Die Hauptströmungen der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts: Band 5 Die romantische Schule in Frankreich [Ohne Jahr ersch., Reprint 2022 ed.] 9783112687369


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German Pages 350 [356] Year 1890

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Table of contents :
Inhalt
Die romantische Schule in Frankreich
1 Der politische Hintergrund
2. Das Geschlecht von 1830
3. Der Romantismus
4. Nodier
5. Fremde Einflüsse
6. Heimische Einflüsse
7. de Vigny's Gedichte und Hugo's morgenländische Dichtungen
8. Hugo und Müsset
9. Müsset und George Sand
10. Alfred de Müsset
11. George Sand
12. Balzac
13. do.
14. do.
15. do
16. do
17. do
18. Beyle
19. do
20. do
21. Morimee
22. Beyle und Mörimöe
23. Merimee
24. do
25. do.
26. Merimee und Gautier
27. Gautier
28. do
29. Sainte-Beuve
30. do.
31. Sainte-Beuve und die moderne Kritik
32. Das Drama: de Vigny, Hugo, Ponsard
33. Die socialpolitische Bewegung und die Poesie
34. Die Uebersehenen und Vergessenen
35. Schluß
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Die Hauptströmungen der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts: Band 5 Die romantische Schule in Frankreich [Ohne Jahr ersch., Reprint 2022 ed.]
 9783112687369

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Die Hauptströmungen der

fittrdnr des nnimthnten Ilihrhnndttts. Uorkesungen, gehalten an der Kopenhagener Universität von

G. Brandes. Uebersetzt und eingeleitet von

fWo[f Strohmann. Fünfter Band: Ire romantische Schute in Frankreich.

Uebersetzt von W. Rudow.

Leipzig. H. Barsdorf.

Bit romnntisiht Sdiult in Frnnkrtiih H. Wrandes. U c b e r f e (31 von

W. Rudow.

Leipzig. H. Barsdorf.

Inhalt. Die romantische Schule in Frankreich. 1

Seile

Der politische Hintergrund

1

2. Das Geschlecht von 1830

7

....

3. Der Romantismus 4. Nodier 5. Fremde Einflüsse

6. Heimische Einflüsse

15 29

40 ................................................................ 54

7. de Vigny's Gedichte und Hugo's morgenländische Dichtungen

66

8. Hugo und Müsset

73

9. Müsset und George Sand

86

10. Alfred de Müsset

98

11. George Sand

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12. Balzac

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13.

do.

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14.

do.

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15.

do

................................................................... 152

16.

do

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17.

do

18. Beyle

168 ..............................................................173

19.

do

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20.

do

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21. Morimee........................................................................................... 204 22. Beyle und Mörimöe

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23. Merimee.............................................................................................. 222

24.

do..........................................................................................................228

25.

do.

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26. Merimee und Gautier........................................................................ 240 27. Gautier................................................................................................... 245

28.

do......................................................................................................... 254

29. Sainte-Beuve

................................................................................... 264

30.

................................................................................. 276

do.

31. Sainte-Beuve und die moderne Kritik

........................................ 281

32. Das Drama: de Vigny, Hugo, Ponsard........................................ 291 33. Die socialpolitische Bewegung und diePoesie................................307 34. Die Uebersehenen und Vergessenen................................................... 329 35. Schluß................................................................................................... 346

Die romantische Schule in Frankreich.

Der Politische Hintergrund. In der Zeit von 1824—1848 entstand in Frankreich eine mächtige und bewunderswerthe Literatur. Nach der großen Staatsumwälzung, nach den Kriegen des Kaiserthums und der allgemeinen Ermattung unter Ludwig XVIII war eine Jugend erwachsen, die mit seltenem Eifer und Begeisterung daran ging, das auf geistigem Gebiete Versäumte nachzuholen. Unter der Revolution und Napoleon hatten Frankreichs junge Männer anderes zu thun als Literatur und Kunst zu erneuern. Die besten Kräfte des Volkes wurden in der Staatskunst, der Ver­ waltung und im Kriegswesen verbraucht, und diese Summe geistiger Kraft, die biö dahin gebunden war, wurde nun auf einmal frei. Die Zeit nach der Einführung und Herrschaft deS JulikönigthumS kann man als das entscheidende Auftreten des BürgerstandeS auf der geschichtlichen Bühne bezeichnen. Die Industrie beginnt zu herrschen. Frankreich insbesondere betreffend, mußte die neue Vertheilung des Volksvermögens, die sich unter der Staatsumwälzung vollzogen, und die Napo­ leon auf ganz Europa ausgedehnt, nun ihre Früchte tragen. Handel und Gewerbe waren frei, Vorrechte und Begünstigungen aller Art waren gefallen, die eingezogencn Kirchen- und Kloster­ güter, die zerstückelten oder versteigerten Güter des Adels waren unter mindestens zwanzigmal so viele Besitzer vertheilt. Die Folge war, daß das Geld nun das Triebrad des bürgerlichen Lebens und damit das Ziel der Wünsche jedes Einzelnen wurde. Nach der Julirevolution löst dann der Geldadel den Brandes, Hauptströmungcn.

V.

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Die romantische Schule in Frankreich.

früheren Geburtsadcl in der Herrschaft ab, der Reiche wird geadelt, erwirbt die Rechte dcS Pairs und verwendet die Macht des Königs stets mehr zu seinem eigenen Vortheil. So wird die Jagd nach dem Gelde und seine Anwendung für große Unternehmungen auf dein Gebiet des Handels und der Ge­ werbe der vorherrschende Zug der Zeit; und diese Nüchternheit, die so grell absticht gegen die zerstörenden und kriegerischen Leidenschaften des unmittelbar vorhergegangencn Zeitraums, trägt das ihre dazu bei, den Erzeugnissen der Dichtkunst jener Zeit ihr romantisches, der Wirklichkeit fremdes Gepräge zu verleihen. Nur ein einziger der hervorragenden Dichter jener Zeit, Balzac, fühlte sich von der Gegenwart nicht abgestoßen, sondern machte die neugeborene Herrschermacht des Geldes zum Hauptgczenstand seines großen Werkes. Die übrigen Künstler, so sehr sie auch vielfach selbst des Gewinnes wegen arbeiteten, entfernten sich in ihren Schwärmereien möglichst weit von der Wirklichkeit. Das Jahrzehnt um 1830, für die Kunst der merkwür­ digste und fruchtbarste Zeitraum war in politischer Hinsicht glanz- und farblos, die Staatsumwälzung nur ein Blutfleck in dem allgemeinen Grau. In der ersten Hälfte des Jahr­ zehnts, unter Karl X herrschte die Geistlichkeit. Die Ministerien Villöle, Martignac und Polignac bezeichnen weniger drei Zeit­ räume der rückschrittlichen Bewegung als vielmehr drei Grade ihrer Schnelligkeit: Allegro, Andante und Allegro furioso. Unter Villöle erreichten die Jesuiten eine fast unumschränkte Macht, die Klöster wurden wieder aufgethan, die Gesetze über Sonn­ tagsheiligung mit fast mittelalterlicher Strenge gehandhabt, auf Kirchenraub Todesstrafe gesetzt, Arme nur gegen Vorzeigung schriftlicher Zeugnisse unterstützt. Endlich wurde 1827 ein Preßgesctz cingebracht, das bestimmt war, die Gegner der kirchlichen Interessen mundtodt zu machen; cs wurde jedoch von der Pairökammer zurückgewiesen. Die Natwnalgarde wurde aufgelöst, die Beaufsichtigung der Zeitungen wieder eingeführt, die Minister hatten die Mehrzahl der Kammer gegen sich und traten im Januar 1828 zurück. Der allzu aussichtslosen Be­ günstigung der Geistlichen folgte unter Martignac das Mi­ nisterium der Zugeständnisse, welches der Jesuitcnherrschaft

einen schwachen Damm entgegeirzusetzen suchte. Aber die Folge war nur, daß der König es bei der ersten Niederlage in der Kammer entließ, um dafür das Ministerium Polignac einzusetzen, dessen Führer, der frühere Gesandte in London, ein Mann nach seinem Herzen war. Polignac glaubte an das Königthum als Gottes Schatten auf Erden, glaubte (und wurde durch Träume in seinem Glauben bestärkt) von Gott berufen zu sein, ihm feinen früheren Glanz wiederzugeben. Aber die Regierung war so wenig beliebt, daß selbst ihre einzige kriegerische That, die Eroberung Algiers, das Volk nicht zu erwärmen vermochte und von ihren zahlreichen Gegnern geradezu ungern gesehen wurde. Da die Auflösung der Kammer trotz der Hirtenbriefe der Bischöfe und trotzdem der König selbst in den Wahlkampf eingriff, zur Wiederwahl der Gegner der Regierung führte, trat der Staatsstreich ein. Sofort folgte der Rückschlag: nach dreitägigem Kampf war das Ministerium sammt dem Königreich von den Wogen der Volksbewegung fortgerissen. Aber während die erste Hälfte des Jahrzehnts in poli­ tischer Hinsicht dem Rückschritt huldigte, hatte sie auf dem Gebiet des gesellschaftlichen und geistigen Lebens ein ganz anderes Gepräge. Für'S erste weckte selbst der Druck den Drang nach Freiheit. Das Bürgerthum und die Gelehrten, die zuletzt mit Hilfe deö hauptstädtischen Gesindels und der Studenten daö Königthum stürzten, waren während der ganzen Zeit immer unzufriedener geworden. Die Folge war u. A., daß die-schöne Literatur, die von Anfang an ganz in Ueber­ einstimmung imt der Politik den geschichtlichen Gegensatz gegen die große StaatSumwälzung gebildet und für Katholicismus, Königthum und Mittelalter geschwärmt hatte, jetzt völlig die Farbe wechselte. Chateaubriands Ausstoßung auS dem Mi­ nisterium Villöle hatte ja das Zeichen dazu gegeben*), und seitdem war das geistige Leben selbst in den höchsten Gesell­ schaftskreisen, die den Ton und Stil der schönen Literatur be­ stimmten, nur in der äußerlichsten Verbindung mit der poli­ tischen Rückwärtöbewegung geblieben. Die Restauration war *) S. „Die Reaktion in Frankreich".

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Die romantische Schule in Frankreich.

ja von einer Seite gesehen, eine Nachblüthc des achtzehnten Jahrhunderts im neunzehnten, dcö Zeitalters der Humanität in dem der gewerblichen Thätigkeit. Von dem gepuderten Hofe ging höfische Sitte und Benehmen aus; aus den Kreisen des alten Adels vorurtheilslosc Erörterung religiöser und sitt­ licher Fragen, worin das vorige Jahrhundert seinen Stolz gesetzt. Daö Volksbcwußtscin, das die höchsten Kreise zu heben und sortzupslanzcn trachteten, stützte sich u. A. auf die Aner­ kennung, womit alles, was Geist hatte, der Literatur und Kunst freundlich entgegen kam. Ueberwiegcndc Zweisclsuckt in der Religion, weitgehende Ungebundcnhcit in sittlicher Hinsicht: das war die Luft, worin die gute Gesellschaft athmete und womit sie sich umgab; und nichts konnte für die eben auf­ sprießende Dichtung günstiger und befruchtender sein. Wie der Druck der Regierung in politischen Dingen den Freiheitsdrang nährte, so gab die Bildung der besten Gesellschaft Raum für freie Denk- und Empfindungswcise auf andern Gebieten, ohne mehr zu fordern alö Vollendung der Form. Sic war also im Stande, einer beginnenden geistigen Bewegung völlig die Zügel schießen zu lassen. Daö Julikönigthum wurde eingesetzt, Ludwig Philipp auf den Thron von Frankreich hinauf bugsirt, schwierig gestellt als König von der Empörung Gnaden. Schon in den ersten fünf Jahren seiner Regierung offenbarten sich die eigenthümlichen Kennzeichen seines Wesens. Zuerst Mangel an Haltung, die doch unentbehrlich ist für ein Königtbum, daö sich ausschließlich auf den wohlhabenden Bürgerstand stützt. Der vorsichtige und friedliebende König bereitete Frankreich Niederlage auf Niederlage, Demüthigung auf Demüthigung. Um den Weltfrieden zu erhalten, schlug er den Thron aus, den die Belgier seinem zweiten Sohne angcboten, und aus demselben Grunde ließ er Oesterreich un­ gestört die italienischen Empörungen unterdrücken, die vom französischen Volke mit Recht als Töchter der Julirevolution angesehen wurden. Er war außer Stande die Niederwerfung dcö polnischen Aufstandes und die Ucbergabe Warschaus zu verhindern, was in Frankreich als Ehrensache galt. Als Großmacht verlor daö Land täglich an Gewicht und Ansehen.

Der politische Hintergrund.

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Dazu kam, daß es der Regierung eben so sehr an Würde ge­ brach. Die unaufhörlichen Geldforderungen des Königshauses, die fast beständig von den Kammern abgeschlagen wurden, machten den peinlichsten Eindruck.

Ludwig Philipp war einen Augenblick beliebt gewesen, beliebt als der Soldat von Valmy und Jcmappes, als der Bürgerkönig, der früher landflüchtige Schullehrer, den Lafaycttc selbst den besten Republikaner genannt; aber er hatte nicht das Geschick, die allgemeine Gunst fest zu halten, so eifrig er sich auch darum bemühte. Er war begabt, klug, führte ein schönes Familienleben, war häuslich, ordentlich, seine Söhne besuchten die öffentlichen Schulen und er selbst ging täglich ohne Begleitung in bürgerlicher Tracht mit dem berühmten Regenschirm durch die Straßen von Paris, immer bereit, einen Gruß zu erwidern oder für ein Lebehoch mit freundlichen Worten oder einem Händedruck zu danken. Aber die kleinbürgerlichen Tugenden, die er so an den Tag legte, waren nicht die, welche Frankreich von seinen Herrschern forderte. DaS Wort: „Wir wollen einen Herrscher, der reiten kann," welches seiner Zeit dem gichtlcidcnden Ludwig XVIII entgegengcschlcudert war, bezeichnet ein Gefühl, das auch zu Ludwig Philipp'S Sturze das ©einige beitrug.

Und wenn er zu Pferde saß, nahm er sich nicht gut aus. Als er im Juni 1832 nach einem der zahllosen Auf­ stände Paris in Belagerungszustand erklärt hatte und über 50 000 Mann Nationalgarde und Linientruppen Heerschau hielt, ritt er nicht in Mitten der Straße, sondern zuerst auf der rechten Seite, wo die Nationalgarde stand, den ganzen Weg sich vom Pferde beugend, um möglichst Vielen die Hand zu drücken; und zwei Stunden später ritt er auf dieselbe Weise an den Linientruppen vorüber: es sah aus, als wollte er sich die Rippen brechen. Dazu lächelte er in einem fort, sein Dreimaster saß ihm tief ins Gesicht gedrückt und gab ihm ein höchst unglückliches Aussehen. Er schien mit den Augen um Verzeihung zu bitten, daß er den Belagerungszustand erklärt hatte. Welch' ein Anblick für eine so leicht bewegliche Be­ völkerung! für eine Bevölkerung, deren älterer Theil noch

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Die romantische Schule in Frankreich.

Napoleon hatte vorbcireilen sehen mit seinen „Marmorzügen, den unbeweglichen Augen und den unnahbaren Herrscher­ händen!" So sehr der König die Gunst seiner Unterthanen zu erringen suchte, war doch der Abgrund zwischen Thron und Volk tiefer, als selbst unter dem vorhergehenden Köiligthum. Der alte Adel hielt sich dem neuen Hofe fern, die Stände schieden sich immer schärfer, die Landbesitzer sahen unwillig, wie die Börsenkönige alle Macht an sich rissen; Legitimisten und die höheren Bütgerstände, Staatsmänner und Künstler verkehrten nicht mehr mit einander, die Gesellschaften der Restaurationözcit hörten eine nach der anderen aus und die aristokratische Munterkeit und Natürlichkeit verschwand mit ihnen. Mit der alten Herrschaft wurde auch die großartige Pracht, die anmuthigc Frivolität, der freie Witz der vornehmen Damen begraben. An ihre Stelle traten die Geldmänner, welche das Königshaus bevorzugte und die der Kronprinz selbst vor seiner Vcrhcirathung besuchte, englische Sport- und Klubgewohnhciten, zugleich mit einer plumpen Vorliebe für andere als geistige Genüsse, und ein geschmackloser Aufwand. Der König war von Anfang Anhänger Voltaires und in seinen Familienverbindungen Anhänger des Protestantismus gewesen. Aber um seinen Thron besorgt, änderte er seine Gesinnung, dcmütbigte sich (übrigens vergeblich) um die Geist­ lichkeit für sich zu gewinnen, und sofort wurde der Ton des Hofes ebenfalls fromm. Zugleich entwickelte sich in den höheren Bürgerkrciscn eine halb ängstliche, halb erlogene Frömmigkeit, begründet auf der Furcht vor dem vierten Stand. Die Heuchelei, welche die vornehme Literatur des Rückschritts gefördert, begann sich unter die Bürger zu ver­ pflanzen, und Freigeistigkeit bei Frauen als geschmacklos zu gelten. Die Sitten wurden äußerlich strenger, in Wirklichkeit roher, wie in England. DaS Urtheil der Gesellschaft war weitherzig gegenüber den Kniffen der Millionäre und phari­ säisch gegenüber Verirrungen des weiblichen Herzens. Das frühere Geschlecht hatte, wie einer der Geschichtsschreiber be­ merkt: „Dem Priester, der seine Kirche, der Frau, die ihren Gatten verlassen, nicht die Achtung versagt, wenn nur die

Der politische Hintergrund.

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Beweggründe uneigennützig waren. Jetzt ging cs wider den guten Ton, die Wiedereinführung der Ehescheidung, die Verheirathnng der Priester zu wünschen." Das Faubourg St. Honors, wo die Börsen-Könige wohnten, gab den Ton an. Kein Wunder, daß der Regenschirm bald als Sinnbild dieses Königthums galt und das Wort: Juste-milieu, das Ludwig Philipp einmal passend gebraucht hatte, um den cinzuschlagenden Weg zu bezeichnen, alles Schwache und Kraft­ lose, eine Macht ohne Glanz und Würde bedeutete. Betrachten wir das Jahrzehnt um 1830 im Allge­ meinen, so sehen wir hiernach leicht, daß cs für die Kunst trostlos sein mußte.

2.

Das Geschlecht von 1830. Auf diesem Hintergründe, der grau in grau die Kutten der Restauration und den Regenschirm des Julikönigthums zeigte, in dieser Gesellschaft, wo die Geldmacht, schon in der Wiege ein Riese, die ganze Romantik des Lebens erstickt hatte, springt nun plötzlich eine flammende, leuchtende, scharlachrothc und leidenschaftliche Literatur auf. Alle Bedingungen waren ja gegeben, welche unruhige Gemüther mit Macht in romantische Schwärmerei treiben mußten, in glühende Ver­

achtung der öffentlichen Meinung, in Vergötterung der zügel­ losen Leidenschaft und künstlerischer Ungcbundenheit. Der

Haß gegen das Bürgerthum wird — wie in Deutschland vor einem Menschenalter der Kriegsruf gegen die Philister — die gemeinsame Loosung. Aber während das Wort Philister an Kachelofen und Zipfelmütze erinnert, ruft das Wort Bourgeois den Gedanken an die Herrschaft des Geldes wach: durch den natürlichen Gegensatz zu der gemeinen Nützlichkeits­ lehre wurde die geistige Strömung bei den bereits hervor­ getretenen und noch mehr bei den erst aufsprossendcn Talenten in ausgesprochene Feindschaft gegen alles Bestehende gedrängt. Die Religion der Kunst, die Begeisterung für Freiheit in der

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Die romantische Schule in Frankreich.

Kunst, ergriff plötzlich alle Herzen. Die Kunst war das Höchste, das Einzige, ihr Licht allein gab dem Leben Werth. Diese Jungen hatten in ihrer Kindheit von den ge­ waltigen Ereignissen der Revolution gehört, hatten das Kaiserthum überlebt und waren Söhne von Helden oder Opfern. Ihre Mütter hatten sie zwischen zwei Schlachten empfangen, und Kanonendonner halte ihren Eintritt in die Welt begleitet. Für die jungen Dichter und Künstler gab es zur Zeit nur zwei Arten von Menschen: die Flammenden und die Grauen, auf der einen Seite ihre Kunst, die Blut, Purpur, Bewegung und Leidenschaft vertrat, auf der andern die ängstlich besorgte, achtungswerthe, aber farblose Literatur und Kunst, die bisher geherrscht hatte. Ihre ganze Umgebung schien ihnen un­ dichterisch, materialistisch, grau. Sie wollten ihrer Zeit ihre Verachtung beweisen, ihre Bewunderung für das Genie und ihren Haß gegen die Spießbürger an den Tag legen, denn jetzt erst war durch das wachsende Ansehen der bürgerlichen Gesellschaft, der Spießbürger eine Macht geworden. Es scheint uns heute, als wäre die damalige Jugend jugendlicher gewesen als sonst und anderswo, reicher, frischer, glühender. Ich erkläre mir das so, daß Frankreichs Jugend, die während der Revolution das ganze Land umgestaltet und unter dem Kaiserthum die halbe Welt erobert hatte, nun mit derselben Leidenschaft sich auf Kunst und Literatur warf. Auch hier waren Umwälzungen zu vollziehen, Siege und Land zu gewinnen. Unter der Revolution hatte die Jugend die Frei­ heit, unter Napoleon den Kriegsruhm angcbetet, jetzt ver­ götterte sie die Kunst. Zum ersten Mal wird in Frankreich das Wort „Kunst" allgemein für die schöne Literatur gebraucht. Im achtzehnten Jahrhundert hatte die ganze Literatur sich zur Philosophie umbilden wollen, und befaßte unter diesem Namen ungleich mehr als wir heute darunter verstehen. Jetzt strebte die ganze Literatur nach dem Namen und der Würde der Kunst. Das beruhte darauf, daß die abstrakte und grübelnde Geistesrichtung, die im Klassicismus hcrvortritt, sowohl im Denken wie im Dichten, im neuen Jahrhundert allmählich der Liebe für das Anschauliche, Wirkliche und Wahrhaftige

Das Geschlecht von 1830.

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gewichen war. Aber dies beruhte wieder darauf, daß man die Natur, die ursprüngliche, unbeleckte Natur, der Geistes­ bildung vorzog. Warum? — Weil ein geschichtlich gesinntes Zeitalter dem rationalistisch gesinnten gefolgt war. Man wollte nicht mehr Philosoph sein, denn man schätzte ein ur­ sprüngliches, naturartiges Wesen höher als den Namen eines selbständigen Denkers; man verschmähte die Dichtungen des vorigen, ja selbst des 17. Jahrhunderts, weil sie rational waren, blutlos und geschmackvoll, nach Regeln erzogen, nicht frei geworden und gewachsen. Denn während das achtzehnte Jahrhundert Denken und Thun für das Höchste gehalten, schätzten die Kinder der neuen Zeit das natur­ getreue Werden über alles. Deutsche, Goethes und Herders, Gedanken waren cS, die unbewußt die Köpfe füllten und zu­ gleich Abscheu gegen Regeln und Grundsätze cinflößten. Denn wie konnte die Kunst als Unbewußtes, als ans Naturgesetz gebundene Erzeugniß Regeln, die von außen kamen, unter­ worfen sein! Eine Bewegung hatte die Geister ergriffen, welche an die Wiedererweckung der Wissenschaften erinnert. ES war, als ob man sich an der Luft, die man cinathmete, berauschte. In der langen Zeit, in welcher Frankreichs Geistesleben still gestanden, waren die großen Nachbarvölker, Deutschland und England, ihm weit vorausgccilt und hatten viele hemmende Ueberlieferungen abgeworfen. Man empfand das lebhaft als eine Demüthigung, und dieses Gefühl gab der neuen Kunst­ begeisterung einen mächtigen Antrieb. Zugleich kamen bisher unbekannte fremde Gcisteswerke über die Grenze und empörten den jugendlichen Geist. Man las ScottS Romane, Bvrons „Korsar" und „Lara" in Ucbersetzungen, man verschlang Goethes „Werther" und Hoffmanns phantastische Erzählungen. So kam es, daß die Jünger der verschiedenen Künste sich auf einmal als Brüder fühlten: Musiker studirtcn die einheimischen und auswärtigen Dichterwerke; Dichter, wie Hugo, Gautier, Mörimöe, Borel, zeichneten und malten. Man las Gedichte in den Werkstätten der Maler und der Bildhauer, die Schüler Delacroix' und Dtzv6riaö summten vor ihrer Staffelei eine Ballade Hugos. Einige große Dichter, wie Scott und Byron

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Die romantische Schule in Frankreich.

wirkten einerseits auf Dichter (Hugo, Lamartine, Müsset,) Musiker (Berlioz, Halsvy, Fstlicicn David,) und Maler (Delacroix, Delaroche, Scheffer,) ein. Die Künste suchten ihr Bereich zu überschreiten und sich einer Schwestcrkunst zu nähern. Berlioz schreibt die Symphonien Childe Harold und Faust, Ftzlicicn David „Die Wüste"; Die Musik wird zur Malerin in der Programmmusik. Delacroix und nach ihm Ary Scheffer wählen Stellen aus Dante, Shakspeare und Byron zum Vorwurf, die Malerei wird zuweilen fast zur Illustration der Dichtung. Die Malerei war es vor allen, die auf die anderen Künste cinwirkte, besonders auf die Poesie, und sehr zum Besten derselben. Der Liebende bat seine Ge­ liebte nicht mehr, wie zu Racineö Zeit: „seine Flamme zu krönen"; man forderte anschauliche Bilder in der Dichtkunst und duldete keinen solchen offenbaren Unsinn. Im Jahre 1824 stellte Delacroix sein an Byron erin­ nerndes Griechenbild „daö Gemetzel auf Skios, 1831 ein anderes Gemälde „der Bischof von Lüttich" aus, das aus Scotts „Quentin Durward genommen war, Mai 1831 sein Bild „die Freiheit auf der Barrikade." Im Februar 1829 weckt Auber in der großen Oper einen Sturm mit seiner „Stummen von Portici," Mcycrbecrs „Robert der Teufel" folgt 1831. Februar 1830 wird Hugo's „Hemani" zum ersten Mal im „theatre frangais“ gegeben. 1831 erregt Dumas' „Antony" das größte Aufsehen. Gleichzeitig erheben sich in der Dichtkunst Hugo, in der Malerei Delacroix, in der Bildhauerkunst David d'Angcrs, in der Musik Berlioz und Auber, und ausübend dieselbe, Chopin und Liszt mit ihrem dämonischen Spiel, in der Kritik Saint-Bcuve und Gautier, in der Schauspielkunst greberic Lcmaitre und Marie Dorval. Alle diese verkünden wie ein Mann das Evangelium der Natur und Leidenschaft und rings um sie stehen Gruppen junger Männer, welche die Kunst ähnlich auffasfcn. Jene Geister wußten nicht immer, daß sie vor den Augen der Nachwelt als zusammengehörig standen. Viele der größten blieben einander ihr Leben lang fremd und glaubten in ver­ schiedenen, ja entgegengesetzter Richtung vorwärts zu streben. Sic hatten darin nicht ganz Unrecht, denn sie wichen auch

Das Geschlecht von 1830.

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stark von einander ab. aber doch verbinden gemeinsame Fort­ schritte, Vorurtheile, Ziele und Fehler sic zu einem Ganzen. Und viel häufiger als sonst fühlten die, welche die Betrachtung zusammenzufassen geneigt sind, sich auch schon bei Lebzeiten zu einander hingezogen. Geht man den Gliedern dieser Ver­ bindung nach, so findet man ein Band, das den ganzen Kreis zusammenhält. Wenn nun nach vielen Jahren in der Literaturgeschichte das Urtheil fällt: „Sie bildeten eine Schule," stellt man sich selten hinreichend deutlich vor, was das besagen will, in Lite­ ratur und Kunst eine Schule zu stiften. ES liegt ein heim­ licher Zauber darin. Ein einziger, hervorragender Geist, der lange unbewußt, dann halbbcwußt, und endlich mit vollem Bewußtsein sich von Vorurtbeilen losgcrungcn, und durch dessen Gesichtskreis, da alles vorbereitet ist, der Blitz des Genius flammt, ein solches Wesen spricht, wie Hugo in einer Vorrede auf einigen Bogen Prosa, oder ein anderer in einem Gedicht, einer Erzählung, Gedanken aus, die vorher noch nie ausge­ sprochen waren, die vielleicht nur halb wahr oder noch un­ deutlich sind, die aber die besondere Eigenschaft haben, daß sie trotz ihrer mehr oder minder sanften Form alle überlieferten Vorurtheile zu Boden treten, die ganze herrschende Nichtigkeit bei Seite schieben und zugleich wie lockende Klänge, wie eine Offenbarung und eine Loosung in den Ohren des neuen Ge­ schlechtes tönen. Was geschieht nun? Kaum sind jene Worte gesprochen, so folgt, wie dem Ruf der Wicderhall, eine tausendstimmige Antwort aus dem Munde der Verletzten, die jenen Nichtig­ keiten huldigen, eine Antwort, als wenn hundert Hundemeutcn durcheinander heulen. Und was geschieht dann? — Zuerst kommt Einer, dann noch Einer und wieder Einer zu dem Ver­ kündiger der neuen Wahrheit; Jeder bringt von seinem Aus­ gangspunkte seine Vergangenheit mit, seinen Ehrgeiz, sein Sehnen, sein Hoffen, seinen Willen, und cs zeigt sich, daß das ausgesprochene Wort in ihnen Fleisch und Blut gewonnen hat. Und wie einige persönlich, so treffen andere im Geist mit ihm zusammen. Die eben einander noch unbekannt waren, wie sie noch der Welt unbekannt sind, die, Jeder in

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Die romantische Schule in Frankreich.

feinem Winkel einsam schmachteten, die treffen sich und merken, wie wunderbar sie einander verstehen, obgleich sonst niemand ihre Sprache versteht. Sie sind jung, und doch hat das Leben eines Jeden bereits Inhalt gewonnen: Der eine seine theuer erkauften Genüsse, der andere seine stählenden Leiden, und aus diesem Lebensstoff hat Jeder seine Begeisterung gezogen. Ihr Zusammentreffen belebt wie ein elektrischer Schlag, sie theilen einander mit jugendlicher Hast und Offenheit ihre Gedanken mit, ihren Haß und ihre Liebe, und diese quellenden Gefühle strömen zusammen wie Bäche zu einem Fluß. Doch das Schönste wenn sich solche Künstlergenies zu einer Schule zulammenschließen, ist die Scheu, die Ehrfurcht, die jeder vor des andern Eigenthümlichkeit har. Dies ver­ wechseln Uneingeweihte oft mit sogenannter „gegenseitiger Be­ wunderung." Aber in Wirklichkeit giebt es nichts verschie­ deneres als die berechnende Gunst und die harmlose Begeiste­ rung für des andern Vorzüge, welche die Angehörigen einer Schule auSzeichnet. Die Herzen sind da noch zu jung, zu rein, um nicht aufrichtig zu bewundern. Junge Talente be­ trachten einander immer als etwas wunderbares, die innere Werkstatt des Einen ist ja für den Andern ein mit sieben Siegeln verschlossenes Buch. Er ahnt nicht, was das nächste Mal auS dieser Werkstatt entspringen wird, welchen Genuß der Andere ihm bereitet. Sie achten einer im Andern etwas, was über den noch unentwickelten Charakter und den Gaben der Einzelnen steht: die Kunst, die sie als ihre Göttin ver­ ehren. Doch selten hat. je ein solcher Durchbruch der ange­ borenen Bewunderung ein solches Gewand von Schwärmerei und Vergötterung angenommen, wie bei dem Geschlecht von 1830. Alle literarischen Erzeugnisse jener Zeit zeigen, daß diese Jungen sich damals in Gefühlen der Freundschaft und Brüderlichkeit einen Rausch getrunken haben müssen. Hugo's Gedichte an Lamartine, Sainte - Beuve, Louis Boulanger, David dÄngers; Gautier's an Hugo, Jehan du Seigneur, Borel; Musset's an Lamartine, Sainte-Beuve, Nodier und vor allen Sainte - Beuve's Gedichte an alle Bannerträger der Schule, endlich Frau von Girardin's Aufsätze, Balzac's Wid­ mungen, George Sand's „Briefe eines Reisenden" zeugen für

Das Geschlecht von 1830.

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die aufrichtige gegenseitige Bewunderung, welche die sprich­ wörtliche Mißgunst der Dichter nicht auskommen ließ. Sic verherrlichten nicht nur, sie begeisterten und unter­ stützten auch einander. Es ist bald eine unbewußte Einwir­ kung, bald eine Anweisung, was diese Schriftsteller mit ein­ ander verbindet. Deschamps zeigt Hugo den Weg zur dichteri­ schen Behandlung der altspanischcn Romanzen. Gautier schreibt das schöne Tulpcnsonett in Balzac's „Ein großer Mann aus der Provinz in Paris" und hilft ihm seine Stoffe drama­ tisieren. Saint-Bcuvc liest George Sand ihre Arbeiten vor und steht ihr mit gutem Rath zur Seite; sie und Muffet ver­ einigen zuweilen ihre Eingebungen zu einem Werk. Frau von Girardin verfaßt einen Roman in Briefen zusammen mit Möry, Sandcau und Gautier, und Merimve verbindet die Realisten Beylc und Vitct mit dem eigentlich romantischen Lager.

Die kurze Zeit, da alle diese sich begegnen und vereinigen, ist die Blüthe der Literatur. Nicht lange, so ist Nodier todt, Hugo verbannt auf Jersey, A. Dumas wirft sich auf die literarische Industrie, Sainte-Beuve und Gautier treten in Prin­ zessin Matthildc's Kreis, Merimöe führt den Vorsitz an Eugöniens Liebcshof, Muffet sitzt einsam beim Absint-Glase und George Sand zieht sich nach Noham zurück. Später ging jeder für sich neue Verbindungen ein und entwickelte sich so weiter, aber das Ungezwungenste und Frischeste, wenn auch nicht immer das Schönste und Vollendetste, haben sie damals geliefert, als-sie ihre ersten Zusammenkünfte in der Straße Notrc-Dame-dcs-champ- hielten, wo Hugo und seine junge hübsche Frau mit ihren 2000 Fr. lebten, oder in der Dachkammer Borelö, wo der Hcrnani-Mantcl des Wirthes neben einer Skizze Dcvsrias und einer Copie nach Giorgionc hing, und wo die jungen Romantiker neben einander saßen oder standen, da cS nicht für Alle Platz zum Sitzen gab.

Diese jungen Leute fühlten sich als Verwandte und Mitvcrschworcnc, sic betrachteten sich als Mitwisser eines süßen und stärkenden Geheimnisses, und ihre Werke bekamen davon einen gemeinsamen Hauch, einen Duft, gleich verschiedenen und edlen

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Die romantische Schule in Frankreich.

Weinen, die in einem besonders gesegneten Jahre gekeltert sind. Und dieser Wein von 1830! mit ihm kann sich kein anderer des Jahrhunderts messen.

Man suchte und forderte in allen Künsten den Bruch mit dem Herkömmlichen. Die innere Flamme sollte die musi­ kalischen Formen durchglühen und freimachen, die Linien und Umrisse vcrzcbren und die Malerei in eine Farbensymphonie verwandeln, endlich auch die Dichtkunst verjüngen. In allen Künsten suchte man nach Farbe, Leidenschaft und Stil; nach Farbe so sehr, daß der bedcutenste Maler der Zeit, Delacroix, die Zeichnung darüber vernachlässigte; die Leidenschaft so heftig, daß Lyrik und Drama Gefahr liefen, sich ins Krampfhafte zu verlieren; den Stil mit solcher Kunstbegeisterung, daß bei ein­ zelnen von den Jüngern, wie bei den Gegenpolen Mtzrimse und Gautier die dichterische Bildung in bloßen Stil aufging.

Man suchte und forderte das Ursprüngliche, Unbewußte, Volksthümliche. Wir sind Rhetoren gewesen, rief man aus, wir haben nimmer das Ursprüngliche und Unlogische verstaildcn, nimmer Wilde, nimmer das Volk, nimmer das Kind, nimmer das Weib, nimmer den Dichter. Früher hatte in der Dichtung das Volk nur im Hinter­ grund gestanden; in Hugo's Drama betrat der tieffühlende Mann aus dem Volk die Bühne als Held und Rächer. Früher hatten Wilde gesprochen wie Franzosen des achtzehnten Jahr­ hunderts (Montesquieu, Voltaire); Msrimsc schilderte in „Columba" und „Carmen die Gefühle der Wilden in all' ihrer ursprünglichen Fahsche. Bcr Kacinc hatte das Kind (in „Athalic") gesprochen wie ein Erwachsener; Nodier legte mit kindlichem Herzen den Kindern Worte der Unschuld in den Mund. Früher hatte man das Weib meist mit dem Bewußtsein und den Gedanken eines Mannes dargestellt, so bei Corneille, Möllere, Voltaire. Corneille hatte der Tugend, Crebillon Sohn dem Laster und der Leichtfertigkeit gehuldigt; aber Tugend und Laster waren beide bewußt und erworben. George Sand stellte dagegen edle Frauenherzcn mit ihrem angeborenen Adel dar. Frau von Stael hatte in „Corinna" den Geist des überle­ genden Weibes als großes siegreiches Talent dargcstellt. George

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Sand schildert in „Selm" das Weib als die mächtige Sybille. Nach der alten Auffassung war der Dichter wie Racine und Moliöre ein Hofmann, oder wie Voltaire und Beaumarchais ein Weltmann oder wie Lafontaine einfach ein anständiger Geselle. Jetzt ward er das Stiefkind der Gesellschaft, das die Gesellschaft von sich ausstieß, der Hohepriester der Menschheit, oft arm und übersehen, aber mit dem Stern an der Stirne und der Flamme auf der Zunge. Hugo pries ihn als den Volks­ hirten und de Vigny stellte ibn in „Stelle" und „Chatterton" als das erhabene Kind dar, das lieber Hungers stirbt als seine Mühe mit gemeiner Arbeit erniedrigt, bas aber noch im Tode die Menschheit segnet, die seinen Werth zu spät erkennt.

3.

Der Romantismus. Der Romantismus war von Anfang an seinem Wesen nach ein örtlicher Befreiungskrieg. Man schwärmte für das Mittelalter, welches das 18. Jahrhundert in den Bann gethan, und für die Dichrcr des 16. Jahrhunderts, Ronsard, du Bellay u. s. w-, die Ludwigs XIV. klassisches Zeitalter verdrängt hatte. Man griff die unverständige Nachahmung der Antike an, die widerwärtige und einförmige Manier, die Völker aller Zeitalter als Franzosen und Zeitgenossen darzustellen. Man gab das Feldgcschrci „Lokalfarbe" auö. Darunter verstand man alles fremden Völkern und Ländern Eigenthümliche, das in der französischen Dichtung noch nicht zu seinem Recht gekommen war. Man erkannte die Voraussetzung als falsch an, daß ein Mensch ohne weiteres ein Mensch sein könne, und daß jeder Mensch mehr oder weniger ein Franzose sein müsse. Man erkannte, daß es keine Menschheit im Allgemeinen gab. Es giebt Rassen und Stämme, Völker und Familien. Noch we­ niger war der Franzose der Vertreter der ganzen Menschheit. Man mußte sich also aus sich selbst herausarbeiten und die Menschheit verstehen und darstellen lernen. Mit dieser Losung

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war für die ganze Kunst und Kritik Frankreichs in diesem Jahrhundert ein neuer Anstoß gegeben*)

Und nun versuchte inan die Leser auf diesen neuen Standpunkt zu stellen. Man schrieb nicht, um sie zu ergötzen, und dies giebt den Büchern jener Zeit ihren dauernden Werth. Deshalb wird der, welcher wie wir, die Hauptströmungen der Literatur verfolgt, bei manchem wenig gelesenen, und noch weniger gekauften romantischen Dichterwerke stehen bleiben, während er einen Dichter und Schriftsteller, der ein Menschen­ alter lang die Bühne ganz Europas beherrschte, kaum nennt.

Denn sobald ein Dichter nicht daS Wesentliche der Mcnschenseclc, ihren tiefsten Grund erreicht, sobald er eö nicht gewagt oder nicht vermocht hat, sein Werk ohne jede Rücksicht zu versassen, seine Gestalten nackt wie Bildsäulen hinzustellen, ohne sie zu beschneiden ryrd zu überpinseln, sondern seine Leser zu Rathe gezogen, sich nach ihren Vorurtheilcn, ihrer Un­ wissenheit, ihrer Unwahrhaftigkcit, ihrem platten oder empfind­ samen Geschmack gerichtet hat, kann er die höchste An­ erkennung seiner Zeit erringen — und wird sie in der Regel erringen — für mich ist er nicht vorhanden, für die Literatur­ geschichte, wie ich sie fasse, ist sein Werk werthloS. Alle Bastarde, die auS der Vernunftche des Dichtergeistes und jenes zweideutigen Wesens, öffentliche Meinung genannt, her­ stammen, sind nach einem Menschenalter kalt und todt. Sie haben keine eigene Lebenskraft in sich, keine Wärme, nur Furcht gegenüber Lesern, die jetzt todt sind, nur Beobachtung von Forderungen, die längst verstummt sind. Jedes noch so selten aufgelegte Buch dagegen, worin ein selbstständiger Ver­ fasser ohne Nebenabsicht redet, wie er empfindet, und schildert, wie er sicht, ist und bleibt ein inhaltschweres Denkmal. Nur anscheinend streitet die Verurthcilung der mit Rück­ sicht auf die Leser verfaßten Dichtungen gegen den Hinweis auf die entscheidenden Einflüsse, welche die Gesellschaft, worin der Dichter lebt, auf diesen ausübt. Er kann gewiß nicht auS seiner Zeit heraustrcten, aber die Zcitströmung ist immer :) G. Brandes, Kritiken und Porträts;

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eine zwiefache: es giebt eine obere und eine untere. Sich obenhin treiben lassen ist Schwäche und führt zum Verderben. Mit andern Worten: es giebt in jeder Zeit herrschende und begünstigte Formen, die doch nichts anderes sind, als die längst abgetragenen und versteinerten Hüllen früheren Lebens. Und es giebt eine andere Art von Erscheinungen, die noch keine Form gewonnen haben, sondern gleichsam noch in der Luft schweben und von den begabtesten Schriftstellern eines Zeitalters vorgenommen werden als die Ergebnisse, die jetzt reifen müssen. Diese vereinigen die verschiedenen Bestrebungen miteinander. Im Jahre 1827 traten englische Schauspieler in Paris auf, und zum ersten Male sahen Franzosen Shakespeares Meisterwerke: König Lear, Macbeth, Othello, Hamlet in bewundcrnswerther Darstellung. Unter dem Eindruck dieser Stücke schrieb Hugo seine Vorrede zum „Cromwell", die als das Programm der neuen Literatur aufgefaßt wurde. Der Befreiungskrieg begann mit einem Sturmlauf gegen das klassische französische Trauerspiel, den schwächsten und am meisten ausgesetzten Punkt der Ueberlieferung. Hugo wußte sehr wenig von den zahlreichen Angriffen, die man in ganz Europa dagegen schon unternommen; und für den, der die viel älteren Aeußerungen Lessings, W. Schlegels und der englischen Romantiker über diesen Gegenstand kennt, bietet Hugo hier wenig Neues. Aber es war immerhin der Beginn, den Kampf auf Frankreichs Boden zu führen. Betrachtet man diese Vorrede nicht geschichtlich, so scheinen die Anstrengungen, die hier gemacht werden, das Unnatürliche der klassischen Grundgesetze (Einheit der Zeit und des Raumes, nicht nur der Handlung) nachzuweisen, jetzigen Lesern ebenso langweilig, wie die Gegenstände, gegen die sie gerichtet sind. Aber man muß beachten, daß Boileaus gesetzgebendes Ansehen in Frank­ reich damals noch unerschüttert war. Weit anziehender sind die Stellen, wo Hugo seine eigene Kunstlehre entwickelt, obgleich er so sehr Dichter und so wenig Denker ist, daß er nur selten einen befriedigenden Beweis führt. Ihm kommt eö darauf an, die abgezogene, dem klassi­ schen Alterthum zugewandte Richtung des Trauerspiels zu beBrandes, Hauptströmungen. V.

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kämpfen, und er thut das noch besonders im Namen des Christenthums, sowie mit Hilfe einer großen geschichtlichen Uebersicht, die ebenso falsch ist, wie eine seines Zeitgenossen Cousin, wenn sich dessen noch Jemand entsinnt. Er unter­ scheidet drei Hauptzciträume: den ursprünglichen, worin die Dichtung lyrisch ist, den der antiken Bildung, wo die Dichtung erzählend ist, und das Zeitalter des Christenthums. Das Eigenthümliche der christlichen Dichtung, die der neueren gleich gesetzt wird, soll das sein, daß die Dichtung, die von der Re­ ligion gelernt hat, der Mensch bestehe aus zwei entgegengesetzten Theilen: Leib und Seele, diesen beiden einander früher aus­ schließenden Bestandtheilen, dem Erhabenen und dem Komischen, in einem und demselben Werke Raum giebt. Das Trauer­ spiel braucht deshalb nicht durchweg feierlich zu sein; cs muß sich zum Drama entwickeln. Sehen wir nun weniger darauf, was Hugo sagt, als darauf, was er eigentlich sagen will, so finden wir als das Ergebniß dieser ziemlich thörichten Be­ gründung eine naturalistische Verwahrung gegen das Abge­ zogene als den eigentlichen und höchsten Gegenstand der Kunst. Er meint: Wir wollen nicht mehr verpflichtet sein, alles, was an das Leibliche erinnert, der Dichtung fern zu halten. Man sieht das an seinen Beispielen: der Richter soll sagen dürfen: Zum Tode verurtheilt — und nun laßt uns gehen und Mittag essen. — Königin Elisabeth soll Latein sprechen und fluchen dürfen. — Cromwell soll sagen dürfen: Ich habe das Parlament im Sack und den König in der Tasche. — Cäsar soll im Triumphwagen bange sein umzukippen. Er nennt Napoleons Wort: „vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt", den Angstschrei, der den ganzen Inhalt des Dramas wie des Lebens zusammenfaßt. So übertrieben auch der Ausdruck ist, so ist doch der Sinn gradezu gesagt: er hebt den ästhetischen Werth deö Un­ schönen hervor. Und das in vielen Ausdrücken, bald so, daß das Schöne die Formen nur in ihrem einfachsten Verhältniß als schlechthin nothwendiges Ebenmaß in ihrer tiefsten Ueber­ einstimmung mit unserm inneren Wesen umfaßt, wogegen das Häßliche nur ein Glied in einer viel höheren Harmonie ist, die wir nicht übersehen; daß das Schöne nur einen einzigen

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Ausdruck hat, das Häßliche tausend u. s. w. Die Lehre wurde von den Gegnern dahin verdreht: das Häßliche ist das Schöne (wie die Hexen in Macbeth singen) und mit den Einwänden bekämpft, die in unseren Tagen von den Romantikern selbst dem ausgesprochensten Materialismus entgcgengchalten werden.

War denn die französische Romantik hiernach nicht ein nur leicht verhüllter Naturalismus? WaS Hugo im Namen der Jüngeren forderte, war ja doch nur Natur, wahrheitsgetreue Wiedergabe und geschichtliche Farbe. George Sand ist ja nur Rousscau's Tochter, die Verkünderin eines Naturevangeliums; Bcylc und Merimös sind halb brutale, halb elegante Naturvcrgöttcrer; Balzac wird heutzutage noch als Stifter einer naturalistischen Schule verehrt. Die Antwort ist einfach. Hugo's Losung war wohl Natur und Wahrheit, aber zugleich und vor allem Wirkung durch Gegensätze, malerische Gegenüberstellung auf der Grund­ lage des mittelalterlichen Gegensatzes zwischen Leib und Geist, und eine darauf gebaute dualistische Romantik. „Der Sala­ mander hebt Undine, der Gnom verschönert die Elfe", sagt er. Er wünscht Naturwahrhcit, aber er meinte sie durch Zusammen­ bringen der entgegengesetzten Seiten der Natur zu erreichen: der Schönheit und des Thieres, Esmeraldas und Quasimodo's, der Vorgeschichte der Buhlerin und der reinsten Liebe bei Marion de Lorme, des Blutdurstes und der Mutterliebe bei Lucrezia Borgia. Die Natur stand so zu sagen in seiner Jugend vor ihm als der große Ariel-Caliban, als die Summe einer über­ menschlichen Idealität und einer unnatürlichen Thierheit, also Verbindung zweier Unnatürlichkciten. Es war die deutsch­ nordische Naturauffassung, die doch später bei Hugo jenem groß gearteten Pantheismus wich, der seinen vollendetsten Aus­ druck in dem schönen und tiefsinnigen Gedicht: „Der Satyr" in der „Legende der Jahrhunderte" fand. Aber dieses Getheiltsein in für das Unnatürliche läßt sich in tur weit zurück verfolgen. Alle waS sie unter dem Namen des

Naturliebe und Schwärmerei der eben aufblühcnden Litera­ preisen sie die Natur, doch Alltäglichen fliehen, das ist

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nur zu oft die einfache Natur selbst. Nur die romantische Natur lieben sie. Aus dem Lande der harten Wirklichkeit zieht George Sand in bas schöne Reich der Träume, Gautier in das der schönen Kunst. George Sand ließ in „Lülia", Balzac in „Ptzre Goriot" den idealen oder allmächtigen Galeercnsclavcn die Gesellschaft richten, ja Balzac schrieb phanta­ stische Geschichten nach dem Muster Hoffmanns. Und wie sie in ihren Gestalten das Einfache scheuen, so noch viel mehr im sprachlichen Ausdruck. Bald entwickelte sich ein Wort­ schwall, der den des classischen Zeitalters noch weit übertraf. Das war die goldene Zeit der brennenden und blendenden Bei­ wörter, die in übergroßer Anzahl in die Rede gefügt wurden. Sie eröffneten beständig unendliche Ausblicke, und insofern kann man sagen, daß die Schreibweise dieser Jugend ganz und gar romantisch war. Aber auch nur soweit. Bei Hugo, dem Stifter der Schule, war die Doppel­ liebe zur Natur und Unnatur in einer Eigenthümlichkeit seines Wesens begründet. Sein Auge war daraus angelegt, überall Gegensätze zu sehen, die Grundform seines Geistes war die rhetorische Gegenüberstellung. Schon in dem Melodram „Inez de Castro" aus seinen Knabenjahren, findet man, wie später in seiner „Maria Tudor" aus der einen Seite den Thron, aus der anderen Seite das Blutgerüst. Herrscher und Büttel einander gegenüber. Kurz ehe die Vorrede zu „Crom­ well" geschrieben wurde ging Hugo, wie seine Gattin berichtet, oft aus einem der äußeren Boulevards, dem Boulevard Montparnasse, spazieren. Gerade gegenüber dem Kirchhofe batten damals Seiltänzer und Gaukler ihre Zelte ausgcschlagen. Dieser Gegensatz von Marktschreierei und Bcgräbniß bestärkte ihn in seinen Gedanken über ein Schauspiel, worin das Ent­ gegengesetzte sich berührt; und dort fiel ihm auch der dritte Auszug von „Marion de Sonne" ein, wo die Marquise von Nangis vergeblich versucht, ihren Bruder vom Blutgerüste zu retten und im Gegensatz dazu der Narr seine Fratzen schneidet. In der Vorrede zu „Cromwell" selbst sagt er, als er die Nothwendigkeit verfechtet, die Handlung aus einem der Wirk­ lichkeit entsprechenden Schauplatz Vorgehen zu lassen: „Sollte der Dichter wagen, Rizzio anderswo als in Maria Stuarts

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Gemach ermorden, oder Karl I und Ludwig XVI anderswo als auf jenen Plätzen hinrichtcn zu lassen, von wo man White-Hall und die Tuilcrien sieht, gerade als ob ihr Blut­ gerüst einen Gegensatz zu ihren Palästen bilden sollte?^ Der Dichter sieht trotz all' seiner Behauptungen ohne Verständniß auf die umgebende Natur, er sieht sie nicht bildend aus die Menschenseele einwirken, er nimmt sie nur zum Einschlag, als große Sinnbilder des Schicksalswechsels und stellt sie einander gegenüber wie die Schicbwände in einem Melodram.

Blicken wir der Sache aus den Grund, was liegt darin? Eine Eigenthümlichkeit, die bis zu einem gewissen Grade für große Gruppen des französischen Romantismus bestimmend ist, und die ich am kürzesten so ausdrückcn kann: Der Roman­ tismus auf französischem Boden ist trotz seiner vielen gemein­ europäischen romantischen Bestandtheile in mancher Hinsicht noch eine classische Erscheinung. Es geht in der Welt wunderlich zu mit dem Gebrauch der Worte. Als das Wort romantisch in Deutschland ein­ geführt wurde, bedeutete cs fast dasselbe wie romanisch, es bezeichnete romanische Schnörkel und Concctti, Sonnette und Canzonen. Die Romantiker schwärmten für romanischen Katholicismus und für den großen romanischen Dichter Ealderon, dessen Werke sie wieder an'ö Licht zogen, übersetzten und priesen. Als der Romantismus ein Menschenalter später nach Frankreich kam, bedeutete er das gerade Gegentheil, die deutsch-englische Gcistcsrichtung im Gegensatz zur gricchischlateinisch-romanischen, dies beruhte einfach darauf, daß das Fremde überhaupt romantisch wirkt. Ein Volk mit einer so einheitlichen Bildung, wie die alten Griechen, erzeugt eine classische Kunst und Dichtung; sobald dagegen ein Volk aus seiner eigenen Bildung hcrauötritt und eine andere aufnimmt, sieht daS fremd und abenteuerlich aus. Die romantische Bildung wirkt hier, wie ein buntes Glas, durch das man eine Landschaft betrachtet. Die Romantiker in Frankreich ver­ achteten ihren eigenthümlichen Vorzug, die Klarheit und Verstandesmäßigkeit ihrer Literatur gering. Sie priesen Shakespeare und Goethe, weil diese nicht wie Racine und zum

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Theil Corneille das Menschenleben in seine Bestandtheile auf­ lösen, nicht einzelne einfache Gefühle, sondern das ganze Leben ohne irgend welche Sonderung auf die Bühne werfen. Diesem großen Beispiele wollten sic folgen. Aber waS geschah? Unter den Händen Lamartincs, de Vignvs, George Sands, Samte Beuvcs wurde das Leben aufs neue zerlegt. Unter Hugos und Dumas Händen bildeten sich, wie im classischen Trauerspiel, wieder wohlbercchnete Ge­ gensätze. Ordnung, Maß, vornehme, durchsichtige und bilder­ lose Sprache bestimmten bei Nodier, Beyle und Msrimöe ganz wie bei den Klassikern des 18. Jahrhunderts die dichterische Form; die leichte freie Einbildungskraft, die das Verschieden­ artigste vereinigt, Nahes und Fernes, Gegenwart und Alter­ thum, Göttliches und Menschliches, Volkssagcn und tiefsinnige Allegorien in einem Werke zusammenstellt, diese echt roman­ tische Poesie war ihnen versagt. Sie sahen wohl den Elfen­ tanz, aber die leise Zaubermusik hörten sie nicht. Sic waren Lateiner, empfanden als Lateiner und dichteten als Lateiner, und das Wort la kein bedeutet klassisch. Wenn man unter romantisch wie gewöhnlich ein Durchbrechen des Inhalts durch die Form versteht, einen von Vcrstandcsformen nicht beherrschten Inhalt, wie bei Jean Paul und Ticck, ja wie bei Shakespeare und Goethe (im Sommernachtstraum und im zweiten Theil des Faust), so sind alle französischen Romantiker Klassiker. Selbst Hugos romantisches Drama war abstrahircnd, wohl­ geordnet, übersichtlich wie bei Corneille. Indem ich diesen Namen nenne, gehen meine Gedanken unwillkürlich und nothwendigerwcise von dem Charakter der Zeiten zu dem der Volksstämme über. In Hugo, der Corneille zn bekämpfen scheint, lebt Corneille wieder auf. Durch den französischen Volkscharakter gehen viele Adern, eine des Zweifels und Spottes: Montaigne, Lafontaine, Mokiere, Mathurin Regnier, Bayle u. s. w. eine gallische Vollblutsader: Rabelais, Diderot, Balzac, und unter anderen auch eine des Hcldenmuths und der Begeisterung, die in Corneille so reich strömte und in Hugo wieder emporsprudelt. Man vergleiche Hugos ganze pathetische Haltung mit der anderer Dichter, und man wird in der ganzen Weltliteratur

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keinen finden, dem er so sehr gleicht wie dem alten Corneille. In beiden ist etwas spanisches, Corneille wurde durch die spanische Literatur, Hugo durch den Aufenthalt in Spanien während seiner Jugend stark beeinflußt. Das Stück, dem Corneille seinen Ruhm verdankt, ist der „Cid", worin spanischer Stoff in spanischem Geist behandelt wird. Das Stück, womit Hugo durchdrang, ist „Hemani" dem Stoff und seinem Calderonischen Ehrbegriff nach ebenfalls spanisch. In diesen beiden Stücken wird das reine Heldcnthum gelehrt und getrieben, nicht der Mensch in seiner Vielseitigkeit ist bei Corneille dargcstellt, sondern der Held, bei Hugo nur vervollständigt durch die wilde Leidenschaft. Wir wollen einen Blick auf Hernani werfen, um welches Stück der große Kampf zwischen der Partei der Ver­ gangenheit und der der Zukunft ausgesochten wurde. Die äußeren Umstände bei der ersten Aufführung sind bald erzählt: Ränke aller Art wurden gegen das noch unausgeführte Stück geschmiedet, Anhänger der alten Schule horchten während der Proben an den Thüren, schnappten Verse auf und verdrehten sie zu einer Parodie, noch ehe das Stück selbst gespielt war. Der Dichter mußte der Censur Vers um Vers seines Stückes abringen, die eine Zeile: Feiger, einfältiger, erbärmlicher König! gab Anlaß zu endlosen Schreibereien; endlich waren Schauspieler und Schauspielerinnen dem Stück ebenso abhold und spielten nur vereinzelt mit gutem Willen. Wie bekannt, hatte Hugo der bezahlten Claque den Abschied gegeben und statt dessen sich 300 Plätze für die drei ersten Abende aus­ bedungen. Die Treuesten unter den Treuen, junge Männer, die nach eigenem Geständniß ihre Nächte damit verbrachten, „Es lebe Victor Hugo" an die Bogengänge der RivoliStraße zu schreiben, in der unlöblichen Absicht, die guten Bürger damit zu ärgern, warben junge Maler, Baumeister, Bildhauer, Dichter, Musiker, Verleger, die nach dem von Hugo ausgcgebencn Stichwort „Hierro" (Eisen) bereit waren, fest wie Eisen dem Feinde gegenüber zu stehen. Mit dem Aufziehen des Vorhangs brach der Sturm los, und so oft das Stück gegeben wurde, herrschte im Theater ein solcher Höllenlärm, daß nur mit Mühe zu Ende gespielt werden

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konnte. Hundert Abende nach einander wurde Hemani aus­ gepfiffen, und hundert Abende nach einander antwortete dem Pfeifen das stürmische Klatschen der begeisterten Jugend, die nicht müde wurde, Abend für Abend die Verse des verehrten Meisters wieder zu hören und sie gegen den Haß und die Uebermacht der Widersacher zu vertheidigen. Das scheint eine Kleinigkeit, und doch hat man bis jetzt nur in Frankreich eine solche Jugend gefunden, einen solchen Geist der Zusammen­ gehörigkeit, wo keinerlei äußere Verbindung vorhanden war, eine solche Uneigennützigkeit und Hingabe für die Ehre eines Anderen. Die Gegner bezahlten Plätze und ließen sie leer, damit die Zeitungen berichten konnten, das Haus sei wenig besucht gewesen; Einige wandten dem Spiel den Rücken, andere zogen, verzweifelte Gesichter, als könnten sie das Ende des Stückes nicht erwarten, lasen Zeitungen, öffneten die Thüren und schlugen sie wieder zu, lachten höhnisch, gähnten, schrieen, pfiffen, so daß eine entschlossene Vertheidigung nothwendig war. Es gibt in „Hemani" keine Saite dcS Gefühls, die nicht bis zum Springen gespannt wäre. Der Held ist genial und edel, wie Zwanzigjährige fich den Edelmuth und Genius vorzustellen pflegen. Er ist so genial, daß er als Räuber­ hauptmann lebt, und er verachtet den Verstand so sehr, daß er aus lauter Großherzigkeit in einemfort die dümmsten Streiche begeht, sich öffentlich zeigt, seinen Todfeind entkommen läßt, und sich selbst auöliesert. Er übt als Hauptmann eine unbeschränkte Herrschaft über Andere aus, doch wie es scheint nur durch seinen Muth, denn seine Handlungen sind fast die eines Kindes, aber trotz alledem: wie viel Wirklichkeit, wie viel Leben ist in dem Stücke! Dieser politische und ideale Räuber, der mit der Gesell­ schaft im Krieg lebt und an der Spitze einer treuen und be­ geisterten Bande steht, er erinnert ja an den Dichter selbst, der in literarischer Beziehung ebenso friedlos war, der Parquet und Gallerie an eine Anzahl junger Männer vercheilt hatte, deren Aeußeres nicht minder bunt war als das seiner Räuber­ schaar. Frau Hugo beschreibt die Zuschauer, die sich auf des Dichters Einladung am ersten Abend cinfanden, „als eine

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Bande wilder Gestalten, bärtig, langhaarig, in jeder Tracht, nur nicht wie es Mode war, in Wollröcken und spanischen Mänteln, in Robespierre - Westen und Mützen aus Hein­ richs III. Zeit, die sich in Paris am hellen Tage am Ein­ gang des Theaters zeigten, angethan mit den verschiedensten Jahrhunderten und Ländern auf Kopf und Rücken." Ihre Begeisterung für Hugo war mindestens ebenso stark, wie die der Räuber für ihren Hauptmann. Sie wußten, daß Hugo in einem anonymen Briefe mit dem Tode bedroht war, „wenn er sein schmutziges Stück nicht zurückzöge;" und so unwahrscheinlich cs auch war, daß die Drohung buchstäblich aufzufassen sei, begleiteten doch zwei von ihnen Hugo stets nach und vom Theater, obgleich er in der ihnen entgegen­ gesetzten Richtung von Paris wohnte.

Unter Hugos Papieren befindet sich ein Brief von Charlet, der die Stimmung der Jungen treu wicderspiegclt: „Vier meiner Janitscharen bieten mir ihre Arme an, ich lege sie Ihnen zu Füßen und bitte um vier Plätze, wenn es noch nicht zu spät ist. Ich bürge für meine Männer; es sind Leute, die gern Köpfe abschlügen, um Perücken zu bekommen. Ich habe sie in diesen edlen Gefühlen bestärkt und entlasse sie mit meinem väterlichen Segen. Sie kniccn, ich strecke meine Hände aus, und sage: Junge Männer, Gott schirme Euch, die Sache ist gut, thut Eure Pflicht! Sic stehen auf und ich füge hinzu: Und nun, Kinder, paßt gut auf Victor Hugo, denn der Herrgott ist wohl ein wackrer Mann, aber er hat so viel zu thun, daß unser Freund vor allem auf uns rechnen muß. Geht und macht dem, dem ihr dient, keine Schande! Amen. Ihr Ihnen mit Leib und Seele ergebener Charlet." Getragen von einer so schwärmerischen Hingabe, er­ oberte die romantische Kunst trotz des hartnäckigsten Wider­ standes die erste feindliche Schanze und gewann damit den ersten entscheidenden Sieg. Diese Jünglinge hörten von der Bühne ihren eigenen Trotz und ihren eigenen Unabhängig­ keitsdrang, ihren Muth und ihre Hingabe, ihre Ideale und

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ihre Sehnsucht, nur noch einen Ton höher gestimmt, und ihre Herzen schmolzen bei dein, was sie hörten. Es war im Februar 1830, fünf Monate vor der Julircvolurion, wo der platteste Materialismus dem Leben in Frankreich alle Farbe nahm. Frankreich war so regelmäßig geordnet, wie die Gänge des Versailler Parkes, von Alten regiert, denen keine jungen Männer genehm waren, als solche, die in der Schule gute lateinische Verse gemacht und sich seitdem so vorschriftsmäßig aufgeführt hatten, daß sie würdig schienen, Amt und Stellung zu erhalten. Sie saßen so harmlos und gut gekleidet da mit ihren Vatermördern und Halsbinden — und dagegen nun diese Jugend im Parquetl Einer mit Haaren, die bis an den Gürtel reichten, und in purpurrother Atlasjackc, Einer mit RubenShut und bloßen Händen und so weiter. Sie haßten das mächtige Spießbürgcrthum, wie Hcrnani Karls V. Willkürherrschaft haßte, sie fühlten sich; auch sie waren freie Räuber auf den Bergen, arm und stolz, einer mit republikanischen Träumen, die meisten echte Jünger der Kunst. Da standen sic, fast lauter Genies: Balzac, Berlioz, Gautier, Gerard de Nerval, Borel, Preault, und maßen ihre Gegner mit den Blicken. Das fühlten sie, daß sic mindestens keine Acmterjägcr waren, keine Bettler, keine Schützlinge wie jene. S i e waren es, die wenige Monate später die Julirevolution durchsetzten und Frankreich in den nächsten Jahren eine Kunst und Literatur ersten Ranges gaben. So blickten sie auf Hernani. Und was sahen sie in der andern Hauptperson, in König Karl? Er ist von An­ fang an in ungünstigem Lichte gezeichnet; man traut der glühenden Liebe, dieses so kalten, schlauen Herrschers zu Donna Sol nicht recht, noch dazu, da er unwürdiger Weise Gewalt anwendet, um sie zu erobern. Aber der Dichter hat cs verstanden, ihn steigen zu lassen. Wir sehen immer deutlicher, welch' ein mächtiger Ehrgeiz seine Brust schwellt. Karlos' Selbstgespräch am Grabe Karls des Großen entschied bei der ersten Aufführung das Schicksal des Stückes, und es ist in der That ein Meisterwerk, so oft es auch verspottet ist. Selbst wenn man es nicht wüßte, sieht man leicht, wie un-

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geschichtlich, wie unmöglich es ist, daß Karl V. so dachte. Aber es zieht an durch die Treue, womit eS die Träume und Gedanken von 1830 wicderspicgelt und durch den politischen Genius, der sich darin zeigt. Es giebt einen geschichtlichen Scharfblick, über den man bei Dichtern zuweilen staunen muß: Schiller hat ihn schon im Ficsko, 21 Jahre alt, gezeigt. Man höre Don Carlos' Schilderung Europas: Ein Gebäude, auf dessen Zinnen zwei Menschen stehen, durch Wahl Erkorene, denen jeder geborene König unterthänig ist, der Kaiser und der Papst. Fast alle Staaten sind erblich, und die Herrschermacht damit in Händen des Zufalls, aber daS Volk hat doch zuweilen seinen Papst oder Kaiser zu wählen, wodurch das Gleichgewicht wieder hcrgcstellt wird. Kurfürsten und Kardinäle sind nur Mittler, durch die Gott wählt. „Laßt einen Gedanken, der in der Zeit liegt, nur an'S Licht kommen, so wächst er in alles hinein, wird Mensch und ergreift alle Herzen. Mancher König knebelt und tritt ihn unter die Füße; bekommt er aber Zutritt zu dem Rathe der Kurfürsten oder dem der Kardinäle, so sehen die Könige plötzlich den Gedanken, der eben noch Sclave war, sich über ihre Häupter erheben, die Erdkugel in der Hand und die dreifache Krone auf dem Haupte; er setzt ihnen den Fuß auf den Nacken und trocknet seine Sohlen an ihrem Haar." Sicher ist es nicht Karl V., an den der Dichter hier gedacht hat; cs liegt viel näher, daß cs Napoleon ist, von dem Hugo noch kürzlich in der Ode an die Vendome Säule geschrieben hatte, daß seine Sporen Karl's V. Sandalen auf­ wögen. Man darf nicht vergessen, daß die Schwärmerei für Napoleon, die damals allgemein war, nicht gerade bedeutete, daß man ihm anhing, sondern nur, daß man Feind der Re­ gierung war; der Napoleon, den man vergötterte, war nicht Frankreichs Herrscher, sondern der Dcmüthigcr der Könige. Der Kaiser wurde im Gegensatz zu den Königen als das Volk betrachtet, und deshalb hörte das junge Geschlecht mit tiefster Bewegung jene Stelle des Monologes: „Ihr Könige, blicket nieder! Dort ist das Volk, das manchen Thron um­ stürzt, ein Spiegel, worin ein König sich selten ver­ schönen sieht!"

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Wie man sicht, sind eS revolutionäre, ganz neuzeitliche Gedanken und Gleichnisse, die Karl V. beständig in den Sinn kommen, er reift gleichsam am Grabe zu einem Volkskaiser, wie ihn die neuere Zeit so ost geträumt hat; sein ungeheurer Ehrgeiz wird durch den Drang, Unerhörtes auszuführen, geläutert. Er, der im Anfang den jugendlichen Zuschauern so widerwärtig gewesen war und mit seinem niedrigen Begehr so tief unter Hernani und dessen Geliebte stand, verzichtet und verzeiht am Ende als Kaiser, und mit einem Schlage er­ scheinen die beiden Liebenden in ihrem Glück unbedeutend neben ihm.

Die Hand auf der Brust, sagt er noch zu sich selbst: „Verlösche nun, junges, flainmcndeö Herz, laß den Kopf herrschen, den du beständig gestört hast! Deine Liebsten, das sind von jetzt an Deutschland, Flandern, Spanien!" (und mit einem Blick auf das Reichsbanner fügt er hinzu:) „Der Kaiser gleicht seinem Begleiter, dem Adler: an Stelle des Herzens hat er ein Wappenschild." Worte wie diese schlugen tief ein in die Herzen der ehrgeizigen Jugend, welche die wahren Hörer des Stückes ausmachtc; das Schauspiel des Ehrgeizes bewegte sic ebenso tief, wie der Kamps der Unabhängigkeit. Sie wußten, daß ein männlicher W.lle, der große Aufgaben lösen will, nur durch die erhabensten Gefühle und Genüsse genährt wird, die ihm auf dem Altar der Pflicht geopfert werden müssen, und deshalb verstanden sie Carlos. Aber der fünfte Aufzug ist doch die Perle des ganzen Stückes. Hier in dem Wechselgesang der Liebenden kommt die Liebe zum Wort, wie die Jugend sie empfand und darge­ stellt sehen wünschte. Dieses Gespräch auf der Schwelle des Brautgemaches, das die Beiden nimmer betreten sollen. Diese Mischung eines Glückes so stark, so ernst, daß es, wie Hemani sagt, eherne Herzen fordert, worin cs sich cingrabcn kann, und Aller Furcht vor der Vernichtung, diese Sinnlich­ keit, die keusch und musikalisch bei ihr, rein und glühend bei ihm, selig bei beiden ist, diese überirdische Schwärmerei bei Donna Sol und dieser Drang bei Hernani, die Vergangen-

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heit über der seligen Gegenwart zu vergessen, das war Romantik, wie sie die Jugend dainalS forderte und mit donnerndem Beifall begrüßte. Hernani ist alö Drama sehr unvollkommen. Es ist ein lyrisches, zum Theil sehr überspanntes Werk. Aber es hat den entscheidenden Vorzug: ein selbstständiger und bedeutender Geist hat sich rücksichtslos darin ausgesprochen. Aus einem solchen Werke kann man das innerste Wesen des Verfassers kennen lernen. Er ist da mit seinem Genius und mit seiner Beschränktheit, mit seinem Charakter und seiner Vergangen­ heit ; wir vernehmen seine Gedanken über Freiheit und Macht, über Ehre und Hoheit, über Liebe und Tod. Das Werk enthält nicht nur Hugo und ein Stück Spanien von 1519, sondern das ganze jüngere Geschlecht und ein großes Stück Frankreich von 1830. Hernani ist wesentlich die Jugend der Revolutionszeit, ein Bild Frankreichs, das im Lichte der Romantik gesehen sich zu einem erträumten Weltbilde erweitert. Vertieft man sich nun — statt in ein einzelnes Werk — in eine ganze Literatur, so steht man auf diese Weise Schaaren von Stimmungsbildern, Gedankenbildern, Menschenbildern und Weltbildern vorübergleiten. Man kann vergleichen, wie weit sie einander decken, und so stellt man zuerst die Eigen­ thümlichkeit des Zeitalters fest; man kann sie demnächst an sich vorübergehen lassen, wie sie einander in geschichtlicher Reihe folgen, um aus ihren Unterschieden das Gesetz zu ziehen, wonach sie sich verändern. Da sieht man gleichsam die Pfeile schwimmen, welche die Richtung der geistigen Strömungen weisen.

4. Nodier. Seit 1824 gab cS am äußersten Ende von Paris in der Nähe des Arsenals einen bescheidenen Salon, die kleinen Tuilerien genannt, nämlich die Tuilerien der romantischen Schule, wo sich damals Hugo, Dumas, Lamartine, SamteBeuve, Müsset und Vigny fast jeden Sonntag Abend trafen. Der Wirth war ein Mann, den Jahren nach dem vergangenen

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Menschenalter angehörig, denn er war 1780 geboren; dem Geiste nach aber war er der neu aufsprießenden Literatur ver­ wandt und nahm sie deshalb ohne Bedenken unter seine Fit­ tiche. Das war Nodier. Als Kind durchlebte Nodier in Besannen und Straßburg alle Schrecken der Revolution, als Jüngling schrieb er Gedichte gegen Napoleon, wurde einige Zeit als verdächtig gefangen gehalten und verfolgt, und dieses bunte Leben befruchtete seine Einbildungskraft. Achtzehn Jahre alt, hat er bereits als Sprach­ forscher eine Arbeit über die französischen schallnachahmendcn Wörter, und als Naturkundiger ein Werk über die Fühlhörner und das Gehör der Jnsccten herausgcgeben; sprachliche Studien und Natnrstudien gaben ihm die Herrschaft über die Form und öffneten seine Augen für das Verborgene und Kleine. Sein erster dichterischer Versuch „der Maler von Salzburg", eine der ersten französischen Wertheriaden, gehört zu den Schriften, die ich unter dem Namen Emigrantenlitcratur zu­ sammengefaßt habe, und die in Frankreich eine Art Romantik vor der Romantik bezeichneten und die große romantische Schule einführten; aber von den Verfassern jener Werke ist Nodier der einzige, der mit dein folgenden Geschlecht nicht nur noch gelebt, sondern auch geschrieben hat. Sein Leben war äußerst bunt, er war zuerst Emigrant im Jura gewesen, dann hatte er in Illyrien eine Zeitschrift herausgegebcn und nun zuletzt war er Bibliothekar in Paris.*) Nodicr's hervortretendste Eigenthümlichkeit als Dichter ist die, daß er den Bewegungen der Literatur zehn bis zwanzig Jahre voraus ist. Sein Roman „Jean Sbogar", eine Räuber­ geschichte, deren Held eine Art illyrischcr Carl Moor ist, und die 1812 in Illyrien entworfen, 1818 herausgegebcn wurde, ist, obgleich an sich ziemlich leblos und uninteressant, deshalb merkwürdig, weil der Dichter hier solange vor Proudhvn und dem Communismus seinen Helden einzelne der schlagendsten Sophismen dieser Partei in den Mund gelegt hat. Jean Sbogar schreibt: „Der Diebstahl des Armen ist, wenn man *) Nodier's Jugend ist geschildert und seine frühesten Werke beur­ theilt im ersten Bande: Emigrantenliteratur.

Nodier.

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bis zum Ursprung der Gesellschaft zurückgcht, nur rechtmäßige Wiederaneignung eines Stückes Silber oder Brot aus den Händen des Diebes durch den Bestohlenen." „Gieb mir eine Kraft, die sich den Namen des Gesetzes beilegt, und ich will Dir einen Diebstahl zeigen, der den Namen des Eigenthums führt." „Was ist das sogenannte Grundgesetz, das den Namen der Gleichheit aus der Stirn trägt? ist cS das agrarische Ge­ setz? nein, es ist der Kaufvertrag, der, von Ränkeschmieden abgcfaßt, die reich zu werden hofften, das Volk den Reichen überantwortet." „Die Freiheit ist nicht so selten: der Starke hat sie in der Hand, und der Reiche im Beutel. Du bist Herr über mein Geld. Ich bin Herr über dein Leben. Gieb mir das Geld, so behälft du das Leben." Jean Sbogar ist, wie man sieht, kein gewöhnlicher, son­ dern ein philosophischer Räuber; am meisten realistisch an seiner Gestalt ist der Zug, daß er Ohrringe trägt, und selbst diesen Zug hätte Frau Nodier auf ein Haar gestrichen. Nodier richtete sich für gewöhnlich blind nach ihrem Geschmack und ihren Wünschen; aber wenn er einmal einen Anfall von Un­ gehorsam hatte, und diesen damit begründete, daß er für ge­ wöhnlich gehorchte, pflegte Frau Nodier zu sagen: „Vergiß nicht, daß du mir Jean Sbogar's Ohrringe nicht hast opfern wollen." Man hat behauptet, daß die literarischen Streitig­ keiten der Eheleute sich auf diesen Gegenstand beschränkt hätten. Dieser kleine Roman war bereits vergessen, als Napoleon'S Aufzeichnungen herauskamen und zeigten, daß der Kaiser ihn auf St. Helena gelesen hatte, und zwar mit großem Interesse. Doch zeigte er noch nicht völlig Nodier's Eigen­ thümlichkeit, die sich vielmehr entwickelte, als die eigentliche romantische Schule sich bildete. Er stand sozusagen in der offenen Thür der Literatur und zog ihr entgegen. Sein Ur­ theil über Hugo's Knabenroman „Han d'Jslande" ist ein kleines Meisterwerk der Kritik, entgegenkommenden Verständ­ nisses und geistiger Ueberlegenheit, und begründete das innige Verhältniß zwischen beiden Dichtern. Hugo wird so schlagend gekennzeichnet, daß ein Lehrer von heute glauben möchte, der

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Verfasser hätte alle späteren Arbeiten Hugo's gekannt, und eS gehörte wirklich etwas dazu, sie in „Han d'Jslande" zu ahnen. Die Erzählungen, die Nodicr nun schreibt, sind von einer in der französischen Literatur ganz eigenartigen Anmuth und Anziehungskraft. Sie behandeln mit einer mimosenhaften Empfindsamkeit die ersten Liebesrcgungen des Knaben-- und Mädchenherzens, sie ruhen auf ihnen wie der erste Thau auf dem Seelenleben. Man ist bekanntlich zuweilen in Verlegen­ heit, Werke von einigem Werth in der französischen Literatur zu findeit, die sich für ganz junge Mädchen eignen — die franzö­ sische Literatur ist ja glücklicherweise nicht in erster Linie für diese liebenswürdigsten aller Leser berechnet, aber Erzählungen wie Rodier's „Therese Aubert" oder die Novellen „Souvenirs de sermesse" machen Ausnahmen. Höchstens wäre zu be­ fürchten, daß sie jungen Leserinnen platonische Grillen in den Kopf setzten, denn diese Bücher sind ebenso schmachtend wie keusch; die Liebe ist hier noch eine dem Geschlecht nach unbe­ stimmte Freundschaft, aber sic nimmt den kleinen Menschen ganz hin. Der Reiz deö Gefühlsleben, das hier geschildert wird, beruht darauf, daß hier noch keine Erfahrung mißtranisch gemacht hat, und daß kein falscher noch wahrer Stolz das Herz verschließt. Da alle Novellen aus Selbsterlebtem be­ ruhen, auf Erinnerungen aus der Jugend deö Verfassers, bilden die Kämpfe der Schreckenszeit überall den düstern Hintergrund, der Schluß ist regelmäßig unfreiwillige Trennung oder der Tod des Geliebten. Eine kindliche Empfindsamkeit bildet die Grundlage in Nodier's Charakter. Er blieb sein Leben lang ein großes Kind mit einer mädchenhaften Scheu, nicht nur vor dem Unreinen, sondern auch von dem Standpunkt der Erwach­ senen. Bei dieser Frische des Gefühls erhebt sich gleichsam ein zweites Stockwerk, eine ganz eigenthümliche Phantasterei. Nodier besaß eine so fruchtbare Einbildungskraft, daß man glauben konnte, er sei beständig Traumgestchten oder Hallucinationen unterworfen. Er hatte die bedenkliche Eigen­ schaft, wie manche Dichter, daß er fast nie die Wahrheit sagen konnte. Man wußte nie bestimmt, ob das, was er sagte, Wahrheit oder Dichtung war. Der Scherz hält ja die Mitte

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zwischen beiden. Kein Franzose galt für unterhaltender als er, Keiner nahm es weniger übel, wenn man ihm sagte, daß man ihm kein Wort glaube. Auf einer Reise, die Nodier und Hugo mit ihren Frauen nach Südfrankreich unternahmen, kamen sie in ein Wirthshaus zu Essonne, um zu frühstücken. Dort hatte man LcsurqueS ergriffen, der 1796 als Mörder hingerichtet war, und dessen Unschuld später erwiesen wurde. Nodier, der ihn gekannt hatte oder wenigstens so sagte, sprach von ihm so bewegt, daß den Damen Thränen in die Augen kamen und die Frühstücks­ stimmung verdorben war. Er sicht Frau Hugo's nasse Augen und sagt: „Sie wissen, daß man nicht immer sicher ist, seines Kindes Barer zu sein, aber haben Sie schon gehört, daß man zuweilen auch nicht sicher ist, seine Mutter zu sein? — „Wieso? Woher haben Sie das?" fragte sie, — „Von dem Billard nebenan." Man bat um eine Erklärung, und Nodier erzählte, daß vor zwei Jahren an dieser Stelle ein Wagen gehalten hätte, der Ammen aus Paris auf das Land bringen sollte. Um gemächlich zu frühstücken, hätten die Ammeil die Kinder auf das Billard gelegt. Aber während sie in der Gaststube saßen, waren Fuhrleute eingekehrt, die spielen wollten, und hätten die Kinder neben einander auf die Bank gelegt. Als die Ammen abreisen wollten, waren sie in größter Verlegen­ heit, woran sie ihre Pfleglinge erkennen sollten; denn sie waren alle noch so jung, daß sie einander auf ein Haar glichen. Sie mußten daher, nachdem sie sich des richtigen Geschlechtes versichert, jede eines aufs Geratewohl nehmen; und daher giebt es in Frankreich ein Dutzend Mütter, die Aehnlichkeit mit sich selbst und lieben Verwandten bei wildfremden Kindern finden. „Was für eine Geschichte!" sagte Frau Nodier erstaunt, „war denn das Zeug nicht gezeichnet?" „Wenn Sie nach der Wahrscheinlichkeit fragen, finden Sie die Wahrheit nimmer," versetzte Nodier schnell gefaßt und zufrieden mit der Wirkung, die er erreicht hatte. Er selbst kümmerte sich nie um die Wahrscheinlichkeit; ihre Welt war nicht die scinige. Er lebte in der Welt der Sagen, Märchen und Spuckgeschichten. Wenn je eine Fee an Brandes, Hauptströmungen. V.

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eines Sterblichen Wiege gestanden hat, so war das bei Nodier der Fall gewesen; und er glaubte sein ganzes Leben lang an diese Fee, schwärmte für sie, wie sie um ihn schwärmte, und sich in alles mischte, was er schrieb. War er auch bürger­ lich und irdisch verhcirathet, so bedeutete das nicht mehr als Dante's Ehe mit Gemma Donati; seine wirkliche Braut und Beatrice war die Fee BelkiS, ehemalige Königin von Saba, die er (und nach ihm Nerval) so oft besungen hat. Die Welt, worin er lebt, ist die, wo Oberon und Titania ihren Elfen­ reigen tanzen, wo Töne aus tausend und einer Nacht sich in Aricl's himmlische Musik mischen, wo Puck sein Bett in einer Rosenknospe bereitet, während alle Blumen stärker duften. Das ist die Welt, worin alle Gestalten des großen, wahren Lebens vorkommen, aber entweder vergrößert oder verkleinert, als Riesen oder Zwerge, wie die Fassungskraft des Kindes und die Ab­ sicht des Träumers es fordert. Hier ist, sagt Nodier selbst an einer Stelle, Odysseus der weitgereiste in den Däumling ver­ wandelt, und seine endlose Meerfahrt besteht darin, daß er über die Milchsattc schwimmt. Hier ist Othello's, des furcht­ baren Fraucnmörders Bart blau geworden, und er selbst zum Ritter Blaubart; hier lebt Figaro, der gewandte, der den Vor­ nehmen so kühn unter die Augen tritt, nur ist er in den Kater verwandelt; doch der gestiefelte Kater ist ihm, wenngleich we­ niger unterhaltend, doch fast ebenso interessant. Kein französischer Schriftsteller steht in näherem Ver­ hältniß zu der deutsch-englischen Romantik, als Nodier. Wer ihn nicht kennt, muß sich, um eine Vorstellung von ihm zu bekommen, an Scott's Spuckgeschichten und Hoffmanns Phan­ tasiestücke erinnern: Aber damit ist gerade seine Eigenthüm­ lichkeit noch nicht bezeichnet: sie beruht darauf, daß die Vor­ stellung des romantischen Stoffes bei ihm nicht das ist, was man gewöhnlich romantisch nennt, vielmehr klassisch einfach, ohne viel Farbe, ohne Leidenschaft, ohne die Schleier der Edinburger Nebel, wie bei Scott, oder die der Berliner Wein­ keller, wie bei Hoffmann. Seine stilistische Eigenthümlichkeit ist: während rings um ihn die jungen Romantiker die Sprache sinnlicher machten, den Gedanken bildlich darstellten, schrieb er seine wildesten Einfälle in Pascals und Bossuets klarer

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Sprache. So eifrig auch Nodier die neue Richtung der Literatur verfocht, blieb er doch im Ausdruck konservativ; kühn bis zum Aeußcrsten, fast wahnsinnig in seinen Einfällen, ist er vorsichtig und klar in der Form. Ein Märchen von ihm gleicht, wie Merimse treffend bemerkt hat: „Dem Traum eines Skythen, erzählt von einem griechischen Dichter." Seine ,,JncS de las Sierras" ist eine Spuckgcsckichte, die vor anderen ihres gleichen die vollendete Schönheit dcö Stoffes voraus hat. Der Eindruck von Furcht, den die unerklärliche Erscheinung weckt, mischt sich mit dem Reize, den die rührende Grazie die­ ser Offenbarung ausübt. Diese beiden Züge heben einander in der geheimnisvollen Gestalt der Ines nicht auf, sondern wirken in ganz eigenthümlicher Weise zusammen. Diese Ver­ bindung ist überhaupt das Geheimnis, womit Nodier die besten Wirkungen erzielt. Nur schade, daß Nodier die hübsche Erzählung mit einem so häßlichen und unwahrscheinlichen Schluß verdorben hat, der das Gespenst forterklärt. Nicht die

vor 300 Jahren ermordete Tänzerin ist cS, die sich um Mitter­ nacht in dem öden Schloß sehen läßt, sondern eine lebende junge Spanierin, die zufällig denselben Namen führt und sich durch eine Verbindung der unglaublichsten Umstände im weißen Kleide tanzend gezeigt hat. In diesem Ausweg zeigt sich der echte lateinische Rationalismus, aber er ist sozusagen nur zum Schein angebracht; eine Erzählung wie diese zeigt in jeder anderen Beziehung den großen Fortschritt der gegenwärtigen Dichtung gegenüber der des achtzehnten Jahrhunderts, die dem Uebernatürlichcn so feind war, daß Voltaire sich als einen wagehalsigen Reformator ansah, als er in seiner „Scmiramis" den lächerlichen Schatten des Ninus am helllichten Tage einige Alexandriner durch ein Sprachrohr heulen ließ. Unter Nodicrs phantastischen Erzählungen scheint „la fee aux miettes“ mir die vollendetste. Sie ist entschieden zu lang, denn man liest ungern eine in wilden Arabesken schweifende Phantasterei, die 120 Seiten Quart füllt; dennoch fühlt man sich häufig gefesselt und gespannt. Der Rahmen ist der, daß ein armer gutmüthiger, geistesschwacher Insasse des Hospitals zu Glasgow seine Erlebnisse erzählt; aber der märchenhafte Inhalt läßt uns den Rahmen ganz vergessen. 3*

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Alle Seiten dcS Menschenlebens schnarren hier wild durchein­ ander. Es ist, als ob wir das Leben von der verkehrten Seite sehen, nämlich von dem nicht unberechtigten Gesichtspunkt der Träuine und Phantasien aus. Zu Granville in der Normandie lebte der gutherzige Michel, ein geschickter Zimmermann. Im Dorfe lebte auch eine kleine alte Zwergin, cingeschrilmpft und häßlich, welche die von den Schulkindern fortgeworfenen Brocken sammelte, und deshalb die brockensammclndc Fee genannt wurde. Schon vor vier, fünf Jahrhunderten wurde sie im Dorfe gesehen, lebte damals ebenso, und zeigte sich in Zwischenräumen immer wieder. Sie wurde von dem jungen Mann unterstützt und gab ihm dafür allerlei guten Rath: erzählte, daß sie sterblich in ihn verliebt sei und bat ihn, er möchte ihr die Ehe ver­ sprechen, damit er mit der Zeit wieder zu seinem Gelde käme. Sie schenkte ihm ihr Bild, ein Zaubcrbild, das ihr durchaus nicht glich, vielmehr der Fee Bclkis, derselben, die einst Königin von Saba war, und die Salomo so sehr liebte. In dieses verlockende, strahlende Fraucnbild verliebt sich der Jüngling; wo er geht und steht, begegnet ihm ihr Name; will er reifen, so heißt sein Schiff Königin von Saba. Er wandert umher, von Belkis träumend, wie wir alle umher wandern und von unserem Ideale träumen, das den anderen ein Hirngespinst ist. Unschuldig des Mordes angeklagt, der in einem Wirthshause begangen wurde, wo er schlief, wird der arme Michel zum Tode verurtheilt und unter dem Geheul des Pöbels zum Galgen geführt. Da wird verkündet, daß nach alter Sitte dem Vcrurthcilten das Leben geschenkt werden kann, wenn ein Mädchen sich feiner erbarmt und ihn zum Manne nimmt. Und siehe Folly-Girlfree, das luftige Mädchen, daS immer viel von ihm gehalten, tritt heran und will ihm das Leben retten. Aber er bedenkt sich. Auch er hat sie gern, denn sie ist gut und hübsch, aber heimlich brennt er doch für eine andere, für ein nicgesehencS Ideal: Belkis. Er sieht freundlich und dank­ bar auf Folly, wägt Für und Wider ab und — bittet endlich gehenkt zu werden. Dieses Ucberlegcn, den Strick um den Hals, dieses „besser gehenkt, als schlecht verheirathet" wie

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Shakespeare sagt*) ist hier mit einem so liebenswürdigem Humor, mit einer so naiven und idealen Lcbensphilosophie dargestellt, daß man sie nimmer vergißt. Michel reicht eben den Hals hin, da stürzt die Fee lärmend und schreiend heran, hinter ihr alle Gassenjungen, und erbringt den Beweis für die Unschuld des Verurthcilten. Er heirathct sic aus Dankbarkeit, aber kaum hat er in der Brautnacht die Thür zwischen sich und seiner uralten Frau verschlossen, da steht Belkis im Brautschleier an feinem Lager. „Ach Belkis, ich bin vcrheirathet, verheirathet mit der Krümchenfee." „Ich bin die Krümchenfee." „Ach nein, das ist unmöglich, du bist ja beinahe so groß wie ich." „Das kommt davon, daß ich mich strecke." „Aber das prächtige Goldhaar, das um deine Schulter strömt, Belkis? Das hatte die Krümchenfee doch nicht?" „Nein, das zeige ich nur meinem Mann." „Aber die beiden mächtigen Eckzähne der Fee kann ich zwischen deinen frischen duftenden Lippen nicht sehen." „Nein, das ist ein Luxus, der sich nur für das Alter ziemt." „Und diese Seligkeit, die mich fast tobtet, die fühlte ich doch nie bei der Fee." „Nein", lächelte sie, ihn umarmend, „denn bei Nacht sind alle Katzen grau". Und so lebte er bei Tage mit der alten weisen Frau, bei Nacht mit der schönen Königin von Saba, bis er endlich die singende Alrauncnpflanze findet und, aus dem Irrenhause entkommen, bei ihrem Gesang im Himmel der Fee und der Belkis emporsteigt. Nicht wahr, das ist Wabnwitz, aber ein wunderbar, seelenvoller Wahnwitz? Was ist die Krümchenfee? Ist sic die WeiSbcit, ist sie die Entsagung und Pflichterfüllung, ist sie die unermüdliche Geduld, die sich endlich als Genius ent­ puppt, ist sie die Treue, die mit dem höchsten Glücke gelohnt *) Was ihr wollt, 15.

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wird? Sie ist wohl etwas von alledem, und kann sich darum in Jugend, Schönheit und Seligkeit verwandeln. So ist es wenigstens ungefähr gedichtet oder geträumt. Nodiers Ein­ bildungskraft hat auf ihrer Höhe einen freieren, übermüthigen Schwung, sic begnügt sich da nicht, einen regellosen Inhalt zu schaffen, sondern stellt ihn auch in einer barock-geschwätzigen, über den Inhalt selbst spottenden Form dar. Kein Franzose kommt dem näher, was die Deutschen und Engländer Humor nennen, als Nodicr. Zuweilen ist er wie besessen von Phan­ tasterei. Er blickt da nicht nur hin und wieder auf die Alltagswclt, sondern spielt mit seinem eigenen Verhältniß zur Erzählung, spottet über die Zeitgenossen, wirft tausend An­ deutungen hin, philosophirt über Täuschungen dcS Daseins und alles mitten in der Erzählung. Er nimmt selbst die Buchdruckcrkunst in seinen Dienst, um das Phantastische recht hcrvorzuhcben, oder genauer um die unbeschränkte Herr­ schaft seines Ich über den Stoff darzuthun; und cs ist keine Aeußerlichkeit in diesem Handwerk, worin sich nicht das selbst­ herrliche Belieben geltend machte. Er gebrauchte eine ganze Druckerei für seine berühmte Erzählung: „Der König von Böhmen und seine sieben Schlösser". Er fordert cS, und die Buchstaben werden so lang, daß sie die Seite füllen; er ge­ bietet, und sie werden winzig klein; er schreit, und sic erheben sich ängstlich, er wird tiefsinnig und sie fallen um; sie gehen in Illustrationen über, die vom Text nicht getrennt werden können, sie wechseln: lateinisch oder gothisch, je nach der Stimmung, zuweilen stehen sie auf dem Kopf, so daß man das Buch umdrchen muß, um weiter zu lesen, zuweilen stehen sie so, daß ein Herabsteigen von der Treppe folgendermaßen ausgcdrückt wird: Darauf ging unser Held ganz niedergeschlagen die Treppe hinab.

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Es ist interessant, in Nodiers (von seiner Tochter be­ schriebenem) Leben den Grundbestandthcilen nachzuspüren, wo­ rauf er seine phantastischen Erzählungen aufgcbaut hat. Nur selten liegt wie im „JneS de laS Sicrras" etwas Wirkliches, eine Landschaft oder dergleichen dem Aufbau der Dichtung zu Grunde. Nodier studierte diese Oertlichkeiten auf einem Aus­ fluge, den er mit seiner Familie 1827 nach Spanien unter­ nahm. Zuweilen ist der Ausgangspunkt eine Legende, wie z. B. in „Trilby"; und cs ist bezeichnend, daß ihm diese Le­ gende von Pichot, dem französischen Ucbersetzer Byron und Scotts, erzählt wurde. Der Grundgedanke zu „Smarra" fiel ihm ein, alö er seinem alten invaliden Portier in Paris zu­ hörte, der nur sitzend schlafen konnte, weil ihn der Alp drückte, und der Nodier viel von seinen Traumgeschichtcn erzählte. Das Modell zur „Krümchcnfee" endlich war ein altes Dienst­ mädchen, dessen sich Nodier aus seiner Kindheit erinnerte, das seinen 60 jährigen Vater als einen leichtsinnigen Jüngling zu behandeln pflegte. Die alte Denise behauptete, daß sie vorher bei einem Herrn d'Amboise, Gouverneur in Chateau-Thierry, gedient hätte; und wenn sie hierauf zu sprechen kam, mischte sie in ihre eigenen Erlebnisse die wunderbarsten Begebenheiten. Man forschte deshalb Spaßeshalber diesem merkwürdigen Gouverneur nach und fand, daß nur einer dieses Namens ge­ lebt hatte, der schon 1557 gestorben war. Man sieht, wie aus diesem Zufall die Erzählung von der Fee sich gebildet hat. Die unbedeutendste Thatsache, eine Landschaft, eine Legende, ein Traum, eine Lüge, eine Schnurre genügte für Nodier, daraus seine Fee und ihren Hofstaat zu formen. Dieser liebenswürdige, geistvolle Mann, dessen Haus lange Jahre der Sammelpunkt des 1830 auftauchenden Dichtergeschlechts war, an den jeder Anfänger sich um Für­ sprache wandte, oder um womöglich Erlaubnis zu erhalten, dieser auserwählten Gesellschaft etwas vorzulesen, bezeichnet den äußersten Punkt der Phantasterei in der gegenwäriigcn französischen Literatur. Das Phantastisch-Uebernatürliche, das in Deutschland den Kern des Romantismus gebilder, macht in Frankreich nur einen Pol aus. Oder richtiger: es ist bei den Franzosen ein einzelner Bestandtheil, bei einigen der Her-

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vorragendsten schwächer, bei anderen stärker hervortretcnd, aber doch überall bemerklich. Gleich von Anfang an zeigte cs sich bei Hugo in seinen Hexensabbach-Balladen, cs bricht kräftig durch in seiner großen „Legende der Jahrhunderte", aber geschichtlich aufgefaßt, da die Legende hier nur naive Geschichte ist; es schimmert selbst bei dein verstandesklaren Merimee durch, halb fort erklärt in „La Venus «Tille“ deutlicher in „La vision de Charles XI.“ und „Les ämes du purgatoire“, es beherrscht als halb seraphische, halb wollüstig-blutige Schwärmerei Lamartines „La chute d’un ange“, es füllt Quinets pantheistisch-nebelhaften „Ahasverus“; eS findet sich mit dem Alter bei George Sand ein, in den hübschen Märchen, die sie für ihre Enkel schrieb, es beschäftigt selbst den plastischen Gautier, in den zahlreichen Novellen, worin er Hoffmann folgte, und eS krönt als Swedenborgischer Spiritismus selbst Balzacs großes natura­ listisches Werk „La comödie humaine“ mit einem Roman wie „Seraphitus-Seraphita“. Doch bei keinem hat es die ursprüngliche dichterische Kraft wie bei Nodicr.

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Fremde Einflüsse. Die neu aufsprudelnde Quelle der Kunst und Wissen­ schaft wurde durch freinde und heimische Zuflüsse genährt. Wie schon berührt, wurde einerseits das Fremde, das, obgleich alt, bisher nicht in Frankreich bekannt geworden war, anderseits das, was eben die Gegenwart durch seine Neuheit fesselte, von dem jungen Geschlecht mit einem Eifer ausge­ nommen und sich angeeignet, der je größer war, je mehr die neue von der regelrechten früheren Literatur abwich. Vor den Augen der jungen Schule schimmerten Farben, worin sich alle Strahlen auf gleiche Weise brachen und dadurch ihren Charakter änderten. Zuerst war Shakespeares Name im Munde der Roman­ tiker das Losungswort gewesen. A. W. Schlegel hatte hier den Weg gebahnt, denn er hatte in seinen berühmten Vor-

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lesungen über dramatische Kunst und Literatur, die auch fran­ zösisch herausgegcben wurden, Shakespeare zuerst verherrlicht. Der Franzose Mercier „der Prophet des Romantisinus" stimmte mit Leidenschaft ein, Villcmain und später Guizot folgten. Nachahmungen und Uebcrsetzungcn, letztere treuer als die des vorigen Jahrbnnverts, thaten das ihre, den Namen und die Kunst des großen Briten bekannt zu machen. Noch im Anfang der zwanziger Jahre wurden englische Schau­ spieler, die auf dem Porte-Saint-Martin-Theater Shakespeare zu spielen versuchten, mit Aepfeln und Eiern beworfen, während man rief: „Französisch sprechen! Nieder mit Shake­ speare", er war ein Adjutant Wellingtons*). Aber wir haben gesehen, daß ihre Nachfolger nur wenige Jahre darauf glänzend ausgenommen wurden. In die Zwischenzeit fällt u. A. Beplcs hartnäckiger Kampf, Shakespeare die verdiente Anerkennung zu erringen, und die Herausgabe dcS Blattes „Globe", das zunächst dreimal wöchentlich, dann täglich als das Blatt des jüngeren Geschlechtes erschien und mit Hilfe ihrer besten Kräfte den Feldzug für die neuen Grundsätze, außerordentlich tüchtig leitete. Beyle, der trotz seiner Paradoxie einer der klarsten und selbstständigsten Köpfe seiner Zeit war, spricht seine Be­ wunderung für Shakespeare entschieden aus, ohne Racine zurückzusctzcn, den er als sein Gegenbild aufstellr. Er zeigt, daß die Augenblicke völliger Illusion, die sich während des Schauspiels einfinden können und sollen, bei Shakespeare häufiger sind als bei Racine, und daß der eigentliche Genuß, den uns die Kunst gewährt, von diesen Augenblicken der Illusion und von dem Eindruck, den sie hinterlassen, abhängt. WaS am meisten die Illusion stört, ist die Bewunderung für die schönen Verse eines Stückes. Man muß sich die Frage klar machen: was ist die Aufgabe des dramatischen Dichters? Schöne Entwickelungen in wohlklingenden Versen zu geben oder Gemüthsbewegungen wahrheitsgemäß darzustellen? Er geht in seiner Antwort auf diese Frage weiter als später das romantische Trauerspiel unter Hugo und Dumas, indem er

*) Stendhal: „Racine und Shakespeare."

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den Vers hier überhaupt verwirft. Sobald das Trauerspiel durch eine genaue Darstellung von Gemüthsbewegungen zu wirken sucht, muß es, meint er, vor allem die Gedanken und Gefühle klar ausdrücken. Aber diese Klarheit wird durch den Vers behindert. Er führt Macbeths Worte zu BanquoS Schatten an: „Der Tisch ist voll" und hebt hervor, daß kein Reim die Schönheit eines solchen Ausspruchs erhöhen kann. Augenscheinlich hat später Vitct, nichl Hugo, seinem dra­ maturgischen Ideal entsprochen. Beyle räth Niemand, Shakespeare nachzuahmcn. Was man bei ihm nachahmcn muß, ist nur seine Gabe, die um­ gebende Welt zu beobachten und seine Kunst, seinen Zeit­ genossen gerade ein solches Trauerspiel zu geben, wie es für sie paßte. Denn auch jetzt, 1820, lebt die Sehnsucht nach einem eigenen Schauspiel, wenn auch die Gegenwart, von Racinc's Ruhm eingeschücktert, nicht wagt, cs von einem Dichter zu fordern. Nur wenn man seine Zeit studirt und befriedigt, ist man in Wahrheit romantisch. Denn der „Romanticismus" ist die Kunst, dem Volke solche Werke zu schenken, die bei dem gegenwärtigen Zustand ihrer Sitten und Anschauungen ihm den größtmöglichen Genuß zu schaffen vermögen, während der Classicismus eine Literatur bietet, woran sich die Urgroßväter vergnügten. Racine ist zu seiner Zeit romantisch gewesen, Shakespeare ist romantisch gewesen, und zwar zunächst, weil er den Engländern von 1590 die blutigen Entscheidungen der Bürgerkriege vorgeführt hat, sodann, weil er eine Reihe meisterhafter Darstellungen der Leidenschaften und Gemüthsbewegungen gegeben hat. Es ist deshalb nicht romantisch, England oder Deutschland nachzu­ ahmen, sondern jedes Volk soll seine ureigene Literatur haben, die nach seinem ureigensten Wesen geschaffen ist, gleich wie wir alle Kleider tragen, die für uns allein gemacht sind. — Wie man sicht, ist für Beyle die Romantik ganz gleich­ bedeutend mit dem Begriff der neueren Kunst. Eigenthümlich für den eben berührten Hang der Romanen für die Classicität ist es, daß er öfter darauf zurück kommt, man müsse romantisch sein mit Hinblick auf die Ideen, das sei die Forderung deö Jahrhunderts, classisch dagegen müsse

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man im Ausdruck sein, denn die Sprache sei uns überliefert und deshalb so gut wie unveränderlich. Man müsse danach streben zu schreiben, wie Pascal, Voltaire und La Bruyvre. Die bedeutendsten Mitarbeiter des Globc bestimmen den sich vorwärts kämpfenden Romantismus mit verschiedenen Ab­ weichungen, doch im ganzen übereinstimmend unter einander und mit Bcyle. Als Hugo noch königSgestnnt, christlich und conservativ war, zeigte sich der Globe schon revolutionär, philosophisch und liberal. Der erste, der im Globe ein Pro­ gramm der Romantik aufstellte, war Thiers, der, wie cs beim Aufkommen einer neuen Literatur gewöhnlich ist, die Worte Natur und Wahrheit als Losung aufstellte. Er bekämpft in der bildenden Kunst das Akademische, Regelmäßige, fordert im Drama geschichtliche Wahrheit — ungefähr dasselbe, was man später unter Localfarbe verstand. Duvergier de Hauranne bestimmte in einem Aufsatze über das Roinantische „den Classicismus als Routine, den RomantiSmus als Freiheit, nämlich als Freiheit für die verschiedenartigsten Talente (Hugo und Beyle, Manzoni und Nodier) sich in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit zu entfalten"; während Ampere den Classicismus als Nachahmung, den Romantismus als ursprünglich bezeichnet, versucht ein Ungenannter (allem Anschein nach Sismondi) eine genauere Bestimmung, indem er bemerkt, daß das Wort Romantismus nicht gebildet ist, literarische Werke zu bezeichnen, worin sich irgend eine Gesellschaft Ausdruck giebt, sondern die Literatur, die ein treues Bild der gegen­ wärtigen Civilisation bietet. Da diese nach seiner Ueber­ zeugung wesentlich spiritualistisch ist, so ist der Romantismus als Spiritualismus in der Literatur zu bestimmen. Mit jugendlicher Gewaltsamkeit und in kühneren Ausdrücken tritt der spätere Verfasser der „Barricaden" auf. Er bestimmt den Romantismus einfach als Unabhängigkeit in der Kunst und sagt: „der Romantismus ist der Protestantismus in der Literatur und Kunst." Er denkt augenscheinlich dabei aus­ schließlich an das Losreißen von einem papstähnlichen Ansehen. Es ist weder eine literarische Lehre noch eine Parteisache, sondern das Gesetz einer nothwendigen Veränderung, des Fortschrittes: „Nach zwanzig Jahren wird das ganze Volk

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romantisch gesinnt fein; ich sage das ganze Volk, denn die Jesuiten gehören nicht zum Volk." Es ist, wie der Leser sieht, nur ein geringer Unterschied zwischen diesen Bestimmungen und Hugoö letzter: „der Romantismus ist der Liberalismus in der Literatur;" und man wird sich deshalb nicht wundern, daß der Globe die Vorrede zu „Cromwell" mit dem Ausruf begrüßte: „die Be­ wegung ist nun an Herrn Hugo gekommen." In Wirklich­ keit brachte er ihr von seinen eigenen nicht viel mehr alS den Sieg.*) Nächst Shakespeare war Scotts Einfluß, wenn auch nicht der tiefste, so doch der deutlichste. Er bahnte sich hier wie überall den Weg über die Grenze. Schon vorher hatte er in Deutschland, Italien und Dänemark Bewunderer ge­ funden, die, von lebhaftem vaterländischen Gefühle beseelt, volksthümliche wie sittliche Ideale vor Augen, den Ton seiner Romane anschlugen. Die Wavcrlcy-Rvmane begannen 1814 zu erscheinen; schon 1815 ahmt sie La Motte Fouquö in germanisch junkerhafter Richtung nach. 1825—26 erschienen Manzonis „Verlobte", 1826 beginnt Jngemann zum Besten eines kindlichen Nationalgefühls und einer nicht minder kind­ lichen königötrcuen Gesinnung seine romantisch-geschichtlichen Erzählungen heraus zu geben, worin sich Walter Scotts Geist seltsam mit Ficsoles Stil mischt. Fast unmittelbar nach ihrem Erscheinen machten die Wavcrley-Romane in Uebersetzungen in Frankreich großes Glück. Scotts Name war so beliebt, daß Bühncnvorstände im Anfang der zwanziger Jahre die Dichter aufforderten, seine Romane in Schauspiele umzu­ wandeln. Das mißglückte Drama „Emilia" des Dichters Soumet aus der Ucbergangszcit war eine solche Bearbeitung nach Walter Scott. Das junge romantische Geschlecht fühlte sich im Uebrigen hauptsächlich-won den Eigenschaften der Romane beeinflußt, die man in protestantischen Ländern nicht am höchsten geschätzt hatte ; dem malerisch beschreibenden Talent und dem mittelalterlichen Ton. Walter Scott gefiel in Frank­ reich, weil man bei ihm in reicher Auswahl Koller und Ge-

*) Vgl. Th. Ziesing: „Le Globe de 1824 ä 1830“!

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wölbe, bunte Tracht und die romantische Bauart alter Burgen fand. Seine nüchterne Lebensanschauung, seine protestantische Sittlichkeit, die ihm im Norden und in Deutschland Leser gewann, übersah oder mißbilligte man. Beylc war der erste, der Scott gewaltige Einwände entgegen hielt. Er sagt ihm trotz alles augenblicklichen Lärms um seinen Namen nur einen kurzen Ruhm voraus; denn nach seiner Ansicht bestand Scotts Begabung mehr darin, Kleider und Gesichtsformen zu schildern, als den Trägern Gefühle und Leidenschaften einzuhauchen. Die Kunst kann und soll gewiß die Natur Zug um Zug nach­ ahmen, sie ist immer schöner Schein, aber Walter Scott hat den Schein allzu weit getrieben, seine Personen scheinen sich ihrer Leidenschaften zu schämen, ihnen fehlt die Sicherheit und Kühnheit, weil sie zu wenig natürliche Züge haben. Ziemlich früh begann man auch Scott das entgegen zu halten, was Balzac später so oft wider ihn geltend gemacht hat, daß er nämlich entweder das Weib und seine Leidenschaften nicht schil­ dern konnte, oder mindestens diese Leidenschaften mit ihren Freuden und Leiden in einer Gesellschaft, die auf literarische Ehrbarkeit ein übertriebenes Gewicht legte, nicht zu schildern wagte.*) Diejenigen seiner Romane, die aus der neueren Zeit geschöpft sind, machten keinen Eindruck; man hielt sich an Jvanhoe, Quentin Durward und einige andere. WaS man bei dem fremden Dichter sehr schätzte, war, daß er die beiden früheren Formen des größeren Romans — die erzählende, deren Kapitelüberschriften ein reiner Zufall waren, worin der Erzähler den Kopf vorstreckte, und die Briefform, worin alles plötzliche und leidenschaftliche zwischen „lieber Freund" und „Ihr Ergebener" gedrängt wurde — mit dem dialogisirten dramatischen Roman vertauschte. Die größten Talente unter den jungen französischen Dichtern verrathen seine Einwirkung. Derjenige von ihnen, der in sittlicher Hinsicht England am nächsten stand, Alfred de Vigny, schrieb seinen Roman „CinqMars“, der unter Richelieu spielt, eine unterhaltende, aber

*) S. bei Beyle: „Racine und Shakespeare", 294; bei Balzac die Vorrede zu „La comcdie humaine£/ und seines andern Ichs „Daniel d'Arthez', Aeußerungen in „Les illusions perdues.“

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jetzt veraltete Arbeit, worin der Gegensatz von gut und böse alle anderen Gegensätze in Schatten stellt, und der einen auf­ fallenden Mangel an Verständniß für Richclieu'S staatsmännische Bedeutung verräth. Scott's allseitige Charakteristik fehlt durch­ aus, statt dessen ist ein lyrischer Zug bemerklich, die Verherr­ lichung jugendlich ungestümer Ritterlichkeit. Gleichzeitig mit de Vigny ließ Merimecs sich von dem großen Schotten beein­ flussen in der „Chronik aus Karls IX. Zeit", — ein Werk, dessen Geistesrichtung Scott noch ferner liegt. Merimec sucht in der Geschichte die heftigen Leidenschaften, um ihrer selbst willen auf, nur mit der Nebenabsicht, die Spießbürger durch die rücksichtslose Schilderung zu erbittern. Seine Charakter­ zeichnung ist meisterhaft scharf, die Darstellung kalt und ohne Rücksicht auf sittliches Zartgefühl. Bekanntlich hat A. Dumas in manchem leichten und unterhaltenden Roman — z. B. in „die drei Muskctire" — sich Scott's Farbcnreichthum und geschichtlichen Stil in seiner Weise angccignet. Weniger bekannt ist dagegen, daß Balzac, der Begründer des neueren französischen Romans, ganz wie de Vigny und Merimec sich durch den fremden Meister beein­ flußt fühlte; er wollte ihm folgen, ohne jedoch bloßer Nach­ ahmer zu sein. Er glaubte in der beschreibenden Darstellung, die durch die Romantik wieder zu Ehren gebracht war, recht wohl mit Scott wetteifern zu können und traute sich die Kraft zu, den Gesprächen ein ganz anderes Leben cinzuhauchen. Bei Walter Scott fand sich nur ein Frauentypus; in Frankreich konnten die Verfasser geschichtlicher Romane dagegen die ver­ dorbenen Sitten des äußerlich glänzenden Katholicismus den düsteren Gestalten des Calvinismus in dem leidenschaftlichsten Zeitraum der französischen Geschichte gegenüber stellen. So war er gegen Einförmigkeit gesichert, endlich faßte er, der überall nach Kämpfen und Aufregungen suchte, den Plan, jeden Zeitrauin von Karl dem Großen an bis zur Gegenwart in einem oder mehreren Romanen darzustellen, die eine zusammenhäng­ ende Kette bilden sollten; wie ähnlich später Freytag in seinen „Ahnen" die deutsche Vergangenheit darzustcllen suchte. Ein Glied in dieser Kette sollte der erste Roman sein, den Balzac unter eigenem Namen herauögab „les Chouans'1, der die

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Kämpfe in der Vendee während der Revolution schilderte und 1829 erschien, im selben Jahr wie der „Cinq Mars“ und „Chronique du regne de Charles IX.“ Andere Bruch­ stücke dieses großen Werkes sind die viel später hcrausgcgebenen „Sur Catherine de Medicis“ „Maitre Cornelius“, ein Roman, worin Balzac in offenen Wettstreit mit Scott, Lud­ wig XL, dem der fremde Dichter nach seiner Auffassung Un­ recht gethan hatte, eine Hauptrolle spielen läßt. Diese Bücher, die an und für sich betrachtet, zwar einen gewissen Werth haben, und lebendige, gründliche Characterstudicn enthalten, zeigen doch, daß wenn Balzac seinen Plan fest gehalten hätte, die Vergangenheit wieder in's Leben zu rufen, seine Bedeutung nur ganz untergeordneter Art gewesen wäre; man würde ihn einfach zu Scott'S Schülern gerechnet haben. Auch bei Victor Hugo erweckten die schottischen Vorbilder den Wunsch, einen großen geschichtlichen Roman zu verfassen. Er beschloß, ihm die alte Kathedrale von Paris zum Mittel­ punkt zu geben, deren Ucbertünchung ihm ein Greuel gewesen war, und für die er ebenso schwärmte wie seiner Zeit Goethe für den Straßburger Münster und Oehlenschläger für den Roeskilder Dom. Nach dem Vertrage mit einem Buchhändler sollte dieses jetzt so berühmte Werk im April 1829 vollendet sein; jedoch vermochte Hugo cs bis dahin nicht fertig zu stellen. Er bekam zuerst fünf Monate Frist, dann bis zum 1. December 1830 mit der Bedingung, daß er für jede Woche, die er mehr gebraucht, 1000 Frs. Buße bezahlen müsse. Am 27. Juli hatte er seine Vorarbeiten beendigt und begann die Ausar­ beitung, am Tage darauf brach die Revolution aus, und wäh­ rend er, um dem Kugelregen zu entgehen, in ein anderes Haus floh, ging sein Buch mit allen seinen Aufzeichnungen für den Roman verloren. Er bekam nochmals ein Vierteljahr Auf­ schub, ließ sich zu Hause auf unbestimmte Zeit verleugnen, schloß seine schwarzen Kleider fort, um nicht ausgehen zu kön­ nen, kaufte eine Flasche Tinte und arbeitete, ohne einen Besuch zu machen oder anzunchmen, bis zum 14. Januar 1831, wo die Tintcnflasche leer und der Roman vollendet war. Nur ein einziges Mal hatte er sich eine Zerstreuung gestattet, als er auöging, um die Verurtheilung der Minister Karl's X. zu

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schcn; aber um seinen Vorsatz nicht zu übertreten, trug er an dem Tage seine Bürgcrwehruniform. Schon von seiner frühesten Jugend an hatte Hugo einen tiefen Eindruck von Walter Scott bekommen. In einer Anzeige „Quentin Durward's", die er, 21 Jahre alt, schrieb, spricht er die höchste Bewunderung für seinen christlichen Sinn, sittlichen Ernst und dramatische Form aus; dennoch findet sich hierin ein Satz, worin er sozusagen den Schritt angiebt, den er die Kunst weiter zu führen gedenkt. Dieser Satz lautet: „Nach Scott'S malerischem, aber prosaischem Roman bleibt noch ein anderer zu schaffen, der nach unserer Meinung schöner und vollendeter sein wird. Das ist der Roman, der zugleich Epos und Drama ist, malerisch und Poetisch, wirklich und ideal, wahr und groß, der Scott in Homer vereinigt." Die letzten Worte, die ganz in Hugo's Weise durch Uebertreibung die Wirkung verderben, dürfen uns nicht hindern, dcö jungen Verfassers Scharfblick anzuerkenncn, womit er sieht, was er selbst noch im Roman zu leisten gedenkt. Er scheint das Ge­ fühl zu haben, daß seine Romane eher große Gedichte in Prosa, eher malerische Legenden sein würden, als Bilder nach der Wirklichkeit wie die Scott's. ,.Notre dame de Paris“, das bestimmt war, ein Bild des Pariser Lebens im fünfzehnten Jahrhundert zu geben, ist ein Erzeugniß großartiger architektonischer Phantasie. Hugo'S Vorliebe für das Ungeheure hat hier einen entsprechenden Gegen­ stand gefunden. Er beseelt diese Kirche, füllt sie mit seinem Geist, so daß sie ein lebendes Wesen wird, und man, wie man aus einem einzelnen Wirbel zuweilen eine Thierform wiederherstellen kann, von der Kirche aus das ganze längst ent­ schwundene Paris wieder vor Augen hat. Glaube und Aber­ glaube, Sitten und Künste, Gesetze und Empfindungsweise jener Zeit sind in breiten, kräftigen Zügen, nicht sehr scharf, aber mit einer Kunst, die an Zauberei grenzt, dargestellt. Die Menschengestalten sind zuweilen Grundrisse zu Charakteren in epischem Stil und in fast übernatürlicher Größe auSgeführt. Scott's ehrbares Bürgcrthum ist durch die Erzeugnisse eines farbentrunkenen Künstlergeistes ersetzt, sein frommer Sinn durch eine großartige Leidenschaftlichkeit, die beständig auf die eisen-

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harte, blinde Nothwendigkeit deutet, die in die Wand der Kirche geritzt ist, und die uns alle, die Zigeunerin wie den Priester, Schönheit und Thier, Phöbus und Quasiinodo, Jahrhundert nach Jahrhundert, unter ihrem Eiscnfußtritt erdrückt. Noch stärker als Scott wirkte Byron. Er vertrat die Heftigkeit der Leidenschaft und ihren Zusammenhang mit den Unregelmäßig­ keiten des Lebens; so in Ehilde Harold und noch mehr in Lara, der vom Finger des Schicksals gezeichnet, über seiner Schwermuth brütend, seinen Stolz und seine Qual von Land zu Land schleppt. Es war dieser Typus der Gestalten Byrons, phantastisch vergrößert durch alles, was an Mythen und Le­ genden das Leben des Dichters umgab, wodurch die Jugend entzückt wurde, die Hugo um sich gesammelt hatte. Nur wenige Kritiker wie Bcyle — im übrigen ebenfalls ein Bewun­ derer Byrons — bemerkten, daß er „als Verfasser regelmäßig tödtlich langweiliger Trauerspiele" durchaus nicht zum Haupt der Romantiker paßte. Unmittelbar nach seinem Tode hatte schon das ganze Heer der geringeren französischen Dichter sich auf die beiden Stoffe: Griechenland und Byron geworfen und hatte letzteren jahrelang mit so viel Eifer und so wenig Ver­ ständniß besungen, daß Sainte-Beuve im Globe gegen den Mißbrauch der Worte: Byron, Freiheit, Klagcgcsang u. s. w. Verwahrung einlcgen mußte. Sowohl Hugo wie Lamartine hatten auf die Kunde von Dyron's Tod ihren Gefühlen über ihn Ausdruck gegeben, jener in einem Aufsatz, dieser in einem Gedicht, beide legten damals bei der Schilderung Byrons als Dichter das Hauptgewicht auf seine Zwcifelsucht und seinen Pessimismus. Von Byron's späteren Werken scheinen sie keinen tieferen Eindruck empfangen zu haben; die frische, beißende, politisch-religiöse Satire im „Don Juan" wurde 1824 von ihnen nicht verstanden, wie von so vielen Anderen. Aber wäh­ rend Hugo vor Allem den Gegensatz zwischen Byron's Dich­ tung und der des 18. Jahrhunderts aufwecken will. — „Der Unterschied zwischen Byron's und Voltaire's Lachen ist der, daß Voltaire nicht gelitten hat" — sieht der halbgläubige Lamartine Byron noch als gefallenen Engel an. Sein „fünfter Gesang von Ehilde Harold", worin er Byron's Töne anzu­ schlagen versucht, zeigt, worin er sich dem englischen Lord ähnlich Brandes, Hauptströmungen. V.

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glaubte, nämlich in der romantisch heroischen Persönlichkeit. Er benutzt Byron's Maske, um unter ihr seinen Zweifeln und den revolutionären Sympathien Ausdruck zu geben, die nur ganz verstohlen in seinen dichterischen Meditationen durch­ scheinen, die er aber in seinem eigenen Namen aussprechen sollte. Wahrscheinlich hat außerdem der Gedanke an Byron sowohl ihn wie Hugo nach dem Morgenlandc gelockt; dieser fand Vergnügen an Dichtcrfahrten, Lamartine unternahm eine großartige Reise, wozu er sich mit fürstlicher Pracht ausrüstctc. Sowohl Lamartine wie Hugo empfingen inzwischen, wenn nicht von Byron's letzten Werken, so doch von seinen Thaten und seinem Tod noch einen tiefen politischen Eindruck. Spuren von Byrons Einwirkung finden sich nun sicher noch bei der Mehrzahl der damals auftretenden französischen Dichter, aber so bedeutend und kräftig war die Eigenthümlich­ keit dieses jungen Geschlechts, daß Byrons Zerrissenheit, die überall als verführerisches Beispiel wirkte und in so vielen Literaturen nachgeahmt wurde, von diesen Geistern abprallt. Nur in eines Dichters Ohren klangen diese Töne Byrons wie Bot­ schaft eines verwandten Geistes, und das war merkwürdiger­ weise gerade der eleganteste und am schärfsten ausgeprägte Pariser von allen, Alfred de Muffet. Die anderen waren meist außerhalb Paris geboren, Hugo und Nodier in Besantzon, George Sand in Berry. Balzac in Tours, Gautier in Tarbes, Lamennais in der Bretagne, Sainte-Bcuve in Boulogne; und diese bringen jeder ein gut Theil landschaft­ licher Eigenthümlichkeit mit sich, die sich nicht von Byrons Einfluß durchdringen läßt, obgleich derselbe, übrigens in sehr verschiedener Weise, bei George Sand und Gautier bemerklich ist. Mürimüe, der in Paris geboren war, kühlte sich allzu­ früh ab, um von Byron Eindrücke zu empfangen, anderer­ seits wurde