kausal, überzeugt nicht. Wie sogleich gezeigt wird, sind beide Ausfallgründe gleichermaßen alternativ kausal für den Arbeitsausfall. Der Umstand, dass Ausfallgrund A die Hauptleistungspflichten suspendiert, ist nicht geeignet, die Kausalität zwischen Ausfallgrund B und dem Arbeitsausfall zu unterbrechen: Bei näherer Betrachtung der skizzierten Argumentation lässt sich diese dahingehend abstrahieren, dass eine bestimmte vermeintliche Reihenfolge suggeriert wird, in der beide Ausfallgründe auftreten: „Ausfallgrund A suspendiert die Arbeitspflicht und greift so ,vor‘ Ausfallgrund B ein. Besteht schon wegen der Suspendierung keine Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung mehr, kann diese nicht mehr infolge von Ausfallgrund B unmöglich werden.“ Da dieses Konzept unabhängig vom zeitlichen Auftreten der Ausfallgründe gelten soll, ist der Begriff „Reihenfolge“ hier nicht im Sinne eines zeitlich gestaffelten Auftretens zu verstehen. Gemeint ist vielmehr eine bestimmte Rangordnung zwischen den Ausfallgründen beider Gruppen. Diese Rangordnung soll in der Weise bestehen, dass Ausfallgrund A immer Ausfallgrund B verdrängt. Im Ergebnis erhebt dieser Ansatz das Vorliegen eines in Vollzug befindlichen Arbeitsverhältnisses, dessen Hauptleistungspflichten nicht suspendiert sind, zur ungeschriebenen Voraussetzung für die Kausalität von Ausfallgründen der Gruppe B für den Arbeitsausfall. Diese Voraussetzung soll nicht erfüllt sein, wenn ein Ausfallgrund der Gruppe A neben einem der Gruppe B auftritt. Daher sollen Ausfallgründe der Gruppe B für den Arbeitsausfall nicht kausal werden können. Eine derartige Rangordnung besteht aber nach der Konzeption des Gesetzes nicht. Insbesondere die ungeschriebene Voraussetzung eines in Vollzug befindlichen Arbeitsverhältnisses für die Kausalität von Ausfallgründen der Gruppe B für den Arbeitsausfall ist abzulehnen. Diese Voraussetzung müsste sich tatsächlich auf die Kausalität des Ausfallgrunds B für den Arbeitsausfall und nicht etwa nur auf den Entgeltfortzahlungsanspruch beziehen, der an Ausfallgrund B anknüpft. Methodisch handelt es sich somit nicht „bloß“ um eine teleologische Reduktion aller Entgeltfortzahlungstatbestände, die auf Ausfallgründen der Gruppe B beruhen.1784 Vielmehr wird der Kausalitätsbegriff selbst für alle Ausfallgründe der Gruppe B modifiziert. Dabei handelt es sich um einen starken Bruch mit der

1783 Wie hier speziell für das Verhältnis von Urlaub und Streik Däubler Arbeitskampfrecht-Colneric (2. Auflage) Rn. 560, 577; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Brox Rn. 669; Rüthers/Beninca Anmerkung zu BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, AP Nr. 22 zu § 7 BUrlG. 1784 Allerdings wären auch daran aufgrund der Anzahl der betroffenen Entgeltfortzahlungstatbestände hohe Anforderungen zu stellen.

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im Übrigen anerkannten Dogmatik des Entgeltfortzahlungsrechts. Diese geht von dem in der Rechtswissenschaft heute weitgehend akzeptierten Kausalitätsbegriff aus, dem eine derartige Modifikation fremd ist. Nach der bereits oben1785 angesprochenen Äquivalenztheorie sind alle Ursachen eines Erfolges gleichwertig.1786 Daher stehen auch mehrere Ursachen eines Arbeitsausfalls – unter Kausalitätsaspekten – gleichwertig nebeneinander.1787 Aus den genannten Gründen ist es unzulässig, einer der beiden Ursachen den Vorrang vor der anderen in der Weise einzuräumen, dass man nur die eine, nicht aber die andere Ursache als kausal ansieht. Diese Maxime kann als Grundsatz der Gleichwertigkeit mehrerer Gründe für den Arbeitsausfall bezeichnet werden. Eine Abweichung von diesem Grundsatz, wie sie die angesprochene Auffassung der Sache nach durchführt, ist zwar nicht unvertretbar. Da es sich aber, wie gezeigt, bei dem Grundsatz um eine Ausprägung allgemein anerkannter Kausalitätslehren handelt, bedürfte es hierfür guter Gründe. Solche könnten insbesondere in Anhaltspunkten im Gesetz für einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers bestehen. Dergleichen ist aber nicht ersichtlich. Allein aus dem Umstand, dass bestimmte Ausfallgründe die Hauptleistungspflichten suspendieren und andere nicht, lässt sich keine Modifikation des Kausalitätsbegriffs überzeugend herleiten. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass sich dieser Gleichwertigkeitsgrundsatz allein auf Kausalitätsaspekte bezieht. Sie hindert den Rechtsanwender nicht, unter mehreren konkurrierenden Ausfallgründen einem den Vorrang einzuräumen. Dieses Resultat kann aber nicht auf Kausalitätsgesichtspunkte, sondern allenfalls auf Wertungserwägungen gestützt werden. Hierauf wird noch näher einzugehen sein.1788 Nach alledem ist auch dieser kollisionsübergreifende Ansatz der Rechtsprechung abzulehnen. Vielmehr wird die Arbeitsleistung nach zutreffender Ansicht auch in den hier diskutierten Konstellationen gleichermaßen durch zwei verschiedene Umstände unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB. Sowohl die Nichterbringung infolge von Ausfallgrund A als auch die Nichterbringung infolge von Ausfallgrund B sind für den Arbeitsausfall kausal. Dass Ausfallgrund A zudem die Hauptleistungspflichten suspendiert, Ausfallgrund B hingegen nicht, ist für die Anwendung von § 275 Abs. 1 BGB irrelevant. 1785

Siehe oben § 8 A.I.1. Vgl. zur Gleichwertigkeit mehrerer Ursachen für einen Erfolg Baumann/Weber/ Mitsch Strafrecht AT § 14 Rn. 19; Krey/Esser Strafrecht AT Rn. 306; Stratenwerth/Kuhlen Strafrecht AT § 8 Rn. 17; vgl. ferner bereits Peter AcP 132 (1930), S. 3, 34 ff. 1787 Vorgelagert ist die bereits angesprochene Frage, ob zwei gleichzeitig auftretende Umstände für einen bestimmten Erfolg überhaupt ursächlich sind. Diese Frage wurde für die hier in Rede stehenden Konstellationen alternativer Kausalität bereits bejaht, vgl. oben § 8 A.I.2. 1788 Vgl. dazu unten § 8 D.II. sowie § 9 B. 1786

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IV. Zwischenfazit Bei der Untersuchung der Rechtsprechung zu Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung konnten drei Prinzipien identifiziert werden, die das BAG kollisionsübergreifend anwendet. Darüber hinaus bleibt es bei Einzelfallbetrachtungen. Diese drei Ansätze – der Grundsatz der Monokausalität, die Maßgeblichkeit von Rechtsnatur und Berechnungsmethode sowie die Modifikation des Grundsatzes der Gleichwertigkeit mehrerer Gründe für den Arbeitsausfall – überzeugen allesamt nicht. In den folgenden Abschnitten B. bis G. werden daher alternative einheitliche Lösungsansätze für die Konkurrenzfrage in der Entgeltfortzahlung untersucht.

B. Kein Vergütungsanspruch Eine denkbare Möglichkeit bestünde darin, im Falle der Kollision zweier Entgeltfortzahlungstatbestände beide Ansprüche entfallen zu lassen.1789 Gleichermaßen bestünde nach diesem Ansatz auch bei der Kollision eines Ausschlussgrunds mit einem Entgeltfortzahlungstatbestand kein Vergütungsanspruch. Diese Lösung wird in Literatur und Rechtsprechung, soweit ersichtlich, nicht vertreten.1790 Dogmatisch ließe sie sich über eine strikte Anwendung des Grundsatzes der Monokausalität und der unmodifizierten Conditio-sine-qua-non-Formel begründen.1791 Der Ansatz kann nicht überzeugen: Schon dogmatisch erweist er sich als unhaltbar, da er das logisch nicht mögliche Ergebnis eines Arbeitsausfalls voraussetzt, der durch nichts verursacht wurde. Keiner der beiden Ausfallgründe wäre kausal.1792 Darüber hinaus liefe diese Lösung auf einen Wertungswiderspruch hinaus: Der Arbeitnehmer, der sogar zwei „gute“ Gründe hat, seine Leistung nicht zu erbringen, stünde schlechter als ein Arbeitnehmer, bei dem die Arbeit nur aus einem Grund ausfällt. Schließlich widerspräche der Fortfall aller Vergütungsansprüche dem Zweck der Entgeltfortzahlungstatbestände und dem dahinter stehenden Willen des Gesetzgebers,1793 da schutzbedürftige Arbeitnehmer 1789 Diese Möglichkeit erörtern und verwerfen auch Staudinger-Oetker § 616 Rn. 89 und Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 94. 1790 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 89 behauptet, Erman-Belling § 616 Rn. 33 sei dieser Auffassung. Hierzu ist festzustellen, dass sich Bellings Aussage im Zusammenhang mit der in Bezug genommenen Fundstelle nicht auf die Kollision zweier Entgeltfortzahlungstatbestände bezieht, sondern auf die Kollision eines Entgeltfortzahlungstatbestands mit einem sogenannten allgemeinen Hindernis (etwa einer Naturkatastrophe oder ähnlichem), das gar keinen Entgeltfortzahlungstatbestand auslöst. Vgl. zur Kollision zweier Entgeltfortzahlungstatbestände vielmehr Erman-Belling § 616 Rn. 37, wonach im Falle einer Kollision der Vorrang unter den Tatbeständen wertend zu ermitteln sei. 1791 Vgl. hierzu oben ausführlich § 8 A.I.1. 1792 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 94; vgl. dazu auch schon oben § 8 A.I.2. 1793 Ebenso Staudinger-Oetker § 616 Rn. 89; für das Verhältnis von § 616 BGB und § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 31.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

schutzlos gestellt würden. Damit ist dieser Lösungsansatz untauglich und abzulehnen.

C. Addition aller Ansprüche Weiterhin könnte man im Falle der Kollision zweier Tatbestände beide Ansprüche nebeneinander in voller Höhe bestehen lassen. Trifft ein Entgeltfortzahlungstatbestand mit einem Ausschlussgrund zusammen, setzt sich nach dieser Lösung immer die Entgeltfortzahlung durch. Soweit ersichtlich, wird dieses Konzept in Rechtsprechung und Literatur nicht als grundsätzlicher Ansatz vertreten, mit dem sich alle Konkurrenzen einheitlich lösen lassen.1794 Bemerkenswert ist aber, dass dieses Ergebnis für das Zusammentreffen einer Teilnahme an einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG mit Erholungsurlaub – allerdings unter Anrechnung der Zeit auf den Erholungsurlaub – sogar der herrschenden Meinung entspricht.1795 Auch dieser Ansatz überzeugt nicht. Genauso wenig, wie einem Arbeitnehmer bei dem Zusammentreffen zweier Entgeltfortzahlungstatbestände beide Ansprüche gänzlich verwehrt werden dürfen,1796 kann eine Doppelvergütung überzeugen. Der Arbeitnehmer schuldet seine Arbeitsleistung nur einmal und hätte auch bei Leistungserbringung nur einen Anspruch auf Entgelt. Bejahte man eine Anspruchsdoppelung, stünde der Arbeitnehmer besser, als wenn er gearbeitet hätte.1797 Dadurch käme es zu einem Wertungswiderspruch. Zudem wäre auch das Kompensationsprinzip verletzt, das den meisten Entgeltfortzahlungstatbeständen zugrunde liegt.1798 Das Kompensationsprinzip besagt im Wesentlichen, dass die Entgeltfortzahlung den Arbeitnehmer für den Verlust der Vergütung infolge des Arbeitsausfalls entschädigen soll. Der Arbeitnehmer soll dabei aber nicht besser stehen als ohne den Arbeitsausfall. Dieses Ergebnis drohte indes durch den hier diskutierten Ansatz, weil der Arbeitnehmer die doppelte Vergütung erhielte. Mithin ist auch dieser Lösungsansatz abzulehnen. 1794 Vgl. aber Schliemann/König, NZA 1998, S. 1030, 1033 f., die ein solches Resultat für die Konkurrenz zwischen § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG und § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG befürchten. 1795 Vgl. BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85,NZA1987, S. 712–713; GK-Weber § 44 Rn. 35; a. A. HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27. 1796 Vgl. zu diesem Ansatz oben § 8 B. 1797 Zu beachten ist allerdings, dass im angesprochenen Fall einer Konkurrenz von Erholungsurlaub und Teilnahme an einer Betriebsversammlung der Arbeitnehmer nicht besser stünde, als wenn er gearbeitet hätte, sondern anders: Er erhält eine doppelte Vergütung und verliert dafür einen Urlaubstag. Vgl. zur Plausibilität dieses Ergebnisses unten die Ausführungen zum Verhältnis von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Teilnahme an einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG unter § 9 C.II.3.a)bb), die sinngemäß für das Verhältnis von Erholungsurlaub und Teilnahme an einer Betriebsversammlung gelten. 1798 Vgl. dazu oben § 5 R.

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D. Prioritätsprinzip Einen weiteren möglichen Ansatz, der auch von einigen Stimmen in der Literatur vertreten wird, könnte man als Prioritätsprinzip bezeichnen.1799 Danach ist im Falle der Kollision zweier Verhinderungsgründe derjenige vorrangig, der zeitlich zuerst aufgetreten ist.1800 Soweit ersichtlich, wird das Prioritätsprinzip von seinen Verfechtern nicht näher begründet. Seine Anwendung könnte man auf zwei unterschiedliche dogmatische Konstruktionen stützen, deren Plausibilität im Folgenden erläutert wird. Erstens könnte man annehmen, dass schon nur der zuerst auftretende Ausfallgrund für einen Arbeitsausfall überhaupt kausal wird, nicht aber der später hinzutretende Ausfallgrund. Dann könnte konsequenterweise nur der erste Ausfallgrund Rechtsfolgen für den Vergütungsanspruch auslösen (I.). Die zweite Möglichkeit besteht darin, zwar zu akzeptieren, dass beide Ausfallgründe unabhängig von ihrem zeitlichen Auftreten für den Arbeitsausfall kausal werden, aber sodann das Prioritätsprinzip aufgrund von Wertungsgesichtspunkten anzuwenden (II.). I. Anknüpfung an Kausalitätserwägungen Der erste Begründungsansatz knüpft an Kausalitätserwägungen an. Würde von zwei nacheinander auftretenden, sich aber zeitlich überschneidenden Arbeitsausfallgründen lediglich der zuerst auftretende Ausfallgrund für den Arbeitsausfall kausal, könnte auch nur dieser Ausfallgrund Rechtsfolgen für den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers haben. Der später hinzutretende Ausfallgrund würde für die Dauer der Überschneidung beider Ausfallgründe mangels Kausalität nicht angewendet, da die Kausalität eines Ausfallgrunds für den Arbeitsausfall eine Voraussetzung ist, die allen Ausfallgründen gemein ist.1801 Dieser Ansatz kann mit Hilfe eines Beispiels verdeutlicht werden: Eine Arbeitnehmerin ist schwanger und unterliegt ab dem 1. Mai eines Jahres einem ärztlichen Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG. Sie erhält daher Mutterschutzlohn gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG. Am 10. Mai bricht sie sich zudem 1799 Diese Bezeichnung ist zwar in der Literatur, soweit ersichtlich, nicht üblich, trifft aber die Kernaussage des Ansatzes am besten. 1800 Dafür Staudinger-Oetker § 616 Rn. 88; für das Verhältnis von § 616 BGB zu anderen Verhinderungsgründen ebenso MünchArbR-Boewer § 70 Rn. 15; Geißler Lohnanspruch, S. 127; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 55; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 616 BGB Rn. 36; für das Zusammentreffen von Streik und Krankheit Matthes Lohnzahlung Rn. 514–518. Vgl. ferner BAG 26.8.1960 – 1 AZR 202/59, AP Nr. 20 zu § 63 HGB und BAG 3.3.1961 – 1 AZR 76/60, AP Nr. 27 zu § 63 HGB, wonach bei zwei zeitgleich auftretenden Verhinderungsgründen der später aufgetretene erst greift, wenn der zuerst aufgetretene entfallen ist. 1801 Vgl. für Entgeltfortzahlungstatbestände oben § 5 A.II.; für Ausschlussgründe gilt der Sache nach nichts anderes.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

ein Bein und ist infolgedessen für drei Monate arbeitsunfähig. Nach dem hier problematisierten Ansatz wäre auch nach dem 1. Juni einzig das Beschäftigungsverbot für den Arbeitsausfall ursächlich, nicht aber das gebrochene Bein, dessen Kausalität verdrängt würde. Die Arbeitnehmerin würde daher auch nach dem 10. Mai weiterhin Mutterschutzlohn erhalten und keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Erst wenn das Beschäftigungsverbot, so sei unterstellt, am 7. Juni endet, wird der noch nicht verheilte Beinbruch für den Arbeitsausfall ursächlich, und erst ab diesem Zeitpunkt könnte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall eingreifen. Zu klären ist demnach, ob die skizzierte ausschließliche Kausalität des zuerst auftretenden Ausfallgrunds gegeben ist. Dabei muss beachtet werden, dass dieser Ansatz vom Grundsatz der Gleichwertigkeit mehrerer Gründe für den Arbeitsausfall abweicht. Wie oben1802 dargestellt worden ist, sind unter Kausalitätsaspekten mehrere gleichzeitig auftretende Ausfallgründe einander grundsätzlich gleichwertig. Eine Abweichung von diesem Grundsatz ist zwar nicht unvertretbar. Sie erfordert aber eine überzeugende Begründung, da dieser entgeltfortzahlungsrechtliche Grundsatz zugleich Ausdruck allgemein anerkannter Kausalitätslehren ist. Bei dem hier zu untersuchenden Ansatz handelt es sich um eine Überlegung, die im Zusammenhang mit dem Entgeltfortzahlungsrecht, soweit ersichtlich, bislang nicht angestellt worden ist. Man könnte aber erwägen, die ausschließliche Kausalität des zuerst auftretenden Ausfallgrunds vor dem Hintergrund eines Vergleichs mit einem aus dem Strafrecht bekannten Fall1803 zu bejahen: Schießen A und B beide nacheinander auf Opfer O und stirbt O bereits durch die Kugel des A, ehe er von der potentiell ebenfalls tödlichen Kugel des B getroffen wird, ist lediglich A für den Tod des O kausal. Die Handlung des B verursacht den Tod des O nicht, sondern stellt lediglich eine Ersatzursache dar, die unberücksichtigt bleibt. Vergleichbares könnte man bei der erwähnten schwangeren Arbeitnehme1802

Vgl. oben § 8 A.III. Derartige Fälle werden insbesondere im Zusammenhang mit der sogenannten „überholenden Kausalität“ diskutiert (vgl. etwa Frister Strafrecht AT 9. Kapitel Rn. 14 ff.; Jescheck/Weigend Strafrecht AT, S. 284; Krey/Esser Strafrecht AT Rn. 312– 314; auch OGH 6.12.1949 – g.M. StS 284/49, OGHSt 2, S. 285 ff.): Es setzen zwei Täter T1 und T2 nacheinander unabhängig voneinander Kausalverläufe in Gang, die jeweils für sich genommen den Erfolg herbeiführen würden. Tritt der Erfolg infolge der Handlung des T2 ein, obwohl der T1 „seinen“ Kausalverlauf zuerst in Gang gesetzt hat, dann hat der Kausalverlauf des T2 den des T1 überholt. Nur T2 ist für den Erfolg kausal geworden und wegen Vollendung strafbar; im Hinblick auf die Handlung des T1 kommt allenfalls eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht. Im hier diskutierten Kontext ist die besondere „Pointe“ dieser Konstellationen, nämlich, dass der Kausalverlauf des T2 den des T1 überholt, irrelevant. Bedeutsam ist vielmehr einzig der Umstand, dass der später eintreffende Kausalverlauf „ins Leere“ geht und den Erfolg nicht mehr herbeiführen kann. Er wird daher als unbeachtliche Ersatzursache eingestuft. Aus diesem Grund wurde das im Haupttext gewählte Beispiel entsprechend abgewandelt und vereinfacht. 1803

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rin annehmen, die sich im Laufe ihrer Schwangerschaft ein Bein bricht. Dann wäre nur das zuerst einschlägige schwangerschaftsbedingte Beschäftigungsverbot für den Arbeitsausfall kausal, nicht hingegen die später hinzutretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Dem ist jedoch entgegenzutreten.1804 Die skizzierte strafrechtlich relevante Konstellation ist mit dem zweiten – entgeltfortzahlungsrechtlichen – Beispiel unter Kausalitätsgesichtspunkten nicht vergleichbar. Für die strafrechtliche Beurteilung des ersten Falles wird hinsichtlich der Kausalität auf eine Zustandsveränderung abgestellt, nämlich den Übergang vom Leben zum Tod des Opfers. Hingegen kommt es für die entgeltfortzahlungsrechtliche Beurteilung des zweiten Falles nicht auf eine Zustandsveränderung in Gestalt der Herbeiführung der Arbeitsunfähigkeit an, sondern nur auf den Zustand selbst, also die Arbeitsunfähigkeit. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus der Formulierung des § 275 Abs. 1 BGB. Die Vorschrift ist in diesem Zusammenhang relevant, weil sie für den Fall der Nichterbringung der Arbeitsleistung als Rechtsfolge den Fortfall der Leistungspflicht und damit den Arbeitsausfall anordnet. In § 275 Abs. 1 BGB heißt es, dass der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen ist, „soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist“. Damit wird tatbestandlich nicht an ein bestimmtes Ereignis, etwa das „unmöglich-werden“ angeknüpft, sondern an einen Zustand, nämlich das „unmöglich-sein“. Mit anderen Worten: Für das Vorliegen eines Arbeitsausfalls kommt es allein darauf an, ob der Zustand „Nichterbringung der Arbeitsleistung“ gegeben ist, aber nicht darauf, dass die Zustandsveränderung „Übergang von der Erbringung der Arbeitsleistung zu deren Nichterbringung“ eingetreten ist. Somit ist für die entgeltfortzahlungsrechtliche Beurteilung eines Arbeitsausfalls irrelevant, wie dieser Zustand „Nichterbringung der Arbeitsleistung“ ursprünglich herbeigeführt worden ist. Vielmehr ist die Frage nach der Ursächlichkeit für den Arbeitsausfall für jeden Zeitpunkt innerhalb des Gesamtzeitraums des Arbeitsausfalls neu zu beantworten.1805 Ob und gegebenenfalls welche Aus1804 Vgl. Peter AcP 132 (1930), S. 3, 7 f., wonach für die Gleichwertigkeit zweier Faktenkomplexe das Zeitmoment keine Rolle spielt; in diese Richtung auch bereits Kipp FS Martitz (1911), S. 211, 220 ff. 1805 Die hier vertretene kontinuierliche Neubewertung der Leistungsmöglichkeit entspricht auch dem Konzept von Oetker Dauerschuldverhältnis, S. 342 f., der sich dafür ausspricht, bei Dauerschuldverhältnissen Unmöglichkeit mit dem Verstreichen der jeweiligen Leistungszeit anzunehmen. Damit korrespondiert seine Auffassung, bei Dauerschuldverhältnissen trete die Erfüllung kontinuierlich mit der Erbringung der jeweiligen Leistung ein (vgl. S. 322 ff.). Für eine kontinuierliche Erfüllung bei Dauerschuldverhältnissen spricht sich auch Beitzke Dauerrechtsverhältnisse, S. 19 f., aus. A. A. für eine Erfüllung erst bei Beendigung des Erfüllungszeitraums hingegen Wiese FS Nipperdey (1965) Band 1, S. 837, 845 f.; vgl. ferner v. Gierke JherJb 64 (1914), S. 355, 363, der Erfüllung erst mit Erlöschen des Schuldverhältnisses annehmen möchte.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

fallgründe zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, spielt insoweit keine Rolle. Deswegen sind im Falle von zwei gleichzeitig vorliegenden Ausfallgründen beide für den Arbeitsausfall kausal – unabhängig davon, welcher der beiden zuerst aufgetreten ist. Eine Abweichung vom Grundsatz der Gleichwertigkeit mehrerer Gründe für den Arbeitsausfall ist daher nicht gerechtfertigt. Dieses Ergebnis entspricht im Übrigen auch der zivilrechtlichen Rechtsprechung des BGH zu Fällen von alternativer Kausalität. Denn der BGH stellt bei der Prüfung alternativer Kausalität maßgeblich darauf ab, ob zwei Ursachen für einen Erfolg in einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig wirken.1806 Auf diesen Zeitpunkt der Wirkung beider Ursachen kommt es an; demgegenüber lässt der BGH ausdrücklich unberücksichtigt, welche der beiden Ursachen chronologisch zuerst aufgetreten ist.1807 II. Anknüpfung an Wertungsgesichtspunkte Ein zweiter möglicher Begründungsansatz für das Prioritätsprinzip liegt in der Anknüpfung an Wertungsgesichtspunkte. Anders als nach dem unter I. diskutierten Ansatz bleibt dabei die Kausalität des später hinzutretenden zweiten Ausfallgrunds unberührt. Beide Ausfallgründe gelten als kausal. Stattdessen soll versucht werden, den Vorrang des zuerst aufgetretenen Ausfallgrunds unter Rückgriff auf gesetzliche Wertungen zu begründen. Dieser Ansatz kann wiederum anhand des bereits oben1808 erwähnten Beispiels der schwangeren Arbeitnehmerin mit gebrochenem Bein verdeutlicht werden: Die Schwangere unterliegt ab dem 1. Mai einem Beschäftigungsverbot und erhält Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG. Bricht sie sich am 10. Mai ein Bein, sind nach diesem Begründungsansatz zwar ab dem 10. Mai beide Verhinderungsgründe – Schwangerschaft und Beinbruch – für den Arbeitsausfall ursächlich. Dennoch erhält die Schwangere für die Dauer der Kollision Mutterschutzlohn, weil die Verfechter dieses Ansatzes – aus Erwägungen heraus, auf die sogleich noch eingegangen wird – unter zwei kausalen Verhinderungsgründen stets denjenigen als vorrangig ansehen, der zuerst aufgetreten ist. Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall greift hingegen erst ein, wenn das Beschäftigungsverbot am 7. Juni vor der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit endet. An diesem Beispiel wird deutlich, dass sich die Anknüpfung an Wertungsgesichtspunkte von der oben1809 dargestellten Anknüpfung an Kausalitätserwägungen nur in der Begründung, nicht aber im Ergebnis unterscheidet.

1806 1807 1808 1809

BGH 20.2.2013 – VIII ZR 339/11, MDR 2013, S. 589 f. (Rn. 27, 31). BGH 20.2.2013 – VIII ZR 339/11, MDR 2013, S. 589 f. (Rn. 31). Vgl. oben § 8 D.I. Vgl. oben § 8 D.I.

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Dem geschilderten Ansatz kann nicht gefolgt werden. Zwar liegt eine Stärke des Prioritätsprinzips darin, dass sich mit ihm in den meisten Fällen eindeutige Ergebnisse erzielen lassen. Allerdings versagt das Prioritätsprinzip, wenn beide Verhinderungsgründe gleichzeitig auftreten.1810 Vor allem aber weist diese Konzept Schwächen in dogmatischer Hinsicht auf. Das Vorrangverhältnis der beteiligten Tatbestände ist danach nur vom Zufall abhängig. Die Wertungen, die hinter den einzelnen gesetzlichen Regelungen stehen, und insbesondere die Normzwecke bleiben unberücksichtigt. Man kann nicht davon ausgehen, dass die Einbeziehung einer solchen Zufallskomponente dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Den wenigen spezialgesetzlichen Regelungen von Konkurrenzen (wie beispielsweise § 4 Abs. 2 EFZG für Krankheit und Feiertag oder § 9 BUrlG für Krankheit und Urlaub) ist das Prioritätsprinzip fremd. Daher überzeugt es auch systematisch nicht, für alle ungeregelten Konkurrenzverhältnisse darauf zurückzugreifen. Somit kann beiden Begründungsansätzen nicht gefolgt werden. Das Prioritätsprinzip ist insgesamt abzulehnen.

E. Prinzip des geringsten Risikos des Arbeitgebers In jüngerer Zeit hat Gutzeit vorgeschlagen, zur Auflösung von Konkurrenzen mehrerer Entgeltfortzahlungstatbestände an Gefahr- und Risikotragungsaspekte anzuknüpfen.1811 Dem Arbeitnehmer werde von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich das Risiko zugewiesen, für den Arbeitsausfall kein Entgelt zu erhalten. Soweit diese Zuordnung durch gesetzliche Tatbestände durchbrochen und die Vergütungsgefahr ausnahmsweise dem Arbeitgeber zugewiesen sei, müsse im Falle einer Kumulation solcher Risiken der Arbeitgeber nur das geringste Risiko tragen.1812 Daher setze sich im Ergebnis derjenige Verhinderungsgrund durch, der den Arbeitgeber am wenigsten belastete. Dieser Ansatz wird im Folgenden unter mehreren Aspekten kritisch beleuchtet. I. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB als Ausgangspunkt der Risikozurechnung Zuzustimmen ist Gutzeit darin, dass er den herrschenden Grundsatz der Monokausalität als unbrauchbar ansieht.1813 Auch seine Prämisse, dass die Grundregel 1810 Das gesteht auch Staudinger-Oetker § 616 Rn. 89 zu, der in diesen Fällen Konkurrenzen anhand des Zwecks der konkurrierenden Entgeltfortzahlungsgesetze bestimmen will. 1811 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 100 ff. Dieses Konzept wurde zwar vor Einführung der Schuldrechtsreform entwickelt, beansprucht aber nach wie vor Geltung, vgl. Gutzeit NZA 2003, S. 81, 83 f. 1812 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 105. 1813 Vgl. Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 94, 154; derselbe NZA 2003, S. 81, 82.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB dem Arbeitnehmer das Vergütungsrisiko zuweist und es nur in gesetzlich normierten Ausnahmefällen auf den Arbeitgeber überträgt, ist nicht von der Hand zu weisen.1814 Nicht einleuchten will jedoch, warum daraus folgen soll, dass im Falle des Zusammentreffens zweier solcher Ausnahmen nur die für den Arbeitgeber günstigere greift. Schließlich haben sich beide Risiken tatsächlich verwirklicht. Das gesteht auch Gutzeit selbst zu.1815 Wenn der Gesetzgeber eine Ausnahme von der Risikotragungspflicht des Arbeitnehmers normiert, soll in diesem Fall eben gerade der Arbeitgeber das Risiko tragen. Dann ist aber nicht einzusehen, wieso das Zusammentreffen zweier Ausfallgründe einseitig zu Lasten des Arbeitnehmers gehen muss. Beide Ausfallgründe stehen, sofern der Gesetzgeber ihre Konkurrenz nicht ausnahmsweise wie etwa in § 9 BUrlG oder § 4 Abs. 2 EFZG spezialgesetzlich geregelt hat, erst einmal gleichwertig nebeneinander.1816 Leitet man das Vorrangverhältnis allein aus § 326 Abs. 1 S. 1 BGB ab, bleiben die gesetzlichen Wertungen und Normzwecke, die hinter den Tatbeständen stehen, unberücksichtigt. Zudem ist die Aussagekraft von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB für Konkurrenzen im Entgeltfortzahlungsrecht ohnehin zweifelhaft: Diese Norm statuiert zwar die Grundregel „Ohne Arbeit kein Lohn“, trifft aber keinerlei Aussage über das Verhältnis zweier Ausnahmen von dieser Grundregel, wenn die beiden Ausnahmen kollidieren. II. Systematische Bedenken In systematischer Hinsicht bestehen weitere Bedenken gegen Gutzeits Ansatz. Dieser beruht auf der Annahme, dass es sich bei allen Entgeltfortzahlungstatbeständen stets um Durchbrechungen von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB handelt und diese deshalb als Ausnahmen eng zu fassen sind. Diese Prämisse ist nicht richtig. Nach zutreffender Auffassung handelt es sich nur bei einigen, nicht aber bei allen Entgeltfortzahlungstatbeständen um Ausnahmen von der Grundregel des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB.1817 Andere Tatbestände sind hingegen eigenständige Anspruchsgrundlagen, die § 326 Abs. 1 S. 1 BGB unberührt lassen. Außerdem widerspricht Gutzeit sich selbst: Einerseits geht er von der geschilderten Prämisse aus, dass es sich bei allen Entgeltfortzahlungstatbeständen um 1814 Sommer Nichterfüllung, S. 245 bezweifelt sogar angesichts der zahlreichen und raumgreifenden Ausnahmen die Existenz des Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“ in der Praxis. Dass der Arbeitnehmer bei Nichtleistung keinen Lohn erhalte, sei nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Ebenfalls am Regel-Ausnahme-Verhältnis zweifelnd v. Hoyningen-Huene FS Adomeit (2008), S. 291, 291. 1815 Vgl. Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 104. 1816 Von der Gleichwertigkeit des Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“ und den Ausnahmen hierzu geht auch Söllner AcP 167 (1967), S. 132, 144 f. aus; vgl. ferner Gamillscheg AcP 164, S. 385, 442. 1817 Vgl. hierzu oben § 4 A.

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anspruchserhaltende Tatbestände handeln soll. Andererseits stellt er an anderer Stelle – der Sache nach zutreffend – fest, dass es sich nur bei manchen Entgeltfortzahlungstatbeständen um anspruchserhaltende Tatbestände und mithin um Ausnahmen von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB handelt. Demgegenüber stuft er andere Tatbestände als eigenständige Anspruchsgrundlagen ein.1818 Gutzeits Lösung führt zudem dazu, dass der Arbeitgeber nur von der zufälligen Häufung zweier Ausfallgründe profitiert. Dieses Resultat läuft auf eine Art „Günstigkeitsprinzip“ für den Arbeitgeber hinaus. Ein solches Prinzip zugunsten des Arbeitgebers ist dem deutschen Arbeitsrecht aber fremd. Anerkannt ist vielmehr – im Gegenteil – ein Günstigkeitsprinzip zugunsten des Arbeitnehmers, wie der Rechtsgedanke des § 4 Abs. 3 S. 2 TVG zeigt. III. Teleologische Bedenken Auch die von Gutzeit für seinen Ansatz vorgebrachten teleologischen Argumente können entkräftet werden. Gutzeit untersucht unter anderem beispielhaft folgenden Fall: Ein Arbeitnehmer pflegt sein erkranktes Kind, was eine Entgeltfortzahlung nach § 616 S. 1 BGB auslöst, und ist gleichzeitig selbst krankheitsbedingt arbeitsunfähig im Sinne des § 3 Abs. 1 EFZG. Dabei unterstellt Gutzeit im Sinne der zwischen 1996 und 1998 geltenden Rechtslage, dass das Krankheitsentgelt nur 80% des Gehalts beträgt und damit geringer als das nach § 616 S. 1 BGB geschuldete Entgelt ausfällt.1819 Gutzeit meint, der Arbeitnehmer dürfe nur das geringere Krankheitsentgelt erhalten, da eine Besserstellung des kranken, pflegenden Vaters gegenüber anderen erkrankten Arbeitnehmern nicht gerechtfertigt sei.1820 Auf diese Weise will er eine Ungleichbehandlung mehrerer erkrankter Arbeitnehmer verhindern. Dabei übersieht er aber, dass auch seine Lösung zu einer Ungleichbehandlung führt, und zwar im Hinblick auf verschiedene Arbeitnehmer, die ihr erkranktes Kind pflegen. Wer einzig deshalb nicht arbeitet, weil er sein krankes Kind pflegt, hat danach Anspruch auf das höhere Entgelt nach § 616 S. 1 BGB. Der Arbeitnehmer, der zugleich selber erkrankt, erhält demgegenüber nur die niedrigere Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Daran zeigt sich, dass bei konkurrierenden Ausfallgründen eine Ungleichbehandlung mehrerer Arbeitnehmer unvermeidbar ist – nur sind je nach Lösung unterschiedliche Vergleichsgruppen betroffen. Vorzugswürdig ist es allerdings gerade in dem von Gutzeit gewählten Beispielsfall, die Besserstellung des kranken pflegenden Vaters im Vergleich zu anderen erkrankten Arbeitnehmern hinzu1818

Vgl. hierzu Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 103–105 einerseits und S. 83 f. anderer-

seits. 1819 Vgl. zur Entwicklung des Rechts der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oben § 5 C.I. 1820 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 105.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

nehmen. Im Gegensatz zu anderen erkrankten Arbeitnehmern tritt bei ihm ein weiterer „Entschuldigungsgrund“ hinzu, nämlich die Pflege des Kindes, der eine höhere Vergütung rechtfertigt. IV. Mangelnde Rechtssicherheit Des Weiteren bestehen unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit Bedenken gegen Gutzeits Ansatz. Es kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten, zu bestimmen, durch welchen Tatbestand sich für den Arbeitgeber das geringere Risiko verwirklicht. Wie sich anhand der Anwendung des § 4 Abs. 3 Var. 2 TVG häufig zeigt, müssen Günstigkeitsvergleiche nicht immer eindeutig ausfallen.1821 Zudem bleiben nach Gutzeits Ansatz solche Einzelfälle ungelöst, in denen beide Tatbestände für den Arbeitgeber finanziell gleich „günstig“ sind. Es kann dogmatisch nicht befriedigen, in einer solchen Konstellation offen zu lassen, welcher Anspruch sich durchsetzt. Zweifelhaft bleibt zudem die Behandlung von Faktoren außerhalb des Arbeitsverhältnisses, die die Günstigkeit eines bestimmten Tatbestands für den Arbeitgeber beeinflussen. Beispielsweise begründen Entgeltfortzahlungspflichten gemäß §§ 11, 14 MuSchG seit der Einführung des AAG im Jahre 2005 für den betreffenden Arbeitgeber lediglich einen marginalen finanziellen Nachteil, nämlich durch Erhöhung seines Anteils am Gesamtvolumen der Kosten, die gemäß § 7 AAG auf die Arbeitgebergemeinschaft umgelegt werden.1822 Von dieser Warte aus betrachtet ist eine Entgeltfortzahlung nach §§ 11, 14 MuSchG für den Arbeitgeber nahezu immer günstiger als nach einem anderen Entgeltfortzahlungstatbestand. Ob derartige externe Umstände in den nach Gutzeit durchzuführenden Günstigkeitsvergleich einzubeziehen sind, ist ungewiss. Im Rahmen seiner im Jahre 2000 veröffentlichten Arbeit konnte Gutzeit auf die skizzierte Problematik im Zusammenhang mit §§ 11, 14 MuSchG noch nicht eingehen, da das AAG erst 2005 in Kraft getreten ist. Es kann daher nicht abschließend geklärt werden, ob Gutzeit Faktoren außerhalb des Arbeitsverhältnisses in die Bewertung der Risiken miteinbeziehen würde oder nicht. Gegen eine derartige Einbeziehung spricht, dass sein Ansatz auf der Zurechnung von Arbeitsausfallrisiken zu einer der beteiligten Arbeitsvertragsparteien beruht, was sich (ausgehend von der Grundregel des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB) im Zweifel zu Lasten des Arbeitnehmers auswirken soll. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB regelt lediglich das Verhältnis der Vertragsparteien zueinander, enthält aber keine Aussage zum Verhältnis zwischen den Vertragsparteien einerseits und einem oder mehreren Dritten andererseits. 1821 Vgl. ErfK-Franzen § 4 TVG Rn. 39, der auf die Ambivalenz vieler Regelungen hinweist; vgl. ferner Kempen/Zachert-Zachert § 4 TVG Rn. 292. 1822 Vgl. dazu oben § 5 G.I.4.c).

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Daher wäre es dogmatisch konsequent, wenn Gutzeit eine wirtschaftliche Risikotragung durch Dritte außer Betracht ließe. Ein solches Ergebnis führte aber zu einem Wertungswiderspruch. Möglicherweise würde sich sogar derjenige Entgeltfortzahlungstatbestand durchsetzen, der für beide Parteien nachteilig ist. Dazu könnte es kommen, wenn eine Entgeltfortzahlung nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG höher ausfiele als die nach einem anderen Entgeltfortzahlungstatbestand, etwa nach § 616 S. 1 BGB. In dieser Konstellation wäre für die Arbeitnehmerin die Vergütung nach § 11 MuSchG vorteilhaft, da sie dadurch besser gestellt wird als nach § 616 S. 1 BGB. Für den Arbeitgeber wäre die Zahlung von Mutterschutzlohn ebenfalls vorzugswürdig, da er gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 AAG von den Krankenkassen Erstattung seines Aufwands verlangen könnte und diesen auch wirtschaftlich nur in sehr geringer Höhe selbst zu tragen hätte.1823 Trotzdem müsste nach Gutzeit, wenn die Kostentragung durch Dritte außer Betracht bleiben soll, § 616 S. 1 BGB als die für den Arbeitgeber günstigere Variante angewendet werden. Ein solches Ergebnis liefe dem Interesse beider Parteien zuwider. V. Wille des Gesetzgebers Schließlich widerspricht Gutzeits Ansatz dem Willen des Gesetzgebers, was sich an der systematischen Inkonsistenz seines Ansatzes zeigt.1824 Auch Gutzeit kommt nicht umhin, den spezialgesetzlichen Konkurrenzregeln wie § 9 BUrlG oder § 4 Abs. 2 EFZG Vorrang vor seinem Prinzip einzuräumen.1825 Diese Vorschriften aber berücksichtigen das geringste Risiko des Arbeitgebers in keiner Weise und wirken wie Fremdkörper in Gutzeits Konzept. Zudem gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber durch § 326 Abs. 1 S. 1 BGB Kollisionen im Entgeltfortzahlungsrecht dogmatisch grundsätzlich anders behandeln wollte, als es in spezialgesetzlichen Konkurrenzregeln vorgesehen ist. In den Gesetzesmaterialien zu § 323 BGB in der Fassung von 1900 (der Vorgängervorschrift des heutigen § 326 Abs. 1 S. 1 BGB) finden sich dafür keine Hinweise.1826 Da das Entgeltfortzahlungsrecht zu dieser Zeit noch in den Kinderschuhen steckte, ist es fernliegend anzunehmen, dass der Gesetzgeber sich damals der Probleme, die mit der Kollision von Entgeltfortzahlungstatbeständen verbunden sind, überhaupt bewusst war, geschweige denn, dass er sie durch den 1823 Da Mittel zur Durchführung der Umlage im „U2“-Verfahren von der Arbeitgebergemeinschaft aufgebracht werden, belasten die nach § 11 MuSchG entstehenden Entgeltfortzahlungskosten den einzelnen Arbeitgeber nur, soweit sich dadurch das Gesamtvolumen der Umlage und damit auch der Anteil des Arbeitgebers erhöht, vgl. § 7 Abs. 1 und 2 AAG. 1824 Ebenfalls kritisch vor dem Hintergrund der Regelung des § 4 Abs. 2 EFZG Staudinger-Oetker § 616 Rn. 89. 1825 Vgl. Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 110–115, 154. 1826 Vgl. Mudgan Motive II, S. 113–115.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

damaligen § 323 BGB a. F. erfassen wollte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Zuge der Schuldrechtsreform beabsichtigte, durch die Neufassung von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB Konkurrenzen im Entgeltfortzahlungsrecht zu regeln.1827 Vielmehr knüpft § 326 Abs. 1 S. 1 BGB an § 323 BGB a. F. an, der keine Aussage zu Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung enthielt. Dass das von Gutzeit aus § 326 Abs. 1 S. 1 BGB abgeleitete Prinzip nicht der Systematik des BGB und der Gesetze entspricht, in denen Entgeltfortzahlungstatbestände normiert sind, zeigt sich auch an der Art und Weise, wie der Gesetzgeber seine spezialgesetzlichen Konkurrenzregeln formuliert hat. Zum Beispiel legt § 9 BUrlG fest, dass die Tage der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden. Folglich ist die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegenüber dem Erholungsurlaub vorrangig. Man kann aber im Einzelfall bei einer Konkurrenz zwischen Krankheit und Urlaub durch Anwendung des § 9 BUrlG möglicherweise zum gleichen Ergebnis wie nach Gutzeits Prinzip des geringsten Risikos des Arbeitgebers gelangen, nämlich immer dann, wenn die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Arbeitgeber günstiger ausfällt als die Zahlung von Urlaubsentgelt. Wäre der Gesetzgeber tatsächlich bestrebt gewesen, im Sinne von Gutzeit Konkurrenzen grundsätzlich zugunsten des Arbeitgebers aufzulösen, dann hätte er § 9 BUrlG nicht derart allgemein formuliert. Vielmehr hätte eine Formulierung dahingehend nahegelegen, dass die Krankheit auch dann dem Urlaub vorgeht, wenn die Zahlung von Krankheitsentgelt im Einzelfall für den Arbeitgeber nicht günstiger ist als die Zahlung von Urlaubsentgelt. VI. Zwischenfazit Nach alledem ist festzuhalten, dass das Prinzip des geringsten Risikos des Arbeitgebers aufgrund der aufgezeigten Unzulänglichkeiten nicht überzeugt. Es ist daher abzulehnen.

F. Vorrang des für den Arbeitnehmer günstigeren Tatbestands Spiegelbildlich zum Prinzip des geringsten Risikos des Arbeitgebers könnte man erwägen, im Kollisionsfalle demjenigen Tatbestand den Vorrang einzuräumen, der für den Arbeitnehmer günstiger ist.1828 Dieser Ansatz ist jedoch ebenfalls abzulehnen. Es fehlt insoweit schon an einem überzeugenden dogmatischen Grundlage (dazu sogleich I.). Hinzu treten weitere Unzulänglichkeiten (dazu sogleich II.). 1827 Vgl. hierzu die Regierungsbegründung BT-Drs. 14/6040, S. 188, die das Entgeltfortzahlungsrecht nicht erwähnt. 1828 Kritisch zu diesem Ansatz Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 97 ff.

§ 8 Meinungsstand

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I. Fehlender dogmatischer Anknüpfungspunkt Als Anknüpfungspunkt für diesen Ansatz kommen zwei Prinzipien in Betracht: Zum einen wäre es möglich, auf das sogenannte Arbeitnehmerschutzprinzip abzustellen. Zum anderen könnte man auf das Günstigkeitsprinzip nach § 4 Abs. 3 Var. 2 TVG in Gestalt eines allgemeinen Rechtsgedankens zurückgreifen. 1. Anknüpfung an das Arbeitnehmerschutzprinzip? Es überzeugt nicht, an das Arbeitnehmerschutzprinzip anzuknüpfen. Dieses maßgeblich von Wiedemann1829 geprägte Konzept basiert auf dem Gedanken, dass in der Gewährung von Schutz durch den Arbeitgeber ein Äquivalent für die Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers liegt.1830 Daher soll der Arbeitgeber im Wege der Entgeltfortzahlung für die Existenz- und Lebensstandardsicherung des Arbeitnehmers sorgen müssen.1831 Zweifel an diesem Ansatz ergeben sich in zweierlei Hinsicht. Erstens ist die dogmatische Begründung des Arbeitnehmerschutzprinzips selbst Bedenken unterworfen. Zu Recht weist Gutzeit darauf hin, dass dieser Ansatz den Arbeitsvertrag vom Gedanken des Leistungsaustauschs entfernt und ihn in unzulässiger Weise in die Nähe eines Existenzsicherungsvertrags rückt.1832 Zudem lässt sich im Anschluss an Richardi feststellen, dass der Arbeitnehmer zwar aufgrund der arbeitsrechtlichen Gegebenheiten verglichen mit Parteien anderer Verträge besonders schutzbedürftig ist. Für diese Schutzbedürftigkeit ist aber eine Reihe ganz verschiedener Gesichtspunkte maßgebend, die sich nicht unter ein sogenanntes Arbeitnehmerschutzprinzip als einheitlichen Rechtsgrundsatz fassen lassen.1833 Zweitens folgt aus dem Arbeitnehmerschutzprinzip nicht zwingend, dass der für den Arbeitnehmer günstigere Tatbestand vorrangig ist. Aus dem Arbeitnehmerschutzprinzip soll nur eine Verpflichtung zur Existenzsicherung des Arbeitnehmers folgen. Sofern im Falle zweier kollidierender Tatbestände beide die Existenz des Arbeitnehmers gewährleisten könnten, lässt sich aus dem Arbeitnehmerschutzprinzip kein zwingender Vorrang des für den Arbeitnehmer günstigeren Tatbestands ableiten. Somit kann das Arbeitnehmerschutzprinzip nicht herangezogen werden, um diesen Ansatz zu begründen. 1829

Wiedemann Arbeitsverhältnis, S. 11–25. Wiedemann Arbeitsverhältnis, S. 16. 1831 Vgl. Wiedemann Arbeitsverhältnis, S. 17. 1832 Ebenso Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 97. Die Verschiebung des Charakters dieses Vertragstypus hin zu einem Sicherungsvertrag sieht auch Wiedemann selbst, hält sie jedoch für unbedenklich, da sie „unserer sozialen Wirklichkeit“ entspreche (Wiedemann Arbeitsverhältnis, S. 17). 1833 Vgl. MünchArbR-Richardi § 6 Rn. 30–39. 1830

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

2. Anknüpfung an das Günstigkeitsprinzip? Auch auf das in § 4 Abs. 3 Var. 2 TVG verankerte Günstigkeitsprinzip zugunsten des Arbeitnehmers lässt sich ein grundsätzlicher Vorrang desjenigen Tatbestands, der für den Arbeitnehmer günstiger ausfällt, nicht überzeugend stützen. Dieser Rechtsgedanke kann nicht zu einem Rechtsgrundsatz verallgemeinert werden, der auch auf Kollisionen im Entgeltfortzahlungsrecht anzuwenden ist. Ihrem Wortlaut nach bezieht sich die Regelung in § 4 Abs. 3 Var. 2 TVG nur auf Kollisionen zwischen einem Tarifvertrag und einer Individualabrede.1834 Zwar wird das Günstigkeitsprinzip teilweise auch auf weitere Kollisionskonstellationen im Arbeitsrecht erstreckt, aber nur auf Normkonflikte zwischen Regelungen unterschiedlichen Ranges, etwa zwischen Tarifvertrag und Gesetz oder zwischen Individualabrede und Gesetz. Zudem kommt eine Erstreckung nicht in Betracht, wenn ausdrückliche Konkurrenzregeln bestehen.1835 Auf den Konflikt gleichrangiger Normen wird das Günstigkeitsprinzip nach überwiegender Ansicht hingegen nicht angewendet.1836 Genau um eine solche Konstellation handelt es sich aber bei der Kollision zweier gesetzlich geregelter Entgeltfortzahlungstatbestände. Die Beschränkung auf Kollisionen zwischen Normen unterschiedlichen Ranges überzeugt. § 4 Abs. 3 Var. 2 TVG ist nur ein Regelungsgehalt dahingehend zu entnehmen, dass danach ausnahmsweise die rangniedrigere Norm der ranghöheren vorgeht. Bei der Kollision zweier gesetzlich geregelter Entgeltfortzahlungstatbestände besteht hingegen eine andere Sachlage. Wenn nach dem Willen des Gesetzgebers das Günstigkeitsprinzip auch als Kollisionsregel auf der Ebene gleichrangiger Rechtsquellen – insbesondere zweier Gesetze – gelten sollte, hätte eine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Bestimmung getroffen werden können. Da eine solche fehlt, liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Anwendung des Günstigkeitsprinzips im Entgeltfortzahlungsrecht dem gesetzgeberischen Willen entspricht. Wendete man das Günstigkeitsprinzip hier dennoch an, zwänge man dem Gesetzgeber eine Regelung auf, die jedenfalls nicht positiv gewollt ist. Daher kann es nicht überzeugen, im Falle einer Kollision mehrerer Verhinderungsgründe einen Vorrang des für den Arbeitnehmer günstigeren Tatbestands mit dem Günstigkeitsprinzip zu begründen. II. Weitere Kritikpunkte Abgesehen von der unzulänglichen dogmatischen Anknüpfung begegnet dieser Ansatz noch weiteren Bedenken. Insoweit kann auf Argumente zurückgegriffen 1834

Däubler-TVG-Deinert § 4 Rn. 574. Däubler-TVG-Deinert § 4 Rn. 574; vgl. ausführlich hierzu Belling Günstigkeitsprinzip, S. 106–168. 1836 Däubler-TVG-Deinert § 4 Rn. 574; auch ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 236, der das Günstigkeitsprinzip insoweit für „ungeeignet“ hält; vgl. auch Hueck FS Erich Molitor (1962), S. 203, 214; Junker Arbeitsrecht Rn. 86. 1835

§ 8 Meinungsstand

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werden, die in vergleichbarer Weise spiegelbildlich bereits oben1837 gegen das Prinzip des geringsten Risikos des Arbeitgebers angeführt wurden. Insbesondere sind die wenigen existierenden spezialgesetzlichen Konkurrenzregeln wie etwa § 4 Abs. 2 EFZG oder § 9 BUrlG wertungsmäßig nur schwer mit einem grundsätzlichen Vorrang des für den Arbeitnehmer günstigeren Tatbestands in Einklang zu bringen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bestehen Bedenken, da Günstigkeitsvergleiche nicht immer eindeutig ausfallen.1838 Zudem führt dieser Ansatz auch zu keiner befriedigenden Lösung, wenn sich die beiden kollidierenden Entgeltfortzahlungstatbestände für den Arbeitnehmer als gleichermaßen günstig darstellen. Schließlich bereitet es auch in Bezug auf diesen Ansatz erhebliche Schwierigkeiten, Faktoren außerhalb des Austauschverhältnisses angemessen zu berücksichtigen. Nach alledem überzeugt es nicht, im Falle einer Konkurrenz zweier Entgeltfortzahlungstatbestände einen Vorrang des für den Arbeitnehmer günstigeren Tatbestands anzunehmen.

G. Hierarchieprinzip Ein weiteres denkbares übergeordnetes Prinzip, das zur Auflösung von Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung herangezogen werden könnte, liegt darin, alle Verhinderungsgründe dergestalt in eine Rangfolge einzuordnen, dass sich stets der ranghöhere gegen den rangniedrigeren Ausfallgrund durchsetzt. Die Anwendung eines solchen Hierarchieprinzips könnte insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit überzeugen. Zudem wäre es in der Praxis einfach zu handhaben. Indes gibt das geltende Entgeltfortzahlungsrecht eine derartige Lösung nicht her. Hierfür lassen sich insbesondere drei Argumente anführen: Erstens mangelt es an Anhaltspunkten im Gesetzestext und in der Entstehungsgeschichte der Regelungen über die Entgeltfortzahlung dafür, dass der Gesetzgeber zur Behandlung von Fällen konkurrierender Verhinderungsgründe von einem solchen Hierarchieprinzip ausging. Zudem fehlen Hinweise dafür, wie gegebenenfalls eine solche Hierarchie der Verhinderungsgründe konkret aussehen sollte. Wie schon oben1839 dargelegt worden ist, existiert im deutschen Arbeitsrecht kein einheitliches System der Entgeltfortzahlung, sondern lediglich eine Vielzahl einzelner, schlecht aufeinander abgestimmter Vorschriften in den verschiedensten Gesetzen. Sie weisen ganz unterschiedliche Strukturen auf und wurden nicht 1837

Vgl. zu den folgenden Argumenten oben § 8 E. Vgl. zur Anwendung von § 4 Abs. 3 Var. 2 TVG nur ErfK-Franzen § 4 TVG Rn. 39, der auf die Ambivalenz vieler Regelungen hinweist; vgl. ferner Kempen/Zachert-Zachert § 4 TVG Rn. 292. 1839 Siehe oben unter § 5 R. und § 7. 1838

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

gleichzeitig erlassen, sondern Stück für Stück über einen Zeitraum von Jahrzehnten. Alle Anzeichen sprechen daher dafür, dass der Gesetzgeber schon viele einzelne Konstellationen konkurrierender Verhinderungsgründe gar nicht bedacht hat. Dann ist es erst recht weit hergeholt, dass dem Gesetzgeber eine konkrete Hierarchie der Ausfallgründe vor Augen schwebte. Unter diesen Umständen wäre ein denkbarer Rückgriff auf richterliche Rechtsfortbildung verfehlt. Zweitens stehen der Anwendung eines Hierarchieprinzips zur Auflösung von Konkurrenzen einige der konkreten gesetzlichen Wertungen des Entgeltfortzahlungsrechts entgegen. Am besten lässt sich diese Überlegung anhand eines schematischen Beispiels verdeutlichen: Man unterstelle, die Tatbestände A, B und C seien allesamt Entgeltfortzahlungstatbestände. Man unterstelle weiterhin im Verhältnis dieser Tatbestände untereinander Folgendes: Im Verhältnis zwischen Tatbestand A und Tatbestand B setzt sich der Tatbestand A durch, im Verhältnis von B zu C der Tatbestand B, jedoch im Verhältnis von A zu C der Tatbestand C. Eine derartige Konstellation steht einem Hierarchieprinzip in der eingangs beschriebenen Form entgegen, da sie es nicht zulässt, eine eindeutige Rangfolge unter den Tatbeständen festzulegen. Wie noch im Einzelnen zu zeigen sein wird, kennt das deutsche Entgeltfortzahlungsrecht einen solchen Fall, nämlich das Verhältnis des Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 S. 1 AGG zu bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) und der vorübergehenden Verhinderung im Sinne des § 616 S. 1 BGB. Nach zutreffender Auffassung setzt sich § 14 S. 1 AGG gegen § 616 S. 1 BGB ebenso durch wie (zumindest im Regelfall) § 616 S. 1 BGB gegenüber dem Erholungsurlaub.1840 Da aber schließlich der Erholungsurlaub gegenüber § 14 S. 1 AGG vorrangig sein muss,1841 ist eine Hierarchie zwischen diesen Tatbeständen nicht eindeutig zu bestimmen. Es zeigt sich an diesem Beispiel, dass sich die verschiedenen Entgeltfortzahlungstatbestände in keine eindeutige Hierarchie einordnen lassen. Daher wird eine einzelfallbezogene Auflösung von Konkurrenzen den gesetzgeberischen Wertungen besser gerecht als ein Hierarchieprinzip. Drittens steht ein weiteres Problem einem Hierarchieprinzip im Wege. Bei einer Kollision kann sich die Rechtslage derart darstellen, dass sich der Vorrang des einen oder des anderen Tatbestands nicht absolut bestimmen lässt, sondern das Ergebnis im Einzelfall von weiteren Faktoren abhängt. Beispielsweise kommt es bei der Konkurrenz von Erholungsurlaub mit weiteren Tatbeständen mit Rücksicht auf den Zweck des Erholungsurlaubs für das Vorrangverhältnis häufig darauf an, ob der Arbeitnehmer in der betreffenden Zeit Gelegenheit hatte, sich zu

1840 Siehe zum Verhältnis § 14 S. 1 AGG zu § 616 S. 1 BGB unten § 9 C.IV.3.a)bb) sowie zum Verhältnis Mutterschutzlohn § 616 S. 1 BGB zu bezahltem Erholungsurlaub unten § 9 C.IV.3.b)aa). 1841 Siehe unten § 9 C.V.3.c)aa).

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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erholen.1842 Nur in diesem konkreten Fall ist der Urlaub vorrangig. Ein derartiger bedingter Vorrang eines Tatbestands ist in ein Hierarchieprinzip nur schwer zu integrieren und erschwerte seine Handhabung in der Praxis erheblich. Nach alledem kann das Hierarchieprinzip zur Auflösung von Konkurrenzen im Entgeltfortzahlungsrecht allenfalls de lege ferenda, nicht aber de lege lata in Betracht kommen.1843

H. Zwischenfazit Die analysierten einheitlichen Lösungsansätze können allesamt nicht überzeugen. Vielfach mag für das eine oder andere Prinzip sprechen, dass es in der Praxis relativ leicht zu handhaben ist und dass man durch seine Anwendung zumindest in vielen Fällen zu eindeutigen Ergebnissen gelangen könnte. Indes erweisen sich alle diese Vorschläge als mit der Dogmatik des Entgeltfortzahlungsrechts unvereinbar. Der Grund liegt insbesondere darin, dass – wie schon die Analyse der einzelnen Tatbestände und Ausschlussgründe gezeigt hat – im deutschen Arbeitsrecht kein einheitliches System der Entgeltfortzahlung existiert. Die verschiedenen Regelungen sind größtenteils so unzureichend aufeinander abgestimmt und zueinander in Beziehung gesetzt, dass sie sich de lege lata nicht durch einen der dargestellten einheitlichen Lösungsansätze erfassen lassen, auch wenn eine solche Lösung de lege ferenda wünschenswert ist. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Rechtsprechung weitgehend einzelfallbezogen verfährt. Diese Ergebnisse werden bei der folgenden Entwicklung eines eigenen Lösungsvorschlags zu berücksichtigen sein.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität Nachdem im vorangegangen Abschnitt der Arbeit diverse Ansätze zur Behandlung von Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung untersucht und für untauglich befunden wurden, soll im Folgenden ein eigener Lösungsansatz entwickelt und angewendet werden. Den Ausgangspunkt hierfür bilden die Erkenntnisse, die im Rahmen der Untersuchung der verschiedenen Lösungsansätze gewonnen wurden. Sie werden unter A. nochmals zusammengefasst. Im darauf folgenden Abschnitt (B.) wird das auf dieser Grundlage entwickelte eigene Lösungsmodell vorgestellt. Schließlich wird dieser Ansatz unter C. auf alle denkbaren Konkurrenzen zwischen den in dieser Arbeit untersuchten Arbeitsausfallgründen angewendet.

1842

Vgl. dazu noch unten § 9 B.III.5. Vgl. zu möglichen künftigen gesetzlichen Regelungen im Sinne eines Hierarchieprinzips den Gesetzentwurf unter § 11. 1843

376

3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

A. Konkurrenzen als Wertungsfrage Aus den vorstehenden Überlegungen unter § 8 lassen sich zwei Erkenntnisse für die Entwicklung eines eigenen Lösungsansatzes in besonderem Maße fruchtbar machen. Erstens lässt die differenzierte Struktur des Entgeltfortzahlungsrechts die Entwicklung eines überzeugenden einheitlichen Lösungsansatzes nicht zu. Damit vertieft sich nochmals der Eindruck, der bereits im Rahmen der Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts im zweiten Teil dieser Arbeit entstanden ist: Ein in sich stimmiges „System der Entgeltfortzahlung“ gibt es im deutschen Arbeitsrecht nicht. Zu verschieden sind insbesondere die Zwecke, die der Gesetzgeber mit den diversen Entgeltfortzahlungstatbeständen und Ausschlussgründen verfolgt. Daneben haben sich aber auch Tatbestandsstruktur und Rechtsfolgen als weitgehend uneinheitlich erwiesen. Konsequenz dessen muss sein, anstelle eines allumfassenden Lösungsansatzes für alle Konkurrenzen jede Kollisionskonstellation einer Einzelfallbetrachtung zu unterwerfen. Diese Herangehensweise praktiziert wie erwähnt1844 im Grundsatz auch die Rechtsprechung. Allerdings wendet das BAG teilweise auch kollisionsübergreifende Prinzipien an, worin ihm – wie erörtert – aus verschiedenen Gründen nicht zu folgen ist.1845 Zweitens hat die kritische Würdigung der diversen einheitlichen Lösungsansätze gezeigt, dass sich die Konkurrenzfrage in der Entgeltfortzahlung allein gestützt auf Kausalitätserwägungen nicht lösen lässt. Zwar handelt es sich bei konkurrierenden Verhinderungsgründen zunächst immer um ein Kausalitätsproblem, nämlich das Problem alternativer Kausalität. Dieses aber lässt sich leicht überwinden, wenn man mit der oben dargestellten und in der gesamten Rechtswissenschaft überwiegenden Ansicht annimmt, dass in diesen Fällen beide Umstände als gleichermaßen kausal für den Erfolg anzusehen sind. Wendet man die allgemeinen und auch im Entgeltfortzahlungsrecht gültigen Kausalitätsregeln an, gelangt man bei konkurrierenden Ausfallgründen zu dem Ergebnis, dass beide den Arbeitsausfall hervorgerufen haben. Ansätze in Literatur und Rechtsprechung, von diesem Grundsatz der Gleichwertigkeit mehrerer Gründe für einen Arbeitsausfall abzuweichen, überzeugen nicht.1846 Beließe man es bei diesem ausschließlich anhand von Kausalitätserwägungen ermittelten Resultat, müsste es bei konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbeständen konsequenterweise zu einer Doppelvergütung des Arbeitnehmers kommen, da die Voraussetzungen beider Tatbestände erfüllt sind.1847 Dieser Lösung ist in1844

Vgl. oben § 8 A. Vgl. hierzu oben § 8 A.I. bis III. 1846 Vgl. hierzu ausführlich oben § 8 A.III. sowie § 8 D.I. 1847 Dementsprechend behielte der Arbeitnehmer seinen (einfachen) Vergütungsanspruch in Fällen, in denen ein Entgeltfortzahlungstatbestand und ein Ausschlussgrund konkurrieren. 1845

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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des nicht zu folgen. Eine derartige Addition aller in Betracht kommenden Ansprüche wurde bereits oben1848 abgelehnt. Es widerspräche dem Kompensationsprinzip als Grundlage der meisten Entgeltfortzahlungstatbestände, wenn ein nicht arbeitender Arbeitnehmer eine zweifache Vergütung und damit unter Umständen deutlich mehr erhielte als ein arbeitender Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer stünde durch die Nichtleistung erheblich besser als im Falle der Leistung. Es käme somit zu einem nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch. Um eine solche Doppelvergütung zu vermeiden, muss unter den konkurrierenden Ausfallgründen ein Vorrangverhältnis ermittelt werden. „Ob“ und Höhe der Vergütung bestimmen sich dann allein nach dem vorrangigen Ausfallgrund. Dabei ist noch einmal hervorzuheben, dass Kausalitätserwägungen hierbei keine Rolle spielen können. Daher verbleibt nur die Möglichkeit, Konkurrenzen auf der Wertungsebene zu entscheiden.1849 Die an einem Konkurrenzverhältnis beteiligten Ausfallgründe sind zunächst im Hinblick auf die hinter ihnen stehenden gesetzlichen Wertungen und insbesondere die Normzwecke zu untersuchen. Anhand dieser Wertungen ist sodann das Vorrangverhältnis zu ermitteln. In einigen Fällen lassen sich auf diese Weise eindeutige Ergebnisse erzielen. Das ist der Fall, wenn es den Wertungen beider Ausfallgründe entspricht, einem der beiden den Vorrang einzuräumen. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn zwei Entgeltfortzahlungstatbestände A und B kollidieren und Tatbestand A seinem Sinn nach subsidiär gegenüber anderen Tatbeständen sein soll, während Tatbestand B im Interesse eines besonders weitgehenden Arbeitnehmerschutzes ein hohe Vergütung gewährleistet und seinem Zweck nach gegenüber konkurrierenden Tatbeständen, die nur eine niedrigere Vergütung vorsehen, vorrangig sein sollte. In dieser Konstellation entspricht es den Wertungen beider Tatbestände, Tatbestand B anzuwenden und Tatbestand A zurücktreten zu lassen. Wie noch näher zu zeigen sein wird, ist zum Beispiel das Verhältnis von vorübergehender Verhinderung (§ 616 S. 1 BGB) und dem Entfernungsrecht des Arbeitnehmers aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG in dieser Weise aufzulösen.1850 Andere Fälle hingegen liegen weniger eindeutig, da sich die hinter den Tatbeständen stehenden Wertungen widersprechen. Dabei lassen sich zwei Fallgruppen 1848

Vgl. oben § 8 C. Vgl. Erman-Belling § 616 Rn. 37 a. E. sowie jüngst Gräf/Rögele NZA 2013, S. 1120, 1121. Im Ergebnis weist auch der Ansatz von Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 100 ff. Ähnlichkeiten zu der hier vertretenen Lösung auf. Zwar qualifiziert Gutzeit – anders als hier vertreten – multiple Verhinderungsgründe nicht als Kausalitäts-, sondern als Zurechnungsproblem. Die Auflösung von Konkurrenzen erfolgt aber auch bei ihm letztlich unter Berücksichtigung gesetzlicher Wertungen (insbesondere der des heutigen § 326 Abs. 1 S. 1 BGB, vgl. Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 105); vgl. ferner StaudingerOetker § 616 Rn. 89, der eine Entscheidung nach Wertungsgesichtspunkten für solche Konstellationen vorschlägt, in denen das von ihm grundsätzlich favorisierte Prioritätsprinzip (vgl. dazu unten § 8 D.) versagt. 1850 Vgl. hierzu unten § 9 C.IV.3.a)aa). 1849

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

unterscheiden. In der ersten Fallgruppe konkurrieren Tatbestände miteinander, die beide für sich genommen „stark“ sind und daher im Vergleich zu konkurrierenden Tatbeständen den Vorrang beanspruchen. Ein Beispiel hierfür ist das Verhältnis des Anspruchs auf bezahlte Freistellung für Untersuchungen im Rahmen der Schwangerschaft (§ 16 S. 3 MuSchG) zu dem Entfernungsrecht des Arbeitnehmers gemäß § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG.1851 Beide Ansprüche beruhen auf europarechtlichen Vorgaben und bezwecken und gewährleisten ein hohes Schutzniveau. In einem derartigen Fall muss sich der Tatbestand mit dem weitergehenden Schutzzweck durchsetzen, da beide Tatbestände dem Arbeitnehmerschutz dienen und ein möglichst weitgehender Schutz ihren Zielen am besten entspricht. Die zweite Fallgruppe erfasst spiegelbildlich die Konstellation, dass die beteiligten Tatbestände eigentlich gegenüber konkurrierenden Tatbeständen subsidiär sind. Nach der Wertung von Tatbestand A sollte also Tatbestand B anwendbar sein, nach der Wertung von Tatbestand B hingegen Tatbestand A. Eine solche Situation entsteht zum Beispiel beim Zusammentreffen von bezahlter Freistellung für Stillzeit nach § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG mit dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers (§ 615 S. 3 BGB).1852 Das Vorrangverhältnis richtet sich hier danach, welchem Subsidiaritätselement nach der Wertung des Gesetzes größeres Gewicht zukommen soll. Dann setzt sich der jeweils andere Tatbestand durch.

B. Dreistufiger Ansatz Wie die bisherige Untersuchung gezeigt hat, gestaltet es sich sehr schwierig, ein übergeordnetes Prinzip zu entwickeln, mit dessen Hilfe sich alle denkbaren Konkurrenzen im Entgeltfortzahlungsrecht auflösen lassen. Aufgrund der unterschiedlichen Strukturen vieler Tatbestände sowie der Tatsache, dass der Gesetzgeber zumindest bei vielen Ausfallgründen die Möglichkeit von Konkurrenzen nicht bedacht hat, müssen häufig Wertungsgesichtspunkte für die Ermittlung des Vorrangverhältnisses einer Konkurrenz den Ausschlag geben. Aus diesen Gründen kommt man nicht daran vorbei, jeden denkbaren Fall von Doppelkausalität differenziert und im Wege einer Einzelfallbetrachtung zu entscheiden. Der Grundsatz, dass Konkurrenzen nach Wertungsgesichtspunkten aufzulösen sind, ist aber in zweifacher Hinsicht einzuschränken: Zum einen ist eine Entscheidung über das Konkurrenzverhältnis nur erforderlich, sofern tatsächlich zwei Ausfallgründe gleichzeitig einschlägig sind. Ist das nicht der Fall, liegt gar keine auflösungsbedürftige Konkurrenz vor. Zum anderen ist eine Entscheidung nach Wertungsgesichtspunkten dann entbehrlich, wenn das betreffende Konkurrenzverhältnis gesetzlich geregelt ist. 1851 1852

Vgl. hierzu im Einzelnen unten § 9 C.VIII.3.b)bb). Vgl. hierzu im Einzelnen unten § 9 C.IX.3.b)aa).

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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Diese Aspekte können am besten berücksichtigt werden, wenn sie in ein dreistufiges System integriert werden. Ein solcher Ansatz ermöglicht es dem Rechtsanwender, die Lösung einer Konkurrenz im Entgeltfortzahlungsrecht in drei Schritten zu erarbeiten (sogenannter dreistufiger Ansatz). Im Folgenden wird unter I. zunächst der Aufbau dieses Ansatzes näher erläutert. Danach wird unter II. näher dargelegt, wie ein besonderes Problem von Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung zu behandeln ist, nämlich die Frage, ob hypothetische Kausalverläufe zu berücksichtigen sind. Wie dabei näher gezeigt wird, kann dieser Punkt auf der ersten Ebene des dreistufigen Ansatzes relevant sein. Schließlich werden unter III. abstrakt für jeden Ausfallgrund Aspekte herausgearbeitet, die für die Beurteilung von Konkurrenzen unter Beteiligung dieses Ausfallgrundes bedeutsam sein können. Dabei werden insbesondere Wertungsgesichtspunkte thematisiert, mit deren Hilfe Konkurrenzen auf der dritten Ebene des dreistufigen Ansatzes aufgelöst werden können. I. Aufbau des dreistufigen Ansatzes 1. Erste Stufe: Lösung auf Tatbestandsebene Konkurrieren vermeintlich zwei Entgeltfortzahlungstatbestände miteinander oder konkurriert ein Entgeltfortzahlungstatbestand mit einem Ausschlussgrund, muss zunächst in einem ersten Schritt überprüft werden, ob tatsächlich beide Verhinderungsgründe tatbestandlich einschlägig sind. Andernfalls liegt schon keine auflösungsbedürftige Konkurrenz vor. Eine derartige Lösung auf Tatbestandsebene bietet sich in zwei unterschiedlichen Typen von Konstellationen an. Zum einen gibt es Entgeltfortzahlungstatbestände, die zueinander in einem Exklusivitätsverhältnis stehen, so dass eine Konkurrenz zwischen ihnen ausgeschlossen ist. Beispielsweise ist Voraussetzung für den Annahmeverzug des Arbeitgebers im Sinne des § 615 S. 1 BGB die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers.1853 Ist der Arbeitnehmer aber arbeitsunfähig erkrankt, fehlt es eben daran. Deswegen kann der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug versetzen. Somit ist in dieser Konstellation einzig die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall anzuwenden.1854 Zum anderen existieren Ausfallgründe, die zwar zueinander nicht vollständig in einem Exklusivitätsverhältnis stehen und die daher grundsätzlich gleichzeitig einschlägig sein können, bei denen aber im Einzelfall sehr genau zu prüfen ist, ob in einem konkreten Fall tatsächlich die jeweiligen Voraussetzungen beider Ausfallgründe vorliegen. Ein Beispiel ist das Zusammentreffen der Beteiligung des Arbeitnehmers an einem rechtmäßigen Streik mit einem Feiertag. Der Arbeit1853 1854

Siehe dazu oben § 5 H.III.2. Vgl. dazu im Einzelnen noch unten § 9 C.II.1.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

nehmer verliert seinen Vergütungsanspruch infolge eines Streiks nach richtiger Auffassung nur, wenn er eine Teilnahmeerklärung abgegeben hat.1855 Wenn ein Feiertag in den Streikzeitraum fällt, ist zu überprüfen, ob der betreffende Arbeitnehmer auch für diesen Tag seine Teilnahme wirksam erklärt hat. Erklärt der Arbeitnehmer konkludent oder ausdrücklich, an dem Feiertag nicht streiken zu wollen, besteht an diesem Tag auch keine Konkurrenz zwischen Feiertag und Streik.1856 Zum Zuge kommt dann einzig die Feiertagsvergütung. Liegt hingegen eine Streikteilnahmeerklärung vor, sind tatbestandlich Feiertag und Streik einschlägig, so dass eine Lösung auf Tatbestandsebene ausscheidet. Gelangt man nach Prüfung dieser ersten Ebene zu dem Ergebnis, dass beide Ausfallgründe tatbestandlich einschlägig sind, ist die Konkurrenzfrage noch nicht gelöst. Die Prüfung ist dann auf der zweiten Stufe fortzusetzen. 2. Zweite Stufe: Lösung durch spezialgesetzliche Regelung oder Vereinbarung Ist es nicht möglich, eine konkrete Konkurrenz bereits auf Tatbestandsebene aufzulösen, muss auf der zweiten Stufe geprüft werden, ob eine wirksame Regelung existiert, die das Verhältnis der beiden Ausfallgründe zueinander erfasst. In Betracht kommen zum einen spezifische gesetzliche Konkurrenzregeln. Zu denken ist dabei zum Beispiel an § 9 BUrlG für das Verhältnis von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Erholungsurlaub oder an § 4 Abs. 2 EFZG für das Verhältnis von Feiertag und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Zum anderen sind auf dieser Ebene gegebenenfalls existierende wirksame kollektiv- oder individualvertragliche Vereinbarungen über das Verhältnis verschiedener Ausfallgründe zueinander zu berücksichtigen. Denkbar ist auch, dass durch derartige Vereinbarungen Regelungen getroffen werden, die von spezialgesetzlichen Konkurrenzregeln abweichen. Eine solche vertragliche Abweichung ist indes nur zulässig, soweit die gesetzlichen Regelungen abdingbar sind. Widersprechen sich eine gesetzliche Konkurrenzregel und eine vertragliche Vereinbarung, richtet sich der Vorrang danach, ob die gesetzliche Regelung abdingbar ist (dann Vorrang der Vereinbarung) oder nicht (dann Vorrang des Gesetzes). Beispielsweise darf gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG von § 9 BUrlG zuungunsten des Arbeitnehmers nur durch Tarifvertrag, im Übrigen aber auch einzelvertraglich abgewichen werden.1857

1855

Siehe dazu oben § 6 B.I.1.a)ii). Unterbricht der Arbeitnehmer seinen Streik tatsächlich lediglich für einen einzigen Tag, bei dem es sich um einen Feiertag handelt, kann man ihm allerdings die Berufung hierauf als rechtsmissbräuchlich gemäß § 242 BGB verwehren, vgl. dazu noch unten § 9 C.III.3.a)dd). 1857 Vgl. HK-BUrlG-Oppermann § 9 BUrlG Rn. 31. 1856

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381

3. Dritte Stufe: Normspezifische Einzelfallbetrachtung Fehlen gesetzliche oder wirksam vertraglich vereinbarte Konkurrenzregeln, muss das Vorrangverhältnis auf einer dritten Stufe unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertungen ermittelt werden, die hinter den konkurrierenden Ausfallgründen stehen. Diese Frage kann jeweils nur spezifisch für ein bestimmtes Konkurrenzverhältnis beantwortet werden. Dabei spielt insbesondere eine Rolle, durch welche Lösung die Zwecke der zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen am besten verwirklicht werden.1858 Insoweit kann auch eine differenzierende Lösung dahingehend geboten sein, dass nicht dem einen Ausfallgrund ein absoluter Vorrang vor dem anderen eingeräumt wird, sondern sich das Vorrangverhältnis differenzierend in Abhängigkeit von weiteren Faktoren bestimmt.1859 Derartige Wertungsgesichtspunkte können, abhängig von den an einer Konkurrenz beteiligten Tatbeständen, ganz unterschiedlicher Natur sein. Insoweit können auf Grundlage der Ergebnisse der Analyse aller untersuchten Ausfallgründe im zweiten Teil der Arbeit bei jedem Ausfallgrund spezifische Aspekte identifiziert werden, die dessen Verhältnis zu anderen Ausfallgründen kennzeichnen. Solche Aspekte werden im Folgenden für jeden Ausfallgrund einzeln herausgearbeitet.1860 An dieser Stelle seien jedoch bereits einige Beispiele genannt, um die Funktionsweise des hier vertretenen Ansatzes zu illustrieren: Einige Entgeltfortzahlungstatbestände erweisen sich aus unterschiedlichen Gründen als subsidiär gegenüber konkurrierenden Tatbeständen (so etwa § 616 S. 1 BGB, § 14 Abs. 1 ArbPlSchG, § 14 S. 1 AGG, § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG sowie § 615 S. 3 BGB). Im Hinblick auf die Entgeltfortzahlungstatbestände des BetrVG ist die Wertung von § 78 S. 2 BetrVG zu beachten, woraus sich ebenfalls die Subsidiarität dieser Tatbestände ergibt. Anderen Tatbeständen hingegen kommt aufgrund ihres europarechtlichen Hintergrunds eine besonders starke Stellung zu, beispielsweise dem Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG sowie dem bezahlten Erholungsurlaub im Sinne des § 1 BUrlG. Bei Konkurrenzen unter Beteiligung des bezahlten Erholungsurlaubs ist zudem zu berücksichtigen, ob im Kollisionszeitraum der Erholungszweck des Urlaubs gewahrt wurde. Nur dann kann sich der Urlaub durchsetzen. Spielt bei einer Konkurrenz ein Arbeitskampf eine Rolle, müssen bei der Ermittlung des Vorrangverhältnisses mögliche Störungen der Kampfparität zwischen den Arbeitskampfparteien bedacht werden. Daher dürfen bei Arbeitsausfällen, die auf Arbeitskämpfen beruhen, häufig konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände nicht angewendet werden.

1858 1859 1860

Vgl. auch Gloistein Betriebsrat, S. 97. Vgl. zu der damit einhergehenden Problematik bereits oben § 8 G. Vgl. dazu unten § 9 B.III.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

II. Behandlung hypothetischer Kausalverläufe 1. Bedeutung Auf der ersten Stufe des dreistufigen Ansatzes, der Tatbestandsebene, kann ein besonderes Problem bedeutsam werden, nämlich die Behandlung hypothetischer Kausalverläufe. Konkret geht es um folgende Frage: Liegt eine Kollision zweier Ausfallgründe nur dann vor, wenn beide Ausfallgründe tatsächlich tatbestandlich einschlägig sind? Oder genügt es, wenn nur ein Ausfallgrund einschlägig ist, während die Voraussetzungen eines anderen tatsächlich nicht vorliegen, aber vorlägen, wenn der erste Verhinderungsgrund nicht eingriffe? Ein Beispiel für eine solche Konstellation ist ein Sachverhalt, der einer Entscheidung des BAG1861 zugrunde lag: Eine Arbeitnehmerin erkrankte arbeitsunfähig, kurz nachdem sie von ihrem Kind entbunden worden war. Währenddessen erklärte sie gegenüber dem Arbeitgeber, sie wolle Elternzeit (damals: Mutterschaftsurlaub) ab dem Zeitpunkt nehmen, ab dem sie nicht mehr arbeitsunfähig erkrankt sei.1862 In dieser Konstellation ist fraglich, ob eine auflösungsbedürftige Konkurrenz zwischen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Elternzeit für die Zeit zwischen der Erklärung und dem Ende der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vorlag. In diesem Zeitraum war ein Tatbestand unstrittig einschlägig, nämlich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Voraussetzungen der Elternzeit hingegen waren eigentlich mangels entsprechender Erklärung der Arbeitnehmerin während dieser Periode nicht gegeben. Man könnte aber im Wege einer hypothetischen Betrachtung darauf abstellen, dass die Mutter sich in Elternzeit befunden hätte, wenn sie nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen wäre. Es kommt also für die Entscheidung des Falles zunächst darauf an, ob hypothetische Kausalverläufe zu berücksichtigen sind oder nicht. Bejaht man diese Frage, liegt tatbestandlich eine Kollision vor, und es ist weiterhin (auf der zweiten und dritten Ebene des dreistufigen Ansatzes) zu klären, zugunsten welchen Ausfallgrunds die entstandene Konkurrenz aufzulösen ist.1863 Hypothetische Kausalverläufe können in vielen weiteren denkbaren Kollisionskonstellationen relevant werden. Insbesondere im Zusammenhang mit einem

1861

BAG 17.10.1990 – 5 AZR 10/90, AP Nr. 4 zu § 15 BErzGG. Die Klägerin unterlag zudem zunächst dem Beschäftigungsverbot aus § 6 Abs. 1 MuSchG. Diese Schutzfrist endete während ihrer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, aber vor dem Zeitpunkt, ab dem die Klägerin Elternzeit in Anspruch nehmen wollte. Daher kam eine Kollision mit §§ 13, 14 MuSchG von vornherein nicht in Betracht. 1863 Im Beispielsfall entschied das BAG, dass die hypothetische Kausalität unbeachtlich sei. Daher stellte sich diese Frage nicht mehr. 1862

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Streik beschäftigt dieses Problem immer wieder die Gerichte.1864 Dabei ist häufig zu entscheiden, ob auch dann eine Konkurrenz zwischen dem (rechtmäßigen) Streik und einem weiteren Verhinderungsgrund vorliegt, wenn der Arbeitnehmer seine Teilnahme an dem Streik nicht erklärt hat, er sich aber am Streik beteiligt hätte, wenn es den anderen Verhinderungsgrund nicht gegeben hätte. 2. Meinungsstand a) Hypothetische Kausalverläufe in der Judikatur des BAG Die Rechtsprechung hat sich im Laufe der Zeit in einer Reihe von Entscheidungen mit dieser Problematik auseinandersetzen müssen. Dabei zeichnet sich ein uneinheitliches Bild ab. Eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, die die Frage der Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe grundsätzlich für alle denkbaren Fälle von Doppelkausalität im Entgeltfortzahlungsrecht klärt, existiert nicht. Es sind lediglich vereinzelte Entscheidungen zu verschiedenen Konstellationen ergangen. Dabei verfolgt das BAG zwar keine ganz eindeutige Linie, plädiert aber überwiegend für die Unbeachtlichkeit hypothetischer Kausalverläufe.1865 aa) Nichtberücksichtigung In dem oben als Beispiel für die Relevanz hypothetischer Kausalverläufe angeführten Fall, in dem eine Arbeitnehmerin den Beginn der Elternzeit vom Ende ihrer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit abhängig gemacht hatte, entschied sich das BAG gegen eine Berücksichtigung: Es sei unbeachtlich, dass die Arbeitnehmerin ihren Mutterschutzurlaub früher angetreten hätte, wenn sie nicht arbeitsunfähig erkrankt wäre.1866 Die Begründung fällt sehr knapp aus: Es wird lediglich darauf verwiesen, im relevanten Zeitraum sei die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die einzige Ursache für den Arbeitsausfall gewesen. Damit wird der Grundsatz der Monokausalität angesprochen, der aber – wie bereits dargelegt worden ist – abgelehnt werden muss.1867 Diese Linie verfolgte das BAG auch in einer Reihe weiterer Entscheidungen: 1982 urteilte es, ein im Erholungsurlaub befindlicher Arbeitnehmer verliere seinen Anspruch auf Urlaubsentgelt nicht aufgrund eines Streiks in seinem Betrieb, 1864 Vgl. hierzu exemplarisch BAG 9.2.1982 – 1 AZR 567/79, AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG; BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90 AP Nr. 114 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91, AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1865 Diesen Eindruck gewinnen auch Belling/Hartmann ZfA 1994, S. 519, 525; demgegenüber erkennt Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 126, offenbar keine Tendenz und spricht von „zufälliger Rechtsprechung“. 1866 BAG 17.10.1990 – 5 AZR 10/90, AP Nr. 4 zu § 15 BErzGG. 1867 Vgl. oben § 8 A.I.2.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

solange er sich an diesem Streik nicht beteilige.1868 Ohne es ausdrücklich hervorzuheben und zu begründen, hielt das BAG offenbar die Frage für unbeachtlich, ob der Arbeitnehmer gestreikt hätte, wenn er nicht geurlaubt hätte. Über einen anderen Sachverhalt hatte das BAG im Jahre 1991 zu befinden:1869 Eine gewerkschaftsangehörige Arbeitnehmerin war während ihres Erholungsurlaubs arbeitsunfähig erkrankt. Während der Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit (und auch noch darüber hinaus) wurde ihr Betrieb bestreikt. Die Arbeitnehmerin hatte nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz keine Streikteilnahmeerklärung abgegeben und begehrte für den fraglichen Zeitraum die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Das BAG gab ihrem Begehren statt. Es sei unbeachtlich, dass die Arbeitnehmerin möglicherweise gestreikt hätte, wenn sie nicht arbeitsunfähig erkrankt wäre.1870 Eine nähere Begründung erfolgte nicht. Ebenfalls gegen die Beachtlichkeit hypothetischer Kausalverläufe sprach sich das BAG in einer weiteren Entscheidung aus dem Jahre 1991 aus. Darin ging es um den Entgeltanspruch eines Betriebsratsmitglieds, das eine Schulung im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG besuchte, während der Betrieb bestreikt wurde.1871 Auch in diesem Fall sei es für den Entgeltanspruch aus § 37 Abs. 6 i.V. m. Abs. 2 BetrVG irrelevant, ob der Arbeitnehmer gestreikt hätte, wenn er nicht an der Schulung teilgenommen hätte.1872 Wiederum sucht man eine nähere Begründung vergebens. bb) Berücksichtigung In anderen Entscheidungen sprach sich das BAG demgegenüber für die Beachtlichkeit von hypothetischen Kausalverläufen aus, ohne sich ausdrücklich von den eben angeführten anderslautenden Entscheidungen zu distanzieren. Der Grund für die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung1873 ist darin zu sehen, dass sich die Urteile mit unterschiedlichen Kollisionskonstellationen befassen.1874 1868

BAG 9.2.1982 – 1 AZR 567/79, AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG. BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91, AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1870 BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91, AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1871 BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90, AP Nr. 114 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1872 BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90, AP Nr. 114 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1873 Vgl. Belling/Hartmann ZfA 1994, S. 519, 523–526; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 125–130. 1874 Dafür sprechen auch die Ausführungen des BAG im Urteil 26.6.1996 – 5 AZR 872/94, AP Nr. 2 zu § 3 EFZG. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um die Kollision einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit mit einem Beschäftigungsverbot nach § 19 Abs. 1 AFG. Der erkennende Senat wies darauf hin, dass sich die Gerichte für Arbeitssachen bisher nicht mit der Frage befasst hätten, inwieweit sich ein Beschäftigungsverbot nach § 19 Abs. 1AFG auf die Alleinursächlichkeit einer zeitgleichen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auswirke. Daran zeigt sich, dass der Senat die Frage der hypothetischen Kausalität lediglich als spezifisches Problem dieser konkreten Kolli1869

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Das BAG erachtete es offenbar nicht für notwendig, das Problem hypothetischer Kausalverläufe im Entgeltfortzahlungsrecht einheitlich zu handhaben. Eine frühe Entscheidungen des BAG, in der es die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe bejahte, stammt aus dem Jahre 1959.1875 Darin ging es um die Ansprüche mehrerer Arbeitnehmer auf Feiertagsvergütung. Der Arbeitgeber weigerte sich, zu zahlen, da an dem betreffenden Feiertag schlechtes Wetter geherrscht hatte. Bei Schlechtwetter wäre der Arbeitgeber nach dem damals geltenden Rahmentarifvertrag Bau berechtigt gewesen, die Arbeit ohne Vergütungszahlung durch eine entsprechende Willenserklärung einstellen zu lassen. Eine solche Erklärung hatte der Arbeitgeber aber aufgrund des Feiertags unterlassen. Das BAG sprach sich dafür aus, dass ein hypothetischer Arbeitsausfall aufgrund des schlechten Wetters zu berücksichtigen sei.1876 Zur Begründung verwies es darauf, eine Erklärung, in der der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern eröffnete, die Arbeitnehmer könnten wegen Schlechtwetters nicht arbeiten, sei sinnlos gewesen, da die Arbeitnehmer von vornherein gewusst hätten, dass sie an den Feiertagen nicht arbeiteten.1877 Eine solche Erklärung laufe ins Leere, weil die Arbeitnehmer ohnehin bereits wegen des Feiertages nicht zur Arbeit erschienen und nicht arbeiteten.1878 Als weiteres Beispiel für die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe lässt sich ein Urteil des BAG aus dem Jahre 1996 anführen.1879 Eine Arbeitnehmerin mit befristeter Arbeitserlaubnis gemäß § 19 AFG war arbeitsunfähig erkrankt. Während der Erkrankung lief die Arbeitserlaubnis ab. Im Hinblick auf den folgenden Zeitraum stellte sich für das BAG die Frage, ob ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall mangels Monokausalität der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zu verneinen sei. Hierzu stellte das BAG fest, dass die Alleinursächlichkeit anhand eines hypothetischen Kausalverlaufs zu prüfen sei.1880 Es sei zu fragen, ob die Arbeitsleistung erbracht worden wäre, wenn der Arbeitnehmer nicht arbeitsunfähig krank gewesen wäre.1881 Zur Begründung führte das BAG aus, es komme nicht allein auf das tatsächliche Geschehen an, da ohne eine hypothetische Prüfung der alternativen Ursachen überhaupt nicht ermittelt werden könne, ob die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für das Nichtleisten der Arbeit sei.1882 sionskonstellation behandelte und nicht in dem weiteren Kontext des gesamten Entgeltfortzahlungsrechts. 1875 BAG 16.7.1959 – 1 AZR 582/57, BAGE 8, S. 80 ff. 1876 BAG 16.7.1959 – 1 AZR 582/57, BAGE 8, S. 80, 82 f. 1877 BAG 16.7.1959 – 1 AZR 582/57, BAGE 8, S. 80, 82 f. 1878 BAG 16.7.1959 – 1 AZR 582/57, BAGE 8, S. 80, 83. 1879 BAG 26.6.1996 – 5 AZR 872/94, AP Nr. 2 zu § 3 EFZG. 1880 BAG 26.6.1996 – 5 AZR 872/94, AP Nr. 2 zu § 3 EFZG zu II.1. der Gründe. 1881 BAG 26.6.1996 – 5 AZR 872/94, AP Nr. 2 zu § 3 EFZG zu II.1. der Gründe. 1882 BAG 26.6.1996 – 5 AZR 872/94, AP Nr. 2 zu § 3 EFZG zu II.1. der Gründe.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

b) Hypothetische Kausalverläufe im Schrifttum In der Literatur wird diese Thematik eher selten ausführlich diskutiert.1883 Einige Stimmen sprechen sich grundsätzlich für eine Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe aus.1884 Die überwiegende Auffassung im Schrifttum hingegen will hypothetische Kausalverläufe außer Betracht lassen.1885 Wiederum andere Autoren differenzieren nach verschiedenen Kriterien.1886 3. Unbeachtlichkeit Die Frage nach der Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe wurde bereits oben im Zusammenhang mit dem Erfordernis einer Teilnahmeerklärung des Arbeitnehmers am rechtmäßigen Streik behandelt. Dort wurde sie dahingehend beantwortet, dass hypothetische Kausalverläufe außer Betracht bleiben müssen.1887 Die dafür maßgeblichen Gesichtspunkte lassen sich weitgehend verallgemeinern und sprechen dafür, auch in anderen denkbaren Konstellationen hypothetische Kausalverläufe nicht zu berücksichtigen.1888 Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Hervorzuheben ist aber noch einmal, dass die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe insbesondere bei solchen Arbeitsausfallgründen zu Unbilligkeiten führte, die vom Willen des Arbeitneh-

1883

Auch Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 129, hält Beiträge zu diesem Thema für rar. MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 78; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 134–140; Schaub-Koch ArbR-Hdb. (13. Auflage) § 194 Rn. 10 f.; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 22; Zöllner/Loritz/Hergenröder Arbeitsrecht, S. 440; wohl auch Färber/ Klischan Rn. 72. Vgl. für die Instanzrechtsprechung ferner LAG München 28.6.2012 – 4 Sa 33/12 (unveröffentlicht). 1885 MünchArbR-Boewer (2. Auflage) § 81 Rn. 18 (wohl ebenso 3. Auflage § 71 Rn. 7); Däubler Arbeitskampfrecht-Colneric (2. Auflage) Rn. 656; Geyer/Knorr/Krasney § 3 EFZG Rn. 36; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 55; derselbe Anmerkung zu BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90, SAE 1991, S. 347, 349 f.; Henssler/Willemsen/KalbKrause § 616 BGB Rn. 36; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 5; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 15; Seiter Streikrecht, S. 300; Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 195 Rn. 13; wohl auch Brox/Rüthers ArbeitskampfrechtBrox Rn. 288; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 59; vgl. ferner Lange/Schiemann Schadensersatz, S. 197, die sich dafür aussprechen, die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe auf das Schadensersatzrecht zu beschränken. 1886 Für eine Differenzierung unter anderem nach der Berechnungsmethode Belling/ Hartmann ZfA 1994, S. 519, 526 ff. Demgegenüber stellt Reinecke DB 1991, S. 1168, 1173 f. darauf ab, ob es um eine hypothetische Willenserklärung (soll nicht zu berücksichtigen sein) oder um ein hypothetisches tatsächliches Geschehen geht (soll zu berücksichtigen sein). Vgl. ferner Buchner DB 1966, S. 110, 110 f. 1887 Siehe oben § 6 B.I.1.a)ii). 1888 So auch die überwiegende Meinung, vgl. Staudinger-Oetker § 616 Rn. 229; MüKoBGB-Müller-Glöge § 3 EFZG Rn. 18; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 59; zum Verhältnis Arbeitskampf/krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vgl. BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91, AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 1884

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mers abhängen. Man verwehrte es dem Arbeitnehmer, bestimmte Rechtsfolgen zu verhindern, über deren Eintritt er frei entscheiden können muss. Berücksichtigte man hypothetische Kausalverläufe im oben angeführten Beispiel der Arbeitnehmerin, die vor dem angestrebten Beginn der Elternzeit arbeitsunfähig erkrankt war, zwänge man der Arbeitnehmerin die Elternzeit zu einem Zeitpunkt auf, zu dem sie ihn nicht gewollt hat. Das Gesetz billigt der Mutter die Freiheit zu, sich zu entscheiden, ob und zu welchem Zeitpunkt sie Elternzeit nehmen möchte. Diese Freiheit würde durch die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe in nicht hinnehmbarer Weise eingeschränkt. Damit ist festzuhalten, dass hypothetische Kausalverläufe im Entgeltfortzahlungsrecht generell außer Betracht bleiben müssen. Dieses Ergebnis ist im Folgenden bei der Untersuchung einzelner Kollisionskonstellationen jeweils insbesondere auf der Tatbestandsebene (erste Stufe) bedeutsam. Eine Kollision zweier Tatbestände ist nach dem eben Gesagten nur denkbar, wenn beide Normen tatbestandlich tatsächlich einschlägig sind. Es genügt nicht, dass einer der beiden Tatbestände nur aufgrund des anderen nicht zum Zuge gekommen ist. III. Konkurrenzrelevante Aspekte der einzelnen Ausfallgründe Bevor im Folgenden unter C. alle denkbaren Konkurrenzen zwischen den in dieser Arbeit untersuchten Ausfallgründen erörtert werden, werden vorab für jeden Ausfallgrund isoliert diejenigen Gesichtspunkte herausgearbeitet, die für das Verhältnis dieses Ausfallgrunds zu konkurrierenden Ausfallgründen bedeutsam sein können. Dabei wird maßgeblich auf die Erkenntnisse zurückgegriffen, die im zweiten Teil der Arbeit im Rahmen der Analyse des Entgeltfortzahlungsrechts gewonnen wurden. Der Fokus liegt insbesondere auf den Normzwecken der einzelnen Ausfallgründe, die auf der dritten Ebene des dreistufigen Ansatzes relevant werden. Daneben werden aber auch Aspekte berücksichtigt, die für die Tatbestandsebene (erste Stufe) wichtig sein können. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass die folgenden Ausführungen zu den jeweiligen konkurrenzrelevanten Merkmalen eines Ausfallgrunds nur einen Ausschnitt all jener Umstände wiedergeben können, die im Einzelfall bei der Bestimmung des Vorrangverhältnisses zu berücksichtigen sind. Dieser Ausschnitt bildet nur dasjenige ab, was aus der Perspektive des betreffenden Ausfallgrundes dazu beitragen kann, Konkurrenzen zu anderen Ausfallgründen aufzulösen. Da aber zu einer Kollision naturgemäß immer zwei Ausfallgründe gehören, wird die Auflösung der einzelnen Kollisionen immer auch erheblich von den Merkmalen des konkurrierenden Ausfallgrunds und dem Zusammenwirken der Merkmale beider Ausfallgründe bestimmt. Ferner können weitere Umstände bedeutsam werden, die nur bei einer einzigen Konkurrenz eine Rolle spielen und sich daher einer Generalisierung entziehen. Beispielsweise wird das Verhältnis der Entgeltfortzah-

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

lung im Krankheitsfall (§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) zum Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (§ 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) maßgeblich von der Wertung des inzwischen aufgehobenen § 1 Abs. 2 Nr. 3 LohnfortzahlungsG bestimmt.1889 Trotz dieser Schwierigkeiten einer abstrakten Betrachtung lässt sich anhand der konkurrenzrelevanten Aspekte eines Ausfallgrunds ablesen, ob dieser eher „schwach“ oder eher „stark“ einzuschätzen ist. „Schwache“ Ausfallgründe sind solche, die im Falle einer Konkurrenz mit anderen Ausfallgründen überwiegend zurücktreten. „Starke“ Ausfallgründe hingegen setzen sich in der Regel durch. Der Übersichtlichkeit halber werden die Ausfallgründe in der gleichen Reihenfolge untersucht wie im zweiten Teil der Arbeit. 1. Vergütungsanspruch bei alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für den Arbeitsausfall (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) Das Verhältnis von § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB zu anderen Ausfallgründen wird maßgeblich durch das Ergebnis bestimmt, das oben zur Frage nach dem Bezugspunkt der Arbeitgeberverantwortlichkeit im Falle alternativer Kausalität herausgearbeitet wurde.1890 Danach ist dieser Ausfallgrund tatbestandlich nur einschlägig, wenn der Arbeitgeber auch für den konkurrierenden Ausfallgrund wenigstens weit überwiegend verantwortlich ist. Hat der Arbeitgeber lediglich einen der beteiligten Ausfallgründe wenigstens weit überwiegend zu verantworten, greift § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB nicht ein. Es kommt also in diesem Fall nicht zu einer auflösungsbedürftigen Konkurrenz. Vielmehr greift allein der jeweils andere Tatbestand ein. Es kann somit in vielen Fällen eine Lösung auf der ersten Ebene des dreistufigen Ansatzes erzielt werden. Schon aus diesem Grund ist § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB ein verhältnismäßig „schwacher“ Tatbestand. Im Übrigen, das heißt soweit der Arbeitgeber für beide Ausfallgründe wenigstens weit überwiegend verantwortlich ist, sind auf der dritten Stufe die Zwecke der beteiligten Normen zu berücksichtigen. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, dass § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB eine Vorschrift des allgemeinen Schuldrechts ist, während es sich bei konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbeständen häufig um spezifisch arbeitsrechtliche Normen handelt, wie beispielsweise § 3 Abs. 1 EFZG oder § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG. Aus diesem Grund sind die konkurrierenden Ausfallgründe häufig besser auf die Verhältnisse und den Schutz von Arbeitnehmern zugeschnitten, so dass ihr Vorrang den Besonderheiten des Arbeitsrechts besser gerecht wird.

1889 1890

Vgl. dazu näher § 9 C.II.3.b)cc). Siehe oben § 5 B.III.3.c).

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2. Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 EFZG) Für das Verhältnis von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zu anderen Arbeitsausfallgründen spielen insbesondere zwei Aspekte eine Rolle, die auf der dritten Ebene bedeutsam sein können: Zum einen ist der Existenzsicherungszweck der Vorschrift hervorzuheben. Zum anderen fällt die Begrenzung der Entgeltfortzahlungspflicht auf sechs Wochen auf Rechtsfolgenseite ins Auge. Ausgangspunkt für die Beurteilung von Konkurrenzverhältnissen ist der Umstand, dass § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG als Arbeitnehmerschutzvorschrift Mindestanforderungen für den Entgeltschutz im Krankheitsfall aufstellt. Werden diese Erfordernisse auch durch einen konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbestand gewahrt, ist vom Standpunkt des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG nichts gegen einen Vorrang des konkurrierenden Tatbestands einzuwenden. Ein Ausschlussgrund hingegen kann das naturgemäß nicht sicherstellen. Daher können konkurrierende Ausschlussgründe ebenso wie solche Entgeltfortzahlungstatbestände, die nur eine geringere Vergütung vorsehen als § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG, nur vorrangig sein, wenn besondere Umstände das rechtfertigen. An dieser Stelle kann der zweite genannte Aspekt eine Rolle spielen, die Begrenzung der Entgeltfortzahlung auf sechs Wochen. Insoweit könnte für den Vorrang von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG sprechen, dass der Gesetzgeber einen Schutz für die Dauer von sechs Wochen für ausreichend erachtet, obwohl der Tatbestand vor allem auf Arbeitnehmerschutz- und Existenzsicherungserwägungen beruht. Man könnte annehmen, eine längere Unterstützung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber sei nach Auffassung des Gesetzgebers trotz der prekären Situation des Arbeitnehmers offenbar nicht erforderlich. Diese gesetzliche Wertung könnte sich auch in Konkurrenzen mit anderen Ausfallgründen niederschlagen: Soll die Entgeltfortzahlung zeitlich begrenzt sein, obwohl erkrankte Arbeitnehmer stark schutzbedürftig sind, muss – so die mögliche Überlegung – regelmäßig auch bei dem Zusammentreffen mit einem weiteren Ausfallgrund eine Vergütung für die maximal sechs Wochen als ausreichend angesehen werden. Eine längere Entgeltfortzahlung wäre danach nur angemessen, wenn in dem konkurrierenden Ausfallgrund besondere Umstände liegen, die das rechtfertigen oder sogar gebieten. Allerdings werden diese Erwägungen durch den spezifischen Zweck der Sechs-Wochen-Frist relativiert. Sie dient nämlich – wie geschildert – der Entlastung des Arbeitgebers zuungunsten der Krankenkassen, da nach ihrem Ablauf an den Arbeitnehmer Krankengeld gemäß § 44 SGB V zu zahlen ist.1891 Der Grund für die zeitliche Begrenzung liegt also nicht darin, dass der Gesetzgeber nach sechs Wochen Erkrankung kein Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers mehr anerkennt. Der Arbeitgeber soll vielmehr nur von der Entgeltfortzahlung im Krank1891

Vgl. oben § 5 C.II.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

heitsfall entlastet werden, nicht aber zwangsläufig zugleich auch von weiteren Verpflichtungen zur Vergütungszahlung. Dass andere Tatbestände im Gegensatz zu § 3 Abs.1 EFZG die Entgeltfortzahlung auf Rechtsfolgenseite gerade nicht zeitlich begrenzen, spricht daher abstrakt dafür, den Arbeitgeber bei einer Kollision nach dem konkurrierenden Tatbestand länger zur Entgeltfortzahlung zu verpflichten. Schließlich verwirklicht sich im Konkurrenzfall neben der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein weiteres Risiko des Arbeitgebers, von dem er gerade nicht nach sechs Wochen entlastet werden soll. Das gilt insbesondere, wenn eine Begrenzung auf sechs Wochen mit dem Zweck des konkurrierenden Ausfallgrunds unvereinbar wäre. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich § 3 Abs.1 EFZG gegen Ausfallgründe mit niedrigerem Schutzniveau häufig durchsetzt, während die Vorschrift im Verhältnis zu Tatbeständen, die eine hohe Vergütung gewährleisten, eher nachgibt. Beachtung verdient schließlich noch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Spende von Organen oder Geweben nach § 3a EFZG. Wie oben bereits erläutert worden ist, handelt es sich hierbei um einen verschuldensunabhängigen Anspruch, der eigenständig neben dem Anspruch gemäß § 3 Abs. 1 EFZG steht.1892 Aufgrund des systematischen Gleichlaufs beider Vorschriften kommt § 3a EFZG aber im Verhältnis zu kollidierenden Vorschriften stets das gleiche Gewicht zu wie § 3 Abs. 1 EFZG, so dass im Folgenden auf § 3a EFZG nicht gesondert eingegangen werden muss.1893 3. Anspruch auf Entgeltfortzahlung an Feiertagen (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) Untersucht man § 2 Abs. 1 EFZG im Hinblick auf sein abstraktes Gewicht im Verhältnis zu anderen Arbeitsausfallgründen, fällt dem Betrachter auf – dass ihm nichts Besonderes auffällt. Es handelt sich um das seltene Beispiel eines Entgeltfortzahlungstatbestands, der kaum von Elementen geprägt ist, die ihn im Verhältnis zu anderen Ausfallgründen mit einer besonders starken oder schwachen Position ausstatten. Die größte Bedeutung kommt noch auf der dritten Ebene der oben beschriebenen Existenzsicherungsfunktion zu.1894 Ein konkurrierender Tatbestand kann nur dann Vorrang vor § 2 Abs. 1 EFZG genießen, wenn die danach vorgesehene Vergütung einen angemessenen Ausgleich für das entgangene Arbeitsentgelt schafft. Die Höhe der Summe, die § 2 Abs. 1 EFZG vorsieht, muss dabei nicht zwingend erreicht werden. 1892

Vgl. oben § 5 C.III.3.c). Für den speziellen Fall einer Konkurrenz beider Vorschriften zueinander vgl. unten § 9 C.II.3.a)bb). 1894 Vgl. dazu oben § 5 D.II. 1893

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Daraus folgt, dass § 2 Abs. 1 EFZG im Verhältnis zu anderen Ausfallgründen weder ein besonders „starker“ noch ein „schwacher“ Tatbestand ist. Das Vorrangverhältnis im Einzelfall wird daher in erster Linie durch diejenigen Wertungen und Normzwecke bestimmt, die hinter dem jeweiligen konkurrierenden Tatbestand stehen. Handelt es sich bei der konkurrierenden Norm um einen „schwachen“ Tatbestand, ist § 2 Abs. 1 EFZG vorrangig. Trifft § 2 Abs. 1 EFZG dagegen mit einem „starken“ Tatbestand zusammen, die auch den Sicherungszweck des Feiertagsentgelts wahrt, setzt sich der konkurrierende Ausfallgrund durch. 4. Vergütungsanspruch bei vorübergehender Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB) Im Verhältnis zu konkurrierenden Ausfallgründen erlangt der Zweck des § 616 S. 1 BGB sehr große Bedeutung. Wie oben näher beschriebenen worden ist, bezweckt die Norm, die Existenzgrundlage des Arbeitnehmers zu sichern.1895 Daraus lässt sich ableiten, dass die Vorschrift nur angewendet werden soll, wenn andernfalls der Arbeitnehmer in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre. Der Tatbestand ist daher als „subsidiäre Generalklausel“1896 zu charakterisieren, die nur eingreift, wenn der Arbeitnehmer nicht schon aus anderen Gründen vergütet wird. Daher ist § 616 S. 1 BGB gegenüber anderen Tatbeständen grundsätzlich subsidiär. Nur in besonderen Ausnahmefällen ist es aufgrund entgegenstehender vorrangiger gesetzlicher Wertungen denkbar, dass sich § 616 S. 1 BGB gegen einen anderen Entgeltfortzahlungstatbestand durchsetzt. Die Vorschrift ist somit ein sogenannter „schwacher“ Tatbestand. 5. Anspruch auf Urlaubsentgelt (vgl. § 1 BUrlG) Für das Verhältnis des bezahlten Erholungsurlaubs zu anderen Arbeitsausfallgründen spielt vor allem der Erholungszweck des § 1 BUrlG und dessen europarechtlicher Hintergrund eine maßgebliche Rolle. Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG verpflichtet, sicherzustellen, dass jeder Arbeitnehmer einen Anspruch auf wenigstens vier Wochen bezahlten Erholungsurlaub erhält. Setzt sich der Urlaub in einem Konkurrenzverhältnis durch, ist diese Voraussetzung erfüllt, da der Arbeitnehmer dann Urlaubsentgelt im Sinne der §§ 1, 11 BUrlG erhält. Die Zeit einer Kollision des Erholungsurlaubs mit einem weiteren Arbeitsausfallgrund darf aber nur dann als Urlaub gewertet werden, wenn während dieser Zeit der Zweck des Erholungsurlaubs (die Verschaffung einer Möglichkeit zur selbstbestimmten Erholung1897) trotz des Hinzutretens eines anderen Ausfallgrunds noch erreicht wird. Andernfalls würde das deutsche Recht 1895 1896 1897

Vgl. dazu oben § 5 E.II. Treffende Formulierung von Otto Arbeitsrecht Rn. 544. Vgl. dazu oben § 5 F.II.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

den europarechtlichen Erfordernissen nicht gerecht, wie der EuGH in seinem Urteil Merino Gómez eindeutig und zutreffend zum Ausdruck gebracht hat.1898 Ist der Erholungszweck im Kollisionszeitraum nicht gewahrt, darf der Urlaub nicht vorrangig sein. Eine Anrechnung der betreffenden Zeit auf den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers kann nicht erfolgen. Vielmehr muss dem Arbeitnehmer weiterhin der ungekürzte Urlaubsanspruch zustehen. Nur auf diese Weise gewährleistet man eine europarechtskonforme Auflösung der betreffenden Konkurrenz. Durch eine Verpflichtung zur Nachgewährung wird der Arbeitgeber auch nicht unzumutbar belastet. Zum Zeitpunkt der Konkurrenz verwirklicht sich das Risiko, dem der Arbeitgeber aufgrund des konkurrierenden Tatbestands auch ausgesetzt wäre, wenn der Arbeitnehmer sich nicht im Urlaub befunden hätte. Die Verpflichtung, erneut Erholungsurlaub zu gewähren, ist für den Arbeitgeber nur eine Belastung, die er ohnehin nach dem BUrlG zu tragen hat.1899 Man kann davon sprechen, dass es sich bei dem bezahlten Erholungsurlaub um ein festes Kontingent bezahlter Freistellung handelt, das sich durch das Zusammentreffen mit anderen Verhinderungsgründen nicht verringern kann.1900 Da viele potentiell konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände auf Situationen zugeschnitten sind, in denen sich der Arbeitnehmer im Regelfall nicht erholen kann,1901 tritt § 1 BUrlG häufig zurück und ist somit ein relativ „schwacher“ Tatbestand. 6. Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Das Verhältnis von § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu anderen Arbeitsausfallgründen wird vor allem durch drei Elemente geprägt. Erstens spielt die Akzessorietät zu § 13 MuSchG eine Rolle. Zweitens ist auf § 24i Abs. 4 SGB V (ehemals § 200 Abs. 4 RVO1902) einzugehen. Drittens schließlich muss § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG unionsrechtlichen Vorgaben gerecht werden.1903 1898 Vgl. EuGH 18.3.2004 – C-342/01 (Merino Gómez), NZA 2004, S. 535, 537, wonach bei einem Zusammentreffen von Mutterschaftsurlaub und bezahltem Erholungsurlaub der betreffende Zeitraum nicht auf den Erholungsurlaub angerechnet werden darf, da dessen Zweck nicht erfüllt wird; vgl. hierzu auch noch unten die Ausführungen zum Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub und § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG unter § 9 C.V.2.b) und zum Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub und § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG unter § 9 C.V.2.c). 1899 Vgl. auch Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 116. 1900 Vgl. Reinecke DB 1991, S. 1168, 1172, der aber eine Nachgewährung für unpraktikabel hält und stattdessen einen Vorrang des Urlaubs vor anderen Ausfallgründen wie Streik und Aussperrung annehmen will. 1901 Zu nennen sind beispielsweise § 3 Abs. 1 EFZG, § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG, § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG und § 616 S. 1 BGB. 1902 Zu den systematischen Änderungen im Bereich des Mutterschaftsgeldes zum 30. Oktober 2012 vgl. oben Fn. 373.

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a) Akzessorietät zu § 13 MuSchG Bereits oben wurde erläutert, dass § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG akzessorisch zu § 13 MuSchG ist.1904 Der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld kann nur gezahlt werden, wenn die Arbeitnehmerin auch das Mutterschaftsgeld selbst beanspruchen kann. Daher ist bei der Bestimmung des Verhältnisses von § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu anderen Ausfallgründen stets zu prüfen, ob nicht § 13 MuSchG hinter diesen zurücktritt. Ist das der Fall, ist auch § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG nachrangig. b) Bedeutung von § 24i Abs. 4 SGB V im nationalen Recht Gemäß § 24i Abs. 4 S. 1 SGB V1905 ruht der Anspruch auf Mutterschaftsgeld im Sinne des § 13 MuSchG, soweit und solange die Arbeitnehmerin beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhält. Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld ist insoweit subsidiär. Problematisch ist, ob auch Leistungen infolge konkurrierender Entgeltfortzahlungstatbestände unter den Begriff des Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens im Sinne des § 24i Abs. 4 SGB V fallen. Bejaht man diese Frage, folgt daraus auch eine Subsidiarität des Anspruchs auf den Zuschuss nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG gegenüber anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen, weil § 14 MuSchG – wie soeben ausgeführt – akzessorisch zu § 13 MuSchG ist.1906 Zu klären ist demnach, ob Leistungen nach Entgeltfortzahlungstatbeständen unter den Begriff des Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens im Sinne des § 24i Abs. 4 SGB V fallen. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass Entgeltersatzleistungen nicht als „Arbeitseinkommen“ qualifiziert werden können. Dieser Begriff wird in § 15 SGB IV als Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit definiert.1907 Darunter fällt nicht die Vergütung, die einem Arbeitnehmer gezahlt wird. In Betracht kommt also lediglich, die nach anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen gezahlte Vergütung unter den Begriff des „Arbeitsentgelts“ zu fassen. Insoweit kommen drei verschiedene Auslegungsmöglichkeiten von § 24i Abs. 4 SGB V in Betracht: Erstens könnte man unter den Begriff des Arbeitsentgelts sämtliche Entgeltersatzleistungen unabhängig von ihrer Rechtsnatur fassen. 1903

Vgl. dazu oben § 5 G.I.2.b) und c). Vgl. oben § 5 G.I.1.a). 1905 Für den Anwendungsbereich des KVLG in der bis zum 30. Oktober 2012 gültigen Fassung enthielt § 29 Abs. 5 KVLG eine vergleichbare Regelung. Nach der systematischen Bereinigung des Rechts des Mutterschaftsgeldes gilt die Subsidiaritätsklausel des § 24i Abs. 4 SGB V durch den Verweis in § 14 Abs. 2 KVLG 1989 auch für den Bereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung. 1906 Vgl. oben § 9 B.III.6.a). 1907 Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 200 RVO Rn. 22; vgl. ferner KasK-Nolte § 200 RVO Rn. 45 unter Verweis auf KasK-Brandts § 49 SGB V Rn. 10. 1904

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Zweitens könnte man alle Entgeltersatzleistungen von diesem Begriff ausnehmen. Drittens könnte man nach der Rechtsnatur differenzieren und nur diejenige Vergütung unter den Begriff des Arbeitsentgelts subsumieren, die nach anspruchserhaltenden Tatbeständen gezahlt wird. Für die letztgenannte Auslegung spricht, dass der Begriff „Arbeitsentgelt“ nahe legt, darunter nur das arbeitsvertraglich geschuldete Entgelt zu verstehen. Bei Vergütungsleistungen, die auf eigenständigen Anspruchsgrundlagen beruhen, handelt es sich gerade nicht um Arbeitsentgelt in diesem Sinne, sondern um eigenständige Entgeltersatzleistungen. Diese Erwägungen können aber im Ergebnis nicht durchgreifen, da andernfalls eine willkürliche Differenzierung drohte. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei der Wahl der Rechtsnatur der Entgeltfortzahlungstatbestände die möglichen Konsequenzen im Rahmen des § 24i Abs. 4 SGB V im Blick hatte. Eine an die Rechtsnatur und mithin an einem rein formalen Gesichtspunkt anknüpfende Differenzierung führte daher zu willkürlichen Ergebnissen und ist abzulehnen. Die besseren Argumente sprechen dafür, Entgeltersatzleistungen unabhängig von der Rechtsnatur des jeweiligen Tatbestands als Arbeitsentgelt einzustufen. Für die Auslegung des Merkmals „Arbeitsentgelt“ ist § 14 SGB IV maßgeblich.1908 Unter den weit zu verstehenden Begriff des Arbeitsentgelts in diesem Sinne fallen alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer im ursächlichen Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließen.1909 Das bedeutet, dass auch Leistungen unter den Begriff des Arbeitsentgelts fallen, denen ein Anspruch des Arbeitgebers auf Erbringung der Arbeitsleistung nicht gegenübersteht.1910 Somit sind auch Entgeltersatzleistungen erfasst. Damit muss gemäß § 24i Abs. 4 SGB V der Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG hinter andere Entgeltfortzahlungstatbestände zurücktreten. c) Bedeutung des europarechtlichen Hintergrunds Das soeben unter Berücksichtigung des § 24i Abs. 4 SGB V erzielte Ergebnis ist im Hinblick auf den bereits angesprochenen europarechtlichen Hintergrund 1908 Vgl. KasK-Nolte § 200 RVO Rn. 45 unter Verweis auf KasK-Brandts § 49 SGB V Rn. 6. 1909 BSG 12.3.1986 – 5a RKnU 2/85, BSGE 60, S. 39, 40; BSG 28.1.1999 – B 12 KR 14/98 R, NZS 1999, S. 358, 358; HK-SGB IV-Vor § 14 Rn. 8; KasK-Seewald § 14 SGB IV Rn. 23; vgl. auch BSG 2.3.2010 – B 12 R 5/09 R, NZS 2001, S. 267, 268. 1910 BSG 28.1.1999 – B 12 KR 14/98 R, NZS 1999, S. 358, 358; GK-SGB IV-Merten § 14 Rn. 54; KasK-Seewald § 14 SGB IV Rn. 30, die insoweit die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsgeld anführen. Das erstgenannte Beispiel überzeugt zumindest im Zusammenhang mit § 24i Abs. 4 SGB V aufgrund des (inzwischen aufgehobenen) § 1 Abs. 2 Nr. 3 LohnfortzahlungsG 1969 zwar nicht [vgl. dazu unten § 9 C.II.3.b)cc)]. Das ändert aber nichts an der grundsätzlich weiten Ausrichtung des Begriffs „Arbeitsentgelt“ im Sinne des § 14 SGB IV.

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des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu korrigieren. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es geboten sein, § 24i Abs. 4 SGB V genau entgegengesetzt auszulegen. Eine solche Auslegung führt zu einem Vorrang von § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG (dazu unter aa)). In einem weiteren Schritt ist auch dieses Resultat wiederum mit Rücksicht auf Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG zu modifizieren (dazu unter bb)). aa) Richtlinienkonforme Auslegung Wie oben erläutert, hat der deutsche Gesetzgeber Art. 8, Art. 11 Nr. 2 b), c) RL 92/85/EWG in §§ 13, 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG unzureichend umgesetzt.1911 Die unionsrechtlichen Vorgaben gebieten, dass die Vergütungshöhe einer Schwangeren immer mindestens die Summe erreichen muss, die nach den nationalen Vorschriften bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit (in Deutschland: § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) gezahlt würde. Die Vergütung nach §§ 13, 14 MuSchG1912 kann dieses Vergütungsniveau nicht in allen Fällen gewährleisten, da die angewandte Berechnungsmethode von der des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG abweicht.1913 Zudem sind die §§ 13, 14 MuSchG für sich genommen aufgrund ihres starren Wortlauts und der strikten Vorgaben für die Berechnung der Vergütung keiner europarechtskonformen Auslegung zugänglich.1914 Die Vergütungshöhe kann daher nicht der Vergütung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG angepasst werden. Gleichwohl kann die Berechnung natürlich im Einzelfall ergeben, dass die Vergütung nach §§ 13, 14 MuSchG ebenso hoch oder sogar höher ausfällt als das nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zu zahlende Entgelt. Es hängt also von den Umständen des Einzelfalls ab, ob die Vergütung nach §§ 13, 14 MuSchG europarechtskonform ausfällt oder nicht. Entsprechendes gilt für Tatbestände, die gegebenenfalls mit § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG konkurrieren können. Auch diese können je nach Umständen des Einzelfalls die europarechtlich geforderte Höhe einer Vergütung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erreichen – oder eben nicht. Vor diesem Hintergrund sind bei einer Kollision zwischen §§ 13, 14 MuSchG und einem konkurrierenden Tatbestand vier verschiedene Konstellationen denkbar: 1. Nur eine Vergütung nach §§ 13, 14 MuSchG erreicht die erforderliche Höhe einer Vergütung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Das Entgelt, das nach dem konkurrierenden Tatbestand zu zahlen ist, kann dieses Niveau hingegen nicht gewährleisten.

1911

Vgl. oben § 5 G.I.2. Zu dem Zuschuss nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist das Mutterschaftsgeld nach § 13 MuSchG in Höhe von A 13,– hinzuzurechnen. 1913 Vgl. zu den jeweiligen Berechnungsmethoden näher oben § 5 C.IV. (Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) und § 5 G.I.4. (Zuschuss zum Mutterschaftsgeld). 1914 Vgl. oben § 5 G.I.2.c)bb). 1912

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

2. Nur eine Vergütung nach dem konkurrierenden Tatbestand erreicht die erforderliche Höhe. Das Entgelt, das nach §§ 13, 14 MuSchG zu zahlen ist, kann dieses Niveau hingegen nicht gewährleisten. 3. Beide Tatbestände erreichen die erforderliche Höhe. 4. Keiner der beiden Tatbestände erreicht die erforderliche Höhe. Die Entscheidung über den vorrangigen Tatbestand kann also in manchen Fällen darüber bestimmen, ob europarechtliche Vorgaben eingehalten werden oder nicht (Fall 1 und 2). In anderen Konstellationen hingegen spielt das Vorrangverhältnis hingegen keine Rolle für die Europarechtskonformität (Fall 3 und 4). Diese Erkenntnis zwingt den Rechtsanwender dazu, zu prüfen, ob er bei der Ermittlung des Vorrangverhältnisses in den Fällen 1 und 2 zu einer richtlinienkonformen Auslegung verpflichtet ist. Es muss in den Grenzen des Wortlauts der deutschen Gesetze gewährleistet sein, dass sich in Fall 1 die Vergütung nach §§ 13, 14 MuSchG durchsetzt, in Fall 2 hingegen der jeweilige konkurrierende Tatbestand. An dieser Stelle ist auf § 24i Abs. 4 S. 1 SGB V zurückzukommen. Wie erläutert worden ist, werden Kollisionen unter Beteiligung von §§ 13, 14 MuSchG maßgeblich von dieser Norm geregelt.1915 Entscheidend für das Vorrangverhältnis ist dabei die Frage, ob eine Vergütung, die aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands gezahlt wird, unter den Begriff des Arbeitsentgelts fällt. Lässt man europarechtliche Gesichtspunke bei der Auslegung unberücksichtigt, ist diese Frage nach hier vertretener Auffassung zu bejahen. Im Ergebnis gelangt man auf diese Weise – nach nationalem Recht ohne richtlinienkonforme Auslegung – zu einem Vorrang des konkurrierenden Tatbestands gegenüber §§ 13, 14 MuSchG.1916 Wie geschildert besteht indes eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. Soweit der Wortlaut von § 24i Abs. 4 SGB V es zulässt, muss – unabhängig von dem nach nationalem Recht zutreffenden Auslegungsergebnis – derjenige Tatbestand vorrangig sein, der im Einzelfall das Vergütungsniveau von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erreicht. Nur dieses Ergebnis ist europarechtskonform. Eine solche Auslegung von § 24i Abs. 4 S. 1 SGB V ist auch innerhalb der Wortlautgrenze möglich. Man kann den Begriff des Arbeitsentgeltes in der Vorschrift ohne Weiteres so verstehen, dass er Entgeltersatzleistungen nicht erfasst. Dadurch wird die Subsidiarität des Anspruchs nach §§ 13, 14 MuSchG außer Kraft gesetzt. Allerdings ist dieses Resultat noch nicht gleichbedeutend mit einem Vorrang der §§ 13, 14 MuSchG. Vielmehr kommt es zunächst zu einer offenen Situation, in der sich die Auflösung der Kollision nicht mehr alleine § 24i 1915 1916

Vgl. oben § 9 B.III.6.b). Vgl. oben § 9 B.III.6.b).

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Abs. 4 S. 1 SGB V entnehmen lässt. An dieser Stelle greift aber die Pflicht zur europarechtskonformen Auslegung ein und gebietet im Hinblick auf die Vergütungshöhe den Vorrang von §§ 13, 14 MuSchG. Für die oben skizzierten vier Konstellationen ergeben sich aus diesen Überlegungen folgende Konsequenzen: – In Fall 1 ist nur eine Vergütung nach §§ 13, 14 MuSchG europarechtskonform. Somit muss dieser Tatbestand vorrangig sein. Dementsprechend ist § 24i Abs. 4 SGB V hier dahingehend auszulegen, dass Entgeltersatzleistungen nicht unter den Begriff des Arbeitsentgelts fallen. Dadurch wird es möglich, das Konkurrenzverhältnis ohne Rückgriff auf § 24i Abs. 4 SGB V europarechtskonform dahingehend aufzulösen, dass die §§ 13, 14 MuSchG vorrangig sind. – In Fall 2 hingegen genügt nur die Vergütung nach dem konkurrierenden Tatbestand den europarechtlichen Vorgaben und muss sich durchsetzen. Folglich ist § 24i Abs. 4 SGB V so auszulegen, dass Entgeltersatzleistungen vom Begriff des Arbeitsentgelts erfasst werden. Dann greift die Vorschrift ein und regelt das Konkurrenzverhältnis dahingehend, dass der Anspruch nach §§ 13, 14 MuSchG ruht und der konkurrierende Tatbestand eingreift. Da man auch bereits nach nationalem Recht zu diesem Ergebnis gelangt, ist eine richtlinienkonforme Auslegung nicht erforderlich. – In Fall 3 erreichen beide Tatbestände die Vergütungshöhe des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Eine richtlinienkonforme Auslegung ist entbehrlich. Es kann daher bei der oben skizzierten grundsätzlichen Wertung des deutschen Rechts bleiben, wonach Leistungen infolge aller Entgeltfortzahlungstatbestände als Arbeitsentgelt im Sinne des § 24i Abs. 4 SGB V gelten. Somit bleibt es auch bei der Subsidiarität von §§ 13, 14 MuSchG und beim Vorrang des konkurrierenden Tatbestands. – In Fall 4 schließlich erreichen beide Tatbestände nicht die nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG geschuldete Vergütungshöhe. Eine europarechtskonforme Auslegung ist daher unmöglich. Es bleibt bei dem ohne Rücksicht auf europarechtliche Erfordernisse ermittelten Vorrang des konkurrierenden Tatbestands. Der Arbeitnehmerin steht dann – ähnlich einer europarechtswidrigen Vergütungshöhe bei der bloßen Anwendung der §§ 13, 14 MuSchG ohne Konkurrenz zu anderen Ausfallgründen1917 – nur die Möglichkeit offen, die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung auf Schadensersatz zu verklagen.1918 Der Schaden liegt dabei in der Höhe der Differenz zwischen der nach dem konkurrierenden Tatbestand zu zahlenden Summe und der nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG geschuldeten Vergütung. 1917

Vgl. dazu oben § 5 G.I.2. Vgl. EuGH 26.3.1996 – C-392/93 (British Telecom), Slg. 1996, I-1631 (Rn. 39– 42); EuGH 17.10.1996 – C-283/94 (Denkavit), Slg. 1996, I-5063 (Rn. 48–50). 1918

398

3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Nach alledem kommt es nur in Fall 1 zu einer richtlinienkonformen Auslegung. Die angestellten Überlegungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Auslegung des Begriffes „Arbeitsentgelt“ in § 24i Abs. 4 SGB V entscheidet darüber, ob §§ 13, 14 MuSchG oder der konkurrierende Tatbestand vorrangig ist. Fasst man Entgeltersatzleistungen hierunter, tritt die Vergütung nach §§ 13, 14 MuSchG hinter den konkurrierenden Tatbestand zurück. Nimmt man solche Leistungen hingegen von diesem Begriff aus, sind die §§ 13, 14 MuSchG vorrangig. Da es im Einzelfall vorkommen kann, dass nur das eine oder das andere Ergebnis europarechtskonform ist, muss sich die Auslegung des Begriffs „Arbeitsentgelt“ hieran orientieren. Somit kommt § 24i Abs. 4 SGB V bei der Bestimmung des Vorrangverhältnisses eine Schlüsselfunktion im Sinne einer „Weiche“ zu, die das Auslegungsergebnis jeweils in die „europarechtskonforme Richtung“ steuert. bb) Weitere Modifikation aufgrund von Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG Doch auch dieses Ergebnis ist abermals zu modifizieren. Die § 14 MuSchG zugrunde liegende Richtlinie 92/85/EWG erlaubt es nämlich den Mitgliedstaaten in Art. 11 Nr. 4, den Anspruch auf die Fortzahlung des Arbeitsentgelts oder auf eine Sozialleistung während der Beschäftigungsverbote in der Schwangerschaft davon abhängig zu machen, dass die Arbeitnehmerin bestimmte Bedingungen erfüllt. Man könnte im Hinblick auf § 24i Abs. 4 SGB V erwägen, das Fehlen jeglicher konkurrierender Arbeitsausfallgründe und somit die Alleinursächlichkeit des Beschäftigungsverbots für den Arbeitsausfall als Bedingung in diesem Sinne zu verstehen. Diese Bedingung wäre nicht erfüllt, wenn zur Schwangerschaft ein weiterer Arbeitsausfallgrund hinzutritt. Somit käme auch der durch die Richtlinie vorgesehene Entgeltschutz nicht zum Tragen. Es wäre daher europarechtlich nicht geboten, die Vergütung der Schwangeren gemäß §§ 13, 14 MuSchG oder eines konkurrierenden Tatbestandes auf das in § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG vorgesehene Vergütungsniveau anzuheben. Vielmehr könnte es in allen Fällen bei der Wertung des § 24i Abs. 4 SGB V bleiben, wonach die §§ 13, 14 MuSchG subsidiär sind. Erachtete man diese Argumentation für überzeugend, wäre die soeben erarbeitete differenzierende Lösung entbehrlich, bei der § 24i Abs. 4 SGB V wie geschildert als „Weiche“ fungiert, die ein europarechtskonformes Auslegungsergebnis sicherstellt. Ein solches Verständnis des Begriffs der „Bedingung“ in Art. 11 Nr. 4 RL 92/ 85/EWG wäre indes verfehlt. Es unterliefe das durch die Richtlinie angestrebte hohe Entgeltschutzniveau und entwertete die an die Mitgliedstaaten gestellten Anforderungen. Umgehungsversuchen durch die Mitgliedstaaten wäre Tür und Tor geöffnet. Daher ist eine einschränkende Auslegung geboten. Insoweit ist am Wortlaut des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG anzusetzen. Darin heißt es, dass die

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399

Mitgliedstaaten den Anspruch von der Erfüllung bestimmter Bedingung durch die Arbeitnehmerin abhängig machen können. Dieser Formulierung lässt sich entnehmen, dass es sich um Umstände handeln muss, deren Eintritt vom Willen der Arbeitnehmerin abhängt. Die Differenzierung anhand dieses Kriteriums ist auch sachlich gerechtfertigt: Löst die Arbeitnehmerin willentlich konkurrierende Arbeitsausfallgründe aus, unterwirft sie sich den danach anwendbaren Vergütungsregelungen. Folgt daraus eine Absenkung des Schutzniveaus, hat die Arbeitnehmerin dieses Ergebnis als Konsequenz ihres Handelns zu tragen. Sie hat es in der Hand, den betreffenden konkurrierenden Ausfallgrund herbeizuführen oder davon abzusehen. Diese Möglichkeit besteht hingegen in solchen Fällen nicht, in denen die Arbeitnehmerin den Eintritt des konkurrierenden Ausfallgrunds nicht beeinflussen kann. Daher ist die Arbeitnehmerin in diesen Konstellationen schutzwürdig, so dass ihr der in der Richtlinie vorgesehene Entgeltschutz erhalten bleiben muss. Daraus folgt, dass es für alle konkurrierenden Ausfallgründe, deren Eintritt vom Willen der Arbeitnehmerin abhängt, bei der Wertung des § 24i Abs. 4 SGB V und damit der Subsidiarität des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG bleiben kann. Für alle übrigen konkurrierenden Ausfallgründe muss die oben1919 erarbeitete differenzierende Lösung einschließlich der geschilderten europarechtskonformen Auslegung maßgeblich sein. cc) Grafische Übersicht Die folgende Übersicht auf Seite 400 verdeutlicht noch einmal, welche Prüfungsschritte im Einzelfall vorgenommen werden müssen, um zu ermitteln, welcher Tatbestand vorrangig ist. dd) Zwischenfazit Die hier vorgeschlagene Lösung birgt zwar ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit, ist aber unter europarechtlichen Gesichtspunkten unumgänglich. Der Gesetzgeber ist hier zum Handeln aufgerufen. Er sollte sicherstellen, dass die nach den §§ 13, 14 MuSchG zu zahlende Vergütung stets das Niveau des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erreicht. Europarechtskonformität ließe sich beispielsweise durch eine Angleichung der jeweiligen Berechnungsmethoden herstellen. Zugleich sollte der Gesetzgeber erwägen, § 24i Abs. 4 SGB V zu streichen oder wenigstens klarzustellen, ob und gegebenenfalls welche Entgeltersatzleistungen unter den Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne dieser Vorschrift fallen. Bedauerlicherweise ist dies bei der jüngsten systematischen Überführung der Regelung aus der RVO in das SGB V nicht geschehen. 1919

Vgl. oben § 9 B.III.6.c)aa).

400

3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Grundregel: Der konkurrierende Tatbestand setzt sich durch (Wertung von § 24 i Abs. 4 SGB V).

Erreicht eine Vergütung nach dem konkurrierenden Tatbestand das Vergütungsniveau von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG?

Ja

Nein

Hat die Arbeitnehmerin den konkurrierenden Ausfallgrund willentlich herbeigeführt?

Ja

Nein

Erreicht eine Vergütung nach §§ 13, 14 MuSchG das Vergütungsniveau des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG?

Nein

Bestätigung der Grundregel

Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Umsetzung der Richtlinie

Ja

Vorrang von § 14 MuSchG

Da – wie geschildert – in vielen Fällen der Vorrang von § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG europarechtlich zwingend geboten ist, handelt es sich bei dieser Vorschrift um einen relativ „starken“ Tatbestand.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

401

7. Anspruch auf Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Dem Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG kommt bei Konkurrenzen mit anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen ein verhältnismäßig hohes Gewicht zu. Es handelt es sich somit bei dieser Vorschrift um einen sogenannten „starken“ Tatbestand. Die Ursache liegt vor allem in dem hohen Schutzniveau, mit dem der Gesetzgeber diesen Tatbestand ausgestattet hat. Wenig bedeutsam ist hingegen der europarechtliche Hintergrund der Norm, jedenfalls soweit sie mit anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen konkurriert.1920 Der unionsrechtlich geforderte Entgeltschutz wird auch sichergestellt, wenn die Vergütung im Falle einer Konkurrenz nach einem konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbestand erfolgt. Daran ändert auch nichts, dass aufgrund der unterschiedlichen Berechnungsmethoden die Vergütung im Einzelfall niedriger ausfallen kann als nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG. Der Wortlaut von Art. 11 Nr. 1 RL 92/85/EWG verlangt lediglich, dass ein Arbeitsentgelt fortgezahlt und/oder ein Anspruch auf eine angemessene Sozialleistung entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten gewährt werden muss. Da Art. 11 Nr. 1 RL 92/85/EWG sogar Absenkungen des Vergütungsniveaus zulässt, sofern die gezahlte Vergütung dem entspricht, was andere Entgeltfortzahlungsvorschriften bei Arbeitsausfällen vorsehen,1921 muss eine Vergütung nach einem konkurrierenden Tatbestand genügen. Relevant können die europarechtlichen Anforderungen hingegen im Falle einer Konkurrenz mit einem Ausschlussgrund werden. Tritt § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG hinter einen Ausschlussgrund zurück, entfällt der Entgeltanspruch der Arbeitnehmerin, und ein solches Resultat genügt nicht den Anforderungen des Art. 11 Nr. 1 RL 92/85/EWG. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die mit § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG umgesetzten Gewährleistungen der Richtlinie unter dem Vorbehalt des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG stehen. Wie bereits im Zusammenhang mit § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG erläutert worden ist, können danach die Mitgliedstaaten die Gewährung des in der Richtlinie vorgesehen Schutzniveaus davon abhängig machen, dass die Arbeitnehmerin bestimmte Bedingungen erfüllt.1922 Hierzu gehört auch die Bedingung, dass die Arbeitnehmerin keine konkurrierenden Ausfallgründe herbeiführt, die von ihrem Willen abhängig sind. Folglich darf § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG nur hinter solche konkurrierenden Ausschlussgründe zurücktreten, deren Eintritt vom Willen der Arbeitnehmerin abhängen. Im Übrigen muss sich § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG durchsetzen.

1920 1921 1922

Vgl. zu den europarechtlichen Vorgaben oben § 5 G.II.2.b). Siehe oben § 5 G.II.2.b)bb). Vgl. dazu oben § 9 B.III.6.c).

402

3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

8. Anspruch auf bezahlte Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG) Maßgebliche Bedeutung für die Behandlung von Konkurrenzen mit anderen Ausfallgründen kommt dem europarechtlichen Hintergrund von § 16 S. 3 MuSchG zu. Art. 9 RL 92/85/EWG sieht für den nationalen Gesetzgeber keinerlei Möglichkeiten vor, den Entgeltschutz in irgendeiner Form zu beschränken. Daher wird in aller Regel ein Vorrang des § 16 S. 3 MuSchG vor konkurrierenden Tatbeständen anzunehmen sein. Zwar erfordert das Unionsrecht einen zwingenden Vorrang des § 16 S. 3 MuSchG nur in solchen Fällen, in denen eine Vergütung nach anderen Tatbeständen geringer ausfiele als nach § 16 S. 3 MuSchG, während einer Besserstellung der Arbeitnehmerin durch konkurrierende Regelungen nichts entgegenstünde. Begrenzte man aber den Vorrang von § 16 S. 3 MuSchG auf diese Konstellationen, käme es zu einer „gespaltenen“ Lösung der betreffenden Konkurrenzfrage. Im Interesse der Rechtssicherheit sowie einer einheitlichen und einfachen Handhabung für die Praxis sollte das vermieden werden, indem man § 16 S. 3 MuSchG den Vorrang vor konkurrierenden Ausfallgründen einräumt. Infolgedessen ist die Vorschrift ein sogenannter „starker“ Tatbestand. 9. Anspruch auf Gewährung bezahlter Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG) Das Verhältnis von § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG zu anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen wird maßgeblich durch den oben1923 skizzierten Zweck dieser Norm bestimmt: Der Mutter soll ermöglicht werden, ihre Arbeit zum Stillen unter Entgeltfortzahlung zu unterbrechen. Ist die Arbeitnehmerin auch aus einem anderen Grund von ihrer Arbeitspflicht befreit und erhält sie daran anknüpfend eine Vergütung, bedarf es des Entgeltschutzes aus § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG nicht, um dessen Zweck gerecht zu werden. Die Mutter erleidet dann durch das Stillen keine Entgelteinbußen. Sie muss in diesem Fall auch nicht ihre Arbeit unterbrechen, weil sie ihre Arbeit gar nicht erst antritt.1924 Dass § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG vom Gesetzgeber für kurzfristige Arbeitsunterbrechungen konzipiert wurde, erkennt man auch daran, dass in § 7 Abs. 1 S. 1 MuSchG von einer täglichen mehrmaligen kurzen Freigabe von der Arbeit die Rede ist. Im Ergebnis ist § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG als subsidiär einzustufen, was diesen Tatbestand grundsätzlich hinter andere Entgeltfortzahlungstatbestände (nicht jedoch hinter Ausschlussgründe) zurücktreten lässt. Somit handelt es sich bei dieser Vorschrift um einen sogenannten „schwachen“ Tatbestand. 1923

Vgl. oben § 5 G.IV.2. BAG 3.7.1985 – 5 AZR 79/84, AP Nr. 1 zu § 7 MuSchG 1968; Willikonsky § 7 Rn. 6; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 7 MuSchG Rn. 12; Buchner/Becker § 7 MuSchG Rn. 43; vgl. auch HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 7 MuSchG Rn. 28. 1924

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10. Vergütungsanspruch bei Annahmeverzug des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 1 BGB) Herausragende Bedeutung für das Verhältnis des Annahmeverzugs zu anderen Arbeitsausfallgründen erlangt die Tatbestandsvoraussetzung des § 297 BGB. Ist neben dem Umstand, der den Annahmeverzug begründet, ein weiterer Ausfallgrund einschlägig, wird dieser stets entweder die Leistungsfähigkeit oder die Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers hindern. Deshalb sind die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nicht erfüllt, und der Vorschrift kommt faktisch die Funktion einer tatbestandlichen Subsidiaritätsklausel zu. Aus diesem Grund ist die Vorschrift ein sogenannter „schwacher“ Tatbestand. 11. Vergütungsanspruch in Fällen des Betriebsrisikos (vgl. § 615 S. 3 i.V. m. S. 1 BGB) Das Verhältnis von § 615 S. 3 BGB zu anderen Arbeitsausfallgründen wird wesentlich von den oben angeführten Zwecken dieser Vorschrift bestimmt.1925 Da die Betriebsrisikolehre nur für Fallgestaltungen entwickelt wurde, in denen ein Entgeltanspruch des Arbeitnehmers nicht bereits nach anderen Vorschriften bestand, war sie gegenüber anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen grundsätzlich subsidiär. Weil mit der Einführung des § 615 S. 3 BGB keine materielle Änderung des Rechts beabsichtigt war, sondern lediglich die Betriebsrisikolehre gesetzlich verankert werden sollte, erstreckt sich der skizzierte Subsidiaritätscharakter auch auf § 615 S. 3 BGB. Er kennzeichnet die Vorschrift als sogenannten „schwachen“ Tatbestand. 12. Vergütungsanspruch bei Erhebung der Einrede des § 320 BGB Erhebt der Arbeitnehmer die Einrede gemäß § 320 BGB, kommt er nur in den Genuss einer Entgeltfortzahlung, wenn die Voraussetzungen des Annahmeverzugs vorliegen. Eine eigenständige Vergütungsregelung sieht § 320 BGB nicht vor. Daher kommt dem § 320 BGB im Verhältnis zu konkurrierenden Ausfallgründen der gleiche Stellenwert zu wie § 615 S. 1 BGB selbst. Daher wird dieser Tatbestand im Folgenden1926 bei der Behandlung einzelner Konkurrenzen nicht gesondert erläutert. Vielmehr schließen die Ausführungen zum Verhältnis von Annahmeverzug zu anderen Ausfallgründen auch die Fälle ein, in denen der Annahmeverzug aufgrund der Einrede des § 320 BGB eingetreten ist. Angesichts dieser Parallelwertung ist § 320 BGB ebenso wie § 615 S. 1 BGB als „schwacher“ Tatbestand einzustufen.

1925 1926

Vgl. zu den Zwecken des § 615 S. 3 BGB oben § 5 I.II. Siehe unten § 9 C.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

13. Vergütungsanspruch bei Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts des § 273 BGB Die Überlegungen, die soeben zu § 320 BGB angestellt wurden, gelten sinngemäß auch für das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB. Zu einem Entgeltanspruch kann es in diesen Fällen nur kommen, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber in Annahmeverzug versetzt, vgl. § 615 S. 1 BGB.1927 Daher kommt auch § 273 BGB im Verhältnis zu konkurrierenden Ausfallgründen der gleiche Stellenwert zu wie § 615 S. 1 BGB selbst, und einzelne Konkurrenzen unter Beteiligung des § 273 BGB werden im Folgenden nicht gesondert behandelt. Zudem ist auch § 273 BGB ein sogenannter „schwacher“ Tatbestand. 14. Vergütungsanspruch bei Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 14 S. 1 AGG Schlussfolgerungen für das Verhältnis von § 14 S. 1 AGG zu anderen Arbeitsausfallgründen lassen sich insbesondere aus der Schutzfunktion dieses Tatbestands ziehen.1928 Dieser Funktion ist schon genügt, wenn gewährleistet wird, dass sich der Arbeitnehmer nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen genötigt sieht, seinen Arbeitsplatz trotz drohender Belästigungen aufzusuchen und sich diesen auszusetzen. Genau diese Gefahr besteht aber nicht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbestands eine Entgeltzahlung erhält, ohne seinen Arbeitsplatz aufsuchen zu müssen. Daher ist § 14 S. 1 AGG im Verhältnis zu anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen abstrakt ein verhältnismäßig niedriger Stellenwert einzuräumen. Die Vorschrift ist grundsätzlich gegenüber anderen Tatbeständen subsidiär. Doch auch wenn sie weniger wichtiger als die Schutzfunktion ist, spielt die Druckfunktion im Hintergrund des Tatbestands weiterhin eine Rolle.1929 Um die Druckfunktion zu verwirklichen, ist es erforderlich, dass § 14 S. 1 AGG eingreift, weil die Norm infolge des hohen Schutzniveaus den Arbeitgeber verhältnismäßig stark belastet. Damit steht diese Funktion im Widerspruch zur Schutzfunktion, aus der sich, wie gerade gezeigt, ableiten lässt, dass § 14 S. 1 AGG grundsätzlich subsidiär ist. Da die Druckfunktion im Wesentlichen von der Schutzfunktion verdrängt wird, steht zwar die Subsidiarität des Tatbestands im Vordergrund. Die Druckfunktion im Hintergrund kann aber wichtig werden, wenn Konkurrenzen mit anderen Tatbeständen geklärt werden müssen, die ebenfalls subsidiär sind. In diesen Fällen kann die Druckfunktion den Ausschlag dafür geben, dass § 14 S. 1 AGG ausnahmsweise doch zum Zuge kommt und den konkurrierenden sub-

1927 1928 1929

Vgl. oben § 5 J.III.4. Zu den Zwecken des und Funktionen des § 14 S. 1 AGG vgl. oben § 5 K.II. Vgl. oben § 5 K.II. a. E.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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sidiären Tatbestand verdrängt. Insgesamt betrachtet kennzeichnet das Subsidiaritätselement § 14 S. 1 AGG dennoch als relativ „schwachen“ Tatbestand. 15. Vergütungsanspruch bei Ausübung des Entfernungsrechts gemäß § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG Die europarechtlichen Vorgaben, auf denen § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG beruht, gebieten einen umfassenden Arbeitnehmerschutz.1930 Daraus ergeben sich wichtige Konsequenzen für den Stellenwert des § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG im Verhältnis zu anderen Arbeitsausfallgründen. Da Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG ausdrücklich jegliche Form von Nachteilen und damit auch von Entgelteinbußen verbietet, wäre es mit dieser Vorgabe unvereinbar, § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG auf Konkurrenzebene hinter anderen Ausfallgründen zurücktreten zu lassen, die keine oder eine niedrigere Entgeltfortzahlung vorsehen. Nicht zwingend europarechtlich geboten ist hingegen ein Vorrang des § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG auch in jenen Fällen, in denen eine Vergütung nach dem konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbestand ebenso hoch oder sogar höher ausfiele als nach § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG. Indes sprechen die Gesichtspunkte der Praktikabilität und der Rechtssicherheit dafür, das Vorrangverhältnis einheitlich zu bestimmen und nicht in Abhängigkeit von der Günstigkeit für den Arbeitnehmer. Ein solches Günstigkeitsprinzip ist kein tauglicher Ansatz zur Auflösung von Konkurrenzen im Entgeltfortzahlungsrecht.1931 Daher ist § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG regelmäßig gegenüber anderen Ausfallgründen vorrangig und ein sogenannter „starker“ Tatbestand. 16. Vergütungsanspruch bei persönlicher Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) Aus der Verwandtschaft zu § 616 BGB1932 ergibt sich der Charakter von § 14 Abs. 1 ArbPlSchG als „Notregel“: Die Norm soll nur eingreifen, wenn andernfalls der Arbeitnehmer kein Entgelt erhielte, und dadurch seine Existenzgrundlage sichern.1933 Folglich ist § 14 Abs. 1 ArbPlSchG im Verhältnis zu anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen grundsätzlich subsidiär. Dieser Subsidiarität kommt infolge der systematischen Verbindung beider Tatbestände ähnliches Gewicht zu wie derjenigen des § 616 S. 1 BGB. Daher handelt es sich um einen relativ „schwachen“ Tatbestand. Eine Kollision mit Tatbeständen, die an die Schwangerschaft der Arbeitnehmerin anknüpfen, ist nicht per se ausgeschlossen, 1930 1931 1932 1933

Vgl. dazu oben § 5 L.II. Siehe ausführlich oben § 8 F.I.2. Vgl. dazu oben § 5 M.I. Vgl. zu § 616 BGB oben § 5 E.II.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

weil § 14 Abs. 1 ArbPlSchG unter anderem auf freiwillig Wehrdienstleistende angewendet wird1934 und sowohl Männer als auch Frauen freiwillig Wehrdienst leisten können (§ 58b Abs. 1 SG). 17. Vergütungsanspruch bei Arbeitsversäumnis wegen Betriebsratstätigkeiten (§ 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG) Aus der engen systematischen Beziehung zu § 78 S. 2 BetrVG folgen wichtige Erkenntnisse für die Behandlung von Konkurrenzen der in § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG geregelten Vergütungsansprüche bei Arbeitsversäumnis wegen Betriebsratstätigkeiten mit anderen Arbeitsausfallgründen.1935 Zwar handelt es sich bei § 78 S. 2 BetrVG nicht um eine echte gesetzliche Konkurrenzregel wie etwa § 9 BUrlG, der das Verhältnis von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Erholungsurlaub ausdrücklich bestimmt.1936 Das ändert aber nichts daran, dass die Wertungen von § 78 S. 2 BetrVG bei der Entscheidung des Vorrangverhältnisses zu berücksichtigen sind. Diese Vorschrift gebietet es, Bevorzugungen wie auch Benachteiligungen des Betriebsratsmitglieds gegenüber anderen Arbeitnehmern zu verhindern. Daher muss zum Beispiel das arbeitsunfähig erkrankte Betriebsratsmitglied ebenso gestellt werden wie andere arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer. Deswegen muss auch auf das arbeitsunfähig erkrankte Betriebsratsmitglied § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG anwendbar sein (und nicht etwa § 37 Abs. 2 BetrVG). Folglich sind die in § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG geregelten Tatbestände gegenüber anderen Arbeitsausfallgründen grundsätzlich subsidiär1937 und sogenannte „schwache“ Tatbestände. Dieser Argumentation lässt sich nicht überzeugend entgegenhalten, dass die hier vertretene Lösung eine ungerechtfertigte und nach § 78 S. 2 BetrVG verbotene Andersbehandlung des Betriebsratsmitglieds zur Folge hat, indem es – um auf das eben angeführte Beispiel zurückzukommen – das erkrankte Betriebsratsmitglied anders stellt als nicht erkrankte Betriebsratsmitglieder. Zwar kommt es zu einer Ungleichbehandlung, diese ist aber nicht nach § 78 S. 2 BetrVG verboten. Nach dieser Vorschrift ist nur eine Benachteiligung oder Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds aufgrund seiner Tätigkeit im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern verboten. Der Norm ist aber kein Verbot zu entnehmen, Betriebsratsmit1934

Vgl. oben § 5 M.I. Zum systematischen Zusammenhang von § 37 Abs. 2, 3 BetrVG mit § 78 S. 2 BetrVG vgl. oben § 5 N.I.1.b). In ähnlicher Weise ist auch § 38 BetrVG als Ausprägung des § 78 S. 2 BetrVG einzustufen. Hierfür spricht die enge dogmatische Verwandtschaft von § 38 BetrVG zu § 37 Abs. 2, 3 BetrVG. Gleiches gilt für die Ansprüche gemäß § 37 Abs. 6, 7 BetrVG, da auch diese Tatbestände auf der Grundnorm des § 37 Abs. 2 BetrVG aufbauen. 1936 A. A. Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 114 f. 1937 Vgl. auch Gloistein Betriebsrat, S. 99 f.; der aber nicht ausdrücklich von Subsidiarität spricht. 1935

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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glieder aufgrund einer Erkrankung anders zu behandeln als andere Betriebsratsmitglieder.1938 Eine mögliche Besserstellung des Betriebsratsmitglieds durch vorrangige Anwendung der §§ 37, 38 BetrVG lässt sich auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, das erkrankte Betriebsratsmitglied erbringe anders als andere erkrankte Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung, indem es Betriebsratstätigkeiten nachgehe. Wie erläutert liegt in einer Betriebsratstätigkeit gerade keine Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung und auch kein ebenso zu vergütendes Surrogat. Vielmehr setzen §§ 37, 38 BetrVG nur die Rechtsfolge von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB für die für Betriebsratstätigkeiten aufgewendete Zeit außer Kraft, um § 78 S. 2 BetrVG in seiner Ausprägung als Benachteiligungsverbot gerecht zu werden. Gerade § 78 S. 2 BetrVG (insbesondere in seiner Ausprägung als Begünstigungsverbot) verbietet aber eine vorrangige Anwendung der §§ 37, 38 BetrVG aus den genannten Gründen. 18. Vergütungsanspruch im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen (vgl. § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG) Wie bereits geschildert worden ist, wird § 78 S. 2 BetrVG analog auf § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG angewendet.1939 Daraus folgt für Kollisionen mit anderen Arbeitsausfallgründen, ähnlich wie bei Betriebsratsmitgliedern, dass Arbeitnehmer im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG nicht anders behandelt werden dürfen als andere Arbeitnehmer. Daher müssen konkurrierende Ausfallgründe gegenüber § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG vorrangig sein. Die Norm ist damit ein sogenannter „schwacher“ Tatbestand. 19. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG Für das Verhältnis des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG zu anderen Arbeitsausfallgründen ist insbesondere dessen Zweck bedeutsam. Er besteht vor allem darin, die Teilnahme der Arbeitnehmer an Betriebsversammlungen zu fördern.1940 Um dieses Ziel zu erreichen, gewährt das Gesetz besonders weitreichenden Entgeltschutz einschließlich Fahrtkostenersatz und Vergütung der Wegezeiten. Diesem hohen Schutzniveau wird man im Konkurrenzfalle am besten durch einen Vorrang des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG gerecht. Infolgedessen ist die Vorschrift als relativ „starker“ Tatbestand einzustufen.

1938 Im Ergebnis (wenn auch ohne nähere Begründung) ebenso BAG 31.7.1986 – 6 AZR 298/84, AP Nr. 55 zu § 37 BetrVG 1972. 1939 Vgl. oben § 5 O.I. 1940 Vgl. dazu oben § 5 P.I.2.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

20. Vergütungsanspruch bei Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 2 BetrVG Weniger eindeutig stellt sich die Situation bei Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG dar. Da diese Vorschrift jegliche Minderung des Arbeitsentgelts verbietet, könnte man erwägen, sie gegenüber solchen konkurrierenden Ausfallgründen als vorrangig zu behandeln, die eine niedrigere Vergütung vorsehen. Dieses Argument kann indes nicht verfangen. Der strikte Wortlaut von § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG definiert allein die Höhe der Entgeltfortzahlung nach dieser Norm. Er trifft hingegen keine Aussage über das Verhältnis der Vorschrift zu anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen. Insbesondere kann nicht gefolgert werden, ein Vorrang anderer Tatbestände vor § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG sei unzulässig, wenn damit eine Minderung des Arbeitsentgelts einherginge. Kommt es im Entgeltfortzahlungsrecht zu einer Konkurrenz mehrerer Ausfallgründe, tritt häufig der Fall ein, dass die letztlich nach dem vorrangigen Tatbestand zu zahlende Vergütungshöhe nicht den Wortlaut der zurücktretenden Vorschrift widerspiegelt. Das liegt bei Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung in der Natur der Sache. Kollidieren mehrere Entgeltfortzahlungstatbestände und lässt man einen von ihnen zurücktreten, ignoriert man dessen Wortlaut zwangsläufig, sofern nicht zufälligerweise beide Entgeltfortzahlungstatbestände die gleiche Vergütungshöhe vorsehen. Es handelt sich somit um kein spezifisches Phänomen von § 44 Abs. 2 BetrVG, wenn diese Vorschrift zurücktritt und sich deshalb das Arbeitsentgelt scheinbar entgegen dem eindeutigen Wortlaut mindert. Dennoch wird man in vielen Fällen annehmen müssen, dass § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG andere Arbeitsausfallgründe verdrängt. Die Vorschrift soll, wie oben erläutert, nicht nur finanzielle Einbußen des Arbeitnehmers verhindern, sondern zugleich auch einen Anreiz für die Teilnahme der Arbeitnehmer setzen. Dem wird man am ehesten gerecht, wenn man § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG mit seinem vergleichsweise hohen Schutzniveau gegenüber konkurrierenden Arbeitsausfallgründen als vorrangig einstuft. Somit handelt es sich auch bei dieser Vorschrift um einen relativ „starken“ Tatbestand. 21. Vergütungsanspruch bei Besuch von Sprechstunden oder sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) Für das Verhältnis des § 39 Abs. 3 BetrVG zu anderen Arbeitsausfallgründen gelten ähnliche Gesichtspunkte wie bei § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG.1941 Allein aus dem strikten Wortlaut, wonach der Arbeitgeber nicht zur Minderung des 1941

Vgl. dazu oben § 9 B.III.20.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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Arbeitsentgelts berechtigt ist, lässt sich kein Vorrang des § 39 Abs. 3 BetrVG ableiten. Stattdessen ist auf den Zweck der Vorschrift abzustellen. § 39 Abs. 3 BetrVG soll nicht nur finanzielle Einbußen des Arbeitnehmers verhindern, sondern zugleich auch einen Anreiz dafür setzen, die Sprechstunde zu nutzen.1942 Dieses Anliegen lässt sich häufig am besten durch das vergleichsweise hohe Schutzniveau des § 39 Abs. 3 BetrVG verwirklichen, das der strikte Wortlaut garantiert. Daher ist § 39 Abs. 3 BetrVG gegenüber anderen Arbeitsausfallgründen vorrangig, sofern dem keine zwingenden gesetzlichen Wertungen entgegenstehen. Infolge der strukturellen Ähnlichkeiten ist der Stellenwert von § 39 Abs. 3 BetrVG und § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG in etwa vergleichbar hoch. Auch § 39 Abs. 3 BetrVG ist ein relativ „starker“ Tatbestand. 22. Rechtmäßiger Streik Regelmäßig ist der rechtmäßige Streiks vor anderen Arbeitsausfallgründen vorrangig. Dafür spricht vor allem, dass es im Belieben des Arbeitnehmers liegt, ob er sich an einem Streik beteiligt. Beteiligt er sich nicht, treffen ihn die Rechtsfolgen des Streiks auch nicht, und ein gegebenenfalls konkurrierender Entgeltfortzahlungstatbestand kann eingreifen. Der Arbeitnehmer hat es also in der Hand, jederzeit die Vergütungspflicht des Arbeitgebers wieder aufleben zu lassen. Verzichtet er aber freiwillig darauf, etwa, um an einer Streikkundgebung teilzunehmen und dadurch Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, muss er auch die aus einer Streikteilnahme resultierenden Rechtsfolgen in Kauf nehmen. Es entspricht in diesem Fall dem Willen des Arbeitnehmers, den Entgeltausfall in Kauf zu nehmen, und dem sollte man auch zur Geltung verhelfen. Da der Ausfallgrund „Streik“ eine Teilnahmeerklärung voraussetzt, werden die Interessen des Arbeitnehmers hinreichend berücksichtigt. Zudem lässt sich auch der Gedanke der Kampfparität für einen Vorrang des Streiks anführen. Wenn ein Arbeitnehmer streiken könnte, ohne seinen Entgeltanspruch zu verlieren, erlangte die Arbeitnehmerseite einen unfairen Vorteil gegenüber dem Arbeitgeber. Somit kommt dem rechtmäßigen Streik im Verhältnis zu konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbeständen eine relativ „starke“ Stellung zu. 23. Rechtswidriger Streik Im Hinblick auf das Verhältnis des rechtswidrigen Streiks zu konkurrierenden Arbeitsausfallgründen muss man berücksichtigen, dass – wie oben1943 dargelegt – bereits die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände verdrängt und etwaige daraus resultierende Entgeltansprüche 1942 1943

Vgl. dazu oben § 5 Q.II. § 9 B.III.22.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

des Arbeitnehmers vernichtet. Daher muss die Vergütungspflicht des Arbeitgebers erst Recht bei der Beteiligung an einem rechtswidrigen Streik entfallen. Dem Arbeitnehmer darf ein rechtswidriges Verhalten nicht zum Vorteil gereichen. In einem solchen Fall ist der Arbeitnehmer nicht schutzwürdig. Zudem hat er es in der Hand, jederzeit seine Beteiligung an dem rechtswidrigen Streik aufzugeben und den konkurrierenden Entgeltfortzahlungsanspruch wieder aufleben zu lassen. Außerdem drohte eine Paritätsstörung, wenn der Arbeitnehmer streiken könnte, ohne seinen Entgeltanspruch zu verlieren. Damit setzt sich im Regelfall die Beteiligung an einem rechtswidrigen Streik gegen konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände durch. Auch der rechtswidrige Streik ist ein sogenannter „starker“ Ausfallgrund. 24. Rechtmäßige Aussperrung Die andernfalls drohende Störung der Kampfparität ist es auch, die der rechtmäßigen Aussperrung zum Vorrang gegenüber konkurrierenden Ausfallgründen verhilft. Es handelt sich um einen sogenannten „starken“ Ausfallgrund. Erhielte der Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung nach einem konkurrierenden Tatbestand, wäre es dem Arbeitgeber verwehrt, den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers durch eine rechtmäßige Aussperrung zu vernichten. Dadurch verschöbe sich das Gleichgewicht der Arbeitskampfparteien zugunsten der Arbeitnehmerseite. Dem Arbeitgeber würde unzulässigerweise die Möglichkeit genommen, ebenso wie die Arbeitnehmerseite durch Arbeitskampfmaßnahmen den Verlauf des Arbeitskampfs und das Verhandlungsgleichgewicht zu beeinflussen. Eine Störung der Arbeitskampfparität drohte zudem aus einem weiteren Grund: Wie geschildert worden ist, sind der rechtmäßige und der rechtswidrige Streik sogenannte „starke“ Ausfallgründe.1944 Behandelte man die Aussperrung nicht ebenfalls als „starken“ Ausfallgrund, räumte man arbeitnehmerseitigen Kampfmaßnahmen wie dem Streik im Verhältnis zu anderen Arbeitsausfallgründen abstrakt einen höheren Stellenwert ein als der arbeitgeberseitigen Aussperrung. Infolgedessen käme es zu einem Ungleichgewicht der Handlungsmöglichkeiten der Kampfgegner. 25. Rechtswidrige Aussperrung Durch eine rechtswidrige Aussperrung gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB), sofern dessen Voraussetzungen vorliegen.1945 Andern1944 Vgl. zum rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22. und zum rechtswidrigen Streik oben § 9 B.III.23. 1945 BAG 31.10.1995 – 1 AZR 217/95, AP Nr. 140 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Otto Arbeitsrecht Rn. 797; MünchArbR-Ricken § 205 Rn. 9; Schuh Streik, S. 172; a. A. hingegen Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht I, S. 1233, der auf die Voraussetzungen der

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falls entfällt der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ersatzlos nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Daraus folgt für das Verhältnis zu anderen Arbeitsausfallgründen, dass eine gesonderte Behandlung von einzelnen Konkurrenzen zwischen der rechtswidrigen Aussperrung und anderen Verhinderungsgründen überflüssig ist. Soweit die Annahmeverzugsvoraussetzungen vorliegen, gelten die Ausführungen über das Verhältnis von Annahmeverzug zu anderen Ausfallgründen entsprechend.1946 Liegen die Voraussetzungen hingegen nicht vor, ist die rechtswidrige Aussperrung gegenüber allen konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbeständen zwingend nachrangig. Dadurch wird gesichert, dass der Arbeitnehmer einen Vergütungsanspruch erhält. Dieses Ergebnis ist interessengerecht, weil in einem solchen Fall der Arbeitnehmer schutzwürdig ist, der Arbeitgeber hingegen nicht. Es wäre unbillig, wenn der Arbeitgeber von seinem rechtswidrigen Verhalten auch noch dadurch profitierte, dass die rechtswidrige Aussperrung sich gegen einen konkurrierenden Entgeltfortzahlungsanspruch durchsetzte und der Arbeitnehmer deswegen vergütungslos bliebe. Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des Annahmeverzugs vorliegen oder nicht, handelt es sich bei der rechtswidrigen Aussperrung um einen sogenannten „schwachen“ Tatbestand. Ist Annahmeverzug gegeben, folgt die „schwache“ Stellung aus der grundsätzlichen Subsidiarität des Annahmeverzugs.1947 Liegt kein Annahmeverzug vor, ist die rechtswidrige Aussperrung, wie gerade erläutert, aus sich selbst heraus nachrangig. 26. Arbeitskampfrisikolehre Das Verhältnis der Arbeitskampfrisikolehre zu konkurrierenden Arbeitsausfallgründen wird durch den Umstand bestimmt, dass die Arbeitskampfrisikolehre nur angewendet werden darf, um eine drohende Paritätsstörung abzuwenden.1948 Nach der Arbeitskampfrisikolehre entfällt der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers, um das Verhandlungsgleichgewicht zwischen den Kampfparteien zu bewahren. Gewährte man einem konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbestand den Vorrang, konterkarierte man den Zweck der Arbeitskampfrisikolehre, weil der Arbeitnehmer nach wie vor eine Vergütung erhielte. Es drohte dadurch weiterhin eine Paritätsstörung. Aus diesem Grund muss sich die Arbeitskampfrisikolehre im Regelfall gegen konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände durchsetzen. Es handelt sich folglich um einen relativ „starken“ Ausfallgrund.

§§ 293 ff. BGB verzichten möchte; unklar insoweit Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 42. Vgl. auch bereits oben § 6 B.II.2. 1946 Siehe unten § 9 C.X. 1947 Vgl. dazu oben § 9 B.III.10. 1948 Vgl. oben § 6 B.IV.2.c).

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

27. Unbezahlter Urlaub Da mögliche Abreden über unbezahlten Urlaub sehr vielgestaltig sein können,1949 lassen sich nur wenige allgemeingültige Aussagen über das Verhältnis von unbezahltem Urlaub zu konkurrierenden Arbeitsausfallgründen treffen. Ausgangspunkt muss die Vereinbarung sein, die im Einzelfall dem unbezahlten Urlaub zugrunde liegt. Ihr wird im Wege der Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. §§ 133, 157 BGB) zu entnehmen sein, welcher Stellenwert dem unbezahlten Urlaub im Verhältnis zu anderen Verhinderungsgründen zukommen soll. Grenzen können sich daraus ergeben, dass bestimmte gesetzliche Entgeltfortzahlungstatbestände nicht abdingbar sind. In der Praxis wird das Verhältnis des unbezahlten Urlaubs zu konkurrierenden Ausfallgründen nur ausnahmsweise ausdrücklich in der Vereinbarung über den unbezahlten Urlaub geregelt sein. Fehlt eine solche Regelung, ist mithilfe weiterer Anhaltspunkte die Aussage der Vereinbarung hinsichtlich des Vorrangverhältnisses zu erforschen.1950 Dabei muss neben dem Wortlaut der Vereinbarung insbesondere der Zweck des Sonderurlaubs berücksichtigt werden. Auch der Zweck des konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbestands kann eine Rolle spielen. Bleibt dieser Schritt unergiebig, ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung1951 zu fragen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn ihnen das Problem bewusst gewesen wäre. Ergibt die Auslegung, dass unbezahlter Urlaub nachrangig ist, stellt sich die – ebenfalls durch Auslegung zu klärende – Folgefrage, ob der unbezahlte Urlaub später nachzugewähren ist. Da sich das Verhältnis des unbezahlten Urlaubs zu konkurrierenden Ausfallgründen vollständig von der zugrunde liegenden Vereinbarung und deren Ausgestaltung im Einzelfall abhängt, lässt sich keine pauschale Aussage darüber treffen, ob es sich bei dem unbezahlten Urlaub abstrakt um einen eher „starken“ oder „schwachen“ Tatbestand handelt. 28. Kurzarbeit Soweit die Einführung der Kurzarbeit auf einer Vereinbarung beruht, handelt es sich dabei um eine besondere Form von unbezahltem Urlaub.1952 Daher richtet sich das Verhältnis zu konkurrierenden Ausfallgründen in diesen Fällen nach

1949

Vgl. dazu oben § 6 C. Das kann mittels der natürlichen und der erläuternden Auslegung geschehen, vgl. dazu Bork BGB AT, Rn. 511–531. 1951 Vgl. zur ergänzenden Auslegung Bork BGB AT Rn. 532–539; Köhler BGB AT § 9 Rn. 17–21; Staudinger-Roth § 157 Rn. 11 ff., 30. 1952 Vgl. oben § 6 D.I. 1950

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den Grundsätzen, die zum unbezahlten Urlaub entwickelt wurden.1953 Folglich ist in der Regel die Auslegung der Vereinbarung maßgeblich, das der Kurzarbeit zugrunde liegt. Zu beachten ist indes, dass einige Konkurrenzen, an denen Kurzarbeit beteiligt ist, gesetzlich ausdrücklich geregelt sind (vgl. § 2 Abs. 2 und § 4 Abs. 3 EFZG). Dem kommt nicht nur Bedeutung für die dort erfassten Verhinderungsgründe zu. Vielmehr können diesen Regelungen grundlegende Vorstellungen des Gesetzgebers über den Stellenwert der Kurzarbeit im Verhältnis zu anderen Verhinderungsgründen entnommen werden. Diese Wertungen können bei Auslegung der Vereinbarung zu berücksichtigen sein, durch die Kurzarbeit eingeführt wird. Ordnet hingegen der Arbeitgeber Kurzarbeit unter den Voraussetzungen des § 19 KSchG einseitig an und ist er nach Maßgabe des § 19 Abs. 2 Hs. 2 KSchG berechtigt, das Entgelt zu kürzen, gelten andere Maßstäbe. Dann ist der Kurzarbeit im Verhältnis zu konkurrierenden Ausfallgründen abstrakt ein sehr hoher Stellenwert einzuräumen. Das folgt aus den weitgehenden Befugnissen, die der Gesetzgeber dem Arbeitgeber in diesen Fällen einräumt. § 19 KSchG ermächtigt den Arbeitgeber zu einem intensiven einseitigen Eingriff in das Leistungsaustauschverhältnis mit dem Arbeitnehmer. Der Gesetzgeber gewichtet damit die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers stärker als die Privatautonomie der Arbeitsvertragsparteien. Dieses Ziel würde konterkariert, wenn man konkurrierenden Tatbeständen den Vorrang einräumte, da der Arbeitgeber entgegen der gesetzgeberischen Konzeption zur Entgeltzahlung verpflichtet bliebe. Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine einseitige Anordnung nach § 19 KSchG, wie erläutert, nur unter strengen Voraussetzungen erfolgen kann. Insbesondere darf der Arbeitgeber nicht in der Lage sein oder es darf ihm nicht zumutbar sein, die Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Sperrfrist voll zu beschäftigen. § 19 KSchG ist daher nur in einer wirtschaftlichen Notsituation des Arbeitgebers anwendbar.1954 Diese besonderen Umstände rechtfertigen im Regelfall einen Vorrang der Kurzarbeit nach § 19 KSchG gegenüber konkurrierenden Ausfallgründen. Die vorstehenden Überlegungen zeigen, dass der abstrakte Stellenwert der Kurzarbeit im Verhältnis zu anderen Arbeitsausfallgründen maßgeblich davon abhängt, ob Kurzarbeit aufgrund einer Vereinbarung oder einseitig durch den Arbeitgeber gemäß § 19 KSchG eingeführt wird. Im erstgenannten Fall entscheidet ausschließlich die konkrete Vereinbarung im Einzelfall, weswegen sich generalisierende Aussagen verbieten. In der zweitgenannten Konstellation hingegen handelt es sich bei der Kurzarbeit abstrakt um einen relativ „starken“ Tatbestand.

1953 1954

Vgl. oben § 9 B.III.27. Vgl. dazu schon oben § 6 D.II.2.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

29. Elternzeit (vgl. § 15 BEEG) Für das Verhältnis von Elternzeit zu anderen Verhinderungsgründen spielt vor allem eine Rolle, dass während der Elternzeit kein Anlass für eine Entgeltzahlung aufgrund eines konkurrierenden Tatbestands besteht. Der Arbeitnehmer verzichtet für den gesamten Zeitraum der Elternzeit freiwillig auf seine Vergütungsansprüche gegen den Arbeitgeber. Er ist also ohnehin darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten. Insoweit kommen gegebenenfalls Ansprüche auf Elterngeld oder das Einkommen des Partners in Betracht. Tritt während der Elternzeit ein weiterer Arbeitsausfallgrund auf, ist der Arbeitnehmer im Hinblick auf seine Entgeltansprüche nicht schutzwürdiger als während der übrigen Elternzeit. Infolgedessen setzt sich die Elternzeit gegenüber solchen Entgeltfortzahlungstatbeständen durch, die von Existenzsicherungserwägungen geprägt sind. Sie ist daher ein relativ „starker“ Tatbestand. Keine Rolle für den Stellenwert der Elternzeit spielt demgegenüber der Umstand, dass die §§ 15 ff. BEEG europarechtliche Vorgaben umsetzen.1955 Anders als §§ 11, 14, 16 MuSchG und § 1 BUrlG ist § 15 BEEG kein europarechtlich veranlasster Entgeltfortzahlungstatbestand. Nur das Recht, Elternzeit in Anspruch nehmen zu dürfen, ist im Unionsrecht verankert. Während dieser Zeit muss der Arbeitgeber aber unionsrechtlich kein Entgelt fortzahlen, und der deutsche Umsetzungsgesetzgeber hat auch darauf verzichtet, eine Entgeltfortzahlung überobligatorisch vorzusehen. Daher besteht – anders als bei den genannten Vorschriften des MuSchG und des BUrlG – keine Gefahr, dass sich konkurrierende Tatbestände mit einer niedrigeren Vergütung durchsetzen und dadurch unionsrechtliche Vorgaben über die Höhe der Entgeltfortzahlung verletzt werden. Hinzuweisen ist noch auf folgende Besonderheit: Übt der Arbeitnehmer während der Elternzeit eine Teilzeitbeschäftigung aus und tritt ein weiterer Verhinderungsgrund auf, kommt es nur hinsichtlich desjenigen Teils der Arbeitszeit zu einer Kollision, der infolge der Elternzeit ausfällt. Dagegen greift für die Zeiträume, in denen der Arbeitnehmer noch eine Arbeitsleistung erbringt, nur der konkurrierende Ausfallgrund ein. Die Elternzeit als Arbeitsausfallgrund ist insoweit tatbestandlich nicht einschlägig. 30. Sonstige Risikotragung durch den Arbeitnehmer (vgl. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB) Da die Ausfallgründe, die unter das Risiko des Arbeitnehmers fallen, sehr vielgestaltig sind, erweist es sich als schwierig, ihren Stellenwert im Verhältnis zu konkurrierenden Verhinderungsgründen abstrakt zu beurteilen. Mit den gesetzli-

1955

Vgl. dazu oben § 6 E.II.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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chen Regelungen, die solchen Ausfallgründen in vielen Fällen zugrunde liegen, verfolgt der Gesetzgeber ganz unterschiedliche Zwecke. Absolute Aussagen über Konkurrenzverhältnisse wie „derartige Ausschlussgründe setzen sich immer/nie gegen konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände durch“ lassen sich nicht treffen. Erforderlich ist vielmehr eine differenzierte Bewertung des Stellenwerts jedes einzelnen Ausschlussgrunds unter Berücksichtigung des jeweiligen Regelungszwecks und der jeweiligen Kollisionskonstellation. Eine solche Bewertung kann in Anbetracht einer nur schwer zu überschauenden Vielzahl der denkbaren Konstellationen im Rahmen dieser Untersuchung nur exemplarisch in zwei Fällen geleistet werden. Dabei handelt es sich um die praktisch besonders relevanten Beispiele der Arbeitsunwilligkeit und des Wegerisikos. a) Keine tatbestandliche Subsidiarität Bevor sogleich auf diese beiden besonderen Fälle von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB eingegangen wird, verdient eine bestimmte Tatbestandsvoraussetzung dieser Vorschrift Aufmerksamkeit, und zwar die fehlende Risikoverlagerung auf den Arbeitgeber durch einen Entgeltfortzahlungstatbestand. Wie oben geschildert worden ist, greift § 326 Abs. 1 S. 1 BGB nicht ein, wenn sich das Vergütungsrisiko ausnahmsweise aufgrund spezieller Regelungen auf den Arbeitgeber verlagert, beispielsweise durch einen der in dieser Arbeit untersuchten Entgeltfortzahlungstatbestände.1956 Diese Tatbestandsvoraussetzung, das soll hier klargestellt werden, spielt keine Rolle für die Auflösung von Kollisionen unter Beteiligung eines Ausfallgrunds, für den der Arbeitnehmer das Risiko trägt. Auf den ersten Blick könnte man zwar den voreiligen Schluss ziehen, dass § 326 Abs. 1 S. 1 BGB aufgrund dieser Voraussetzung stets hinter konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände zurücktreten muss. Dabei übersähe man aber, dass sich die Subsidiarität von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB stets nur auf einen konkreten Ausfallgrund bezieht, nicht aber auf Fälle der Kollision mit anderen Ausfallgründen. Dieses Argument lässt sich anhand eines Beispiels verdeutlichen: Ist eine Arbeitnehmerin schwanger und infolge eines Beschäftigungsverbots gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG arbeitsunfähig, greift § 326 Abs. 1 S. 1 BGB nicht ein, da § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG das Risiko auf den Arbeitgeber verlagert. Insoweit ist § 326 Abs. 1 S. 1 BGB – bezogen auf den konkreten Ausfallgrund „Beschäftigungsverbot gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG“ – tatbestandlich subsidiär. Eine solche tatbestandliche Subsidiarität ist aber nicht gegeben, wenn ein von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB erfasster Ausfallgrund mit einem weiteren Verhinderungsgrund konkurriert. Kann die Arbeitnehmerin infolge von Glatteis nicht zur 1956

Vgl. dazu oben § 6 F.II.1.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Arbeit gelangen und rutscht sie bei ihrem – erfolglosen – Versuch, den Betrieb zu Fuß zu erreichen, aus und bricht sich ein Bein, konkurriert die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit (§ 3 Abs. 1 EFZG) mit dem Wegerisiko der Arbeitnehmerin (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB). Im Verhältnis dieser beiden Ausfallgründe greift die tatbestandliche Subsidiarität des Wegerisikos nicht ein. Zwar ist auch hier zu prüfen, ob eine Spezialvorschrift das grundsätzlich von der Arbeitnehmerin nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB zu tragende Risiko des Arbeitsausfalls auf den Arbeitgeber verlagert. Diese Prüfung beschränkt sich aber auf die beiden einzelnen Ausfallgründe „Wegerisiko“ und „krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit“. Das Verhältnis beider Ausfallgründe zueinander wird nicht erfasst. Die Beschränkung der Prüfung auf die einzelnen Ausfallgründe unter Aussparung des Verhältnisses beider Ausfallgründe zueinander folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die die Risikoverlagerung anordnet – im Beispielsfall § 3 Abs. 1 EFZG. Dieser Tatbestand soll die Arbeitnehmerin vom Risiko des Arbeitsausfalls im Fall einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit entlasten, nicht aber vom Wegerisiko. Genau dieses Risiko würde aber gestützt auf § 3 Abs. 1 EFZG auf den Arbeitgeber verlagert, wenn man die tatbestandliche Subsidiarität von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB auf alle an einer Kollision beteiligten Ausfallgründe erstreckte. Daher kann allein unter Rückgriff auf § 3 Abs. 1 EFZG keine Lösung erzielt werden, wenn mehrere Ausfallgründe gleichzeitig auftreten. Aufgrund dieser Konzeption des deutschen Entgeltfortzahlungsrechts ist jeder Ausfallgrund grundsätzlich isoliert daraufhin zu überprüfen, ob er durch besondere Vorschriften wie beispielsweise Entgeltfortzahlungstatbestände geregelt wird. Nur in Ausnahmefällen unter besonderen Voraussetzungen ist es denkbar, den Bezugspunkt einer Tatbestandsvoraussetzung über den zu prüfenden Ausfallgrund hinaus auf den konkurrierenden Ausfallgrund zu erweitern. Ein Beispiel für einen solchen Ausnahmefall ist die Prüfung der wenigstens weit überwiegenden Verantwortlichkeit des Arbeitgebers bei § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB, die auf alternativ kausale Ausfallgründe zu erstrecken ist.1957 Für den angesprochenen Beispielsfall folgt aus diesen Überlegungen, dass im Falle des Ausfallgrunds „krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit“ eine solche Risikoverlagerung auf den Arbeitgeber bejaht werden muss, weil die Spezialvorschrift § 3 Abs. 1 EFZG eingreift. Bei dem Wegerisiko verlagert sich das Risiko nicht, weil der Gesetzgeber für diesen Fall keine Spezialvorschrift geschaffen hat. Es bleibt daher insoweit bei der Anwendung von § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Das Verhältnis beider Ausfallgründe zueinander kann somit nicht auf Tatbestandsebene gelöst werden. Daher müssen auf der dritten Stufe Wertungsgesichtspunkte und insbesondere die Normzwecke entscheiden.1958

1957 1958

Vgl. zur Begründung dieser Ausnahme oben § 5 B.III.3.c). Vgl. zur Auflösung dieser Kollision unten § 9 C.II.3.c)ee).

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b) Arbeitsunwilligkeit Trifft die Arbeitsunwilligkeit des Arbeitnehmers mit einem Entgeltfortzahlungstatbestand zusammen, bleibt der Vergütungsanspruch unberührt.1959 Ein Arbeitnehmer, der einem Entgeltfortzahlungstatbestand unterfällt, darf nach dessen Wertung arbeitsunwillig sein. Verlangte man von ihm Arbeitswilligkeit, stellte man eine Voraussetzung auf, die sich aus dem Gesetz nicht ergibt. Beispielsweise sollen arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer oder Schwangere gerade nicht arbeiten, sondern sich erholen und schonen. An einem Feiertag darf der Arbeitnehmer nach der Wertung des § 9 Abs. 1 ArbZG gar nicht arbeiten. Folglich kann das Gesetz von ihm auch nicht verlangen, an einem Feiertag arbeitswillig zu sein. Dass die Arbeitswilligkeit oder -unwilligkeit keine Rolle für den sich aus Entgeltfortzahlungstatbeständen ergebenden Entgeltanspruch spielen kann, zeigt auch die folgende Überlegung: Wer Arbeitswilligkeit zur immanenten Voraussetzung von Entgeltfortzahlungstatbeständen erhebt,1960 verlangt genau genommen gar keine echte Arbeitswilligkeit des Arbeitnehmers, sondern nur eine hypothetische. Der erkrankte Arbeitnehmer soll gar nicht tatsächlich arbeiten wollen. Er sollte nur dazu bereit sein, wenn er nicht krank wäre. Derartige hypothetische Kausalverläufe sind aber im Entgeltfortzahlungsrecht gerade nicht zu berücksichtigen.1961 Entscheidend muss daher einzig sein, was man vom Arbeitnehmer realiter verlangen darf – und dazu gehört die Arbeitswilligkeit während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nach der gesetzlichen Wertung gerade nicht. Demzufolge müssen sich konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände gegen die Arbeitsunwilligkeit durchsetzen.1962 Es handelt sich daher bei der Arbeitsunwilligkeit um einen sogenannten „schwachen“ Tatbestand. c) Wegerisiko Für Umstände, die unter das Wegerisiko des Arbeitnehmers fallen, kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Das zeigt sich anhand der folgenden Überlegung: Wenn der Arbeitnehmer, der unter einen Entgeltfortzahlungstatbestand fällt, nicht arbeitswillig sein muss, darf man billigerweise von ihm auch keine Anstrengungen fordern, zur Arbeitsstätte zu gelangen. Warum sollte ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer bei Glatteis keine Entgeltfortzahlung erhalten, obwohl er

1959 Im Ergebnis ebenso Soergel-Kraft (12. Auflage) § 616 Rn. 9 mit der Begründung, die Arbeitsunwilligkeit lasse die arbeitsvertraglichen Pflichten unberührt; a. A. ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 680. 1960 So etwa Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 18; im Ergebnis auch ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 680; speziell für § 3 EFZG Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 75. 1961 Siehe bereits oben unter § 6 B.I.1.a)ii) sowie unter § 9 B.II.3. 1962 A. A. ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 680; Preis/Hamacher Jura 1998, S. 11, 18.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

doch während seiner Erkrankung überhaupt nicht in seinen Betrieb fahren muss? Darf der Arbeitnehmer sanktionslos unwillig sein, seine Arbeitsleistung zu erbringen, ist es sinnlos, von ihm zu fordern, an seinen Arbeitsplatz zu gelangen. Daher schaden ihm fehlende oder erfolglose Bemühungen im Hinblick auf den Entgeltanspruch nicht. Folglich ist das Wegerisiko gegenüber konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbeständen stets nachrangig und ein sogenannter „schwacher“ Tatbestand. 31. Zwischenfazit Die vorstehende Zusammenstellung zeigt die große Heterogenität der Aspekte, die für die einzelnen Ausfallgründe konkurrenzrelevant sind. Zu einem kleinen Teil sind Lösungen auf Tatbestandsebene (erste Stufe des dreistufigen Ansatzes) möglich, insbesondere für Konkurrenzen unter Beteiligung des Annahmeverzugs (vgl. § 615 S. 1 BGB). Weitaus bedeutsamer aber sind Wertungsgesichtspunkte, die auf der dritten Stufe zum Tragen kommen. Dabei stehen insbesondere europarechtliche Vorgaben sowie der Zweck des Arbeitnehmerschutzes im Fokus. Demgegenüber fällt auf, dass Lösungen der zweiten Stufe nur selten erwähnt werden. Der Grund hierfür liegt im Fehlen konkurrenzübergreifender gesetzlicher Regelungen. Da sich die vorstehende Erörterung in erster Linie darauf konzentriert, solche Aspekte eines jeden Ausfallgrunds herauszuarbeiten, die im Verhältnis zu möglichst vielen anderen Ausfallgründen eine Rolle spielen, sind in diesem Zusammenhang vor allem gesetzliche Regelungen interessant, die auf mehr als nur eine Konkurrenz anwendbar sind. Derartige gesetzliche Regelungen existieren aber nicht.

C. Einzelne Konkurrenzen nach dem dreistufigen Ansatz Im Folgenden werden alle denkbaren Fälle von Doppelkausalität zwischen den in dieser Arbeit untersuchten Ausfallgründen auf Grundlage des dreistufigen Ansatzes behandelt. Dabei wird so vorgegangen, dass nacheinander jeder einzelne Verhinderungsgrund im Hinblick auf alle möglichen Kollisionen mit anderen Ausfallgründen betrachtet wird. Innerhalb der Prüfung eines einzelnen Verhinderungsgrunds bestimmt sich die Reihenfolge der verschiedenen Konstellationen danach, auf welcher Ebene des dreistufigen Ansatzes das Verhältnis der beiden Ausfallgründe zueinander abschließend bestimmt werden kann. Somit werden zunächst sämtliche Konstellationen zwischen dem jeweils gerade im Mittelpunkt stehenden Verhinderungsgrund und weiteren Ausfallgründen erörtert, die sich abschließend auf der ersten Stufe klären lassen. Das ist dann zu bejahen, wenn ein tatbestandliches Zusammentreffen beider Ausfallgründe unmöglich ist. Für alle Konstellationen, in denen eine tatbestandliche Kollision vorliegt, ist es erforderlich, nach Lösungsmöglichkeiten auf der zweiten oder dritten

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Stufe zu suchen. Daher werden als nächstes auf der zweiten Stufe all jene Konstellationen zwischen dem im Mittelpunkt stehenden Verhinderungsgrund und weiteren Ausfallgründen behandelt, die sich zwingend durch eine gesetzliche Regelung oder Auslegung einer Vereinbarung einordnen lassen. Schließlich rücken auf der dritten Stufe noch alle Konstellationen in den Blickpunkt, die nicht abschließend auf einer der ersten beiden Ebenen erläutert werden können und deswegen nach Wertungsgesichtspunkten, insbesondere unter Berücksichtigung der Normzwecke, zu entscheiden sind. Dabei werden der Übersichtlichkeit halber zunächst diejenigen Konstellationen behandelt, in denen der konkurrierende Ausfallgrund vorrangig ist. Es folgen gegebenenfalls jene Fälle, in denen kein absoluter Vorrang eines Ausfallgrunds besteht, sondern eine nach weiteren Faktoren differenzierende Lösung angemessen ist. Schließlich werden die Konstellationen besprochen, in denen sich der im Mittelpunkt stehende Ausfallgrund durchsetzt. An dieser Stelle ist ein wichtiger Hinweis für die Anwendung dieses dreistufigen Ansatzes auf konkrete Einzelfälle aus der Praxis zu geben. Auch wenn im Folgenden für ein bestimmtes Konkurrenzverhältnis Lösungsmöglichkeiten auf der zweiten und dritten Stufe diskutiert werden, ist dennoch in jedem Einzelfall zu prüfen, ob in der gegebenen Situation nicht schon eine Lösung auf einer niedrigeren Stufe möglich ist. Ist das der Fall, muss nicht auf eine höhere Stufe zurückgegriffen werden. Beispielsweise wird im Folgenden das Verhältnis von rechtmäßigem Streik und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit auf der dritten Stufe zugunsten des Streiks aufgelöst.1963 Wenn im Einzelfall beide Ausfallgründe tatbestandlich einschlägig sind und keine Vereinbarung über ihr Verhältnis zueinander existiert, muss die Konkurrenz nach Wertungsgesichtspunkten und Normzwecken aufgelöst werden. Das bedeutet aber nicht, dass für jeden denkbaren Einzelfall dieser Konstellation ein Rückgriff auf die dritte Stufe erforderlich ist. Fehlt etwa eine Streikteilnahmeerklärung des Arbeitnehmers, ist der Streik tatbestandlich nicht einschlägig. Dann setzt sich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall schon auf der ersten Stufe durch. Ergänzend ist noch auf eine Besonderheit hinzuweisen, die solche Tatbestände betrifft, welche die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit voraussetzen. Hier sei etwa an Betriebsratstätigkeiten oder an die Teilnahme an einer Betriebsversammlung, einer Sprechstunde des Betriebsrats, einer Musterung oder einer Untersuchung im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG gedacht. Man wird annehmen dürfen, dass ein tatbestandliches Zusammentreffen zweier Verhinderungsgründe, die beide derartige Tätigkeiten voraussetzen, in der Praxis unwahrscheinlich ist. Der Vollständigkeit halber ist zwar zu konstatieren, dass man einen solchen Vorfall theoretisch nicht ausschließen kann. Beispielsweise könnte ein Betriebsratsmitglied, während es im Wartezimmer des Arztes auf die Untersuchung im Sinne 1963

Vgl. zu Einzelheiten § 9 C.II.3.a)ff)(1).

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

des § 16 S. 3 MuSchG wartet, „Schreibtischarbeiten“ erledigen. Es handelt sich dabei aber um absolute Randproblematiken ohne praktische Relevanz. Aus diesem Grund wird im Folgenden bei dem Zusammentreffen zweier derartiger Ausfallgründe stets davon ausgegangen, dass ihr gleichzeitiges Auftreten ausgeschlossen ist und insoweit eine abschließende Lösung auf Tatbestandsebene möglich ist. Verzichtet wird auch auf eine Behandlung von Konkurrenzen zweier Ausfallgründe, die beide den Fortfall der Vergütung nach sich ziehen. Ist das der Fall (zum Beispiel bei Streik und Elternzeit), ist es sinnlos, nach dem vorrangigen Tatbestand zu fragen. Das Ergebnis muss in jedem Fall lauten, dass dem Arbeitnehmer keine Vergütung zusteht. Da eine Kollision zweier Tatbestände immer von beiden Seiten beleuchtet werden kann, treten naturgemäß Überschneidungen auf. Jede Kollisionskonstellation wird daher an zwei Stellen erwähnt. Wiederholungen und Doppelungen sollen dabei soweit möglich vermieden werden. Aus diesem Grund wird, wenn eine Konstellation das zweite Mal behandelt wird, auf die erste Erörterung verwiesen. Außerdem wird auf die konkurrenzrelevanten Aspekte Bezug genommen, die, soweit möglich, oben herausgearbeitet und gebündelt dargestellt wurden.1964 I. Zusammentreffen von alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) mit anderen Verhinderungsgründen Als erstes stehen die Konkurrenzen zwischen der alleinigen oder weit überwiegenden Verantwortlichkeit des Arbeitgebers im Sinne des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB und weiteren Ausfallgründen im Mittelpunkt. 1. Lösung auf der ersten Stufe Auf der ersten Stufe des dreistufigen Ansatz ist daran zu erinnern, dass – wie oben1965 erläutert – die Voraussetzungen von § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB in Fällen alternativer Kausalität erst erfüllt sind, wenn der Gläubiger für beide Ursachen wenigstens weit überwiegend verantwortlich ist. Nur in einem solchen Fall kommt es zu einer auflösungsbedürftigen Konkurrenz mit dem anderen Arbeitsaufallgrund. Andernfalls greift § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB schon tatbestandlich nicht ein, was eine Lösung auf der ersten Stufe ermöglicht. Somit ist eine Konkurrenz mit allen Ausfallgründen ausgeschlossen, für die der Arbeitgeber nicht allein oder weit überwiegend verantwortlich sein kann. 1964 1965

Vgl. oben § 9 B.III. Siehe oben § 5 B.III.3.c).

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Dazu gehören die Feiertagsvergütung nach § 2 Abs. 1 EFZG, der bezahlte Erholungsurlaub im Sinne des § 1 BUrlG,1966 die Entgeltfortzahlungstatbestände des MuSchG, das Betriebsrisiko des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 3 BGB),1967 die persönliche Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG), die Tätigkeit des Arbeitnehmers für den Betriebsrat (vgl. §§ 37 Abs. 2, 3, 6, 7, 38 BetrVG), die Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Betriebsversammlung (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG), die Teilnahme an einer Sprechstunde oder eine sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats nach § 39 Abs. 3 BetrVG, die Teilnahme des Arbeitnehmers an einem rechtmäßigen oder rechtswidrigen Streik, das Arbeitskampfrisiko des Arbeitnehmers, der unbezahlte Urlaub, die Elternzeit, Kurzarbeit (soweit sie auf einer Vereinbarung beruht1968) sowie Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko1969.

1966 Zwar legt formell der Arbeitgeber gemäß § 7 BUrlG den Urlaubszeitraum fest. Dabei hat er sich aber gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG grundsätzlich nach den Urlaubswünschen des Arbeitnehmers zu richten. Tut er das, ist er im Urlaubszeitraum für den Arbeitsausfall nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich. Aber auch wenn er von der Ausnahme des § 7 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BUrlG Gebrauch macht und sich für einen bestimmten Zeitraum den Urlaubswünschen des Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Belangen oder wegen vorrangiger Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer verweigert, ist er für die Festlegung des Urlaubszeitraums nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich. In einem solchen Fall darf der Arbeitgeber den Ersatzzeitraum nicht nach seinem Gutdünken festlegen, sondern muss nach wie vor die Wünsche des Arbeitnehmers nach einem Alternativzeitraum maßgeblich berücksichtigen. 1967 Die Betriebsrisikolehre, die § 615 S. 3 BGB zugrunde liegt, wurde gerade für Fälle entwickelt, in denen der Lohnanspruch des Arbeitgebers nicht nach § 324 BGB a. F. (Vorgängervorschrift des heutigen § 326 Abs. 2 BGB) erhalten blieb. § 615 S. 3 BGB ist daher nur auf Konstellationen anzuwenden, in denen § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB mangels wenigstens weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers gerade nicht eingreift. Zwar bezog sich § 324 BGB a. F. nur auf Fälle des Vertretenmüssens und somit der alleinigen Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, weswegen die zu § 324 BGB a. F. entwickelte Betriebsrisikolehre auch in Fällen der weit überwiegenden, aber nicht alleinigen Verantwortlichkeit des Arbeitgebers angewendet wurde. Demgegenüber wurde die Variante der weit überwiegenden Verantwortlichkeit erst im Zuge der Schuldrechtsreform in den heutigen § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB aufgenommen. Daraus lässt sich aber nicht schlussfolgern, dass diese Fälle (also der weit überwiegenden, aber nicht alleinigen Verantwortlichkeit) auch unter § 615 S. 3 BGB fallen sollen. Die Kodifizierung des § 615 S. 3 BGB sollte ausweislich der Gesetzesbegründung nur sicherstellen, dass der Arbeitnehmer auch weiterhin in Fällen des Betriebsrisikos seinen Lohnanspruch nicht verliert (vgl. BT-Drs. 14/6857, S. 48). Die Vorschrift sichert somit den Vergütungsanspruch in solchen Fällen, in denen dieser nach den Regelungen des allgemeinen Schuldrechts nicht bestehen bliebe. Dieser Kreis hat sich durch die Neufassung des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB im Vergleich zu § 324 BGB a. F. entsprechend verkleinert, nämlich um die Fälle der weit überwiegenden, aber nicht alleinigen Verantwortlichkeit des Arbeitgebers. Daher stehen § 615 S. 3 BGB und § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB in einem Exklusivitätsverhältnis. 1968 Zum Verhältnis zu Kurzarbeit, die nach § 19 KSchG eingeführt wird, siehe unten § 9 C.I.2.a)dd). 1969 Für eine Anwendbarkeit von § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 2 BGB bei Zusammentreffen mit Wegerisiko hingegen Gräf/Rögele, NZA 2013, S. 1120, 1123.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Ebenfalls auf der ersten Stufe lässt sich das Verhältnis von Annahmeverzug im Sinne des § 615 S. 1 BGB zu § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB bestimmen. Zwar ist der Arbeitgeber stets auch für den zum Annahmeverzug führenden Umstand allein oder weit überwiegend verantwortlich,1970 so dass die Voraussetzungen des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB erfüllt sein können. Es ist aber ausgeschlossen, dass zugleich die Voraussetzungen des Annahmeverzugs vorliegen. Tritt zum Annahmeverzug ein weiterer Verhinderungsgrund hinzu, fehlt stets die Leistungsfähigkeit im Sinne des § 297 BGB.1971 2. Lösung auf der dritten Stufe Alle übrigen Konkurrenzen zwischen § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB und anderen Ausfallgründen können auf der ersten Stufe nicht abschließend gelöst werden. Insbesondere ist in diesen Fällen eine wenigstens weit überwiegende Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für den jeweiligen anderen Arbeitsausfallgrund nicht von vornherein auszuschließen. Nur wenn eine solche Arbeitgeberverantwortlichkeit im Einzelfall besteht, werden die folgenden Erwägungen relevant. Mangels existierender gesetzlicher Konkurrenzregeln und vorbehaltlich etwaiger vertraglicher Vereinbarungen kommt die zweite Stufe nicht zum Zuge, so dass alle weiteren Kollisionskonstellation auf der dritten Ebene nach Wertungsgesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Normzwecke aufzulösen sind. a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands aa) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) Ist der Arbeitgeber für eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers allein1972 und daneben für einen weiteren Verhinderungsgrund wenigs1970 Der Grund hierfür liegt darin, dass für die Zuordnung der Verantwortlichkeit auf die vertragliche Risikoverteilung abzustellen ist [vgl. oben § 5 B.III.3.a)]. Bei der Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers (Annahme der Arbeitsleistung) handelt es sich um eine Obliegenheit (vgl. MüKoBGB-Ernst § 293 Rn. 1), und Obliegenheitsverletzungen sind geeignet, eine Verantwortlichkeit des Arbeitgebers zu begründen (vgl. StaudingerOtto § 326 C 11.). In Fällen des Annahmeverzugs wird sich diese Verantwortlichkeit des Arbeitgebers auch stets als alleinige darstellen. Es ist nicht denkbar, dass der Annahmeverzug von außerhalb der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers liegenden Faktoren mitbeeinflusst wird. Originär (also ohne den Verweis in § 615 S. 3 BGB) ist § 615 S. 1 BGB nur auf Fälle der Annahmeunwilligkeit anzuwenden (vgl. dazu oben § 5 H.I.2.). Annahmeverzug kann also nur eintreten, wenn der Arbeitgeber die Annahme trotz zumutbarer Möglichkeit verweigert. Das ist stets auf seine wenigstens weit überwiegende Verantwortlichkeit zurückzuführen. 1971 Vgl. hierzu bereits oben § 9 B.III.10. 1972 Insoweit muss der Arbeitgeber sogar allein verantwortlich sein, da bei einer bloß weit überwiegenden Verantwortlichkeit zwangsläufig ein Verschuldensbeitrag des Ar-

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tens weit überwiegend verantwortlich, kommt es zu einer auflösungsbedürftigen Kollision von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB. Die Rechtsprechung hat sich – soweit ersichtlich – mit dieser Problematik noch nicht befasst. In der Literatur wird die Kollision dieser zwei Ausfallgründe zwar ebenfalls nicht erörtert. Allerdings wird diskutiert, was gelten soll, wenn die Voraussetzungen beider Normen durch ein und denselben Ausfallgrund erfüllt sind, nämlich, wenn der Arbeitgeber die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit wenigstens weit überwiegend zu verantworten hat. Insoweit hält die überwiegende Ansicht in der Literatur § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB für vorrangig.1973 Der Unterschied beider Konstellation kann anhand eines Beispiels verdeutlicht werden: Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer verprügelt und ihm dabei einen Fuß gebrochen, weshalb der Arbeitnehmer seiner Tätigkeit als Berufskraftfahrer nicht nachgehen kann, treffen beide Normen in einem einzigen Ausfallgrund zusammen. Tatbestandlich sind sowohl die Voraussetzungen von § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB als auch von § 3 Abs. 1 EFZG erfüllt. Auf diese Konstellation bezieht sich die dargestellte Literaturansicht, die insoweit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB für vorrangig hält. An dieser Stelle der Untersuchung ist aber eine andere Konstellation zu erörtern, nämlich der Fall, dass beide Tatbestände in zwei unterschiedlichen Ausfallgründen zusammentreffen. Als Beispiel kann die Situation genannt werden, dass die Arbeit aus zwei Gründen ausfällt, die unter die genannten Ausfallgründe fallen – zum einen, weil der Arbeitgeber dem als Kraftfahrer beschäftigten Arbeitnehmer einen Fuß gebrochen hat (§ 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB und § 3 Abs. 1 EFZG) und zum anderen, weil der Arbeitgeber keinen Lkw zur Verfügung stellt (nur § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB). Da die Literaturansicht in einer derartigen Konstellation – wie erläutert – im Hinblick auf das gebrochene Bein § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB für vorrangig hält, treffen zwei Ausfallgründe zusammen, die nach dieser Auffassung beide gemäß § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB zu behandeln sind. Konsequenterweise müsste diese Auffassung in der hier relevanten Konstellation § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB für vorrangig halten. Diese Auffassung kann vor dem Hintergrund der entgeltfortzahlungsrechtlichen Systematik nicht überzeugen. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB entstammt dem allgemeinen Schuldrecht. Bei § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG hingegen handelt es sich um eine Arbeitnehmerschutzvorschrift, die speziell auf die Konstellation der krankbeitnehmers verbleibt, der den Anspruch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG stets ausschließt, vgl. oben § 5 C.III.3. 1973 Treber § 3 Rn. 67; Geißler Lohnanspruch S. 117; Schmitt § 3 EFZG Rn. 128; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 249; ArbR-BGB-Matthes § 616 Rn. 96; MüKoBGB-Müller-Glöge § 3 EFZG Rn. 38; ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 24; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 54; a. A. offenbar Löwisch/Caspers/Klumpp Arbeitsrecht Rn. 438 f.; ebenso wohl v. Maydell DB 1973 Beilage 15, S. 9; für ein Nebeneinander beider Ansprüche Göppner Lohnfortzahlung, S. 112, 113 mit Fn. 1.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

heitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zugeschnitten ist. Eine vorrangige Anwendung des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG wird daher den speziellen Anforderungen des Arbeitsrechts besser gerecht. Aufgrund der besonderen Berechnungsmethode, die in § 4 EFZG für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorgesehen ist, kann das hiernach fortzuzahlende Entgelt im Einzelfall höher oder niedriger ausfallen als die Vergütung, die der Arbeitnehmer gemäß § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB erhielte, zum Beispiel, wenn der Arbeitnehmer Überstunden geleistet hätte (vgl. § 4 Abs. 1a EFZG). Die nach dem EFZG vorgesehen Vergütungshöhe entspricht aber den besonderen Vorstellungen des Gesetzgebers darüber, wie hoch die Vergütung eines Arbeitnehmers im Krankheitsfall ausfallen soll, während § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB für eine Vielzahl von Vertragstypen gilt und die Spezifika einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht berücksichtigen kann. Vor dem Hintergrund des Charakters von § 3 Abs. 1 S. 1 EZFG als Arbeitnehmerschutzvorschrift wäre es insbesondere bedenklich, § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB in Fällen als vorrangig anzusehen, in denen die nach dieser Norm zu zahlende Vergütung niedriger ausfiele als nach dem EFZG. Daher sprechen die besseren Argumente dafür, entgegen der herrschenden Meinung § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG als vorrangige abschließende Spezialnorm einzustufen. bb) Zusammentreffen mit Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG Der Vorrang des Entfernungsrechts nach § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG vor § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB ergibt sich aus den europarechtlichen Wertungen, die hinter § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG stehen.1974 Nur der strikte Entgeltschutz, den diese Vorschrift vorsieht, gewährleistet, dass die Vorgaben von Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG umgesetzt werden und Entgelteinbußen des Arbeitnehmers ausgeschlossen sind. cc) Zusammentreffen mit rechtmäßiger Aussperrung Ein Zusammentreffen von rechtmäßiger Aussperrung und § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB lässt sich nicht schon auf Tatbestandsebene ausschließen, weil der Arbeitgeber für eine Aussperrung des Arbeitnehmers immer allein verantwortlich ist. Auf der dritten Stufe muss die rechtmäßige Aussperrung vorrangig sein, da andernfalls die Arbeitskampfparität gestört würde.1975 dd) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit Führt der Arbeitgeber gemäß § 19 KSchG einseitig Kurzarbeit ein und kollidiert diese mit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB, muss der Entgeltanspruch entfal1974 1975

Vgl. dazu oben § 9 B.III.15. Vgl. dazu oben § 9 B.III.24.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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len. Andernfalls konterkarierte man die gesetzgeberische Wertung, die hinter dem § 19 KSchG steht.1976 Danach soll der Arbeitgeber in der wirtschaftlichen Notsituation, die in diesen Fällen zwangsläufig besteht, von der Pflicht zur Vergütung des Arbeitnehmers entlastet werden. b) Vorrang des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB aa) Zusammentreffen mit vorübergehender Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB) Des Weiteren ist der Fall zu erörtern, dass § 616 S. 1 BGB mit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB kollidiert. Das ist aufgrund der oben geschilderten besonderen Tatbestandsvoraussetzungen von § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB nur der Fall, wenn der Arbeitgeber für zwei verschiedene Ausfallgründe wenigstens weit überwiegend verantwortlich ist und in einem der beiden Fälle zudem die Anforderungen einer Entgeltfortzahlung nach § 616 S. 1 BGB erfüllt sind.1977 Hier stellt sich eine ähnliche Problematik wie bei der Kollision mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.1978 Die geschilderte Konstellation wird in Rechtsprechung und Literatur nicht erörtert. Demgegenüber wird aber der Fall diskutiert, dass beide Tatbestände im Hinblick auf denselben Ausfallgrund verwirklicht sind. Dann soll § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB vorrangig sein.1979 Der Unterschied kann anhand des folgenden Beispiels demonstriert werden: Ist der Arbeitgeber für den Tod des Ehegatten eines Arbeitnehmers verantwortlich und entfällt die Arbeit, weil der Arbeitnehmer an der Beerdigung teilnimmt, treffen § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB und § 616 S. 1 BGB innerhalb eines einzigen Ausfallgrunds zusammen. Auf solche Fälle beziehen sich die Erörterungen in Rechtsprechung und Literatur (Vorrang von § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB). Im hier interessierenden Zusammenhang ist dagegen die Konstellation relevant, dass die Arbeit zum einen entfällt, weil der Arbeitgeber den Tod des Ehegatten zu verantworten hat und der als Berufskraftfahrer beschäftigte Arbeitnehmer an der Beerdigung teilnimmt (§ 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB und § 616 S. 1 BGB) und zum anderen, weil der Arbeitgeber keinen Lkw zur Verfügung stellt (nur § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB). Da nach der dargestellten Ansicht im Hinblick auf die Beerdigung § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB vorrangig ist und für den anderen Ausfallgrund – den fehlenden Lkw – unzweifelhaft nur § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB in Betracht kommt, treffen zwei Ausfallgründe zusammen, die beide laut Recht1976

Vgl. dazu oben § 9 B.III.28. Vgl. oben § 5 B.III.3.c)bb). 1978 Vgl. oben § 9 C.I.2.a)aa). 1979 Staudinger-Oetker § 616 Rn. 19; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 58, 2, 4; Erman-Belling § 616 Rn. 1a; Palandt-Weidenkaff § 616 Rn. 3; vgl. auch BAG 17.12.1968 – 5 AZR 149/68, AP Nr. 2 zu § 324 BGB. 1977

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

sprechung und Literatur gemäß § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB zu behandeln sind. Konsequenterweise müsste diese Auffassung § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB für vorrangig halten. Dieses Ergebnis überzeugt. Hierfür spricht vor allem die teleologische Auslegung des § 616 S. 1 BGB, wonach die Vorschrift grundsätzlich subsidiär ist.1980 Hinzu tritt die systematische Erwägung, dass, anders als im Verhältnis von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zu § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB, hier nicht eine reine arbeitnehmerschutzrechtliche Spezialvorschrift und eine Norm des allgemeinen Schuldrechts aufeinander treffen. § 616 S. 1 BGB gilt nicht nur für Arbeitsverhältnisse, sondern auch für sonstige Dienstverträge. Zwar handelt es sich bei § 616 S. 1 BGB immerhin um eine Norm des besonderen Schuldrechts, während § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB dem allgemeinen Schuldrecht entstammt. Dennoch kann man nicht übersehen, dass der Gedanke der Spezialität hier weniger stark zulasten des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB ins Gewicht fällt als im Verhältnis von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB. Damit ist § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB gegenüber § 616 S. 1 BGB vorrangig. bb) Zusammentreffen mit Leistungsverweigerungsrecht aus § 14 S. 1 AGG Im Verhältnis von § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB zu § 14 S. 1 AGG spielt insbesondere der Zweck der letztgenannten Vorschrift eine Rolle. Aufgrund der besonderen Bedeutung seiner Schutzfunktion ist § 14 S. 1 AGG gegenüber anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen subsidiär.1981 Daher ist § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB vorrangig.1982 II. Zusammentreffen von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) mit anderen Verhinderungsgründen Im Folgenden wird das Zusammentreffen von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) mit anderen Verhinderungsgründen erörtert. 1980

Siehe oben § 9 B.III.4. Siehe oben § 9 B.III.14. 1982 Gegenüber diesem gewichtigen Argument tritt eine andere – gegenläufige – systematische Erwägung in den Hintergrund: Man könnte für einen Vorrang des § 14 S. 1 AGG anführen, dass § 14 S. 1 AGG als spezifisch arbeitsrechtliche Vorschrift besser auf arbeitsrechtliche Fälle zugeschnitten ist als der für alle Schuldverhältnisse geltende § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB. Dieser Gedanke ist zwar nicht völlig von der Hand zu weisen. Die ihm immanente Wertung ist aber keinesfalls zwingend. Es ist vorzugswürdig, die Subsidiarität stärker zu gewichten, die aus dem Zweck von § 14 S. 1 AGG abgeleitet wird. Das gilt umso mehr, als ein Vorrang von § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB auch im Einklang mit dessen Zweck (Sicherung der Rechte des Schuldners, das heißt hier des Arbeitnehmers) steht. 1981

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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1. Lösung auf der ersten Stufe Auf der ersten Stufe lässt sich lediglich das Zusammentreffen mit Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB) behandeln. Erkrankt der Arbeitnehmer arbeitsunfähig, ist er nicht leistungsfähig im Sinne des § 297 BGB.1983 In einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer keine der Tätigkeiten ausüben, zu denen er vertraglich verpflichtet ist. Damit kann tatbestandlich kein Annahmeverzug bestehen, wenn eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt.1984 2. Lösung auf der zweiten Stufe a) Zusammentreffen mit Feiertag (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) Dass Krankheit und Feiertag tatbestandlich zusammentreffen können, hat der Gesetzgeber erkannt und dafür in § 4 Abs. 2 EFZG eine ausdrückliche Konkurrenzregel statuiert. Damit kann diese Konkurrenz auf der zweiten Stufe aufgelöst werden. Es ist jedoch umstritten, wie diese Norm auszulegen ist. Zwar ist man sich einig, dass sich die Höhe des Entgeltanspruchs nach dem Feiertagsentgelt richtet. Unterschiedlich wird jedoch die Frage beurteilt, ob tatsächlich Feiertagsentgelt bezahlt wird,1985 oder ob sich das Krankheitsentgelt durchsetzt, das sich aber in der Höhe nach dem Feiertagsentgelt richtet.1986 Zugunsten der letztgenannten Ansicht führt Raab an, nur diejenigen erkrankten Arbeitnehmer sollten an Feiertagen Entgeltfortzahlung erhalten, die ohne den Feiertag ebenfalls Anspruch auf Entgeltfortzahlung gehabt hätten. Aus diesem Grund müsse Krankheitsentgelt und nicht Feiertagsvergütung gezahlt werden. Das könne für Arbeitnehmer relevant werden, die die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hätten oder bereits länger als sechs Wochen infolge derselben Krank-

1983

Vgl. oben § 9 B.III.10. Allgemeine Meinung, vgl. nur BAG 29.101998 – 2 ARZ 66/97, AP Nr. 77 zu § 615 BGB; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 84; Staudinger-Löwisch/Feldmann § 297 Rn. 6; Müller-Glöge RdA 2006, S. 105, 107; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 31 f.; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 61; Treber § 3 Rn. 40; ErfK-Preis, § 615 BGB Rn. 43; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 49; MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 61; jurisPK-BGB-Geisler § 297 Rn. 14–21; Junker Arbeitsrecht Rn. 274; Schmitt § 3 EFZG Rn. 86; zu den Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vgl. oben § 5 C.III.2. 1985 Dafür Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 112; ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 20; Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 8 Rn. 104. 1986 H.M., dafür MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 82; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 4 EFZG Rn. 41 Michalski Arbeitsrecht Rn. 515; Preis Individualarbeitsrecht, S. 621; Raab NZA 1997, S. 1144, 1147–1149; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 238; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 38; vgl. zur Vorgängervorschrift § 1 Abs. 2 FeiertagslohnzahlungsG BAG 15.9.1989 – 5 AZR 248/88, AP Nr. 62 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG. 1984

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

heit arbeitsunfähig seien.1987 Nur auf diese Weise könne gewährleistet werden, dass diese Arbeitnehmer keine Vergütung erhalten. Im Hinblick auf Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsunfähigkeit selbst verschulden, kann dieses Argument nicht überzeugen. § 4 Abs. 2 EFZG ist eine Kollisionsregel, die nur eingreift, wenn die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG gegeben sind und zugleich ein Feiertag im Sinne des § 2 Abs. 1 EFZG vorliegt. Hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet, ist § 3 Abs. 1 S. 1 EZFG schon tatbestandlich nicht einschlägig. In einem solchen Fall kann daher keinesfalls Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sondern nur Feiertagsentgelt gezahlt werden. Mangels Konkurrenz greift § 4 Abs. 2 EFZG nicht ein. Raab hingegen scheint davon auszugehen, dass in einem solchen Fall § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG – obwohl dessen Voraussetzungen gar nicht vorliegen – Sperrwirkung gegenüber einem Anspruch auf Feiertagsentgelt entfaltet. Hierfür gibt es indes keine Anhaltspunkte. Insbesondere kann nicht auf § 4 Abs. 2 EFZG zurückgegriffen werden, da, wie geschildert, gar keine Konkurrenz vorliegt, die diese Vorschrift auflösen könnte. Da dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Feiertagsentgelt verbleibt, lässt sich mit der zweitgenannten Ansicht (Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) gar nicht das Ergebnis erzielen, das nach Raab für diese Ansicht spricht. Bei Arbeitnehmern, die länger als sechs Wochen infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig sind, liegen die Dinge weniger eindeutig. Auch insoweit stellt sich die Frage, ob – wie von Raab gewünscht – jeglicher Vergütungsanspruch entfällt, wenn man mit der zweiten Ansicht davon ausgeht, dass Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in der Höhe der Feiertagsvergütung und nicht das Feiertagsentgelt selbst geleistet wird. Auf den ersten Blick liegt es nahe, diese Frage zu verneinen. Bei der SechsWochen-Frist handelt es sich nicht um eine Tatbestandsvoraussetzung, sondern um eine Begrenzung der Entgeltfortzahlung auf Rechtsfolgenseite.1988 Verstünde man § 4 Abs. 2 EFZG im Sinne der zweiten Ansicht dahingehend, dass für eine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dem Grunde nach nur die Tatbestandsvoraussetzungen von § 3 Abs. 1 EFZG zu prüfen sind, wäre die Sechs-Wochen-Frist als Rechtsfolgenbegrenzung für die Vergütungspflicht des Arbeitgebers irrelevant. Dann erhielten auch Arbeitnehmer, bei denen diese Frist verstrichen ist, an Feiertagen gemäß § 4 Abs. 2 EFZG eine Vergütung in Höhe des Feiertagsentgelts. Das entspräche nicht dem Ergebnis, das Raab erzielen möchte. Ein solches Verständnis von § 4 Abs. 2 EFZG wäre indes nicht richtig. Es überzeugt nicht, solche Arbeitnehmer, bei denen die Sechs-Wochen-Frist verstri1987 1988

Raab NZA 1997, S. 1144, 1146. Vgl. dazu oben § 5 C.IV.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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chen ist, ausschließlich an Feiertagen in den Genuss einer Entgeltfortzahlung kommen zu lassen. Nach der Wertung des EFZG und dessen Zusammenspiel mit den §§ 44 ff. SGB V soll die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber nur sechs Wochen andauern und sodann durch das Krankengeld abgelöst werden. Es wäre wertungswidersprüchlich, für einzelne Feiertage auch noch ab der siebten Woche die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber anzuwenden. Daher ist § 4 Abs. 2 EFZG anders auszulegen: Die Formulierung „ist der Arbeitgeber (. . .) zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach § 3 verpflichtet“ bezieht sich nicht allein auf die Tatbestandsvoraussetzungen, sondern auch auf die sechswöchige Begrenzung auf der Rechtsfolgenseite. Eine „Verpflichtung“ in diesem Sinne besteht nur, wenn der Arbeitgeber überhaupt einen Betrag zahlen muss, und das ist jenseits der sechswöchigen Begrenzung nicht der Fall. Somit verlieren Arbeitnehmer nach der zweiten Ansicht nach Ablauf der Sechs-Wochen-Frist auch an Feiertagen ihren Entgeltanspruch. Insoweit trifft Raabs Prämisse also zu. Eine Vergütung erkrankter Arbeitnehmer an Feiertagen lässt sich verhindern, wenn man annimmt, dass im Sinne der zweiten Ansicht Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe der Feiertagsvergütung geleistet wird. Gleichwohl ist Raabs Begründungsansatz nicht zu folgen, weil er § 4 Abs.2 EFZG einen vermeintlichen Regelungszweck beimisst, der zurückzuweisen ist. Raab unterstellt, die Vorschrift solle gewährleisten, dass nur diejenigen erkrankten Arbeitnehmer an Feiertagen Entgeltfortzahlung erhielten, die ohne den Feiertag ebenfalls Anspruch auf Entgeltfortzahlung gehabt hätten. Diese Auffassung entspricht aber nicht dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck gekommen ist: Danach soll die Vorschrift lediglich ausschließen, dass an Feiertagen arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer eine höhere Vergütung erhalten als arbeitsfähige Arbeitnehmer.1989 Dieses Ergebnis lässt sich aber auch durch einen Vorrang des Feiertagsentgelts erzielen. Hingegen ist in den Materialien keine Rede davon, dass eine Besserstellung erkrankter Arbeitnehmer an Feiertagen unterbunden werden soll. Im Ergebnis ist Raab aus anderen Gründen dennoch zuzustimmen. Schon der Wortlaut des § 4 Abs. 2 EFZG spricht für einen Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Er verdeutlicht, dass im Kollisionsfalle jedenfalls die Vergütung nach § 3 EFZG gezahlt werden soll und sich lediglich deren Höhe nach § 2 EFZG richtet.1990 Zwar fehlt eine ausdrückliche Aussage zum Schicksal des Anspruchs auf Feiertagsentgelt. Es ist aber nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer zwei Vergütungsansprüche zubilligen wollte. Sonst käme es wirtschaftlich zu einer nicht gerechtfertigten Doppelvergütung und zu einer enormen Belastung des Arbeitgebers. Diese Auffassung wird durch ein gewichtiges systematisches Argument gestützt: Die Vorschrift ist Teil von § 4 EFZG, der 1989 1990

BT-Drs. 12/5798, S. 26. Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 38.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

die Höhe des Krankheitsentgelts festlegt. Das Feiertagsentgelt wird hingegen in § 2 EFZG geregelt. Aus diesem Grund ist § 4 Abs. 2 EFZG als Regelung über das Krankheits- und nicht über das Feiertagsentgelt anzusehen.1991 Nach alledem bleibt festzuhalten, dass die Konkurrenz zwischen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Feiertag auf der zweiten Stufe zugunsten des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG aufgelöst wird. b) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) aa) Grundsätzlicher Vorrang von § 3 Abs. 1 EFZG Eine praktisch sehr bedeutsame Konstellation ist die Kollision von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG mit Erholungsurlaub im Sinne des § 1 BUrlG. Hierzu kommt es, wenn der Arbeitnehmer während seines Erholungsurlaubs arbeitsunfähig erkrankt. Auch hier kommt die zweite Stufe zum Tragen: Der Gesetzgeber hat diese Kollision in § 9 BUrlG geregelt.1992 Die Vorschrift besagt, dass Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden. Diese Regelung gilt entgegen dem missverständlichen Wortlaut nicht bloß, wenn sich die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit erst während des Urlaubs einstellt, sondern entsprechend dem Zweck der Vorschrift auch in dem Fall, dass der Arbeitnehmer bereits vor Urlaubsantritt erkrankt und die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in den Urlaubszeitraum hineinreicht.1993 Somit setzt sich die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gegen den Erholungsurlaub durch.1994 Dem Arbeitnehmer bleibt der entsprechende Zeitraum als Teil seines Urlaubskontingents erhalten und ist später nachzugewähren.1995 Das gilt unabhängig von der Dauer der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Insbesondere erlöschen die Urlaubsansprüche entgegen dem Wortlaut von § 7 Abs. 3 BUrlG nicht spätestens drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Urlaubsanspruch erworben wurde. Der EuGH hat in den Rechtssachen Schultz-Hoff und Vicente Pereda entschieden, dass gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG der Urlaubsanspruch, der wegen krankheitsbedingter 1991

Vgl. Raab NZA 1997, S. 1144, 1148. Zu der Frage, ob § 9 BUrlG unmittelbar oder analog anwendbar ist, wenn der Arbeitnehmer während des Freizeitausgleichs für zuvor erbrachte Überstunden erkrankt, vgl. Städler NZA 2012, S. 304, 306 ff. 1993 HK-BUrlG-Oppermann § 9 BUrlG Rn. 3. 1994 Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 80; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 239; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 93; Schmitt § 3 EFZG Rn. 109; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 28; ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 15; § 9 BUrlG Rn. 1. Zu Recht weist Maurer ArbuR 1972, S. 318, 318 darauf hin, dass dieses Vorrangverhältnis kraft Gesetzes besteht und nicht etwa ein Wahlrecht des Arbeitnehmers in Betracht kommt. 1995 Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 93; Matthes Lohnzahlung Rn. 389. 1992

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Arbeitsunfähigkeit nicht verwirklicht werden konnte, länger übertragen werden können muss.1996 Diese Vorgabe hat BAG umgesetzt, indem es § 7 Abs. 3 BUrlG richtlinienkonform ausgelegt hat.1997 Nachdem in Anbetracht dieser Urteile zunächst von einer unbegrenzten Übertragbarkeit auszugehen war, hat der EuGH seine Rechtsprechung jüngst in der Rechtssache Schulte dahingehend „nuanciert“1998, dass eine – jedenfalls in Tarifverträgen vorgesehene – Begrenzung des Übertragungszeitraums auf 15 Monate europarechtlich zulässig ist.1999 Das BAG hat diese Einschränkung aufgegriffen.2000 bb) Teleologische Reduktion bei Wahrung des Erholungszwecks Im Zusammenhang mit dieser Kollision wird diskutiert, ob der § 9 BUrlG teleologisch dahingehend zu reduzieren ist, dass er nicht greift, wenn der Erholungszweck trotz der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gewahrt wird.2001 Dabei sind zwei Fragen voneinander abzuschichten: Erstens ist zu klären, ob eine teleologische Reduktion in einer solchen Konstellation überhaupt in Betracht kommt. Steht man dem positiv gegenüber, ist zweitens die Frage zu erörtern, wie die Kollision dann aufzulösen ist. Man kann nicht einfach vom Nichteingreifen 1996 Vgl. EuGH 20.1.2009 – C-350/06 (Schultz-Hoff), NZA 2009, S. 135 137 f. (Rn. 37–52); EuGH 20.9.2009 – C-277/08 (Vicente Pereda), NZA 2009, S. 1133, 1134 (Rn. 22–26); dem folgend BAG 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG; LAG Düsseldorf 31.3.2010 – 12 Sa 1512/09, LAGE Nr. 25 zu § 7 BUrlG Abgeltung. Zu der umstrittenen Frage, inwiefern Ausschlussfristen und Verjährungsregeln greifen, vgl. BAG 13.12.2011 – 9 AZR 399/10, NZA 2012, S. 514 ff.; LAG Köln 20.4.2010 – 12 Sa 1448/09, LAGE Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung; LAG Düsseldorf 23.4.2010 – 10 Sa 203/10, LAGE Nr. 27a zu § 7 BUrlG Abgeltung; LAG Düsseldorf 5.5.2010 – 7 Sa 1571/09, NZA-RR 2010, S. 568–573; LAG Düsseldorf 1.10.2010 – 9 Sa 1541/09, ArbuR 2011, S. 128; Abele RdA 2009, 312 ff.; Besgen FA 2010, S. 324 ff.; Bross Anmerkung zu BAG 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, EWiR 2009, S. 377 f.; Liebscher öAT 2010, S. 11 ff.; Gaul/Bonanni/Ludwig DB 2009, S. 1013 ff.; Gaul/Josten/Strauf BB 2009, S. 497 ff.; Geyer ZTR 2009, S. 346 ff.; Mehtfessel AuA 2009, S. 276 ff.; Sedlmeier EuZA 2010, S. 88 ff.; Straube/Hilgenstock ArbR 2010, S. 333 ff. 1997 Vgl. BAG 24.3.2009 – 9 AZR 983/07, AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG. 1998 EuGH 22.11.2011 – C-214/10 (Schulte), NZA 2011, S. 1333 ff. (Rn. 28). 1999 Vgl. zu der damit verbundenen Problematik die sehr aufschlussreiche Darstellung bei Bauer/v. Medem, NZA 2012, S. 113 ff. 2000 BAG 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, NZA 2012, S. 1216 ff.; BAG 16.10.2012 – 9 AZR 63/11, NZA 2013, S. 326 f. 2001 Dafür LAG Hamm (Westfalen) 18.4.1979 – 11 Sa 197/79, BB 1979, S. 889; LAG Düsseldorf 23.10.1974 – 6 Sa 683/74 DB 1975, S. 159, 159 f.; Neumann/Fenski, § 9 BUrlG Rn. 7; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 121; offenbar auch HK-BUrlG-Oppermann § 9 BUrlG Rn. 4; vgl. auch LAG Frankfurt a. M. BB 1966, S. 944, 944 f., das eine teleologische Reduktion ablehnt, aber die Berufung auf § 9 BUrlG als rechtsmissbräuchlich ansieht. A. A. dagegen ErfK-Gallner § 9 BUrlG Rn. 4; Leinemann/Linck, § 9 BUrlG Rn. 9; vgl. ferner Kappenhagen Lohnausfallprinzip, S. 27, der die Möglichkeit einer Wahrung des Erholungszwecks trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit offenbar gar nicht in Betracht zieht.

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des § 9 BUrlG auf einen Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall schließen. Die Nichtanwendung dieser Norm führt nicht automatisch zu einer Umkehrung des in § 9 BUrlG angeordneten Vorrangverhältnisses. Vielmehr wird die Konkurrenz dann nicht durch eine gesetzliche Konkurrenzregel auf der zweiten Stufe des dreistufigen Ansatzes entschieden, so dass eine Entscheidung auf der dritten Stufe nach Wertungsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der Normzwecke erforderlich ist. (1) Befürwortung einer teleologischen Reduktion Zunächst ist also zu klären, ob § 9 BUrlG teleologisch zu reduzieren ist. Die Gesetzesmaterialien sind diesbezüglich unergiebig.2002 Für eine teleologische Reduktion spricht aber insbesondere der Zweck des Erholungsurlaubs. Dieser besteht darin, dem Arbeitnehmer die Gelegenheit zur selbstbestimmten Erholung zu verschaffen.2003 Dieser Anforderung wird genügt, wenn sich der Arbeitnehmer trotz seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erholen kann. Neumann/ Fenski2004 nennen insoweit das treffende Beispiel des Berufspianisten, der zwar aufgrund einer kleinen Fingerverletzung arbeitsunfähig erkrankt ist, dessen Erholung aber davon nicht beeinträchtigt wird. In einem solchen Fall – mag er in der Praxis auch eher selten sein – besteht kein Grund, § 9 BUrlG anzuwenden und dem Arbeitnehmer eine zusätzliche Erholungsmöglichkeit zu verschaffen. Für eine teleologische Reduktion spricht auch ein weiteres systematisches Argument. Gemäß § 8 BUrlG darf der Arbeitnehmer während des Urlaubs Erwerbstätigkeit ausüben, die dem Urlaubszweck widerspricht. Daran zeigt sich, dass es dem Gesetzgeber auf die Erholungsmöglichkeit während des Urlaubszeitraums ankommt. Da sich der Arbeitnehmer in den hier in Rede stehenden Konstellationen erholen kann, ist davon auszugehen, dass die teleologische Reduktion dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Man wird diese Ausnahme aber eher eng fassen müssen. Ist eine Erkrankung so gravierend, dass der Arbeitnehmer deswegen keine Arbeitsleistung erbringen kann, wirkt sie sich regelmäßig auch negativ auf die selbstbestimmte Urlaubsgestaltung aus.2005 Die hiergegen vorgebrachten Argumente überzeugen nicht. Wenn Leinemann/ Link2006 und Gallner2007 meinen, für einen entsprechenden gesetzgeberischen Willen fehlten Anhaltspunkte im Gesetz, übersehen sie insbesondere den ange2002

Vgl. die Begründung zu § 10 des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 4/207, S. 6. Siehe oben § 5 F.II. 2004 Neumann/Fenski § 9 Rn. 7. 2005 Noch weitergehend Marburger BB 1978, S. 104, 106, der davon ausgeht, dass „im allgemeinen“ bei Arbeitsunfähigkeit eine zweckentsprechende Verwendung des Erholungsurlaubs nicht möglich ist. 2006 Leinemann/Linck § 9 BUrlG Rn. 9. 2007 ErfK-Gallner § 9 BUrlG Rn. 4. 2003

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sprochenen § 8 BUrlG, der auf die Verwirklichung des Erholungszwecks abstellt. Auch ein weiteres Argument Gallners2008 geht fehl: Sie argumentiert, die Ratio des § 9 BUrlG liege nicht darin, dass sich der Arbeitnehmer grundsätzlich während seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht erholen könne, sondern vielmehr darin, dass die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bereits durch die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit suspendiert sei und durch den Urlaub nicht eine weiteres Mal suspendiert werden könne. Wie oben gezeigt, können derartige Argumentationsmuster nicht überzeugen.2009 Somit ist § 9 BUrlG teleologisch zu reduzieren, soweit für den Arbeitnehmer ausnahmsweise trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs die Möglichkeit hinreichender Erholung besteht. (2) Konsequenzen einer teleologischen Reduktion Nun stellt sich die angesprochene zweite Frage, welcher Tatbestand in einem solchen Fall vorrangig ist. Wie dargelegt worden ist, lässt sich allein aus der Nichtanwendung des § 9 BUrlG kein Vorrang des Urlaubs vor der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit herleiten. Richtigerweise muss man aber aus anderen Gründen zu diesem Ergebnis gelangen. Mit Rücksicht auf den angeführten Zweck des Erholungsurlaubs ist es nicht geboten, dem Arbeitnehmer einen zusätzlichen Urlaubsanspruch zu verschaffen. Vielmehr wird in solchen Fällen der Zweck des Urlaubs trotz der parallelen Erkrankung erreicht. Daher entspricht dem Zweck des BUrlG, den betreffenden Zeitraum als Erholungsurlaub zu werten und auf das Urlaubskontingent des Arbeitnehmers anzurechnen. Auch aus dem Zweck von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG, nämlich der Existenzsicherung des Arbeitnehmers,2010 ergibt sich nichts anderes. Das Urlaubsentgelt sichert die finanzielle Versorgung des Arbeitnehmers während des Genesungsprozesses. Ferner ist diese Lesart auch europarechtskompatibel. Zwar steht gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG jedem Arbeitnehmer ein bezahlter Mindestjahresurlaub von vier Wochen zu. Damit ist es jedoch vereinbar, Zeiträume auf das Urlaubskontingent anzurechnen, in denen die Arbeit zugleich infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ausfällt. Auch der europarechtlich gebotene Mindesturlaub soll es nach Auffassung des EuGH 2011 dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich zu erholen und ihm einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit eröffnen. Wird diesem Zweck genügt, steht einer Wertung des betreffenden Zeitraums als Urlaub nichts entgegen.

2008 2009 2010 2011

ErfK-Gallner § 9 BUrlG Rn. 1. Vgl. oben § 8 A.III. Vgl. dazu oben § 5 C.II. Vgl. EuGH 20.1.2009 – C-350/06 (Schultz-Hoff), Slg. 2009, I-179 (Rn. 25).

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c) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub Auch eine Kollision von unbezahltem Urlaub mit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall lässt sich auf der zweiten Stufe lösen. Zwar ist das Verhältnis dieser beiden Ausfallgründe nicht gesetzlich geregelt.2012 Wie im Folgenden gezeigt wird, kann man aber durch Auslegung der Urlaubsvereinbarung zu einer Lösung gelangen.2013 aa) Zulässigkeit einer Vereinbarung Eine Vereinbarung über das Vorrangverhältnis ist zulässig. Auch dass der Anspruch aus § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG gemäß § 12 EFZG vertraglich unabdingbar ist, steht dem nicht entgegen.2014 Aus der grundsätzlichen Unabdingbarkeit des Anspruchs folgt nicht, dass dieser zwangsläufig auch dann bestehen muss, wenn unbezahlter Urlaub gewährt wird. Der Arbeitgeber gewährt solchen Sonderurlaub aus freien Stücken, ohne hierzu gesetzlich verpflichtet zu sein. Kommt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer dergestalt entgegen, ist es sachgerecht, ihm den Abschluss einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, die für die Zeit des unbezahlten Sonderurlaubs keine Entgeltfortzahlung vorsieht. Dadurch wird auch nicht das Schutzniveau des Arbeitnehmers unzumutbar abgesenkt. Wenn sich der Arbeitnehmer im unbezahlten Sonderurlaub befindet, ist er darauf vorbereitet, während dieser Zeit kein Entgelt zu erhalten.

2012 § 9 BUrlG erfasst in unmittelbarer Anwendung nur die Kollision von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall mit bezahltem Erholungsurlaub im Sinne des § 1 BUrlG, nicht aber sonstige Urlaubsformen. Das lässt sich zwar nicht dem Wortlaut, aber der systematischen Stellung des § 9 BUrlG entnehmen, da in allen auf § 1 BUrlG folgenden Vorschriften des BUrlG nur noch von „Urlaub“ und nicht mehr vom „bezahlten Erholungsurlaub“ die Rede ist. Mit dieser Formulierung ist ersichtlich immer bezahlter Erholungsurlaub im Sinne des § 1 BUrlG gemeint. Es liegen keine Gründe vor, weswegen sich das ausgerechnet in § 9 BUrlG anders verhalten soll. Vgl. auch BAG 10.2.1972 – 5 AZR 330/71, DB 1972, S. 831, 832; Maurer ArbuR 1972, S. 318, 318 f.; vgl. ferner Leinemann/Linck Einleitung Rn. 4 sowie HK-BUrlG-Oppermann § 1 BUrlG Rn. 66, nach denen das BUrlG auf unbezahlten Urlaub unanwendbar ist. 2013 Vgl. MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 73 f.; ebenfalls für die Maßgeblichkeit einer (wirksamen) Vereinbarung Ströfer DB 2984, S. 2406, 2407 f., der aber davon ausgeht, dass die Vereinbarung stets hinfällig ist, sofern der Arbeitnehmer vor Beginn des Urlaubs erkrankt und dem Arbeitgeber das auch mitteilt. Infolgedessen geht er konsequenterweise davon aus, dass mangels Kollision § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG eingreift. In allen anderen Fällen soll die Vereinbarung das Lohnrisiko dem Arbeitnehmer zuweisen und auf diese Weise einen Vorrang des unbezahlten Sonderurlaubs vor § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG begründen. 2014 Vgl. BAG 17.11.1977 – 5 AZR 599/76, AP Nr. 8 zu § 9 BUrlG; BAG 25.5.1983 – 5 AZR 236/80, AP Nr. 53 zu § 1 LohnfortzahlungsG; BAG 7.6.1988 – 1 AZR 597/86, AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.

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bb) Anhaltspunkte für die Auslegung Ist in der Vereinbarung das Vorrangverhältnis nicht ausdrücklich geregelt, muss sie insbesondere unter Berücksichtigung des Zwecks des unbezahlten Urlaubs ausgelegt werden.2015 Steht hier ähnlich wie bei dem gesetzlichen Mindesturlaub im Sinne des § 1 BUrlG die Erholung des Arbeitnehmers im Vordergrund, orientiert sich die Vertragsauslegung an § 9 BUrlG oder führt sogar zu dessen entsprechender Anwendung.2016 Dann ist maßgeblich darauf abzustellen, ob sich der Arbeitnehmer während des Urlaubs trotz seiner Erkrankung erholen konnte. Ist das der Fall, ist der unbezahlte Urlaub vorrangig gegenüber der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Kann der Arbeitnehmer sich hingegen nicht erholen, was der Regelfall sein wird, kommt die Entgeltfortzahlung zum Tragen. Ob dann der unbezahlte Urlaub zu einem anderen Zeitpunkt nachzugewähren ist, muss ebenfalls durch Auslegung des Vertrages entschieden werden. Regelmäßig ist diese Frage aber in Anlehnung an § 9 BUrlG zu bejahen. Ist der unbezahlte Urlaub hingegen nicht primär zu Erholungszwecken gewährt worden, kommt eine dem Regelungsgehalt des § 9 BUrlG entsprechende Vertragsauslegung regelmäßig nicht in Betracht. Entscheidend ist dann, ob der sonstige Zweck des Urlaubs trotz der Erkrankung erreicht werden konnte.2017 2015 Vgl. Staudinger-Oetker § 616 Rn. 239; Maurer ArbuR 1972, S. 318, 319; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 29; a. A. für einen Ausschluss jeglicher Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall während unbezahlten Urlaubs ohne Rücksicht auf dessen Zweck MüKoBGB-Müller-Glöge § 3 EFZG Rn. 17; ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 15; Matthes Lohnzahlung Rn. 587; ebenso Treber § 3 Rn. 56 unter Verweis auf die angeblich entgegenstehende neuere BAG-Rechtsprechung. Das insoweit angeführte Urteil BAG 9.8.1994 – 9 AZR 384/92, AP Nr. 19 zu § 7 BUrlG befasst sich indes nicht mit dem Verhältnis von unbezahltem Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sondern mit Schwangerschaft und bezahltem Erholungsurlaub. 2016 BAG 22.6.1961 – 5 AZR 236/60 AP Nr. 4 zu § 133c GewO; BAG 23.12.1971 – 1 AZR 217/71, AP Nr. 2 zu § 9 BUrlG; BAG 3.10.1972 – 5 AZR 209/72, AP Nr. 4 zu § 9 BUrlG; BAG 1.7.1974 – 5 AZR 600/73, AP Nr. 5 zu § 9 BUrlG; Neumann/Fenski § 9 Rn. 17; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 239; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 29; MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 75; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 33; einschränkend Schmitt § 3 EFZG Rn. 110, der zusätzlich verlangt, dass sich der unbezahlte Urlaub unmittelbar an einen bezahlten anschließt. 2017 A. A. BAG 25.5.1983 – 5 AZR 236/80, AP Nr. 53 zu § 1 LohnfortzahlungsG, worin der Senat zwar in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung bestätigt, dass bei einem nicht Erholungszwecken dienenden Urlaub § 9 BUrlG weder unmittelbar noch sinngemäß angewendet werden kann. Im Übrigen geht das BAG aber offenbar davon aus, dass der Arbeitnehmer das Risiko einer Erkrankung im Sonderurlaub zu tragen hat und es nicht darauf ankommen soll, ob der Zweck des Sonderurlaubs trotz der Erkrankung erreicht werden konnte. Im konkreten Fall, der der Entscheidung zugrunde lag, wollte der Arbeitnehmer während des Urlaubs an der Fertigstellung eines Hauses mitwirken, was aber aufgrund seiner Erkrankung scheiterte; dennoch ging das BAG von einem Vorrang des unbezahlten Sonderurlaubs vor der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus. Vgl. ferner BAG 13.8.1980 – 5 AZR 296/78, AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Unbezahlter Urlaub, wonach es für die Ermittlung des Vorrangverhältnisses ebenfalls offenbar keine Rolle spielen soll, ob der Zweck des unbezahlten Urlaubs trotz der Er-

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Das BAG hat sich in diesem Zusammenhang auch mit der Frage beschäftigt, unter welchen Umständen anzunehmen ist, dass ein unbezahlter Urlaub vorrangig der Erholung dienen soll. Zutreffenderweise nimmt es das nur an, wenn besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen.2018 Vier Wochen bezahlter Erholungsurlaub genügen gewöhnlich dem Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers. Etwas anderes gilt hingegen, wenn sich der unbezahlte Urlaub unmittelbar an bezahlten Erholungsurlaub anschließt und deswegen davon auszugehen ist, dass den Parteien bei der Vereinbarung eine einheitliche Erholung des Arbeitnehmers vorschwebte.2019 d) Zusammentreffen mit Kurzarbeit Das Verhältnis von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) und Kurzarbeit wird in § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG geregelt. Danach gilt bei Kurzarbeit in dem Betrieb und einer daraus folgenden hypothetischen Minderung des Arbeitsentgelts bei unterstellter Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers die verkürzte Arbeitszeit als die regelmäßige Arbeitszeit im Sinne des § 4 Abs. 1 EFZG. Daraus ergeben sich für das Verhältnis von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und Kurzarbeit im Wesentlichen zwei Folgen, zwischen denen streng zu unterscheiden ist. Vordergründig regelt die Vorschrift, wie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall berechnet wird. Sie modifiziert den Zeitfaktor, indem sie festlegt, dass als regelmäßige Arbeitszeit im Sinne des § 4 Abs. 1 EFZG nicht auf die gewöhnliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers, sondern auf die infolge der Kurzarbeit vorübergehend verringerte Arbeitszeit abzustellen ist.2020 Zu beachten ist, dass der Arbeitnehmer für die durch die Kurzarbeit verursachten Ausfallstunden gegebenenfalls Kurzarbeitgeld im Sinne der §§ 95 ff. SGB III erhält, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen (vgl. auch § 98 Abs. 2 SGB III).2021 Der Geldfaktor bleibt hingekrankung erreicht werden kann; vgl. weiterhin BAG 17.11.1977 – 5 AZR 599/76, AP Nr. 8 zu § 9 BUrlG; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 29; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 33. 2018 BAG 10.2.1972 – 5 AZR 330/71, DB 1972, S. 831, 832; vgl. auch MünchArbRBoecken (2. Auflage) § 83 Rn. 75. 2019 BAG 22.6.1961 – 5 AZR 236/60, AP Nr. 4 zu § 133c GewO; BAG 23.12.1971 – 1 AZR 217/71, AP Nr. 2 zu § 9 BUrlG; MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 74; kritisch zur Abgrenzung des BAG Projahn DB 1972, S. 1581, 1582 f. 2020 ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 21; HK-ArbR-Spengler § 4 EFZG Rn. 27; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 4 EFZG Rn. 42; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Hold § 4 Rn. 99 f.; Feichtinger/Malkmus-Malkmus § 4 EFZG Rn. 173; Treber § 4 Rn. 63; MüKoBGB-Müller-Glöge § 4 EFZG Rn. 25; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 46; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 23; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 34; MünchArbR-Schlachter § 73 Rn. 27 sowie § 74 Rn. 14, 18; teilweise abweichend Schmitt § 4 EFZG Rn. 172, der offenbar keine Modifikation des Zeitfaktors annimmt, da er dem § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG nur klarstellende Funktion beimisst. 2021 Feichtinger/Malkmus-Malkmus § 4 EFZG Rn. 179; Treber § 4 Rn. 64; MüKoBGB-Müller-Glöge § 4 EFZG Rn. 25.

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gen unverändert.2022 Diese Regelung betrifft allein die Rechtsfolgen einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und enthält für sich genommen noch keine Aussage zu dem Verhältnis beider Tatbestände. Indes, und hier zeigt sich die zweite wichtige Folge von § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG, ist eine derartige Regelung nur dann sinnvoll, wenn zugleich § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG gegenüber der Kurzarbeit vorrangig ist. Gewährte man der Kurzarbeit den Vorzug, hätte § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG keinen Anwendungsbereich, was der Gesetzgeber nicht beabsichtigt haben kann.2023 § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG erfasst lediglich Fälle, in denen es sich bei der Kurzarbeit um eine Arbeitszeitverkürzung im Sinne der §§ 95 ff. SGB III handelt.2024 Sind deren Voraussetzungen nicht erfüllt, greifen stattdessen die Grundsätze über das Zusammentreffen von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und sonstigem unbezahlten Urlaub.2025 3. Lösung auf der dritten Stufe Die noch verbleibenden Konkurrenzen zwischen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und weiteren Ausfallgründen müssen auf der dritten Ebene nach Wertungsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der Zwecke der beteiligten Normen aufgelöst werden.

2022 ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 21; HK-ArbR-Spengler § 4 EFZG Rn. 27; MüKoBGB-Müller-Glöge § 4 EFZG Rn. 25. 2023 Für die dem Arbeitnehmer zustehende Lohnhöhe macht es (sofern vertraglich keine Modifikationen vereinbart werden) keinen Unterschied, welchem Tatbestand der Vorrang eingeräumt wird. Das beruht auf der Modifikation der Rechtsfolgen, genauer gesagt des Zeitfaktors, die § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG anordnet. Gewährt man § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG, wie hier vertreten, den Vorrang, erhält der Arbeitnehmer gemäß § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG der Sache nach eine Entgeltfortzahlung nur für die Arbeitszeit, die nicht (auch) infolge der Kurzarbeit ausfällt. Gewährte man der Kurzarbeit hingegen den Vorrang, gelangte man ebenfalls nur zu einem Fortfall des Vergütungsanspruchs für die Arbeitszeit, die infolge der Kurzarbeit ausfällt. Im Übrigen, also für die Zeit, die nicht infolge der Kurzarbeit ausfällt, käme allein § 3 Abs. 1 EFZG zum Tragen, da insoweit gar keine Kollision vorliegt. Das gilt auch, wenn in der Weise verkürzt gearbeitet wird, dass die Arbeit für einen bestimmten Zeitabschnitt ganz ruht (vgl. hierzu Henssler/Willemsen/ Kalb-Schliemann § 4 EFZG Rn. 42; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Hold § 4 EFZG Rn. 101). 2024 ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 21; HK-ArbR-Spengler § 4 EFZG Rn. 26; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 4 EFZG Rn. 42; Feichtinger/Malkmus-Malkmus § 4 EFZG Rn. 172; Treber § 4 Rn. 62; Schmitt § 4 EFZG Rn. 174; MüKoBGBMüller-Glöge § 4 EFZG Rn. 25; a. A. offenbar Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Hold § 4 EFZG Rn. 101. 2025 Zum Verhältnis von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und unbezahltem Urlaub vgl. oben § 9 C.II.2.c); a. A. Schmitt § 4 EFZG Rn. 174, der in einem solchen Fall offenbar per se die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall unter Anwendung des § 4 Abs. 1 EFZG für vorrangig hält.

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a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands aa) Zusammentreffen mit europarechtlich geprägten Tatbeständen Das Verhältnis der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowohl zu einer bezahlten Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG) als auch zu dem Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG ist jeweils aufgrund des europarechtlichen Hintergrunds dieser beiden konkurrierenden Vorschriften zu deren Gunsten zu entscheiden.2026 Andernfalls drohte – insbesondere durch die Sechs-Wochen-Frist – eine unionsrechtlich nicht hinnehmbare Absenkung des Vergütungsniveaus. bb) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung bei Spende von Organen oder Geweben (vgl. § 3a Abs. 1 EFZG) Vorrang gegenüber § 3 Abs. 1 EFZG genießt ferner der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Spende von Organen oder Geweben gemäß § 3a Abs. 1 EFZG. Eine Entscheidung über dieses Vorrangverhältnisses ist nicht etwa deshalb entbehrlich, weil beide Tatbestände hinsichtlich der Rechtsfolgen auf § 4 EFZG verweisen. Denn für den Anspruch aus § 3a EFZG sind in dessen Abs. 2 besondere Erstattungsregeln vorgesehen, die – anders als im Fall des § 3 EFZG – dafür sorgen, dass der Arbeitgeber wirtschaftlich nicht mit der Entgeltfortzahlung belastet wird. Daher hat jedenfalls der Arbeitgeber ein vitales Interesse an der Klärung des Vorrangverhältnisses. Eine Kollision ist tatbestandlich ohne Weiteres möglich, wenn gleichzeitig mit den Folgen der Organ- oder Gewebespende eine weitere, davon unabhängige Erkrankung des Arbeitnehmers auftritt (beispielsweise ein gebrochenes Bein) und beide Erkrankungen für sich jeweils zur Arbeitsunfähigkeit führen. Eine gesetzliche Kollisionsregelung (zweite Stufe) fehlt. Auf der dritten Stufe ist § 3a Abs. 1 EFZG vorrangig, weil es sich gegenüber § 3 Abs. 1 EFZG um die speziellere Norm handelt.2027 cc) Zusammentreffen mit Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG Umstritten ist, wonach sich die Vergütung richtet, wenn ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) an einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG teilnimmt. 2026

Vgl. dazu oben § 5 G.III.2. und § 5 L.II. Der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/9773, S. 33 f.) lassen sich keine Hinweise darauf entnehmen, wie diese Kollision nach dem Willen des Gesetzgebers aufzulösen ist. 2027

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(1) Überwiegende Auffassung: Vorrang des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG Nach überwiegender Auffassung besteht ein Vergütungsanspruch nach § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG unabhängig davon, ob weitere Arbeitsausfallgründe vorliegen. In diesem Sinne hat das BAG zwar nicht ausdrücklich für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, wohl aber für Erholungsurlaub,2028 Arbeitskampf,2029 Kurzarbeit2030 sowie Erziehungsurlaub2031 (heute Elternzeit) entschieden. Dabei hat es zu erkennen gegeben, dass für das Verhältnis zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nichts anderes gelten könne.2032 Unklar bleibt allerdings, ob das BAG insoweit nur von einem Vorrang der Vergütung für die Teilnahme an der Betriebsversammlung oder sogar von einer Anspruchsdoppelung ausgeht. Für das Verhältnis von Erholungsurlaub zu Betriebsversammlung hat es sich für Letzteres ausgesprochen. Diese Rechtsprechung dürfte aber auf Besonderheiten des Urlaubsrechts beruhen. Das BAG geht offenbar nicht von einer Verpflichtung zur Nachgewährung des Urlaubs aus. Striche man dem Arbeitnehmer nun auch noch das Urlaubsentgelt, verlöre er den Urlaub gänzlich kompensationslos. Es ist daher anzunehmen, dass das BAG im Falle einer Kollision mit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit den § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG für vorrangig halten, zugleich aber von einem Fortfall der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vermutlich mangels Monokausalität) ausgehen würde.2033 Die überwiegende Auffassung in der Literatur hat sich den Erwägungen des BAG angeschlossen.2034 Zur Begründung wird insbesondere angeführt, das Lohnausfallprinzip sei auf § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht anzuwenden.2035 Diese Begründung trägt indes nicht. Bereits der Prämisse, § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG gehe nicht vom Lohnausfallprinzip aus, ist nicht zuzustimmen.2036 Abgesehen davon überzeugt es nicht, zur Lösung von Kollisionen im Entgeltfortzahlungsrecht auf die Berechnungsmethode abzustellen, die einem der beteiligten Tatbestände zugrunde liegt.2037 Weiterhin rechtfertigt das BAG den Vorrang § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG mit dem Argument, die Vorschrift sei eine eigenständige An-

2028

BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85, AP Nr. 5 zu § 44 BetrVG 1972. BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972. 2030 BAG 5.5.1987 – 1 AZR 666/85, AP Nr. 6 zu § 44 BetrVG 1972. 2031 BAG 31.5.1989 – 7 AZR 574/88, AP Nr. 9 zu § 44 BetrVG 1972. 2032 Vgl. insbesondere BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, wo arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer erwähnt werden. 2033 Für diese Lösung unter Verweis auf den Wortlaut von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG ausdrücklich Richardi-Annuß § 44 Rn. 33. 2034 GK-Weber § 44 Rn. 34–37; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 5; einschränkend Richardi-Annuß § 44 Rn. 32–34; Lunk Betriebsversammlung, S. 147 f. 2035 BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972. 2036 Vgl. oben § 5 P.I.4.a). 2037 Vgl. oben § 8 A.II. 2029

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spruchsgrundlage und keine anspruchserhaltende Norm.2038 Zwar trifft diese Prämisse zu.2039 Es kann aber nicht überzeugen, wenn das BAG hiervon auf die Unanwendbarkeit des Lohnausfallprinzips und den Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall schließt.2040 Rechtsnatur und Berechnungsmethode eines Tatbestands stehen zueinander in keinerlei Zusammenhang.2041 Zudem lässt sich der Vorrang eines Tatbestands nicht unter Berufung auf dessen Rechtsnatur rechtfertigen.2042 (2) Gegenauffassung: Vorrang des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Ein kleinerer Teil der Literatur folgt dem BAG nicht.2043 Diese Stimmen gehen zwar zu Recht davon aus, dass dem § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG das Lohnausfallprinzip zugrunde liegt. Sie folgern dieses Ergebnis aber unzutreffenderweise aus dem Charakter des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG als anspruchserhaltender Norm. Beide Gesichtspunkte zusammen sollen dazu führen, dass dem Arbeitnehmer bei Teilnahme an einer Betriebsversammlung während des Erholungs- oder Erziehungsurlaubs oder während eines Arbeitskampfs sowie im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kein Anspruch nach § 44 BetrVG zusteht.2044 In Betracht komme aber gegebenenfalls eine Entgeltfortzahlung infolge des konkurrierenden Ausfallgrunds.2045 Auch dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. Insoweit gelten die soeben vorgebrachten Erwägungen entsprechend, wonach Rechtsnatur und Berechnungsmethode zur Konkurrenzlösung im Entgeltfortzahlungsrecht nicht herangezogen werden können. (3) Vorrang des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG Die beiden beschriebenen Auffassungen setzen zur Ermittlung des Vorrangverhältnisses zwischen § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG und weiteren Ausfallgründen ausschließlich bei § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG an. Damit verkennen sie, dass eine Kollision zweier Arbeitsausfallgründe nur überzeugend aufgelöst werden kann, wenn die Wertungen und Normzwecke beide Tatbestände berücksichtigt werden. 2038

BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972. Vgl. dazu oben ausführlich § 5 P.I.1. 2040 So aber BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972. 2041 Vgl. dazu oben § 4 C. 2042 So aber die Entscheidung BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, in der das BAG mit dieser Begründung eine Vergütungszahlung für eine Betriebsversammlung während eines Arbeitskampfs bejaht. Vgl. zur grundsätzlichen Untauglichkeit dieses Ansatzes schon oben § 8 A.II. 2043 Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a–49c; HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27. 2044 Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a–49c; HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27; wohl auch Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 23. 2045 Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 23. 2039

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Insoweit sind vor allem das hohe Schutzniveau des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG und die damit verbundene Anreizfunktion zu beachten. Dem wird man durch den Vorrang dieser Vorschrift am besten gerecht.2046 Da der längerfristig erkrankte Arbeitnehmer im Falle einer Anwendung des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG nach Ablauf von sechs Wochen auf Krankengeld im Sinne des § 44 SGB V verwiesen ist, wird bei einer in diesen Zeitraum fallenden Betriebsversammlung ein besonders großer Anreiz für die Teilnahme des Arbeitnehmers gesetzt, wenn man § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG als vorrangig einstuft. Weil dieses Ergebnis auch dem Zweck von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG (Existenzsicherung des Arbeitnehmers) gerecht wird, sprechen die besseren Argumente für einen Vorrang von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Bedenken gegen diese Lösung könnten sich ergeben, wenn man befürchten müsste, eine Teilnahme des Arbeitnehmers an Betriebsversammlungen könnte im Einzelfall seinen Genesungsprozess gefährden. Dann sollte man hierfür nicht noch zusätzlich Anreize setzen. Insoweit muss man aber an die Eigenverantwortung des Arbeitnehmers appellieren. Dieser wird vernünftigerweise an der Betriebsversammlung nicht teilnehmen, wenn er dadurch seine Genesung beeinträchtigt.2047 dd) Zusammentreffen mit Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG Die Erwägungen zu der Kollision mit einer Teilnahme an einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG sind weitgehend auf eine Kollision

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Siehe oben § 9 B.III.19. Es liegt aus verschiedenen Gründen nicht im Interesse des Arbeitnehmers, an einer Betriebsversammlung teilzunehmen, wenn dadurch seine Gesundheit beeinträchtigt wird: Erstens ist anzunehmen, dass jedem Menschen an seiner Gesundheit gelegen ist und die allermeisten Arbeitnehmer diese aus finanziellen Aspekten nicht gefährden werden. Zweitens sind die finanziellen Abstriche, auf die sich ein Arbeitnehmer einstellen muss, wenn er anstatt auf Ansprüche nach § 44 Abs. 1 BetrVG auf Krankengeld im Sinne des § 44 Abs. 5 SGB V verwiesen ist, nicht so enorm, dass Menschen bereit sein werden, dafür ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Das Krankengeld beträgt nach § 47 SGB V regelmäßig immerhin 70 v. H. des regelmäßigen Bruttoeinkommens. Drittens läge eine Verzögerung seiner Genesung auch deswegen nicht im Interesse des Arbeitnehmers, weil ihm aufgrund der Sechs-Wochen-Frist des § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EFZG durch eine längere Krankheit aufgrund des Besuchs der Betriebsversammlung finanzielle Verluste drohen. Der Arbeitnehmer ist danach auf Ansprüche auf Krankengeld verwiesen. Eine gesundheitsschädigende Teilnahme an einer Betriebsversammlung kann sich daher auch unter finanziellen Aspekten leicht als Bumerang erweisen. Viertens ist anzumerken, dass auch ein Arbeitnehmer, der während des Sechs-Wochen-Zeitraums trotz einer daraus resultieren Genesungsverzögerung an einer Betriebsversammlung teilnimmt, finanzielle Verluste riskiert. Ein solches Vorgehen könnte unter Umständen ein „Verschulden gegen sich selbst“ begründen. Dann verlöre der Arbeitnehmer nach Ende der Betriebsversammlung für den Rest des Sechs-Wochen-Zeitraums seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. 2047

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mit § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG übertragbar.2048 Vorzugswürdig ist mit Rücksicht auf das hohe Schutzniveau und die damit verbundene Anreizfunktion ein Vorrang von § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG.2049 ee) Zusammentreffen mit Sprechstunde oder sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) Nimmt ein Arbeitnehmer trotz arbeitsunfähiger Erkrankung eine Sprechstunde des Betriebsrats wahr oder diesen sonst in Anspruch, ist für die Auflösung der dadurch entstehenden Konkurrenz vor allem die Anreizfunktion des § 39 Abs. 3 BetrVG zu dessen Gunsten entscheidend.2050 Zugleich wird die Existenzsicherungsfunktion des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG auch von § 39 Abs. 3 BetrVG gewahrt. Daher ist die letztgenannte Vorschrift vorrangig. ff) Zusammentreffen mit Arbeitskampf (1) Rechtmäßiger Streik Des Weiteren ist die Kollision einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG mit der Teilnahme des Arbeitnehmers an einem rechtmäßigen Streik zu erörtern. Vielfach wird sich eine solche Konkurrenz schon auf Tatbestandsebene lösen lassen. Reicht der Arbeitnehmer etwa eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, um seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen, erklärt er hierdurch in der Regel schlüssig, an dem Streik nicht teilzunehmen.2051 Einen solchen Erklärungswert kann man seinem Verhalten indes dann nicht beimessen, wenn der Arbeitnehmer offensichtlich trotz seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit an dem Streik teilnimmt, beispielsweise, wenn er sich zu einer Streikkundgebung begibt. In einem solchen Fall liegen tatbestandlich sowohl die Voraussetzungen der Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik als auch diejenigen einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vor. Damit scheidet dann eine Lösung auf der ersten Stufe aus. Gleiches gilt mangels gesetzlicher Regelung für die zweite Stufe. Daher ist auf der dritten Stufe nach Wer-

2048 Eine abweichende Ansicht in der Literatur (vgl. GK-Weber § 44 Rn. 54; wohl auch MünchArbR-Joost § 224 Rn. 104), wonach eine Kollision von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG schon tatbestandlich ausgeschlossen sein soll, ist abzulehnen. Zur Begründung führt diese Ansicht an, ein Anspruch im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG setze voraus, dass der Arbeitnehmer ohne die Teilnahme an der Betriebsversammlung gearbeitet hätte. Dieser Ansatz läuft der Sache darauf hinaus, den Grundsatz der Monokausalität anzuwenden und ist daher abzulehnen, vgl. oben § 8 A.I.2. 2049 Vgl. hierzu oben § 9 B.III.20. 2050 Siehe dazu oben § 9 B.III.21. 2051 Vgl. zum Erfordernis der Streikteilnahmeerklärung näher oben § 6 B.I.1.a)ii).

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tungsgesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Normzwecke zu entscheiden. In Rechtsprechung und Literatur wird einhellig ein Vorrang des Streiks befürwortet. Teilweise wird dieses Ergebnis über den Grundsatz der Monokausalität begründet,2052 der aber – wie oben2053 gezeigt – abzulehnen ist. Ein Vorrang des Streiks lässt sich auch nicht überzeugend mit der Erwägung begründen, dass dieser die Hauptleistungspflichten suspendiere, weswegen die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht mehr eingreifen könne.2054 Ebenfalls verfehlt sind Bestrebungen in der Literatur, den Fortfall des Vergütungsanspruchs damit zu begründen, dass auf § 3 Abs. 1 S. 1 EZFG das Lohnausfallprinzip anwendbar sei.2055 Aus der Berechnungsmethode eines der beteiligten Tatbestände lassen sich nach zutreffender Auffassung keine Rückschlüsse für die Auflösung von Konkurrenzen ziehen.2056 Richtigerweise ist – im Ergebnis übereinstimmend mit der herrschenden Meinung – der Streik vorrangig. Diese Lösung wird den Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ebenso wie dem Gesichtspunkt der Kampfparität am besten 2052 Voraussetzung soll aber sein, dass sich der Arbeitnehmer an dem Streik beteiligt, vgl. BAG 17.12.1964 – 2 AZR 72/64, AP Nr. 39 zu § 1 ArbKrankhG; BAG 8.3.1973 – 5 AZR 491/72, AP Nr. 29 zu § 1 LohnfortzahlungsG; BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04, AP Nr. 170 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 195; ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 14, 16; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 232; MünchArbRRicken § 203 Rn. 14; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 62; vgl. auch Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 106 f.; MüKoBGB-Müller-Glöge § 3 EFZG Rn. 21; Schmitt § 3 EFZG Rn. 87–94; Treber § 3 Rn. 42; derselbe in Schaub ArbR-Hdb. § 195 Rn. 13; wohl auch Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 22. Beteiligt sich der erkrankte Arbeitnehmer hingegen nicht an dem Streik, kommt es nach überwiegender Ansicht – insoweit zutreffend – gar nicht zu einer Kollision. Vielmehr greift lediglich § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ein, weswegen dem Arbeitnehmer der Lohnanspruch verbleibt; vgl. BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90, AP Nr. 114 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 1.10.1991 – 1 AZR 147/91, AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 232; a. A. Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht II/2, S. 958 f., die dem Arbeitnehmer die Möglichkeit versagen wollen, die Teilnahme an einem einmal begonnenen Streik zu beenden, um in den Genuss der Entgeltfortzahlung zu gelangen (offen gelassen von BAG 24.2.1961 – 1 AZR 17/59, AP Nr. 31 zu § 1 ArbKrankhG); ebenfalls a. A. Schmitt § 3 EFZG Rn. 91, der eine Erklärung über die Beendigung seiner Streikteilnahme eines während des Streiks erkrankenden Arbeitnehmers für rechtsmissbräuchlich hält. 2053 Siehe oben § 8 A.I.2. 2054 So aber Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 197; Hromadka/ Maschmann Arbeitsrecht II § 14 Rn. 105; Seiter Streikrecht, S. 299 ff.; vgl. auch Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 61; ähnlich Däubler Arbeitskampfrecht-Colneric (2. Auflage) Rn. 572, die darauf abstellt, dass es sich bei der Krankenvergütung um Arbeitsentgelt handele, das durch die Suspendierung der Hauptleistungspflichten erfasst werde; ebenfalls ähnlich Brill DB 1972, S. 532, 533. Zur Untauglichkeit dieses Argumentationsmusters vgl. oben § 8 A.III. 2055 So aber Matthes Lohnzahlung Rn. 516. 2056 Vgl. hierzu bereits oben § 8 A.II.

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gerecht.2057 Der Zeitraum der Kollision wird auf den Sechs-Wochen-Zeitraum im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG angerechnet.2058 (2) Rechtswidriger Streik Ist der mit der Entgeltfortzahlung kollidierende Streik nicht rechtmäßig, sondern rechtswidrig, kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Der rechtswidrig streikende Arbeitnehmer darf nicht besser stehen als der rechtmäßige streikende. Außerdem drohte eine Störung der Kampfparität, wenn der Arbeitnehmer streiken könnte, ohne seinen Entgeltanspruch zu verlieren.2059 Damit setzt sich auch die Beteiligung an einem rechtswidrigen Streik gegen die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG durch.2060 (3) Rechtmäßige Aussperrung Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur schließt eine rechtmäßige Aussperrung einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus.2061 Zur Begründung wird teilweise angeführt, die Aussperrung lasse die Hauptleistungspflichten einschließlich aller Entgeltersatzleistungen wie der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ruhen.2062 Diese Argumentation kann aber – wie dargelegt – nicht überzeugen.2063 Ein anderer Begründungsansatz stellt auf den Grundsatz der Monokausalität ab,2064 der nach zutreffender Auffassung ebenfalls abzulehnen ist.2065 Dennoch ist im Ergebnis die Aussperrung gegenüber der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorrangig. Andernfalls drohte eine nicht hinnehmbare Störung der Kampfparität.2066 2057

Vgl. hierzu oben ausführlich § 9 B.III.22. BAG 8.3.1973 – 5 AZR 491/72, AP Nr. 29 zu § 1 LohnfortzahlungsG. 2059 Vgl. oben § 9 B.III.23. 2060 Im Ergebnis ebenso, aber unter Verweis auf den zur Auflösung von Konkurrenzen untauglichen Grundsatz der Monokausalität Brill DB 1972, S. 532, 534. 2061 BAG 7.6.1988 – 1 AZR 597/86, AP Nr. 107 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ErfKDieterich Art. 9 GG Rn. 265; Treber § 3 Rn.45; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 61; Schmitt § 3 EFZG Rn. 92; MünchArbR-Ricken § 204 Rn. 5; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 62; Brill DB 1972, S. 531, 534. 2062 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 265; MünchArbR-Ricken § 204 Rn. 5; Matthes Lohnzahlung Rn. 131–134; vgl. ferner Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 61; ähnlich MüKoBGB-Müller-Glöge § 3 EFZG Rn. 22, der den Vorrang der Aussperrung damit begründet, dass auch arbeitsunfähige Arbeitnehmer ausgesperrt werden können. 2063 Vgl. dazu oben § 8 A.III. 2064 ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 14, 17; Kaiser/Dunkl/Hold/KleinsorgeDunkl § 3 EFZG Rn. 62. 2065 Siehe oben § 8 A.I.2. 2066 Vgl. oben § 9 B.III.24. 2058

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(4) Arbeitskampfrisiko Gleichermaßen muss sich die Arbeitskampfrisikolehre gegen die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzen.2067 Andernfalls drohte eine Paritätsstörung, die mit Hilfe der Arbeitskampfrisikolehre gerade abgewendet werden soll. Will man deren Zweck nicht gänzlich konterkarieren, muss der Entgeltanspruch entfallen.2068 gg) Zusammentreffen mit Elternzeit Weiterhin geht die einhellige Meinung in Literatur und Rechtsprechung davon aus, dass sich auch die Elternzeit gegen die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzt.2069 Die dafür angeführten Begründungen überzeugen indes nicht. Der unter anderem vom BAG2070 herangezogene Grundsatz der Monokausalität ist abzulehnen.2071 Gleiches gilt für die in der Literatur2072 bemühte Argumentation, während der Elternzeit ruhten die beiderseitigen Hauptleistungspflichten, weswegen eine Entgeltfortzahlung nicht in Betracht komme.2073 Vielmehr müssen andere Gesichtspunkte maßgeblich sein. Entscheidend ist der Gedanke der Existenzsicherung, der § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zugrunde liegt. Dieser Normzweck kann während der Elternzeit keine Rolle spielen.2074 Der Arbeitnehmer ist während der Elternzeit ohnehin darauf vorbereitet, seinen Lebensunterhalt aus anderen Einkünften zu bestreiten. Aus diesem Grunde setzt sich die Elternzeit gegen § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG durch. Ein Entgeltanspruch besteht nicht. Hinzuweisen ist noch auf zwei weitere Aspekte: Erstens gelten Besonderheiten, wenn der Arbeitnehmer während der Elternzeit eine Teilzeitbeschäftigung 2067 BAG 17.12.1964 – 2 AZR 72/64, DB 1965, S. 400; BAG 13.12.2011 – 1 AZR 495/10, NZA 2012, S. 995, 997; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Bittner 170.3.2. Rn. 77; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 68; Treber § 3 Rn. 46; Brill DB 1972, S. 531, 534; Matthes Lohnzahlung Rn. 82; wohl auch Staudinger-Oetker § 616 Rn. 232; a. A. Däubler Arbeitskampfrecht-Colneric Rn. 652. 2068 Vgl. oben § 9 B.III.26. 2069 BAG 22.6.1998 – 5 AZR 526/87, AP Nr. 1 zu § 15 BErzGG; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 23; Schmitt § 3 EFZG Rn. 106; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 68; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 71; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 230; MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 76; Matthes Lohnzahlung Rn. 272; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 24. 2070 BAG 22.6.1998 – 5 AZR 526/87, AP Nr. 1 zu § 15 BErzGG, dem zustimmend Staudinger-Oetker § 616 Rn. 230; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 68. 2071 Siehe oben § 8 A.I.2. 2072 MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 76; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 68; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 71; Schmitt § 3 EFZG Rn. 106; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 23. 2073 Vgl. oben § 8 A.III. 2074 Siehe oben § 9 B.III.29.

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ausübt. In diesem Fall kommt es nur hinsichtlich des übrigen Teils der Arbeitszeit, der infolge der Elternzeit ausfällt, zu einer Kollision und einer Verdrängung der Entgeltfortzahlung. Soweit die Arbeitszeit aufgrund der Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit fortbesteht, greift einzig die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ein. Diese steht dem Arbeitnehmer anteilig im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit zu.2075 Der Anspruch richtet sich gegen den Arbeitgeber, bei dem der Arbeitnehmer in Teilzeitarbeit beschäftigt ist.2076 Zweitens ist zu Recht anerkannt, dass der Arbeitnehmer den Beginn der Elternzeit vom Ende einer zuvor bestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit abhängig machen kann.2077 Bis zu diesem Zeitpunkt ist einzig die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, nicht aber die Elternzeit tatbestandlich einschlägig. Daher steht Arbeitnehmer solange auch der Entgeltfortzahlungsanspruchs aus § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zu. Erkrankt der Arbeitnehmer während der Elternzeit, und dauert die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit über das Ende Elternzeit hinaus an, steht dem Arbeitnehmer ab dem Ende der Elternzeit der Anspruch aus § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zu.2078 Für die Berechnung der Sechs-Wochen-Frist ist insoweit aber der Beginn der Erkrankung und nicht das Ende der Elternzeit maßgeblich.2079 b) Differenzierende Lösung (Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld) Im Verhältnis der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) zu dem Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG lässt sich kein absoluter Vorrang einer der beiden Tatbestände feststellen. Stattdessen muss nach weiteren Faktoren wie folgt differenziert werden.

2075 Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 73; Feichtinger/MalkmusPeter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 72; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 23; ohne Angabe zum Umfang der Entgeltfortzahlung ebenso MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 76; Schmitz WzS 1996 S. 129, 133. 2076 Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 72. 2077 BAG 17.10.1990 – 5 AZR 10/90, AP Nr. 4 zu § 15 BErzGG; MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 76; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 70; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 72; Schmitt § 3 EFZG Rn. 106; Schmitz WzS 1996, S. 129, 133; kritisch hierzu Reinecke DB 1991, S. 1168, 1175, der erwägt, dem Arbeitnehmer ein solches Vorgehen als rechtsmissbräuchlich gemäß § 242 BGB zu verwehren. 2078 HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 51. 2079 A. A. die überwiegende Ansicht, vgl. BAG 29.9.2004 – 5 AZR 558/03, AP Nr. 24 zu § 3 EFZG; Feichtinger Anmerkung zu BAG 29.9.2004 – 5 AZR 558/03, EWiR 2005, S. 113 f.; Nebe Anmerkung zu BAG 29.9.2004 – 5 AZR 558/03, JR 2005, S. 351 f.; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 51, wonach der Kollisionszeitraum nicht angerechnet werden könne, da während dieser Zeit die Hauptpflichten suspendiert seien. Zur Unzulänglichkeit dieser Argumentation vgl. oben § 8 A.III.

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aa) Keine Lösung auf Tatbestandsebene Auf Tatbestandsebene kann diese Konkurrenz nicht aufgelöst werden. Es ist möglich, dass eine Arbeitnehmerin gleichzeitig sowohl einem Beschäftigungsverbot im Sinne von § 3 Abs. 2 oder § 6 Abs. 1 MuSchG unterliegt als auch arbeitsunfähig erkrankt im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ist. Gesetzliche Konkurrenzregeln im Sinne der zweiten Stufe bestehen nicht. Daher ist auf der dritten Stufe nach Wertungsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der Zwecke der an der Kollision beteiligten Tatbestände zu entscheiden.2080 Wirtschaftlich ist das Vorrangverhältnis für beide Arbeitsvertragsparteien bedeutsam. Für den Arbeitnehmer können die unterschiedlichen Berechnungsmethoden und die Begrenzung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf sechs Wochen eine Rolle spielen. Das Interesse des Arbeitgebers folgt daraus, dass er die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall selbst leisten muss, während für das Mutterschaftsgeld die Krankenkassen und in Fällen des § 13 Abs. 2 der Bund2081 und für den Zuschuss die Gesamtheit der Arbeitgeber (vgl. § 7, § 1 Abs. 2 Nr. 1 AAG) aufkommt. Aus dieser Interessenlage lassen sich jedoch keine Rückschlüsse auf das Vorrangverhältnis der betreffenden Tatbestände ziehen, da derartige Erwägungen allein in rechtspolitischer Hinsicht relevant sein können.2082 bb) Überwiegende Ansicht: Vorrang des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG Rechtsprechung und Literatur sprechen sich bei dieser Konkurrenz ganz überwiegend für einen Vorrang des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG vor der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus.2083 Die insoweit angeführten Begründungen überzeugen aber nicht: Das BAG verweist auf den Grundsatz der Monokausalität,2084 der

2080 Auf die Gründe, warum § 24i Abs. 4 SGB V keine Konkurrenzregel ist, wird sogleich noch eingegangen. 2081 Buchner/Becker § 13 MuSchG Rn. 238 f. 2082 Ähnlich argumentiert Lembke NZA 1998, S. 349, 352 für das Verhältnis von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. 2083 BAG 12.3.1997 – 5 AZR 226/96, AP Nr. 16 zu § 14 MuSchG 1968; vgl. in der Literatur Staudinger-Oetker § 616 Rn. 235; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 78; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 92; Treber § 3 Rn. 51; Willikonsky § 14 Rn. 4; Buchner/Becker § 14 MuSchG Rn. 31, § 13 MuSchG Rn. 219; MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 90; Schmitz WzS 1996, S. 129, 129; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 31; vgl. auch HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 12, der allerdings an anderer Stelle (HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 13 MuSchG Rn. 53) einen Anspruch auf das Mutterschaftsgeld selbst verneint; wohl auch Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 18 f.; ebenso zur Rechtslage vor Inkrafttreten des EFZG BAG 7.10.1987 – 5 AZR 610/86, AP Nr. 7 zu § 14 MuSchG 1968; Kitzelmann DB 1971, S. 288; Matthes Lohnzahlung Rn. 784. 2084 BAG 12.3.1997 – 5 AZR 226/96, AP Nr. 16 zu § 14 MuSchG 1968; StaudingerOetker § 616 Rn. 235; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EZFG Rn. 78.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

– wie erläutert – zur Lösung von Konkurrenzen untauglich ist.2085 Ebenfalls wenig belastbar ist die in der Literatur angeführte Begründung, die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit sei unbeachtlich, da wegen des absoluten Beschäftigungsverbots der Arbeitgeber eine Arbeitnehmerin auch nicht beschäftigen dürfte, wenn sie arbeitsfähig wäre.2086 Derartigen Argumentationsmustern ist, wie bereits dargelegt, nicht zu folgen.2087 cc) Vorrang des für den Arbeitnehmer günstigeren Tatbestands Ergiebiger ist hingegen ein Blick in die historische Entwicklung des Entgeltfortzahlungsrechts. Bevor 1994 die Vorschriften über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für alle Arbeitnehmer im EFZG zusammengefasst wurden, waren für Arbeiter die Regelungen des LohnfortzahlungsG vom 17. Juli 19692088 maßgeblich. Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 LohnfortzahlungsG war der Anspruch für den Zeitraum ausgeschlossen, für den eine Arbeiterin Anspruch auf Mutterschaftsgeld hatte.2089 Dieser Regelung kam ihrerzeit der Status einer ausdrücklichen gesetzlichen Konkurrenzregel im Sinne der zweiten Stufe des hier vertretenen Ansatzes zu.2090 Diesen Anspruchsausschluss hat der Gesetzgeber 1994 zwar nicht in das EFZG übernommen. Es ist aber nicht ersichtlich, dass damit eine Änderung der materiellen Rechtslage bezweckt war.2091 Insbesondere ergeben sich aus der einschlägigen Gesetzesbegründung hierfür keine Anhaltspunkte.2092 Das spricht für den Vorrang des Mutterschaftsgeldes und des Zuschusses hierzu. Gegen einen Vorrang der §§ 13, 14 MuSchG lässt sich auch nicht § 24i Abs. 4 SGB V einwenden.2093 Diese Vorschrift, die den Anspruch auf Mutterschaftsgeld ruhen lässt, soweit die Arbeitnehmerin Arbeitsentgelt bezieht, ist zwar grundsätz-

2085

Vgl. dazu oben § 8 A.I.2. So HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 12; ähnlich Buchner/Becker § 13 Rn. 219. 2087 Vgl. dazu oben § 8 A.III. 2088 BGBl. 1969 I, S. 946–955. 2089 Nach ihrem Wortlaut griff diese Konkurrenzregel nur ein, wenn die Anspruchsvoraussetzungen von § 13 MuSchG tatsächlich vorlagen (a. A. Kitzelmann DB 1971, S. 288, 288 f., der zur Begründung der Sache nach auf den untauglichen Grundsatz der Monokausalität abstellte). Lagen die Voraussetzungen von § 13 MuSchG nicht vor, war das Mutterschaftsgeld und damit auch der Zuschuss nach § 14 MuSchG tatbestandlich nicht einschlägig, so dass diese Konkurrenz auf der ersten Stufe gelöst werden konnte. 2090 Vgl. auch BAG 7.10.1987 – 5 AZR 610/86, AP Nr. 7 zu § 14 MuSchG 1968; Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 185. 2091 Insoweit zutreffend BAG 12.3.1997 – 5 AZR 226/96, AP Nr. 16 zu § 14 MuSchG 1968; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 235. 2092 Vgl. die Begründung zum Entwurf der Regierungsfraktionen, BT-Drs. 12/5263. 2093 Ebenso zur Vorgängervorschrift § 200c Abs. 2 RVO a. F. BAG 7.10.1987 – 5 AZR 610/86, AP Nr. 7 zu § 14 MuSchG 1968. 2086

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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lich auch auf Entgeltersatzleistungen wie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall anwendbar.2094 Gerade in dem speziellen Fall der Kollision mit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall widerspräche eine Subsidiarität des Mutterschaftsgeldes aber der beschriebenen Wertung von § 1 Abs. 2 Nr. 3 LohnfortzahlungsG 1969. Da § 24 i Abs. 4 SGB V der Sache nach bereits seit 1967 (bis zum 31. Dezember 1988 als § 200c Abs. 2 RVO und danach bis zum 30. Oktober 2012 als § 200 Abs. 4 RVO) und damit bis 1994 parallel zu § 1 Abs. 2 Nr. 3 LohnfortzahlungsG 1969 bestand, muss man davon ausgehen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht unter den Begriff des Arbeitsentgelts fallen sollte. Daran ändert auch nichts, dass der Anspruchsausschluss des § 1 Abs. 2 Nr. 3 LohnfortzahlungsG 1969 im Jahre 1994 nicht in das EFZG übernommen wurde. Der damalige § 200 Abs. 4 RVO blieb unberührt, und es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass trotz gleichbleibenden Wortlautes nun auch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall unter den Begriff des Arbeitsentgelts fallen sollte. Dieses unter Berücksichtigung nationaler Vorschriften und der ihnen immanenten Wertungen ermittelte Ergebnis ist indes vor dem europarechtlichen Hintergrund des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu korrigieren.2095 Wie oben erläutert worden ist, darf aufgrund europarechtlicher Vorgaben die Vergütung einer Schwangeren nicht geringer ausfallen als die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.2096 Daher muss sich im Konkurrenzfalle letztere durchsetzen, sofern sie höher ausfällt als das Mutterschaftsgeld nach § 13 MuSchG zuzüglich des Zuschusses nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG. Im Ergebnis entspricht diese Lösung einem Günstigkeitsprinzip zugunsten der Arbeitnehmerin. Es lässt sich also kein absoluter Vorrang des einen oder anderen Tatbestands annehmen. Vielmehr ist eine nach der Vergütungshöhe differenzierende Lösung geboten. Dieses Ergebnis muss nicht vor dem Hintergrund des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/ EWG korrigiert werden. Bei der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit handelt es sich um einen Ausfallgrund, der nicht von dem Willen der Arbeitnehmerin abhängt. Damit handelt es sich bei dem Nichtvorliegen dieses Ausfallgrunds nach den oben2097 erarbeiteten Maßstäben nicht um eine Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG, von deren Erfüllung durch die Arbeitnehmerin der Umsetzungsgesetzgeber abhängig machen könnte, ob der durch die Richtlinie vorgesehene Schutz gewährt wird.

2094 2095 2096 2097

Vgl. dazu oben § 9 B.III.6.b). Vgl. dazu eingehend oben § 9 B.III.6.c). Vgl. oben § 9 B.III.6.c)aa). Vgl. oben § 9 B.III.6.c)bb).

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

c) Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aa) Zusammentreffen mit alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) Im Verhältnis von alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers zu § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG setzt sich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch. Ausschlaggebend ist insoweit, dass es sich bei § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG um eine spezifisch auf den Schutz des Arbeitnehmers zugeschnittene arbeitsrechtliche Vorschrift handelt, die in dieser Konkurrenzsituation der Intention des Gesetzgebers besser gerecht wird als der allgemeinere § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB.2098 bb) Zusammentreffen mit Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) (1) Einführung und praktische Bedeutung Im Folgenden wird die Kollision zwischen § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG erläutert. Ähnlich wie bei dem Zusammentreffen von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG mit § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist auch hier die Entscheidung über das Vorrangverhältnis in wirtschaftlicher Hinsicht für die Parteien interessant. Für den Arbeitnehmer können die unterschiedlichen Berechnungsmethoden und die Begrenzung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf sechs Wochen relevant werden.2099 Auf Arbeitgeberseite ist das Vorrangverhältnis dafür bedeutsam, ob der einzelne Arbeitgeber (im Falle des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) oder die Arbeitgebergemeinschaft (im Falle des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG, vgl. hierzu §§ 7, 1 Abs. 2 Nr. 2 AAG) die Kosten trägt. Wie Lembke zutreffend ausführt, helfen diese rechtspolitischen Erwägungen bei der Auflösung der Konkurrenz jedoch nicht weiter.2100 (2) Meinungsstand Um das Vorrangverhältnis wird in Rechtsprechung und Literatur gestritten. In seiner früheren Rechtsprechung trat das BAG uneingeschränkt für eine Lösung auf Tatbestandsebene (erste Stufe) ein, indem es ein Alternativverhältnis von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und mutterschutzrechtlichem Beschäftigungsverbot annahm.2101 Sei eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gege2098 2099

Vgl. ausführlich hierzu oben § 9 C.I.2.a)aa). Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 186; vgl. auch Schliemann NZA-RR 2000, S. 113,

116 f. 2100 Vgl. Lembke NZA 1998, S. 349, 352; a. A. Coester Anmerkung zu BAG 5.7.1995 – 5 AZR 135/94, SAE 1997, S. 27, 29 f., dessen Beitrag allerdings vor dem Hintergrund zu würdigen ist, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen inzwischen durch Schaffung des AAG im Jahre 2005 geändert haben.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

451

ben, fehle die für eine Anwendung des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG erforderliche Monokausalität des Beschäftigungsverbots.2102 Später relativierte das BAG diesen Vorrang der Entgeltfortzahlung der Krankheitsfall aber für Konstellationen, in denen eine bestehende Krankheit erst bei Fortführung der Beschäftigung die weitere Verschlechterung der Gesundheit und dadurch die Unfähigkeit zur Arbeitsleistung bewirkt, sofern die Ursache hierfür ausschließlich in der Schwangerschaft liegt.2103 In diesen Fällen soll § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG angewendet werden, im Übrigen weiterhin § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Von einem grundsätzlichen Vorrang des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG geht auch die Instanzrechtsprechung und die überwiegende Meinung in der Literatur aus.2104 Eine Minderheit der Autoren gelangt hingegen zu einer differenzierenden Lösung2105 oder hält § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG für vorrangig.2106 2101 BAG 22.3.1995 – 5 AZR 874/93, AP Nr. 12 zu § 11 MuSchG 1968; BAG 5.7. 1995 – 5 AZR 135/94, AP Nr. 7 zu § 3 MuSchG 1968; BAG 12.3.1997 – 5 AZR 766/ 95; AP Nr. 10 zu § 3 MuSchG 1968; BAG 1.10.1997 – 5 AZR 685/96, AP Nr. 11 zu § 3 MuSchG 1968. 2102 BAG 22.3.1995 – 5 AZR 874/93, AP Nr. 12 zu § 11 MuSchG 1968; BAG 5.7. 1995 – 5 AZR 135/94, AP Nr. 7 zu § 3 MuSchG 1968; BAG 12.3.1997 – 5 AZR 766/ 95; AP Nr. 10 zu § 3 MuSchG 1968; BAG 1.10.1997 – 5 AZR 685/96 AP Nr. 11 zu § 3 MuSchG 1968; widersprüchlich BSG 17.4.1991 – 1/3 RK 21/88, NZA 1991, S. 909 ff., das einerseits die dem Konkurrenzverhältnis „logisch vorgeordnete Frage, ob bereits auf der Tatbestandsseite eine Kumulation von schwangerschaftsbedingter Erkrankung mit Arbeitsunfähigkeit einerseits und schwangerschaftsbedingter Gefährdung der Gesundheit mit Beschäftigungsverbot andererseits möglich ist oder ob sich beide Tatbestände grundsätzlich ausschließen [. . .] ausdrücklich offen“ lässt, andererseits aber den Vorrang der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall damit begründet, dass mangels Monokausalität der Schwangerschaft für den Arbeitsausfall § 11 MuSchG nicht zur Geltung kommen könne. 2103 BAG 13.2.2002 – 5 AZR 588/00, AP Nr. 22 zu § 11 MuSchG 1968; BAG 9.10. 2002 – 5 AZR 443/01, AP Nr. 23 zu § 11 MuSchG 1968. 2104 ArbG Bremen-Bremerhafen 11.6.2008 – 8 Ca 8096/08, AE 2009, S. 43 f.; ArbG Berlin 10.3.2006 – 28 Ca 26170/05, 28 Ca 27308/05, 28 Ca 26170/05 und 28 Ca 27308/05, dbr 2006, Nr. 11, S. 39 f.; Hessisches LAG 14.4.2004 – 2 Sa 803/03 (zitiert nach juris); Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 79; Coester Anmerkung zu BAG 5.7.1995 – 5 AZR 135/94, SAE 1997, S. 27, 29 f.; Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 170; ErfK-Dörner/Reinhard § 3 EFZG Rn. 19; ErfK-Schlachter § 11 MuSchG Rn. 5; MüKoBGB-Müller-Glöge § 3 EFZG Rn. 27; derselbe RdA 2006, S. 105, 107 f.; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 82; Schmitt § 3 EFZG Rn. 97; Treber § 3 Rn. 50; Willikonsky § 11 Rn. 7; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 17; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 26; Schliemann/König NZA 1998, S. 1030, 1033 f.; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 236; Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 48; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 11 MuSchG Rn. 4, § 3 MuSchG Rn. 5; Schmitz WzS 1996, S. 129, 131; Twesten Die Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung 2003, S. 449, 450; Feldhoff Anmerkung zu BAG 13.2.2002 – 5 AZR 588/00, AiB 2003, S. 381, 383 f.; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 31; vgl. auch Schliemann NZA-RR 2000, S. 113, 116 f. 2105 So etwa Lembke NZA 1998, S. 349, 352–354, der einen Vorrang von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG annimmt, sofern die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auf der Schwangerschaft beruht.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

(3) Keine Lösung auf Tatbestandsebene Die vom BAG propagierte Lösung auf Tatbestandsebene ist abzulehnen, weil es sich bei dem zur Begründung herangezogenen Grundsatz der Monokausalität um keinen tauglichen Ansatz zur Auflösung von Konkurrenzen handelt.2107 Dieses oben erarbeitete Ergebnis wird in der vorliegenden Konstellation auch gerade dadurch bestätigt, dass das BAG in anderem Zusammenhang auch für § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Monokausalität der zugrunde liegenden Ursache für den Arbeitsausfall fordert.2108 Das BAG zieht bei einem Zusammentreffen von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Schwangerschaft aber nicht den aus seiner Sicht eigentlich konsequenten Schluss, dass in Ermangelung von Monokausalität die Voraussetzungen beider Tatbestände nicht erfüllt sind.2109 Dieses Vorgehen ist inkonsequent: Es ist nicht einsichtig, weswegen im Falle des Zusammentreffens zweier Ausfallgründe, die beide nach Auffassung des BAG Monokausalität voraussetzen sollen, nur die Voraussetzungen des einen, nicht aber diejenigen des anderen Tatbestands erfüllt sein sollen.2110 Hinzu kommt, dass die vom BAG befürwortete tatbestandliche Beschränkung des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG auf gesunde Schwangere in keiner Weise im Geset-

2106 Gamillscheg Arbeitsrecht I, S. 477–479; Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 186– 189; Weyand BB 1994, S. 1852, 1855 f.; MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 91; vgl. auch Töns Arbeitsunfähigkeit, S. C 107 ff., der § 11 MuSchG den Vorrang einräumt, diesen Anspruch aber entsprechend der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf sechs Wochen begrenzen will. Zur Begründung führt er an, § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG sei eine eigenständige Anspruchsgrundlage, während die Tatbestände der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall anspruchserhaltend ausgestaltet seien. Diese Prämisse trifft zwar (auch heute noch) zu (vgl. oben § 5 C.I. und § 5 G.II.1.). Die Rechtsnatur von Tatbeständen ist aber kein taugliches Kriterium zur Auflösung von Konkurrenzen (vgl. dazu ausführlich oben § 8 A.II.; ebenfalls kritisch Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 187). 2107 Siehe dazu oben § 8 A.I.2.; ebenso für die Konkurrenz von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG und § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Lembke NZA 1998, S. 349, 351 f.; Gutzeit NZA 2003, S. 81, 82 im Anschluss an seine Ausführungen in Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 94; Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 187; Weyand BB 1994, S. 1852, 1855. 2108 BAG 22.8.1967 – 1 AZR 100/66, AP Nr. 42 zu § 1 ArbKrankhG; BAG 17.11.1977 – 5 AZR 599/76, AP Nr. 8 zu § 9 BUrlG; BAG 24.3.2004 – 5 AZR 58/03, AP Nr. 21 zu § 3 EFZG; BAG 24.3.2004 – 5 AZR 355/03, AP Nr. 22 zu § 3 EFZG; BAG 26.7.2005 – 1 AZR 133/04, AP Nr. 170 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 2109 Vgl. BAG 22.3.1995 – 5 AZR 874/93, AP Nr. 12 zu § 11 MuSchG 1968; BAG 5.7.1995 – 5 AZR 135/94, AP Nr. 7 zu § 3 MuSchG 1968; BAG 12.3.1997 – 5 AZR 766/95; AP Nr. 10 zu § 3 MuSchG 1968; BAG 1.10.1997 – 5 AZR 685/96 AP Nr. 11 zu § 3 MuSchG 1968. 2110 Ebenfalls kritisch gegenüber der Argumentation des BAG Coester Anmerkung zu BAG 5.7.1995 – 5 AZR 135/94, SAE 1997, S. 27, 29; Lembke NZA 1998, S. 349, 351 f.; Gamillscheg Arbeitsrecht I, S. 478; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 79; Treber § 3 Rn. 50; in die gleiche Richtung auch schon Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 187; Weyand BB 1994, S. 1852, 1855.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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zeswortlaut angelegt ist.2111 Außerdem knüpft § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG tatbestandlich unter anderem am Beschäftigungsverbot des § 3 Abs. 1 MuSchG an, das ebenfalls nicht auf gesunde Schwangere beschränkt ist. Ein derartiges Verständnis des Schutzbereichs des § 3 Abs. 1 MuSchG führte zu einem Wertungswiderspruch, weil die kranke Schwangere des Schutzes des § 21 MuSchG beraubt wäre und sie im Gegensatz zu einer gesunden Schwangeren sanktionslos beschäftigt werden könnte.2112 Somit ist festzuhalten, dass ein Zusammentreffen von Schwangerschaft und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit tatbestandlich möglich ist. Dabei geht es nicht um die Frage, ob die Schwangerschaft an sich zu einem Anspruch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG führen könnte. Es ist mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck allgemein anerkannt, dass eine normal verlaufende Schwangerschaft keinen zur Arbeitsunfähigkeit führenden behandlungsbedürftigen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand im Sinne § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG begründet.2113 Die hier relevante Problematik betrifft vielmehr den Fall, in dem Beschwerden auftreten, die über das Normalmaß an Auswirkungen einer Schwangerschaft auf den Körper hinausgehen. Dabei kann es sich um Beschwerden handeln, die durch die Schwangerschaft bedingt oder von ihr unabhängig sind.2114 (4) Vorrang des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Da, wie gezeigt, eine Lösung auf Tatbestandsebene ausscheidet und auch keine gesetzliche Konkurrenzregel auf der zweiten Stufe eingreift, ist auf der dritten Stufe nach Wertungsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der Normzwecke zu entscheiden. Wie im Folgenden näher gezeigt wird, überzeugt es unter verschiedenen Aspekten, einen Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall anzunehmen.

2111 Vgl. auch Lembke NZA 1998, S. 349, 351, der von einem „Irrweg“ des BAG spricht; ferner insoweit zutreffend ArbG Hameln 30.1.1992 – 2 Ca 54/91, BB 1992, S. 354, 355 f. 2112 Gutzeit NZA 2003, S. 81, 82; Lembke NZA 1998, S. 349, 351; in die gleiche Richtung Weyand BB 1994, S. 1852, 1854. 2113 BAG 14.10.1954 – 2 AZR 30/53, AP Nr. 1 zu § 13 MuSchG; Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 44; vgl. auch Weyand BB 1994, S. 1852, 1853; Schliemann/König NZA 1998, S. 1030, 1033; Twesten Die Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung 2003, S. 449, 449. 2114 Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 185; Weyand BB 1994, S. 1852, 1852. Nach überwiegender Auffassung ist für die Auflösung dieser Konkurrenz bedeutungslos, ob die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gerade auf der Schwangerschaft beruht oder von dieser unabhängig ist (so ausdrücklich Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 187; MüKoBGBMüller-Glöge § 3 EFZG Rn. 27; derselbe RdA 2006, S. 105, 108). Für eine an dieser Unterscheidung orientierte differenzierende Lösung tritt hingegen Lembke NZA 1998, S. 349, 352–354 ein.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

(a) Wille des Gesetzgebers Für einen Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall spricht vor allem der Wille des Gesetzgebers.2115 Im Rahmen einer umfangreichen Änderung des MuSchG durch das Gesetz vom 24. August 19652116 wurde der damals durch § 10 MuSchG 1952 (Vorläufer des heutigen § 11 MuSchG 1968) gewährte Entgeltschutz erheblich ausgebaut. Im Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit, in dem die Änderungen begründet wurden, heißt es dazu: „Voraussetzung für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des bisherigen Durchschnittsverdienstes ist, daß die Frau nicht krank im Sinne der Reichsversicherungsordnung ist. In diesem Fall steht ihr nur der Anspruch auf Lohnfortzahlung nach den Vorschriften über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu.“2117 Somit schwebte dem Gesetzgeber ein Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vor.2118 Dem lässt sich auch nicht überzeugend entgegenhalten, dass hier nur ein Vorrang der Krankheit im Sinne der RVO vor dem § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG statuiert werde, nicht aber auch ein Vorrang der Krankheit im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG.2119 Zwar sind die Definitionen beider Begriffe nicht deckungsgleich.2120 Das ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber einen Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vor der heute in § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG niedergelegten Regelung statuieren wollte. Offenbar ging er von einem Gleichlauf beider Begriffe aus, da er bekundete, dass im Falle einer Krankheit im Sinne der RVO die Bestimmungen über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall maßgeblich sein sollten. Gegen den hiernach nahe liegenden Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall werden diverse Einwände vorgebracht. Diese sind im Folgenden einer kritischen Würdigung zu unterziehen. (b) Lembkes historisch-genetischer Einwand Gegen einen Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall führt Lembke die historisch-genetische Auslegung der betroffenen Normen ins Feld.2121 Der 2115

Insoweit zutreffend BSG 17.4.1991 – 1/3 RK 21/88, NZA 1991, S. 909, 910; BAG 22.3.1995 – 5 AZR 874/93, AP Nr. 12 zu § 11 MuSchG 1968; BAG 5.7.1995 – 5 AZR 135/94, AP Nr. 7 zu § 3 MuSchG 1968. 2116 BGBl. 1965 I, S. 912. 2117 Bericht zu BT-Drs. 4/3652, S. 6. 2118 Kritisch zu der Frage, inwieweit ein Ausschussbericht den Willen des Gesetzgebers verkörpern kann, Weyand BB 1994, S. 1852, 1855. 2119 So aber LAG Bremen 28.8.1996 – 2 Sa 341/95 und 4 Sa 71/95, NZA-RR 1997, S. 201, 202 f.; dem zustimmend Lembke NZA 1998, S. 349, 352. 2120 Insoweit zutreffend LAG Bremen 28.8.1996 – 2 Sa 341/95 und 4 Sa 71/95, NZARR 1997, S. 201, 202; Lembke NZA 1998, S. 349, 352. 2121 Lembke NZA 1998, S. 349, 352 f.

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Gesetzgeber habe mit der Einführung des § 11 MuSchG eine Gesetzeslücke schließen wollen, da dessen Vorgängernorm § 10 Abs. 1 a) MuSchG 1952 keinen Entgeltanspruch bei vollständiger Freistellung der werdenden Mutter vorgesehen habe. Das BAG habe diese Lücke zuvor geschlossen, indem es die Vorschriften über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall angewendet habe.2122 Da die schwangerschaftsbedingt ausfallende Arbeitnehmerin somit schon vor der Einführung des § 11 MuSchG 1968 durch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geschützt gewesen sei, erweise sich diese Erweiterung nur dann als sinnvoll, wenn sie als eigenständige Regelung auch krankhafte Schwangerschaftsbeschwerden erfasse.2123 Dieses Argument überzeugt nicht. Zwar erfolgte die Erweiterung des durch § 10 MuSchG 1952 vorgesehenen Schutzes,2124 obwohl das BAG bereits zuvor mit seiner zweifelhaften ergebnisorientierten Rechtsprechung allen Schwangeren Entgeltschutz über die damaligen Regelungen über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gewährte. Es liegt aber nahe, dass der Gesetzgeber diesen allein auf „Richterrecht“ beruhenden Schutz als zu unsicher und unbefriedigend empfand und deswegen im damaligen § 10 MuSchG 1952 einen umfassenden Entgeltschutz statuierte, der an die Schwangerschaft anknüpfte. Es fehlten Anhaltspunkte dafür, dass dieser neue Schutz die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gänzlich und auch in jenen Fällen verdrängen sollte, in denen die Arbeitnehmerin tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Im Gegenteil: Mit Recht weist Gutzeit2125 darauf hin, dass § 11 MuSchG auch dann ein eigenständiger und praktisch sehr bedeutsamer Anwendungsbereich verbleibt, wenn man die Vorschrift nur bei nicht regelwidrig verlaufenden Schwangerschaften anwendet. § 11 MuSchG füllt dadurch die Lücke, die nach vorrangiger Anwendung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verbleibt.2126 (c) Einwand des systematischen Vergleichs zu §§ 13, 14 MuSchG Ferner kann man gegen den Vorrang von § 3 Abs. 1 EFZG nicht unter Berufung auf die systematische Auslegung der betroffenen Normen überzeugend einwenden, dass sich – wie oben2127 dargelegt – §§ 13, 14 MuSchG gegen die Ent2122 Lembke NZA 1998, S. 349, 353 unter Verweis auf BAG 14.10.1954 – 2 AZR 30/ 53, AP Nr. 1 zu § 13 MuSchG. 2123 Lembke NZA 1998, S. 349, 353; ähnlich Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 188; Weyand BB 1994, S. 1852, 1856. 2124 Vgl. zu der Ausdehnung des Schutzumfangs auch Meisel DB 1966, S. 860, 860; Reyer JR 1969 S. 130, 134; Zmarzlik ArbuR 1965, S. 294, 299. 2125 Gutzeit NZA 2003, S. 81, 86. 2126 HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 26; vgl. auch Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 3 MuSchG Rn. 5; Twesten Die Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung 2003, S. 449, 450. 2127 Siehe oben § 9 C.II.3.b).

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geltfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzen. Die fehlende systematische Vergleichbarkeit hat das BSG in einem Urteil aus dem Jahre 1991 in überzeugender Weise begründet: „Mutterschaftsgeld und Mutterschutzlohn mögen im weiteren Sinne zweckähnliche Leistungen sein, lassen aber einen Vergleich hinsichtlich ihrer Konkurrenz zu Krankenlohn und Krankengeld schon wegen ihrer unterschiedlichen Rechtsnatur nicht zu. Mutterschaftsgeld ist eine öffentlich-rechtliche Sozialleistung, die wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Mutter während der Schutzfristen vor und nach der Entbindung aus Mitteln der Versicherung oder des Bundes gewährt wird, weil die Mutter aus allgemeinen gesundheitspolitischen Gründen überhaupt nicht arbeiten soll. Demgegenüber handelt es sich bei dem Mutterschutzlohn um einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis, der zwar vom üblichen Arbeitsentgelt dadurch abweicht, daß ein nach dem Durchschnittsverdienst errechneter Lohnausfall ausgeglichen wird, der aber gleichwohl ein arbeitsvertragsrechtlicher Individualanspruch bleibt. Angesichts dieser Unterschiede läßt sich auf eine Gleichbehandlung hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses dieser beiden Leistungsarten gegenüber Krankenlohn und Krankengeld nicht schließen, zumal der Anspruch auf Mutterschaftsgeld den Anspruch auf Mutterschutzlohn selbst ausschließt, wie sich aus § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG ergibt.“ 2128 Mit dieser letzten Erwägung stellt das BSG zu Recht darauf ab, dass sich aus dem Verhältnis von Mutterschaftsgeld zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und dem Mutterschutzlohn auch deshalb keine Schlüsse ziehen lassen, weil nach richtiger Auffassung jeweils das Mutterschaftsgeld vorrangig ist. Eine Aussage über das Verhältnis von Mutterschutzlohn und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zueinander lässt sich dem nicht entnehmen. (d) Einwand mangelnder Rechtssicherheit Weiterhin wird einem Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entgegengehalten, dadurch entstehe Rechtsunsicherheit.2129 Diese Lösung erfordere eine Entscheidung darüber, wann schwangerschaftsbedingte Beschwerden als „außergewöhnlich“ und somit als Krankheit einzustufen seien. Eine griffige Abgrenzungsformel sei bislang nicht gefunden. Dieser Einwand ist nicht ganz von der Hand zu weisen, zumal mancher Abgrenzungsversuch in der Literatur wenig zielführend ist.2130 Indes ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung diese Frage zur Anwendung der von ihr ver2128

BSG 17.4.1991 – 1/3 RK 21/88, NZA 1991, S. 909, 911. Gamillscheg Arbeitsrecht I, S. 478. 2130 Vgl. exemplarisch die wenig subsumtionsfähige Formel von Lieb/Jacobs Arbeitsrecht Rn. 170, wonach § 3 EFZG auch auf solche außergewöhnlichen Schwangerschaftsbeschwerden anwendbar sein soll, die nach medizinischer Erfahrung als Krankheit anzusehen sind. 2129

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tretenen Tatbestandslösung klären musste und daher eine umfangreiche Kasuistik entwickelt hat, worauf alle Beteiligten zurückgreifen können. Daher sind für die Praxis in dieser Hinsicht allenfalls geringe Probleme zu erwarten. (e) Einwand des weitergehenden Schutzumfangs von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG Ferner führt Waldeyer zugunsten eines Vorrangs des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG und somit gegen den Vorrang der Entgeltfortzahlung an, § 11 MuSchG gewähre einen weitergehenden Entgeltanspruch, und diesem unterschiedlichen Schutzumfang liege eine gesetzliche Wertung zugunsten des Mutterschutzlohns zugrunde.2131 Dieser Gedanke greift jedoch zu kurz. Er berücksichtigt lediglich, dass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall anders als der Mutterschutzlohn zeitlich auf sechs Wochen begrenzt ist. Vernachlässigt hingegen wird der Gesichtspunkt, dass aufgrund der erwähnten unterschiedlichen Berechnungsmethoden der Mutterschutzlohn geringer ausfallen kann als die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Daher kann sich die Anwendung der Vorschriften über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Arbeitnehmerin als vorteilhaft erweisen. Eigentlich müsste Waldeyer konsequenterweise stets dem für die Arbeitnehmerin günstigeren Tatbestand den Vorzug einräumen. Doch für eine derartige Lösung fehlen Anhaltspunkte im Gesetz, so dass auch dieser Einwand nicht überzeugen kann. (f) Einwand der Spezialität des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG Einen weiteren Einwand bringt Boecken vor: Der Vorrang des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG ergebe sich aus der speziellen und eigenständigen Regelung des Mutterschutzes durch den Gesetzgeber. Den einschlägigen mutterschutzrechtlichen Bestimmungen seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass dieser spezielle Schutz durch das Hinzutreten weiterer Arbeitsausfallgründe verdrängt werden solle.2132 Auch dieses Argument überzeugt nicht. Zwar trifft es zu, dass der Gesetzgeber keine ausdrückliche Subsidiarität des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG gegenüber der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall angeordnet hat. Daraus kann man darüber hinaus aber keine Entscheidung zugunsten eines Vorrangs des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG entnehmen. Ebenso ließe sich argumentieren, dass der Gesetzgeber die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG speziell und eigenständig geregelt hat, ohne dabei ausdrücklich die Subsidiarität dieses Tatbestands anzuordnen. Daraus müsste sich nach Boeckens Logik ohne Weiteres ein 2131 2132

Waldeyer ArbuR 1971, S. 185, 188. MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 91.

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Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall konstruieren lassen, was aber nicht seinem Ergebnis entspricht.2133 (g) Einwand der vermeintlichen Benachteiligung der erkrankten gegenüber der gesunden Schwangeren Weiterhin wird der Vorrang der Entgeltfortzahlung mit der Begründung abgelehnt, er führe zu einem Wertungswiderspruch: Die kranke Schwangere werde gegenüber der gesunden benachteiligt, da sie nach Ablauf der Sechs-WochenFrist des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG kein Geld mehr erhielte, die gesunde hingegen schon, und zwar nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG.2134 Dieser Wertungswiderspruch besteht indes nur vermeintlich, wie Gutzeit2135 zu Recht ausführt. Die Lage der kranken und der gesunden Schwangeren ist insoweit nicht vergleichbar. Die gesunde Schwangere kann vom Arbeitgeber noch im Rahmen des gemäß §§ 3 f. MuSchG zulässigen Umfangs beschäftigt werden. Die kranke Schwangere hingegen steht dem Arbeitgeber gar nicht mehr zur Verfügung. Daher ist es angemessen, den Arbeitgeber zum Ausgleich nach sechs Wochen von seiner Entgeltfortzahlungspflicht zu entbinden. Dadurch wird die Schwangere auch nicht unverhältnismäßig belastet, da ihr Ansprüche auf Krankengeld gegen die Sozialversicherungsträger gemäß den §§ 44 ff. SGB V zustehen. Aus diesem Grund sind auch Bestrebungen verfehlt, einen zwingenden Vorrang des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG mit Hinweis auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der werdenden Mutter gemäß Art. 6 Abs. 4 GG zu rechtfertigen.2136 (h) Europarechtskonformität eines Vorrangs des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Das hier vertretene Ergebnis steht auch mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH in Einklang.2137 Dieser hält Art. 157 AEUV (ehemals Art. 141 und 119 EG-Vertrag) sowie die Richtlinie 75/117/EWG (inzwischen ersetzt durch die Richtlinie 2006/54/EG) für verletzt, wenn eine schwangere Kranke im Gegen2133 Dass ausgerechnet Boecken auf diese leicht angreifbare Argumentation verfällt, überrascht insbesondere vor dem Hintergrund seiner weiteren Ausführungen. An anderer Stelle (MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 88) kritisiert er in überzeugender Weise den Rückgriff des BAG auf den Grundsatz der Monokausalität zur Lösung dieser Kollision mit der Begründung, dass nach Auffassung des BAG beide Ansprüche Monokausalität voraussetzten. Wie gezeigt, lässt sich aber Vergleichbares gegen die von Boecken selbst favorisierte Lösung einwenden. 2134 Gamillscheg Arbeitsrecht I, S. 478 f. 2135 Gutzeit NZA 2003, S. 81, 86; dem folgend HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 26. 2136 So aber ArbG Hameln 30.1.1992 – 2 Ca 54/91, BB 1992, S. 354, 355; wie hier hingegen BAG 5.7.1995 – 5 AZR 135/94, AP Nr. 7 zu § 3 MuSchG 1968. 2137 Vgl. ErfK-Schlachter, § 11 MuSchG Rn. 5; Gutzeit NZA 2003, S. 81, 85; Schliemann NZA-RR 2000, S. 113, 117.

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satz zu einem anderen kranken Arbeitnehmer keine volle Vergütung nach den Vorschriften über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall des Mitgliedsstaates erhält.2138 Aufgrund der unterschiedlichen Methoden, nach denen die Berechnung der nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu zahlenden Vergütung erfolgt,2139 ist es im Einzelfall möglich, dass das nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu zahlende Entgelt geringer ausfällt, als es bei einer Anwendung des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG der Fall wäre. Jedenfalls in diesen Fällen ist eine europarechtskonforme Auslegung des deutschen Rechts zugunsten eines Vorrangs des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG unumgänglich. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, der Gedanke der Rechtssicherheit und Praktikabilitätserwägungen sprechen aber dafür, diesen Vorrang darüber hinaus auf sämtliche Fälle zu erstrecken, in denen § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG kollidieren. Vor allem aber muss bezweifelt werden, ob eine Besserstellung der schwangeren Kranken gegenüber anderen kranken Arbeitnehmern zulässig ist. Dazu käme es, wenn die Vergütung nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG für die Arbeitnehmerin günstiger ausfiele als nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Die Zulässigkeit ist deshalb fraglich, weil Art. 157 AEUV nicht einseitig Diskriminierungen von Frauen verbietet, sondern allgemein eine Gleichstellung der Geschlechter gebietet. Insoweit ließe sich argumentieren, dass eine Besserstellung kranker schwangerer Arbeitnehmerinnen andere (männliche) kranke Arbeitnehmer benachteiligt. (5) Ergebnis Nach alledem ist diese Konkurrenz zugunsten der Entgeltzahlung im Krankheitsfall aufzulösen. Da diese auf einen Zeitraum von sechs Wochen begrenzt ist und es sich dabei nicht um eine Tatbestandsvoraussetzung, sondern einen Teil der Rechtsfolge handelt, steht der Arbeitnehmerin nach Ablauf dieser Frist kein Vergütungsanspruch zu.2140 Auch zu diesem Zeitpunkt ist der dann auf A 0,– zu beziffernde Anspruch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG tatbestandlich einschlägig und verdrängt den Anspruch aus § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG. cc) Zusammentreffen mit subsidiären Tatbeständen Gegenüber einer Reihe von konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbeständen setzt sich § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG durch, weil diese grundsätzlich subsidiär gegenüber anderen Tatbeständen sind und keine besonderen Umstände vorliegen, aufgrund derer man bei einer Kollision mit § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG eine Ausnahme von diesem Grundsatz machen müsste. Ein Vorrang des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ist 2138

EuGH 19.11.1998 – Rs. C-66/96 (Høj Pedersen) NZA 1999, 757, 759. Vgl. zur Engeltfortzahlung im Krankheitsfall oben § 5 C.IV. und zum Anspruch auf Mutterschutzlohn oben § 5 G.II.4. 2140 Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 31. 2139

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problemlos mit dessen Schutzzweck, der Existenzsicherung des Arbeitnehmers, vereinbar. Bei den betreffenden subsidiären Tatbeständen handelt es sich um die vorübergehende Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB), die bezahlte Freistellung für Stillzeiten (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG), das Betriebsrisiko des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 3 BGB), das Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 S. 1 AGG sowie die persönliche Meldung oder Vorstellung bei einer Erfassungsbehörde oder Wehrersatzbehörde (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG).2141 Während bei § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, § 14 S. 1 AGG und § 14 Abs. 1 ArbPlSchG diese Konkurrenzproblematik in Rechtsprechung und Literatur – soweit ersichtlich – nicht erörtert wird, haben sich für § 616 S. 1 BGB und § 615 S. 3 BGB einige Stimmen zu dieser Frage geäußert. In Bezug auf § 616 S. 1 BGB stimmt sowohl das hier erarbeitete Ergebnis als auch dessen Begründung mit der überwiegenden Ansicht in der Literatur weitgehend überein.2142 Was demgegenüber das Verhältnis zu § 615 S. 3 BGB angeht, plädiert die überwiegende Ansicht zwar im Ergebnis – wie hier vertreten – für einen Vorrang des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG.2143 Allerdings können die insoweit angeführten Begründungen nicht überzeugen. Teilweise2144 wird auf den Grundsatz der Monokausalität abgestellt, der abzulehnen ist.2145 Auch der Versuch, den Vorrang des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG auf das Lohnausfallprinzip zu stützen,2146 kann nicht überzeugen, da man aus der Berechnungsmethode keine Schlüsse für Konkurrenzen zu anderen Arbeitsausfallgründen ziehen kann.2147 dd) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Entgeltfortzahlungstatbeständen Die kollektivrechtlichen Entgeltfortzahlungstatbestände § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG haben strukturell viele Gemeinsamkeiten. Daher wird ihr Verhältnis zu § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zusammenhängend erörtert. 2141 Zur Herleitung der Subsidiarität des jeweiligen Tatbestands vgl. für § 616 S. 1 BGB oben § 9 B.III.4., für § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.9., für § 615 S. 3 BGB oben § 9 B.III.11., für § 14 S. 1 AGG oben § 9 B.III.14. sowie für § 14 Abs. 1 ArbPlSchG oben § 9 B.III.16. 2142 Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 31; vgl. auch Kaiser/ Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 84. 2143 Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 67; Feichtinger/MalkmusPeter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 67; Kasseler Hdb.-Vossen 2.2 Rn. 75; Geyer/Knorr/ Krasney § 3 EFZG Rn. 43; wohl ebenso bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall, der unter das Betriebsrisiko des Arbeitgebers fällt, Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 32; MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 70; Schmitt § 3 EFZG Rn. 117. 2144 So etwa Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 67; Feichtinger/ Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 67. 2145 Siehe oben § 8 A.I.2. 2146 So aber Kasseler Hdb.-Vossen 2.2 Rn. 75. 2147 Vgl. dazu oben § 8 A.II.

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(1) Möglichkeit einer Kollision Zunächst ist darzulegen, dass § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG mit den genannten Entgeltfortzahlungstatbeständen tatbestandlich zusammentreffen kann. Das sei im Folgenden beispielhaft anhand des § 37 Abs. 2 BetrVG erläutert. Entsprechendes gilt vorbehaltlich gesonderter Anmerkungen auch für die übrigen Tatbestände. (a) Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Schwierigkeiten bereitet vor allem die Frage, wann § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG tatbestandlich einschlägig ist. Voraussetzung dafür ist die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Indes ist deren Bezugspunkt zweifelhaft: Muss die Krankheit den Arbeitnehmer außer Stande setzen, seiner eigentlich arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeit nachzukommen? Oder ist bei einem Betriebsratsmitglied maßgeblich, ob es aufgrund der Krankheit keine Betriebsratstätigkeiten mehr ausüben kann? Zwar mag beides häufig miteinander einhergehen, etwa bei einem grippalen Infekt mit hohem Fieber. Die Lage kann sich aber auch anders darstellen, zum Beispiel bei dem von einem Rückenleiden geplagten Maurer, der zwar nicht mauern, wohl aber in einem Büro sitzend Betriebsratstätigkeiten ausführen kann. Der Bezugspunkt der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ist von entscheidender Bedeutung dafür, in welchen Fällen es überhaupt zu einer Kollision kommen kann. Bezöge man die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bei Betriebsratsmitgliedern ausschließlich auf die Betriebsratstätigkeit, wäre eine Kollision begrifflich gar nicht denkbar: Die Voraussetzungen einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall lägen nur vor, wenn das Betriebsratsmitglied keine Betriebsratstätigkeiten ausüben kann, und wenn es das nicht tut, kommt § 37 Abs. 2 BetrVG nicht zum Tragen. Bezieht sich die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit hingegen ausschließlich auf die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit, sind Kollisionen möglich.2148 Richtigerweise liegt der Bezugspunkt ausschließlich in der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit.2149 Dafür spricht insbesondere der Wortlaut des § 3 2148 Zwischen beiden Extremen ist noch die Variante denkbar, dass man die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit entweder alternativ oder kumulativ auf beide Tätigkeitsarten bezieht. Im ersteren Fall wäre eine Kollision nur möglich, soweit der Arbeitnehmer unfähig ist, seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen, er aber seine Betriebsratstätigkeit ausübt. Im letzteren Fall wäre Kollision tatbestandlich ausgeschlossen, weil der Arbeitnehmer, der unfähig ist, seine Betriebsrattätigkeit auszuüben, die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2, 3 BetrVG nicht erfüllen kann. 2149 Speziell für den Bezugspunkt bei § 37 Abs. 6, 7 BetrVG wie hier Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 27; a. A. offenbar Treber § 3 Rn. 59, wonach Voraussetzung für § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG sein soll, dass das Betriebsratsmitglied krankheitsbedingt nicht an einer Schulungsveranstaltung teilnehmen kann; unklar hinsicht-

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Abs. 1 S. 1 EFZG. Darin heißt es, der Arbeitnehmer müsse „durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert“ sein. Zur Arbeitsleistung in diesem Sinne gehört nur die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit, nicht aber die Betriebsratstätigkeit. Die Betriebsratstätigkeit ist gerade kein Surrogat für die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung. Das zeigt sich daran, dass die Arbeitsleistung vergütet wird, während das Betriebsratsamt nach § 37 Abs. 1 BetrVG als Ehrenamt zu führen ist.2150 Zwar erhält der Arbeitnehmer auch für die Zeit, die er für Betriebsratstätigkeiten aufwendet, nach § 37 Abs. 2, 3 BetrVG ein Entgelt. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Gegenleistung für die Betriebsratstätigkeit. Vielmehr behält der Arbeitnehmer unter Durchbrechung des § 326 Abs. 1 S. 1 BGB trotz Befreiung von der vertraglich geschuldeten Arbeitspflicht seine Vergütung, um eine Benachteiligung im Sinne des § 78 S. 2 BetrVG zu verhindern und seine Existenz zu sichern. (b) Voraussetzungen des konkurrierenden kollektivrechtlichen Tatbestands Ferner müssen die jeweiligen Voraussetzungen des betroffenen kollektivrechtlichen Tatbestands vorliegen. Besonderheiten gelten, wenn einerseits die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG nicht vorliegen, weil der Arbeitnehmer seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit nachgehen könnte, und andererseits die Krankheit es ihm zugleich verwehrt, Betriebsratstätigkeiten auszuüben oder an einer Schulung teilzunehmen.2151 Sofern das Betriebsratsmitglied nicht nach § 38 BetrVG freigestellt ist, muss in einem solchen Fall seine Arbeitsleistung erbringen. Andernfalls verliert es seinen Vergütungsanspruch. Die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds, das keinen Betriebsratstätigkeiten nachgehen oder seine Schulung nicht besuchen kann, ist nicht erforderlich im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG. Ist der Arbeitnehmer hingegen nach § 38 BetrVG freigestellt, kommt zwar keine Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds zur Erbringung der Arbeitsleistung in Betracht, da die Erforderlichkeit der Freistellung unwiderleglich vermutet wird. Es bleibt aber dabei, dass das Betriebsratsmitglied seinen Lohnanspruch nach § 38 BetrVG verliert, weil es keine Betriebsratstätigkeiten ausübt. Für die

lich des Bezugspunkts der Arbeitsunfähigkeit Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 77; Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 82. 2150 Siehe dazu schon oben § 5 N.I.1.a) sowie in Bezug auf § 38 BetrVG § 5 N.II.4, wobei für § 37 BetrVG aufgrund der engen dogmatischen Verwandtschaft beider Normen nichts anderes gelten kann. 2151 Ein solcher Fall mag in der Praxis selten sein und daher konstruiert wirken; denkbar ist aber zum Beispiel, dass das Betriebsratsmitglied vorübergehend krankheitsbedingt erblindet ist und deshalb keine Betriebsratstätigkeiten ausführen kann, es aber arbeitsvertraglich nur eine Tätigkeit als Abschmecker für Limonade ausüben muss und diese Aufgabe auch ohne Sehvermögen erfüllen kann.

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Zeit, in der das Betriebsratsmitglied keine Betriebsratsaufgaben wahrnehmen kann, kann der Betriebsrat ein vorübergehend ersatzweise freizustellendes Mitglied bestimmen.2152 Will das erkrankte Betriebsratsmitglied seinen Lohnanspruch behalten, muss es dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung anbieten. Der Arbeitgeber ist auch zur Annahme verpflichtet. Ist ihm die Annahme technisch möglich und weigert er sich, gerät er in Annahmeverzug. Kann der Arbeitgeber die Leistung nicht annehmen, etwa, weil er das dauerhaft freigestellte Betriebsratsmitglied nicht kurzfristig in komplexe Produktions- oder Geschäftsabläufe einbinden kann, greift § 615 S. 3 BGB zugunsten des Arbeitnehmers. Diese Lösung verkennt nicht, dass dem Arbeitgeber eine sinnvolle kurzfristige Verwendung der Arbeitskraft des Arbeitnehmers in der Regel kaum möglich sein wird. Sie ist aber aufgrund der Wertung des § 78 S. 2 BetrVG zwingend geboten. Andernfalls käme es zu einer verbotenen Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds durch sein Amt, da es anderen Arbeitnehmern in einer vergleichbaren Situation ohne weiteres möglich wäre, ihre Arbeitsleistung zu erbringen oder wenigstens anzubieten und dafür eine Vergütung zu erlangen. (2) Auflösung im Falle einer Kollision Kommt es zu einer Kollision, müssen die § 20 Abs. 3 S. 2; § 37 Abs. 2, 3, 6, 7; § 38 BetrVG gegenüber § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zurücktreten. Der Grund hierfür liegt in dem Verbot der Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern, das aus § 78 S. 2 BetrVG folgt.2153 ee) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko Im Falle einer Kollision von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko verneint die überwiegende Ansicht einen Entgeltfortzahlungsanspruch. Der als Begründung herangezogene Grundsatz der Monokausalität2154 ist 2152 Vgl. zur Möglichkeit einer Ersatzfreistellung und zum Verfahren GK-Weber § 38 Rn. 72–74. 2153 Vgl. hierzu oben § 9 B.III.17. und § 9 B.III.18.; im Ergebnis ebenso Feichtinger/ Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 82; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 114 f.; Knipper Arbeitsverhältnis, S. 73–75; a. A. für einen Vorrang des § 37 Abs. 2 BetrVG Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 27; nicht eindeutig Kaiser/Dunkl/Hold/ Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 77. 2154 Vgl. zur Kollision mit Arbeitsunwilligkeit BAG 20.3.1985 – 5 AZR 229/83, AP Nr. 64 zu § 1 LohnfortzahlungsG; LAG Köln 2.11.2011 – 9 Sa 1581/10 (zitiert nach juris) zu II.1.c. der Gründe; ArbG Rheine 25.4.1967 – 2 Ca 5/67, BB 1967, S. 1484; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Dunkl § 3 EFZG Rn. 64; Treber § 3 Rn. 47; Henssler/ Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 17; MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 60; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 28. Demgegenüber stellt das Hessische LAG 24.2.1975 – 1 Sa 1043/74, BB 1976, S. 90 auf die fehlende Vertragstreue des Arbeit-

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aber abzulehnen.2155 Stattdessen gelten die oben2156 angestellten Überlegungen, wonach Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko Vergütungsansprüche unberührt lassen, die auf einem konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbestand beruhen. Daher bleibt der Anspruch § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG bestehen. III. Zusammentreffen eines Feiertags (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) mit anderen Verhinderungsgründen Im Folgenden wird das Zusammentreffen eines Feiertags (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) mit anderen Verhinderungsgründen erörtert. 1. Lösung auf der ersten Stufe a) Zusammentreffen mit alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) Ein Zusammentreffen von Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) und alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) ist schon tatbestandlich ausgeschlossen, da der Arbeitgeber für einen Arbeitsausfall infolge eines gesetzlichen Feiertags nicht verantwortlich sein kann.2157 b) Zusammentreffen mit Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB) Auch mit Annahmeverzug im Sinne des § 615 S. 1 BGB kann die Feiertagsvergütung nicht kollidieren, weil dem Arbeitnehmer an einem Feiertag gemäß § 9 Abs. 1 ArbZG die Erbringung der Arbeitsleistung grundsätzlich verboten ist. Es fehlt daher an seiner Leistungsfähigkeit im Sinne des § 297 BGB.2158

nehmers ab. Im Ergebnis ebenso ohne Begründung Feichtinger/Malkmus-Peter Feichtinger § 3 EFZG Rn. 75; Marienhagen/Künzl § 3 EFZG Rn. 22c. Vgl. ferner zur Kollision mit vom Arbeitnehmer zu tragendem Witterungsrisiko Schmitt § 3 EFZG Rn. 117; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 3 EFZG Rn. 32; MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 83 Rn. 70; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 36; differenzierend für eine Kollision mit einem Beschäftigungsverbot im Sinne des § 284 Abs. 1 SGB III hingegen MünchArbRSchlachter § 73 Rn. 38. 2155 Vgl. oben § 8 A.I.2. 2156 Vgl. dazu oben § 9 B.III.30. 2157 Vgl. oben § 5 B.III.3.c) sowie § 9 C.I.1. 2158 Sofern der Arbeitnehmer in Abweichung von § 9 Abs. 1 ArbZG beschäftigt werden darf (vgl. § 10 ArbZG), scheitert eine Kollision zwar nicht an § 297 BGB, wohl aber daran, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 EFZG nicht vorliegen. In einem solchen Fall fällt die Arbeit nicht, wie von § 2 Abs. 1 EFZG gefordert, infolge eines Feiertags aus.

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c) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) Des Weiteren stehen Feiertagsentgelt und der bezahlte Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) ebenfalls zueinander in einem Exklusivitätsverhältnis. Der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub bezieht sich gemäß § 3 Abs. 1 BUrlG nur auf Werktage. Gemäß § 3 Abs. 2 BUrlG gelten als Werktage alle Kalendertage, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind. Daher kann ein Feiertag kein Urlaubstag sein.2159 d) Zusammentreffen mit Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG, mit Sprechstunde oder mit sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) Auch mit einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG kann das Feiertagsentgelt nicht zusammentreffen. Solche Versammlungen müssen per Definition während der persönlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers stattfinden. Das folgt aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 2 BetrVG:2160 Diese Vorschrift verbietet dem Arbeitgeber eine Minderung des Arbeitsentgelts. Eine derartige Minderung ist nicht gegeben, wenn die Betriebsversammlung außerhalb der regelmäßigen persönlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers abgehalten wird. Fällt die Arbeit am Tag der Betriebsversammlung infolge eines Feiertags aus, ist dieser Tag nicht Teil der persönlichen Arbeitszeit. Bei Betriebsversammlungen nach § 44 Abs. 2 BetrVG, die an einem solchen Tag stattfinden, handelt es sich daher zwingend um Versammlungen außerhalb der Arbeitszeit, die gemäß Satz 1 nicht vergütet werden. Entsprechendes gilt für die Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Sprechstunde sowie für jede sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG), weil das Gesetz auch insoweit eine Minderung des Arbeitsentgelts verbietet. e) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen Aus ähnlichen Gründen ist schließlich eine Kollision des § 2 Abs. 1 EFZG mit der Erbringung von Betriebsratstätigkeiten nach § 37 Abs. 2 BetrVG, § 38 BetrVG sowie mit Tätigkeiten im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 2 ausgeschlossen. Eine Freistellung nach diesen Tatbeständen setzt gerade voraus, dass die Tätigkeit während der persönlichen Arbeitszeit des Betriebsratsmitglieds ausgeübt wird. Das ist an einem Feiertag im Sinne des § 2 Abs. 1 EFZG, an dem die Arbeit ausfällt, nicht möglich.2161 2159 Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 28; a. A. BAG 15.1.2013 – 9 AZR 430/11, NZA 2013, S. 1091, 1092, für die besondere Konstellation, dass der Arbeitnehmer ausnahmsweise nach einem Dienst- oder Schichtplan zur Arbeit am Feiertag verpflichtet ist. 2160 Vgl. dazu oben § 5 P.II.3.b). 2161 Begrifflich möglich ist hingegen eine Kollision zwischen § 37 Abs. 3 BetrVG (auch in entsprechender Anwendung auf § 38 BetrVG und § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG)

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2. Lösung auf der zweiten Stufe a) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) Ein Zusammentreffen von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) und Feiertagsentgelt (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) ist gemäß § 4 Abs. 2 EFZG zugunsten des ersteren Tatbestands aufzulösen. Die Höhe der Entgeltfortzahlung richtet sich nach dem Feiertagsrecht.2162 b) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub Auch das Verhältnis von Feiertagsentgelt und unbezahltem Urlaub wird auf der zweiten Stufe aufgelöst. Tatbestandlich kann es zu einer solchen Kollision kommen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber für einen längeren Zeitraum beurlaubt ist und in diesen ein Feiertag im Sinne des § 2 Abs. 1 EFZG fällt. Auf der zweiten Stufe ist das Vorrangverhältnis durch Auslegung2163 der Vereinbarung zu ermitteln, die dem unbezahlten Urlaub zugrunde liegt.2164 c) Zusammentreffen mit Kurzarbeit Das Zusammentreffen von Feiertagsvergütung und Kurzarbeit hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 2 EFZG geregelt. Danach gilt Arbeitszeit, die an einem gesetzlichen Feiertag gleichzeitig infolge von Kurzarbeit ausfällt und für die an anderen Tagen als an gesetzlichen Feiertagen Kurzarbeitergeld geleistet wird, als infolge eines gesetzlichen Feiertags ausgefallen. Hierdurch werden drei verschiedene Probleme gelöst: Erstens, und das ist die wichtigste Aussage, setzt sich der Feier-

und § 2 Abs. 1 EFZG, da § 37 Abs. 3 BetrVG gerade von einer Erledigung der Betriebsratsaufgaben außerhalb der persönlichen Arbeitszeit ausgeht. Vgl. zur Auflösung dieser Kollisionskonstellationen unten § 9 C.III.3.c)bb). 2162 Vgl. ausführlich oben § 9 C.II.2.a). 2163 Zur Vorgehensweise bei der Auslegung vgl. oben § 9 B.III.27. 2164 Zur Zulässigkeit einer Vereinbarung über das Vorrangverhältnis trotz der Regelung des § 12 EFZG vgl. oben § 9 C.II.2.c)aa)§ 9 C.II.2.c); für einen grundsätzlichen Vorrang des unbezahlten Urlaubs vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen ErfKDörner/Reinhard § 2 EFZG Rn. 9; die überwiegende Ansicht hingegen differenziert (vorbehaltlich einer anderslautenden Vereinbarung) danach, auf wessen Veranlassung die Vereinbarung über den unbezahlten Urlaub beruht, vgl. Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 32–34; Schmitt § 2 EFZG Rn. 57; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 18; Treber § 2 Rn. 32 f.; a. A. gegen die Möglichkeit einer Vertragsauslegung und für einen absoluten Vorrang des unbezahlten Urlaubs hingegen MüKoBGB-Müller-Glöge § 2 EFZG Rn. 19; Matthes Lohnzahlung Rn. 283; wohl ebenso Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 2 EFZG Rn. 17; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 30.

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tag gegenüber dem kurzarbeitsbedingten Arbeitsausfall durch.2165 Zweitens wird auf Rechtsfolgenseite die Feiertagsvergütung angepasst. Deren Höhe richtet sich nach dem Kurzarbeitgeld im Sinne der §§ 95 ff. SGB III anstatt danach, was der Arbeitnehmer als Feiertagsentgelt erhalten hätte, wenn nicht kurz gearbeitet würde.2166 Drittens schließlich handelt es sich auch um eine Konkurrenzregel für das Verhältnis zwischen dem Entgeltfortzahlungstatbestand Feiertagsvergütung nach § 2 Abs. 1 EFZG und dem sozialrechtlichen Anspruch auf Kurzarbeitgeld nach § 95 SGB III, wobei ein Vorrang des erstgenannten Tatbestands statuiert wird.2167 Aus der zweiten und dritten Aussage folgt zudem, dass § 2 Abs. 2 EFZG nur Kurzarbeit im Sinne der §§ 95 ff. SGB III erfasst. Sonstige Arbeitszeitverkürzungen sind im Verhältnis zur Feiertagsvergütung wie gewöhnlicher unbezahlter Urlaub zu behandeln.2168 3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands aa) Zusammentreffen mit Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Das Vorrangverhältnis zwischen Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) und Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) kann insbesondere deshalb bedeutsam sein, weil beide Tatbestände unterschiedlichen Berechnungsmethoden unterliegen.2169 Die besseren Argumente sprechen für einen Vorrang des Mutterschutzlohns. Zwar kommt beiden Tatbeständen eine Existenzsicherungsfunktion 2165

Vgl. Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 10, a. A. offenbar Treber § 2 Rn. 63. BAG 5.7.1979 – 3 AZR 173/78, AP Nr. 33 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 2 EFZG Rn. 39; ErfK-Dörner/Reinhard § 2 EFZG Rn. 17; Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 82; MüKoBGB-Müller-Glöge § 2 EFZG Rn. 32; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 40; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 34; HK-KSchR-Pfeiffer § 19 Rn. 13; KR-Weigand § 19 KSchG Rn. 47; MünchArbR-Boewer § 71 Rn. 8; HK-ArbRSpengler § 2 EFZG Rn. 30; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 23. 2167 Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 2 EFZG Rn. 39; Feichtinger/MalkmusPeter Müller § 2 EFZG Rn. 56; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 39; Treber § 2 Rn. 65; vgl. auch BAG 5.7.1979 – 3 AZR 173/78, AP Nr. 33 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG. 2168 Treber § 2 Rn. 64; vgl. zu dem Verhältnis von Feiertagsvergütung und unbezahltem Urlaub oben § 9 C.III.2.b). 2169 Dennoch wird diese Konkurrenz in der Literatur nur wenig beachtet. Das überrascht, weil einige Autoren für das Verhältnis von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu anderen Tatbeständen auf das Kriterium der Monokausalität sowie ergänzend darauf verweisen, dass insoweit die gleichen Abgrenzungskriterien gelten sollen wie im Feiertagsrecht (so etwa Kittner/Zwanziger/Deinert-Bantle § 109 Rn. 151; Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 30). Streng genommen müssten beide Ansprüche entfallen, was im Ergebnis wohl kaum der Überzeugung der genannten Autoren entsprechen dürfte. 2166

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zu.2170 Es ist aber zu beachten, dass dem § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG ein sehr spezifischer Schutzzweck zugrunde liegt. Der Gesetzgeber hat diese Regelung genau auf den Fall eines Beschäftigungsverbots abgestimmt. Die Schwangere soll sich über einen längeren Zeitraum auf eine bestimmte Einkommenshöhe verlassen können. Mit diesem Grundgedanken wäre es schwerlich vereinbar, dem Feiertagsentgelt den Vorrang einzuräumen und damit eine Absenkung des Entgeltniveaus in Kauf zu nehmen. Daher liegt ein Vorrang des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG nahe.2171 Hierfür sprechen ferner Praktikabilitätserwägungen: Während die Arbeitnehmerin den Anspruch nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG über einen längeren Zeitraum geltend machen kann, erstreckt sich der Anspruch auf Feiertagsentgelt nur auf einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum (maximal zwei aufeinanderfolgende Tage, zum Beispiel der 25. und der 26. Dezember). In Anbetracht der unterschiedlichen Berechnungsmethoden ist es für die Vertragsparteien einfacher, für den gesamten Zeitraum Mutterschutzlohn zu berechnen, anstatt nur für einen Tag die Berechnung umzustellen. bb) Zusammentreffen mit europarechtlich geprägten Tatbeständen Gegenüber einer bezahlten Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG) und dem Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG tritt das Feiertagsentgelt jeweils aufgrund des europarechtlichen Hintergrunds zurück.2172 Andernfalls drohte eine Absenkung des Vergütungsniveaus, die mit den strengen unionsrechtlichen Vorgaben unvereinbar wäre. cc) Zusammentreffen mit Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG (1) Möglichkeit einer tatbestandlichen Kollision Im Hinblick auf das Verhältnis von Feiertagsvergütung zur Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG muss zunächst geklärt werden, ob eine Kollision beider Tatbestände überhaupt möglich ist.

2170 Siehe oben zur Entgeltfortzahlung an Feiertagen § 5 D.II. und zum Mutterschutzlohn § 5 G.II.2. 2171 Im Ergebnis ebenso Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 22. 2172 Vgl. dazu oben für § 16 S. 3 MuSchG § 9 B.III.8. und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG § 9 B.III.15. Tatbestandlich ist eine Kollision mit einer Untersuchung im Sinne des § 16 MuSchG nur denkbar, wenn sich die Arbeitnehmerin an einem Feiertag im Rahmen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung untersuchen lässt. Das dürfte zwar nicht der Regelfall sein, lässt sich aber gerade im Falle von unerwarteten Komplikationen nicht ausschließen.

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(a) Zulässigkeit einer Betriebsversammlung an einem Feiertag Voraussetzung dafür ist zunächst die Zulässigkeit einer Betriebsversammlung an einem Feiertag unter arbeitszeitrechtlichen Gesichtspunkten. Steht § 9 Abs. 1 ArbZG insoweit entgegen, greift der Entgeltschutz des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG zugunsten der Arbeitnehmer nicht ein. Zu klären ist demnach die Reichweite des Arbeitsverbots aus § 9 Abs. 1 ArbZG. Die Vorschrift ist grundsätzlich weit zu verstehen. Sie erstreckt sich auf jede Art der Betätigung, die dem Zweck dient, die gegenüber dem Arbeitgeber geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.2173 Entscheidend ist daher, ob es sich bei der Teilnahme an einer Betriebsversammlung dogmatisch um die Erbringung der Arbeitsleistung oder um eine davon zu unterscheidende Tätigkeit handelt. Richtigerweise ist von Letzterem auszugehen. Aufgrund der synallagmatischen Verknüpfung von Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt kann man eine vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit nur dann als Arbeitsleistung qualifizieren, wenn die im Gegenzug gezahlte Vergütung dogmatisch als Arbeitsentgelt einzustufen ist. Bei dem nach § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG gezahlten Entgelt handelt es sich aber nicht um die arbeitsvertragliche Vergütung, sondern um ein Aliud. Die Norm ist keine anspruchserhaltende Vorschrift, sondern eine eigenständige Anspruchsgrundlage.2174 Für die hier vertretene Auffassung spricht ferner, dass zur Teilnahme an einer Betriebsversammlung keine Pflicht des Arbeitnehmers besteht. Zur Erbringung der Arbeitsleistung ist der Arbeitnehmer hingegen verpflichtet. Aus diesen Gründen steht das Feiertagsarbeitsverbot des § 9 Abs. 1 ArbZG einer Betriebsversammlung an einem Feiertag und einer Kollision von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG und § 2 Abs. 1 EFZG nicht entgegen. (b) Differenzierung nach der zeitlichen Lage der Betriebsversammlung Des Weiteren ist danach zu unterscheiden, ob die Betriebsversammlung während oder außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit stattfindet. Wird die Versammlung während der betrieblichen Arbeitszeit abgehalten, ist ein Zusammentreffen mit dem Anspruch auf Feiertagsentgelt nicht möglich. Fällt die Arbeit eines Feiertags aus, handelt es sich bei der ausfallenden Zeit nicht um die betriebliche Arbeitszeit. Daher kann eine Betriebsversammlung, die während der betrieblichen Arbeitszeit stattfindet, mit dem Feiertagsentgelt nicht kollidieren. Findet die Versammlung hingegen ausnahmsweise außerhalb der betrieblichen Arbeitszeit an einem Feiertag statt, ist eine Kollision tatbestandlich gegeben,

2173 2174

Vgl. Schliemann/Meyer-Schliemann Rn. 585; Neumann/Biebl § 9 ArbZG Rn. 3. Siehe oben § 5 P.I.1.

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wenn in dem Betrieb am Feiertag nicht gearbeitet wird und die Eigenart des Betriebes eine Abhaltung der Versammlung während der betrieblichen Arbeitszeit nicht zulässt. (2) Vorrang von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG Kommt es unter den soeben dargestellten Voraussetzungen zu einer Kollision, ist eine Entscheidung nach Wertungsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der Normzwecke erforderlich. In Rechtsprechung und Literatur wird diese Konkurrenz, soweit ersichtlich, nicht thematisiert. Es wurde aber bereits oben2175 geschildert, dass nach herrschender Meinung der Anspruch nach § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG unabhängig von anderen Ausfallgründen bestehen soll. In diesem Zusammenhang wurde auch bereits ausführlich dargelegt, weshalb diese Ansicht ebenso wie eine in der Literatur vertretene Gegenansicht nicht überzeugen kann. Es müssen daher auch im Verhältnis von § 2 Abs. 1 EFZG zu § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG andere Aspekte und insbesondere der Zweck dieser Vorschriften herangezogen werden. Bei § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG steht die Anreizfunktion in Verbindung mit einem sehr hohen Schutzniveau im Vordergrund.2176 Ließe man diese Norm hinter § 2 Abs. 1 EFZG zurücktreten, könnte es im Einzelfall zu finanziellen Einbußen des betreffenden Arbeitnehmers kommen. Dadurch würde das Ziel des Gesetzgebers gefährdet, den Arbeitnehmer zur Teilnahme an Betriebsversammlungen zu ermuntern. Da umgekehrt § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG für die Zeit der Teilnahme auch die Existenzsicherung des Arbeitnehmers an dem Feiertag garantiert, ist diese Vorschrift vorrangig. dd) Zusammentreffen mit Arbeitskampf Der rechtmäßige und der rechtswidrige Streik, die rechtmäßige Aussperrung und das Arbeitskampfrisiko setzen sich allesamt gegen die Feiertagsvergütung durch. Andernfalls drohte eine Störung der Kampfparität.2177 Im Hinblick auf 2175

Siehe oben § 9 C.II.3.a)bb). Siehe oben § 9 B.III.19. 2177 Vgl. zum rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22.; im Ergebnis ebenso BAG 11.5.1993 – 1 AZR 649/92, AP Nr. 63 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; BAG 1.3.1995 – 1 AZR 786/94, AP Nr. 68 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; Matthes Lohnzahlung Rn. 512; ErfK-Dörner/Reinhard § 2 EFZG Rn. 12; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 199, Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 2 EFZG Rn. 20; Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 Rn. 50; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 19; MünchArbR-Ricken § 203 Rn. 19; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 26, Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 195 Rn. 10; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 15 f., 18; die aber allesamt zur Begründung die fehlende Monokausalität des Feiertags für den Arbeitsausfall heranziehen; wohl ebenso Schmitt § 2 EFZG Rn. 38; demgegenüber will Treber § 2 Rn. 24 den Vorrang der Aussperrung auf die Suspendierung der Lohnzah2176

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den rechtmäßigen Streik kommt hinzu, dass es aufgrund des Erfordernisses einer Streikteilnahmeerklärung vom Willen des Arbeitnehmers abhängt, ob dieser Ausfallgrund einschlägig ist oder nicht.2178 Besonderheiten sind zu beachten, wenn der der Arbeitnehmer seine Streikteilnahme ausschließlich für den Feiertag unterbricht. Dann besteht zwar tatbestandlich keine Konkurrenz, und § 2 Abs. 1 EFZG ist anwendbar.2179 Indes ist dem Arbeitnehmer die Berufung auf die Unterbrechung seiner Teilnahme am Streik gemäß § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich zu verwehren, wenn die Unterbrechung erkennbar ausschließlich dem Ziel dient, die Feiertagsvergütung zu erlangen und der Arbeitnehmer sich an dem Streik am Tag nach dem Feiertag wieder beteiligt.2180 ee) Zusammentreffen mit Elternzeit Im Verhältnis von Feiertagsvergütung und Elternzeit kommt der oben geschilderte Aspekt zum Tragen, dass auf Existenzsicherung angelegte Tatbestände wie § 2 Abs. 1 EFZG während der Elternzeit nicht eingreifen sollen. Der Arbeitnehmer muss seinen Lebensunterhalt ohnehin anderweitig bestreiten.2181 Daher setzt sich die Elternzeit durch.2182 lungspflicht des Arbeitgebers stützen, welche sich auch auf Lohnersatzleistungen erstrecken soll; ohne nähere Begründung Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 200. Vgl. ferner zum rechtswidrigen Streik § 9 B.III.23.; vgl. zur rechtmäßigen Aussperrung § 9 B.III.24., im Ergebnis ebenso BAG 31.5.1998 – 1 AZR 192/87, AP Nr. 57 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 Rn. 50; Matthes Lohnzahlung Rn. 129; Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 2 EFZG Rn. 20; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 19; MünchArbR-Ricken § 204 Rn. 5 i.V. m. § 203 Rn. 19; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 26, die aber auf die fehlende Monokausalität des Feiertags für den Arbeitsausfall abstellen; wohl ebenso Schmitt § 2 EFZG Rn. 38; demgegenüber wollen ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 265 und Treber § 2 Rn. 24 den Vorrang der Aussperrung auf die Suspendierung der Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers stützen, die sich auch auf Lohnersatzleistungen erstrecken soll. Vgl. ferner zum Arbeitskampfrisiko § 9 B.III.26., im Ergebnis ebenso ErfK-Dörner/Reinhard § 2 EFZG Rn. 12, die aber zur Begründung die fehlende Monokausalität des Feiertags für den Arbeitsausfall heranziehen; vgl. auch MünchArbRRicken § 203 Rn. 19; a. A. für eine Aufrechterhaltung der Vergütungspflicht des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 1 EFZG Däubler Arbeitskampfrecht-Colneric (2. Auflage) Rn. 650. 2178 Vgl. oben § 9 B.III.22. 2179 Im Ergebnis wie hier ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 200; Henssler/Willemsen/ Kalb-Hergenröder Art. 9 GG Rn. 200; Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 195 Rn. 10; im Grundsatz auch Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 2 EFZG Rn. 20; a. A. Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 Rn. 52; Schmitt § 2 EFZG Rn. 44. 2180 So i. E. auch Reinecke DB 1991, S. 1168, 1175; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 200; MünchArbR-Ricken § 203 Rn. 21; Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 195 Rn. 10; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 17; a. A. wohl BAG 11.5.1993 – 1 AZR 649/92, AP Nr. 63 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG. 2181 Vgl. zu diesem Argument oben § 9 B.III.29. 2182 Im Ergebnis ebenso Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 22.

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b) Differenzierende Lösung (Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld) Eine Entscheidung des Vorrangverhältnisses von Feiertagsvergütung und Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) ist erforderlich, wenn in Schutzfristen des § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG ein gesetzlicher Feiertag fällt. Lässt man europarechtliche Wertungen außer Betracht, ist eine Lösung auf der zweiten Stufe durch § 24i Abs. 4 SGB V möglich. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine gesetzliche Konkurrenzregel. Danach wäre § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG gegenüber § 2 Abs. 1 EFZG subsidiär.2183 Dieser Lösung steht jedoch der europarechtliche Hintergrund des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG entgegen.2184 Bei dem von § 24i Abs. 4 SGB V vorgesehenen Vorrang des § 2 Abs. 1 EFZG kann es nur bleiben, soweit die hiernach zu zahlende Vergütung wenigstens die Höhe einer nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zu zahlenden Vergütung erreicht. Wird diese Vergütungshöhe hingegen nur durch §§ 13, 14 MuSchG gewährleistet, nicht aber durch § 2 Abs. 1 EFZG, ist § 24i Abs. 4 SGB V richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass das Feiertagsentgelt nicht als „Arbeitsentgelt“ in dessen Sinne gilt. Dann ist § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG anstatt § 2 Abs. 1 EFZG anwendbar. Erreichen beide Tatbestände nicht die Höhe einer hypothetischen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, kann keine europarechtskonforme Auslegung erfolgen. Es bleibt dann bei dem ohne Rücksicht auf europarechtliche Erfordernisse ermittelten Vorrang des Feiertagsentgelts. Der Arbeitnehmerin bleibt – ähnlich einer europarechtswidrigen Vergütungshöhe bei der bloßen Anwendung des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ohne bestehende Konkurrenz2185 – nur die Möglichkeit, die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.2186 Die Schadenshöhe ergibt sich aus der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Feiertagsentgelt und der Höhe einer hypothetischen Vergütung nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Dieses Ergebnis ist nicht vor dem Hintergrund des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/ EWG zu korrigieren. Ob ein Feiertag als Ausfallgrund einschlägig ist, hängt nicht von dem Willen der Arbeitnehmerin ab. Damit handelt es sich bei dem Nichtvorliegen dieses Ausfallgrunds nach den oben2187 erarbeiteten Maßstäben nicht um eine Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG. Mithin kann der nationale Gesetzgeber die Gewährung des durch die Richtlinie vorgese2183

Vgl. dazu ausführlich oben § 9 B.III.6.b). Vgl. zum Folgenden oben § 9 B.III.6.c). 2185 Vgl. dazu oben § 5 G.I.2.c)bb). 2186 Vgl. EuGH 26.3.1996 – C-392/93 (British Telecom), Slg. 1996, I-1631 (Rn. 39– 42); EuGH 17.10.1996 – C-283/94 (Denkavit), Slg. 1996, I-5063 (Rn. 48–50) sowie bereits oben Fn. 389. 2187 Vgl. oben § 9 B.III.6.c)bb). 2184

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henen Schutzes der Schwangeren nicht davon abhängig machen, dass kein Feiertag vorliegt. c) Vorrang der Feiertagsvergütung aa) Zusammentreffen mit subsidiären Tatbeständen Grundsätzlich subsidiäre konkurrierende Verhinderungsgründe müssen gegenüber § 2 Abs. 1 EFZG zurückstehen. Es sind keine besonderen Umstände ersichtlich, die gerade bei diesem Tatbestand eine Abweichung vom Grundsatz der Subsidiarität nahelegen. Zudem entspricht der Vorrang des § 2 Abs. 1 EFZG dessen Schutzzweck. Bei den betreffenden subsidiären Tatbeständen handelt es sich um die vorübergehende Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB), die bezahlte Freistellung für Stillzeiten (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG), das Betriebsrisiko des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 3 BGB), das Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 S. 1 AGG sowie um die persönliche Meldung oder Vorstellung bei einer Erfassungsbehörde oder Wehrersatzbehörde (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG).2188 bb) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen Ein tatbestandliches Zusammentreffen von § 2 Abs. 1 EFZG mit § 37 Abs. 3,2189 6, 7 BetrVG ist in der Praxis zwar unwahrscheinlich, aber möglich. Anders als § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2 und § 38 BetrVG setzen die Tatbestände gemäß § 37 Abs. 3, 6, 7 BetrVG keine Tätigkeit des Arbeitnehmers während seiner persönlichen Arbeitszeit voraus, so dass eine Kollision nicht schon deswegen ausscheidet. Auch das Feiertagsarbeitsverbot des § 9 Abs. 1 ArbZG steht dem nicht entgegen.2190 Dieses betrifft nur Leistungen, die in Erfüllung der Arbeitspflicht erbracht werden.2191 Dazu gehören Betriebsratstätigkeiten gerade nicht. Aufgrund der synallagmatischen Verknüpfung von Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt kann man eine vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit nur dann als Arbeitsleistung qualifizieren, wenn die im Gegenzug gezahlte Vergütung dogmatisch als Arbeitsentgelt einzustufen ist. Betriebsratstätigkeiten aber sind gemäß § 37 Abs. 1 BetrVG Ehrenämter.2192 Mit dieser Konzeption wäre es unvereinbar, 2188 Zur Herleitung der Subsidiarität des jeweiligen Tatbestands vgl. für § 616 S. 1 BGB oben § 9 B.III.4., für § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.9., für § 615 S. 3 BGB oben § 9 B.III.11., für § 14 S. 1 AGG oben § 9 B.III.14. sowie für § 14 Abs. 1 ArbPlSchG oben § 9 B.III.16. 2189 Gegebenenfalls in entsprechender Anwendung auf § 38 BetrVG und § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG. 2190 Vgl. hierzu die oben im Zusammenhang mit dem Verhältnis von einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG und § 2 Abs. 1 EFZG diskutierte Problematik unter § 9 C.III.3.a)cc)(1)(a). 2191 Vgl. oben § 9 C.III.3.a)cc)(1)(a). 2192 Vgl. näher Fitting § 37 Rn. 6 ff.

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die gemäß § 37 BetrVG zu zahlende Vergütung als Gegenleistung für die erbrachte Tätigkeit aufzufassen. Liegt eine Kollision vor, muss § 37 Abs. 3, 6, 7 BetrVG hinter § 2 Abs. 1 EFZG zurücktreten. Andernfalls würde gegen das Verbot der Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern aus § 78 S. 2 BetrVG verstoßen.2193 cc) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko Bei einer Kollision mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko bleibt der Anspruch aus § 2 Abs. 1 S. 1 EFZG erhalten. Beide Ausfallgründe lassen Vergütungsanspruche unberührt, die auf Entgeltfortzahlungstatbeständen beruhen.2194 Zu beachten ist aber § 2 Abs. 3 EFZG. Danach entfällt der Anspruch nach § 2 Abs. 1 EFZG, wenn der Arbeitnehmer am letzten Arbeitstag vor oder am ersten Arbeitstag nach einem Feiertag unentschuldigt fernbleibt. IV. Zusammentreffen von vorübergehender Verhinderung des Arbeitnehmers (vgl. § 616 S. 1 BGB) mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Im Falle einer Verhinderung im Sinne des § 616 S. 1 BGB entfällt entweder die Leistungswilligkeit oder -fähigkeit des Arbeitnehmers im Sinne des § 297 BGB. Daher kann dieser Tatbestand nicht mit Annahmeverzug kollidieren.2195 2. Lösung auf der zweiten Stufe Das Verhältnis von § 616 S. 1 BGB zu unbezahltem Urlaub kann man auf der zweiten Stufe klären. Hierzu muss die Vereinbarung, die dem unbezahlten Urlaub zugrunde liegt, ausgelegt werden.2196 Dabei spielt es insbesondere eine Rolle, ob der Zweck des unbezahlten Urlaubs durch die Ursache der vorübergehenden Verhinderung beeinträchtigt wird oder nicht.2197 2193 Vgl. für § 37 Abs. 3, 6, 7 BetrVG oben § 9 B.III.17. und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18., vgl. ferner Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 115. 2194 Vgl. dazu oben § 9 B.III.30.; für einen Vorrang des Wegerisikos hingegen die herrschende Meinung, vgl. BAG 16.7.1959 – 1 AZR 582/57, AP Nr. 6 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 28; Schmitt § 2 EFZG Rn. 59–61; Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 45; Treber § 2 Rn. 43; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 31. 2195 Vgl. oben § 9 B.III.10. 2196 Für einen Vorrang des unbezahlten Urlaubs hingegen LAG Niedersachsen 24.8.1983 – 5 Sa 61/83, BB 1984, S. 536; MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 55. 2197 Zu Anhaltspunkten für die Auslegung vgl. oben § 9 B.III.27.

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Handelt es sich bei dem unbezahlten Urlaub um Kurzarbeit, die auf einer Vereinbarung beruht, gelten diese Grundsätze ebenfalls.2198 3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands aa) Subsidiarität des § 616 S. 1 BGB In einigen Kollisionskonstellationen lässt sich die Nachrangigkeit des § 616 S. 1 BGB ausschließlich mit dessen Subsidiarität begründen.2199 Dieser Grundsatz gilt für die Kollision mit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG, mit der Feiertagsvergütung gemäß § 2 Abs. 1 EFZG sowie mit dem Mutterschutzlohn im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG.2200 Im Verhältnis zu anderen Tatbeständen kommen zu dem Subsidiaritätsgedanken weitere Gesichtspunkte hinzu, die jeweils für den Vorrang des konkurrierenden Tatbestands sprechen. So ergibt sich der Vorrang des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB auch aus der Systematik des BGB.2201 Bei § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG sowie bei § 16 S. 3 MuSchG gebieten die unionsrechtlichen Vorgaben, auf denen diese Vorschriften beruhen, deren Vorrang, um eine unzulässige Absenkung des Vergütungsniveaus zu vermeiden.2202 Schließlich kommt bei § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG, bei § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG sowie bei § 39 Abs. 3 BetrVG die Anreizfunktion dieser Tatbestände in Verbindung mit dem höheren Schutzniveau ins Spiel.2203 bb) Zusammentreffen mit anderen subsidiären Tatbeständen Trifft eine vorübergehende Verhinderung mit einer bezahlten Freistellung für Stillzeit nach § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, mit einem Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 14 S. 1 AGG oder mit einer persönlichen Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden im Sinne des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG zusammen, kommt es zu der besonderen Situation, dass jeweils zwei 2198 Für einen Vorrang der Kurzarbeit vor § 616 S. 1 BGB hingegen Ascheid/Preis/ Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 34. 2199 Vgl. oben § 9 B.III.28. 2200 A. A. wohl Soergel-Kraft (12. Auflage) § 616 Rn. 8 und Staudinger-Oetker § 616 Rn. 87, die – mit unterschiedlichen Begründungen – offenbar ein Exklusivitätsverhältnis beider Tatbestände annehmen. 2201 Vgl. hierzu näher oben § 9 C.I.2.b)aa). 2202 Vgl. dazu für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15. 2203 Vgl. für § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.19., für § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG oben § 9 B.III.20. sowie für § 39 Abs. 3 BetrVG oben § 9 B.III.21.

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grundsätzlich subsidiäre Tatbestände kollidieren.2204 Da man nicht beiden Subsidiaritätselementen gleichermaßen gerecht werden kann, stellt sich die Frage, welchem mehr Gewicht beizumessen ist. Der Tatbestand mit dem schwächeren Subsidiaritätselement setzt sich durch. Will man die Bedeutung der Subsidiarität von § 616 S. 1 BGB im Vergleich zu der Subsidiarität von § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG und § 14 S. 1 AGG bestimmen, hilft ein Blick auf die Gesetzesentstehung weiter. Die Existenzsicherungsfunktion des § 616 S. 1 BGB, auf welcher der Subsidiaritätscharakter dieser Vorschrift beruht, ist in den Gesetzesmaterialien eindeutig angelegt.2205 Es bestehen daher eindeutige Anhaltspunkte für einen entsprechenden gesetzgeberischen Willen. Entsprechendes findet sich in den Materialien zu § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG und § 14 S. 1 AGG nicht. Die Subsidiarität dieser Tatbestände ergibt sich vielmehr nur mittelbar aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschriften. Diese Erkenntnisse sprechen dafür, die Nachrangigkeit des § 616 S. 1 BGB stärker zu gewichten und sowohl § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG als auch § 14 S. 1 AGG den Vorrang vor § 616 S. 1 BGB einzuräumen. Das Verhältnis zu § 14 Abs. 1 ArbPlSchG ist demgegenüber unter Rückgriff auf dessen Entstehungsgeschichte zu bestimmen. Bevor diese Vorschrift eingeführt wurde, wurde § 616 S. 1 BGB auch auf Fälle einer persönlicher Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden angewendet. Da § 616 S. 1 BGB aber vertraglich abdingbar ist, entstand hier in der Praxis häufig eine Schutzlücke. Dem wollte der Gesetzgeber mit der Schaffung des als unabdingbar ausgestalteten § 14 Abs. 1 S. 1 ArbPlSchG entgegenwirken.2206 Folglich erreicht § 14 Abs. 1 ArbPlSchG ein höheres Schutzniveau als § 616 S. 1 BGB. Um diesem besonderen Arbeitnehmerschutz zur Geltung zu verhelfen, muss im Konkurrenzfalle § 14 Abs. 1 ArbPlSchG gegenüber § 616 S. 1 BGB vorrangig sein.2207 cc) Zusammentreffen mit einem Arbeitskampf Kein Vergütungsanspruch nach § 616 S. 1 BGB besteht ferner bei einer Kollision mit der Teilnahme an einem rechtmäßigen oder rechtswidrigen Streik, mit einer rechtmäßigen Aussperrung sowie mit dem Arbeitskampfrisiko. Andernfalls drohte eine Störung der Kampfparität.2208 Für den Streik kommt der Umstand 2204 Vgl. für § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.9., für § 14 S. 1 AGG oben § 9 B.III.14. sowie für § 14 Abs. 1 ArbPlSchG oben § 9 B.III.16. 2205 Vgl. hierzu oben die Ausführungen unter § 5 E.II. 2206 Sahmer/Busemann E § 14 S. 2; vgl. ferner BT-Drs. 3117, S. 17 f. 2207 Vgl. LAG Niedersachsen 16.9.1968 – 6 Sa 414/68, BB 1969, S. 1226, 1226; Sahmer/Busemann E § 14 S. 2. 2208 Vgl. zum rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22.; im Ergebnis ebenso MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 55; Staudinger-Oetker § 616 Rn. 86; vgl. zum rechtswidrigen

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hinzu, dass es vom Willen des Arbeitnehmers abhängt, ob dieser Ausfallgrund eingreift.2209 dd) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit Kollidiert § 616 S. 1 BGB mit Kurzarbeit, die der Arbeitgeber nach § 19 KSchG angeordnet hat, setzt sich letztere durch. Andernfalls käme die hinter § 19 KSchG stehende gesetzgeberische Wertung nicht hinreichend zur Geltung.2210 Danach soll der Arbeitgeber in der wirtschaftlichen Ausnahmesituation, die Voraussetzung für die Anwendung des § 19 KSchG ist, finanziell entlastet werden. ee) Zusammentreffen mit Elternzeit Im Verhältnis von Elternzeit und § 616 S. 1 BGB ist zugunsten der Elternzeit zu entscheiden. Für eine Anwendung von § 616 S. 1 BGB besteht keine Notwendigkeit. Diese Vorschrift dient der Existenzsicherung des Arbeitnehmers.2211 Dieser muss aber während der Elternzeit ohnehin ohne sein Arbeitseinkommen auskommen.2212 b) Differenzierende Lösung aa) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) Als nächstes wird das Zusammentreffen von § 616 S. 1 BGB mit bezahltem Erholungsurlaub im Sinne des § 1 BUrlG erläutert. Tatbestandlich ist diese Kollision denkbar. Auch ein im Urlaub befindlicher Arbeitnehmer kann unverschuldet persönlich verhindert im Sinne des § 616 S. 1 BGB sein, etwa, weil sein Kind erkrankt und er es pflegen muss. Es überzeugt daher nicht, dass einige Stimmen mangels Monokausalität der vorübergehenden Verhinderung für den Arbeitsausfall ein tatbestandliches Exklusivitätsverhältnis annehmen.2213 Ausgangspunkt für weitere Überlegungen auf der dritten Stufe ist der Subsidiaritätscharakter des § 616 S. 1 BGB,2214 der für einen Vorrang des ErholungsStreik oben § 9 B.III.23., zur rechtmäßigen Aussperrung oben § 9 B.III.24. sowie zum Arbeitskampfrisiko oben § 9 B.III.26. 2209 Vgl. zum rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22. sowie zum rechtswidrigen Streik oben § 9 B.III.23. 2210 Vgl. dazu oben § 9 B.III.28. 2211 Vgl. oben § 5 E.II. 2212 Siehe oben § 9 B.III.29. 2213 So aber MüKoBGB-Henssler § 616 Rn. 55; im Ergebnis ebenso ohne nähere Begründung ErfK-Gallner § 1 BUrlG Rn. 10; vgl. zur Untauglichkeit des Grundsatzes der Monokausalität auch bereits oben § 8 A.I.2. 2214 Vgl. oben § 9 B.III.4.

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urlaubs spricht.2215 Darüber hinaus ist jedoch der Zweck des Erholungsurlaubs zu beachten: Der Erholungsurlaub soll dem Arbeitnehmer die Möglichkeit selbstbestimmter Erholung verschaffen.2216 Besteht während der Zeit der Kollision aufgrund der vorübergehenden Verhinderung keine solche Möglichkeit und wird dadurch der Urlaubszweck vereitelt,2217 könnte man in einer Parallelwertung zu § 9 BUrlG2218 einen Vorrang des § 616 S. 1 BGB annehmen. In diesem Fall verlöre der Arbeitnehmer für den betreffenden Zeitraum seinen Urlaubsanspruch nicht. Der Arbeitgeber wäre vielmehr zur Nachgewährung der entsprechenden Urlaubszeit verpflichtet. Für eine solche Einschränkung spricht, dass der bezahlte Erholungsurlaub nicht um seiner selbst Willen gewährt wird, sondern dazu dienen soll, die Arbeitskraft des Arbeitnehmers zu erhalten und wiederaufzufrischen. Die Erholung liegt somit nicht nur im Interesse des Arbeitnehmers, sondern auch im Interesse des Arbeitgebers. Ist die Erholungsmöglichkeit beeinträchtigt, wird das vom Gesetzgeber mit dem BUrlG verfolgte Ziel verfehlt. Daher ist es angemessen, den betreffenden Zeitraum nicht auf das Urlaubskontingent des Arbeitnehmers anzurechnen. Diese Lösung wird auch dem Zweck des § 616 S. 1 BGB gerecht. Zwar entspricht sie nicht dem Subsidiaritätscharakter dieser Vorschrift. Die Subsidiarität von § 616 S. 1 BGB ist aber nicht zwingend. Ihr kommt vielmehr nur die Funktion einer Zweifelsregelung und Auslegungshilfe zu. Vor allem aber ist der Subsidiaritätscharakter gegenüber dem primären Ziel des § 616 S. 1 BGB, der Existenzsicherung des Arbeitnehmers,2219 nachrangig. Die Beeinträchtigung dieses Sekundärziels ist hinzunehmen, weil sonst die primären Ziele beider kollidierenden Vorschriften (Erholungsmöglichkeit und Existenzsicherung) nicht miteinander in Einklang gebracht werden können. Dem lässt sich auch nicht überzeugend eine Entscheidung des BAG aus dem Jahre 1966 entgegenhalten. Darin sprach sich das BAG gegen eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Nachgewährung von Urlaub aus, wenn ein Arbeitnehmer während seines Urlaubs an der Beerdigung seines Vaters teilnehmen muss.2220 2215 I. E. ebenso Preis Individualarbeitsrecht, S. 612; a. A. für einen Vorrang des § 616 S. 1 BGB vor dem Erholungsurlaub und eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Nachgewährung HK-BUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 69; Neumann/Fenski § 3 Rn. 37–39, die darauf abstellen, dass andernfalls die aus § 616 S. 1 BGB folgende Vergütungspflicht des Arbeitgebers umgangen werde. 2216 Siehe oben § 5 F.II. 2217 Vgl. zu einem Beispiel Gamillscheg Arbeitsrecht I, S. 418. 2218 Vgl. dazu oben § 9 C.II.2.b). 2219 Vgl. dazu oben § 5 E.II. 2220 BAG 11.1.1966 – 5 AZR 282/65, AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Nachurlaub mit im Ergebnis zustimmender Anmerkung Nikisch; ebenfalls zustimmend Gamillscheg Arbeitsrecht I, S. 418; Gaul Anmerkung zu BAG 11.1.1966 – 5 AZR 383/65, SAE 1966, S. 187 f.; ablehnend hingegen Steinwedel DB 1966, S. 1275 f., der eine Verpflichtung

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Das Gesetz sehe eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gewährung von Nachurlaub nur in den §§ 9, 10 BUrlG für bestimmte Fälle vor. Diesen Regelungen lasse sich kein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Inhalts entnehmen, dass im Falle urlaubsstörender Ereignisse eine Nachgewährung zu erfolgen habe.2221 Vielmehr sei dem BUrlG eine gesetzgeberische Entscheidung dahingehend zu entnehmen, dass urlaubsstörende Ereignisse grundsätzlich zu Lasten des Arbeitnehmers gehen sollten. Den Arbeitgeber treffe nur die Verpflichtung, dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Erholung zu geben. Sie erstrecke sich nicht darauf, durch weitere Maßnahmen auch für die tatsächliche Erreichung des Urlaubszwecks Sorge zu tragen. Ob der Urlaubszweck erreicht werde, liege vielmehr im Risikobereich des Arbeitnehmers.2222 Diese Entscheidung und die ihr zugrunde liegenden Wertungen sind jedoch auf das Verhältnis von Erholungsurlaub und vorübergehender Verhinderung nicht ohne Weiteres übertragbar. Zwar könnte es in dem Sachverhalt, welcher der BAG-Entscheidung zugrunde liegt, ohne weiteres zu einer solchen Konkurrenz kommen. Indes spielte § 616 S. 1 BGB in dem angesprochenen Urteil keine Rolle, da die Vorschrift nach Einschätzung des BAG im konkreten Fall tarifvertraglich für derartige Fallkonstellationen wirksam abbedungen war. Das BAG hatte also nicht über die Konkurrenz von § 1 BUrlG und § 616 S. 1 BGB zu entscheiden. Es befasste sich lediglich mit der Frage, ob – unabhängig vom Vorliegen eines weiteren Entgeltfortzahlungstatbestands – eine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers zur Nachgewährung von Urlaub bei Eintritt urlaubsstörender Ereignisse besteht. Das BAG stellt in seinen Ausführungen zur Abgrenzung der Risikobereiche von Arbeitgeber und Arbeitnehmer lediglich auf angebliche Wertungen des BUrlG ab, die zudem vor dem Hintergrund der §§ 9, 10 BUrlG zweifelhaft sind. Es bezieht hingegen konsequenterweise nicht die Wertungen mit ein, die hinter § 616 S. 1 BGB stehen. Bei einer Konkurrenz zwischen Erholungsurlaub und persönlicher Verhinderung ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz in Fällen des § 616 S. 1 BGB das Vergütungsrisiko gerade nicht dem Arbeitnehmer, sondern dem Arbeitgeber zuweist. Dieser Vorschrift lässt sich die Wertung entnehmen, dass Ereignisse wie der Tod des eigenen Vaters vergütungsmäßig nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gehen sollen. Hinzu kommt, dass auch in §§ 9, 10 BUrlG Wertungen angelegt sind, die eine Nachgewährung des Urlaubs bei Beeinträchtigung des Erholungszwecks nahe legen. Anstatt, wie das BAG, einen Umkehrschluss zu ziehen, könnte man auch in Analogie zu diesen Vorschriften die Verpflichtung zur Nachgewährung auf andere Urlaubsstörungen erstrecken. Die Gesetzesmaterialien entzur Nachgewährung von Urlaub entsprechend § 19 Abs. 4 JArbSchG 1960 (heute § 19 Abs. 3 JArbSchG 1976) befürwortet. 2221 BAG 11.1.1966 – 5 AZR 282/65, AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Nachurlaub. 2222 BAG 11.1.1966 – 5 AZR 382/65, AP Nr. 1 zu § 1 BUrlG Nachurlaub.

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halten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Verpflichtung zur Nachgewährung von Urlaub bei Urlaubsstörungen ausdrücklich auf die in den §§ 9, 10 BUrlG genannten Sachverhalte begrenzen wollte. Vielmehr ist in der Gesetzesbegründung zu beiden Vorschriften davon die Rede, man habe „einen allgemeinen Grundsatz des Urlaubsrechts“ (zu § 9 BUrlG) und einen „anerkannten urlaubsrechtlichen Grundsatz“ (zu § 10 BUrlG) kodifizieren wollen.2223 Eine derartige Formulierung ist entgegen der Auffassung des BAG nicht dazu geeignet, den beiden Vorschriften jegliche Analogiefähigkeit zu nehmen und eine Übertragung ihrer Wertungen auf vergleichbare Konstellationen zu verhindern. Somit kann bei Berücksichtigung der Wertungen des BUrlG und des § 616 S. 1 BGB von einer Risikozuweisung an den Arbeitnehmer keine Rede sein. Die hier vertretene Einschränkung des Vorrangs des bezahlten Erholungsurlaubs ist im Übrigen auch europarechtlich geboten. Wie oben2224 bereits erläutert worden ist, sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG verpflichtet, sicherzustellen, dass jeder Arbeitnehmer einen Anspruch auf wenigstens vier Wochen bezahlten Erholungsurlaub erhält. Diesen Anforderungen würde nicht genügt, wenn man einen Vorrang des bezahlten Erholungsurlaubs vor § 616 S. 1 BGB auch in solchen Fällen bejahte, in denen aufgrund der persönlichen Verhinderung der Zweck des Erholungsurlaubs nicht erreicht wird. Der EuGH hat in seinem Urteil in der Rechtssache Merino Gómez zum Zusammentreffen von Mutterschaftsurlaub und bezahltem Erholungsurlaub eindeutig und zutreffend zum Ausdruck gebracht, dass Erholungsurlaub nur als solcher gewertet werden darf, wenn der Erholungszweck erreicht wird.2225 Für § 616 S. 1 BGB kann insoweit nichts anderes gelten. Nach alledem ist festzuhalten, dass der bezahlte Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG grundsätzlich gegenüber der persönlichen Verhinderung im Sinne des § 616 S. 1 BGB vorrangig ist. Lediglich soweit aufgrund der persönlichen Verhinderung für den Arbeitnehmer keine Möglichkeit zur selbstbestimmten Erholung gegeben ist, setzt sich § 616 S. 1 BGB durch. Der Arbeitnehmer kann insoweit vom Arbeitgeber verlangen, ihm den entgangenen Urlaub nachzugewähren. bb) Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Die Konkurrenz zwischen einer persönlichen Verhinderung im Sinne des § 616 S. 1 BGB und einem Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld ge2223

BT-Drs. 4/207, S. 6. Siehe oben § 5 F.II. 2225 Vgl. EuGH 18.3.2004 – C-342/01 (Merino Gómez), NZA 2004, S. 535, 537; vgl. hierzu auch noch unten die Ausführungen zum Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub und § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG unter § 9 C.V.2.b) und zum Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub und § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG unter § 9 C.V.2.c). 2224

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mäß § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist auf Tatbestandsebene nicht auszuschließen. Lässt man europarechtliche Wertungen außer Betracht, kommt eine Lösung auf der zweiten Stufe durch § 24i Abs. 4 SGB V in Betracht. Danach wäre § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG gegenüber § 616 S. 1 BGB subsidiär.2226 Dieses Ergebnis ist jedoch teilweise aufgrund des europarechtlichen Hintergrunds des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu modifizieren.2227 Bei dem von § 24i Abs. 4 SGB V vorgesehenen Vorrang des § 616 S. 1 BGB kann es bleiben, soweit die hiernach zu zahlende Vergütung wenigstens die Höhe einer hypothetischen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erreicht. Wird diese Vergütungshöhe jedoch nur durch Anwendung der §§ 13, 14 MuSchG gewährleistet, nicht aber durch § 616 S. 1 BGB, ist § 24i Abs. 4 SGB V richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die nach § 616 S. 1 BGB zu zahlende Vergütung nicht als „Arbeitsentgelt“ im dessen Sinne gilt. Erreicht keiner der Tatbestände die hypothetisch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG geschuldete Vergütungshöhe, ist eine europarechtskonforme Auslegung nicht möglich. Es bleibt dann bei dem ohne Rücksicht auf europarechtliche Erfordernisse ermittelten Vorrang von § 616 S. 1 BGB. Die Arbeitnehmerin kann aber die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.2228 Der Schaden liegt in der Differenz zwischen dem Entgelt nach § 616 S. 1 BGB und der nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG geschuldeten Vergütung. Dieses Ergebnis muss aber wegen Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG wiederum korrigiert werden.2229 Ob die Arbeit infolge einer vorübergehende Verhinderung ausfällt, kann je nach Einzelfall vom Willen der Arbeitnehmerin abhängen (zum Beispiel, wenn die Arbeitnehmerin in eine andere Wohnung umzieht2230), muss es aber nicht. Es sind auch willensunabhängige vorübergehende Verhinderungen denkbar, etwa, wenn die Arbeitnehmerin unverschuldet in Untersuchungshaft gerät.2231 Bei der Abwesenheit von Ausfallgründen, die mit §§ 13, 14 MuSchG konkurrieren, handelt es sich nach den oben2232 erarbeiteten Maßstäben um eine Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG, soweit es auf den Willen der Arbeitnehmerin zurückzuführen ist, dass solche konkurrierenden Ausfall-

2226

Vgl. dazu ausführlich oben § 9 B.III.6.b). Vgl. zum Folgenden oben § 9 B.III.6.c)aa). 2228 Vgl. EuGH 26.3.1996 – C-392/93 (British Telecom), Slg. 1996, I-1631 (Rn. 39– 42); EuGH 17.10.1996 – C-283/94 (Denkavit), Slg. 1996, I-5063 (Rn. 48–50). 2229 Vgl. oben § 9 B.III.6.c)bb). 2230 Vgl. BAG 25.4.1960 – 1 AZR 16/58, AP Nr. 23 zu § 616 BGB; Palandt-Weidenkaff § 616 Rn. 8. 2231 Palandt-Weidenkaff § 616 Rn. 8; als obiter dictum BGH 30.11.1978 – III ZR 43/ 77, AP Nr. 1 zu § 49 BSeuchG; vgl. auch LAG Hamm (Westfalen) 5.5.2000 – 5 Sa 1170/99 (zitiert nach juris), das die Anwendung von § 616 S. 1 BGB in einer solchen Konstellation wohl grundsätzlich für möglich hält. 2232 Vgl. oben § 9 B.III.6.c)bb). 2227

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gründe einschlägig sind. Daher kann der nationale Gesetzgeber die Gewährung des durch die Richtlinie vorgesehenen Schutzes davon abhängig machen, dass die Arbeitnehmerin keine vorübergehende Verhinderung willentlich herbeigeführt hat. Somit bleibt es, abweichend von den obigen Ausführungen, bei dem von § 24i Abs. 4 SGB V vorgesehenen absoluten Vorrang des § 616 S. 1 BGB, soweit die betreffende vorübergehende Verhinderung zumindest auch auf dem Willen der Arbeitnehmerin beruht. c) Vorrang des § 616 S. 1 BGB aa) Zusammentreffen mit Betriebsrisiko (vgl. § 615 S. 3 BGB) § 615 S. 3 BGB und § 616 S. 1 BGB sind beide grundsätzlich subsidiär.2233 Während sich die Subsidiarität von § 616 S. 1 BGB aus dem Existenzsicherungszweck ergibt, folgt sie bei § 615 S. 3 BGB daraus, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift die „richterrechtlich“ begründete Betriebsrisikolehre kodifizieren wollte. Diese wiederum war entwickelt worden, um bestehende Schutzlücken im BGB zu schließen.2234 Entscheidend ist, welches Subsidiaritätselement stärker zu gewichten ist. Immerhin war die Subsidiarität des § 616 S. 1 BGB bereits in den Gesetzesmaterialien zum BGB in der Fassung von 1900 angelegt,2235 was diesem Element ein gewisses Gewicht verschafft. Doch wenigstens folgt eine Vergütung gemäß § 616 S. 1 BGB aus den Bestimmungen des BGB, während die Anwendung der Betriebsrisikolehre bis zur Einführung des § 615 S. 3 BGB im Jahre 2002 allein auf richterlicher Rechtsfortbildung ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage fußte. Ein Rückgriff auf die Betriebsrisikolehre war daher nur möglich, soweit kein anderer gesetzlich vorgesehener Tatbestand die Vergütung des Arbeitnehmers sicherte – und sei es mit § 616 S. 1 BGB eine grundsätzlich subsidiäre Vorschrift. Daher war es in der Zeit bis 2002 vorzugswürdig, § 616 S. 1 BGB als vorrangig einzustufen. An diesem Ergebnis hat sich auch durch die Kodifizierung der Betriebsrisikolehre in § 615 S. 3 BGB im Jahre 2002 nichts geändert. Der Gesetzgeber wollte insoweit das materielle Recht nicht ändern, sondern lediglich sicherstellen, dass die Betriebsrisikolehre in ihrer bis dahin bestehenden Form auch nach der Schuldrechtsreform angewendet werden würde.2236 Aus diesen Gründen setzt sich § 616 S. 1 BGB gegen § 615 S. 3 BGB durch.

2233 Vgl. für § 616 S. 1 BGB oben § 9 B.III.4. und für § 615 S. 3 BGB oben § 9 B.III.11. 2234 Vgl. dazu oben § 5 H.I.2.a). 2235 Vgl. oben § 5 E.II. 2236 Vgl. oben § 5 H.I.2.b).

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bb) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen Kollidiert § 616 S. 1 BGB mit einem der Entgeltfortzahlungstatbestände nach § 20 Abs. 3 S. 2; § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 oder § 38 BetrVG, ist die Wertung von § 78 S. 2 BetrVG zu berücksichtigen.2237 Danach ist eine Andersbehandlung von vorübergehend verhinderten Arbeitnehmern, die derartige Tätigkeiten ausüben, im Vergleich zu sonstigen vorübergehend verhinderten Arbeitnehmern verboten. Gegenüber dieser zwingenden Wertung muss die Subsidiarität von § 616 S. 1 BGB zurücktreten. Daher ist § 616 S. 1 BGB vorrangig. cc) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko Bei einem Zusammentreffen von § 616 S. 1 BGB mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko bleibt der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bestehen. Beide Ausfallgründe lassen Vergütungsanspruche unberührt, die auf Entgeltfortzahlungstatbeständen beruhen.2238 V. Zusammentreffen von bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe a) Zusammentreffen mit alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (§ 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) Ein Zusammentreffen von bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) mit alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (§ 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) ist tatbestandlich ausgeschlossen. Der Arbeitgeber kann für die zeitliche Lage des Erholungsurlaubs nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich sein.2239 b) Zusammentreffen mit Feiertag (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) Gemäß § 3 Abs. 1, 2 BUrlG kann ein Feiertag kein Urlaubstag sein.2240 Feiertags- und Urlaubsentgelt stehen daher in einem Exklusivitätsverhältnis.

2237 Vgl. oben zu § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG § 9 B.III.18. und zu § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG § 9 B.III.17. 2238 Vgl. dazu oben § 9 B.III.30.; ebenso für die Arbeitsunwilligkeit Soergel-Kraft (12. Auflage) § 616 Rn. 9. 2239 Siehe oben § 9 C.I.1. 2240 Vgl. oben § 9 C.III.1.c).

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c) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub oder Kurzarbeit aa) Auslegung der Willenserklärung Mit unbezahltem Urlaub kann der bezahlte Erholungsurlaub nicht kollidieren, weil der Arbeitgeber beides durch eine entsprechende Willenserklärung gewähren muss. Die beiden erforderlichen Willenserklärungen kann er nicht widerspruchsfrei für den gleichen Zeitraum abgeben. Entweder ist ein vom Arbeitgeber gewährter Urlaub vergütet oder nicht. Welcher der beiden Ausfallgründe für einen Urlaubszeitraum einschlägig ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Gibt der Arbeitgeber nur eine einzige Erklärung ab, ist durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. §§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, ob sich diese auf bezahlten oder unbezahlten Urlaub bezieht. Gegebenenfalls ist an eine Nichtigkeit der Willenserklärung aufgrund von Perplexität zu denken. Gibt der Arbeitgeber hingegen nacheinander mehrere Erklärungen ab, in denen er verschiedenartigen Urlaub für den gleichen Zeitraum gewährt oder mit dem Arbeitnehmer vereinbart, ist durch Auslegung beider Erklärungen zu ermitteln, ob der Urlaub bezahlt oder unbezahlt sein soll.2241

2241 Das hier vorgebrachte Argument lässt sich wie folgt verallgemeinern: Zwei Ausfallgründe stehen zueinander in einem tatbestandlichen Exklusivverhältnis, wenn beide jeweils eine bestimmte Willenserklärung des Arbeitgebers voraussetzen und diese Willenserklärungen inhaltlich miteinander unvereinbar sind. Dieses Argument wird auch noch für die Behandlung vergleichbarer Kollisionskonstellationen eine Rolle spielen, nämlich für das Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub zur Aussperrung sowie für das Verhältnis einer jeweils bezahlten Freistellung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG) oder für Untersuchungen im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG zu unbezahltem Urlaub oder einer Aussperrung. Bei diesen Konstellationen handelt es sich um Kollisionen zwischen zwei Ausfallgründen, von denen nur einer eine Entgeltfortzahlung auslöst. Hingegen überzeugt es nicht, dieses Argument auch für das Verhältnis mehrerer auf eine Entgeltfortzahlung gerichteter Tatbestände (§ 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, § 16 S. 3 MuSchG, § 1 BUrlG) untereinander fruchtbar zu machen. Zwar kann in diesen Fällen die Vergütungshöhe je nach vorrangigem Tatbestand variieren. Dann könnte man argumentieren, dass die beiden entsprechenden Freistellungserklärungen des Arbeitgebers miteinander unvereinbar sind und durch Auslegung der einzige einschlägige Freistellungsgrund zu ermitteln ist. Indes ist bei Tatbeständen wie § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG oder § 16 S. 3 MuSchG anzunehmen, dass der Arbeitgeber in der Regel bei Abgabe der Willenserklärungen keine konkrete Vorstellung über die Vergütungshöhe hat und diese nicht in seine Erklärungen mit aufnimmt. Es ist dem Arbeitgeber gar nicht bewusst, dass seine Erklärungen auf voneinander abweichende Rechtsfolgen gerichtet sind. Er will mit seinen Erklärungen keine Aussage über die Höhe der zu zahlenden Vergütung treffen, sondern nur den Freistellungsgrund als solchen anerkennen. Hierfür spricht auch, dass der Arbeitgeber keinen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der genannten bezahlten Freistellungen hat, sondern bei Vorliegen der Voraussetzungen zur Freistellung gesetzlich verpflichtet ist. Daher haben die beiden Freistellungserklärungen keinen widersprüchlichen Erklärungswert. Bei einer Kollision eines Entgeltfortzahlungstatbestands mit einem Ausschlussgrund hingegen muss der Arbeitgeber den Widerspruch erkennen, da die eine Willenserklärung auf Zahlung eines Entgelts gerichtet ist und die andere nicht.

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Teilweise wird man in solchen Fällen davon ausgehen können, dass die letzte der Erklärungen die zuvor abgegebene Erklärung aufhebt oder ändert. Allerdings ist ein solches Vorgehen nicht stets rechtlich zulässig: Der einseitige Widerruf eines einmal gewährten Urlaubs durch den Arbeitgeber ist nach zutreffender herrschender Meinung grundsätzlich ausgeschlossen.2242 Dieser Grundsatz gilt auch, wenn nachträglich Umstände eintreten, die den Arbeitgeber vor Urlaubsgewährung berechtigt hätten, den Urlaub zu verweigern.2243 Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn zwingende Notwendigkeiten für den Widerruf bestehen und ein anderer Ausweg nicht ersichtlich ist.2244 Ist ein Urlaubswiderruf unzulässig, geht eine nachfolgende, auf den gleichen Zeitraum gerichtete Erklärung des Arbeitgebers über eine unbezahlte Freistellung ins Leere. bb) Besonderheiten bei Kurzarbeit Die geschilderten Grundsätze gelten auch gleichermaßen für die auf einer Vereinbarung beruhende und die nach § 19 KSchG eingeführte Kurzarbeit. Beide Arten von Kurzarbeit setzen jeweils eine Willenserklärung des Arbeitgebers voraus, die auf eine unbezahlte Freistellung des Arbeitnehmers gerichtet ist und die mit der Gewährung bezahlten Erholungsurlaub unvereinbar ist. Allerdings ergeben sich dabei einige Besonderheiten. Insoweit stellen sich mehrere Probleme, die in Rechtsprechung und Literatur sehr unterschiedlich gehandhabt und teilweise auch miteinander vermischt werden. Drei Problemkreise sollten unterschieden werden: Erstens ist die Frage zu beantworten, wie sich Kurzarbeit auf den Umfang des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers auswirkt [dazu sogleich (1)]. Zweitens muss entschieden werden, nach welchen Kriterien ein mögliches Zusammentreffen beider Ausfallgründe zu bewerten ist und wonach sich eine mögliche Vergütung des Arbeitnehmers richtet (2). Drittens schließlich ist auf mögliche Modifikationen der Höhe der Urlaubsentgelts einzugehen, die sich aufgrund von Kurzarbeit ergeben können (3). Hierbei spielt § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG eine gewichtige Rolle.2245

2242 BAG 19.12.1991 – 2 AZR 367/91, ArbuR 1992, S. 221; BAG 20.6.2000 – 9 AZR 405/99, AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG; Leinemann/Linck § 7 BUrlG Rn. 55; Neumann/Fenski § 7 BUrlG Rn. 38; HK-BUrlG-Goretzki § 7 BUrlG Rn. 23; Arnold/Tillmanns-Arnold § 7 Rn. 87. 2243 BAG 20.6.2000 – 9 AZR 405/99, AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG; Leinemann/Linck § 7 BUrlG Rn. 55; HK-BUrlG-Goretzki § 7 BUrlG Rn. 23. 2244 BAG 19.12.1991 – 2 AZR 367/91, ArbuR 1992, S. 221; Neumann/Fenski § 7 BUrlG Rn. 38; wohl auch Arnold/Tillmanns-Arnold § 7 Rn. 90; a. A. Leinemann/ Linck § 7 BUrlG Rn. 55; HK-BUrlG-Goretzki § 7 BUrlG Rn. 23. 2245 Zutreffend hebt Rudkowski, NZA 2012, S. 74, hervor, dass § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG nur für die Höhe des Urlaubsentgelts bei Kurzarbeit von Bedeutung ist, nicht aber für den Umfang des Urlaubsanspruchs.

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(1) Folgen von Kurzarbeit für den Umfang des Urlaubsanspruchs (a) Anpassung „pro rata temporis“ Zunächst fragt sich, ob sich das jährliche Urlaubskontingent des Arbeitnehmers verringert, wenn während des gesamten Jahres oder eines Teils davon verkürzt gearbeitet wird. Ganz überwiegend wird diese Frage bejaht, soweit infolge der Kurzarbeit ganze Arbeitstage ausfallen und nicht nur jeden Tag verkürzt gearbeitet wird.2246 Dem Arbeitnehmer stehe während der Kurzarbeitsperiode nur ein Urlaubsanspruch entsprechend seiner noch verbleibenden Arbeitstage zu. Nach Ende der Kurzarbeitsperiode sei eine erneute Umrechnung vorzunehmen. Wolle der Arbeitnehmer nunmehr Urlaub nehmen, stehe ihm wieder sein gewöhnliches Kontingent zur Verfügung. Hiervon sei der bereits genommene Urlaub abzuziehen, wobei Urlaubstagen, die während der Kurzarbeitsperiode genommen wurden, ein erhöhtes Gewicht entsprechend den dann reduzierten Arbeitstagen zukomme.2247 Zur Verdeutlichung sei folgendes Beispiel in Anlehnung an Leinemann/Linck2248 angeführt: Einem Arbeitnehmer mit einer SechsTage-Woche stehen regelmäßig 24 Urlaubstage pro Jahr zu. Unterstellt, er hat diese noch nicht in Anspruch genommen, und im Mai verkürzt sich seine Arbeitszeit durch Kurzarbeit auf zwei Arbeitstage pro Woche, reduziert sich sein Urlaubsanspruch für dieses Jahr entsprechend seiner Arbeitszeit auf ein Drittel seines verbleibenden Urlaubsanspruchs, ergo acht Urlaubstage. Endet die Kurzarbeit im August, ohne dass der Arbeitnehmer Urlaub in Anspruch genommen hat, erhöht sich der Anspruch wieder auf 24 Tage. Hat der Arbeitnehmer hingegen während der Kurzarbeitsperiode im Juni einen Tag Urlaub in Anspruch genommen, erhöht sich nach Ende der Periode das Kontingent nur auf 21 Tage, da während der Kurzarbeitsperiode, in der Arbeitstage und Erholungsbedürfnis auf ein Drittel reduziert waren, jeder in Anspruch genommene Urlaubstag nach deren Ende dreifach ins Gewicht fällt. Andere Stimmen lehnen eine Reduktion gänzlich ab.2249 Die bei Kurzarbeit freiwerdenden Tage seien nicht Sonn- und gesetzlichen Feiertagen, sondern sonstigen Werktagen gleichzusetzen. Es werde nicht die gesamte Belegschaft von der Arbeit freigestellt. Vielmehr trete eine echte Teilbeschäftigung ein.2250 2246 Rudkowski, NZA 2012, S. 74, 75; Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 62; ErfKGallner § 3 BUrlG Rn. 23; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 3 BUrlG Rn. 39 f.; KassArbR-Schütz 2.4. Rn. 147; HK-BUrlG-Hohmeister § 3 BUrlG Rn. 74–77; vgl. auch BAG 28.4.1998 – 9 AZR 314/97, AP Nr. 7 zu § 3 BUrlG; Arnold/Tillmanns-Rambach § 3 Rn. 24. 2247 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 64–66. 2248 Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 64–66. 2249 Neumann/Fenski § 3 Rn. 48; Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht I, S. 441 Fn. 58; Groeger, ArbRB 2010, S. 119, 120 f. 2250 Neumann/Fenski § 3 Rn. 48.

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Bei der Beurteilung dieser Frage ist danach zu differenzieren, ob infolge der Kurzarbeit ganze Arbeitstage ausfallen oder sich nur die tägliche Arbeitszeit ändert. Wird infolge der Kurzarbeit nur an einigen oder allen Arbeitstagen verkürzt gearbeitet und bleibt die Anzahl der Arbeitstage gleich, darf keine Verringerung erfolgen. Die Zahl der Urlaubstage muss an das unterstellte Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers anknüpfen, was wiederum an die Zahl der Arbeitstage gekoppelt ist. Auch eine Addition der täglich ausfallenden Arbeitszeit zu ganzen Tagen, die einem wegfallenden Urlaubstag entsprechen, ist unzulässig. Das Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers wird bereits dadurch in vollem Umfang ausgelöst, dass er nach wie vor jeden Tag seine Arbeitsstätte aufsuchen muss. Diese Auffassung entspricht auch der Rechtslage für Teilzeitarbeitnehmer, die ebenso wie Vollzeitarbeitnehmer an allen Arbeitstagen mit jeweils reduzierter Stundenzahl arbeiten2251 Im Übrigen ist eine Anpassung des Urlaubskontingents an die Arbeitszeit im Sinne der erstgenannten Ansicht geboten. Das folgt aus dem in § 3 Abs. 1 BUrlG verankerten Grundsatz, dass dem Arbeitnehmer unabhängig von der Anzahl seiner Arbeitstage vier Wochen Erholungsurlaub zustehen müssen.2252 Reduziert sich die Anzahl der Arbeitstage infolge von Kurzarbeit, wird der Arbeitnehmer in erholungstechnischer Sicht ebenso behandelt, als wenn bei gleich bleibender Stundenanzahl diese auf weniger Arbeitstage verteilt worden wäre (etwa bei einer Umstellung von einer Sechs- auf eine Fünftagewoche). Auch eine solche Umstellung ginge mit einer Reduktion des Urlaubsumfangs einher. Durch die jeweils vorgenommene Umrechnung wird gewährleistet, dass der Arbeitnehmer, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt er seinen Urlaub nimmt, insgesamt auf genau vier Wochen bezahlten (Mindest-)Erholungsurlaub kommt. Zu beachten ist, dass diese Lösung zu Schwankungen in der Entgelthöhe führen kann. Der Arbeitnehmer erhält eine höhere Urlaubsvergütung, wenn er während seiner Sechstagewoche urlaubt, als wenn er seinen Urlaub während der durch Kurzarbeit eingeführten Zweitagewoche nimmt. Indes ändert sich an der Vergütungshöhe des Arbeitnehmers für das Kalenderjahr insgesamt nichts. Zwar erhält derjenige Arbeitnehmer, der während einer Zweitagewoche urlaubt, weniger Urlaubsentgelt als der während der Sechstagewoche urlaubende Arbeitnehmer. Dafür steht ihm aber auch entsprechend mehr Arbeitsentgelt zu, wenn er in der Sechstagewoche arbeitet, während andere Arbeitnehmer in dieser Zeit urlauben. Eine Ungerechtigkeit ist lediglich darin zu erblicken, dass ein während der Kurzarbeit urlaubender Arbeitnehmer für das gleiche Gehalt mehr arbeiten muss als ein während der Vollzeitbeschäftigung urlaubender Arbeitnehmer. Ihm entgeht also unbezahlte Freizeit. Dieser Nachteil ist aber zugunsten des vorrangigen Ziels, jedem Arbeitnehmer genau vier Wochen bezahlten Erholungsurlaub zuzu2251 2252

Vgl. hierzu Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 29. Vgl. hierzu oben § 5 F.III.2.b).

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gestehen, hinzunehmen.2253 Ein bezahlter Mindesturlaub von vier Wochen ist sowohl nach der Wertung des BUrlG als auch nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG zwingend geboten. (b) Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH Dieses vorläufige Ergebnis ist weiter daraufhin zu überprüfen, ob es mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang steht, und zwar insbesondere mit der „Tirol“-Entscheidung vom 22. April 20102254 und der „Brandes“-Entscheidung vom 13. Juni 20132255. In diesen Urteilen befasste sich der EuGH mit den Auswirkungen des Übergangs eines Arbeitnehmers von Vollzeit- in Teilzeitbeschäftigung auf den Umfang des Urlaubsanspruchs. Dabei stellte der EuGH fest, dass eine nationale Bestimmung den europarechtlichen Vorgaben (insbesondere Art. 7 RL 2003/88/EG sowie § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81 in der durch die Richtlinie 98/23 geänderten Fassung) widerspricht, sofern sie vorsieht, dass bei einem Wechsel von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung der während der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Urlaubsanspruch, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird.2256 Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass es sich bei Kurzarbeit, die nicht zum völligen Wegfall der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers führt, der Sache nach um 2253 Insbesondere lassen sich beide Ziele auch nicht dadurch gleichermaßen verwirklichen, dass man den Urlaubsumfang eines teilweise kurz arbeitenden Arbeitnehmers entsprechend seiner auf das gesamte Kalenderjahr bezogenen Stundenzahl zu dem Urlaubsanspruch eines das ganze Jahr vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers ins Verhältnis setzt. Zwar würde dadurch die geschilderte Ungerechtigkeit vermieden, dass einige Arbeitnehmer für das gleiche Geld mehr arbeiten müssen als andere. Es wäre aber nicht mehr unter allen Umständen gewährleistet, dass alle Arbeitnehmer wenigstens vier Wochen bezahlten Erholungsurlaub erhalten. Dieses Problem stellte sich zum Beispiel, wenn ein eigentlich in einer Sechs-Tage-Woche beschäftigter Arbeitnehmer die ersten acht Monate eines Jahres kurz arbeitet (Drei-Tage-Woche), ehe für die letzten vier Monate des Jahres wieder auf Vollzeitbeschäftigung umgestellt wird. Hat der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Umstellung noch keinen Urlaubstag in Anspruch genommen, verbleiben ihm nach der abweichenden Berechnung nicht genügend Urlaubstage, um vier Sechs-Tage-Wochen Urlaub zu nehmen. Sein Urlaubsanspruch umfasste danach nur 16 Tage ([3/6] x 16 Urlaubstage [Anzahl der Urlaubstage, die einem Vollzeitarbeitnehmer für die ersten acht Monate zustünden] = 8 Urlaubstage für die ersten acht Monate zuzüglich [6/6] x 8 Urlaubstage = 8 Urlaubstage für die letzten vier Monate), so dass er in der Sechs-Tage-Woche nur 2 Wochen und 4 Tage Urlaub nehmen könnte. 2254 EuGH 22.4.2010 – C-486/08 (Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols/Land Tirol), NZA 2010, S. 557–560. 2255 EuGH 13.6.2013 – C-415/12 (Bianca Brandes/Land Niedersachsen), NZA 2013, S. 775–777. 2256 EuGH 22.4.2010 – C-486/08 (Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols/Land Tirol), NZA 2010, S. 557–560 (insbesondere Rn. 32); EuGH 13.6.2013 – C-415/12 (Bianca Brandes/Land Niedersachsen), NZA 2013, S. 775–777 (insbesondere Rn. 36 ff.).

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eine Form der Teilzeitbeschäftigung handelt.2257 Keine Rolle spielt insoweit, ob ganze Arbeitstage ausfallen oder die Zahl der Arbeitstage gleich bleibt. Daher können sich aus der angesprochenen EuGH-Entscheidung auch Folgen für kurzarbeitende Arbeitnehmer ergeben. Der EuGH hat in der „Brandes“-Entscheidung für das deutsche Urlaubsrecht ausdrücklich klargestellt, dass bei dem Wechsel von Voll- zu Teilzeitbeschäftigung eine Anpassung „pro rata temporis“ zum Nachteil des Arbeitnehmers europarechtlich unzulässig ist, soweit der Urlaubsanspruch noch während der Vollbeschäftigung erworben wurde. Zulässig soll hingegen die Umrechnung „pro rata temporis“ für alle Urlaubsansprüche sein, die erst nach der Umstellung von Vollauf Teilzeit erworben wurden.2258 Dieser Auffassung ist indes im Hinblick auf die erstgenannte Aussage nicht zu folgen:2259 Durch eine solche Umrechnung bzgl. des während der Vollzeitbeschäftigung erworbenen Urlaubsanspruchs verringert sich zwar die Anzahl der dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaubstage. Die Zeit, die der Arbeitnehmer der Arbeit fern bleiben kann, bleibt aber, wie gezeigt, unverändert – werden nur die gesetzlichen Mindestvorgaben des BUrlG erfüllt, sind es genau vier Wochen. Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG fordert nur, dass dem Arbeitnehmer vier Wochen bezahlter Erholungsurlaub zustehen, und dieser Schutzumfang wird auch durch die Umrechnung gewährleistet.2260 Das Gegenargument des EuGH,2261 eine solche Argumentation verwechsele die Ruhephase, die dem Zeitabschnitt eines tatsächlich genommenen Urlaubs entspreche, und die normale berufliche Inaktivität während eines Zeitabschnitts, in dem der Arbeitnehmer auf Grund des Arbeitsverhältnisses nicht zu arbeiten brauche, überzeugt nicht. Der EuGH versucht hier, neben den beiden urlaubsrechtlich denkbaren Zuständen eines Arbeitsverhältnisses – nämlich „keine Arbeit und Urlaub“ oder „Arbeit und kein Urlaub“ – eine dritte Kategorie einzuführen, nämlich „weder Arbeit noch Urlaub“, eine Art „Freizeit aus sonstigen Gründen außer Urlaub“. Nach der Konzeption des EuGH soll offenbar die Existenz dieser dritten Kategorie es rechtfertigen, dem Arbeitnehmer auch nach der Verringerung der Arbeitszeit für den zuvor erworbenen Urlaubsanspruch einen auf eine Vollzeitbeschäfti2257 Vgl. ArbG Passau 13.4.2011 – 1 Ca 62/11, BB 2012, S. 1162, 1163; ErfK-Gallner § 3 BUrlG Rn. 23; Rudkowski NZA 2012, S. 74, 74 ff. 2258 EuGH 13.6.2013 – C-415/12 (Bianca Brandes/Land Niedersachsen), NZA 2013, S. 775, 776 (Rn. 31). 2259 Ebenso ArbG Passau 13.4.2011 – 1 Ca 62/11, BB 2012, S. 1162 ff. mit zustimmender Anmerkung Eckstein; Fieberg NZA 2010, S. 925, 927 f.; Powietzka/Christ NJW 2010, S. 3397, 3399; Rambach/Feldmann ZTR 2010, S. 561, 565; wohl auch Arnold/Tillmanns-Arnold § 3 Rn. 27. 2260 Rambach/Feldmann ZTR 2010, S. 561, 565; vgl. auch Fieberg NZA 2010, S. 925, 927 f.; Eckstein Anmerkung zu ArbG Passau 13.4.2011 – 1 Ca 62/11, BB 2012, S. 1164. 2261 EuGH 13.6.2013 – C-415/12 (Bianca Brandes/Land Niedersachsen), NZA 2013, S. 775, 777 (Rn. 41).

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gung zugeschnittenen Umfang zuzusprechen. Das ergibt jedoch vor dem Hintergrund des – nationalen wie unionsrechtlichen – Urlaubszwecks, nämlich der Gelegenheit zur selbstbestimmten Erholung,2262 keinen Sinn. Der zu gewährende Erholungsurlaub knüpft an ein unterstelltes Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers an, das durch seine Verpflichtung zur Arbeitsleistung entsteht. In seiner arbeitsfreien Zeit, beispielsweise an Wochenenden oder an den infolge eines wegen Teilzeitarbeit reduzierten Arbeitsumfangs arbeitsfreien Wochentagen, kann ein solches unterstelltes Erholungsbedürfnis nicht entstehen. Wäre das anders, müsste der EuGH konsequenterweise nach einer Umstellung von Voll- auf Teilzeitbeschäftigung dem Arbeitnehmer Urlaub im Umfang einer Vollzeitbeschäftigung auch für jene Urlaubsansprüche zubilligen, die der Arbeitnehmer erst nach einer solchen Umstellung erwirbt. Denn in beiden Konstellationen existieren gleichermaßen Tage, an denen der Arbeitnehmer weder arbeitet noch urlaubsbedingt freigestellt ist (sondern eben aufgrund der geringeren geschuldeten Arbeitsleistung). Diesen Schritt möchte der EuGH jedoch ausdrücklich nicht gehen2263 und verhält sich damit inkonsequent. Außerdem führte ein Verzicht auf die Umrechnung nach einem Wechsel in die Teilzeitbeschäftigung dazu, dass dem Arbeitnehmer mehr Freizeit zustünde als einem Arbeitnehmer, der nach wie vor in Vollzeit arbeitet. Das widerspräche dem Zweck des Erholungsurlaubs, da ein in Vollzeit Beschäftigter mehr Erholung benötigt als ein in Teilzeit Beschäftigter – und nicht weniger. Eine Besserstellung von in Teilzeit Beschäftigten wäre nicht sachgerecht und wird auch von § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81 in der durch die Richtlinie 98/23 geänderten Fassung nicht gefordert. Aus den genannten Gründen ist die zitierte EuGH-Rechtsprechung – wiewohl für die Praxis verbindlich – abzulehnen. (2) Verhältnis von Kurzarbeit und Erholungsurlaub Zu der Frage nach dem Verhältnis von Kurzarbeit und Erholungsurlaub werden in Rechtsprechung und Literatur verschiedene Ansichten vertreten. Dabei wird weitgehend danach differenziert, ob die Zahl der wöchentlichen Arbeitstage aufgrund von Kurzarbeit reduziert wird oder ob diese gleich bleibt und lediglich die tägliche Arbeitszeit verkürzt wird. (a) Verkürzung der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage Verringert sich die Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage aufgrund von Kurzarbeit, besteht Einigkeit, dass allein der Erholungsurlaub eingreift, soweit die 2262

Vgl. zum Urlaubszweck oben § 5 F.II. EuGH 13.6.2013 – C-415/12 (Bianca Brandes/Land Niedersachsen), NZA 2013, S. 775, 776 (Rn. 31). 2263

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Verkürzung der Arbeitszeit einen Arbeitstag unberührt lässt und gearbeitet wird.2264 Umstritten ist indes die Frage, wie mit den Arbeitstagen umzugehen ist, an denen die Arbeit infolge der Kurzarbeit ausfällt. (aa) Auffassung von Neumann/Fenski Die wohl überwiegende, unter anderem von Neumann/Fenski vertretene Literaturansicht2265 geht davon aus, dass auch die freien Tage in den Urlaub einzuberechnen sind.2266 Der Sache nach bejaht diese Ansicht damit die Möglichkeit eines tatbestandlichen Zusammentreffens von Kurzarbeit und Erholungsurlaub. Die so entstandene Konkurrenz wird zugunsten eines Vorrangs des Urlaubs aufgelöst. (bb) Auffassung von Leinemann/Linck Eine verbreitete Gegenansicht, unter anderem von Leinemann/Linck, Schinz und Schütz vertreten, will hingegen danach differenzieren, ob die Vereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit zeitlich der Gewährung des Urlaubs vorausgeht oder umgekehrt. Werde die Kurzarbeit vor Gewährung des Urlaubs angeordnet, entfalle die Arbeitspflicht für die besagten Arbeitstage infolge der Kurzarbeit. Somit könne der Urlaub tatbestandlich nicht mehr eingreifen oder gewährt werden.2267 Da eine Freistellung auf Grund des Erholungsurlaubs für diese Tage von vornherein nicht möglich sei, erfolge auch keine Anrechnung der Urlaubszeit.2268 Sei hingegen zuerst Urlaub gewährt worden, verdränge die Kurzarbeit trotz dieser zeitlichen Abfolge den bezahlten Erholungsurlaub auf Tatbestandsebene.2269 Durch die spätere Vereinbarung von Kurzarbeit sei im Zeitpunkt des Arbeitsausfalls die bereits zuvor festgelegte Freistellung aufgrund von bezahltem Erholungsurlaub für den Arbeitgeber (wohl: rechtlich) unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB.2270 Dadurch werde der Arbeitgeber von seiner Verpflichtung 2264

So ausdrücklich ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 24. Neumann/Fenski § 3 Rn. 48; ebenso v. Hoyningen-Huene/Linck-v. HoyningenHuene § 19 Rn. 39; Ascheid/Preis/Schmidt-Moll § 19 KSchG Rn. 35; Löwisch/Spinner § 19 Rn. 24. 2266 Vgl. dazu oben § 9 C.V.1.c)bb)(1). 2267 Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 45 f.; KassArbR-Schütz 2.4 Rn. 147. 2268 Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 46; KassArbR-Schütz 2.4 Rn. 147. 2269 Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 3 BUrlG Rn. 41 und § 11 BUrlG Rn. 47; § 11 BUrlG Rn. 47; Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 67; KassArbR-Schütz 2.4 Rn. 148 f.; HK-BUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 90. 2270 Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 67 f.; KassArbR-Schütz 2.4 Rn. 148 f.; HKBUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 90. 2265

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zur Freistellung aufgrund des Urlaubs frei. Eine Anrechnung auf das Urlaubskontingent müsse aber dennoch erfolgen, da der Urlaubsanspruch in seiner ursprünglichen konkretisierten Gestalt nach § 275 Abs. 1 BGB untergegangen sei und im Übrigen für das Verhältnis zu Kurzarbeit eine § 9 BUrlG vergleichbare Regelung fehle. Hieraus sei im Umkehrschluss zu folgern, dass den Arbeitgeber keine Pflicht zur Nachgewährung treffe.2271 (cc) Auffassung des BAG Ähnlich hat in jüngerer Zeit das BAG2272 entschieden. Führe ein Arbeitgeber Kurzarbeit in der Weise rechtswirksam ein, dass einige Tage der Woche arbeitsfrei seien und würden zu diesem Zeitpunkt urlaubende Arbeitnehmer durch die entsprechende Vereinbarung von der Kurzarbeit nicht ausgenommen, entfalle die Arbeitspflicht an den arbeitsfreien Tage einzig aufgrund der Kurzarbeit. Im Verhältnis zu der für den gleichen Zeitraum festgelegten Urlaubszeit bedeute das nicht, dass die Arbeitszeit sich durch die Einführung der Kurzarbeit nicht mehr verringern könne. Vielmehr könne nach Einführung von Kurzarbeit der mit der Festlegung des Urlaubs bezweckte Leistungserfolg, nämlich die Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht, nicht mehr eintreten. Die Arbeitspflicht sei schon aufgrund betriebsverfassungsrechtlicher Norm aufgehoben (im konkreten Fall beruhte die Einführung von Kurzarbeit auf einer Betriebsvereinbarung). Liege der Fall dabei dergestalt, dass der Arbeitgeber vor dem die Arbeitspflicht anderweitig suspendierenden Ereignis – der Einführung von Kurzarbeit – die zeitliche Lage des Urlaubs mit der Erklärung festlege, den Arbeitnehmer in dieser Zeit von allen Arbeitspflichten zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs freistellen zu wollen, habe er die Leistung bewirkt, die ihm nach dem BUrlG obliege. Werde der Freistellungserfolg nachträglich unmöglich, entfalle seine Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB. Das BAG geht damit, ähnlich wie die unter anderem von Leinemann/Linck vertretene Literaturansicht, grundsätzlich von einem ersatzlosen Fortfall der betreffenden Urlaubszeit und mithin von einer Anrechnung aus. Offenbar möchte es dieses Ergebnis aber verhindern, und gelangt auf einem Umweg dennoch zu einer Verpflichtung des Arbeitgebers zur Nachgewährung der Urlaubszeit: Der Arbeitnehmer habe als Gläubiger der nachträglich unmöglich gewordenen Leistungspflicht einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 283 BGB, sofern nicht der Schuldner die Unmöglichkeit nicht zu vertreten habe. Das Vertretenmüssen leitet das BAG sodann im konkreten Fall bereits daraus her, dass der Arbeitgeber eine Vereinbarung über die Einführung von Kurz2271 Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 69, Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 47 und § 7 BUrlG Rn. 141; KassArbR-Schütz 2.4 Rn. 149; HK-BUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 90. 2272 BAG 16.12.2008 – 9 AZR 164/08, AP Nr. 40 zu § 7 BUrlG.

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arbeit geschlossen habe. Hierdurch habe er bewusst und gewollt den Eintritt des Leistungserfolgs des von ihm gewährten Urlaubs verhindert. Da der Arbeitgeber aufgrund seiner Beteiligung an der Vereinbarung die Einführung von Kurzarbeit zu vertreten habe, habe er auch die hierdurch nachträglich eingetretene Unmöglichkeit zu vertreten. (dd) Auffassung von Düwell und Bauer/Kern Von der Auffassung des BAG nur geringfügig unterscheidet sich die Meinung von Düwell und von Bauer/Kern.2273 Diese Stimmen nehmen ebenfalls (allerdings ohne explizite Differenzierung nach der Reihenfolge des Auftretens der Ausfallgründe) an, Kurzarbeit lasse eine Freistellung aufgrund von Erholungsurlaub unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB werden.2274 Sodann wenden sie sich jedoch gegen eine Anrechnung und sprechen sich für eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Nachgewährung der betreffenden Urlaubstage aus.2275 Während Düwell zur Begründung pauschal darauf verweist, dass § 615 S. 3 BGB dem Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls zuweise, nehmen Bauer/Kern präziser Stellung und wollen die Verpflichtung zur Nachgewährung ebenso wie das BAG über einen Schadensersatzanspruch nach den §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB begründen.2276 Dabei, und damit gehen Bauer/Kern über die Äußerungen des BAG hinaus, soll sich ein Vertretenmüssen des Arbeitgebers aus § 615 S. 3 BGB ergeben, weil Kurzarbeit in der Regel aufgrund von Auftragsmangel eingeführt werde und ein solcher unter dem Gesichtspunkt des Betriebsrisikos nach § 615 S. 3 BGB dem Arbeitgeber zuzurechnen sei. (ee) Auffassung von Litzig Eine weitere, von Litzig vertretene Auffassung differenziert hingegen wie die zweitgenannte Ansicht, die unter anderem von Schinz, Leinemann/Linck und Schütz vertreten wird, nach der zeitlichen Reihenfolge der Vereinbarung oder Gewährung von Kurzarbeit und Urlaub, gelangt dabei aber zu teilweise abweichenden Ergebnissen.2277 Werde zuerst Kurzarbeit vereinbart, komme eine Freistellung aufgrund von Urlaub nicht mehr in Betracht. Eine Anrechnung auf den Urlaub erfolge nicht. Insoweit stimmt Litzig der zweitgenannten Meinung zu. Gehe aber die Urlaubserteilung der Vereinbarung von Kurzarbeit voraus, bleibe dem Arbeitnehmer das Urlaubsentgelt erhalten. Dabei bleibt aber unklar, ob die 2273 MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 37; § 80 Rn. 63; Bauer/Kern NZA 2009, S. 925– 929, wohl ebenso Walker SAE 2010, S. 70, 71 f. 2274 MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 37; § 80 Rn. 63; Bauer/Kern NZA 2009, S. 925, 928. 2275 MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 37. 2276 MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 37; Bauer/Kern NZA 2009, S. 925, 928. 2277 Kittner/Zwanziger/Deinert-Litzig § 49 Rn. 300.

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Kurzarbeit bei vorausgegangener Urlaubsgewährung schon tatbestandlich nicht mehr zum Zuge kommen und deshalb Urlaubsrecht gelten soll oder ob beide Ausfallgründe tatbestandlich nebeneinander bestehen und das entstehende Konkurrenzverhältnis zugunsten des Urlaubs aufzulösen sein soll. Ebenfalls offen bleibt, ob in diesem Fall eine Anrechnung auf das Urlaubskontingent erfolgen soll. (ff) Auslegung der Arbeitgebererklärung Die genannten Auffassungen überzeugen in den meisten Punkten nicht. Gegen die unter anderem von Neumann/Fenski vertretene Auffassung, beide Ausfallgründe seien gleichermaßen tatbestandlich einschlägig und der Urlaub sei vorrangig, ist einzuwenden, dass der vermeintliche Vorrang des Urlaubs von den Vertretern dieser Auffassung in keiner Weise begründet wird. Es ist auch kein Argument ersichtlich, dass hierfür angeführt werden könnte. Vor allem aber stehen Kurzarbeit und bezahlter Erholungsurlaub tatbestandlich zueinander in einem Exklusivverhältnis.2278 Gegen die unter anderem von Leinemann/Linck vertretene differenzierende Literaturansicht spricht, dass durch die Differenzierung die Arbeitnehmer hinsichtlich des Umfangs ihres Urlaubsanspruchs unterschiedlich stehen, je nachdem, ob zuerst der Urlaub gewährt oder Kurzarbeit vereinbart wurde.2279 Nur im letzteren Fall bleibt dem Arbeitnehmer nach dieser Ansicht sein Urlaubsanspruch erhalten, im ersteren hingegen nicht. Diese Ungleichbehandlung ist nicht zu rechtfertigen. Insbesondere wird sie nicht dadurch aufgewogen, dass die Arbeitnehmer durch die Differenzierung hinsichtlich der Urlaubsdauer während der Kurzarbeitsperiode gleichstehen.2280 Ferner ist gegen diese differenzierende Ansicht ebenso wie gegen die Meinung von Düwell und Bauer/Kern sowie gegen Litzig einzuwenden, dass diese Stimmen – ohne insoweit nach der Reihenfolge der Gewährung und Vereinbarung zu unterscheiden – der Kurzarbeit einen Vorrang vor dem Erholungsurlaub einräumen, den sie nicht begründen und der sich auch nicht anhand des Gesetzes begründen lässt. Wenn sie ausführen, eine Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht durch den Urlaub sei nicht möglich, weil die Arbeitspflicht bereits „zuvor“ durch die Vereinbarung von Kurzarbeit suspendiert sei, dann verletzen sie den Grundsatz der Gleichwertigkeit mehrerer Gründe für den Arbeitsausfall.2281 2278 Vgl. bereits oben § 9 C.V.1.c)aa); im Ergebnis ebenso für den Fall, dass die Einführung von Kurzarbeit auf einer individualvertraglichen Vereinbarung beruht Bauer/ Kern NZA 2009, S. 925, 927 f. 2279 Aus diesem Grunde ebenfalls ablehnend Kittner/Zwanziger/Deinert-Litzig § 49 Rn. 84. 2280 Vgl. zu diesem Argument Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 69. 2281 Vgl. hierzu oben § 8 A.III.

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Es ist kein Anhaltspunkt im Gesetz dafür ersichtlich, dass eine Vereinbarung von Kurzarbeit gedanklich „vor“ einer Beseitigung der Arbeitspflicht aufgrund von Urlaub eingreifen und letztere unmöglich machen soll. Auch im Übrigen ist Litzigs Auffassung abzulehnen. Wird zunächst Urlaub gewährt und sodann Kurzarbeit vereinbart, hält sie, wie ausgeführt, den Urlaub für vorrangig. Dabei bleibt aber unklar, ob der Urlaub die Kurzarbeit insoweit tatbestandlich verdrängen soll oder ob beide Tatbestände nebeneinander einschlägig sein, der Urlaub sich aber durchsetzen soll. Beide Lösungen überzeugen nicht. Die Annahme eines tatbestandlichen Vorrangs des Urlaubs ist ebenso unbegründet wie die eines Vorrangs der Kurzarbeit und verstößt gegen den Grundsatz der Gleichwertigkeit mehrerer Gründe für den Arbeitsausfall.2282 Ein tatbestandliches Nebeneinander beider Ausfallgründe ist abzulehnen, da insoweit, wie angeführt, ein Exklusivitätsverhältnis besteht. Im Hinblick auf das Urteil des BAG ist ausdrücklich zu begrüßen, dass der Senat offenbar die grundsätzliche Möglichkeit einer Vereinbarung über das Vorrangverhältnis anerkennt.2283 Auch wenn er diesen Gedanken nicht ausdrücklich so formuliert, leitet er den tatbestandlichen Vorrang der Kurzarbeit der Sache nach aus den Erklärungen der beteiligten Parteien ab. Damit geht das BAG einen Schritt in die richtige Richtung. Als problematisch erweisen sich hingegen die Schlussfolgerungen, die das BAG und die unter anderem von Leinemann/Linck vertretene differenzierende Ansicht aus dem von ihnen angenommenen tatbestandlichen Vorrang der Kurzarbeit ziehen: Bei zeitlich zuerst auftretender Urlaubsgewährung und späterer Vereinbarung von Kurzarbeit werde die Urlaubsfreistellung unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB. Mangels einer Vorschrift entsprechend § 9 BUrlG sei die betreffende Zeit aber dennoch auf das Urlaubskontingent anzurechnen. Sowohl die Anwendung von § 275 BGB als auch die Anrechnung sind abzulehnen: Das BAG wendet § 275 BGB an, wenn der Arbeitgeber zuerst Urlaub gewährt und sodann Kurzarbeit einführt. Nach hier vertretener Auffassung sind hingegen in diesem Fall beide Willenserklärungen auszulegen, um den einschlägigen Freistellungsgrund zu ermitteln. Wie geschildert, ist die Gewährung von bezahltem Erholungsurlaub grundsätzlich unwiderruflich. Daher kann die nachfolgende Vereinbarung von Kurzarbeit in diesen Fällen keine Wirkung entfalten. Einziger Grund des Arbeitsausfalls ist der Erholungsurlaub, und dessen Gewährung ist nicht unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB. Liegt in der Anordnung von Kurzarbeit hingegen zugleich ein ausnahmsweise zulässiger Widerruf des Ur2282

Vgl. hierzu oben § 8 A.III. Vgl. BAG 16.12.2008 – 9 AZR 164/08, AP Nr. 40 zu § 7 BUrlG unter III.1.b)bb) der Gründe. 2283

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laubs, ist die Kurzarbeit einschlägig, nicht aber der Erholungsurlaub. Die Gewährung des Erholungsurlaubs wird aber auch dann nicht unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB, sondern gilt aufgrund des Widerrufs als nie erfolgt. Für eine Anwendung des § 275 BGB ist somit kein Raum.2284 Unabhängig davon ist eine Anrechnung auf das Urlaubskontingent abzulehnen. Angerechnet werden darf nur, wenn der betreffende Zeitraum auch tatbestandlich als Urlaub gewertet wird. Das BAG geht in dem von ihm entschiedenen Fall aber gerade davon aus, dass die Freistellung nicht aufgrund des Erholungsurlaubs erfolgt, sondern infolge von Kurzarbeit. Die Urlaubsgewährung soll hingegen gerade unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB sein. Es ist nicht konsequent und entbehrt jeder gesetzlichen Grundlage, einen Tag, der nicht als Urlaubstag gilt, vom Urlaubskontingent des Arbeitnehmers abzuziehen. Auch mit einem vermeintlichen Umkehrschluss aus § 9 BUrlG lässt sich eine Anrechnung nicht begründen. Der Umkehrschluss ist schon als solcher abzulehnen, da diese Vorschrift einen allgemeinen und analogiefähigen Rechtsgedanken enthält.2285 Doch selbst wenn man einen Umkehrschluss bejahte, ließe sich darauf eine Anrechnung nicht stützen. Aus dem Umkehrschluss folgte lediglich, dass der Arbeitnehmer das Risiko einer Verfehlung des Erholungszwecks des Urlaubs zu tragen hätte. Indes soll laut BAG wegen der Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB der Urlaub schon tatbestandlich gar nicht einschlägig sein. Infolgedessen muss während der betreffenden Zeit auch kein Erholungszweck gewahrt werden. Dann aber ist die Frage, ob man dem Arbeitnehmer das Risiko einer Verfehlung des Erholungszwecks zuweist, sinnlos. Schließlich kommt noch hinzu, dass die Anrechnung eines Arbeitstages auf das Urlaubskontingent des Arbeitnehmers ohne Zahlung des Urlaubsentgelts für diesen Zeitraum gegen die europarechtlichen Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG verstößt. Danach müssen dem Arbeitnehmer jährlich vier Wochen bezahlter Erholungsurlaub zustehen. Dieser Schutz ist nicht in vollem Umfang gewährleistet, wenn von dem Vierwochenkontingent des § 3 Abs. 1 BUrlG einzelne Tage abgezogen werden, ohne das hierfür eine Vergütung erfolgt. Des Weiteren vermag auch die Lösung des BAG nicht zu überzeugen, bei Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB grundsätzlich von einer Anrechnung auszugehen, sodann aber einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 283 BGB auf Nachgewährung von Urlaubstagen zu bejahen. Zweifelhaft ist bereits, ob ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 283 BGB überhaupt auf Nachgewährung von Urlaubstagen gerichtet sein kann. Hierfür kommt es darauf an, ob im Rahmen des Schadensersatzes statt 2284 Ebenfalls kritisch zur Anwendung von § 275 BGB Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 116, Fn. 151. 2285 Vgl. dazu oben § 9 C.IV.3.b)aa).

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der Leistung im Sinne der §§ 280 ff. BGB eine Naturalherstellung verlangt werden kann oder ob derartige Ansprüche nicht ausschließlich auf Schadensersatz in Geld gerichtet sein können.2286 Die überwiegende Ansicht bejaht zu Recht im Grundsatz eine Beschränkung auf Geldersatz.2287 Hierfür spricht vor allem die Formulierung „Schadensersatz statt der Leistung“, die deutlich macht, dass nicht die Leistung selbst, sondern ein Ersatz geleistet wird.2288 In Ausnahmefällen soll jedoch eine Naturalherstellung zulässig sein, wenn der Gläubiger daran unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ein berechtigtes Interesse hat.2289 Ein solches berechtigtes Interesse könnte man hier vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung des Erholungszwecks des Urlaubs im Sinne des BUrlG bejahen. Diesem Gesetz liegt die Wertung zugrunde, dass vorrangig Urlaub in Anspruch genommen werden soll, ehe eine Abgeltung erfolgt (vgl. insbesondere § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG).2290 Auch die Wertung von Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG, wonach dem Arbeitnehmer vier Wochen bezahlter Erholungsurlaub und nicht bloß eine Abgeltung in Geld zustehen müssen, spricht dafür, im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung eine Naturalherstellung zuzulassen. Unter diesen Gesichtspunkten spricht einiges dafür, in der hier diskutierten Konstellation ausnahmsweise auch bei Schadensersatz statt der Leistung eine Naturalherstellung zuzulassen. Dieser Lösung steht jedoch noch ein anderes Problem im Wege: Da nach der Auffassung des BAG der Urlaubsanspruch nach § 275 Abs. 1 BGB untergegangen ist, stellt es insoweit folgerichtig auf § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 283 BGB als Anspruchsgrundlage ab. Ist die Leistung aber unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB geworden, kann überhaupt keine Naturalherstellung mehr erfolgen.2291 Es liegt gerade im Wesen der Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB, dass der Leistungserfolg nicht mehr eintreten kann. Bejahte man eine Verpflichtung des Schuldners zu Nachleistung trotz Unmöglichkeit, würden die Regeln über die Leistungsgefahr umgegangen.2292 Im Falle der Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB soll der Schuldner gerade von der Leistungspflicht frei werden und nicht – theoretisch unbegrenzt – zur Nachleistung verpflichtet bleiben. Es ist daher widersprüchlich, wenn das BAG einerseits auf § 275 und § 283 BGB abstellt und andererseits eine Naturalherstellung bejaht. Wollte es an letzterer festhalten, müsste es nicht auf § 283 BGB, 2286 Vgl. zu diesem Problemkreis Staudinger-Otto § 280 Rn. E 86 f.; MüKoBGBEmmerich Vor § 281 Rn. 5. 2287 Vgl. Staudinger-Otto § 280 Rn. E 87; MüKoBGB-Emmerich Vor § 281 Rn. 5. 2288 Vgl. Staudinger-Otto § 280 Rn. E 87; MüKoBGB-Emmerich (5. Auflage) Vor § 281 Rn. 8. 2289 Vgl. Staudinger-Otto § 280 Rn. E 87; MüKoBGB-Emmerich Vor § 281 Rn. 5. 2290 Vgl. hierzu Arnold/Tillmanns-Arnold § 7 Rn. 176. 2291 Huber/Faust Schuldrechtsmodernisierung-Faust 3. Kapitel Rn. 182; a. A. offenbar MüKoBGB-Emmerich Vor § 281 Rn. 5. 2292 Huber/Faust Schuldrechtsmodernisierung-Faust 3. Kapitel Rn. 182.

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sondern auf § 281 BGB abstellen. In diesem Fall dürfte das BAG aber keine Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB annehmen, sondern müsste von einer Nichtleistung der Freistellung durch den Arbeitgeber trotz Möglichkeit ausgehen – was in der vorliegenden Konstellation dogmatisch wohl kaum zu begründen wäre. Bleibt das BAG hingegen bei seiner Konzeption einer Unmöglichkeit des Urlaubsanspruchs, ist eine Naturalherstellung ausgeschlossen. In Betracht kommt keine Nachgewährung, sondern nur eine Abgeltung. Diese Erwägungen zeigen, dass der vom BAG gewählte Lösungsweg mit der schuldrechtlichen Dogmatik der §§ 280 ff. BGB nicht in Einklang zu bringen ist. Davon abgesehen überzeugt die Lösung des BAG über die § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 283 BGB auch aus einem anderen Grund nicht. Das Vertretenmüssen der Unmöglichkeit lässt sich nicht mit einem pauschalen Verweis auf die Beteiligung des Arbeitgebers an der Vereinbarung von Kurzarbeit zu bejahen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass das BAG hier ergebnisorientiert vorgegangen ist. Eine derartige Vereinbarung kommt gleichermaßen durch Beteiligung der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite zustande. Die Mitverantwortlichkeit des Arbeitnehmers schließt zwar das Vertretenmüssen des Arbeitgebers nicht aus, wäre aber auf Rechtsfolgenseite über § 254 Abs. 1 BGB in Ansatz zu bringen. Konsequenterweise hätte das BAG die Zahl der nachzugewährenden Urlaubstage entsprechend den Verantwortungsbeiträgen reduzieren müssen. Nach alledem ist die vom BAG gewählte Lösung abzulehnen. Auch der Verweis Düwells und Bauer/Kerns auf § 615 S. 3 BGB verfängt nicht. Es bedarf bereits dieses „Umwegs“ nicht, um den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers zu sichern, wenn man anerkennt, dass ein Arbeitstag, an dem der Urlaub als Ausfallgrund durch Kurzarbeit verdrängt wird, nicht vom Urlaubskontingent abgezogen werden kann, oder indem man den dogmatisch nicht überzeugenden Weg über § 275 Abs. 1 BGB ablehnt. Davon abgesehen ist eine Anwendung des § 615 S. 3 BGB zur Begründung eines Vertretenmüssens im Sinne des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB dogmatisch zweifelhaft. Mit § 615 S. 3 BGB wollte der Gesetzgeber die zuvor „richterrechtlich“ entwickelte Betriebsrisikolehre kodifizieren.2293 Diese sollte dem Arbeitnehmer einen Entgeltanspruch auch in Fällen sichern, in denen der Umstand für die Annahmeunmöglichkeit aus der Sphäre des Arbeitgebers rührt und das BGB Schutzlücken aufweist. Es handelt sich bei ihr um eine Gefahrtragungsregel, die nicht entwickelt worden ist, um im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs in Abweichung von § 276 BGB ein Vertretenmüssen des Arbeitgebers zu begründen.2294 Auch der Gesetzesbegründung zu § 615 S. 3 BGB lässt sich ein solcher Zweck nicht entnehmen.2295 2293

Vgl. dazu oben § 5 I.I. Vgl. zum Zweck und Charakter der Betriebsrisikolehre oben § 5 I.II. 2295 Vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 14/6857, S. 47 f., in der das Betriebsrisiko des Arbeitgebers nur im Zusam2294

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Vorzugswürdig ist demgegenüber folgende Lösung: Ein tatbestandliches Nebeneinander von bezahltem Erholungsurlaub und unbezahlter Freistellung infolge von Kurzarbeit für denselben Zeitraum ist ausgeschlossen. Hat der Arbeitgeber sowohl Urlaub gewährt als auch Kurzarbeit eingeführt, ist das Vorrangverhältnis durch Auslegung der Willenserklärungen der Parteien zu ermitteln. Eine derartige Lösung verfolgt im Ansatz auch das BAG,2296 allerdings ohne explizit ein tatbestandliches Exklusivverhältnis anzunehmen.2297 Bei der Auslegung sind gemäß den allgemeinen Regeln über die Auslegung von Willenserklärungen nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. § 133, 157 BGB) ausdrückliche und konkludente Erklärungen zu berücksichtigen. Ergänzend muss man gegebenenfalls die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regeln über das Verhältnis sich widersprechender Erklärungen heranziehen.2298 Insoweit sind insbesondere das Rangprinzip, das in § 4 Abs. 3 Var. 2 TVG verankerte Günstigkeitsprinzip, das Spezialitätsprinzip sowie das Ordnungsprinzip zu erwähnen.2299 Vor diesem Hintergrund ist der vom BAG in der besagten Entscheidung verfolgte Ansatz zweifelhaft, einen Vorrang der Betriebsvereinbarung, mit der die Kurzarbeit eingeführt wird, gegenüber der individuellen Urlaubsgewährung mit der zwingenden Wirkung der Betriebsvereinbarung zu rechtfertigen.2300 Da das BAG in der Folge im konkreten Fall aufgrund der angeblichen Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung einen ersatzlosen Fortfall der in Rede stehenden Urlaubstage annimmt, wäre ein Vorrang des Urlaubs mit entsprechender Vergütung nach § 11 BUrlG für den Arbeitnehmer zweifelsohne günstiger. Das Rangprinzip, auf das das BAG hier zurückgreift, muss gegenüber dem Günstigkeitsprinzip zurückstehen.2301 Daher hätte das BAG konsequenterweise einen Vorrang des Urlaubs bejahen müssen. Die nach diesen Grundsätzen vorgenommene Auslegung kann je nach den Umständen des Einzelfalls zu vielen verschiedenen denkbaren Ergebnissen führen. Diese nachzuzeichnen, würde den hier vorhandenen Rahmen sprengen.2302

menhang mit der Einschränkung der Arbeitnehmerhaftung erwähnt wird, nicht aber im Zusammenhang mit der Begründung der Haftung des Arbeitgebers. 2296 BAG 16.12.2008 – 9 AZR 164/08, AP Nr. 40 zu § 7 BUrlG. 2297 Im Ansatz ähnlich Bauer/Kern NZA 2009, S. 925, 927–929; vgl. auch Walker SAE 2010, S. 70, 71 f. 2298 Vgl. dazu schon oben § 9 C.V.1.c)aa). 2299 ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 236–239; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing Vor § 611 BGB Rn. 154; vgl. auch Hromadka/Maschmann Arbeitsrecht I § 2 Rn. 71–75; dieselben Arbeitsrecht II § 13 Rn. 276–308. 2300 Mit Recht ebenfalls kritisch Lunk BB 2005, S. 1984; dem BAG zustimmend hingegen Bauer/Kern NZA 2009, S. 925, 928; Walker SAE 2010, S. 70, 71 f. 2301 ErfK-Preis § 611 BGB Rn. 238; Henssler/Willemsen/Kalb-Thüsing Vor § 611 BGB Rn. 154. 2302 Ein guter Überblick über mögliche Konstellationen findet sich bei Bauer/Kern NZA 2009, S. 925, 927–929, die allerdings verkennen, dass Betriebsvereinbarungen über die Einführung von Kurzarbeit auch in Ermangelung einer ausdrücklichen Rege-

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Es lässt sich aber allgemein Folgendes festhalten: Ist nach der gebotenen Auslegung Erholungsurlaub einschlägig und nicht Kurzarbeit, wird der Tag auf das Urlaubskontingent angerechnet und nach den Grundsätzen des § 11 BUrlG vergütet. Soll hingegen Kurzarbeit der maßgebliche Ausfallgrund sein, ist eine Vergütung ebenso wie eine Anrechnung ausgeschlossen. (b) Verkürzung der täglichen Arbeitszeit Deutlich übersichtlicher ist das Meinungsbild hinsichtlich des Verhältnisses von Kurzarbeit und Erholungsurlaub für den Fall, dass infolge der Kurzarbeit nicht einzelne Arbeitstage komplett ausfallen, sondern die Arbeitszeit an einzelnen oder allen Arbeitstagen reduziert wird. Nach einhelliger Meinung in der Literatur gilt in einem solchen Fall der gesamte Tag als Urlaubstag.2303 Soweit an einem solchen Arbeitstag trotz Kurzarbeit Arbeitszeit verbleibt, kann naturgemäß nur der Urlaub den Arbeitsausfall hervorrufen. Im Übrigen, das heißt hinsichtlich derjenigen täglichen Arbeitszeit, die infolge der Kurzarbeit wegfallen soll, ist zu entscheiden, ob Urlaub oder Kurzarbeit einschlägig ist. Beide Ausfallgründe können nicht gleichzeitig eingreifen, da sie – wie erläutert – tatbestandlich in einem Exklusivitätsverhältnis stehen.2304 Um den einschlägigen Tatbestand zu ermitteln, ist auf die Erklärungen abzustellen, die der Urlaubsgewährung und der Einführung von Kurzarbeit zugrunde liegen.2305 Soll danach Urlaub einschlägig sein, wird der betreffende Zeitraum auf das Urlaubskontingent angerechnet, und der Arbeitnehmer erhält das Urlaubsentgelt. Greift hingegen die Kurzarbeit, kommen Entgeltansprüche gegen den Arbeitgeber nicht in Betracht. Bei der Auslegung muss berücksichtigt werden, dass die übrige Arbeitszeit an dem besagten Tag ausschließlich infolge des Urlaubs ausfallen kann. Ergibt die Auslegung der Erklärungen der Parteien einen Vorrang der Kurzarbeit, kommt es zu dem in der Praxis schlecht handhabbaren Ergebnis, dass ein Teil der Arbeitszeit an einem Tag durch Erholungsurlaub und der Rest aufgrund von Kurzarbeit ausfällt. Eine Anrechnung auf das Urlaubskontingent hat dann gegebenenfalls nach Bruchteilen zu erfolgen.2306 lung über das Verhältnis zu bezahltem Erholungsurlaub einer diesbezüglichen Auslegung zugänglich sind. 2303 MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 37; Kittner/Zwanziger/Deinert-Litzig § 49 Rn. 300; KassArbR-Schütz 2.4 Rn. 508; ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 24; HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 65; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 48; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 66. 2304 Vgl. oben § 9 C.V.1.c)aa) und § 9 C.V.1.c)bb)(2)(a). 2305 Im Ansatz wiederum ähnlich Bauer/Kern NZA 2009, S. 925, 927–929. 2306 Eine Urlaubsgewährung nach Bruchteilen ist dem BUrlG auch jenseits des § 5 Abs. 2 BUrlG nicht fremd, vgl. BAG 14.2.1991 – 8 AZR 97/90, AP Nr. 1 zu § 3 BUrlG Teilzeit; Leinemann/Linck § 3 BUrlG Rn. 38.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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(3) Folgen von Kurzarbeit für die Höhe des Urlaubsentgelts Schließlich ist noch zu untersuchen, welche Folgen die Einführung von Kurzarbeit auf die Höhe des Urlaubsentgelts haben kann. Dabei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: Zum einen kann Kurzarbeit während des Referenzzeitraums des § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG (dazu (a)) auftreten, zum anderen – aufgrund der tatbestandlichen Exklusivität allerdings nur vermeintlich – während des Urlaubszeitraums (dazu (b)). Des Weiteren ist auf die Konsequenzen einzugehen, die sich aus der „Tirol“-Entscheidung des EuGH für die Höhe der Urlaubsentgelts ergeben (dazu (c)). Vorab sei daran erinnert, dass sich das konkrete Urlaubsentgelt als Produkt aus einem Geld- und einem Zeitfaktor ergibt.2307 Der Geldfaktor gibt den Geldwert der ausgefallenen Arbeitszeit an (zum Beispiel die Höhe des Stundenlohns) und richtet sich nach § 11 BUrlG, der in modifizierter Form die Bezugsmethode zugrunde legt. Der Zeitfaktor spiegelt den Umfang der Arbeitszeit wider, für die der nach dem Geldfaktor ermittelte Betrag gezahlt wird (zum Beispiel die Anzahl der ausgefallenen Arbeitsstunden) und wird nach dem Lohnausfallprinzip berechnet. (a) Kurzarbeit im Referenzzeitraum Tritt Kurzarbeit in dem von § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG in Bezug genommenen Referenzzeitraum (13 Wochen) auf, wird dadurch alleine der Geldfaktor berührt. Hinsichtlich des Zeitfaktors wird das Lohnausfallprinzip angewendet, wonach nicht auf die im Referenzzeitraum geleistete Arbeit, sondern die hypothetische Arbeitsleistung im Urlaubszeitraum abzustellen ist. Die Berechnung des Geldfaktors wird in § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG modifiziert. Unter anderem bleiben Verdienstkürzungen, die im Referenzzeitraum infolge von Kurzarbeit eintreten, außer Betracht. Dadurch soll der Arbeitnehmer privilegiert und ebenso gestellt werden, als hätte keine Kurzarbeit stattgefunden.2308 Dieses Ziel lässt sich, sofern durch die Kurzarbeit ganze Arbeitstage ausfallen, auf zwei unterschiedlichen Wegen erreichen. Wie erläutert worden ist, muss zur Ermittlung des durchschnittlichen Tagesverdienstes im Referenzzeitraum der Gesamtverdienst durch die Anzahl der Tage geteilt werden, an denen der Arbeitnehmer gearbeitet hat.2309 Zum einen könnte man die infolge der Kurzarbeit ausgefallenen Tage im Divisor (= Zahl der Tage, an denen gearbeitet wurde) unberücksichtigt lassen, ohne den Gesamtverdienst zu ändern. Zum anderen könnte man auch 2307

Vgl. dazu ausführlich oben § 4 B.III. Vgl. ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 24; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 62; ferner HK-ArbR-Holthaus § 11 BUrlG Rn. 19 f. 2309 Siehe oben § 5 F.IV.2. 2308

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

die infolge der Kurzarbeit ausgefallenen Tage im Divisor berücksichtigen und dafür den Gesamtverdienst um jenen Betrag erhöhen, den der Arbeitnehmer verdient hätte, wenn nicht kurz gearbeitet worden wäre. Im Schrifttum hat sich zu Recht die letztgenannte Ansicht durchgesetzt.2310 Zwar ist mit dem erstgenannten Ansatz größere Rechtssicherheit verbunden, da er die andernfalls erforderliche hypothetische Betrachtung entbehrlich macht. Hypothetische Betrachtungen sind aber im Entgeltfortzahlungsrecht angesichts der raumgreifenden Anwendung des Lohnausfallprinzips nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Es ist nicht bekannt, dass es dadurch zu nennenswerten Problemen in der Praxis kommt. Für die zweitgenannte Ansicht spricht hingegen der Wortlaut des § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG. Danach bleiben Verdienstkürzungen außer Betracht. Das legt nahe, statt von einem durch Kurzarbeit gekürzten Gesamtverdienst von einem (hypothetischen) vollen Gesamtverdienst auszugehen. Ebenfalls für die zweitgenannte Auffassung spricht folgende systematische Überlegung: Fallen durch die Kurzarbeit keine ganzen Arbeitstage aus, sondern verkürzt sich nur die tägliche Arbeitszeit, ist eine hypothetische Betrachtung die einzige Möglichkeit, um der Anordnung des § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG gerecht zu werden. Es ist aber kein Grund ersichtlich, für die beiden unterschiedlichen Arten von Kurzarbeit zwei verschiedene Berechnungsansätze zu verwenden. Hinzu kommt noch, dass eine Berücksichtigung der Kurzarbeit nach der erstgenannten Ansicht in gleicher Weise schon alleine nach § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG vorgenommen würde. § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG käme hiernach also keine eigenständige Bedeutung, sondern nur klarstellende Funktion zu. Es ist aber unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber eine überflüssige Vorschrift normieren wollte. Nach alledem ist die zweitgenannte Auffassung vorzuziehen. (b) Kurzarbeit „während“ des Urlaubszeitraums Somit bleibt noch zu klären, welche Konsequenzen sich für die Höhe des Urlaubsentgelts ergeben, wenn Kurzarbeit „während“ des Urlaubszeitraums auftritt. Dabei ist noch einmal hervorzuheben, dass eine tatsächliche tatbestandliche Kollision der beiden Ausfallgründe gar nicht möglich ist, weil beide in einem Exklusivitätsverhältnis stehen. Daher geht es hier nur um die Frage nach der Rechtslage, wenn der Urlaub einschlägig ist, aber Kurzarbeit gearbeitet würde, wenn der Arbeitnehmer nicht im Urlaub wäre. Die meisten Stimmen in der Literatur differenzieren insoweit wiederum danach, ob aufgrund von Kurzarbeit die Zahl der wöchentlichen Arbeitstage reduziert wird oder ob diese gleich bleibt und lediglich die tägliche Arbeitszeit verkürzt wird. 2310 ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 24; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 62; KassArbR-Schütz 2.4 Rn. 504; Neumann/Fenski § 11 Rn. 49; Kittner/Zwanziger/Deinert-Litzig § 49 Rn. 299; MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 36; HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 63; wohl auch Bulla DB 1965, S. 1517, 1555, 1557.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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In der erstgenannten Konstellation wird – wie oben2311 bereits erläutert – ein breites Meinungsspektrum in Bezug auf die Frage vertreten, unter welchen Voraussetzungen überhaupt Urlaubsentgelt gezahlt wird. Alle Autoren sind sich aber, soweit ersichtlich, darüber einig, dass sofern ein Tag als Urlaubstag gilt, der Arbeitnehmer das volle Urlaubsentgelt nach § 11 BUrlG beanspruchen kann. Unstreitig ist ferner, dass Arbeitstage, die von der Kurzarbeit nicht berührt werden sollen, ohnehin als Urlaubstage anzusehen sind und den Arbeitnehmer zum Bezug von Urlaubsentgelt berechtigen. Nach der hier vertretenen Auffassung gelten ähnliche Grundsätze: Da Urlaub und Kurzarbeit in einem Exklusivitätsverhältnis stehen, können nicht beide zur gleichen Zeit einschlägig sein. Urlaubsentgelt ist entsprechend dem Lohnausfallprinzip für alle Arbeitstage zu zahlen, die infolge des Urlaubs und nicht wegen der Kurzarbeit ausfallen. Demgegenüber ergeben sich Besonderheiten in der zweiten Konstellation, nämlich soweit Kurzarbeit in der Weise eingeführt wird, dass die Anzahl der Arbeitstage gleich bleibt und lediglich an einigen oder allen Tagen die tägliche Arbeitszeit verkürzt wird. Insoweit gilt, wie bereits erläutert, nach einhelliger Meinung in der Literatur der gesamte Tag als Urlaubstag.2312 Differenzen bestehen aber, was die Höhe der dafür zu zahlenden Vergütung angeht. Nach einer Ansicht erhält der Arbeitnehmer für einen solchen Tag das volle Urlaubsentgelt, auch wenn einige Stunden (auch) infolge der Kurzarbeit ausfallen sollen.2313 Hierfür spricht insbesondere, dass auch eine volle Anrechnung des Arbeitstages auf das Urlaubskontingent erfolgt. Da europarechtlich eine Gewährung von vier Wochen bezahltem Erholungsurlaub geboten ist, wäre ein teilweiser Fortfall der Vergütung bei voller Anrechnung des Urlaubstages problematisch. Die überwiegende Meinung will demgegenüber nur die von der Kurzarbeit unberührten Arbeitsstunden mit Urlaubsentgelt vergüten.2314 Diese Kürzung des Urlaubsentgelts trotz voller Anrechnung ergebe sich aus dem Lohnausfallprinzip, das auf den Zeitfaktor anwendbar sei.2315 Zudem soll auf diesem Wege eine Gleichstellung zwischen arbeitenden und im Urlaub befindlichen Mitarbeitern erreicht werden.2316

2311

Vgl. dazu oben § 9 C.V.1.c)bb)(2)(a). MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 37; Kittner/Zwanziger/Deinert-Litzig § 49 Rn. 300; KassArbR-Schütz 2.4 Rn. 508; ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 24; HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 65; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 48; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 66. 2313 Kittner/Zwanziger/Deinert-Litzig § 49 Rn. 300. 2314 MünchArbR-Düwell § 79 Rn. 37; KassArbR-Schütz 2.4 Rn. 508; ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 24; Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 66; HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 65; Henssler/Willemsen/Kalb-Schinz § 11 BUrlG Rn. 48. 2315 Leinemann/Linck § 11 BUrlG Rn. 66; HK-BUrlG-Oppermann § 11 BUrlG Rn. 65. 2316 ErfK-Gallner § 11 BUrlG Rn. 24. 2312

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Nach hier vertretener Auffassung müssen im Anschluss an die obigen2317 Ausführungen folgende Gesichtspunkte maßgeblich sein: Soweit an dem betreffenden Arbeitstag die Arbeitszeit von der Kurzarbeit unberührt bleibt, kann einzig der bezahlte Erholungsurlaub eingreifen. Diese Zeit wird auf den Urlaub angerechnet und auch wie Urlaubszeit vergütet. Da es sich nur um einen Teil eines Arbeitstages handelt, kann die Vergütung ebenso wie die Anrechnung für diesen Zeitraum nur nach Bruchteilen eines Urlaubstages erfolgen. Soweit an dem betreffenden Arbeitstag die Arbeitszeit infolge der Kurzarbeit verringert werden soll, entscheidet die Auslegung der Erklärungen, die der Urlaubsgewährung und der Vereinbarung von Kurzarbeit zugrunde liegen, über den einschlägigen Ausfallgrund. Greift die Kurzarbeit ein, wird für diese Zeit kein Entgelt bezahlt. Es bleibt dann für die übrige von der Kurzarbeit unberührte Arbeitszeit bei der eben beschriebenen Anrechnung und Vergütung nach Bruchteilen. Ist hingegen der Urlaub einschlägig, gilt der ganze Arbeitstag als Urlaub. Dann wird auch für diesen Teil der Arbeitszeit des Tages – zusätzlich zu dem von der Kurzarbeit unberührten Teil – unter Anrechnung auf das Urlaubskontingent Urlaubsentgelt gezahlt. Folglich erhält der Arbeitnehmer an einem solchen Tag das volle Urlaubentgelt für einen Urlaubstag, und ihm wird auch ein voller Urlaubstag auf sein Kontingent angerechnet. Dieser Lösung steht auch nicht, wie die überwiegende Ansicht in der Literatur meint, die Anwendung des Zeitfaktors auf das Lohnausfallprinzip entgegen. In den hier in Rede stehenden Konstellationen erfolgt eine volle Vergütung nur dann, wenn der Urlaub der alleinige Grund für den Arbeitsausfall ist. Die Kurzarbeit ist in solchen Fällen tatbestandlich gar nicht einschlägig. Sie ist daher im Rahmen des Lohnausfallprinzips nicht zu berücksichtigen. (c) Auswirkungen der „Tirol“-Entscheidung des EuGH Das Ergebnis der bisherigen Untersuchung des Verhältnisses von Erholungsurlaub und Kurzarbeit ist mit Blick auf die „Tirol“-Entscheidung des EuGH 2318 zu modifizieren. In dieser bereits oben2319 erwähnten Entscheidung hat der EuGH der Sache nach festgestellt, dass sich bei Verwirklichung eines Urlaubsanspruchs die Höhe des Urlaubsentgelts nach der Vergütungshöhe in dem Zeitpunkt richtet, in dem der Urlaubsanspruch erworben wurde. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Arbeitnehmer den Urlaub vor der Arbeitsverkürzung nicht in Anspruch nehmen konnte.2320 2317

Vgl. oben § 9 C.V.1.c)bb)(2)(b). EuGH 22.4.2010 – C-486/08 (Zentralbetriebsrat der Landeskrankenhäuser Tirols/Land Tirol), NZA 2010, S. 557. 2319 Vgl. oben § 9 C.V.1.c)bb)(1)(b). 2320 Vgl. auch Fieberg NZA 2010, S. 925, 929. 2318

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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Um diese Aussage des EuGH nachvollziehen zu können, muss man sich vor Augen führen, dass der EuGH einem anderen Verständnis des Verhältnisses des Anspruchs auf Urlaub und des Anspruchs auf Urlaubsentgelt folgt als das BAG.2321 Das BAG geht in ständiger Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung davon aus, dass beide Ansprüche voneinander abzuschichten sind.2322 Aus § 1 BUrlG folge zum einen ein Freistellungsanspruch, zum anderen die Aufrechterhaltung des arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruchs für die Urlaubszeit. Der Anspruch auf Urlaubsentgelt entsteht danach nicht gleichzeitig mit dem Erwerb des Urlaubsanspruchs, sondern erst mit dessen Realisierung. Demgegenüber versteht der EuGH die Ansprüche auf Jahresurlaub und Urlaubsentgelt als zwei Teile eines einheitlichen Anspruchs. Dieser soll gänzlich, also auch im Hinblick auf das Urlaubsentgelt, nicht erst mit Inanspruchnahme des Urlaubs entstehen, sondern bereits im Zeitpunkt des Erwerbs des Urlaubsanspruches.2323 Aus dieser Verbindung leitet der EuGH einen Bezug des Urlaubsentgelts zur Höhe der Vergütung in dem Zeitpunkt ab, in dem der Urlaubsanspruch erworben wurde. Aufgrund der Pflicht zur europarechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts muss diese dogmatische Konstruktion des EuGH im deutschen Recht bei Teilzeitbeschäftigten und damit ebenfalls bei kurzarbeitenden Arbeitnehmern, für die keine „Kurzarbeit null“ angeordnet ist, in den Grenzen berücksichtigt werden.2324 Soweit der Wortlaut der deutschen Gesetze eine derartige Auslegung zulässt, ist bei der Berechnung des Urlaubsentgelts für den Urlaub, der vor der Arbeitszeitverkürzung erworben wurde, auf die bei der Entstehung des Urlaubsanspruchs geltende Arbeitszeit abzustellen. Wenn der Arbeitnehmer also ab Juli eines Jahres kurzarbeitet und unmittelbar anschließend Urlaub nimmt, muss er das Urlaubsentgelt auf Vollzeitbasis erhalten, soweit der Urlaub im ersten Halbjahr erworben wurde und noch nicht verbraucht werden konnte.2325 Das deutsche Recht lässt eine solche richtlinienkonforme Auslegung zu, soweit es um die abweichende Konstruktion des Verhältnisses des Anspruchs auf Urlaub zu dem Anspruch auf Urlaubsentgelt geht. Das dogmatische Verständnis des BAG ist im Gesetz nicht ausdrücklich festgeschrieben. Allerdings verlangt der EuGH darüber hinaus auch noch, dass die Höhe des Urlaubsentgelts der Vergü2321

Vgl. zum Folgenden Fieberg NZA 2010, S. 925, 928 f. Siehe oben § 5 F.I. 2323 Ähnlich wie der EuGH verfuhr bereits das RAG, das auf Grundlage der Theorie vom Doppelanspruch (vgl. dazu oben § 5 F.I.) annahm, der Urlaubsanspruch werde abschnittsweise jeweils für bestimmte Zeiträume erworben, vgl. RAG 11.2.1930 – RAG. 351/29, ARS 8, S. 280, 284. 2324 A. A. wohl Rudkowski, NZA 2012, S. 74, 76, die die EuGH-Rechtsprechung auf Grund der abweichenden dogmatischen Konzeption beider Gerichte für irrelevant hält. 2325 Beispiel in Anlehnung an Fieberg NZA 2010, S. 925, 929. 2322

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

tung bei Erwerb des Urlaubsanspruchs entspricht. Insoweit ist eine richtlinienkonforme Auslegung problematisch, weil es im Einzelfall vorkommen kann, dass die nach § 11 Abs. 1 BUrlG vorgeschriebene Berechnung diesen Anforderungen nicht genügt. Nach dieser Vorschrift ist auf einen bestimmten Referenzzeitraum, nämlich die letzten 13 Wochen vor Beginn des Urlaubs, abzustellen. Demgegenüber kann nach der Ansicht des EuGH ein deutlich früherer Zeitpunkt maßgeblich sein. Ob § 11 Abs. 1 BUrlG eine entsprechende Änderung des Referenzzeitraums zulässt, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts des Satzes 1 sehr zweifelhaft. Auch § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG hilft insoweit nicht weiter, da diese Norm auf den Berechnungszeitraum im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG verweist.2326 Insoweit wird abzuwarten sein, wie sich die nationale höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage positionieren wird. Hält sie eine richtlinienkonforme Auslegung für unmöglich, bleibt dem Arbeitnehmer nur die Möglichkeit, die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.2327 d) Zusammentreffen mit Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB) Bei dem Zusammentreffen von bezahltem Erholungsurlaub mit Annahmeverzug im Sinne des § 615 S. 1 BGB handelt es sich um eine praktisch hochrelevante Fallgruppe. Sie steht insbesondere dann im Raum, wenn der Arbeitgeber gemäß § 7 BUrlG Urlaub für einen bestimmten Zeitraum gewährt hat und er dem Arbeitnehmer vor Urlaubsbeginn unwirksam kündigt – und zwar entweder fristlos oder dergestalt, dass das Ende der Kündigungsfrist vor dem Urlaub liegt oder in diesen fällt. Tatbestandlich kann es zu keiner Kollision kommen, weil während des bezahlten Erholungsurlaubs die Annahmeverzugsvoraussetzung des § 297 BGB nicht erfüllt sein kann. Insoweit könnte man schon an der Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers zweifeln, weil dieser die Festlegung des Urlaubszeitraums gemäß § 7 BUrlG beeinflusst und somit, jedenfalls, wenn er einen entsprechenden Urlaubswunsch geäußert hat, nicht bereit ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Diese Argumentation versagt indes, wenn der Arbeitnehmer im konkreten Fall seine Leistungswilligkeit trotz Urlaubs demonstriert, etwa, indem er an seinem Arbeitsplatz erscheint und seine Leistung anbietet. Daher lässt sich eine Lösung auf Tatbestandsebene nicht pauschal unter Verweis auf die fehlende Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers rechtfertigen. 2326 A. A. Powietzka/Christ NJW 2010, S. 3397, 3400, die die Vorschrift analog anwenden möchten. 2327 Vgl. EuGH 26.3.1996 – C-392/93 (British Telecom), Slg. 1996, I-1631 (Rn. 39– 42); EuGH 17.10.1996 – C-283/94 (Denkavit), Slg. 1996, I-5063 (Rn. 48–50).

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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Stattdessen kann man aber auf die mangelnde Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers infolge eines rechtlichen Hindernisses abstellen. Gemäß § 8 BUrlG ist dem Arbeitnehmer jegliche dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit untersagt. Auf diese Weise wird die Möglichkeit des Arbeitnehmers zur selbstbestimmten Erholung geschützt. Daher ist dem Arbeitnehmer die Erbringung seiner Arbeitsleistung während des Erholungsurlaubs verboten. e) Zusammentreffen mit rechtmäßiger Aussperrung Ob eine Kollision zwischen rechtmäßiger Aussperrung und bezahltem Erholungsurlaub tatbestandlich denkbar ist, wird lebhaft diskutiert. Das BAG hat diese Frage nicht abschließend entschieden, sich aber in einer Entscheidung aus dem Jahre 1988 dazu skeptisch geäußert.2328 Es führte darin aus, in aller Regel sei die Aussperrungserklärung des Arbeitgebers nicht auf die Aussperrung von Arbeitnehmern gerichtet, die sich bereits im Urlaub befänden. Häufig scheide eine Kollision bereits deshalb aus. Des Weiteren ist das BAG aber offenbar der Auffassung, die Aussperrung eines urlaubenden Arbeitnehmers sei stets mit dem Widerruf des Urlaubs und dessen späterer Nachgewährung verbunden.2329 Trifft das zu, liegt auch in einem solchen Fall keine Kollision vor. In der Literatur ist die Möglichkeit einer Kollision umstritten. Einige Stimmen folgen der Sichtweise des BAG.2330 Andere Autoren gehen noch weiter und lehnen die Möglichkeit einer Aussperrung während des Urlaubs oder einer Urlaubserteilung während einer Aussperrung gänzlich ab.2331 Brox2332 verweist zur Begründung darauf, dass der Arbeitgeber nicht im Wege der Aussperrung darüber entscheiden dürfe, ob die Erfüllung des Urlaubsanspruchs hinausgeschoben werde. Zudem könne durch den Verlust des Entgeltanspruchs bei Zulassung der Aussperrung die Möglichkeit einer zweckentsprechenden Gestaltung des Urlaubs zumindest beeinträchtigt werden.2333 Zunächst einmal ist dem BAG darin zuzustimmen, dass eine nicht individualisierte Aussperrungserklärung des Arbeitgebers häufig nicht auf die Aussperrung urlaubender Arbeitnehmer gerichtet ist. Zutreffend geht das BAG davon aus, dass 2328 BAG 31.5.1988 – 1 AZR 200/87, AP Nr. 58 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; zustimmend Matthes Lohnzahlung Rn. 135. 2329 Dabei lässt das BAG im Ergebnis offen, ob überhaupt ein zulässiger Widerrufsgrund vorliegt, äußert sich aber insoweit zurückhaltend. 2330 Kissel NZA 1989, S. 81, 85; im Ergebnis ebenfalls zustimmend Pieper Gemeinsame Anmerkung zu BAG 31.5.1988 – 1 AZR 200/87 und BAG 7.6.1988 – 1 AZR 597/ 86, ArbuR 1989, S. 218, 222 f.; Matthes Lohnzahlung Rn. 135. 2331 Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 195; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Brox Rn. 667; ErfK-Gallner § 1 BUrlG Rn. 38; wohl auch ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 265, 206–208. 2332 Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Brox Rn. 667. 2333 Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Brox Rn. 667.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

die Aussperrung urlaubender Arbeitnehmer für den Arbeitgeber häufig eher mit Nach- als mit Vorteilen verbunden ist. Insbesondere kann er zur Nachgewährung des Urlaubs verpflichtet sein. Daneben wird man aber eine tatbestandliche Exklusivität von Erholungsurlaub und Aussperrung auch in solchen Fällen annehmen müssen, in denen der Arbeitgeber die Aussperrung ausdrücklich (etwa durch namentliche Nennung) auf urlaubende Arbeitnehmer erstreckt. Insoweit gelten die Erwägungen entsprechend, die oben im Zusammenhang mit einer Kollision zwischen Erholungsurlaub und unbezahltem Urlaub angestellt wurden.2334 Die hier diskutierte Konstellation ist insoweit vergleichbar: Urlaubsgewährung und Aussperrung setzen jeweils eine entsprechende Willenserklärung des Arbeitgebers voraus, von denen eine auf eine bezahlte und die andere auf eine unbezahlte Freistellung gerichtet ist. Der Arbeitgeber kann nicht beide Erklärungen widerspruchsfrei abgeben. Daher ist der vorrangige Ausfallgrund durch Auslegung der auf die Urlaubsgewährung und die Aussperrung gerichteten Willenserklärungen des Arbeitgebers zu ermitteln. Zu Einzelheiten wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.2335 2. Lösung auf der zweiten Stufe a) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) Die Kollision zwischen bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) wird auf der zweiten Stufe durch § 9 BUrlG zugunsten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entschieden.2336 b) Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Ein tatbestandliches Zusammentreffen des bezahlten Erholungsurlaubs nach § 1 BUrlG mit dem Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist insbesondere möglich, wenn der Urlaub der Arbeitnehmerin bereits festgelegt ist und sie danach schwanger wird, was ein Beschäftigungsverbot im Sinne des § 3 Abs. 2 oder § 6 Abs. 1 MuSchG nach sich zieht. Dann kann keine Lösung auf der ersten Stufe erzielt werden. Auf der zweiten Stufe muss § 17 S. 2 MuSchG berücksichtigt werden, der § 24i Abs. 4 SGB V als lex specialis verdrängt. § 17 S. 2 MuSchG bestimmt, 2334 2335 2336

Vgl. oben § 9 C.V.1.c)aa). Vgl. oben § 9 C.V.1.c)aa). Vgl. zu Einzelheiten oben § 9 C.II.2.b).

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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dass die Arbeitnehmerin nach Ablauf der Mutterschutzfristen den Resturlaub im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr beanspruchen kann, wenn sie ihren Urlaub vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhalten hat. Zu diesen Beschäftigungsverboten gehören auch die Schutzfristen nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG.2337 Dem lässt sich die Wertung entnehmen, dass die Arbeitnehmerin während der Schutzfristen keinen Urlaub erhalten kann.2338 Andernfalls wäre § 17 S. 2 MuSchG überflüssig. Hinter dieser Wertung steht der Gedanke, dass sich das Urlaubskontingent der Schwangeren nicht vermindern soll, soweit die Arbeit infolge der Beschäftigungsverbote ausfällt.2339 Ist der Urlaub für die Zeit der Beschäftigungsverbote festgelegt worden, geht er nicht infolge nachträglicher Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB unter, sondern ist entsprechend § 17 S. 2 MuSchG nachzugewähren. Die entgegenstehende Rechtsprechung des BAG zu Beschäftigungsverboten im Sinne des § 11 MuSchG aus dem Jahre 19942340 ist mit der Einführung des § 17 S. 2 MuSchG im Jahre 2002 obsolet geworden. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG erlegt – wie oben2341 erläutert – den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf, einen Anspruch der Arbeitnehmer auf vier Wochen bezahlten Jahresurlaub zu gewährleisten. Diese Vorgabe wird durch § 1 BUrlG umgesetzt. Des Weiteren setzen die §§ 13, 14 MuSchG die Vorgabe von Art. 8 Abs. 1, Art. 11 Nr. 2 b) RL 92/85/EWG um, wonach die Mitgliedstaaten die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder einen Anspruchs auf eine angemessene Sozialleistung gewährleisten müssen. Der EuGH hat in der Rechtssache Merino Gómez entschieden, dass eine Anrechnung des Jahresurlaubs auf den Mutterschaftsurlaub (der in Deutschland durch die Beschäftigungsverbote der §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchG gewährt wird) gegen beide genannten Vorschriften und die Vorgängervorschrift des Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG verstößt.2342 Dabei 2337 2338

HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 17 MuSchG Rn. 9. Vgl. HK-MuSchG/BEEG-Pepping Vor §§ 3–8 MuSchG Rn. 44, § 17 MuSchG

Rn. 18. 2339

Vgl. HK-MuSchG/BEEG-Pepping Vor §§ 3–8 MuSchG Rn. 44, § 17 MuSchG

Rn. 18. 2340

BAG 9.8.1994 – 9 AZR 384/92, AP Nr. 19 zu § 7 BUrlG. Siehe oben § 5 F.II. 2342 Darüber hinaus hat der EuGH auch einen Verstoß gegen das Verbot der Entgeltdiskriminierung aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, inzwischen ersetzt durch die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, bejaht, vgl. EuGH 18.3. 2004 – C-342/01 (Merino Gómez), NZA 2004, S. 535, 537. 2341

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

stellte der EuGH maßgeblich auf den Zweck der beiden unterschiedlichen Urlaubsregelungen (Mutterschaftsurlaub und Erholungsurlaub) ab. Während der Erholungsurlaub einen wirksamen Schutz der Sicherheit und der Gesundheit des Arbeitnehmers sicherstellen solle, sei der Zweck des Mutterschaftsurlaubs der Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft sowie der Schutz der besonderen Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Kind während der Zeit, die sich an die Schwangerschaft und die Entbindung anschließe. Somit dienten beide Ansprüche unterschiedlichen Zwecken. Daher könne der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht als erfüllt angesehen werden, wenn der Mutterschaftsurlaub einer Arbeitnehmerin tatbestandlich mit ihrem festgelegten Jahresurlaub zusammentreffe.2343 c) Zusammentreffen mit Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Für das Verhältnis von Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG und bezahltem Erholungsurlaub gelten ähnliche Grundsätze. § 17 Abs. 2 MuSchG differenziert nicht zwischen Beschäftigungsverboten im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG und solchen im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG. Daher sind auch die letztgenannten erfasst, soweit sie einer Beschäftigung der Arbeitnehmerin gänzlich entgegenstehen. Ist das nicht der Fall, weil die Arbeitnehmerin bestimmte Tätigkeiten noch ausüben kann, greift § 17 S. 2 MuSchG nicht ein, so dass die Arbeitnehmerin Urlaub nehmen kann. Es liegt dann keine Kollision vor, da in einem solchen Fall die Arbeit nicht infolge eines in § 11 genannten Beschäftigungsverbots ausfällt und diese Vorschrift nicht eingreifen kann. Gegebenenfalls bereits festgelegter Urlaub ist gemäß § 17 S. 2 MuSchG nachzugewähren.2344 Die überwiegende Auffassung im Schrifttum hält demgegenüber den Erholungsurlaub für vorrangig.2345 Zur Begründung wird auf den Grundsatz der Monokausalität verwiesen, der aber – wie gezeigt2346 – abzulehnen ist. Soweit ein Vorrang des Erholungsurlaubs damit begründet wird, dass während individueller Beschäftigungsverbote im Sinne des § 11 MuSchG die Erholungsmöglichkeit nicht tangiert sei,2347 bezieht sich diese Aussage nur auf Fälle, in denen das Beschäftigungsverbot nicht zu einem gänzlichen Aussetzen mit der Arbeit führt. Dass § 17 S. 2 MuSchG insoweit einer Urlaubsgewährung während eines Be-

2343

EuGH 18.3.2004 – C-342/01 (Merino Gómez), NZA 2004, S. 535, 537. Wie hier Graue AiB 2002, S. 589, 592. 2345 Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 Rn. 16; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 22; HK-BUrlG-Oppermann § 9 BUrlG Rn. 13. 2346 Vgl. oben § 8 A.I.2. 2347 Buchner/Becker Vor §§ 3–8 MuSchG Rn. 50. 2344

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schäftigungsverbots nicht entgegensteht, ist zwar richtig, aber für die hier diskutierte Konkurrenz belanglos, da dann § 11 MuSchG mangels kausalen Arbeitsausfalls nicht einschlägig ist. Andere Gegenstimmen stammen aus der Zeit vor 2002 und konnten daher § 17 S. 2 MuSchG nicht berücksichtigen.2348 d) Zusammentreffen mit Elternzeit Ein Zusammentreffen von Elternzeit und Erholungsurlaub ist tatbestandlich möglich. In der Praxis kann ein solcher Fall insbesondere dann eintreten, wenn der Arbeitgeber den Erholungsurlaub bewilligt hat, ehe der Arbeitnehmer erklärt, während dieses Zeitraums Elternzeit in Anspruch zu nehmen. In einem solchen Fall scheidet eine Lösung auf Tatbestandsebene aus. Auf der zweiten Ebene ist § 17 Abs. 1 BEEG zu berücksichtigen. Danach kann der Arbeitgeber den Jahresurlaub des Arbeitnehmers für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen, soweit der Arbeitnehmer keine Teilzeitarbeit leistet.2349 Die Kürzungsmöglichkeit verstößt nicht gegen Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG, wonach jedem Arbeitnehmer vier Wochen bezahlter Erholungsurlaub zustehen müssen. Diese Gewährleistung steht unter dem Vorbehalt zulässiger einzelstaatlicher Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung des Urlaubs. Bei der fehlenden Inanspruchnahme von Elternzeit handelt es sich um eine solche Bedingung.2350 Die Konkurrenz von Elternzeit und Erholungsurlaub lässt sich durch § 17 BEEG indes nur lösen, wenn der Arbeitgeber auch die Kürzung des Erholungsurlaubs gegenüber dem Arbeitnehmer erklärt. Die Abgabe der Erklärung liegt in seinem billigen Ermessen.2351 Versäumt er eine solche Erklärung oder verzichtet er darauf, bleibt der Urlaubsanspruch ungekürzt bestehen. In diesem Fall setzt sich nach dem Willen des Gesetzgebers die Elternzeit durch.2352 Das folgt aus § 17 Abs. 2 und Abs. 3 BEEG, wonach der Arbeitnehmer für den ihm zustehen2348 Vgl. etwa BAG 9.8.1994 – 9 AZR 384/92, AP Nr. 19 zu § 7 BUrlG; LAG Düsseldorf 17.5.1974 – 3 Sa 137/74, DB 1974, S. 1872; Meisel/Sowka Vor § 3 MuSchG Rn. 25b ff.; Coester Anmerkung zu BAG 9.8.1994 – 9 AZR 384/92, SAE 1995, S. 197, 197; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 122. 2349 Arbeitet der Arbeitnehmer hingegen während der Elternzeit bei seinem Arbeitgeber in Teilzeit, greift § 17 BEEG gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 BEEG nicht ein. Dann muss sich im Umkehrschluss zu § 17 BEEG der bezahlte Erholungsurlaub gegen die Elternzeit durchsetzen (i. E. ebenso Matthes Lohnzahlung Rn. 278). 2350 Ebenso HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 17 BEEG Rn. 1 und ErfK-Gallner § 17 BEEG Rn. 2 jeweils unter Verweis auf EuGH 20.1.2009 – C-350/06 (Schultz-Hoff), NZA 2009, S. 135 ff.; im Ergebnis auch LAG Niedersachsen 16.11.2010 – 3 Sa 1288/10 – zitiert nach juris; a. A. ArbG Karlsruhe 16.12.2011 – 3 Ca 281/11, zitiert nach juris). 2351 BAG 28.7.1992 – 9 AZR 340/91, AP Nr. 3 zu § 17 BErzGG; Matthes Lohnzahlung Rn. 275; HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 17 BEEG Rn. 3, 5. 2352 Vgl. BAG 28.7.1992 – 9 AZR 340/91, AP Nr. 3 zu § 17 BErzGG.

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den Urlaub, den er vor Beginn der Elternzeit nicht genommen hat, nach Ende der Elternzeit Nachgewährung und subsidiär Abgeltung verlangen kann. Diese Regelung zeigt, dass während der Elternzeit kein Erholungsurlaub gewährt werden können soll. 3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands Sind konkurrierende Ausfallgründe nach Wertungsgesichtspunkten und Normzwecken gegenüber dem Erholungsurlaub vorrangig, ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet, die betreffende Urlaubszeit nachzugewähren.2353 Eine Anrechnung auf das Urlaubskontingent erfolgt nicht, da hierfür Voraussetzung ist, dass die Zeitspanne auch unter Konkurrenzgesichtspunkten als Urlaub gewertet wird. Soll nach den gesetzlichen Wertungen hingegen ein anderer Ausfallgrund vorrangig sein, kommt aber hinsichtlich der Vergütung kein Urlaubsrecht zum Tragen. Der Arbeitnehmer erhält in diesen Fällen kein Urlaubsentgelt. Somit ist es konsequent, den Tag auch nicht als Urlaubstag zu werten und nicht anzurechnen. aa) Verfehlung des Erholungszwecks Einige konkurrierende Ausfallgründe sind gegenüber dem Erholungsurlaub vorrangig, weil der Erholungszweck des Urlaubs zwingend verfehlt wird, wenn sie einschlägig sind. In diesen Fällen ist eine Nachgewährung unionsrechtlich geboten.2354 Bei diesen Ausfallgründen handelt es sich um bezahlte Freistellung für Stillzeit gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, Untersuchungen im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG, die Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 und 2 BetrVG2355 sowie die Teilnahme an Sprechstunden oder die sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats im Sinne des § 39 Abs. 3 BetrVG. Dieser Argumentation lässt sich nicht überzeugend entgegenhalten, dass der Arbeitnehmer sich freiwillig zu einer bestimmten Urlaubsgestaltung entschließt, wodurch die genannten Tatbestände ausgelöst werden. Zwar beruht die In-

2353 Im Ergebnis ebenso Wachter ArbuR 1982, S. 306 ff., soweit der Erholungszweck beeinträchtigt wird. 2354 Vgl. oben § 9 B.III.5. 2355 In Bezug auf das Verhältnis zu § 1 BUrlG ergibt sich zwischen § 44 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG kein Unterschied, da beide auf ähnlichen Erwägungen des Gesetzgebers (Anreizfunktion) beruhen; vgl. dazu oben § 9 B.III.19 und § 9 B.III.20. Die in der Literatur vertretene Gegenansicht (vgl. insbesondere GK-Weber § 44 Rn. 53; wohl auch MünchArbR-Joost § 224 Rn. 104), begründet die unterschiedliche Behandlung von Betriebsversammlungen im Sinne des Abs. 1 und Abs. 2 damit, dass nur auf Abs. 2 das Lohnausfallprinzip anzuwenden sei. Indes unterliegt nach richtiger Ansicht aus Abs. 1 dem Lohnausfallprinzip [vgl. oben § 5 P.I.4.a)].

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anspruchnahme von Stillzeit oder einer Untersuchung im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG ebenso wie die Teilnahme an einer Betriebsversammlung oder an einer Sprechstunde auf einer entsprechenden Entscheidung des Arbeitnehmers. Es entspricht aber dem Zweck dieser Tatbestände, dass der Arbeitnehmer diese Tätigkeiten auch während des Urlaubs ausüben darf, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Eine entsprechende Urlaubsgestaltung durch den Arbeitnehmer wird vom Gesetz daher unterstützt. Folglich ist es konsequent, dem Arbeitnehmer die entsprechende Urlaubszeit in Form einer Nachgewährung zukommen zu lassen. Daneben streiten verschiedene weitere Argumente für einen Vorrang der genannten Tatbestände. In Bezug auf § 16 S. 3 MuSchG spricht nicht zuletzt dessen europarechtlicher Hintergrund für den Vorrang dieser Vorschrift.2356 Dadurch wird eine unzulässige Absenkung des Vergütungsniveaus vermieden. Was die Teilnahme an Betriebsversammlungen und Sprechstunden betrifft, ist die von diesen Tatbeständen ausgehende Anreizfunktion zu berücksichtigen. Diese wird am effektivsten verwirklicht, wenn man die betreffende Zeit nicht auf den Jahresurlaub des Arbeitnehmers anrechnet.2357 Bei einer Kollision mit § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG widerspricht dessen Vorrang zwar der grundsätzlichen Subsidiarität dieses Tatbestands.2358 Diesem ist aber, verglichen mit den zwingenden hinter § 1 BUrlG stehenden europarechtlichen Wertungen, nur ein geringes Gewicht einzuräumen. bb) Besonderheiten bei Zusammentreffen mit Arbeitskampf Auch im Falle einer Kollision mit einem rechtmäßigen oder rechtswidrigen Streik kann man einen Vorrang dieser Gründe bereits aus der Verfehlung des Erholungszwecks ableiten.2359 Daneben kommen aber noch weitere Aspekte zum Tragen, die im Folgenden ebenso erörtert werden wie die Diskussion in Rechtsprechung und Literatur zu diesem Themenkreis. 2356 Siehe oben § 9 B.III.8.; im Ergebnis ebenso HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 16 MuSchG Rn. 9; Heilmann § 16 Rn. 16; Buchner/Becker § 16 Rn. 22a. 2357 Wie bereits oben unter § 9 C.II.3.a)bb) ausführlich erläutert, können weder die für eine Anwendung des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG (bei gleichzeitiger Weiterzahlung des Urlaubsentgelts) plädierende überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur (vgl. BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85, AP Nr. 5 zu § 44 BetrVG 1972; Weber § 44 Rn. 34 f.; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 5; im Grundsatz auch RichardiAnnuß § 44 Rn. 32 f.) noch eine von einem Vorrang des Erholungsurlaubs ausgehende Gegenmeinung in der Literatur (vgl. Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a–49c; HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27) überzeugen, da sie jeweils ihr Ergebnis aus der (vermeintlich) anwendbaren Berechnungsmethode ableiten. Dieser Ansatz ist kein taugliches Verfahren, um das Vorrangverhältnis zu ermitteln (vgl. auch oben § 8 A.II.). 2358 Vgl. dazu oben § 9 B.III.9. 2359 Für das Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub und Arbeitskampfrisiko gelten hingegen andere Gesichtspunkte, vgl. unten § 9 C.V.3.c)cc).

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(1) Rechtmäßiger Streik Ob Erholungsurlaub mit der Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik kollidieren kann, ist Gegenstand umfangreicher Diskussionen in Rechtsprechung und Literatur. Dabei wird diese Thematik häufig mit der Frage gleichgesetzt, ob ein Urlaubsentgelt zu zahlen ist oder nicht. Das BAG ist der Auffassung, ein bereits angetretener Urlaub werde nicht von einem während des Urlaubs im Betrieb des Arbeitnehmers beginnenden Streik berührt, sofern sich der Arbeitnehmer an diesem nicht beteilige.2360 Ob sich der Arbeitnehmer an dem Streik beteiligt hätte, wenn er sich nicht im Urlaub befunden hätte, sei unbeachtlich.2361 Beteilige sich ein Arbeitnehmer hingegen zunächst an einem Streik und begehre er sodann die Gewährung von Urlaub, sei Voraussetzung für eine wirksame Geltendmachung des Urlaubsanspruchs, dass der Arbeitnehmer zuvor seine Streikteilnahme beende und sich zur Wiederaufnahme der Arbeit bereit erkläre.2362 Tue er das nicht, streike er und befinde sich nicht im Urlaub. In der Literatur und der Instanzrechtsprechung stößt diese Linie auf ein geteiltes und differenziertes Echo. Die Ansicht, ein bereits angetretener Urlaub werde nicht von einem während des Urlaubs im Betrieb des Arbeitnehmers beginnenden Streik berührt, wird ganz überwiegend geteilt.2363 Das Erfordernis einer Streikteilnahmebeendigungserklärung beurteilen einige Stimmen hingegen kritisch, während andere es begrüßen.2364 Beispielsweise sieht Gutzeit darin einen unnötigen Formalismus, da der Arbeitnehmer trotz der Erklärung, die Arbeit wiederaufnehmen zu wollen, während des betreffenden Zeitraums keine Arbeitsleistung erbringen wolle.2365 Nach vorzugwürdiger Ansicht richtet sich das tatbestandliche Verhältnis von Urlaub und Streik nach den oben herausgearbeiteten Grundsätzen.2366 Eine Kollision ist gegeben, wenn die Voraussetzungen beider Arbeitsausfallgründe in Be2360

BAG 9.2.1982 – 1 AZR 567/79, AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG. BAG 9.2.1982 – 1 AZR 567/79, AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG. 2362 BAG 24. 9.1996 – 9 AZR 364/95, AP Nr. 22 zu § 7 BUrlG. 2363 ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 207; ErfK-Gallner § 1 BUrlG Rn. 39; HKBUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 87; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 198; Neumann/ Fenski § 3 Rn. 46; Boldt Anmerkung zu BAG 9.2.1982 – 1 AZR 567/79, AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG; Löwisch/Krauß AR-Blattei SD 170.3.1 Rn. 40; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 116; Matthes Lohnzahlung Rn. 519; Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 195 Rn. 12. 2364 Ablehnend etwa Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 116–120; zumindest teilweise kritisch Looschelders WiB 1997, S. 537; wie das BAG hingegen LAG Nürnberg 25.1.1995 – 4 Sa 1118/93, NZA 1995, S. 854, 855; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 208; HKBUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 87; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 196; wohl auch Löwisch/Krauß AR-Blattei SD 170.3.1 Rn. 39 f. 2365 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 118 f. 2366 Siehe oben § 9 B.I.1. 2361

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zug auf einen Arbeitnehmer gleichzeitig vorliegen. Befindet sich ein Arbeitnehmer im Urlaub und findet währenddessen in seinem Betrieb ein Streik statt, liegt keine Kollision vor, solange der Arbeitnehmer nicht seine Beteiligung an dem Arbeitskampf erklärt. Insoweit ist dem BAG zuzustimmen. Konsequenterweise muss man aber in dem (vom BAG nicht entschiedenen2367) Fall von einer Kollision ausgehen, wenn der urlaubende Arbeitnehmer während seines Urlaubs erklärt, sich von nun an am Streik zu beteiligen.2368 Nicht zu überzeugen vermag hingegen die Auffassung des BAG, der Arbeitnehmer könne keinen Urlaub antreten, sofern er nicht zuvor das Ende seiner Streikbeteiligung erklärt habe. Dieser Aussage liegt die Prämisse zugrunde, dass der Streik die Arbeitspflichten suspendiere und deswegen der Urlaub während des Streiks nicht eingreifen könne.2369 Die Unzulänglichkeit dieses Argumentationsmusters ist bereits ausführlich dargelegt worden.2370 Ebenfalls überzeugt es nicht, das Erfordernis einer Erklärung über die Beendigung der Streikteilnahme mit dem Grundsatz der Arbeitskampfparität zu begründen. Teilweise wird argumentiert, durch einen kollektiven Urlaubantritt vieler Arbeitnehmer entstehe dem Arbeitgeber ein übermäßiger Schaden, weil es nicht nur, wie bei einem Streik, zu einem Arbeitsausfall komme, sondern der Arbeitgeber auch noch den Arbeitnehmern das Urlaubsentgelt zu zahlen habe.2371 Diesem Argument ist nicht zu folgen. Erstens setzt ein massenhafter Urlaubsantritt

2367 Das BAG weist in BAG 9.2.1982 – 1 AZR 567/79, AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG zu I. der Gründe ausdrücklich darauf hin, dass in dem konkret zu entscheidenden Fall die Frage, ob ein Arbeitnehmer einen bewilligten Urlaub abbrechen kann, um sich am Streik zu beteiligen, keiner Entscheidung bedarf. Es trifft daher nicht zu, wenn HKBUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 88 Fn. 171 meint, das BAG habe in diesem Urteil entschieden, ein Arbeitnehmer könne seinen Urlaub abbrechen, um an einem Streik teilzunehmen; ungenau auch Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 199, die meinen, das BAG habe in besagter Entscheidung für möglich gehalten, dass ein Arbeitnehmer seinen Urlaub wegen des Arbeitskampfs abbrechen könne, um sich am Streik zu beteiligen. 2368 A. A. HK-BUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 88; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 199; wohl auch Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 195 Rn. 12. 2369 So BAG 15.6.1964 – 1 AZR 303/63, AP Nr. 35 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Nürnberg 25.1.1995 – 4 Sa 118/93, NZA 1995, S. 854, 854 f.; ErfK-Dieterich Art. 9 GG Rn. 208; ErfK-Gallner § 1 BUrlG Rn. 38; HK-BUrlG-Hohmeister § 1 BUrlG Rn. 87; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 195; Neumann/Fenski § 3 Rn. 46; wohl auch Löwisch/Krauß AR-Blattei SD 170.3.1 Rn. 39; diese Argumentationslinie klingt ferner in BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, AP Nr. 22 zu § 7 BUrlG an. 2370 Vgl. dazu allgemein oben § 8 A.III. sowie speziell für das Verhältnis von Urlaub und Streik Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Brox Rn. 669; Däubler ArbeitskampfrechtColneric Rn. 560, 577; Rüthers/Beninca Anmerkung zu BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/ 95, AP Nr. 22 zu § 7 BUrlG; im Ergebnis ebenso Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 116–120. 2371 Vgl. BAG 15.6.1964 – 1 AZR 303/63, AP Nr. 35 zu Art. 9 GG Arbeitskampf mit zustimmender Anmerkung Mayer-Maly; Loritz Anmerkung zu BAG 7.4.1992 – 1 AZR 377/91, AP Nr. 122 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Dütz/Dörrwächter Anmerkung zu BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, SAE 1998, S. 159, 161–163; Rüthers/Beninca Anmerkung zu BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, AP Nr. 22 zu § 7 BUrlG.

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die Mitwirkung des Arbeitgebers voraus, da es diesem gemäß § 7 Abs. 1 BUrlG obliegt, den Urlaubszeitraum festzulegen. Drohte eine Paritätsverletzung, könnte der Arbeitgeber diese den Urlaubswünschen der Arbeitnehmer als „dringende betriebliche Belange“ im Sinne des § 7 Abs. 1 BUrlG entgegenhalten.2372 Zweitens liegt eine Paritätsverletzung ohnehin fern, weil der vermeintliche doppelte Nachteil des Arbeitgebers in Gestalt von Arbeitsausfall und Vergütungspflicht nur auf den ersten Blick existiert. Zum einen muss der Arbeitgeber überhaupt nur ein Urlaubsentgelt zahlen, wenn man nicht nur eine tatbestandliche Kollision von Urlaub und Streik bejaht, sondern darüber hinaus auch noch einen Vorrang des Urlaubs annimmt. Da, wie sogleich zu zeigen sein wird, im Konkurrenzfall der Streik aber gegenüber dem Erholungsurlaub vorrangig ist, kann eine drohende Paritätsstörung ausgeschlossen werden. Zum anderen gilt, dass selbst bei einem Vorrang des Urlaubs für den Arbeitgeber kein zusätzlicher finanzieller Aufwand entsteht, da in diesem Fall die Urlaubstage auf den Jahresurlaub angerechnet werden und der Arbeitgeber somit von seiner Vergütungspflicht zu anderer Zeit entlastet wird oder eine Gegenleistung dafür erhält.2373 Ergänzend sei noch erwähnt, dass sich der Möglichkeit eines tatbestandlichen Zusammentreffens von Streik und Erholungsurlaub auch nicht überzeugend mit der Begründung widersprechen lässt, dem Arbeitnehmer stehe ein bestimmtes Kontingent bezahlter Freistellung zu, was sich durch Arbeitskämpfe nicht vermindere.2374 Letzteres ist zwar zutreffend. Das bedeutet aber nicht, dass sich Streik und Urlaub tatbestandlich zwingend ausschließen, selbst, wenn alle Voraussetzungen beider Arbeitsausfallgründe gleichzeitig erfüllt sind. Der genannten Besonderheit des Urlaubs kann ebenso wie im Fall der Kollision des Erholungsurlaubs mit anderen Tatbeständen durch eine spätere Nachgewährung Rechnung getragen werden.2375 Daher kommt es tatbestandlich immer zu einer Kollision, wenn sich ein urlaubender Arbeitnehmer an einem Streik beteiligt. In einem solchen Fall ist die Konkurrenz auf der dritten Stufe nach Wertungsgesichtspunkten unter besonderer Berücksichtigung der Normzwecke zu entscheiden.

2372 Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 120; im Ergebnis ohne nähere Begründung ebenso Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 198; a. A. offenbar Rüthers/Beninca Anmerkung zu BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, AP Nr. 22 zu § 7 BUrlG. 2373 BAG 9.2.1982 – 1 AZR 567/79, AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG; vgl. auch Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 119; Löwisch/Bittner AR-Blattei SD 170.3.2 Rn. 80; im Ergebnis ohne nähere Begründung ebenso Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 198; a. A. Rüthers/ Beninca Anmerkung zu BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, AP Nr. 22 zu § 7 BUrlG; Dütz/Dörrwächter Anmerkung zu BAG 24.9.1996 – 9 AZR 364/95, SAE 1998, S. 159, 161–163. 2374 Vgl. Reinecke DB 1991, S. 1168, 1172; i. E. auch Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 116. 2375 Vgl. oben § 9 B.III.5.; kritisch Reinecke, DB 1991, S. 1168, 1172.

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Insoweit streitet zum einen die angeführte Verfehlung des Erholungszwecks während einer Streikteilnahme für den Vorrang des Streiks. Dabei kann man nicht überzeugend argumentieren, der Erholungszweck werde gewahrt, weil der Arbeitnehmer sich im Rahmen seiner selbstbestimmten Erholung bewusst für eine Streikteilnahme entscheide und auf andere Formen der Erholung verzichte. Anders als beispielsweise die Tätigkeit als Betriebsratsmitglied ist das Streikrecht verfassungsrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG garantiert. Der Arbeitnehmer muss es frei ausüben können, auch während des Erholungsurlaubs. Daher wäre es problematisch, wenn trotz der Streikteilnahme die betreffende Zeit auf den Erholungsurlaub angerechnet würde. Geht man hingegen von einem Vorrang des Streiks aus, verbunden mit der Pflicht des Arbeitgebers zur Nachgewährung des Urlaubs werden Nachteile vermieden. Ferner spricht für einen Vorrang des Streiks, dass der Arbeitnehmer durch seine bewusste Entscheidung für die Streikteilnahme die Vergütungseinbußen in Kauf nimmt.2376 Zudem drohte andernfalls eine Störung der Kampfparität.2377 (2) Rechtswidriger Streik Ähnliche Gesichtspunkte gelten im Verhältnis des rechtswidrigen Streiks zum Erholungsurlaub. Der Vorrang des ersteren ergibt sich zum einen daraus, dass während des Kollisionszeitraums der Erholungszweck verfehlt wird, zum anderen aus einer andernfalls drohenden Paritätsstörung sowie der Tatsache, dass der Arbeitnehmer durch Beendigung seiner Teilnahme die Vergütungszahlung durch den Arbeitgeber jederzeit wieder aufleben lassen kann.2378 cc) Besonderheiten bei Zusammentreffen mit persönlicher Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) Mit dem Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub und persönlicher Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) hat sich das BAG bereits in einem Urteil aus dem Jahre 1963 befasst. Es befürwortete einen Vorrang der Lohnfortzahlungspflicht aus dem ArbPlSchG (damals § 12 Abs. 1 ArbPlSchG a. F., heute § 14 Abs. 1 ArbPlSchG n. F.) unter der Voraussetzung, dass die persönliche Meldung oder Vorstellung den Urlaubszweck vereitelt.2379 Dabei führte das BAG jedoch aus, Urlaubsstörungen fielen grundsätzlich in den Risikobereich des Arbeitnehmers und nur ausnahmsweise in den des Arbeitgebers. Letzteres sei nur der Fall, wenn es sich 2376 2377 2378 2379

Vgl. oben § 9 B.III.22. Vgl. oben § 9 B.III.22. Vgl. zu den beiden letztgenannten Punkten oben § 9 B.III.23. BAG 1.8.1963 – 5 AZR 59/63, AP Nr. 1 zu § 12 ArbPlSchG.

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um Umstände handele, bei deren Eintritt der Lohnanspruch des Arbeitnehmers nicht abbedungen werden könne. Genau so verhalte es sich in der hier fraglichen Konstellation angesichts des zwingenden Charakters des heutigen § 14 Abs. 1 ArbPlSchG.2380 In einem solchen Fall sei eine Nichtanrechnung analog zur Behandlung des Verhältnisses von Urlaub und Krankheit – angesprochen ist insoweit § 9 BUrlG – angemessen. Ferner könne von einer Vereitelung des Urlaubszwecks nur dann ausgegangen werden, wenn die Dauer der persönlichen Meldung oder Vorstellung einschließlich An- und Abfahrt sechs Stunden überschreite.2381 Die Literatur hat diese Entscheidung unterschiedlich aufgenommen, wobei jedenfalls im Grundsatz überwiegend Zustimmung zu vernehmen war.2382 Darüber hinaus haben Sahmer/Busemann zu der Frage Stellung genommen, wie zu verfahren sei, wenn die Meldung oder Vorstellung nicht mehr als sechs Stunden dauere. Sie sprechen sich insoweit für einen Vorrang des Urlaubs und für eine Anrechnung der betreffenden Zeit auf das Urlaubskontingent aus. Dabei bleibe aber der Anspruch auf Urlaubsentgelt nur durch entsprechende Anwendung des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG erhalten.2383 Grundsätzlich ist dem BAG zuzustimmen, wenn es das ArbPlSchG für vorrangig hält, sofern der Erholungszweck durch die Meldung oder Vorstellung vereitelt wird.2384 Der Subsidiaritätscharakter von § 14 Abs. 1 ArbPlSchG2385 tritt in Anbetracht der zwingenden europarechtlichen Bestimmungen, welche dem bezahlten Erholungsurlaub zugrunde liegen, zurück. Zweifelhaft ist hingegen die pauschale Aussage des BAG, eine Vereitelung des Erholungszwecks und damit verbunden auch eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Nachgewährung des Urlaubs komme nur in Betracht, wenn die Musterung (oder sonstige Meldung oder Vorstellung) mehr als sechs Stunden in Anspruch nehme. Die in Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG vorgeschriebene Mindestgewährleistung von jährlich vier Wochen bezahltem Erholungsurlaub verbietet jegliche Anrechnung eines zweck2380

BAG 1.8.1963 – 5 AZR 59/63, AP Nr. 1 zu § 12 ArbPlSchG. BAG 1.8.1963 – 5 AZR 59/63, AP Nr. 1 zu § 12 ArbPlSchG. 2382 Zustimmend Sahmer/Busemann E § 14 S. 4; im Ergebnis, aber nicht in der Begründung zustimmend Siara/Sahmer Anmerkung zu BAG 1.8.1963 – 5 AZR 59/63, AP Nr. 1 zu § 12 ArbPlSchG; hingegen hat Matthes Lohnzahlung, Rn. 758, 632 das BAG offenbar dahingehend (miss-)verstanden, dass ausschließlich die Musterung einen Vorrang des heutigen § 14 Abs. 1 ArbPlSchG begründen könne, nicht aber die übrigen dort genannten Gründe. Das BAG hat aber den Vorrang der Musterung (um eine solche ging es in der Tat im konkreten Fall) mit der zwingenden Ausgestaltung des heutigen § 14 Abs. 1 ArbPlSchG begründet, welche sich nicht nur auf die Musterung, sondern auch auf sonstige Vorstellungs- oder Meldepflichten im Sinne dieser Vorschrift bezieht. Gänzlich a. A. (für einen Vorrang des Erholungsurlaubs) ist demgegenüber Henssler/ Willemsen/Kalb-Hergenröder § 14 ArbPlSchG Rn. 1. 2383 Sahmer/Busemann E § 14 S. 4. 2384 Vgl. oben § 9 B.III.5. 2385 Vgl. dazu oben § 5 M.II. 2381

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vereitelnden Ereignisses auf die Urlaubszeit, auch wenn dessen Dauer deutlich unter sechs Stunden liegt. Zudem ist eine Erholung während dieser Zeit unmöglich. Daher kann auch die Auffassung von Sahmer/Busemann, soweit sie sich in einem solchen Fall für einen Vorrang des Urlaubs aussprechen, nicht überzeugen. Angemessen ist vielmehr eine Nachgewährung in Bruchteilen. Für die Zeit der Meldung oder Vorstellung ist das Arbeitsentgelt nach § 14 Abs. 1 ArbPlSchG fortzuzahlen.2386 dd) Zusammentreffen mit Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG Das Verhältnis des bezahlten Erholungsurlaubs zum Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG lässt sich nicht allein mit Rücksicht auf den dem § 1 BUrlG zugrunde liegenden Erholungszweck auflösen. Durch Gefahren am Arbeitsplatz wird die Erholungsmöglichkeit des nicht am Arbeitsplatz weilenden Arbeitnehmers nicht beeinträchtigt, so dass eine Anrechnung auf den Erholungsurlaub hiernach möglich ist. Allein aus der urlaubsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorrangs des Erholungsurlaubs lässt sich dieser aber noch nicht zwingend folgern. Vielmehr sind hier gegenläufige Aspekte zu berücksichtigen, die für einen Vorrang des § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG sprechen. Insoweit fällt der europarechtliche Hintergrund dieser Vorschrift deutlich zu dessen Gunsten ins Gewicht.2387 Dadurch wird eine unionsrechtlich unzulässige Absenkung des Vergütungsniveaus vermieden. Daher ist § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG vorrangig, obwohl der Erholungszweck erreicht wird. b) Differenzierende Lösung (Zusammentreffen mit vorübergehender Verhinderung, vgl. § 616 S. 1 BGB) Wie oben beschrieben worden ist, setzt sich bei einem Zusammentreffen von vorübergehender Verhinderung und bezahltem Erholungsurlaub grundsätzlich letzterer durch. Etwas anderes gilt nur, soweit die Erholungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer aufgrund der persönlichen Verhinderung gestört wird.2388 In diesem Fall greift § 616 S. 1 BGB ein.2389 2386 Somit ist auch die angesprochene Auffassung von Sahmer/Busemann abzulehnen, wonach der Arbeitnehmer in einem solchen Fall seinen Anspruch auf Urlaubsentgelt nur in analoger Anwendung des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG behält. Diese Lösung ist ohnehin dogmatisch höchst fragwürdig. Räumt man dem Urlaub Vorrang vor § 14 Abs. 1 ArbPlSchG ein, bedarf es keiner unmittelbaren oder analogen Anwendung dieser Vorschrift. Der Anspruch auf Urlaubsentgelt ergibt sich vielmehr unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag i.V. m. § 1 BUrlG. 2387 Siehe oben § 9 B.III.15. 2388 Siehe oben § 9 C.IV.3.b)aa). 2389 Siehe oben § 9 C.IV.3.b)aa).

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c) Vorrang des bezahlten Erholungsurlaubs aa) Zusammentreffen mit Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 S. 1 AGG und mit Betriebsrisiko (vgl. § 615 S. 3 BGB) Im Zusammenhang mit einer Kollision zwischen bezahltem Erholungsurlaub einerseits und dem Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 S. 1 AGG oder dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers im Sinne des § 615 S. 3 BGB andererseits ist zunächst festzuhalten, dass in beiden Konstellationen der Erholungszweck nicht vereitelt wird. Der Arbeitnehmer ist an der Erholung nicht gehindert, wenn während seines Urlaubs an seinem Arbeitsplatz eine Belästigung droht oder dem Arbeitgeber die Annahme der Arbeitsleistung aus betriebstechnischen Gründen unmöglich ist. Somit ist ein Vorrang des Erholungsurlaubs europarechtlich zulässig. Von diesem Ergebnis ist hier auch auszugehen, da es sich sowohl bei § 14 S. 1 AGG als auch bei § 615 S. 3 BGB um grundsätzlich subsidiäre Tatbestände handelt.2390 bb) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen Im Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG zu den kollektivrechtlichen Tatbeständen gemäß § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG sind maßgeblich die Wertungen von § 78 S. 2 BetrVG zu berücksichtigen.2391 Danach darf ein urlaubender Arbeitnehmer, der unter einen der genannten Tatbestände fällt, nicht anders behandelt werden als ein sonstiger urlaubender Arbeitnehmer. Daraus ergibt sich ein zwingender Vorrang des Erholungsurlaubs. Dem steht der Erholungszweck des § 1 BUrlG2392 nicht entgegen. Zwar wird der Arbeitnehmer sich in aller Regel kaum erholen können, während er Betriebsratstätigkeiten oder ähnliche Aufgaben wahrnimmt. Es ist aber zu berücksichtigen, dass der Zweck des Erholungsurlaubs lediglich verlangt, dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur selbstbestimmten Erholung zu geben. Diese Voraussetzung ist gewahrt, wenn sich der Arbeitnehmer aus freien Stücken entschließt, im Urlaub solche Tätigkeiten zu verrichten. Es besteht in keiner Weise eine Verpflichtung des Arbeitnehmers hierzu. Anders als der Streik ist die Ausübung von Betriebsratstätigkeit während des Erholungsurlaubs nicht verfassungsrechtlich geschützt. Daher sind Nachteile ohne Ausgleich hinzunehmen. Aus diesem Grund bestehen keinerlei Bedenken gegen eine Anrechnung des entsprechenden Zeit-

2390

Siehe für oben § 14 S. 1 AGG § 9 B.III.14. und für oben § 615 S. 3 § 9 B.III.11. Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17 und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18. 2392 Vgl. dazu oben § 9 B.III.5. 2391

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raums auf den Jahresurlaub des Arbeitnehmers. Somit setzt sich der bezahlte Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG gegen die genannten Entgeltfortzahlungstatbestände durch.2393 cc) Zusammentreffen mit Arbeitskampfrisiko Kollidiert der Erholungsurlaub mit dem Arbeitskampfrisiko, kommen andere Gesichtspunkte zum Tragen als beim Zusammentreffen von bezahltem Erholungsurlaub mit Streik oder Aussperrung. Ein Vorrang des Arbeitskampfrisikos und die damit verbundene Verpflichtung des Arbeitgebers zur Nachgewährung kann für die Parteien mit Nachteilen und erhöhtem Aufwand verbunden sein. Aufgrund dieser Sachlage ließe sich ein Vorrang des Arbeitskampfrisikos nur annehmen, wenn besondere Gründe vorlägen, die es rechtfertigten, diese Nachteile in Kauf zu nehmen. Solche besonderen Gründe könnte man zum Beispiel in einer möglichen Verfehlung des Erholungszwecks sehen. Davon ist aber – anders als im Falle der Kollision von bezahltem Erholungsurlaub mit Streik oder Aussperrung – nicht auszugehen, wenn die Arbeitskampfrisikolehre eingreift. Es beeinträchtigt die Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers nicht, wenn in seinem Betrieb infolge eines Arbeitskampfs, an dem sich der Arbeitnehmer nicht beteiligt, die Arbeit ausfällt. Folglich lässt sich ein Vorrang der Arbeitskampfrisikolehre nicht auf diese Weise überzeugend begründen. Auch Paritätsaspekte können insoweit nicht durchgreifen. Diese spielen im Verhältnis der Arbeitskampfrisikolehre zu anderen Tatbestände häufig eine große Rolle. Die Anwendung der Arbeitskampfrisikolehre gründet sich gerade darauf, dass eine Entgeltzahlung nicht erfolgen darf, da andernfalls die Kampfparität zu Lasten des Arbeitgebers gestört würde. Bei einer Kollision mit bezahltem Erholungsurlaub liegen die Dinge indes anders, da der Arbeitgeber bei Nachrangigkeit des Erholungsurlaubs zur Nachgewährung des Urlaubs verpflichtet bleibt. Ein Vorrang der Arbeitskampfrisikolehre kann zwar verhindern, dass der Arbeitnehmer während der Kollision ein Entgelt in Gestalt der Urlaubsvergütung erhält. Dadurch verschiebt sich aber lediglich der Zeitpunkt der Zahlung, da der Arbeitgeber eben diese Summe später zahlen muss, wenn der Urlaub nachgewährt wird. Hält man den Urlaub für vorrangig, ergibt sich daraus kein paritätsrelevanter Nachteil für den Arbeitgeber, da sich gleichzeitig das feste Kontingent bezahlter Freistellung, das dem Arbeitnehmer in Form des bezahlten Jahresurlaubs zur Verfügung steht, entsprechend vermindert. Somit gebietet auch der Gesichtspunkt der Kampfparität keinen Vorrang der Arbeitskampfrisikolehre. Daher besteht kein Grund, Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem erhöhten Aufwand zu 2393 Im Ergebnis ebenso speziell für das Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub und § 38 BetrVG Knipper Arbeitsverhältnis, S. 78–80; offenbar grundsätzlich ebenfalls wie hier (wenn auch nicht ausdrücklich) Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 116 ff.

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belasten, der mit einer Nachgewährung des Urlaubs verbunden ist. Somit ist der Erholungsurlaub vorrangig.2394 dd) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko Kollidiert der bezahlte Erholungsurlaub des Arbeitnehmers mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko, bleibt der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers unberührt. Beide Tatbestände können sich nicht negativ auf einen auf einem Entgeltfortzahlungstatbestand beruhenden Vergütungsanspruch auswirken.2395 VI. Zusammentreffen von Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe a) Zusammentreffen mit alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) Ein Zusammentreffen von alleiniger oder weit überwiegender Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) und Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) ist – wie bereits ausgeführt – tatbestandlich ausgeschlossen. Der Arbeitgeber kann für den Anspruch auf den Zuschuss nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich sein.2396 b) Zusammentreffen mit Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG und Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG stehen tatbestandlich in einem Exklusivverhältnis. Voraussetzung für einen Anspruch nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist, dass die Arbeitnehmerin kein Mutterschaftsgeld nach § 13 MuSchG2397 beziehen kann. Ein Zuschuss nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG kommt aber nur in Betracht, wenn die Arbeitnehmerin Mutterschaftsgeld erhält. Somit kommt § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG nicht zum Tragen, wenn § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG einschlä2394 Im Ergebnis ebenso BAG 7.4.1992 – 1 AZR 377/91, AP Nr. 122 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, wobei das BAG offenbar eine Lösung auf Tatbestandsebene favorisiert und entscheidend darauf abstellt, dass ein urlaubender Arbeitnehmer ohnehin bereits von der Arbeit freigestellt sei, so dass die Arbeitskampfrisikolehre nicht mehr greifen könne. Diese Argumentation kann – wie oben unter § 8 A.III. dargelegt – nicht überzeugen. Vgl. weiter BAG 9.2.1982 – 1 AZR 567/79, AP Nr. 16 zu § 11 BUrlG; ebenfalls im Ergebnis wie hier Matthes Lohnzahlung Rn. 83. 2395 Vgl. dazu oben § 9 B.III.30. 2396 Siehe oben § 9 C.I.1. 2397 Bei dem Verweis auf die inzwischen außer Kraft gesetzten Vorschriften der RVO dürfte es sich um ein Redaktionsversehen handeln, vgl. bereits oben Fn. 447.

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gig ist.2398 Da diese Subsidiaritätsklausel vom Gesetzgeber zur Tatbestandsvoraussetzung des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG erhoben wurde, ist die Konkurrenz auf der ersten Stufe aufzulösen. Eine Korrektur dieses Ergebnisses im Hinblick auf den europarechtlichen Hintergrund der §§ 13, 14 MuSchG ist nicht erforderlich. Zwar wird eine Vergütung gemäß §§ 13, 14 MuSchG – wie gezeigt2399 – den europarechtlichen Erfordernissen nicht in allen Fällen gerecht. Es besteht aber keine Möglichkeit, in diesen Konstellationen stattdessen § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG anzuwenden, auch wenn eine Vergütung hiernach den europarechtlichen Anforderungen genügte. Die eindeutige Anordnung der Subsidiarität im Wortlaut § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG bietet keine Handhabe für eine Änderung des Vorrangverhältnisses. c) Zusammentreffen mit Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB) Ein Zusammentreffen mit Annahmeverzug des Arbeitgebers im Sinne des § 615 S. 1 BGB ist nicht denkbar, da die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG und des § 297 BGB nicht gleichzeitig erfüllt sein können. Der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld setzt zwingend voraus, dass die Schwangere entweder zur Erbringung der Arbeitsleistung nicht bereit ist (vgl. § 3 Abs. 2 MuSchG) oder das absolute und unabdingbare Verbot des § 6 Abs. 1 MuSchG eingreift. Im ersteren Fall fehlt die Leistungswilligkeit, im letzteren die rechtliche Möglichkeit und damit jeweils die Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmerin im Sinne des § 297 BGB. 2. Lösung auf der zweiten Stufe a) Subsidiarität des Zuschusses gemäß § 24i Abs. 4 SGB V Im Verhältnis zu einigen Tatbeständen ergibt sich die Nachrangigkeit des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG aus der Subsidiaritätsklausel des § 24i Abs. 4 SGB V. Danach ruht der Anspruch auf Mutterschaftsgeld und den Zuschuss hierzu, sofern die Arbeitnehmerin nach konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbeständen ein Entgelt erhält.2400 Dieser Grundsatz betrifft das Zusammentreffen mit bezahlter Freistellung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG), mit dem Leistungsverweigerungsrecht aus § 14 S. 1 AGG, mit der Teilnahme der Arbeitnehmerin an einer Betriebsversammlung (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) oder an einer Sprechstunde oder mit einer sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG), mit einer bezahlten Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG) sowie mit dem Entfernungsrecht im Sinne 2398 2399 2400

Vgl. oben § 5 G.II.3.c). Vgl. oben § 9 B.III.6.c). Vgl. oben § 9 B.III.6.b).

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des § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG. Für eine vorübergehende Verhinderung nach § 616 S. 1 BGB gilt dieser Grundsatz nur, soweit die Verhinderung auf dem Willen der Arbeitnehmerin beruht.2401 Der Vorrang dieser Tatbestände ist auch bei Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben, auf denen § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG beruht, unbedenklich: Ob die genannten Tatbestände eingreifen oder nicht, hängt vom Willen der Arbeitnehmerin ab. Daher handelt es sich dabei nach den oben2402 erarbeiteten Maßstäben um eine Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG, von deren Erfüllung es der nationale Gesetzgeber abhängig machen kann, ob der durch die Richtlinie vorgesehene Entgeltschutz zum Tragen kommt. b) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub Das Verhältnis von § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu bezahltem Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG wird durch § 17 S. 2 MuSchG dahingehend bestimmt, dass während der Schutzfristen nach § 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 MuSchG der Erholungsurlaub nicht eingreifen kann.2403 c) Zusammentreffen mit Elternzeit Eine Kollision von Elternzeit und Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) ist tatbestandlich ohne Weiteres möglich, wenn die Mutter während der nachgeburtlichen Schutzfrist des § 6 Abs. 1 MuSchG Elternzeit in Anspruch nimmt.2404 Etwas anderes folgt auch nicht aus der jüngsten Neufassung von § 16 Abs. 3 S. 3 BEEG. Danach kann die Arbeitnehmerin die Elternzeit zur Inanspruchnahme der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und des § 6 Abs. 1 MuSchG vorzeitig beenden. Die Formulierung „kann“ verdeutlicht, dass die Arbeitnehmerin wählen kann, ob sie die Elternzeit vorzeitig beendet oder neben den 2401 Zu den übrigen Fällen des § 616 S. 1 BGB, in denen die Verhinderung unabhängig vom Willen der Arbeitnehmerin eintritt vgl. unten § 9 C.VI.3.b)aa). 2402 Siehe oben § 9 B.III.6.c)bb). 2403 Vgl. dazu ausführlich oben § 9 C.V.2.b). 2404 So nun auch jüngst BAG 22.8.2012 – 5 AZR 652/11, NZA 2012, S. 1277, 1277; ferner wohl auch ErfK-Schlachter § 14 MuSchG Rn. 11; a. A. Willikonsky § 14 Rn. 6; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 14 MuSchG Rn. 74; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 14 MuSchG Rn. 3, Sowka Elternzeit, S. 24, die eine Lösung auf Tatbestandsebene favorisieren, indem sie annehmen, dass während der Elternzeit die Hauptpflichten ruhen, weswegen § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG nicht eingreifen soll. § 14 Abs. 4 MuSchG soll demgegenüber nur klarstellende Wirkung zukommen. Derartige Argumentationsmuster überzeugen – wie oben unter § 8 A.III. ausgeführt – nicht. Differenzierend Buchner/Becker § 14 MuSchG Rn. 42–44; unklar HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 13, 30; der einerseits annimmt, dass § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG während der Elternzeit wegen fehlender (Mono-)Kausalität nicht einschlägig ist, andererseits aber auf die gesetzliche Regelung in § 14 Abs. 4 MuSchG verweist, die ein tatbestandliches Eingreifen beider Ausfallgründe voraussetzt.

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Schutzfristen weiterlaufen lässt. Ein Verständnis der Neuregelung dahingehend, dass sich die Arbeitnehmerin zwischen Elternzeit und Mutterschutzfristen entscheiden muss – was eine tatbestandliche Kollision ausschlösse – kann demgegenüber nicht überzeugen. Insbesondere lässt sich für diese Auslegungsmöglichkeit nicht die Formulierung der „Inanspruchnahme der Schutzfristen“ in § 16 Abs. 3 S. 3 MuSchG anführen. Zwar mag diese Wortwahl des Gesetzgebers auf den ersten Blick ein echtes Wahlrecht der Arbeitnehmerin zwischen entweder Elternzeit oder Schutzfristen (nicht aber beides zusammen) nahelegen.2405 Indes widerspräche ein solcher Regelungsgehalt in systematischer Hinsicht dem Umstand, dass § 6 Abs. 1 MuSchG der Arbeitnehmerin gar keine Möglichkeit einräumt, auf die Schutzfrist zu verzichten.2406 Die Schutzfrist greift daher in diesen Fällen zwingend zugunsten der Arbeitnehmerin ein. Folglich kann in § 16 Abs. 3 S. 3 BEEG nur ein Wahlrecht dahingehend gemeint sein, dass sich die Arbeitnehmerin zwischen den Varianten „nur Schutzfrist“ oder „Elternzeit und Schutzfrist“ entscheiden kann. Abhängig von der Entscheidung der Arbeitnehmerin ist daher ein tatbestandliches Nebeneinander beider Ausfallgründe möglich. Somit ist auf Tatbestandsebene keine abschließende Lösung ersichtlich. Auf der zweiten Stufe greift die gesetzliche Konkurrenzregel des § 14 Abs. 4 MuSchG ein. Diese besagt unter anderem, dass der Zuschuss nach § 14 Abs. 1 bis 3 MuSchG für die Zeit entfällt, in der die Frau die Elternzeit nach dem BEEG in Anspruch nimmt. Folglich setzt sich die Elternzeit gegen § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG durch.2407 Dieses Ergebnis ist auch bei Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben, auf denen § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG beruht, unbedenklich: Ob die Arbeitnehmerin Elternzeit in Anspruch nimmt, beruht auf ihrer freien Entscheidung. Daher handelt es sich dabei nach den oben2408 erarbeiteten Maßstäben um eine Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG, von deren Erfüllung der nationale Gesetzgeber den durch die Richtlinie vorgesehenen Entgeltschutz abhängig machen kann. d) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub Auf der zweiten Stufe kann ferner das Verhältnis von unbezahltem Urlaub und Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) aufgelöst wer2405

Die Gesetzesmaterialien sind insoweit unergiebig, vgl. BT-Drs. 17/9841, S. 31. Demgegenüber sieht zwar § 3 Abs. 2 MuSchG die Möglichkeit der Arbeitnehmerin vor, auf die Schutzfrist zu verzichten. Das ändert aber nichts daran, dass vor dem Hintergrund der zwingenden Regelung in § 6 Abs. 1 MuSchG die Vorschrift des § 16 Abs. 3 S. 3 BEEG im hier vertretenen Sinne auszulegen ist, will man eine dogmatisch unbefriedigende gespaltene Auslegung dieser Vorschrift in Abhängigkeit von der jeweiligen betroffenen Schutzfrist vermeiden. 2407 Ebenso jüngst BAG 22.8.2012 – 5 AZR 652/11, NZA 2012, S. 1277, 1278. 2408 Siehe oben § 9 B.III.6.c)bb). 2406

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den. Die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur nimmt schon eine tatbestandliche Exklusivität an und geht davon aus, dass bei Vereinbarung unbezahlten Sonderurlaubs die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG nicht vorliegen können. Das BAG und ein Teil der Literatur führen zur Begründung an, während des unbezahlten Sonderurlaubs seien die Hauptleistungspflichten suspendiert, und deshalb könne § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG nicht mehr eingreifen.2409 Wie oben gezeigt worden ist, kann diese Argumentation nicht überzeugen.2410 Gleiches gilt für den Grundsatz der Monokausalität, den andere Stimmen2411 heranziehen.2412 Das Verhältnis beider Verhinderungsgründe ist vielmehr auf der zweiten Ebene durch Auslegung der Vereinbarung zu bestimmen, die dem unbezahlten Urlaub zugrunde liegt.2413 Ist eine ausdrückliche Regelung nicht vorgesehen, wird man unter anderem darauf abstellen müssen, ob der Urlaubszweck trotz gleichzeitiger Schwangerschaft gewahrt ist.2414 Liegt der Zweck in der Erholung, wird diese Voraussetzung regelmäßig nicht erfüllt sein. In einer solchen Konstellation muss sich § 14 Abs. 1 S.1 MuSchG durchsetzen. Ein Vorrang des unbezahlten Urlaubs ist auch mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar, auf denen § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG beruht. Der unbezahlte Urlaub beruht auf einem Willensentschluss der Arbeitnehmerin. Daher handelt es sich dabei nach den oben2415 erarbeiteten Maßstäben um eine Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG, von deren Erfüllung der nationale Gesetzgeber abhängig machen kann, ob er den durch die Richtlinie vorgesehenen Entgeltschutz gewährt. Die genannten Grundsätze gelten auch, sofern es sich bei dem unbezahlten Urlaub um Kurzarbeit handelt, die durch eine Vereinbarung eingeführt wurde.2416 Findet Kurzarbeit im Referenzzeitraum des § 14 Abs. 1 S. 2 MuSchG statt, ist sie 2409 BAG 25.2.2004 – 5 AZR 160/03, AP Nr. 24 zu § 14 MuSchG 1968; zustimmend Göhle-Sander Anmerkung zu BAG 25.2.2004 – 5 AZR 160/03, jurisPR-ArbR 26/2004 Anmerkung 2; vgl. auch Buchner/Becker § 14 MuSchG Rn. 39. 2410 Vgl. oben § 8 A.III. 2411 Willikonsky § 14 Rn. 4; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 12. 2412 Zur Untauglichkeit des Grundsatzes der Monokausalität vgl. oben § 8 A.I.2. 2413 Der zwingende Charakter des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG steht einer Vereinbarung über das Vorrangverhältnis nicht entgegen; vgl. hierzu die Ausführungen zum Parallelproblem im Zusammenhang mit einer Kollision von unbezahltem Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall unter § 9 C.II.2.c). 2414 Vgl. hierzu schon oben zum Verhältnis von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und unbezahltem Urlaub § 9 C.II.2.c). 2415 Siehe oben § 9 B.III.6.c)bb). 2416 A. A. für einen absoluten Vorrang der Kurzarbeit unter Verweis auf die angeblich fehlende Monokausalität des Beschäftigungsverbots für den Arbeitsausfall Zmarzlik/ Zipperer/Viethen/Vieß § 14 MuSchG Rn. 28; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 11.

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bei der Berechnung der Vergütungshöhe gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 MuSchG nicht zu berücksichtigen. Dadurch wird die Bezugsmethode modifiziert, nach der der Geldfaktor berechnet wird. Diese Vorschrift ähnelt derjenigen des § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG, so dass auf die entsprechenden obigen Ausführungen verwiesen werden kann.2417 3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Ausfallgrunds Vorrangig vor § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG sind auf der dritten Stufe ausschließlich bestimmte Formen von Arbeitskämpfen. Der rechtmäßige und der rechtswidrige Streik müssen sich durchsetzen, weil andernfalls die Kampfparität gestört würde. Zudem hat es der Arbeitnehmer in der Hand, jederzeit den Streik zu beenden und den Vergütungsanspruch wiederaufleben zu lassen.2418 Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit geltendem Unionsrecht: Wenn die Arbeitnehmerin streikt, beruht dieser konkurrierende Ausfallgrund auf ihrem Willen. Daher handelt es sich dabei nach den oben2419 erarbeiteten Maßstäben um eine Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG, von deren Erfüllung der nationale Gesetzgeber den von der Richtlinie vorgesehenen Entgeltschutz abhängig machen kann. b) Differenzierende Lösung aa) Unionsrechtliche Vorgaben Die folgenden Ausführungen gelten gleichermaßen für ein Zusammentreffen des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG mit Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG), mit dem Betriebsrisiko (vgl. § 615 S. 3 BGB), mit einer persönlichen Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG)2420 sowie mit einer vorübergehenden Verhinderung (vgl. 2417

Siehe oben § 9 C.V.1.c)bb)(3)(a). Vgl. für den rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22, im Ergebnis ebenso die herrschende Meinung, vgl. LAG Berlin 28.7.1992 – 11 Sa 114/90 ArbuR 1993, S. 85; Däubler Arbeitskampfrecht-Colneric Rn. 573; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 11; für eine Lösung auf Tatbestandsebene (fehlende Monokausalität der Mutterschutzfristen für den Arbeitsausfall bei gleichzeitigem Streik oder ausschließlich Kausalität des Streiks) Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 195 Rn. 15; Willikonsky § 14 Rn. 4; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 14 MuSchG Rn. 28; ErfK-Schlachter § 14 MuSchG Rn. 6; Buchner/Becker § 14 MuSchG Rn. 34–37. Für den rechtswidrigen Streik siehe oben § 9 B.III.23. 2419 Siehe oben § 9 B.III.6.c)bb). 2420 Ein Zusammentreffen von Schwangerschaft und einer persönlichen Meldung oder Vorstellung ist möglich, weil § 14 ArbPlSchG auch auf Frauen angewendet wird, vgl. oben § 9 B.III.16. 2418

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§ 616 S. 1 BGB), soweit diese nicht auf dem Willen der Arbeitnehmerin beruht. In den genannten Konstellationen kann eine Kollision mit § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG tatbestandlich nicht ausgeschlossen werden. Auf der zweiten Ebene könnte § 24i Abs. 4 SGB V zugunsten des kollidierenden Tatbestands eingreifen, weil diese Vorschrift eine Subsidiarität des Mutterschaftsgeldes einschließlich des Zuschusses hierzu anordnet, soweit Arbeitsentgelt gezahlt wird. Unter den Begriff „Arbeitsentgelt“ fallen grundsätzlich auch Entgeltersatzleistungen, wie sie die genannten Tatbestände vorsehen.2421 Diese Lösung steht jedoch mit dem europarechtlichen Hintergrund des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG nicht vollends in Einklang.2422 Vielmehr ist wie folgt zu differenzieren: Bei dem von § 24i Abs. 4 SGB V vorgesehenen Vorrang des konkurrierenden Tatbestands kann es bleiben, soweit die hiernach zu zahlende Vergütung wenigstens die Höhe der Summe erreicht, die hypothetisch im Falle einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG zu zahlen wäre. Erreicht hingegen nur eine Vergütung nach §§ 13, 14 MuSchG dieses Vergütungsniveau, nicht aber eine Berechnung nach dem betreffenden konkurrierenden Tatbestand, ist § 24i Abs. 4 SGB V richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die betreffende Entgeltersatzleistung nicht als „Arbeitsentgelt“ in dessen Sinne gilt. Dann wird § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG und nicht der konkurrierende Tatbestand angewendet. Sofern schließlich beide Tatbestände nicht die hypothetisch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG geschuldete Vergütungshöhe erreichen, ist eine europarechtskonforme Auslegung nicht möglich. Es bleibt dann bei dem ohne Rücksicht auf europarechtliche Erfordernisse ermittelten Vorrang des konkurrierenden Tatbestands. Der Arbeitnehmerin steht – ähnlich einer europarechtswidrigen Vergütungshöhe bei der bloßen Anwendung des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ohne bestehende Konkurrenz2423 – nur die Möglichkeit offen, die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung auf Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen dem nach dem konkurrierenden Tatbestand zu zahlenden Entgelt und der hypothetisch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG geschuldeten Vergütung in Anspruch zu nehmen.2424 Dieses Ergebnis muss nicht wegen Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG korrigiert werden. Bei den genannten Tatbeständen handelt es sich um Ausfallgründe, die nicht von einer Entscheidung der Arbeitnehmerin abhängen. Damit handelt es sich bei dem Nichtvorliegen dieser Ausfallgründe nach den oben2425 erarbeiteten

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Vgl. dazu ausführlich § 9 B.III.6.b). Vgl. hierzu ausführlich oben § 9 B.III.6.c)aa). 2423 Vgl. dazu oben § 5 G.I.2.c)bb). 2424 Vgl. EuGH 26.3.1996 – C-392/93 (British Telecom), Slg. 1996, I-1631 (Rn. 39– 42); EuGH 17.10.1996 – C-283/94 (Denkavit), Slg. 1996, I-5063 (Rn. 48–50). 2425 Vgl. oben § 9 B.III.6.c)bb). 2422

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Maßstäben nicht um eine Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG. Daher kann der nationale Gesetzgeber den durch die Richtlinie vorgesehenen Schutz nicht davon abhängig machen, dass diese Ausfallgründe nicht parallel zu § 14 MuSchG einschlägig sind. bb) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) Bei der Kollision von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) mit dem Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) spielen unionsrechtliche Vorgaben zwar ebenfalls eine Rolle. Es bestehen aber strukturelle Besonderheiten, die eine separate Erörterung erfordern. Auf die obigen Ausführungen zu dieser Kollisionskonstellation wird verwiesen.2426 c) Vorrang des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld aa) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen Bei dem Zusammentreffen der kollektivrechtlichen Entgeltfortzahlungsansprüche nach § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 sowie § 38 BetrVG mit § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG sind unterschiedliche gesetzliche Wertungen zu berücksichtigen, die sich widersprechen. Einerseits könnte man auf der zweiten Stufe auf § 24i Abs. 4 SGB V abstellen, wonach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG nachrangig wäre. Andererseits sind in Bezug auf die genannten Entgeltfortzahlungsansprüche die Wertungen von § 78 S. 2 BetrVG zu berücksichtigen.2427 Diese streiten für einen Vorrang des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG, da sie eine Gleichbehandlung von schwangeren Amtsträgerinnen im Sinne der genannten Tatbestände mit sonstigen schwangeren Arbeitnehmerinnen gebieten, die ebenfalls nach § 14 MuSchG bezahlt werden. Da die genannten Vorschriften zu gegenteiligen Ergebnissen führen und der Gesetzgeber ihr Verhältnis nicht geregelt hat, sind zur Ermittlung des Vorrangverhältnisses weitere Wertungsgesichtspunkte heranzuziehen. Hier rücken vor allem zwei Aspekte ins Blickfeld. Erstens gebieten die unionsrechtlichen Vorgaben, auf denen § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG beruht, den Vorrang dieses Tatbestands.2428 Zweitens ist zu beachten, dass § 6 Abs. 1, § 3 Abs. 2 MuSchG, an die

2426

Siehe oben § 9 C.II.3.b). Vgl. oben für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG § 9 B.III.17 und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG § 9 B.III.18. 2428 Vgl. dazu oben § 9 B.III.6.c), wobei zu beachten ist, dass in dieser speziellen Konstellation § 24i Abs. 4 SGB V anders als im Regelfall (wie geschildert) überhaupt nicht eingreift. Daher folgt aus dem europarechtlichen Hintergrund des § 14 Abs. 1 2427

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§ 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG anknüpft, ein absolutes Beschäftigungsverbot für Arbeitnehmerinnen während der letzten sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung aussprechen. Das Beschäftigungsverbot erstreckt sich zwar nicht unmittelbar auf die im Rahmen der hier untersuchten Tatbestände auszuübenden Tätigkeiten als Betriebsratsmitglied oder ähnliches, da die Arbeitnehmerin dabei aufgrund des Ehrenamtcharakters keine Arbeitsleistung erbringt.2429 Indes soll die Arbeitnehmerin unabhängig von der rechtlichen Einordnung zu ihrem Gesundheitsschutz generell davon abgehalten werden, sich in einer Weise zu betätigen, die mit der Erbringung der Arbeitsleistung vergleichbar ist. Die Ausübung der fraglichen Tätigkeiten ist in tatsächlicher Hinsicht – das heißt im Hinblick auf die körperlichen Anforderungen – vielen beruflichen Tätigkeiten, etwa der als Schreibtischkraft, ähnlich. Ihre Ausübung während der Schutzfristen nach § 6 Abs. 1, § 3 Abs. 2 MuSchG widerspräche deren Schutzzweck. Aus diesem Grund wäre es unverantwortlich, den konkurrierenden Tatbeständen den Vorrang vor § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG einzuräumen und so unter Umständen einen Anreiz dafür zu setzen, während der Schutzfristen nach § 6 Abs. 1, § 3 Abs. 2 MuSchG diese Tätigkeiten auszuüben. Ein solcher Anreiz könnte entstehen, weil § 14 MuSchG eine andere Berechnungsmethode vorsieht und die sich hiernach ergebende Vergütung geringer ausfallen kann als nach den konkurrierenden Tatbeständen. Die Anreizwirkung kann verhindert werden, wenn man dem § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG Vorrang einräumt.2430 bb) Zusammentreffen mit Aussperrung und Arbeitskampfrisiko Die Vergütung nach den §§ 13, 14 MuSchG entfällt ferner nicht, wenn die Arbeitnehmerin ausgesperrt wird oder die Voraussetzungen für eine Anwendung der Arbeitskampfrisikolehre zu ihren Lasten vorliegen. Zwar sprechen Paritätsgesichtspunkte für einen Vorrang dieser Ausschlussgründe.2431 Ein solches Resultat

S. 1 MuSchG nicht (nur) eine Verpflichtung zur europarechtskonformen Auslegung des § 24i Abs. 4 SGB V, sondern stattdessen ein grundsätzlicher Vorrang dieser Vorschrift. 2429 Vgl. dazu oben § 9 C.II.3.c)dd)(1)(a). 2430 Vor diesem Hintergrund kann es auch nicht überzeugen, einen Vorrang der hier untersuchten kollektivrechtlichen Tatbestände in Fällen anzunehmen, in denen nur die danach zu zahlende Vergütung das europarechtlich geforderte Niveau erreicht, nicht aber das nach den §§ 13, 14 MuSchG geschuldete Entgelt. Es liefe dem durch die einschlägigen europarechtlichen Vorschriften bezweckten Gesundheitsschutz zuwider, durch eine höhere Vergütung einen Anreiz zur Erledigung von Betriebsrats- oder ähnlichen Tätigkeiten zu setzen, obwohl dies mit einer Gefährdung von Mutter und Kind einherginge. Genügt die nach den §§ 13, 14 MuSchG zu zahlende Vergütung den europarechtlichen Anforderungen nicht, kann die Arbeitnehmerin die Bundesrepublik Deutschland wegen unzureichender Richtlinienumsetzung auf Schadensersatz verklagen. Vgl. zu dieser Problematik schon oben § 9 B.III.6.c). 2431 Vgl. für die rechtmäßige Aussperrung oben § 9 B.III.25. sowie für die Arbeitskampfrisikolehre oben § 9 B.III.26.

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wäre aber mit dem durch die Richtlinie 92/85/EWG bezweckten Entgeltschutz unvereinbar. Auch eine Rechtfertigung ist nicht gegeben. Anders als die Beteiligung an einem Streik kann man die fehlende Aussperrung oder den Umstand, dass die Arbeitskampfrisikolehre nicht eingreift, nicht als Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG ansehen. Hierfür ist – wie oben2432 erläutert – Voraussetzung, dass der konkurrierende Arbeitsausfallgrund willentlich durch die Arbeitnehmerin herbeigeführt wurde. Das ist bei der Aussperrung und der Arbeitskampfrisikolehre aber gerade nicht der Fall. Somit muss es bei einer Vergütung nach den §§ 13, 14 MuSchG bleiben.2433 cc) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit Ähnliches wie in Bezug auf Aussperrung und Arbeitskampfrisiko gilt auch für Kurzarbeit, die der Arbeitgeber nach § 19 KSchG eingeführt hat. Der europarechtliche Hintergrund des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG gebietet dessen Vorrang. Demgegenüber muss die hinter § 19 KSchG stehende gesetzgeberische Wertung, wonach der Arbeitgeber in seiner schwierigen wirtschaftlichen Situation finanziell entlastet werden soll,2434 zurücktreten. dd) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko Schließlich ist § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG gegenüber Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko vorrangig. Beide Ausfallgründe lassen Vergütungsansprüche, die auf einem konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbestand beruhen, nicht entfallen.2435

2432

Vgl. oben § 9 B.III.6.c)bb). A. A. – ohne Auseinandersetzung mit der europarechtlichen Problematik – für einen Vorrang der Aussperrung die ganz herrschende Meinung, vgl. BAG 22.10.1986 – 5 AZR 550/85, AP Nr. 4 zu § 14 MuSchG 1968; Buchner/Becker § 14 MuSchG Rn. 38; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 11; Matthes Lohnzahlung Rn. 134; Knorr Gemeinsame Anmerkung zu BAG 22.10.1986 – 5 AZR 550/85 und BAG 22.10.1986 – 5 AZR 733/85, SAE 1988, S. 62, 69 f.; im Ergebnis wie hier hingegen LAG Baden-Württemberg 7.6.1985 – 5 Sa 14/85, NZA 1986, S. 198–199; Braasch/Arnold NZA 1986, S. 660, 662–664; für einen Vorrang der Arbeitskampfrisikolehre die herrschende Meinung, vgl. HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 14 MuSchG Rn. 11; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Bittner 170.3.2 Rn. 77; wohl auch Buchner/Becker § 14 MuSchG Rn. 38; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 14 MuSchG Rn. 35; im Ergebnis wie hier hingegen wohl LAG Hamm (Westfalen) 24.10.1985 – 8 Sa 691/85, NZA 1986, S. 199, wonach die Betriebseinschränkung oder -einstellung infolge von Arbeitskampfmaßnahmen in einem anderen Tarifgebiet den Anspruch der werdenden Mutter auf Zahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld im Sinne des § 14 MuSchG unberührt lässt. 2434 Vgl. dazu oben § 9 B.III.28. 2435 Vgl. dazu oben § 9 B.III.30. 2433

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VII. Zusammentreffen von Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Das Verhältnis von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu einigen anderen Ausfallgründen lässt sich bereits auf Tatbestandsebene klären. Ein Zusammentreffen mit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB ist tatbestandlich unmöglich, da der Arbeitgeber für die Schwangerschaft der Arbeitnehmerin nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich sein kann.2436 Des Weiteren ist der Mutterschutzlohn gegenüber dem Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG tatbestandlich subsidiär.2437 Eine Kollision mit Annahmeverzug des Arbeitgebers ist tatbestandlich ausgeschlossen, da die Arbeitnehmerin während der Beschäftigungsverbote im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG nicht beschäftigt werden darf. Sie ist mithin nicht leistungsfähig im Sinne des § 297 BGB, weswegen kein Annahmeverzug eintreten kann. 2. Lösung auf der zweiten Stufe a) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) Für das Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub und Mutterschutzlohn bestimmt § 17 S. 2 MuSchG, dass die Arbeitnehmerin keinen Urlaub erhalten kann, soweit sie während der Beschäftigungsverbote im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG mit der Arbeit aussetzt.2438 b) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub Eine Kollision zwischen unbezahltem Urlaub und Mutterschutzlohn ist tatbestandlich möglich, wenn für einen bestimmten Zeitraum unbezahlter Urlaub vereinbart ist und dieser ganz oder teilweise mit einem Beschäftigungsverbot im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zusammenfällt.2439 Die Konkurrenz kann aber auf der zweiten Ebene aufgelöst werden, indem man die Vereinbarung aus-

2436

Siehe oben § 9 C.I.1. Vgl. oben § 9 C.VI.1.b). 2438 Vgl. oben § 9 C.V.2.c). 2439 A. A. für Lösung auf Tatbestandsebene (fehlende Monokausalität des Beschäftigungsverbots für den Arbeitsausfall bei gleichzeitigem unbezahlten Urlaub) die herrschende Lehre, vgl. Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 31; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 21; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 16; Willikonsky § 11 Rn. 10. Zur Untauglichkeit des Grundsatzes der Monokausalität vgl. oben § 8 A.I.2. 2437

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legt, die dem unbezahlten Urlaub zugrunde liegt.2440 Insoweit gelten die Überlegungen zum Verhältnis von unbezahltem Urlaub und § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG entsprechend. Diese Grundsätze gelten ebenfalls, wenn es sich bei dem unbezahlten Urlaub um Kurzarbeit handelt, die auf einer Vereinbarung beruht.2441 Findet Kurzarbeit im Referenzzeitraum des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG statt, wird sie bei der Ermittlung der Vergütungshöhe gemäß § 11 Abs. 2 S. 2 MuSchG nicht berücksichtigt. Dadurch wird die Bezugsmethode modifiziert, nach der sich der Geldfaktor berechnet. Diese Vorschrift ähnelt § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG, so dass auf die entsprechenden Ausführungen oben verwiesen werden kann.2442 3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Ausfallgrunds aa) Zusammentreffen mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) Die Konkurrenz zwischen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) und Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG) ist – wie oben erläutert – zugunsten des erstgenannten Tatbestands aufzulösen.2443 bb) Zusammentreffen mit europarechtlich geprägten Tatbeständen Für das Verhältnis von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu einer bezahlten Freistellung für Untersuchungen nach § 16 S. 3 MuSchG und zu dem Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG ist jeweils der europarechtliche Hintergrund der beiden letztgenannten Tatbestände maßgeblich.2444 Andernfalls drohte die Gefahr, dass das unionsrechtliche gebotene Mindestvergütungsniveau unterschritten wird. Daraus folgt jeweils die Nachrangigkeit des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG.

2440 Der zwingende Charakter von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG steht einer Vereinbarung über das Vorrangverhältnis nicht entgegen; vgl. hierzu die Ausführungen zum Parallelproblem im Zusammenhang mit einer Kollision von unbezahltem Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall unter § 9 C.II.2.c). 2441 A. A. für einen Vorrang der Kurzarbeit wegen fehlender Monokausalität des Beschäftigungsverbots BAG 7.4.1970 – 2 AZR 201/69, AP Nr. 3 zu § 615 BGB Kurzarbeit; Kittner/Zwanziger/Deinert-Bantle § 109 Rn. 151; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 22. Zur Untauglichkeit des Grundsatzes der Monokausalität vgl. oben § 8 A.I.2. 2442 Siehe oben § 9 C.V.1.c)bb)(3)(a). 2443 Siehe oben § 9 C.II.3.c)bb). 2444 Vgl. dazu für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15.

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cc) Zusammentreffen mit Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Betriebsversammlung (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG), mit Sprechstunde oder mit sonstiger Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) Für die Beurteilung des Verhältnisses von Mutterschutzlohn zur Teilnahme an Betriebsversammlungen im Sinne des § 44 Abs. 1 und 2 BetrVG, zu der Teilnahme an Sprechstunden oder zu einer sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats im Sinne des § 39 Abs. 3 BetrVG ist vor allem das höhere Schutzniveau maßgeblich, das diese Tatbestände gewähren, um ihre Anreizfunktion zu verwirklichen.2445 Diesem Gesichtspunkt wird man am besten durch einen Vorrang dieser Tatbestände gerecht. Da in Anbetracht dieses hohen Schutzniveaus auch keine Schutzlücken zu erwarten sind, die dem Schutzzweck von § 11 MuSchG (Existenzsicherung der Schwangeren) widersprächen, ist § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG ebenso wie § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG und § 39 Abs. 3 BetrVG der Vorrang vor § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG einzuräumen. dd) Zusammentreffen mit Streik Trifft der Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG mit einem rechtmäßigen oder einem rechtswidrigen Streik zusammen, setzen sich diese Verhinderungsgründe durch. Der Grund hierfür liegt zum einen in Arbeitskampfparitätsaspekten, zum anderen darin, dass die Arbeitnehmerin es jederzeit in der Hand hat, ihre Streikbeteiligung zu beenden und den Vergütungsanspruch wieder aufleben zu lassen.2446 Da es sich hierbei um konkurrierende Ausschlussgründe handelt, deren Eintritt vom Willen der Arbeitnehmerin abhängt, ist ihr Vorrang auch im Hinblick auf den europarechtlichen Hintergrund des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG unbedenklich.2447 2445 Vgl. dazu für § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.19., für § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG oben § 9 B.III.20. sowie für § 39 Abs. 3 BetrVG oben § 9 B.III.21. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass – wie oben unter § 9 C.II.3.a)bb) erläutert – Rechtsprechung und Literatur überwiegend auf dem grundsätzlichen Standpunkt stehen, ein Anspruch nach § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG bestehe unabhängig von anderen Ausfallgründen. Es wurde aber bereits ausführlich dargelegt, weshalb diese Ansicht, die sich zur Begründung vor allem auf die Nichtanwendbarkeit des Lohnausfallprinzips beruft, nicht überzeugen kann und dass Gleiches für die dogmatisch ebenfalls am Lohnausfallprinzip anknüpfende Gegenleistung gilt. 2446 Vgl. zum rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22., ebenso Däubler Arbeitskampfrecht-Colneric Rn. 573; für eine Lösung zugunsten des Streiks bereits auf Tatbestandsebene (fehlende Monokausalität der Beschäftigungsverbote für den Arbeitsausfall bei gleichzeitigem Streik; zur Untauglichkeit dieses Ansatzes vgl. oben § 8 A.I.2.) hingegen HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 20; Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 39; Willikonsky § 11 Rn. 10; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 23; Braasch/Arnold NZA 1986, S. 660, 663; ErfK-Schlachter § 11 MuSchG Rn. 5; ErfKDieterich Art. 9 GG Rn. 198; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 11 MuSchG Rn. 3 sowie Art. 9 GG Rn. 199. Vgl. zum rechtswidrigen Streik oben § 9 B.III.23.

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ee) Zusammentreffen mit Elternzeit Bei einem Zusammentreffen von Elternzeit und Mutterschutzlohn ist zugunsten der Elternzeit zu entscheiden.2448 Die Mutter entscheidet selbst, wann sie Elternzeit nehmen möchte. Legt sie die Elternzeit so, dass diese mit einem Beschäftigungsverbot gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG zusammenfällt, ist diese Entscheidung zu respektieren. Auch vom Standpunkt der Existenzsicherung aus betrachtet ist es nicht notwendig, dass § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG eingreift. Die Arbeitnehmerin verzichtet für die Elternzeit grundsätzlich auf ihre Vergütungsansprüche gegen den Arbeitgeber. Sie ist also ohnehin darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten, zum Beispiel mit Hilfe von gegebenenfalls bestehenden Ansprüchen auf Elterngeld oder dem Einkommen des Partners.2449 Da es sich bei der Elternzeit um einen konkurrierenden Ausschlussgrund handelt, der vom Willen der Arbeitnehmerin abhängt, ist der Vorrang der Elternzeit auch im Hinblick auf die unionsrechtlichen Vorgaben, auf denen § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG beruht, unbedenklich.2450 b) Vorrang des § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG aa) Zusammentreffen mit Feiertag (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) Bei einer Kollision mit Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) ist der Mutterschutzlohn vorrangig.2451 bb) Zusammentreffen mit subsidiären Tatbeständen Kollidiert § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG mit Tatbeständen, die in der Regel subsidiär sind, setzt sich der Mutterschutzlohn durch. Dieses Ergebnis ist auch mit dem Schutzzweck von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG problemlos vereinbar. Bei den betreffenden subsidiären Tatbeständen handelt es sich um die vorübergehende Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB), die bezahlte Freistellung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG), das Betriebsrisiko des Arbeitgebers (vgl. § 615 2447

Vgl. dazu oben § 9 B.III.7. Für einen Vorrang der Elternzeit bereits auf Tatbestandsebene (fehlende Monokausalität des Beschäftigungsverbots für den Arbeitsausfall bei gleichzeitiger Elternzeit; zur Kritik an diesem Ansatz vgl. oben § 8 A.I.2.) die herrschende Lehre, vgl. Buchner/ Becker § 11 MuSchG Rn. 33; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 11 MuSchG Rn. 3; HK-MuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 21; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/ Vieß § 11 MuSchG Rn. 16. 2449 Vgl. hierzu schon oben § 9 B.III.29. 2450 Vgl. dazu oben § 9 B.III.7. 2451 Siehe oben § 9 C.III.3.a)aa). 2448

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S. 3 BGB), das Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 S. 1 AGG2452 und die persönliche Meldung oder Vorstellung bei einer Erfassungsbehörde oder Wehrersatzbehörde (§ 14 Abs. 1 ArbPlSchG).2453 cc) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen Trifft der Mutterschutzlohn mit § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 oder § 38 BetrVG zusammen, ergibt sich der Vorrang von § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG aus zwei Gesichtspunkten. Zum einen gebieten die Wertungen von § 78 S. 2 BetrVG eine Gleichbehandlung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, die unter einen der genannten Tatbestände fallen, mit anderen schwangeren Arbeitnehmerinnen, die keine Entgeltfortzahlung nach einem konkurrierenden Tatbestand in Anspruch nehmen können.2454 Daraus folgt, dass sich § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG gegen diese Tatbestände durchsetzen muss. Zum anderen sind die Schutzzwecke der in § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG aufgeführten Beschäftigungsverbote zu berücksichtigen. Es darf für die Arbeitnehmerin kein Anreiz bestehen, Tätigkeiten auszuüben, die sie in einer mit der Erbringung der Arbeitsleistung vergleichbaren Weise belasten würden.2455 Hierzu zählen auch die Tätigkeiten im Rahmen der hier untersuchten konkurrierenden Tatbestände, welche im Hinblick auf die körperlichen Anforderungen beruflichen Tätigkeiten wie beispielsweise der als Schreibtischkraft vergleichbar sind. Ist § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG vorrangig, wird der Arbeitnehmerin der finanzielle Anreiz genommen, Betriebsratstätigkeiten oder ähnliches auszuüben, wenn die hiernach zu erwartende Vergütung höher ausfiele als jene nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG. dd) Zusammentreffen mit Aussperrung oder Arbeitskampfrisiko Der Anspruch nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG bleibt ferner von einer Aussperrung sowie einer Anwendung der Arbeitskampfrisikolehre unberührt. Zwar sprechen Paritätsgesichtspunkte für einen Vorrang dieser Ausschlussgründe.2456 Ein

2452 Zur Herleitung der Subsidiarität des jeweiligen Tatbestands vgl. für § 616 S. 1 BGB oben § 9 B.III.4., für § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.9., für § 615 S. 3 BGB oben § 9 B.III.11. sowie für § 14 S. 1 AGG oben § 9 B.III.14. 2453 Ein Zusammentreffen von Schwangerschaft und einer persönlichen Meldung oder Vorstellung ist möglich, weil § 14 ArbPlSchG auch auf Frauen angewendet wird, vgl. oben § 9 B.III.16. 2454 Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17. und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18. 2455 Vgl. zum Parallelproblem im Zusammenhang mit § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG oben unter § 9 C.VI.3.c)aa). 2456 Vgl. für die rechtmäßige Aussperrung oben § 9 B.III.24. sowie für die Arbeitskampfrisikolehre oben § 9 B.III.26.

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solches Resultat wäre aber mit dem Schutzzweck der Richtlinie 92/85/EWG unvereinbar. Die Absenkung der Vergütung lässt sich unionsrechtlich auch nicht rechtfertigen: Anders als die Beteiligung an einem Streik kann man die fehlende Aussperrung und die fehlende Anwendbarkeit der Arbeitskampfrisikolehre nicht als Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG ansehen. Voraussetzung hierfür ist, wie oben2457 erläutert, dass der konkurrierende Arbeitsausfallgrund willentlich durch die Arbeitnehmerin herbeigeführt wurde. Das ist bei der Aussperrung und der Anwendung der Arbeitskampfrisikolehre – im Gegensatz zur Teilnahme an einem Streik – aber gerade nicht der Fall. Somit bleibt es bei einer Vergütung nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG.2458 ee) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit Bei einer Kollision mit Kurzarbeit, die der Arbeitgeber nach § 19 KSchG angeordnet hat, muss sich ebenfalls § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG durchsetzen. Nur auf diese Weise kann das von der Richtlinie 92/85/EWG geforderte Vergütungsniveau gewährleistet werden.2459 Eine Absenkung lässt sich unionsrechtlich nicht rechtfertigen, da die Einführung der Kurzarbeit nicht vom Willen der Arbeitnehmerin abhängt. Gegenüber diesen zwingenden europarechtlichen Anforderungen tritt die hinter § 19 KSchG stehende gesetzgeberische Wertung zurück, wonach der Arbeitgeber durch die Kurzarbeit finanziell entlastet werden soll. ff) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko Vorrangig ist § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG schließlich gegenüber Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko. Beide Ausfallgründe können sich nicht negativ auf einen Vergütungsanspruch auswirken, der auf einem Entgeltfortzahlungstatbestand beruht.2460

2457

Vgl. oben § 9 B.III.7. A.A. – ohne Auseinandersetzung mit der europarechtlichen Problematik – für die rechtmäßige Aussperrung die ganz herrschende Meinung, vgl. Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 20; Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 40; HKMuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 20; Willikonsky § 11 Rn. 10; Zmarzlik/Zipperer/Viethen/Vieß § 11 MuSchG Rn. 23; ErfK-Schlachter § 11 MuSchG Rn. 5; Braasch/Arnold NZA 1986, S. 660, 663; unter der von ihm abgelehnten Prämisse der Zulässigkeit der Aussperrung ebenso Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Brox Rn. 657; für einen Vorrang des Arbeitskampfrisikos Buchner/Becker § 11 MuSchG Rn. 43; Willikonsky § 11 Rn. 10; Henssler/Willemsen/Kalb-Hergenröder § 11 MuSchG Rn. 3; HKMuSchG/BEEG-Pepping § 11 MuSchG Rn. 20. 2459 Vgl. oben § 9 B.III.7. 2460 Vgl. dazu oben § 9 B.III.30. 2458

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VIII. Zusammentreffen einer bezahlten Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG) mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Einige Kollisionen zwischen einer bezahlten Freistellung für Untersuchungen nach § 16 S. 3 MuSchG und anderen Verhinderungsgründen können bereits auf Tatbestandsebene gelöst werden. Beispielsweise kann der Arbeitgeber für die Untersuchungen im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich im Sinne des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB sein. Das Zusammentreffen mit Annahmeverzug nach § 615 S. 1 BGB ist tatbestandlich ausgeschlossen, da die Arbeitnehmerin während der Untersuchung nicht leistungsfähig im Sinne des § 297 BGB ist. Eine Kollision mit einer persönlichen Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) scheidet aus, weil eine Arbeitnehmerin nicht gleichzeitig zwei Termine wahrnehmen kann (die Untersuchung und die persönliche Meldung). Aus dem gleichen Grund kann § 16 S. 3 MuSchG auch nicht mit der Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Betriebsversammlung (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) oder an einer Sprechstunde oder mit einer sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) zusammentreffen. Eine Kollision mit den kollektivrechtlichen Tatbeständen gemäß § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG schließlich ist faktisch ausgeschlossen, weil die Arbeitnehmerin während einer Untersuchung kaum Betriebsratstätigkeiten oder ähnliches verrichten kann. Schließlich kann auch die Kollision von § 16 S. 3 MuSchG mit einer rechtmäßigen Aussperrung, mit unbezahltem Urlaub und mit Kurzarbeit auf der ersten Stufe gelöst werden. Diese Ausfallgründe setzen ebenso wie § 16 S. 3 MuSchG bestimmte Willenserklärungen des Arbeitgebers voraus, von denen eine auf eine bezahlte und die andere auf eine unbezahlte Freistellung gerichtet ist. Beides kann nicht miteinander einhergehen; es besteht insoweit ein tatbestandliches Exklusivitätsverhältnis. Der einschlägige Ausfallgrund ist im Einzelfall durch Auslegung der entsprechenden Willenserklärungen des Arbeitgebers zu ermitteln. 2. Lösung auf der zweiten Stufe Auf der zweiten Stufe ist das Verhältnis des § 16 S. 3 MuSchG zu § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG zu behandeln. Gemäß § 24i Abs. 4 SGB V ist der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld subsidiär.2461

2461

Vgl. näher oben § 9 C.VI.2.a).

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3. Lösung auf der dritten Stufe Sämtliche Konkurrenzen, die auf der dritten Stufe behandelt werden, sind zugunsten des § 16 S. 3 MuSchG zu entscheiden. In den meisten Fällen ist der europarechtliche Hintergrund des § 16 S. 3 MuSchG hierfür maßgeblich. Bei einigen Konstellationen sind demgegenüber Besonderheiten zu beachten. a) Unionsrechtliche Vorgaben Gegenüber vielen konkurrierenden Ausfallgründen setzt sich § 16 S. 3 MuSchG schon deshalb durch, weil nur dadurch den unionsrechtlichen Vorgaben genügt werden kann, auf denen dieser Tatbestand beruht.2462 Namentlich sind die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG, die Feiertagsvergütung gemäß § 2 Abs. 1 EFZG, die vorübergehende Verhinderung im Sinne des § 616 S. 1 BGB, der bezahlte Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG, der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG, der Mutterschutzlohn gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG, die bezahlte Freistellung für Stillzeit gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG2463, das Betriebsrisiko des Arbeitgebers im Sinne des § 615 S. 3 BGB, das Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 14 S. 1 AGG, die Inanspruchnahme von Elternzeit sowie die Arbeitsunwilligkeit und das Wegerisiko gegenüber § 16 S. 3 MuSchG nachrangig. Daneben spielen bei einigen dieser Tatbestände noch weitere Gesichtspunkte eine Rolle, die ebenfalls für einen Vorrang des § 16 S. 3 MuSchG sprechen. So sind die vorübergehende Verhinderung im Sinne des § 616 S. 1 BGB, die bezahlte Freistellung für Stillzeit gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, das Betriebsrisiko des Arbeitgebers nach § 615 S. 3 BGB sowie das Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 14 S. 1 AGG ohnehin gegenüber konkurrierenden Tatbeständen grundsätzlich subsidiär.2464 Des Weiteren muss der bezahlte Erholungsurlaub gegenüber § 16 S. 3 MuSchG nachrangig sein, da während der Untersuchung der Erholungszweck des Urlaubs verfehlt wird.2465 Schließlich ist im Verhältnis zu 2462

Vgl. dazu oben § 9 B.III.8. Eine solche Kollision ist in der Praxis unwahrscheinlich: Beide Tatbestände setzen eine entsprechende Freistellungserklärung des Arbeitgebers voraus. Dass der Arbeitgeber seine Arbeitnehmerin für den gleichen Zeitraum aus zwei unterschiedlichen Gründen freistellt, ist fernliegend. Denkbar ist ein solches Ereignis allenfalls, wenn sich die Freistellungserklärung hinsichtlich der Stillzeit auf einen längeren Zeitraum erstreckt und die Stillzeit an einem bestimmten Tag mit einer Untersuchung im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG kollidiert. Stillt unter diesen Voraussetzungen die Mutter ihr Kind etwa, während sie im Wartezimmer auf die Untersuchung wartet, liegt eine Kollision vor. 2464 Zur Herleitung der Subsidiarität des jeweiligen Tatbestands vgl. für § 616 S. 1 BGB oben § 9 B.III.4., für § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.9., für § 615 S. 3 BGB oben § 9 B.III.11. sowie für § 14 S. 1 AGG oben § 9 B.III.14. 2465 Vgl. oben § 9 B.III.5. 2463

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko zu berücksichtigen, dass beide Ausfallgründe Vergütungsansprüche unberührt lassen, die auf einem Entgeltfortzahlungstatbestand beruhen.2466 b) Besonderheiten Demgegenüber unterliegt das Verhältnis von § 16 S. 3 MuSchG zu Arbeitskämpfen sowie zu dem Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG bestimmten Eigenheiten, die eine gesonderte Erörterung rechtfertigen. aa) Zusammentreffen mit Arbeitskämpfen und Arbeitskampfrisiko Die folgenden Ausführungen betreffen das Verhältnis von § 16 S. 3 MuSchG zur Teilnahme an einem rechtmäßigen oder rechtswidrigen Streik und zu einem Arbeitsausfall, der unter das Arbeitskampfrisiko des Arbeitnehmers zu fassen ist. Für den Streik gilt insoweit, dass es tatbestandlich ohnehin nur selten zu einer Kollision kommt. Hinsichtlich des Streiks müssten zwei Erklärungen der Arbeitnehmerin vorliegen, die diese kaum einmal beide abgeben wird, nämlich erstens eine Streikteilnahmeerklärung und zweitens ein Antrag auf Freistellung für eine Untersuchung im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG. Stellt die streikende Arbeitnehmerin einen Antrag im letzteren Sinne, wird ihre Erklärung häufig dahin auszulegen sein, dass sie für die Zeit der Untersuchung ihre Streikteilnahme unterbricht. Anders liegen die Dinge, wenn die Arbeitnehmerin bei Stellung des Antrags auf Freistellung ausdrücklich darauf besteht, ihre Streikteilnahme auch während der Untersuchung aufrechtzuerhalten. Dann ist tatbestandlich eine Kollision gegeben. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Arbeitnehmerin sich während der Untersuchung dieser widmen muss und nicht etwa an Streikkundgebungen teilnehmen kann. Voraussetzung für eine Streikteilnahme ist nicht, dass der Arbeitnehmer aktiv bestimmte Handlungen (wie eben etwa die Teilnahme an einer Streikkundgebung) vornehmen muss. Vielmehr kann er auch einfach seine Teilnahme erklären und zu Hause bleiben – oder eben an Untersuchungen im Sinne des § 16 MuSchG teilnehmen. Weniger problematisch ist demgegenüber ein Zusammentreffen mit dem Arbeitskampfrisiko. Eine Kollision kann beispielsweise auftreten, wenn während einer Untersuchung im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG, für den der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin freigestellt hat, in dem Betrieb der Arbeitnehmerin als Fernwirkung eines Arbeitskampfs die Arbeit ausfällt. Liegt nach den skizzierten Grundsätzen eine Kollision vor, muss sie auf der dritten Stufe aufgelöst werden. Ausgangspunkt hierfür sind die oben zu Streik

2466

Vgl. dazu oben § 9 B.III.30.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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und Arbeitskampfrisikolehre angestellten Überlegungen.2467 Danach sind diese Ausfallgründe insbesondere mit Rücksicht auf Paritätserwägungen grundsätzlich gegenüber konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbeständen vorrangig. Indes wäre eine solches Ergebnis mit dem europarechtlichen Hintergrund des § 16 S. 3 MuSchG unvereinbar. Die strikte Vorgabe des Art. 9 RL 92/85/EWG lässt es nicht zu, der Arbeitnehmerin ihre Vergütung zu streichen, wenn sie während der Untersuchung streikt oder von dem Arbeitskampfrisiko betroffen wird. Eine solche Einschränkung stünde mit dem vom Richtliniengeber bezweckten umfassenden Schutz der Schwangeren nicht in Einklang. Insbesondere kann man der Formulierung „entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/ oder Gepflogenheiten“ keinen Willen des Richtliniengebers dahingehend entnehmen, dass es zulässig sein soll, das Schutzniveau in diesem Maße abzusenken. Die Absolutheit des in Art. 9 RL 92/85/EWG statuierten Gebots lässt sich auch gut an einem systematischen Vergleich zu Art. 11 RL 92/85/EWG ablesen. Diese Regelung bildet die Grundlage für die Vergütungsregelungen der §§ 13, 14 MuSchG sowie teilweise auch des § 11 MuSchG. Gemäß Nr. 4 dieser Vorschrift steht es den Mitgliedstaaten frei, den Anspruch auf die Fortzahlung des Arbeitsentgelts oder eine Sozialleistung davon abhängig zu machen, dass die betreffende Arbeitnehmerin bestimmte in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bedingungen für das Entstehen eines Anspruchs auf diese Leistungen erfüllt. Darunter lässt sich beispielsweise die Bedingung fassen, dass die Arbeitnehmerin nicht streikt. Ein solcher Ausnahmetatbestand fehlt in Art. 9 RL 92/85/EWG, auf dem § 16 S. 3 MuSchG beruht. Daher ist der Arbeitgeber auch dann nach § 16 S. 3 MuSchG zur Entgeltzahlung verpflichtet, wenn sich die Arbeitnehmerin während der Untersuchung streikt oder vom Arbeitskampfrisiko betroffen ist. bb) Zusammentreffen mit Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG Bei einem Zusammentreffen des § 16 S. 3 MuSchG mit dem Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG schließlich ist zu berücksichtigen, dass beide Tatbestände auf europarechtlichen Vorgaben beruhen. Daher sind die betreffenden Richtlinien zunächst auszulegen2468 und darauf zu überprüfen, ob sie für den Fall einer Kollision ein Vorrangverhältnis vorsehen. Ist das nicht der Fall, müssen die Wertungen und insbesondere Normzwecke entscheiden, die – unabhängig von den unionsrechtlichen Vorgaben – hinter den nationalen Regelungen stehen. Die maßgeblichen europarechtlichen Vorgaben entstammen verschiedenen Richtlinien (Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG und 2467 Siehe oben für den rechtmäßigen Streik § 9 B.III.22., für den rechtswidrigen Streik § 9 B.III.23. sowie zu der Arbeitskampfrisikolehre § 9 B.III.26. 2468 Vgl. zur Auslegung von europäischem Sekundärrecht oben Fn. 381.

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Art. 9 RL 92/85/EWG für § 16 S. 3 MuSchG) und wurden vom Richtliniengeber in kein erkennbares Verhältnis zueinander gesetzt. Auch dem Wortlaut der beiden Vorschriften lässt sich insoweit nichts entnehmen: Während es in Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG heißt, dass einem Arbeitnehmer, der von seinem Entfernungsrecht Gebrauch macht, keine Nachteile entstehen dürfen, gibt Art. 9 RL 92/85/ EWG vor, dass die Wahrnehmung einer Untersuchung während der Arbeitszeit keine Lohn- oder Gehaltseinbußen nach sich ziehen darf. Beide Bestimmungen sind daher einander gleichwertig und nicht dazu geeignet, das Vorrangverhältnis der deutschen Umsetzung zu bestimmen. Daher ist auf den Zweck der deutschen Vorschriften unabhängig von den europarechtlichen Vorgaben abzustellen. § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG ist dazu bestimmt, die Gesundheit der Arbeitnehmerin zu schützen.2469 Demgegenüber geht § 16 S. 3 MuSchG weiter, indem die Vorschrift nicht nur dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerin, sondern auch dem ihres geborenen oder ungeborenen Kindes zu dienen bestimmt ist.2470 Da beide Vorschriften den Arbeitnehmerschutz verbessern sollen, entspricht es ihrem Zweck, demjenigen Tatbestand den Vorzug einzuräumen, welcher den umfassenderen und weitergehenden Schutzzweck verfolgt. Das ist – wie eben gezeigt – § 16 S. 3 MuSchG. Somit ist im Kollisionsfalle dieser Tatbestand vorrangig. IX. Zusammentreffen von bezahlter Freistellung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG) mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Einige Konkurrenzen zwischen bezahlter Freistellung für Stillzeit nach § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG und kollidierenden Ausfallgründen lassen sich bereits vollständig auf Tatbestandsebene auflösen. Ein Zusammentreffen mit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB scheidet aus, weil der Arbeitgeber für die Schwangerschaft und damit die Stillzeit der Arbeitnehmerin nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich sein kann. Annahmeverzug im Sinne des § 615 S. 1 BGB kann während der Stillzeit nicht auftreten, da die Arbeitnehmerin während dieses Zeitraums nicht leistungswillig im Sinne des § 297 BGB ist. Mit einer rechtmäßigen Aussperrung, unbezahltem Urlaub oder Kurzarbeit kann eine bezahlte Freistellung für Stillzeit nicht kollidieren, da diese Ausfallgründe eine Willenserklärung des Arbeitgebers voraussetzen, von denen eine auf eine bezahlte und die andere auf eine unbezahlte Freistellung gerichtet ist. Beides kann nicht miteinander einhergehen; es besteht insoweit ein tatbestandliches Ex-

2469 2470

Siehe oben § 5 L.II. Vgl. oben § 5 G.III.2.

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klusivitätsverhältnis. Der einschlägige Tatbestand ist durch Auslegung der entsprechenden Willenserklärungen des Arbeitgebers zu ermitteln.2471 2. Lösung auf der zweiten Stufe Auf der zweiten Stufe kann das Zusammentreffen mit § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG aufgelöst werden, da der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 24i Abs. 4 SGB V gegenüber anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen wie § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG subsidiär ist.2472 3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands aa) Subsidiarität des § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG tritt – wie oben erläutert – grundsätzlich hinter anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen zurück.2473 Daher setzen sich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG), die Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG), der Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG), die bezahlte Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG), das Leistungsverweigerungsrecht aus § 14 S. 1 AGG, das Entfernungsrecht nach § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG, die bezahlte Freistellung für die Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Betriebsversammlung (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) sowie die bezahlte Freistellung für die Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Sprechstunde oder für eine sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) gegen § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG durch. Bei einigen dieser Tatbestände treten noch weitere Gesichtspunkte hinzu, die ebenfalls für einen Vorrang des jeweils konkurrierenden Tatbestands sprechen. Bei § 16 S. 3 MuSchG und § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG gebietet der europarechtliche Hintergrund dieser Tatbestände ihren Vorrang vor § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, da andernfalls eine unzulässige Absenkung des Vergütungsniveaus drohte.2474 Im Verhältnis zu § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG, zu § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG sowie zu § 39 Abs. 3 BetrVG ergibt sich der Vorrang dieser Tatbestände auch aus der Anreizfunktion dieser Tatbestände und dem damit verbundenen höheren Schutzniveau.2475 Bei § 14 S. 1 AGG ist hervorzuheben, dass auch diese Vorschrift zwar 2471

Zu Anhaltspunkten für die Auslegung vgl. oben § 9 C.V.1.c)aa). Vgl. näher oben § 9 C.VI.2.a). 2473 Vgl. oben § 9 B.III.9. 2474 Vgl. dazu für § 16 S. 3 MuSchG oben § 5 G.III.2 und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 5 L.II. 2475 Vgl. für § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG oben § 9 B.III.19., für § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG oben § 9 B.III.20. sowie für § 39 Abs. 3 BetrVG oben § 9 B.III.21. 2472

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– ebenso wie § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG – grundsätzlich gegenüber anderen Tatbeständen subsidiär ist. Diese Subsidiarität kommt hier aber ausnahmsweise nicht zum Tragen. Sie folgt daraus, dass die Arbeitnehmerin in der Regel bei gleichzeitigem Vorliegen eines weiteren Arbeitsausfallgrunds vom Arbeitsplatz abwesend ist. In diesem Fall ist die Arbeitnehmerin nicht schutzbedürftig, so dass kein Bedarf für ein Eingreifen des § 14 S. 1 AGG besteht.2476 Bei einer Konkurrenz zwischen § 14 S. 1 AGG und § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG indes liegen die Dinge anders. Da § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG nicht zwangsläufig die Abwesenheit der Arbeitnehmerin vom Arbeitsplatz voraussetzt, sondern auch ein Stillen an der Arbeitsstätte zulässt, sorgt dieser Tatbestand anders als andere konkurrierende Ausfallgründe nicht für einen umfassenden Schutz der Arbeitnehmerin vor Belästigungen im Sinne des § 14 S. 1 AGG. Daher ist ein Eingreifen des § 14 S. 1 AGG ausnahmsweise erforderlich, obwohl gleichzeitig ein weiterer Verhinderungsgrund einschlägig ist. Dementsprechend bestehen keine Bedenken, einen Vorrang des § 14 S. 1 AGG auf die Subsidiarität des § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG zu stützen. bb) Zusammentreffen mit Streik oder Arbeitskampfrisiko Gegenüber einer bezahlten Freistellung für Stillzeit gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG setzt sich der rechtmäßige und der rechtswidrige Streik ebenso durch wie das Arbeitskampfrisiko. Für den Streik ist dabei entscheidend, dass es vom Willen der Arbeitnehmerin abhängt, ob dieser Ausfallgrund eingreift. Zudem drohte andernfalls eine Störung der Kampfparität.2477 Soweit es um Konkurrenzen mit dem Arbeitskampfrisiko geht, sind vor allem jeweils die oben erläuterten Paritätsaspekte maßgeblich.2478 cc) Zusammentreffen mit Elternzeit Kollidiert § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG mit Elternzeit, entfällt der Entgeltanspruch. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG soll seinem Zweck nach nur eingreifen, wenn die Arbeitnehmerin ihre Arbeit zum Zwecke des Stillens unterbrechen muss.2479 Das ist während der Elternzeit nicht der Fall. Die Anwendung des § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG ist auch nicht mit Existenzsicherungserwägungen zu rechtfertigen. Die Arbeitnehmerin muss für den gesamten Zeitraum der Elternzeit ohne ihre arbeitsvertragliche Vergütung auskommen. Sie ist also ohnehin darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten, zum Beispiel mit Hilfe von

2476

Vgl. hierzu oben § 9 B.III.9. Vgl. für den rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22.; vgl. zum rechtswidrigen Streik oben § 9 B.III.23. 2478 Vgl. oben § 9 B.III.26. 2479 Vgl. oben § 9 B.III.9. 2477

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gegebenenfalls bestehenden Ansprüchen auf Elterngeld oder dem Einkommen des Partners.2480 b) Vorrang des § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG aa) Zusammentreffen mit anderen subsidiären Tatbeständen Trifft § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG mit anderen Tatbeständen zusammen, die ebenfalls grundsätzlich subsidiär sind, stellt sich – wie schon erläutert2481 – das Problem, welches Subsidiaritätselement stärker zu gewichten ist. Insoweit ist der Subsidiarität von § 616 S. 1 BGB und von § 615 S. 3 BGB jeweils mehr Bedeutung beizumessen als der des § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG. Daher muss sich die Freistellung für Stillzeit durchsetzen. Das größere Gewicht der Subsidiarität folgt bei § 616 S. 1 BGB daraus, dass der Subsidiaritätscharakter anders als bei § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG in den Gesetzesmaterialien angelegt ist.2482 Es besteht folglich ein eindeutiger Anhaltspunkt für einen gesetzgeberischen Willen dahingehend, dass die § 616 S. 1 BGB hinter anderen Tatbeständen zurücktreten soll. Bei § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG hingegen ergibt sich die Subsidiarität nur faktisch und mittelbar aus dem Zweck der Vorschrift, der Arbeitnehmerin kurzfristige Unterbrechungen ihrer Arbeit zu ermöglichen.2483 Ob der Gesetzgeber aber bei Schaffung der Norm deren Subsidiarität gegenüber anderen Tatbeständen im Blick hatte, darf bezweifelt werden. Hierfür gibt es jedenfalls keine Anhaltspunkte. Daher ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber im Zweifel § 616 S. 1 BGB als subsidiär gegenüber allen anderen Tatbeständen, auch § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, einstufen wollte. Diese Wertung ist auf das Verhältnis zu § 14 Abs. 1 ArbPlSchG zu übertragen, weil diese Vorschrift § 616 S. 1 BGB nachgebildet ist.2484 Daher ist § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG auch insoweit vorrangig. Die Subsidiarität von § 615 S. 3 BGB folgt daraus, dass die mit der Vorschrift kodifizierte Betriebsrisikolehre nur angewendet werden soll, wenn das sonstige geschriebene Recht eine Schutzlücke aufweist. Da bei Anwendung des § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG eine solche Lücke nicht besteht, darf § 615 S. 3 BGB nicht vorrangig angewendet werden.2485

2480

Vgl. hierzu hinsichtlich der Elternzeit schon oben § 9 B.III.29. Vgl. oben § 9 C.IX.3.a)aa). 2482 Vgl. oben § 9 C.IV.3.a)bb). 2483 Vgl. oben § 9 B.III.9. 2484 Ein Zusammentreffen von Schwangerschaft und einer persönlichen Meldung oder Vorstellung ist möglich, weil § 14 ArbPlSchG auch auf Frauen angewendet wird, vgl. oben § 9 B.III.16. Zur dogmatischen Verwandtschaft von § 14 ArbPlSchG mit § 616 S. 1 BGB vgl. oben § 5 M.I. 2485 Vgl. zu diesem Argumentationsmuster schon oben § 9 C.IV.3.c)aa). 2481

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

bb) Zusammentreffen mit bezahltem Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG) Ferner ist § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG vorrangig gegenüber bezahltem Erholungsurlaub, da während der Stillzeit der Erholungszweck des Urlaubs verfehlt wird. Eine Anrechnung auf die Urlaubszeit ist daher europarechtlich unzulässig.2486 cc) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen Kommt es zu einer Kollision mit einem der Entgeltfortzahlungstatbestände nach § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 oder § 38 BetrVG, ist die Wertung von § 78 S. 2 BetrVG maßgeblich.2487 Danach dürfen stillende Arbeitnehmerinnen, die Tätigkeiten im Sinne der hier diskutierten Entgeltfortzahlungstatbestände ausüben, nicht anders behandelt werden als sonstige stillende Arbeitnehmerinnen, auf welche das nicht zutrifft. Gegenüber diesen zwingenden Wertungen tritt die Subsidiarität von § 7 Abs. 2S. 1 MuSchG in den Hintergrund. Daher ist diese Vorschrift vorrangig. dd) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko Auch gegen Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko setzt sich § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG durch. Beide Ausfallgründe können einen auf einem Entgeltfortzahlungstatbestand beruhenden Vergütungsanspruch nicht verdrängen.2488 X. Zusammentreffen von Annahmeverzug des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 1 BGB) mit anderen Verhinderungsgründen Das Verhältnis von Annahmeverzug im Sinne von § 615 S. 1 BGB zu anderen Gründen für den Arbeitsausfall wird maßgeblich von der Tatbestandsvoraussetzung des § 297 BGB bestimmt. Danach tritt Annahmeverzug nur ein, wenn der Arbeitnehmer sowohl objektiv leistungsfähig als auch subjektiv leistungswillig ist.2489 Wenigstens eine der beiden Komponenten fehlt, wenn ein weiterer Verhinderungsgrund auftritt. Daher kann Annahmeverzug tatbestandlich nicht mit anderen Arbeitsausfallgründen kollidieren. Im Einzelnen stellt sich die Situation wie folgt da: Die objektive Leistungsfähigkeit fehlt bei einer Kollision mit einem Arbeitsausfall, für den der Arbeitgeber wenigstens weit überwiegend verantwortlich ist 2486

Siehe oben § 9 C.V.3.a)aa). Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17. sowie für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18. 2488 Vgl. dazu oben § 9 B.III.30. 2489 Vgl. hierzu oben § 5 H.III.2. 2487

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(vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB), mit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG), mit der Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG), mit dem Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG), mit einer bezahlten Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG), mit dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 3 BGB), mit einer persönlichen Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden oder Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG), mit einer rechtmäßigen Aussperrung, mit dem Arbeitskampfrisiko, mit unbezahltem Urlaub, mit Kurzarbeit aufgrund einer Vereinbarung,2490 mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit,2491 mit Elternzeit2492 sowie mit dem Wegerisiko2493. Demgegenüber ist der Arbeitnehmer in anderen Fällen subjektiv leistungsunwillig, nämlich bei dem Zusammentreffen mit bezahlter Freistellung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG), mit dem Leistungsverweigerungsrecht aus § 14 S. 1 AGG, mit dem Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG, mit der Teilnahme an einer Betriebsversammlung (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) oder Sprechstunde (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG), mit den weiteren kollektivrechtlichen Tatbeständen nach § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG, mit der Teilnahme an einem rechtmäßigen oder rechtswidrigen Streik2494 sowie mit Arbeitsunwilligkeit.

2490 Die Leistungsunfähigkeit beruht in diesem Fall darauf, dass die Auslegung der dem unbezahlten Urlaub zugrunde liegenden Vereinbarung in der Regel einer vorzeitigen einseitigen Beendigung durch den Arbeitnehmer entgegen steht. Im Ergebnis ebenso jurisPK-BGB-Legleitner § 615 Rn. 21; Henssler/Willemsen/Kalb-Krause § 615 BGB Rn. 23; MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 79; ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 14, die aber überwiegend auf die Suspendierung der Arbeitspflicht durch den unbezahlten Urlaub abstellen (zur Kritik an dieser Argumentation vgl. oben § 8 A.III.). Richtigerweise gilt ferner, dass zwar Annahmeverzug vorliegen kann, wenn die Auslegung ausnahmsweise eine Berechtigung des Arbeitnehmers zum einseitigen Abbruch seines unbezahlten Urlaubs ergibt. Indes ist der unbezahlte Urlaub dann beendet, so dass aus diesem Grund tatbestandlich keine Kollision vorliegt. 2491 Hat der Arbeitgeber Kurzarbeit nach § 19 KSchG eingeführt, ist der Arbeitnehmer zur Erbringung der Arbeitsleistung nicht befugt. Daher tritt insoweit rechtliche Unmöglichkeit ein. 2492 Die Leistungsunfähigkeit folgt aus dem Umstand, dass der Arbeitnehmer die Elternzeit nicht einseitig abbrechen kann. Daher ist es dem Arbeitnehmer rechtlich unmöglich, während der Elternzeit seine Arbeitsleistung zu erbringen. 2493 Ebenso MüKoBGB-Henssler § 615 Rn. 34; Staudinger-Richardi/Fischinger § 615 Rn. 90; Soergel-Kraft (12. Auflage) § 615 Rn. 31; generell für das Verhältnis von Annahmeverzug und einem vom Arbeitnehmer zu tragenden Ausfallrisiko in diesem Sinne auch Staudinger-Löwisch/Feldmann § 297 Rn. 12. 2494 Im Ergebnis für den rechtmäßigen Streik ebenso BAG 23.1.2001 – 9 AZR 26/00, AP Nr. 93 zu § 615 BGB). Die fehlende Leistungsfähigkeit im Sinne des § 297 BGB ergebe sich daraus, dass durch die Streikteilnahme die Hauptpflichten suspendiert seien. Diese Auffassung kann nicht überzeugen, vgl. dazu oben § 8 A.III. Ebenso wie das BAG in dieser Entscheidung Geißler Lohnanspruch, S. 67 f.; jurisPK-BGB-Legleitner § 615 Rn. 13; wohl auch MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 24 f. Im Ergebnis und in der

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Schließlich kann es bei einer Kollision mit einer vorübergehenden Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB) oder dem Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG je nach Einzelfall an der Leistungsfähigkeit, der Leistungswilligkeit oder sogar an beidem fehlen. Hingewiesen sei noch auf folgende Besonderheit: Ergibt sich der Annahmeverzug aus zwei verschiedenen Umständen – etwa rechtswidrige Aussperrung und berechtigte Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts aus § 273 BGB – bleibt es dabei, dass dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn zusteht. Dieser entfällt nicht etwa deshalb, weil beide Ausfallgründe die Leistungsmöglichkeit im Sinne des § 297 BGB hemmen. Andernfalls käme es zu einem Wertungswiderspruch, weil der Arbeitnehmer schlechter stünde, wenn sich der Arbeitgeber aufgrund zweier verschiedene Umstände in Annahmeverzug befindet, als wenn nur ein einziger dieser Gründe vorliegt. XI. Zusammentreffen des Betriebsrisikos des Arbeitgebers (vgl. § 615 S. 3 BGB) mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Zwei mögliche Kollisionskonstellationen zwischen einem unter das Betriebsrisiko des Arbeitgebers fallenden Arbeitsausfall (vgl. § 615 S. 3 BGB) und konkurrierenden Verhinderungsgründen lassen sich bereits auf der ersten Ebene auflösen. Zum einen kann der Arbeitgeber für einen Arbeitsausfall im Sinne des § 615 S. 3 BGB nicht allein oder weit überwiegend verantwortlich im Sinne des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB sein, so dass beide Ausfallgründe nicht gleichzeitig einschlägig sein können.2495 Zum anderen ist der Arbeitnehmer leistungsunfähig, wenn Annahmeunmöglichkeit des § 615 S. 3 BGB vorliegt.2496 Daher kann in einem solchen Fall kein Annahmeverzug eintreten. 2. Lösung auf der zweiten Stufe Das Verhältnis von unbezahltem Urlaub und § 615 S. 3 BGB kann auf der zweiten Stufe geklärt werden, indem man die Vereinbarung über den unbezahlten Urlaub auslegt.2497 Gleiches gilt, wenn es sich bei dem unbezahlten Urlaub um Kurzarbeit handelt, die auf einer Vereinbarung beruht.2498 Begründung wie hier hingegen jüngst BAG 17.7.2012 – 1 AZR 563/11, NZA 2012, S. 1432, 1432 (Rn. 14 f.). 2495 Vgl. dazu oben § 9 C.I.1. 2496 Vgl. dazu oben § 9 C.X. 2497 Zu Anhaltspunkten für die Auslegung vgl. oben § 9 C.V.1.c)aa). 2498 Für einen absoluten Vorrang der Kurzarbeit hingegen MünchArbR-Boewer § 69 Rn. 60.

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3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Ausfallgrunds aa) Subsidiarität von § 615 S. 3 BGB Einige konkurrierende Verhinderungsgründe sind gegenüber § 615 S. 3 BGB vorrangig, weil dieser Tatbestand grundsätzlich subsidiär ist.2499 Hierzu gehören die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG), die Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG), der bezahlte Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG), der Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG), die bezahlte Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG), das Entfernungsrecht nach § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG, die Teilnahme an einer Betriebsversammlung (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) sowie die Teilnahme an einer Sprechstunde des Betriebsrats und die sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG). Bei einigen dieser Tatbestände treten noch weitere Aspekte hinzu, die ebenfalls für einen Vorrang des jeweils konkurrierenden Tatbestands sprechen. Im Zusammenhang mit § 16 S. 3 MuSchG und § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG ist der unionsrechtliche Hintergrund dieser Vorschriften zu berücksichtigen.2500 Auf diese Weise wird der sekundärrechtlich gebotene Schutz der Schwangeren und des Arbeitnehmers in Gefahrensituationen sichergestellt. Durch den Vorrang von § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG und § 39 Abs. 3 BetrVG lässt sich die Anreizfunktion dieser Tatbestände am besten verwirklichen.2501 Hinsichtlich des bezahlten Erholungsurlaubs im Sinne des § 1 BUrlG schließlich ist zu erwähnen, dass ein während des Urlaubs eintretender unter das Betriebsrisiko des Arbeitgebers fallender Arbeitsausfall keine Verfehlung des Erholungszwecks begründen kann. Daher ist unter diesem Gesichtspunkt nichts gegen einen Vorrang des Erholungsurlaubs und die damit einhergehende Anrechnung des Kollisionszeitraumes auf das Urlaubskontingent einzuwenden.2502 bb) Zusammentreffen mit anderen subsidiären Tatbeständen Mit der Subsidiarität von § 615 S. 3 BGB lässt sich dessen Nachrangigkeit indes nicht begründen, wenn der konkurrierende Tatbestand ebenfalls regelmäßig subsidiär gegenüber anderen Arbeitsausfallgründen ist. So verhält es sich mit der

2499

Vgl. dazu oben § 9 B.III.11. Vgl. für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15. 2501 Vgl. für § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG oben § 9 B.III.19., für § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG oben § 9 B.III.20. sowie für § 39 Abs. 3 BetrVG oben § 9 B.III.21. 2502 Vgl. zur Bedeutung dieses Gesichtspunkts oben § 9 B.III.5. 2500

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vorübergehenden Verhinderung nach § 616 S. 1 BGB, der bezahlten Freistellung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG), dem Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 14 S. 1 AGG und der persönlichen Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG). Entscheidend ist, welches Subsidiaritätselement schwerer wiegt. Hierfür lassen sich der Entstehungsgeschichte des § 615 S. 3 BGB wichtige Anhaltspunkte entnehmen.2503 Die Vorschrift kodifiziert seit 2002 die zuvor „richterrechtlich“ entwickelte Betriebsrisikolehre. Letztere durfte zuvor angesichts ihrer fehlenden rechtlichen Verankerung nur angewendet werden, wenn sich im geschriebenen Recht eine Schutzlücke auftat. Es konnte daher nicht auf die Betriebsrisikolehre zurückgegriffen werden, soweit eine Vergütung des Arbeitnehmers nach anderen Tatbeständen – und seien es solche, die ihrerseits grundsätzlich subsidiär sind – gesichert war. An diesem Ergebnis hat sich auch durch die Kodifizierung der Betriebsrisikolehre in § 615 S. 3 BGB im Jahre 2002 nichts geändert, da der Gesetzgeber am materiellen Recht nichts ändern, sondern lediglich sicherstellen wollte, dass die Betriebsrisikolehre in ihrer vorherigen Form auch nach der Schuldrechtsreform angewendet werden würde. Auch für § 14 S. 1 AGG, der als einziger der hier diskutierten Tatbestände erst nach § 615 S. 3 BGB eingeführt wurde, kann nichts anderes gelten. Aufgrund der geschilderten Entstehung muss § 615 S. 3 BGB gegenüber allen geschriebenen Entgeltfortzahlungstatbeständen subsidiär sein. Somit bleibt festzuhalten, dass sich § 616 S. 1 BGB, § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, § 14 S. 1 AGG und § 14 Abs. 1 ArbPlSchG allesamt gegen § 615 S. 3 BGB durchsetzen. cc) Zusammentreffen mit einem Arbeitskampf Der rechtmäßige und der rechtswidrige Streik, die rechtmäßige Aussperrung sowie das Arbeitskampfrisiko sind gegenüber § 615 S. 3 BGB vorrangig. In Bezug auf den Streik beruht das vor allem darauf, dass der Arbeitnehmer frei entscheiden kann, ob er streikt oder nicht und damit die Konkurrenz herbeiführt. Zudem drohte andernfalls eine Störung der Kampfparität.2504 Im Verhältnis zu der rechtmäßigen Aussperrung und dem Arbeitskampfrisiko sind vor allem jeweils die oben erläuterten Paritätsaspekte maßgeblich.2505

2503

Vgl. zum Folgenden oben § 5 H.I.2.a) sowie § 5 I.II. Vgl. ausführlich oben § 9 B.III.22.; vgl. zum rechtswidrigen Streik oben § 9 B.III.23. 2505 Vgl. zur rechtmäßigen Aussperrung oben § 9 B.III.24. sowie zum Arbeitskampfrisiko oben § 9 B.III.26. 2504

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dd) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit Kommt es zu einer Kollision mit Kurzarbeit, die der Arbeitgeber nach § 19 KSchG angeordnet hat, setzt sich letztere durch.2506 Andernfalls kämen die hinter dieser Vorschrift stehenden Normzwecke nicht hinreichend zur Geltung.2507 Danach soll der Arbeitgeber in der wirtschaftlichen Ausnahmesituation, die Voraussetzung für die Anwendung des § 19 KSchG ist, finanziell entlastet werden. ee) Zusammentreffen mit Elternzeit Trifft § 615 S. 3 BGB mit Elternzeit zusammen, entfällt der Entgeltanspruch. Da § 615 S. 3 BGB auf Existenzsicherungserwägungen beruht, besteht während einer Kollision kein Bedürfnis für ein Eingreifen dieses Tatbestands. Der Arbeitnehmer muss während der Elternzeit grundsätzlich ohne seine arbeitsvertragliche Vergütung auskommen. Er ist also darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten, etwa mit Hilfe von gegebenenfalls bestehenden Ansprüchen auf Elterngeld oder dem Einkommen des Partners.2508 b) Differenzierende Lösung (Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld) Im Verhältnis von § 615 S. 3 BGB zum Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist das Betriebsrisiko grundsätzlich gemäß § 24i Abs. 4 SGB V vorrangig. Nur ausnahmsweise setzt sich § 14 MuSchG durch, wenn die nach § 615 S. 3 BGB berechnete Vergütung hinter einer hypothetischen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) zurückbleibt, während demgegenüber die nach den §§ 13, 14 MuSchG zu zahlende Summe diese Höhe erreicht oder überschreitet.2509 Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG lässt in diesem Fall auch keine Rechtfertigung einer Entgeltabsenkung zu. Arbeitsausfälle im Sinne von § 615 S. 3 BGB sind vom Willen der Arbeitnehmerin unabhängig. Damit handelt es sich bei der Abwesenheit dieses Ausfallgrunds nach den oben2510 erarbeiteten Maßstäben nicht um eine Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG. Daher kann der Umsetzungsgesetzgeber den in der Richtlinie vorgesehenen Vergütungsschutz 2506 Vgl. auch BAG 22.4.2009 – 5 AZR 310/08, AP Nr. 311 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, wonach ein Entgeltanspruch nur in Höhe des Kurzarbeitergeldes bestehen soll. 2507 Vgl. dazu oben § 9 B.III.28. 2508 Vgl. hierzu schon oben § 9 B.III.29. 2509 Vgl. oben § 9 B.III.6.c)aa). 2510 Vgl. oben § 9 B.III.6.c)bb).

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nicht davon abhängig machen, dass kein Arbeitsausfallgrund vorliegt, für den der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt. c) Vorrang des § 615 S. 3 BGB aa) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen Gegen eine Vergütung gemäß § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG setzt sich § 615 S. 3 BGB durch. Hierfür spricht § 78 S. 2 BetrVG.2511 Danach darf ein Arbeitnehmer, der unter § 615 S. 3 BGB fällt und eine dieser Tätigkeiten ausübt, nicht anders gestellt werden als ein sonstiger unter § 615 S. 3 BGB fallender Arbeitnehmer. Um diese Gleichbehandlung zu gewährleisten, muss sich § 615 S. 3 BGB gegen die genannten Tatbestände durchsetzen. Gegenüber diesen zwingenden Wertungen tritt die Subsidiarität von § 615 S. 3 BGB in den Hintergrund. bb) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko § 615 S. 3 BGB ist auch gegenüber Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko vorrangig. Beide Ausfallgründe können einen Vergütungsanspruch, der auf einem Entgeltfortzahlungstatbestand beruht, nicht verdrängen.2512 XII. Zusammentreffen des Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 14 S. 1 AGG mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Ein Zusammentreffen des Leistungsverweigerungsrechts gemäß § 14 S. 1 AGG mit Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB) ist bereits auf der ersten Stufe zu behandeln: Macht der Arbeitnehmer sein Leistungsverweigerungsrecht geltend, ist er nicht leistungswillig im Sinne des § 297 BGB. Daher tritt in einem solchen Fall kein Annahmeverzug ein. 2511 Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17. und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18. 2512 Vgl. dazu oben § 9 B.III.30; für das Zusammentreffen von Betriebsrisiko und Wegerisiko wie hier ErfK-Preis § 615 BGB Rn. 134; a. A. (für ein Entfallen des Entgeltanspruchs) Gräf/Rögele NZA 2013, S. 1120 ff. Die Begründung von Gräf/Rögele, dass in diesen Konkurrenzfällen die Voraussetzungen von § 297 BGB nicht erfüllt seien, weswegen das Betriebsrisiko nicht zum Zuge komme, lässt sich im hier vertretenen Lösungssystem auf der ersten Stufe, der Tatbestandsebene, verorten. Dieser Ansatz überzeugt aber nicht, weil es sich bei dem Verweis in § 615 S. 3 BGB auf S. 1 nach zutreffender Auffassung nicht um eine Rechtsgrund-, sondern um eine Rechtsfolgenverweisung handelt (vgl. oben § 5 I.III.3.). I. E. ebenfalls a. A. MüKoBGB-Henssler § 615 BGB Rn. 34.

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2. Lösung auf der zweiten Stufe a) Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Gemäß § 24i Abs. 4 SGB V ist der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG gegenüber anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen wie § 14 S. 1 AGG subsidiär.2513 b) Zusammentreffen mit unbezahltem Urlaub Ebenfalls auf der zweiten Stufe kann das Verhältnis von § 14 S. 1 AGG zu unbezahltem Urlaub geklärt werden. Insoweit ist die Auslegung der Vereinbarung maßgeblich, die dem unbezahlten Urlaub zugrunde liegt.2514 Sofern darin keine ausdrückliche Regelung getroffen wird, ist regelmäßig ein Vorrang des unbezahlten Urlaubs anzunehmen. § 14 S. 1 AGG soll primär den Arbeitnehmer vor weiteren Belästigungen schützen. Dieser Schutz ist aber nicht erforderlich, wenn der Arbeitnehmer sich ohnehin nicht an seiner Arbeitsstätte aufhält. Zudem wird die Verwirklichung des Urlaubszwecks durch drohende Belästigungen am Arbeitsplatz nicht gefährdet, wenn der Arbeitnehmer dort nicht erscheint, so dass auch aus diesem Grund nichts gegen einen Vorrang des unbezahlten Urlaubs einzuwenden ist. Dieselben Grundsätze gelten auch, soweit es sich bei dem unbezahlten Urlaub um Kurzarbeit handelt, die auf einer Vereinbarung beruht. 3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands aa) Subsidiarität des § 14 S. 1 AGG Grundsätzlich ist § 14 S. 1 AGG gegenüber anderen Tatbeständen subsidiär. Bei dieser Vorschrift steht die Schutzfunktion im Vordergrund. Daher muss sie ihrem Zweck nach nicht eingreifen, sofern der Arbeitnehmer sich – aufgrund des konkurrierenden Ausfallgrunds – nicht an seiner Arbeitsstätte aufhält.2515 Infolgedessen setzen sich viele Tatbestände gegen § 14 S. 1 AGG durch, und zwar die alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (vgl. § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB), die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG), die Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG), der bezahlte Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG), der Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG), die bezahlte Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 2513 2514 2515

Vgl. oben § 9 C.VI.2.a). Vgl. oben § 9 B.III.27. Vgl. ausführlich oben § 9 B.III.14.

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S. 3 MuSchG), das Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG, die Teilnahme an einer Betriebsversammlung (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) sowie die Teilnahme an einer Sprechstunde des Betriebsrats und die sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG). Bei einigen dieser konkurrierenden Tatbestände sprechen weitere Umstände für dieses Ergebnis. Im Zusammenhang mit § 16 S. 3 MuSchG und § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG sind die unionsrechtlichen Vorgaben zu nennen, die mit diesen Vorschriften umgesetzt werden.2516 Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der sekundärrechtlich gebotene Schutz der Schwangeren und des Arbeitnehmers in Gefahrensituationen gewährleistet wird. Bei § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG und § 39 Abs. 3 BetrVG kann die von diesen Tatbeständen ausgehende Anreizwirkung durch deren Vorrang am besten verwirklicht werden.2517 Hinsichtlich des bezahlten Erholungsurlaubs im Sinne des § 1 BUrlG schließlich ist zu erwähnen, dass Umstände, die ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 S. 1 AGG begründen, nicht dazu führen können, dass der Erholungszweck verfehlt wird. Daher ist auch unter diesem Gesichtspunkt nichts gegen einen Vorrang des Erholungsurlaubs und die damit einhergehende Anrechnung des Kollisionszeitraumes auf das Urlaubskontingent einzuwenden.2518 bb) Zusammentreffen mit Arbeitskampf Ferner muss § 14 S. 1 AGG hinter dem rechtmäßigen wie dem rechtswidrigen Streik, der rechtmäßigen Aussperrung sowie dem Arbeitskampfrisiko zurückstehen. In Bezug auf den Streik liegt der maßgebliche Grund für diese Rangfolge vor allem darin, dass der Arbeitnehmer frei entscheiden kann, ob er streiken möchte. Zudem drohte andernfalls eine Störung der Kampfparität.2519 Im Verhältnis zu einer rechtmäßigen Aussperrung oder dem Arbeitskampfrisiko sind vor allem die oben erläuterten Paritätsaspekte maßgeblich.2520 cc) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit Kollidiert das Leistungsverweigerungsrecht mit Kurzarbeit, die der Arbeitgeber nach § 19 KSchG angeordnet hat, setzt sich letztere durch. Andernfalls kä2516 Vgl. für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15. 2517 Vgl. für § 44 Abs. 1 S. 1 BetrVG oben § 9 B.III.19., für § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG oben § 9 B.III.20. sowie für § 39 Abs. 3 BetrVG oben § 9 B.III.21. 2518 Vgl. zur Bedeutung dieses Gesichtspunkts oben § 9 B.III.5. 2519 Vgl. zum rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22. und zum rechtswidrigen Streik oben § 9 B.III.23. 2520 Vgl. zur rechtmäßigen Aussperrung oben § 9 B.III.24. sowie zum Arbeitskampfrisiko oben § 9 B.III.26.

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men die Normzwecke, die hinter dieser Vorschrift stehen, nicht hinreichend zur Geltung.2521 Danach soll der Arbeitgeber in der wirtschaftlichen Ausnahmesituation, die Voraussetzung für die Anwendung des § 19 KSchG ist, finanziell entlastet werden. Zudem muss § 14 S. 1 AGG auch nicht eingreifen, um seiner Schutzfunktion gerecht zu werden. Während der Kurzarbeit hält sich der Arbeitnehmer nicht an seinem Arbeitsplatz auf, so dass ihm keine Belästigungen drohen. dd) Zusammentreffen mit Elternzeit Auch die Elternzeit setzt sich gegen § 14 S. 1 AGG durch. Da der Arbeitnehmer während der gesamten Elternzeit ohne arbeitsvertragliche Vergütung auskommen muss, ist er ohnehin darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten. Insoweit kommen Ansprüche auf Elterngeld in Betracht, aber auch das Einkommen des Partners.2522 Zudem gilt auch hier, dass § 14 S. 1 AGG nicht eingreifen muss, um dessen Schutzfunktion zu verwirklichen. Da sich der Arbeitnehmer während der Elternzeit nicht an seiner Arbeitsstätte befindet, drohen ihm auch keine Belästigungen. b) Vorrang des § 14 S. 1 AGG aa) Zusammentreffen mit anderen subsidiären Tatbeständen Wenn § 14 S. 1 AGG mit anderen subsidiären Tatbeständen zusammentrifft, kann deren Subsidiarität aus unterschiedlichen Gründen nicht zum Zuge kommen. Daher setzt sich § 14 S. 1 AGG gegen diese Tatbestände durch. Im Falle einer Kollision mit bezahlter Freistellung für Stillzeit nach § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG beruht der Vorrang von § 14 S. 1 AGG darauf, dass die Subsidiarität dieses Tatbestands ausnahmsweise bei dieser speziellen Konstellation aus Gründen, die oben erörtert wurden, nicht eingreift.2523 Deswegen steht einzig die Subsidiarität des § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG im Raum. Für die Nachrangigkeit des § 615 S. 3 BGB ist der Gedanke maßgeblich, dass sämtliche geschriebenen Entgeltfortzahlungstatbestände dieser Norm vorgehen.2524 Bei § 616 S. 1 BGB wiederum kommt dessen Subsidiarität besonderes Gewicht zu, weil sie bereits in den Gesetzesmaterialien angelegt ist.2525 Diese Wertung schlägt auf das Verhältnis zu § 14 Abs. 1 ArbPlSchG durch, da dieser Tatbestand dem § 616 S. 1 BGB nachgebildet ist.2526 2521 2522 2523 2524 2525 2526

Vgl. dazu oben § 9 B.III.28. Vgl. schon oben § 9 B.III.29. Vgl. oben § 9 C.IX.3.a)aa). Vgl. oben § 9 C.XI.3.a)bb). Vgl. oben § 9 C.IV.3.a)bb). Vgl. oben § 9 B.III.16.

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bb) Zusammentreffen mit kollektivrechtlichen Tatbeständen § 14 S. 1 AGG setzt sich ferner gegen § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG durch. Das folgt aus der Wertung von § 78 S. 2 BetrVG.2527 Danach dürfen Arbeitnehmer, die unter diese Tatbestände fallen und denen zugleich ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 S. 1 AGG zusteht, nicht anders behandelt werden als sonstige zur Leistungsverweigerung nach § 14 S. 1 AGG berechtigte Arbeitnehmer. Demgegenüber tritt das Subsidiaritätselement zurück, das § 14 S. 1 AGG kennzeichnet. cc) Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko Schließlich setzt sich § 14 S. 1 AGG auch gegenüber Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko durch. Beide Verhinderungsgründe lassen Vergütungsansprüche, die auf Entgeltfortzahlungstatbeständen beruhen, unberührt.2528 XIII. Zusammentreffen des Entfernungsrechts gemäß § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Das Verhältnis des Entfernungsrechts aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG zu Annahmeverzug (vgl. § 615 S. 1 BGB) lässt sich auf der ersten Stufe lösen. Macht der Arbeitnehmer von seinem Entfernungsrecht Gebrauch, ist er nicht leistungswillig im Sinne des § 297 BGB. Daher kann in einem solchen Fall kein Annahmeverzug eintreten. 2. Lösung auf der zweiten Stufe Gemäß § 24i Abs. 4 SGB V ist der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG gegenüber anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen wie dem Entfernungsrecht nach § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG subsidiär.2529 3. Lösung auf der dritten Stufe Alle übrigen Konstellationen müssen auf der dritten Ebene nach Wertungsgesichtspunkten und insbesondere nach Normzwecken aufgelöst werden.

2527 Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17. und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18. 2528 Vgl. dazu oben § 9 B.III.30. 2529 Vgl. oben § 9 C.VI.2.a).

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a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands Nur ein Tatbestand ist auf der dritten Ebene gegenüber § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG vorrangig, und zwar die bezahlte Freistellung für Untersuchungen (vgl. § 16 S. 3 MuSchG). Beide Tatbestände setzen europarechtliche Vorgaben um und bezwecken den Schutz der Arbeitnehmerin. Wie bereits oben erläutert worden ist, setzt sich § 16 S. 3 MuSchG aufgrund des weitergehenden Schutzumfangs durch.2530 b) Vorrang des § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG In allen übrigen Fällen ist § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG vorrangig. Dieser Tatbestand setzt Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG um, der ausdrücklich jegliche Form von Nachteilen und damit auch von Entgelteinbußen verbietet.2531 Es wäre daher europarechtswidrig, einen konkurrierenden Tatbestand als vorrangig einzustufen, wenn sich dadurch die Vergütung des Arbeitnehmers verringerte. Soweit bei konkurrierenden Tatbeständen die Wertungen und Normzwecke des nationalen Gesetzgebers für ein gegenteiliges Resultat sprechen, müssen sie gegenüber diesen zwingenden unionsrechtlichen Vorgaben zurücktreten.2532 Bei anderen Tatbeständen stützen hingegen weitere gesetzliche Wertungen dieses Ergebnis. § 616 S. 1 BGB, § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, § 615 S. 3 BGB, § 14 S. 1 AGG sowie § 14 Abs. 1 ArbPlSchG sind ohnehin gegenüber konkurrierenden Tatbeständen subsidiär.2533 Bei den kollektivrechtlichen Tatbeständen gemäß § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG kommt die Wertung von § 78 S. 2 BetrVG zum Tragen, wonach eine Ungleichbehandlung von Amtsträgern im Sinne dieser Vorschriften, die ein Entfernungsrecht nach § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG geltend machen können, und sonstigen Arbeitnehmern, denen ein solches Entfernungsrecht zusteht, unzulässig ist.2534 Daher ist auch von diesem Standpunkt aus die vorrangige Anwendung des § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG zwingend geboten. Bei einem Zusammentreffen mit Arbeitsunwilligkeit oder Wege-

2530

Vgl. oben § 9 C.VIII.3.b)bb). Vgl. oben § 9 B.III.15. 2532 Beispielhaft sei insoweit die hinter der Elternzeit stehende Wertung, nach der der Arbeitnehmer ohnehin über einen längeren Zeitraum hinweg ohne sein Arbeitsentgelt auskommen muss, genannt. In vergleichbarer Weise ist aufgrund des strikten Wortlauts des Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG auch eine Vereinbarung dahingehend unzulässig, dem unbezahlten Urlaub Vorrang vor § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG zu gewähren. 2533 Zur Herleitung der Subsidiarität des jeweiligen Tatbestands vgl. für § 616 S. 1 BGB oben § 9 B.III.4., für § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.9., für § 615 S. 3 BGB oben § 9 B.III.11., für § 14 S. 1 AGG oben § 9 B.III.14. sowie für § 14 Abs. 1 ArbPlSchG oben § 9 B.III.16. 2534 Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17. und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18. 2531

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risiko schließlich ist der Grundsatz zu berücksichtigen, dass beide Ausfallgründe konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände unberührt lassen.2535 XIV. Zusammentreffen einer persönlichen Meldung oder Vorstellung bei einer Erfassungs- oder Wehrersatzbehörde (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Mehrere Kollisionen zwischen § 14 Abs. 1 ArbPlSchG und anderen Ausfallgründen lassen sich auf der ersten Stufe lösen: Mit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB kann § 14 Abs. 1 ArbPlSchG nicht kollidieren, da der Arbeitgeber für eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zu einer persönlichen Meldung oder Vorstellung bei einer Erfassung- oder Wehrersatzbehörde nicht allein oder weit überwiegend verantwortlich sein kann.2536 Ferner ist der Arbeitnehmer während einer persönlichen Meldung oder Vorstellung im Sinne des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG nicht leistungsfähig im Sinne des § 297 BGB, weswegen zeitgleich kein Annahmeverzug im Sinne des § 615 S. 1 BGB eintreten kann. Der Arbeitnehmer kann auch nicht gleichzeitig an einer persönlichen Meldung oder Vorstellung einerseits und einer Untersuchung, einer Betriebsversammlung oder einer Sprechstunde des Betriebsrats andererseits teilnehmen, weswegen § 14 Abs. 1 ArbPlSchG auch nicht mit § 16 S. 3 MuSchG, § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG oder § 39 Abs. 3 BetrVG kollidieren kann. Schließlich kann der Arbeitnehmer auch keine Tätigkeit im Sinne der kollektivrechtlichen Tatbestände nach § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 oder § 38 BetrVG ausüben, während er sich nach § 14 Abs. 1 ArbPlSchG persönlich meldet oder vorstellt. 2. Lösung auf der zweiten Stufe Auf der zweiten Stufe kann die Beziehung des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG zu unbezahltem Urlaub geklärt werden, indem man die Vereinbarung über den unbezahlten Urlaub ausgelegt.2537 Dem steht die Unabdingbarkeit des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG nicht entgegen.2538 Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung über das Vorrangverhältnis, setzt sich § 14 Abs. 1 ArbPlSchG regelmäßig durch. Während einer Musterung oder persönlichen Vorstellung im Sinne dieser Vorschrift kann der Urlaubszweck nicht erreicht werden. Gegebenenfalls kann die Auslegung auch eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Nachgewährung des unbezahlten Urlaubs ergeben. 2535

Vgl. dazu oben § 9 B.III.30. Vgl. oben § 9 B.III.16. 2537 Vgl. oben § 9 B.III.27. 2538 Vgl. hierzu das Parallelproblem im Verhältnis von unbezahltem Urlaub zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG oben unter § 9 C.II.2.c). 2536

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Dieselben Grundsätze gelten, wenn es sich bei dem unbezahlten Urlaub um Kurzarbeit handelt, die auf einer Vereinbarung beruht. 3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands aa) Subsidiarität des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG Hinter einigen Tatbeständen tritt § 14 Abs. 1 ArbPlSchG aufgrund seiner Subsidiarität zurück.2539 Dabei handelt es sich um die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG, die Feiertagsvergütung gemäß § 2 Abs. 1 EFZG, den Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG, die Freistellung für Stillzeit nach § 7 Abs. 2 MuSchG, das Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG sowie das Leistungsverweigerungsrecht aus § 14 S. 1 AGG. Der Vorrang von § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG ergibt sich zudem auch noch aus unionsrechtlichen Vorgaben, die diese Vorschrift umsetzt.2540 Andernfalls würde man dem Zweck des Tatbestands nicht gerecht, jede Form von Entgelteinbußen auszuschließen. Zum Verhältnis zu § 14 S. 1 AGG und § 7 Abs. 2 MuSchG sei ferner angemerkt, dass zwar diese Tatbestände ebenfalls von einem Subsidiaritätselement geprägt sind, dieses aber weniger gewichtig ist als das des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG. Wie oben bereits erläutert worden ist, hat der Gesetzgeber § 14 Abs. 1 ArbPlSchG dogmatisch § 616 S. 1 BGB nachgebildet.2541 Da die Subsidiarität von § 616 S. 1 BGB bereits in den Gesetzesmaterialien angelegt ist, kommt ihr besondere Bedeutung zu, die auf § 14 Abs. 1 ArbPlSchG „durchschlägt“.2542 bb) Zusammentreffen mit Arbeitskampf Bei einem Zusammentreffen des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG mit einem rechtmäßigen oder einem rechtswidrigen Streik, einer rechtmäßigen Aussperrung oder einem Arbeitsausfall, für den der Arbeitnehmer nach der Arbeitskampfrisikolehre das Risiko trägt, entfällt der Vergütungsanspruch. Was die Kollision mit dem Streik betrifft, ist vor allem der Gedanke maßgeblich, dass es vom Willen des Arbeitnehmers abhängt, ob dieser Ausfallgrund eingreift. Zudem drohte andernfalls eine Störung der Kampfparität.2543 Die rechtmäßige Aussperrung und das 2539

Vgl. oben § 9 B.III.16. Vgl. oben § 9 B.III.15. 2541 Vgl. oben § 5 M.I. und II. 2542 Vgl. oben § 9 C.IV.3.a)bb). 2543 Vgl. zum rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22. und zum rechtswidrigen Streik oben § 9 B.III.23. 2540

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Arbeitskampfrisiko sind vorrangig, weil andernfalls eine Störung der Kampfparität drohte.2544 cc) Zusammentreffen mit nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit Kollidiert § 14 Abs. 1 ArbPlSchG mit Kurzarbeit, die der Arbeitgeber nach § 19 KSchG angeordnet hat, setzt sich letztere durch. Andernfalls kämen die hinter dieser Vorschrift stehenden Normzwecke nicht hinreichend zur Geltung.2545 Danach soll der Arbeitgeber in der wirtschaftlichen Ausnahmesituation, die Voraussetzung für die Anwendung des § 19 KSchG ist, finanziell entlastet werden. dd) Zusammentreffen mit Elternzeit Schließlich ist auch die Elternzeit gegenüber § 14 Abs. 1 ArbPlSchG vorrangig. Der Arbeitnehmer, der für den Zeitraum der Elternzeit auf seine Entgeltansprüche gegen den Arbeitgeber verzichtet, ist während dieses Zeitraums ohnehin darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten, zum Beispiel mit Hilfe von gegebenenfalls bestehenden Ansprüchen auf Elterngeld oder dem Einkommen des Partners.2546 Daher muss § 14 Abs. 1 ArbPlSchG nicht zum Zwecke der Existenzsicherung des Arbeitnehmers eingreifen. b) Differenzierende Lösung (Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld) Gegen den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG setzt sich § 14 Abs. 1 ArbPlSchG gemäß § 24i Abs. 4 SGB V grundsätzlich durch. Nur ausnahmsweise ist § 14 MuSchG vorrangig, wenn die nach dem ArbPlSchG berechnete Vergütung hinter einer hypothetischen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) zurückbleibt, während demgegenüber die nach den §§ 13, 14 MuSchG zu zahlende Summe diese Höhe erreicht oder überschreitet.2547 Diese Entgeltverringerung kann auch nicht gemäß Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/ EWG gerechtfertigt werden. Arbeitsausfälle im Sinne von § 14 Abs. 1 ArbPlSchG hängen nicht vom Willen der Arbeitnehmerin ab. Damit handelt es sich bei der Abwesenheit dieses Ausfallgrunds nach den oben2548 erarbeiteten Maßstäben 2544 Vgl. zur rechtmäßigen Aussperrung oben § 9 B.III.24. sowie zum Arbeitskampfrisiko oben § 9 B.III.26. 2545 Vgl. dazu oben § 9 B.III.28. 2546 Vgl. hierzu schon oben § 9 B.III.29. 2547 Vgl. oben § 9 B.III.6.c)aa). 2548 Vgl. oben § 9 B.III.6.c)bb).

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nicht um eine Bedingung im Sinne des Art. 11 Nr. 4 RL 92/85/EWG. Daher kann Umsetzungsgesetzgeber den in der Richtlinie vorgesehenen Vergütungsschutz nicht davon abhängig machen, dass kein Arbeitsausfall im Sinne von § 14 Abs. 1 ArbPlSchG vorliegt. c) Vorrang des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG In allen verbleibenden Konstellationen setzt sich § 14 Abs. 1 ArbPlSchG durch. § 615 S. 3 BGB tritt zurück, weil – wie oben erläutert – die Subsidiarität dieses Tatbestands schwerer wiegt als diejenige von § 14 Abs. 1 ArbPlSchG.2549 Im Verhältnis zu einer vorübergehenden Verhinderung nach § 616 S. 1 BGB ist § 14 Abs. 1 ArbPlSchG aufgrund seines höheren Schutzniveaus vorrangig.2550 Weiterhin setzt sich § 14 Abs. 1 ArbPlSchG gegen den bezahlten Erholungsurlaub durch, da während einer persönlichen Meldung oder Vorstellung der Erholungszweck des Erholungsurlaubs vereitelt wird.2551 Auch im Verhältnis zu Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko kommt § 14 Abs. 1 ArbPlSchG zum Tragen. Beide Verhinderungsgründe können Vergütungsansprüche, die aus einem Entgeltfortzahlungstatbestand folgen, nicht verdrängen.2552 XV. Zusammentreffen von kollektivrechtlichen Tatbeständen mit anderen Verhinderungsgründen Das Verhältnis vieler kollektivrechtlicher Tatbestände zu anderen Verhinderungsgründen kann zusammenhängend erläutert werden. Im Einzelnen geht es hier um die anlassbezogene Freistellung für Betriebsratstätigkeiten (vgl. § 37 Abs. 2, 3 BetrVG), die vollständige Freistellung für Betriebsratstätigkeiten (vgl. § 38 BetrVG), die Freistellung für Schulungs- oder Bildungsveranstaltungen (vgl. § 37 Abs. 6, 7 BetrVG) und die Freistellung für Tätigkeiten im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen (vgl. § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG). 1. Lösung auf der ersten Stufe Bereits auf Tatbestandsebene ist das Verhältnis dieser Tatbestände zum Annahmeverzug im Sinne des § 615 S. 1 BGB zu erläutern. Nimmt der Arbeitnehmer derartige Tätigkeiten wahr, ist er nicht leistungswillig im Sinne des § 297 BGB. Daher kann währenddessen kein Annahmeverzug eintreten. Ebenfalls auf der ersten Stufe kann das Verhältnis aller hier genannten Tatbestände untereinander 2549 2550 2551 2552

Vgl. oben § 9 C.XI.3.a)bb). Vgl. oben § 9 C.IV.3.a)bb). Vgl. oben § 9 C.V.3.a)cc). Vgl. dazu oben § 9 B.III.30.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

sowie zur bezahlten Freistellung für Untersuchungen im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG, zur persönlichen Meldung oder Vorstellung bei einer Erfassungsbehörde oder Wehrersatzbehörde (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG), zur Teilnahme an Betriebsversammlungen (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) sowie zur Teilnahme an Sprechstunden oder einer sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) behandelt werden. Alle diese Tatbestände setzen die Wahrnehmung bestimmter Tätigkeiten voraus, die miteinander inkompatibel sind. Beispielsweise kann etwa ein Arbeitnehmer, der gerade gemustert wird, nicht gleichzeitig Betriebsratstätigkeiten erledigen. Daher schließen sich diese Tatbestände gegenseitig aus. Tatbestandliche Besonderheiten schließlich sind für das Verhältnis dieser Vorschriften zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) und zur Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG) zu beachten. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.2553 2. Lösung auf der dritten Stufe a) Grundsätze Das Konkurrenzverhältnis zu den übrigen Verhinderungsgründen ist auf der dritten Stufe zu entscheiden. Dabei kommt der Wertung von § 78 S. 2 BetrVG (für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG in analoger Anwendung) überragende Bedeutung zu.2554 Diese Norm gebietet eine Gleichbehandlung von Arbeitnehmern, die Tätigkeiten im Sinne der hier diskutierten kollektivrechtlichen Tatbestände ausüben und daneben noch einem anderen Verhinderungsgrund unterfallen, mit anderen Arbeitnehmern, auf die ausschließlich infolge des zweiten Verhinderungsgrunds nicht arbeiten können. Sollen beide Arbeitnehmergruppen gleich bezahlt werden, muss die Vergütung nach dem zweiten konkurrierenden Verhinderungsgrund erfolgen. Daraus folgt zwangsläufig dessen Vorrang und zugleich die Nachrangigkeit der kollektivrechtlichen Tatbestände.2555 Diesem Ergebnis lässt sich nicht überzeugend entgegenhalten, dass einige konkurrierende Tatbestände grundsätzlich subsidiär sind (vgl. § 616 S. 1 BGB, § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, § 615 S. 3 BGB, § 14 S. 1 AGG sowie § 14 Abs. 1 ArbPlSchG). Während die Nachran2553 Vgl. zu § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG oben § 9 C.II.3.c)dd) sowie zu § 2 Abs. 1 EFZG oben § 9 C.III.3.c)bb). 2554 Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17. und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18. 2555 A. A. das BAG für das Verhältnis von Fahrtkostenersatz für Betriebsratstätigkeit und Elternzeit, vgl. BAG 25.5.2005 – 7 ABR 45/04, AP Nr. 13 zu § 24 BetrVG 1972. Dabei geht das BAG auch auf einen möglichen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 S. 2 BetrVG ein und lehnt einen solchen ab. Diese Entscheidung zum Fahrtkostenersatz ist aber nicht auf die Konkurrenz von Elternzeit und bezahlte Freistellung für Betriebsratstätigkeiten übertragbar, da bei Fahrtkostenersatz keine im Synallagma stehende Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers betroffen ist.

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gigkeit der kollektivrechtlichen Tatbestände auf der zwingenden gesetzlichen Wertung von § 78 S. 2 BetrVG beruht, leitet sich die Subsidiarität von § 616 S. 1 BGB, § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, § 615 S. 3 BGB, § 14 S. 1 AGG und § 14 Abs. 1 ArbPlSchG nur aus deren Zweck und Entstehungsgeschichte ab und hat keinen zwingenden Charakter. b) Besonderheiten Bei einigen konkurrierenden Tatbestände treten noch weitere Aspekte hinzu, die deren Vorrang stützen: § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG, § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG und § 16 S. 3 MuSchG müssen sich aufgrund europarechtlicher Vorgaben durchsetzen.2556 Andernfalls drohte die Gefahr, dass die Vergütung unter das nach den einschlägigen Richtlinien zulässige Niveau absinkt.2557 In Bezug auf § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG und § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG spricht zudem der Schutzzweck der Schutzfristen und Beschäftigungsverbote, die diesen Regelungen zugrunde liegen, für den Vorrang dieser Tatbestände.2558 In Konkurrenz mit Arbeitskämpfen ist der Vorrang der Streikteilnahme auch dadurch gerechtfertigt, dass es vom Willen des Arbeitnehmers abhängt, ob er an dem Streik teilnimmt. Zudem drohte andernfalls eine Störung der Kampfparität.2559 Das gilt auch für das Verhältnis zu einer rechtmäßigen Aussperrung und dem Arbeitskampfrisiko.2560 Bei einer

2556 Vgl. für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15., für § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG oben § 9 C.VI.3.c)aa) sowie für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. 2557 Folgende europarechtliche Vorschriften werden durch diese Tatbestände umgesetzt: Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG durch § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG (siehe oben § 5 L.II.) Art. 8 Abs. 1, Art. 11 Nr. 2 b) RL 92/85/EWG durch § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG [siehe oben § 5 G.I.2.b)] und Art. 9 RL 92/85/EWG durch § 16 S. 3 MuSchG (siehe oben § 5 G.III.2.). 2558 Vgl. dazu für § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG oben § 9 C.VI.3.c)aa) und für § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG oben § 9 C.VII.3.b)cc). 2559 Vgl. ausführlich zum rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22. und zum rechtswidrigen Streik oben § 9 B.III.23.; im Ergebnis ebenso BAG 15.1.1991 – 1 AZR 178/90, AP Nr. 114 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, worin noch einmal ausdrücklich (entsprechend der hier vertretenen Auffassung) darauf hingewiesen wird, dass eine auflösungsbedürftige Konkurrenz nur vorliegt, wenn sich das Betriebsratsmitglied an dem Streik beteiligt; ebenso Knipper Arbeitsverhältnis, S. 83; Fitting § 37 Rn. 184; Gloistein Betriebsrat, S. 100–111; a. A. DKKW-Wedde § 37 Rn. 61, 165; Brox/Rüthers Arbeitskampfrecht-Brox Rn. 624; Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 195 Rn. 13 (dessen Verweis auf die angeführte BAG-Entscheidung ist irreführend, da das BAG den Erhalt des Vergütungsanspruchs nach § 37 Abs. 6 BetrVG nur bejaht, wenn sich das Betriebsratsmitglied nicht an dem Streik beteiligt). 2560 Vgl. zur rechtmäßigen Aussperrung oben § 9 B.III.24. sowie zum Arbeitskampfrisiko oben § 9 B.III.26.; im Ergebnis für die rechtmäßige Aussperrung ebenso BAG 25.10.1988 – 1 AZR 368/87, AP Nr. 110 zu Art. 9 GG Arbeitskampf mit ablehnender Anmerkung Brox; Fitting § 37 Rn. 61, 184; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 14; ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 6; GK-Weber § 37 Rn. 57; a. A. DKKW-Wedde § 37 Rn. 165; zum Arbeitskampfrisiko wie hier Henssler/Willemsen/ Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 14.

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Kollision mit Kurzarbeit, die der Arbeitgeber nach § 19 KSchG angeordnet hat, sprechen die hinter dieser Vorschrift stehenden Normzwecke2561 für den Fortfall des Vergütungsanspruchs. Der Arbeitgeber soll in der wirtschaftlichen Ausnahmesituation, die Voraussetzung für die Anwendung des § 19 KSchG ist, gerade nicht dazu verpflichtet sein, eine Vergütung zahlen zu müssen. Weiterhin ist für das Verhältnis zu unbezahltem Urlaub zu ergänzen, dass eine Lösung nicht schon auf der zweiten Stufe erzielt werden kann, indem man die Vereinbarung über den unbezahlten Urlaub auslegt. Eine vertragliche Abrede zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die eine Vergütung während des unbezahlten Urlaubs vorsieht, widerspricht § 78 S. 2 BetrVG und ist nach § 134 BGB in Verbindung mit dieser Vorschrift nichtig.2562 Die Lösung die Konkurrenz erfolgt vielmehr auf der dritten Stufe dahingehend, dass sich die genannten Begünstigungsverbote und damit der unbezahlte Urlaub durchsetzt. Nichts anderes gilt, soweit es sich bei dem unbezahlten Urlaub um Kurzarbeit handelt, die auf einer Vereinbarung beruht.2563 Besondere Zuwendung verdient noch das Verhältnis der kollektivrechtlichen Tatbestände zu Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko. Hier streiten zwei gesetzliche Wertungen miteinander, die sich widersprechen: Einerseits können Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände nicht verdrängen.2564 Ein Arbeitnehmer, der Betriebsratstätigkeiten2565 ausübt, muss nach der Wertung des § 37 Abs. 2 BetrVG gar nicht arbeitswillig sein, sondern darf arbeitsunwillig sein und muss sich daher auch nicht bemühen, seine Arbeitsstätte zu erreichen. Andererseits gebietet § 78 S. 2 BetrVG die Gleichbehandlung von arbeitsunwilligen Betriebsratsmitgliedern mit sonstigen arbeitsunwilligen Arbeitnehmern. Letztere erhalten keine Vergütung, so dass auch arbeitsunwillige Betriebsratsmitglieder nicht bezahlt werden dürften.

2561

Vgl. dazu oben § 9 B.III.28. Vgl. BAG 16.2.2005 – 7 AZR 95/04, AP Nr. 26 zu § 46 BPersVG, Fitting § 78 Rn. 23; Gloistein Betriebsrat, S. 97 f. 2563 Im Ergebnis ebenso BAG 12.7.1994 – 7 AZR 398/93, AP Nr. 66 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; BAG 26.4.1995 – 7 AZR 874/94, AP Nr. 17 zu § 20 BetrVG 1972; LAG Hamm (Westfalen) 2.12.1992 – 3 Sa 1305/92, LAGE Nr. 40 zu § 37 BetrVG 1972; ArbG Aachen 19.6.1974 – 2 Ca 464/74, BB 1975, S. 136; ArbG Dresden 3.4.1998 – 16 Ca 10358/97, NZA-RR 1999, S. 532, 534; ErfK-Koch § 37 BetrVG Rn. 6; Fitting § 37 Rn. 69; GK-Weber § 37 Rn. 56; HSWGNR-Glock § 37 Rn. 58; mit differenzierter Begründung im Ergebnis ebenso für freigestellte Betriebsratsmitglieder im Sinne des § 38 BetrVG Knipper Arbeitsverhältnis, S. 57–60. a. A. für eine Vergütungszahlung DKKW-Wedde § 37 Rn. 53, 165. 2564 Vgl. oben § 9 B.III.29. 2565 Soweit hier und im Folgenden von Betriebsratstätigkeiten die Rede ist, gelten die angestellten Überlegungen entsprechend für Tätigkeiten im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG. 2562

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Die beschriebene Wertung des § 78 S. 2 BetrVG lässt sich aber überwinden, wenn eine Besserstellung des Betriebsratsmitglieds gerechtfertigt ist.2566 Hierzu müssen für die Vergütungszahlung trotz Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko sachliche Gründe bestehen.2567 § 78 S. 2 BetrVG verbietet nur willkürliche und damit rechtswidrige Benachteiligungen oder Begünstigungen. Willkür scheidet aber aus, wenn eine Maßnahme nach dem Gesetz zulässig ist oder nach allgemeinem Brauch als zulässig angesehen wird, etwa, wenn es sich um sachlich gerechtfertigte Maßnahmen im Arbeitsverhältnis handelt.2568 Ein derartiger sachlicher Grund liegt hier vor. In der Person des Betriebsratsmitglieds tritt zur Arbeitsunwilligkeit ein weiterer Ausfallgrund hinzu, der es zur Arbeitsunwilligkeit berechtigt, nämlich die Ausübung von Betriebsratstätigkeiten. Zwar handelt es sich dabei nicht um die Erbringung der Arbeitsleistung.2569 Das ändert aber nichts daran, dass dieser Umstand das Betriebsratsmitglied von dem Erfordernis der Arbeitswilligkeit und dem Erscheinen am Arbeitsplatz befreit. Zudem zeigt eine weitere Überlegung, dass eine Vergütung sachlich gerechtfertigt ist: Auch Arbeitnehmer, bei denen zur Arbeitsunwilligkeit oder zu dem Wegerisiko statt der Betriebsratstätigkeit ein anderer weiterer Verhinderungsgrund wie etwa bezahlter Erholungsurlaub hinzutritt, behalten ihren Vergütungsanspruch. Verwehrte man arbeitsunwilligen oder vom Wegerisiko betroffenen Betriebsratsmitgliedern die Vergütung nach § 37 Abs. 2 BetrVG, würden sie gegenüber diesen Arbeitnehmern benachteiligt. Darin läge ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG. Vorzugswürdig ist nach alledem, in der Vergütung nach § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG keine nach § 78 S. 2 BetrVG unzulässige Begünstigung zu erblicken und diesen Tatbeständen den Vorrang vor der Arbeitsunwilligkeit und dem Wegerisiko einzuräumen.2570

2566

Vgl. HSWGNR-Worzalla § 78 Rn. 15. HSWGNR-Worzalla § 78 Rn. 15; GK-Kreutz § 78 Rn. 48; vgl. auch LAG Berlin 14.7.2000 – 6 TaBV 934/00, NZA-RR 2001, S. 313. 2568 Vgl. GK-Kreutz § 78 Rn. 48. 2569 Vgl. oben § 9 C.II.3.c)dd)(1)(a). 2570 Im Ergebnis zum Wegerisiko wie hier DKKW-Wedde § 37 Rn. 53; a. A. BAG 23.4.1974 – 1 AZR 139/73, AP Nr. 11 zu § 37 BetrVG 1972; BAG 31.7.1986 – 6 AZR 298/84, AP Nr. 55 zu § 37 BetrVG 1972; Henssler/Willemsen/Kalb-Reichold § 37 BetrVG Rn. 14; Richardi-Thüsing § 37 Rn. 32; GK-Weber § 37 Rn. 56; HSWGNRGlock § 37 Rn. 586. Das BAG zieht jeweils zur Begründung unter anderem das Lohnausfallprinzip heran. Dieser Ansatz ist abzulehnen, da es sich bei dem Lohnausfallprinzip um ein Element auf Rechtsfolgenseite handelt, aus dem keine Schlüsse für die Behandlung konkurrierender Verhinderungsgründe gezogen werden können (vgl. dazu schon oben § 8 A.II.). Schon eher nachvollziehbar ist der Verweis auf § 78 S. 2 BetrVG: Diese Vorschrift stehe einer Entgeltzahlung nach § 37 Abs. 2 BetrVG entgegen, da sonst das Betriebsratsmitglied begünstigt würde. Indes kommt das BAG insoweit nicht zu dem hier gezogenen Schluss, dass die Begünstigung gerechtfertigt ist. 2567

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

XVI. Zusammentreffen einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Einige Kollisionskonstellationen zwischen der Teilnahme an einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 BetrVG und anderen Ausfallgründen können bereits auf Tatbestandsebene gelöst werden. Ein Zusammentreffen mit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB scheitert bereits daran, dass der Arbeitgeber für die Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Betriebsversammlung nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich sein kann. Zeitgleich mit der Teilnahme an einer Betriebsversammlung kann auch kein Annahmeverzug eintreten, weil der Arbeitnehmer währenddessen nicht leistungswillig im Sinne des § 297 BGB ist. Schließlich scheidet ein Zusammentreffen mit einigen Tatbeständen aus, weil diese die Ausübung bestimmter Tätigkeiten voraussetzen, die der Arbeitnehmer nicht wahrnehmen kann, während er an einer Betriebsversammlung teilnimmt. Hierzu gehören die bezahlte Freistellung für Untersuchungen im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG, die persönliche Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG), die kollektivrechtlichen Tatbestände § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG, die Teilnahme an einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 2 BetrVG, die Teilnahme an einer Sprechstunde sowie eine sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG). 2. Lösung auf der zweiten Stufe a) Zusammentreffen mit Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG) Der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist gemäß § 24i Abs. 4 SGB V gegenüber anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen wie § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG subsidiär.2571 b) Unbezahlter Urlaub Auf der zweiten Stufe ist das Zusammentreffen von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG mit unbezahltem Urlaub (einschließlich Kurzarbeit, soweit sie auf einer Vereinbarung beruht) durch Auslegung der zugrunde liegenden Vereinbarung zu klären. Haben die Parteien keine ausdrückliche Regelung getroffen, ist zumeist § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG vorrangig. Hierfür spricht insbesondere die Anreizfunktion, die von diesem Tatbestand ausgeht.2572 Wenn dem Arbeitnehmer für die Teil2571 2572

Vgl. näher oben § 9 C.VI.2.a). Vgl. oben § 9 B.III.19.

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nahme während seines unbezahlten Urlaubs eine Vergütung winkt, die er sonst nicht erhalten könnte, dann ist das ein starker Anreiz zur Teilnahme, was dem Zweck von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG gerecht wird. 3. Lösung auf der dritten Stufe Ehe auf der dritten Stufe auf einzelne Konkurrenzen eingegangen wird, muss erwähnt werden, dass Rechtsprechung und Literatur sich ausführlich mit dem Verhältnis des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG zu konkurrierenden Tatbeständen befasst haben. Diese Diskussion wurde bereits oben im Zusammenhang mit dem Zusammentreffen von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG nachgezeichnet.2573 Zudem wurde dargelegt, warum die beiden verbreitet vertretenen Ansichten hierzu nicht überzeugen. Schließlich wurde dort ein eigener Lösungsansatz entwickelt. Diese Überlegungen sind auf andere Konkurrenzen unter Beteiligung von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG übertragbar, so dass auf die obigen Ausführungen ergänzend verwiesen werden kann.2574 a) Vorrang des konkurrierenden Ausfallgrunds Nur wenige Tatbestände sind gegenüber § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG vorrangig. Hierzu gehört zum einen das Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG. Dieser Tatbestand setzt europarechtliche Vorgaben zum Arbeitnehmerschutz um, die verletzt würden, wenn die Vergütung auf geringerem Niveau nach einem anderen Tatbestand fortgezahlt würde.2575 Demgegenüber muss die Anreizfunktion des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG, die in Verbindung mit dem hohen Schutzniveau dieser Norm im Regelfall eine relativ starke Stellung verschafft,2576 zurücktreten. Zum anderen muss § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG hinter die Beteiligung an Arbeitskämpfen zurücktreten.2577 Der Streik setzt sich vor allem deshalb durch, weil es 2573

Siehe oben § 9 C.II.3.a)bb). Vgl. oben § 9 C.II.3.a)cc)(3). 2575 Vgl. oben § 9 B.III.15. 2576 Vgl. oben § 9 B.III.19. 2577 Im Ergebnis wie hier Lunk Betriebsversammlung, S. 152 ff.; HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27, Richardi-Annuß § 44 Rn. 34; Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Rummler 170.4 Rn. 21; Buchner Gemeinsame Anmerkung zu BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85 und 1 AZR 666/85, SAE 1988, S. 10, 10–14; Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a–49c; Kraft/Raab Gemeinsame Anmerkung zu BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85, AP Nr. 5 zu § 44 BetrVG 1972 und BAG 5.5.1987 – 1 AZR 666/85, AP Nr. 6 zu § 44 BetrVG 1972; a. A. (für einen Vorrang des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG) BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG; Fitting § 44 Rn. 30; GK-Weber § 44 Rn. 37; DKKW-Berg § 44 Rn. 18; Henssler/Willemsen/Kalb-Diller § 44 BetrVG Rn. 23; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 5; wohl auch Reuter JuS 1988, S. 413, 413–415. 2574

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

der Arbeitnehmer in der Hand hat, seine Streikteilnahme zu beenden und die Entgeltfortzahlung aufleben zu lassen. Zudem drohte andernfalls eine Störung der Kampfparität.2578 Das gilt auch für das Verhältnis zu der rechtmäßigen Aussperrung und dem Arbeitskampfrisiko.2579 Zu beachten ist aber, dass § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG mit einer Streikteilnahme nur selten kollidieren wird, da man in der Teilnahme an der Betriebsversammlung in der Regel eine konkludente Rücknahme der Streikteilnahmeerklärung sehen muss. Anders verhält es sich aber, wenn der Arbeitnehmer ausdrücklich erklärt, auch während der Betriebsversammlung seine Streikteilnahme aufrecht zu erhalten. b) Vorrang des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG Im Übrigen ist § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG gegenüber konkurrierenden Ausfallgründen vorrangig. Andernfalls würde die Anreizfunktion des Tatbestands konterkariert, die durch das hohe Schutzniveau verwirklicht wird.2580 Zudem ist ein verstärkter Arbeitnehmerschutz auch mit den Zwecken der konkurrierenden Tatbestände vereinbar, weil es sich dabei um Arbeitnehmerschutzvorschriften handelt. Bei den betroffenen Tatbeständen handelt es sich um die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG),2581 die Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG),2582 die vorübergehende Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB), den bezahlten Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG),2583 den Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG), die bezahlte Freistellung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG), das Betriebsrisiko (vgl. § 615 S. 3 BGB), das Leistungsverwei2578 Vgl. zum rechtmäßigen Streik oben § 9 B.III.22. und zum rechtswidrigen Streik oben § 9 B.III.23. 2579 Vgl. zur rechtmäßigen Aussperrung oben § 9 B.III.24. sowie zum Arbeitskampfrisiko oben § 9 B.III.26. 2580 Vgl. oben § 9 B.III.19. 2581 Vgl. oben ausführlich § 9 C.II.3.a)bb); wie hier Richardi-Annuß § 44 Rn. 33; a. A. (gegen eine Vergütungspflicht nach § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG) HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27; Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a–49c. 2582 Vgl. hierzu ausführlich oben § 9 C.III.3.a)cc). 2583 Vgl. oben § 9 C.V.3.a)aa); a. A. für eine Doppelvergütung nach § 1 BUrlG und § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG unter Anrechnung auf die Urlaubszeit BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85, AP Nr. 5 zu § 44 BetrVG; LAG Hamm (Westfalen) 2.8.1985 – 16 Sa 174/85, AiB 2001, S. 717; Kraft/Raab Gemeinsame Anmerkung zu BAG 5.5.1987 – 1 AZR 292/85, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85, AP Nr. 5 zu § 44 BetrVG 1972 und BAG 5.5.1987 – 1 AZR 666/85, AP Nr. 6 zu § 44 BetrVG 1972; GK-Weber § 44 Rn. 35; MünchArbR-Joost § 224 Rn. 86; DKKW-Berg § 44 Rn. 18; Fitting § 44 Rn. 29; Henssler/Willemsen/Kalb-Diller § 44 BetrVG Rn. 23; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 5; wohl auch LAG Hamm (Westfalen) 2.5.1974 – 4 Sa 954/73, ArbuR 1974, S. 350; Richardi-Annuß § 44 Rn. 33; Reuter JuS 1988, S. 413, 413–415; a. A. für einen Vorrang des Erholungsurlaubs HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27; Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a–49c; van Venrooy Anmerkung zu BAG 5.5.1987 – 1 AZR 665/85, SAE 1988, S. 17, 19 ff.; ebenfalls kritisch zur Konzeption des BAG Kraft ZfA 1994, S. 463, 483 f.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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gerungsrecht aus § 14 S. 1 AGG, die Einführung von Kurzarbeit nach § 19 KSchG,2584 Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko2585 sowie Elternzeit2586. Bei einigen dieser konkurrierenden Tatbestände bestehen noch weitere Gründe, die für einen Vorrang von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG sprechen. Manche Tatbestände sind grundsätzlich subsidiär – auch gegenüber § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG, nämlich § 616 S. 1 BGB, § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG, § 615 S. 3 BGB sowie § 14 S. 1 AGG.2587 Für die Nachrangigkeit des bezahlten Erholungsurlaubs spricht, dass während einer Betriebsversammlung der Erholungszweck des Urlaubs nicht gewahrt wird.2588 Bei Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko ergibt sich der Vorrang von § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG auch daraus, dass beide Verhinderungsgründe konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände unberührt lassen. Nach der Wertung des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG darf der Arbeitnehmer während der Teilnahme an einer Betriebsversammlung arbeitsunwillig sein und muss sich nicht bemühen, die Arbeitsstätte zu erreichen.2589 XVII. Zusammentreffen einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG mit anderen Verhinderungsgründen Für das Verhältnis des Vergütungsanspruchs nach § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG zu konkurrierenden Ausfallgründen kann weitgehend – von der Kollision mit § 2 Abs. 1 EFZG abgesehen – auf die Ausführungen zu § 44 Abs. 1 2584 Eine Vergütungspflicht nach § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG steht zwar im Widerspruch zu der hinter § 19 KSchG stehenden gesetzgeberischen Wertung, wonach der Arbeitgeber während der Kurzarbeit finanziell entlastet werden soll. Die Anreizfunktion des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG ist aber als gewichtiger einzustufen. Typischerweise belastet die Vergütungspflicht für die Teilnahme an einer Betriebsversammlung den Arbeitgeber aufgrund der zeitlich beschränkten Dimension solcher Versammlungen nur unerheblich. Demgegenüber kommt der Teilnahme der Arbeitnehmer an einer Betriebsversammlung große Bedeutung zu, gerade in einer wirtschaftlich angespannten Lage, wie sie Voraussetzung für die Anwendung des § 19 KSchG ist. 2585 A. A. wohl HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 28; Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42– 46 Rn. 49a–49c. 2586 Im Ergebnis ebenso BAG 31.5.1989 – 7 AZR 574/88, AP Nr. 9 zu § 44 BetrVG; GK-Weber § 44 Rn. 35; MünchArbR-Joost § 224 Rn. 86; Frank Schmitt AuA 1990, S. 310 f.; DKKW-Berg § 44 Rn. 18; Fitting § 44 Rn. 29; Henssler/Willemsen/Kalb-Diller § 44 BetrVG Rn. 23; ErfK-Koch (12. Auflage) § 44 BetrVG Rn. 5; Lunk Betriebsversammlung, S. 149 f.; Matthes Lohnzahlung Rn. 270; Richardi-Annuß § 44 Rn. 33; wohl auch HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 53; ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 30; a. A. HSWGNR-Worzalla § 44 Rn. 27; Stege/Weinspach/Schiefer §§ 42–46 Rn. 49a–49c. 2587 Zur Herleitung der Subsidiarität des jeweiligen Tatbestands vgl. für § 616 S. 1 BGB oben § 9 B.III.4., für § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.9., für § 615 S. 3 BGB oben § 9 B.III.11. sowie für § 14 S. 1 AGG oben § 9 B.III.14. 2588 Vgl. oben § 9 B.III.5. 2589 Vgl. dazu oben § 9 B.III.30.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

S. 2 BetrVG verwiesen werden.2590 Beide Vorschriften beruhen auf ähnlichen Erwägungen des Gesetzgebers. Insbesondere gewährleisten beide ein relativ hohes Schutzniveau, um einen Anreiz für die Teilnahme zu setzen.2591 Daher kommt ihnen im Verhältnis zu anderen Verhinderungsgründen ein ähnlich hoher Stellenwert zu. Eine abweichende Bewertung ergibt sich lediglich für das Verhältnis zu der Feiertagsvergütung im Sinne des § 2 Abs. 1 EFZG.2592 Während sich § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG insoweit durchsetzen muss, ist ein Zusammentreffen mit § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG nach zutreffender Ansicht tatbestandlich ausgeschlossen. Dieser Tatbestand setzt zwingend eine zeitliche Lage der Betriebsversammlung während der persönlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers voraus. Während eines Zeitraums, für den der Arbeitnehmer Feiertagsvergütung im Sinne des § 2 Abs. 1 EFZG bezieht, muss die Arbeit aber gerade infolge des Feiertags ausfallen. Daher gehört diese Periode nicht zur persönlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers. XVIII. Zusammentreffen einer Sprechstunde oder einer sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) mit anderen Verhinderungsgründen Wie oben2593 dargelegt worden ist, ist der Vergütungsanspruch für die Teilnahme an einer Sprechstunde oder eine sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats nach § 39 Abs. 3 BetrVG ähnlich gewichtig wie § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG. Daher gelten die Ausführungen zu diesem Tatbestand entsprechend.2594 XIX. Zusammentreffen eines rechtmäßigen Streiks mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Nimmt der Arbeitnehmer an einem rechtmäßigen Streik teil, ist ein Zusammentreffen mit zwei Entgeltfortzahlungstatbeständen von vornherein ausgeschlossen: Erstens kann § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB in einem solchen Fall nicht einschlägig sein, weil der Arbeitgeber für die Teilnahme des Arbeitnehmers an dem Streik nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich sein kann. Zweitens können die Voraussetzungen des § 615 S. 1 BGB nicht vorliegen, da der streikende Arbeitnehmer nicht leistungswillig im Sinne des § 297 BGB ist. 2590

Siehe oben § 9 C.XVI. Vgl. für § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.19. und für § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG oben § 9 B.III.20. 2592 Vgl. hierzu auch schon oben § 9 C.III.1.d). 2593 Vgl. oben § 9 B.III.21. 2594 Vgl. oben § 9 C.XVII. 2591

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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2. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Ausfallgrunds Aufgrund der starken Stellung des rechtmäßigen Streiks im Verhältnis zu anderen Verhinderungsgründen ist dieser nur gegenüber zwei Tatbeständen nachrangig. Dabei handelt es sich zum einen um die bezahlte Freistellung für Untersuchungen im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG, zum anderen um das Entfernungsrecht nach § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG. Der Vorrang dieser Tatbestände folgt jeweils aus zwingenden europarechtlichen Wertungen.2595 Entsprechend den Vorgaben von Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG (für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG) und Art. 9 RL 92/85/EWG (für § 16 S. 3 MuSchG) darf der Arbeitnehmer während der Zeit seiner rechtmäßigen Entfernung vom Arbeitsplatz wegen unmittelbarer erheblicher Gefahren und der Teilnahme an einer Untersuchung während der Schwangerschaft keine Entgelteinbußen erleiden. Diese zwingenden Vorschriften wiegen schwerer als Gesichtspunkte wie Interessengerechtigkeit oder drohende Störungen der Kampfparität, die für einen Vorrang des rechtmäßigen Streiks sprechen. b) Vorrang des rechtmäßigen Streiks Gegenüber allen übrigen Tatbeständen setzt sich der rechtmäßige Streik durch, so dass der Arbeitnehmer nicht bezahlt wird. Ein Vorrang des Streiks ist gerechtfertigt, weil dieser Ausfallgrund nur einschlägig sein kann, wenn der Arbeitnehmer eine Teilnahmeerklärung abgegeben hat. Der Arbeitnehmer hat es daher in der Hand, durch die Beendigung seiner Teilnahme jederzeit den kollidierenden Tatbestand wiederaufleben zu lassen. Dadurch sind seine Interessen hinreichend berücksichtigt. Zudem drohte eine Störung der Kampfparität, wenn ein Arbeitnehmer streiken könnte, ohne seinen Vergütungsanspruch zu verlieren, weil er sich auf diese Weise einen unfairen Vorteil gegenüber dem Arbeitgeber verschaffte.2596 Im Vergleich zu diesen gewichtigen Aspekten muss im Verhältnis zu § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG und § 39 Abs. 3 BetrVG die Anreizfunktion zurücktreten, die in diesen Tatbeständen zum Ausdruck kommt. Bei einigen Tatbeständen kommen weitere Gesichtspunkte hinzu, welche das Primat des Streiks stützen. Bei den kollektivrechtlichen Tatbeständen gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG sind die zwingenden Vorgaben von § 78 S. 2 BetrVG zu beachten. Diese gebietet eine Gleichbehandlung von streikenden Arbeitnehmern, die einen der genannten Tatbestände verwirklicht, mit anderen streikenden Arbeitnehmern.2597 Da sich ferner der Arbeitneh2595 Vgl. für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15. 2596 Vgl. hierzu schon oben § 9 B.III.22. 2597 Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7, § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17. sowie für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

mer während einer Streikteilnahme nicht erholen kann, muss der Urlaub auch aus diesem Grund zurücktreten. Der Arbeitgeber ist aber verpflichtet, den Urlaub zu einem späteren Zeitpunkt nachzugewähren.2598 XX. Zusammentreffen eines rechtswidrigen Streiks mit anderen Verhinderungsgründen Dem rechtswidrigen Streik kommt als Ausfallgrund im Verhältnis zu anderen Verhinderungsgründen ein ähnliches Gewicht zu wie dem rechtmäßigen Streik. Dieser Gleichklang ist geboten, um einen andernfalls drohenden Wertungswiderspruch zu vermeiden: Setzt sich schon der rechtmäßige Streik gegen konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände durch und vernichtet er den Vergütungsanspruch, muss dies erst recht für den rechtswidrigen Streik gelten. Der rechtswidrig streikende Arbeitnehmer darf nicht besser stehen als der rechtmäßig Streikende.2599 Lediglich gegenüber § 16 S. 3 MuSchG und § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG ist der rechtswidrige Streik – ebenso wie der rechtmäßige Streik – nachrangig.2600 Andernfalls würden die zwingenden europarechtlichen Vorgaben von Art. 9 RL 92/85/EWG und Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG verletzt, die keine Entgelteinbußen während einer rechtmäßigen Entfernung vom Arbeitsplatz wegen unmittelbarer erheblicher Gefahren und der Teilnahme an einer Untersuchung während der Schwangerschaft zulassen. XXI. Zusammentreffen einer rechtmäßigen Aussperrung mit anderen Verhinderungsgründen Auch für das Verhältnis einer rechtmäßigen Aussperrung zu anderen Arbeitsausfallgründen kann weitgehend auf die Ausführungen zum rechtmäßigen Streik verwiesen werden.2601 Ähnlich wie dieser ist die rechtmäßige Aussperrung ein sehr gewichtiger Ausfallgrund, der sich grundsätzlich gegen konkurrierende Verhinderungsgründe durchsetzt. Andernfalls drohten Störungen der Kampfparität.2602 Eine Ausnahme gilt lediglich für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG, § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG und § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG. Diese Tatbestände müssen angewendet werden. Andernfalls würden europarechtliche Vorgaben im Hinblick auf die erforderliche Mindestvergütung verletzt, die durch diese Tatbestände umgesetzt werden sollen.2603 2598

Vgl. oben § 9 B.III.5. Vgl. zu dieser Argumentation bereits oben § 9 B.III.23. 2600 Vgl. für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15. 2601 Vgl. oben § 9 C.XIX. 2602 Vgl. dazu oben § 9 B.III.24. 2603 Vgl. für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15.; für § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.7. sowie für § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.6.c). 2599

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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Abweichungen ergeben sich ferner in Bezug auf einige wenige Punkte: Eine Kollision zwischen rechtmäßiger Aussperrung und § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB (anders als im Verhältnis von Streik und § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB) ist tatbestandlich möglich, weil der Arbeitgeber für eine rechtmäßige Aussperrung allein oder weit überwiegend verantwortlich sein kann. Er setzt die Ursache für die Aussperrung; der Arbeitnehmer hat hierauf keinen Einfluss. Im Kollisionsfalle muss sich sodann die rechtmäßige Aussperrung durchsetzen, um Störungen der Kampfparität zu vermeiden.2604 Zudem scheidet tatbestandlich ein Zusammentreffen der Aussperrung mit solchen Entgeltfortzahlungstatbeständen aus, die eine auf eine bezahlte Freistellung gerichtete Willenserklärung des Arbeitgebers voraussetzen. Betroffen sind der bezahlte Erholungsurlaub (vgl. § 1 BUrlG), die bezahlte Freistellung für Untersuchungen im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG und die bezahlte Freistellung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG). XXII. Zusammentreffen von Arbeitskampfrisiko mit anderen Verhinderungsgründen Auch ein Arbeitsausfall, der unter das Arbeitskampfrisiko des Arbeitnehmers fällt, nimmt bei Kollisionen mit anderen Verhinderungsgründen eine ähnlich dominante Stellung ein wie der rechtmäßige Streik. Daher kann auch insoweit im Wesentlichen auf die Ausführungen hierzu verwiesen werden.2605 Gegenüber den meisten konkurrierenden Tatbeständen muss sich die Arbeitskampfrisikolehre durchsetzen, da sie nur angewendet werden darf, um eine drohende Störung der Kampfparität abzuwenden und der Vorrang eines konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbestands naturgemäß zu einer solchen Störung führte.2606 Nicht durchsetzen kann sich das Arbeitskampfrisiko indes gegen § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG, § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG, § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG und § 16 S. 3 MuSchG. Deren Vorrang leitet sich daraus ab, dass diese Vorschriften europarechtliche Vorgaben umsetzen und eine Mindestvergütung gewährleisten müssen.2607 Gesonderte Erwähnung verdienen zwei Aspekte: Zum einen bedarf der Vorrang des Arbeitskampfrisikos vor dem Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG einer besonderen, an die rechtmäßige Aussperrung angelehnten Begründung. Insoweit wird auf die Ausführungen hierzu oben verwie-

2604

Vgl. zu diesem Problemkreis oben § 9 C.I.2.a)cc). Vgl. oben § 9 C.XIX. 2606 Vgl. hierzu oben § 9 B.III.26. 2607 Vgl. für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15., für § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.7., für § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG oben § 9 B.III.6.c) sowie für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. 2605

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

sen.2608 Zum anderen ist das Arbeitskampfrisiko gegenüber dem bezahlten Erholungsurlaub, anders als Streik und rechtmäßige Aussperrung, subsidiär.2609 XXIII. Zusammentreffen von unbezahltem Urlaub mit anderen Verhinderungsgründen Die folgenden Erwägungen gelten für unbezahlten Urlaub und gleichermaßen für Kurzarbeit, soweit diese vereinbart worden ist. Besonderheiten ergeben sich allerdings für das Zusammentreffen von vereinbarter Kurzarbeit mit Krankheit oder Feiertag, da insoweit in § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG2610 und § 2 Abs. 2 EFZG2611 spezielle gesetzliche Regelungen bestehen. 1. Lösung auf der ersten Stufe Mit einigen Entgeltfortzahlungstatbeständen kann unbezahlter Urlaub schon begrifflich nicht zusammentreffen. Diese Regel gilt für § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB, da der Arbeitgeber für den Abschluss einer Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer über die Gewährung von unbezahltem Urlaub nicht allein oder weit überwiegend verantwortlich sein kann. Mit Annahmeverzug im Sinne des § 615 S. 1 BGB ist eine Kollision ausgeschlossen, da der unbezahlt urlaubende Arbeitnehmer rechtlich an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert und daher nicht leistungsfähig im Sinne des § 297 BGB ist.2612 Schließlich kann auch bezahlter Erholungsurlaub im Sinne des § 1 BUrlG nicht parallel zu unbezahltem Urlaub auftreten, da der Urlaub des Arbeitnehmers nur entweder bezahlt oder unbezahlt sein kann, nicht aber beides gleichzeitig. In vergleichbarer Weise kann ein unbezahlter Urlaub tatbestandlich nicht mit weiteren Ausfallgründen einhergehen, die eine auf bezahlte Freistellung gerichtete Willenserklärung des Arbeitgebers voraussetzen. Zu diesen Ausfallgründen gehört die bezahlte Freistellung für Untersuchungen gemäß § 16 S. 3 MuSchG und die bezahlte Freistellung für Stillzeit gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG. 2. Lösung auf der zweiten Stufe Bis auf wenige Ausnahmen (dazu noch sogleich) sind alle weiteren Konstellationen auf der zweiten Stufe durch Auslegung der jeweiligen Vereinbarung über den unbezahlten Urlaub zu lösen.

2608 2609 2610 2611 2612

Vgl. dazu ausführlich oben § 9 C.VI.3.c)bb). Siehe oben § 9 C.V.3.c)cc). Vgl. dazu oben ausführlich § 9 C.II.2.d). Vgl. dazu oben ausführlich § 9 C.III.2.c). Vgl. dazu oben § 9 C.X.

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Es fällt naturgemäß schwer, hierzu allgemeingültige Aussagen zu treffen, da viele verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten denkbar sind. In erster Linie richtet sich das Vorrangverhältnis nach einer ausdrücklichen Vereinbarung, sofern eine solche vorliegt. Fehlt es daran, ist die Vereinbarung nach den bereits2613 oben skizzierten Grundsätzen auszulegen, um das Vorrangverhältnis zu ermitteln. 3. Lösung auf der dritten Stufe Nur wenige Kollisionskonstellationen sind schließlich auf der dritten Stufe nach Wertungsgesichtpunkten und insbesondere Normzwecken aufzulösen: Eine Behandlung auf der zweiten Stufe durch Auslegung der Vereinbarung ist in diesen Fällen nicht möglich, weil dem zwingende gesetzliche Wertungen entgegenstehen, die durch den jeweiligen konkurrierenden Tatbestand ins Spiel kommen. Bei dem Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG handelt es sich dabei um den europarechtlichen Hintergrund dieses Tatbestands, der sich infolgedessen auf der dritten Stufe auch durchsetzen muss.2614 Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Arbeitgeber nicht die nach Art. 8 Abs. 4 RL 89/391/EWG gebotene Mindestvergütung erhielte. Was die kollektivrechtlichen Tatbestände gemäß § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG betrifft, gebietet die Wertung von § 78 S. 2 BetrVG eine Gleichbehandlung von unbezahlt urlaubenden Betriebsratsmitgliedern mit anderen unbezahlt urlaubenden Arbeitnehmern.2615 Daraus folgt zwingend ein Vorrang des unbezahlten Urlaubs. XXIV. Zusammentreffen von nach § 19 KSchG eingeführter Kurzarbeit mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Kurzarbeit, die der Arbeitgeber nach § 19 KSchG eingeführt hat, kann tatbestandlich nicht mit solchen Tatbeständen kollidieren, die eine auf eine bezahlte Freistellung des Arbeitnehmers gerichtete Willenserklärung des Arbeitgebers voraussetzen. Ein Vorgehen nach § 19 KSchG bedingt gerade, dass der Arbeitgeber eine Willenserklärung abgibt, die auf eine unbezahlte Freistellung des Arbeitnehmers gerichtet ist. Somit scheidet eine Kollision mit bezahltem Erholungsurlaub, bezahlter Freistellung für Untersuchungen im Sinne des § 16 S. 3 MuSchG sowie bezahlter Freistellung für Stillzeit gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG aus.

2613

Vgl. oben § 9 C.V.1.c)aa). Vgl. für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15. 2615 Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 BetrVG und § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17. und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18. 2614

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Des Weiteren kann Kurzarbeit in diesem Sinne nicht mit Annahmeverzug nach § 615 S. 1 BGB zusammentreffen. Ist Kurzarbeit rechtlich wirksam eingeführt, darf der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht mehr erbringen. Er ist damit nicht leistungsfähig im Sinne des § 297 BGB. 2. Lösung auf der zweiten Stufe Das Verhältnis von Kurzarbeit zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und an Feiertagen nach § 2 Abs. 1 EFZG ist gesetzlich geregelt. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.2616 3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands Der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG, der Mutterschutzlohn gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG und das Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG sind aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben vorrangig vor Kurzarbeit im Sinne von § 19 KSchG.2617 Sonst bestünde die Gefahr, dass der Arbeitnehmer nicht die erforderliche Mindestvergütung erhält. Der Vorrang von § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG und von § 39 Abs. 3 BetrVG folgt aus der Anreizfunktion dieser Tatbestände.2618 Demgegenüber muss die hinter dem § 19 KSchG stehende gesetzgeberische Wertung2619 zurücktreten, wonach der Arbeitgeber während der schwierigen wirtschaftlichen Situation, die Voraussetzung für ein Vorgehen nach § 19 KSchG ist, entlastet werden soll. b) Vorrang der nach § 19 KSchG eingeführten Kurzarbeit Gegenüber den übrigen Tatbeständen2620 setzt sich die nach § 19 KSchG eingeführte Kurzarbeit durch. Maßgeblich ist insoweit die angesprochene finanzielle Entlastung des Arbeitgebers, die § 19 KSchG bezweckt.2621

2616 Vgl. für das Verhältnis zu § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG oben § 9 C.II.2.d) sowie für das Verhältnis zu § 2 Abs. 1 EFZG oben § 9 C.III.2.c). 2617 Vgl. zu Einzelheiten für § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG oben § 9 C.VI.3.c)cc), für § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG oben § 9 C.VII.3.b)ee) sowie für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 C.XIII.3.b). 2618 Vgl. dazu oben § 9 C.XVI.3.b). 2619 Vgl. oben § 9 B.III.28. 2620 Im Einzelnen handelt es sich um § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB, § 616 S. 1 BGB, § 615 S. 3 BGB, § 14 S. 1 AGG, § 14 Abs. 1 ArbPlSchG, sowie § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG. 2621 Vgl. zu Einzelheiten oben § 9 B.III.28.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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XXV. Zusammentreffen von Elternzeit mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Das Verhältnis von Elternzeit im Sinne der §§ 15 ff. BEEG zu zwei anderen Verhinderungsgründen lässt sich bereits auf der Tatbestandsebene bestimmen: Erstens erweist sich eine Kollision mit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB als unmöglich, da der Arbeitgeber für die Inanspruchnahme von Elternzeit durch den Arbeitnehmer nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich sein kann. Zweitens kann Elternzeit nicht mit Annahmeverzug im Sinne des § 615 S. 1 BGB zusammentreffen, weil der Arbeitnehmer während der Elternzeit nicht zur Erbringung der Arbeitsleistung berechtigt ist. Ihm ist die Leistungserbringung rechtlich unmöglich, weswegen er nicht leistungsfähig im Sinne des § 297 BGB ist. 2. Lösung auf der zweiten Stufe Des Weiteren existieren gesetzliche Vorschriften, die das Verhältnis von Elternzeit zu bezahltem Erholungsurlaub im Sinne des § 1 BUrlG und zu dem Zuschuss zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG regeln. Gemäß § 17 Abs. 1 BEEG kann der Arbeitgeber den Jahresurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Verzichtet er darauf oder steht dem Arbeitnehmer noch Resturlaub aus der Zeit vor der Elternzeit zu, sind diese Ansprüche erst nach der Elternzeit nachzugewähren oder abzugelten (vgl. § 17 Abs. 2, 3 BEEG).2622 Für § 14 Abs. 1 S. 1 MuSchG bestimmt § 14 Abs. 4 MuSchG, dass der Zuschuss während der Elternzeit entfällt. 3. Lösung auf der dritten Stufe a) Vorrang des konkurrierenden Tatbestands Nur wenige Tatbestände sind auf der dritten Ebene gegenüber der Elternzeit vorrangig. Für die bezahlte Freistellung für Untersuchungen nach § 16 S. 3 MuSchG und das Entfernungsrecht aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG ergibt sich das aus dem europarechtlichen Hintergrund beider Tatbestände.2623 Andernfalls wäre nicht gewährleistet, dass stets die gebotene Mindestvergütung gezahlt wird. Die bezahlte Freistellung für die Teilnahme an Betriebsversammlungen (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) sowie die bezahlte Freistellung für die Teilnahme an Sprechstunden oder eine sonstige Inanspruchnahme des Betriebs-

2622

Siehe oben § 9 C.V.2.d). Vgl. für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15. 2623

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

rats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) muss auch während der Elternzeit zum Zuge kommen, um der Anreizfunktion dieser Tatbestände gerecht zu werden.2624 b) Vorrang der Elternzeit Den übrigen Tatbeständen geht die Elternzeit vor. Für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG), die Feiertagsvergütung (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG), die vorübergehende Verhinderung (vgl. § 616 S. 1 BGB), den Mutterschutzlohn (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG), die bezahlte Freistellung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG), das Leistungsverweigerungsrecht aus § 14 S. 1 AGG sowie die bezahlte Freistellung für eine persönliche Meldung oder Vorstellung bei einer Erfassungs- oder Wehrersatzbehörde (vgl. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG) folgt dieser Vorrang der Elternzeit aus dem Existenzsicherungszweck der konkurrierenden Tatbestände. Der Arbeitnehmer bedarf keiner Entgeltfortzahlung zur Existenzsicherung, wenn er ohnehin während eines längeren Zeitraums wie der Elternzeit darauf angewiesen ist, seinen Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten.2625 Insoweit ist vor allem an das Einkommen des Partners und Ansprüche auf Elterngeld zu denken. Im Hinblick auf die bezahlte Freistellung für Stillzeit nach § 7 Abs. 2 S. 1 MuSchG ist des Weiteren festzustellen, dass diese Vorschrift ihrem Zweck nach nur eingreifen soll, wenn die Arbeitnehmerin ihre Arbeit kurzzeitig unterbricht, um zu stillen.2626 Während der Elternzeit kommt es aber nicht zu derartigen kurzzeitigen Unterbrechungen der Arbeit. Ebenfalls seinem Zweck nach muss das Leistungsverweigerungsrecht aus § 14 S. 1 AGG während der Elternzeit nicht zum Tragen kommen. Es ist nicht erforderlich, dass § 14 S. 1 AGG während eines unbezahlten Urlaubs eingreift, um die Schutzfunktion des Tatbestands zu verwirklichen. Der Arbeitnehmer hält sich während eines unbezahlten Urlaubs ohnehin nicht an seinem Arbeitsplatz auf, so dass ihm keine Belästigungen drohen.2627 Mit anderen Überlegungen hingegen ist der Vorrang der Elternzeit vor den kollektivrechtlichen Tatbeständen gemäß § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG zu begründen. Insoweit gebietet die Wertung von § 78 S. 2 BetrVG, Betriebsratsmitglieder in Elternzeit und andere Arbeitnehmer in Elternzeit gleich zu behandeln.2628 Daher scheidet eine Vergütung während der Elternzeit aus.2629 2624 Vgl. für § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.19., für § 44 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG oben § 9 B.III.20. sowie für § 39 Abs. 3 BetrVG § 9 B.III.21. 2625 Vgl. zu dieser Argumentation oben § 9 B.III.29. 2626 Vgl. hierzu auch bereits oben § 9 B.III.9. 2627 Vgl. dazu auch bereits oben § 9 B.III.14. 2628 Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 BetrVG und § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17. und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18.

§ 9 Lösung des Problems der Doppelkausalität

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XXVI. Zusammentreffen von Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko mit anderen Verhinderungsgründen 1. Lösung auf der ersten Stufe Ein Zusammentreffen von Arbeitsunwilligkeit oder Wegerisiko mit zwei Arbeitsausfallgründen lässt sich bereits tatbestandlich ausschließen: Zum einen ist eine Kollision mit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB unmöglich, da der Arbeitgeber für die Arbeitsunwilligkeit des Arbeitnehmers und für Ereignisse, die unter das Wegerisiko des Arbeitnehmers fallen, nicht wenigstens weit überwiegend verantwortlich ist. Zum anderen kann kein Annahmeverzug im Sinne des § 615 S. 1 BGB eintreten, wenn sich ein vom Arbeitnehmer zu tragendes Ausfallrisiko verwirklicht. In einem solchen Fall kann die Voraussetzung gemäß § 297 BGB nicht erfüllt sein. Bei Arbeitsunwilligkeit fehlt es an der Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers. Ist hingegen das Wegerisiko einschlägig, scheitert der Annahmeverzug mangels Leistungsfähigkeit. 2. Lösung auf der dritten Stufe Alle weiteren Tatbestände bleiben von Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko unberührt.2630 Diese beiden Ausfallgründe befreien den Arbeitnehmer von seiner Verpflichtung zur Arbeitswilligkeit und zum Erscheinen am Arbeitsplatz. Besonders plastisch wird dieser Umstand an dem Beispiel einer Kollision mit bezahltem Erholungsurlaub: Man kann von einem Arbeitnehmer nicht verlangen, während seines Erholungsurlaubs arbeitswillig zu sein – der Arbeitnehmer soll währenddessen nach der gesetzlichen Wertung (vgl. § 8 BUrlG) gerade nicht arbeiten, sondern sich erholen. Bei einigen kollidierenden Tatbeständen treten weitere Wertungen hinzu, die dieses Ergebnis stützen. Der Vorrang der bezahlten Freistellung für Untersuchungen nach § 16 S. 3 MuSchG und des Entfernungsrechts aus § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG folgt auch aus dem europarechtlichen Hintergrund beider Tatbestände.2631 Bei der bezahlten Freistellung für die Teilnahme an Betriebsversammlungen (vgl. § 44 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG) sowie der bezahlten Freistellung für die Teilnahme an Sprechstunden oder für eine sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats (vgl. § 39 Abs. 3 BetrVG) tritt im gleichen Sinne die Anreizfunktion dieser Tatbestände hinzu. Die Unschädlichkeit von Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko gilt auch im Verhältnis zu den kollektivrechtlichen Tatbeständen nach § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 2629 Im Ergebnis ebenso ausdrücklich für Schulungen nach § 37 Abs. 6, 7 BetrVG HK-MuSchG/BEEG-Rancke § 15 BEEG Rn. 53; ErfK-Gallner § 15 BEEG Rn. 30. 2630 Siehe oben § 9 B.III.30. 2631 Vgl. für § 16 S. 3 MuSchG oben § 9 B.III.8. und für § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG oben § 9 B.III.15.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG. Auf die obige Erörterung hierzu wird verwiesen.2632

D. Zwischenfazit In diesem Abschnitt der Arbeit wurde – aufbauend auf der vorangegangenen Analyse verschiedener Lösungsansätze für das Problem der Doppelkausalität – zunächst noch einmal aufgezeigt, dass es sich bei der Konkurrenzlösung im Entgeltfortzahlungsrecht weniger um ein Kausalitäts- als vielmehr um eine Wertungsproblem handelt. Diese Erkenntnis war der Ausgangspunkt für die Entwicklung eines eigenen Lösungsansatzes, der die Behandlung von Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung in drei Stufen vorsieht und bei dem die wertende Ermittlung des vorrangigen Tatbestands mit Rücksicht auf die Zwecke der beteiligten Normen im Zentrum steht. Ferner wurde die in der Entgeltfortzahlung grundsätzlich bedeutsame Frage erörtert und sodann verneint, ob hypothetische Kausalverläufe im Entgeltfortzahlungsrecht zu berücksichtigen sind. Schließlich wurde der dreistufige Ansatz auf alle denkbaren Kollisionen zwischen den in dieser Arbeit untersuchten Ausfallgründen angewendet. Dabei konnten wertungskonsistente Lösungen erarbeitet werden. Damit hat sich der hier vertretene Ansatz zumindest in der Theorie als tauglich erwiesen.

§ 10 Lösung des Problems der Mehrfachkausalität A. Bedeutung der Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall Nachdem bislang Fälle von Doppelkausalität erörtert wurden, also Konstellationen, in denen genau zwei verschiedene Umstände für den Arbeitsausfall ursächlich werden, soll nun auf das Problem der Mehrfachkausalität eingegangen werden. Hierunter fallen alle Konstellationen, in denen drei oder mehr Umstände einen Arbeitsausfall verursachen. Die praktische Bedeutung dieses Problemkreises ist deutlich geringer als die der Doppelkausalität, da ein Zusammentreffen von drei oder mehr Arbeitsausfallgründen wesentlich unwahrscheinlicher ist als die Kollision von lediglich zwei Verhinderungsgründen. Dieser Umstand schlägt sich auch in der Praxis nieder, so dass sich die Rechtsprechung nur in sehr wenigen Entscheidungen mit dem Problem der Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall auseinandersetzen musste. Auf die wenigen vorliegenden Entscheidungen wird sogleich noch eingegangen werden. Auch in der Literatur wird das Problem der Mehrfachkausalität nur selten aufgegriffen.2633

2632

Vgl. oben § 9 C.XV.2.b). Diese Erörterungen knüpfen häufig an § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG als einzige gesetzliche Regelung eines Falles von Mehrfachkausalität an, vgl. exemplarisch ErfK-Dörner/ 2633

§ 10 Lösung des Problems der Mehrfachkausalität

581

B. Übertragung des dreistufigen Ansatzes Strukturell unterscheidet sich das Problem der Mehrfachkausalität kaum von demjenigen der Doppelkausalität. Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass rechnerisch wesentlich mehr verschiedene Kollisionskonstellationen denkbar sind. Zur Auflösung der dabei entstehenden Konkurrenzen kann im Wesentlichen auf die Erkenntnisse zurückgegriffen werden, die oben zum Umgang mit Fällen von Doppelkausalität gewonnen wurden. Der dreistufige Ansatz kann daher auf Fälle von Mehrfachkausalität übertragen werden. Dabei sind allerdings die folgenden Besonderheiten zu berücksichtigen: Was die erste Stufe betrifft, die Tatbestandsebene, kann im Wesentlichen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.2634 Ein Fall von Mehrfachkausalität ist nur gegeben, wenn mindestens drei Arbeitsausfallgründe tatbestandlich gleichzeitig einschlägig sind. Ein solches Zusammentreffen ist beispielsweise unmöglich, wenn von drei in Betracht kommenden Arbeitsausfallgründen wenigstens zwei in einem Exklusivitätsverhältnis stehen. Hinsichtlich der zweiten Stufe ist zweierlei zu bemerken: Zum einen sind selbstverständlich im Rahmen des Zulässigen Vereinbarungen über das Vorrangverhältnis von drei oder mehr konkurrierenden Arbeitsausfallgründen zu berücksichtigen. Zum anderen ist die de lege lata einzige gesetzliche Regelung eines Falles von Mehrfachkausalität anzuwenden. Dabei handelt es sich um § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG, der das Zusammentreffen von Feiertag, krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Kurzarbeit regelt. Hierauf wird sogleich noch im Detail eingegangen.2635 Keine Regelungen im Sinne der zweiten Stufe sind hingegen solche Vorschriften, die nur das Zusammentreffen zweier der beteiligten Ausfallgründe regeln. Ihre Wertung ist aber regelmäßig auf der dritten Ebene in der Weise zu berücksichtigen, dass der unterliegende Verhinderungsgrund nicht zum Zuge kommen darf und die Entscheidung über das Vorrangverhältnis nur noch zwischen dem obsiegenden und dem dritten Ausfallgrund zu treffen ist. Sofern nach Anwendung der zweiten Stufe das betreffende Konkurrenzverhältnis ungelöst bleibt, kommt die dritte Stufe zum Zuge, auf der nach Wertungsgesichtspunkten zu entscheiden ist. Dabei spielen insbesondere die Normzwecke eine große Rolle. Insoweit bestehen keine weiteren Besonderheiten.

Reinhard § 4 EFZG Rn. 22; Gutzeit Lohnfortzahlung, S. 113; Feichtinger/MalkmusMalkmus § 4 EFZG Rn. 181 f.; Schmitt § 4 EFZG Rn. 181–183. Ein seltenes Beispiel für eine Auseinandersetzung mit einer anderen Konstellation von Mehrfachkausalität findet sich bei Gräf/Rögele, NZA 2013, S. 1120, 1123 f. (Wegerisiko, Betriebsrisiko und vorübergehende Verhinderung). 2634 Vgl. oben § 9 B.I.1. 2635 Siehe unten § 10 C.I.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

C. Behandlung ausgewählter Fallgestaltungen An dieser Stelle muss darauf verzichtet werden, alle denkbaren Konstellationen von Mehrfachkausalität einzeln zu erörtern, um den hier gegebenen Rahmen nicht zu sprengen. Es kann aber festgehalten werden, dass die oben2636 im Zusammenhang mit jedem einzelnen Verhinderungsgrund entwickelten konkurrenzrelevanten Merkmale, die sein Verhältnis zu anderen Arbeitsausfallgründen maßgeblich bestimmen, auch bei Mehrfachkausalität entscheidend berücksichtigt werden müssen. Exemplarisch werden im Folgenden drei besonders interessante Kollisionskonstellationen näher untersucht. Zunächst wird das Zusammentreffen von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, Feiertag und Kurzarbeit näher betrachtet, da der Gesetzgeber diese Konstellation als einzigen Fall von Mehrfachkausalität in § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG gesetzlich geregelt hat (I.). Sodann werden zwei Konstellationen behandelt, mit denen sich das BAG bereits befasst hat, nämlich zum einen das Zusammentreffen von Aussperrung, Feiertag und Erholungsurlaub (II.) und zum anderen die Kollision von Arbeitskampf, Feiertag und Kurzarbeit (vgl. III.). I. Zusammentreffen von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, Feiertag und Kurzarbeit In § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG hat der Gesetzgeber das Zusammentreffen von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, Feiertag und Kurzarbeit geregelt. Es handelt sich hierbei um die einzige gesetzliche Regelung eines Falles von Mehrfachkausalität. In der Norm ist niedergelegt, dass die Regelung des Zusammentreffens von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Kurzarbeit im Sinne der §§ 95 ff. SGB III2637 in § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG nicht im Falle des § 2 Abs. 2 EFZG gelten soll. Die letztgenannte Vorschrift wiederum befasst sich mit dem Verhältnis von Feiertagsvergütung und Kurzarbeit. Der normative Gehalt des § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG ist umstritten. Dabei werden sowohl hinsichtlich des vorrangigen Ausfallgrunds als auch in Bezug auf die Berechnung der Vergütungshöhe unterschiedliche Ansichten vertreten. Eine starke Literaturströmung versteht § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG als Verweis auf § 2 Abs. 2 EFZG und leitet daraus einen Vorrang des Feiertagsentgelts ab.2638 Da 2636

Vgl. dazu oben § 9 B.III. Andere Formen von Kurzarbeit sind nicht erfasst, vgl. Treber § 4 Rn. 62; Feichtinger/Malkmus-Malkmus § 4 EFZG Rn. 172. 2638 ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 22; KassArbR-Vossen 2.2 Rn. 377; Treber § 4 Rn. 65; MüKoBGB-Müller-Glöge § 4 EFZG Rn. 26 (anders aber derselbe in MüKoBGB § 2 EFZG Rn. 33); im Ansatz ähnlich Schmitt § 4 EFZG Rn. 183, der die Zahlung von Feiertagsentgelt für die verkürzte Arbeitszeit zuzüglich desjenigen Betra2637

§ 10 Lösung des Problems der Mehrfachkausalität

583

§ 2 Abs. 2 EFZG nach herrschender Ansicht das Feiertagsentgelt auf den Betrag begrenzt, den der Arbeitnehmer bei alleiniger Einschlägigkeit der Kurzarbeit als Kurzarbeitergeld erhalten hätte, soll nach dieser Auffassung der Anspruch des Arbeitnehmers auch in dem von § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG geregelten Fall auf die Höhe des (hypothetischen) Kurzarbeitergeldes beschränkt sein. Andere Stimmen kommen rechnerisch – aber nicht dogmatisch – zu dem gleichen Ergebnis, indem sie annehmen, es werde zwar Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geleistet, diese richte sich aber in der Höhe nach der auf das hypothetische Kurzarbeitergeld begrenzten Feiertagsvergütung.2639 Einer dritten Meinung zufolge schließlich soll die ungekürzte Feiertagsvergütung gezahlt werden, also ohne Begrenzung durch die Höhe des hypothetischen Kurzarbeitergeldes.2640 Die meisten Autoren konzentrieren sich in dieser Diskussion auf die Entgelthöhe; der Frage nach dem einschlägigen Tatbestand schenken sie weniger Aufmerksamkeit. Die letztgenannte Ansicht wendet gegen eine Kürzung vor allem ein, diese sei aus § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG nicht herzuleiten.2641 Zudem gelte durch den Verweis auf § 2 Abs. 2 EFZG die Arbeitszeit als infolge eines gesetzlichen Feiertages nach § 2 Abs. 1 EFZG ausgefallen. Deswegen stehe dem Arbeitnehmer die volle Feiertagsvergütung zu.2642 Dem wird entgegengehalten, die Kürzung solle einer sonst eintretenden Besserstellung erkrankter kurzarbeitender Arbeitnehmer an Feiertagen gegenüber gesunden kurzarbeitenden Arbeitnehmern an Feiertagen entgegenwirken. Eine solche drohe, da auch gesunde kurzarbeitende Arbeitnehmer an Feiertagen nach § 2 Abs. 2 EFZG das Feiertagsentgelt nur in Höhe des hypothetischen Kurzarbeitgeldes beanspruchen könnten.2643 Richtigerweise ist zunächst daran zu erinnern, dass nach dem dreistufigen Ansatz auf der ersten Stufe geprüft werden muss, ob im Einzelfall eine tatbestandliche Kollision aller drei Verhinderungsgründe vorliegt. Ist das nicht der Fall, wird § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG nicht angewendet. Die Norm greift daher nicht ein, soweit die Arbeitszeiten des Arbeitnehmers durch die Kurzarbeit nicht berührt ges durch den Arbeitgeber befürwortet, der nach § 47b Abs. 3 SGB V dem Arbeitnehmer als Krankengeld gezahlt worden wäre, wenn es nicht zu dem Zusammentreffen von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Kurzarbeit mit dem Feiertag gekommen wäre. 2639 Henssler/Willemsen/Kalb-Schliemann § 4 EFZG Rn. 42; MünchArbR-Boewer § 71 Rn. 8 (im Ergebnis bereits ebenso mit ausführlicher Begründung in der 2. Auflage unter § 81 Rn. 17); Kittner/Zwanziger/Deinert-Schoof § 39 Rn. 186; MüKoBGB-Müller-Glöge § 2 EFZG Rn. 33 (anders aber derselbe in MüKoBGB § 4 EFZG Rn. 26); wohl auch Feichtinger/Malkmus-Malkmus § 4 EFZG Rn. 181; Worzalla/Süllwald § 3 Rn. 44. 2640 MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 84 Rn. 45; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge § 4 EFZG Rn. 103. 2641 MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 84 Rn. 45. 2642 MünchArbR-Boecken (2. Auflage) § 84 Rn. 45. 2643 Vgl. ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 22; Schmitt § 4 EFZG Rn. 183.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

werden, sondern unverändert fortbestehen. In diesem Fall liegt allenfalls eine Kollision zwischen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Feiertagsvergütung vor, welche nach § 4 Abs. 2 EFZG aufzulösen ist. Nur im Übrigen, soweit Arbeitszeit tatsächlich infolge aller drei Verhinderungsgründe entfällt, ist § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG anzuwenden. Die Bedeutung dieser Vorschrift ist durch Auslegung zu ermitteln. Nach ihrem Wortlaut ist § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG nicht anzuwenden. Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen muss daher der normative Gehalt dieser Regelung sein, deren Anwendung durch Satz 2 ausgeschlossen wird. Ihr wiederum sind zwei Aussagen zu entnehmen:2644 Zum einen ordnet die Vorschrift einen Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vor der Kurzarbeit an, zum anderen regelt sie die Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in einer solchen Konstellation. Hier ist ersteres interessant. Da § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG eine Nichtanwendung von Satz 1 vorschreibt, soll also im Falle einer Kollision aller drei Verhinderungsgründe kein Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vor der Kurzarbeit gelten. Dem allein lässt sich aber noch nicht entnehmen, welcher der drei Ausfallgründe vorrangig sein soll. Für einen Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall spricht, dass § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG systematisch innerhalb der Vorschriften über die Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall steht. Zudem ließe sich argumentieren, dass bei Nichtanwendung des § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG infolge der Anordnung des Satzes 2 in der hier diskutierten Konstellation § 4 Abs. 2 EFZG angewendet werden muss, die das Verhältnis von Feiertag und Krankheit betrifft. Gemäß dieser Vorschrift setzt sich dem Grunde nach die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch.2645 Indes wäre ein auf Grundlage dieser Überlegungen angenommener Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall mit der dargelegten Wertung des § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG unvereinbar, wonach § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG gerade nicht gelten und sich somit die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht gegenüber der Kurzarbeit durchsetzen soll. Es wäre aus Sicht des Gesetzgebers widersinnig, die Nichtgeltung einer Vorschrift anzuordnen, auf die sich ein Vorrang der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall stützen ließe (nämlich § 4 Abs. 3 S. 1 EFZG), wenn es dennoch – gestützt auf die systematische Stellung der Vorschrift und den subsidiär eingreifenden § 4 Abs. 2 EFZG – zu einem Vorrang dieses Ausfallgrunds käme. Daher kann sich im Ergebnis die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hier nicht durchsetzen. Es verbleibt die Frage, ob die Kurzarbeit oder die Feiertagsvergütung vorrangig sein soll. Indem § 4 Abs. 3 S. 2 EFZG auf § 2 Abs. 2 EFZG Bezug nimmt, macht sich das Gesetz dessen Wertungen zueigen. Danach setzt sich die Feier-

2644 2645

Vgl. dazu oben § 9 C.II.2.d). Vgl. dazu oben § 9 C.II.2.a).

§ 10 Lösung des Problems der Mehrfachkausalität

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tagsvergütung gegen die Kurzarbeit durch.2646 Darüber hinaus wird das Feiertagsentgelt auf Rechtsfolgenseite dahingehend modifiziert, dass es in der Höhe auf das hypothetische Kurzarbeitergeld begrenzt ist. Somit ist im Ergebnis der erstgenannten Literaturansicht zuzustimmen. II. Zusammentreffen von Aussperrung, Feiertag und Erholungsurlaub Zu dem Zusammentreffen von Aussperrung, Feiertag und Erholungsurlaub hat das BAG im Jahre 1988 eine vielbeachtete Entscheidung gefällt.2647 In dem zugrunde liegenden Fall war ein Arbeitnehmer vom 30. Mai bis zum 29. Juni 1984 ausgesperrt worden, nachdem ihm zuvor auf seinen Antrag hin für die Zeit vom 30. Mai bis zum 22. Juni Urlaub bewilligt worden war. Auf den 31. Mai, den 11. Juni und den 21. Juni fielen gesetzliche Feiertage. Das BAG entschied, der Arbeitnehmer sei von der Aussperrung nicht erfasst worden, soweit er sich in Urlaub befunden habe. Daher sei für die Feiertage Feiertagsentgelt und für die Urlaubszeit Urlaubsentgelt zu zahlen. Die Aussperrung greife nur für die Zeit nach Urlaubsende. Die Entscheidung des BAG hat in der Literatur, wenigstens im Ergebnis, überwiegend Zustimmung erfahren.2648 Hierzu ist zu bemerken, dass es sich nach Auffassung des BAG gar nicht um einen Fall von echter Mehrfachkausalität handelt, da der Senat bereits das tatbestandliche Zusammentreffen aller drei Ausfallgründe verneint. Man könnte daher im Sinne der hier vertretenen Auffassung davon sprechen, dass das BAG diesen Fall auf der ersten Stufe löst. Der Lösung des BAG ist, wie bereits oben für das Verhältnis von Aussperrung und Erholungsurlaub ausgeführt,2649 für solche Fälle beizutreten, in denen urlaubende Arbeitnehmer von der Aussperrungserklärung nicht erfasst werden sollen. In diesen Konstellationen ist es konsequent, die tatbestandliche Einschlägigkeit der Aussperrung zu verneinen, so dass an den Feiertagen keine Dreifachkausalität, sondern eine bloße Doppelkausalität von Feiertag und Erholungsurlaub vorliegt. Diese ist gemäß § 3 Abs. 2 BUrlG zugunsten des Feiertags aufzulösen. Abzulehnen ist hingegen die vom BAG geäußerte Auffassung, ein tatbestandliches Zusammentreffen von Urlaub und Aussperrung sei in jedem Fall ausgeschlos2646

Vgl. dazu oben § 9 C.III.2.c). BAG 31.5.1988 – 1 AZR 200/87, AP Nr. 58 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG. 2648 Zustimmend Matthes Lohnzahlung Rn. 130; Treber § 2 Rn.26; Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 30; Kittner/Zwanziger/Deinert-Deinert § 136 Rn. 37; Arnold/Tillmanns-Thiel-Koch § 11 Rn. 60; Worzalla/Süllwald § 2 Rn. 29; wohl auch Löwisch Arbeitskampfrecht-Löwisch/Krauß 170.3.1 Rn. 23; Leinemann/Linck § 1 BUrlG Rn. 198; im Ergebnis im konkreten Fall ebenfalls zustimmend Pieper Anmerkung zu BAG 31.5.1988 – 1 AZR 200/87, ArbuR 1989, S. 221, 222 f., der sich aber ebenso wie MünchArbR-Ricken § 203 Rn. 23 mit Recht kritisch zu der Auffassung des BAG äußert, ein Arbeitskampf während eines Urlaubs sei nicht möglich. 2649 Siehe oben § 9 C.V.1.e). 2647

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

sen.2650 Kommt es einmal zu einer derartigen Kollision und tritt noch ein Feiertag hinzu, liegt ein Fall echter Mehrfachkausalität vor. Diese Kollision ist wie folgt aufzulösen: Da sich gemäß § 3 Abs. 2 BUrlG der Feiertag gegen den Erholungsurlaub durchsetzt, scheidet eine Wertung als Urlaubstag aus. Es verbleibt also noch eine Entscheidung zwischen Aussperrung und Feiertag, welche, wie oben dargelegt, zugunsten des erstgenannten Ausfallgrunds aufzulösen ist.2651 Daher muss sich im Kollisionsfalle die Aussperrung durchsetzen, und es wird kein Entgelt gezahlt. III. Zusammentreffen von Arbeitskampf, Feiertag und Kurzarbeit Mit dem Verhältnis von Arbeitskampf (in Form eines unter das Arbeitskampfrisiko des Arbeitgebers fallenden Arbeitsausfalls), Feiertag und Kurzarbeit musste sich das BAG im Jahre 1982 in zwei sehr ähnlich gelagerten Fällen befassen.2652 In den beiden Entscheidungen ging es um Vergütungsansprüche von Arbeitnehmern für Feiertage, an denen zugleich die Arbeit infolge eines Arbeitskampfs in einem anderen Tarifgebiet ausfiel und für die der Arbeitgeber auch Kurzarbeit angezeigt hatte. Kurzarbeitergeld war vom Arbeitsamt für die Feiertage nicht gezahlt worden. Die Arbeitnehmer begehrten nun Feiertagsvergütung in Höhe des hypothetischen Kurzarbeitgeldes. Während die Arbeitnehmerseite diesen Anspruch auf § 1 Abs. 1 S. 2 FeiertagslohnzahlungsG (heute § 2 Abs. 2 EFZG) stützte, führte der Arbeitgeber an, diese Regelung greife nicht, da es sich um einen Fall von Dreifachkausalität handele. § 1 Abs. 1 S. 2 FeiertagslohnzahlungsG gelte aber nur für Fälle, in denen lediglich Kurzarbeit und Feiertag kollidierten. Das BAG hielt in den beiden nahezu wortgleichen Urteilen die Ansprüche der Arbeitnehmerseite für berechtigt. Dabei vertrat es die Ansicht, es liege überhaupt kein Fall von Dreifachkausalität vor, sondern es handele sich im konkreten Fall bei Kurzarbeit und arbeitskampfbedingter Betriebsstörung um einund denselben Ausfallgrund. Daher, so das BAG, lägen nur zwei Ausfallgründe vor, und dieser Fall werde durch § 1 Abs. 1 S. 2 FeiertagslohnzahlungsG geregelt. Als Begründung dafür, Kurzarbeit und arbeitskampfbedingte Betriebsstörung einheitlich als einen einzigen Ausfallgrund zu werten, verwies der Senat vor allem auf die Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 1 S. 2 FeiertagslohnzahlungsG. Bereits vor dessen Einführung im Jahre 1975 habe ein auf einer arbeitskampfbedingten Betriebsstörung beruhender Arbeitsausfall zum Bezug von Kurzarbeitergeld berechtigen können. In einem solchen Fall habe es sich aber nur um einen

2650

Vgl. oben § 9 C.V.1.e). Vgl. oben § 9 C.III.3.a)dd). 2652 BAG 20.7.1982 – 1 AZR 404/80, AP Nr. 38 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; BAG 20.7.1982 – 1 AZR 524/79 (nicht veröffentlicht). 2651

§ 10 Lösung des Problems der Mehrfachkausalität

587

einzigen Ausfallgrund gehandelt, neben den als zweiter Ausfallgrund noch der Feiertag getreten sei. Ein dritter Ausfallgrund sei nicht gegeben gewesen. Daran habe der Gesetzgeber durch die Einführung des § 1 Abs. 1 S. 2 FeiertagslohnzahlungsG nichts ändern wollen. Die Vorschrift habe lediglich die Vergütungslast vom Arbeitsamt auf den Arbeitgeber übertragen wollen. Aus der Verwendung des Wortes „Kurzarbeit“ in § 1 Abs. 1 S. 2 FeiertagslohnzahlungsG lasse sich nichts Gegenteiliges herleiten. Es handele sich dabei nur um eine sprachliche Verkürzung für einen Arbeitsausfall im Sinne des § 64 Abs. 1 AFG (vgl. heute §§ 95 f. SGB III), besage aber nicht, dass Kurzarbeit neben diesem Arbeitsausfall (der im konkreten Fall arbeitskampfbedingt war) und dem Feiertag als dritter Arbeitsausfallgrund zu behandeln sei. Des Weiteren verneinte das BAG eine Paritätsrelevanz der Vergütungspflicht des Arbeitgebers und somit die Voraussetzungen für eine Anwendung der Arbeitskampfrisikolehre. Dieser Entscheidung des BAG ist zuzustimmen.2653 Es handelt sich nicht um einen Fall von Dreifachkausalität. Vielmehr ist lediglich Doppelkausalität von Feiertag und dem zur Kurzarbeit berechtigenden arbeitskampfbedingten Arbeitsausfall gegeben, und diese Konstellation ist nach heutigem Recht gemäß § 2 Abs. 2 EFZG zugunsten des Feiertagsentgelts (in Höhe des hypothetischen Kurzarbeitgeldes) aufzulösen. Es sind nicht drei, sondern nur zwei voneinander unabhängige Umstände für den Arbeitsausfall ursächlich. Das BAG hat zutreffend herausgearbeitet, dass Kurzarbeit und arbeitskampfbedingter Arbeitsausfall nur einen einzigen einheitlichen Ausfallgrund bilden. Die Kurzarbeit wurde nicht unabhängig von der arbeitskampfbedingten Betriebsstörung angeordnet. Vielmehr führte ebenjene arbeitskampfbedingte Betriebsstörung zu einem Anspruch auf Kurzarbeitergeld, ohne dass Kurzarbeit im Sinne eines unbezahlten Urlaubs vereinbart wurde.2654 Wenn aber, wie Gagel2655 zutreffend ausführt, ein durch Fernwirkung eines Arbeitskampfs entstehender Arbeitsausfall grundsätzlich zu einem Anspruch auf Kurzarbeitergeld führt, besteht kein Anlass, den heutigen § 2 Abs. 2 EFZG nicht anzuwenden.

2653 Ebenfalls zustimmend Gagel Anmerkung zu BAG 20.7.1982 – 1 AZR 404/80, AP Nr. 38 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge-Kleinsorge § 2 EFZG Rn. 23; Feichtinger/Malkmus-Peter Müller § 2 EFZG Rn. 57; MüKoBGBMüller-Glöge § 2 EFZG Rn. 32; Schaub-Treber ArbR-Hdb. § 195 Rn. 10. 2654 Eine ähnliche Konstellation lag der Entscheidung des BAG 5.5.1987 – 1 AZR 666/85, AP Nr. 6 zu § 44 BetrVG 1972 zugrunde. Auch in diesem Fall wurde für einen arbeitskampfbedingten Arbeitsausfall Kurzarbeitergeld bezahlt. Dennoch waren insoweit keine zwei, sondern nur ein einheitlicher Arbeitsausfallgrund gegeben. Daher handelte es sich in dieser Konstellation, in der noch eine Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG hinzutrat, nicht um einen Fall von Dreifach-, sondern nur von Doppelkausalität. 2655 Gagel Anmerkung zu BAG 20.7.1982 – 1 AZR 404/80, AP Nr. 38 zu § 1 FeiertagslohnzahlungsG.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

D. Zwischenfazit Die Anwendung des dreistufigen Ansatzes auf ausgewählte Fallgestaltungen demonstriert exemplarisch die Übertragbarkeit dieses zunächst oben für die Doppelkausalität entwickelten Ansatzes auf die Mehrfachkausalität. Bei der Bestimmung des Vorrangverhältnisses kommen wiederum insbesondere die im Rahmen der Tatbestandsanalyse2656 herausgearbeiteten Wertungsgesichtspunkte zum Tragen.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung Der bisherige Gang der Untersuchung hat insbesondere zweierlei gezeigt: Zum einen fehlt im deutschen Arbeitsrecht ein einheitliches dogmatisch in sich stimmiges System der Entgeltfortzahlung. Stattdessen sind die Regelungen, die den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ außer Kraft setzen, auf viele Partikulargesetze verteilt, die jeweils einer eigenen Dogmatik unterliegen. Daher kommt es zu einer großen Rechtszersplitterung, wodurch eine stringente Auslegung und Anwendung der Vorschriften über Vergütungsfortzahlungspflichten erheblich erschwert wird. Zum anderen ist die mit Doppel- und Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall verbundene Problematik und deren Auswirkungen auf die Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers nur rudimentär geregelt worden. Daraus resultiert große Rechtsunsicherheit. In den bisherigen Ausführungen wurde der Versuch unternommen, dem de lege lata soweit wie möglich abzuhelfen, indem die wichtigsten Kollisionskonstellationen untersucht und Lösungsvorschläge unterbreitet wurden. Dennoch sind de lege ferenda neue gesetzliche Vorschriften wünschenswert, welche die angesprochenen Probleme beseitigen. Im Folgenden werden solche Regelungen entworfen. Hierfür gibt es zwei denkbare Ansatzpunkte, die sich an den beiden soeben skizzierten Problemkreisen orientieren. Eine Möglichkeit besteht darin, das gesamte Entgeltfortzahlungsrecht auf eine neue rechtliche Grundlage zu stellen. Dazu müsste ein Gesetz geschaffen werden, in dem sämtliche existierenden Entgeltfortzahlungstatbestände niedergelegt sind. Das geht indes vom Umfang her deutlich über dasjenige hinaus, was an dieser Stelle geleistet werden kann. Daher soll hier auf die zweite Möglichkeit zurückgegriffen werden: Es wird ein Entwurf für ein neues Gesetz vorgelegt, das die Entgeltfortzahlungstatbestände selbst, soweit wie möglich, unberührt lässt und nur ihr Verhältnis untereinander regelt. Ehe in diesem Sinne sogleich der Entwurf eines Gesetzestextes nebst Begründung vorgestellt wird, bietet es sich jedoch an, die in der Vergangenheit vorgelegten Entwürfe zu einem Arbeitsvertragsgesetz auf Regelungen für das Problem der Doppel- und Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall zu

2656

Siehe oben § 5 und § 6.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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untersuchen. Gegebenenfalls lassen sich ihnen Anregungen für den eigenen Gesetzentwurf entnehmen.

A. Doppel- und Mehrfachkausalität in verschiedenen Entwürfen zu einem Arbeitsvertragsgesetz Seit über einhundert Jahren gibt es in Deutschland Bestrebungen, das Arbeitsvertragsrecht in einem einzigen Gesetzeswerk zu kodifizieren. Während einige dieser Unternehmungen über das Entwurfsstadium nicht hinauskamen, wurden andere wenigstens Gegenstand parlamentarischer Beratungsprozesse. Ihnen allen ist jedoch gemein, dass sie – aus unterschiedlichen Gründen – nicht geltendes Recht geworden sind. I. Kodifikationsbestrebungen bis 1945 Die ersten Ansätze zu einer Kodifikation des Arbeitsvertragsrechts reichen weit zurück. Für ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetz sprach sich bereits der Deutsche Reichstag in einer Resolution vom 11. Dezember 1896 aus, allerdings ohne einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen.2657 Da der Bundesrat beschloss, ihr nicht zu folgen, blieb die Resolution ohne Wirkung.2658 Erste konkrete Vorschläge von Potthoff2659 wurden ebenfalls nicht umgesetzt. Aufgegriffen wurde die Idee, ein einheitliches Arbeitsgesetz zu schaffen, wieder in der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, deren Art. 157 S. 2 lautete: „Das Reich schafft ein einheitliches Arbeitsrecht.“ In der Folge setzte die Reichsregierung einen Arbeitsrechtsausschuss ein, der ein Gesetzbuch für das Arbeitsrecht ausarbeiten sollte und 1923 einen Entwurf für ein Allgemeines Arbeitsvertragsgesetz vorlegte. Indes wurde dessen Umsetzung nach Eintritt der wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung der Weimarer Republik nicht ernsthaft weiter betrieben; stattdessen wurden inhaltliche Neuerungen durch Partikulargesetze umgesetzt.2660 Der Entwurf fasste immerhin erstmals in seinen §§ 76–82 einige Vorschriften über die Entgeltzahlung bei Arbeitsverhinderung zusammen und enthielt davon abgekoppelt in den §§ 93–104 auch Vorschriften über die Urlaubsgewährung. Regelungen über das Verhältnis mehrerer alternativ kausaler Gründe für den Arbeitsausfall sucht man dort indes ebenso vergebens wie in den beiden während der Zeit des Nationalsozialismus in den Jahren 1938 und 1942 vorge2657 Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichtages, IX. Legislaturperiode. IV. Session. 1895/97, Fünfter Band, S. 3846. 2658 Vgl. Ramm Entwürfe, S. 11. 2659 Potthoff DJZ 1908, S. 1302 ff. 2660 Vgl. ausführlich Ramm Entwürfe, S. 39–51; vgl. ferner auch Sommer Nichterfüllung, S. 267; Steinmeyer/Jürging NZA 1992, S. 777, 780; Viethen FS Wlotzke (1996), S. 191, 191.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

legten Entwürfen des Arbeitsrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht.2661 II. Entwurf von 1977 In der Bundesrepublik der Nachkriegszeit bestand die Kodifikationsidee fort. Verschiedene Ansätze in dieser Richtung verliefen indes im Sande, bis 1970 die Bundesregierung eine Kommission mit dem Ziel einsetzte, ein Arbeitsgesetzbuch zu schaffen.2662 Die Beratungsergebnisse legte das Bundesarbeitministerium im September 1977 vor.2663 Letztlich scheiterte der Entwurf daran, dass ihm sowohl die Arbeitgeberverbände als auch der DGB ablehnend gegenüberstanden.2664 Auch in diesem Entwurf sucht man vergebens nach Regelungen für Doppel- und Mehrfachkausalität von Gründen für den Arbeitsausfall. Eine wesentliche Neuerung aber, die auch häufig von später vorgelegten Entwürfen übernommen wurde, bestand in der Schaffung eines eigenen Unterabschnitts „Arbeitsentgelt trotz Nichtleistung“. Dieser Unterabschnitt sollte einen eigenen allgemeinen Teil sowie besondere Regelungen für die einzelnen Entgeltfortzahlungstatbestände enthalten. In dem allgemeinen Teil war als Berechnungsmethode für die Höhe des Arbeitsentgelts für alle Entgeltfortzahlungstatbestände einheitlich das Lohnausfallprinzip festgelegt. Eine solche Regelung wäre von großer Bedeutung für den Problemkreis der Doppel- und Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall gewesen, da sie die praktische Relevanz einer Entscheidung über das Vorrangverhältnis erheblich vermindert hätte. Konkurrieren mehrere Entgeltfortzahlungstatbestände miteinander, die alle zu einer Entgeltfortzahlung in gleicher Höhe führen, besteht in der Regel kein praktischer Bedarf mehr, das Vorrangverhältnis zu entscheiden. Zudem diente eine einheitliche Berechnungsmethode der Rechtssicherheit. III. Entwürfe der 1990er Jahre Den nächsten Schub erhielten die Kodifizierungsbestrebungen durch die Deutsche Einheit. Im Einigungsvertrag von 31. August 19902665 ist in Art. 30 Abs. 1 Nr. 1 niedergelegt, es sei Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers, das Arbeitsvertragsrecht sowie das öffentlich-rechtliche Arbeitszeitrecht einschließlich der Zulässigkeit von Sonn- und Feiertagsarbeit und des besonderen Frauen2661 Der Text dieser Gesetzentwürfe findet sich bei Ramm Entwürfe, S. 247–276 (1938) und S. 343–400 (1942). 2662 Vgl. Ramm Entwürfe, S. 78–82; Viethen FS Wlotzke (1996), S. 191, 192; Steinmeyer/Jürging NZA 1992, S. 777, 780 f. 2663 Ramm Entwürfe, S. 84. 2664 Viethen FS Wlotzke (1996), S. 191, 192; Ramm Entwürfe, S. 85; Steinmeyer/Jürging NZA 1992, S. 777, 781; Sommer Nichterfüllung, S. 270. 2665 BGBl. 1990 II, S. 885 ff.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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arbeitsschutzes möglichst bald einheitlich neu zu kodifizieren. Daraufhin legte zunächst der Arbeitskreis Deutsche Rechtseinheit im Arbeitsrecht für den 59. Deutschen Juristentag im Jahre 1992 einen Entwurf vor.2666 Dieser sogenannte „Professorenentwurf“ berücksichtigte die angesprochenen Entwürfe früherer Kommissionen und Ausschüsse und bildet in seiner Gliederung und auch in vielen Formulierungen die Grundlage für die seither in die Diskussion eingebrachten Konzepte. Hinsichtlich der Behandlung von Doppel- und Mehrfachkausalität brachte er indes keine bemerkenswerten Fortschritte. Er hielt daran fest, die meisten damals geltenden Entgeltfortzahlungstatbestände aufzugreifen und für alle Vergütungszahlungen bei fehlender Arbeitsleistung einheitlich das Lohnausfallprinzip als Berechnungsmethode vorzuschreiben. Negativ zu bemerken ist sogar, dass er von dem in dem Entwurf von 1977 verankerten Konzept wieder Abschied nahm, alle Entgeltfortzahlungstatbestände in einem einzigen Kapitel (oder Unterabschnitt oder Titel) zusammenzufassen und die Vorschriften stattdessen auf mehrere Abschnitte aufteilte. Eine positive Neuerung ist aber darin zu erblicken, dass die Möglichkeit einer Vereinbarung von unbezahltem Urlaub in § 72 des Entwurfes gesetzlich geregelt werden sollte. Als Mitte der 1990er Jahre offensichtlich wurde, dass Bundesregierung und Bundestag keine Schritte unternehmen würden, um dem Kodifikationsauftrag nach Art. 30 des Einigungsvertrages nachzukommen,2667 ergriffen mehrere Bundesländer die Initiative und brachten eigene Gesetzentwürfe in den Bundesrat ein. Sowohl der Entwurf des Freistaates Sachsen2668 als auch der durch das Land Brandenburg eingebrachte Entwurf der SPD-regierten Bundesländer2669 lehnten sich eng an den Professorenentwurf von 1992 an und stimmten zudem miteinander inhaltlich in vielen Punkten überein.2670 Das gilt auch für die Regelungen über die Entgeltfortzahlung, die wieder stärker zusammengefasst werden sollten. Zudem übernahmen beide Entwürfe von dem Professorenentwurf die Idee, einen gesetzlichen Tatbestand für unbezahlten Sonderurlaub zu schaffen. Schließlich fand auch der Gedanke einer einheitlichen Berechnungsmethode für alle Entgeltfortzahlungstatbestände einen Niederschlag in beiden Entwürfen, allerdings in unterschiedlichen Ausprägungen: Während der sächsische Entwurf insoweit an dem Lohnausfallprinzip festhielt, sah die brandenburgische Vorlage die Bezugsmethode vor. Weitere Fortschritte hinsichtlich der Behandlung von Doppel- und Mehrfachkausalität waren indes auch in diesen Entwürfen nicht zu beobachten. 2666 Arbeitskreis Deutsche Rechtseinheit im Arbeitsrecht, Gutachten D zum 59. Deutschen Juristentag 1992. 2667 Vgl. Bodenbender/Griese FS Wlotzke (1996), S. 3, 4. 2668 BR-Drs. 293/95. 2669 BR-Drs. 671/96. 2670 Vgl. zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden beider Entwürfe Griese NZA 1996, S. 803, 806–809; zu der Anlehnung an den Professorenentwurf von 1992 vgl. Sommer Nichterfüllung, S. 271.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

IV. Gegenwärtige Bestrebungen Den jüngsten Diskussionsanstoß haben 2006 Martin Henssler und Ulrich Preis im Auftrag der Bertelsmann Stiftung mit ihrem „Diskussionsentwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes (ArbVG)“ gegeben. Indes hat auch insoweit der Gesetzgeber noch keine konkreten Schritte unternommen, diesen Entwurf Gesetz werden zu lassen. Der Entwurf lehnt sich in Aufbau und Inhalt ebenfalls teilweise an den Professorenentwurf von 1992 an. Im Hinblick auf das Entgeltfortzahlungsrecht ist insbesondere positiv hervorzuheben, dass alle Entgeltfortzahlungstatbestände in einem Kapitel zusammengefasst wurden und für alle Tatbestände das Lohnausfallprinzip gelten sollte. Auch der unbezahlte Urlaub sollte gesetzlich geregelt werden (vgl. §§ 99 f. des Entwurfs). Die Problematik der Doppel- und Mehrfachkausalität selbst bleibt jedoch, von der Übernahme bestehender gesetzlicher Regelungen wie etwa § 9 BUrlG abgesehen, auch in diesem Entwurf unbehandelt. V. Zwischenfazit Die vorgestellten Entwürfe jüngerer Zeit unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Regelungsdichte in Bezug auf das Entgeltfortzahlungsrecht nur unwesentlich. Positiv hervorzuheben ist, dass die Vorlagen sich mehr oder weniger intensiv darum bemühen, alle Entgeltfortzahlungstatbestände in einem Kapitel systematisch zusammenzufassen. Auch die Schaffung eines Tatbestandes für unbezahlten Urlaub ist sinnvoll. Ebenfalls zu begrüßen und bedeutsam für die Problematik im Zusammenhang mit Doppel- und Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall ist der Gedanke, alle Entgeltfortzahlungstatbestände derselben Berechnungsmethode zu unterwerfen. Indes bleibt das Problem der Doppel- und Mehrfachkausalität in den untersuchten Entwürfen weitgehend unbehandelt. Insoweit sind keine Verbesserungen des geltenden Rechts ersichtlich. Zu kritisieren ist insbesondere, dass sich die vorgestellten Entwürfe überhaupt nicht zu den sogenannten Ausschlussgründen wie etwa Streik oder Elternzeit verhalten. Auch und gerade das Verhältnis dieser Ausfallgründe zu Entgeltfortzahlungstatbeständen lässt sich durch eine einheitliche Berechnungsmethode nicht lösen.

B. Neuer Gesetzentwurf I. Regelungsziele Ehe der Text eines neuen Gesetzentwurfs vorgelegt wird, sind zunächst die Ziele zu definieren, die mit ihm erreicht werden sollen. Vorrangiges Ziel des Entwurfs soll die Schaffung einer Regelung sein, welche das Vorrangverhältnis zwischen mehreren konkurrierenden Gründen für den Ar-

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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beitsausfall festlegt. In allererster Linie muss diese Regelung die bei Doppel- und Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall häufig bestehende Rechtsunsicherheit über das Vorrangverhältnis beseitigen und möglichst für alle denkbaren Fälle eine klare und eindeutige Entscheidung bereithalten. Die entsprechenden Vorschriften müssen in der Praxis leicht zu handhaben sein und dem Rechtsanwender komplexere Überlegungen ersparen. Dabei ist zu gewährleisten, dass die gewählte Lösung gleichermaßen auf Fälle der Doppel- wie auch der Mehrfachkausalität angewendet werden kann. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch die Frage zu klären, wie mit dem Problem hypothetischer Kausalität umzugehen ist.2671 Zudem ist wünschenswert – wie bereits oben2672 im Rahmen der Analyse des Entwurfs von 1977 erläutert – die Berechnungsmethode aller Entgeltfortzahlungstatbestände zu vereinheitlichen. Ein weiterer unter dem Gesichtspunkt der verbesserten Rechtssicherheit überzeugender Vorschlag, der in einigen der oben analysierten Entwürfe zu einem Arbeitsvertragsgesetz gemacht wurde, betraf die Schaffung einer Regelung über die unbezahlte Freistellung des Arbeitnehmers. Beides soll der hier vorgelegte Entwurf leisten. II. Text des Entwurfes Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen: Artikel 1 Entwurf eines Gesetzes über die Regelung der Vergütung bei dem Zusammentreffen mehrerer Gründe für den Arbeitsausfall (Arbeitsausfallkollisionsgesetz – AAKG) § 1 Ziel des Gesetzes Ziel dieses Gesetzes ist es, die Vergütung von Beschäftigten für den Fall zu regeln, dass zwei oder mehrere Gründe für den Arbeitsausfall zusammentreffen. § 2 Persönlicher Anwendungsbereich Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeitnehmer. Auf zu ihrer Berufsbildung Beschäftigte und leitende Angestellte sowie auf arbeitnehmerähnliche Personen im Sinne des § 12a Abs. 1 Nr. 1 des Tarifvertragsgesetzes einschließlich der in Heimarbeit Beschäftigten im Sinne des § 1 Abs. 1 des Heimarbeitsgesetzes sowie auf sonstige zur Dienstleistung Verpflichtete im Sinne des § 611 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind die Vorschriften dieses Gesetzes anzuwenden, soweit die kollidierenden Gründe für den Arbeitsausfall nach Maßgabe 2671 2672

Vgl. zur Behandlung dieser Problematik nach geltendem Recht oben § 9 B.II. Siehe oben § 11 A.II.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

der in § 3 genannten Vorschriften und Rechtsgrundsätze auch für diese Personengruppen gelten. § 3 Sachlicher Anwendungsbereich Dieses Gesetz regelt die Vergütung von Beschäftigten im Fall des Zusammentreffens der folgenden Entgeltfortzahlungstatbestände und sonstigen Gründe für den Arbeitsausfall: 1.

die bezahlte Freistellung für Untersuchungen im Sinne des § 16 des Mutterschutzgesetzes,

2.

das Recht auf Entfernung vom Arbeitsplatz unter Entgeltfortzahlung gemäß § 9 Abs. 3 des Arbeitsschutzgesetzes,

3.

die Schutzfristen nach § 3 Abs. 2 oder § 6 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes einschließlich des Entbindungstags,

4.

das Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1, § 4, § 6 Abs. 2 oder Abs. 3 des Mutterschutzgesetzes oder das Mehr-, Nacht- oder Sonntagsarbeitsverbot nach § 8 Abs. 1, 3, 5 des Mutterschutzgesetzes,

5.

die Teilnahme an einem rechtmäßigen oder rechtswidrigen Streik, der Arbeitsausfall infolge einer rechtmäßigen Aussperrung oder der Arbeitsausfall, der auf einem Arbeitskampf beruht und für den der Beschäftigte das Risiko trägt,

6.

die Inanspruchnahme von Elternzeit gemäß den §§ 15 ff. des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, das Ruhen des Arbeitsverhältnisses infolge einer Vereinbarung oder gesetzlichen Anordnung im Sinne des § 619b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie die Anordnung von Kurzarbeit durch den Arbeitgeber nach § 19 des Kündigungsschutzgesetzes,

7.

die bezahlte Freistellung zur Teilnahme an einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1 oder Abs. 2 S. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes,

8.

die bezahlte Freistellung zur Teilnahme an einer Sprechstunde oder sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats im Sinne des § 39 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes,

9.

die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 3a Abs. 1 S. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes,

10. die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes, 11. die Entgeltfortzahlung an Feiertagen im Sinne des § 2 Abs. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes,

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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12. der Arbeitsausfall, für den der Arbeitgeber allein oder weit überwiegend verantwortlich im Sinne des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist, 13. die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts unter Entgeltfortzahlung im Sinne des § 14 S. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, 14. die bezahlte Freistellung für eine persönliche Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden im Sinne des § 14 Abs. 1 des Arbeitsplatzschutzgesetzes, 15. die vorübergehende Verhinderung im Sinne des § 616 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 16. der Erholungsurlaub im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes, auch soweit die Anzahl der Urlaubstage über die Mindestanzahl gemäß § 3 Abs. 1 des Bundesurlaubsgesetzes hinausgeht, 17. das vom Arbeitgeber zu tragende Risiko des Arbeitsausfalls im Sinne des § 615 S. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 18. die bezahlte Freistellung für Stillzeit im Sinne des § 7 des Mutterschutzgesetzes, 19. die bezahlte Freistellung für Tätigkeiten als Mitglied des Betriebsrats im Sinne von § 37 Abs. 2 oder Abs. 3 oder § 38 des Betriebsverfassungsgesetzes, 20. die bezahlte Freistellung für die Teilnahme an erforderlichen oder geeigneten Schulungs- und Bildungsveranstaltungen im Sinne des § 37 Abs. 6 oder Abs. 7 des Betriebsverfassungsgesetzes, 21. die bezahlte Freistellung für Tätigkeiten im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen im Sinne des § 20 Abs. 3 S. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes, 22. der Arbeitsausfall infolge von Arbeitsunwilligkeit des Arbeitnehmers oder der unter das Wegerisiko des Arbeitnehmers fallende Arbeitsausfall, 23. der Arbeitsausfall infolge einer rechtswidrigen Aussperrung, soweit der Arbeitnehmer keinen Vergütungsanspruch aus den Vorschriften über den Annahmeverzug herleiten kann.

§ 4 Anwendung des Hierarchieprinzips Verursachen zwei oder mehr der in § 3 genannten Gründe den Arbeitsausfall in Bezug auf einen Beschäftigten während desselben Zeitraums, richtet sich die Vergütung des Beschäftigten durch den Arbeitgeber ausschließlich nach dem in § 3 zuerst genannten Grund für den Arbeitsausfall.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

§ 5 Keine Berücksichtigung hypothetischer Kausalität § 4 ist nur auf solche Ausfallgründe anwendbar, die im konkreten Fall tatsächlich mitursächlich für den Arbeitsausfall geworden sind. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, soweit ein Umstand den Arbeitsausfall tatsächlich nicht herbeigeführt hat, aber einen Arbeitsausfall herbeigeführt hätte, wenn ein anderer Grund für den Arbeitsausfall nicht vorgelegen hätte. § 6 Regelungsgehalt von § 78 S. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes Der Vorschrift des § 78 S. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes kommt keine Bedeutung für das Verhältnis mehrer gleichzeitig auftretender Gründe für den Arbeitsausfall zu. Im Übrigen bleibt sie unberührt. § 7 Abweichungsmöglichkeit (1) Von den Vorschriften dieses Gesetzes kann durch Tarifvertrag oder individualvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag abgewichen werden. (2) Eine anderweitige Abweichung ist ausgeschlossen. Artikel 2 Entwurf eines Gesetzes über die Berechnung der Vergütungshöhe bei Entgeltfortzahlung ohne Arbeitsleistung (Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetz – EFZBerG) § 1 Ziel des Gesetzes Ziel dieses Gesetzes ist es, für den Fall einer Entgeltfortzahlung ohne Arbeitsleistung die Höhe des Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber einheitlich zu regeln. § 2 Persönlicher Anwendungsbereich Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten für Arbeitnehmer. Sie gelten entsprechend für alle weiteren Personen, auf welche die in § 3 genannten Entgeltfortzahlungstatbestände nach Maßgabe der dort genannten Vorschriften und Rechtsgrundsätze anwendbar sind. § 3 Sachlicher Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz regelt die Höhe der Entgeltfortzahlung nach folgenden Tatbeständen: – die bezahlte Freistellung für Untersuchungen (§ 16 S. 3 des Mutterschutzgesetzes),

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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– das Recht auf Entfernung vom Arbeitsplatz unter Entgeltfortzahlung (§ 9 Abs. 3 des Arbeitsschutzgesetzes), – das Arbeitsentgelt bei Beschäftigungsverboten (§ 11 Abs. 1 S. 1 des Mutterschutzgesetzes), – die bezahlte Freistellung zur Teilnahme an einer Betriebsversammlung (§ 44 Abs.1 und Abs. 2 S. 2 Hs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes), – die bezahlte Freistellung zur Teilnahme an einer Sprechstunde oder sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats (§ 39 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes), – die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 Abs. 1 S. 1 und § 3a Abs. 1 S. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes), – die Entgeltfortzahlung an Feiertagen (§ 2 Abs. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes), – die Entgeltfortzahlung infolge eines Arbeitsausfalls, für den der Arbeitgeber allein oder weit überwiegend verantwortlich im Sinne des § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist, – die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts unter Entgeltfortzahlung im Sinne des § 14 S. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, – die bezahlte Freistellung für eine persönliche Meldung oder Vorstellung bei den Erfassungsbehörden und Wehrersatzbehörden (§ 14 Abs. 1 des Arbeitsplatzschutzgesetzes), – die vorübergehende Verhinderung (§ 616 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches), – die Inanspruchnahme von bezahltem Erholungsurlaub im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes, auch soweit die Anzahl der Urlaubstage über die Mindestanzahl gemäß § 3 Abs. 1 des Bundesurlaubsgesetzes hinausgeht, – die Entgeltfortzahlung bei Annahmeverzug des Arbeitgebers (§ 615 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches) sowie infolge eines Arbeitsausfalls, für den der Arbeitgeber gemäß § 615 S. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches das Risiko trägt, – die bezahlte Freistellung für Stillzeit (§ 7 des Mutterschutzgesetzes), – die bezahlte Freistellung für Tätigkeiten als Mitglied des Betriebsrats (§ 37 Abs. 2, Abs. 3, § 38 des Betriebsverfassungsgesetzes), – die bezahlte Freistellung für die Teilnahme an erforderlichen oder geeigneten Schulungs- und Bildungsveranstaltungen (§ 37 Abs. 6, Abs. 7 des Betriebsverfassungsgesetzes),

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

– die bezahlte Freistellung für Tätigkeiten im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen (§ 20 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes). (2) Die Höhe des täglichen Zuschusses zum Mutterschaftsgeld (§ 14 des Mutterschutzgesetzes) bestimmt sich nach der Differenz zwischen 13 Euro und dem Betrag, den eine Berechnung nach § 4 ergibt.

§ 4 Berechnung der Vergütungshöhe (1) Hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach einem der in § 3 genannten Tatbestände und wird er nach der geleisteten Arbeitszeit bezahlt, bestimmt sich die Höhe der Entgeltfortzahlung nach dem Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall für die dann geleistete Arbeitszeit erhalten hätte (Entgeltausfallprinzip). Auch hypothetische Überstunden sind zu vergüten. (2) Hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach einem der in § 3 genannten Tatbestände und erhält er ein von dem Arbeitsergebnis abhängiges Entgelt, bestimmt sich die Höhe der Entgeltfortzahlung nach dem Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Kalendermonate (Bezugsmethode). Sofern eine Berechnung danach nicht möglich oder unangemessen ist, ist auf andere angemessene Bezugszeiträume oder Bezugsgrößen abzustellen. (3) In den Fällen des Abs. 1 und des Abs. 2 sind zum regelmäßigen Entgelt gehörende Sachleistungen, die während der Ausfallzeit nicht weiter gewährt werden, für deren Dauer angemessen abzugelten. Nicht weiterzugewähren sind hingegen Leistungen für Aufwendungen des Arbeitnehmers, soweit der Anspruch auf sie im Falle der Erbringung der Arbeitsleistung davon abhängig ist, dass dem Arbeitnehmer entsprechende Aufwendungen tatsächlich entstanden sind und tatsächlich dem Arbeitnehmer solche Aufwendungen während des Arbeitsausfalls nicht entstehen.

§ 5 Abweichungsmöglichkeit (1) Von den Vorschriften dieses Gesetzes kann zuungunsten des Arbeitnehmers nur durch Tarifvertrag oder individualvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag abgewichen werden. In den Fällen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und Abs. 2 ist eine Abweichung zuungunsten des Arbeitnehmers auch durch Tarifvertrag oder individualvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag unzulässig. (2) Eine anderweitige Abweichung zuungunsten des Arbeitnehmers ist ausgeschlossen.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

599

Artikel 3 Änderung des Arbeitsschutzgesetzes Das Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996 (BGBl. I 1996, S. 1246), das zuletzt durch Artikel 15 Absatz 89 des Gesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl. I 2009, S. 160) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: § 9 Absatz 3 Satz 2 erhält folgende Fassung: „Den Beschäftigten dürfen hierdurch keine Nachteile entstehen; die Höhe der Entgeltfortzahlung richtet sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes.“ Artikel 4 Änderung des Mutterschutzgesetzes Das Mutterschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Juni 2002 (BGBl. I 2002, S. 2318), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 23. Oktober 2012 (BGBl. I 2012, S. 2246) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: 1.

§ 7 Absatz 2 Satz 1 erhält folgende Fassung: „Für die ausgefallene Arbeitszeit erhält die Arbeitnehmerin eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet.“

2.

§ 11 erhält folgende Fassung: „Die unter den Geltungsbereich des § 1 fallenden Frauen erhalten, soweit sie nicht Mutterschaftsgeld nach den Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch beziehen können, vom Arbeitgeber eine Entgeltfortzahlung, wenn sie wegen eines Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1, §§ 4, 6 Abs. 2 oder 3 oder wegen des Mehr-, Nacht- oder Sonntagsarbeitsverbots nach § 8 Abs. 1, 3 oder 5 teilweise oder völlig mit der Arbeit aussetzen. Das gilt auch, wenn wegen dieser Verbote die Beschäftigung oder die Entlohnung wechselt. Die Höhe der Entgeltfortzahlung richtet sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes.“

3.

§ 14 wird wie folgt geändert: a) Absatz 1 erhält folgende Fassung: „Frauen, die Anspruch auf Mutterschaftsgeld nach § 24i Abs. 1, 2 S. 1 bis 4 und Abs. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder § 13 Abs. 2, 3 haben, erhalten während ihres bestehenden Arbeitsverhältnisses für die Zeit der Schutzfristen des § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 sowie für den Entbindungstag von ihrem Arbeitgeber einen Zuschuss. Dessen Höhe richtet sich nach § 3 Abs. 2, § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes.“ b) Absatz 4 wird aufgehoben.

600

4.

3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

§ 16 Satz 3 erhält folgende Fassung: „Für die Dauer der Freistellung erhält die Arbeitnehmerin eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet.“

Artikel 5 Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes Das Betriebsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001 (BGBl. I 2001, S. 2518), das zuletzt durch Artikel 3 Absatz 4 des Gesetzes vom 20. April 2013 (BGBl. I 2013, S. 868) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: 1.

§ 20 Absatz 3 Satz 2 erhält folgende Fassung: „Für Arbeitszeit, die infolge der Ausübung des Wahlrechts oder einer Betätigung im Wahlvorstand oder als Vermittler (§ 18a) ausfällt, erhält der Arbeitnehmer eine Engeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet.“

2.

§ 37 wird wie folgt geändert a) Absatz 2 wird wie folgt geändert: aa) Der bisherige Absatz 2 wird zu Absatz 2 Satz 1, wobei die Worte „ohne Minderung des Arbeitsentgelts“ durch die Worte „unter Entgeltfortzahlung“ ersetzt werden. bb) Nach Satz 1 wird folgender Satz 2 eingefügt: „Die Höhe der Entgeltfortzahlung richtet sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes.“ b) Absatz 3 Satz 1 erhält folgende Fassung: „Zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber; die Höhe der Entgeltfortzahlung richtet sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes.“ c) Absatz 7 wird wie folgt geändert: aa) Hinter Satz 1 wird folgender Satz 2 eingefügt: „Die Höhe der Entgeltfortzahlung richtet sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes.“ bb) Die bisherigen Sätze 2 und 3 werden zu den Sätzen 3 und 4.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

3.

601

§ 38 Absatz 3 erhält folgende Fassung „Für die Zeit der Freistellung erhält das Betriebsratsmitglied eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet. § 37 Abs. 4 und 5 werden mit der Maßgabe entsprechend angewendet, dass sich der Zeitraum für die Weiterzahlung des Arbeitsentgelts und die Beschäftigung für Mitglieder des Betriebsrats, die drei volle aufeinanderfolgende Amtszeiten freigestellt waren, auf zwei Jahre nach Ablauf der Amtszeit erhöht.“

4.

§ 39 Absatz 3 erhält folgende Fassung „Für die Zeit der Teilnahme an einer Sprechstunde oder einer sonstigen Inanspruchnahme des Betriebsrats erhält der Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet.“

5.

§ 44 wird wie folgt geändert: a) Absatz 1 Satz 2 erhält folgende Fassung: „Für die Zeit der Teilnahme an diesen Versammlungen einschließlich der zusätzlichen Wegezeiten erhalten die Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet.“ b) Absatz 2 Satz 2 erhält folgende Fassung: „Hiervon kann im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber abgewichen werden; für die Zeit der Teilnahme an im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber durchgeführten Versammlungen erhalten die Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet.“

Artikel 6 Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes Das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994 (BGBl. I 1994, S. 1014, 1065), das zuletzt durch Artikel 1a des Gesetzes vom 21. Juli 2012 (BGBl. I 2012, S. 1601) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: 1.

§ 2 wird wie folgt geändert: a) Absatz 1 erhält folgende Fassung: „Für Arbeitszeit, die an einem gesetzlichen Feiertag ausfällt, erhält der Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet.“ b) Absatz 2 wird aufgehoben. c) Der bisherige Absatz 3 wird zu Absatz 2.

602

2.

3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

§ 4 erhält folgende Fassung: „Die Höhe der Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 und § 3a Abs. 1 richtet sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes.“

Artikel 7 Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I 2002, S. 42, 2909; I 2003, S. 738), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 26. Juni 2013 (BGBl. I 2013, S. 1805) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: 1.

In § 326 Absatz 2 wird hinter Satz 2 folgender Satz 3 eingefügt: „Werden die Vorschriften dieses Absatzes auf ein Dienstverhältnis angewendet und bleibt danach der Dienstberechtigte zur Zahlung des Entgelts verpflichtet, richtet sich die Höhe der Entgeltfortzahlung nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes. Satz 2 bleibt insoweit unberührt.“

2.

§ 615 wird wie folgt geändert: a) Satz 1 erhält folgende Fassung „Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, kann der Verpflichtete, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, für die ausgefallene Arbeitszeit eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber verlangen, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet.“ b) In Satz 3 werden hinter dem Wort „Die“ die Worte „Rechtsfolgen der“ eingefügt.

3.

§ 616 erhält folgende Fassung „Kann der Dienstverpflichtete für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden die Dienstleistung nicht erbringen, erhält er für diese Zeit eine Entgeltfortzahlung durch den Dienstberechtigten, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet. Auf den danach errechneten Betrag muss sich der Dienstverpflichtete dasjenige anrechnen lassen, das ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.“

4.

Hinter § 619a wird folgender § 619b eingeführt: „§ 619b Ruhen des Arbeitsverhältnisses infolge einer Vereinbarung oder gesetzlichen Anordnung

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

603

(1) Es kann durch Gesetz angeordnet oder tarifvertraglich, betrieblich oder individualvertraglich vereinbart werden, dass das Arbeitsverhältnis vollständig oder teilweise ruht. Auch bei einer Vereinbarung von Kurzarbeit ruht das Arbeitsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift. (2) Soweit das Arbeitsverhältnis ruht, ist der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet. Die Verpflichtungen des Arbeitgebers zur Entgeltzahlung und zur Beschäftigung des Arbeitnehmers entfallen entsprechend. (3) Im Übrigen bleiben die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten der Parteien bestehen. (4) Das Ruhen eines Arbeitsverhältnisses wirkt sich nicht auf eine vereinbarte Befristung aus. Das Gleiche gilt, wenn das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen endet.“ Artikel 8 Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I 2006, S. 1897), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 3. April 2013 (BGBl. I 2013, S. 610) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: § 14 wird wie folgt geändert: a) In Satz 1 werden die Worte „ohne Verlust des Arbeitsentgelts“ gestrichen. b) Hinter Satz 1 wird folgender Satz 2 eingefügt: „Für diese Zeit erhält der Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet.“ c) Der bisherige Satz 2 wird zu Satz 3. Artikel 9 Änderung des Arbeitsplatzschutzgesetzes Das Arbeitsplatzschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Juli 2009 (BGBl. I 2009, S. 2055), das durch Artikel 2 Absatz 7 des Gesetzes vom 8. April 2013 (BGBl. I 2013, S. 730) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: § 14 Absatz 1 erhält folgende Fassung: „Wird ein Arbeitnehmer nach Maßgabe des Wehrpflichtgesetzes von der Erfassungsbehörde oder einer Wehrersatzbehörde aufgefordert, sich persönlich zu melden oder vorzustellen, ist er für die dazu erforderliche Zeit von seiner Arbeitspflicht befreit. Für diese Zeit erhält der Arbeitnehmer durch den Ar-

604

3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

beitgeber eine Entgeltfortzahlung, deren Höhe sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes richtet.“ Artikel 10 Änderung des Bundesurlaubsgesetzes Das Bundesurlaubsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 800-4, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 3 Absatz 3 des Gesetzes vom 20. April 2013 (BGBl. I 2013, S. 868) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: 1.

§ 9 erhält folgende Fassung: „§ 9 Zusammentreffen von Urlaub mit anderen Gründen für den Arbeitsausfall Trifft der Urlaub mit einem oder mehreren der in § 3 des Arbeitsausfallkollisionsgesetzes genannten Gründe für den Arbeitsausfall zusammen und richtet sich gemäß den Vorschriften des Arbeitsausfallkollisionsgesetzes die Vergütung durch den Arbeitgeber nach einem anderen Grund für den Arbeitsausfall, hat der Arbeitgeber einen ganzen Urlaubstag nachzugewähren. Das gilt unabhängig davon, ob für den Arbeitnehmer während der betreffenden Zeit an dem Urlaubstag die Möglichkeit zur Erholung bestand.“

2.

§ 11 erhält folgende Fassung: „Die Höhe des Urlaubsentgelts richtet sich nach § 4 des Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetzes.“

Artikel 11 Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I 1988, S. 2477, 2482), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 26. Juni 2013 (BGBl. I 2013, S. 1738) geändert worden ist, wird wie folgt geändert: § 24i Absatz 4 wird aufgehoben. Artikel 12 Inkrafttreten Das Gesetz tritt am (. . .) in Kraft.

C. Kommentierung Der vorliegende Gesetzentwurf orientiert sich an den oben2673 identifizierten Regelungszielen. Da das Regelungspaket neben dem Erlass der beiden neuen Ge2673

Siehe oben § 11 B.I.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

605

setze AAKG und EFZBerG umfangreiche Folgeänderungen an weiteren Gesetzen enthalten muss, erfolgt die Umsetzung durch ein Artikelgesetz. Die vorgeschlagene Neufassung der darin genannten Vorschriften erfordert unter Umständen rein redaktionelle Folgeänderungen an weiteren Vorschriften. Da diese Änderungen inhaltlich ohne Bedeutung sind, wird auf ihre Darstellung an dieser Stelle verzichtet. Im Folgenden werden die einzelnen Vorschriften des Entwurfs erläutert. Zu Artikel 1 Entwurf eines Gesetzes über die Regelung der Vergütung bei dem Zusammentreffen mehrerer Gründe für den Arbeitsausfall (Arbeitsausfallkollisionsgesetz – AAKG) Zur Regelung des Vorrangverhältnisses zwischen mehreren konkurrierenden Gründen für den Arbeitsausfall bietet es sich an, ein neues Gesetz in Form des AAKG zu schaffen, welches das Vorrangverhältnis einheitlich für alle in Betracht kommenden Ausfallgründe bestimmt. Diese Vorgehensweise ist sinnvoller als Änderungen an allen einzelnen Regelungen über Ausfallgründe vorzunehmen. Letzteres kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil nicht alle Verhinderungsgründe gesetzlich geregelt sind (vgl. zum Beispiel Arbeitskampf). Zudem gewährleistet dieses Vorgehen größtmögliche Übersichtlichkeit und eine gute Handhabung in der Praxis. Zu § 1 Ziel des Gesetzes § 1 dient vor allem dazu, Klarheit über das Regelungsziel des neuen Gesetzes zu schaffen. Er verdeutlicht, dass Fragen über das Vorrangverhältnis zwischen mehreren konkurrierenden Arbeitsausfallgründen anhand dieses neuen Gesetzes geklärt werden sollen. Eine Entscheidung über das Vorrangverhältnis bei mehreren gleichzeitig einschlägigen Arbeitsausfallgründen ist auch durch die angestrebte Vereinheitlichung der Berechnungsmethode durch das als Artikel 2 vorgelegte EFZBerG nicht obsolet. Zwar werden dadurch die Rechtsfolgen der hier erfassten Entgeltfortzahlungstatbestände angeglichen, so dass in vielen Fällen eine Entscheidung über das Vorrangverhältnis allenfalls in dogmatischer, nicht aber in praktischer Hinsicht interessant ist. Davon werden aber nicht alle Konstellationen erfasst: Zum einen bleibt auch bei Berücksichtigung der Vorschriften des EFZBerG eine Entscheidung über das Vorrangverhältnis zwischen einem Entgeltfortzahlungstatbestand und einem Ausschlussgrund erforderlich. Das EFZBerG gleicht nur die Rechtsfolgen aller Entgeltfortzahlungstatbestände an, regelt aber nicht die Rechtsfolgen von Ausschlussgründen. Zum anderen ergibt sich aus § 5 EFZBerG, dass von den Vorschriften des EFZBerG unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden kann. Eine derartige Abweichung muss nicht pauschal alle in dem EFZBerG aufgeführten Entgeltfortzahlungstatbestände erfassen, sondern kann je

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

nach Vereinbarung auch nur für einen oder einige dieser Tatbestände gelten. Es kann daher vorkommen, dass die Vergütung für unterschiedliche Entgeltfortzahlungstatbestände unterschiedlich hoch ausfällt. In einem solchen Fall muss das AAKG angewendet werden, um über das Vorrangverhältnis der beteiligten Tatbestände zu entscheiden. Das AAKG erfasst nicht bloß Entgeltfortzahlungstatbestände, sondern auch Ausschlussgründe, um deren Verhältnis zu gegebenenfalls konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbeständen zu klären. Bei strikter Handhabung würde das Gesetz auch angewendet, wenn ausschließlich Ausschlussgründe miteinander kollidieren. Es liegt indes auf der Hand, dass in einem solchen Fall eine Anwendung des AAKG nicht erforderlich ist. Unabhängig von dem angewendeten Ausfallgrund kann kein Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bestehen. Die Anwendung des AAKG ist daher in solchen Konstellationen verzichtbar. Dieses Ergebnis ist offensichtlich, so dass eine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Regelung entbehrlich ist. Zu § 2 Persönlicher Anwendungsbereich Da die existierenden Entgeltfortzahlungstatbestände für verschiedene Personenkreise gelten, muss der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes klargestellt werden. Das Gesetz verwendet den Begriff des „Beschäftigten“, weil neben Arbeitnehmern auch weitere Personengruppen in den Anwendungsbereich einbezogen werden sollen. Alle vom Gesetz erfassten Arbeitsausfallgründe gelten für Arbeitnehmer, so dass diese ohne Weiteres unter den persönlichen Anwendungsbereich zu fassen sind. Maßgeblich soll insoweit der allgemeine arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff sein. Daneben werden in § 2 S. 2 AAKG weitere Personengruppen genannt. Sie fallen nach der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur zwar nicht unter den Arbeitnehmerbegriff. Da aber auch bei diesen Personengruppen mehrere Arbeitsausfallgründe kollidieren können, soll das Gesetz auch auf diese Personengruppen angewendet werden. Voraussetzung ist naturgemäß, dass wenigstens zwei Ausfallgründe kollidieren, denen eine derartige Person unterfällt. Zu §§ 3, 4 Sachlicher Anwendungsbereich und Anwendung des Hierarchieprinzips a) Allgemeines § 3 führt abschließend alle Arbeitsausfallgründe auf, deren Konkurrenzverhältnisse das Gesetz regeln soll. Das Vorrangverhältnis im Einzelfall ergibt sich aus dem Zusammenspiel von § 3 und § 4. Gemäß § 4 wird bei Doppel- oder Mehrfachkausalität von mehreren in § 3 aufgeführten Gründen für den Arbeitsausfall das Hierarchieprinzip angewendet. Somit wird eine Rangfolge aller Aus-

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

607

fallgründe bestimmt. Im Falle einer Kollision kommt lediglich der ranghöchste einschlägige Ausfallgrund zur Anwendung. Die Rangfolge bestimmt sich nach der Reihenfolge, in der die Arbeitsausfallgründe in § 3 aufgeführt werden. Der auf diese Weise ermittelte Vorrang eines Ausfallgrunds ist ausschließlich für den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers relevant. Weitergehende Rechtsfolgen, die ein Ausfallgrund auslösen kann (zum Beispiel Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüche), bleiben von der Nachrangigkeit eines Ausfallgrunds unberührt. Das wird durch die Formulierung „richtet sich die Vergütung“ in § 4 verdeutlicht. b) Gründe für die Anwendung des Hierarchieprinzips Das Hierarchieprinzip ist nur eines von mehreren denkbaren Ordnungsprinzipien, die einheitlich auf alle Fälle von Doppel- und Mehrfachkausalität angewendet werden könnten. Ebenfalls denkbar wäre die Anwendung des Prioritätsprinzips (Vorrang des zeitlich zuerst auftretenden Ausfallgrunds), des Günstigkeitsprinzips zugunsten des Arbeitnehmers (Vorrang des für den Arbeitnehmer günstigsten Ausfallgrunds) oder des Prinzips des geringsten Risikos des Arbeitgebers (Vorrang des für den Arbeitgeber günstigsten Ausfallgrunds). Diese Ordnungsprinzipien wurden oben bereits eingehend dargestellt, so dass ergänzend auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen wird.2674 Unter den genannten Prinzipien ist das Hierarchieprinzip am besten geeignet, die oben2675 skizzierten Ziele des Gesetzentwurfs zu erreichen. Vor allem gewährleistet es im Gegensatz zu den anderen Prinzipien uneingeschränkte Rechtssicherheit, da es alle in Betracht kommenden Kollisionskonstellationen auflösen kann. Das Prioritätsprinzip hingegen versagt, wenn mehrere Ausfallgründe gleichzeitig zum ersten Mal auftreten. Das Günstigkeitsprinzip zugunsten des Arbeitnehmers und das Prinzip des geringsten Risikos des Arbeitgebers lösen nicht den Fall, in dem mehrere Tatbestände eine Vergütung in gleicher Höhe vorsehen. Zudem fallen Günstigkeitsvergleiche, wie sich anhand der Anwendung des § 4 Abs. 3 Var. 2 TVG zeigt, nicht immer eindeutig aus.2676 Außerdem ermöglicht es das Hierarchieprinzip, Besonderheiten einzelner Ausfallgründe angemessen zu berücksichtigen. Hingegen kann eine Entscheidung nach der Reihenfolge des zeitlichen Auftretens, wie sie das Prioritätsprinzip erforderte, oder nach der Günstigkeit für Arbeitnehmer oder Arbeitgeber übergeordnete Wertungsgesichtspunkte und die Zwecke der betroffenen Normen nicht berücksichtigen. Aus diesem Grund kommt es zu Problemen, wenn der Vorrang 2674

Vgl. dazu oben § 8. Vgl. oben § 11 B.I. 2676 Vgl. ErfK-Franzen § 4 TVG Rn. 39, der auf die Ambivalenz vieler Regelungen hinweist; vgl. ferner Kempen/Zachert-Zachert § 4 TVG Rn. 292. 2675

608

3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

eines bestimmten Ausfallgrunds nach höherrangigem Recht unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge des Auftretens der Ausfallgründe und der Günstigkeit geboten ist – gedacht sei insbesondere an europarechtliche Vorgaben, etwa im Zusammenhang mit dem Mutterschutz- und dem Urlaubsrecht. Jedenfalls für diese Ausfallgründe müssten Ausnahmen vorgesehen werden. Damit schüfe man nicht nur eine insgesamt inkonsistente Regelung, sondern erschwerte auch deren praktische Anwendung erheblich. Demgegenüber ist das Hierarchieprinzip in der Praxis verhältnismäßig einfach zu handhaben. Da es überdies unterschiedslos auf Fälle von Doppel- wie von Mehrfachkausalität angewendet werden kann, ist dieses Prinzip das am besten geeignete Ordnungsprinzip. c) Konkrete Hierarchie der Ausfallgründe Im Folgenden wird die in § 3 gewählte Hierarchie begründet. Dabei handelt es sich um einen abschließenden Katalog. Darin wird der Entgeltfortzahlungstatbestand des Annahmeverzugs (vgl. § 615 S. 1 BGB) nicht berücksichtigt. Der Grund liegt darin, dass der Annahmeverzug aufgrund der Voraussetzungen des § 297 BGB mit anderen Arbeitsausfallgründen schon tatbestandlich nicht kollidieren kann. Ist ein anderer Arbeitsausfallgrund tatbestandlich einschlägig, fehlt stets entweder die Leistungswilligkeit oder die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers oder sogar beide Komponenten.2677 Daher muss das AAKG auch keine Regelung für das Verhältnis des Annahmeverzugs zu möglichen kollidierenden Arbeitsausfallgründen treffen. Im Folgenden wird die hier gewählte Reihenfolge der übrigen Ausfallgründe näher begründet. Dabei wird versucht, die Normzwecke, die bereits nach geltendem Recht hinter den Ausfallgründen stehen, soweit wie möglich zu bewahren und im Konfliktfall zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Zu Nummer 1 bis 4 Die Entgeltfortzahlungstatbestände, auf die sich die Nummern 1 bis 4 beziehen, dienen ganz oder teilweise der Umsetzung europarechtlicher Erfordernisse. Da sie in der Hierarchie ganz oben stehen, setzen sie sich gegen konkurrierende Ausfallgründe durch, womit stets eine Entgeltfortzahlung nach diesen Vorschriften gewährleistet ist. Ergänzt wird diese Regelung durch § 5 Abs. 1 S. 2 EFZBerG, worin festgeschrieben wird, dass von diesen Entgeltfortzahlungstatbeständen nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden kann. Dadurch wird ein den europarechtlichen Vorgaben genügendes Arbeitnehmerschutzniveau und somit eine europarechtskonforme Umsetzung gewährleistet. 2677

Vgl. hierzu oben § 9 C.X.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

609

Die Reihenfolge dieser vier Tatbestände untereinander bestimmt sich wie folgt: Sowohl § 16 S. 3 MuSchG als auch § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG sind auf besondere Konstellationen zugeschnitten, in denen die Arbeitnehmerin besonders schutzbedürftig ist. Beide Tatbestände sind daher gegenüber § 11 und § 14 MuSchG vorrangig.2678 Die Arbeitnehmerin, die diesen Tatbeständen unterfällt, wird zwar ebenfalls als schutzwürdig eingestuft. Ihre Schutzwürdigkeit bezieht sich aber auf ihre generelle Situation und nicht die konkrete Lage, die besteht, wenn (zugleich) die Voraussetzungen von § 16 S. 3 MuSchG oder § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG vorliegen. In einem solchen Kollisionsfall ist daher die Anwendung der spezielleren Vorschriften von § 16 S. 3 MuSchG oder von § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG vorzugswürdig. Im Verhältnis dieser beiden Vorschriften zueinander wiederum ist § 16 S. 3 MuSchG der höhere Rang zuzuweisen. Diese Vorschrift verfolgt im Vergleich zu § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG den umfassenderen Schutzzweck und ist daher an die erste Stelle zu setzen.2679 Die Reihenfolge von § 14 MuSchG (Nummer 3) und § 11 MuSchG (Nummer 4) wurde wertungskonsistent mit der in § 11 MuSchG enthaltenen Subsidiaritätsklausel gewählt. Die neue starke Stellung des § 14 MuSchG steht im Widerspruch zu dem Gehalt von § 24i Abs. 4 SGB V.2680 Dessen Wertung, wonach die §§ 13, 14 MuSchG gegenüber anderen Formen von Arbeitsentgelt subsidiär sind, soll durch die Neufassung beseitigt werden. Zwar werden sich sowohl für die Krankenkassen und das Bundesversicherungsamt als Träger des Mutterschaftsgeldes im Sinne des § 13 MuSchG als auch für die Gemeinschaft der Arbeitgeber als Träger des Zuschusses im Sinne des § 14 MuSchG zusätzliche Belastungen ergeben. Das ist jedoch im Interesse der Rechtsklarheit und vor dem Hintergrund der europarechtlichen Erfordernisse hinzunehmen. Die zusätzlichen Belastungen für die Sozialkassen halten sich zudem in Grenzen, da es lediglich um einen Betrag von A 13,– pro ausgefallenem Arbeitstag und nur um Fälle von Doppel- und Mehrfachkausalität geht. Was den Arbeitgeberanteil betrifft, fällt dieser zwar im Regelfall merklich höher aus. Die Belastung trifft jedoch nicht den einzelnen Arbeitgeber, sondern wird nach dem AAG auf die gesamte Arbeitgebergemeinschaft umgelegt. Zudem werden auch insoweit nur die verhältnismäßig seltenen Fälle von Doppel- und Mehrfachkausalität relevant. Eine weitere inhaltliche Neuerung besteht darin, § 14 MuSchG auch bei parallel einschlägiger Elternzeit anzuwenden. Zwar mag das nicht zwingend europarechtlich geboten sein.2681 Im Interesse der Rechtsklarheit und einer einheitlichen und möglichst einfachen 2678 Anders als andere Entgeltfortzahlungstatbestände werden die §§ 11, 14 MuSchG in § 3 nicht ausdrücklich erwähnt, sondern stattdessen die Schutzfristen und Beschäftigungsverbote, auf die sich diese Tatbestände beziehen. Das hat rein redaktionelle Gründe, und diesem Umstand kommt keinerlei inhaltliche Bedeutung zu. 2679 Vgl. dazu oben § 9 C.VIII.3.b)bb). 2680 Vgl. dazu oben § 9 B.III.6.b). 2681 Vgl. oben § 9 C.VI.2.c).

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Handhabung sieht der Gesetzentwurf jedoch einen Vorrang aller europarechtlich geprägten Tatbestände vor anderen Ausfallgründen vor. Zu Nummer 5 und 6 Auf der nächsten Stufe der Hierarchie finden sich Arbeitsausfälle infolge von Arbeitskämpfen (einschließlich aller Fälle, in denen die Arbeitskampfrisikolehre angewendet wird), infolge von Elternzeit, infolge des Ruhens des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 619b BGB sowie infolge der Anordnung von Kurzarbeit im Sinne des § 19 KSchG. Aus dem Verweis auf § 619b BGB in Verbindung mit dessen Abs. 1 S. 2 ergibt sich, dass auch Kurzarbeit erfasst ist, die auf einer einvernehmlichen Vereinbarung mit der Arbeitnehmerseite beruht. Diese Verhinderungsgründe sind vorrangig, weil sie grundsätzlich vom Willen des Arbeitnehmers oder solcher Personen oder Institutionen abhängen, die berechtigt sind, auf die Arbeitsbedingungen einzuwirken.2682 Entscheidet der Arbeitnehmer sich dafür, einen dieser Ausschlussgründe herbeizuführen, etwa, indem er Elternzeit in Anspruch nimmt, besteht kein Anlass, ihn dennoch in den Genuss einer konkurrierenden Entgeltfortzahlung kommen zu lassen. Neben diesen willensabhängigen Ausfallgründen sind in Nummer 5 und 6 auch einige vom Willen des Arbeitnehmers, der Tarifvertragsparteien und der Betriebspartner unabhängige Ausfallgründe geregelt. Darunter fallen die rechtmäßige Aussperrung, das Arbeitskampfrisiko sowie das gesetzlich angeordnete Ruhen des Arbeitsverhältnisses. In allen diesen Konstellationen ist eine Gleichstellung mit den genannten willensabhängigen Ausfallgründen aber wertungsmäßig gerechtfertigt: Wiese man der rechtmäßigen Aussperrung einen niedrigeren Rang in der Hierarchie zu, drohte eine Störung der Arbeitskampfparität. Dazu könnte es kommen, wenn es aufgrund des Vorrangs eines konkurrierenden Entgeltfortzahlungstatbestands dem Arbeitgeber verwehrt bliebe, den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers durch eine rechtmäßige Aussperrung entfallen zu lassen. Der Arbeitgeber muss stets die Möglichkeit haben, ebenso wie die Arbeitnehmerseite durch das Ergreifen von Arbeitskampfmaßnahmen den Verlauf des Arbeitskampfs und das Verhandlungsgleichgewicht zu beeinflussen. Das wäre ihm aber nicht möglich, wenn trotz einer rechtmäßigen Aussperrung der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aufgrund des anderen (dann vorrangigen) Entgeltfortzahlungstatbestands erhalten bliebe. Zudem ist es unter dem Gesichtspunkt der Kampfparität geboten, arbeitgeber- und arbeitnehmerseitigen Kampfmaßnahmen im Verhältnis zu anderen Arbeitsausfallgründen den gleichen Stellenwert einzuräumen. 2682 Gemeint sind hier insbesondere Gewerkschaften sowie der Betriebsrat. Diese Institutionen können Vereinbarungen abschließen, die das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zwingend erfassen (etwa über die Einführung von Kurzarbeit).

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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Im Fall des Arbeitskampfrisikos folgt die Gleichstellung ebenfalls aus Paritätsaspekten. Die Arbeitskampfrisikolehre wird nur in solchen Fällen angewendet, in denen ein Fortbestand des Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmers die Kampfparität störte. Der Zweck der Arbeitskampfrisikolehre liegt also gerade in der Abwendung einer drohenden Paritätsstörung durch eine Vergütungszahlung an den Arbeitnehmer. Um dem gerecht zu werden, ist es – vorbehaltlich europarechtlicher Anforderungen – erforderlich, dem Arbeitskampfrisiko den Vorrang vor allen konkurrierenden Tatbeständen einzuräumen. Andernfalls konterkarierte man das mit der Arbeitskampfrisikolehre verfolgte Ziel, die Kampfparität aufrecht zu erhalten. Ruht ein Arbeitsverhältnis aufgrund gesetzlicher Anordnung, ist kein Grund ersichtlich, diesen Arbeitnehmer anders zu behandeln als einen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis aufgrund einer Vereinbarung ruht. Daher ist auch insoweit eine Gleichstellung gerechtfertigt. Zu Nummer 7 und 8 Die nächsten Plätze in der Rangfolge nehmen die Entgeltfortzahlung für die Teilnahme an einer Betriebsversammlung im Sinne des § 44 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BetrVG sowie für die Teilnahme an einer Sprechstunde oder sonstige Inanspruchnahme des Betriebsrats nach § 39 Abs. 3 BetrVG ein. Gegenüber allen rangniedrigeren Ausfallgründen sind diese Tatbestände aufgrund ihrer Anreizfunktion vorrangig. Anders als andere Entgeltfortzahlungstatbestände gewähren sie ein relativ hohes Schutzniveau, um den Arbeitnehmer zur „Nutzung“ dieses Ausfallgrunds – sprich, zur Teilnahme an einer Betriebsversammlung oder an der Sprechstunde des Betriebsrates – zu motivieren. Diesem Zweck wird man am besten gerecht, wenn man beiden Tatbeständen einen hohen Stellenwert einräumt. Zu Nummer 9 bis 11 Es folgen in der Hierarchie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3a Abs. 1 S. 1 und § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) und an Feiertagen (vgl. § 2 Abs. 1 EFZG). Im Verhältnis von § 3a und § 3 EFZG ist § 3a EFZG als die speziellere Vorschrift vorrangig. Beide Arten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sollen sich gegenüber dem Feiertagsentgelt durchsetzen, um die Wertung des bisherigen § 4 Abs. 2 EFZG a. F. beizubehalten. Gegenüber einer Vergütung nach § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB sind § 3 Abs. 1 S. 1 und § 3a Abs. 1 S. 1 EFZG vorrangig, da es sich bei den letztgenannten Normen um spezifische Arbeitnehmerschutzvorschriften handelt, die auf die speziellen Gegebenheiten des Arbeitsrechts besser zugeschnitten sind. Ein Zusammentreffen von Entgeltfortzahlung an Feiertagen und einer Entgeltfortzahlung nach § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB ist tatbestandlich ausgeschlossen, so dass insoweit gar keine auflösungsbedürftige

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Konkurrenz entstehen kann. Alle übrigen rangniedrigeren Ausfallgründe sind grundsätzlich subsidiär, weswegen sich § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG, § 3a Abs. 1 S. 1 EFZG und § 2 Abs. 1 EFZG auch insoweit durchsetzen. Zu Nummer 12 Eine Entgeltfortzahlung gemäß § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB ist gegenüber allen rangniedrigeren Ausfallgründen vorrangig, da diese subsidiär sind. Zu Nummer 13 bis 18 Die in den Nummern 13 bis 18 aufgeführten Tatbestände sind gegenüber den zuvor genannten Ausfallgründen nachrangig, weil sie sämtlich ihrem Zweck nach grundsätzlich subsidiär sind. Gegenüber den in den Nummern 19 bis 21 genannten Tatbeständen setzen sie sich hingegen durch, um die Wertung des bisherigen § 78 S. 2 BetrVG beizubehalten.2683 Unter den in den Nummern 13 bis 18 genannten Tatbeständen steht § 14 S. 1 AGG an erster Stelle, da sich dessen Subsidiarität nur mittelbar aus der besonderen Bedeutung der Schutzfunktion bei diesem Tatbestand ergibt und sich daher am ehesten überwinden lässt. Bei § 616 S. 1 BGB und dem auf dieser Norm aufbauenden § 14 Abs. 1 ArbPlSchG wiegt die Subsidiarität bereits schwerer, weil es in den Gesetzesmaterialien deutliche Anhaltspunkte für einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers gibt. § 14 Abs. 1 ArbPlSchG wiederum ist, anders als § 616 S. 1 BGB, unabdingbar. Er gewährleistet ein höheres Schutzniveau und soll sich daher durchsetzen. Noch gewichtiger ist die Subsidiarität von § 615 S. 3 BGB, da die mit dieser Vorschrift kodifizierte Betriebsrisikolehre nur für Fälle entwickelt worden ist, in denen eine Vergütung nicht mittels anderer Vorschriften gesichert werden kann. Die Entgeltfortzahlung für Stillzeit (vgl. § 7 Abs. 2 MuSchG) schließlich folgt hier an letzter Stelle, weil der Tatbestand seinem Zweck nach nur angewendet werden soll, wenn die Arbeitnehmerin zum Stillen ihre Arbeit unterbrechen muss, und das ist nicht der Fall, wenn gleichzeitig weitere (auch subsidiäre) Tatbestände einschlägig sind. Zwischen den genannten Tatbeständen ist noch der Erholungsurlaub angesiedelt. Dessen Position im Verhältnis zu anderen Ausfallgründen bestimmt sich insbesondere mit Rücksicht darauf, ob die konkurrierenden Gründe dazu geeignet sind, den Erholungszweck des Urlaubs zu vereiteln oder nicht. Ist das der Fall, soll der Erholungsurlaub nachrangig sein, um eine Nachgewährung entsprechend dem neuen § 9 BUrlG zu ermöglichen. Bleibt der Erholungszweck hingegen unberührt, kann der Erholungsurlaub zum Zuge kommen, wenn nicht der Zweck des konkurrierenden Tatbestands entgegensteht. 2683

wurfs.

Vgl. näher unten die Begründung zu Art. 1 §§ 3, 4 Nr. 19 bis 21 des Gesetzent-

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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Sowohl die Teilnahme an einer Betriebsversammlung als auch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit sind geeignet, den Erholungszweck zu vereiteln. Daher müssen diese Tatbestände dem Erholungsurlaub vorgehen. Gegenüber dem Feiertag soll der Erholungsurlaub nachrangig sein, um die Normzwecke von § 3 Abs. 2 BUrlG zu wahren. Mit § 326 Abs. 2 S. 1 Var. 1 BGB kann Erholungsurlaub nicht zusammentreffen, so dass keine auflösungsbedürftige Kollision entsteht. Sowohl eine persönliche Meldung oder Vorstellung im Sinne des § 14 Abs. 1 ArbPlSchG als auch Ereignisse, die eine Entgeltfortzahlung nach § 616 S. 1 BGB auslösen, vereiteln in der Regel den Erholungszweck. Alle diese Tatbestände stehen in der Hierarchie daher vor dem Erholungsurlaub. Hingegen lassen sowohl eine Betriebsstörung (vgl. § 615 S. 3 BGB) als auch ein kurzzeitiges Stillen ihres Kindes durch die Arbeitnehmerin den Erholungszweck im Wesentlichen unberührt, so dass der Erholungsurlaub insoweit vorrangig ist. Eine Sonderstellung nimmt das Verhältnis des Erholungsurlaubs zu § 14 S. 1 AGG ein. Zwar bleibt der Erholungszweck unberührt, wenn der Arbeitnehmer sich auf sein Leistungsverweigerungsrecht beruft. Daher wäre eigentlich ein Vorrang des bezahlten Erholungsurlaubs anzunehmen. Hierdurch käme es jedoch zu Problemen, da zugleich – wie soeben geschildert – § 14 S. 1 AGG vor § 616 S. 1 BGB, der bezahlte Erholungsurlaub jedoch hinter § 616 S. 1 BGB stehen soll. In Anbetracht dieser Sachlage ist eine Hierarchie nur möglich, wenn man in einem der drei Verhältnisse eine Wertungsunstimmigkeit in Kauf nimmt.2684 Im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtsvereinfachung durch das Hierarchieprinzip ist dieser Nachteil hinzunehmen. Die Wahl fällt hier auf das Verhältnis von § 14 S. 1 AGG zu dem bezahlten Erholungsurlaub, da in der Nachrangigkeit des Erholungsurlaubs und der damit verbundenen Verpflichtung zur Urlaubsnachgewährung eine Sanktion für den Arbeitgeber liegt, die der bei § 14 S. 1 AGG wenigstens im Hintergrund (hinter der Schutzfunktion) zu beachtenden Druckfunktion Ausdruck verleiht. Daher steht dieses Ergebnis wenigstens mit dem Sekundärziel des § 14 S. 1 AGG in Einklang. Zu Nummer 19 bis 21 Die Tatbestände der Nummern 19 bis 21 sind allesamt von einem besonders gewichtigen Subsidiaritätselement geprägt, das nach dem bislang geltenden Recht aus § 78 S. 2 BetrVG (für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG in analoger Anwendung) folgt.2685 Diese Vorschrift gebietet eine Gleichbehandlung von Betriebsratsmitgliedern, die einem weiteren Arbeitsausfallgrund unterliegen, mit anderen Arbeitnehmern, deren Arbeit einzig infolge des konkurrierenden Verhinderungs-

2684

Vgl. hierzu auch schon zur geltenden Rechtslage oben § 8 G. Vgl. für § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG oben § 9 B.III.17. und für § 20 Abs. 3 S. 2 BetrVG oben § 9 B.III.18. 2685

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

grunds ausfällt. Nach § 6 des vorliegenden Gesetzentwurfs soll dem § 78 S. 2 BetrVG zwar keine derartige Bedeutung mehr zukommen. Damit ist jedoch keine inhaltliche Änderung verbunden. Vielmehr soll diese bislang dem § 78 S. 2 BetrVG immanente Wertung in der Hierarchie fortleben. Deshalb sind diese kollektivrechtlichen Tatbestände hinter den Ausfallgründen angesiedelt, die in den Nummern 1 bis 18 genannt werden. Die Reihenfolge der in den Nummern 19 bis 21 genannten Tatbestände untereinander hingegen ist von geringerer Bedeutung. Eine Kollision zwischen ihnen ist in der Praxis zwar nicht ausgeschlossen, aber zumindest sehr unwahrscheinlich. Sie wurden dennoch in verschiedenen Nummern aufgeführt, zum einen aus Gründen der Übersichtlichkeit, zum anderen, um eine Regelung für den unwahrscheinlichen Fall bereitzuhalten, dass es doch einmal zu einer Kollision kommt. Zu Nummer 22 Allen zuvor aufgeführten Ausfallgründen gegenüber nachrangig sind die Ausfallgründe Arbeitsunwilligkeit und Wegerisiko des Arbeitnehmers. Da sich allen Entgeltfortzahlungstatbeständen die Wertung entnehmen lässt, dass der Arbeitnehmer nicht arbeiten wollen muss, wäre es widersinnig, dem arbeitsunwilligen Arbeitnehmer eine Entgeltfortzahlung zu verwehren. Daraus folgt wiederum, dass auch ein Arbeitsausfall, der unter das Wegerisiko des Arbeitnehmers fällt, für die Entgeltfortzahlung aufgrund eines konkurrierenden Ausfallgrunds bedeutungslos ist. Von einem Arbeitnehmer, der nicht arbeitswillig sein muss, darf man auch keine Bemühungen verlangen, zu seiner Arbeitsstätte zu gelangen. Zu Nummer 23 Ist eine Aussperrung rechtswidrig, hängt das Schicksal des Vergütungsanspruchs davon ab, ob die Voraussetzungen des Annahmeverzugs im Sinne des § 615 S. 1 BGB vorliegen. Ist das der Fall, kommt zwar eine Entgeltfortzahlung in Betracht. Der Annahmeverzug kann aber – wie oben bereits beschrieben worden ist – nicht mit anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen kollidieren, so dass das AAKG nicht eingreifen muss. Die Regelung in Nummer 23 bezieht sich daher einzig auf den Fall, dass die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nicht erfüllt sind. Dann entfällt der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Da der rechtswidrig ausgesperrte Arbeitnehmer – anders als der Arbeitgeber – schutzwürdig ist, sollen sich gegebenenfalls konkurrierende Entgeltfortzahlungstatbestände durchsetzen. Der Arbeitgeber soll nicht auch noch von seinem rechtswidrigen Verhalten profitieren. Daher findet man die rechtswidrige Aussperrung auf der untersten Stufe der Hierarchie wieder.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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Zu § 5 Keine Berücksichtigung hypothetischer Kausalität § 5 enthält zwei wesentliche Aussagen: Zum einen sollen Umstände, die lediglich hypothetisch, aber nicht tatsächlich für einen Arbeitsausfall kausal sind, unberücksichtigt bleiben. Zum anderen wird der Grundsatz der Monokausalität2686 auf die von diesem Gesetz erfassten Ausfallgründe nicht angewendet. Die erste Aussage betrifft die Relevanz solcher Umstände, die tatsächlich einen Arbeitsausfall nicht verursachen (auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Mitursächlichkeit), ihn aber (mit-)verursacht hätten, wenn nicht ein bestimmter anderer Ausfallgrund einschlägig wäre. Insoweit übernimmt der Entwurf die Wertung, die nach bestrittener, de lege lata aber zutreffender Auffassung auch zum derzeitigen Recht gelten muss. Danach müssen lediglich hypothetisch für einen Arbeitsausfall ursächliche Umstände unberücksichtigt bleiben.2687 Diese Entscheidung ist insbesondere unter den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sinnvoll. Ließe man hierfür auch hypothetische Kausalität genügen, käme es in der Praxis zu erheblichen Problemen, insbesondere Beweisschwierigkeiten. Es gestaltete sich kompliziert, herauszufinden, ob ein Arbeitnehmer seine Teilnahme an einem Streik erklärt hätte, wenn er nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen wäre. Solche Probleme können sich insbesondere in dem Fall stellen, dass die Arbeitsunfähigkeit zeitlich die gesamte Periode des Streiks umfasst und sich daher aus seinem Verhalten vor und nach der Arbeitsunfähigkeit keine Rückschlüsse auf eine mögliche Streikbeteiligung ziehen lassen. Derartige Probleme sind in vielen Konstellationen denkbar und würden den Rechtsverkehr belasten. Sie lassen sich vermeiden, wenn in dem Gesetz festgelegt wird, dass nur hypothetisch kausale Gründe für den Arbeitsausfall unberücksichtigt bleiben. Für die Irrelevanz hypothetischer Kausalität sprechen auch Gerechtigkeitsaspekte.2688 Ließe man hypothetische Kausalität genügen, drohten insbesondere bei solchen Ausfallgründen Unbilligkeiten, die vom Willen des Arbeitnehmers abhängen, wie zum Beispiel die Teilnahme an einem Streik oder die Inanspruchnahme von Elternzeit oder Stillzeit. Man verwehrte dem Arbeitnehmer in solchen Fällen die Möglichkeit, sich für den einen und gegen den anderen Ausfallgrund zu entscheiden. Ein solches Ergebnis wäre mit dem Gedanken der Wahlfreiheit, der den Regelungen über derartige Ausfallgründe zugrunde liegt, unvereinbar. Die zweite Aussage des § 5, wonach der Grundsatz der Monokausalität2689 aufzugeben ist, ergibt sich aus der Nennung von Mitursächlichkeit als Voraussetzung für eine Anwendung des Hierarchieprinzips. Sind mehrere Gründe für einen 2686 2687 2688 2689

Vgl. dazu oben § 8 A.I. Siehe oben § 9 B.II.3. Vgl. dazu auch bereits oben § 9 B.II.3. Vgl. dazu oben § 8 A.I.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Arbeitsausfall mitursächlich, bestimmt das AAKG, wonach sich der Vergütungsanspruch richtet. Daraus folgt, dass kein Entgeltfortzahlungstatbestand Monokausalität voraussetzt. Zu § 6 Regelungsgehalt von § 78 S. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes Nach umstrittener, aber zutreffender Auffassung enthält § 78 S. 2 BetrVG in seiner bisherigen Fassung eine wichtige Aussage zum Verhältnis betriebsverfassungsrechtlicher Entgeltfortzahlungstatbestände zu anderen Ausfallgründen. Funktionsträger im Sinne der §§ 20, 37, 38 BetrVG, die eine betriebsverfassungsrechtliche Tätigkeit ausüben und deren Arbeit zeitgleich noch aus einem anderen Grund ausfällt, dürfen nicht anders behandelt werden als solche Arbeitnehmer, deren Arbeit nur aus diesem zweiten Grund ausfällt. Diese Wertung wird der Sache nach weitgehend in die Hierarchie des § 3 übernommen.2690 Um Irritationen und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, schreibt § 6 fest, dass sich der Stellenwert von § 20 Abs. 3 S. 2, § 37 Abs. 2, 3, 6, 7 und § 38 BetrVG im Vergleich zu konkurrierenden Ausfallgründen einzig aus der Anwendung des Hierarchieprinzips nach den §§ 3, 4 ergibt. Aus § 78 S. 2 BetrVG sollen sich insoweit keine weitergehenden Wertungen herleiten lassen. Satz 2 verdeutlicht, dass im Übrigen nicht in den Regelungsgehalt von § 78 S. 2 BetrVG eingegriffen wird. Zu § 7 Abweichungsmöglichkeit Die Entscheidung für das Hierarchieprinzip und die in § 3 festgelegte Reihenfolge ist zwar im Regelfall zweckdienlich. Da es sich bei dem Problemkreis Doppel- und Mehrfachkausalität aber um ein komplexes Themengebiet handelt, kann sich im Einzelfall eine andere Lösung als vorzugswürdig erweisen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, eine Abweichungsmöglichkeit zu eröffnen. Der Entwurf beschränkt diese ausdrücklich auf tarifvertragliche Vereinbarungen. Dadurch soll ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit gewährleistet werden. Da dieser Aspekt ebenso bei einer individualvertraglich vereinbarten Bezugnahme auf eine tarifvertragliche Vereinbarung greift, wird die Abweichungsmöglichkeit auch auf diese Form der Vereinbarung erstreckt. Von der Eröffnung weitergehender Abweichungsmöglichkeiten zugunsten des Arbeitnehmers, wie es etwa nach dem geltenden Recht § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG vorsieht, wurde bewusst Abstand genommen. Wie bereits erwähnt worden ist,2691 können sich Günstigkeitsvergleiche zwischen konkurrierenden Arbeitsausfallgründen in der Praxis schwierig gestalten und führen nicht immer zu einem eindeutigen Ergebnis.

2690

Vgl. näher oben die Begründung zu Art. 1 §§ 3, 4 Nr. 19 bis 21 des Gesetzent-

wurfs. 2691

Vgl. oben § 8 F.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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Zu Artikel 2 Entwurf eines Gesetzes über die Berechnung der Vergütungshöhe bei Entgeltfortzahlung ohne Arbeitsleistung (Entgeltfortzahlungsberechnungsgesetz – EFZBerG) Das EFZBerG soll die Berechnungsmethode aller Entgeltfortzahlungstatbestände vereinheitlichen. Da diese Thematik mit der Frage nach dem Vorrangverhältnis bei Doppel- und Mehrfachkausalität mehrerer Ausfallgründe nicht unmittelbar in Zusammenhang steht, sondern auch bei Alleinursächlichkeit eines Ausfallgrunds sehr bedeutsam sein kann, wird sie nicht im AAKG mitgeregelt. Stattdessen wird hierfür mit dem EFZBerG ein eigenes Gesetz geschaffen. Zu § 1 Ziel des Gesetzes Durch das Gesetz werden die Rechtsfolgen diverser Entgeltfortzahlungsansprüche harmonisiert. Diese Maßnahme dient vor allem der Rechtsvereinheitlichung und einer erheblich vereinfachten Handhabung in der Praxis. Zudem werden bislang bestehende Unterschiede zwischen den Berechnungsmethoden beseitigt, die sachlich nur schwer zu erklären sind. Darüber hinaus mildert eine Harmonisierung der Vergütungshöhe die praktische Relevanz einer Entscheidung über das Vorrangverhältnis zwischen konkurrierenden Gründen für den Arbeitsausfall ab, auch wenn es eine solche – wie in der Begründung zu § 1 AAKG erörtert – nicht obsolet machen kann. Schließlich dient die Vereinheitlichung auch dazu, die bestehende europarechtswidrige Ausgestaltung des deutschen Entgeltfortzahlungsrechts zu beseitigen. Wie oben2692 erläutert worden ist, setzt das deutsche Recht in Gestalt von §§ 13, 14 MuSchG die europarechtlichen Anforderungen an eine Entgeltfortzahlung während der Mutterschutzfristen nicht hinreichend um. Es ist nicht in allen Fällen gewährleistet, dass die Arbeitnehmerin eine Vergütung wenigstens in der Höhe erzielt, die sie bei einer hypothetischen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG erhalten würde. Durch die Angleichung der Berechnungsmethoden von § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG und §§ 13, 14 MuSchG wird dieses Problem gelöst. Zu § 2 Persönlicher Anwendungsbereich Der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes nimmt seinen Ausgangspunkt bei dem Begriff des Arbeitnehmers, da auf ihn sämtliche der aufgeführten Entgeltfortzahlungstatbestände anwendbar sind. Insoweit ist der allgemeine arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich. Darüber hinaus soll die neue einheitliche Berechnungsmethode nach § 4 auch in weiteren Fällen greifen, in 2692

Vgl. oben § 9 B.III.6.c).

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

denen einer der in § 3 aufgeführten Tatbestände auf weitere Personengruppen anwendbar ist.2693 Zu § 3 Sachlicher Anwendungsbereich In § 3 sind die Entgeltfortzahlungstatbestände aufgeführt, für die eine einheitliche Berechnung nach § 4 vorgenommen werden soll. Anders als bei der Auflistung in § 3 AAKG ist die Reihenfolge der Tatbestände an dieser Stelle nicht bedeutsam. Die besondere Regelung in Absatz 2 für den Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld ist erforderlich, da die Arbeitnehmerin in diesem Fall nur eine Zahlung vom Arbeitgeber erhält, wenn und soweit eine nach § 4 berechnete Entgeltfortzahlung den Betrag von 13 Euro pro Tag übersteigt, der nach § 13 MuSchG als Mutterschaftsgeld gezahlt wird. Zu § 4 Berechnung der Vergütungshöhe Herzstück des Gesetzes ist § 4. In dieser Vorschrift wird die Berechnungsmethode geregelt, die auf die in § 3 genannten Tatbestände angewendet werden soll. Dabei differenziert das Gesetz nach dem Bezugspunkt der Vergütung. In Absatz 1 ist der Fall geregelt, dass der Arbeitnehmer nach der geleisteten Arbeitszeit bezahlt wird. Hierfür sieht das Gesetz das Entgeltausfallprinzip vor. Demgegenüber regelt Absatz 2 den Fall, dass der Arbeitnehmer nach dem Arbeitsergebnis bezahlt wird. Insoweit wird die Bezugsmethode angewendet. Absatz 3 enthält gemeinsame Vorschriften für beide Konstellationen. Der Differenzierung zwischen arbeitszeitbezogener und ergebnisbezogener Vergütung liegen folgende Erwägungen zugrunde: Der größte Vorteil des Lohnausfallprinzips liegt darin, dass für alle Beteiligten ein möglichst gerechtes Ergebnis erzielt wird. Der Arbeitnehmer erhält den Betrag, den er erhalten hätte, wenn er gearbeitet hätte. Indem nicht auf einen abweichenden Referenzzeitraum in der Vergangenheit Bezug genommen wird, werden drohende Ungerechtigkeiten durch Schwankungen in der Entgelthöhe vermieden. Der Nachteil des Lohnausfallprinzips ist demgegenüber vor allem in der erforderlichen hypothetischen Betrachtung zu sehen. Dadurch kann es im Einzelfall zu Rechtsunsicherheit und Beweisschwierigkeiten kommen. Die Bezugsmethode hingegen ermöglicht eine vergleichsweise einfache und sichere Berechnung auf Kosten der Einzelfallgerechtigkeit.2694 Die skizzierten Unterschiede beider Berechnungsmethoden legen eine differenzierte Lösung nahe, welche die Vorteile beider Methoden kombiniert. Im Regelfall, das heißt, soweit ein Arbeitnehmer nach der geleisteten Arbeitszeit be2693 2694

Vgl. hierzu bereits oben die Begründung zu Art. 1 § 2 des Gesetzentwurfs. Vgl. zu Lohnausfallprinzip und Bezugsmethode oben § 4 B.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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zahlt wird, ist der Gerechtigkeitsaspekt möglichst umfassend umzusetzen und auf das Lohnausfallprinzip zurückzugreifen. Eine solche Regelung sieht Absatz 1 vor. Das Entgeltfortzahlungsrecht verfolgt vor allem einen Kompensationszweck.2695 Der Arbeitnehmer soll für finanzielle Nachteile, die ihm durch den Arbeitsausfall entstehen, entschädigt werden. Die erwähnten drohenden praktischen Schwierigkeiten sind demgegenüber zu vernachlässigen, weil de lege lata die Mehrzahl der bestehenden Entgeltfortzahlungstatbestände ganz oder teilweise das Lohnausfallprinzip verwirklichen, ohne dass in der Praxis in nennenswertem Umfang Forderungen nach einer Umstellung auf die Bezugsmethode laut geworden sind. Der Gehalt von Absatz 1 Satz 2, der eine Vergütung auch für hypothetische Überstunden vorsieht, ergibt sich auch bereits aus dem in Absatz 1 Satz 1 verankerten Entgeltausfallprinzip. Die Norm hat daher lediglich deklaratorischen Charakter. Für den Fall einer Vergütung in Abhängigkeit von dem Arbeitsergebnis, worunter sowohl eine Vergütung im Akkord als auch auf Tantiemen-, Provisions-, Boni- oder Prämienbasis fällt,2696 sieht Absatz 2 eine vergangenheitsbezogene Berechnung nach dem Durchschnittseinkommen in einem Referenzzeitraum vor. Maßgeblich ist also die Bezugsmethode.2697 Deren Anwendung ist sinnvoll, weil den meisten Leistungsentgelten gemein ist, dass ihre Höhe infolge menschlicher Leistungsschwankungen großer Varianz unterliegt und daher ihre hypothetische Berechnung im Ausfallzeitraum sehr schwierig sein kann.2698 Diese Probleme, die sich bei Anwendung des Lohnausfallprinzips auf eine ergebnisabhängige Vergütung abzeichnen, wiegen schwerer als die Gerechtigkeitseinbußen, die durch die Bezugsmethode drohen. Hinsichtlich der Länge des zu wählenden Referenzzeitraums ist ein Zeitraum von drei Monaten angemessen. Das entspricht in etwa dem Zeitraum, der bei Tatbeständen vorgesehen ist, die de lege lata der Bezugsmethode folgen (vgl. § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG, § 11 Abs. 1 S. 1 MuSchG, § 14 Abs. 1 S. 2 MuSchG) und der sich in der Vergangenheit bewährt hat. Für den Fall, dass eine Bezugnahme auf diesen Zeitraum zu unangemessenen Ergebnissen führt, sieht Absatz 2 Satz 2 eine Härtefallklausel vor.2699 Diese ermöglicht 2695

Vgl. hierzu oben § 4 B.II., § 5 P.I.2. und § 5 R. Vgl. zu dieser Begriffsbestimmung ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 13. 2697 Wie bereits oben erwähnt worden ist (vgl. Fn. 55), lässt sich bei einer ergebnisabhängigen Vergütung nicht zwischen einem Geld- und einem Zeitfaktor unterscheiden, sondern allenfalls zwischen einem Geld- und einem „Anzahlsfaktor“. Im hier diskutierten Zusammenhang bezieht sich die Bezugsmethode auf diese beiden Faktoren. 2698 Vgl. ErfK-Dörner/Reinhard § 4 EFZG Rn. 14. 2699 Solche Unbilligkeiten können unter anderem entstehen, wenn der Arbeitnehmer in einem saisonabhängigen Gewerbe beschäftigt wird und eine am Durchschnitt der letzten drei Monate orientierte Vergütung stark von der hypothetischen Vergütung abweicht, die der Arbeitnehmer erhalten hätte, wenn er gearbeitet hätte. Denkbar ist eine solche Konstellation zum Beispiel in dem Fall, dass der Arbeitnehmer eine Provision für die Vermittlung von Urlaubsreisen in Mittelmeerländer erhält. 2696

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

eine flexible Handhabung der Berechnung bei ergebnisabhängiger Vergütung in Fällen, in denen eine Anwendung der Bezugsmethode ungerecht wäre. Unter welchen Voraussetzungen ein Ergebnis „unangemessen“ ist, muss durch die Gerichte im Einzelfall bestimmt werden. Jedenfalls ist die Grenze aber bei einer Abweichung der nach der Bezugsmethode berechneten Durchschnittsvergütung von 50% oder mehr von der hypothetischen Vergütung nach dem Lohnausfallprinzip überschritten. Durch die Härtefallklausel sollen drohende Unbilligkeiten vermieden oder wenigstens abgemildert werden. Auf diese Weise wird dem Gerechtigkeitsaspekt genügt. Mit Absatz 3 Satz 1 soll eine Regelung für die Konstellation getroffen werden, dass dem Arbeitnehmer zum Arbeitsentgelt gehörende Sachleistungen während des Arbeitsausfalls nicht weitergewährt werden. Insoweit ist eine angemessene Abgeltung vorgesehen. Satz 2 trägt der Tatsache Rechnung, dass in der Praxis Arbeitnehmer als Teil ihrer Vergütung häufig Aufwendungen ersetzt verlangen können, die ihnen durch die Tätigkeit entstehen, wie zum Beispiel Fahrtkosten. Eine Entgeltfortzahlung ist nur sachlich begründet, soweit dem Arbeitnehmer die betreffenden Aufwendungen auch während des Arbeitsausfalls entstehen. Zu § 5 Abweichungsmöglichkeit Da die in § 4 vorgesehene Berechnungsmethode nicht für alle denkbaren Konstellationen eine optimale Lösung bereithalten kann, wird eine Abweichungsmöglichkeit eröffnet. Unter dem Gesichtspunkt des Arbeitnehmerschutzes ist es angemessen, Abweichungen zuungunsten des Arbeitnehmers nur aufgrund einer tarifvertraglichen Vereinbarung zuzulassen. Dadurch soll ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit gewährleistet werden. Dieser Aspekt greift ebenso bei einer individualvertraglich vereinbarten Bezugnahme auf eine tarifvertragliche Vereinbarung, weswegen die Abweichungsmöglichkeit auch auf diese Form der Vereinbarung erstreckt wird. Im Umkehrschluss folgt aus der Formulierung der Vorschrift, dass Abweichungen zugunsten des Arbeitnehmers durch jede Art von Vereinbarung zulässig sind. Zwar ist ein Günstigkeitsvergleich stets mit gewissen Unsicherheiten verbunden. Diese halten sich aber bei dem Vergleich einer vereinbarten zu der in § 4 vorgesehenen Berechnungsmethode in Grenzen und sind daher im Interesse der Parteiautonomie hinzunehmen. Zu Artikel 3 Änderung des Arbeitsschutzgesetzes Der an den bisherigen § 9 Abs. 3 S. 2 anzufügende Halbsatz stellt zum einen klar, dass die angeordnete Nachteilsvermeidung eine Entgeltfortzahlung einschließt. Diese Rechtsfolge ist europarechtlich zwingend geboten, und es entspricht auch der einhelligen Meinung im Schrifttum, dass eine Entgeltfortzahlung bereits nach geltendem Recht erfolgen muss. Das wird durch die Neu-

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fassung ausdrücklich klargestellt. Zum anderen folgt aus der Bezugnahme auf § 4 EFZBerG, dass die Entgeltfortzahlung nach dieser Vorschrift erfolgt. Zu Artikel 4 Änderung des Mutterschutzgesetzes Zu Nummer 1 Änderung des § 7 Abs. 2 S. 1 Der Verweis stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Zu Nummer 2 Änderung des § 11 Die Sätze 1 und 2 übernehmen inhaltlich unverändert die Tatbestandsvoraussetzungen des bisherigen Absatzes 1 Satz 1 und 2. Dabei wird das offensichtliche Redaktionsversehen des Gesetzgebers bereinigt, der in der bislang geltenden Fassung wegen des Mutterschaftsgeldes immer noch auf die Vorschriften der RVO verweist, obwohl diese inzwischen in das SGB V überführt wurden. Der Verweis in Satz 3 stellt im Zusammenwirken mit Satz 1 klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Die bisherigen Vorschriften nach Absatz 1 Satz 3 bis 5 sowie nach Absatz 2 und 3 enthalten nähere Bestimmungen zur Ermittlung der Vergütungshöhe nach der bislang anwendbaren Bezugsmethode und sind nunmehr aufgrund des Verweises auf das EFZBerG obsolet. Zu Nummer 3 Änderung des § 14 Zu Buchstabe a) Änderung des Absatzes 1 Satz 1 übernimmt inhaltlich unverändert die Tatbestandsvoraussetzungen des bisherigen Satzes 1. Der Verweis in Satz 2 stellt im Zusammenspiel mit der geänderten Formulierung in Satz 1 klar, dass sich die Höhe des Zuschusses aus der Differenz zwischen dem Mutterschaftsgeld und dem nach § 3 Abs. 2, § 4 EFZBerG errechneten Betrag ergibt. Durch die neue Berechnungsmethode wird auch die nach geltendem Recht bestehende europarechtswidrige Umsetzung der Anforderungen der Richtlinie 92/85/EWG durch die §§ 13, 14 MuSchG beseitigt.2700 Zu Buchstabe b) Aufhebung des Absatzes 4 Es handelt sich um eine Folgeänderung zu dem in § 3 AAKG neu niedergelegten Vorrang des § 14 MuSchG vor der Elternzeit. Zu Nummer 4 Änderung des § 16 S. 3 MuSchG Der Verweis stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. 2700

Vgl. dazu bereits oben die Begründung zu Art. 2 § 1 des Gesetzentwurfs.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Zu Artikel 5 Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes Zu Nummer 1 Änderung des § 20 Abs. 3 S. 2 Der Verweis stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Die Formulierung „infolge“ ist im Sinne von Mit- oder Alleinursächlichkeit zu verstehen – es ist nicht zwingend Alleinursächlichkeit erforderlich. Zu Nummer 2 Änderung des § 37 Die Formulierung in Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 Satz 1 und Absatz 7 wird an diejenige angeglichen, die in anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen verwendet wird. Die Verweise auf das EFZBerG stellen klar, dass § 4 EFZBerG für die Berechnung der Vergütungshöhe maßgeblich ist. Zu Nummer 3 Änderung des § 38 Absatz 3 Nach der bisherigen Fassung ergibt sich der Anspruch auf Entgeltfortzahlung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds nur mittelbar aus der Formulierung in Absatz 3. Der Anspruch wird nun ausdrücklich in Satz 1 erwähnt. Zudem stellt der Verweis klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Der neue Satz 2 übernimmt inhaltlich unverändert den bisherigen Absatz 3. Zu Nummer 4 Änderung des § 39 Absatz 3 Die Formulierung wird an diejenige angeglichen, die in anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen verwendet wird. Der Verweis stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Zu Nummer 5 Änderung des § 44 Zu Buchstabe a) Änderung von Absatz 1 Satz 2 Die Formulierung wird an diejenige angeglichen, die in anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen verwendet wird. Zudem soll bewusst Abstand von der missglückten Formulierung genommen werden, dass die Zeit der Teilnahme „wie Arbeitszeit zu vergüten“ sei, da diese für Irritationen in Rechtsprechung und Lehre gesorgt hat. Der Verweis stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Zu Buchstabe b) Änderung von Absatz 2 Satz 2 In Halbsatz 2 wird die Formulierung an diejenige angeglichen, welche in anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen verwendet wird. Der Verweis stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird.

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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Zu Artikel 6 Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes Zu Nummer 1 Änderung des § 2 Zu Buchstabe a) Änderung von Absatz 1 Die Formulierung wird an diejenige angeglichen, welche in anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen verwendet wird. Der Verweis stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Zu Buchstabe b) und c) Aufhebung von Absatz 2 Der bisherige Absatz 2 wird aufgehoben, da das Verhältnis von Feiertagsvergütung und Kurzarbeit nunmehr in §§ 3, 4 AAKG geregelt wird. Diese Änderung wirkt sich auch auf die Höhe der zu zahlenden Vergütung aus, da sich diese bislang an dem zu zahlenden Kurzarbeitergeld nach dem SGB III orientierte. Auf diese Modifikation wird in Zukunft im Interesse der Rechtsvereinheitlichung durch das EFZBerG verzichtet. Die Änderung unter Buchstabe c) ist eine redaktionelle Folgeänderung zur Aufhebung von Absatz 2. Zu Nummer 2 Änderung des § 4 Die neue Formulierung stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Die bisherige Formulierung von Absatz 1 sowie der Absatz 1a, der die Berechnung der Vergütung näher regelte, sind durch die Vereinheitlichung der Berechnungsmethode nach dem EFZBerG obsolet. Absatz 2, der bislang das Verhältnis von Feiertagsvergütung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall regelte, sowie Absatz 3, der sich auf das Zusammentreffen von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall mit Kurzarbeit sowie auf das Verhältnis dieser beiden Ausfallgründe zu der Feiertagsvergütung bezog, werden aufgehoben, da diese Konkurrenzverhältnisse nunmehr durch die §§ 3,4 AAKG geregelt werden. Absatz 4 schließlich ist entbehrlich, da dieser eine Abweichungsmöglichkeit von den Absätzen 1, 1a und 3 vorsah. Zu Artikel 7 Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs Zu Nummer 1 Änderung des § 326 Absatz 2 Der Verweis stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Dabei wird die Anrechnungsregelung des § 326 Abs. 2 S. 2 BGB weiterhin angewendet. Der Verweis bezieht sich nicht bloß auf Arbeitsverhältnisse, sondern auf alle Dienstverhältnisse im Sinne der §§ 611 ff. BGB. Es ist kein Grund ersichtlich, warum sonstige Dienstverhältnisse anderen Regeln unterliegen sollten.

624

3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Zu Nummer 2 Änderung des § 615 Zu Buchstabe a) Änderung von Satz 1 Der Verweis stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Er bezieht sich nicht bloß auf Arbeitsverhältnisse, sondern alle Dienstverhältnisse im Sinne der §§ 611 ff. BGB. Es ist kein Grund ersichtlich, warum sonstige Dienstverhältnisse anderen Regeln unterliegen sollten. Zu Buchstabe b) Änderung von Satz 3 Durch die geänderte Formulierung wird die bislang umstrittene Frage, ob Satz 3 eine Rechtsgrund- oder eine Rechtsfolgenverweisung enthält, im letztgenannten Sinne entschieden. Mit der Einführung von Satz 3 im Jahre 2002 sollte die zuvor „richterrechtlich“ entwickelte Betriebsrisikolehre kodifiziert werden. Diese wies aber keinen Bezug zu den Voraussetzungen des § 615 S. 1 BGB auf, sondern stellte vielmehr ein Rechtsinstrument sui generis außerhalb der Vorschriften des BGB dar. Daher soll Satz 3 ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen von Satz 1 anwendbar sein. Zu Nummer 3 Änderung des § 616 Durch die Neufassung wird die Vorschrift sprachlich bereinigt und hinsichtlich der Höhe der Entgeltfortzahlung auf § 4 EFZBerG verwiesen. Zu Nummer 4 Einfügung eines § 619b Mit § 619b wird die bereits auch nach geltendem Recht bestehende Möglichkeit geregelt, dass ein Arbeitsverhältnis während eines bestimmten Zeitraums ruht oder der Arbeitnehmer unbezahlt beurlaubt wird. Eine Kodifikation ist sinnvoll, um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer solchen Vereinbarung zu verbessern. Derartige Kodifikationsbestrebungen gab es bereits in einigen der oben vorgestellten Entwürfe zu einem Arbeitsvertragsgesetz. Der vorliegende Entwurf beruht auf der in §§ 99, 100 des Entwurfs von Henssler und Preis vorgesehenen Regelung, modifiziert diesen aber in einigen Punkten: Der Vorschlag von Henssler/Preis sah eine Aufspaltung der Regelung in zwei Paragraphen vor. Der Übersichtlichkeit halber und mangels freier Paragraphen im Dienstvertragsrecht des BGB wird die Regelung im hier vorgelegten Entwurf in einem Paragraphen zusammengefasst. Dessen systematische Stellung ist so gewählt, dass er sich zwischen den Vorschriften über die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses und die Pflichten der Parteien einerseits und den Vorschriften über die Beendigung andererseits befindet. Zu Absatz 1 In Satz 1 wird der bereits nach geltendem Recht gültige Grundsatz festgeschrieben, dass ein Arbeitsverhältnis ruhen kann. Die Formulierung „vollständig

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

625

oder teilweise“ verdeutlicht, dass ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses auch bei einer vereinbarten oder gesetzlich angeordneten Reduktion des Arbeitsumfangs gegeben sein kann. Ein teilweises Ruhen kann sowohl darin bestehen, dass die Anzahl der Arbeitstage des Arbeitnehmers reduziert wird, als auch darin, dass die Anzahl der Arbeitstage unverändert bleibt, aber die tägliche Stundenzahl reduziert wird. Des Weiteren wird ausdrücklich hervorgehoben, dass ein Arbeitsverhältnis zum einen aufgrund einer gesetzlichen Anordnung und zum anderen aufgrund einer Vereinbarung ruhen kann. Insoweit kommen individualvertragliche Vereinbarungen, aber auch Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge in Betracht. Regelungsabreden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sollen nicht ausreichen. In Satz 2 wird ausdrücklich festgeschrieben, dass es sich – entsprechend der hier vertretenen, aber nicht herrschenden Auffassung zum geltenden Recht – auch bei der Vereinbarung von Kurzarbeit um eine Form des Ruhens handelt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen für die Zahlung von Kurzarbeitergeld entsprechend §§ 95 ff. SGB III erfüllt sind. Zu Absatz 2 und 3 Ruht das Arbeitsverhältnis, werden gemäß Absatz 2 die Hauptleistungspflichten der Parteien einschließlich der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beschäftigung des Arbeitnehmers suspendiert. Ruht das Arbeitsverhältnis nur teilweise, werden die Hauptleistungspflichten naturgemäß nur suspendiert, soweit das Arbeitsverhältnis ruht. Gemäß der ausdrücklichen Regelung in Absatz 3 bleiben die übrigen Rechte und Pflichten der Parteien unberührt. Sie sind insbesondere weiterhin zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet. Zu Absatz 4 Absatz 4 schließlich stellt klar, dass auch ein ruhendes Arbeitsverhältnis infolge einer Befristung oder aus anderen Gründen enden kann. Zu Artikel 8 Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes In Satz 1 werden die Worte, die sich auf eine Entgeltfortzahlung beziehen, gestrichen, da dieser Aspekt in dem neuen Satz 2 geregelt wird. Durch diese Änderung wird die Formulierung an diejenige in anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen angeglichen. Der Verweis in Satz 2 stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Zu Artikel 9 Änderung des Arbeitsplatzschutzgesetzes Die Formulierung des neuen Satzes 1 wird denjenigen in anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen angeglichen. Der Verweis in Satz 2 stellt klar, dass die Vergütungshöhe nach § 4 EFZBerG berechnet wird.

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3. Teil: Konkurrenzen in der Entgeltfortzahlung

Zu Artikel 10 Änderung des Bundesurlaubsgesetzes § 3 Abs. 2, der das Verhältnis von bezahltem Erholungsurlaub und Feiertagsvergütung regelt, besteht unverändert fort. Zwar wird eine entsprechende Regelung nach dem hier vorgelegten Entwurf auch durch die Vorschriften der §§ 3, 4 AAKG getroffen. Da diese aber im Einklang mit der Wertung des § 3 Abs. 2 steht, muss diese Vorschrift nicht geändert werden. Zu Nummer 1 Neufassung des § 9 § 9 BUrlG in seiner alten Fassung ist überflüssig, seine Wertung wurde durch die §§ 3, 4 AAKG übernommen. Er kann daher aufgehoben werden. Der freiwerdende Paragraph wird durch eine neue Vorschrift besetzt. Diese regelt das Schicksal des Urlaubsanspruchs in dem Fall, dass der bezahlte Erholungsurlaub mit einem anderen Ausfallgrund kollidiert und nach den Vorschriften der §§ 3, 4 AAKG gegenüber diesem nachrangig ist. Da der europarechtliche Hintergrund des bezahlten Erholungsurlaubs (Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG) eine Anrechnung verbietet, soweit der Erholungszweck aufgrund der Kollision mit einem anderen Verhinderungsgrund nicht erreicht wird, muss für solche Fälle zwingend eine Nachgewährung vorgesehen werden. Die Dauer der Kollision spielt dabei keine Rolle. Eine Regelung, die eine Nachgewährung nur für Fälle vorschreibt, in denen während einer bestimmten Mindestdauer pro Arbeitstag der Erholungszweck nicht erreicht wird, wäre europarechtswidrig. Europarechtlich nicht zwingend geboten ist eine Nachgewährung hingegen in Fällen, in denen der Erholungszweck erreicht wird. Man könnte daher die Verpflichtung zur Nachgewährung von der Erreichung des Erholungszwecks abhängig machen. Indes schüfe eine solche „gespaltene“ Regelung erhebliche Rechtsunsicherheit. Es wäre stets im Einzelfall zu klären, inwiefern und für welche Dauer der Erholungszweck durch eine Kollision vereitelt wird. Das ist wenig praktikabel. Daher soll es nach der hier getroffenen Regelung nicht auf die Erholungsmöglichkeit im Einzelfall ankommen. Vielmehr wird pauschal für den Fall einer Kollision die Nachgewährung eines ganzen Arbeitstages angeordnet. Satz 2 soll klarstellen, dass für eine teleologische Reduktion, wie sie bei § 9 BUrlG a. F. diskutiert wurde, kein Raum mehr ist. Zu Nummer 2 Änderung des § 11 Der Verweis stellt klar, dass die Vergütungshöhe nunmehr nach § 4 EFZBerG berechnet wird. Die Vorschriften des bisherigen Absatzes 1 über die Berechnung der Vergütungshöhe sind obsolet. Der bisherige Absatz 2, in dem eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Auszahlung des Urlaubsentgelts vor Urlaubsantritt vorgesehen war, wird aufgehoben. Der Grund hierfür liegt darin, dass das Urlaubsentgelt nach dem vorgelegten Entwurf nach dem Entgeltausfallprinzip erfolgt. Eine Berechnung hiernach ist aber erst nach Ablauf der Ausfallzeit möglich, so

§ 11 Entwurf einer gesetzlichen Regelung

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dass eine Verpflichtung zur Auszahlung vor Urlaubsantritt nicht zweckmäßig ist. Die daraus für den Arbeitnehmer resultierenden Nachteile sind vor dem Hintergrund hinnehmbar, dass das Entgeltausfallprinzip eine besonders gerechte Berechnungsmethode verkörpert. Zu Artikel 11 Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch § 24i Abs. 4 SGB V bestimmt, dass der Anspruch auf Mutterschaftsgeld ruht, soweit und solange die Arbeitnehmerin beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erhält. Dieses Ergebnis steht mit der Wertung des AAKG nicht in Einklang. Darin ist eine starke Stellung des § 14 Abs. 1 MuSchG vorgesehen, während § 24i Abs. 4 SGB V eine Nachrangigkeit gegenüber anderen Entgeltfortzahlungstatbeständen begründet. Zudem widerspricht die bisherige Fassung den europarechtlichen Vorgaben, auf denen § 14 Abs. 1 MuSchG beruht. Aus diesen Gründen ist die Vorschrift aufzuheben. Die sich hieraus ergebenden finanziellen Belastungen für die Krankenkassen, das Bundesversicherungsamt und die Gemeinschaft der Arbeitgeber sind hinnehmbar.2701

D. Zwischenfazit Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf wird erstmals der Versuch unternommen, das Problem der Doppel- und Mehrfachkausalität im Entgeltfortzahlungsrecht umfassend zu regeln. Dabei konnte aufgrund der gewählten Regelungstechnik (Hierarchieprinzip) darauf verzichtet werden, jede denkbare Kollisionskonstellation individuell zu lösen. In der Praxis lassen sich die Vorschriften auf diese Weise unkompliziert anwenden. Des Weiteren ist es gelungen, die Berechnungsmethoden der einzelnen Entgeltfortzahlungstatbestände zu harmonisieren und dadurch einen Beitrag zur Rechtsvereinheitlichung im Entgeltfortzahlungsrecht zu leisten. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gegenüber der hier propagierten Lösung die einheitliche Kodifizierung des gesamten deutschen Arbeitsrechts in einem Arbeits- oder Arbeitsvertragsgesetz vorzugswürdig ist. Das Entgeltfortzahlungsrecht könnte einschließlich der hier vorgeschlagenen Kollisions- und Berechnungsvorschriften darin integriert werden. Insbesondere der von Preis und Henssler vorgelegte Gesetzentwurf bildet insoweit eine gute Diskussionsgrundlage. Indes scheint die durch die Vorlage des Entwurfs angestoßene Debatte über eine baldige Kodifikation bereits wieder erlahmt zu sein. Der Grund hierfür ist nicht zuletzt auch in mangelndem Druck durch die Praxis zu sehen, die sich offenbar zumindest überwiegend mit der Rechtszersplitterung abgefunden und arrangiert zu haben scheint.

2701

Vgl. dazu oben die Begründung zu Art. 1 §§ 3, 4 Nr. 1 bis 4 des Gesetzentwurfs.

4. Teil

Wesentliche Ergebnisse 1.

Im Arbeitsverhältnis ist die Pflicht des Arbeitnehmers zur Erbringung der Arbeitsleistung ohne Ausnahme als absolute Fixschuld einzuordnen.

2.

Die Frage nach der Rechtsnatur eines Entgeltfortzahlungstatbestands und mithin danach, ob der Tatbestand eine eigene Anspruchsgrundlage ist oder den originären arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch aufrechterhält, ist für jeden Tatbestand differenziert zu beantworten.

3.

Die Höhe der zu zahlenden Vergütung eines in Abhängigkeit von der geleisteten Arbeitszeit bezahlten Arbeitnehmers ergibt sich bei jedem Entgeltfortzahlungstatbestand als Produkt aus einem Geld- und einem Zeitfaktor. Der Geldfaktor gibt den Geldwert einer ausgefallenen Arbeitseinheit an, der Zeitfaktor die Anzahl der ausgefallenen Arbeitseinheiten. Beide Faktoren lassen sich nach dem Lohnausfallprinzip, der Bezugsmethode, einer Mischform oder einer anderen Methode berechnen.

4.

Die Rechtsnatur eines Tatbestands und die anwendbare Berechnungsmethode stehen zueinander in keinem konditionalen Zusammenhang. Beide Merkmale lassen auch keine Rückschlüsse auf den Stellenwert des Tatbestands im Verhältnis zu anderen konkurrierenden Ausfallgründen zu.

5.

Alle Entgeltfortzahlungstatbestände setzen wenigstens Mitursächlichkeit des betreffenden Verhinderungsgrunds für den Arbeitsausfall voraus.

6.

Die europarechtlichen Vorgaben von Art. 8 Abs. 1, Art. 11 Nr. 2 b) RL 92/ 85/EWG wurden mit §§ 13, 14 MuSchG nur unzureichend umgesetzt. Es ist nicht in allen Fällen gewährleistet, dass die Arbeitnehmerin als Entgeltfortzahlung eine Summe erhält, die wenigstens dem entspricht, was die Arbeitnehmerin hypothetisch als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhalten würde.

7.

Das Ausschließlichkeitsdogma von Verzug und Unmöglichkeit gilt im Arbeitsverhältnis nicht. Aufgrund des Charakters der Arbeitspflicht als absoluter Fixschuld tritt zwar bei einem Arbeitsversäumnis Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB ein. Dennoch kann der Arbeitgeber in Annahmeverzug kommen.

8.

§ 615 S. 1 BGB erfasst lediglich Fälle der Annahmeunwilligkeit. Die Annahmeunmöglichkeit ist unter § 615 S. 3 BGB zu subsumieren. Mit dieser Vor-

4. Teil: Wesentliche Ergebnisse

629

schrift wurde die zuvor „richterrechtlich“ entwickelte Betriebsrisikolehre kodifiziert. Diese ist nun als selbstständiges Rechtsinstrument überflüssig und daher aufzugeben. 9.

Befindet sich der Arbeitgeber in Entgeltrückstand oder weigert er sich, zukünftig dem Arbeitnehmer die Vergütung zu zahlen, steht dem Arbeitnehmer die Einrede des § 320 BGB zu. Bei Nebenpflichtverletzungen des Arbeitgebers ist hingegen § 273 BGB einschlägig.

10. Wird für ein Arbeitsverhältnis Kurzarbeit vereinbart, handelt es sich dogmatisch um eine besondere Form von unbezahltem Urlaub. 11. Das deutsche Entgeltfortzahlungsrecht krankt an einer starken Rechtszersplitterung. Weder sind die Tatbestände einheitlich strukturiert, noch besteht Konsens über ein übergeordnetes Ziel oder Grundprinzip, an dem alle Tatbestände ausgerichtet sind. Allerdings verfolgen die meisten Entgeltfortzahlungstatbestände den Zweck, den Arbeitnehmer für die aufgrund des Arbeitsausfalls entgangene Vergütung zu kompensieren. Dieser Grundsatz kann als Kompensationsprinzip bezeichnet werden. 12. Ist ein Arbeitsausfall in der Weise auf mehrere Umstände zurückzuführen, dass jeder dieser Umstände hinweggedacht werden kann, ohne dass der Arbeitsausfall entfällt, sind alle diese Umstände für den Arbeitsausfall kausal. Es handelt sich um einen Fall von alternativer Kausalität. 13. Der im Entgeltfortzahlungsrecht vieler Tatbestände von der ganz überwiegenden Meinung akzeptierte Grundsatz der Monokausalität ist zur Auflösung von Kollisionen konkurrierender Gründe für den Arbeitsausfall ungeeignet und aufzugeben. Alle Entgeltfortzahlungstatbestände setzen Kausalität im Sinne von Mit- und nicht von Alleinursächlichkeit voraus. 14. Mehrere alternativ kausale Gründe für einen Arbeitsausfall sind unter Kausalitätsaspekten einander gleichwertig. Der Vorrang des einen vor dem anderen Grund lässt sich nicht überzeugend mit dem Argument begründen, der andere Ausfallgrund könne nicht mehr eingreifen, da die Arbeitspflicht bereits aufgrund des einen entfallen sei. 15. Hypothetische Kausalverläufe sind im Entgeltfortzahlungsrecht irrelevant. Eine auflösungsbedürftige Konkurrenz mehrerer Ausfallgründe ist nur gegeben, wenn tatsächlich mehrere Ausfallgründe den Arbeitsausfall verursachen. Es genügt hingegen nicht, dass ein Umstand den Arbeitsausfall tatsächlich nicht verursacht hat, es aber getan hätte, wenn man einen anderen Ausfallgrund hinwegdenkt. 16. Konkurrenzen im Entgeltfortzahlungsrecht lassen sich nicht allein mithilfe von Kausalitätserwägungen auflösen. Sind zwei Gründe für einen Arbeitsausfall alternativ kausal, müssen zur Beantwortung der Frage, wonach sich

630

4. Teil: Wesentliche Ergebnisse

die Vergütung des Arbeitnehmers richtet, übergeordnete Wertungsgesichtspunkte und insbesondere die Zwecke der betroffenen Normen herangezogen werden. 17. Es existiert de lege lata kein überzeugender einheitlicher Lösungsansatz, mit dem sich sämtliche Fälle von Konkurrenzen im Entgeltfortzahlungsrecht auflösen lassen. Die Entwicklung eines solchen einheitlichen Lösungsansatzes scheitert an der enormen Rechtszersplitterung sowie der fehlenden einheitlichen Ausrichtung des Entgeltfortzahlungsrechts. 18. Sind mehrere Umstände für einen Arbeitsausfall alternativ kausal, ist das Vorrangverhältnisses in drei Schritten zu klären (dreistufiger Ansatz): Auf der ersten Stufe ist zu prüfen, ob die in Betracht kommenden Ausfallgründe tatsächlich einschlägig sind, das heißt, ob die jeweiligen (Tatbestands-)Voraussetzungen erfüllt sind. Ist das hinsichtlich mehrerer Ausfallgründe der Fall, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Konkurrenz gesetzlich geregelt ist oder ob eine wirksame, das Arbeitsverhältnis erfassende Vereinbarung das Vorrangverhältnis klärt. Lässt sich auch hierdurch keine Lösung erzielen, ist auf der dritten Stufe der vorrangige Ausfallgrund durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften und Rechtsgrundsätze insbesondere mit Rücksicht auf deren Zweck zu ermitteln.

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Sachverzeichnis Addition aller Ansprüche des Arbeitnehmers 360 Alternativität von Verzug und Unmöglichkeit 149 ff. Annahmeverzug 148 ff. – Angebot des Arbeitnehmers 154 ff. – Leistungsmöglichkeit des Arbeitnehmers 158 f. Anreizfunktion 137, 257 f., 270, 273 f., 280, 441 f., 470, 475, 513, 530, 534, 543, 549, 554, 566 ff., 571, 576, 579, 611 Arbeitnehmerbegriff 64 ff. Arbeitskampf 283 ff. Arbeitskampfrisikolehre 317 ff. Aussperrung 311 ff. – rechtmäßige 311 ff. – rechtswidrige 315

Elternzeit 330 ff. Entfernungsrecht nach § 9 Abs. 3 S. 1, 2 ArbSchG 201 ff. Feiertag 91 ff. Fixschuld – Arbeitsleistung als absolute 46 ff., 70, 149, 151, 161, 341 – Arbeitsleistung als relative 47 Fürsorgepflicht des Arbeitgebers 79 f., 97, 178, 268 Geldfaktor 58 ff. – Verhältnis zu den Berechnungsmethoden 60 Günstigkeitsprinzip 367, 371, 372, 405, 449, 499, 607 f. Hierarchieprinzip 373 ff., 595, 606 ff.

Berechnungsmethoden 56 ff. Beschäftigungsverbote bei Schwangerschaft 116 ff. Betriebsratstätigkeiten 207 ff. – anlassbezogene Freistellung 208 ff. – Freizeitausgleich 216 ff. – Schulungen 231 ff. – vollständige Freistellung 222 ff. Betriebsratswahlen 246 ff. Betriebsrisiko 172 ff. Betriebsstilllegung 315 f. Betriebsversammlungen 254 ff. Bezugsmethode 57 f. Doppelkausalität 375 ff. Dreistufiger Ansatz – bei Doppelkausalität 378 ff. – bei Mehrfachkausalität 581

Kausalität 68, 348 ff. – alternative 349 ff. – ausschließliche Kausalität bestimmter Ausfallgründe 356 ff. – Conditio-sine-qua-non-Formel 349 ff. – hypothetische Kausalverläufe 382 ff. – Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung 350 – Monokausalität 348 ff. Kompensationsprinzip 57, 257, 280, 360, 377 Krankengeld 52, 80, 90, 389, 429, 441, 456, 458 Krankheit 76 ff. Kurzarbeit 323 ff. – eingeführt auf Grundlage einer Vereinbarung 324 ff. – eingeführt nach § 19 KSchG 326 ff.

Sachverzeichnis Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 14 S. 1 AGG 194 ff. Lohnausfallprinzip 56 ff. Mehrfachkausalität 580 ff. Mutterschutzlohn 126 ff. Normspezifische Einzelfallbetrachtung 381

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Überstunden 47, 90, 95, 113 f., 140, 162, 216, 240, 253, 270, 272, 424, 619 Unmöglichkeit der Arbeitsleistung 46 ff., 70, 73 ff., 82 ff., 96, 149 ff., 172 ff., 190, 341 ff., 358, 363, 491 ff., 495 ff., 509, 577 Untersuchungen bei Schwangerschaft 136 ff. Urlaub – bezahlt 102 ff.

Persönliche Meldung oder Vorstellung nach § 14 Abs. 1 ArbPlSchG 205 ff. Prinzip des geringsten Risikos des Arbeitgebers 365 ff. Prioritätsprinzip 361 ff. Rechtsnatur der Entgeltfortzahlungstatbestände 54 f. Sonstige Risiken des Arbeitnehmers 340 ff. Sprechstunden des Betriebsrats 272 ff. Stillzeit 140 ff. Streik 284 ff. – rechtmäßiger 284 ff. – rechtswidriger 310 f. Synallagma 45, 52, 69 f., 180 ff., 188, 279, 324, 340, 469, 473

– unbezahlt 323 Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für den Arbeitsausfall 68 ff. Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers 185 f. Vorübergehende Verhinderung 96 ff. Zeitfaktor 59 ff. – Verhältnis zu den Berechnungsmethoden 60 ff. Zurückbehaltungsrechte 179 ff. – generelle Anwendbarkeit 179 ff. – § 273 BGB 188 ff. – § 320 BGB 180 ff. Zuschuss zum Mutterschaftsgeld 116 ff.