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German Pages 426 [434] Year 1929
GESCHICHTE DER NEULATEINISCHEN LITERATUR DEUTSCHLANDS IM SECHZEHNTEN JAHRHUNDERT VON
GEORG ELLINGER II
BERLIN U N D
LEIPZIG
WALTER DE GRUYTER 6, CO. VORMALS G. J. GOSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTXENTAG, VERLAGS. BUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J . TROBNER — VEIT & COMP.
1929
DIE NEULATEINISCHE LYRIK DEUTSCHLANDS IN DER ERSTEN HÄLFTE DES SECHZEHNTEN J A H R H U N D E R T S VON
GEORG ELLINGER
BERLIN UND
LEIPZIG
WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G. J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J . GUTTENTAG, VERLAGS. BUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TROBNER — VEIT & COMP.
1929
Alle Rechte, besonders das der Ubersetzung, vorbehalten.
P r i n t e d in G e r m a n y . D r u c k TOD E . W a g n e r S o h n in W e i m a r .
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INHALTSVERZEICHNIS.
Inhaltsverzeichnis Seite
Die neulateinische Lyrik Deutschlands im 16. Jahrhundert. Teil Erstes Kapitel:
Erster i
Der E r f u r t e r Kreis
3
Eobanus Hessus S. 3. Euricius Cordus S. 23. Petrejus Aperbacchius S. 28. Jacobus Micyllus S. 28. Joachimus Camerarius S. 44. Zweites Kapitel:
Wittenberg
58
Vorklänge
58
Einfluß des Richardus Sbrulius S. 58. Andreas Crappen S. 59. Wolf Cyclopius S. 60. Johannes Ferrarius Montanus S. 61. Thiloninus Philhymnus S. 62. Georgius Sibutus S. 63. Der ältere Wittenberger
Dichterkreis
65
Melanchthon S. 65 (vgl. auch S. 113). Georgius Sabinus S. 68. Johannes Stigel S. 75. Simon Lemnius S. 94. Melchior Acontius S. 105. Georgius Aemilius S. 110. Johannes Gigas S. 114. Johannes Sastrow S. 117. Heinrich Kranichfeld S. 118. Der jüngere W i t t e n b e r g e r Dichterkreis
120
Johannes Major S. 121. Friedrich Widebram S. 126. Hieronymus Osius S. 130. Kaspar Peucer S. 132. Bruno Seidel S. 133. Thomas Mauer S. 136. Henricus Husanns S. 137. Nicolaus Seinecker S. 146. Johannes Caselius S. 147. Drittes Kapitel: Versuch christlichen Poesie
einer
Neubelebung
der
G«org Fabricius S. 150. Adam Siber S. 157. Hermann Bonnus S. 162. Hieronymus Weiler S. 162. Andreas Ellinger S. 163. Johannes Mylius S. 163. Valentin Schreck S. 165. Johannes Gallus S. 169. Antonius Mocker S. 172. Ludwig Helmbold S. 173.
150
VI
INHALTSVERZEICHNIS.
Seite Viertes Kapitel: E i n z e l n e L a n d s c h a f t e n 179 Michael Schütz (Toxites) S. 180. Dietrich Reysmann S. 190. Caspar Brusch S. 192. Johannes Pedioneus Rhätus S. 198. Johannes Lorichius S. 203. Marcus Tatius Alpinus S. 204. Veit Amerbach S. 208. Erasmus Wolf S. 210. Johann Aurpach S. 210. Martinus Balticus S. 224. Sophonias Paminger S. 227. Balthasar Paminger S. 229. Thomas Naogeorg S. 230. Joachim Mynsinger d. Ä. S. 232. Johannes Lauterbach aus Löbau S. 238. Hieronymus Wolf S. 240. Nicolaus Cisner S. 243. Nicolaus Asclepius Barbatus S. 246. Petrus Paganus S. 248. Justus Vultejus S. 249. Johannes Spangenberg S. 254. Gregorius Bersman S. 255. Michael Barth S. 257. Christopherus Schellenberg S. 257. Johannes Clajus S. 258. Georgius Mylius S. 260. Heinrich Eccard S. 261. Elias Corvinus S. 261. Paulus Fabricius S. 264. Johannes Lange S. 265. Henricus Uranius S. 268. Gerard Rovenius S. 269. Johannes Pollius S. 269. Johannes Buschmann S. 270. Friedrich Dedekind S. 271. Matthias Berg S. 273. Henning Conradinus S. 275. Andreas Mylius S. 276. Johannes Seckerwitz S. 278. Zacharias Orth S. 283. Heinrich Moller S. 287. Fünftes Kapitel: D e r p r e u ß i s c h e S c h ü l e r - und F r e u n d e s k r e i s des S a b i n u s 290 Johannes Schosser S. 290. Andreas Münzer S. 292. Felix Fiedler S. 294. Johannes Dantiscus S. 295. Eustathius von Knobelsdorf S. 303. Alexander von Suchten S. 306. Sechstes Kapitel: D i e F r a n k f u r t e r S c h ü l e r des S a b i n u s Christopherus Stymmelius S .307- Johannes Bocer S. 309. Michael Haslob S. 320. Michael Abel S. 336. Erdmann Copernicus S. 339. Johannes Frisch S. 339. Siebentes Kapitel: P e t r u s L o t i c h i u s S e c u n d u s und dessen F r e u n d e
307
Petrus Lotichius Secundus
34° 340
V e r w a n d t e und F r e u n d e des L o t i c h i u s
395
Christian Lotichius S. 395. Adam Gelph S. 396. Carl Hügel S. 397. Johannes Altus S. 397. Matthias Stoius S. 397. Georg Marius S. 398. Hilarius Cantiuncula S. 398. Johannes Sambucus S. 406. Michael Beuther S. 407. Johannes Fabricius Montanus S. 408. Wandel der Lyrik S. 411.
EOBAN
Erstes
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HESSE.
Kapitel.
Der Erfurter Kreis. Die Anfänge der (im engeren Sinne) neulateinischen Lyrik hängen auf das engste mit der humanistischen Kunstübung zusammen. Auch in diesem Falle vollzieht sich der Übergang allmählich. Denn der Kreis, innerhalb dessen die Merkmale der nachhumanistischen Gelehrtenpoesie zum erstenmal unverkennbar ins Lebens treten, bildet zugleich einen der wichtigsten Mittelpunkte der humanistischen Blütezeit. Es handelt sich um jene Gemeinschaft von Humanisten, die sich am Anfang des 16. Jahrhunderts an der Universität Erfurt zusammenfanden. Als ihr Haupt, ihren geistigen Führer verehrten sie den Kanonikus Conradus Mutianus Rufus (Konrad Muth) in Gotha, und dieser selbst versäumte keine Gelegenheit, um seine Jünger in der Liebe zu den „guten Wissenschaften", im H a ß gegen die scholastischen Feinde des Humanismus zu stärken und sie seelisch wie wissenschaftlich zu fördern. Innerhalb dieser Lebensluft ist die neulatcinische Lyrik entstanden, und schon in dem E r furter Kreise läßt sich deutlich erkennen, wie die jetzt einsetzende Gelehrtenpoesie sich von der rein humanistischen loslöst. Auch Mutian selbst hat sich als lyrischer Poet versucht, ohne nennenswerte Leistungen zu erzielen; das Gleiche trifft auf manche andere große Humanisten zu, z. B. auf Reuchlin. Die Rolle, die Mutian als geistiger Führer des Erfurter Kreises spielte, fiel in allen poetischen Angelegenheiten dem „Dichterkönig" Eoban Hesse zu. Eoban Koch, gen. Helius Eobanus Hessus, stammte aus altem Bauerngeschlecht und wurde 1488 zu Halgehausen bei Frankenberg in Hessen geboren. Er studierte seit 1504 in Erfurt, übernahm die Stiftsschule zu St. Severi und lehrte zugleich Poetik an der Universität. 1509 versuchte er es, da ihm in Erfurt nichts glücken wollte, mit dem Hofdienst bei 1»
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DER
ERFURTER
KREIS.
dem Bischof Hiob von Dobeneck zu Riesenburg in Ostpreußen, besuchte dann im Auftrage des Bischofs die Universität Frankfurt, um hier seine Vorbildung zum Redner und Gesandten zu vollenden. Aber unaufhaltsam zog es ihn zur Poesie zurück, und so erschien er nach kurzem Leipziger Aufenthalt 1514 wieder in Erfurt, wo seine eigentliche Glanzzeit als Dichterkönig begann. Aber die äußeren Verhältnisse entsprachen diesem Glänze keineswegs; die Professur der Poetik und Rhetorik konnte ihn nicht über Wasser halten, und der Verfall der Universität nötigte ihn, zur Medizin überzugehen. Doch bot sich ihm 1526 ein Zufluchtsort in Nürnberg, wohin ihn der Rat an das neugegründete Ägidiengymnasium berufen hatte und wo er mit dem befreundeten Camerarius zusammenwirkte. Trotzdem kehrte er 1533 wieder in sein geliebtes Erfurt zurück, ohne an der herabgekommenen Universität eine ersprießliche Wirksamkeit entfalten zu können. Er folgte daher gern einem Ruf in sein Heimatland: 1536 ging er als Professor nach Marburg; hier ist er schon 1540 gestorben. — Leben und Dichten sind bei Eoban nicht voneinander zu trennen; das Wesen des Poeten spiegelt sich deutlich in seinen Werken. Ein liebenswürdiger, leichtlebiger, trinkfester Geselle, der auch in unausgesetzten Widerwärtigkeiten, in Not und Sorgen den Frohmut schnell wiederfand; voll lebhaften, empfänglichen Geistes, daher er die Eindrücke leicht in sich aufnahm, ohne daß sie allzutief gegangen wären — von dieser Beschaffenheit des Gemütes legen auch seine Dichtungen Zeugnis ab. Unter ihnen fallen zunächst die beiden großen Leistungen seiner Frühzeit ins Auge, das 1509 in Erfurt entstandene, elf Eklogen enthaltende „Hirtengedicht" (Bucolicon) und die „christlichen Heroiden", empfangen und zum größten Teil ausgeführt zu Riesenburg, vollendet während der Studienzeit in Frankfurt. Auf seine Eklogen — er selbst nannte sie Idyllen — blickte Eoban mit Stolz; er rühmte sich, die Gattung in Deutschland eingeführt zu haben. Mit diesem Anspruch hatte er recht und unrecht. Unrecht insofern, als schon vor ihm Eklogen verfaßt worden sind (z. B. von Bebel u. a., Halbband i , S. 438 ff.) Mit Recht konnte er dagegen von sich sagen, daß er zuerst die zyklische Eklogenform, wie sie von Petrarca, Baptista Mantuanus und vielen anderen gehandhabt worden war, nach Deutschland übertragen habe. Als Begründer des Zusammenschlusses einzelner Idyllen zu einem großen Ganzen hat er vorbildlich gewirkt, und die
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HESSE.
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Zahl der Nachfolger rechtfertigt es, daß auf den Wegzeiger genauer eingegangen wird. In einigen dieser Eklogen ist neben dem Einfluß Virgils der des Baptista Mantuanus unverkennbar, bei anderen zeigt sich Eoban selbständig. Stärker noch als bei dem italienischen Vorgänger wiegt bei dem deutschen das allegorische Element vor. Nur verhältnismäßig selten sucht der Verfasser den Inhalt mit dem gewählten Kostüm in vollen Einklang zu bringen. Und wo er einen solchen Versuch macht, ist er meist nicht glücklich. In der neunten Ekloge streiten zwei Hirten um den Vorzug ihrer Tiere, ohne daß es Eoban gelänge, dem dürftigen Vorwurf anziehende Seiten abzugewinnen. Etwas mehr versteht der Poet zu fesseln, wenn die Liebe ins Spiel kommt. So entrollt er in dem siebenten Idyll ein ganz lebendiges Bild. Der Hirt Narcissus, wie sein klassisches Urbild stolz auf seine Schönheit, stellt sich spröde gegen die ihn liebende und von ihm geliebte Philantis. Er will so ihre Glut steigern, bewirkt aber durch sein Verhalten, daß sich das Mädchen einem anderen zuwendet. Und nun bricht seine Leidenschaft mit verdoppelter Gewalt hervor und treibt ihn zur Verzweiflung. Wenn Narcissus diese traurige Geschichte zwei Hirten erzählt, einem, der unter dem gleichen Joche seufzt wie er, und einem anderen, der das Gehörte mit moralisierenden Bemerkungen begleitet, so gelingt es ihm, den Vorgang ganz lebensvoll auszugestalten. Klagen wie in dieser Ekloge lassen sich auch sonst vernehmen (Nr. 3, wo ganz hübsch Liebcsleid und Natur zusammenklingen). Die zehnte Ekloge bringt die geistige Verwirrung des von unerwiderter Liebe geplagten Hirten im Wortlaut nicht übel zum Ausdruck; ein anderer, verständiger Hirt, sucht ihm seine Leidenschaft durch den Hinweis auszureden, daß der Zauber der Schönheit keinen Bestand hat, „gleich der Rose, die am Morgen in roter Farbe prangt, aber am Abend bei der Berührung abfällt; so schnell wie die Wasserblase vergeht, schwindet die Blüte der Jugendfülle". Zuweilen gehen Ansätze zur Erfassung des wirklichen Lebens mit allegorischen Bestandteilen Hand in Hand. So fragt der Hirt Phileremus (Ekl. 5) den Hirten Argus, weshalb er noch immer die unfruchtbaren und gefahrvollen Fluren bewohne; Phileremus stimmt der Charakteristik des Wohnortes zu; er berichtet, wie er beim Melken um ein Haar von einer Schlange gebissen worden sei und entsetzt die Milch verschüttet habe. Allegorisch
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werden durch diese Einzelheiten die unglücklichen Universitätsverhältnisse Erfurts sowie die Anfeindungen nahegebracht, denen der Dichter dort ausgesetzt war. Diese Art der Darstellung setzt sich dann noch fort. Argus erzählt, wie er am Hörselberg durch die bösen Geister erschreckt worden ist; solche Unholde, meint Phileremus, könne man auch in der Stadt finden, wo sie sich überall herumtrieben, alles ausspähten und begeiferten. Es ist Eoban selbst, der hier unter dem Hirtennamen Argus dem Freunde Herbord v. d. Marthen gegenüber seinem gepreßten Herzen Luft macht. Immerhin wird in dieser Ekloge auch durch eine Reihe anderer realistischer Züge für die Aufrechterhaltung des Kostüms Sorge getragen. Sehr oft ist dies aber keineswegs der Fall. Unbekümmert läßt der Dichter das pastorale Kleid fallen, und nur die gewählten Namen erinnern noch daran, daß man es mit einer Hirtendichtung zu tun hat. Teils wird der Leser auf diese Weise mit dem Gang der Studien Eobans bekannt gemacht, teils wird er unmittelbar in den Kreis der Erfurter Humanisten hineingeführt. Wir vernehmen, wie Eoban veranlaßt wird, die heimischen Gefilde mit Erfurt zu vertauschen. Und daß die unglücklichen Verhältnisse Erfurts, die dem Poeten später das Leben verbitterten, ebenfalls unter leichter Verhüllung nahegebracht werden, ist schon erwähnt worden. Aber noch weit mehr als auf diese rein persönlichen Verhältnisse lenkt der Dichter das Auge auf die Ideale des Humanistenkreises, der sich unter der geistigen Oberhoheit Mutians zusammengefunden hatte. Da wird z. B. der Hirt Philetas (Spalatin) zum Verkünder des durch Mutian entzündeten Eifers gemacht: in Georgenthal stimmt er ein begeistertes Loblied auf die Musen an und weiht sich ihrem Dienste: „O wenn mir jemand", ruft er den Musen zu, „geflügelte Schwingen anlegte, mit raschem Gefieder würde ich oft zu euch vordringen!" Wie den Eifer der Genossen für die Poesie und die Klassiker, so hält der Dichter auch ihr Verhältnis zu dem Oberhaupt, zu Mutian, fest. Daß der große Anreger jede Leistung seiner jungen Freunde mit innigem Wohlgefallen begrüßte und für ihre Erhaltung Sorge trug, wird versinnbildlicht: Mutian gräbt dien von ihm belauschten Lobgesang Spalatins auf die Musen in die Baumrinde ein. Wenn Mutian oft seinen Jüngern Aufgaben stellte und die angefertigten Arbeiten dann beurteilte, so findet auch dies seinen Widerhall. Denn in der vierten Ekloge stimmen Tityrus (Justus Jonas) und
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Battus (Peter Eberbach) einen Wettgesang an, indem der eine die Allmacht Gottes, der andere die Jungfrau Maria erhebt; und zum Preisrichter erwählen sie den Thrasybulus (Mutian), der sich allerdings angesichts der gleich vortrefflichen Leistungen der Entscheidung begibt. Auch die Tatsache, daß Mutian trotz seiner ausgebreiteten und eindringenden Gelehrsamkeit nicht zu schriftstellerischer Arbeit zu bewegen war, sondern im Genuß der klassischen Geisteswerke und in persönlicher Einwirkung volles Genügen fand, bleibt nicht unberücksichtigt: in der achten Ekloge wird Mutian zwar mit dem höchsten Lobe bedacht, aber doch aufgefordert, seine „glückselige Ruhe" (beata tranquillitas) aufzugeben und sich zu eifriger Tätigkeit der Dichtergemeinschaft anzuschließen. Daß die Hingabe an die höchsten Güter bei dem Dichterkreise auch mit starkem Selbstgefühl und stachliger Abwehr verbunden war, lehrt das zehnte Idyll. Da wird der italienische Poet Richard Sbrulius, der sich damals auch in Erfurt sehen ließ, nicht bloß wegen seines anmaßenden Wesens gegeißelt, sondern zugleich so in die Enge getrieben, daß er die Überlegenheit der Dichter des barbarischen Landes anerkennen muß und es vorzieht, seine Herden wieder nach Italien zurückzutreiben (vgl. Halbband x, S. 352). Im ganzen läßt sich sagen, daß Eoban in der Hirtendichtung zwar Ansätze zum Idyll gegeben hat, aber auch nur Ansätze. Die Ausbildung einer idyllischen Poesie blieb anderen vorbehalten; sie zuerst wirklich ins Leben gerufen zu haben, ist nach dem Vorgange des Euricius Cordus das Verdienst von Eobans Freund Camerarius. Eoban selbst aber nahm es hier wie auch später mit der Sache nicht allzugenau; daher die geringe Neigung, den klaffenden Spalt zwischen Inhalt und Form wenigstens einigermaßen zu verhüllen. So wird der Hauptwert dieser Dichtungen darin zu suchen sein, daß sie ein poetisch verklärtes Abbild des „Mutianischen Ordens" und seines geistigen Strebens gewähren, wenn auch eine wichtige Seite, Mutians freie religiöse Denkart, nicht berührt wird. Im einzelnen begegnen manche ansprechende Züge. Mit unverkennbarer Gewandtheit meistert Eoban die Sprache; und spannt er auch die rhetorischen Hilfsmittel gelegentlich allzustark an, so weiß er nichtsdestoweniger mit ihnen kräftig zu wirken; es bleibt nicht ohne Eindruck, wenn z. B. in dem Wettgesang der vierten Ekloge der eine Hirt das Lob der Himmelskönigin in ruhiger Darlegung verkündigt, während der an-
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dere die Größe Gottes in der Natur durch Fragen nahebringt, ähnlich den rationalistischen Fragesätzen Gellerts: „Wer trägt der Himmel unzählbare Sterne? Wer führt die Sonn' aus ihrem Z e l t ? " „Quis movet hatte molem? tantum quis temperat orbem? Quis rutilum fissis iaculaiur nubibus ignem?" worauf sich dann regelmäßig ein, entsprechend den Fragen, leicht veränderter Vers sowie ein Schlußrefrain anschließt: „Uitus ab aeterno mundi ratione creator. Gratia, Pierides, vobis sit graiia, Musae." — Fünf Jahre nach den Idyllen erschien die zweite und letzte großangelegte Dichtung Eobans, seine „christlichen Heroiden" (1514). Welche vorbildliche Rolle der Heroide Ovids in der neulateinischen Dichtung Italiens zugefallen war, ist erzählt worden. Die Italiener hatten die Heroide zu regelrechtem Briefwechsel ausgebaut und die Form auch an mythologischen und geschichtlichen Gegenständen erprobt (Halbband 1, S. 77 ff., S. 162). Wichtig für die Erweiterung der einkleidenden Bestandteile war namentlich Porcellius gewesen; er hatte die Handlung der schon von Basinius zum Briefroman erweiterten Heroide in den Olymp versetzt und die unsterblichen Götter sowohl untereinander wie mit einem bevorzugten Erdenkinde Schreiben austauschen lassen. Nichts lag da näher, als daß man versuchte, an die Stelle des heidnischen den christlichen Olymp zu setzen und die Heroide der christlichen Heilsgeschichte dienstbar zu machen. Wenn Eoban diesen Schritt tat, so scheint er doch nicht unter dem unmittelbaren Einfluß seiner italienischen Vorgänger gestanden zu haben. Denn die Heroiden des Porcellius sind mit denen des Basinius zusammen erst 1539 gedruckt worden; und für die nicht unmögliche Tatsache, daß die Werke handschriftlich den Weg nach Deutschland gefunden haben, liegt kein sicherer Beweis vor. Irgendwelche unmittelbare Abhängigkeit Eobans von seinen italienischen Vorgängern läßt sich also nicht feststellen; wohl aber können Nachrichten über die Verwendung der Heroide durch Porcellius über die Alpen gedrungen sein und auch Eoban berührt haben. Wie bei Porcellius Jupiter, so eröffnet in Hessus'Werk Gottvater die Reihe mit einem Briefe, in dem er Maria seine Absicht, die Menschheit zu erlösen, und ihre Begnadung mitteilt; sie antwortet erschreckt, demütig-, hingebend. Dann schreibt Maria
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Magdalena an den auferstandenen Christus, die Jungfrau Maria an den auf Patmos weilenden Jünger Johannes, Elisabeth, die Mutter des Täufers, die vor dem Kindesmord geflohen ist, an ihren zurückgebliebenen Mann Zacharias. Die Schreiberinnen der übrigen Briefe entstammen der Legende, teils aus den Anfängen des Christentums, teils aus späterer Zeit; neben den Büßerinnen und Märtyrerinnen der ersten christlichen Jahrhunderte erscheinen auch geschichtliche Gestalten, wie Monica, die Mutter Augustins, die h. Helena, die h. Kunigunde und Elisabeth von Thüringen. — Wie bei Ovid liegen also fast ausschließlich Frauenbriefe vor, nur am Anfang macht, wie erwähnt, Eoban eine Ausnahme. In der Technik folgt er durchaus dem von Ovid gegebenen Beispiele. Der Brief wird aus einer bestimmten Lage heraus geschrieben, aber dazu benutzt, um Vergangenes zu berichten und alle Verhältnisse aufzurollen, die für die Schreiberin und die mit ihr verbundenen Personen von Wichtigkeit sind. So hält das Schreiben der Jungfrau Maria an den Jünger Johannes nicht bloß ihr Verhältnis zu diesem fest, sondern es schildert auch das Leben und namentlich das Leiden des Herrn; Maria Magdalena erzählt von der Auferstehung Jesu, Elisabeth von der Geburt und Benennung Johannes des Täufers. Und in derselben Weise verfährt der Dichter bei den legendarischen Gestalten: die für das Christentum gewonnenen Heiligen rekapitulieren die Geschichte ihrer Bekehrung. Daß eine solche Form viele Widerstände bot, versteht sich von selbst, und nicht überall ist Eoban ihrer Herr geworden. Aber in der Hauptsache hat er doch mit Geschick die im Stoff liegenden Schwierigkeiten überwunden. Die schöne Legende von Dorothea und Theophilus ist namentlich durch Gottfried Kellers Umdichtung allgemein bekannt geworden. Der heidnische Schreiber Theophilus bittet höhnisch die zur Hinrichtung geführte Dorothea, ihm Äpfel aus dem Garten ihres Bräutigams zu schicken. Bei Eoban werden kurz nach dieser Aufforderung der Heiligen durch einen Knaben als Jesu Geschenk die Äpfel übersandt, die sie nun ihrerseits mit einem Briefe an den Spötter weiterbefördert, dessen Bekehrung und Märtyrertum voraussagend. Die Unwahrscheinlichkeit der Tatsache, daß die Heilige noch unmittelbar vor der Hinrichtung die Möglichkeit zum Briefschreiben gehabt haben soll, war dem Dichter offenbar selbst anstößig, und er hilft sich nicht übel mit folgenden Worten aus der Klemme:
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DER
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KREIS.
„Ipsa -perurentis consedi in frigore saxi, Pallida iam virgis, frigore, fuste, metu, Multa minans lictor virgas vibrabat et ensem, Scribere tunc quidquam me potuisse putas? Applicui tarnen et digitos in verba coSgi, Ut glacies gelidae diriguere manus, Affläbam calido torpentia membra vapore, Vivus adhuc nostri spiritus oris erat." Notwendigerweise mußte sich infolge des Zwanges der gewählten Form viel Erquältes einstellen; dazu kommt, daß in den späteren Briefen trotz der wechselnden Persönlichkeiten das Gleichförmige des Vorwurfs zu stark heraustritt. Aber im einzelnen gelangt Eoban zu glücklichen Wirkungen. Wie eine Art Minnesang nehmen sich die Liebesgeständnisse der Maria Magdalena aus; der Mutterschmerz der Jungfrau Maria kommt ergreifend zum Ausdruck, wenn sie erzählt, wie sie durch ein Fenster die Verhöhnung und Mißhandlung des Herrn habe mitansehen müssen. Und wie anschaulich vergegenwärtigt sich die sehnsüchtig des im Morgenlande weilenden Gemahls gedenkende h. Elisabeth die Stunde des Abschieds! Diese und verwandte Bilder sind dazu angetan, die im Verlaufe des Werkes sinkende Teilnahme wieder zu beleben. Inwieweit für die Gesamtanlage der Heroiden der italienische Einfluß maßgebend war, ließ sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Unzweifelhaft ist aber das Vorbild der Italiener in der Schlußelegie wirksam. Denn hier greift Eoban zur allegorischen Heroide, die in Italien durch eine lange Überlieferung vorbereitet war. Er schreibt an die Nachwelt, wirbt um ihre Gunst und sucht in allerlei Schnörkeln ihr Wesen zu bestimmen. Zugleich aber verbindet er mit der allegorischen Heroide den ebenfalls aus der italienischen Lyrik stammenden poetischen Lebensabriß: anmutend legt er den bisherigen Daseinsverlauf dar, über den geistigen die körperlichen Vorzüge nicht vergessend, insbesondere aber bei seinem höchsten Lebensziel verweilend, bei der ausschließlichen Hingabe an die Poesie. Sachlich gehört in die unmittelbare Nähe der Heroiden Eobans geistliche Dichtung: „Der Sieg Christi in der Unterwelt" (Victoria Christi ab inferis 1517). Sie schildert in Hexametern effektvoll den vergeblichen Widerstand der Höllengeister gegen Christus, den Jubel der auf Befreiung hoffenden Väter, als deren Sprecher
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HESSE.
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David erscheint, sowie die endgültige Erlösung. Trotzdem es sich um ein kleines Epos handelt, muß das Werk hier einbezogen werden, denn die Handlung entspricht dem, was sonst als „Triumph Christi" bezeichnet wird — eine Mischgattung, die nach dem Vorbilde des Italieners Macarius Mucius durch den „Triumphus Christianus" des Matthias Funck in Deutschland eingeführt worden war. Eoban arbeitet ungleich kräftiger als Funck die im Stoffe liegenden dankbaren Motive heraus und übertrifft in dieser Beziehung auch seine zahlreichen Nachfolger (z. B. Joh. Spangenberg, den unbedeutenden Clemens Schubert [1553] und andere). Wie in den „Heroiden" soll die antike Götterwelt dem Christentum gegenüber herabgesetzt werden, wobei es allerdings nicht ohne unfreiwillige Komik abgeht, so wenn es im Gegensatz zu dem von einer reinen Jungfrau geborenen (und gesäugten) Christus heißt: „Nun wohlan, schäme dich, Jupiter, des kretischen Idas und stelle dich nur so an, als ob du nichts mehr von den Eutern der Amalthea-Ziege wüßtest I Der, durch welchen der rechte Glaube der irrenden Welt zurückgegeben ist, hat allen solchen Fabeln den Glauben entzogen." Dabei ist es aber belustigend zu sehen, wie trotz dieser Verwerfung der antiken Mythologie das antike Bild der Unterwelt ruhig fortbesteht. Infolge der flotten, energischen Darstellung wickelt sich die Handlung munter ab. — Näher als dieses kleine Epos schließt sich der Zeit nach eine andere poetische Betrachtung den „Heroiden" an, Eobans umfangreiche Elegie: „Der wahre Adel", die einen Grundgedanken der humanistischen Blütezeit zum Ausdruck bringt. Sie ist in der ersten Hälfte des Jahres 1515 entstanden. Gleich seinem Freunde Euricius Cordus tritt Eoban hier für die unbedingte Gleichheit aller Menschen ein; nur den Unterschied der menschlichen E i g e n s c h a f t e n will er gelten lassen, und wenn er von diesem Standpunkt aus den hohen und niederen Adel seiner Zeit mustert, so schneidet dieser schlecht ab, obgleich Ausnahmen zugestanden werden. Der entarteten Gegenwart hält der Dichter die bessere Vergangenheit, insbesondere ein stark idealisiertes Bild der deutschen Vorzeit gegenüber, um schließlich Tugend und Wissenschaft für das einzige Kennzeichen des wahren Adels zu erklären. Nach dem Abschlüsse der „Heroiden" hat Eoban, wie erwähnt, sich nicht mehr an eine lyrische Schöpfung größeren Stils gewagt. Vielleicht weil er die Grenzen seines Talentes erkannte. Denn für
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ihn war der Impuls des Augenblicks maßgebend. Bei der Ausführung ließ er sich gehen und verlor leicht die vorgezeichnete Linie aus den Augen. Diese Sorglosigkeit des Schaffens führte auch in seinen besten Arbeiten zu Abschweifungen und Wiederholungen. Solche Flecken hätten sich tilgen lassen, wenn es Eoban gegeben gewesen wäre, den glücklichen Wurf durch nachträgliche Sorgfalt zu glätten. Daran aber fehlte es. „Er sprach und schrieb, was ihm gerade in den Mund kam", sagt Eobans Freund und erster Biograph, Joachim Camerarius, „ängstliches Feilen war seine Sache nicht". Diese Anlage seiner Natur wies ihm als eigentliches Feld seiner Betätigung die Gelegenheitsdichtung an, und auf diesem Gebiete hat Eoban die Folgezeit am nachhaltigsten beeinflußt. Zum Teil handelt es sich dabei um die niederen Formen dieser Gattimg. Die Gedichte zu Hochzeiten, Begräbnissen und ähnlichen Gelegenheiten treten vereinzelt nach dem Muster des ausgehenden Altertums und der Italiener bereits in der humanistischen Dichtung auf. Aber erst Eoban hat, die vorhandenen Ansätze in häufigem Gebrauch ausbildend, e i n e m Zweige dieser poetischen Abart die Gestalt gegeben, die für neulateinische Dichtung vorbildlich geworden ist. Das geschah in seinen Trauergesängen („Epicedien"). Diesen Epicedien gerecht zu werden, ist nicht leicht. Man sollte meinen, daß es Eoban nicht hätte schwer fallen können, dem dankbaren Stoffgebiet immer neue Seiten abzugewinnen. Denn eine reiche Galerie bedeutender Persönlichkeiten tut sich auf, nach den verschiedensten Seiten hin hätte es sich hier als möglich erwiesen, staatliches und städtisches Leben, Wissenschaft und Kunst des Zeitalters in ihren hervorragendsten Vertretern zu erfassen. Reuchlin, Hutten, Friedrich der Weise, Mutian, Albrecht Dürer, der Kanzler Gattinara, Karls V. Berater, die Nürnberger Patrizier Nützel und Ebner, Willibald Pirkheimer, schließlich Erasmus von Rotterdam — alle, die Nürnberger Patrizier eingeschlossen, — welthistorische Persönlichkeiten, daneben gelegentlich auch ein mehr freundschaftliches Klagelied auf den von Luther und Melanchthon geliebten W. Nesen, dem ein früher, durch Unglücksfall verursachter Tod eine gewichtige Laufbahn abgeschnitten hatte. Allein die Erwartungen, mit denen man an diese Gedichte herantritt, werden nur zum Teil erfüllt. Der bewegliche Poet, bei dem die Gedanken rasch wechselten, hat offenbar auch hier vielfach die Sache auf die leichte Achsel ge-
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nommen. Es soll nicht bestritten werden, daß er den zu besingenden schmerzlichen Fall wirklich empfunden hat, aber gerade seine Schnellfertigkeit war die Ursache, daß er jedem Einfall nachgab und dadurch den Gesamteindruck schädigte. Das gilt insbesondere von den klassischen Anspielungen. Eoban nahm das sich ihm gerade Bietende, ohne danach zu fragen, ob es recht paßte oder nicht. So kam es zu argen Geschmacklosigkeiten. Ein Beispiel. In dem Trauerliede auf Caspar Nützel will Eoban den Schmerz Nürnbergs um den Geschiedenen dartun. Er sagt: „Rom hat mit bitteren Tränen den verbannten Cicero beweint („Sed raptum exilio, non tarnen exitio"), aber Cicero wurde durch die Bemühungen des Pompejus und anderer zurückgerufen. So beseufzt Nürnberg den ihm entrissenen Nützel, den niemand wieder zurückzubringen vermag. Wenn dieser Gute aus dem Exil zurückgerufen werden könnte, so würde kein Zwischenraum zu groß sein; wir würden über das Land der Garamanten hinaus in die ausgedörrten Sonnengefilde, wir würden nach dem Skythenland über den Tanais hinaus wandern, wo das Wasser der Thetis in ewiger Kälte erstarrt ist. Aber weder von den westlichen noch von den östlichen Tälern können wir ihn zu uns zurückbringen." Das Geschick, mit dem der hergeholte Vergleich durchgeführt wird, mag man anerkennen; auch vernimmt man gleich darauf einen poetischen Klang: „Aber zwischen ihm und uns hat der Tod eherne Schwellen aufgerichtet". Allein trotzdem streift das Ganze doch das Gebiet der unfreiwilligen Komik. Ähnlich verhält es sich mit verwandten Hinweisen auf klassische Beispiele, die in anderen Gedichten auftauchen. Allein es sind nicht bloß derartige Auswüchse, die den heutigen Leser abstoßen. Das Ganze macht vielmehr häufig den Eindruck des Gekünstelten, dazu kommt, daß alles einzelne zwar richtig ist, daß sich aber die Einzeltatsachen nicht zu einem Gesamtbilde zusammenschließen. Immerhin mag es sein, daß Hessus bei manchen Epicedien die Stimmung gefehlt hat. Das gilt insbesondere von dem Klagegesang auf Erasmus, der sicher nicht der inneren Nötigung seinen Ursprung verdankt, weil Eoban schon Jahre lang vor dem Tode des Erasmus diesem innerlich und äußerlich entfremdet war. Aber auch da, wo der Todesfall ihn wirklich tief ergriffen hatte, wie bei Mutian, vermag er nicht das schlichte Wort zu finden, es bleibt bei leeren Phrasen. Wirkliche Herzenstöne vernimmt man nur in den Epicedien
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auf H u t t e n (Entstehungszeit etwa um 1525, also beträchtliche Zeit nach Huttens Tode) und auf Albrecht Dürer (1528). A u c h das Trauergedicht auf Pirkheimer vermag doch wenigstens einigermaßen dem großen Gegenstande gerecht zu werden, wenn es ihn auch nicht erschöpft. In dem Nachruf auf Dürer berührt es angenehm, d a ß der Dichter sich streng an das Sachliche h ä l t ; er versucht, alle Seiten der künstlerischen und wissenschaftlichen T ä t i g k e i t des Besungenen zu berücksichtigen, und Eoban h a t diese A u f g a b e so g u t gelöst, wie es bei der ästhetischen Unreife des Zeitalters erwartet werden konnte. Noch mehr als in dem Trauerlied selbst versteht Eoban in dem angeführten „ T r a u m " , zu ergreifen; hier erzählt er unter Beteuerung der Wahrheit des Vorganges, d a ß ihm Dürer im Schlafe erschienen sei und ihn aufgefordert habe, ihm einen Trauergesang zu widmen. E s klingt doch eine persönliche Wärme hindurch, wenn der Dichter, tief erschüttert durch den Anblick der bleichen Todesgestalt, nur mühsam die Worte hervorbringen k a n n : „0 decus aetatis Dureri et gloria nostrae, Quod petis, e nostro carmine iuris kabes. Spante dainrus eratn, si non eiiam ipse petisses, Tarn tibi perpetuo haec constat, amice, fides." Noch mehr am Platze als in diesem Falle w a r Eoban da, wo es galt Huttens Andenken zu feiern. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, d a ß Eoban hier schon in der Wahl der Form ein feines Gefühl bezeugt: er wählte zur Einkleidung den von Hutten so gern und mit solcher Meisterschaft geübten Dialog. Dies hatte zunächst den großen Vorteil, daß auf die von der üblichen Anlage des Epicediums untrennbaren Phrasen verzichtet werden konnte; es bot aber ferner die Möglichkeit einer eindringlichen Charakteristik. Im Gespräch hält der Tod Hutten vor, d a ß er, der ihn immer verachtet, sich nun seiner Macht beugen müsse. Allein Hutten gesteht ihm den Sieg nicht z u : den Körper m a g er bezwingen, über den Geist hat er keine Gewalt, der wird unsterblich fortleben. Antithetisch wird dieser Gedanke durchgeführt, indem meist jedem der Sprechenden ein Distichon in den Mund gelegt wird, so d a ß Rede und Gegenrede scharf aufeinanderprallen und nur ausnahmsweise Hutten ein wenig längere Berichte über sein Leben erstattet. Das Ganze ist geschickt angelegt und k r a f t v o l l durchgeführt, allerdings vermag E o b a n sich nicht immer
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auf der gleichen Höhe zu erhalten; dazu stören einige Wendungen, die der Größe des Gegenstandes nicht entsprechen. Auch das Epicedium auf Pirkheimer hat schon durch die Anlage etwas vor den meisten anderen gleichartigen Dichtungen voraus. Daß Eoban in diesen Trauergesängen nur ausnahmsweise ein Gedicht geschaffen, das Dauer für sich in Anspruch nehmen kann, ist aus der Unfruchtbarkeit der Gattung zu erklären, die er in größerem Umfange zuerst der neulateinischen Literatur Deutschlands vermittelt hat. Allein seine Lyrik bietet keineswegs nur Gelegenheitsdichtung niederer Art. Sie hat vielmehr das Meiste einbezogen, was den Poeten an Freude und Leid berührte, insbesondere das feuchtfröhliche Verhältnis zu den Freunden und seine Teilnahme an der großen geistig-religiösen Bewegung der Zeit. Namentlich da, wo er die Empfindungen verkörpert, die die mächtigen Geschehnisse des Jahrzehntes von 1520—30 in seiner Seele wachriefen, wächst der harmlose Poet über sich hinaus; wie er vordem, nicht ohne Gespreiztheit, in seinen „Idyllen" die glückliche Zeit festgehalten hatte, da der Humanismus noch allein das Feld behauptete, so vergegenwärtigt er jetzt in seinen Zeitgedichten, die zugleich Gelegenheitsgedichte sind, ganz unabsichtlich, wie die Reformation, zuerst von den Humanisten freudig begrüßt, in diese stille Welt hineingreift und mit einem Schlage das ganze Bild verändert. Der Begeisterung des Humanismus und daher auch des Erfurter Kreises für Luther hat Eoban die entscheidenden Worte geliehen. Auf seiner Reise nach Worms weilte Luther drei Tage in Erfurt, und dieser Aufenthalt wurde der äußere Anlaß für Eoban, das Seinige zur Verherrlichung des Reformators beizutragen. In vier Elegieen „zum Lob und zur Verteidigung des evangelischen Doktors Martin Luther" und drei weiteren mit diesen unmittelbar zusammenhängenden elegischen Dichtungen greift er die wichtigsten Augenblicke aus der Zeit vor und nach dem Wormser Reichstag heraus, die fiebernde Anteilnahme des deutschen Volkes, die drängende Erwartung großer nationaler Taten in der Dichtung widerspiegelnd. Die erste Elegie preist Luthers Werk und läßt ihn durch den Flußgott Hieras (Gera) begrüßen; die zweite schildert seinen Einzug in Erfurt, die dritte hält den Eindruck seiner Predigt in der Augustinerkirche fest; die vierte entläßt den Weiterziehenden mit herzlichen Wünschen und Malm-
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Worten sowie unter dem Hinweis auf die Teilnahme des gesamten Deutschlands: „Magna piis pro te Germania stdbit in arrnis, Quid dubitas orbem, quo cadat illa, trahi?" Eine etwas spätere Zeit vergegenwärtigt das nächste Gedicht. Die Entscheidung in Worms ist gefallen. Da schreibt Eoban an das tapfere Mitglied des Erfurter Kreises Justus Jonas, der Luther begleitet hatte. Von ihm wünscht er Näheres über den Aufenthalt in Worms, über die Art der Verhandlungen, über die Umtriebe der Gegner zu erfahren, und er benutzt die Gelegenheit, um seinem tiefen Unwillen über das Verhalten der Fürsten und der Römlinge Luft zu machen. Aber er hofft auf die Führer des nationalen Kampfes, die Häupter der Ritterpartei Hutten und Sickingen. Und so wendet er sich denn mit einem gewaltigen Mahnruf an Hutten (Halbband I, S. 479). Er treibt ihn an, statt der Feder jetzt das Schwert zu ergreifen und wider den Feind zu ziehen, der, schlimmer als die Türken, erst v o r den Türken bezwungen werden müsse. Mit dieser, auch im Ausdruck der mächtigen Bewegung des Inneren entsprechenden Dichtung, ist der Höhepunkt erreicht: Eobans Herz ist im Augenblick ganz erfüllt von dem Ideal, für das er gern selbst in den Kampf gehen möchte: „Non timeam forli gladios vibrare lacerto, Non agili clipeum sustinuisse manu." Der gewaltigen Tragödie schließt sich als eine Art Satyrspiel die elegische Invektive gegen Luthers Feind, Hieronymus Emser, an; und ähnlich wie Luther selbst benutzt Eoban Emsers Wappen, um den „ B o c k " Emser lächerlich zu machen, ohne den aus den vorhergehenden Elegieen nachklingenden pathetischen Ton ganz aufzugeben. Der nationale Gesichtspunkt, unter dem die Humanistenschar Luthers Werke betrachtete, gelangt in diesen Elegieen vortrefflich zum Ausdruck, woran auch einzelne herkömmliche Geschmäcklein der nachahmenden Poesie nichts zu ändern vermögen. Eoban konnte die allgemeine Stimmimg seiner Zunftgenossen verkörpern, weil er selbst auf das tiefste von ihr ergriffen war. Und deshalb rufen diese Elegieen durchaus den Eindruck des Selbsterlebten hervor: was in Eobans besseren Gelegenheitsdichtungen so angenehm auffällt, daß zwanglos ein Bild des im Augenblick sich Abspielenden
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entsteht, das hebt auch diese Stücke, aber es kommt noch dazu, daß sie durch eine ungeheure Bewegung der Geister getragen werden, die dem vorübergehenden Aufschwung des Gefühls Dauer verleiht. Denn allerdings: die freudige Begeisterung Eobans hielt nicht lange vor. Schon in der Antwort Huttens auf Eobans Mahnruf offenbart sich, wie bereits erwähnt (Halbband 1, S. 479 f.), daß Hutten keineswegs mit Sicherheit in die Zukunft sah. Und in der Tat sollte es nicht zu der von den Humanisten erträumten Niederwerfung Roms kommen, sondern zu einem allgemeinen Umschwünge, der für eine Zeitlang der Wissenschaft den Untergang zu verkünden schien. Eoban erlebte diesen schmerzlichen Wandel sozusagen am eignen Leibe: nach dem Erfurter „Pfaffenstürmen" (1521) begann der unaufhaltsame Niedergang der Universität Erfurt, und alle Daseinsbedingungen unseres Poeten wurden erschüttert. Dazu kam, daß die bildungsfeindlichen Tendenzen, wie sie von vielen Prädikanten vertreten wurden, ihn nicht kalt lassen konnten; wollte er nicht sich selbst und die von ihm verfochtene Sache aufgeben, so mußte er dem wilden Treiben entgegenarbeiten. Aber bei dem allgemeinen Anklang, den der unheimliche Eifer der Prädikanten fand, durfte er sich von seinem Widerstand nicht allzuviel versprechen. So geriet er in eine trübe, verzagte Stimmung. Anfang 1523 richtete er an Luther eine allegorische Heroide, die er später seinen „christlichen Heroiden" anfügte, das elegische „Schreiben der gebeugten Kirche an Luther - '. Die durch den Papst lind seine Helfershelfer eingekerkerte Kirche wendet sich an Luther; sie schildert ihre Leiden und deren traurige Folgen für die allgemeinen Zustände; sie hofft zuversichtlich, daß Luther seine begonnenen Heldentaten fortsetzen und ihr weitere Hilfe bringen wird. Auch hier handelt es sich also um ein rückhaltloses Bekenntnis zu dem Reformator. Aber der siegesfrohe Ton, von dem die Elegieen während Luthers Anwesenheit in Erfurt Zeugnis ablegen, ist ebenso geschwunden wie die stürmische Kampfesfreude in dem poetischen Briefe an Jonas und dem Mahnruf, mit dem er Hutten zur Tat aufstachelte: es herrscht schon eine gedrückte Stimmung; dem Poeten wird innerhalb des allgemeinen Wirrwarrs unbehaglich zumute. Und sehr bald ertönt auch seine Klage über die durch die Unbilden der Zeit sowie durch den Unverstand der Prädikanten herbeigeführte Verachtung der Wissenschaften und den Verfall der E 1 1 1 n g e r , Neulateinische Lyrik
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Bildungsanstalten. Zwar verleugnete sich das sanguinische Temperament des Dichters bei einem flüchtigen Sonnenblicke nicht: als unter Mitwirkung Melanchthons in Nürnberg eine höhere Schule gegründet und Eoban zum Lehrer an ihr berufen wurde (1526), da feierte der Dichter in begeisterten Elegieen die Tatsache, daß die überall vertriebenen Musen, durch Apoll auf die Stadt Nürnberg hingewiesen, von dieser freundlich aufgenommen worden seien. Allein die zuversichtlichen Hoffnungen, mit denen Eoban sein Amt antrat, verwirklichten sich nicht, nach des Poeten Ansicht hauptsächlich deshalb, weil es die reichen Nürnberger Pfeffersäcke an der nötigen Anteilnahme fehlen ließen, was wiederholt in Gelegenheitsgedichten an Nürnberger Gönner angedeutet wird. Aber die Schule scheiterte in der Tat an einer Reihe von ungünstigen Umständen, und die Stimmung des Poeten verdüsterte sich von neuem: außer den örtlichen Verhältnissen machte er wiederum die Ungunst der Zeiten für die geringen Fortschritte der wissenschaftlichen Bildung verantwortlich. Den kräftigsten Ausdruck hat er dieser Stimmung in der „Klage über die Unruhen dieser Zeiten" gegeben, sieben Gedichten, die sich teils des Hexameters, teils der elegischen Form bedienen. Da zählt er die gleichzeitigen Weltgeschicke auf, von deren Wucht die guten Wissenschaften erdrückt werden; als Lobredner des Vergangenen gibt er zunächst der besseren alten Zeit vor der mit Kampf und Glaubenszwietracht erfüllten Gegenwart den Vorzug; er zeigt, wie kriegerische Ereignisse fast alle Staaten in ihren Grundfesten erschüttert haben; er entrollt, nicht immer mit Billigkeit, ein Gemälde des Bauernkrieges, zuletzt die Sieger zu milder Behandlung der Unterworfenen mahnend; und er knüpft in zwei Elegien an den von ihm zuerst freudig begrüßten Fall Roms, den sacco di Roma (1527), an, indem er den über das Unglück der Weltstadt erschütterten Cicero Rom nach der Ursache des Unglücks fragen läßt, worauf der Roma eine stark protestantisch gefärbte Antwort in den Mund gelegt wird. Walten nun in diesem letzten Gedicht die papstfeindlichen Tendenzen vor, so erscheint der Fall Roms doch zugleich als Symbol für den Zustand der Wissenschaft: wie das alte Rom mit seinen Denkmälern verfallen ist, so liegen die Künste am Boden. Dieser Vergleich wird nicht geradezu ausgesprochen, aber er ergibt sich mit Notwendigkeit aus dem Ton des Ganzen. Durchweg betrachtet Eoban das Geschehen mit trübem Blick, und nur in der den beiden Rom-Gedichten.
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vorangehenden Elegie gibt er leiser Hoffnung Raum: das unter inneren Zwistigkeiten erliegende Deutschland verweist er auf die ihm innewohnende, von Alters her bewährte Kraft, durch die es bei redlicher Erfüllung seiner Pflichten genesen könne. Was alle diese Ergüsse des bald himmelhoch jauchzenden, bald zu Tode betrübten Poeten besonders anziehend macht, kann man auf folgenden Umstand zurückführen: er gibt den Empfindungen seiner Zunftgenossen die entscheidende poetische Form. Allein dies geschieht ganz unabsichtlich, kein Wort deutet darauf hin, daß der Dichter das Gefühl hat, der Sprecher der Gesamtheit zu sein. Nur was ihn selbst bewegt, will er zum Ausdruck bringen. So ist diesen Stücken gegenüber ein doppelter Standpunkt möglich: wer sie als geistesgeschichtliche Zeugnisse würdigt, wird ihren Hauptwert darin sehen, daß in ihnen der mächtige Aufschwung der Anfangsjahre der Reformation einen ebenso lebendigen Widerhall findet wie die darauf folgende Ernüchterung und Enttäuschung. Legt man jedoch den rein poetischen Maßstab an, dann ergibt sich der Hauptreiz dieser Gedichte aus einem ganz anderen Umstände: sie fesseln insbesondere deshalb, weil Eobanus Gelegenheitspoesie im guten Sinne des Wortes bietet. Und in glücklichen Würfen dieser Art hat unser Poet denn auch sein Eigenstes gegeben und zugleich der neulateinischen Dichtung den Weg vorgezeichnet, auf dem eine wirkliche Entfaltung der Lyrik erzielt oder wenigstens vorbereitet werden konnte. Ganz er selbst ist Eoban nur in der Gelegenheitsdichtung: die Gestalt des trotz allen Ungemachs immer frohgemuten, trinkfesten, treuherzigen Poeten und Jüngers der Wissenschaft tritt aus diesen lyrischen Erzeugnissen unmittelbar heraus. Daß Eobans Stärke gerade auf diesem Gebiete lag, lehrt schon die Frühzeit seiner Dichtung. Da, wo Eoban in seinen frühsten Leistungen einen Anlauf zur Behandlung größerer Gegenstände nimmt, bleibt er entweder trocken, oder er hält sich an hergebrachte Formeln, oder er verfällt ganz, wie in dem Gedicht auf die Universität Erfurt (1506), der Übertreibung und der Phrase. Das Bild ändert sich jedoch mit einem Schlage, sobald sich seine Poesie zum Persönlichen wendet. Im Herbst 1509 mußte Eoban Erfurt verlassen, weil sich hier keine Anstellung für ihn fand. Er begab sich, wie erzählt wurde, zu dem Bischof Hiob von Dobeneck. Schon auf dem Wege von Erfurt nach Preußen macht er seinem gepreßten Herzen Luft, in einer Elegie an den auch 2»
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in dem ersten Hirtengedicht auftretenden Freund Ludwig Christiani offenbart sich, wie gut er zu sprechen versteht, wenn eignes Erleben und eignes Empfinden ihm den Ausdruck beflügelt. E s fehlt auch hier nicht ganz an verstiegenen Vergleichen, aber im ganzen waltet doch das Natürliche vor: aus einem kleinen sächsischen Städtchen schickt der Dichter seine Muse gen Erfurt, wo sie wegen der schlechten Verbindungen wohl erst nach längerer Zeit ankommen wird; den Staub des Weges braucht sie nicht zu scheuen, weil die Natur ihr Winterkleid trägt; den ihr zukommenden Kranz soll sie im Waldgebirge mit Blättern vertauschen. Und hübsch vergegenwärtigt er, wie er selbst im Schneegestöber einherwandert, die wehmütigen Blicke zurück nach der Stadt richtend, der von ihm noch immer trotz mancher ihm dort angetaner Unbilden geliebten. Und ebenso hübsch ist es, wenn er sich ausmalt, wie es ihm in der Zeit, da der Freund diesen Brief erhalten werde, am bischöflichen Hofe gehen möge, wie er dann wohl lernen müsse, gedrechselte und ausgedachte Worte zu sprechen und sich in seinem ganzen Tun und Treiben der Weise des Hofes anzubequemen. Man vernimmt in diesem Gedicht zum erstenmale die Klänge individueller Lyrik; und die Empfindungswelt wird durch Zuständlichcs, insbesondere durch das Festhalten der Natureindrücke so belebt, daß ein ganz anmutiges Bildchen entsteht. Nachdem einmal so der Eobans eigenstem Wesen entsprechende Weg gefunden war, sprudelte die Quelle reichlich weiter. Noch der Aufenthalt in Preußen zeitigt manche ähnlichen Geständnisse: man vernimmt die Klage des Dichters darüber, daß er, von den Freunden abgeschnitten, in unmusischer Umgebung sich bewegen muß und den früheren Idealen ganz entfremdet wird; er wünscht der Begleiter eines nach Rom reisenden Freundes zu sein und läßt die von dem Freunde durchwanderten klassischen Stätten an seinem Geiste vorüberziehen; er stimmt auch gelegentlich erotische Töne an. Deutlicher noch als in diesen Klängen bereitet sich in den Elegieen an den späteren Bischof von Kulm, Johannes Dantiscus, mit dem ihn die gleiche Neigung zur Poesie schnell zusammengeführt hatte, die spätere A r t von Eobans individueller Lyrik vor; vor und nach gemeinsamer Kneiperei läßt sich der Poet vernehmen: er folgt der Einladung des neuen Freundes, muß diesem aber dann Mut zusprechen, weil er im Katzenjammer meint, daß die Cyklopen in seinem Haupte Wohnung genommen hätten.
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Die Elegie, in der Eoban dem Dantiscus sein Erscheinen bei der Gasterei verspricht, zeigt noch viel Steifes. In der auf den preußischen Aufenthalt folgenden kurzen Studienzeit an der Universität Frankfurt a. O. scheint er jedoch auch auf diesem Gebiete die nötige Freiheit gewonnen zu haben. Und so hat er seit dem zweiten Erfurter Aufenthalt im Verkehr mit seinen Erfurter, Nürnberger Freunden bis herab in seine Marburger Zeit, in der allerdings diese Quelle mehr und mehr versiegte, die freundschaftlichen Beziehungen in zahlreichen Augenblickseingebungen festgehalten. Einladungsbillette, Aufforderung zur Unterbrechung der Studien und zu heiterem Lebensgenuß, Empfehlungen, Fragen nach den neuesten Tagesereignissen und zahlreiche verwandte Gegenstände werden in einer Weise behandelt, daß eine unmittelbare Vergegenwärtigung des Geschehens zustande kommt. An geistigem Gehalt tragen fast alle diese Kleinigkeiten nicht allzuschwer. Allein die Frische, mit der das Leben ergriffen wird, hilft über den Mangel an gewichtigem Inhalt ebenso hinweg wie die liebenswürdig-anspruchslose Art, die sich in allen Zeugnissen von Eobans Improvisationsverfahren offenbart. Wie unmittelbar ersteht, um nur ein Beispiel zu geben, das Bild, wenn Eoban in einer Ode beim heiteren Frühlingsmahl die Genossen zu fröhlichem Trunk mahnt, sie jedoch zugleich, ähnlich wie in einer früheren Elegie, vor dem versteckten Gift der Liebe warnt, das der Jugend besonders gefährlich sei. „Cavele amici, mobile proxima Telum e fenestra librat amor, neque Retractat exertum pharetra, Sed iacit et jerit imparatos. Jo Lyaeum nunc polius patrem Cantemus inter pocula, concinne Vitium coronantes ministri, Quäle puer Phrygius Tonanti." Aber auch die kleinsten Vorgänge des regelmäßigen Freundesverkehrs, wie etwa ein gemeinsamer Spaziergang oder die Aufforderung zu einem solchen, geben zu hübscher Vergegenwärtigung Anlaß. Daneben aber verstummen die ernsten Töne nicht; was die Genossen einte, die Liebe zu den humanistischen Studien und der Haß wider deren Gegner, gab selbstverständlich auch der Dichtung Stoff, und die Verachtung für die, die sich noch immer
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in den Geleisen scholastischer Denkart bewegten, kam ebenso zum Ausdruck wie der Stolz auf die neuerschlossene Geisteswelt: „Sinamtis istos desipere et suis Perire fatis, nos faiuas aves Linguas moventes rideamus, Progeniti meliore fato." Ernste Töne, wie sie hier bei der Abwehr von Angriffen auf die klassischen Studien angeschlagen werden, lassen sich auch sonst vernehmen. Mannhaft auszuharren, sich durch Anfechtungen nicht aus der Bahn werfen zu lassen, macht Eoban den Genossen zur Pflicht. Aber diese gewichtigen Worte tun dem überwiegend heiteren Grundcharakter keinen Eintrag; der Frohmut des um das Morgen unbekümmerten Poeten verträgt sich gut mit den Äußerungen einer gesetzten Lebensweisheit, so daß die verschiedenen Töne in diesem Freundeskonzert ganz harmonisch zusammenklingen und die Einheitlichkeit des Bildes gewahrt bleibt. Noch ein Wort über Eobans Beherrschung der Sprache und des Verses! Sie zeigt sich trotz gelegentlicher Nachlässigkeiten nirgends deutlicher als in diesen absichtslos hingeschütteten Kleinigkeiten. Mit ungewollter Kunst schmiegt sich das elegische Maß oder die Hendekasyllaben dem Ausdruck an; es fehlen die steifen Redensarten, die Eoban bei anspruchsvolleren Vorwürfen nicht vermeiden kann: ganz mühelos quillt der Vers, ein echtes Kind des Augenblicks. — In vielen Arbeiten erscheint Eoban noch durchaus als Vertreter des Humanismus. Nicht bloß deshalb, weil er z. B. in seinen „Heroiden" die christliche Poesie des älteren Humanismus auf ihren Gipfelpunkt führt. Sondern weil er mehr als alle anderen Humanisten bedeutsame Abschnitte aus der Geschichte der Bewegung poetisch verkörpert hat. Die „Idyllen" vergegenwärtigen Mutian und seine Jüngerschar; und nirgends ist die Stellung des Humanismus zu Luther, die jubelnden Zurufe am Anfang und die tiefe Enttäuschung nach dem Abflauen der ersten Begeisterung, so unmittelbar aus der Gegenwart heraus ergriffen worden. Tritt «r hier als Zusammenfasser eines ablaufenden Zeitabschnittes auf, so bestimmt er anderseits mehrfach den Charakter der vor ihm liegenden Schulpoesie, d. h. der (im engeren Sinne) neulateinischen Poesie. Das geschieht einerseits dadurch, daß wichtige der für diese Poesie maßgebenden schematischen Formen bei ihm
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zum erstenmal vorbildlich ausgeprägt erscheinen: die allegorische Heroide, die cyklische Ekloge, das Epicedium. Allein wenn man nicht den Massenbetrieb ins Auge faßt, sondern das, was in der Lyrik als nachhaltige Kraft wirksam geblieben ist, so wird man immer wieder zu den soeben auswählend besprochenen Augenblickseingebungen Eobans zurückkehren. In ihnen weist Eoban der neulateinischen Lyrik den einzuschlagenden Weg. Denn die eigentliche Bedeutung der lyrischen Poesie der Neulateiner liegt in der Gelegenheitsdichtung. Freilich überwiegt zunächst noch deren unfruchtbare, auch bei Eoban vertretene Seite: zu Bergen schwellen die Epithalamien und Epicedien an und lassen nur ausnahmsweise etwas ästhetisch Brauchbares aufkommen. Daneben aber macht sich auch, nach und nach immer mehr erstarkend, die Gelegenheitspoesie im guten Sinne geltend; was den Dichter im Augenblicke bewegt, wird ausgesprochen und damit eine Richtung angebahnt, innerhalb deren die Persönlichkeit die Fesseln des Zwanges abschütteln konnte. Bei Eoban findet sich zum erstenmale diese Gelegenheitspoesie im guten Sinne vollständig ausgebildet vor, und mit ihm beginnt daher ein Wandel, der nicht bloß für die neulateinische, sondern auch für die spätere deutsche Lyrik von durchgreifender Bedeutung geworden ist. — Neben Eoban war der Hauptvertreter der älteren Generation des Mutianischen Ordens Euricius Cordus, mit seinem deutschen Namen wahrscheinlich Heinrich Solde (1486—1535). Gleich Eoban ein hessischer Bauernsohn, studierte er seit 1505 und dann wieder seit 1513 zu Erfurt, in der Zwischenzeit als Lehrer und Beamter in Hessen tätig, später Rektor der Erfurter Marienschule. Da er sich in diesem Amt mit Weib und Kind nur mühselig durchschlug, schwenkte er, wie Eoban, aber mit besserem Erfolge als dieser, zur Medizin ab und nutzte während eines halbjährigen Aufenthaltes in Italien den Unterricht hervorragender Lehrer dieses Faches gründlich aus. Ende 1521 nach Erfurt zurückgekehrt, hielt er angesichts der immer trostloser werdenden Verhältnisse eine gedeihliche Wirksamkeit dort für unmöglich und nahm daher Anfang 1523 die Stelle eines Stadtarztes in Braunschweig an. Von da ging er 1527 als Professor der Medizin nach Marburg und 1534 als Rektor des Gymnasiums nach Bremen, wo dem Kranken, durch widerwärtige Zänkereien Verbitterten nur noch ein Lebensjahr beschieden war. — Der Grundzug von
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Cordus' Wesen war dem seines Freundes Eoban durchaus unähnlich. Während dieser um des lieben Friedens willen oft fünf gerade sein ließ, kannte Cordus in seinem schroffen Wahrheitssinn keine Nachgiebigkeit, wo ihm Unlauteres entgegentrat. Diese Herbheit, verbunden mit einem scharfen Blick für alles Hohle, Verrottete, Lächerliche, wies dem Cordus als die seiner Naturanlage entsprechende Dichtungsart das Epigramm an; als Epigrammatiker hat er nicht bloß sein Bestes geleistet, sondern in ihm erreicht das Epigramm der Neulateiner den Höhepunkt; kein neulateinischer Dichter kann sich ihm auf diesem Gebiete vergleichen. Dem entspricht die Wirkung, wie denn noch Lessing die Einfälle des Cordus nachgebildet hat. Während in den Epigrammen die Schärfe von Cordus' Wesen sich entlädt, hält seine Lyrik überwiegend die weicheren Seiten seiner Natur fest. Denn auch diese fehlten unserem Dichter nicht. Die frühesten lyrischen Erzeugnisse des Cordus fallen bereits in seine erste Erfurter oder in die unmittelbar darauffolgende Zeit (um 1509). Es sind Gelegenheitsdichtungen, die noch in jedem Zuge den Anfänger verraten. Aber auch die poetische Gattung selbst scheint dem Cordus nicht gelegen zu haben; denn in seinen späteren Gelegenheitsdichtungen hat er ebenfalls keine starken Wirkungen erzielt. Als ausgewachsenen Poeten zeigt ihn zuerst das „Hirtengedicht" („Bucolicon"). Es erschien 1514 und besteht aus zehn Eklogen. Daß Eoban, dessen Einfluß sich schon von Anfang an bei Cordus geltend macht, ihn in die Bahn der pastoralen Dichtung gedrängt hat, ist nicht zu bezweifeln. Aber gegenüber Eobans Eklogen bedeuten die des Cordus einen Fortschritt. Wohl steckt auch Cordus noch tief in der Allegorie. Wie in den Eklogen der Italiener und wie bei Eoban wird das Hirtengewand meist als Maskenform benutzt. Der Dichter verwendet diese, um seine persönlichen Schicksale darzulegen, seinem Unwillen über einen albernen Dichterling, seiner Trauer über das Fehlen von Mäzenen Luft zu machen; er erzählt, wiederum seinen Vorgängern ähnlich, von dem Liebeswerben eines Schäfers, wobei der Hirt stolz seinen Stand herausstreicht und dessen Vorzüge durch biblische und klassische Beispiele belegt; er schlägt, wie Eoban, auch religiöse Töne an und läßt, nur einmal die Gesprächsform aufgebend, zu Pfingsten den frommen Hirten Pius ein abwechslungsreiches Preislied auf die Himmlischen anstimmen; er verherrlicht seinen jungen hessischen Landgrafen und gedenkt
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an passender Stelle auch des sächsischen Kurhauses, insbesondere des Beschützers der Wissenschaften, Friedrichs des Weisen. A b e r schon diese Bestandteile, die nieist im Geleise der herkömmlichen Allegorie bleiben, zeigen sich an Eindrucksfähigkeit den Gebilden E o b a n s überlegen. Allerdings wird Euricius Cordus, wenn er seine unglückliche Lage vergegenwärtigt, einmal allzu deutlich, so d a ß man den notleidenden Schulmeister aus der Maske hervorlugen sieht (Ekl. 10). Aber an einer anderen Stelle findet er für die gleichen Verhältnisse glücklichere Farben und führt sich lebendig als den vom Unglück verfolgten Hirten ein, dem immer ein Hase über den W e g läuft, oder dem ein Nachtvogel Böses weissagt. Und seinen Drang zum Musendienst kleidet er in die schönen Worte: „0 si quis medias raptum tne turbo per auras Sisteret umbrosum Parnassi in rupe sub antrum, Ut prope congressus Phoebumque deasque viderem, Imbiberetque tneum praeseniia
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peclusl"
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Worte, die dann allerdings durch den Hinweis auf ein ähnliches Erlebnis bei Hesiod beträchtlich abgeschwächt werden. A u c h in der Ausmalung der die Eklogen einleitenden pastoralen Züge zeigt sich Cordus dem Eoban überlegen: das Realistische liegt ihm besser als seinem Freunde. Daher nimmt es nicht wunder, d a ß er in zwei Idyllen die Allegorie so g u t wie ganz aufgegeben hat und Scenen aus dem wirklichen Bauernleben vorführt, die die religiösen und sozialen Nöte des Landmannes aufdecken. In der einen Ekloge (No. 6) erzählt ein Hirt, wie der Priester ihn um kleiner Ursach' willen schwer gebüßt habe, und die Erbitterung darüber veranlaßt ihn zu einer scharfen K r i t i k an dem verweltlichten Kirchenwesen und den eingerissenen Mißbräuchen; der die Kirche verteidigende Unterredner kann dem Ansturm der V o r w ü r f e gegenüber nicht aufkommen. Ebenso lebendig führt die neunte Ekloge in die traurige Lage des Landmannes ein: ein Prozeß, den er mit einem Reichen zu führen h a t , ist ungerechterweise zu seinen Ungunsten entschieden worden; so hat er einen großen Teil seines Gutes verloren, einen anderen haben die A d vokaten und Schreiber gefressen, und was noch übrig geblieben, wird ihm ebenfalls entrissen: die Stadt hat einen neuen adligen Hauptmann erhalten, der benutzt seine Macht, u m die Bauern von. dem Grund zu vertreiben, den sie mühsam erst urbar gemacht haben. Vortrefflich kommt die dumpfe Trostlosigkeit zum Aus-
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druck; vortrefflich auch, wie der Bauer die üppigen, selbstsicheren Scharrhansen abkonterfeit und die Grundlagen des Standesunterschiedes bestreitet: „Unde kaec nobilitas nostri mortalibus aevi? Primitus ex uno est homxnum patre nata propago, Sumpsimus e putri nos omnes corpora limo, Noslraque post eadetn consumel funera tabes. Una est, quae reddit generosos mascula virtus, Qua sine degeneres, etiam cum Caesare reges." Und das düstere Gemälde würde fleckenlos sein, wenn nicht am Schlüsse die Hirten wieder durch ganz unangebrachte Hinweise auf Virgil, Augustus und Maecenas aus der Rolle fielen. Stärker konnte sich die lyrische Gabe des Cordus regen, wo sie nicht, wie in den Eklogen, durch die schematische Form gehemmt war. In den ersten Tagen des Jahres 1515 unternahm er von Erfurt aus eine Reise in die Heimat und erstattete darüber einen poetischen Bericht. Dieser führt den Titel: „Danklied an die hessischen Quellnymphen" („expiatorium poema"), weil der Dichter den Nymphen den Dank für die Rettung aus schwerer Gefahr darbringt. Auf der Reise stürzte er nämlich in die angeschwollene Schwalm und entging nach seiner Angabe nur wie durch ein Wunder dem Tode. Für das Toben der Wassermassen, sein Ringen mit den Fluten findet er eindringlich wirkende Farben. Aber höher als diese, vielleicht übertriebene Schilderung werden die Stellen zu schätzen sein, die von des Dichters persönlichem Leben und seinem Gefühl für Familie und Freunde Kunde geben. Schon am Eingange wird die Einsiedelei Mutians, bei dem er die erste Nacht zubringt, durch einen Schimmer behaglicher Wärme verklärt. Und wenn den Verirrten das Geheul der Wölfe erschreckt, dann steigt vor ihm die Zeit auf, da er einst als Knabe die Herden hütete. Beim Anblick des väterlichen Hauses steht die Gestalt der verstorbenen Mutter leibhaftig vor seinem geistigen Auge. Als er dann in den Fluten mit dem Tode ringt, denkt er der Gattin und der Kinder daheim, ihren Schmerz bei der Nachricht von seinem Hinscheiden empfindet er selbst auf das tiefste mit, wie ihm denn auch die Rettung sogleich das Bild von der fröhlichen Heimkehr zu den Seinen vor die Seele zaubert. In der Stimmung mit dem Danklied verwandt, im Sachlichen abweichend sind zwei ein Jahr später erschienene Elegieen
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(„Krankheitsgedichte", „ex Nosemaiostichis"). In der einen schickt der erkrankte Poet die Muse zu den verwaisten Schülern, um sie zu Fleiß und Hingabe an die Studien ermuntern zu lassen; in der anderen redet er zu derselben Zeit seine kleinen Söhne an, sie in der gleichen Weise anspornend. Beide Elegieen fesseln, wie das Danklied, durch einen Hauch warmer Gemütlichkeit. Insbesondere gilt das von dem zweiten Gedicht. Da schließt Cordus wieder sein Inneres auf und weckt lebendige Teilnahme; er kündet seine Freude am poetischen Schaffen, aber er berichtet zugleich, wie Armut und Familiensorgen immer von neuem zwischen ihn und die Muse getreten sind, so daß es ihm unmöglich wurde, die erstrebte Vollendung zu erreichen. Die Begeisterung für die Poesie wie für die neuerweckten Studien, als deren unerreichter Meister in beiden Elegieen der große Erasmus erscheint, belebt die Stimmung, und die hübschen Einzelzüge sorgen dafür, daß die Darstellung nirgends im allgemeinen stecken bleibt. Um Erasmus gruppieren sich auch drei Elegieen aus dem Jahre 1519, die ebenso wie ein Weihnachtshymnus (1521) zu glücklichen Wirkungen gelangen. Was von umfangreichen Zeugnissen der Lyrik aus den späteren Jahren vorliegt, ist teils dem Inhalt seiner romfeindlichen Epigramme auf das nächste verwandt, wie die Luthers Gegner vernichtend kritisierende „Antilutheromastix" (1525), teils nähert es sich der Form des Lehrgedichts, so die dem gleichen Jahr entstammende außerordentlich umfangreiche „Mahnung an Kaiser Karl V. und die anderen deutschen Fürsten, doch endlich die wahre Religion anzuerkennen". Paränctisch wird hier die Lehre Luthers sowohl an sich wie im Hinblick auf ihre Folgen verteidigt und durch Gründe aus Bibel und Geschichte gerechtfertigt. Allerdings setzt Cordus auch in diesem Gedichte zuweilen das Lehrhafte in ein lebhaft geschautes Bild um, aber es geschieht nicht oft, und obgleich der Dichter von seinem Gegenstande tief ergriffen ist, vermag er doch der im Stoffe liegenden Schwierigkeiten nicht Herr zu werden. Allein die lyrische Ader des Cordus ist trotzdem auch in der späteren Zeit nicht versiegt. Nur daß er eine breitere Wiedergabe seiner Empfindungen vermied und deshalb von der Verwendung der Elegie absah. Da das Epigramm allmählich innerhalb seines Schaffens die Alleinherrschaft gewonnen hatte, erscheint es ganz naturgemäß, daß er während seiner Spätzeit auch die Äußerungen des Gefühls fast ausnahmslos in diese Form goß. Was
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ihn in jenen Tagen bewegte, was ihn kränkte und drückte, gewinnt in diesen kleinen Augenblickseingebungen Gestalt, und gerade das Absichtslose erhöht die Naturwahrheit. Eine poetische Natur scheint auch eine andere Säule von Hessus' Königreich gewesen zu sein, Peter Eberbach (Petrejus Aperbacchus, geb. um 1480, gest. 1531 in Heidelberg). Als Angehöriger der Gemeinschaft des Corycius in Rom ist er uns schon begegnet (1514/15), vorher treffen wir ihn zu Wien im Kreise Vadians, noch früher in Straßburg, wo er mit dem Wimpfelingschen Kreise in Berührung kommt. Was sich von seinen Dichtungen erhalten hat, ermöglicht kein sicheres Urteil, doch läßt sich wohl so viel sagen, daß er ein leichtes Talent hatte und imstande war, sich über Anlässe, wie sie der Freundesverkehr bot, in tändelnder, scherzhafter und witziger Art zu äußern. Die Merkmale der neulateinischen Dichtung scheinen bei ihm in geringerem Grade vorbereitet gewesen zu sein, als bei Hessus und Cordus; die Art seines Improvisationsverfahrens zeigt vielmehr, daß er noch auf dem Boden der rein humanistischen Lyrik steht. Dagegen sind die bezeichnenden Züge der neulateinischen Dichtung (im engeren Sinne) bei zwei Poeten vollständig ausgebildet, die bereits einem späteren Zeitraum angehören, bei Micyllus und Camerarius; bei beiden tritt es deutlich hervor, daß der Wandel, der sich bei Eoban und Cordus vollzieht, um 1520 endgültig zugunsten der neulateinischen Lyrik entschieden ist. Wie Eoban Hesse und Euricius Cordus die ältere, so vertreten Jakob Micyllus und Joachim Camerarius die junge Generation des Erfurter Kreises; auch sie wie jene beiden ein innig verbundenes Freundespaar, unterschieden von Eoban und Cordus durch die Tatsache, daß die gegenseitige Neigung auf gleicher Anlage des Gemütes beruhte. Jakob Molshem oder Moltzer, Micyllus nach der Gestalt eines Dialogs von Lucian benannt, studierte von 1518—22 in Erfurt, wo er in Eobans Kreise die Herzensfreundschaft mit Camerarius schloß. Sein Lebenslauf ist schnell erzählt. 1503 in Straßburg geboren, besucht er nach der Erfurter noch die Wittenberger Universität, geht dann als Rektor nach Frankfurt a. M., und, als ihm Anfeindungen und Mißstände das Amt verleideten, 1533 als Lehrer des Griechischen an die Universität Heidelberg. In ehrenvoller Weise vom Frankfurter Rat zurückberufen (1537), bringt er die herabgekommene Schule empor, nimmt aber dann 1547 wieder eine Professur in Heidelberg
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an, die er bis zu seinem Tode (1558) bekleidet hat. Ein vortrefflicher Gelehrter, auf den verschiedensten Wissensgebieten heimisch und sattelfest, sorgsam im Kleinen wie im Großen; ein ausgezeichneter Lehrer; ein reiner, stiller, bescheidener Mensch, ohne den Trieb, sich nach außen hin geltend zu machen, daher auch wehrlos gegen Bosheit und Niedertracht. Ungleich tiefer als das Wirken des Micyllus greift Camerarius' Lebensarbeit in die allgemeine Geistesgeschichte ein. Auch bei ihm fallen die äußeren Lebensverhältnisse wenig ins Gewicht. E r entstammte der patrizischen Familie Kammermeister in Bamberg, wo er 1500 geboren wurde. Auf der Leipziger Universität bildet sich der Sechzehnjährige namentlich im Griechischen aus und erregt durch die erlangte Fertigkeit die Bewunderung des Erfurter Kreises, dem er sich nach seiner Übersiedlung 1518 anschließt. 1521 wird er in Wittenberg immatrikuliert, und es beginnt die Lebensfreundschaft mit Melanchthon, die für die Geschichte des geistigen und religiösen Lebens von höchster Bedeutung geworden ist. Auf Melanchthons Rat geht er 1526 an das neugegründete Gymnasium in Nürnberg; hier war Eoban Hesse sein Kollege; die alte Kameradschaft mit ihm wurde erneuert und fortgesetzt. 1535 übernahm Camerarius eine Professur in Tübingen, das er 1541 mit Leipzig vertauschte. Uber drei Jahrzehnte hat er an der Leipziger Universität gewirkt und auf Geschlechter von Studierenden den nachhaltigsten Einfluß ausgeübt. Seine großartige polyhistorisch-philologische Tätigkeit kann hier nicht charakterisiert werden: sie nimmt vielfach Erkenntnisse der großen Philologen der Folgezeit voraus. Unter seinen zahlreichen geschichtlichen Arbeiten sind für den vorliegenden Zweck die Lebensbilder Eobans und Melanchthons von Wichtigkeit, insbesondere das Eobans, das ein zwar nicht immer ganz treues, aber unentbehrliches Bild der Erfurter Glanztage gibt. — In der Gemütsbeschaffenheit ähnelte er Melanchthon noch mehr als Micyllus: auch ihm war ein reines zartes Gemüt eigen, aufgeschlossen für das Große in Wissenschaft, Dichtung und Religion, leicht verletzt durch Gewaltsames und Rohes, beseelt von dem Wunsche, die Jugend geistig und sittlich zu sich emporzuziehen. Als Gelehrter, als geistiger Führer, als weithin wirkende Persönlichkeit überragt Camerarius den Micyllus um ein Beträchtliches. Umgekehrt gestaltet sich das Verhältnis der beiden Freunde, wenn ihre poetischen Leistungen ins Auge gefaßt werden. A n
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ursprünglicher dichterischer Veranlagung steht Micyllus hoch über Camerarius. Aber trotzdem rücken die beiden doch auch als Dichter nahe zusammen. Denn die Art, in der aus ihrer Poesie die lautere, treue, sinnige Persönlichkeit zu dem Leser spricht, weist so viel innere Verwandtschaft auf, daß es durchaus berechtigt erscheint, sie von den übrigen, anders gearteten Erfurtern zu trennen und im unmittelbaren Zusammenhange zu behandeln. Die dichterische Tätigkeit des Micyllus läßt sich bis in sein einundzwanzigstes Jahr zurückverfolgen; aus dieser Zeit (1524) stammen die beiden Trauergedichte auf den vortrefflichen Wilhelm Nesen (vgl. S. 12), sowie auf den früh verstorbenen Leipziger Professor Petrus Mosellanus, der sich nicht minder allgemeiner Schätzung erfreute. Das erste der beiden Werkchen ist ein dem Nesen in den Mund gelegter Monolog. Er beklagt sich über das Schicksal, das ihn getroffen. Er fühlt sich keiner Untat schuldig, die eine solche Strafe hätte rechtfertigen können. Rhetorisch werden diese Gedanken hin- und hergewälzt, was ihre Wirkung stark beeinträchtigt. Dagegen wächst die gestaltende Fähigkeit, wenn der Unfall selbst geschildert wird, der Nesen das Leben kostete. Der Jüngling war beim Kahnfahren in der Elbe verunglückt; Micyllus weiß die örtlichkeit und den Vorgang selbst anschaulich zu vergegenwärtigen, und es würde eine ganz absichtslose Wirkung erreicht werden, wenn nicht ein weithergeholtes Bild die Stimmung störte: der von den Fluten hingeraffte, mit dem Tode auf tausend Arten kämpfende Nesen vergleicht sich mit dem Rosse eines der Freier der Hippodamia, das önomaus mit furchtbarem Geschosse durchbohrt hat und das nun aufspringt, vorwärtsrast, bis das Leben mit dem erschöpften Leibe dahinfließt. Ähnlich zwiespältig ist der Eindruck, wenn Nesen nachher seines alten Vaters gedenkt und diesem eine Klage über den Verlust des Sohnes in den Mund legt: auch hier erscheint zunächst der Ausdruck gespreizt, dem Wesen eines einfachen Mannes nicht entsprechend, und erst im weiteren Verlaufe der Rede beginnt sich herzliche Wärme geltend zu machen, so wenn der Vater schmerzbewegt ausruft, daß nun die durchwachten Nächte und die Entbehrungen, die er um des Sohnes willen auf sich genommen, vergeblich gewesen seien. — Auch in dem Gedicht auf Petrus Mosellanus muß eine ähnliche Scheidung angestellt werden. Einzelne allgemeine Wendungen muten
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frostig an; aber sobald sich ein poetisch brauchbarer Gegenstand zeigt, findet er auch die angemessene Verwertung, so wenn der Dichter dem Heimatflusse des Verstorbenen, der Mosel, seinen Gruß zuruft und sie dabei kurz charakterisiert, oder wenn er die Trauer der Mosel um den Dahingeschiedenen ausmalt. Aber auch einem bedeutenderen Vorwurf weiß Micyllus hier gerecht zu werden ohne sich von der Woge der lateinischen Phrase allzuweit fortreißen zu lassen. Das ist in dem Schlüsse des Gedichtes der Fall, wo Mosellan vor dem Totenrichter Äakus erscheint und in knappen eindrucksvollen Worten die getane Arbeit, den Ernst seines Strebens, die Lauterkeit seines Erdenwandels hervorhebt. Schön, wie dann die Unterwelt mit ihren Schrecken weicht und der Verklärte in die elysischen Haine eintritt, wo ihm Barbaro Hand in Hand mit Pico von Mirandola, wo ihm Reuchlin, Hutten und andere Geistesgenossen entgegenkommen. Die Gelegenheitsdichtung (im engeren Sinne) nimmt einen so breiten Raum in Micyllus' Schaffen ein und liefert so mannigfache Züge zu seinem Gesamtbilde, daß man unmöglich achtlos an ihr vorübergehen kann. Namentlich gilt das von den Gedichten, in denen Micyllus seine Teilnahme an dem Unglück anderer oder den Schmerz über eigenes Leid zum Ausdruck bringt. Der heutige Leser, der diese zeitlich weit auseinanderliegenden Stücke hintereinander durchnimmt, wird ihnen freilich deshalb nicht leicht gerecht werden, weil fortgesetzt die gleichen Wendungen, zuweilen sogar dieselben Worte wiederkehren. Immer von neuem wird beklagt, daß Redlichkeit, züchtiges Leben, Lauterkeit des Gemütes und treue Verehrung der Musen keinen Schutz vor dem allmächtigen Tode gewähren; die Vergänglichkeit alles Irdischen wird hervorgehoben; und in den Beispielen, die der Dichter zur Einkleidung solcher allgemeiner Gedanken herbeizieht, waltet nicht immer ein sicherer Geschmack; ja wenn der Unbestand alles Erdenlebens an der Hinfälligkeit der vom Menschen geschaffenen Denkmäler klar gemacht werden soll, und der Dichter nun nacheinander die Weltwunder des Altertums in ihrem Verwüstungszustande aufziehen läßt, so wird die Grenze der unfreiwilligen Komik hart gestreift. Aber für derartige Stellen, in denen eine wirklich dichterisch veranlagte Natur der Zeit- und Zunftrichtung ihren Zoll erstattete, entschädigen in einem jeden dieser Gedichte Züge, die den wahren Anteil des Gemütes aufdecken und sich durch lebhafte, anschauliche Dar-
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stellungsweise auszeichnen. So wenn in dem Lied auf den Tod Eoban Hesses (1540), das als eine allerdings nicht streng festgehaltene Anrede an den über den Tod seines Heimatsängers trauergebeugten Flußgott Lahn gedacht ist, Micyllus die Lebensgeschichte des Hessus in lebhafter Erzählung vergegenwärtigt, einen Überblick über sein Schaffen gibt und zugleich Aufgabe und hohe Bedeutung des Dichterberufes hervorhebt; wenn in dem Trauergedichte auf Simon Grynäus die verschiedenen Gebiete, auf denen der wackere Gelehrte seine Tüchtigkeit erprobte, sich dem Leser unmittelbar erschließen und namentlich die Astronomie, allerdings nicht ohne klassische Schnörkel, in ihrer Bedeutung lebendig hervortritt; oder wenn das Gedicht auf den bei einer Jagd verunglückten Johann Reifenstein den erschütternden Eindruck der Todesnachricht festhält und eine eindringlich wirkende Schilderung des Vorfalls selbst gibt: wie die Jagdgenossen den Freund vermissen und vergeblich seinen Namen rufen, wie sie ihn suchen und ihn endlich leblos am Boden liegend finden. Die unmittelbarste Wirkung von allen diesen Trauergedichten übt die Elegie auf den Tod der Gattin des Micyllus aus (1548). Zwar fehlen auch hier jene allgemeinen Wendungen nicht, die zum notwendigen Bestand der Gattung gehören, aber sie verbinden sich so innig mit dem auf innerlichstem Empfinden beruhenden Gefühlsinhalt, daß eine vollständige Verschmelzung dieser Elemente erreicht wird. Durchweg festgehalten ist die Stimmung des verzweifelnden Mannes, dem sich immer aufs neue die bittere Erfahrung aufdrängt, daß ihm auf der Welt kein dauerndes Glück beschieden ist, während er sieht, wie so viele Böse von allem Leiden unberührt bleiben. Von diesem Standpunkt aus betrachtet er die Jahre, die er im Dasein bereits durchmessen, und unter der Wucht des Schicksalsschlages wie aus dem Wesen seiner von Natur trübgestimmten Seele heraus erscheint ihm der bisherige Verlauf seines Lebens ohne wesentliche Lichtblicke. Erst als er die Gattin gefunden, schien sich eine Wendung seines Schicksals anzubahnen. „ D a wurde eine Bucht für das zerbrochene Schifflein gezeigt, und Wind und Welle ließen den Ermüdeten in Ruhe." Und wenn auch das Unglück sich immer weiter an seine Fersen heftete, bei der Gattin fand er Trost. Aber nun ist auch sie ihm entrissen, und in bitteren Klagen macht sich die Größe seines Schmerzes geltend. Erst nachdem er in dieser Weise die Stimmung
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vorbereitet hat, beginnt er von der, die er verloren, selbst zu sprechen. Vortrefflich weiß er ihr Wesen zu veranschaulichen, wobei er sich nirgends an die Außenseite hält. Wohl erzählt er dann auch von ihrer Heimat, die anmutig ausgemalt wird, und nicht ohne Stolz von ihrer Abstammung aus patrizischem Stadtgeschlechte. Aber der Hauptnachdruck ruht auf der Charakteristik des Inneren, das durch unmittelbare Schilderung nahe gebracht wird. Er führt sie vor, wie sie morgens und abends ihr Gebet verrichtet, wie sie für die Wohlfahrt ihrer Familie die Bitten emporschickt, und wie sie ihren frommen Sinn auch dadurch betätigt, daß sie die Kinder und das Gesinde eifrig zum Beten anhält. Aber wir sehen sie auch bei festlichen Veranstaltungen in der Familie. Nicht minder zeigt sie der Dichter uns in den Tagen banger Sorge, wo sie sich ebenso durch eifrige Bemühung wie durch Festigkeit des Willens auszeichnet: „sie nahm dann oft den Mut des Mannes an", ruft Micyllus aus, und man kann es wohl nachfühlen, daß der sanfte, unter dem Drucke des Unglücks schwer leidende Mann in solchen Augenblicken mit besonderer Verehrung zu seiner tatkräftigen Frau aufschaute, die sich durch das Schicksal nicht beugen ließ, sondern mit ruhiger Klarheit das Notwendige erwog. Und ebenso wie diese Seite ihrer Natur tritt ihre Güte lebhaft heraus. So hat der Dichter ihr Bild klar hingestellt, um nach erneuten Klagen über sein unglückliches Los noch einmal die Summe ihres von allem Makel reinen Erdenwallens zu ziehen und sie uns in den himmlischen Höhen zu zeigen, wo sie die bereits verstorbenen Kinder, wo sie Eltern und Vorfahren wiederfindet, und wo sie Micyllus ebenfalls wiederzusehen hofft. In ähnlicher Weise, wie der Dichter hier das eigne häusliche Leid beklagt, hat er in Trostgedichten an dem gleichen Schmerz der Freunde teilgenommen, und mancher schöne Zug entschädigt in den beiden hierher gehörigen Stücken für die Banalität einzelner Gedanken und Wendungen. So wenn in dem Zuspruch an Paul Cisner (Bruder von Nikolaus Cisner) die gestorbene Frau selbst erscheint und dem Gatten Trost spendet; wenn sie das Himmelreich wie einen Blumengarten anmutig ausmalt und der Hoffnung Ausdruck verleiht, auch ihn hier einst zu sehen und dann mit ihm zusammen dauernde Freude zu genießen. Zu festlichen Gelegenheiten hat Micyllus ebenfalls seine Leier gerührt. Angenehm fällt auch in diesen Gedichten die herzliche Anteilnahme auf, die der Gelegenheitspoesie eine lebendigere Wirkung sichert; E l l i n g e r , Neulateinische Lyrik I, 2.
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außerdem enthält aber fast jedes dieser Stücke kleine Beobachtungen des wirklichen Lebens, die mit sinnigem Gemüt ergriffen und eindrucksvoll festgehalten sind. So gibt das Gedicht zur Hochzeit des Pfalzgrafen Friedrich mit Christians II. Tochter Dorothea eine anziehende Schilderung von Ansehen, Abstammung und Schicksal der Braut; hübsch ist in einem anderen dieser Gedichte an einen zum zweitenmal heiratenden Witwer die Erzählung, wie der gütige Gott, der alles sieht, nicht dulden will, daß jemand auf die Dauer vom Unglück gedrückt werde, und wie er eine der Grazien herbeiruft und ihr mitteilt, daß der betrübte Witwer wieder verheiratet werden solle. E r nennt die Erkorene und fordert die Grazie auf, zu ihr zu gehen und sie für den Ehebund zu gewinnen. Und nun zeigt er die Erwählte in einem hübschen Bilde; schwebt dabei auch ersichtlich die spinnende Lucretia vor, so nimmt das Vorbild doch der Erzählung nichts von ihrem Reize. Die Abgesandte betritt das stille Zimmer, wo die Schöne unter den webenden Frauen zu sitzen pflegte; alle anderen Frauen sind ausgeflogen, aber sie sitzt allein und webt, um sich die Zeit zu kürzen, worauf ihr die Botin das Wesentliche über Leben, Art und Tugenden des werbenden Mannes ganz anschaulich vorträgt, und dadurch in dem Herzen der Jungfrau die Liebe zu entzünden weiß. Auch in anderen Gedichten ähnlicher Art versteht Micyllus durch lebensvoll vorgeführte Einzelheiten die Unfruchtbarkeit der Gattung vergessen zu machen. Wird in solchen Fällen der Leser ebenso durch hübsch Beobachtetes wie durch die sinnige Art des Vortrags gefesselt, so wirkt in anderen Stücken mehr der Ton leiser Lyrik, der vernehmlich hindurchklingt. J a , in einem kleinen Hochzeitsliede an Stigel wird das Hochzeitsgedicht unmittelbar zu individuellen Geständnissen benutzt. Da klagt der Dichter, daß ihn die Muse verlassen hat, daß die Sorgen ihn an der Dichtung hindern, daß seine dichterische Ader, deren Existenz er in dieser trüben Stimmung überhaupt anzweifelt, verdorrt, wie die Erde im heißen Sommer austrocknet, wie die Kräuter schmachten, wenn die brütende Hitze drückend auf den dürstenden Fluren liegt. „Ach wie oft", ruft er aus, „wendet sich der Blick auf meine früheren Neigungen und die Studien, denen ich vordem ergeben gewesen bin. Wehe mir! welche Wolken bedrängen den verwirrten Geist, wie trifft der ungezähmte Schmerz meine Brust!" Kummervoll klagt er die unwürdigen Arbeiten an, zu denen er
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verurteilt ist, und die ihn seinem eigentlichen inneren Berufe entfremdet haben. Überhaupt versteht Micyllus da am meisten zu ergreifen, wo er die einengenden Formen des Zeitgeschmacks überwunden hat und Gelegenheitsdichtung im guten Sinne des Wortes gibt. Das ist z. B. in dem „Brief an Melanchthon" der Fall, den er wahrscheinlich 1535, im zweiten Jahre seines ersten Heidelberger Aufenthaltes, schrieb, Er schaut darin zurück auf die Verdächtigungen und Anfeindungen, die ihn von Frankfurt weggetrieben, Schmerzen, über die ihm auch die Gegenwart nicht weghelfen kann, da sie ihm keine Erfüllung seiner Hoffnungen, sondern schwere Enttäuschung gebracht hat. Lebensvoll weiß er hier zu schildern, wie ihn die Umgebung Heidelbergs anzieht, wie ihn aber der verrostete Universitätsbetrieb abstößt, und wie ihn vor allem die Geringschätzung der Dichtung mit Unwillen und Schmerz erfüllt. Ein Hauch der sanften Klage liegt über dem ganzen Gedicht und mildert den ausbrechenden Unmut. Ganz ähnlich, nur noch sanfter ist die Stimmung in dem Widmungsgedicht, das er seiner metrischen Bearbeitung einiger Psalmen vorausschickte. Er hatte diese Arbeit während der letzten Zeit seines ersten Frankfurter Aufenthaltes geschrieben, um in den schweren Stunden Trost zu finden. Davon berichtet er dem Freunde, indem er zugleich noch einmal derer gedenkt, die ihm die Nachstellungen bereitet, und sein eignes Schicksal wie die trüben Zustände der Zeit beklagt. Sowohl die Widmung der Psalmen wie der Brief an Melanchthon sind unmittelbare Äußerungen des Gefühls, Seufzer, durch die sich die bedrängte Brust erleichtern will. Ähnliche sich ganz unwillkürlich losringende Selbstgespräche kommen mehrfach bei Micyllus vor. In einem kleinen Monolog spricht er sich selbst Mut innerhalb der vielen Leiden zu, die auf ihn einstürmen; eines seiner Gebete an Gott wird ihm unter den Händen zum individuellen Bekenntnis, indem er ähnliche Gedanken gibt wie in dem oben erwähnten Hochzeitsgedicht an Stigel, aber weit schärfer, eindringlicher ausgestaltet. „Gleichwie ein Schiff, das kein Steuermann lenkt, hierund dahin geworfen wird, von jedem Winde getrieben, so schwanke ich Unglückseliger, unbeständiger als jeder Kahn, und werde in der Ungewißheit von Furcht und Hoffnung bedrückt!" Zwei Seelen wohnen in der Brust des Dichters, die er nicht miteinander vereinigen kann. Nach der einen Seite ziehen ihn Gattin,. 3*
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Kinder und das trauliche Heim, auch seine Verwandten; nach der anderen reißt ihn seine Begabung, der ihm innewohnende Dichterberuf, die Vorbilder und die Ruhmbegier und der wissenschaftliche Drang. Zwischen diesen zwei Mächten weiß er sich nicht zu entscheiden, mit gleicher Stärke macht jede von beiden ihr Recht geltend, und er beklagt sein unglückliches Schicksal, daß ihm die Entscheidung in diesem Zwiespalte so schwer fällt; daß er zu derselben Zeit so viele Häfen sieht und nicht weiß, zu welchem er sich wenden soll; daß ihm Urteil und Scharfblick bei seinem Streben fehlen, und der Geist zwischen so gewissen Schätzen hin- und herschwankt. In dieser geistigen Not wendet er sich an Gott und bittet ihn, ihm das sichere Ziel zu zeigen. Ist auf diese Weise die individuelle Stimmung auch nach der religiösen Seite hin gewendet, so kann doch kein Zweifel daran sein, daß der Dichter hier unmittelbar in sein Inneres blicken läßt und ein Bild seelischer Kämpfe entwirft, wie es in dem Deutschland des sechzehnten Jahrhunderts nicht oft begegnet. Der Widerstreit, in den die verschiedenartigen menschlichen und geistigen Interessensphären ein zartes Gewissen stürzen können, tritt in diesem, sich aus dem Herzen losringenden Gebet lebendig in die Erscheinung. Daß ein so empfindender Mann die Nöte, welche seine rauhe Zeit mit sich brachte, auf das tiefste fühlte, versteht sich von selbst. Die zahlreichen Klagen über die unglückliche Lage des damaligen Deutschland finden sich j a keineswegs bei ihm allein, aber sie erhalten unter seiner Hand doch einen besonderen Klang, eine besondere Färbung, nämlich wiederum den Charakter einer stillen Traurigkeit. Ein kleines Gedicht, das die eben gestorbene Gattin glücklich preist, weil Gott sie diesen Leiden entrückt, wird ihm ebenfalls zu einer Bitte an Gott, ihn von diesem Jammer entweder durch den Tod oder durch sein unmittelbares Eingreifen zu befreien. In einem längeren Gedichte hat Micyllus auch „das Elend und die Unglücksfälle der Welt und der jetzigen Zeit" beklagt; niemand, sagt er, will mehr seine Pflicht tun, niemand das allgemeine Wohl dem eigenen Gewinn vorziehen, Titel- und Gewinnsucht herrschen; der Drang nach Erwerb treibt den Kaufmann, den Erdkreis zu durchfurchen und bis zu den Indern zu ziehen, alle Laster herrschen, und kein Mensch fürchtet die Gottheit, vielmehr werden die Götter verlacht und Himmel und Hölle für Possen erklärt. Dazu kommt die furchtbare Kriegs-
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leidenschaft, das Land liegt verwüstet da, die Felder sind zerstampft, die Kirchen geplündert, während der P a p s t den Völkern neue Gesetze schreibt und Reiche und Herrscher nach seiner Willkür leitet. „ 0 V a t e r l a n d " , ruft der Dichter aus, „ o Deutschland, du alte Heldenmutter, wie bist du anders geartet als vordem, wie trägst du andere Züge und ein anderes Gesicht". U n d nun folgt ein begeistertes Bild des alten Deutschland von Arminius bis zum Pippinischen Geschlecht, das dem entarteten Deutschland vorgehalten w i r d ; als weitere Beispiele alter deutscher Tüchtigkeit schließen sich die Konrade, Friedrich, Heinrich, der Pfalzgraf Ludwig, Albrecht Achill an. Würde einer von diesen, fragt Micyllus, wohl solche Verluste tragen oder solche Leiden erduldet haben ? Aber jetzt sehen wir mitten in unseren Grenzen den Feind, den weder Elbe noch Donau fernhalten. Laßt ab, euch gegenseitig zu zerfleischen, sondern wenn in euch noch etwas v o n den Eigenschaften der Ahnen ist, so wendet eure K r ä f t e gegen den äußeren Feind und laßt die Türken euren A r m fühlen. Ganz ähnliche Klagen und Ermahnungen hat Micyllus 1552 anläßlich des Aufstandes Moritzens von Sachsen und des E i n bruchs der Franzosen in einem kleinen Gedicht angestimmt. Tragen in diesen und ähnlichen Stücken die äußeren Ereignisse und die Anspielungen auf die Zeitgeschichte genügend d a z u bei, um der Darstellung K r a f t und Farbe zu verleihen, so weiß Micyllus auch da, wo er rein die Empfindungen des Inneren gestaltet, für das, was ihn bewegt, anschaulichen, greifbaren Ausdruck z u finden. Micyllus' Sohn berichtet als den Grundzug der A n schauungsweise seines Vaters, dieser habe stets den Wechsel und die Wandelbarkeit des Schicksals gefürchtet, weil er sein Leben lang von vielfachem Mißgeschick verfolgt gewesen sei. W e n n sich nun der Dichter in der Umgegend Heidelbergs erging, die er selbst so anmutig geschildert hat, dann bewegte ihn nicht so sehr die Freude über das Sprossen und Gedeihen ringsumher, sondern ihn quälte die Furcht, daß ein plötzliches Unglück all diesen Reichtum vernichten könnte, und zur Einkleidung dieser Grundstimmung entnimmt er den Stoff der ihn unmittelbar umgebenden Landschaft: ,,Aspicis, ut densis quaedam vineta racetnis Florent, et multo praela liquore beant. Aspicis et solido flaventes farre novales Et suetas domini spem superarc sui.
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Nunc tarnen aut steriles messem jrustrantur avenae, Aut nimio saevits Juppiter imbre nocet, Aut seges exhausta moriens deewnbit aristo, Et squalent longa iugera jessa siti." Die K r a f t sinnfälliger Schilderung, wie sie aus diesen Versen spricht, w a r Micyllus von Anfang an eigen. Zu seinen frühesten Arbeiten gehört das schöne Reisegedicht, das seine Wanderung von Wittenberg nach Frankfurt schildert (1526). Dieses Werkchen zeigt deutlich, mit wie klarem Blick Micyllus die Dinge zu erfassen, und wie gut er die beobachteten Einzelzüge im Bilde festzuhalten verstand. Der W a l d im Regenwetter, das rauhe Söllinger Bergland im dicken Schneegestöber, vom Sturmwind durchschüttelt, vom Geknarr der Bäume durchächzt, die freundliche Umgebung von E r f u r t , bei deren Bewertung man allerdings den A b s t a n d der Zeiten in der Auffassung des Naturbildes spürt — alles das wird ebenso lebensvoll vergegenwärtigt wie die Bilder einzelner Städte, etwa Leipzigs, das mit seinem Gesamteindruck wie mit seinem lebendigen Messetreiben deutlich emporsteigt. A b e r auch was dem wackeren Poeten begegnet, die freundliche Bewirtung und ähnliches, übt eine unmittelbare Wirkung aus, und die einzelnen Gestalten sind vortrefflich charkterisiert, so z. B . E o b a n Hesse und Mutian; auch die Reden, die den auftretenden Personen in den Mund gelegt sind, haben nichts Gespreiztes und Geziertes; Eoban könnte wohl so gesprochen haben, und wenn Camerarius sich von dem nach anderer Richtung ziehenden Micyllus verabschiedet, so mögen wir in der Art, in der er dem Micyllus als das einzig Erstrebenswerte die Gunst der Musen und den R u h m des Dichters bezeichnet, den Widerhall wirklich gesprochener Worte vernehmen. Über dem Bilde der wechselnden Landschaft und Örtlichkeit, über der Charakteristik der Freunde und der anderen Gestalten ist nun aber die ganz persönliche Stimmung ausgebreitet, die unseren Dichter beherrschte: ein Hauch sanfter Schwermut durchzieht das Gedicht und macht sich immer wieder geltend, so daß die Persönlichkeit des Dichters selbst uns stets aufs neue entgegentritt, und wir mit seinen Augen die von ihm geschilderten Gegenstände betrachten. Die Fähigkeit, ein eindrucksvolles entwerfen, weisen zahlreiche Gedichte auf. Hübsch vergegenwärtigt z. B . wähnten Hochzeitsgedichtes für den
Bild des Geschehenen zu im einzelnen wie im ganzen der Anfang des schon erPfalzgrafen Friedrich die
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Erwartung, mit der das Volk dem Zuge entgegensieht: die Mutter steigt mit ihren Kindern auf kleine Erhöhungen, das enge Fenster kann die vielen heraussehenden Frauen nicht fassen, Türme werden erklettert, in den offenen Haustüren drängen sich die Menschen. In die gleiche Zeit wie dieses Gedicht, nämlich in seinen ersten Heidelberger Aufenthalt, fällt der poetische Bericht, den Micyllus seinem Freunde Camerarius von dem Brande des alten Heidelberger Schlosses erstattet hat (1527). Das Ausbrechen eines furchtbaren Unwetters, die Entzündung des Pulverturms im alten Schlosse durch einen Blitzstrahl, die nun erfolgende Verwüstung, dazu die zur Sinnlosigkeit gesteigerte Angst und der Schrecken der Menge — das alles steht in lebhaften Zügen vor den Augen des Lesers. Besonders hervorzuheben ist auch die Art, in der es Micyllus hier versteht, durch malende Elemente eine unmittelbare Vorstellung des Geschehenen zu erwecken. Heiterer, lebendiger, freier entfaltet sich seine Begabung als Schilderer, wenn er während seines zweiten Heidelberger Aufenthaltes in seinem „Toxeutikon oder der Schützenwettkampf" (1554) das große Schützenfest behandelt, das Kurfürst Friedrich im November des erwähnten Jahres veranstaltet hatte. Da beschreibt er nacheinander das Eintreffen der Schützenabteilungen aus den verschiedenen Städten, die Vorbereitungen zu dem Feste, die Teilnahme des Hofes und des Adels und schließlich in mannigfach wechselnden Szenen den Verlauf des Festes selbst. Mit wohltuender Wärme wird das einzelne behaglich ausgesponnen; die Bilder rollen sich munter ab, und ein Abglanz der festlichen Stimmung liegt über der kleinen Dichtung. Fielen in diese letzte Heidelberger Zeit auch infolge des Todes der Gattin tiefe Schatten, und meinte Micyllus in der Vorrede zu dem „Toxeutikon", daß auch dieses Fest ihm nur „wie ein erfreulicher Lichtstrahl mitten in all dem Leiden und Ungemach der Kriege und Unruhen dieser Zeit" erschienen sei, so kann es doch nicht zweifelhaft sein, daß er während dieser Jahre ebenso wie während des vorausgegangenen zweiten Frankfurter Aufenthaltes im Hinblick auf seine Erfolge und seine bessere äußere Lage das Leben zuweilen etwas freudiger ansah. Manches kleine, absichtslos hingeworfene, aber gerade darum auf uns wirkende Gelegenheitsgedicht, das von dem geselligen Verkehr mit Freunden in Frankfurt und Heidelberg berichtet und die heitere Stimmung dieser Mußestunden festhält, legt davon Zeugnis ab. Für diese Kreise,
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in denen sich der Poet mit stiller Gemütlichkeit bewegte, mag er auch die lateinische Umdichtung des deutschen Volksliedes vom „Buchsbaum und Felbiger" bestimmt haben. Da wird allerdings der Felbiger (Weidenbaum) zu einer Pappel, und das schöne Stück muß sich die Aufheftung klassischer Erinnerungen gefallen lassen, so die Beziehung auf die in Pappeln verwandelten Schwestern des Phaethon. Manches andere ist mit dem Zeitgeschmack hinfällig geworden, so die Epigramme über die römischen (deutschen und griechischen) Kaiser, von denen jeder in zwei Distichen, zuweilen recht äußerlich, charakterisiert wird. Auch die zahlreichen Grabschriften bringen nur hier und da bemerkenswerte Züge, im übrigen unterscheiden sie sich wenig von der ungeheuren Masse gleichartiger Arbeiten. Unmittelbarer wirken die religiösen Gedichte (Buch 5); unter ihnen ist namentlich das Eingangsstück: „Vom Fall und der Erlösung des Menschen" hervorzuheben; in den ersten Versen blickt der vierzigjährige Micyllus zürnend zurück auf die bisher behandelten nichtigen Gegenstände, er sagt den Göttern des Olymp ab und will nur Christus noch zu seinem Führer wählen. Auch die Gebete sind, wie schon oben hervorgehoben ist, durch individuellen Gehalt anziehend; in den Psalmenübertragungen erfreut die edle Form, die hier nicht wie so häufig bei den versifizierten Psalmen zu dem Inhalt in einem starken Gegensatz steht. Auch auf das Gebiet der Epigrammatik hat sich unser Dichter gewagt; angreifende Epigramme finden sich nur außerordentlich selten; wider einen Polyphem getauften Gegner wendet sich Micyllus; jener hat ihm vorgeworfen, daß seine Bücher zu wenig Umfang haben, und etwas Größeres von ihm verlangt; Micyllus erklärt, daß es gut wäre, die Kräfte seines Geistes zu kennen und sich innerhalb ihrer Grenzen zu halten; dem Polyphem aber wirft er vor, daß er nur zu kritisieren, aber nicht zu schaffen versteht. Ein anderes Epigramm ist gegen die bäurische Aussprache eines Zechers und Schlemmers gerichtet. Man hat bei diesen Epigrammen die Empfindung, daß sich Micyllus nur ungern zu derartigen Arbeiten entschloß, weil ihm die notwendigen Vorbedingungen zur wirksamen Handhabung dieser poetischen Waffe fehlten. Nicht anders wird es sich mit der dramatischen Satire verhalten haben, in der er sich einmal versucht hat. Als er durch die Umtriebe eines falschen Freundes aus Frankfurt vertrieben worden war, kleidete er Lucians „Ver-
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leumdung des Apelles", d. h. die Beschreibung eines Bildes, in dem die Verleumdung eines Künstlers dargestellt wurde, in dramatische Form. Aber nichts läßt in diesem kleinen, anspruchslosen Werkchen darauf schließen, daß der Dichter sich mit ihm tiefe Kränkung, Bitterkeit, Groll über Undank von der Seele schreiben wollte; kein starker energischer Ton deutet auf die eigne innere Erregung des Micyllus hin. Dazu kommt, daß der Garg der Handlung sich zwar sauber abrollt, daß aber jede kräftige Bewegung fehlt; nirgends ein Zusammenstoß feindlicher Gewalten, den der Stoff so nahe gelegt hätte. Aber wer den Lyriker Micyllus betrachtet, wird an diesem Versuch nicht vorbeigehen dürfen. Denn das eigentümliche Wesen des Lyrikers macht sich doch auch hier geltend; und ganz in seinem Element finden wir Micyllus erst, sobald er in einer Art leiser Lyrik individuelle Stimmungen festhält; so wenn Apelles, hier sicher die Meinung des Dichters ausdrückend, den Segen einer geordneten, den Geist immer von neuem beschäftigenden Tätigkeit preist (IV, 1), oder wenn der König die Sorgen und Mühen seines zwar glänzenden, aber nicht goldenen Amtes beklagt (III 2). Daß es Micyllus auch dann, wenn er seine Feder zum angreifenden Epigramm oder zur satirischen Komödie ansetzte, nicht möglich war, den der Dichtungsart angemessenen Ton zu finden, entspricht durchaus dem Wesen der Persönlichkeit, wie sie sich uns erschlossen hat. In dieser reinen Seele findet der Haß keine dauernde Stätte, der Groll über die erlittene Kränkung läßt bald nach oder schmilzt in einer sanften Klage dahin. Eine feine, allem Gewaltsamen, allem ans Rohe Streifenden und daher auch jedem allzu heftigen seelischen Ausbruche abgeneigte Natur tritt uns überall entgegen. Wenn er über Zeitumstände und Sorgen klagt, die ihn in der poetischen Tätigkeit behindern, wenn er in seiner Zeit die wahre Freundschaft vermißt und daher sehnsüchtig nach dem Altertum ausschaut, wo sie noch zu finden war, so offenbart sich dieser Grundzug seines Wesens ebenso, wie wenn er den Weg beschreibt, auf dem man ins Reich der Poesie gelangen kann, oder wenn er für den Betrieb seiner Wissenschaft Ratschläge erteilt. Auch in der sinnigen Art, in der er auf den Eindrücken von Natur und Umgebung verweilt, macht sich dieser Charakterzug geltend. — Ebenso eröffnen die von ihm verwendeten Bilder einen Blick in seine Persönlichkeit. In seiner Frühzeit fehlt es auf diesem Gebiete nicht an Verstiegenem und
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Gekünsteltem; es ist schon auf das Bild von dem Rosse des Freiers der Hippodamia hingewiesen worden, ein Gleichnis, das sich noch dazu infolge seiner dunklen Ausdrucksweise nur dem mit der griechischen Sage Vertrauten schnell erschließt. Ganz fehlen diese Elemente auch in der späteren Dichtung des Micyllus nicht, wie das bei dem Charakter dieser gelehrten Lyrik selbstverständlich ist, aber wo sie vorkommen, sind sie klar, anschaulich und stören den Gesamteindruck nicht. Sie treten jedoch im ganzen fast vollständig hinter den Bildern zurück, die aus Natur und Umgebung genommen sind. Zuweilen ergibt die Situation hier freilich die Notwendigkeit eines kräftigeren Tons, so wenn der Sturmwind mit dem Gebrüll der in ihrer Höhle vom Jäger ergriffenen numidischen Löwin verglichen wird. Aber im übrigen herrscht auch in den Bildern eine sanfte, gefaßte Schwermut vor. Die folgenden Worte aus dem „Brief an Melanchthon" sind für diese Stimmung bezeichnend: „Die Augen, die lange in der Finsternis verborgen gewesen sind, werden trübe für den leuchtenden Himmelskreis und vermögen die Strahlen von Sonne und Mond nicht genügend zu erschauen; deshalb hat auch jetzt meine kranke, lange von Sorgen und unwürdiger Lage bedrückte Muse kaum ihre Augen zu erheben gewagt." — Bestimmte Lieblingsvergleiche kehren mehrfach wieder: in dem Reisegedichte vergleicht Micyllus den Kummer, den ihm die Trennung von den Freunden bereitet, mit dem Schmerz der Kuh, der man das Kalb entrissen (wobei er dann das Bild hübsch weiter ausführt und eine noch unmittelbarere Beziehung auf seinen eigenen Zustand zu finden weiß); in dem Hochzeitsgedicht an Stigel heißt es umgekehrt: „Nicht mehr klagt das junge Kalb nach seiner Mutter, wenn es allein durch die unsicheren Haine schweift, als ich die unwürdigen Arbeiten beseufze, die mich meiner eigentlichen Bestimmung entfremdet haben." Ebenso drängen sich ihm die gleichen Bilder auf, wenn er den Gedanken zum Ausdruck bringen will, daß nur das Schlechte in der Welt Bestand hat, das Gute und Schöne aber schnell dahingerafft wird. In dem Reisegedicht heißt es: „Sic prima violae pereunt aestate cadentes, Sic perit a tenero mox bona flore rosa. At lolium infelix sterilisque obdurat avena, Nec nisi vomeribus diruta cedit agris." Nur wenig verändert kehrt das gleiche Bild in dem Klagelied auf den Tod der Gattin wieder:
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„Sic rosa, sie violae prima moriunlur in herba, Candida nec toto lilia mense nitent. At contra tribuli et male noxia gramina spinae Nec metuunt venlos, nec nive tacta cadunt." Besonders aber bevorzugt er das Bild von dem steuerlos dahintreibenden Kahn; haben wir es hier auch mit einem in der neulateinischen Dichtung häufig auftauchenden Vergleich zu tun, so gewinnt es bei ihm doch eine besondere Eigenart, durch die die seelische Veranlagung deutlich zum Ausdruck kommt. Fühlt man bei dem Inhalt, wie schon erwähnt, zuweilen den Zwang, so ist das bei der Form nirgends der Fall. Mühelos, wie selbstverständlich rinnt der lateinische Vers dahin; wörtliche Anlehnungen an die römischen Dichter erscheinen verhältnismäßig selten, und wo sie auftreten, übernimmt Micyllus die antiken Vorbilder so, daß sie völlig neugeschaffen sind. Nirgends merkt man dem Verse die Beengung an, die sonst so leicht der Gebrauch der fremden Sprache hervorbringt: man empfindet überall, daß der lateinische Vers die entsprechende Form für die einzukleidenden Gedanken war. Nach dieser Richtung hin liegt ein Vergleich mit Eoban Hesse nahe; aber trotz Eobans Virtuosität wird Micyllus der Vorzug zugestanden werden müssen. Die Flickgedanken und Flickworte, die bei Eoban nicht selten auftauchen, weil er sie zur Füllung des Verses nicht entbehren konnte, fehlen hier vollständig. Daß Micyllus uns in der Form so anspricht, erklärt sich zum Teil mit daraus, daß er auch auf diesem Gebiete jede Künstelei vermeidet. In der Sprache hat er sich nach kurzem Tasten schnell zu vernünftigen Grundsätzen durchgerungen: er wählt immer den nächstliegenden schlichten und einfachen Ausdruck. Der Vers, den er fast ausschließlich gebraucht, ist der elegische; selten verwendet er den Hexameter allein, ganz selten lyrische Maße. Namentlich das letztere ist für ihn bezeichnend: die hochtrabende Art, zu der die Odenmaße so leicht verleiten und tausendfach in der neulateinischen Lyrik verleitet haben, stieß ihn offenbar ab, und aus diesem Grunde hat er lieber darauf verzichtet. Micyllus war ein wirklicher Dichter; wenn uns trotzdem manches, was er geschrieben, heute recht fern liegt, so ist der Grund in den unpoetischen Gattungen zu suchen, deren er sich nach der Weise der Zeit vielfach bedienen mußte. Daß er trotzdem
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diese Formen nicht selten mit echtem Gefühl zu durchdringen verstand, ist gezeigt worden. Es konnte auch nicht anders sein; denn überall, wo er nicht allzustark durch die konventionellen Formen eingezwängt war, macht sich die liebenswerte Persönlichkeit des Dichters deutlich, aber nie aufdringlich geltend. Namentlich in diesem Vorwalten der individuellen Stimmung zeigt sich die Verwandtschaft zwischen seiner und der Poesie seines Freundes Camerarius, soweit dieser auch als Dichter hinter Micyllus zurücksteht. Wer sich die feine Persönlichkeit des großen Gräzisten, des geistig gleichgerichteten Freundes Melanchthons, vergegenwärtigt, der wird von der äußeren Form seiner dichterischen Versuche zunächst überrascht sein und diese mit den eigentlichen Zügen seines Wesens nicht recht in Einklang zu bringen wissen. Denn Camerarius' Versuche haben etwas Hartes und Rauhes, man gewinnt den Eindruck, daß die poetische Stimmung wohl meist vorhanden ist, daß es ihm aber nicht leicht wurde, sie in lebendigen Ausdruck umzusetzen und diesen durch Maß und Vers zusammenzubinden. Es läßt sich ihm daher wohl nachfühlen, daß er mit überschwänglicher Bewunderung zu Eoban Hesse emporblickte, dem die Verse so mühelos von den Lippen glitten. Aber wenn er auch einem Eoban gegenüber, „auf dessen Wink die gerufene Muse herbeikommt", seine eigene Schwerfälligkeit doppelt empfand, so mochte er doch nicht davon lassen, das, was ihn bewegte, im Gesänge auszuströmen. „Wenn auch nichts klangvoller ist als der Laut der Nachtigall", sagt er, „so unterläßt es doch die Turteltaube nicht, von den hohen Bäumen herab zu seufzen". Auch er singt, weil er muß, und eben weil alles, was er dichtet, nicht der modischen Liebhaberei, sondern dem inneren Bedürfnis seinen Ursprung verdankt, vermag das meiste heute noch unmittelbar anzuziehen. Und der Mangel an Glätte und Vollendung der Form, den Camerarius selbst so schmerzlich empfand, wirkt im Vergleich zu manchen neulateinischen Poeten, hinter deren gedrechselten Versen sich geistige Leere nur schlecht verbirgt, wie eine Erfrischung. Seine kleineren lyrischen Dichtungen, die meist der Nürnberger Frühzeit entstammen (seit 1526), bieten Gelegenheitspoesie im guten Sinne des Wortes. Er beruft Freunde zu traulicher Zusammenkunft und weiß hübsch auszuholen; die wechselnden Geschicke der Menschen wälzt er in seinem Geiste hin und her und vermag einen Ausweg in diesem
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Wirrwarr des Schicksals nur darin zu sehen, daß der Mensch alle seine Sorgen auf Gott wirft und im übrigen die erlaubten Freuden des Lebens genießt; von hier aus findet er den Übergang zur Einladung. Oder er entwickelt sein eigenes Lebensideal, das in stiller Pflege der Wissenschaft und im Unterricht sein Ziel findet, und er möchte nicht mit anderen Berufsarten tauschen, die zwar gewinnbringend, aber mit mancherlei Gefahren verbunden sind. Mit seinen dichterischen Kollegen wechselt er freundliche Begrüßungen; er empfindet es übel, daß ihm Georg Sabinus nur einen Brief und keine Verse schickt; er hat von der dichterischen Begabung des jüngeren Freundes immer viel gehalten und weissagt ihm eine große Zukunft. Dabei erfahren wir, daß der Jüngling einmal ein seine Kräfte weit übersteigendes Werk dem Camerarius vorgelesen, daß dieser darüber gelacht und dem Sabinus vor Scham die Tränen in die Augen gestiegen sind. Daß auch Eoban wiederholt verehrungsvoll begrüßt wird, ist bereits oben erwähnt; den Tod des Dichterkönigs beklagt Camerarius in einem Gedicht an Micyllus, das, wenn auch im Ausdruck mehrfach hart und trocken, doch die Wirkung der Todesnachricht gut festhält, Freundschaftsempfindungen wehmütige Worte leiht und eine Charakteristik wenigstens anstrebt. Unmittelbar aus der Situation heraus wachsen poetische Schreiben, wie etwa das an Daniel Stibar, den Gönner des Petrus Lotichius Secundus und Freund des Schwarzkünstlers Faust, wo der Dichter sich sowie den Empfänger lebendig vorführt, auch die beiden ihm im Leide Trost gewährenden Mächte bezeichnet, die Musen und die Freundschaft. Von Persönlichem schreiten wir auch hier zu Allgemeinem fort. Der Dichter fühlt sich inmitten der rcichen Handelsherren Nürnbergs und ihrer materiellen Tendenzen nicht recht an seinem Platze; er klagt über den geringen Erfolg seiner Bemühungen. Aber diese persönlichen Empfindungen setzt er häufig in allgemeine Gedanken um; wiederholt weist er trauernd darauf hin, daß die Verachtung der Musen überall eingerissen ist. So beklagt er, wie sehr durch die Geringschätzung der Kunst das Leben ärmer wird; er vergleicht diese Nichtachtung mit dem heftigen Windhauche, der die aufsprießenden Gräser der fröhlichen Saat, der die blühenden Zweige am jungen Baume tötet. Die Zeit ist von allerlei Unruhen erfüllt, die Sinn und Gedanken der Menschen von der Kunst abziehen. Unterdessen bejammern die vertriebenen und verachteten Kamönen ihr trauriges Geschick; Wald, See und die aus dem harten
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Fels herausspringende kalte Quelle beantworten ihre Klagelaute ; nur die Vögel spenden aus dem grünen Laube Beifall, nur die wilden Tiere jauchzen bei dem herzerfreuenden Gesänge. Ja, die Musen sind um alle Ehre gekommen, und eine von ihnen wendet sich mit der Frage an das Menschengeschlecht, wann es endlich von seinem Wahnsinn ablassen wird, der notwendigerweise zum Untergange führen muß. Aber niemand beachtet die Stimme der trauernden Wortführerin, deshalb nimmt sich der Dichter selbst ihrer an und mahnt den Freund, an den das Gedicht gerichtet ist, sich dem Dienste der Musen zu weihen. — In einem anderen Gedichte wendet er sich einer nicht minder bedeutsamen Frage zu, die ihm namentlich durch seine Freundschaft mit Melanchthon nahegelegt wurde. Wieder erhalten wir eine Klage über die Verderbtheit der Zeit; die unglückliche Lage der Dinge führt Camerarius hauptsächlich auf den schlechten Zustand der im Aberglauben untergegangenen Religion zurück. Allerdings kann er sich der jetzt beginnenden Besserung nicht ganz verschließen, aber die Aussicht auf weitere Fortschritte hält ihn doch nicht von Klagen ab, und nur im Vertrauen auf Christus vermag er Ruhe und Hoffnung zu finden. — Alle diese Gedichte lassen uns unmittelbar in Camerarius' Seele blicken; es ist nichts Gemachtes, Gekünsteltes in ihnen. Aber auch im einzelnen fällt manch hübsch geprägtes Wort, manche gute Erfindung auf. Wenn er dem Freunde Eoban klagt, daß er der Poesie ganz Valet sagen müsse, da er in der Stadt (Nürnberg) niemanden finde, dem er die Gedichte vortragen könne, so sucht er das ihm Vorschwebende durch ein Bild zu erläutern, das in ähnlicher Weise sich auch bei Micyllus findet (s. oben S. 42): „Die kranken Augen werden durch den Glanz der Sonne beschwert; so ist auch mein Auge stumpf für das Licht der Wissenschaft geworden." Wie die inneren, so hält er die äußeren Vorgänge fest; wir sehen, wie er staubbedeckt durch den Harz reitet und sich durch dichterische Versuche den Weg kürzt; während er im Harz Bäder gebraucht, beobachtet er die Natur und verwendet das Beobachtete dazu, um seinen poetischen Empfindungen eine größere Anschaulichkeit zu verleihen. Wenn er in dem oben erwähnten Gedicht sein bescheidenes Los dem gefahrvollen des Kaufmanns vorzieht, so schwebt ihm dieser vor, wie er die steilen Gebirgspfade des Harzes dahinzieht, wie er über die mächtigen Baumstämme und das Rascheln des Laubes erschrickt.
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Was von den großen Ereignissen der Zeit ihn lebhaft und unmittelbar berührte, hat ihm später ebenfalls Stoff zur Dichtung geliefert. Wie seine Freunde Melanchthon und Micyllus hing auch er mit unwandelbarer Verehrung an Karl V.; und es ist rührend zu sehen, wie in den Köpfen dieser treuherzigen Männer sich das Idealbild des kalten, undeutschen Rechners gestaltete. In zwei Gedichten hat Camerarius dieser Gesinnung Ausdruck gegeben. Sein „Karl oder das österreichische Wien" (1532) ergreift einen der beliebtesten Gegenstände der neulateinischen Dichtung, die Türkengefahr; mit heftigen Worten gegen die Türken wird begonnen ; dann erörtert Camerarius ihren Ursprung und ihr rasches Fortschreiten und schildert schließlich, wie Wien durch sie bedroht wird (1529), das verloren gewesen wäre, wenn Karl es nicht gerettet hätte. Das zweite Stück: „Karl oder der Zug nach Tunis" (1534) eröffnen enthusiastische Lobpreisungen auf den Kaiser; wie bei Horaz wird der Sonnengott gefragt, ob er auf seinem weiten Wege etwas Größeres und Besseres als Karl erblicken könne. Nach einer energischen Betonung der Macht des Kaisers schildert dann der Dichter kurz, wie Karl bei der Abfahrt von Sizilien in längerer Rede die Truppen zur Tapferkeit crmahnt, sie auf die Vortrefflichkeit der Flotte, auf den Schutz Gottes hinweist und dann die Schiffe abfahren läßt. Aus den Wellen aber steigt der Meergott Proteus herauf, er freut sich des Tages und sagt in längerem Lobliede auf Karl den glücklichen Ausgang des Kampfes voraus. Wie hier und in der Folgezeit die öffentlichen Angelegenheiten, so suchte Camerarius auch die eigene Beschäftigung poetisch zu verklären: seine „sittlichen Vorschriften für die Jugend" (1536) hat er sowohl in Prosa wie in Versen bearbeitet; wir haben es hier selbstverständlich mit der metrischen Form zu tun. Das Werkchen knüpft an eine weitverzweigte Gattung humanistischer Literatur an und hat in der Ausgestaltung des einzelnen manche Beziehungen zu seinen Vorgängern, aber die Art, in der das Ganze angelegt und durchgeführt ist, darf trotzdem als unseres Dichters Eigentum bezeichnet werden. Nach einer Einleitung wird mit selbständiger Ausmalung des einzelnen die Wahl des Herkules gar nicht übel erzählt, und hieran knüpfen sich dann Ermahnungen zur guten Lebensführung, vor allem zur Gottesfurcht, dann auch zum Streben nach Bildung, friedlichem Sinn, Keuschheit, Wahrhaftigkeit, Maßhalten in Speise und Trank und anständigem
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Benehmen — Vorschriften, die nach der Weise der Zeit und der humanistischen Richtung, innerhalb deren sich hier Camerarius bewegt, etwas zu sehr ins einzelne gehen, aber zur Aufstellung ganz hübscher Einzelbilder Veranlassung geben. Immer kommt der Dichter jedoch auf die Einprägung der Gottesfurcht zurück; und man kann nicht ohne Rührung lesen, wie er dem Schüler das Morgen- und Mittagsgebet in den Mund legt. Der Zeit nach schließen sich zunächst seine Reisegedichte an, fünf Elegien von ungleichem Werte (1541). Zwei (wie Nr. 3 und 5) sind unbedeutend, obgleich in dem letzten die herzliche Freundschaftsgesinnung den Leser angenehm berührt. Die erste Elegie (1524) ist an Melanchthon gerichtet; sie schildert die Hüttenwerke Annabergs und erzählt, wie Camerarius von einem Freund umhergeführt und auch in das Bergwerk hinabgeleitet worden ist. Die Schilderung der unterirdischen Schrecknisse erfolgt zum Teil, wie bei Celtes, durch klassische Anspielungen; aber zugleich hat der Dichter doch auch den Eindruck schlicht festgehalten, den diese Unterwelt auf ihn ausgeübt; und wenn er von dem engen Schacht erzählt, durch den er sich hindurchzwängen muß, so schwebt ihm nicht allein die feste Schale vor, die den Krebs einengt, oder die Höhlung, durch die die Maus hindurchkriecht, sondern er findet auch einen anderen hübschen Vergleich: „ S o schleicht sich der Liebende zu verstohlenem Verkehr, wenn die zitternde Geliebte die verschlossene Pforte öffnet." Eine andere Elegie (Nr. 2; 1526) trägt ganz individuelles Gepräge; der Dichter verwünscht das umherschweifende Leben; er weist auf die Mühen und Gefahren hin, die er erduldet; er zählt die Länder auf, die er schon durchwandert, und preist, das Landleben ganz anmutig im Bilde festhaltend, das Los des Landmannes, den seine Scholle fesselt. Einen Blick in Camerarius' treue Freundesseele läßt uns auch die vierte Elegie tun (1538). Sie beschreibt eine Reise nach Wittenberg; der Dichter zählt in froher Erwartung die Freunde auf, die er in Wittenberg zu treffen und mit denen er freudige Tage zu verleben denkt. Aber Hoffnung und gehobene Stimmung werden ihm gründlich verdorben; er findet Melanchthon tief verstimmt durch die Widerwärtigkeiten, in die ihn der Handel wegen der Veröffentlichung von Lemnius' Epigrammen verstrickt hat. Auf diese Angelegenheit geht Camerarius dann näher ein; er nimmt auf das heftigste gegen Lemnius Partei; er apostrophiert den, „ganz unsinnigen" Lemnius, der mit seinem „unreinen Munde",
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seiner „gottlosen Zunge" die Männer, denen er zu Dank verpflichtet sei, gelästert habe. Als warnendes Beispiel stellt er den entarteten Poeten hin und mahnt die Jugend angesichts dieses Falles, die wahre Bildung nicht bloß in der Vollendung der äußeren Form, sondern in einer Veredlung des Herzens zu suchen. Auch in dieser Elegie erkennt man, daß Camerarius sich in der Dichtung von dem Eindruck, der ihn bedrängt und preßt, durch Aussprechen befreien will. Ebenso hat er in anderen, wieder mehr die allgemeinen Verhältnisse berührenden Lagen auf diesem Wege Trost und Erleichterung gesucht. So in dem „Gedichtchen über das Elend dieser Zeiten": „Gelübde oder Gebet" (1563 erschienen), das 1552 geschrieben und wie die oben erwähnten Gedichte auf Karl V. in Hexametern verfaßt ist. Die Veranlassung zu diesem Stoßseufzer gab das Treiben des wilden Mordbrenners Albrecht Alcibiades in des Dichters fränkischer Heimat, das diesen um so unmittelbarer verwunden mußte, als er sich gerade damals dort aufhielt. So beginnt denn auch das Stück damit, daß Camerarius sich selbst in den Mittelpunkt stellt: er kommt von Nürnberg nach Bamberg und findet hier alles in Aufruhr, da eben die Nachricht der furchtbaren Verwüstungen eingetroffen ist. Überall herrscht Furcht und Bestürzung, man fürchtet die Ankunft des Feindes. Der Dichter, der sich nicht zum Waffenhandwerk bestimmt weiß, flieht, und in dem sicheren Zufluchtsort, den er erreicht, hört er, daß seine Vaterstadt Bamberg gefallen sei. Doch weist sich die Nachricht als irrig aus, aber es trifft zu, daß Würzburg zerstört und der größte Teil seiner Bürger dem Untergange geweiht worden ist. Das furchtbare Geschick erpreßt ihm bittere Klagen und veranlaßt ihn, nach den Gründen all dieses Elendes zu forschen. Er findet sie in der Verderbnis, die alles ergriffen und zerfressen hat, in inneren Zwistigkeiten und dem gegenseitigen Neid der Fürsten. Eine wirkungsvolle Anrede an Deutschland hebt dessen frühere Blüte dem jetzigen Zustande gegenüber hervor. Der Dichter sieht keinen Ausweg, er vermag nur darauf hinzuweisen, daß man zu Gott seine Zuflucht nehmen und ihn um Befreiung von diesen Übeln anflehen solle. Es kann bei dem Stand der Verhältnisse nicht wundernehmen, daß sich derartige Klagen bei Camerarius wiederholen; für ihn selbst ist es aber bezeichnend, daß er auch eine von den Modeformen der neulateinischen religiösen Lyrik benutzte, um seinen E l l i n g e r , Neulateinische Lyrik I, 2.
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Schmerz über die Lage des Vaterlandes zum Ausdruck zu bringen. Seine in lateinische Anapäste übertragene „Klagelieder des Propheten Jeremias" sind nach dem kleinen Eingangsgedicht veranlaßt durch das selbstverschuldete Unglück Deutschlands. Wertvoller als diese erweiternde Umschreibung des biblischen Buches, in der jeder einzelne Gedanke durch wiederholende Züge aufgeschwemmt wird, sind die Beigaben, ein Widmungsgedicht in Hexametern, das die Unbilden der Zeit beklagt, die Ursache alles Elends in den Menschen selbst sieht und schließlich in ein Bittgebet an Gott um Erleichterung dieser Lasten ausklingt, und eine Ode „an Deutschland, daß es sich zu seinem Heile bekehre". In diesem Gedicht redet ein warmer Vaterlandsfreund; er klagt, daß Deutschland in Kriegen sich immer von neuem selbst zerfleischt; er mahnt zu der alten Einfachheit zurückzukehren, aus der alles Große hervorgegangen sei. Immer aber drängt sich ihm wieder der Eindruck der Verderbtheit des Zeitalters auf, aus der er einen Ausweg nur dann sieht, wenn eine allgemeine Umkehr erfolgt. Stärker als die zuletzt erwähnten Stücke fesselt die Idyllendichtung des Camerarius; sie bezeichnet das Beste, was er poetisch zu sagen hatte. Seine Eklogen sind 1558 erschienen, reichen jedoch, wie der Dichter ausdrücklich sagt, und wie man auch aus Inhalt und Form entnehmen kann, zum Teil in viel frühere Zeit zurück. Die Schablonenhaftigkeit, die der neulateinischen Eklogendichtung so häufig anhaftet, erscheint meist überwunden. Ganz fehlen derartige Elemente natürlich auch hier nicht. So fällt ein wohl durch Ovids Heroiden angeregter Monolog der önone (Nr. 11) ganz aus dem Rahmen des Stoffkreises heraus; die Verbindung mit der idyllischen Dichtung ist nur dadurch hergestellt, daß erzählt wird, wie Paris, der Geliebte der önone, des ländlichen Lebens, das er an ihrer Seite geführt, überdrüssig geworden ist und, von Gold und Edelsteinen funkelnd, in Purpurgewänder gehüllt, nach Sparta zur Werbung um Helena schifft. Und nun bejammert die Verlassene ihr trauriges Los, indem sie hübsch das in ländlicher Einsamkeit genossene Liebesglück schildert, zugleich auch aus ahnender Seele Paris' künftiges Schicksal und das von ihm herbeigeführte Unheil weissagt. Andere Eklogen zeigen, obgleich ihnen persönliche Elemente nicht fehlen, die landläufigen Einkleidungen; so wenn ein Hirt sich über den Wolf beklagt, dessen er sich nicht erwehren kann, und ihn durch
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Zaubersprüche zu verscheuchen gedenkt (Nr. 2); wenn derselbe Hirt, durch die Verwünschung kaum vom Wolfe befreit, wieder von einem neuen Unglück getroffen wird, da ihm ein Dieb einen Becher gestohlen, der ihm als Abschiedsgeschenk eines nun verstorbenen Freundes besonders lieb war (3). Ebenso haben wir die in der neulateinischen Ekloge so häufig vorkommenden Wettgesänge, angeknüpft wie gewöhnlich an eine vorausgehende, nur durch die Personen mit dem Wettgesang verbundene Handlung; doch hat sich Camerarius bemüht, wenigstens diese Vorhandlung realistisch zu gestalten (7). Daß auch die mythologisch-pastoralen Erfindungen nicht fehlen, darf bei einem Gelehrten wie Camerarius nicht wundernehmen; wieder in einem Wechselgesang (Nr. 4: Lycidas), in welchem der eine Hirt den Tod seines Bruders Joalas beklagt, hören wir von dem anderen die Erzählung von dem Geschick des Möris. Dieser ist vom Reize der Nymphe Nais entflammt, die auch ihm in treuer Liebe zugetan ist. Viele Faune versuchen ihre Liebe zu gewinnen, aber sie weist alle ab; da quillt in der Brust eines der Verschmähten grimmiger Haß empor, und er beschließt sich zu rächen. E r überfällt den Möris mit seinen Genossen, fesselt ihn mit harten Riemen, bindet ihn nackt an einen Baum und geißelt ihn, nachdem er das Rohr zerbrochen, auf dem Möris so oft das Lob der Nais gesungen. Mit höhnenden Worten verlassen sie ihn. Nun findet Nais den Geliebten; unter Jammer und Tränen umschlingt und küßt sie ihn; sie ruft ihn ins Leben zurück und tröstet den Verzweifelnden. Mehr im Geschmacke der italienischen Neulateiner, etwa des Bembus, ist eine andere Ekloge (Nr. 10), für die das Stoffliche aus einigen Versen des Moschus entlehnt ist. In einer epischen Umrahmung erhalten wir einen längeren, leicht humoristisch gefärbten Monolog des Pan, der die Nymphe Echo um Gegenliebe anfleht, seine Vorzüge herausstreicht und sie mahnt, von dem Satyr abzulassen,: der sie doch nicht liebe. E s mangelt in den soeben besprochenen Eklogen keineswegs an reizvollen Zügen; nicht ohne Zartheit sind z. B. die Reden ausgeführt, die in der Ekloge: „Lycidas" (Nr. 4) die tiefbetrübte Nais und der halbentseelte Möris miteinander wechseln. Auch das Persönliche tritt, obgleich es allegorisch verhüllt wird und nicht immer mit Sicherheit gedeutet werden kann, erkennbar hervor. Noch mehr ist das bei anderen Eklogen der Fall, wo Gedanken, wie sie uns in Camerarius' poetischer Tätigkeit bereits begegnet sind, 4*
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wiederkehren. So in der Ekloge: „Carpolimäus", wo zwar unter den gewöhnlichen Formen, aber mit nicht üblerWahrung des Hirtenkostüms die bangen Sorgen und Ahnungen, von denen Naturen wie Camerarius und sein Freund Melanchthon damals so oft heimgesucht wurden, zum Ausdruck kommen: zunächst erhalten wir einen Wechselgesang in Distichen, in welchem der eine Hirt sein Liebesglück preist, der andere über den Mangel an Gegenliebe klagt, beide ihre Sehnsucht aus den kalten, rauhen Fluren nach den warmen Gefilden Italiens aussprechen; dann aber wechselt das Versmaß, und es tritt ein Gespräch in Hexametern ein; die feindliche Stimmung der sonst so stillen Schafe und die drohenden Himmelszeichen deutet der eine der beiden Hirten auf bevorstehenden Krieg, und er malt sich das unglückliche Los aus, das ihn dann treffen würde; da aber mahnt ihn Carpolimäus, sich den Sorgen nicht allzusehr hinzugeben; besser sei es vielmehr, das, was Gott Erfreuliches gebe, mit dankbarem Sinne zu genießen, das Traurige nicht allzuschwer zu nehmen, noch sich mit banger Furcht zu peinigen. Man meint hier wirklich die beiden Herzensfreunde im Gespräch miteinander zu sehen: Melanchthon, von banger, nur zu berechtigter Sorge um die Zukunft gepeinigt und bedrückt, der seelisch ähnlich geartete Freund ihn tröstend und aufrichtend. Verwandt ist die Erfindung in der Ekloge „Battus" (Nr. 12). Der Dichter versetzt uns ausdrücklich in die Lage, „da die Wut und der Zorn der Fürsten im ganzen Umkreise der Erde emporloderte", und schildert uns ein auf diese unruhigen Zeitläufte fallendes Hirtengespräch. Battus und Menalcas treiben die Herden zusammen, da wirft sich Battus unter tiefen Seufzern auf einen Ahornstamm nieder und ergießt sich in betrübte Klagen. Witterung und Natur haben ihm alles vernichtet: Weide, Futter im Stalle, Ernte; und was übrig geblieben, ist dem wilden, ungeordneten Heereshaufen zum Opfer gefallen, der neulich durchzog; mit Mühe hat er noch Weib und Kind durch Verbergen vor Schande bewahrt. Menalcas sucht ihn aufzurichten, er mahnt ihn zur Ruhe, er erinnert ihn daran, daß man auf bessere Zeiten hoffen und nicht verzweifeln dürfe; er weist ihn auf die Wandelbarkeit des Geschicks hin; „den Mond", sagt er, „der gestern sich verdunkelt, wirst du bald wiedererstehen und seine glänzenden Horner zeigen sehen". Vor allen Dingen aber prägt er ihm Gottvertrauen ein; daneben bietet er, dem es gut geht, seine Hilfe an.
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Kommt in derartigen Stücken neben dem lebhaften Eindruck der Zeitläufte auch die pädagogische Absicht des Verfassers zu Worte, der mahnend, sorgend sich mit der Absicht zu bessern an Jugend und Volk wendet, so sind derartige Bestrebungen auch bei anderen Eklogen maßgebend gewesen. Die besprochene Ekloge: „önone" ist nach dem Bekenntnis des Verfassers von dem Wunsche eingegeben worden, vor Stolz und Ehrsucht zu warnen; in einer anderen Ekloge (Nr. 9) weist er auf die üblen Folgen der Liebesleidenschaft hin; er erwägt unter heftigen Anklagen gegen den unheilvollen Cupido, den Urheber von Trauer und Verderben, der die Mutter gegen die Kinder, die Schwester gegen den Bruder bewaffnet, das Schicksal seines Freundes Daphnis. Dieser ist in eine Nymphe verliebt, aber sie treibt bloß ihr grausames Spiel mit ihm; alle Versuche, den Jüngling von der verderblichen Neigung zu heilen, sind vergeblich, und der treue Freund wird seinen Untergang beweinen müssen. Tritt in derartigen Gedichten die pädagogische Tendenz etwas zu stark heraus, so ist es Camerarius dagegen vortrefflich gelungen, in der Ekloge „Illus" (Nr. 13) das moralische Endziel mit der Schilderung eines idealisierten Landlebens zu verbinden. Vater Illus sitzt unter der schattigen Eiche, neben ihm sein Sohn, des Erzeugers größte Sorge; mit zögernder Stimme beginnt der Alte zu sprechen, der hinter ihm stehende, vom Riedgras gedeckte Dichter hört die Worte. „Ich wünsche nicht nur", sagt Vater Illus, ,,daß du Hab und Gut bewahrst, damit dir nicht das Los der Armen zuteil wird, sondern daß du das, was wir auf ehrenhafte Weise erworben, ebenso deinen Kindern übergibst; vor allen Dingen ist es aber mein Wunsch, daß du dir bei Hoch und Niedrig Achtung durch deine Lebensführung erwirbst". Wie er das erreichen kann, will Illus in der gleichen Weise dartun, wie es ihm einst sein Vater gezeigt hat. Und nun folgt die Belehrung. Zuerst mahnt der Alte zur Gottesfurcht, Kindesliebe, Vermeidung alles Bösen; namentlich aber sind es zwei Dinge, die er ihm einprägt, Vermeidung von Müßiggang und Bewahrung der Scham. „Die Scham ist die schönste Tugend; der ging unter, in dem die Scham unterging." „Optimus ille est, Qui color ingenuas tingendo rübedine malus In iuvenum ore nitet." Es liegt über dem Gedicht eine sanfte Schwermut, ohne daß man eigentlich sagen könnte, mit welchen Mitteln sie der Dichter erreicht; man wird etwas an die Stimmung erinnert, die in Ewalds von Kleist „Irin" zum Ausdruck kommt.
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Das Ganze übt trotz der lehrhaften Absicht eine lebendigpoetische Wirkung aus, und es fehlt nicht an wirksamen Einzelzügen, so wenn Illus bei der Mahnung an den Sohn, das Seine zusammenzuhalten, sich lebhaft vergegenwärtigt, wie der Verarmte und in Not Geratene mit gesenktem Blick und zitternden Worten bei anderen etwas erbitten und, abgewiesen, beschämt und betrübt davon ziehen muß. Die gleiche unmittelbare Wirkung erzielt der Dichter mit anderen, dem bäuerlichen Leben entnommenen Szenen; so führt uns die wohl am weitesten zurückreichende Ekloge in die Zeit der Reaktion nach dem Bauernkriege. Die tiefe Verzweiflung der Bauern weiß der Dichter festzuhalten; ein Adliger hat den Hirten verboten, in der Nähe seiner Burg zu weiden; „wird man uns nicht auch noch den Gebrauch der Luft untersagen", meint Thyrsis bitter, als Menalcas ihm davon Mitteilung macht, „was soll uns Unglücklichen noch das Leben ? im Tode würden wir glücklicher sein". Menalcas rät ihm zu schweigen, da das Gerücht alles entstellt zu den Ohren des Siegers bringe. Auch sei durch den frevelhaften Aufstand der Bauern Los selbst verschuldet. Nicht alle waren frevelhaft, entgegnet Thyrsis; was konnten manche, da die Herren geflohen waren, anderes tun, als sich den Aufrührern anschließen? Sind doch Herren freiwillig zu ihnen übergetreten! Wenn das der Fall war, warum sind nun die Adligen nicht milde gegen die, die dasselbe wie ihre Standesgenossen getan ? Dem stimmt Menalcas zu und verweist auf das Schicksal des Morus, der nun schon ganz unschuldig Monate in Fesseln liege: das sei der Lohn für seine Verdienste. Auch Thyrsis preist des Morus Verdienste, der sich unter eigener Gefahr um den Frieden bemüht habe und dem auch die Sieger als einem Unschuldigen Sicherheit von Leben und Vermögen verbürgt hätten. „So ist's," fügt Menalcas bitter hinzu, „aber die in der Not verheißene Gnade gilt, wenn die Furcht vorbei, gerade so viel wie das trockene Holz das Feuer stillt, oder wie der hungrige Wolf das Lamm schont; die Winde raffen dann das gegebene Versprechen hinweg." — In diesem Dialog werden wirkliche Zustände der Zeit, wirkliche Empfindungen des Volkes festgehalten; sieht man von den klassischen Namen sowie von gelegentlichem hergebrachten Zierat ab, so ist nichts in diesem Gedicht, was nicht unter den damaligen Zuständen so hätte gesprochen sein können. Und unzweifelhaft ehrt es den Dichter, daß er, ohne sich mit den Aufständischen und ihren
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CAMERARIUS.
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Tendenzen etwa zu identifizieren, doch die Partei der Bedrückten, Geknechteten nimmt und der Stimme des armen, grausam in seinen Hoffnungen getäuschten Volkes Gehör verschafft. Freundlichere Zustände des ländlichen Lebens hält die Ekloge: „Der Landmann" fest (Nr. 8). Das Ganze ein lebensvoller Monolog: es ist vor Tagesanbruch, der Bauer weckt die Knechte, damit sie das Vieh füttern. Hierauf wendet er sich zu seiner Frau; er erinnert sie an die lange Zeit, die sie schon miteinander verbunden sind, ebenso daran, wie treue Liebe ihnen die schweren Schicksälsschläge erleichtert hat. Und dann entwirft er ein wirklich allerliebstes Bild, wie sie im Hause für die tägliche Nahrung sorgt oder am Webstuhl sitzt und den Mägden die Arbeit zuteilt. Inzwischen versieht er draußen das Notwendige; und der Wechsel der Jahreszeiten gibt dem Dichter Gelegenheit, diese Tätigkeit des Landmannes durch hübsche Einzelheiten zu charakterisieren. Und zum Schlüsse betont er nochmals, wie die treue Liebe seines Weibes ihm unabänderlich geblieben von der Zeit, wo sich die beiden gefunden haben, bis auf den heutigen Tag. Erscheint in diesem Gedichte das Landleben immer noch idealisiert, so führt der Dichter dagegen in der vortrefflichen Ekloge: „Phyllis" (Nr. 19) eine ganz realistisch angeschaute Szene aus der bäuerlichen Welt vor. Wir erhalten ein Gespräch zwischen Thestylis und Phyllis. Diese soll für ihren Mann einen Dreschflegel holen, den er in der Betrunkenheit beim Wirt hat stehen lassen, und sie fürchtet, daß er, wenn sie ihn nicht schnell bringt, mit dem Flegel auf sie losschlagen wird. Daraus entwickelt sich eine bewegliche Klage über ihren bösen Mann, und sie erklärt mit großem Wortschwall, daß sie ihn verlassen wolle. Die Freundin rät ihr ab, meist mit Gründen, die aus der Sache hergenommen sind, dann mit allgemeinen Vernunftgründen. Diese leuchten Thestylis ein; aber sofort wird ihre Aufmerksamkeit durch etwas anderes gefesselt und weit von den Gedanken an ihren Mann weggeführt. Sie erkennt unter dem Hühnervolk ihren verlaufenen Hahn und fordert die Freundin, wieder wortreich, auf, ihn wegzujagen, sobald er sich blicken läßt. — Im Gegensatz zu der Anlage der übrigen Eklogen haben wir hier keine epische Einleitung, sondern der Dichter setzt sofort mit dem Dialog ein; für die Art des Anfangs gab ihm Theokrits Ekloge: „Die Syrakusanerinnen oder das Adonisfest" die Anregung; auch die Tatsache, daß die Frau sich über ihren Mann beklagt, stammt wohl aus diesem Theokritschen
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DER
ERFURTER
KREIS.
Gedicht; im übrigen aber ist Camerarius völlig selbständig. Der Dialog ist wirksam geführt; ein lebendiges Gespräch derber Frauen, aus deren Reden sich die Charakteristik aufbaut: Phyllis hastig, aufgeregt und zufahrend, Thestylis gleichmütig und durch das Leben etwas abgestumpft. Den Gesprächston hat der Dichter gut getroffen; er wählt mehrfach kurze, der Umgangssprache abgelauschte Sätze und prägt dadurch den Vorgängen den Stempel unmittelbarer Lebenswahrheit auf. Tritt in diesem Stück der Dichter ganz hinter den von ihm geschaffenen Gestalten zurück wie der Dramatiker, so verleiht den anderen Eklogen gerade die freilich durch die hergebrachte Form begünstigte Tatsache besonderen Reiz, daß wir die Persönlichkeit des Poeten immer durch die pastoralen Erfindungen hindurch erkennen. Mit gemütlicher Wärme begrüßt er die ihm über alles geliebten sizilischen Musen, die ihm schon in früher Jugend Lehrerinnen gewesen sind, in ähnlicher Weise redet er Thalia an (Nr. 9 und 12); vor allen Dingen schlagen aber immer wieder die Gefühle und Stimmungen, die den ganzen Mann erfüllten, in der Dichtung durch. Nicht minder erfreut die Heimatsliebe: Camerarius' Geist weilt mit besonderer Innigkeit auf den Stätten seiner Kindheit und Jugend, und die anmutige Landschaft, durch welche die Regnitz hindurchfließt, schwebt ihm daher bewußt und unbewußt als der Schauplatz seiner ländlichen Szenen vor. — Es ist ein erfreuliches Gesamtbild, das sich bei der Musterung der poetischen Tätigkeit unseres Dichters ergibt. Eine sinnige, nach innen gewandte Natur, die sich den äußeren Ereignissen in Leben und Umgebung keineswegs verschließt, sie aber auf eine Weise in sich aufnimmt und wiedergibt, daß das herzliche, warme Gemüt ihnen Ton und Farbe verleiht: so tritt die poetische Individualität des Camerarius dem Leser entgegen. Nicht überall freilich fesselt er in gleicher Weise; der Mangel an ursprünglicher Begabung für die äußere Form, den er selbst schmerzlich empfand, macht sich doch auch zuweilen zum Schaden des poetischen Gesamteindruckes geltend; so finden sich z. B. in dem oben erwähnten Gedichte: „Gelübde oder Gebet", aber auch in manchen anderen Arbeiten, nüchterne, hölzerne Stellen, die eben zeigen, daß Camerarius nicht selten die Poesie allzustark kommandieren mußte, wenn die Gedanken in die Fessel des Verses hineingezwängt werden sollten. Aber das sind Ausnahmen:
JOACHIMUS
CAMERARIUS.
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sonst läßt der anmutende Inhalt fast immer vergessen, daß die Form auf Schwierigkeiten stieß. — Von allen Erfurter Poeten haben Camerarius und Micyllus die nächsten Beziehungen zu Wittenberg gehabt. Ihr mehrjähriger Aufenthalt in Wittenberg am Anfang der zwanziger Jahre verschaffte ihnen nicht bloß die dauernde Freundschaft Melanchthons, sondern brachte sie auch in die engste Verbindung mit den jungen Wittenberger Dichtern, einem Stigel, Sabinus und anderen, denen sie dann ebenso nahe stehen wie ihren alten Erfurter Genossen. So bilden sie die Mittelglieder zwischen den beiden Musensitzen und leiten von dem Erfurter Bunde zu dem Dichterkreise hinüber, der sich in Wittenberg um Melanchthon scharte.
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WITTENBERG;
VORKLÄNGE.
Zweites Kapitel.
Wittenberg. Vorklänge. Als Friedrich der Weise 1502 die Wittenberger Hochschule gründete, lag von vornherein die Absicht vor, dem Humanismus innerhalb der neuen Schöpfung so viel Raum zu verschaffen, wie es die damalige Verfassung der Universitäten gestattete. Dieser humanistische Einschlag verstärkte sich noch während des ersten Jahrzehntes. Die Folge war, daß auch die humanistisch-neulateinische Dichtung frühzeitig in Wittenberg eine Heimstätte fand. Die Anregung zum Betrieb der Versübung ging von dem Italiener Richard Sbrulius aus, den Friedrich der Weise 1507 vom Konstanzer Reichstag mitgebracht hatte. Die Leistungen dieses wunderlichen Heiligen, teils bis 1513 in Wittenberg, teils 1513—1515 in Frankfurt entstanden, sind bereits gemustert worden; trotzdem sie auf Deutschland eine Wirkung ausgeübt haben, genoß ihr Urheber bei den Urteilsfähigen kein Ansehen; Eoban gab ihn der Lächerlichkeit preis (vgl. S. ji.), und Hutten bezeichnete Sbrulius und dessen doch wohl höher zu wertenden Apostelkollegen Richard Bartholinus als „heillose Windbeutel, unbedeutende und unnütze Menschen". Aber immerhin! um Sbrulius sammelte sich ein Kreis jüngerer Poeten, von denen einige im geistigen Leben Wittenbergs eine Rolle gespielt haben. Neben manchen anderen Mitläufern kommen hauptsächlich in Betracht Otto Beckmann, Christian Beyer, Thiloninus Philhymnus, Georg Spalatin, Andreas Crappen, Wolfgang Cyclopius, Johannes Ferrarius Montanus, Georg Sibutus. Einzelne der Genannten, wie Otto Beckmann und insbesondere Spalatin, sind aus der Reformationsgeschichte bekannt; Christian Beyer wurde später kurfürstlicher Kanzler. — Das Schaffen der meisten Mitglieder dieses Kreises trägt noch einen schwankenden, unsicheren Charakter; im Inhalt wie in der Form
ANDREAS
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CRAPPEN.
reiht es sich teils den Übergangserscheinungen, teils dem älteren Humanismus ein. Sbrulius erregte in Wittenberg durch sein leichtfertiges Leben Anstoß, und es wird daher kein Zufall sein, daß seine Schützlinge ihre strauchelnden Schritte zuerst auf der Bahn der Liebespoesie wagten. Ein Freund des früher genannten H. Boger (Halbband i , S. 3Öoff.), Theodoricus Block, war seit 1507 Professor der Medizin in Wittenberg. Er hatte eine schöne Dienstmagd, namens Gesa; ihr wurden von einzelnen Mitgliedern des obengenannten Kreises poetische Huldigungen dargebracht. Blieb diese Erotik ungedruckt — wir kennen sie nur aus einer von Block angelegten Gedichtsammlung, die schon Leibnizens Aufmerksamkeit erregte — so wagte sich Andreas Crappen mit Erzeugnissen verwandten Inhalts an das Tageslicht: er behandelte 1508 balladenhaft eine in Wittenberg spielende Liebesgeschichte und fügte anschließend noch ähnliche Stücke hinzu, so einen Streit zwischen zwei Buhlerinnen, von denen jede für den gleichen Liebhaber glüht und der anderen das Recht an ihm bestreitet, bis es von Worten zu Tätlichkeiten kommt. Sbrulius schien von den Leistungen seines Freundes höchst erbaut und meinte, daß Venus ihm selbst seine Verse eingegeben habe, während der Poet die bekannte humanistische Bescheidenheitsmiene aufsetzte: „Est mihi Clio rudis, mihi tum vilisqiie Non ego Castalii fiocula Sacra bibo."
Thalia,
Indessen Wittenberg hätte nicht die reliquien- und ablaßreiche Stadt des Allerheiligenstiftes sein müssen, wenn diese erotischen Anwandlungen lange vorgehalten hätten. Schon nach einem Jahre sang Crappen aus einem anderen Ton (1509); er wandte sich der geistlichen Dichtung zu, und nach weiteren fünf Jahren vereinigte er ältere und neuere Stücke der gleichen Art zu einer Sammlung (1514), die wiederum Sbrulius, „der Hauptruhm des Musenchors", wie ihn Crappen in bewundernder Freundschaft nennt, eingeführt hat. Eingeleitet wird das Bändchen durch eine elegische „Vorschrift zur Vermeidung von Sünden", die aufzählend vor den Hauptlastern warnt und zur Frömmigkeit mahnt; Vertrauen auf Gott und Christus predigt eine zweite Elegie; es folgt ein „Elegidion" an Joh. Hesse, den nachmaligen Reformator von Breslau, unter dem Titel: „Heilmittel für die unsinnige Liebe": der Wahnwitz aller Liebesleidenschaft soll
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WITTENBERG;
VORKLÄNGE.
hier an der Vergänglichkeit der weiblichen Reize und an dem Wankelmut der Frau dargetan werden; die Grundfarbe des Ganzen wird gegen Schluß folgendermaßen bezeichnet: „Die Elbe hat nicht so viele Fische, die Lochauer Heide nicht so viele flüchtige Hirsche, wie die Frau Ränke im Innern trägt". „Effuge ceu festem faciem vel verba puellae, Ne tua lascivus corda subinirat atnor." Ähnlich wie Crappen hatte sich schon zwei Jahre vorher (1512) der in Wittenberg Medizin studierende Wolf Cyclopius geäußert (Wolfgang Kannegießer, geb. wahrscheinlich 1476 in Zwickau, damals zum zweitenmale in Wittenberg). In seiner Elegie: „Gegenmittel gegen den Liebeswahnsinn" werden, etwas gemäßigter als bei Crappen, Wesen, Ursache, Symptome und Heilmittel der Liebeskrankheit erörtert. Zugrunde lag eine deutsche Fassung; ob sie von Cyclopius selbst herrührte oder nicht, muß unentschieden bleiben. Das lateinische Gedicht liest sich aber sehr nett, und namentlich die Art, in der der Zustand des Liebenden gezeichnet wird, nimmt für den Poeten oder für seine Vorlage ein; hübsch, wie der Liebende bei Tische nur seine Schöne im Sinne hat, wie er taub, stumm und blind unter den Genossen sitzt, in den Tisch schneidet und den Wein auf die Serviette laufen läßt, wie ihn nachts böse Träume quälen, er aber den Schlaf bald abschüttelt und in rasender Eifersucht nach dem Hause der Geliebten eilt, weil er fürchtet, daß ihm ein Nebenbuhler zuvorkommen könne. Offenbar macht es Cyclopius Spaß, die Kennzeichen des Liebeswahnsinns so drastisch wie möglich abzumalen; man glaubt mehr den lustigen Schelm als den ernsten Sittenprediger zu hören. Daß aber Cyclopius von der religiösen Stimmung wirklich ergriffen war, lehrt eine 1511 erschienene Sammlung, in der er einige zu verschiedenen Zeiten entstandene Dichtungen miteinander vereinigte. Die Tendenz des Büchleins, etwa den Anschauungen des Wimpfelingschen Kreises entsprechend, bezeichnete Joh. Rhagius Aesticampianus, damals gerade kurze Zeit in Wittenberg, mit folgenden Versen: „hos equidetn recens poeta Hymnos concinit dbsolutiores, Quam vel Maeonides, Linus vel Orpheus, Vel quam Flaccus, Horatius, Catullus, Quamvis fortiter, eleganter, apte,
ANDREAS
CRAPPEN;
WOLF
CYCLOPIUS.
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Ornent numina vana, ficta, bruta, Hic prudentia vera viva ornat." Die Sammlung selbst zeigt wenig Eigenart; ein Hymnus auf die unbefleckte Empfängnis erschöpft sich in geschmacklos aufgehäuften Vergleichen und überwindet erst am Schlüsse die Phrase einigermaßen; die anderen Stücke (z. B. ein Preislied auf die h. Anna) sind von gleichem Schlage. Etwas höher stehen die Bitten an Gott, an Maria, an Christus, die Gebete anläßlich sakramentaler Handlungen, die Andreas Crappen dem oben erwähnten Gedichtbuche von 1514 beigab. In diesen geistlichen Gesängen vernimmt man zuweilen einen persönlichen Ton. Crappen war ja von der Liebespoesie zur religiösen Lyrik abgeschwenkt, was ihm sein Freund Otto Beckmann in einem Begleitgedicht als besonderes Verdienst anrechnete. Die Studien zu seiner Erotik mag er in den Kreisen der leichtlebigen „Nymphen" gemacht haben, an denen es auch in Wittenberg nicht fehlte. Unter diesen Umständen ruft es den Eindruck der Lebenswahrheit hervor, wenn Crappen Christus anfleht: „Mancipium tiefende tuum Plutonis ab omni Fraude, leves Veneris compede siringe iocosl", wie er denn auch der h. Jungfrau die gleiche Bitte vorträgt: „Da mihi, da Veneris laqueos odisse iocosque, Illecebras odit mollitiemque Deus." In der Tat ist Crappen der einzige dieser Dichter, dem ein bescheidenes Nachleben gegönnt war; unter den religiösen Stücken, die Georg Fabricius der Erbauung für dienlich hielt, befindet sich außer den Erzeugnissen bekannter Italiener auch ein Gedicht des Andreas Crappus (1552). Selbstverständlich waren auch diese Wittenberger Anfänger von dem Werte ihrer Leistungen durchdrungen. Wolf Cyclopius klagt zwar darüber, daß die Poesie zur Zeit so niedrig im Preise stehe, aber er läßt sich dadurch nicht abschrecken und will der Vaterstadt durch seine Dichtung Ruhm verschaffen. Und wenn nach seiner Meinung die Naturanlage den Dichter macht und die freilich nicht zu unterschätzende Kunst nur das Werk der Natur zu vollenden habe, so spürt man deutlich hindurch, daß er selbst sich für einen geborenen Poeten hält. In der hohen Schätzung des Dichters trifft Cyclopius mit dem Hessen Johannes Ferrarius (Eisenmann) Montanus zusammen, der, bis
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WITTENBERG;
VORKLÄNGE.
1523 in Wittenberg, später Rektor der Marburger Universität war. Er hat sich als Epiker einen Namen gemacht und die Geschichte der h. Elisabeth nicht glücklich behandelt (1518). Von seiner Lyrik liegen nur wenige Proben vor. Unter ihnen zeichnet sich namentlich e i n e poetische Betrachtung aus. Sie vergegenwärtigt in lebhafter Anrede die Mächte, die den Menschen zum Menschen machen. Klugheit und Weisheit, so führt der Dichter aus, erziehen den Erdensohn zu milden Sitten. Das Werk vollendet aber erst die Muse; ihr gilt ein begeistertes Preislied: „Salve transmissum mortalibus aethere donum, Quod sittttd intrepidum morsque maltimque Infera tu superis aequas, tu sidera vincis, Tu super humanas, maxima, scandis opes, Haud dedigneris nostras invisere terras Longius et jacileis pandere, diva, manus."
fugit!
Von den anderen Mitgliedern des Kreises fallen Otto Beckmann und Spalatin ganz aus; was von ihnen überliefert ist, bleibt unter dem Durchschnitt; ähnlich verhält es sich mit Bayer und Reuter. Auch Thiloninus Philhymnus (eigentlich Tilemann Conradi) ist nicht um des Gehaltes seiner Dichtungen willen, sondern nur als wunderliche Persönlichkeit merkwürdig; dem poetischen Stil nach gehört er noch mehr als die anderen Vertreter der Wittenberger Frühzeit in die Reihe der früher behandelten Ubergangserscheinungen. Geboren im vorletzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, studierte er seit 1501 in Erfurt und versuchte sich schon hier als geistlicher Dichter. Seine schwülstige, dunkle und überladene Ausdrucksweise forderte den Spott des Euricius Cordus heraus, und es kam zu einem langwierigen Streit zwischen Dichter und Dichterling, der auch in Cordus' Eklogen seinen Niederschlag fand (vgl. S. 24). In Wittenberg, wo Thilonin seit 1509 verweilte, wendet er sich im Einklang mit der in Crappens erster Sammlung hervortretenden Tendenz, aber ungleich derber, der weltlichen Dichtung zu. Schon 1509 gibt er Proben erotischer Lyrik und übertrumpft diese noch durch eine Sammlung von 1511, welche außer einem orgiastischen, in die Mahnung zum Genuß des Lebens auslaufenden „Triumph des Bacchus" eine ungeschminkte Wiedergabe seiner Wittenberger Liebesabenteuer enthält, die sich zu einem Hymnus auf die Allgewalt Amors erweitert. Dann aber, wenn auch erheblich später als bei Crappus, vollzieht sich unter dem
FERRARIUS;
PHILHYMNUS;
SIBUTUS.
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Eindruck der Wittenberger L u f t auch bei ihm ein Wandel, und er kehrt zur geistlichen L y r i k z u r ü c k ; der „ T r i u m p h des B a c c h u s " wird jetzt (1516) durch einen „ T r i u m p h Christi" abgelöst, der mit einem Scheltwort gegen die ungläubigen Juden die A u f e r stehung feiert, den K a m p f gegen die Höllengeister höchst unanschaulich beschreibt und den Sieg Christi hoch über alle Triumphe der antiken Welt erhebt. Wichtiger als dieser mißglückte Versuch erscheint jedoch eine beigegebene „theologische O d e " (in Distichen); während sich z. B. bei Crappus die Umkehr noch unter dem Einfluß mittelalterlicher Gläubigkeit vollzieht, wetterleuchtet in Thilonins Versen bereits die Reformation; mit einem mißbilligenden Seitenblick auf das in Wittenberg besonders naheliegende Reliquienwesen verherrlicht er Hoheit und W ü r d e der heiligen Schrift. Dieser Stellungnahme entspricht es, d a ß Thilonin später (1522) in Worms für die Reformation eingetreten ist. Nach der entgegengesetzten Seite führten schließlich die Wege eines anderen, Thilonin ungefähr gleichaltrigen Wittenberger Poeten. Georg Sibutus stammte aus Thüringen, vielleicht aus Tannroda; er mag u m 1480 zur W e l t gekommen sein und w a r vielleicht ein Schüler des Celtes. 1505 in Wittenberg immatrikuliert, galt er hier offiziell als P o e t ; er verherrlichte die „ b e rühmte E l b s t a d t " in einem anziehenden „ W ä l d c h e n " (1506), und den „torniamenta", d. h. einem in Wittenberg abgehaltenen Turnier widmete er eine umfängliche, ebenfalls hexametrische Darstellung. Beide Werke sind beschreibender A r t und gehören daher in einen anderen Zusammenhang. Sibutus' Gelegenheitsgedichte (seit etwa 1500), z. B. Begrüßungsworte für den in Köln einziehenden Maximilian, Anreden an Herzog Georg von Sachsen und zahlreiche Humanisten, bieten wenig Ertrag. Anziehender sind die am Anfange des Wittenberger Aufenthaltes entstandenen Kleinigkeiten, so die „Kiliansche Fliege" angeblich in drei Stunden niedergeschrieben (1507). Sibutus' Schüler Kilian Meilerstatt sieht auf dem im Besitz seines Lehrers befindlichen B u c h zeichen ein Bildchen, die Grasmücke darstellend, die eine Fliege im Schnabel hält. E r reißt einen Zettel ab und malt selbst eine Fliege darauf; niemand kann sagen, was es sein soll: die Frau', die Sibutus in zweiter Ehe geheiratet hat, — nach den „Briefen unberühmter Männer" war sie eine alte Vettel und betrieb einen Bierhandel — die weit herumgekommene Magd, alle halten es für etwas anderes. Daran wird nun noch eine Reihe von Scherzen
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WITTENBERG;
VORKLÄNGE.
geknüpft, die in beabsichtigtem Gegensatz zu dem Hexameter und dem klassischen Aufputz stehen; schließlich erfolgt die Mahnung an den jungen Freund, in Zukunft keine Fliege mehr abzuzeichnen. Ähnlich spielerisch wie diese Improvisation, aber bei weitem nicht so harmlos ist ein anderer Hexameterscherz; er bildet zugleich das frühste Zeugnis für die durch Sbrulius inaugurierte oder verstärkte weltlich-erotische Stimmung in Wittenberg (ebenfalls 1507): in derbster Weise führt der Dichter aus, daß alle Wissenschaft null sei gegenüber der Sinnenlust, die der weibliche Körper gewähre. Doch hat auch Sibutus einen Abstecher ins geistliche Gebiet gemacht und die h. Anna besungen. — Wie lange er in Wittenberg geblieben, ist nicht bekannt; 1520 taucht er in Rostock auf, doch hielt er zunächst die Beziehungen zu Wittenberg, auch zu Luther, aufrecht (1522). Ob er innerlich auf Luthers Seite gestanden, läßt sich nicht ersehen; in Wien, wo er zuletzt als Arzt gelebt zu haben scheint, bekannte er sich zur alten Kirche. Zeugnis dafür ist sein hexametrischer Panegyricus auf König Ferdinand anläßlich dessen Erhebung zum König von Böhmen (entstanden wohl 1527, gedruckt 1528). Nach einem Preislied auf das habsburgische Geschlecht schildert Sibutus den Empfang Ferdinands in Böhmen und verweilt dann auf den von dem Könige zu bewältigenden Aufgaben, wobei der Türkenkrieg und — ebenso wie gleichzeitig bei Ursinus Velius — die Bekämpfung der Wiedertäufer in erster Reihe stehen. Namentlich den letzten Punkt malt er zwar mit den Augen des Hasses, aber lebendig und anschaulich aus; hier erhebt sich auch der Ausdruck zu einiger Kraft. — Sicher sind Sibutus' Versuche nicht lückenlos überliefert; was sich erhalten hat, zeigt ihn als einen gewandten Versifex, der sich in späteren Jahren von den stilistischen Auswüchsen seiner Anfänge befreit zu haben scheint. Das Ergebnis der poetischen Bemühungen dieser Wittenberger Frühzeit darf gewiß nicht allzuhoch veranschlagt werden. Immerhin aber war dadurch der Boden für die neulateinische Dichtung vorbereitet. Freilich vermochte eine Persönlichkeit wie Sbrulius nicht einen wirklichen Aufstieg einzuleiten. Dazu bedurfte es einer anderen Kraft.
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MELANCHTHON.
Der ältere Wittenberger Dichterkreis. Melanchthon, Sabinus, Stigel. Das Dauernde innerhalb der neulateinischen Poesie Wittenbergs geht unmittelbar oder mittelbar auf Melanchthon zurück. Allerdings währte es geraume Zeit, bis Melanchthon in die Lage kam, seinen Einfluß nach dieser Seite hin geltend zn machen. Bald nach seiner Ankunft in Wittenberg (1518) wurde er ganz in Luthers Gedankenwelt hineingezogen, und die weitabgewandte, asketische Stimmung Wittenbergs in dieser Zeit war dem Betrieb der Poesie nicht günstig. Aber nachdem Melanchthon den Weg zu seinen humanistischen Idealen zurückgefunden hatte, (etwa 1523—26), wurde auch die Poesie bei ihm wieder in ihr Recht eingesetzt, und er sammelte einen Kreis von Musenjüngern um sich, als deren unbestrittenes Haupt er galt. Die Kunst, mit der er junge Seelen zu bilden, sie für Wissenschaft und kirchliche Lehre zu erwärmen wußte, hat er auch in den Dienst der Neubelebung lateinischre Dichtung gestellt. Denn unermüdlich spornte er die Begabten zu eigner poetischer Tätigkeit an. Man muß die feurigen Dankesworte lesen, die sein ihm freilich bald entfremdeter Schüler und Schwiegersohn Georg Sabinus am Eingange seines „Reisegedichtes" spendete, um Melanchthons bedeutenden Einfluß auch nach dieser Richtung hin völlig zu erkennen. Wenn der allverehrte Lehrer dann die gestreute Saat reichlich aufgehen sah, dann mochte er wohl für kurze Zeit den trüben Blick verleugnen, der ihm sonst die Dinge umschleierte; die Leistungen seiner hervorragendsten Jünger erfüllten ihn mit freudigem Stolz, und er trug kein Bedenken, sie den großen Werken des Altertums an die Seite zu stellen. Wie er überall mit dem eigenen Beispiel voranging, so hat er es auch auf dem Gebiete der neulateinischen Dichtung getan. Von seinen hierhergehörigen Arbeiten erschien einiges schon bei seinen Lebzeiten (1528); das meiste wurde erst nach seinem Tode in den sechs Büchern der „Epigramme" gesammelt. Selbstverständlich treten diese Versuche dem gewaltigen Lebenswerke Melanchthons gegenüber außerordentlich zurück; die Gedichte, unter denen sich Epigramme in unserem Sinne übrigens so gut wie gar nicht finden, sind Kinder des Augenblicks, in den wenigen freien Stunden, die er der ihn erdrückenden Fron abgewinnen konnte, achtlos hingeworfen. Aber steht auch unter diesen „Epigrammen" E l l i n g e r , Neulatelnlsche Lyrik 2.
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DER
ALTERE W I T T E N B E R G E R
DICHTERKREIS.
vieles, was zur Poesie nicht zu rechnen ist, versifizierte Ankündigungen und Ermahnungen an die Studenten und ähnliches, so spricht doch aus zahlreichen Stücken der Sammlung die Persönlichkeit Melanchthons so vernehmlich zu uns, daß man gerne lauscht, was er aus froher und trüber Stimmung heraus zu sagen hat. Oft stellt er eine Geschichte aus der Bibel, aus dem klassischen Altertum, gelegentlich auch ein ungewöhnliches Naturereignis an den Anfang seines Gedichtes, umreißt kurz den Inhalt und knüpft aus- und umdeutend religiöse Betrachtungen daran. Oder er legt den Inhalt einzelner biblischer Schriften, so der Psalmen, dar, und charakterisiert biblische Gestalten z. B. Johannes den Täufer oder die Propheten. Wie er in solchen Fällen das Wesentlichste klar und treffend herauszuheben versteht, so weiß er in einer poetischen Begleitschrift die Grundlinien seines eigenen Wirkens zu ziehen, seines Bestrebens, den wesentlichsten Inhalt der religiösen Lehre ohne Umschweife, ohne sophistische Dreherei und Deutelei wiederzugeben. Die gleiche Kraft schlichter und doch einleuchtender Charakteristik bewährt er auch in Grabschriften auf Friedrich den Weisen und Moritz von Sachsen, in kleineren Gelegenheitsgedichten auf Luther, bei dem er die reckenhafte, mit dem Wesen germanischer Helden, etwa des Arminius, vergleichbare Kraft treffend aufzeigt. Auch die Ideale der neuerschlossenen Weltanschauung bieten ihm Stoffe zum Gesänge; er preist den Segen des ehelichen Standes und zieht scharf gegen die zu Felde, die die Hoheit der Ehe anzutasten wagen. Klingt schon hier überall eine persönliche Note mit, so ist das in anderen Gedichten noch mehr der Fall. Wir folgen unserem Melanchthon in die Kinderzeit; wir sehen ihn bei der Mutter sitzen, die ihm die Güte und Gerechtigkeit Gottes an Beispielen aus seinem Anschauungskreis klar zu machen weiß; wir begleiten den abgehetzten, ermüdeten Mann, den solche Blicke in das weltenferne Paradies der Kindheit wenigstens minutenlang dem schmerzlich empfundenen Leid der Gegenwart entrücken mochten, auf das Land, etwa auf das Gütchen des Freundes Jonas, wo er die behagliche Stimmung dieser kargen Mußestunden im Gesang festzuhalten sucht. Auch auf dem Wege zu den ihm so verhaßten Religionsgesprächen und ähnlichen Beschäftigungen findet er Trost in der Dichtung; und während der Gespräche selbst erleichtert er seine Brust gelegentlich durch poetische Aussprache. So malt er den von ihm für die Regensburger Religionsverglei-
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MELANCHTHON.
chung umgearbeiteten, ihm widerwärtigen Entwurf als Hyäne aus und führt das Bild im einzelnen durch; ebenfalls von Regensburg aus sendet er einen poetischen Bericht, in dem er seine Sehnsucht nach den friedlichen Studien und seinen Widerwillen gegen die Centauren (die Fürsten) und Sophisten ausspricht. Eine verwandte Stimmung kommt auch in einem erzählenden, an den trefflichen Oheim des Petrus Lotichius Secundus gerichteten Gedichte zum Ausdruck, in dem er unter Hinweis auf die Frömmigkeit der Fürsten alter Zeiten in bitterster Weise über die zeitgenössischen Landesherrn loszieht. In kleinen Erzählungen hält er ebenfalls persönliche Stimmungen fest; wenn seine ungeschlachten theologischen Gegner wider ihn wüteten, dann brachte er die Geschichte in Verse, wie die tobenden Giganten vor dem Geschrei eines Esels erschraken und davonliefen; wenn er sorglos alles wegschenkte und darüber selbst in Not geriet, tröstete er sich mit dem Bericht über Simonides, der fortwährend gab, aber niemals etwas wiedererhielt. In dem Drang des schmalkaldischen Krieges gewährt ihm ein schön ausgeführtes Traumbild den Trost, daß Gott die Seinen nicht verlassen wird. Und im Geiste begleitet er den unglücklichen Johann Friedrich in die Gefangenschaft; er legt ihm einen in seiner Schlichtheit ergreifenden Monolog in den Mund: der gefangene Fürst wandelt durch den Garten und sieht die noch blühenden Veilchen; wie diese jetzt noch das Auge erfreuenden Blumen schnell verwelken, so sind ihm segenspendende Macht, Glanz und Herrlichkeit schnell dahingegangen. Trost läßt ihn aber zuletzt der Dichter im Gottvertrauen finden: das wird ihm bleiben, wenn alle Güter der Erde ihm auch entschwinden. Mit diesem Gedanken ist die Grundsäule der melanchthonschen Religiosität bezeichnet, und es ist naturgemäß, daß er uns auch da am meisten zu bewegen weiß, wo er das, was seine Seele erfüllt, poetisch festzuhalten sucht. Die Bitten, die er aus tieftrauriger Stimmung heraus an die Gottheit richtet, und in denen sein Gottvertrauen dichterischen Ausdruck findet, gewähren einen tiefen Blick in das Wesen der Persönlichkeit. Aber auch die meisten der anderen Gedichte haben etwas Sinniges; obgleich der Eindruck zunächst nicht stark ist, so ergibt sich doch bei näherer Betrachtung, daß hier ein Stück wirklichen Lebens in Inhalt und Stimmung festgehalten ist. Man kann sich kaum einen größeren Gegensatz denken als zwischen dieser ganz innerlichen Natur und dem schon erwähnten 5*
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DER
ÄLTERE
WITTENBERGER
DICHTERKREIS.
Georg Sabinus, der bedeutendsten poetischen Erscheinung des Wittenberger Kreises. Der am 23. April 1508 zu Brandenburg geborene Georg Schüler — später legte er sich den Dichternamen Sabinus bei — kam 1523 oder 24 auf die Universität Wittenberg, wo es ihm gelang, in unmittelbarste Beziehung zu Melanchthon zu treten und dessen Vertrauen zu gewinnen. Aber wenn er auch die reichen Anregungen, die Melanchthon als Lehrer mit freigebiger Hand streute, eifrig ausnutzte, sein Sinn war keineswegs auf eine stille Beschäftigung gerichtet, die die Dinge um ihrer selbst willen betreibt. Er wollte vorwärts kommen, in der Welt eine Rolle spielen, und um dieses Ziel zu erreichen, knüpfte er seit dem Augsburger Reichstage von 1530, auf den er Melanchthon begleitet hatte, mannigfache Beziehungen zu Fürsten, geistlichen Würdenträgern und Hofleuten an. Auch sein Verhältnis zu Melanchthon betrachtete er im wesentlichen unter diesem Gesichtspunkte, und ebenso war sein Werben um Melanchthons jugendliche Tochter von selbstsüchtigen Absichten nicht frei. Als dann der von einer Reise nach Italien Zurückkehrende die Vierzehnjährige zum Altar führte, geschah, was bei einer unter derartigen Voraussetzungen geschlossenen Ehe zu erwarten war: beide Gatten wurden bald einander entfremdet. Anna hatte etwas von dem nach innen gezogenen, schwerflüssigen und schwermütigen Wesen des Vaters geerbt, und es scheint ihr daher unmöglich gewesen zu sein, dem ganz nach der entgegengesetzten Seite entwickelten Charakter ihres Gatten gerecht zu werden. So hat sie wohl manche seiner Handlungen im falschen Lichte gesehen und mit zu der Verschärfung des Zerwürfnisses beigetragen, dessen Haupturheber jedoch Sabinus selbst war. Trotz mannigfacher Wiederannäherungen ist daher ihr Leben so freudlos verlaufen wie das ihres Vaters; die Fünfundzwanzigjährige starb 1547; 1550 heiratete Sabinus zum zweiten Male. Seit 1538 war er Professor der Beredsamkeit in Frankfurt a. 0., 1544 Rektor der Universität Königsberg, von wo er Anfang 1555 wieder nach Frankfurt zurückkehrte. Seit seiner Berufimg nach Königsberg war Sabinus in seinem Elemente; ein lebhafter Verkehr mit angesehenen, einflußreichen Männern trug und hob ihn; während seiner zweiten Frankfurter Wirksamkeit wurde er als kurfürstlicher Rat mehrfach zu ehrenvollen Gesandtschaften verwendet; auf der Rückkehr von einer solchen Reise nach Italien starb er am 2. Dezember 1560. —
Georgius Sabinus.
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Die Sammlung seiner Gedichte entrollt ein Bild der Persönlichkeiten, mit denen er in Verbindung stand; da trifft man die Dichterfreunde Eoban Hesse, Camerarius und Stigel, daneben Kirchenfürsten, so Erzbischof Albrecht, Dantiscus und Hosius; Freunde, die er in Italien gewonnen, wie Bembus, der ihm als Dichtergenosse wie als mächtiger Kardinal gleich annehmbar erschienen sein mag. Werbung und Brautstand des Sabinus spiegeln sich in seiner nicht allzureichlichen Liebeslyrik. Ein schönes Bild entwirft der Dichter von der Abschiedsstunde vor seiner Italienfahrt: da überreicht Anna Melanchthon mit züchtig gesenktem Haupte und schamhaft niedergeschlagenen Augen ihm als Pfand der Liebe einen Kranz. Aber diese schlichte Art der Erzählung lag dem Dichter offenbar nicht, obgleich er mit ihr den nachhaltigsten Eindruck erzielt; meist bedient er sich der mythologischen Motive der Anakreontik. Er berichtet, wie er den Entschluß gefaßt habe, Liebe und Ehestand von sich fernzuhalten. Da sei Amor zu ihm getreten und habe ihn gefragt, ob er allein sich der Macht der Venus widersetzen wolle. Bald werde er die Schmerzen der ihm zugefügten Wunde fühlen, und in der Tat erfüllt sich die Weissagung des kleinen Gottes, als dieser ihm Anna als künftige Gattin zeigt: „Ulico corripuit mihi sitbdita jlamma medullas, Inque mco scdit corde receplus amor, Dcnique succensus sie igne Cupidinis arsi, Fervida Trinacriis ardet ut Aetna iugis."
Ein andermal schickt Venus ihren Sohn bei dem Dichter in die Schule, aber nicht die Heilkunde oder die Rechtsgelehrsamkeit, sondern die Poesie soll er bei ihm lernen. Der Poet übernimmt den Auftrag, allein Amor erträgt die Zügel des Lehrers nicht, mit einem Pfeil aus seinem Köcher durchbohrt er die Brust des Dichters mit den Worten: „Melanchthons Tochter wird diese Wunde heilen." Von Stund' an zieht die Liebe zu Anna in sein Herz ein, und mit stürmischen Bitten umwirbt er die Jungfrau, bis sie ihn endlich erhört. Aber mit Unwillen erfüllt ihn der lange Brautstand; in leidenschaftlichen Worten klagt er, daß Amor ihn hinhalte. „Was nützt dem Landmann die Saat, die er nicht schneiden darf?" Da tritt der kleine Liebesgott zu ihm und verheißt baldige Gewährung seiner Wünsche. Der
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DER
ÄLTERE
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Hochzeitstag wird festgesetzt; in poetischen Schreiben ladet der Dichter seine Freunde zu dem Feste ein und benutzt den Anlaß, um die Geschichte seiner Liebe zu rekapitulieren. Erzählend und meist in Gelegenheitsgedichte höherer und niederer Art eingesprengt ist überhaupt die Liebeslyrik des Sabinus; nur innerhalb des Berichtes wendet sich der Dichter an die Geliebte; sonst findet eine durchgeführte Anrede nicht statt, ähnlich wie es später bei Petrus Lotichius Secundus der Fall ist. Man hat bei dieser Erotik nicht das Gefühl der inneren Wahrheit; es fehlt keineswegs an reizvollen Einzelheiten, aber eine starke, echte Empfindung waltet nicht vor. Ebensowenig ist das in dem Trauergedicht der Fall, in dem Sabinus dem befreundeten Dantiscus den soeben erfolgten Tod Annas anzeigt: „Wie Orpheus klagend die vom jammervollen Schicksal hingeraffte Eurydice beseufzte, so beseufze ich trauernd Anna, die Genossin meines Lagers", beginnt das Lied (im Buche der Hendekasyllaben); „ihr herber Tod", fährt der Dichter fort, „hat mir eine grimmige Wunde zugefügt und mir alle Freuden des Lebens geraubt. Nicht regen mich wie sonst die süßen Saitenklänge der Musen an, nicht acht" ich fürder der blühenden Einsamkeit des Parnassus; sondern wie der der Gattin beraubte Turteltäuberich auf der blätterlosen und trockenen Ulme sitzt, so führe ich ein trauererfülltes Leben mit Schluchzen, Seufzen, Trauer und Träumen." Er wünscht sich einen Trank des Vergessens für seinen Schmerz und klagt dann über den zu der gleichen Zeit erfolgten Tod des Bembus, der ihn mit demselben Schmerz erfüllt habe wie das Hinscheiden der Gattin. Die Worte über Bembus klingen echter, naturwahrer als die vorhergehenden. Überhaupt lassen die poetischen Zeugnisse darauf schließen, daß die Freundschaft in seinem Herzen einen stärkeren Widerhall weckte als Liebe und Ehe. Daher übt er mit den Ansprachen an Freunde noch die unmittelbarste Wirkung aus. Zwar läuft ihm auch da die Phrase leicht mit unter, aber es macht sich doch ein warmer Ton wahrer Herzlichkeit geltend, den man in den Liebesgedichten vergeblich sucht, und der auch in jenem Trauerliede auf die Gattin nicht zu finden ist. Rein individuelle Lyrik wie in den Freundschaftsbeteuerungen findet sich sonst in Sabinus' Gedichten verhältnismäßig selten. Zu den wenigen Stücken, in denen individuelle Stimmung zu Worte kommt, gehört z. B. eine der Elegien an Petrus Bembus. In ihr beklagt sich Sabinus über die rauhen
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und kriegserfüllten Tage, in denen er leben müsse. Auch seine Muse, erschreckt von der verhängnisvollen Zeit, sei zum Schweigen gezwungen. „Wenn der Sturm in rasendem Wirbel die Wälder durchbraust, trauert die Nachtigall mit schweigender Kehle." Aber er hofft auf bessere Tage, in denen er dann wieder die Leier rühren kann. Unter den bedrohlichen Schreckgespenstern, die unserem Poeten die Ruhe störten, steht die Türkengefahr in erster Reihe. Es ist daher verständlich, daß er, ähnlich vielen seiner Sangesbrüder, dem östlichen Erbfeinde auch mit poetischen Waffen gegenübertrat. Er erinnert Deutschland an seine ehemalige, jetzt aber leider geschwundene Kriegstüchtigkeit; er mahnt es, die alte Kraft im Kampfe gegen die Türken zu bewähren, ihnen die geraubten Städte wieder zu entreißen und das Reich vor ihrem Ansturm zu schützen. Unmittelbar mit diesem feurigen Aufruf: „An Deutschland" hängt eine allegorische Heroide zusammen. Germania schreibt an Ferdinand I. Sie klagt ihm, daß sie von inneren Zwistigkeiten gequält, von äußeren Feinden bedrängt sei; sie fordert ihn auf, sich an die Spitze der Deutschen zu stellen und die Türken zu bekriegen, die Gott in seine Hand geben werde. Mit der in diesen Mahnrufen zutage tretenden Stimmung berühren sich die Gelegenheitsgedichte, die der Beteiligung Joachims II. am Türkenkriege ihren Ursprung verdanken. Da vereinigen sich Zeitrichtung, das eigne, lebhafte Mitempfinden und der Wunsch, dem mächtigen Brotherrn zu dienen, um den Eindruck zu verstärken. In zwei glückwünschenden und siegverheißenden Gedichten hat Sabinus seinen Fürsten beim Aufbruche zum Türkenkriege besungen und ihn als einen der wenigen Deutschen gefeiert, in deren Brust die alte Tapferkeit noch nicht erloschen sei. Und als später der Geschichtsschreiber Paul Jovius Joachim allein für den unglücklichen Ausgang des Feldzuges verantwortlich machte, da nahm ihn Sabinus gegen diese Vorwürfe in Schutz; nach Eobans Vorbilde wandte er sich zu diesem Zwecke unmittelbar „an die Nachwelt": „Ergo posteritas, Jovio ne crede, sed omnem Hac in parte Uli detrahe, deme jidem! Et vos, Aonides, quibus est concessa potestas Ornandi aeterno laudis honore viros, Hoc precor, impressum Joachimo nominis ingens Dedecns, hanc turpem vos abolete notaml"
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Weniger als diese Stücke, die immerhin — wenn auch nur in Sabinus' Vorstellung — durch die Teilnahme an einem großen Gegenstande beflügelt wurden, besagen viele andere Gelegenheitsgedichte, am wenigsten die, durch die sich wie ein roter Faden der sattsam bekannte Gedanke von der Macht des Unsterblichkeit spendenden Dichters zieht. Wo Sabinus Persönliches gestalten, eigene Empfindungen und Erlebnisse zum Ausdruck bringen will, da greift er gern nach ähnlichen Formen wie in seiner Liebeslyrik. Ein elegisches, ersichtlich an die neulateinische Lyrik der Italiener anknüpfendes Bekenntnis an Petrus Bembus versetzt mitten hinein in innere Kämpfe, die sich in jener Zeit oft wiederholt haben: „auch mich", heißt es da, „hätte beinahe einmal das banausische Gerede des Pöbels von der Brotlosigkeit der Kunst dazu gebracht, der Poesie den Abschied zu geben und mich der goldverheißenden Rechtsgelehrsamkeit zuzuwenden. Da nahte sich mir die Muse und gewann mich durch den Hinweis auf die Vergänglichkeit der irdischen Güter und auf die Unsterblichkeit des Sängers wieder für die Dichtkunst." In einer anderen Elegie tritt Germania zu dem Dichter und fordert ihn auf, ihre Geschichte zu schreiben. Auch die Berufung nach Königsberg läßt sich Sabinus durch den Götterboten Hermes ankündigen. Einen breiten Raum nimmt in Sabinus' Schaffen das erzählende Element ein; daß die meisten der erwähnten Arbeiten überwiegend episch gehalten sind, wurde schon angedeutet. Bei anderen Gedichten ist die Anlage von vornherein episch. Ein annalistisches Epos über die deutschen Kaiser, das, trocken und dürr, sich erst bei der Geschichte Karls V. zu einigem Schwünge erhebt, gehört nicht in diesen Zusammenhang. Wesentlich höher als diese Schulübung stehen die erzählenden Elegien. Sie geben entweder Schauermärchen wieder, wie den Bericht über die Erscheinung gespenstischer Mönche in Speier und über ein Frankfurter Mädchen, das sich, ohne es zu wissen, dem Satan ergab und wahnsinnig wurde, sobald sie den Bösen in seiner wahren Gestalt gesehen hatte. Oder sie greifen wichtige Zeitereignisse heraus, so den Einzug Karls V. in Augsburg (1530) und die Rückkehr Joachims II. aus dem Türkenkriege. Das waren Gegenstände, die dem Wesen unseres Poeten entsprachen; sein nach außen gerichteter Sinn fühlte sich inmitten des entfalteten Pompes am wohlsten; es wurde ihm daher nicht schwer, das Bezeichnende
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zu erfassen. Und so ruht denn auf der Wiedergabe dieser Vorgänge ein Abglanz der festlichen Pracht. Als Mittel zur Vergegenwärtigung der äußeren Vorgänge dienen ihm nach antikem Vorbilde die den einzelnen Personen in den Mund gelegten Reden: sie sollen in dem Gedicht über die Ankunft Karls V. die allgemeine Stimmung festhalten, in der Elegie auf Joachim II. die vor der Handlung liegenden Heldentaten des Gefeierten nachholen. Im ganzen fügen sie sich der Schilderung gut ein. — Eine eigentümliche, an die wiederholt erwähnten Formen gemahnende Einkleidung zeigt die Elegie, zu der die auch von Eoban besungene Erstürmung Roms, der sacco di Roma (1527), Anlaß gegeben hat; hier tritt Roma als Sprecherin auf, sie beklagt ihr unglückliches Los, erzählt in ausführlichster Darstellung das ihr widerfahrene Geschick und fleht die Gnade des siegreichen Kaisers an. Ganz episch, wie es in der Natur der Sache liegt, ist auch das Reisegedicht, das das zweite Buch der Elegien ausmacht. Es gibt einen Bericht über Sabinus' italienische Reise. Aufbruch und Verlauf der Fahrt werden erzählt, die einzelnen Standquartiere beschrieben, Abenteuer spannend vorgetragen, die Werke von Natur- und Menschenhand lebhaft geschildert. Ein blasserer Nachfolger von Micyllus' Reisegedicht, an Innerlichkeit weit hinter diesem zurückbleibend, aber ausgezeichnet durch den Wechsel farbiger Bilder, die wirksame Steigerung und die Frische, mit der die Eindrücke aufgenommen und verarbeitet worden sind. Sabinus' lyrisches Lebenswerk liegt den sechs Büchern der Elegieen und dem Buche der Hendekasyllaben vor. Was er sonst außer den später zu behandelnden Epigrammen geschaffen, kommt für die Erkenntnis seiner Hauptleistung kaum in Betracht. Das Hochzeitsgedicht für König Sigismund von Polen schmeichelt dem dynastischen Stolze und bediente sich dazu einer aus der Gelegenheitsdichtung der Italiener stammenden Einkleidung, die schon Hutten in dem Panegyricus auf Erzbischof Albrecht verwendet hatte. Von den beiden Eklogen stellt die zweite die pastorale Form ganz in den Dienst der Gelegenheitspoesie; die erste schildert nach den üblichen Hirtengesprächen in allegorischer Umhüllung die Gefangennahme Franz' I. bei Pavia: aus Haß gegen die Schlange (Francesco Sforza von Mailand) verwüstet der Hahn die Gefilde am Po; da erscheint von den Alpen her der Adler, und es kommt zum Kampfe, in dem der Hahn unterliegt.
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Diese Ekloge scheint zu den ältesten Arbeiten des Sabinus zu gehören ; sie ist wohl nicht allzulange nach dem behandelten Ereignis, also im Laufe des Jahres 1525 oder Anfang 1526 entstanden. Ähnlich verhält es sich mit dem Monolog Roms (Elegien V, 1); er wird 1527 oder 1528 geschrieben worden sein. Von den übrigen Dichtungen, soweit ihre Entstehungszeit sicher bezeugt ist, reichen die zweite bis fünfte Elegie des ersten Buches am weitesten zurück; sie sind sämtlich im Jahre 1530 entstanden. Ist auch in diesen Arbeiten nicht immer die spätere Treffsicherheit des Ausdrucks erreicht, erscheint manches Beiwort matt, und könnte die Redefülle gebändigt werden, so treten doch die natürlichen Vorzüge des Poeten klar heraus. Es lag im Wesen seiner Begabung begründet, daß er Erzählendes bevorzugte; greift man etwa aus den eben erwähnten Arbeiten die Elegie über „das Wunder zu Speier" heraus, so erkennt man, wie gut der Verfasser es versteht, die beiden geschilderten Ereignisse, die Übersetzung der Mönche über den Rhein und die Erscheinung des gespenstischen Mönchswagens, in bezeichnenden Einzelheiten wiederzugeben. Nicht minder ist ihm ein sicherer Blick für das Charakteristische des Naturbildes eigen. Auch das ergibt sich schon aus der eben erwähnten Elegie, wo der Sturm während der Überfahrt, die Zeichen, an denen der Schiffer sonst das Herannahen des Unwetters erkennt, und die friedliche Ruhe der Natur nach dem Sturm geschildert werden. Beide Vorzüge steigern sich noch im Verlauf der Entwicklung. Seine lebhafte Art der Vergegenwärtigung des Vergangenen zeigt sich z. B. deutlich in dem Reisegedicht, wenn ein selbsterlebtes Ereignis berichtet wird, die Ermordung einer ehebrecherischen Frau in Trient durch ihren betrogenen Mann und dessen darauf erfolgter Tod; sie tritt nicht minder in dem Gedicht über die Rückkehr Joachims II. zutage, wo einzelne Situationen, so das Wiedersehn zwischen Vater und Sohn, deutlich vor dem Auge des Lesers aufsteigen. Wie sicher Sabinus das Umgebende erfaßt, und wie er zugleich dem Eindruck des überwältigend Großen Dauer verleiht, lehrt seine Schilderung des „nicht von Menschen, sondern von Göttern gegründeten Venedigs", dessen Wunder er mit staunender Seele aufnimmt und festhält. Ebenso schärfte sich ihm der Blick für die Natur: wenn er erzählt, wie er über den Brenner dahinzieht, ersteht greifbar die Alpenlandschaft; die schneebedeckten Gipfel, die herabstürzenden Lawinen, die Alpenbäche, die in rasendem
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Laufe von den Bergen niederrauschen und große Felsstücke mit sich schleppen, über die der Schaum hinwegspritzt, die Wasser, die allerorten den Weg überschwemmen, die Nebel, die aus den Tiefen nach den Höhen zu aufsteigen — alles das wird gut aus der Beobachtung des Beschauers dargestellt. Und in ähnlicher Weise versteht er den bescheidenen Reizen der märkischen Ebene gerecht zu werden: die Oder bei Frankfurt, die sanften mit Weinbergen besetzten Höhen an ihren Ufern, der Wald, der sich in der Nähe des Flusses hinzieht, werden so geschildert, daß das Behagen des Verfassers an dem landschaftlichen Bilde sich in der Art der Darstellung wiederspiegelt. Auch allgemeinere Naturschilderungen gelingen ihm nicht übel, so wenn er ein Plätzchen beschreibt, wo im Frühling die Blumen lachen, die Gesträuche vom Vogelsang widerhallen und des Morgens die Gräser im Tau wie Edelsteine schimmern; erinnert auch einzelnes hier im Ausdruck zu deutlich an seine antiken Vorbilder, z. B. an Lucrez, so wird im ganzen doch eine lebendige Vorstellung erweckt. Stärker aber noch als alle diese dichterischen Vorzüge wiegt die außerordentliche Gewandtheit des Ausdrucks. Es läßt sich wohl verstehen, daß Eobanus Hessus anläßlich der „deutschen Kaiser" des Sabinus dem Dichter das höchste Lob spendete, das dieser stolz in seinem „Reisegedicht" mitteilte. Denn in dem natürlichen Fluß, der Unmittelbarkeit der Sprache wird Sabinus nur von Eoban und Petrus Lotichius Secundus erreicht, über troffen allein von Micyllus. Trotz dieser großen Vorzüge in der Form, trotz einer auch aus seiner Poesie wohl erkennbaren bestechenden Persönlichkeit durchweht die Lyrik des Sabinus kein lebendiger Geist; die Eleganz des Ausdrucks ist mit Kälte gepaart, und mancher sinnige Poet, der an ursprünglicher Begabung weit hinter Sabinus zurückbleibt, spricht unmittelbarer zum Herzen. Nicht nach außen glänzend wie Sabinus, aber tiefer veranlagt, echter und zuverlässiger war Johannes Stigel, gleichwohl mit Sabinus in treuer Freundschaft verbunden. Stigel ist 1515 in Gotha geboren, studierte seit 1531 in Wittenberg zuerst alte Sprachen, hierauf die Rechte, die er auf Melanchthons Rat mit der Medizin, Physik und Astronomie vertauschte. Sein Leitstern in Wittenberg war von Anfang an Melanchthon, dem er dauernd in inniger Verehrung zugetan war. Nach Überwindung mancher Schwierigkeiten wurde ihm 1543 in Wittenberg eine
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Professur der Poesie zuteil. Beim Ausbruch des schmalkaldischen Krieges fand er in Weimar einen Zufluchtsort; wie sich seine späteren Lebensschicksale gestalteten, wird im folgenden erzählt werden. An Umfang nimmt in Stigels Lebenswerk die geistliche Poesie die erste Stellung ein. Ein unmittelbarer Eindruck wird jedoch nur da erzielt, wo ihm die Forderung der Stunde die Stimmung weckt und die Zunge löst. Wenn es ihm nun auch nicht überall glückt, das seelische Bedürfnis des Augenblicks abzuspiegeln, so schließen doch die meisten dieser Dichtungen in der einen oder der anderen Weise das Wesen der Persönlichkeit auf. Innere und äußere Vorgänge aus dem Leben des Dichters dienen dazu, der gefühlsmäßigen Betrachtung Halt und Farbe zu verleihen. Ein gutes Beispiel bietet das umfangreiche elegische Gedicht „Die Hut der Engel" (De angelorum custodia). Da wird der Gedanke, daß die Engel dem Menschen gegen die Tücken des Satans beistehen, an einer Reihe von Ereignissen aus dem Leben des Dichters nachgewiesen; Hauptsache und Nebenumstände weiß Stigel sicher zu erfassen und zu einem anschaulichen Bilde abzurunden. Weit weniger individuelle Eigenart zeigen Stigels Gedichte auf die einzelnen christlichen Feste. Auch sind diese Stücke an Wert ungleich; und innerhalb der einzelnen Arbeiten finden sich erhebliche Unterschiede. Doch geht man trotzdem nicht ganz leer aus. So bieten z. B. die beiden Passionsgedichte manches Anziehende. In dem ersten weist die Art, in der das Leiden Christi erfaßt wird, vordeutend auf die subjektive Betrachtungsweise des 17. Jahrhunderts; und wenn Stigel (vielleicht von einem Gedicht Vidas beeinflußt) ausruft: „Ich selbst war Deines Todes nächste Ursache; ich selbst verdiente diese Angst, diese Schläge, diesen Tod; ich selbst hätte um meiner Sünde willen sterben müssen", so meint man Johannes Heermann zu hören: „Ich, ach Herr Jesu, habe dies verschuldet, — Was du erduldet". In dem zweiten Festgesang findet der Dichter nach lehrhaft trockenem Eingang einen schönen Abschluß in dem Hinweis auf die Auferstehung, deren Verhältnis zu der vorausgegangenen Todespein er durch einen ausgeführten Vergleich mit dem Wiederaufleben der Natur nach langem Winterschlafe zu erläutern weiß. Das Zusammenfließen der Natureindrücke mit religiösen Vorstellungen ist bei Stigel nicht selten zu beobachten; auch in dieser Beziehung erscheint er als ein Vorläufer der religiösen Lyrik
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des 17. Jahrhunderts; das Veilchen gemahnt ihn durch die Zeit seines Kommens an das Blut, das Christus für die Menschen vergossen; seine Farbe erinnert ihn an das von Christus getragene Kleid; die Lerche, die er als Botin des Frühlings freudig begrüßt, lehrt die dankbaren Herzen Gott lobsingen; zahlreiche Vögel werden ihm zu Sinnbildern der Kirche, wobei bald dieser, bald jener gemeinsame Zug hervorgehoben wird. Neben den freilich überwiegenden religiösen werden auch Vorstellungen allgemeiner Art durch die Naturbetrachtung geweckt: die Taube gilt als Abbild eines guten Hausmütterchens. Was sich später bei der individuellen Lyrik Stigels ergeben wird, zeigt sich schon hier: ein empfängliches Gemüt nimmt äußeres und inneres Geschehen willig auf, aber die Kraft, dies in seinem Kern zu erfassen und wiederzugeben, ist noch nicht ausgebildet, und unwillkürlich erhält es die Farbe der die Gesamtpersönlichkeit beherrschenden religiösen und moralisch-didaktischen Grundstimmung. Daß es sich aber bei diesen Umdeutungen nicht um eine ersonnene Spielerei handelt, sondern daß sie tatsächlich aus der unmittelbaren Einwirkung des Natureindrucks hervorgegangen sind, läßt sich bestimmt erweisen. Als bei der Überfahrt nach England stürmisches Wetter eintrat, setzte sich das Erlebte bei Stigel alsbald ins Allgemeine um: „Das menschliche Leben ist wie das Schiff, das von den Wogen hin- und hergeworfen wird", und noch während das Fahrzeug unter ihm schwankte, wurde dieser ihm aufgegangene Gedanke in einer kleinen poetischen Betrachtung durchgeführt. So mögen wir uns also den Dichter denken, wie er sich zu Beginn des Frühlings im Elb- oder Saaletal ergeht, wie er mit herzlicher Freude die ersten Veilchen begrüßt oder auf den jubelnden Laut der Lerche lauscht, und wie seine Anteilnahme dadurch zum Ausdruck kommt, daß er das Geschaute in die höchste Sphäre seines Empfindungslebens hineinrückt. Auch die Erzeugnisse der bildenden Kunst haben ihn in ähnlicher Weise beeinflußt. Stigel war ein großer Kunstfreund; er hat sich nicht nur in der Werkstatt der Cranache sorgfältig umgesehen, sondern er war auch ein eifriger Besucher der öffentlichen Kunstsammlungen. Stieß er dort auf ein Gemälde, das einen Naturvorgang festhielt, so stellte sich bei ihm unwillkürlich auch alsbald die religiöse Allegorie ein. Obgleich Stigel in seiner religiösen Lyrik manche Anregungen von außen verarbeitet hat, ist er doch auf diesem Gebiete ein
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Eigner. Anders verhält es sich mit seinen dünn gesäten Liebesdichtungen. Hier zeigt er sich ganz unselbständig. Eines dieser Liebesgedichte ist fast wörtlich dem Italiener Johannes Cotta entlehnt, ein anderes dem zu Pontanus' Kreise gehörenden Gabr. Altilius nachgebildet. Ein anspruchsvollerer, umfangreicherer, die Allgewalt der Liebe feiernder Sang an seine spätere Gattin Barbara bewegt sich etwas freier, erinnert aber in seiner ganzen Art ebenfalls an die italienischen Neulateiner, etwa an den älteren Strozza. Ähnlich wie in diesem Gedicht schildert er in einer kleinen Augenblickseingebung einem Freunde seine Liebesqual, und wieder wird man an verwandte Äußerungen der Italiener gemahnt. Ganz unabhängig scheint nur eines dieser Lieder zu sein, und bezeichnenderweise kann man es nicht eigentlich als Liebesdichtung ansprechen, da es nur den Gedanken verkörpern will, daß jedes Lebewesen ein letztes Glück und einen letzten Tag erfahre. Der Dichter findet ein spätzeitiges Veilchen und bringt es unter vielen Küssen der Geliebten. Diese sagt lachend und seufzend: „Die Blume, die in der Zeit nicht zur Blüte gelangte, da sie blühen mußte, wird auch nicht zu der Zeit absterben, die ihr sonst als Endpunkt bestimmt war". Sicher war im damaligen Wittenberg kein günstiger Boden für das Gedeihen der Liebespoesie; darum ist es auch bei diesen spärlichen Ansätzen geblieben, und sie sind offenbar sämtlich in einund derselben, verhältnismäßig kurzen Zeit entstanden. Über Stigels ganzes Leben hin erstreckt sich dagegen seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Gelegenheitsdichtung, und vor der Masse der ihr gehörenden Arbeiten müssen sich die geringfügigen Versuche der erotischen Lyrik wie erdrückt zurückziehen. Unter seinen Trauergedichten ragt die in sein 21. Lebensjahr fallende Elegie auf den Sohn Lucas Cranachs, Johann Lucas, hervor. Nachdem die Nachricht vom Tode des in Italien hingerafften Kunstjüngers durch eine anschauliche Allegorie vorbereitet worden ist, wird seine Bedeutung geschildert und der Schmerz der Eltern, ja selbst die Trauer der Gestalten auf den von ihm geschaffenen Gemälden vergegenwärtigt. Gegenüber diesem Werkchen, das nach Inhalt und Ausführung immerhin Beachtung verdient, treten die anderen Trauergedichte zurück eine starke Nüchternheit macht sich in ihnen geltend; Beispiele aus dem klassischen Altertum, gelegentlich auch idyllische Bestandteile tragen noch zur Verstärkung dieses Eindrucks bei.
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Nur einzelne hübsche Bilder heben sich von dem gleichgültigen Wortschwall ab; so wenn es von der Flüchtigkeit des Lebens heißt: „Wie das Schauspiel auf dem Brettergerüst vorüberzieht, so schwinden und vergehen unsere Tage; wie die Veilchen in den Blumenkörbchen verwelken, wenn sie von der Sonne berührt werden, so flieht das kurze Leben aus dem zerbrechlichen Körper". Ähnlich von einer verstorbenen jungen Frau: „So stirbt, vom krummen Pfluge getroffen, die zarte Blume, die eine Zier der Frühlingszeit sein konnte." Von einem Manne, der der Gattin beraubt ist: „So setzt der in Sonnenglut ermüdete Wanderer, der seinen Stab verliert, mit größerer Anstrengung seinen Weg fort." Auch die Hochzeitsdichtung Stigels weist poetisch wenig Brauchbares auf. Ein eigentümliches Geschick traf das teils "lehrhaft mahnende, teils lebhaft schildernde Gedicht auf die Vermählung Heinrichs VIII. mit Anna von Cleve; es wurde durch die Tatsachen überholt, und als Heinrich VIII. die „lange Stute" wieder nachhause schickte, machte sich der Groll des empörten Dichters in einem gegen den König gerichteten Protest Luft. Auch zu den Hochzeiten seiner Landesfürsten stellte sich der Poet ein; aber mehr als diese pomphaften Festreden zieht ein Sang auf die Vermählung des Sabinus mit der unglücklichen Anna Melanchthon an; hier erscheinen Apollo und die neun Musen, um im Verein mit dem Dichter dem jungen Paare Glückwünsche darzubringen. Freilich vertragen sich diese klassischen Zierate meist schlecht mit dem Geiste biblisch-christlicher Frömmigkeit, der unmittelbar daneben sein Wesen treibt; aber dieser sonderbare, vom Beigeschmack der unfreiwilligen Komik zuweilen nicht freie Zwiespalt ist der ganzen Gattung eigen und kann immerhin in seiner Art mit Zeugnis von dem neugeschlossenen Bunde zwischen der Antike und lutherischer Rechtgläubigkeit ablegen. Der Schritt von der Gelegenheitsdichtung zur individuellen Poesie scheint außerordentlich groß. Aber er ist es tatsächlich nicht. Denn für so unfruchtbar man jene Gattung im ganzen auch halten mag, Ansätze zu einer individuellen Lyrik sind gerade in ihr häufig zu finden. Bei unserem Dichter schwingen diese Untertöne in der Gelegenheitsdichtung nicht so lebhaft mit wie bei anderen Poeten, z. B. bei Micyllus; ganz fehlen sie allerdings auch nicht. Stigels individuelle Lyrik darzustellen, ist nicht leicht, weil
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man sie erst sozusagen aus der Umhüllung herausschälen muß. Einerseits bedient sie sich nicht selten allegorischer Einkleidungen, und dann mündet sie oft in das Religiöse; zuweilen erscheint auch beides nebeneinander. Deutlich aber lassen sich die im engeren Sinne geistlichen Dichtungen von diesen Ansätzen zu persönlichen Bekenntnissen unterscheiden. Nur selten kommt in den individuellen Dichtungen die Lebensfreude zum Wort. Doch fehlen Versuche, auch den Kreis dieser Empfindungen zu ergreifen, wenigstens nicht ganz. Eine Einladung zu gemütlicher Kneiperei, die er am Martinsfeste einem Freunde zugehen läßt, gestaltet er zu hübscher Erzählung aus. In trüber Stimmung sitzt der Dichter allein zu Hause; da erscheint ihm der heilige Martinus und mahnt ihn zur Heiterkeit, zur Fröhlichkeit und zum Trinken. „Du Narr", redet er ihn an,' „was bringst du mit verschlossener Kehle trocken Feierstunden zu? Warum sehe ich auf deinem Tische keine Becher?" Er hält ihm vor, wie sehr die Muse durch Traurigkeit beschwert werde und mahnt ihn an das alte Poetenrecht. „Da du doch als Dichter gewohnt sein mußt, immer trunken zu sein, weshalb trieft deine Zunge nicht schon vom edlen Naß?" Diese Vorstellungen leuchten dem Dichter ein, und er fordert den Freund auf, mit ihm gemeinsam die Fastnacht zu begehen. Eine ähnliche scherzhafte Behandlung wird einem anderen, von Hutten in die neulateinische Dichtung Deutschlands eingeführten Gegenstand zuteil, dem Fieber, nur daß Stigel hier schließlich in die religiöse Betrachtungsweise einlenkt. Er weist dem Fieber die Türe, sonst sollte es erfahren, was ein Poet sei; er werde seine Verse gegen das boshafte Übel schicken, und wenn es diese nicht fürchte, dann wolle er seine dichterischen Freunde zu Hilfe rufen, wie einst die Atriden alle griechischen Helden aufgeboten hätten. Und nun läßt er die stattliche Reihe der befreundeten Poeten aufmarschieren und kennzeichnet die einzelnen durch ein charakterisierendes Wörtchen: Eoban, Melanchthon, Sabinus, Camerarius, Lemnius und wie sie weiter heißen. Das Gedicht gegen das Fieber ist vor dem Tode Eobans und vor dem Bruche mit Lemnius entstanden, also um das Ende der dreißiger Jahre, wohl 1538. Je weiter aber die Zeit fortschritt, desto ernster gestalteten sich die Zustände; und etwas von dem düsteren Blick, mit dem Luther alle Verhältnisse musterte, teilte sich unwillkürlich seiner Umgebimg mit. Wenn sich neue
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Gedanken unter Kämpfen emporringen, so erwachsen dem Mitlebenden manche Mühen und Beschwerden; er muß auf vieles verzichten, was im gewöhnlichen Laufe der Dinge ihm mühelos in den Schoß gefallen wäre. Rechnet man dazu noch die allgemeine Unsicherheit der damaligen politischen Lage, die kriegerischen Verwicklungen, so kann man leicht ermessen, wie dunkel diesen Männern die Gegenwart erschien, und wie trübe sie in die Zukunft schauten. Das ist auch bei Stigel der Fall, und so vernimmt man denn bei ihm unausgesetzt Klagen über die schwere Not seiner Zeit und über das mannigfache Leid, das ihm selbst daraus erwächst. ,,Desine, mens, alias meditando evolvere curas, Ista carent certo stagna profunda vado. Desine scrutari putrefacta tot ulcera mundi, Mensur am numerus non habet iste suam."
So beginnt ein „Klage" überschriebenes Gedicht, und der elegische Grundton des Anfangs hallt durch das ganze düstere Zeitgemälde. Nirgends zeigt sich ein Lichtblick; wie die Würmer den Baum, die Krankheit sich selbst, die Raupe das Laub zerfrißt, so benagen die Verbrechen den Erdkreis, und der Sonnengott sieht von seinem Wagen aus fast nichts als das Laster. Das Recht wird vernachlässigt, die richtige Vernunft erscheint nicht als Lenkerin der Dinge, nirgend findet die Gerechtigkeit eine sichere Stätte. Wild toben die Stürme, und ihr einziges Ziel ist es, das Schifflein Christi umzustürzen sowie Deutschland alles Glücks zu berauben und seine alte Zier zu beflecken. Ähnliche Klagen hören wir mehrfach. Und wenn von irgendeinem schnöden Unrecht oder einer schweren Gewalttat die Rede ist, so wird die Ursache fast immer in der gesetzlosen, wilden Zeit gesucht. Im Jahre 1544 wurde Stigels Freund, der Nürnberger Ratsherr Hieronymus Baumgärtner, auf der Rückkehr vom Speyerer Reichstag durch den Ritter Albrecht von Rosenberg überfallen; seine Begleiter wurden erschlagen, er selbst gefangen weggeführt. Trotz aller Bemühung gelang es erst nach einem Jahre, seine Freilassung aus der Haft zu bewirken. Stigel hat anläßlich der Befreiung Baumgärtners zweimal das Wort ergriffen. Das eine Mal gibt er eine sinnfällige Darstellung aller für Baumgärtners Schicksal in Betracht kommenden Vorgänge; mehr in die Stimmung des Dichters führt der andere ZuEllinger, Neulateinische Lyrik 2.
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ruf ein; er gestaltet sich zu einer schweren Anklage seiner Zeit, in der niemand mehr zu leiden habe als der Gute. Dabei denkt er nicht bloß an des Freundes Los, sondern auch an eignen Kummer. Und wie er sein Unglück mit dem des Freundes parallelisiert, so stellt er auch „den Schmerz über diese Zeit und die harte Last seines eigenen Geschicks" nebeneinander; beides drückt ihn zu Boden. Unter der Einwirkung aller dieser trüben Erfahrungen kommt selbst sein gläubiges Vertrauen einen Augenblick ins Schwanken; das Leben scheint ihm der Spielball einer die Menschen wie Marionetten hin- und herschiebenden fühllosen Schicksalsmacht zu sein; „alles ist ein Spiel des Geschicks", ruft er aus. *
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Die Worte sind im Jahre 1545 geschrieben, also in der Zeit des drückenden unheimlichen Vorgefühls schwerer kommender Dinge. Es folgten bald die Tage des Schmalkaldischen Krieges. Daß die Ereignisse nicht spurlos an dem Dichter vorübergehen konnten, liegt auf der Hand. In einem kurzen Aufruf versucht er vergeblich das schlafende Deutschland wachzurütteln. Dem unglücklichen Johann Friedrich gelten seine Trauer und seine Tränen. Aber mehr als diese und ähnliche Gedichte, die wie manche andere kleine lyrische Stücke in seine Epigramme eingereiht sind, ziehen uns hier ebenfalls die individuellen Dichtungen an. Wie Melanchthon, so war auch Stigel selbst aus Wittenberg geflohen; er schickt an den verehrten Lehrer poetische Sendschreiben; er berichtet über sein Ergehen und klagt über die Unbilden der Zeit. Noch lebhafter tritt seine Seelenstimmung in einem poetischen Briefe an einen anderen Freund hervor. Da seufzt er über all das Schlimme, was er erleben muß: die Laster herrschen, die Musen werden verachtet, wahre Freundschaft ist nicht mehr zu finden; Eris regiert und schafft Zorn, Streitigkeiten, Schlachten, Mord; „Gaudet ad eventum, laceros joedata capillos Ore ferox oculisque minax atque horrido, vullu Barbaries, longam telam tractura mälorum."
Und immer tiefer spinnt er sich in diese trüben Gedanken ein; die Betrachtung unheilvoller Himmelszeichen bestärkt ihn darin. Dazwischen aber tauchen doch Trostgründe auf, obgleich sie nicht allzu lange vorhalten. Auch in diesem allgemeinen Umsturz, sagt er, kann Gott reine Gemüter erhalten. Unter seiner
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Leitung wollen wir Freundschaft und Studien pflegen, im Unglück Trost bei den beredten Musen suchen. D a s sinnige Gemüt des Dichters dringt selbst hier, wenn auch nur für Augenblicke, durch das Dunkel der Sorgen und Kümmernisse. Und der aufrichtende Gedanke, einmal ausgesprochen, ließ sich nicht mehr verscheuchen. Eine nach der Gefangennahme Johann Friedrichs entstandene elegische Dichtung bringt ihn mit neuen Mitteln zum Ausdruck. Bei Blitz und Regen hört die Nachtigall auf zu singen; stumm vor Furcht zieht sie sich in die Schlupfwinkel und die abgelegenen Stellen der Wälder zurück: ebenso schweigen des Dichters Musen in der Kriegszeit. Kein Lied glückt ihm; in der Trübsal gibt er Phöbus und seinen neun Begleiterinnen den Abschied. Da begegnet ihm Apollo; er erhebt ihn durch die Aussicht auf bessere Zeiten und mahnt, die Musen nicht zu verlassen, denn unvergleichlich sei die Zier, die von ihnen komme. Für Wahnsinn erklärt es es, den Tod im Kriege zu suchen. Im Frieden solle er Gott und den Musen dienen. Nachdem Phöbus diese Hoffnung erweckt hat, verschwindet er, und Echo gibt sanft seine letzten Worte wieder. Wenn auch Gefahren und Sorgen nach dem Ende des Schmalkaldischen Krieges keineswegs schwanden, so ergab sich doch für Stigel die Möglichkeit, über der Freundschaft, der Dichtung und den Studien zeitweilig die drangvolle Gegenwart zu vergessen. Ende 1547 oder Anfang 1548 siedelte er nach Jena an das von Melanchthon eingerichtete Gymnasium über und entfaltete hier eine fruchtbare Tätigkeit. Auch seinem Lehramt hat die Dichtung dienen müssen, und zahlreiche, im elegischen Maße abgefaßte Schulreden legen davon Zeugnis ab, wie er denn auch seine wunderlichen kosmogonischen Anschauungen unter dem Titel „ D a s unterirdische Reich" (Subterranea) in metrisches Gewand gekleidet und durch erzählende Bestandteile belebt hat, so z. B. durch eine Verwandlungsgeschichte in Sannazars Art. Der Schulstaub liegt auf allen diesen Arbeiten, aber das reine Gemüt des poetisch angehauchten Lehrers schlägt auch hier durch. Höher stehen die Dichtungen, die den Freundschaftsbeziehungen ihren Ursprung verdanken. Äußere und innere Ereignisse, die großen wie die kleinen Verhältnisse des Lebens geben ihm Veranlassung, sich im Gedicht an die Freunde zu wenden. Nicht selten stören Nüchternheiten; reichliche Wortverschwendung schwellt Geringfügiges unnütz auf; läßt sich 6*
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aber der Leser durch solche Mängel nicht abhalten, so wird er doch belohnt: denn aus der Summe dieser Dichtungen ergibt sich ein anmutendes Bild der liebenswerten, schlichten und offenen Persönlichkeit. Seit der Befreiung Johann Friedrichs (1552), von deren Einwirkung auf unseres Dichters Muse noch die Rede sein wird, wurde Stigels Lage schwieriger. Johann Friedrich war gegen Melanchthon wegen dessen schwächlicher Haltung während der Interimszeit tief verstimmt, er zürnte ihm wohl auch deshalb, weil Melanchthon in Wittenberg ausgehalten hatte und nicht den Ernestinern in die ihnen gebliebenen Lande gefolgt war. Jedenfalls bemühte sich Johann Friedrich, Jena, das allerdings erst vier Jahre nach seinem Tode (1558) in eine Universität umgewandelt wurde, zu einem rechtgläubigen Gegen-Wittenberg zu machen. Immerhin vermochte Stigel noch geraume Zeit den entstehenden Schwierigkeiten vorsichtig auszuweichen; unerträglich aber wurde seine Lage, als im Jahre 1557 Matthias Flacius Illyricus als Professor nach Jena berufen wurde. Stigel wollte seine Verehrung vor Melanchthon nicht verleugnen; deshalb hatte er unausgesetzt versteckte und offene Angriffe von Flacius und dessen Anhängern auszuhalten. Wie sehnsüchtig er in dieser Zeit nach Melanchthon ausblickte, bezeugt die kleine Heroide „Die Saale an die Ilm" (1551). In Jena war das Gerücht verbreitet, Melanchthon würde auf der Reise dorthin kommen, er war aber vorbeigereist und wohl nach Weimar gefahren. Die Saale neidet nun der Ilm den Besitz Melanchthons, sie bittet, ihn freizugeben, und sieht ihn schon, freudig begrüßt, herankommen. Allein die Wirklichkeit entsprach leider nicht der poetischen Vorstellung; Stigel mußte fern von Melanchthon weiter die Anfeindungen von dessen Gegnern erdulden. Es wäre ein Wunder, wenn die ihn bedrängenden Gefühle nicht in seiner Dichtung Ausdruck gefunden hätten; neben einer noch zu erwähnenden Ekloge spricht er sich über seine Leiden namentlich in einem höchst individuellen Gedicht an Melanchthon aus (1557). In tieftrauriger Stimmung gibt er Kunde von dem, was er um des geliebten Lehrers willen zu leiden hat: „Hac tarnen adficior plaga: cui frotinus omne Ingenium, in jecore est, quoties occasio mancum, Vellicat arbitrium, oblique me pungit et angit Insontemque notat, quod sim tibi apertus amicus,
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Non odisse tuo quod possitn in pectora dotes, Docta quibus culias bor'tas tua seminat artes, Quae praebent vitae n rvos fontesque bonorum." Und nach dem zusammenfassenden Ausruf: „ I n diese Schuld werde ich hineingestürzt" wendet er sich mit bitterster Ironie gegen seine Verfolger, vor allen gegen Flacius: „Schone meiner, lauterer Priester, ich dränge mich nicht begierig in eure Streitigkeiten, habe keinen Geschmack am Allzuhohen, ich will euch nicht stören, die ihr den Himmel mit Streitigkeiten erschüttert und mit Zänkereien die Sterne." E r fragt, was er Unrechtes getan; er lebt lieber in Frieden, aber wenn die Feinde von ihm nicht ablassen, ist er entschlossen, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. „ D u siehst," sagt er, „wie ein verachtetes Händlern dem Menschen entgegenläuft und mit Schweif und Augen um seine Gunst buhlt; wird es aber mit dem F u ß berührt oder von der Geißel getroffen, so setzt es sich zur Wehr." Eine Weiterführung des Bildes bringt die deutliche Beziehung auf Flacius; der Gedanke, daß nicht bloß diesem, sondern auch dem friedlichen Dichter der Stachel gegeben sei, erhält folgende Einkleidung: „Non tantum illyrici possunt mordere Molossi." „Aber du, Melanchthon," fährt er fort, „sollst mir Zeuge sein, daß ich im rechten Glauben stehe", worauf eine Darlegung der Grundlagen seiner religiösen Überzeugung das Gedicht abschließt. Daß Stigel unter den Anfeindungen innerlich so schwer zu leiden hatte, erklärt sich vor allem daraus, daß er wie so manche andere Söhne dieser harten Zeit, z. B. Melanchthon, Micyllus, Camerarius, eine weiche Natur war. E r selbst bezeugt es in einem ebenfalls aus dem Jahre 1557 stammenden Gedichte. Wieder erhalten wir ganz individuelle Bekenntnisse; wieder sind diese von religiösen Betrachtungen umrahmt. Aus den Kämpfen der öffentlichen Tätigkeit tritt man hier in die Stille des Hauses und in die Welt der Leiden, die sich innerhalb der Wohnung abspielen. A m Himmelfahrtstag 1557 lag Stigels Gattin im schwersten Kindbettfieber; trotzdem stimmte der Dichter einen Festhymnus an, der freilich erkennen läßt, wie schwer ihm ums Herz w a r : „Ecce mihi ante oculos aegrota puerpera conjunx In dubia vitae conditione jacet, Ammissamque dolens prolem morbumque tenacem Cor mihi multipiici triste dolore gravat.
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Hanc mihi tu sociam vitae comitemque dedisti, Hanc ardente tuum pectore munus amo. ferre dolorem Et fateor, non sum, qui tantum Sufficiam, fateor, molle cor esse mihi. Utque tumens ductu motae de cardine Lunae Per varios aestus itque reditque fretum, Sic pendens animi curarum fluctuo nimbis, Et curas inter spemque metumque traho; Mente dolens aegra solatia certa requiro, An te quaerentem deseruisse voles."
Bitten ähnlicher Art schließen sich an; während der Dichter seine Seufzer wiederholt, hört er in seinem Innern eine Stimme, die ihn zur Zuversicht, zum Vertrauen auf Gott ermahnt. Er tritt an das Bett der Frau und sieht mit Freude, daß eine Wendung zum Besseren eingetreten ist, worauf er ein inniges Dankgebet zum Himmel emporschickt. Deutlich erkennt man hier, wie die persönlichen Empfindungen nach einem entsprechenden Ausdruck ringen, wie sie das vollständig deckende Kleid noch nicht finden und sich daher der ihnen geläufigen religiösen Sprache bedienen. Daß die religiöse Ausdrucksweise sich ungewollt auch da einstellte, wo ein starkes Innenleben sich auszusprechen strebte, ist freilich nicht verwunderlich. Denn wie kein anderer hat Stigel seine Muse in den Dienst der protestantischen Sache gestellt ; sein Gesang begleitete die wichtigsten Abschnitte des großen Kampfes. So beglückwünscht der neunzehnjährige Jüngling den Landgrafen Philipp von Hessen, als dieser (1534) den Herzog Ulrich von Württemberg wieder in sein Land einsetzte; er feiert die zum Schmalkaldischen Konvent (1537) gekommenen Theologen, während er zur gleichen Zeit die Papisten ironisch durchhechelt. Die in jenen Tagen so brennende Frage, ob die protestantischen Fürsten der Ladung des Papstes zu einem Konzil folgen sollten, gibt ebenfalls Gelegenheit zu poetischer Behandlung. Und die so schnell zu Wasser gewordene Hoffnung auf eine Umkehr Heinrichs VIII. hat seine Dichtimg mannigfach befruchtet. Bei Luthers Tode faßte er in einem kurzen, weitverbreiteten poetischen Nachruf die allgemeinen Empfindungen zusammen. Zur Einkleidung dieser Gedanken verwendet der Dichter häufig die Form der allegorischen Heroide. Wie Hutten Italien an Maximilian I., so läßt Stigel Germania an Karl V. schreiben
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und ihn nach Verheißung herrlicher Siege zum Türkenkriege mahnen. Auch Johann Friedrich wird von Germania mit einem langen Schreiben bedacht, aus dem er erfährt, daß er keine Veranlassung habe, der Ladung des Papstes zu einer Kirchenversammlung Folge zu leisten. Kürzer, aber eindringlicher und frischer ist die Epistel Germaniens an Philipp von Hessen (vgl. oben); sie ist auch sonst bemerkenswert, denn das Gemisch von Furcht, Schrecken und Bewunderung, womit Melanchthon und sein Kreis den ungestümen Landgrafen betrachteten, hat hier seinen poetischen Niederschlag gefunden. Im allgemeinen wird man sagen können, daß derartige künstliche Formen Stigels Poesie nicht günstig beeinflussen; in den umfänglichen Gedichten derart fehlt es nicht an leeren Stellen, an unnütz aufgehäuften Redensarten. Weit erfreulicher ist die Wirkung da, wo der Dichter sich unbefangen gibt. So wenn er den poetischen Freundschaftsbrief in den Dienst der großen Fragen der Zeit stellt. In den Tagen der Gefangenschaft Johann Friedrichs richtet er eine Elegie an den kaiserlichen Rat Nicolaus Grudius, den Bruder des großen Niederländers Johannes Secundus. Die gemeinsamen poetischen Bemühungen bilden den Ausgangspunkt, das schöne und edle Streben des Freundes findet verdiente Anerkennung, aber allmählich weiß der Poet von diesen Fragen auf die ihm am Herzen liegende Sache überzugehen: auch der Freund soll seinen Einfluß für die Befreiung des unglücklichen Fürsten einsetzen. Hübsch, wie Stigel in seinem Eintreten für Johann Friedrich sich über Grudius hinweg unmittelbar an den Kaiser wendet, hübsch auch, wie er diesen zur Milde zu stimmen und seinen Geist auf würdigere Taten zu lenken sucht. Aus jedem Zuge spricht hier die reine, liebenswerte Art des Dichters. Nach der Weise der Zeit klingen die großen religiösen und geschichtlichen Tatsachen auch in der idyllischen Dichtung Stigels wider. Den mächtigen Eindruck, den die Persönlichkeit Luthers auf den eben nach Wittenberg kommenden sechzehnjährigen Jüngling ausübte, sucht die Ekloge „Der Hirt" (1531) festzuhalten. Gibt für diese Ekloge der Frohsinn die Grundstimmimg ab, so ist in der ein Jahr später (1532) entstandenen alles auf einen traurigen Ton gestimmt; der Tod Johanns des Beständigen wird beklagt, ein Bild seiner Wirksamkeit entworfen, seine Aufnahme in die Schar der Himmlischen berichtet. Mehr als ein Jahrzehnt liegt zwischen diesem Gedichte und der Ekloge ,, Jolas".
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Sie ist 1543 zuerst in einem Einzeldrucke erschienen, gehört aber ihrer Entstehungszeit nach wohl dem Anfange des Jahres 1542 an. Die Sorge um das Schicksal des in Algier weilenden Kaisers und seine glückliche Rückkehr bilden den leicht erkennbaren Gegenstand der Hirtengespräche; alles Licht fällt dabei auf die Gestalt des Jolas, d. h. Karls V. Wie bei Micyllus und Camerarius haben wir also auch bei Stigel die treuherzig-einfältige Bewunderung des Kaisers als des Inbegriffs aller Tugenden. Im Schmalkaldischen Kriege mag der Poet wohl freilich an dieser Beurteilung Karls V. irre geworden sein. Und namentlich die Behandlung, die Johann Friedrich erfahren mußte, wird dazu beigetragen haben, sein Urteil zu wandeln. Wie er durch seine Poesie für die Befreiung seines Landesherrn aus der langen Gefangenschaft zu wirken suchte, ist bereits berichtet worden. Als Karl V. dann unter dem Zwange der Not Johann Friedrich aus der Gefangenschaft entließ, feierte Stigels Muse nicht; ein umfänglicher „Hymnus auf den heiligen Geist" gibt der allgemeinen Dankbarkeit Ausdruck, von der auch der „milde" Kaiser nicht ausgenommen wird; „der Kaiser trägt ja keinen Stein in der erhabenen Brust", heißt es. Einzelne in diesen Hymnus verwebte Bilder sind nicht ohne Anschaulichkeit; das Ganze leidet aber unter der unbilligen Breite. Etwas eindrucksvoller sind die dem gleichen Ereignis gewidmeten Eklogen, ihrer Entstehungszeit nach wiederum ungefähr durch ein Jahrzehnt von dem „Jolas" getrennt (1552). In beiden tritt Johann Friedrich zwar nicht selbst auf, er steht aber trotzdem im Mittelpunkte, und schon der für ihn gewählte Name Aristäus (nach dem segenspendenden ländlichen Heros der Griechen) gibt eine Vorstellung von der Absicht des Dichters. Die gewichtigere der beiden Idyllen ist die erste, „Daphnis". Dem Titelhelden tragen die Hirten Polydamas und Philondas ihren Wechselgesang vor. Dessen Inhalt ist nicht freudig. Er enthält Klagen über die Unbilden der Zeiten und den Ausdruck der Sehnsucht nach besseren Tagen; die Vorliebe für die stillen Beschäftigungen friedlicher Arbeit, die Abneigung gegen den Krieg und seine Erfinder werden stark ausgesprochen. Von da aus findet der Dichter den Weg zu dem eigentlichen Helden; das Fernsein des Aristäus wird beklagt, mit der Gattin trauert die ganze Natur; erst wenn er zurückkommt, wird sie den alten Glanz wieder gewinnen. Während die Hirten singen, erscheint Palamedes und verkündet die bevor-
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stehende Rückkehr des Aristäus. In der Anlage ähnlich ist die Ekloge „Menalcas und Phryxus". Phryxus weiß noch nichts von der Heimkunft des Aristäus und singt auf die Veranlassung des Menalcas ein Lied, das der allgemeinen Sehnsucht nach Aristäus Ausdruck gibt und seine Verdienste preist: keiner Gewalt sei es möglich gewesen, ihn von der Wahrheit abwendig zu machen. Nach der Beendigung des Liedes übermittelt Menalcas dem Sänger die freudige Nachricht von der bereits erfolgten Rückkehr des geliebten Hirten. Um den richtigen Maßstab zur Beurteilung dieser idyllischen Dichtung zu gewinnen, muß man sich auf den Standpunkt der Zeitgenossen zu stellen suchen. Die den Eklogen zugrunde liegenden Ereignisse und Tatsachen waren das Gespräch des Tages und erfüllten alle Gemüter; man kann daher wohl annehmen, daß trotz der maskierten Darstellung der Inhalt jedem sofort gegenwärtig war und das Verständnis nirgends auf Schwierigkeiten stieß. Für den heutigen Leser hat die Verwendung der pastoralen Form freilich viel Befremdliches; der Widerspruch zwischen dem Inhalt und der gewählten Form macht sich oft so stark geltend, daß von einer ernsten Wirkung nicht die Rede sein kann. Überall dagegen, wo es sich um wirklich idyllische Momente handelt, findet sich in der Ausmalung des einzelnen manches Reizvolle, namentlich in den späteren Eklogen. Diese sind in der Form ersichtlich durch Sannazars Fischeridyllen beeinflußt. Am einwandfreiesten erscheint eine derartige Maskenform, wenn sie zur Einkleidung persönlicher Gefühle und Gedanken benutzt wird. Auch das hat Stigel getan, und in einem Falle werden wir wiederum zu den großen Zeitverhältnissen zurückgeführt, doch ohne daß die leise Lyrik der Hirtendichtung durch allzu plumpe Anspielungen gestört würde. Schon unter den früheren Eklogen findet sich ein derartiges Gedicht allgemeiner Natur, „Corydon" (1534), das ebenso wie der oben erwähnte Daphnis von den Eklogen des Baptista Mantuanus beeinflußt ist. Ungleich höher als diese unselbständige Anfängerarbeit stehen zwei Eklogen aus Stigels späteren Lebensjahren. Wiederholt hatte der wackere Mann darunter zu leiden, daß er auch ein Poet war; man traute dem Dichter nicht die nötige Beharrlichkeit und Gewissenhaftigkeit in seinem Amte zu, und namentlich der Kanzler Brück ließ es nach dieser Richtung hin an Verdächtigungen
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nicht fehlen. In den trüben Stunden, die ihm durch solches Mißtrauen erwuchsen, mag die Ekloge „Comata" entstanden sein, und wir haben sie wohl als eine Schöpfung aufzufassen, mit der der Poet sich in der Überzeugung von dem unausbleiblichen Siege der Kunst über philisterhafte Kleinlichkeit stärken wollte. Er gestaltet zu diesem Zwecke eine Episode aus der siebenten Idylle des Theokrit um. Dieser berichtet, wie der von seinem bösen Herrn mißhandelte, musenfreundliche Comata lange Zeit durch Bienen ernährt wird. Bei Stigel wird der Böse aus Musenfeindschaft dazu getrieben, den Unglückseligen dem Tode preiszugeben, aber er muß beschämt erkennen, wie die Musen dem Verfolgten durch die Bienen Rettung bringen lassen. Wohl gestaltet der Dichter hier persönliche Erfahrungen, aber er erweitert sie zugleich zu einem Allgemeinbilde. In noch höherem Maße ist dies der Fall in der Ekloge „Striges" (Die Nachtgeschöpfe). Sie gehört offenbar in die Spätzeit des Dichters, und man trägt sicher nichts Fremdes hinein, wenn man sie auf die von den Flacianern in Jena erregten Streitigkeiten deutet. Die beiden Hirten Amyntas und Chelondas blicken in den bösen Tagen der alles erfüllenden wilden Kriegsleidenschaft zurück auf die goldene Zeit fröhlicher Sangeslust. Amyntas mahnt trotz des eingetretenen völligen Wandels der Dinge zur erneuten Aufnahme des Gesanges und lädt den Freund in die pappelbeschattete, blumenumgebene, quellbewässerte Höhle ein. Der Ort ist Chelondas als Musenstätte wohlbekannt, denn wie oft erinnert er sich, dort dem Gesang des Hirten Mela gelauscht zu haben, dem nun ein begeistertes Preislied erschallt: „longe optimus illc Pastorum, quos vita fovet, non doctior illo Sub Jovis est oculo, suavi cui nectar ab ore Dulce fluit . . . "
Und dann beginnt auf die nochmalige Mahnung des Amyntas Chelondas seinen Sang. Am frühen Morgen sitzt er am Vogelherd. Er beobachtet eine Schar von unschuldigen Vögeln, die die Luft mit süßem Gesänge sanft bewegen. Da erscheinen gräßlich gestaltete, geflügelte Geschöpfe, geführt von einem geierähnlichen Vogel, der sie in Schlachtordnung gegen die frommen Sänger aufstellt. Diese scheinen verloren; plötzlich ertönt ein Donner, ein flammender Blitz durchschneidet die Luft, und vom
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Himmel steigen Engel hernieder; sie zersprengen und vernichten das Heer der Nachtgeschöpfe. „At servata cohors volucrum, quos impius hostis Insectatus erat, strepitu iam plaudere laeto Et gratas subitis victoribus edere cantus, Dixeris harmonicis caelum resonare Camoenis, Votaque victori solvi per carmina Christo." — Während in Jena sich die Gemüter in wilder Leidenschaft über die von den Flacianern heraufbeschworenen wüsten Streitigkeiten erhitzen, gedenkt Stigel wehmutsvoll der Zeit, in der einst Melanchthon zu Wittenberg die neulateinischen Dichter zu regem Wetteifer angespornt hat. Denn das an den Anfang gestellte Loblied auf den Hirten Mela = Melanchthon läßt einen Zweifel über die Absicht nicht aufkommen. Aber jene glückliche Zeit ist längst vorbei, die theologischen Klopffechter haben sie durch ihr unholdes Gezänk vertrieben, und bereits schicken sie sich an, der von Melanchthon heraufgeführten Blüte in Poesie und Wissenschaft den Garaus zu machen. Die wilden, in ihrem Gebaren dem Dichter tief unheimlichen, ihn selbst bedrohenden flacianischen Theologen sind die Striges, die frommen Singvögel Melanchthon und sein Anhang. Die Ekloge erscheint daher als ein ganz persönliches Bekenntnis des Dichters. Entweder hat er sich in schweren Stunden damit aufgerichtet, oder das Gedicht verdankt — was weniger wahrscheinlich ist — dem Sturz der Flacianer in Jena seine Entstehung. Es wird von der Überzeugung beherrscht, daß keine Macht der Finsternis den Sieg des Lichtes verhindern kann: des Dichters feste Zuversicht, daß die gemäßigte Bildung Melanchthonscher Prägung doch schließlich über das theologische Gezänk den Sieg davontragen wird, weist vordeutend auf die spätere Entwicklung des deutschen Geisteslebens hin. Indessen außer diesem nur dem Wissenden erkennbaren Grundgedanken bietet das Gedicht noch manches Anziehende: zahlreiche Züge beruhen auf hübschen Beobachtungen, und der Natureindruck wird zuweilen mit feiner Empfindimg festgehalten, so wenn es vom Morgengrauen heißt: „ E s war die Zeit, da der zitternde Himmel sich weiß zu färben beginnt, und die feuchte Nacht auf kurzen Flügeln da vonhuschte." In den Eklogen wird selbstverständlich der Hexameter verwendet; allein erscheint dieser nur in verhältnismäßig wenigen
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Gedichten. Sonst herrscht fast ausschließlich das elegische Maß vor. In den Oden tritt die sapphische Strophe am häufigsten auf. Versuche, in diesen lyrischen Stücken den Ausdruck hinaufzuschrauben, wie es sonst vielfach in der neulateinischen Dichtung geschehen ist, sind nicht unternommen worden: die Darstellung behält ihren kühlen, gleichmäßigen Fluß. Die Abneigung gegen eine allzu starke Steigerung der Ausdrucksmittel zeigt sich auch in der Art der bildlichen Wendungen und Vergleiche. Gelegentlich übernimmt Stigel wohl einmal aus der Überlieferung ein ferner liegendes, etwas verstiegenes Bild; meist bietet ihm jedoch der vertraute Umkreis von Leben und Natur den Stoff, den er anspruchslos, aber anschaulich auszugestalten weiß. Zuweilen wagt er sich an sehr breit angelegte Bilder; die Quelle solcher Versuche ist leicht festzustellen. Denn Stigel gehört wie sein Freund Lemnius zu den Dolmetschern Homers; er hat vier Rhapsodien der Odyssee ins Lateinische übertragen; das elfte Buch ist in der Jenaer Ausgabe von 1577 gedruckt worden. Und die prächtige Ausführung der homerischen Gleichnisse, die Art, in der die Konstruktion des Vergleichs verlassen wird, damit das Bild als etwas für sich Stehendes erscheint, reizte den Dichter zur Nachahmung, wie das nachfolgende Beispiel zeigen möge: ,,Ut fons contiguae largus sub moenibus urbis Perpetuas derivat aquas cursuque perenni Sufficiens relevat communem -publicus usum — Hic liortis inducit aquas, arentibus illic Succurrit pratis, hic pocula lauta ministrat Aut latices epulis, multa illum turba frequentat. Quottidie liquidas, quas suggerat omnibus undas, Semper habet, terra natos rorante liquores. Ergo illum juvenes celebrant castaeque puellae Canitiemque ferens aetas aut fronde coronant — Et nitidis sertis, aut ornant dulcibus hymnis: Sic Princeps patriae, populi cui commoda cura, Cui Studium pietas pietati et subdita virtus, Civibus est multis praesens thesaurus et ingens Et commune bonum, de quo sibi quilibet aufert Suppeditante Deo, non ille aliena secutus Imperii excedit metas: sua regna tuetur, Pace salutaris, saevis non noxius armis, Arma nisi adflictae poscat jactura salutis."
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Der Fluch aller Nachahmung ruht nun freilich auf diesem etwas steifen Bilde; als eine der frühesten Einwirkungen homerischer Technik auf die Dichtung in deutschen Landen darf es gleichwohl besondere Beachtung in Anspruch nehmen. — Vom sechzehnten Lebensjahr an läßt sich die Tätigkeit Stigels im Zusammenhange überschauen; etwa mit dem Beginn der zwanziger Jahre erscheint seine Eigenart ausgeprägt. Die Fähigkeit, die Eindrücke in sich aufzunehmen, ist vorhanden, nicht ebenso die Kraft, sie neu zu schaffen. Zwar gelingt es ihm in einzelnen Fällen, wo der behandelte Gegenstand der Anlage seines Geistes entsprach, das Geschaute festzuhalten, sehr häufig aber müssen bloße Worte über das fehlende Gestaltungsvermögen hinwegtäuschen. In seinen späteren Jahren tritt das Erlebnis stärker in den Mittelpunkt der Dichtung, und namentlich in der allerletzten Zeit, wo die Bitternisse ihm unmittelbar auf den Leib rücken, geht er ganz aus sich heraus und findet das erlösende Wort für die in ihm wogenden Empfindungen. Mit Sicherheit und Gewandtheit handhabt er schon frühzeitig die Sprache. Aber die leichte Anmut, der wie von selbst sich ergebende Fluß der Verse blieben ihm versagt; darin wird er von seinem Freunde Georg Sabinus weit übertroffen. Neben wohlgelungenen finden sich trockene, spröde Wendungen. Das gilt auch von seiner Spätzeit. Während er in jenem Gedicht auf die Krankheit seiner zweiten Frau (vgl. oben S. 85 f.) den Ausdruck zunächst fast ganz auf der Höhe zu halten weiß, fällt er am Schlüsse wieder, wie erschöpft, in einen prosaischen Ton: „Conjugis Auspice
accedo Stratum, melioribus illatn comperior viribus
esse
Deo."
Indessen wäre es ungerecht, nur die Begrenzung seines Talentes zu betonen. Für manches Mißlungene entschädigt seine stille, sinnige Beschaulichkeit. Und der Vergleich mit Georg Sabinus, der ihn einerseits herabdrückt, fällt auf der anderen Seite doch zu seinen Gunsten aus. Denn in Stigel ist weder eine Spur von Sabinus' äußerlicher, glatter Art noch von dessen Neigung, mit unechten oder halbwahren Empfindungen zu prunken. Wie sein Charakter, so ist auch sein Dichten auf Offenheit und Geradheit gegründet, und eben weil diese Eigenschaften sich ungewollt beständig geltend machen, übt er vielfach auch da eine Wirkung aus, wo gegen Inhalt und Form begründete Einwendungen er-
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hoben werden können. Ein treues deutsches Gemüt, unbeirrbar seinen Leitsternen folgend, spiegelt sich in Stigels Dichtung. Aber die Bedeutung dieses Lebenswerkes ist damit noch nicht erschöpft. Wo Stigel sich über das Wesen der Poesie äußert, berührt er sich aufs engste mit den Anschauungen Melanchthons. Wie dieser die Aufgabe des Menschen in der Erfüllung der Pflichten gegen Gott und die menschliche Gesellschaft gesehen hatte, so verlangt Stigel von der Dichtung, daß sie Gottes Lob verkünde, Gotteserkenntnis verbreite und Vorschriften für das bürgerliche Leben aufstelle. Stigel hat also tatsächlich den Versuch gemacht, auf den Ergebnissen des Reformationswerkes, wie sie Melanchthon etwas verengend zusammengefaßt hatte, seine Poesie aufzubauen. Es ist daher kein Zufall, daß gerade zwischen ihm und Melanchthon sich ein so inniges Verhältnis bildete. Für die von dem Melanchthonschen Geiste geschaffenen Grundgedanken der neuen Lehre hat er den poetischen Ausdruck gesucht und gefunden. — Dem dichterischen Freundschaftsbunde zwischen Sabinus und Stigel gesellte sich als dritter ein Ausländer zu, der Graubündner Simon Lemnius, nicht bloß ein Fremder der Herkunft, sondern auch der Sinnesart nach, noch ungleich mehr als Sabinus dem herrschenden Geist Wittenbergs widerstrebend. Es war daher kein Zufall, daß der innere Gegensatz sich auch nach außen entlud. Simon Lemm-Margadant — so sein eigentlicher Name — ist wahrscheinlich 1 5 1 1 als Sohn bäuerlicher Besitzer zu St. Maria im Münstertale geboren worden; nach kurzem Schulbesuch in Chur scheint er als fahrender Schüler umhergezogen zu sein, erhielt dann in München geordneten Unterricht, studierte in Ingolstadt und kam 1534 nach Wittenberg, wo es ihm gelang, Melanchthons Gunst zu gewinnen. In Wittenberg veröffentlichte er 1538 zwei Bücher Epigramme. Darin wurde dem Erzbischof Albrecht von Mainz reichlich Weihrauch gestreut, und dieses Schweifwedeln vor dem ihm verhaßten Kirchenfürsten war es in der Hauptsache, was Luthers Grimm erregte und zu scharfen Maßregeln gegen Verfasser und Drucker Anlaß gab. Lemnius mußte versprechen, im Hausarrest die Untersuchung abzuwarten, allein er entfloh, wurde relegiert und irrte, bitteren Groll gegen Luther im Herzen, fast ein Jahr ziellos umher, bis er in seiner Heimat eine Zufluchtsstätte fand. Von den poetischen Arbeiten des Lemnius reichen zwei Ge-
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dichte des etwa Neunzehnjährigen am weitesten zurück: sie entstammen seiner Münchener Schulzeit. Eines von ihnen verdient besondere Aufmerksamkeit; es entrollt ein anmutiges Landschaftsbild aus der Bündnergegend; aber im weiteren Verlauf gibt der Poet nicht, wie man erwarten sollte, der sehnsüchtigen Liebe zur heimischen Scholle, sondern im Gegenteil der Überzeugung Ausdruck, daß jeder freudenspendende Himmelsstrich die Heimat vollauf ersetzen könne. Wesentliche Züge des fertigen Poeten erscheinen hier bereits ausgebildet. Das Herauskehren eines Grundtriebes seiner Natur, der ihn beherrschenden Unrast, weist ebenso vordeutend auf sein späteres Schaffen wie die Fähigkeit, ein Naturbild fest und sicher vor den Leser hinzustellen. In der Ausführung verrät sich allerdings noch der Anfänger. Es handelt sich dabei nicht bloß um sprachliche Härten und metrische Fehler, die Lemnius auch später nie vollständig vermieden hat, sondern noch mehr um Mängel des Aufbaus; er versteht es noch nicht, die Gegensätze wirksam herauszuarbeiten und den Übergang von dem einen Teil zum andern sicher zu bewerkstelligen. Es war daher vielleicht Selbsterkenntnis, wenn er sich in den für die Öffentlichkeit bestimmten Versuchen zunächst auf kurzgeschürzte Stücke beschränkte; wenigstens wird man so viel sagen dürfen, daß durch die Hinwendung zum Epigramm die ihm noch anhaftende Schwerfälligkeit schneller überwunden worden ist. Diese Dichtungsgattung bevorzugte Lemnius in Wittenberg. 1538 erschienen, wie erwähnt, die zwei Bücher Epigramme, die den Dichter in so tiefes Mißgeschick verstrickten, sich aber bei näherem Zusehen als ziemlich harmlos ausweisen. Der Hauptinhalt gehört in einen späteren Zusammenhang; was das Büchlein an lyrisch-epischen Bestandteilen enthält, fällt wenig ins Gewicht. Mit Schilderungen wechseln Gelegenheitsgedichte, auch ein weder glücklicher noch geschmackvoller Abstecher in das Gebiet der geistlichen Lyrik findet sich, aber nur selten, etwa in einem warmen Trauergedicht auf einen Freund, wird eine mäßige Anziehungskraft ausgeübt. Höher hebt sich schon der Ton, sobald die Liebe ins Spiel kommt; man erkennt in diesen Stücken, wie Lemnius sich an den italienischen Neulateinern, etwa an Pontanus, geschult hat, so wenn er in dem Gedicht „Bajae" den Gedanken, daß der Liebe Glut niemals erstickt werden kann, mit Hilfe mythologischer Gestalten episch ein-
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kleidet: die Nymphen und Dryaden wollen sich an Amor rächen, der sie oft verwundet; sie entwenden dem bei Bajae sanft Eingeschlafenen die brennende Fackel und suchen vergebens sie im Wasser auszulöschen. Aber alle die in den ersten beiden Büchern angeschlagenen Akkorde sind nur Vorklänge; in das Gebiet der eigentlichen Lyrik gelangen wir erst mit dem dritten Buch (Sommer 1538), in welchem Lemnius die volle Schale seines Zornes über Luther ausgießt und das Unrecht, das ihm in Wittenberg widerfahren, mit beweglichen Worten beklagt. Da findet er auch für Freundschaftsempfindungen glücklichen Ausdruck; und wenn er für seinen verehrten Lehrer Melanchthon, für seine Freunde Sabinus und Stigel eintritt, wenn er ihnen bezeugt, daß sie nicht, wie man ihnen Schuld gegeben, an seinen Epigrammen irgendwie beteiligt gewesen seien, so dienen gerade die starken Wortanhäufungen dazu, die Stimmung des Dichters heraustreten zu lassen. In dem Schlußwort des dritten Buches erhält dann sein Schicksal eine zusammenfassende allegorische Darstellung: einst hat er am Elbstrom gesungen, Sturm und Wetter haben ihn fortgerissen, das Geschick sucht ihn heim wie den Dulder Odysseus, bis ihm ein Freund den rechten Weg zeigt, der ihn im märkischen Sand einen Hafen und am Rhein im Erzbischof Albrecht den Schützer und Gönner finden läßt. Unzweideutiger enthüllt sich wirkliches Geschehen in der dem dritten Buche beigegebenen „Klage an Erzbischof Albrecht", einer längeren Elegie, mit der wir den Boden der eigentlichen Lyrik des fertigen Dichters betreten. Nach kurzem Eingang hebt der Bericht an: Luther, teils wegen der Erzbischof Albrecht gespendeten Lobsprüche, teils aus Neid, reizt die ganze Stadt gegen Lemnius auf. Alle Freunde verlassen ihn, nur zwei bleiben ihm treu (Stigel und Sabinus), und diese beiden verhelfen ihm zur Flucht. Nun ist er zu Albrecht geflohen und ruft dessen Schutz an, denn seine Verehrung für Albrecht war die Ursache seiner Verfolgung: „Weil meine Epigramme Dein Lob verkündigen," ruft er aus, „wird mein zerbrochenes Schiff mitten auf den Fluten umhergetrieben." — Die Elegie zeichnet sich durch manche eindrucksvollen Züge aus; man fühlt die Kraft des persönlichen Erlebnisses hindurch, und deutlich ist zu erkennen, wie Grimm und Hoffnung dem Verfasser die Feder führen. Die Bilder stehen lebhaft vor der Seele des Lemnius; er vergegenwärtigt z. B. ganz anschaulich, wie der Drucker seiner Epigramme verhaftet wird, wie man ihm Fesseln anlegt, wie seine
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Knaben weinend auf der Schwelle stehen und des Vaters Knie umklammern. Noch klarer aber tritt naturgemäß das heraus, was ihn selbst betrifft. So wenn er seine Flucht aus Wittenberg am frühesten Morgen schildert: es war noch kaum Licht, der rosige T a g nicht angebrochen, die Vögel schwiegen noch; es war die Stunde, wo der Hirt das Vieh auszutreiben pflegt. Lebendig weiß er auch in seinen schwankenden Gemütszustand hinein zu versetzen: wie er auf der Flucht erschöpft unter einem Baum sitzt und sich gern zurückwenden möchte. „Progredior rursus, sed terque quaterque revertens, Moenia dum specto pesque manusque tremunt. Quoque magis specto, magis est fugisse voluntas, Et dubium retraho spe meliore federn. Haereo dumque diu, melior sententia vincit, Et moveo porro sicut et ante pedes." Ebenso stehen ihm die äußeren Bilder der Flucht noch klar vor Augen, so seine Wanderung in der Sommerhitze: nirgends ist die Quelle eines Baches, wo man seinen Durst stillen kann, nirgends zeigen sich dichte, Schatten gewährende Laubbäume. — Die Fähigkeit, Äußeres und Inneres zu einem einheitlichen Bilde zu verschmelzen, erscheint hier bereits ausgebildet. „Wie die Flamme den Phönix erneuert," sagt Lemnius am Eingange des dritten Buches, „so hat die Flamme unsere Bücher wiedergeboren; das Feuer, das mir mein Werk geraubt, hat es mir zurückgegeben". Die Glut des Hasses gegen Luther, der, wie es in der eben erwähnten „ K l a g e " heißt, „die Schuldlosen verdammt, aber die Schuldigen freispricht", verleiht dem dritten Buch der Epigramme den stürmischen Atem, und hinter dem Grimm über das ihm zugefügte Unrecht treten alle anderen Regungen zurück. Allein die wilden Triebe einer ungebändigten Natur ließen sich wohl eine Zeitlang hemmen, aber nicht vollständig unterdrücken. Bereits in der frechen Satire auf Luther: „Monacho-pornomachia" (1540) und schon vorher in der Satire auf Johann Eck (1538) machten sich seine gemeinen Instinkte zügellos L u f t ; und das Hauptwerk der nächsten Zeit atmet den gleichen Geist, wenn auch die Formen erheblich gemäßigter sind. In Chur, wo Lemnius seit 1539 ^ Lehrer zur Ruhe gekommen war, schuf er seine Liebesgedichte, die unter dem Titel „amorum libri I V " 1542 erschienen sind. Die römischen Elegiker, namentlich
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Ovid und Properz, der auf die Gestaltung der neulateinischen Dichtung den stärksten Einfluß ausgeübt hat, sind für das Werk vorbildlich gewesen; von den humanistischen Dichtern scheint Titus Vespasianus Strozza auf ihn eingewirkt zu haben; auch der Einfluß des französierten Italieners Publius Faustus Andrelinus läßt sich nicht verkennen. Betrachtet man zunächst die drei ersten Bücher der hier vereinigten Elegien, so fällt die häufige Wiederkehr einer Form auf; es ist die Anrede an die ferne Geliebte. Entweder der Dichter hat sich mit seiner Schönen entzweit, oder die Liebenden sind durch irgendeinen widrigen Zufall voneinander getrennt worden, und nun hört man die Klagen des einsamen Dichters, seine Trauer über Verlust und Trennung, sein sehnendes Verlangen, wieder mit der Geliebten vereint zu sein. Dabei wird der Schmerz regelmäßig dadurch gesteigert, daß sich Lemnius die ehemals genossenen oder zu erwartenden Freuden der Liebe ausmalt. Dies geschieht mit so krasser Deutlichkeit und in so widerlicher Weise, daß die Schilderungen des sinnlichen Genusses jeden Reiz verlieren. Man muß die nur kurze Zeit früher entstandenen Elegien des Johannes Secundus daneben halten, um den außerordentlichen Abstand zwischen künstlerischer Veredelung des Naturtriebes und dem bloßen Schwelgen in den wüsten stofflichen Vorstellungen zu erkennen. Auf derartigen Schilderungen ruht auch der Hauptnachdruck in den Elegien, in denen Lemnius erzählend von seinem Liebesglück berichtet. Das geschieht in zwei Gedichten (I, 3 und II, 1). In der Erfindung stehen sich beide nahe. Der Dichter wird auf ein schönes Mädchen aufmerksam gemacht, das sich ihm willig zeigt; Mißgünstige wollen sein Glück stören; er aber weiß sich ihrem Drängen zu entziehen und sich mit seinem Liebchen zu verschwiegenen Liebesfreuden in ein einsames Haus zu retten. Die Tatsache, daß jede Idealisierung des Sinnengenusses fehlt, und daß man es nur mit den Ausbrüchen der rohen Begierde und den Vorstellungen einer verdorbenen Phantasie zu tun hat, schädigt den Gesamteindruck und beeinträchtigt unwillkürlich auch die Vorzüge. Trotzdem lassen diese sich nicht verkennen. Zunächst darf die leidenschaftliche Glut der Sprache nicht unterschätzt werden; namentlich die Klagen, Wünsche und brünstigen Seufzer des von seiner Geliebten getrennten oder mit ihr entzweiten Dichters sind ganz auf den Ton glühender Liebesrhetorik gestimmt, und es gelingt Lemnius, durch die Kraft des Ausdrucks
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eine starke Wirkung zu erzielen. Ferner sucht er nicht ohne Glück die Umgebung mit den brennenden Trieben des Innern in Einklang zu bringen, die Natur mit dem eigenen Liebesleben zu einem einheitlichen Bilde zu verweben. Handelt es sich dabei auch vielfach um herkömmliche Mittel der Liebespoesie, so klingt doch etwas Persönliches durch diese Schilderungen hindurch; man vergleiche etwa die Worte, mit denen der Dichter die ferne Geliebte zu sich auf das Land lädt (I, 2): „Dulcis amica, veni, felix invitat et aura, Invitant volucres arboribusque comae. Quaeque patet nitidis sedes ptdcherrima campis, Et circa fluidas undique gramen aquas. Ipsa domus medios altissima prospicit hortos, Sidera quae summo culmine celsa ierit. Per medias herbas rivus tibi garrtdus undas Ducit et insomnos murmure cogit aquae, Mitibus et volucres demulcent vocibus auras ...." Wie es ihm in einzelnen Fällen glückt, die äußere Umgebung aus der poetischen Situation heraus lebensvoll zu gestalten, so versteht er auch da, wo nicht bloß monologische Rede des Dichters, sondern wirkliche Handlung gegeben wird, anschaulich zu erzählen und die auftretenden Gestalten zu vergegenwärtigen. Durch wechselnde Bilder wird zuweilen (z. B. in der erwähnten Elegie II, 1) eine Art dramatischer Bewegung erreicht. Auch in der Ausführung der Einzelzüge zeigt sich manches Reizvolle; ein gutes Beispiel bildet die Elegie „ A n Illyris" (III, 2), in der zum Glück überhaupt die Schilderung des Sinnengenusses etwas gedämpft worden ist; da findet sich die zierliche Erzählung, wie ihm der Traum den Besitz der Geliebten vorspiegelt, wie er in ihren Armen zu ruhen und ihre Küsse zu fühlen meint, wie ihn dann aber der anbrechende Morgen aus seinem Wahn reißt, „Et vagor inde domo tristi sed tristior ipse, Aspicio tristi triste cubile loco Laetaque concubitu quondam coenacula nostro, Conscia delitiis illa fuere tuis. Invenio thalamum, qui saepe cubilia nobis Ambobus pariter gaudia mille dedit: Hic fueras vultu toties speciosa soluta, Hie sparta fueras tu mihi pressa coma." 7*
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Anziehend ist es auch, wenn der Dichter in leiser Lyrik auf sein persönliches Geschick eingeht und von hier aus wieder den Übergang zu seinem Liebesleid findet, wenn er von dem Unglück spricht, das ihn im Leben so oft heimgesucht: frühzeitig hat er die Mutter, dann den Vater verloren; ein jüngerer Bruder ist ihm an der Pest gestorben (wie in den Feldern die welkgewordene Rose abfällt); seine Schwester lebt in unglücklicher Ehe; er selbst hat herumschweifend viel Schweres erduldet, aber am schwersten empfindet er es doch, daß die Geliebte, die ihn ehemals beglückte, so lange abwesend ist (III, 2; ähnliche Mitteilungen aus seinem eigenen Leben IV, 1). Derartigen Vorzügen stehen nun aber auch beträchtliche Mängel gegenüber. Vor allem fällt die Armut der Erfindimg auf; Anlage und Aufbau wiederholen sich in ermüdender Weise, und es kann nicht anders sein, als daß sich bei den gleichen Situationen auch unwillkürlich dieselben oder ähnliche Wendungen einstellen, etwa I, 1 „Ahquoties dixi: junge osctda',iunxit etilla." 11,2 „Ah quoties mixtis cottiunximus oscula Unguis." (Das „Aquoties" zieht sich von den römischen Elegikern durch die ganze neulateinische Liebespoesie; es findet sich z. B. auch bei Lemnius' Vorbild, dem älteren Strozza.) Die aus der häufig eintretenden Wiederkehr verwandter Motive sich ergebende Eintönigkeit wird durch die leidenschaftliche Sprache keineswegs verdeckt, und die Brutalität der Schilderungen steigert noch den auf diese Weise entstehenden Überdruß. Wieder muß man, um zu zeigen, wie ein wirklicher Dichter auch diesem begrenzten Gebiet immer neue Töne abgewinnen kann, auf Secundus verweisen; aber selbst mit Celtes kann Lemnius einen Vergleich nicht aushalten. — Daß auch das humanistische Zöpfchen zuweilen ergötzlich wackelt, wird man mehr Zeit und Richtung als Lemnius selbst anrechnen. Es mag noch hingehen, wenn die Allgewalt der Liebe durch Beispiele aus dem klassischen Altertum pedantisch belegt wird (II, 1) ; aber nicht ohne Beigeschmack der unfreiwilligen Komik ist es, wenn der Dichter sich durch klassische Vergleiche der Geliebten gegenüber in ein besseres Licht zu setzen sucht: er hält sie neben Helena und Hippodamia, sich selbst schätzt er aber höher ein als Paris und Pelops; jener war ein schimpflicher Ehebrecher, dieser hat den Tischgenossen zu noch schimpflicherer Speise gedient, beide aber haben nicht die liedspendenden Musen gekannt,
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„Ast ego Castalidas procul ad Permessidos undas Audivique sacras hic cecinisse deas. Doctus et ad calamos dt etat mihi Carmen Apollo, Inque mea fluitat Pegasis unde domo. Nec mecum pariter forsan certaverit ullus, Qui patriae consors dicitur esse meae. Non sim formosits, tarnen est mihi musa iocosa, Gratiaque est chartis invidiosa meis." Einförmig wie die Motive der Liebespoesie sind auch die von Lemnius verwendeten mythologischen Einkleidungen. D a erscheint Apollo, von den Musen begleitet, und mahnt ihn, von der wahnsinnigen Liebe zu lassen und sich der Dichtung zuzuwenden. Oder Venus zeigt sich plötzlich dem sie anrufenden Dichter und belehrt ihn darüber, wie er die Gunst der Gehebten erringen könne. Phöbus und Merkur begegnen ihm auf dem Spaziergange und weisen ihn auf ein schönes Mädchen hin, das er denn auch bald gewinnt. Ähnlich gestaltet sich die Einkleidung in einer anderen Elegie, wo Venus den Dichter auffordert, die Jugendzeit für die Liebe auszunutzen; sie rät ihm, nach dem Markte zu gehen, er würde dort ein schwarzbraunes Mädchen (nigra puella, eine Rhätierin) treffen; gerade die letzten beiden Beispiele offenbaren die Ärmlichkeit der Erfindung besonders deutlich, da auch die an den mythologischen Eingang sich anschließenden Teile eine auffallende Verwandtschaft aufweisen. — Eine besondere Stellung nimmt das vierte B u c h ein. Allerdings fehlen die in den ersten drei Büchern angeschlagenen Töne keineswegs. Die Elegie „ A n Marulla" mahnt wieder in leidenschaftlicher Liebesklagc das Mädchen, ihn nicht länger zu verschmähen. Zahlreiche Motive und Behandlungsformen aus den früheren Gedichten finden sich ein, so wenn Lemnius, um Eindruck auf die Geliebte zu machen, hervorhebt, daß er zwar nicht schön sei, daß aber sein Dichterruhm die Welt erfülle. A u c h wenn er in leiser L y r i k den Wohlstand eines Freundes, dessen Weinberge auch ihm zugute kommen, der eigenen A r m u t gegenüberstellt und dabei manche Mitteilungen über seine frühere Lage gibt — so sind das schon bekannte Klänge. Daneben kommen aber doch andere Neigungen des Dichters zu W o r t , obgleich er über die bisher verwendeten Formen nicht hinausgelangt. D e r K a m p f zwischen Liebesglut und Wissensdrang bildet den Grundgedanken eines Gedichtes (IV, 3), und die Ausführung ist nicht
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ohne Reiz. Amor erfleht von der mächtigen Mutter Schonung für das Herz des Dichters, der aufs neue von Liebespfeilen verwundet werden soll; die Bitte wird ihm gewährt, und Erato selbst überreicht dem Dichter als Heilmittel für die Liebe den Livius; diesen sendet Lemnius nun einem Freunde, indem er zugleich einen Überblick über die Heldentaten der Römer gibt. Aber lange vermag ihn doch die Wissenschaft nicht zu schützen; denn nach einiger Zeit kommen Venus und Amor wieder über die Alpen, und der Dichter kann trotz aller Bitten dem Geschoß des Liebesgottes nicht entgehen: „Ipse Pericleas aries Romamque reliqui, Atque Cupidineos cogor inire modos." Noch eine unmittelbarere Wirkung als dieses Gedicht erzielt ein anderes (IV, 2); in allegorischer Einkleidung versinnbildlicht es die Hinwendung zur vaterländischen Poesie. Erst in verhältnismäßig später Zeit hat Lemnius Hand an die Ausführung seines Schweizerepos: „Rhaeteis" gelegt; die Elegie vergegenwärtigt die Zeit, in der der Plan zu dieser Dichtung in ihm auftauchte. Auch hier geht er, wie in der zuletzt behandelten Elegie und einem Gedicht des ersten Buches (I, 4), von einem inneren Zwiespalt aus; am Bachesrande liegt er schlafend, von dem Murmeln des Wassers eingelullt, Venus und Apollo erscheinen ihm; Venus heißt ihn erwachen und ihr Lob singen; Apollo fordert ihn dagegen zum Preise der vaterländischen Geschichte auf. Da erwacht der Dichter, und sofort steht der Entschluß in ihm fest, seine Muse in den Dienst des Vaterlandes zu stellen und so seine vaterländische Gesinnung zu bekunden. Die Heldentaten, von denen die heimische Geschichte berichtet, sind der Besingung würdig und denen des Altertums gleich zu stellen. . Der Dichter aber will sich durch die Vaterlandsliebe aus den Verirrungen emporheben und die ursprüngliche K r a f t des Geistes wieder erringen. Diese Worte klingen wie ein Gelöbnis, und es sieht aus, als ob Lemnius dem erotischen Übermaß damit den Abschied habe geben wollen. In der Tat lenkte seine Muse bald in ruhigere Bahnen ein, und nur ausnahmsweise lugte die derbe Sinnenfreude noch durch. Vorläufig nützten ihm freilich alle guten Vorsätze nichts; sein wenig vorbildliches Leben und dessen unverhüllte Abspiegelung in den „antares" hatten in Chur großen Anstoß erregt, die Schulstelle wurde ihm gekündigt, aber nach einem zwei-
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jährigen Aufenthalt in Italien lief er wieder als Lehrer an einer anderen Schule in den alten Hafen ein. Aus dieser letzten Churer Zeit (1544—50) stammen seine Eklogen und die schon erwähnte „Rhaeteis". Nur das erste, 1547—50 entstandene und ein Jahr nach des Dichters Tode veröffentlichte Werk kommt hier in Betracht. Es schließt sich der bei Eoban Hesse, Euricius Cordus, Stigel u. a. üblichen allegorischen Art an; von Naugerius, den er unter seinen Vorbildern nennt, hat Lemnius jedenfalls sehr wenig gelernt. Sein Werk enthält fünf Eklogen; die erste, „Der Parnaß", gibt einen Überblick über die Stätten, in denen die neulateinische Poesie der Schweiz Unterkunft gefunden hat; die zweite und dritte behandeln eigene Erlebnisse des Dichters, während die beiden letzten den Ruhm der französischen Könige Franz' I. und Heinrichs II. verkünden. In der vierten Ekloge beklagen die Hirten den Tod des Daphnis (Franz' I.); die Form der ihm erteilten Lobsprüche hat mit der Art, in der Stigels Ekloge „Jolas" Karl V. preist, viel Ähnlichkeit; ein Zusammenhang ist wohl nicht ausgeschlossen. Die fünfte Ekloge bringt den üblichen Wettstreit zwischen zwei Hirten: der eine besingt die Taten des Herkules, der andere rühmt dagegen den gallischen Herkules (Heinrich II.); unwillkürlich denkt man an die Einkleidung von Boiardos, in der Erfindung freilich reicher ausgestatteter Ekloge (Nr. 10), wo dem alten Herkules ein neuer (Herkules von Este) gegenübergestellt wird. Irgendein wirklich fesselnder Zug findet sich allerdings bei Lemnius so wenig wie bei Boiardo; es kommt noch dazu, daß die fünfte Ekloge ihre Vorgängerin wiederholt, ja teilweise ausschreibt. Auch die erste Ekloge bietet in der Ausführung wenig Bemerkenswertes; nur dem zweiten und dritten Idyll geben die zugrunde liegenden Erlebnisse einen stärkeren Rückhalt. In der zweiten Ekloge sieht man Lemnius in Schafertracht auf der Flucht aus dem pestverseuchten Chur; den Hirten, mit denen er auf dem Wege zusammentrifft, berichtet er von der verheerenden Wirkung der furchtbaren Krankheit; und es erscheint bei dem Churer ganz angemessen, daß er sowohl der täglichen Arbeit auf der Hochebene als der dem Älpler eigentümlichen Verrichtungen gedenkt: wie der Bauer während des Mähens stirbt, wie der Hirt in der Felshöhle dahinsinkt unter den Käsen und der Fettmilch, die er soeben zum Zwecke des Käsemachens hat gerinnen lassen. Auch wenn er weiterhin lebhafte Einzelbilder entwirft, wird man eine unmittelbare Vergegen-
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wärtigung anerkennen müssen, obgleich etwas äußerlich Angelerntes bleibt. Aber immerhin, die Schilderungen sind eindringlich, nur wird die Wirkung durch die sich anschließenden Schulfuchsereien gestört, und Lemnius fällt mit seinen Hinweisen auf Seuchen im klassischen Altertum ganz aus der Rolle. Eine ähnliche zwiespältige Wirkung ergibt sich am Schluß des Gedichtes, wenn der eine Hirt den anderen nach Hause schickt, damit er der Gattin den Geist verkünde: da schreibt er vor, was zu Hause für die Bewirtung geschehen, wie die Frau Salat holen, Eier zum Rührei einschlagen, Selchfleisch aus dem Rauchfang nehmen und zwei Böcke ausweiden, auch Kastanien, Äpfel und Birnen pflücken soll; aber dieses axtige Bild ist durch den geschwollenen Vergleich der Gattin mit Laodamia, Penelope und Cornelia entstellt. Ruht in der zweiten Ekloge der Hauptnachdruck auf dem Unglück, das den Dichter aus Chur vertrieben, so faßt die dritte in ähnlicher Einkleidung den ganzen Verlauf der Flucht ins Auge. Sie zeigt, wie der Dichter über Pfäffers, Sargans, Zürich, Baden nach Basel gelangt; in begeisterten Preisliedern auf diese Stadt klingt das Gedicht aus. Den Glanzpunkt der Reisebeschreibung bildet die Schilderung der Bäder von Pfäffers; sie sucht das Unheimliche des finsteren Schlundes mit den gleichen Farben nahe zu bringen, wie sie Hutten in seinem bekannten Brief verwendet. Dem durch die Eklogen abgeschlossenen Gesamtbilde der Lyrik des Lemnius vermögen einige kleinere Stücke keine neuen Züge hinzuzufügen. Wie sich die weitere Entwicklung des Dichters gestaltet haben würde, wenn er nicht der Pest, vor der er geflohen, nach seiner Rückkehr doch zum Opfer gefallen wäre, (1550), läßt sich nur vermuten. Vielleicht hätte sich das alte Feuer auch bei unverfänglichen Gegenständen wieder eingestellt. Das ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Denn sowohl die Eklogen wie die „Rhaeteis" zeigen ein Nachlassen der Kraft. Die in den „amores" hervortretenden Vorzüge sind meist geschwunden, die Schattenseiten aber geblieben, ja sie haben sich noch beträchtlich verstärkt. Schwerlich war also noch ein weiteres Fortschreiten zu erwarten. So werden die „amores" als der Höhepunkt dieses Dichterlebens gelten müssen. Ihre Bedeutimg ist mit dem bereits Gesagten noch nicht erschöpft. Denn man wird dem Werke nicht gerecht, wenn man lediglich den ästhetischen Maßstab anlegt. Die Stellung des Lemnius innerhalb der neu-
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lateinischen Literatur kann nur von einem anderen Standpunkt aus erschlossen werden. Mehr noch als in den Epigrammen und Satiren rückt Lemnius nämlich in den „amores" die eigene Person in den Vordergrund. Das geschieht mit einer unverächtlichen Kraft. Ohne beschönigende Zutaten stellt er sein wohlgetroffenes, wenig schmeichelhaftes Bild vor den Leser hin: eine wilde, ungebändigte Natur mit heißen Trieben und leidenschaftlichem Begehren. E r bildet daher ein besonders bezeichnendes Beispiel für den das Neulateinertum trotz Unselbständigkeit und Schablone beherrschenden Drang, der Individualität wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen. Es ist kein Zufall, daß Lemnius' Haupttätigkeit so weit von Wittenberg abgeführt hat. Sein Zerwürfnis mit Luther und seine spätere Stellung zu den Reformatoren sind nur der symbolische Ausdruck für die Tatsache, daß er dem in Wittenberg herrschenden Geiste völlig fremd gegenüberstand. Trotzdem nötigt Lemnius' Verhältnis zu Sabinus und Stigel dazu, ihn in den älteren Wittenberger Poetenkreis einzureihen. Mit weit größerem Rechte geschieht das jedoch bei den nun folgenden Poeten, von denen keiner in ähnlicher Weise wie der heißblütige Bündner aus der vorgezeichneten Bahn geschleudert wurde. Viel genannt, aber in seinen poetischen Leistungen wenig bekannt ist Melchior Volz, mit dem Beinamen Acontius, der dann wie bei Sabinus ganz an die Stelle des Vaternamens trat. Acontius, um 1515 zu Oberursel im Mosellande geboren, studierte zuerst 1533 in Heidelberg, seit dem Winter 1534/35 in Wittenberg und gehörte hier zu den bevorzugten Schülern Melanchthons. Sein späteres Leben liegt teilweise im Dunkeln, er war zuletzt Rat des Grafen von Stolberg und starb in Stolberg am 22. Juni 1569. Sieht man von einigen nicht ins Gewicht fallenden Stücken ab, so gründet sich die Kenntnis von ihm auf zwei Arbeiten. Beide stammen aus seiner Wittenberger Zeit; als Ein- und Zweiundzwanzigjähriger hat er sie verfaßt; jede von beiden besteht aus zwei Stücken, von denen das eine sich des elegischen Versmaßes bedient, während für das andere der Hexameter verwendet wird. E s ist sehr zu bedauern, daß sich nicht noch weitere Proben von Acontius' Schaffen erhalten haben, denn was jetzt vorliegt, erschwert durch die Ungleichheit des Wertes das Urteil. Zur Hochzeit des Sabinus (1537) stellte sich Acontius mit zwei poetischen Gaben ein. Trotz einiger ungeschickt aufgehefteter Vergleiche aus der klassischen
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Sage dürfen die beiden Gelegenheitsarbeiten zu den annehmbarsten Erzeugnissen der Gattung gezählt werden; sie zeigen, was auch innerhalb dieser scheinbar unfruchtbaren Abart der Poesie geleistet werden konnte. Den Gegenstand des elegischen Gedichtes bildet die Hochzeit selbst. Die Bilder der einzelnen Teile des Festes stehen dem Poeten lebendig vor der Seele: kirchliche Feier, fröhliches Mahl, Tanz, Aufbruch der von Hymenäus geführten Neuvermählten, hinter denen sich die Türen des Brautgemaches schließen. Acontius selbst versetzt sich mitten hinein in das rauschende Treiben. „Nun verläßt man den Tempel," ruft er aus, nachdem er die Trauung geschildert, „und nun geht es zum Mahle! Wer möchte sich nicht an Speise und Trank erfreuen ? Greift zu! Bescheidenheit ist nicht gut bei Tische; darum trinkt, wenn ihr nach Germanenart leben wollt!" Aber was ist das? Die Jungfrauen erheben sich von der Tafel und beginnen mit den vom Dichter angefeuerten Jünglingen zum Klange der Musik einen Reigen. So mannigfach aber die Mägdlein durch verschiedenartige Reize ausgezeichnet sind, vor allen ragt doch die Braut hervor: „0 quoties aliquis iuvenum suspiria ducit, Inscius aspectu cum stupet, Anna, tuo. Immotosque tenens oculos miratur, et haerens Cogitat, an similem viderit ante tibi." Einen Augenblick vergißt der Dichter, wo er sich befindet, und ruft den in die Brautkammer Aufbrechenden nach: „Solvite primitias Veneri, sie dulcia vobis Mutuus assiduo bella movebit amor." Aber sogleich wird er der Tatsache eingedenk, daß in Wittenberg solche Sprache nicht üblich ist, weshalb er sich selbst ermahnt: „Jam desine plura, Melpomene, castis haec cecinisse sat est." Ähnlich wie in dieser, so hat auch Acontius in der zweiten Hochzeitsgabe der Gattung abgewonnen, was ihr abzugewinnen war. E r wählt diesmal den Hexameter, und. mit Recht, da der epische Charakter sich deutlicher geltend macht als bei dem vorangehenden Stück. Venus sitzt mit ihren Nymphen zusammen; da kommt Amor, der von ihr zuerst als Unheilstifter scherzhaft gescholten wird. Der kleine Liebesgott ergreift nun selbst das
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Wort und berichtet, daß es ihm gelungen sei, einen der Poeten, die ihm immer Trotz geboten, zu verwunden: Sabinus feiere Hochzeit, und es sei notwendig, sich dorthin zu begeben. In der Tat bricht Venus mit Gefolge auf; sie erreichen den Albis, der aber jetzt nicht mehr wie früher wild einherbraust, sondern ruhig zwischen seinen Ufern dahinfließt. Der Flußgott ahnt die Nähe der Überirdischen und steckt den Kopf heraus. Er fragt sie nach dem Zweck ihrer Reise, obwohl er schon zu wissen meint, weshalb sie gekommen; Venus bestätigt seine Vermutung, nimmt Abschied von ihm und eilt nach Wittenberg. „At formosa domi teuera cum matre sedebat Sponsa, pudicitiae discens exempla priorum, Multa subinde rogans genetricem, multa requirens Et similem quondam fieri se talibus optat."
Die Mutter vollendet den Haarschmuck Annas und hilft ihr beim Anziehen des Brautkleides. Da tritt Venus mit ihren Begleitern ein und wird staunend empfangen; sie beruhigt die Erschreckten, reicht der Braut einen Kranz und gibt ihr Ratschläge, wie sie Venus zu geben pflegt. Unterdessen krönen die Musen den Bräutigam und singen ein herrliches Lied, daß Phöbus und die Chariten es verwundernd hören und der Vater Albis vor Staunen stillsteht. Und damit sich noch die spätesten Enkel an das seltene Ereignis erinnern können, hat Stigel das alles beschrieben. Mit diesem Hinweis auf den Bericht seines Sangesgenossen schließt der Dichter. Sowohl in der Gesamtanlage wie in der Ausführung des einzelnen erhebt sich Acontius über den Durchschnitt der neulateinischen Gelegenheitsdichtung. Er findet rasch heraus, was poetisch brauchbar ist und was nicht. Daher fehlt es auch ganz an erquälten Stellen; der natürliche Fluß der Darstellung wird nicht unterbrochen. Im ganzen zeugen die beiden Stücke von einer unverächtlichen Dichtergabe, und diese hat noch fortzeugend ihre Kraft bewährt; eine der schönsten Proben der neulateinischen Hochzeitspoesie, die Elegie des Petrus Lotichius Secundus auf die Vermählung seines Freundes M. Ziegler, ist aller Wahrscheinlichkeit nach durch Acontius' zweites Gedicht angeregt worden; man darf annehmen, daß Lotich während seines Aufenthaltes in Wittenberg das Werkchen des älteren Dichterkollegen kennen gelernt hat.
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Die Fähigkeit, den Stoff zu meistern, hat Acontius in seinem anderen Versuch bei weitem nicht in dem gleichen Maße an den T a g gelegt. Das nimmt um so mehr wunder, als ihm diesmal ein großer Gegenstand geboten wurde. Wahrscheinlich durch Melanchthon ist Acontius aufgefordert worden, Erasmus ein Trauerlied zu singen. Der große Mann ist 1536 gestorben, und in diesem Jahre — also früher als die beiden Hochzeitsgedichte — werden auch die beiden Teile von Acontius' Werk entstanden sein; gedruckt sind sie erst 1541. In der am Anfang stehenden Elegie klagt der Dichter die Parzen wegen ihrer Grausamkeit heftig an; die Parze Klotho verantwortet sich damit, daß sie nur in höherem Auftrage handle. Als sie abgetreten, fordert Melpomene den Dichter zur Verherrlichung des Erasmus auf; sie selbst aber ergreift sofort zu dem gleichen Zwecke das Wort. Und nun wird Erasmus gepriesen, zuerst wegen seiner Verdienste um Sprachen und Wissenschaft, dann weil er seine Lebensarbeit in den Dienst der Religion gestellt hat. In der Begründung dieser beiden Sätze findet sich manch verständiges Wort; betrachtet man aber das Ganze als das, was es sein will, nämlich als Poesie, so stören entsetzliche, z. T . noch aus dem Mittellatein stammende Schulfuchsereien: die Parzen führen ihren Namen mit Recht, „parcere quod vestrae non didicere manus" (vgl. Halbband 1 , S. 363); Erasmus ist größer als Herakles: dieser hat in der Wiege nur die beiden Schlangen erwürgt; Erasmus aber hat — ebenfalls schon in der Wiege — das schrecklichste Ungeheuer, die Barbarei, verscheucht, so daß sie sich nach Scythien zurückziehen mußte; ganz wunderlich erscheint die Nebeneinanderhaltung seiner geistigen Größe und seiner körperlichen Unscheinbarkeit: „Utque simul brevibus connectam plurima verbis, Maximus ingenio, corpore parvus erat." Einen etwas höheren Flug nimmt der zweite Teil des Werkes, die „Apotheose" des Erasmus. Wieder wie in den „Hochzeitsgedichten" wird mit Recht der Hexameter verwendet, da es sich um einen epischen Vorwurf handelt. Apollo beklagt den Verlust seiner treuesten Anhänger, des Mosellanus, des Euricius Cordus, des Franzosen Faber, vor allen aber des Erasmus, und er spricht die Hoffnung aus, daß der Humanistenkönig bald aus der Unterwelt in das Elysium gerettet werden möge. E r teilt die Trauernachricht den Musen mit; sie brechen in Klagen aus, ebenfalls
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die Möglichkeit der Erhöhung des Erasmus erwägend; da sehen sie, wie sich diese von selbst vollzieht, wie Erasmus hoch über die Wolken in die Schar der Götter erhoben wird. — Hier ist Acontius ungleich mehr in seinem Element als in der Trauerelegie; die Geschmäcklein des humanistisch-neulateinischen Ordens fehlen freilich nicht ganz, aber sie reihen sich besser ein; ein anschauliches Bild wird entrollt; und die schwungvolle Sprache sucht dem großen Gegenstande gerecht zu werden. — Ist das Gedicht wirklich bald nach dem Tode des Erasmus verfaßt (etwa Spätsommer oder Herbst 1536), und sind die beiden Stücke in der Reihenfolge entstanden, in welcher der Dichter sie darbietet, so würde sich die Entwicklung des Acontius in aufsteigender Linie vollzogen haben: zuerst erscheint er in dem Schematismus der neulateinischen Gelegenheitsdichtung befangen (Elegie auf Erasmus); dann erwacht seine Fähigkeit, äußere Vorgänge in sich aufzunehmen und neu zu gestalten (Apotheose des Erasmus); schließlich streift er das ihn noch immer Einengende ab und weiß umgebendes Leben in wirksamen Einzelzügen aus sich heraus neu zu gestalten (Hochzeitsgedichte). Unzweifelhaft ein ursprüngliches Talent, das leider nur allzufrüh verstummt ist; auch muß man es bedauern, daß er sich ausschließlich innerhalb der einengenden Modeformen der neulateinischen Poesie bewegt hat und dadurch in der Entfaltung seiner Gaben gehindert worden ist. — Nur als eine Art Nachtrag mag noch ein Punkt aus der Elegie auf Erasmus zur Sprache kommen. Wenn Acontius die Verdienste des Erasmus um die Religion preist, so vergißt er dessen vermittelnde Tätigkeit nicht. Nach Acontius hat der große Humanist in dem Religionsstreit immer zur Milde geraten und den mit gewaltsamen Plänen umgehenden Fürsten ins Gewissen geredet: „Ponite saevitiam (dicebat) ponite, reges, Bella, quid invito sumitis arttta Deo?" Und wenn ihn der Tod nicht bezwungen hätte, so würde es ihm vielleicht durch seine Mäßigung geglückt sein, Schlimmes zu verhüten. — Der Standpunkt des Melanchthonschen Kreises findet hier seinen poetischen Ausdruck. Melanchthon wollte die Hoffnung auf eine Einigung in der Glaubensfrage nicht aufgeben; dieses Streben brachte ihn immer wieder dem Erasmus nahe. Die Stellung des älteren Luther zu dem Humanistenkönig wurde
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dagegen von Jahr zu Jahr schroffer. Es ist daher nicht ohne Reiz, Luthers Ansicht über Acontius' Gedicht kennen zu lernen, wie denn schon ohnehin ein derartiges Urteil anziehend wäre, da Äußerungen Luthers über neulateinische Poesie sich nicht häufig finden. „Obgleich Acontius", sagte der Reformator im vertrauten Kreise, „dem Erasmus viel Ehre antut und nach Poetenart vortrefflich lügt, so kann ich das tragen und hindere den Druck nicht, um den Centauren und Adligen Widerstand zu leisten, die die Wissenschaft verachten und im Vergleich zu sich geringschätzen." Von den Wittenberger Poeten hat Georg Aemilius Acontius wohl am nächsten gestanden. Aemilius (eigentlich Oemler, geb. 25. Juni 1517) war ein Mansfelder Kind und hatte durch seinen Vater Nicolaus Oemler, der den jungen Martin zuweilen auf den Armen zur Schule getragen haben soll, Beziehungen zu Luther; wie es scheint, hat er in Nordhausen die Schule besucht, da er berichtet, daß er die Anregung zur Poesie Joh. Spangenberg verdankte; seit 1532 studierte er in Wittenberg, wurde dann 1540, durch Luther warm empfohlen, Rektor der Lateinschule in Siegen, 1554 erhielt er von der Wittenberger Universität die theologische Doktorwürde; ein Jahr vorher war er als Generalsuperintendent nach Stolberg gegangen. Hier ist er am 22. Mai 1569 gestorben. Sein Stoiberger Amt wurde ihm durch heftige Streitigkeiten mit einem Amtsgenossen, M. Sixtus Amandus, vergällt. Auch als die Grafen von Stolberg die schlimmsten Auswüchse dieses Zankes unterdrückt hatten, ließ der Hofprediger von versteckten Angriffen nicht ab. Bei Aemilius scheint die Schuld nicht gelegen zu haben, denn er galt als friedfertig und verträglich; am wohlsten war ihm in seinem kleinen Gärtchen, in dem er seltene Pflanzen gezogen hatte, wie er denn überhaupt eine besondere Teilnahme für Botanik an den Tag legte. Er macht durchaus den Eindruck, als ob man es mit einer Persönlichkeit zu tun hätte, wie sie unter den neulateinischen Poeten wiederholt begegnet: einem sinnigen Geist, der im stillen Behagen und im Verkehr mit der Natur Bosheiten und Niedertracht der Menschen zu vergessen suchte. In der Geschichte der neulateinischen Dichtung spielt Aemilius eine merkwürdige Rolle. Bis in die jüngsten Tage hinein wird er da, wo von neulateinischer Poesie die Rede ist, als einer ihrer hervorragendsten Vertreter bezeichnet. Wie er in diesen Ruf gekommen, läßt sich schwer sagen. Tatsächlich geben seine Lei-
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stungen zu einer derartigen Ausnahmestellung nicht den geringsten Anlaß: nur sehr selten überragt Aemilius die lateinischen Dutzendpoeten, die keine besondere Erwähnung verdienen. Einige Anziehungskraft erhält er nur dadurch, daß er wiederholt mit Acontius zusammen auftritt, so sehr er auch an poetischen Gaben hinter diesem zurücksteht. In gelegentlichen Augenblickseingebungen scheint Aemilius etwas Liebenswürdiges, den soeben dargelegten Grundzügen seiner Natur Gemäßes gehabt zu haben. Dafür spricht das Epigramm, in dem er am gastlichen Tische Valentin Trozendorfs seiner behaglichen Stimmung Ausdruck gab (kurz vor 1540): „Hoc ego claviculo rigidum suspendo magistrum, Cum libet antiquo vivere more mihi." Aber seine sorgfältig ausgeführten Geisteswerke leiden unter entsetzlicher Trockenheit. Das gilt nicht bloß von den Sonntagsevangelien und -episteln, die er während seines Aufenthaltes in Siegen zu Schulzwecken in wohlgemeinte Verse brachte. Auch seine früheren Versuche bleiben fast ausnahmslos im Trivialen stecken. Eine Elegie auf den Tod eines Wittenberger Studenten, der in der Elbe ertrank (1537), muß man nur mit dem im Stoff verwandten Trauergesang des Micyllus auf Nesens Tod vergleichen, um den ganzen Abstand zu ermessen. Ein Jahr früher entstand ein Gedicht, das ihn uns im Wetteifer mit Acontius zeigt. Dieser beschrieb (1536) allegorisierend ein Bild des h. Christopherus, ohne freilich in seiner Elegie über das Handwerksmäßige hinauszukommen; Aemilius wendet das gleiche Verfahren auf eine Abbildung des h. Georg an, den er merkwürdigerweise als das Muster eines christlichen Fürsten feiert. An sich wenig bedeutend, ist die allegorische Auslegung doch für die damals in Wittenberg herrschende Stimmung nicht unwichtig; es war die Zeit unmittelbar vor dem Konvent zu Schmalkalden (Febr. 1537), und in der Lutherstadt wogten die Meinungen durcheinander, ob es zulässig sei, den Umtrieben der päpstlichen Partei und dem durch sie beeinflußten Kaiser allenfalls mit den Waffen entgegenzutreten. Trotzdem nun Aemilius seiner ganzen Sinnesart nach mehr zu Melanchthon neigte, schließt er sich doch in diesem Falle an Luther an, der gerade damals (Dez. 1536) versichert hatte, er wolle dazutun, „mit Beten, auch, wo es sein soll, mit der Faust". Und so sieht er in dem h. Georg das Urbild
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eines streitbaren evangelischen Fürsten, der gegen die Unterdrücker des Evangeliums zu Felde zieht: „Odit (sc. deus) enim tota crudeles mente tyrannos, Qui lacerant verae religionis opus. Certantesque duces sacrum defendere verbum Successu belli prosperiore iuvat." A m höchsten von Aemilius' poetischen Versuchen steht sein „Propempticon" (ebenfalls 1537); und hier legt er eine größere Geistesfreiheit an den Tag, während er sonst unglaubliche Philistermoral verzapft, wie er denn dem armen ertrunkenen Studenten, dessen Neigung zum Baden doch gewiß nicht als Hang zu üppigen Lebensfreuden aufgefaßt werden kann, die Warnung an die Vorübergehenden in den Mund legt: „Tutius est residere domi studiisque vacare, Gaudia quam vitae perniciosa sequi." Von dieser gräßlichen Stubenhockerluft ist das „Propempticon" frei. Es zeigt uns Aemilius wieder in naher Verbindung mit Acontius. Valentin Trozendorf, der Freund des Aemilius, hatte diesem die Nachricht vom Tode des Goldberger Bürgermeisters Helmrich zugehen lassen und um Abfassung einiger Grabschriften gebeten. Obgleich Aemilius den Bürgermeister nicht persönlich gekannt hatte, erfüllte er doch Trozendorfs Wunsch; zwei Wittenberger Studenten, eben Acontius und Christoph Preyß, gen. Pannonius (1536 in Wittenberg immatrikuliert, gestorben 1590), übernahmen es, die poetischen Trauergaben persönlich nach Goldberg zu bringen. Sobald der Druck der Gedichte, zu denen auch Acontius und Preyß beigesteuert hatten, abgeschlossen war, machten sich die beiden Studenten (zweite Hälfte des Februar 1537) zu Fuß auf den Weg, und Aemilius gab ihnen das an Trozendorf gerichtete Propempticon mit. Dieses beschreibt nun die ganze Fahrt, die sie nach Goldberg in neun Tagen erledigen sollten; auch die weitere Ausdehnung der Reise bis nach Breslau wird nicht vergessen. Überall gedenkt Aemilius bei den einzelnen Aufenthaltsorten der hervorragenden Männer, die dort wirken oder gewirkt haben; auch sonst weiß er bei diesen Schilderungen manches Hübsche zu berichten. Die Gelehrtengeschichte wird durch die Angaben mehrfach gefördert. Aber für den Geschichtsschreiber der neulateinischen Poesie kommt diese Seite nicht in Betracht.
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Für ihn beruht die Bedeutung des Gedichtes hauptsächlich auf der frischen, fröhlichen Art, die sich angenehm von dem sonstigen trocknen Ton des Aemilius abhebt. Und von neuem wird man an Acontius gemahnt; ja, über ihn hinaus richtet sich der Blick auf den Mittelpunkt des ganzen Kreises, auf Melanchthon. Wohl liegt auf dessen Gedichten sonst durchweg eine ernste, trübe, zuweilen fast am Leben verzagende Stimmung; sie hat ihren bezeichnendsten Ausdruck in den Worten erhalten: „Nos hac versamur lacrimosa in valle labor um, Undique tartareis obruta turba malis, Non locus est nobis, non sedes certa manendi; Vita quid ergo aliud quam labor exilii est?" Aber daneben werden doch gelegentliche Ansätze zur Lebenslust nicht ganz unterdrückt; so hat Melanchthon in einem kleinen Gedichtchen die Eigenschaften auseinandergesetzt, die die verschiedenen Nationen (Franzosen, Spanier, Italiener) an einem Mädchen besonders schätzen; zuletzt langt er bei dem eigenen Volke an: der Deutsche liebt eine, die nicht auf den Mund gefallen, sondern ihrem Manne gegenüber mit keckem Worte bei der Hand ist. Die in diesem, eigentlich etwas unmelanchthonisch anmutenden Erguß zutage tretende Unbefangenheit kehrt auch, nur offener und derber, bei Aemilius wieder. Wenn er die Freunde entläßt, so wünscht er, daß sie gefällige Mädchen finden möchten, mit denen sie auf tausendfache Art schäkern könnten; sobald es Abend geworden wäre, sollten sie sich zum fröhlichen Trunk niedersetzen; fehle es an Wein, so könne das Bier an dessen Stelle treten. Und es erinnert durchaus an Acontius (vgl. oben S. 106), wenn dabei das Vorbild des trinkfesten Germanentums auftaucht : „ per longam convivía ducite noctem, Si modo Germanum nomen habere iuvat." Und hübsch heißt es weiter: „Atque velut púgiles generosis viribus hastam, Tollite per crebras pocula plena vicesl" Auch in der Fortführung treibt ein munterer Geist sein Wesen; die Genossen sollen in Freundschaft einander zutrinken und das Zugetrunkene nachkommen; vor allem aber ist darauf zu achten, daß die Becher bis auf die Nagelprobe geleert werden, denn nasse Becher bedeuten Regen, trockene gutes Wetter, deshalb darf E l l i n g e r , Neulatelnlscho L y r i k 2.
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der Wanderer auch nicht einen Tropfen im Becher lassen, sobald er den Weg weiter fortsetzen will. Aber ebensowenig wie der Trunk darf der Gesang vergessen werden. Ähnliche Ratschläge werden im weiteren Verlaufe des Gedichtes noch einmal erteilt; so rät Aemilius den Freunden, daß sie sich den beschwerlichen Weg über Schnee und Eis durch Gespräche kürzen sollen, was ganz artig in Einzelheiten nahegebracht wird. Gegenüber den launigen Eingangswünschen fällt nun freilich die aufzählende Beschreibung der örtliclikeiten und ihrer Geistesheroen stark ab; doch wird dieser Pastoren- und Schulmeisterkatalog zuweilen durch ein wohltuendes Zwischenspiel unterbrochen, so durch den eben erwähnten Ratschlag, so durch ein Landschaftsbild, wie das 16. Jahrhundert es liebte, d. h. eine von Wäldern und tief eingeschnittenen Schluchten freie, den Fleiß des Landmanns bezeugende, wohlangebaute Gegend, wo die Reisenden vor Räubern sicher sind. — Im ganzen überwiegen in dem „Reisegedichte" freundlichere Eindrücke; der Ruf des Aemilius erscheint hier noch am ehesten gerechtfertigt. Mit Acontius und Aemilius, aber auch mit Sabinus und Stigel nahe befreundet war Johannes Heune oder Hühne, genannt Gigas, unter welchem Namen er bekannt geworden ist. Geboren am 22. Februar 1515 zu Nordhausen, wurde Gigas zuerst hier durch Johann Spangenberg, dann in Magdeburg von Georg Major unterrichtet und studierte seit 1535 in Wittenberg. Von Wittenberg aus ging er nach Leipzig; hier befreundete er sich mit Georg Fabricius (Anfang 1538), und dessen Einfluß mag es zuzuschreiben sein, daß sich Gigas in der altchristlichen Hymnendichtung versucht hat. Nach Abschluß seiner Studien (1540) war er zu Joachimsthal in Böhmen, zu Marienberg in Sachsen als Lehrer tätig und übernahm dann das Rektorat der neugegründeten Fürstenschule Schulpforta. Aber die Erfahrungen, die er hier und vielleicht auch in seinen früheren Stellungen mit der „jetzigen Teufelischen bösen Jugend" gemacht hat, müssen wenig verlockend gewesen sein; schon nach anderthalb Jahren legte er mit tiefem Widerwillen gegen den Schuldienst sein Amt nieder und ging als Pfarrer nach Freistadt in Schlesien, zuletzt wirkte er in Schweidnitz. Hier ist er am 12. Juli 1581 gestorben. Gigas scheint eine tief veranlagte Natur gewesen zu sein. Was andere nur obenhin berührt oder von ihnen leicht abgeschüttelt wird, das ergriff ihn im Kern seines Wesens. Während
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seiner Tätigkeit in Schweidnitz wurde er von den religiösen Streitigkeiten innerhalb des Luthertums bis zu tiefster Schwermut bewegt, so daß er eine Zeitlang daran dachte, sein Pfarramt niederzulegen. Den Freund der deutschen Prosa des 16. Jahrhunderts zieht Gigas vornehmlich durch seine Predigten an; sie zeigen einen hellen, klaren Verstand, volkstümliche Schlagkraft der Beredsamkeit und übersichtliche Anordnung. Während diese oratorischen Leistungen der zweiten Hälfte seines Lebens entstammen, gehört die Dichtung fast ausnahmslos der ersten Hälfte an. Wer mit dem aus den Predigten gewonnenen Eindruck an die poetischen Versuche des Gigas herantritt, wird freilich enttäuscht werden: an Bedeutsamkeit steht die Dichtung weit hinter der eigentlichen Lebensarbeit zurück. Aber ganz darf sie trotzdem nicht übersehen werden. Denn auch sie vergegenwärtigt den in Wittenberg herrschenden Geist. — In einem seiner frühesten Gedichte hat Gigas, wie Acontius, dem eben gestorbenen Erasmus einen poetischen Nachruf gewidmet, der Anreger war wohl auch in diesem Falle Melanchthon. Dem großen Gegenstande zeigt er sich noch weniger gewachsen als Acontius; inhaltlich berührt er sich naturgemäß mit diesem, z. B. in der Betonung der Friedensbestrebungen des Erasmus. Die Darstellung verrät eine erschreckendc Nüchternheit, und nur selten wird das triviale Gerede durch einen brauchbaren Einfall unterbrochen, so wenn sich die Barbarei über das Hinscheiden des Erasmus freut, da sie nun ihren Herrschersitz ungestört behaupten könne. — Was zwischen den Erstlingen seiner Muse und dem Beginn eines n e u e n Lebensabschnittes e n t s t a n d e n war, sammelte Gigas 1540 in seinen „vier Büchern poetischer Wälder" (Silvarum libri IV). Hier lernt man die ihm vorleuchtenden Meister kennen; am höchsten stehen ihm die Erfurter Poeten, Euricius Cordus und Eobanus Hessus; von Eoban hat er wohl die Gleichung: Christus — Apollo entlehnt: „te ducant charites, te ducai Christus Apollo!" ruft er einem abschiednehmenden Freunde zu. Aber wenn er auch den Erfurtern den Preis zuerteilt, so unterschätzt er doch seine Wittenberger Mitstrebenden nicht. „Wie der B ä r " , ruft er Sabinus zu, „seine Jungen durch Belecken herausputzt, so rundest du deine Verse, gelehrter Sabinus!" — Ein Überblick über das von Gigas behandelte Stoffgebiet lehrt, daß, wie billig, die religiöse Poesie den größten Raum einnimmt. Doch entspricht der Umfang kaum dem Wert; die geistliche Dichtung hält 8*
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sich in dem gewohnten Gleise; sie knüpft in hymnischen und anderen Stücken an die Feste, insbesondere an Weihnachten, an; die Freude an der Kirchenreinigung kommt zum Ausdruck; ein besonderes Gepräge tragen alle diese Arbeiten nicht. Eher spürt man ein eigenes Leben in den mehrfach wiederholten Klagen über die Vernachlässigung der K u n s t ; wie seine Zunftgenossen empfindet es der Dichter bitter, daß die Musen unbelohnt bleiben, und um den schlechten Zustand der Künste und Wissenschaften darzutun, bemüht er drei Musen herbei, die nacheinander in verschiedenen Maßen sich über diese Frage auslassen: Polyhymnia stellt die Tatsache fest, daß die guten Studien darniederliegen und die Welt nur hinter dem Gelde herläuft; Euterpe sucht die Ursache für die Verderbnis in der Unzüchtigkeit der Dichter und mahnt zur Keuschheit; Klio endlich versieht ihr Amt und zieht das geschichtliche Fazit. (Diese „ K l a g e der Kunst" zuerst 1539 gesondert veröffentlicht.) Vielleicht sind Euterpes Ausführungen gegen Lemnius gerichtet; jedenfalls geben sie die Gigas vorschwebenden Leitgedanken wieder, denn auch er will seine Dichtung von allem Lüsternen freihalten. Gelegentlich vernimmt man bei Gigas auch nationale Klänge, doch äußern sie sich im wesentlichen nur in einem Aufruf zum Türkenkrieg. Dagegen kommt die Freude an der engeren Heimat zu kräftigem Ausdruck: in Thüringen haben die Ärzte keine Aussicht auf erfolgreiche Tätigkeit, denn ein verdorbener Magen wird dort schnell durch Landeserzeugnisse geheilt, durch den Erfurter Wein und den Nordhäuser Korn. Das Bedenkliche in Gigas' Schaffen ist, daß das Prosaische immer wieder durchschlägt. Wenn einmal ein paar passende Worte zur Schilderung des Frühlings gefunden werden, so zerstört er sogleich den Eindruck durch den fürchterlichen Schluß: „Vere novo exultat, gaudet, laetatur ovatque Quidquid in orbe viget." Allein mit diesen und anderen Geschmacklosigkeiten versöhnt doch einigermaßen die Tatsache, daß der Drang des Gigas zur Poesie echt war. Dafür bürgt die anziehende Elegie, in welcher er über seine Jugend und den von ihm einzuschlagenden Weg eine Art Rechenschaftsbericht erstattet hat. Da erzählt er von Heimat und Eltern, insbesondere von seinen Lehrern, die ihm den Weg zum Parnaß gewiesen haben, von Spangenberg in Nordhausen und Major in Magdeburg. Man erfährt, wie namentlich Major ihm eine große poetische Zukunft geweissagt hat. Dann wird
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der angehende Jüngling vor eine schwere Wahl gestellt. Ihn selbst treibt es mächtig zur Poesie; aber Eltern und Verwandte empfehlen ein Brotstudium, Jura oder Medizin, und suchen nach Kräften die Dichtkunst und ihre Vertreter herabzusetzen. Den Ausschlag in diesem inneren Kampfe gibt schließlich das Wort eines Freundes aus der Heimat (wahrscheinlich Joh. Spangenbergs); der mahnt den schon an seiner ursprünglichen Absicht Irregewordenen, festzubleiben; nur die Poesie gewähre dauernde Schätze: „Omnia tempus edax mutat, deformat et urget, Quae cum laude viget Musa perire nequit."
Diesen Rat befolgt der Jüngling und schwört den Musen Treue: „Attamen a caris desciscere nolo Camoenis, Thespiadum, donec vixero, sacra colam."
Der Verzicht auf irdische Schätze und die Hingabe an die ewigen Güter des Lebens wird hier in einem eindrucksvollen, wirkliches Geschehen widerspiegelnden Bilde festgehalten; und von diesem Jugendbekenntnis aus fällt auch auf die übrige Tätigkeit des Gigas ein freundlicheres Licht. In den Kreis des Acontius, Aemilius, Gigas gehört ferner der Pommer Johannes Sastrow (Sastrovianus), der Bruder des durch seine Selbstbiographie allbekannten Stralsunder Bürgermeisters Bartholomäus Sastrow (geb. zu Greifswald 1515, gest. 1545); er stand namentlich Gigas nahe. Bis 1542 läßt sich Sastrovianus* Schriftstellerei verfolgen; in dem genannten Jahre erscheint er noch einmal mit einem Fürstenspiegel: „Die Pflicht des Fürsten". Was aus seiner Wittenberger Zeit vorliegt, fällt ungefähr in die gleiche Zeit wie die Arbeiten des erwähnten Kreises; 1538 erschienen seine „Progymnasmata"; der Dichter befand sich damals in Pommern. Die Sammlung enthält nichts Brauchbares, man müßte denn eine lange Elegie über die bösen Vorzeichen des Jahres 1537 ausnehmen wollen. Poetisch bietet auch die zweite Gabe, die wie der Fürstenspiegel in das Jahr 1542 fällt, wenig Anziehendes; immerhin kommt ihr ein geschichtlicher Wert zu, da sie trotz der Entfernung den Wittenbergischen Geist widerspiegelt. Zunächst läßt Sastrovianus die Kirche in der Gestalt eines trauernden Mädchens auftreten; er legt ihr eine Klage über die unglücklichen Zeitverhältnisse in den Mund sowie einen Zuruf an Karl V., all den inneren und äußeren Schäden ein Ende zu machen. Aus dem darauffolgenden Trauergesang
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auf den englischen Märtyrer Robert Barnes ersieht man, daß Sastrovianus wie Acontius und Gigas beim Tode des Erasmus seine Leier gerührt hatte. Das Gedicht auf Robert Barnes selbst, den Heinrich VIII. 1540 hatte hinrichten lassen, gestaltet sich zu einer flammenden Anklageschrift; die tiefe Entrüstung über die Untaten Heinrichs, der „Schande des Jahrhunderts", löst Sastrovianus die Zunge und macht ihn beredt; nicht übel, wenn der Poet ausführt, daß dem englischen Tyrannen jedes ungeheuerliche Verbrechen zuzutrauen sei: „Cur non evertis laiera omnia et omnia caeli Sidera? depellis sideribusque deum?" Ein Schlußgedicht an Melanchthon bedenkt ebenfalls den König mit den heftigsten Worten und traf damit die Ansicht Melanchthons; hatte doch dieser geradezu den Wunsch ausgesprochen, daß ein Mörder die Strafe an Heinrich vollziehen möge. — Beide Gedichte sind wohl noch im Jahre 1540 entstanden. Dem Wittenberger Kreise ist auch Heinrich Kranichfeld zuzuzählen. Er war ein Thüringer und mag um 1535 geboren sein; später lebte er in Erfurt. Was an poetischen Stücken von ihm überliefert ist, stammt aus dem Jahre 1558. In der Umschreibung biblischer Stellen zeigt er eine leidliche Gewandtheit. Höheren Flug erstrebt seine Ekloge: „Die Geburt Christi"; sie erinnert im Stoff an ein Idyll, das der Sabinus-Schüler Andreas Münzer acht Jahre vorher verfaßte, ohne daß man nötig hätte, an einen unmittelbaren Zusammenhang zu denken. Christlicher Sinn und Gottlosigkeit werden einander entgegengestellt. Ganz erfüllt von dem Gedanken an das nahende Weihnachtsfest sowie an das Geheimnis der Menschwerdung, wollen die Hirten Daphnis und Meliböus nach Wittenberg zum Gottesdienst gehen. Da begegnet ihnen der ruchlose Corydon und verspottet ihr Kirchengehen. Aber als ihm von den beiden Frommen in geharnischten Reden der Standpunkt klar gemacht wird, geht er zerknirscht in sich und findet in dem Hinweis auf Gottes Wort und Barmherzigkeit Trost; seine Sinnesänderung ist vollendet. Unter weiteren frommen Gesprächen gehen sie zur Kirche; zuletzt klingt noch das Thema der Theodicee an. Als Versuch einer Verkörperung des in Wittenberg herrschenden Geistes verdient die Ekloge Beachtung. Weniger glücklich zeigt sich Kranichfeld in einem langatmigen hexametrischen Gedicht: „Die Wohltaten
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Christi". Anknüpfend an die Meerfahrt Christi, schildert er hier den Herrn als den guten Steuermann, der seine Argo glücklich durch das wilde Meer, durch Klippen und Ungeheuer führt, als den Anführer im Streit mit dem Bösen. Wie dieses Stück trotz des epischen Eingangs der religiösen Lyrik angehört, so muß auch ein anderes für das lyrische Gebiet in Anspruch genommen werden, obgleich es mit einer Erzählung anhebt und auch im Verlauf des Ganzen noch manche erzählende Elemente aufweist. Kranichfeld berichtet von zwei Jünglingen, die bei einem Ausbruch des Ätna ihre alten Eltern auf den Schultern fortgetragen und so vor dem Glutstrom gerettet haben. Das ganze Gedicht wird dann zu einem hohen Lied auf die Liebe zu den Eltern; daß Lohn den pietätvollen Kindern nicht vorenthalten wird, Strafe für die undankbaren nicht ausbleibt, legt der Verfasser an zahlreichen Beispielen aus der heiligen und profanen Geschichte dar, um dann mit einer erneuten Mahnung zu schließen: „Felix, quem pietas in amandos cara parentes Suscitat, infelix, quem nihil ista movent." In der Auswahl der Bilder, auch in der Schilderung ist Kranichfeld zuweilen glücklich, dagegen macht sich in der Wiedergabe der Beispiele für Kindesliebe und Kindesdank viel Manieriertes breit; eine aus der klassischen Dichtung stammende, aber von den Neulateinern durch Übertreibimg zur Unart gesteigerte Eigentümlichkeit, die Erzählung in der Anrede durchzuführen, setzt den Stil gleichsam auf Stelzen, während sonst der Ausdruck zwar nach Steigerung strebt, aber sich doch in den Grenzen hält, so in der Verherrlichung der pietas am Schlüsse: ,,Si quid iucundum est, ptdchrumque in mille figuris, Dulcius hac quid erit splendidiusque fide?" Außer den zuletzt Genannten sind dem älteren Wittenberger Kreise noch manche Poeten zuzuzählen, deren Haupttätigkeit nicht auf dem Gebiete der Lyrik liegt, so der aus den theologischen Streitigkeiten des 16. Jahrhunderts wohlbekannte Johannes Freder (1510—62), so Matthäus Delius (1523—44). Mehr als bei Freder ist es bei Delius zu bedauern, daß sich nichts Lyrisches von ihm erhalten hat. Denn sowohl einzelne Teile seines wohlgelungenen Lehrgedichtes: „Die Kunst des Scherzens", als die Mitteilungen Melanchthons über die letzten Stunden des Frühvollendeten beweisen, daß es sich um eine zarte, sinnige Natur
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handelte, die wohl auch als Lyriker etwas zu sagen gehabt haben würde. Melanchthons Einfluß äußert sich noch in zahlreichen Einzelversuchen Wittenberger Studenten oder Magister, meist religiöser Art.- Trotz der ungewöhnlichen Menge dieser Erzeugnisse findet sich selten etwas Bemerkenswertes; es erübrigt sich daher, die toten Namen aufzuzählen, doch wird einzelnes im Laufe der Darstellung angeführt werden. Aemilius, Gigas, Sastrovianus, Kranichfeld genügen zur Vergegenwärtigung des D u r c h s c h n i t t e s ; was darüber hinaus geleistet worden ist, wird durch die Namen Sabinus, Stigel und Acontius bezeichnet.
Der jüngere Wittenberger Dichterkreis. Soweit zeitliche Grenzen innerhalb geistiger Bewegungen überhaupt gezogen werden können, läßt sich sagen, daß die Mitglieder des älteren Wittenberger Poetenkreises noch die Lebensluft der Zeit v o r dem Schmalkaldischen Kriege atmen. Wohl ragen einige, wie Stigel, noch in die Tage hinein, in denen die unfruchtbaren kryptokalvinistischen und philippistischen Kämpfe die Geister verwüsteten; aber obgleich auch Stigel von diesen Streitigkeiten auf das empfindlichste berührt wird, handelt es sich doch nicht um einen durchgehenden Grundton seines Schaffens, auch nicht um tätige Teilnahme an den erbitterten Fehden, sondern nur um den Wunsch, seine Person zu schützen und Melanchthon die Treue zu halten, wobei er allerdings seinen Widerwillen gegen das Treiben der Ketzerrichter nicht bergen kann. Seit der Mitte der fünfziger Jahre wird jedoch die geistige Luft Wittenbergs von dieser Kampfesstimmung erfüllt. Die Anfeindungen, die Melanchthon zu erdulden hatte, der damit unmittelbar zusammenhängende Ansturm der Gnesiolutheraner gegen alle Irrgläubigen, die wechselnde Stimmung am kursächsischen Hof, durch die bald die eine, bald die andere Religionspartei begünstigt oder gestürzt wurde — alles das berührte die Allgemeinheit so, daß auch die Poeten gezwungen wurden, es in der einen oder der anderen Weise in sich aufzunehmen und wiederzugeben. So ist denn unter den führenden Persönlichkeiten des jüngeren Wittenberger Kreises keiner, in dessen Leben und Schaffen diese Händel nicht eine bedeutsame Rolle spielten, kaum einer, der nicht auf das schwerste unter ihnen zu leiden
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gehabt hätte. Und in der einen oder der anderen Weise legen die Dichtungen dieser Männer von ihrer Kampfesbereitschaft oder von dem Druck, den sie zu erdulden hatten, Zeugnis ab. Nur wenn ein Mitglied dieses Kreises, so etwa Bruno Seidel, frühzeitig der Wittenberger Luft entrückt wird, tritt die Kriegs- oder Leidensstimmung zurück. Neben diesen charakteristischen Merkmalen einer neuen Zeit wirken selbstverständlich noch Anregungen des älteren Wittenberger Kreises nach; namentlich das Vorbild Stigels ist noch immer erkennbar. Das zeigt sich z. B. bei den von Stigel bevorzugten Naturausdeutungen, die auch später in Wittenberg nachgebildet werden. So von der hervorstechendsten Erscheinung der jüngeren Wittenberger Poetenschule, dem Deutschböhmen Johann Major (Mayer). Geboren 1533 in Joachimstal, durch Johannes Matthesius und Johannes Gigas beeinflußt, besuchte er, sechzehnjährig, die Universität Wittenberg, dann Leipzig, wurde 1556 in Wittenberg Magister und 1557 Doktor in Mainz. Er kehrte nach Wittenberg zurück und trat hier als poetischer Schildknappe Melanchthons gegen Flacius und dessen Genossen auf. Seit 1560 hielt er an der Universität Vorlesungen über Virgil und Horaz. Dichterisch hat er sich schon 1552 versucht; in diesem Jahre erschien von ihm ein Bändchen Elegien und Epigramme. Die Elegien sind meist persönlicher Natur; Major bezeugt einzelnen Männern Verehrung und Dank. Im Mittelpunkte der Gedichte steht die ehrwürdige Gestalt des Johannes Matthesius, doch auch Johannes Gigas' wird in anhänglicher Liebe gedacht. Ganz anmutend berührt Major einen Lieblingsgedanken der Neulateiner, die hohe Würde der Kunst und im Gegensatz dazu ihre geringe Schätzung. Manche später angeschlagenen Töne klingen schon hier an, wenn auch das Ganze, wie bei der Jugend des Verfassers nicht anders erwartet werden kann, noch der rechten Eigenart entbehrt. Die Gesamtwürdigung des Schaffens hat sich jedoch nicht auf die Jugendarbeiten, sondern im wesentlichen auf seine Tätigkeit etwa seit 1557 zu gründen. Das Wesen von Majors Persönlichkeit offenbart sich am deutlichsten in der Satire; und in dieser später zu würdigenden Gattung hat er sein Eigenstes geleistet. Aber die satirischen Stücke bilden nur einen kleinen Bruchteil seiner Produktion; die Hauptmasse fällt auf die lyrischen und halbepischen Dichtungen. Alle diese Versuche hat Major in solcher Fülle ausge-
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schüttet, daß für sorgfältige Feilung wenig Zeit übrigblieb; sie tragen daher meist den Stempel der Augenblickseingebung und offenbaren die Vorzüge, aber auch die großen Schwächen seines Schaffens. Zu den frühesten Werken seiner Reifezeit gehören die Elegien, in denen er Naturvorgänge religiös zu deuten sucht; daß diese Versuche ersichtlich unter dem noch nachwirkenden Einflüsse Stigels stehen, wurde bereits hervorgehoben. In die gleiche Zeit wie diese allegorischen Naturbilder fallen aber auch die Anfänge der biblisch-geistlichen Dichtung; und eines der umfangreichsten Werke dieser Art, der „Simson", erschien 1558, in demselben Jahre wie die ebengenannten Elegien. Was ihm die h. Schrift und die kirchlichen Feste an Gestaltungsmöglichkeiten boten, hat er sich redlich auszuschöpfen bemüht; bei dem beständigen Hin- und Herwenden der gleichen Stoffe läßt sich der Überdruß schwer vermeiden. Das gleiche war dann der Fall, wenn dem Professor der Poesie die Aufgabe zufiel, als Sprecher der Universität bei der Wiederkehr der Todestage das Andenken Luthers und Melanchthons zu feiern: wohl findet er manch bezeichnendes Wort und weiß auch die Wirksamkeit der Großen in den richtigen allgemeinen Zusammenhang zu rücken, aber ihm fehlt die Gedankenfülle, um dem gleichen Vorwurf neue Seiten abzugewinnen, und so breitet sich namentlich über die späteren dieser poetischen Nachrufe das Grau der Eintönigkeit. Die zeitgenössischen Hörer, die die Aula füllten, urteilten freilich anders; sie erklärten Major für den größten Dichter, der seit dem Altertum erstanden sei. Und in der Tat wächst Major, wenn man zum Vergleich heranzieht, was von seinen Nachfolgern, z. B. von Taubmann, auf dem gleichen Gebiete geleistet worden ist. In seinen religiösen Dichtungen führt Major zuweilen die epische Behandlung vollständig durch; in diesem Falle müssen die in Betracht kommenden Werke später besprochen werden. Meist aber bildet der geschichtliche Vorgang nur den Ausgangspunkt für Betrachtungen religiöser Art, so daß also diese Versuche der religiösen Lyrik zugezählt werden müssen. In dem Gedicht: „Der Dornstrauch des Mosis" berichtet der Dichter z. B. nur zusammenfassend von dem Erscheinen des Herrn im feurigen Busche, um dann desto eingehender bei den Worten Jehovas: „Ich werde sein, der ich sein werde" zu verweilen. Noch besser lernt man Majors Verfahren in einem anderen Werk-
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chen kennen, dem „Zug des Todes und des Lebens". Der Dichter ergeht sich, die Wechselfälle des irdischen Lebens und seine eignen Leiden schmerzlich erwägend, auf dem Kirchhof. Unter den dort aufgestellten Bildwerken zieht ihn namentlich eines an. Es veranschaulicht eine Doppelbewegung: im Mittelpunkte der einen steht der Tod mit seinem Gefolge; seine Macht bezeugt er an einem Jüngling, der entseelt auf dem Pfühl liegt. Und hinter dieser Gruppe hebt sich der Fürst der Finsternis, von den Erinnyen begleitet, herauf und rühmt sich, daß er das Menschengeschlecht in seine Fesseln geschlagen habe. Aber ein froher Zug kommt von der anderen Seite: es ist der Zug des Lebens, an der Spitze Christus; er besiegt den Tod und entreißt ihm den schon entseelten Jüngling. Die Deutung des die Erweckung des Jünglings zu Nain ausspinnenden Bildwerkes dem Leser zum Bewußtsein zu bringen, ist die Hauptabsicht. Durch Adams Fall hat der Tod die unumschränkte Herrschaft über das Menschengeschlecht erhalten; schutzlos ist es ihm preisgegeben und würde verloren sein, wenn nicht Christus dem Verderber in den Arm fiele. Je eindringlicher die düstere Gefahr vergegenwärtigt wird, desto trostreicher wirkt der von oben kommende, Erlösung bringende Lichtstrahl. An sich selbst hat das der Dichter erfahren: mit bedrücktem Herzen und bekümmertem Gemüt ist er auf den Kirchhof gekommen und findet im Anschauen des Bildes den Frieden seiner Seele wieder; daß ihm Ansehen, Ehre und Wohlstand versagt sind, quälte ihn; jetzt will er alle diese Sorgen fortwerfen und sein Heil allein auf den hilfebringenden Christus setzen. Unzweifelhaft gewinnen die allegorisch-religiösen Erwägungen dadurch, daß sie in unmittelbare Wechselwirkung mit den seelischen Nöten des Dichters treten. Aber der dadurch erzielte Eindruck wird erheblich durch die Vergegenwärtigung der Einzelzüge gesteigert. Das Mitleid mit dem dahingestreckten Jüngling, dem Liebling des ganzen Hauses, die Trauer der Witwe, die des einzigen Sohnes beraubt ist, die unheimlichen Schattengestalten und das helle Bild Christi, der ihnen gegenübersteht, „wie ein Fels im Meere, im Flutengebraus vom Schaum der Wogen gepeitscht, aber unversehrt der Gewalt der Wellen und dem Dräuen des Himmels trotzend" — alles das steht ganz lebendig vor Majors Augen. In der Wiedergabe bewegter Vorgänge erreicht er überhaupt eine starke Anschaulichkeit. Durch Anreden, Fragen, Ausrufe weiß er die Vorstellung zu erwecken, als ob er
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sich inmitten der geschilderten Ereignisse befände. So beginnt er seine Meditation „Das Kreuz und das Opfer Christi" mit folgenden Worten: „Was ist das für eine Männerschar, was will dieser plötzlich entstandene Aufruhr, von wo bricht der rauhe Waffenklang herein? Laßt ab von eurem Vorhaben, ihr Juden! Die Zeit wird kommen, in der Jerusalem von den Römern bedrängt wird; dann könnt ihr zu den Waffen greifen; jetzt laßt davon ab und füllt mit Arbeiten die Zeit des Friedens aus!" In ähnlicher Weise weiß er mehrfach am Anfange unmittelbar in die Dinge hineinzuversetzen und so die Aufmerksamkeit des Lesers zu erregen. Derartige Ansätze zeigen eine unverächtliche Kraft. Freilich hält der weitere Verlauf meist nicht, was der Eingang versprochen. Dazu kommt, daß bei der fortgesetzten Behandlung der gleichen Gegenstände die Frische des Dichters oft erlahmt: daher bleiben seine Festgedichte fast ganz unfruchtbar. Schon in der Sprache offenbart sich hier das Handwerksmäßige ; der Ausdruck ist farblos, hölzern und unterscheidet sich in seiner Nüchternheit nur durch das Versmaß von der Prosa. Daß ihm die Fähigkeit nicht abging, einen Stoff durch Teilnahme des Gemütes zu beleben, lehren außer gelegentlichen Oasen innerhalb der eben besprochenen Gattung auch noch andere Gedichte. Sie führen unmittelbar in das Schicksal des Dichters ein. Sein Leben war wie das der meisten seiner Sangesgenossen wenig glücklich. Nicht bloß dadurch, daß in seinem Hause Schmalhans Küchenmeister war, wurde ihm das Dasein verbittert; auch in der ersten Ehe fand er keinen Frieden. Die Frau scheint eine böse Sieben gewesen zu sein; außerdem betrog sie ihn, so daß er endlich die Scheidimg durchsetzen konnte. Man versteht gelegentliche Stoßseufzer in seinen Gedichten besser und lernt sie würdigen, wenn man diese Nahrungssorgen und Familienverhältnisse in Betracht zieht. Aber bald zwang ihn das Geschick, sich noch offener über sein eigenes Leid poetisch zu äußern. Er wurde schwerer Vergehen verdächtigt; es läßt sich nicht entscheiden, inwieweit diese Anklagen berechtigt waren. Der Kurfürst scheint jedenfalls von seiner Schuld überzeugt gewesen zu sein, denn Majors Gehalt wurde eingezogen, er selbst Jahrelang in Dresden eingekerkert. Aus dem Gefängnis wandte er sich in poetischen Bittschriften an Kurfürst August, an den Kanzler Brück und an einige Edle, die er um Fürsprache anging. Diese Gedichte gehören zu seinen besten poetischen Leistungen.
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Da sieht man, wie er sprechen konnte, sobald ihm das Feuer auf den Nägeln brannte. Ungesucht stellt sich der treffende Ausdruck ein; jedes Wort legt von dem inneren Drange Zeugnis ab. Ähnlich ist die Wirkung in seinen, wohl ebenfalls der späteren Zeit zuzuweisenden Eklogen. Es erinnert in der Stimmung wie in der Ausführung an den „Zug des Todes und des Lebens", wenn da der Hirt Daphnis über den schlimmen Zustand der Welt und über sein eignes Mißgeschick trauert, wenn er die Götter anklagt, sich aber schließlich selbst durch den Hinblick auf die in der Natur so deutlich zutage tretende Güte Gottes zurechtweist. Zu solchen Gedankengängen hatte Major allerdings in der Spätzeit seines Lebens mehrfach Anlaß. Zwar wurde er 1574 aus der Kerkerhaft entlassen und in Stellung und Ehren wieder eingesetzt, ohne daß sich feststellen läßt, ob sein poetischer Notschrei auf diese Wendung seines Geschickes irgendwelchen Einfluß ausgeübt hat. Allein 1586 mußte er Wittenberg verlassen, weil er durch seine Angriffe auf die Konkordienformel Anstoß gegeben hatte. Der den Philippisten gewogene Christian I. rief ihn jedoch zurück. Als aber nach dessen Tode die lutherische Orthodoxie wieder in Sachsen zur Herrschaft gelangte, war es abermals mit Major vorbei; vom Pöbel beleidigt und verhöhnt, wurde er in das Gefängnis geschleppt. Losgelassen, wandte er sich zunächst nach Leipzig; ohne wieder eine umfangreichere Tätigkeit aufgenommen zu haben, starb er am 16. März 1600. Seine Wittenberger Zeit ist erfüllt von Fehden mit seinen orthodoxen Gegnern, unter denen sich auch Frischlin befindet; dem derb veranlagten Satiriker scheint im Kampfe am wohlsten gewesen zu sein. — Ein Rückblick auf Majors Lyrik kann allerdings kein überwiegend günstiges Ergebnis verzeichnen. Neben gelegentlichen Zeugnissen wahrer Empfindung, neben kräftigen Schilderungen viel Totes und Gleichgültiges. Der glückliche Wurf scheint meist wie zufällig aus dem leeren Wortschwall aufzutauchen. Der Charakter der Stegreifdichtung ist dem ganzen Schaffen Majors aufgeprägt; unglücklicherweise wählte er sich fast immer Stoffe, die dieser Richtung seines Talentes nicht entsprachen, sondern eine gleichmäßige Abrundung verlangten. Nur in seinen Anfängen scheint es ihm aufgegangen zu sein, welche Gegenstände seiner Neigung zum Rhapsodischen, man möchte sagen Bänkelsängerischen entsprachen. Damals (1555) dichtete er die an Motive der volkstümlichen Poesie anklingende „Klage vom ver-
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lorenen Goldgulden". Wo alles sich so auf den Wunsch zusammendrängte, der Erde ihre verborgenen Schätze zu entreißen, wie in der Bergmannsstadt Joachimstal, da konnte leicht der Gedanke entstehen, daß das mit Mühe und Lebensgefahr erbeutete Metall besser ungehoben bliebe, da es nichts als Unheil bringe. Daß tatsächlich in Joachimstal solche Stimmungen lebendig waren, wird sich noch bei Majors Freund, Elias Corvinus, ergeben (vgl. unten Kap. 4, S. 263); es nimmt daher nicht wunder, wenn Majors „Klage vom verlorenen Goldgulden" die gleichen Töne anschlägt. Auf dem Wege nach Wien durchzieht der Dichter wilde Berge; er findet unter der aufgehäuften Erde eine Münze; als er sie aufnehmen will, hört er eine Stimme; erschrocken sieht er sich um, ob jemand in der Nähe ist; da läßt sich die Stimme von neuem vernehmen: „Fasse mich nicht an! Ich habe vielen Schaden gebracht, und wer Nutzen von mir erhofft, trägt Verlust davon." Und nun erzählt die Münze ihre Geschichte, wie sie entstanden und dann von einer Hand in die andere gelangt ist. — Alles entwickelt sich hier ungezwungen; auch der Hexameter, den Major ebenso wie das elegische Maß fast ausnahmslos verwendet hat, bringt keine falsche Note in das dem Volkston angeglichene Werkchen. Sicher wäre auf diesem Gebiete, ebenso wie bei der Satire, eine Übereinstimmung zwischen seiner Anlage und der Dichtungsart herzustellen gewesen. Es ist aber auch hier beim bloßen Ansatz geblieben. — Noch geringer als das Talent Majors wird man das Friedrich Widebrams veranschlagen müssen. Seine äußeren Schicksale ähneln denen Majors, nur daß er, glücklicher als dieser, schließlich doch noch einen rettenden Hafen fand. Friedrich Widebram, ein Thüringer, in Pößneck 4. Juli 1532 geboren, studierte in Jena und Wittenberg, wurde, nachdem er eine Zeitlang Lehrer gewesen war, Professor in Jena, hierauf (1569) Professor der Ethik in Wittenberg, wo er 1570 zum Stadtpfarrer und Superintendenten aufstieg und zugleich die mit diesen Ämtern verbundene vierte theologische Professur erhielt. Als 1754 die lutherische Orthodoxie in Sachsen die Oberhand gewann, wurde der des Kryptokalvinismus (wohl mit Recht) verdächtigte Philippist abgesetzt und eingekerkert; befreit, wandte er sich nach Nassau; hier half er das Kirchenwesen im reformierten Geiste einrichten; als Kirchenrat in Heidelberg ist er am 2. Mai 1585 gestorben. Der Hauptakzent ruht bei Widebram auf der geistlichen Lyrik,
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doch hat er sich auch an weltlichen Stoffen versucht. Universitätssitten oder -Unsitten seiner Zeit führt er in dem „Typus depositionis scholasticae" (1569) vor. Es handelt sich um eine Beschreibung der in mehr oder weniger schlechten Scherzen und Quälereien bestehenden Zeremonie, durch die der beanus zum Studenten gemacht wurde. Widebrams hexametrisches Gedicht ist als eine Art Monolog des Leiters der depositio gedacht, der in schrecklicher Gestalt als Begleiter des noch schrecklicheren Tieres (des beanus) erscheint und nun ausführt, wie der angehende Student eine Reihe von Untugenden an sich habe, die ihm erst durch die barbarische Zeremonie ausgetrieben werden müßten. Dann folgt eine Beschreibung der einzelnen Vorgänge, wobei darauf hingewiesen wird, daß im späteren Leben, im A m t , Beruf usw., die depositioimmzi von neuem eintrete und sich in den tausend Quälereien äußere, deren man sich dann zu versehen habe. (Ein Lutherischer Gedanke!) Die Sprache sucht für die scherzhaften Vorgänge den entsprechenden Ausdruck zu finden: der passiven Rolle, die der beanus spielt, entspricht, daß fast die ganze zweite Hälfte des Gedichts im Passiv geschrieben ist, wobei die wunderlichsten Wortbildungen auftreten: nepotor, tnonliculor, iricor, nidulor, gesticulor. — Eine andere Probe seiner weltlichen Dichtung, diesmal mit einem geistlichen Einschlage, die „Palamaedia", ist nicht ganz ohne, wahrscheinlich ungewollte Komik. Sie gehört wohl noch Widebrams Studentenzeit an, und wir haben uns etwa vorzustellen, daß sie bei einer feierlichen Gelegenheit vorgetragen worden ist. Es soll gezeigt worden, welche verschiedene Verwendung das Stroh gefunden hat. Poetisches kann dabei freilich nicht allzuviel herauskommen, aber für eine kulturgeschichtliche Betrachtung fällt doch allerlei ab, und die angeführten Einzelheiten und lokalen Anspielungen bringen manches Anziehende. Das Gedicht beginnt mit der Streu, auf der Christus geruht hat, und reiht dann das Verschiedenartigste aneinander; daß im Thüringer Binnenland häufig mit Stroh geheizt wird, vergißt der Dichter ebensowenig wie das Sengen der Gänse und wie die Tatsache, daß die Bauern zur Fastnacht bei ihren scherzhaften Kämpfen sich Panzer aus Stroh machen. Die Bibel muß ebenso Beispiele bieten wie die Literatur: die im Froschmäusekrieg erwähnten Waffen werden herangezogen und nicht minder Kain, dem Heu- und Strohhalme in den Haaren hängen, aus Melanchthons
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Erzählung von den ungleichen Kindern Evä. Der Schluß lenkt dann wieder in den religiösen Ton des Anfangs ein. Eine Kuriosität, gewiß! aber das Werkchen liest sich doch ganz nett und kann sich neben verwandten deutschen Stücken der Art wohl sehen lassen. Die geistlichen Dichtungen Widebrams zerfallen in zwei deutlich erkennbare Hälften. Die eine gehört seiner früheren Zeit an oder setzt deren Weise fort. Sie zeigt wenig Eigenart. Eine Ekloge führt die Hirten Eulogius und Polites vor, wie sie sich in der Geburtsnacht Christi die Zeit durch Gespräche kürzen; sie gedenken der früheren Blüte des jüdischen Staates und der jetzigen Knechtung durch die Römer; die politischen Zukunftshoffnungen des Polites weist der greise Eulogius zurück und führt eine Prophezeiung des heiligen Simeon in Jerusalem an, der das Kommen eines geistigen Königs geweissagt habe. Alsbald erscheint auch Gabriel, verkündigt die Ankunft des Herrn; die Hirten machen sich auf, erreichen den Stall und begrüßen Mutter und Kind. Poetisch kann auch diese, an die gleichartigen Werkchen der Italiener erinnernde Ekloge nicht genannt werden, aber sie zeichnet sich wenigstens durch Lebendigkeit aus. Dagegen fallen die Festelegien sowie die allegorischen Ausdeutungen in Stigels Weise ganz ab; sie überwinden die Trockenheit nirgends. Von diesen Erzeugnissen der ersten Periode heben sich nun die Gedichte wohltuend ab, die Widebrams Leidenszeit entstammen. Da löst ihm sein trauriges Geschick die Zunge. Allerdings ist das nicht in dem weitschweifigen Bekenntnis über seine Abendmahlsauffassung der Fall, das doch aus diesen Kämpfen herausgewachsen ist. Wohl aber bei der Wiedergabe der Seelenstimmung des um seines Glaubens willen Verfolgten. Im Kerker geht es ihm auf, wie wenig er Ursache zur Klage hat, wie alle Verfolgung nur dazu da ist, seine Verklärung herbeizuführen. „Während ich, des göttlichen Lichtes voll, Christus in der Brust schaue, schadet mir in dem Verließ nicht die Nacht, von der ich bedrückt werde. Die Finsternis, die den Körper beschattet, verdunkelt nicht den Geist. Libera dum mens est, quid mihi carcer obesi?" Wie die Gefangenschaft, so hat auch die darauffolgende Austreibung zu einer Reihe eindringlich wirkender Dichtungen Anlaß gegeben. In seinem „Hodoeporicon exilii" beschreibt Widebram die lange Wallfahrt, die er nach seiner Absetzung und
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Einkerkerung antreten mußte; er vergegenwärtigt die Aufenthaltsorte und seine Erlebnisse; er verweilt besonders gern bei denen, die ihn freundlich aufgenommen und unterstützt haben. Eindrucksvoll ist der Anfang, wie der Dichter, aus unwürdiger Gefangenschaft durch göttliche Hilfe erlöst, nun, ein Lied zum Preise Gottes auf den Lippen, frei dahinzieht: „... velut volucris, quae capta sub aucupe quondam, Clausa diu latuit, caveae pertaesa, sub auras Libera cum fertur, desuetum tempore longo Laeta melos renovans ludit super arbore carmen."
In der Erzählung der Erlebnisse findet sich manche ganz anschauliche Schilderung, aber wirklich zu fesseln versteht der Autor doch nur da, wo Familiengefühle in Betracht kommen, so wenn er das Wiedersehen mit seiner alten gebrechlichen Mutter schildert, und mehr noch, wenn er der zurückgelassenen Familie gedenkt, seiner Frau in Gedanken Trost zuspricht und es bitter empfindet, daß er nicht mit seinem erstgeborenen Töchterlein und ihren Geschwistern in behaglichem, durch die Musik verschönten Familienleben zusammen sein kann. Eindrucksvoll auch, wie er sie auffordert, um Erleichterung der Kümmernisse zu beten, ferner darum, daß die Familie, da sie nicht dem Körper nach vereint sein kann, es wenigstens dem Herzen nach sein möge. Hier bricht ein lebhaftes persönliches, unmittelbar wirkendes Gefühl durch. Daß der Dichter in den schweren Schicksalen, die 1574 über ihn hereinbrachen, sichtlich gereift ist, lehrt nicht bloß dieses „Reisegedicht", auch zwei Monologe legen davon Zeugnis ab. Es klingt der echte Ton der Wahrhaftigkeit hindurch, wenn Widebram auf der Fahrt ins Elend seiner Seele Mut zuspricht. Auch manche harte Wendimg vermag den Eindruck des unmittelbar aus dem Herzen quellenden Ergusses nicht zu gefährden: man glaubt bei dieser Zwiesprache mit dem eigenen Ich den verbannten Frommen auf der Landstraße hinziehen zu sehen, wie er in dem Gedanken Trost findet, daß das ganze Leben der Frommen nichts als ein Exil ist. — Der andere Monolog zeigt, wie der Dichter in der Verbannung empfand, wie er sich mit Beispielen, mit Trostgründen aufrichtet, wie er in Verwirrung und Not einen festen inneren Halt zu gewinnen sucht. Sind auch die Worte nicht immer poetisch, die Grundstimmung E Minger, Neulatclnlsche Lyrik 2.
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ist es, und unter den Zeugnissen für die Entwicklung des individuellen Lebens darf dieser Vorklang ganz persönlicher Lyrik nicht vergessen werden. — Noch eine viel eindringlichere Wirkung hat dann ein Größerer mit diesen Motiven ausgeübt, auch er unmittelbar aus der über ihn hereinbrechenden Verfolgung heraus, auch er in seinem Märtyrerschicksal das innigste Familiengefühl bekundend; es ist Nathan Chyträus. In dieselbe Zeit, in der Major mit seinen Satiren für Melanchthon eintrat, fällt der bemerkenswertere Teil der Lyrik des Hieronymus Osius. Auch Osius war wie Widebram ein Thüringer. Als Epiker wird er noch zu würdigen sein. Sein enkomiastisches Gedicht auf die Astronomie muß gleichfalls späterer Betrachtung vorbehalten bleiben, ebenso die halbepische Verherrlichung Stigels. Diese zeigt aufs neue, wie sehr man in Wittenberg noch immer den Zusammenhang mit dem älteren Poetenkreise, insbesondere mit Sabinus und Stigel, zu wahren wußte. Osius bekleidete wie Stigel die Professur der Poesie in Wittenberg; er erklärte die klassischen Schriftsteller und hat insbesondere einen Teil der griechischen Elegiker formgewandt ins Lateinische übertragen. Seine eigene Lyrik — fast ausnahmslos im elegischen Maß — zeigt wenig Bemerkenswertes. Er war so ehrlich, seine geringe poetische Gabe einzugestehen. ,.Parva mihi venae fauperis unda fluit", bekennt er. Allerdings ließen sich auf dem Gebiete, innerhalb dessen er sich bewegte, auch keine poetischen Wirkungen erzielen. Denn was er als Lyriker hervorgebracht, gehört in der Hauptsache der Gelegenheitsdichtung an. Dabei erscheinen dennoch zuweilen Gegenstände, die eindrucksvoll hätten gestaltet werden können. Der unerwartete Abbruch einer Heldenlaufbahn, wie der Moritzens von Sachsen, war ganz dazu angetan, dichterisches Vermögen zu wecken; und es wird noch zu zeigen sein, mit welchem Glück Joh. Bocer sich dieses dankbaren Gegenstandes bemächtigt hat. Osius begnügt sich, nachdem er vorsichtig über die in Wittenberg anrüchige Judaspolitik Moritzens hinweggeglitten, mit Lobsprüchen; und nur zuletzt gelingt ihm ein anschauliches Bild: er führt den sterbenden Helden vor, wie er Abschiedsworte an seine ferne Gemahlin richtet. Wo er aber sonst einen höheren Flug anstrebt, hört man zu deutlich das Gequälte heraus, so wenn er die Parzen wegen ihrer Untat anklagt, wobei wieder das mittelalterliche, schon von Acontius verwendete Wortspiel parca und
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parcere sich breit macht. So liefern diese und andere Gelegenheitsgedichte wenig Ertrag. Auch eine der gleichen Gattung angehörige Gruppe würde an sich nicht viel besagen, wenn sie nicht um ihres Stoffes willen eine Ausnahmestellung in Anspruch nehmen könnte. In der Geschichte der rdbies theologorum, die Melanchthons letzte Lebenszeit verbitterte, spielt das Wormser Religionsgespräch von 1557 eine wichtige Rolle; es gelang den Feinden Melanchthons, die es auf dessen Demütigung abgesehen hatten, durch ihre Haltung die Versammlung zu sprengen. Angesichts der traurigen Berühmtheit, die das Wormser Religionsgespräch dadurch gewonnen, erhält ein Gedichtzyklus des Osius, in dessen Mittelpunkte das bevorstehende Gespräch und dessen Teilnehmer stehen, eine erhöhte Bedeutung. Alle von Wittenberg abgeordneten Teilnehmer, an der Spitze selbstverständlich Melanchthon, erhalten Abschiedselegien; der Dichter empfiehlt sie dem Schutz der göttlichen Allmacht sowie der himmlischen Herrscharen und wünscht ihnen eine glückliche Heimkehr. Die zutage tretende Gesinnung ist löblich; aber eine gegenständliche Teilnahme wird nicht erweckt; nur einmal versucht Osius, ein deutliches Bild zu entwerfen, da, wo er sich die Rückkunft Paul Ebers zu Weib und Kind ausmalt. In dem Gedicht an Melanchthon wird auch der erkrankten Gattin gedacht; diese starb bekanntlich während der Abwesenheit ihres Mannes, und Osius stimmte aufs neue seine Leier zu einem Trauergesange auf Katharina Melanchthon. Dabei ist es lehrreich, zu sehen, wie seine Gedanken doch immer bei dem fernen praecepfor Germaniac weilen und wie er die Wünsche hier wiederholt, die er dem verehrten Manne schon persönlich zugerufen. Dann erst wendet er sich zu der Gemahlin selbst, ihre Keuschheit, Frömmigkeit, Schlichtheit und Wohltätigkeit vergegenwärtigend; zuletzt schildert er Tod und Begräbnis. Der Ausdruck, zuerst entsetzlich hart, befreit sich im Laufe der Darstellung ein wenig von den Schlacken des Prosaischen, obgleich sich in den Klagen über die dem Menschengeschlecht zugemessenen Leiden die Rhetorik ähnlich wie in dem Nachruf auf Moritz von Sachsen breit macht. — Die geringe Wirkung der an Melanchthon und dessen Begleiter gerichteten Gedichte erklärt sich zum Teil daraus, daß alles im allgemeinen stecken bleibt: es fehlt jeder Versuch, die Gegner Melanchthons auf der katholischen wie auf der protestantischen Seite zu charakterisieren. 9*
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möchte annehmen, daß Osius das Versäumte in einer Elegie: „Wider die Sophistik" nachgeholt h a t ; die Ausführungen könnten sich gegen die Gnesiolutheraner, also insbesondere gegen Flacius, richten. Doch nennt Osius auch hier, entsprechend seiner etwas leisetretenden Art, keinen Namen, wenn er auch in der Sache seinen Standpunkt deutlich genug bezeichnet: „Cur alios diro lacerant tua scommata morsu, Quos maculant mar um crimina nulla, viros? Facta probas tantum cur stulto propria plausu, Facta valere nihil cur aliena refers? An quia solus sapis, te nullus occupai error Et vitio quidquam quod dare nemo polest? Sive quod unam omnes (tua quod deliria fingunt) Dotibus ingenii te superare putas? . . . Sed meritas tandem dabis hoc pro crimine poenas, Ultio caelestis vindicat omne nejas." Ähnlich wie Major und Widebram hatte auch Kaspar Peucer (geb. 1525 zu Bautzen in der Lausitz, gest. 1602) unter der Verfolgung der Philippisten und Kryptokalvinisten zu leiden. E r war Melanchthons Schwiegersohn, seit 1554 Professor in Wittenberg, später Leibarzt des Kurfürsten August. Wegen angeblicher Versuche der Einführung von Irrlehren hat er zwölf Jahre in der Gefangenschaft zugebracht. Eine Geschichte der Lyrik darf an seinem „Idyll von der Lausitz" nicht vorübergehen, obgleich das Werkchen als Ganzes in einen anderen Zusammenhang gehört. Denn der Eingang und der Schluß des Idylls sind lyrischer Natur, unmittelbare Herzenstöne, die hinter der nicht durchweg gelungenen Form überall zu vernehmen sind. Peucer schrieb das „ I d y l l " 1583 als Gefangener auf der Pleißenburg, und dem im Kerker Schmachtenden drängte sich die Erinnerung an die goldene Zeit der Jugend unmittelbar auf. Und so spricht er denn in den Anfangsversen von dem den Menschen eingepflanzten Trieb zum Vaterlande, so überzeugend, so von innen heraus, daß man selbst das gräßliche „Laudabunt alii", mit dem das Gedicht beginnt, übersieht. Noch höher aber steht der Schluß. Da erzählt er, unter welchen Verhältnissen das Werkchen entstanden, und in schlichten Worten legt er dar, was für eine Hoffnung ihn im Leiden aufrecht erhält; er zeigt ferner, daß er der Gesinnung treu geblieben, die die Ursache
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seines Leidens war. Rührend auch, wie der Gefangene für Obrigkeit und Untertanen, für Kaiser und Reich betet und um Abwendung alles Unglücks, um Schutz vor den Türken fleht: eine treue, deutsche Natur, die das unverdiente Unglück nur geläutert, nicht verbittert hat. Dem Wittenberger Kreise darf man auch Bruno Seidel zurechnen. Von den bisher betrachteten Poeten unterscheidet er sich dadurch, daß trotz religiöser Neigungen die Kämpfe innerhalb der lutherischen Kirche bei ihm keinen starken Widerhall gefunden haben. Vielleicht erklärt sich dies aus folgendem Umstände. Als Seidel in Wittenberg studierte, hatten freilich die bösartigen Angriffe auf Melanchthon schon begonnen, aber es war doch noch für andere Interessen Raum, auch wurde Seidel nach einigen Jahren der vergifteten Atmosphäre entrückt. Geboren um 1530 zu Querfurt, wo nach seinem Zeugnis die Musen keine Stätte gefunden haben, studierte er von 1546 an in Wittenberg, bereiste dann 1550 Deutschland und setzte hierauf das begonnene Studium der Medizin in Padua fort. Nach seiner Heimkehr war er als Arzt in Arnstadt tätig, wandte sich später nach Erfurt, wo er 1566 Professor der Physik wurde; hier in Erfurt ist er 1591 gestorben. In seinem Mannesalter hat er sich auf dem Gebiet der Medizin und der Naturwissenschaften als Lehrer und Schriftsteller mannigfach und mit Erfolg betätigt; er war ein Gegner des Paracelsus und Anhänger der Medizin der Alten, ohne manche hergebrachte Übertreibungen zu teilen. Aber er begnügte sich nicht mit seiner Fachwissenschaft, sondern deckte auch wichtige literarische Quellen auf und veröffentlichte eine lateinisch-deutsche Sprichwörtersammlung (1568, dann vermehrt 1572 und wesentlich bereichert 1589); sie zeigt ihn als einen fleißigen, kenntnisreichen, selbständigen Sammler; daß er das wahrhaft Volkstümliche nicht zu schätzen wußte, nimmt bei dem Neulateiner nicht wunder. Seine Gesamttätigkeit lehrt, daß man es mit einem beweglichen, nicht einseitig begrenzten Geiste zu tun hat. Dieser Grundzug seines Wesens offenbart sich schon in seiner Frühzeit. Ihr entstammen seine poetischen Gaben, die er 1555 in sieben Büchern zusammengestellt hat; der hübsche Vorspruch, mit dem der Dichter nach der Weise der Neulateiner und nach dem Vorbilde der Alten sein Büchlein in die Welt hinausschickt, berichtet, daß manche Stücke der Sammlung schon im Knabenalter ge-
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schrieben sind, die meisten ungefähr im zwanzigsten Jahre. Es ist wohl keine erheuchelte Bescheidenheit, wenn er den Kunstwert seiner Poesie nicht allzuhoch einschätzt; mit den Worten „auch die am Boden kriechende Pflanze ist besser als keine" bringt er zum Ausdruck, weshalb er gleichwohl vom Singen nicht ablassen will. In der Tat gewähren nun seine Elegien und Oden ein freundliches Bild; persönliches Leben spricht sich aus; und es verschlägt nichts, daß sich keine starke Eigenart geltend macht. Seidel ist ein guter Lutheraner und ein heftiger Gegner der alten Kirche. Bei Luthers Tode läßt er das feste Vertrauen auf den Sieg der Wahrheit über Angst und Sorgen triumphieren; und die gehobene Sprache, die in diesen beiden Oden auch über frostige Allegorien hinweghilft, bezeugt, wie sehr seine Seele dabei beteiligt ist. Hussens bekannte Weissagung auf Luther wird zu einem horazisch verbrämten Monolog ausgestaltet. Neben Luther gilt Seidels Verehrung namentlich seinem Lehrer Melanchthon. Aber nicht bloß religiöses, auch nationales Hochgefühl schwellt seine Brust; in einer Elegie spricht er über seinen Vornamen, den er mit Brennus zusammenbringt; das seltene Vorkommen dieses den alten Germanen so geläufigen Namens erklärt er aus dem Niedergang deutscher Tüchtigkeit: „Da ich ein Deutscher bin, freue ich mich, mit einem deutschen Worte gerufen zu werden, und ich schäme mich nicht, den Namen des Brennus zu tragen." — Wie er hier ein Bekenntnis seiner Sinnesart ablegt, so hält er anderswo Bilder aus dem äußeren Leben fest; im winterlichen Unwetter, wo Himmel und Erde in eine Farbe getaucht sind, wandert er unter mancherlei Mühsalen von Wittenberg nach Mansfeld; von dort durchquert er auf dem Wege nach Nürnberg den Thüringer Wald; nach der Weise derZeit kommt ihm hier nicht das Liebliche, Anmutige, sondern das Furchterweckende, Schauerliche zum Bewußtsein, und freundlich gedenkt er nur der Quelle, die inmitten dieser Wildnis dem Wanderer Erquickung spendet; nicht ohne einen Anflug von Selbstpersiflage schildert er durch einen Vergleich mit Schiffbrüchigen ganz anschaulich, wie er und seine Reisegefährten bei einem Wolkenbruch vollständig durchnäßt werden. In Nürnberg erlebt er die furchtbare Heimsuchung der Umgegend durch den wilden Markgrafen Albrecht Alcibiades mit; wie tief ihn aber auch das Unglück erschüttert, er verliert doch den Humor nicht ganz; seinen Freunden hatte er Gedichte zu schicken versprochen; sie wundern sich, weshalb die Sendung ausbleibt. Er
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aber erklärt, daß er die unkriegerischen Elegien nicht habe schicken können, denn Weg und Steg seien unsicher; überall lauere der Feind im Hinterhalt, töte die Wanderer mit mörderischem Eisen oder knüpfe sie am nächsten Baume auf. Die Elegien würden aber nicht imstande sein, sich aus solcher Gefahr durch die Flucht zu retten, weil ihr eines Bein kürzer sei als das andere; deshalb habe er sie zurückgehalten. Wenn er sich aber auch in diesem Falle mit einem von Georg Sabinus entlehnten Witz über die Schwere der Zeit hinwegsetzt, so bleibt die Grundstimmung doch bedrückt. Nicht bloß zu Klagen, sondern auch zu wiederholter ernster Mahnung gibt ihm die Schreckensherrschaft Anlaß, und mit Wehmut gedenkt er angesichts des furchtbaren Umsturzes seines geistigen Strebens: „Was sollen in solchem Drang meine friedlichen Musen?" Ebenso wie diese Stoßseufzer sind zahlreiche Gedichte rechte Kinder des Augenblicks. Als er nach einer Kneiperei, bei der er harmlos mit einem Mädchen gescherzt, im Katzenjammer und verdrießlich über die Liebelei aufwacht, steht Thalia an seinem Lager: er beichtet ihr und erhält den Rat, Enthaltsamkeit zu üben; dann werde sich der frühere Zustand von selbst herstellen. Eine Ode zeigt ihn mit Sorgen und Kümmernissen ringend und aus der Bitterkeit über Nichterfüllung seiner Wünsche zu ruhiger Ergebung in Gottes Willen hinstrebend. In einer anderen Ode entbietet er dem Bettlein seinen Gruß und erhofft vom Schlafe das Vergessen von Sorge und Traurigkeit. Wiederholt lernen wir ihn als Vogelfreund kennen. In einigen Oden steht der Inhalt in einem (wohl gewollten) Gegensatz zur poetischen Form. Da erzählt er von einer schmähsüchtigen Nürnberger Alten, die ihn mit Worten zerrissen, wie die bacchustollen Frauen den Pentheus, aber beschämt hat abziehen müssen. Oder er beklagt sich (wahrscheinlich auf einer Reise) über schnöden Nachtbesuch, und, den „Atta Troll" vorahnend, sagt er: „Der Verbrecher sollte zur Strafe in ein Wanzenbett gelegt werden. Schlaflos bringt der Gequälte die Nacht zu, muß sich entweder stechen lassen oder den fatalen Geruch der zerdrückten Wanzen ertragen." Handelt es sich bei den zuletzt besprochenen Oden auch um bedeutungslose Gegenstände, so erkennt man doch, wie Seidel aus allem, was ihm begegnet, dichterische Nahrung zieht und sich dadurch zu individuellen Tönen erhebt. Gegenüber dem in seinen Grundzügen Besprochenen treten die
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anderen Leistungen zurück; seine Idyllen wiegen nicht schwer; sie werfen nach gewohnter Weise persönlichen Empfindungen ein pastorales Kostüm über, so in einer Klage über den Tod desWittenberger Lehrers Marcellus, der auch sonst öfter trauernd erwähnt wird. Zwei komische Erzählungen werden später besprochen werden. — Da die meisten Elegien v o r den Oden entstanden sind, so kann man die kurze Entwicklung mit einiger Sicherheit verfolgen: es findet ein Aufstieg statt, woran die Tatsache nichts ändert, daß man auch in den Oden noch vielfach durch nüchternen Ausdruck gestört wird. Nach alledem muß es beklagt werden, daß Seidel so früh der neulateinischen Poesie den Abschied gegeben; er hätte gewiß noch manches zu sagen gehabt. Nach anderer Seite biegt Thomas Mauer von der Grundrichtung des jüngeren Wittenberger Kreises ab (geb. 1536 zu Tribul in Schlesien, gest. 1575 als Superintendent in Lüneburg). Um die Lehrstreitigkeiten, die in jener Zeit das innere und äußere Leben der Wittenberger erschütterten, scheint sich Mauer wenig gekümmert zu haben; sein Sinnen und Trachten war ganz der religiösen Dichtung zugewendet; unter dem Himmel, meint er, gebe es keinen reineren Genuß als eine den heiligen Gegenständen zugewendete Sangeskunst, eine Tatsache, für die er sich in erster Reihe auf den Psalmisten, in zweiter auch auf Vida beruft; in der Tat erinnern Mauers Versuche an die Art von Vidas religiöser Lyrik, die, wie seinerzeit hervorgehoben worden ist, dem deutschen Neulateiner besonders nahestand. Daß Mauer wirklich ganz von seiner Aufgabe erfüllt war, lehren die Schlußworte des soeben in seinem Inhalte angedeuteten Eingangsgedichtes: utinam Christus sie forlunasset Cursum voluntatis meae, Ipsius ut tenui describens carmine Vere celebrassem decus."
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Jesus laudes
Es entspricht diesem Vorsatz, daß die in Wittenberg verfaßten und veröffentlichten Gedichte durchweg religiöser Natur sind (zwei Bücher, 1560). Mauer behandelt Verkündigung und Geburt und findet namentlich bei der Verkündigung einige anschauliche Züge; auch das Verhalten der Hirtenwelt nach dem Erscheinen der himmlischen Heerscharen sucht er durch eigene Erfindungen zu verdeutlichen. Dagegen scheitert er vollständig bei den Gegenständen, die eine pathetische Behandlung nahelegen, so bei
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der Leidens- und Auferstehungsgeschichte, sowie bei einem nach dem bekannten Schema gearbeiteten „Triumph Christi". Diese wie die anderen religiösen Gedichte Mauers stehen ungefähr auf dem Standpunkte der frühen geistlichen Lyrik Widebrams, dem Mauer allerdings in der Leichtigkeit von Sprache und Versbau überlegen ist. Es gelang jedoch Mauer nicht, im Laufe der Zeit seine Lyrik so wie Wiedebram durch einen persönlichen Ton zu beleben. Vielmehr entwickelte sich sein Schaffen in absteigender Linie. Zwar muß anerkannt werden, daß er auch im späteren Leben der neulateinischen Poesie treu blieb. Aber diese Früchte seiner Spätzeit, die „in der berühmten Stadt Lüneburg" von 1565—70 geschrieben worden sind (sieben Bücher 1570), zeigen sich noch unfruchtbarer als die erste Sammlung. Wie Mauer, so landete auch der Eisenacher Heinrich Husanus (Hausen), geb. 6. Dezember 1533, schließlich in Lüneburg, wo er als Syndikus am 9. Dezember 1587 starb. E r wurde 1553 in Wittenberg immatrikuliert. Auch auf ihn hat Melanchthon eingewirkt. Aber die Liebe zur Poesie war schon vorher durch Johannes Stigel in ihm erweckt worden, dessen Schüler er in Eisenach gewesen ist, und dem er dauernde Verehrung über das Grab hinaus bewahrt hat. Von den Mitgliedern des jüngeren Wittenberger Kreises stand ihm sein Thüringer Landsmann Friedrich Widebram am nächsten; doch verknüpften ihn auch enge Beziehungen mit Nicolaus Selnecker und David Chyträus. An poetischer Begabung überragt er Mauer ganz erheblich. Für die Geschichte der neulateinischen Dichtung wird er dadurch besonders wichtig, daß die Entwicklung seines Schaffens sich im einzelnen verfolgen läßt, und auch die durch den Verlauf seines Lebens gegebenen Antriebe deutlich erkennbar sind. In Wittenberg begann er mit religiösen Gedichten auf Weihnachten (In natalem), auf den Kreuzestod und die beiden Schacher (de miranda obedientia et sacrificio filii dei), auf Johannes den Täufer, daneben behandelt er auch in religiösem Sinne ein damals in Thüringen vorgekommenes ungewöhnliches Naturereignis (1554 und 1555). Diese Anfangsversuche überwinden allerdings die trockene Prosa selten, und nur Johannes d. T. wird als Vorläufer Christi hübsch charakterisiert (wobei eine Anregung durch E v . Joh. I, 9 wahrscheinlich ist): „Ut, velut in roseis julgens aurora quadrigis Admonet optatum non -procul esse dient:
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Sic nova surgentis caneres primordia lucis, Quae tenebras radiis sustulit orta suis." Wesentlich umgearbeitet, wurde der Täuferhymnus mehr als zwanzig Jahre später in die von Nathan Chyträus besorgte Ausgabe der Gedichte des Husanus aufgenommen ( 1 5 7 7 ) . Neben diesem wichtigsten Denkmal seines Schaffens kommen noch einige vorher und nachher veröffentlichte Sammlungen in Betracht, darunter zwei in Husanus Todesjahre (1587) erschienene Bündelchen versifizierter Gebete auf die Sonn- und Festtage des Jahres (Dierum dominicarum preces anniversariae. 2. Aufl. 1601). Doch bleibt die Hauptquelle das Gedichtbuch von 1577. — Angesichts des nahen Zusammenhangs von Leben und Poesie erscheint es notwendig, die Erdenlaufbahn unseres Poeten genauer zu verfolgen. Nachdem Husanus in Wittenberg zunächst den artistischen Kursus durchgemacht und dann Medizin studiert hatte, wandte er sich in Ingolstadt, hierauf in Bourges dem Rechtsstudium zu. Aus dieser oder der unmittelbar folgenden Zeit stammt das eine der beiden erotischen Erzeugnisse unseres Dichters. In Lyon lernte er 1558 ein schönes Mädchen namens Theodora kennen und schilderte nun einem Freunde, wie Feuersglut sein Herz verzehre und die Qualen nicht gestillt werden könnten, da die eiskalte Geliebte ihn nicht erhören wolle. Gern vernähme man solche Klänge noch öfter; aber Husanus hat nur noch einmal seine Leier auf diesen Ton gestimmt. Wohl erst in der Zeit, da er wieder nach Deutschland zurückgekehrt war (Ende 1559 oder Anfang 1560 ?), entstand eine Elegie „an die Geliebte": wie die Muschelperle hoch über allen anderen Perlen steht, so übertrifft seine Margaris alle anderen Mädchen; weder in urbe noch in orbe hat sie ihresgleichen. Der Dichter rühmt den rosigen Mund, die lachenden Augen, den Bogen der Brauen, den Liebreiz der Stirn, die goldenen Haare. „Quid mollesve manus contractu vel ilia dicam, Aut teretes digitos exiguumve pedem? Cetera non possunt sub amictu tecta videri, Quae quam tecta latent, tarn, meliora puto. Corporis accedit proportio congrua membris Mensuramque suam convenienter habet." Allerdings wird das hübsche Gedicht durch die Nüchternheit der Zeit entstellt; denn Husanus mahnt schließlich die Geliebte,
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sich nicht allzusehr auf die vergängliche Schönheit zu verlassen, sondern nach Gottes Reich zu trachten und sich durch Liebenswürdigkeit und Nachgeben die Gunst des Gatten zu sichern. Der angehängte Zopf macht es wahrscheinlich, daß Husanus der Angesungenen gegenüber ernsthafte Absichten hatte, denen jedoch wohl kein Erfolg beschieden war: die Vereinigung von Schwärmerei für die Reize der Geliebten und salbadernder Pedanterie wird man auf die Rechnung der ästhetischen Unreife des Zeitalters setzen müssen. Von Bourges begab sich Husanus nach Padua, um seine Studien fortzusetzen. Auch in Padua feierte seine Muse nicht. Und unter den wenigen Stücken, die uns aus dieser Zeit erhalten sind, ist wenigstens eines, das sich als ein unmittelbares Erzeugnis des Augenblicks ausweist, von dem Drange diktiert, dem Bedürfnis des Herzens Ausdruck zu geben. Husanus erkrankte Ostern 1559 in Padua schwer und glaubte sein Ende nahe. Was ihn im Angesichte des Todes bewegte, sprach er in einer Elegie aus. Das Osterfest gibt ihm die Veranlassung, sich bittend an den •wiedererstandenen Heiland zu wenden ; das Erwachen der Natur dient zur Kontrastierung des eigenen Leidens, ähnlich wie es in einer später zu behandelnden Elegie des Petrus Lotichius Secundus geschieht. Er beschreibt seinen körperlichen Zustand und nimmt von Eltern und Heimat Abschied, wobei ihm die von Nesse und Hörsei durchströmte heimische Flur lebhaft vor Augen steht. Im einzelnen fehlt es nicht an Härten und nüchternen Wendungen, aber das Ganze wirkt doch wie ein Naturlaut, lind für die wahre Empfindung wird nicht selten das treffende Wort gefunden: ,,Quis mihi, sub ramis ut captem frigus opacum Et jaceam toto corpore /usus humi? Quis dabit, in fauces ut ad ultima verba rigandas Unica de vestris guttula roret aquis? Quis dabit, ut patrio prius e lare surgere fumum, Quam mihi mors oculos comprimât, aspiciam? . . . Dulce solum natale vale, salvete parentes, Auferor, et jam pars mortua magna mei est."
Allerdings tragen diese Jugendarbeiten noch vielfach den Stempel des Ungelenken, Unfertigen, aber was gegeben wird, ist doch Gelegenheitspoesie in gutem Sinne. Allein der sein späteres
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Schaffen bezeichnende Grundzug tritt freilich noch nicht erkennbar hervor. Er mußte erst durch das Leben geweckt werden. Nach seiner Rückkehr aus Italien arbeitete er zunächst kurze Zeit beim Reichskammergericht in Speier und trat dann (1560) als Rat in den Dienst seines angestammten Landesherrn, des Herzogs Johann Friedrich des Mittleren. Dieser trug sich damals mit den von Grumbach inspirierten Plänen, die später seinen Sturz herbeiführen sollten. Um Johann Friedrichs Standpunkt in der Grumbachschen Angelegenheit zu wahren, wurde Husanus auf den Augsburger Reichstag von 1566 geschickt; die Besorgnis, daß er selbst in das dem geächteten Grumbach drohende Unheil verwickelt werden könnte, veranlaßte ihn, aus Augsburg zu fliehen, Heimat und Amt zu meiden. Die Folge war, daß er nicht bloß von Johann Friedrich und dessen Brüdern als Verräter betrachtet, sondern ihm auch sein Grundbesitz in Jena beschlagnahmt wurde. Dieses freilich nicht ganz unverschuldete Schicksal hat in sein poetisches Schaffen tiefe Spuren eingegraben. Das ihm nach seiner Meinung angetane Unrecht erfüllte ihn mit tiefer Bitterkeit gegen den undankbaren Hof und verstärkte den vorhandenen religiösen Zug, der sich von nun an namentlich in dem Vorsatz kundtut, sein Vertrauen nicht mehr auf die trügerischen Zusagen der Menschen, sondern allein auf den nie täuschenden Gott zu setzen. Obgleich er bei dem pfälzischen Kurfürsten Schutz fand, fühlte er sich doch entwurzelt, und aus dieser Stimmung heraus richtete er einige Monate nach seiner Flucht an Nicolaus Seinecker eine längere Elegie. Sie gibt über seinen Seelenzustand Aufschluß. Der flüchtig umherirrende Verbannte beklagt sich in bitteren Worten, daß ihm für die vielen dem Vaterlande geleisteten Dienste der „höfische Lohn" zuteil werde. Und als echter Humanist denkt er bei der erlittenen Kränkung sogleich an eine viel nachgeahmte antike Allegorie: der von Irrtum und Verdacht umgebene König läßt sich durch die Verleumdung und den Neid zu ungerechter Verurteilung eines Unschuldigen verleiten, während Verrat und Hinterlist Stricke und Folterwerkzeuge herbeibringen, die Reue aber weinend nachfolgt und vergebens die in Begleitung von Scham und Trauer erscheinende Wahrheit herbeiruft. Dieses Bild schwebt ihm Tag und Nacht vor. ,,Quam vereor, mores haec ne lugübris imago Nostra quibus pessum nunc datur aüla, notet!
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Quam vereor, tristes ne poenae moribus istis In domini crescant ultima damna mei!"
Die Wurzel alles Übels erblickt er in dem Fehlen der Gerechtigkeit; ohne diese sind ihm die Staaten nur Räuberbanden; Ungerechtigkeit führt zu tyrannischer Willkür und allen anderen Lastern, denen der Gerechte schweigend zusehen muß. Unter solchen Zuständen hat auch er jetzt zu leiden, und mit besonderer Trauer erfüllt es ihn, daß ihm das Leid durch sein Heimatland zugefügt wird: „0 natale solum, quanto maerore fatigas Hoc cor et angori non sinis esse modum! Siste tarnen luctum, mens aegra, deoque regenti Omnia commendans hoc quoque perfer onus!"
So setzt er all sein Vertrauen auf Gott und Christus und bittet sie um ihren Schutz. Die wesentlichsten Merkmale von Husanus' späterem Schaffen sind in dieser Elegie bereits enthalten. Sein Geschick gestaltete sich bald freundlicher. Er wurde durch Johann Albrecht von Mecklenburg 1567 zum Rat und nach kurzer Zeit zum Kanzler ernannt. Während dieses Amtes sind von ihm gesetzgeberische und politische Wirkungen bedeutsamer Art ausgegangen. Auch in Lüneburg, wohin er 1574 übersiedelte, ist er mit großem Erfolge in der gleichen Richtung tätig gewesen und hat außerdem noch immer den Herzögen von Mecklenburg mit seinem Rate beigestanden. Diese in der Geschichte der Jurisprudenz unvergessenen Verdienste können hier nicht gewürdigt, aber sie dürfen auch nicht ganz übergangen werden, weil sie die geistige Leistungsfähigkeit des Mannes kennzeichnen und weil sie zum Verständnis seiner Dichtung unentbehrlich sind. In ehrenvoller Stellung am Mecklenburger Hofe hätte Husanus, wie man meinen sollte, über die ausgestandenen Leiden hinwegkommen müssen. Allein auch innerhalb der neuen Umgebung brannte die alte Wunde weiter. Frühzeitig in seiner Kraft gebrochen, war er mit Arbeit überlastet, ohne daß diese genügend anerkannt worden wäre. Nicht einmal das ihm zukommende Gehalt erhielt er pünktlich und mußte immer von neuem um Zahlung der Restsummen bitten. Dazu kamen andere Mißhelligkeiten, auch Kränkungen seitens des Herzogs erfolgten; selbstverständlich stieß er auch bei der Durchführung der ihm
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übertragenen Geschäfte auf viel Widerwärtiges — genug, um seine Abneigung gegen den Hofdienst immer von neuem wachzurufen. Schon zwei Jahre nach der Übernahme des Mecklenburger Amtes gewann diese Stimmimg bei ihm die Oberhand, wie die 1569 entstandene Elegie: „ W u n s c h " iyotum) bezeugt. Durch eine Stelle aus Politians Silve: „ D e r Landmann" (Halbband 1 , S. I77f.) angeregt und zum Teil mit wörtlicher Anlehnung an d e n l t a liener preist Husanus den glücklich, der fern vom Hofe, fern von dem Getriebe der Welt und den sie bewegenden Leidenschaften, nur sich sowie der Familie lebt und schließlich die stillen, vom Makel unbefleckten Tage in Ruhe beschließt: „0 conclude meos hoc tandem (ine labores, Enecat oppressum me quibus aula, Deusl" Der tiefe Überdruß, der in den Schlußworten zum Ausdruck kommt, kehrt auch sonst häufig wieder. 1573 fiel Husanus in eine tödliche Krankheit. Wieder wie einst in Padua sprach er aus, mit welchen Gefühlen und Gedanken er dem erwarteten Ende entgegensah. In zwei inhaltlich voneinander abweichenden Elegien nahm er Abschied vom Leben: die eine ruft Hilfe und Gnade Christi an, die andere gestaltet sich zu einem Rückblick auf sein Dasein. E r gedenkt des ihm geraubten Besitzes in Jena, des üblen Lohnes für seinen Hofdienst, des Unglücks, das durch Grumbach über ihn gekommen ist. Und er hält dem, der sich zu höfischem Amte drängt, sein eigenes Beispiel warnend vor. Obgleich er die ihm zuteil gewordenen, allerdings durch die Grumbachschen Wirren gestörten Lebensfreuden nicht unterschätzt, scheinen ihm doch die Leiden zu überwiegen, und er begrüßt daher den Tod mit Freuden: „0 praeclara dies, qua tot perpessa dolores, Haec anima in superas est abitura domos!" Auch diesmal trogen ihn die Todesahnungen, aber die Krankheit hatte ihn doch so mitgenommen, daß er sich der anstrengenden Tätigkeit in Mecklenburg nicht mehr gewachsen fühlte. Er bat daher um seine Entlassung. Für die Rolle, die die Poesie in seinem Leben spielt, ist es bezeichnend, daß er dieses Gesuch nicht bloß in der vorschriftsmäßigen Form, sondern zugleich auch in einer Elegie vortrug. In diesem, nicht Bitte, sondern „Forderung" {postulatum) überschriebenen Gedichte erklärt er,, daß seine Schultern die schwere Last nicht mehr zu tragen ver-
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möchten; den noch nicht Vierzigjährigen verlangt nach Ruhe, nach Sammlung, vor allem aber nach der Beschäftigung mit seinen Büchern, die er seit fünfzehn Jahren nicht habe ansehen können. Und der Klage darüber, daß ihm der Hofdienst keine Zeit zur inneren Einkehr gelassen, leiht er die hübsche Form „Et mea paulatim ceu jäbula praeterit aetas, Ignotumque mihi me jacit aula mori." W i e stark in allen diesen Arbeiten das individuelle Gefühl nach der Weise des 16. Jahrhunderts religiös gewendet ist, ergibt sich aus dem bereits Mitgeteilten. Aber auch der rein religiösen Dichtung ist Husanus seit seinen Wittenberger Anfängen treu geblieben. Wohl schon in die Tage nach seiner Flucht aus Augsburg (1566) fällt die Elegie: „Die Engel'', wahrscheinlich von Stigels gleichnamigem Gedicht angeregt (vgl. S. 76) und wie dieses als Beispiel für den von den Engeln gewährten Schutz Kindheitserinnerungen beibringend. Die anderen religiösen Versuche gehören der späteren Zeit seines Lebens an. Der Zusammenhang mit der Amtstätigkeit und den bitteren Empfindungen, die sie ihm erweckte, läßt sich auch bei dieser Seite seiner poetischen Bemühungen nicht verkennen. Zu seinen größten politischen Siegen gehörte die Beilegung des Streites zwischen den mecklenburgischen Herzögen und der Stadt Rostock. Allein bis zuletzt w a r Husanus seines Erfolges nicht sicher, und drei Tage vor dem Friedensschlüsse erzählt er, wie ihm bei den Verhandlungen z u Mute war, wie er, zwischen schwacher Hoffnung und Furcht hinund herschwebend, Gelegenheit hatte, die verborgenen Leidenschaften zu studieren, wie ihn das hergebrachte Los des Vermittlers traf, von beiden Seiten Schläge z u empfangen. Über diese trübe Stimmung, die er ebenfalls poetisch festgelegt h a t , suchte er sich durch die religiöse Dichtung zu erheben. Unter dem Titel: „ B i l d e r " (Imagines) verfaßte er einen kleinen Zyklus, der 1573 veröffentlicht wurde und dann, beträchtlich vermehrt, in die Sammlung von 1577 überging. Hier erscheinen sie als „ F r ü c h t e der Nebenstunden" mit der Aufschrift „mosaische B i l d e r " ; es sind kurze Umschreibungen von Stellen aus dem ersten und zweiten Buche Mosis; der Wiedergabe folgt dann entweder eine Anwendung auf das Neue Testament oder eine allegorischreligiöse Ausdeutung im christlichen Sinne. So wird das Geschick Josephs (bis zu seiner Befreiung aus dem Kerker) mit
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dem Christi verglichen; die Säule, die den Israeliten vorleuchtet, ist Christus, und es kommt dem Dichter sicher von Herzen, wenn er bei dieser Gelegenheit ausruft: „0 lux in tenebris, o nobile tegmen in aestu, Huc umbram, radios huc iace, Christe, tuos!" In den „mosaischen Bildern" selbst finden sich Beziehungen auf einzelne Lebensvorgänge nicht. Ähnlich verhält es sich mit dem letzten Werk des Dichters, seinen bereits erwähnten „Bitten". Aber wie bei den „Bildern" lehrt der ausdrücklich hervorgehobene Ursprung des Werkchens hier ebenfalls, wie stark auch dieses als ein Zeugnis des inneren Erlebens anzusehen ist. In der poetischen Vorrede mahnt Husanus seinen Sohn, diese „Bitten" mit reinem Sinne aufzunehmen. Dabei erzählt er von der Entstehung der Dichtung. Er hat sich auf sein fisch-, wald-, weidenund gartenreiches Tessiner Landgut zurückzezogen; überdrüssig des Podagras, der Stadt und des Hofes, „gebe ich mich", wie er schön sagt, „mir selbst wieder". Und wenn andere Karten spielen, die Becher leeren, nichts oder nur das Notwendige tun, benutzt er die Ruhe der festlichen Tage, um sich mit seinem Gott zu unterreden, „hingestreckt unter der breit ausladenden Eiche oder im Schatten der Buche oder auf dem weichen Grase des Rasens nahe am Wasser, während die Herden die grünen Weiden durchziehen und die gefiederten Sänger mir ihr Lied entgegentönen". Diesem ganz persönlichen Eingang entsprechen allerdings die Gebete selbst nicht. Schon die Gesamtausgabe von 1577 hatte ein „tägliches Gebet" des Verfassers gebracht. Das umfängliche Gedicht verwendet den Hexameter, während Husanus sich sonst fast ausnahmslos des elegischen Maßes bedient. Unter allzu ausgiebiger Rekapitulation der heiligen Geschichte legt der Dichter seine Wünsche für sich und alle anderen Menschen am Throne der Allmacht nieder. So weit auch der Kreis der Fürbitte gespannt wird, es lassen sich doch auch persönliche Klänge vernehmen: Husanus' tiefe Bitterkeit macht sich Luft, wenn er von den Fürsten spricht, „qui vincula legum Laxa sibi faciunt, aliis strictissima nectunt." In den beiden Büchern der „Bitten" tritt dagegen das Persönliche ganz zurück; sie sind lediglich als ein in der Form allerdings vortrefflich gelungenes Zeugnis des frommen Sinnes bemerkenswert.
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Stärker regen sich die persönlichen Elemente in den anderen religiösen Gedichten des Husanus. Wenn er z. B. Christus anfleht, ihm trotz seiner Sünden Gnade angedeihen zu lassen, so tritt schon bei ihm das später aus dem Religiösen ins allgemeine gewendete Bekenntnis der Zweiseelennatur auf: ,,Ecce duas isto circumfero corpore partes, Pugnantes securn dissimilesque sui."
Die eine Seele ist die gottähnliche, die andere die durch den Fall verderbte Natur, die den Menschen zu Sünde und Frevel hinreißt. Bei der Durchführung des Motivs läuft manches Prosaische mit unter, aber der persönliche Einschlag hilft auch hier über die ästhetischen Mängel hinweg. Die Gelegenheitsdichtung des Husanus — das Wort im engeren Sinne genommen — bietet nur wenig Wertvolles, obgleich z. B. die Trauergesänge auf den Tod Melanchthons und Stigels manche Aufschlüsse über Leben und Entwicklung des Dichters gewähren. Am nächsten tritt Husanus dem Leser da, wo das Familiengefühl ihm die Zunge löst. Ergreifend, wie er beim Tode seines kleinen Söhnchens dem Schmerze Ausdruck gibt, sich aber dann doch dem Willen Gottes unterwirft und im Hinblick auf das dem Kinde in der Ewigkeit erblühende Glück Trost findet: „Quid fremo, quid ringor? patrium moderare dolorem, Triste cor, et iusto disce silere Deo!"
Außer den besprochenen Versuchen hat sich noch eine Reihe von Sinnsprüchen und Ansätzen zu Lehrdichtungen erhalten. Sie warnen vor Überschätzung des hinfällig Irdischen, zeigen als einzig sicheren Hafen das Gottvertrauen, heben die Schattenseiten des Weltgetriebes hervor, insbesondere die der Fürstenhöfe, aus denen heraus sich der Verfasser nach der Einsamkeit sehnt: „Quo diuturna magis, mihi gratior omnis Exulat ex aula cum probitate fides."
eremus,
Gerade in derartigen Stoßseufzern kommt die Persönlichkeit aufs unmittelbarste zur Geltung. Husanus verdient in den Vordergrund gerückt zu werden, weil sich bei ihm, wie selten bei den neulateinischen Poeten, die Gelegenheit bietet, Leben und Poesie in ihrer Wechselwirkung zu erkennen. Die Dichtung ist ihm kein müßiges Spiel, sondern sie wird zum notwendigen Ausdruck seines Innenlebens. Und schlicht wie E l l i n g e r , Ncutatelnlache Lyrik 2.
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die Grundzüge seiner Natur gestaltet sich auch die äußere Form. Doch handhabt er den Vers mit Geschmack, und in der Anbringung der aus den römischen Dichtern entlehnten Flicklappen weiß er Maß zu halten. Der Freund des Husanus, Nikolaus Seinecker (1530—92), ist aus der Geschichte des religiösen Lebens im ausgehenden Reformationszeitalter wohlbekannt. Trotz dauernder Verehrung für Melanchthon schloß er sich dem strengen Luthertum an und kehrte diesen Standpunkt geflissentlich hervor, ohne das Mißtrauen der Zionswächter entwaffnen zu können. In den dogmatischen Streitigkeiten der Zeit, die ihn wiederholt zum Wechsel des geistlichen Amtes zwangen, hat er daher schwer gelitten, nicht ohne eigene Schuld, da ihn der leidenschaftliche Eifer auch zu bedenklichen Schritten verleitete. Als Kirchenliederdichter steht er unter den späteren Nachfolgern Luthers an erster Stelle: sein deutscher Vers hat Kraft und Eigenart. Ungleich geringer sind Selneckers Leistungen in der lateinischen Poesie: seine geistlichen Gedichte überragen die Dutzendware nicht. Ein „panegyrischer" Hymnus auf Johannes den Täufer (1556), der mit der Taufe Christi abschließt, während das spätere Schicksal des Täufers nur angedeutet wird, gewinnt, wenn man ihn im Hinblick auf die religiösen Fehden betrachtet: als Mahner zu unerschrockenem Ausharren soll Johannes vorbildlich wirken; offenbar dachte Seinecker dabei an den Kampf um die reine Lehre. In anderen versifizierten Stücken drängt sich die Stellungnahme für die lutherische und gegen die kalvinische Abendmahlsauffassung so in den Vordergrund, daß die Poesie ganz erstickt wird. Und doch hat Seinecker auch einmal im lateinischen Vers sein Inneres erschlossen. In Hildesheim, wo der schwerkranke und abgearbeitete Mann seit 1589 Superintendent war, verfaßte er einen Rückblick auf sein Leben und trug ihn 1590 in der Kirche selbst vor. Da gedenkt er nicht bloß der Lehrer, Mitarbeiter und Freunde, sondern er gibt auch über seine seelischen Kämpfe Aufschluß. Während er selbst Böses zu erdulden hatte, mußte er sehen, wie die Gewalttätigen und Selbstsicheren, die keinem Verbrechen aus dem Wege gingen, Ehre und Ansehen bei der Welt ernteten. Diese Erfolge der Gottlosigkeit verstrickten ihn in bange Zweifel: „Quid faciam? quid concludam? frustra omnia forsan Feci, quae feci? quod nulla labe notatur
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Cor mihi quodque manus iniuria nulla molestat? Quod lavo saepe meos digitos sine crimitte? curne Sustineo mala? quidve mihi, quid quaeso relictum est? Quottidie adfligor, mane et mihi poena recurrit, Sufficit anne meo pretium tarn triste labori?" Aber über solche quälenden Anwandlungen hat ihm das feste Gottvertrauen hinweggeholfen: „Nil caelum, nil terra mihi, nil vita nec orbis, Nil corpus, nil fortunae, nil graiia mundi, Omnia nil mihi sunt, si tu sis proximus unus, Omnia praetereant, maneat modo gratia caeli, Et coro tabescat, cor concidat, efflet et omnem Vita animam, pereant oculi, ruat ardua caeli Machina, nulla mihi spes in toto orbe supersit. Tu tarnen es, Deus 0, Deus 0, Deus optime tu, tu, Tu mea sors, mea pars, cor cordis, mitte levamen!" Trotz der ungelenken Verse kommt diesem Zeugnis inneren Geschehens Bedeutung zu; es handelt sich um einen der Fälle, in denen die individuelle Bekenntnislyrik ihren Anfang nimmt. Am Ausgang dieser jüngeren Wittenberger Generation steht, wie billig, der letzte große Melanchthonschüler Johannes Caselius, eigentlich Johannes Bracht von Kessel, geb. 1533 in Göttingen. Er erhielt in der Jugend an der Not und den Sorgen, unter denen die Eltern zu leiden hatten, seinen redlichen Anteil, nicht minder aber auch an ihrem festen Gottvertrauen. Nachdem er an verschiedenen Orten vorgebildet war, studierte er in Wittenberg und Leipzig, wurde 1553 Helfer seines Vaters beim Unterricht in Neu-Brandenburg, 1563 Professor der Rhetorik in Rostock; seit 1589 bekleidete er eine Professur in Helmstädt, in der er bis zu seinem Tode (1613) gewirkt hat. Als Gelehrter und insbesondere als akademischer Lehrer gelangte Caselius zu höchstem Ansehen, das sich nicht auf Deutschland beschränkte. Zur Befestigimg dieses Weltrufes mag auch seine Versgewandtheit beigetragen haben. In der Tat hat er sowohl den lateinischen wie den griechischen Vers mit außerordentlicher Meisterschaft gehandhabt, und wenn allein die Beherrschung der Form entschiede, so müßte Caselius den bedeutendsten neulateinischen Dichtem zugezählt werden. Bei einer Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte stellt sich jedoch das io«
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DICHTERKREIS.
Urteil anders. Es fehlte Caselius keineswegs an poetischer Begabung. Dafür zeugen namentlich die Versuche des Sechzehnund Siebzehnjährigen. Wohl findet sich auch in ihnen, wie es nicht anders sein kann, viel Schülerhaftes und Unselbständiges, aber Caselius verfügt doch über die Fähigkeit, sein Inneres aufzuschließen. Eine Elegie „Meine Kümmernisse" {de meis miseriis) versetzt ganz lebendig in die Stimmung des Jünglings, der sich in der fremden Stadt vereinsamt fühlt und Eltern, Geschwister, Freunde schmerzlich entbehrt. Auch in die Behandlung der allgemeinen Verhältnisse, die in jener Zeit durch den Kampf gegen das Interim beherrscht wurden, trägt er einen persönlichen Ton hinein, so wenn er z. B. einen wider Gott sich Auflehnenden (also einen Verfechter des Interims oder einen anderen Feind des Evangeliums) unmittelbar anredet und ihm das Wahnsinnige seines Treibens vorhält: „Wenn jemand waffenlos einen kräftigen Löwen angreift, was wird ihm zuteil werden als der größte Schaden ?" „Et sie fatali quaeris te perdere feste, Impius indicio sie peris ipse tuo." Diese und verwandte Zeugnisse eines poetisch gestimmten Gemütes erwecken jedoch Erwartungen, die durch die Ergebnisse der Mannesjahre des Caselius nicht erfüllt werden. Inhaltlich unterscheiden sich die späteren Arbeiten allerdings nicht wesentlich von den Jugendversuchen: Caselius behandelt in Oden und Elegien religiöse Gegenstände, in Stoffwahl und Ausführung sich den gebräuchlichen Gattungen der Neulateiner anschließend, daneben erscheinen Gelegenheitsdichtungen und Verwandtes, auch die Zeitverhältnisse drängen zur Aussprache. Dazu kommen zahlreiche Bestandteile, die später in anderem Zusammenhange erwähnt werden müssen: Lehrhaftes, mahnende und aufrichtende Worte an Schüler, gnomisch Spruchartiges. Die rein lyrischen Stücke entbehren oft der Eigenschaften, die den eigentlichen Reiz der Anfänge von Caselius' Lyrik ausmachen. Wohl erklingt gelegentlich in Rückblicken auf Jugendeindrücke, in der Äußerung freundschaftlicher Empfindungen und ähnlicher Gefühle ein zum Herzen dringender Ton. Auch die allgemeinen Verhältnisse werden noch, wie früher, aus persönlicher Anteilnahme heraus ergriffen; dafür spricht namentlich ein Gedicht (1593), das schon mehrfach die Aufmerksamkeit der Betrachter von Caselius' Lyrik erweckt hat: es ist eine Elegie, in der der Dichter sein
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CASELIUS.
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Vaterland zum Friedehalten mahnt, ihm als warnendes Beispiel das durch innere Zwistigkeiten zerklüftete Frankreich vorhält und dem Tatendrange Deutschlands als würdiges Kampfesziel den Krieg gegen die Türken predigt. Allein derartige Stücke stehen vereinzelt, im ganzen kommt der außerordentlichen Formgewandtheit gegenüber der Inhalt zu kurz; die glücklichen Ansätze der Jugend sind kaum weitergebildet, und namentlich die religiöse und Gelegenheitsdichtung überragt den Durchschnitt der gleichartigen Poesie nicht wesentlich. Immerhin möglich, daß Caselius' Vorliebe für den griechischen Vers ihn daran gehindert hat, die vorhandenen Keime in der lateinischen Dichtung zur völligen Reife zu bringen. — Bei einem vergleichenden Rückblick läßt es sich nicht verkennen, daß der jüngere Wittenberger Dichterkreis an eindrucksvollen Dichterpersönlichkeiten ärmer ist als der ältere. Das Epigonische überwiegt. Immerhin aber zeigen sich doch Ansätze zu neuen Gestaltungen, die über das von der älteren Generation Erreichte hinausführen und für die weitere Entwicklung nicht unfruchtbar geblieben sind.
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VERSUCH
EINER NEUBELEBUNG
DER
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POESIE.
Drittes Kapitel.
Versuch einer Neubelebung der christlichen Poesie. Die Lebensluft Wittenbergs hat den Grundzug der neulateinischen Poesie Deutschlands auf lange Zeit hinaus bestimmt. In der Lutherstadt war und blieb die Religion der beherrschende Mittelpunkt aller Dinge; es entspricht diesem Zustande, daß auch die neulateinische Dichtung, soweit sie unmittelbar und mittelbar durch Melanchthon und dessen Freunde beeinflußt wurde, eine religiöse Färbung annahm. Gleichwohl ließ man daneben auch anderes gelten. Bei Acontius treiben Amor und Venus ihr Wesen; Sabinus emanzipierte sich ganz von dem in Wittenberg gebietenden Geiste. So stark also der religiöse Einschlag war, er gelangte doch nicht ausschließlich zum Siege. Trotzdem regte sich der Wunsch, die Dichtung lediglich in den Dienst des Christentums zu stellen. Schon einmal hatte sich in Deutschland bei dem Versuch einer Herübernahme der Antike ein ähnlicher Vorgang vollzogen: im elsässischen Humanismus; bei Wimpfeling und dessen Freunden wurde die klassische Literatur nur deshalb willkommen geheißen, weil man mit ihrer Hilfe die Religion zu fördern hoffte. Eine derartige Einschätzung entsprach so dem Wesen des deutschen Reformationszeitalters, daß man sich wundern müßte, wenn nicht innerhalb der neulateinischen Dichtung verwandte Bestrebungen aufgetaucht wären. In der Tat machten sich derartige Regungen alsbald geltend. Der Gewinn, den die Sprache aus dem Studium der klassischen Poesie Roms gezogen, sollte nicht aufgegeben, aber doch in der Hauptsache nur dazu benutzt werden, um eine Renaissance der altchristlichen Dichtung herbeizuführen. An der Verwirklichung dieses Ideals haben insbesondere zwei Männer gearbeitet. Beide waren Obersachsen, beide gleichaltrig: Georg Fabricius und Adam Siber. Fabricius (eigentlich Gold-
GEORGIUS
FABRICIUS.
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schmied) stammte aus Chemnitz, wo er am 23. April 1516 geboren wurde. Er studierte in Leipzig und begleitete nach einer kurzen Lehrertätigkeit einen jungen Adligen nach Italien, wo er vier Jahre lang blieb; sodann zog er mit zwei jüngeren Brüdern seines Zöglings nach Straßburg, folgte aber 1546 einem Rufe als Rektor an die nicht allzulange vorher gegründete Fürstenschule zu Meißen. Hier harrte seiner eine lohnende, aber schwierige Aufgabe. Die bisherigen Rektoren (vgl. oben S. 114) hatten nur kurze Zeit ihres Amtes gewaltet und daher keine durchgreifende Zucht herstellen können. So galt es, erst in mühevoller Arbeit die Grundlage für eine gedeihliche Entwicklung der Anstalt zu schaffen. Aber die Arbeit an der Jugend wurde Fabricius durch mannigfache Übelstände erschwert; einzelne Adlige fochten den der Schule zugewiesenen Besitz an, was zu fortgesetzten Streitigkeiten und zuweilen zum Ausbleiben der notwendigsten Einkünfte führte; auch die Unterhandlungen mit dem Hofe schufen immer neuen Verdruß. Dazu kamen ansteckende Krankheiten; Lehrer wie Schüler wurden durch sie gezwungen, sich anderswo in Sicherheit zu bringen. Alles das traf Fabricius so hart, daß er zuweilen drauf und dran war, davonzugehen und sich einen anderen Wirkungskreis zu suchen; aber er bezwang sich und blieb der übernommenen Aufgabe getreu; bis zu seinem letzten Lebenstage im Amte tätig, friedlich, gottergeben, ist er 1571 gestorben. Das Wesen des Georg Fabricius lernt man am besten aus den Briefen an seinen Bruder Andreas (1528—77) kennen, der ebenfalls die neulateinische Dichtung gepflegt hat, ohne sich allerdings auf diesem Gebiete sonderlich auszuzeichnen. Da erscheint er, wie er in Wirklichkeit war: eine tiefreligiöse Natur, ein nimmermüder Förderer der Jugend, ein vielseitiger Freund der Wissenschaft, voll aufopfernden Familiensinnes, eine nach innen gewandte Persönlichkeit, allem äußerlichen Schein abhold. Namentlich der in den Briefen erstattete Bericht über seine Brautwerbung gewinnt als Zeugnis des inneren Lebens besonderen Wert: kein stürmischer Liebesüberschwang, sondern ein Einswerden im innigen Frommsein, im Aufblick zu Gott. Unter den auf uns gekommenen poetischen Versuchen des Fabricius scheinen die Reisegedichte die frühesten zu sein; der Aufenthalt in Italien (1539—42), Heimateindrücke und seine Fahrt nach Straßburg (1544) werden in ihnen festgehalten.
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VERSUCH
EINER
NEUBELEBUNG
DER
CHRISTLICHEN
POESIE.
Daß der Verfasser sich sorgfältig umgesehen, verraten die genauen Beschreibungen. Auch sind die Gedichte meist unter dem Eindruck des Geschauten entstanden, so das erste unmittelbar nach der Ankunft in Rom, das zweite zu Neapel. Konnte er nun auch aus dem Vollen schöpfen, so war er sich doch der Schwere seiner Aufgabe bewußt, und dieses Gefühl überwältigte ihn namentlich, wenn er in Rom den gewaltigen Zeugen der Vergangenheit gegenüberstand. Allein der Empfindung für die Größe der unternommenen Arbeit entspricht die Ausführung keineswegs; sie ist überwiegend trocken und hört sich wie ein in Verse gebrachtes Reisehandbuch an. Nur selten, so bei der Schilderung der Gärten von Neapel (in der „zweiten römischen Reise") bricht ein wärmerer, persönlicher Ton durch. Indessen wenn das Reisewerk auch nicht ohne Wichtigkeit ist, weil es die Fahrten des jungen Gelehrten vergegenwärtigt und in den Kreis der Dinge hineinversetzt, denen er Teilnahme entgegenbrachte, der eigentliche Lebensnerv der Dichtung wird damit nicht berührt. Welchen Zielen sein poetisches Streben zugewandt war, offenbart sich in der von e i n e m Grundzug beherrschten Hauptmasse seiner poetischen Arbeiten. Am reinsten kommt die Summe des Wesens und Wirkens in den „Oden" zum Ausdruck (erstes Buch 1545, Gesamtausgabe: drei Bücher 1552); und da dieses Werk auch sonst den Höhepunkt des Schaffens bezeichnet, erscheint es notwendig, die Grundzüge des Inhaltes darzulegen. Über das Bekenntnis des Dichters kann der Leser nicht im Zweifel sein. Denn Fabricius setzt sogleich mit einem Hymnus auf den rechtfertigenden Glauben ein. „Hehrer Glaube," heißt es, „der du allein den Menschen beglückst, gerecht machst und unter die Chöre der Himmelsbewohner versetzest, der du unterdrückst und verjagst die Gefahr, die das Haupt ihm umdroht, der du die Schrecken des Todes wegnimmst und nicht duldest, daß er beraubt von Hilfe sei . . . " Dieser Anfang gibt den Leitton für alle nachfolgenden Oden an. E i n Gedanke kehrt in verschiedenen Umformungen immer wieder: nichtig und vergänglich sind alle irdischen Güter, deshalb soll der Christ seine Blicke allein auf das Reich Gottes lenken. In allen Lagen, in allen Leiden und Beschwerden soll er sich an die Gottheit um Hilfe wenden. Der Dichter selbst bringt alle seine Wünsche vor den Thron der göttlichen Allmacht. Er bittet um festen Glauben, um Gleich-
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mut in Freud und Leid, um Verzeihung für seine Sünden und um Hut durch einen Engel; er spricht den Wunsch aus, daß Gott das Lebensziel bestimmen möge und jeden in der Tätigkeit, die er ihm zugeteilt, glückliche Erfolge sehen lasse. Aber sein Auge bleibt nicht an den Einzelschicksalen haften. Die rauhen Tage, in die sein Erdenwallen fiel, gaben ihm reichlich Gelegenheit zu Bitten und Klagen. Wie so viele seiner Mitstrebenden erfaßt er überwiegend die dunklen Seiten des Lebens. Er entwirft ein trübes Bild von der Verderbtheit der Zeit. Die kirchlichen und politischen Verhältnisse mochten dazu beitragen, ihn in seiner düsteren Stimmung zu bestärken. Er sieht das Schifflein der Kirche auf den wilderregten Wogen schwanken und erfleht von Gott einen kundigen Steuermann. Und er kommt unausgesetzt auf die Gefahren zurück, die der religiösen Gemeinschaft drohen, zu der er selbst sich zählt. Da schlägt er stärkere Töne als sonst an: der Papst und seine Anhänger sind ihm die Feinde Gottes, und er erwartet den rächenden Strahl, der sie zerschmettern soll. „Was zögerst du so lang, o Vater ? Was blickst du noch die grause Pest mit heitrem Auge an ? Strafe das ruchlose Haupt und raffe hin des Ungeheuers schuld'ge Diener, gerechte Blitze schleudre!" Die schroffe Kampfstellung gegen die alte Kirche, von der diese heftigen Worte Zeugnis ablegen, nimmt er auch sonst ein; die früheren kirchlichen Zustände weiß er nicht schwarz genug zu malen. Und mit tiefer Bitterkeit erfüllt es ihn, daß die Anhänger der neuen Lehre beständigen Bedrohungen von Seiten des Kaisers und seiner Berater ausgesetzt sind, daß der Grimm, den gegen die Türken aufzuregen verdienstlich wäre, sich gegen die Bekenner des Evangeliums wendet. „Nun sind die Brandherde zusammengefallen, das Eisenschwert ist stumpf geworden, aber die gesättigte Wut ruht dennoch nicht." Ebenso häufig wie die Erwähnung der den Frommen von ihren Gegnern bereiteten Nachstellungen ist der Hinweis auf die Türkengefahr. Unter Tränen und Klagen begeht der Dichter den Jahrestag von Konstantinopels Fall; er hat ein lebhaftes Gefühl von der Größe des immer näher kommenden Unheils, aber er verzagt nicht. „ G o t t " , sagt er, „erbarmt sich aller Unglücklichen. Er wird auch die, die wie die Türken jetzt wider ihn kämpfen, leicht besiegen und seine Macht erweisen." Die Ohnmacht Deutschlands dem türkischen Feinde gegenüber führt er vor allem auf die Zwistigkeiten der Fürsten zurück, die
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sich selbst aufreiben, anstatt die Mohammedaner zu bekämpfen. „Wir sahen die Häuser brennen, nicht im thracischen Feuer, wir sahen Wohnungen und Städte zerstört, nicht durch den pontischen Tyrannen, — nein, dieses Elend ward durch Bruderhand bewirkt." Besorgten Blicks verfolgt er das Treiben der Fürsten; man glaubt sein Mißtrauen herauszuhören, wenn er an Gott die flehentliche Bitte richtet, den Fürsten weise Ratgeber zu verleihen und sie durch seinen Geist zu erleuchten. Wie die Fehden der Großen, so kränken ihn auch die Streitigkeiten zwischen den geistigen Führern; ohne Einigkeit kann in Kirche, Schule und Staat nichts bestehen; darum ist es sein Herzenswunsch, daß Gott die innere Übereinstimmung in die Seelen derer senke, denen Kirche und Staat anvertraut sind. Die erbitterten theologischen Kämpfe im Protestantismus legten ihm solche Wünsche besonders nahe; stand er auch innerlich auf der Seite des strengen Luthertums, so hatte er doch an den maßlosen Angriffen auf den von ihm hochverehrten Melanchthon keine Freude. Es liegt über den meisten dieser Oden wie ein leiser Schleier; man fühlt: des Dichters Gemüt ist unfroh, beständig von der Furcht vor heranziehendem Unglück bedrückt. Selten bricht ein hellerer Ton durch, und auch dann ist der Ausdruck der Heiterkeit nicht stark. Ein Dankgebet für die Wiederherstellung des Evangeliums entwirft rückschauend ein Bild der früheren Zustände; und es ist, als ob Fabricius seine italienischen Sangesbrüder, etwa Bembo oder den sonst von ihm ungemein geschätzten Flaminius, treffen will, wenn er von der Abgötterei spricht, die seiner Meinung nach aus der päpstlichen Herrschaft hervorging: da wandte mancher sich an Diana, andere riefen den Neptun an. Wie Fabricius seinen Dichterberuf auffaßt, lehrt eine andere Ode: sein höchster Wunsch ist es, in die Schar der frommen Sänger eingereiht zu werden, und durch beständige Lobpreisung des Herrn will er sich für die Erfüllung dieses Wunsches dankbar erweisen. In derartigen Stücken erfreut die stille, sinnige Art: das Wesen einer im abgegrenzten Kreise sich wohlfühlenden Persönlichkeit spricht sich anmutend aus. Am eindrucksvollsten geschieht es da, wo das Lebensideal des Poeten entwickelt wird. In mannigfachen Wendungen kommt hier der Gedanke zum Ausdruck, daß er Schätze und Überfluß nicht begehrt. Was ihm am Herzen liegt, sind die geistigen Güter; alles Äußere rückt nur
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dann in seinen Gesichtswinkel, wenn es die Aneignung der inneren Werte fördert oder hindert. Selbstverständlich steht unter diesen idealen Besitztümern die Frömmigkeit an erster Stelle, und so klingt auch dieses Gedicht mit einem Ausblick auf das letzte Stündlein und den Eingang in die Ewigkeit aus. Schlicht sind die in den Oden entwickelten Gedanken, schlicht ist auch die Ausdrucksweise. Form und Inhalt decken sich. Zuweilen stört eine allzu genaue Anlehnung an den Horazischen Wortlaut, im allgemeinen herrscht das Streben nach eigenen Tönen vor. Nicht selten erscheint am Anfang der Ode ein ausgeführtes Bild; aber auch da wird nach dem Nächstliegenden gegriffen; das umgebende Leben bietet die Vergleiche dar: den Landmann, der sein Feld betreut; den Fergen, dem das Ruder, den Fuhrmann, dem das Rad gebrochen ist, und die beide daher nur unter Mühe und Gefahr ihr Ziel erreichen. Wie dieser, so lehrt auch anderer sparsam verwendeter Redeschmuck, daß Fabricius sich nie über sich selbst hinaufzuschrauben sucht; die zuweilen an nüchternen Sinn grenzende Einfachheit berührt deshalb so angenehm, weil das Wesen des Dichters sich in ihr widerspiegelt. Die liebenswerte Persönlichkeit schließt sich unmittelbar auf, und aus diesem Grunde verfehlt das Werk auch als Ganzes seine Wirkung nicht. Weit weniger ist das in den hymnischen Dichtungen der Fall, obgleich Fabricius sich dieser Gattung offenbar mit besonderer Liebe zugewendet hat. Außer fünf Büchern Hymnen hat er drei Bücher Lobgesänge auf Engel (Päane) verfaßt; dazu kommt ein Buch Heroicon oder Leben der Heroen. Die drei ersten Bücher der Hymnen begleiten den Leidensweg Christi mit Liedern: die Form ist immer so, daß die biblische Tatsache erst kurz ausgeführt wird und dann sich ein entsprechendes Gebet anschließt. Hymnen zu den Festen und allgemein gehaltene Gedichte, Bitten, Gebete und Betrachtungen füllen die beiden letzten Bücher. Eine ähnliche Darstellungsart wie die drei ersten Bücher weist auch das Heroicon auf: es behandelt die Väter, Patriarchen, die Führer des jüdischen Volkes, die Richter usw., zuletzt die Apostel und Evangelisten; meist ist jedem einzelnen eine Strophe gewidmet; ein abschließender Teil faßt dann die sich ergebende Betrachtimg zusammen. Die Lobgesänge auf die Engel beschreiben die Bestimmung der einzelnen Gottesboten wie der ganzen Gruppen. Es erscheinen
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nicht bloß die Seraphim und Cherubim, sondern auch die Erzengel, Gabriel als Schützer der Kirchen, Michael als Behüter der Reiche, Raphael als Hort der Familien. Daneben aber treten zahlreiche ersonnene oder der mittelalterlichen Welt entstammende Gebilde auf, der Angelus Doctor, der gegen die Feinde streitende Engel, der predigende Engel usw. Zuweilen wird der Engel selbst nur nebenher erwähnt, dagegen der Hauptn achdruck auf die Vertiefung in das von dem Engel vertretene Gebiet gelegt: man mag darin ein Zeichen sehen, daß der protestantische Geist des Dichters sich unwillkürlich gegen die Zerlegung in mythologische Einzelfiguren sträubte. Die Beispiele für das Walten der Engel bietet meist die Bibel. Manche aus den Oden bekannte Lieblingsgedanken tauchen auf, so die Überzeugung, daß Gott seinen Treuen immer zur Hilfe nah ist, wenn sie von Glaubensfeinden bedrängt werden. Ganz im Sinne Luthers wendet sich Fabricius gegen den ungezähmten Wissensdrang, die Willkür der Vernunft: „Es ist der Kitzel unseres Fleisches, der mehr wissen will, als Gott befiehlt." Man sieht, wie weit auch bei unserem Dichter das Wissen hinter dem Glauben zurückstehen muß; er teilt durchaus den Standpunkt des 16. Jahrhunderts, wie er sich am kräftigsten in der Auffassung der Gestalt des Faust kundgetan hat. Fabricius' Lehrerberuf wird in den Päanen so wenig wie in den Oden verleugnet; eindrucksvoll feiert er gegen Schluß der Päane den Engel, der die strebsamen Schüler fördert : er liebt nicht die Trägen, verleiht aber den Eifrigen Feuer und Flügel und erfüllt oft die Leute aus niederem Stande mit seinem Geiste. Daran knüpft sich eine Mahnung an die Jugend zu lebhafter Arbeit: „Nichts ist so schwer, nichts mühevoll, hilft Gott nur und der Engel Schar." Der Wunsch, die Betrachtving der helfenden Gottesboten auch nach der sittlichen Seite hin nutzbar zu machen und zur Nacheiferung anzuspornen, tritt oft hervor; aber es geschieht ohne aufdringlich schulmeisternden Ton, so daß der Eindruck dadurch keine Störung erleidet. Trotz dieser Vorzüge erkennt man jedoch in den Hymnen auf Schritt und Tritt, wie das knappgeschürzte Metrum sich gleich einem zu engen Kleide um die Gedanken legt und ihre Entwicklung hindert. Etwas freier bewegt sich Fabricius da, wo er für ähnlich geartete Gegenstände das elegische Maß benutzt. Das ist der Fall in den drei Sammlungen: „Heiliger Kriegsdienst" (drei Bücher), „Himmlische Siege" (drei Bücher) und „Die Liebe
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des Sohnes Gottes" (ein Buch; „Amores", offenbar als eine Art christlicher Ovid gedacht). Der „Heilige Kriegsdienst" behandelt die Tatsachen aus dem Alten Testament bis zum Tode Jakobs, aber nicht in erzählender Weise, sondern so, daß an die in den Überschriften erwähnten Tatsachen Gebete angeknüpft werden; die „Himmlischen Siege" dagegen, die weiter in das Alte Testament hineinführen, schicken den Gebeten und Betrachtungen einen kurzen Bericht über das Tatsächliche voraus. Höheren poetischen Wert kann keine der Sammlungen für sich in Anspruch nehmen; doch erfreut hie und da eine anmutige Wendimg, und in den Gebeten, namentlich aber in den „Amores" spürt man die innige Anteilnahme der Persönlichkeit, so daß auch hier, ähnlich wie in den Oden, schon ein Vorklang der individuellen religiösen Dichtung zu spüren ist. Obgleich Fabricius erkennen mußte, daß sich die poetische A b sicht in den Oden und den elegischen Gedichten viel zwangloser verwirklichen ließ als in den Hymnen, scheint er doch für das hymnische Maß eine besondere Vorliebe empfunden zu haben. Das war kein Zufall. Sein Streben ging dahin, nach dem Vorbilde des Sedulius, Prudentius und anderer eine ausgesprochen christliche Dichtung zu schaffen; und schon in der Form kündigte sich diese Absicht an. Allein der Gedrungenheit des Versmaßes muß notwendigerweise die Wucht des Gedankens entsprechen. Diese aber blieb Fabricius versagt. Die anspruchslose Art, die als der natürliche Ausdruck der Persönlichkeit in den Oden so günstig wirkte, wird hier zum Hemmschuh. Daher erscheinen viele dieser Gedichte leer und nüchtern; und die Sprache unterscheidet sich stellenweise nur durch den Zwang des Metrums von der Prosa. Es ist Fabricius nicht gelungen, eine Renaissance der frühchristlichen Poesie herbeizuführen. — Bei niemandem fanden Fabricius' Bestrebungen, die christliche Dichtung neu zu erwecken, begeisterteren Widerhall als bei seinem Freunde Adam Siber, dem Rektor der Fürstenschule zu Grimma. Denn auch Siber war, wie sein Meißener Amtsgenosse, davon überzeugt, daß der Preis der Gottheit der einzige des Dichters würdige Stoff sei. Die klassischen Studien will er nicht unterschätzen; aber ohne die höchste Weisheit, die Gotteserkenntnis, erscheinen sie ihm nutzlos. Damit ist sein Ziel vorgezeichnet : als Muster gelten ihm die älteren christlichen Dichter, ein Sedulius, Alcimus Avitus u. a.: sie zeigen, welche
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Fragen in den Mittelpunkt gerückt werden müssen. Die klassischen Meister brauchen jedoch nicht unberücksichtigt zu bleiben; zur Erhöhung der Wirkung kann man den Schmuck ihrer Worte hinübernehmen, aber nicht, ohne ihn vorher auf das sorgfältigste von allen unchristlichen und unkeuschen Rückständen gereinigt zu haben. „Verzichte nicht auf die Rhythmen und die Worte des großen Virgil, sondern auf die Sachen, statt der Waffen besinge Heiliges und Gott; verzichte auf die Liebesgluten des üppigen Ovid und zeige, wie sehr uns Gott liebt." Diese von ihm selbst aufgestellten Vorschriften sind für Siber maßgebend gewesen. Er hat die Psalmen, das Hohelied, die Klagelieder Jeremiä in lateinische Verse umgegossen, ohne mit diesen verwässernden Bearbeitungen einen besseren Eindruck zu erzielen als seine zahllosen Mitstrebenden. Für seine anderen Versuche auf dem Gebiete der christlichen Dichtimg ist Fabricius das deutlich erkennbare Vorbild. Wenigstens gilt das von den Gedichtsammlungen: Proseuchon, Eucharistion, Epinicion, Hierostichon: da umschreibt Siber in schreckenerregender Trockenheit Stellen aus dem Alten und Neuen Testament (meist aus dem Alten). Der Überdruß des Lesers wird nur da gemildert, wo man erkennt, wie die Zeitverhältnisse Auswahl und Prägung bestimmt haben: so, wenn Siber — gleich Fabricius — die biblische Erzählung dazu benutzt, um die der wahren Lehre feindlichen Tyrannen zu bekämpfen oder die wegen ihres Glaubens Verfolgten zum Ausharren zu ermahnen. In solchen Stücken spürt man die persönliche Anteilnahme; von einem poetischen Wert kann freilich nicht die Rede sein. Überhaupt steht Siber an Begabung beträchtlich unter Fabricius, und was das sagen will, erkennt man an der Tatsache, daß schon bei Fabricius sehr erhebliche Abstriche gemacht werden mußten. Unter diesen Umständen könnte ein näheres Eingehen auf das Lebenswerk des Grimmaer Schulgewaltigen zwecklos erscheinen. Und doch ist dem nicht so. Denn was den Versuchen an dichterischem Reiz fehlt, wird durch ihre kulturgeschichtliche Bedeutung ersetzt. Das Leben eines biederen, treuherzigen, immer nur das Beste wollenden Schulmeisters erschließt sich; alles, was ihn bewegte, findet seinen Niederschlag, nicht selten in hölzerner Form, immer aber anmutend durch die reine Gesinnung. Sowohl die allgemeinen Verhältnisse wie seine persönliche Lage klingen bei ihm wieder. Als eifriger Anhänger
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der Reformation verfolgt er die Schwankungen der öffentlichen Dinge, meist mit bangem Herzen; die lutherischen Glaubenssätze müssen sich der Fessel des Versmaßes fügen; auch in den Dienst der Polemik gegen die Altgläubigen und Sektierer wird die Muse gestellt, wobei es uns wunderlich bedünken will, daß Kain als der Ahnherr der Mönche erscheint. Da die Bewegimg einen wesentlich anderen Lauf nahm, als Siber und seine Freunde gehofft hatten, ist seine Stimmung überwiegend trübe; es fehlt nicht an Zeugnissen stiller Lebensfreude, aber sie müssen hinter düsteren Bildern zurücktreten. Die so oft wiederkehrenden Klagen über die Roheit der Zeit vernimmt man auch bei ihm; den Papismus, die schlechten Fürsten, den Widerstand gegen Luthers Lehre macht er zu gleichen Teilen für den „verderbten Zustand des gegenwärtigen Zeitalters" verantwortlich, wie er denn auch die sittlichen Früchte der Reformation vermißt. Gleich den Sorgen um die weltbewegenden Fragen teilt der Leser auch Sibers häusliche Leiden und Freuden; er steht mit ihm an der Bahre seiner ersten Frau, er sieht bei der Schließung der zweiten Ehe das Rektorhaus von einem Schimmer des Glücks verklärt; er vernimmt die Klagen des alternden Mannes über die Schicksalsschläge und Sorgen, die ihm den Lebensabend verbittern. Und er folgt ihm auch in sein eigentliches Arbeitsgebiet, die Schule. Fabricius und Siber haben beide das klösterliche Leben der Fürstenschule im Bilde festzuhalten gesucht: der Tageslauf der Schüler wird durch kleine Monologe, die ihnen in den Mund gelegt sind, vergegenwärtigt; auch die Erwachsenen ergreifen zuweilen das Wort; und gerade da versteht Siber in das Innere hineinzuführen, wenn er etwa den Lehrer für seine Schüler oder den Vater für seine Kinder beten läßt. Freilich wird dann die leise Regung des Gemütes wieder durch die schon bei Fabricius nachgewiesene nüchterne Enge des lutherischen Standpunktes verkümmert: in dem Gebet des Lehrers finden sich die heftigsten Ausfälle gegen das hochfliegende Streben, in die Geheimnisse der Natur eindringen zu wollen; anstatt solchem „Wahnsinn" zu frönen, soll der Lehrer das Einfachste, Nächstliegende lehren und mit den Knaben selbst ein Knabe sein. Sibers Sprache ist einfach und schlicht, aber auch ohne Kraft und Eindringlichkeit. Seine Gewandtheit in der Handhabung des von den Alten überkommenen Ausdrucksschatzes läßt sich nicht bestreiten, aber die entlehnten Lappen werden nicht immer
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verarbeitet, sie erscheinen wie äußerlich aufgeheftet. Vorbildlich für die Form seiner Dichtungen waren neben den Klassikern auch die italienischen Neulateiner. Schon die Gesamtüberschriften seiner Gedichte bezeugen das. Den Titel: Aeolostichon (vermischte Gedichte) entlehnt er von dem älteren, den Titel: Proseuchon (Gebet) von dem jüngeren Strozza. Wie er inhaltlich an seine italienischen Vorgänger anknüpft, sie aber zugleich umgestaltet, kann man aus einem Beispiele deutlich ersehen. Bembo läßt in einem Liede die Hirten von Pan alle möglichen guten Gaben erflehen (Band i , S. 199 f.). Dieses Gedicht bildet Siber Zug um Zug nach; aber der mit heidnischem Geist durchtränkte Bittgesang wird unter seinen Händen zu einem ganz ins Christliche gewendeten pädagogischen Weihespruch: der „Chorder Schulherde" wendet sich an Christus, wie die Hirten an Pan: „Dich, guter Hirt, dich bitten die Deinen; Christus, bewache diese Schule und die Herde." Merkwürdigerweise deutet Siber mit keinem Wort auf sein Vorbild hin. Ist der poetische Ertrag im ganzen gering, so schließt diese Tatsache doch nicht aus, daß gelegentlich das eine oder das andere Stück sich von der gleichgültigen Masse abhebt. Als eine solche Oase erscheint das kleine Gedicht: „Die Nachtigall". Man hat es auf Luther gedeutet, dessen Tod von Melanchthon und Bugenhagen beklagt werde. Schwerlich mit Recht, denn in Wittenberg wurde nicht Luther unter dem Bilde der Nachtigall eingeführt, sondern Philo Mela, d. i. Philipp Melanchthon. Indessen kann man von einer allegorischen Auslegung überhaupt absehen und das Gedicht so, wie es vorliegt, genießen. Taube und Sittich werden aufgefordert, der Trauer über den Verlust Ausdruck zu geben, den der Wald durch den Tod der vom Habicht zerfleischten Nachtigall erlitten h a t : ,,nuper laeta tesqua, silvula Beata, scaiebrae, jontium rivuli, Sonurn cietis saxa per qui blandulum: Non flosculi vestri amplius, non ramuli, Non lymphtdae andiunt caneniem aedona
..."
Die sinnige Art, die aus dem Gedichte spricht und manche Schwerfälligkeit der Wortfügung vergessen läßt, findet sich auch in den bereits erwähnten, Sibers persönlichen Angelegenheiten gestaltenden Gelegenheitsarbeiten wieder. Seine Elegie auf den
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Tod der ersten Frau verrät trotz allen Wortschwalls wahres Gefühl. Hübscher noch ist das Hochzeitsgedicht, das er bei der Eingehung der zweiten Ehe sich selbst gespendet hat. Da werden Trauer um die erste Gattin, Entschluß zu neuem Freien, Werbung, Zusage, Hochzeit so nahe gebracht, daß ein anmutendes Bild inneren und äußeren Lebens entsteht. Wie dieses, so sind auch manche andere Stücke unmittelbar aus der augenblicklichen Lage heraus geboren; aber nicht alle halten so freundliche Bilder fest. In die spätere Zeit seines Lebens fällt sein Klagelied: „Das Schulkreuz". Unter dem Eindruck tiefster Verstimmung faßt er da seine Erfahrungen auf der Fürstenschule zusammen; alle hellen Seiten fehlen: nur von den schlechten Eigenschaften der Jugend, von der Unfähigkeit der Amtsgenossen, von Entbehrung, Mangel und Sorgen weiß er zu berichten. Aber auch in dieser offenbaren Übertreibung führt das dunkle Gemälde gut in die Verhältnisse ein, und lebendig tritt die Gestalt des Sprechenden, des in seinen Erwartungen so bitter enttäuschten Jugenderziehers heraus. Siber gleicht seinen deutschschreibenden Zeitgenossen darin, daß er zwischen poetischen und unpoetischen Gegenständen nicht zu unterscheiden weiß; er erhebt sich jedoch über sie, insofern er in seinen besten Stunden den Versuch unternimmt, das festzuhalten, was seine Seele in Schwingungen versetzt. Auch er zeigt, wie das individuelle Gefühl sich aus seinen Fesseln zu befreien beginnt. Man muß diesen Gesichtspunkt im Auge behalten; sonst würde man zu einem unbilligen Urteil über seine Leistungen sowie über die seines Freundes Fabricius gelangen. Über Sibers Leben möge noch das Wichtigste nachgetragen werden. Es ist arm an außergewöhnlichen Ereignissen und bietet den üblichen Daseinsverlauf eines biederen Schulmeisters. Er ist am 8. Sept. 1516 zu Schönau bei Wiesenburg im sächsischen Erzgebirge geboren, besuchte die Gymnasien in Zwickau und Annaberg, wo er den Freundschaftsbund mit Georg Fabricius schloß. Hierauf wurde er Kantor in Schneeberg, studierte noch kurze Zeit in Wittenberg und Leipzig, wirkte teils vorher, teils nachher als Lehrer in Freiberg, Chemnitz und Halle, bis er das eigentliche Tätigkeitsfeld als Rektor der Lateinschule in Chemnitz und zuletzt als Leiter der Fürstenschule zu Grimma fand, wo er eine ähnliche Tätigkeit ausübte wie Ell Inger, Neulateinische Lyrik 2.
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Fabricius in Pforta. In Grimma ist er am 24. September 1584 gestorben. Fabricius und Siber standen mit ihrem Streben nach einer Renaissance der altchristlichen Poesie nicht allein. Vielmehr lagen derartige Neigungen damals in der Luft. Denn um dieselbe Zeit, in die die Anfänge von Fabricius' religiöser Dichtung fielen, wurde der Versuch unternommen, die altchristlichen Hymnen selbst in den Dienst der lutherischen Kirche zu stellen. Hermann Bonnus (1504—48), der erste Superintendent von Lübeck, suchte kurz vor seinem Tode in seinen „Hymnen und Sequenzen" (erschienen erst 1559) die altchristliche Hymnenliteratur nach den Grundsätzen der neuen Lehre umzugestalten und sie dadurch gebrauchsfähig zu machen, daß er alles entfernte, was an Marienkultus und Heiligendienst erinnerte. Für die vorliegende Betrachtung besonders wichtig ist aber die Tatsache, daß Bonnus in seine Sammlung auch neuere (von Lutheranern herrührende) Nachahmungen der alten Hymnen aufnahm. Er selbst hat zwar, soweit sich sehen läßt, keine derartigen Nachdichtungen versucht, wohl aber brachte er solche von anderen Verfassern, z. B. von Hieronymus Weiler (1499—1572). Bonnus war ein Schüler des Murmellius, und seine Bemühungen mögen unbewußt auch von den Tendenzen des westfälischholländischen Humanismus beeinflußt worden sein. Denn wie im älteren Humanismus überhaupt, so finden sich Nachbildungen altchristlicher Hymnen gelegentlich schon bei Hegius, Erasmus u. a. Da also bereits v o r der Reformation die gleichen Bestrebungen vertreten waren, so nimmt es nicht wunder, daß auch n a c h der Glaubensspaltung innerhalb der katholischen Kirche ähnliche Absichten auftauchen. Ebenfalls um die gleiche Zeit, in der Fabricius die für ihn bezeichnende poetische Bahn beschritt, und in der Bonnus seine „Reinigung" der altchristlichen Hymnen vornahm, landete auch der ermländische Bischof Johannes Dantiscus bei dieser Literatur, nach deren Muster er Selbständiges zu geben suchte. Da später das Gesamtschaffen des Dantiscus behandelt werden muß, so wird auch dieser Abschluß seines dichterischen Bemühens im Zusammenhange mit seinen anderen Leistungen zu besprechen sein; hier nur so viel, daß seine Hymnenpoesie ebenso wie die der meisten seiner protestantischen Mitbewerber mit dem Fluche des Epigonentums behaftet ist.
ANDREAS
ELLINGER;
JOHANNES
MYLIUS.
Sowohl Fabricius als Siber haben Sammlungen der altchristlichen Hymnen veranstaltet und Beiträge zur philologischen Bearbeitung dieses Literaturzweiges geliefert. In beiden Fällen leitete sie der Wunsch, das alte Gut für die Gegenwart nutzbar zu machen. Mit dieser praktischen Absicht standen sie nicht allein; sie fanden Mitarbeiter. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Fabricius hat Andreas Ellinger, ein Mitglied des Wittenberger Kreises, später Professor der Medizin in Jena, in seinen eigenen Dichtungen von geringer Bedeutung, die altchristlichen Hymnen in einer umfangreichen Sammlung vereinigt (1578), mit der ausdrücklichen Absicht, daß man sie, wie vor der Reformation, zu den verschiedenen Tageszeiten singen möge. Und ganz im Sinne von Fabricius-Siber betont er in der poetischen Vorrede, daß die Abneigung gegen den Katholizismus keineswegs zur Verwerfung dieser Denkmäler christlicher Frömmigkeit zu führen brauche: ,,Nam quod cavillando aliquis haec damnet velut Prisci papatus somnia, Nil facit et idern damnet Opera Davidis Regis, Prophetae et maximi. Non displicet nee ante dispiicuit Deo Hymnos canere et dulcem sonum Miscere barbyti aureae et testudinis Ecclesiae coetum sacrae."
Zu denen, die in ähnlicher Weise wie Fabricius die christliche Hymnenpoesie durch selbständige Tätigkeit wieder lebendig machen wollten, gehört auch Johannes Mylius. Er stammte aus Liebenrode in Thüringen; wenigstens ist er hier aufgewachsen, geboren soll er angeblich in Gernrode sein. Nach seinem Studium in Jena wurde er Rektor in Ellrich, dann in Walkenried und zuletzt (seit 1568) Professor der griechischen Sprache in Jena; hier ist er im Jahre 1575 gestorben. Mylius hatte, wie der Briefwechsel zwischen Georg und Andreas Fabricius beweist, Beziehungen zu Georg Fabricius, und bei der Verwandtschaft der poetischen Bestrebungen wird daher wohl anzunehmen sein, daß auch ein geistiger Zusammenhang zwischen beiden Männern stattgefunden hat. Denn Mylius hat die gleichen Ziele im Auge wie Fabricius; er hat ebenfalls eine rein christliche Poesie zu schaffen gesucht. Die das elegiii»
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sehe Maß verwendenden Hymnen umfassen, meist an die Feste anknüpfend, die wichtigsten Heilstatsachen vom Sündenfall bis zur Bekehrung Pauli und zur Befreiung des Petrus aus dem Kerker. Erzählung und Betrachtung wiegen vor, doch fehlt auch die Teilnahme des Gemütes nicht; sie äußert sich z. B. in lebendiger Vergegenwärtigung. So faßt Mylius die Anrede beständig durchführend, die wesentlichsten Punkte aus dem Leben der Jungfrau Maria zusammen. Höher als alle diese Versuche steht das dritte Buch seiner „heiligen Gesänge". Es behandelt die Hauptereignisse aus dem Leben Jesu und führt bis zu seinem öffentlichen Auftreten. Die Stoffauswahl hat manches Sonderbare; z. B. gibt — ebenso wie in den Hymnen — die Beschneidung zu poetischer Ausschmückung Anlaß; dem Zeitalter schien wohl dieser Gegenstand fruchtbarer zu sein als uns; auch die bildende Kunst hat sich seiner mehrfach bemächtigt, man denkt etwa an Mantegnas bekanntes Bild in den Uffizien. Einen gewissen Reiz erhält die Darstellung im dritten Buch der „heiligen Gesänge" durch die häufig verwendete monologische Form: Joseph fordert Maria auf, mit ihm nach Egypten zu fliehen und setzt ihr die Notwendigkeit der Flucht auseinander; Maria klagt über den vermißten zwölfjährigen Jesus; und Jesus ergreift vor Antritt seiner öffentlichen Wirksamkeit selbst das Wort zu der Erklärung, daß er, vom Geist berufen, nun hinausziehen werde, um seine große Aufgabe zu erfüllen. Durch diese dramatische Anlage wird ebenso wie durch die wechselnden lyrischen Maße eine freie Beweglichkeit erzielt, und in der Ausführung erscheint manches anmutig, so die mütterliche Sorge der Maria in dem eben erwähnten Monolog. Dem Ausdruck fehlt es an eindringlicher Kraft, allein er bildet doch das angemessene Kleid für die einfachen Gedanken, und nur einmal, in der Versuchungsgeschichte sinkt er zu bedenklicher Plattheit hinab. — Das vierte Buch der „heiligen Gesänge" war wohl als eine Fortsetzung des dritten gedacht. An Bedeutung übertrifft es dieses weit. Mylius macht die Formen der Hochzeitspoesie, die er selbst mit Gewandtheit gehandhabt hat, der geistlichen Dichtung dienstbar. Dem im Frühling lustwandelnden Dichter begegnen die Musen und fordern ihn auf, die Hochzeit Christi mit der menschlichen Seele zu besingen. Obgleich er die Schwierigkeit des Auftrages empfindet, führt er ihn aus und stimmt ein begeistertes Loblied auf den Bräutigam an, den er zuletzt
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im Glänze seiner Herrlichkeit herabkommen sieht. Durch die originelle Einkleidung sowie durch die Freude, mit der der Verfasser bei der Sache ist, wird die Teilnahme des Lesers trotz der Umfänglichkeit des strophisch gegliederten Hymnus wach erhalten. Lebendiger jedoch als in dieser Erneuerung der christlichen Poesie spricht sich die Persönlichkeit des Mylius da aus, wo er einen Lieblingsgegenstand der neulateinischen Dichtung ergreift, die Türkengefahr. Sein zum Türkenkriege anfeuerndes Gedicht wird zu einer rechten Türkenpredigt. Die Ursache der feindlichen Erfolge erblickt Mylius in der Verderbtheit seiner Zeit und seines Volkes; mit Bitterkeit rügt er auch die üblen sittlichen Zustände der Soldateska, und einen Erfolg erwartet er nur von einem zuverlässigen, Zucht und Ordnung bewahrenden Heer. Während Mylius zu den anziehenden Dichterpersönlichkeiten gehört, kommt Valentin Schreck nur als Gleichstrebender in Betracht. Mit poetischen Gaben ist er nicht beschwert. Sein Leben verlief in geordneten Bahnen. 1527 in Altenburg geboren, studierte er in Wittenberg und Königsberg, wurde an der Königsberger Universität 1567 Professor und übernahm 1569 das Rektorat der Marienschule in Danzig; gestorben ist er im Jahre 1602. In seinen Gelegenheitsgedichten zeigt er meist geringes Geschick; Anlage und Ausführung bleiben im Geleise des Gewöhnlichen, und man braucht bloß eines der in Betracht kommenden Stücke neben das eben erwähnte Hochzcitsgedicht des Mylius zu halten, um zu erkennen, wie wenig Schreck die landläufige Dürre überwindet. Immerhin darf er innerhalb derer, die die alte Hymnendichtung neu zu beleben versuchten, einen Platz beanspruchen; wahrscheinlich ist auch für ihn das Vorbild des Georg Fabricius maßgebend gewesen. 1578 veröffentlichte er eine sich an die sonntäglichen Evangelien anschließende Hymnensammlung. Die Stücke sind in der Weise angeordnet, daß jeder Hymne eine zusammenfassende Einleitung von drei Distichen vorausgeschickt wird. Überarbeitet erschien das gleiche Werk 1586, die Distichen stark, die Hymnen nur wenig verändert. Doch fehlt in der neuen Ausgabe eines der anziehendsten Stücke der älteren, ein Gedicht zur Wiederkehr des Tages der Bluthochzeit. Offenbar zur fünften Wiederkehr des Trauertages
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(1577) ist dieser Hymnus verfaßt worden: „ A m Tage der Erinnerung an die in Frankreich durch Hinterlist treulos hingemordeten Christen." „Dies abominabilis Deo et beatae ecclesiae, Tot innocenium sanguine Funesta, nocient dispulit. Qua sunt piorum Candida Cruore tincta lilia, Fortesque fraude proditi Jussu necantur regio." Nach einem Blick auf die hervorragendsten Opfer der Bartholomäusnacht gießt der Dichter die Schale seines Zornes über „die Stadt des Spottes, der Blutschuld Herd" aus: „Urbs execranda et impia Invisa diis, Lutetia, Harum ministra caedium Pii vorago sanguinis. Ut vita sancta martyrum Enecta tibi cecidit: tui Sic memoria pereat, et solo Aequata plores rüdera. Et vos, jluenta Sequanae, Nec fons nec imber irriget, Quae sancta vestris fluctibus Hausistis haec cadavera." Dann aber wird auf die Verbrecher die verdiente Strafe herabgerufen und diese in sichere Aussicht gestellt: ,,Sed vos pii quiescite Manes, ferox et perfida Quos gens cruento vulnere Umbris beatis addidit. Prope est dies, qua coelitus Ignisque sulphurque eruet Vestros lanistas, qui dolo Fos perdidere innoxios. Hanc tu diem, salutifer Tutorque Christe ecclesiae, Quae te fatetur, exere Et innocentes vindica."
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Mit der Erweiterung dieses Gedankens, mit der Bitte an Gott, seinen Ruhm zu verteidigen und die Tyrannei des Papstes und seiner Spießgesellen zu unterdrücken, schließt das Gedicht. Immerhin hebt die Entrüstung hier den Poeten etwas über sich selbst hinaus. Auch sonst haben die Greuel der Bartholomäusnacht im Osten zu ähnlichen Empfindungen angeregt, wie an einigen wohlgelungenen anonymen Kampfansagen noch zu zeigen sein wird. Schrecks Gedicht ist deshalb eingehender behandelt worden, weil es ein wohltuendes Gegenstück zu dem Jubelgeschrei bildet, mit dem die Italiener die Bluttaten ihrer französischen Gesinnungsgenossen begrüßten. Wenn das Stück in der endgültigen Auflage wegblieb, so war das wohl eben darin begründet, daß die Sammlung sich auf Feste und kirchliche Gedenktage beschränken wollte. Sobald nun der Verfasser die einzelnen Sonntagsevangelien hintereinander abhandelt, schlägt er meist den Gang ein, daß zunächst die evangelische Geschichte erzählt und daran eine Betrachtung angeknüpft wird. Gelegentlich gibt die erste Strophe auch kurz den Grundgedanken der nachfolgenden predigtähnlichen Ansprache, so daß der evangelische Bericht von diesem einstrophigen Prolog und der Nutzanwendung eingerahmt ist. Die Sprache hebt sich nicht allzuhäufig über das Gewöhnliche; nur zuweilen strebt sie einen etwas höheren Flug an. So etwa in dem Hymnus zu Weihnachten: „Regalis instar alitis Te tolle sursum, mens mea, Incognitumque sensibus Considera mysterüim!" Eine gewisse Lebhaftigkeit wird auch erzielt, wenn sich der Poet bei der Geschichte vom zwölfjährigen Jesu im Tempel unmittelbar an die Kinderwelt wendet: „Ad hunc tenelli, blanduli, Accurrite pueri, et illius Vestigiis insistite, Qui vos benignus advocat." Zuweilen versteht er es, die Form dem behandelten Gegenstande anzugleichen; so ist das Versmaß für den Hymnus zum Fest der unschuldigen Kinder gut gewählt:
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„Moesta pange, Musa, Carmen Moestum et lacrimabile! . . . . 0 beatae animulae et caeli Hospites gratissimae: Vos, ceu gemmulae, pruinis Vere aduslae primulo, Vitae in limine ipso, et ipso Concidistis flosculo." Es ist wohl auch hier, ähnlich wie bei dem vorherangeführten Gedicht, an ein Kinderpublikum gedacht; immerhin versetzt sich der Dichter unmittelbar in die Lage und gibt diese anschaulich wieder. Noch eine stärkere Wirkung, aber mit ähnlichen Mitteln, übt er in dem Hymnus auf den Tag der Bekehrung Pauli aus. Da führt er am Anfang eindrucksvoll in den Augenblick des Ereignisses von Damaskus ein: „Quae caeli nova flamma coruscans Fidguris instar ab axe mit?" Und das ganze Gedicht hält kräftig die Umwandlung Pauli und deren Folgen fest; auch das sich anschließende Gebet nimmt an der erhöhten Stimmung teil. — Der Bilderschmuck kann bei der durch die Anlage nahegelegten Knappheit nicht allzu reich sein. Ganz fehlt er nicht, wie schon eine der angeführten Stellen zeigte, und es treten auch ausgeführtere Vergleiche auf; so wird der Hinweis auf die Bedeutsamkeit des geistlichen Amtes folgendermaßen eingekleidet: „Wie die Henne durch ihre Stimme die Küchlein rufend um sich schart und die Gescharten schützend unter ihren Flügeln birgt, so ruft der Gottessohn durch die Stimme der Lehrer die Herde zu sich, und die Zusammengerufenen schützend, vertreibt er die stygischen Geier." Der Widerwille der lutherischen Orthodoxie gegen alle Ketzereien kommt in folgendem Bilde zum Ausdruck: „Urtica ut inter gramina, — Ut taxus inter arbores, — Paliurus inier hordea, — Spinaeque jrugibus nocent: — Sic ingerunt ecclesiae — Sese haereses, et frivolis — Ei nocent erroribus — Quibus salus amittitur." — Neben dem gebräuchlichsten Hymnenmetrum werden auch andere Maße verwendet ; ja der Dichter verfolgt den Zweck, durch die verschiedenen Versmaße die Jugend zu poetischem Wetteifer anzureizen. Auch antike Metra tauchen auf, und wo der Dichter zu ihnen greift, da merkt man gleich, daß er sich freier regt, während das Hymnen-
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maß ihn einengt. — Es liegt in der Natur der Sache, daß bei dieser Dichtungsart Entlehnungen aus klassischen Schriftstellern seltener sind als da, wo der Hexameter und das Distichon herrschen; kommen sie aber doch einmal vor, so zeichnen sie sich auch durch unsägliche Geschmacklosigkeit aus, z. B. „Quousque tandem in crimine ... pergitis, o impii ?" Noch einen zweiten Band Festgedichte hat Schreck veröffentlicht; er ist 1583 erschienen, doch reichen die in ihm enthaltenen Gedichte weit zurück, zum Teil noch in seine Königsberger Zeit (1564). Von der früheren Sammlung unterscheidet er sich in der Form dadurch, daß das Hymnenmaß nicht mehr benutzt wird. Der Dichter verwendet Distichon und Hexameter, auch Odenmaße, so das sapphische, gelegentlich auch andere. Am häufigsten stellen sich die Betrachtungen zum Weihnachtsfest und zu Neujahr ein, wobei wohl die Bedürfnisse von Universität und Schule maßgebend waren. Nicht ebenso reichlich sind die anderen Feste bedacht. Die völlige Loslösung von dem Hymnenmaß gewährt dem Dichter die Möglichkeit, sich freier zu bewegen, auch den Bilderschmuck stärker auszugestalten. Freilich, wirklich poetische Eindrücke werden hier so wenig wie in den eigentlichen Hymnen erzielt. Einige Weihnachtsgedichte sind geglückt; anderes aber ist mit dem Zeitgeschmack hinfällig geworden, und manches Abgeschmackte stört, so wenn in einer Neujahrsbetrachtung unter den bösen Zeichen auch das zweiköpfige K a l b nicht vergessen wird, das jüngst in der Stadt geboren ist (1577). — Luthers Abneigung gegen die sentimentale Ausmalung des Leidens Christi hat das Kirchenlied des Reformationszeitalters nachhaltig beeinflußt; seit dem Ende des Jahrhunderts beginnt ein Wandel einzutreten. Seine Wurzeln liegen in der neulateinischen Poesie, wie schon bei Stigel zu ersehen war; auch die vorliegende Sammlung bezeugt es: ,,Aspice funiceo rorantem sanguine Christum, . Extremique vide grande doloris onus Nos meriti poenas, nos vulnera fecitnus illi, Pleno, mali quorum pectora crimen hdbent."
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Ein Büchlein Hymnen nach altchristlichem Vorbilde hat auch der seit 1567 an der Erfurter Regierkirche wirkende und später zum Rektor der Universität ernannte Johannes Gallus (1578) vorgelegt. In das Wesen des Verfassers führt die poetische Wid-
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mung an den Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen-Weimar gut ein. Freilich sind die Elfsilbler etwas holprig, aber man liest doch mit Vergnügen, wie der arme Schelm dem hohen Gönner eine frühere Begegnung ins Gedächtnis zurückruft. Als er in Jena das Baccalaureatsexamen ablegte, mußte er auch eine Probepredigt halten; der hat der junge Fürst nicht allein sorgfältig zugehört, sondern auch den Kandidaten zum Frühstück eingeladen und sich stundenlang mit ihm unterhalten. Zu dem am nächsten Tage erfolgenden Abschlüsse der Prüfung hat er ihm mit Handschlag Glück gewünscht und ihm seine Gunst für die Zukunft verheißen. Wie der brave Magister dies erzählt, wie dankerfüllt er die Erinnerung an das leutselige Verhalten des Fürsten hegt, „solange mir in diesen Adern das Blut warm sein wird" — das bezeichnet sein Wesen: die treuherzige Einfalt der gewiß begrenzten Persönlichkeit heimelt erwärmend an. Die Hymnen selbst, durchweg sich des gebräuchlichsten altkirchlichen Maßes bedienend, schließen sich an die einzelnen Feste an; zuletzt folgen noch einige Betrachtungen allgemeiner Natur. Der Verfasser strebt danach, die innige Anteilnahme an dem Gefühlsgehalt der darzustellenden Vorgänge mit der Darlegung der wichtigsten Tatsachen zu verbinden: das führt zu bloßen Aufzählungen, so bei dem Gedicht über die Passion. Am ehesten wird noch die vorschwebende Absicht erreicht, wenn der Dichter sich etwa zu Weihnachten in die Seele der Hirten versetzt und ähnlich wie in den bekannten Schriftworten ausruft: „Quid stamus ignavi? moras Quid nectimus? quin sufplices Ipsius in fiducia Curramus ad cunabiüa."
Die Auseinandersetzungen über die Gottheit Christi oder über die Vereinigimg beider Naturen in Christo kommen über prosaisches Gerede nicht hinaus. Unmittelbarer wirkt Gallus in dem Hymnus: „An Christus gegen die Feinde des Gottessohnes", wo er darum fleht, daß die Verfolger selbst in die Gruben fallen möchten, die sie der Herde Gottes gegraben hätten. Gern würde man derartige Beziehungen auf die Gegenwart öfter vernehmen; doch hat der Dichter wenigstens einmal ein bedeutsames Ereignis aus seiner Zeit angeführt; wenn er in dem Hymnus auf die Engel des Schutzes gedenkt, den sie dem verfolgten Frommen
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GALLUS.
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gewähren, dann erscheint als Beispiel nicht bloß S i m o n Petrus, sondern auch S i m o n Grynäus (1498—1541, vgl. oben S. 32), der, als Rektor in Budapest der Ketzerei verdächtigt, ins Gefängnis geworfen, aber unvermutet durch Adlige daraus befreit wurde; dem schließt sich die Geschichte von dem im Walde vom Schnee verschütteten und dennoch durch die Hut der Engel am Leben erhalten Zwickauer Knaben an: „Educit angelus Petrum Ex vinculis, sie effugit Symon Grynaeus angelo Monente lictorum manus, Ab angelo sie, obruta Relictus in silva nive, Tribus diebus integris Puer fovetur Cygneus." Gelegentlich lehnt sich Gallus auch an deutsche Lieder an; so gibt er Luthers „Erhalt* uns, Herr, bei deinem W o r t " und das aus dem Lateinischen übersetzte anonyme „Christe, der du bist Tag und Licht" wieder; in dem ersten Falle übernimmt er auch den weder streng noch rein durchgeführten Reim. — Am liebenswürdigsten, den aus dem Widmungsgedicht erschlossenen Grundzügen seiner Natur entsprechend, erscheint jedoch der biedere Mann, wenn er von den Ereignissen seines Familienlebens ausgeht; zu seiner zweiten Hochzeit hat er sich einen Hymnus gedichtet und ihm angesichts dieses festlichen Anlasses noch durch den Reim einen besonderen Schmuck aufgeheftet. Und rührend ist das Lied, das der Vater an der Wiege des kürzlich getauften Söhnchens singt, das nun in den Bund mit Gott aufgenommen ist und durch die von diesem gesandten Engel vor den Tücken des bösen Feindes beschützt wird; „Quapropter, Henselmennule, Fili mihi canssime, Laetus resolve parvula Repente somno lumina! Dormi, tibi caelum favet Ipsique caeli praesides, Tutus manebis, ilia Rumpanlur ut diabolo."
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VERSUCH
EINER
NEUBELEBUNG
DER
CHRISTLICHEN
POESIE.
Man darf bei dieser Gelegenheit auch der anderen poetischen Versuche des Gallus gedenken; sie bestätigen freilich das sich aus der eben besprochenen Arbeit ergebende Urteil. Seine beiden Bücher „Gedichte" (das letzte 1571) bieten kleine, bedeutungslose Ausschnitte religiösen und persönlichen Inhalts, in ihrer schematischen Art zuweilen von unfreiwilliger Komik. Doch kommt für die Charakteristik des Mannes wenigstens einiges heraus: er ist ein begeisterter Verehrer Melanchthons, dem er eine Grabschrift gewidmet hat mit heftiger Scheltrede gegen die Feinde des praeceptor Germaniae: „Qui non pium Melanchthonem Virum colit dignissimum, Asellus est, illum Deus Severiterque puniet." Das hier verwendete Hymnenmaß tritt in den Gedichten wiederholt auf, gelegentlich auch mit dem Reim. — Wie Melanchthon, so feiert er Camerarius, auch Johann Major stand er nahe, so daß er doch wohl der milderen philippistischen Richtung zugerechnet werden muß, wenn er auch in der Abendmahlsfrage den streng lutherischen Standpunkt vertrat und ihn in der Schrift: „De coena Domini simplex methodus" (1584) verteidigt hat. Eine Nachdichtung der Schlußworte des „König Oedipus", wie heute wieder üblich, dem Oedipus als Monolog in den Mund gelegt, hebt sich um ihres Gegenstandes willen erfreulich aus dem trivialen Gewäsch heraus. Den Vorzug der Originalität hat eine Grabschrift Christi für sich. Um Gallus scheint sich ein kleiner Erfurter Dichterkreis gesammelt zu haben; ihm gehörte wohl der gleich zu nennende Helmbold einige Zeit an; die Hauptstütze war neben Gallus der Prediger Bartholomäus Hübner; dessen zwei Bücher Gelegenheitsgedichte (1569) und seine elegische Bußpredigt: „Der Höhepunkt der Zeit und das Endgericht Christi" (de consummatione saeculi et extremo judicio domini nostri Jesu Christi 1568) zeigen, daß er in poeticis ungefähr Gallus die Wage hielt. Fast noch einige Stufen tiefer steigt man bei Antonius Mocker (geb. um 1535, f 1607) hinunter, der ebenfalls dem Kreise des Gallus nahestand. Als Epiker, Didaktiker, als Verfasser des halbepischen Gedichtes: „Der Schulkrieg" (Bellum scholasticum) wird er später noch zu nennen sein. Was er in seinen Elegien und Epigrammen an Lyrischem geleistet hat, ist außer-
GALLUS;
BARTH.
HÜBNER;
ANTONIUS
MOCKER.
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ordentlich dürftig und in der Sprache von einer ganz ungewöhnlichen Härte und Trockenheit. Allenfalls kann man sich eine Gratulationselegie zur erlangten Licentiatenwürde des Rechtes gefallen lassen: Mocker zieht in ihr heftig gegen die Advokaten los; die Falschmünzer würden mit öffentlicher Strafe belegt, weshalb man nicht gegen die Rechtsverderber und -Schädiger in gleicher Weise verfahre? Auch einige andere Gratulationselegien allegorischer und beschreibender Art mögen hingehen, zumal gelegentlich das Kultur- oder Schulhistorische anziehend wirkt. Das Gebiet der Didaktik wird bereits betreten, wenn Mocker in schematischer Armseligkeit den Studenten die Nachteile schlechter Gesellschaft auseinandersetzt. Mit größerer Lebhaftigkeit rückt er einem nächtlichen Herumtreiber, der nach Studentenart durch unmäßiges Gebrüll die Ruhe stört und den Degen an den Steinen wetzt, das Unnütze seiner Streiche vor: „Cur clamas Juch, Juch? gladiis cur saxa petisque?" Durch den Ausblick auf den wunderlichen Erfurter Poetenkreis ist die Betrachtung der hymnisch-christlichen Poesie unterbrochen worden; eine dieser Gruppe angehörende Persönlichkeit mag die Geschichte dieser Bestrebungen zu einem vorläufigen Abschlüsse führen. Ludwig Helmbold ist schon genannt worden. Als Abkömmling eines angesehenen Bürgergeschlechtes wurde er am 2. Januar 1532 in Mühlhausen geboren; zu seinen Lehrern gehörte der große Philologe Hieronymus Wolf, selbst als lateinischer Dichter bekannt. Helmbold studierte in Leipzig und Erfurt, ging hierauf, erst achtzehnjährig, als Schullehrer in seine Vaterstadt zurück, verließ diese dann aber, um in Erfurt seine Studien abzuschließen. Hier erhielt er einen Lehrauftrag für Pocsit; an der Universität und später eine Lehrstelle an dem neugegründeten Pädagogium. Diese Ämter hat er bis 1570 bekleidet und wohl zu gleicher Zeit dem Erfurter Poetenkreise angehört. Allein über Bekenntnisfragen kam es zwischen ihm und Johannes Gallus zu Meinungsverschiedenheiten, und der daraus entstandene Zwist zwang ihn 1570, sang- und klanglos Erfurt zu verlassen — ein Ereignis, dessen Spuren auch in seiner Poesie nicht zu verkennen sind. Er kehrte nach Mühlhausen zurück, wo er zuerst als Lehrer, dann als Diakonus, zuletzt als Superintendent segensreich wirkte, ohne Rücksicht auf die Person nur der Sache dienend (gest. 1598). — Der rein poetische Wert seiner Versklitterungen ist gering; eine Geschichte der neulateinischen
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VERSUCH
EINER
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POESIE.
Dichtung Deutschlands muß gleichwohl länger bei ihm verweilen, weil auch in diesen vielfach mißlungenen Oden und Hymnen die Persönlichkeit zum Durchbruch kommt. Den geringsten Ertrag bieten die vierzig katechetischen Oden; sie handeln die einzelnen Gegenstände des Katechismus ab, erst jedes der zehn Gebote, dann die sieben Bitten und die Sakramente, namentlich diese stark mit religiöser Polemik gegen Papsttum und Zwingli versetzt: „Quis papam jussit mutilare coenam, Ut sacrum plebi calicem negarit? Diabolns, rex volucrum Tartarearum, Celeriter surripit ex corde profa.no Verbum Dei, ne credat: o scelestum Tristeque damnum!" Die letzten vier Zeilen werden dann als Refrain regelmäßig wiederholt, während in den beiden ersten Versen, wie hier, nach den Urhebern der Irrtümer gefragt wird. Diese Form, sicher mit Rücksicht auf den Tonsetzer gewählt, begegnet auch sonst häufig. Die mannigfaltigsten Maße kommen, ebenfalls wie in den anderen Oden, zur Verwendung; gelegentlich findet sich auch der Reim. Höher als diese Versuche stehen sechsundvierzig „heilige Oden", sechsundfünfzig die sieben Schöpfungstage behandelnde (Hebdomas) und, ihnen im Stoff nahestehend, zwanzig Oden „über einige Werke des Schöpfers". Die „heiligen Oden" knüpfen an die wichtigsten Vorgänge der Genesis an; sie suchen die den Tatsachen zugrunde liegenden allgemeinen Gedanken herauszuschälen und sie erbaulich, tröstend, mahnend wiederzugeben. Ein ähnliches Verfahren wird in der „Hebdomas" eingeschlagen. Die zwanzig Oden sehen von einer Anknüpfung an bestimmte Bibelstellen ab und begnügen sich, einige Wundertaten Gottes zu preisen, wobei freilich die Enge des Standpunktes allzu deutlich heraustritt. Überhaupt fehlt es auch in diesen Gedichten nicht an entsetzlichen Plattheiten, und schüchtern sich hervorwagende poetische Regungen werden fast immer durch die lehrhafte Nüchternheit zurückgedrängt. Trotzdem taucht manch bemerkenswerter Zug auf. So wenn z. B. die Betrachtung der Sintflut zu einer Bußpredigt an das noch lebende Geschlecht ausgenutzt wird und dabei die einzelnen Vorgänge ganz lebendig erstehen:
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HELMBOLD.
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„0 meditare piagas Anteriores Et jitge poenitendo Posteriores! Ecce rapax volutai Unda parentes, Flebilis inier tilnas Occidit infans. Nulla domus nec arbor Dat stationem, Montibus alliores Aspice fluctus; Aspiciens pavesce Promis et ora, Ut tibi Christus arcae Praebaet usnm." Ähnlich wie hier ist auch sonst manches unmittelbar nahegebracht, und man spürt zuweilen das persönliche Empfinden durch, so etwa in der Anrede, in der Satans Versuch, dem Menschen seine Sünden vorzuhalten, scharf zurückgewiesen wird, oder in dem Trostspruch über die Hinfälligkeit des sterblichen Leibes. Die Oden von der Schöpfung und den Werken Gottes enthalten freilich viel Wunderliches und Nüchternes, aber auch hier bricht gelegentlich ein wärmerer Ton durch, obgleich die aus Zeit und Persönlichkeit sich ergebenden Schranken deutlich erkennbar bleiben. Eine etwas harte, sittenrichterliche Art war Helmbold eigen; sie verleugnet sich auch in seinen poetischen Versuchen nicht; der Seelsorger und Pädagog sucht den ihm anbefohlenen Sündern das Gewissen zu schärfen. Deshalb wird man gern bei den Äußerungen verweilen, wo der Poet liebenswürdig erscheint. Das ist namentlich dann der Fall, wenn er der Stadt gedenkt, die ihm als Geburtsort und späterer Wirkungskreis besonders ans Herz gewachsen war; sobald er die Schöpfungsgeschichte und die Wundertaten Gottes besingt, steht ihm die Umgebung Mühlhausens lebhaft vor Augen und er strebt danach, auch das einzelne im Bilde festzuhalten, die vorbeifließende Unstrut, die Obstgärten, die gesegneten Getreidefelder, den Poper oder Brunnen und das Breitsulzer Wasser. Die Odendichtung Helmbolds ist mit dem Gesagten noch nicht erschöpft. Es kommen zunächst die „zwei Bücher lyrischer
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Gedichte" in Betracht (1578), einunddreißig Oden in verschiedenen lyrischen Maßen. Sie feiern Christi Erscheinen, zuerst seine Ankunft in der Welt, dann die in Jerusalem, schließlich seine Wiederkehr und die Zeichen, durch die diese verkündet wird. Daran anschließend wird eine Reihe von Fragen über Christi Sendung und Amt sowie über die Form behandelt, unter der er sich der Welt geoffenbart hat. Im zweiten Teile tritt neben Christus Johannes der Täufer bedeutsam hervor. Helmbold hat den ersten Teil dem Rat von Duderstadt gewidmet; da dieser wegen seiner evangelischen Gesinnung durch den Erzbischof von Mainz manche Drangsal zu erdulden hatte, wollte er ihn zum Ausharren ermutigen; dem entspricht es, daß unter den Vorzeichen der Wiederkehr des Messias auch die Verfolgung der Gläubigen erscheint und daß ein dringendes Mahnwort erschallt, um des ewigen Evangeliums willen alle vergänglichen Erdengüter gering zu achten; gewiß spricht der Dichter seine Herzensmeinung aus, wenn er sagt (I 15): „0 si nos sancti flaminis igne Illuminatos excitet ardor, Ex verbo Christi gaudia, nullis Cessura curis, perciperemus, Seit nos paupertas, sive tyrannis, Seu totus orcus persequeretur."
Tragen alle die erwähnten Gedichte schon einen hymnischen Charakter, so hat Helmbold sich schließlich auch des eigentlichen Hymnenmaßes, des jambischen Dimeters, bedient. In seinem „Buch frommer Betrachtungen" über den Gang Christi aus Jerusalem auf den ölberg (1583) stellt er hundertzweiundvierzig sechsstrophige Hymnen zusammen. Sie begleiten die einzelnen Stadien des erwähnten Ganges, indem sie teils das Geschehene selbst, lebhaft teilnehmend, darlegen, teils fromme Betrachtungen daran knüpfen, die sich zuweilen durch eine ganze Reihe von Gedichten hindurchziehen. Die Anlage ist insofern nicht ohne Reiz, als der Dichter von einer Abendmahlsfeier ausgeht, an der er selbst teilnimmt; er findet von der in ihm erweckten frommen Stimmung aus daher leicht den Übergang zu dem Abendmahl Christi, worauf sich eine Betrachtung des einzelnen anschließt. Ein wahres Frommsein offenbart sich überall, ebenso der Wunsch, die Betrachtung des Leidens Christi der seelischen Erhebung
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dienstbar zu machen. Sachlich zeigt sich die gleiche Stellungnahme: der feste Lutheraner, der so nahe mit den Bestrebungen der Gegenreformation zusammenstieß, macht wiederholt seinem Widerwillen gegen das Papsttum und dessen Vertreter Luft; auch die Jesuiten erhalten bei einer Betrachtung über das Unnütze aller nicht durch den inneren Wert getragenen Titel ihren Anteil (72/73). Zuweilen läßt der Dichter doch tief in seine Seele blicken; wenn er Christi Weissagung der Zerstörung Jerusalems behandelt, so meint er annehmen zu müssen, daß ein ähnliches Unheil auch über Deutschland hereinbrechen könnte: mit Schaudern denkt er an das Schicksal seiner Heimatstadt, aber in dem Vertrauen auf Jesus findet er schließlich Beruhigung: „Me terret urbis omni um Sanctissimae desertio: Cave tibi, Germania, Cave tibi, Thuringia! Natalis oppidi favor Et cura me medullitus Tangit; modo non deserat Jesus, quid ultra deprecer?"
Die Darstellung kann man allerdings nicht loben; sie hat etwas schulmeisterlich Trockenes: der Wunsch, die entwickelten Gedanken unmißverständlich vorzutragen und sicher einzuprägen, führt zu einer schwer ertragbaren Nüchternheit. Die zahlreichen Fragen dienen ebenfalls lehrhaften Zwecken und vermögen daher der Sprache kein Leben einzuhauchen. Da sich keine Gelegenheit ergeben wird, wieder auf Helmbold zurückzukommen, so möge noch mit einem Worte von seinen anderen poetischen Versuchen die Rede sein. Er hat die Augustana in elegische Verse, die Sonntagsevangelien und -episteln in je ein Distichon, die einzelnen Kapitel der biblischen Bücher in je einen Hexameter gezwängt. Wichtiger erscheinen seine, wohl in die frühere Zeit seines Lebens gehörenden Epigramme, unter denen sich gelegentlich etwas Lyrisches befindet. Auch die Elegien verdienen trotz ihres meist nüchternen, harten Ausdrucks eine kurze Erwähnung. Gelegenheitsgedichte wechseln hier mit kirchlichen Klängen; eine Elegie feiert (1563) Maximilian II., und es ist belustigend, zu sehen, mit welcher Vorsicht der überzeugungstreue Protestant bei dem Eingehen auf E l l l n g e r , Neulateinische Lyrik 2.
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Karl V. über den schmalkaldischen Krieg hinweggleitet. Die stärkste Wirkung übt er da aus, wo er sich mit dem Rechte des Seelenhirten zum Anwalt des kleinen Mannes macht. 1571 trat er auf das schärfste den Korn- und Wollewucherern entgegen. Das elegische Gedicht „Gegen die frevelhafte Habsucht dieses Zeitalters" arbeitet zwar vielfach mit versifizierten Bibelstellen, erhebt sich jedoch am Schlüsse zu selbständiger Kraft, indem die Wucherer an den Pranger gestellt werden, deren Scheunen voll sind, während der Dürftige darbt, und die die Wolle zurückhalten, so daß der arme Weber zugrunde gehen muß. Kann auch von einer ästhetischen Wirkung nicht die Rede sein, so wird doch eine rein menschliche Teilnahme erweckt, wenn der ehrliche Prediger die hartherzigen Sünder wachzurütteln sucht: „0 utinam possis agnoscere, quanta pericla Te maneant, teneant praecipitemque trahant. In Satanae vinclis haeres: si Uber es, aude, Frange catenatas, ne dominentur, opest"
Mit Gallus und Helmbold ist die unterste Stufe im Bereich des Strebens nach einer rein christlichen Poesie bezeichnet. Bei einem Rückblick auf den Gesamtverlauf der Bewegung kann man deren Ertrag nicht allzu hoch veranschlagen. Wohl sind diese Versuche mit redlichem Willen und meist mit Einsatz der ganzen Persönlichkeit unternommen worden, aber auch wenn stärkere poetische Kräfte sich in den Dienst der Aufgabe gestellt hätten, wäre sie nicht lösbar gewesen. Die hymnische Poesie war ein natürliches Erzeugnis der frühchristlichen Zeit und der Welt des Mittelalters; die Bedingungen, unter denen sie entstand, ließen sich im Zeitalter der Reformation trotz heißen Bemühens nicht wieder schaffen; infolgedessen war der neuchristlichen Lyrik kein wirkliches Leben beschieden, so sehr sich auch die reine Natur des Fabricius in seiner Kunstübung widerspiegelt. Trotz der Wurzellosigkeit dieser Bestrebungen sind sie aber in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts wieder aufgenommen worden. Darüber wird später zu reden sein.
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Viertes Kapitel.
Einzelne Landschaften. Nicht alle Vertreter der neulateinischen Dichtung — das Wort im engeren Sinne genommen — lassen sich in ähnlicher Weise wie die bisher behandelten um einen geistigen Mittelpunkt gruppieren. Wohl erstreckte sich der Einfluß Melanchthons noch weit über die Wittenberger Kreise hinaus, auch bei zahlreichen anderen Poeten wirkten die von ihm gegebenen Antriebe nach; wohl regten sich noch ähnliche Restaurationstendenzen wie bei Georg Fabricius, seinen Nachfolgern und Mitstrebenden; allein die Verbindung mit den von Hessus, Melanchthon, Fabricius ausgehenden Bestrebungen ist doch nicht so eng, daß man berechtigt wäre, von einem durchgehenden Zusammenhange zu sprechen. Trotz aller Ähnlichkeit, wie sie Zunft- und Zeitrichtung schufen, zeigen sich doch viele unterscheidende Merkmale. Eine Einzelbetrachtung erweist sich daher als notwendig; da sich eine große Zahl von älteren und jüngeren Neulateinern nicht in Dichterkreise einreihen läßt, erscheint es am zweckmäßigsten, die einzelnen deutschen Lande auf die Hauptvertreter der neulateinischen Dichtung hin durchzugehen. Doch soll die landschaftliche Betrachtungsweise nicht allzu ängstlich festgehalten werden; wo zwei poetische Erscheinungen verwandte Züge tragen, oder wo sich ein anderer naheliegender Zusammenhang ergibt, da möge ausnahmsweise eine Durchbrechung der Reihenfolge gestattet sein. — Ähnlich wie bei den Wittenberger Kreisen führt auch dieses Kapitel vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis zu dem für diesen Band gesetzten Endpunkte. A l p e n l ä n d e r . Das Erdenwallen der neulateinischen Poeten bietet häufig nicht viel mehr als den eintönigen Verlauf eines braven, rechten Schulmeisterlebens. Allein das ist keineswegs immer der Fall. Zuweilen wird das sonst so stille Wässerlein 12*
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von heftigen Stürmen bewegt, und in der Art der Daseinsführung tut es sich kund, daß man es mit einer aus dem Geleise des Gewöhnlichen heraustretenden Persönlichkeit zu tun hat. Ein Bild solcher Art gewährt der Lebensgang der drei Poeten, die diese Reihe eröffnen sollen. Sie können zugleich als Vorläufer jener durch eigene und fremde Schuld aus der Bahn geworfenen Dichter betrachtet werden, von denen die Literaturgeschichte der folgenden Jahrhunderte zu berichten weiß. Genügen bei den meisten Neulateinern wenige Angaben, so kann bei ihnen eine Betrachtung der äußeren Schicksale um so weniger entbehrt werden, als ohne sie die Entwicklung des Poeten nur halb verständlich wird. Der eine der drei in Betracht kommenden Männer ist Michael Schütz, genannt Toxites. Geboren um 1515 zu Sterzing in Tirol, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, auf der Schule zu Dillingen vorgebildet, wurde er durch vornehme Gönner in den Stand gesetzt, die Tübinger Universität zu besuchen; dann erscheint er als Famulus eines Grafen in Pavia; auch in Wittenberg muß er sich aufgehalten und durch Melanchthon wesentliche Förderung empfangen haben. Zum Abschlüsse brachte er seine Studien nicht; die Unrast seines Wesens scheint ihn daran verhindert zu haben. Jedenfalls hat er keinen der Universitätsgrade erworben, auch die sog. höheren Studien nicht betrieben, so gern er sich auch dem Recht oder lieber noch der Medizin zugewendet hätte. Um 1537 an der Schule zu Urach als Lehrer angestellt, gerät er in Verdacht, pasquillantische Verse gegen den dortigen Pfarrer geschrieben zu haben, wird durch schwere Folter zu einem falschen Geständnis gezwungen und in entehrender Weise vom Henker aus dem Städtchen hinausgepeitscht. Zunächst gewährten ihm die Schweizer Reformatoren eine Zufluchtsstätte, dann bot sich ihm in Straßburg, wo er sich besonders an Johannes Sturm anschloß, ein neuer Wirkungskreis (1542); ihm wurde das Lehramt an der V. Klasse des Gymnasiums übertragen. Mehrere Jahre scheint er sich in diesem Amte bewährt zu haben, dann begann man aber mit ihm unzufrieden zu werden; es wurden ihm Trunksucht und Trägheit vorgeworfen; beides mag richtig gewesen sein, das letzte wohl deshalb, weil Toxites, der unterdessen die Würde eines gekrönten Poeten erlangt hatte, sich zum Kinderlehrer für zu gut hielt. Die Schweizer verschafften ihm eine Lehrstelle an der Schule
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zu Brugg; hier wiederholte sich dasselbe Spiel wie in Straßburg, und Toxites mußte auch diesen Posten aufgeben. Dann war er wieder längere Zeit in Straßburg, durch Johannes Sturm mit wissenschaftlichen Arbeiten betraut, auch gelegentlich zu diplomatischen Missionen verwendet. Unterdessen eröffnete sich ihm jedoch die Aussicht auf eine Revision seines Prozesses in Württemberg; da seine Unschuld an den Tag kam, betrieb er die Wiederaufnahme des Verfahrens, und dieses wurde nach längerer Zeit nicht bloß zu seinen Gunsten entschieden, sondern man entschädigte ihn auch für das erlittene Unrecht durch eine Professur der Poesie in Tübingen, neben der ihm noch andere wichtige Amtsgeschäfte zufielen. Allein obgleich er nun im Hafen geborgen zu sein schien, hielt er es auch hier auf die Dauer nicht aus; Schwierigkeiten, Anfeindungen und die eigene Unrast veranlaßten ihn zur Aufgabe des Amtes. Er entscheidet sich jetzt für die Medizin, wird leidenschaftlicher Anhänger des Paracelsus und betreibt die Herausgabe und Erklärung von dessen Schriften. Als Arzt versucht er sich zunächst in Straßburg, dann in Hagenau, längere und kürzere Reisen unterbrechen diese Wirksamkeit; in Hagenau ist er 1581 gestorben. Wir blicken in ein unstetes, wirres Leben, das nicht von der klaren Einsicht geleitet wurde, sondern dessen Gestaltung von augenblicklichen Wallungen abhing. Durch seine Zerfahrenheit wird der begabte Mann verhindert, festen Fuß zu fassen. Widrige Schicksale kommen dazu, ihm die irdische Laufbahn zu erschweren. Aber was ein geordnetes Dasein störte, kam doch bis zu einem gewissen Grade der Entwicklung des Poeten zugute. Die mannigfachen Fehlschläge und Leiden klingen in seine Dichtung hinein und geben ihr einen stärkeren Rückhalt. In den Anfängen der poetischen Tätigkeit zeigt sich Toxites am frischesten. Als er in Urach ungerecht verdächtigt wurde, schrieb er sein elegisches Gedicht: „Die Klage der Gans" (1540). In ausführlichster Weise beklagt sich die Gans über die Undankbarkeit des Menschengeschlechts; sie zählt alles Böse auf, was ihr sowohl während des Lebens als nach dem Tode angetan wird und hebt im Gegensatz dazu die von ihr dem Menschengeschlecht erwiesenen Wohltaten hervor. Den im ganzen wohlgelungenen Monolog könnte man für eine Erfindung halten, wie sie uns später im komischen Epos begegnen wird, und wie sie um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts auch der deutsch ge-
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schriebenen epischen Literatur nicht fremd bleibt, wenn nicht die Vorrede ausdrücklich betonte, daß unter der Gans die guten und gelehrten Männer zu verstehen seien, was mit großer Pedanterie nachgewiesen wird. Es kann also kein Zweifel daran aufkommen, daß Toxites bei den von der Gans angestimmten Klagen das eigene Schicksal vorgeschwebt hat, obgleich dieser Zusammenhang nur in den Schlußworten zutage tritt, wo ein persönlicher Ton mitschwingt. Allerdings erscheint die von dem Dichter gewählte Einkleidung im 16. Jahrhundert nicht selten: als Käuzlein beklagt der Volkssänger die Trennung von der Geliebten, und wenn das Volkslied den Hasen eine Klage über seine Leiden anstimmen läßt, so schwebte wohl ebenfalls eine allegorische Absicht vor. Namentlich das Volkslied vom Hasen, das damals sicher schon verbreitet war, wenn es auch erst etwas später schriftlich fixiert worden ist, hat dem Dichter mahche Züge geliefert, und dieser frische Hauch des Volkstümlichen belebt das Werkchen; das gleiche gilt von der humoristischen Wirkung, die sich aus dem Gegensatz zwischen den geistig-gelehrten Anspielungen und der sprechenden Gans ergibt; doch ist diese Komik wohl nicht beabsichtigt. Wie stark das Gedicht auf die neulateinische Poetenwelt gewirkt hat, und wie sehr ein Toxites ähnlicher Charakter darin den Ausdruck der eigenen Empfindungen wiederfand, soll bald an einem bezeichnenden Falle dargetan werden. „Die Klage der Gans", in gewandten Versen geschrieben, war nicht das erste Kind von Toxites' Muse; ein Jahr früher (1539) entstand bereits eine poetische Bitte um die Freundschaft eines Gönners, die trotz überladenen Beiwerkes von unverkennbarer Begabung zeugt. Schon diese früheste Probe seines Talentes wird von einem leisen Hauch der Melancholie gestreift; es läßt sich denken, daß die in Urach gemachten Erfahrungen den unschuldig Verfolgten nicht bloß in dieser Stimmimg bestärken, sondern ihn mit der Überzeugung von dem verderbten Zustand des Zeitalters erfüllen mußten. Es ist daher kein Zufall, daß zunächst die Vorstellung von dem Unglück und Elend dieser Welt sein Gemüt beherrschte. Als nach dem schweren Mißgeschick treffliche Männer, insbesondere die Straßburger Theologen, sich seiner annahmen, da sprach er ihnen in einer „satirischen Danksagimg" (Frühsommer 1541) seinen innigen Dank aus. „Satirisch" nennt er das in Hexametern ab-
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gefaßte Gedicht, weil es den verderbten Zustand der Zeit aufdeckt und in den düstersten Farben malt. Gleichwohl ist es nicht in die eigentliche Satire (im engeren Sinne) einzureihen, sondern das Lyrische wiegt vor: der Dichter macht seinem vollen Herzen Luft; und der Übergang von dem Hochgefühl über die ihm zuteil gewordene Hilfe zu der düsteren Klage vollzieht sich mit Leichtigkeit, indem er die rettende Tat als ein seltenes Werk bezeichnet, selten namentlich in einer so entarteten Zeit, die nun mit allen ihren dunklen Seiten vergegenwärtigt wird. Dabei spürt man jedoch immer, wie der Grimm über das erlittene Unrecht ihm die Zunge löst; niemand, der mit Toxites' Geschick vertraut war, konnte den Hinweis auf die schnöde Vergewaltigung verkennen: „Nil prosunt virtus, probitas, nil iura vel artes, Dicitur obsequio iuris sententia; iustus Sis licet, ad Stygias odio damnaberis undas, In te confingent aliis commissa maligne Crimina livenies; quin tu fecisse fateri Mox ea cogeris, graviora pericula nempe Ut miser eviles. 0 semita dura salutisl" Bevor Toxites als Lehrer nach Straßburg kam, hatte eine furchtbare Pest zuerst den Theologen Simon Grynäus, dann ein Jahr später auch dessen Kollegen Capito und Jakob Bedrottus weggerafft. Toxites widmete ihnen Grabschriften, in denen manches gut abgewogene Wort fällt; schwerer als diese Gelegenheitsarbeiten fällt jedoch die den dreien gewidmete „Apotheose" ins Gewicht. Sie gehört zu Toxites' besten Leistungen. Die über das herrschende Unglück und die Bedrückung der wahren Lehre, insbesondere aber über den Tod der Stützen des Glaubens klagende Kirche wird von Christus gehört; mit Erlaubnis des Vaters kommt er auf die Erde herab und spendet Trost, indem er darauf hinweist, daß die drei Theologen jetzt der Schar der verklärten Geister eingereiht seien, daß aber ihr Wirken Fortsetzer finden, daß Beschützer des Glaubens erstehen würden, unter denen Toxites ziemlich voreilig die allerdings gemäßigten Kirchenfürsten Christoph von Stadion, den Bischof von Augsburg, und Erasmus von Limburg, den Bischof von Straßburg, nennt. Nachdem Christus wieder zum Himmel emporgestiegen, wird die Kirche durch ein Aufgebot von Engeln gegen die ihr drohenden Ge-
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fahren beschützt. Die Ausführung dieser Szene bringt manches Effektvolle, aber stärker wirkt noch der Rahmen, in den die Haupthandlung hineingestellt worden ist. Den Dichter, den sein Kummer über den Tod der drei verehrten Männer überallhin begleitet, überfällt an einem Frühlingstage am blumigen, vom sanften Winde durchwehten, vom Vogelsang belebten Bergabhang der Schlaf und im Traumgesicht offenbart sich ihm ein düsteres Bild: „Lucus erat duris fragosior undique saxis, Horrendaeque fovens animalia mira jigurae, Qualia fertilibus inveniuntur in oris."
In dieser Umgebung gewahrt er eine weißgekleidete weinende Frau, die von wenigen Greisen und Dienern nur mit Mühe vor den sie bedrohenden Untieren geschützt wird. Hierauf schließt sich das bereits Erzählte an, und nachdem die Kirche durch die ihr zugesandte Engelschar den Schutz erhalten hat, den ihr die Begleiter nicht gewähren konnten, erwacht der Dichter, durch einen gewaltigen Donner aus dem Schlafe aufgeschreckt — „videre putabam, Quae mihi per graium juerant oblata soporem. Sic quondam sancti viderunt piurima patres Per somnum, immisit dominus quae coelitus ipsis."
Es war in diesem Falle leicht, der Darstellung einen weiten Hintergrund zu geben; schwieriger erwies sich das gleiche Unterfangen in anderen Fällen, wo lediglich ein ungewöhnliches Ereignis in Verse gebracht werden sollte. Doch auch einen solchen unergiebigen Vorwurf hat der Poet durch volkstümliche Elemente und durch die Mahnung zum Türkenkriege zu beleben gewußt. Zwangloser bewegte er sich, wo eine größere Aufgabe an ihn herantrat. 1543 richtete er eine poetische Zuschrift an Hermann von Wied, den Erzbischof von Köln. Dieser trug sich seit 1542 mit dem Gedanken, in Köln die Reformation einzuführen, und mit Hilfe der nach Köln eingeladenen Reformatoren Melanchthon und Buzer ging er ernstlich an die Durchführung des Werkes. Ihn in dieser Absicht zu stärken, hielt Toxites für seine Pflicht. Er bediente sich zu diesem Zwecke der allegorischen Heroide. In etwa 150 Distichen schreibt die Kirche an Hermann. Sie be-
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grüßt mit Freude sein erst für eine Fabel gehaltenes Unternehmen; sie klagt über die Knechtschaft, die sie so lange erlitten, und weist auf den schneidenden Gegensatz zwischen ihrem Wesen und dem Treiben des Papstes hin. Von dem mutigen Entschluß Hermanns erhofft sie die Befreiung aus ihrem Kerker und den Sturz der päpstlichen Herrschaft. Dem Erzbischof aber, der den Anstoß zu diesen Umwälzungen gegeben, stellt der Dichter hohen Lohn in Aussicht, der um so größer sein müsse, je schlechter die Zeiten seien. Und so erhält nun Toxites Gelegenheit, auf seinen Lieblingsgegenstand, die traurigen Zustände der Welt und des Zeitalters, zu kommen. „Cuncta vid.es miseris repleta tumultibus esse, In toto Mavors impius orbe jurit Est extinctus amor, terris nox incnbat atra, Atque iiigens hominum pectora frigus habet. Aucta superstitio est, et regnat opinio passim, Errorumque jugant nulila caeca fidem . . . In plures divisa ruit Germania partes, Rarus in hoc aevo est religionis amans. Iam scelus in pretio est, virtus iacet, imperat error, Turba timet verum parva colitque deum, Impia Teutonicas blasphemia circuit oras, Omnibus ebrietas iunctaque foeda malis. idem Haec deus exodit semper iustissimus, Haec propter Turcas cogit ad arma feros.
Dem Hermann aber weist Toxites die Aufgabe zu, in dieser verwirrten Welt Ordnung zu schaffen. Gelingt ihm dies, dann werden Gottlosigkeit und Bosheit schwinden, Friede, Frömmigkeit und Nächstenliebe zur Herrschaft gelangen. Ungefähr in der gleichen Zeit, in der dies fließend geschriebene, wenn auch durch überflüssige Gelehrsamkeit entstellte Gedicht entstand, brachte Toxites einem ganz anders gearteten Kirchenfürsten seine Glückwünsche dar. 1543 starb Toxites' Gönner Christoph von Stadion, und an seiner Stelle wurde Otto Truchseß von Waldburg zum Bischof von Augsburg gewählt, dessen Famulus Toxites einst in Pavia gewesen war. Otto Truchseß war ein schroffer Gegner der Reformation, was Toxites sicher bekannt war, und angesichts der in dem „Glückwunschbrief der Kirche" an Hermann geäußerten Ansichten tritt man mit einiger
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Spannung an den Panegyricus für Otto Truchseß heran und fragt sich, ob und wie auch hier der Reformeifer des Dichters durchbricht. Dem panegyrischen Charakter des Gedichtes entsprechend, wird das Geschlecht des neuen Bischofs gepriesen, wobei mehr als der Vater Ottos Oheim in den Vordergrund tritt, Georg Truchseß von Waldburg, der berüchtigte „Bauernjörg", dem in seiner Sterbestunde Mercur die große Zukunft des Neffen weissagt. Zu diesem hochgestimmten Ton steht in wohl gewolltem Gegensatz das auch hier nicht fehlende Bild der Verderbnis des Zeitalters. Der Übergang von diesem düsteren Gemälde zu den religiösen Mißständen und Wirren ergibt sich leicht, ebenso die Aufforderung an Otto, auf diesem ihm als Bischof so naheliegenden Gebiete helfend, rettend einzugreifen: „Hic nervös iniende omnes, hic denique vires!" Dabei ist es hübsch zu sehen, auf welchem Wege Toxites die kirchlichen Streitigkeiten beigelegt zu sehen hofft: „Non vi, non odio, non invidiave nec arrnis Componi res tanta polest, velut hactenus actum est A multis . . Sed pneuntate nobis Est opus aethereo, venit ad sancta ille piorurn Vota libens, Christus patria quem mittet ab arce." Unzweifelhaft ist der Ton hier beträchtlich abgedämpft worden. Die in dem „Glückwunschbriefe der Kirche" so heftig einsetzenden Angriffe gegen den Papst fehlen vollständig. Mit einiger Vorsicht tritt der Verfasser an seine Aufgabe heran. Allein es wäre doch falsch, wenn man ihm geradezu Charakterlosigkeit vorwerfen würde. Stimmt er auch seine Register beträchtlich herab, so hebt er doch die Reformbedürftigkeit der Kirche hervor. Und schwerlich ist daran zu zweifeln, daß die Warnung vor der gewaltsamen Verfolgung Andersgläubiger unmittelbar auf Otto gemünzt war. Toxites hatte offenbar die Absicht, durch seine mahnenden Worte den eifrigen Verteidiger der alten Kirche von unbedachten Schritten zurückzuhalten. Es liegt also kein Grund vor, den Poeten, der hier sich nur im Ausdruck den Verhältnissen anbequemt, der Gesinnungslosigkeit zu zeihen. Auch in den nächsten Jahren verleugnete er seinen Standpunkt nicht, wie er denn in einer Elegie des Jahres 1546
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den reformationsfreundlichen Grafen Philipp von Hanau wegen seiner Bekenntnistreue preist. In die gleiche Zeit fallen einige Gelegenheitsgedichte, die sich wiederum durch Gewandtheit und Erfindungskraft auszeichnen. Sicher während seines Aufenthaltes in Wittenberg hatte Toxites Johannes Stigel kennen gelernt. Jetzt, 1545, stellte er sich mit einem Glückwunsch zu der Hochzeit des Poeten ein. Nach gebührlichem Lobe des Dichters ergreift Melanchthon das Wort und mahnt in langer Rede zur Eheschließung. Dann Liebe auf den ersten Blick, Brautwerbung, hier im einzelnen genau vergegenwärtigt, Teilnahme der Bekannten, Hochzeit — im ganzen ein recht ansprechendes Bild. Einen etwas höheren Flug nimmt der Glückwunsch für den vortrefflichen Juristen Ludwig Gremp, dem Toxites in Straßburg nähergetreten war (1546); es mag mit der Behandlungsart zusammenhängen, daß Toxites deshalb auch den erhabeneren epischen Vers wählt, während das Epithalamium für Stigel das elegische Maß verwendet. Der Dichter bemüht diesmal den Olymp: auf gemeinsamen Beschluß von Venus und Pallas muß Amor seinen Pfeil absenden; er tut es gern, weil es ihn freut, sich für die ihm von den Pallasjüngern entgegengebrachte Verachtung zu rächen. Die Verwirrung, die Amors Pfeil im Herzen Gremps anrichtet, wird nicht übel geschildert; in einem ganz geschickten Monolog gelangen die zwiespältigen Empfindungen des Liebenden zum Ausdruck. Nachdem noch auf Geheiß von Pallas und Venus Mercur zu Mutter und Tochter herabgestiegen und ihnen den göttlichen Willen offenbart, kommt CS zur Verlobung; die nähere und weitere Umgebung äußert ihre herzliche Freude darüber; schließlich die Hochzeit, zu der wieder Venus, Phoebus und die Musen herabsteigen und den Bund mit Segenswünschen begleiten. Noch einmal hat der Poet seine Leier zu anspruchsvolleren Klängen gestimmt. Er war durch Johannes Sturm mit einflußreichen Engländern bekannt geworden und benutzte diese Beziehungen, um sich mit einer „ermahnenden Lehranweisung" (nalötvou; 7i(>0TQS7rrtxTj) an den jungen König Eduard V I . selbst zu wenden. In etwa 500 Distichen entwirft er hier einen Abriß der protestantischen Glaubenslehre. Wichtiger als dieser didaktische Teil erscheint die gewählte Einkleidung, obgleich man in ihr den Dichter nicht von einer neuen Seite kennen lernt. Denn wieder handelt es sich wie in der „Apotheosis" auf Capito,
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Bedrottus und Grynäus um ein Traumbild, wieder bildet die Überzeugung von dem unglücklichen Zustand der Welt und des Vaterlandes den Ausgangspunkt. Die Leiden der Gegenwart schmerzvoll erwägend, schläft der Poet ein; da erscheint ihm Mercur und führt ihn zum Wohnsitz der heiligen Frömmigkeit, wo diese mit der Tugend und den Musen beratend zusammensitzt. Hier weist nun Mercur die Klagen des Dichters zurück, indem er ihn auf die dem deutschen Lande erzeigten Wohltaten aufmerksam macht, insbesondere auf das Erblühen der Wissenschaften und das Wiedererstehen des Evangeliums. Da die Deutschen sich aber trotz solcher Gaben undankbar gezeigt hätten, seien als Strafe die furchtbaren Plagen eingetreten. Unter diesen über Deutschland verhängten Leiden erscheint auch die Verfolgung der Frommen durch den Papst. Aber da doch so mancher zum Märtyrertum nicht den nötigen Mut aufbringt, so eröffnet Gott schwachen Christen dieser Art eine Zufluchtsstätte, nämlich England, wo ein frommer König herrscht, umgeben von frommen und weisen Männern. Auf Antrag des Mercur, der damit nur das Geheiß des höchsten Gottes ausführt, ziehen nun alle Genannten einschließlich des Dichters gen England; nach Empfang und Aufnahme, wobei das den Ankommenden gegebene festliche Mahl nicht vergessen wird, erfolgt eine Anrede Mercurs an den König, die dieser freundlich und bescheiden erwidert. Darauf trägt die Frömmigkeit mit stark antipäpstlicher Tendenz den Abriß der evangelischen Glaubenslehre vor; Calliope ruft den König, ihre Rede geschichtlich bis herab auf den Sündenfall begründend, zum Schutz der Wissenschaften und Künste auf; die Tugend prägt die wichtigsten sittlichen Grundsätze ein. Der König zeigt diesen Ermahnungen gegenüber den besten Willen; Mercur verabschiedet sich unter freudigen Verheißungen und läßt seine Begleiterinnen bei dem König zurück. Da wacht der Dichter auf; er kann das Gesehene nicht für einen leeren Traum halten und gewinnt daher einen hoffnungsvollen Ausblick. Die Zusammenbrauung von antiker Mythologie, Allegorie und Dogmatik bringt allerdings viel Wunderliches mit sich. Aber die gemütliche Wärme, mit der Toxites die Einkleidung durchführt, mildert doch die Eintönigkeit der abstrakten Lehrsätze. Dazu kommt, daß auch dieses Werk ein Zeugnis des Bundes zwischen dem erneuerten Evangelium und den schönen Wissen-
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Schäften bildet. Und in den theoretischen Darlegungen findet sich ebenfalls manches Bemerkenswerte. So ist es nicht ohne Reiz, zu sehen, wie der Dichter die Notwendigkeit der Künste und Wissenschaften dartut. Er geht von der Lage des Menschen nach dem Sündenfalle aus: „Inde tot errorum res nubibus esse sepultas Cernis, et hoc etiam luce carere die. Ergo opus ingenuis homini juit artibus, illae Ad veri monstrant atria sancta viam. Lumen in humana tenebris hae mente remotis Accendunt sensus exacuuntque pigros. Hae terras tractusque maris coelique nitentes Ingeniis hominum supposuere polos." Auch wenn er auseinandersetzt, woran man den wahren Dichter erkennt, hört man ihm gern zu. Der wahre Dichter ist ihm soviel wie der heilige Sänger, der seine Stimme zum Lobe Gottes erhebt, den Sterblichen die Wege zur Tugend zeigt, nichts frommen Ohren Anstößiges schreibt, niemanden durch Hohn und Spott verletzt. Das starke Hervortreten des Didaktischen erklärt sich wohl daraus, daß Toxites sich in den dieser Arbeit vorangehenden Jahren mit dem Plane großer religiöser Dichtungen lehrhafter Art getragen hatte; außer den Titeln: „Die Liebe Christi" und: „de rerum natura" — das zweite dazu bestimmt, Lucrezens Gedicht durch ein christliches Gegenstück zu ersetzen — haben sich nur Inhaltsangabe und die Anfangsverse des ersten Gedichtes erhalten. Die „Lehranweisung für Eduard V I . " weist noch immer in der Anlage wie in Ausdruck und Versbau die frühere Gewandtheit auf, aber bald darauf begann auch diese Eigenschaft für einige Zeit zu schwinden. Denn in einem 1553 veröffentlichten Lobgedicht scheint ihm jede Herrschaft über die Sprache verloren gegangen zu sein, insbesondere die ganz verwilderte Metrik legt davon Zeugnis ab. Doch ist er später der äußeren Form wieder mächtig geworden; an größere poetische Aufgaben hat er sich allerdings nicht mehr gewagt. Daß eines der frühesten Werke des Toxites sein bestes ist, deckt das Wesen des Poeten auf: die unbeirrbare, feste Willensrichtung fehlt, die allein eine gedeihliche Entwicklung zu verbürgen vermag. Dem zerfahrenen Lebensgang entspricht es, daß
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die einzelnen Dichtungen nicht als notwendige Ergebnisse der Entwicklung, sondern als Kinder des Zufalls erscheinen. — In Wesen und Sinnesweise ähnelte der Pfälzer Dietrich Reysmann dem Toxites, dem er auch persönlich nahestand, und mit dessen poetischen Bestrebungen er sich ebenfalls berührte. Um dieser Übereinstimmung willen erscheint es berechtigt, in diesem Falle von der landschaftlichen Reihenfolge abzusehen. Stärker noch als bei Toxites ist in Reysmanns Charakter das Unruhige, Unbesonnene, ja Unbändige ausgeprägt. Geboren um 1503 zu Heidelberg, studiert er in Wittenberg, lehnt sich als Schulmeister zu Altenburg, nicht ganz ohne Berechtigung, gegen den Magistrat auf und muß sein Amt niederlegen. Darüber kommt er mit den Wittenbergern auseinander und nähert sich wieder der katholischen Kirche, der er sich bald ganz verschrieb, namentlich seit er die neue Schulmeisterstelle in Nördlingen mit einem Lehramt an der unter österreichischer Verwaltung stehenden Universität Tübingen vertauscht hatte. Als aber Herzog Ulrich nach Württemberg zurückkehrte und die Reformation einführte, erinnerte sich Reysmann plötzlich wieder seiner protestantischen Vergangenheit; ebenso leidenschaftlich wie bisher den katholischen vertrat er nunmehr den protestantischen Standpunkt in mehreren Stellungen, die er sich durch sein Ungestüm verscherzte. Zuletzt ist er Pfarrer im württembergischen Cleebronn. Hier zecht er mehr als nötig ist und schädigt die Würde seines Amtes durch unziemliche Spaße. Die Bauern, mit denen er in der Kneipe zusammensitzt, erlauben sich grobe Sticheleien; und diese reizen ihn so, daß er auf den Hauptspötter, einen Krüppel, mit dem Schwerte losschlägt. Er wird verbannt und findet auf einem Gute in der Pfalz Zuflucht. Dort läßt er sich des Toxites „Klage der Gans" vorlesen; die Stimmung, aus der heraus das Gedicht entstanden war, entsprach der seinen, obgleich er nicht ebenso wie Toxites das Recht hatte, sich für unschuldig verfolgt zu halten; in den letzten Monaten von 1543 oder den ersten von 1544 ist der schwer Erkrankte gestorben. Reysmanns Dichtertalent fand bei den Zeitgenossen hohe Anerkennung, und sein frühzeitiger Tod wurde allgemein beklagt. Eine später zu würdigende poetische Rundschau über die gleichzeitigen Neulateiner, die in der Hauptsache auf Georg Fabricius zurückgeht, widmet ihm nicht allzulange nach seinem Tode das folgende Epigramm (1546):
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„Tinxerat Uranie iuvenem Permesside lympha, Immitem iniecit sed fera Parca maritim." Sehr bald aber geriet der Poet in Vergessenheit, und erst die Forscherarbeit Gustav Bosserts hat sein Bild wieder aufgefrischt, ähnlich wie dies bei Toxites durch Karl Schmidt geschehen ist. Allein trotz Bosserts hingebender Bemühungen ist doch das Material nur teilweise wieder an den Tag gekommen. Insbesondere reicht das, was sich von Reysmanns Lyrik erhalten hat, zur Herstellung eines vollständigen Bildes nicht aus. Die beiden Hauptwerke unseres Dichters sind beschreibender Natur und gehören in einen anderen Zusammenhang. Gleichwohl müssen sie wenigstens erwähnt werden. Beide sind 1531 entstanden. Das eine, der „Blautopf" (Fons Blavus), schildert Blaubeuren und dessen Umgebung, das andere, die „Ertchromaia Spirae", gibt, ebenso wie ein verlorenes Lobgedicht Reysmanns, eine Beschreibung Speiers. Beide Stücke halten sich von der dürr aufzählenden Art, der die meisten ähnlichen Arbeiten der Neulateiner verfallen, so frei, wie es in einem nicht ästhetisch gerichteten Zeitalter möglich war. Sie geben in die Augen springende, farbenreiche Gemälde, von persönlichem Hauche belebt. Alles ordnet sich der Gesamtabsicht unter; Natur, Baudenkmäler verschmelzen mit den Menschen zu einer Einheit. Die Größe des Speierer Domes vergegenwärtigt Reysmann nicht durch kahle Angaben, sondern er führt sich selbst vor, wie er mit einigen Freunden von einem der Türme sich der weiten Aussicht erfreut, und wie ihm alles unten winzig klein erscheint. Und wenn er in das Innere des Gotteshauses vorschreitet, dann läßt er alles zusammen wirken, die mächtige Halle, von Orgelklang durchflutet, die bunten Fenster, Gemälde und Teppiche, den Bischof und die Priester, wie sie vor dem Altar das Meßopfer darbringen, flehend zu Gott ihre Hände erheben und um Erlösung von den Übeln bitten, um Beseitigung des Glaubenszwiespaltes, um Schutz vor den Türken, um Abwendung der Bürgerkriege, der Pest und der Hungersnot. Die zuletzt angeführte Schilderung stammt aus der Zeit, da Reysmann sich wieder ganz dem alten Glauben zugewendet hatte, und mit der katholischen Weltanschauung, die damals das Innere des Wetterwendischen ganz ausfüllte, hat er sein Werk sozusagen durchtränkt. Diese Fähigkeit, die Stimmung zu verdichten und sie in Einzelbildern zur Anschauung zu bringen, ist der
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Lyrik seiner besten Zeit eigen. Freilich bevorzugt auch er nach der Weise des Neulateinertums vielfach die unpoetischen Gattungen. Aus seiner katholischen Periode stammt ein Epithalamium sowie ein Epicedium, dazu eine ganz seinen damaligen Standpunkt wiedergebende Elegie auf die Rückkehr Karls V. aus Italien. Sein „Festgedicht" (Fescennium) zur Vermählung der Nichte eines Abtes (um 1528) entwirft anschauliche Bilder, die auch dem Trauergesange auf den Tod des Astronomen Johannes Stöffler (1531) nicht fehlen. Wichtiger als diese Gelegenheitsarbeiten ist die erwähnte Elegie: „Die Ankunft Karls V . " (1530). Da legt er dem nach Deutschland zurückkehrenden Kaiser als Hauptaufgaben die Beseitigung des Glaubenszwistes und die Hebung der namentlich durch den Bauernaufstand bedrohten Wissenschaft ans Herz. Und die hemmenden Mächte weiß er wieder in lebendigen Verkörperungen nahezubringen, so einen eifernden protestantischen Prädikanten, so die heute wieder die erste Geige spielenden Banausen, die für den Wert der Vorbildung keinen anderen Maßstab kennen als den des platten Nutzens. Nach 1531 liegen nur kleine lyrische Stücke vor, wichtig für den Wandel von Reysmanns Anschauungen, geringwertig für die Erkenntnis seiner dichterischen Entwicklung. Erst in seinen letzten Tagen hat er sich wieder der Lyrik zugewendet. Einer nicht immer glücklichen metrischen Bearbeitung des Propheten Arnos (1543) fügte er einen poetischen Brief „An die Nachwelt" bei. Den Anstoß zu der gewählten Form hat er offenbar von Eoban Hesse empfangen (vgl. S. 10). Und wie dieser gibt auch er einen Rückblick auf seine dichterische Tätigkeit, den wesentlichen Ertrag seines Schaffens zusammenfassend. In einem solchen Rechenschaftsbericht konnten sich Reysmanns Kräfte freier regen als in der Gelegenheitspoesie. Aber freilich, die Frische und Ursprünglichkeit, wovon die früheren Dichtungen Zeugnis ablegen, sind erlahmt; auch die Form hat der Poet nicht mehr völlig in der Gewalt. Im ganzen handelt es sich um eine Entwicklung in absteigender Linie, die wohl durch die Anlage des Charakters bedingt war. — Die innere Zusammengehörigkeit zwingt noch einmal zur Unterbrechung der landschaftlichen Reihenfolge. Eine ähnliche Persönlichkeit wie Toxites und Reysmann war der Deutschböhme Caspar Brusch. Er stammte aus Schlackenwalde in Böhmen (geb. 1518) und studierte in Tübingen. Dann gestaltete sich sein
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ganzes Dasein zu einem unruhigen Wanderleben. Teils die Ungunst der Verhältnisse, teils die eigene Unrast, ebenso aber der Wunsch, Deutschland kennen zu lernen und die deutsche Geschichte aus den Urkunden festzustellen, trieben ihn von Ort zu Ort. Bald ist er in Leipzig, dann als Schulmeister in Arnstadt und Schmalkalden, hierauf in gleicher Stellung zu Lindau, später auf Wanderungen in Bayern, Franken, Schwaben, Italien, Österreich, einige Zeit in Passau seßhaft, zuletzt evangelischer Pfarrer in Pettendorf. Dieses Herumziehen ist nicht ohne Frucht geblieben; Brusch hat den Aufenthalt an den einzelnen Stätten redlich für seine Studien ausgenutzt, und seine noch heute wegen ihres Stoffreichtums wichtigen Geschichtswerke wären ohne seinen Wandertrieb schwerlich zustande gekommen. Wie das Unstete in Art und Lebensbetätigung, so erinnert auch das Widerspruchsvolle an Toxites und Reysmann. E r ist ein eifriger Protestant; das hält ihn aber nicht ab, nach dem schmalkaldischen Kriege Karl V. zu umschmeicheln und die protestantischen Führer des schmalkaldischen Bundes als „Empörer" zu bezeichnen. In den Klöstern wird er gastlich aufgenommen und läßt es sich dort wohl sein; das hindert ihn aber nicht, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die Mönche auf das schärfste anzugreifen. Auch als Pfarrer kommt der Wanderlustige nicht zur Ruhe, und auf einer Forschungsreise trifft ihn der Tod, der erst den richtigen Schlußakkord zu diesem Leben gibt; in der Nähe von Rotenburg o. d. T. wird er erschossen, angeblich von Adligen, gegen die er einen literarischen Angriff geplant haben soll (1559). Wie die Charakteristik der Lyrik Reysmanns, so bietet auch das Urteil über Bruschs lyrische Leistungen Schwierigkeiten, aber aus dem entgegengesetzten Grunde. Ist es wegen der Dürftigkeit der Überlieferung nicht leicht, den richtigen Standpunkt Reysmann gegenüber zu finden, so verwirrt bei Brusch die Überfülle des Stoffes. In zwei Sammlungen hat er seine Lyrik vereinigt, in seinen „Wäldern" (Silvae 1543) und den „Gedichtchen" (Poematia 1553). Dazu kommen viele Einzelveröffentlichungen und zahlreiche poetische Stücke, die in seine geschichtlichen und topographischen Werke eingesprengt sind. Nur ein Teil des dichterischen Schaffens gehört der Lyrik a n ; vieles ist rein beschreibend, enkomiastisch, geschichtlich und erhebt sich oft nicht über die dürrste Reimerei; soweit sich in diesen ErzeugElUnger, Neulatelnlsche Lyrik 2.
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nissen lyrische Töne vernehmen lassen, sollen sie bei der Gesamtcharakteristik mit verwertet werden. Brusch besaß unverächtliche Gaben, auch als Poet, und wenn die nötige Sammlung der Teilnahme des Gemütes entgegenkam, vermag er höhere Ansprüche zu befriedigen. Während seines Aufenthaltes in Arnstadt (1544) starb die Tochter seines dortigen Landesherrn, des Grafen Günther von Schwarzburg, an der Pest. Dieser traurige Fall gab den Anstoß zu Bruschens Ekloge: „Chloris", die zu den besten Früchten der neulateinischen Idyllik gehört. D a beklagt der eine Hirt die von einem Eber getötete Chloris, der andere sucht ihn aufzurichten; ein dritter erzählt, wie ihm die Nymphe Eusaebia offenbart habe, daß Chloris in den himmlischen Höhen weile und dort der ewigen Freude teilhaftig sei. Diese Motive hat der Dichter mit großer Feinheit gestaltet, jedes Vordrängen der allegorischen Absicht vermieden, so daß das schöne Gedicht ohne Kenntnis des Anlasses seines Ursprungs an sich genossen werden kann. Sowohl der Rückblick auf das freudenspendende Erdenwallen der Chloris wie die Klage über ihren Tod und die Verklärung sind in den zartesten Farben gehalten. Ähnliche in sich geschlossene Leistungen hat Brusch aber nur sehr selten aufzuweisen. Der Grund ist in seiner improvisatorischen Arbeitsweise zu suchen. Der Künstlerfleiß stellt sich bei ihm nur ausnahmsweise ein; meist schüttet er ohne Wahl aus, was ihm in den Wurf kommt. Daher das Bedeutungslose vieler Gedichte. Die „ S i l v e n " sind z. B. fast ganz unfruchtbar; höchstens daß einmal ein Streitlied gegen das Fieber sich etwas heraushebt, ohne daß es doch, wie die Fiebergedichte Stigels und Haslobs, auf Ursprünglichkeit Anspruch erheben könnte, da es sich in den Motiven an Huttens ersten Dialog anlehnt. Wo jedoch diese improvisatorische Methode zur Bewältigung gewichtiger Gegenstände ausreichte, da gelingt wohl das eine oder das andere. Das gilt z. B. von seiner Stellungnahme zu den großen Fragen der Zeit. Zwar die Gelegenheitsgedichte an Moritz von Sachsen, an Karl V., Ferdinand I. u. a. bleiben im Handwerksmäßigen und Absichtlichen stecken. Allein zuweilen strebt er auch auf diesem Gebiete Höheres an und gibt Gelegenheitsdichtung im guten Sinne. Seine zum Türkenkriege mahnende „Klage des gebeugten Germaniens" (1541) stellt zwar in der gebräuchlichen Weise das ruhmvolle Einst dem kläglichen Jetzt gegenüber, aber sie findet doch eigene Züge, z. B. in dem Hinweis
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auf die Wohltaten, die Deutschland den Fürsten erzeigt, und durch die es sie zu seiner Verteidigung verpflichtet hat. Ein kräftiger Hauch weht durch das Gedicht. Noch mehr ist dies in seiner „Bitte an Christus" (1546) der Fall; hier wirbt er in den Ängsten vor dem schmalkaldischen Kriege stürmisch-dringlich um Christi Hilfe. Und mit dem gleichen Eifer mahnt er später einen Kirchenfürsten zur Reinigung und Befriedung der Kirche. Das in derartigen Aufrufen zutage tretende Temperament äußerte sich besonders lebhaft, sobald Brusch dem Hauptgegenstand seiner Abneigung gegenübertrat. Es wurde schon erwähnt, daß der in den Klöstern so wohl Aufgenommene ein leidenschaftschaftlicher Feind des Mönchtums war und jede Gelegenheit zum Kampfe willkommen hieß. Am Anfang dieses poetischen Feldzuges suchte er den Mönchen noch mit den Mitteln der mimischen Satire beizukommen. Allein sein Widerwille war zu stark, als daß er eine humoristische Wirkung hätte erzielen können. Und so schüttete er seinen Grimm in Invektiven aus, die zuweilen an die Stelle der darlegenden Form die hagebüchene Anrede treten lassen: „Fos idcirco asini! Vos et •portenta asinorum Prodigiosa! 0 vos turpissima pondera terrae! 0 foedi ventres, ignavi 0 cedite fttci! Ite Acheronlea ad jlammantia stagna paludis Ac Phlegetonteos saevi Plutonis ad ignes, Haec merces vestra, haec ruditatis praemia vestrae Semper erunt, viagnus dum Juppiter astra tenebit." In solchen Kraftstellen konnte freilich kein Humor aufkommen. Immerhin aber bediente sich Brusch doch wenigstens origineller Einkleidungen, namentlich in der an Georg von Anhalt gerichteten „Klage der Lazare" (erschienen 1545, aber früher entstanden). Da führen die armen Studenten und Prediger in wohlgebauten Hexametern Beschwerde über ihr trauriges, im Gegensatz zu dem Sünder- und Lotterleben der bildungsfeindlichen, schlemmerischen und wollüstigen Mönche stehendes Los, und sie fordern, daß der Reichtum der Klöster und Bistümer ihnen als den Vertretern des wahren Evangeliums zuteil werde. Bei der Schilderung der Klosterunsitten bedient sich der Dichter krasser, aber wirkungsvoller Farben, doch fehlen im Verlaufe des Gedichtes auch zartere Bilder nicht, wie sie Brusch in guten Stunden glückten. '3*
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Von anderer Seite ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die Art, in der die armen Studenten ihr geplagtes Leben beschreiben, an die Ausdrucksweise der mittelalterlichen Vaganten gemahnt. Stärker aber erklingt der vagantenmäßige Ton in anderen poetischen Äußerungen, und er wirkt mit unmittelbarer Stärke, weil er einem Grundzug der Natur Bruschens zum Durchbruch verhilft. Sein landfahrendes Leben berührt sich mit der Welt der mittelalterlichen Fahrenden, der Zehrung Heischenden, der Schalksnarren. Vielleicht am deutlichsten und zugleich am hübschesten offenbart sich diese Seite seines Wesens in einem hexametrischen Brief an einen geistlichen Herrn. Dieser hatte bei ihm angefragt, ob er ihm Brotgetreide oder Hafer schenken solle. Brusch bezieht sich auf eine Entscheidung des sächsischen Hofnarren Klaus Narr. Dem hatte sein Kurfürst die Wahl zwischen zwei Kleidern gelassen; er antwortete, er wolle sie alle beide haben. Nach diesem Muster fällt denn nun auch Bruschens Antwort aus; er bittet um Brotgetreide u n d Hafer. Den Hafer aber will er entweder bezahlen oder auf andere Weise vergelten. „Wenn ich das nicht auf eine bessere Art vermag," fährt er fort, „so ist etwas da, worin ich dir werde nützen können, und das will ich gern tun. Deine Henne wird, wie ich höre, nächstens Küken bekommen; mag das Küken nun männlichen oder weiblichen Geschlechtes sein, so werde ich es mit einer geschriebenen Urkunde legitimieren: Hoc tibi pro missa praestabo munus avena, Amplius et si quid nostris in viribus haeret." Daran knüpft er eine weitere Erzählung. Er hat den Adressaten besuchen wollen, ihn nicht zu Hause getroffen und ist nun mit seinen Genossen in ein Kloster gezogen, wo sie sich voll und toll gesoffen haben. Schwer bezecht, sind sie in rasendem Galopp von dannen geritten, wobei er sich das Hüftbein schwer verletzt hat. Er nimmt dies als ein göttliches Zeichen, daß er sich vom Bacchus nicht mehr überwältigen lassen soll, und dankt Vater, Sohn und h. Geist für diese Mahnung. Schließlich folgt eine heftige Strafrede gegen die Trunkenheit, bei der man aber billig bezweifeln kann, ob sie ernst gemeint ist: „Ebrietas, 0 gründe malum atque insania mira, Corrupti istius saecli tarn filia grata, Quot tu praecipites in letum et Tartara mittis!
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Monstrum, informe nimis, quod nos quoque monstra suesque Ejficit ac foedos porcos insanaque bruta. . . Du, date, ut hoc monstrum veluti Phlegetonta Stygemque Efjugiamus et execremur pectore toto." In diesem Gedicht redet der echte V a g a n t : auch das Schwanken zwischen derber Lebenslust und wahrer oder erheuchelter Zerknirschung gehört zu den typischen Zügen der gleichartigen Poesie des Mittelalters. Ganz vagantenmäßig muten auch andere Dichtungen an, so ein poetischer Brief, in dem er einem A b t für freundliche Aufnahme dankt und rückschauend schildert, welche vergnügten Stunden sie zusammen verlebt, wie er mit dem gütigen Wirt Schach gespielt, mit ihm gesungen und getrunken hat. Vagantenmäßig ist auch Bruschens Wandertrieb; er hat in einer Reihe wohlgelungener Dichtungen seinen Niederschlag gefunden. In einigen kleineren poetischen Berichten über seine Fahrten entwirft Brusch lebensfrisch anmutende Bilder; noch in erheblich höherem Maße geschieht dies in dem umfangreichen Reisegedicht, dem ,,Hodoeporicon Pfreimbdense" (1554). Darin erzählt er seine Reise von Passau nach Pfreimd in Bayern. Eindringlich bringt er das einzelne nah, vergegenwärtigt Landschaft und Menschen, entwickelt spannend geschichtliche Einschiebsel. Lebhaft führt er sich selbst vor, wie er, von schwerster Angst gepeinigt, mit seinem Rosse im Walde den gelegten Falleisen zu entgehen sucht. Überhaupt vernachlässigt er über den äußeren Eindrücken die Wiedergabe der eigenen Stimmung keineswegs: im Kloster Reichenbach fühlt er sich einige Tage in angenehmster Gesellschaft besonders wohl, namentlich entzückt durch die Lieder der wandernden Sängerin Magdalena von Berneck, seiner „Madalonia", zu deren Preis er überschwängliche Hymnen anstimmt; aber als er das gastliche Kloster verlassen muß, da kommt der moralische Katzenjammer über ihn, und in langen Erwägungen sinnt er der Vergänglichkeit alles Irdischen und aller irdischen Freuden nach. — Inneres und Äußeres verbindet sich hier ohne Zwang; der letzte Grund für die Stärke des Eindrucks wird aber wohl darin zu suchen sein, daß das Reisegedicht die entsprechende Form für einen der Grundzüge von Bruschens Natur war. Gewiß hat Brusch nicht das gehalten, was seine poetische Begabung versprach, aber wo er dem inneren Gesetz seines Wesens folgt, gelingt es ihm doch, über das Mittelmaß hinauszukommen. — Wegen der Ähnlichkeit zwischen Toxites einerseits, Reysmann
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und Brusch andererseits ist die landschaftliche Reihenfolge unterbrochen worden; es möge jetzt wieder zu dem Südosten zurückgekehrt werden. Johannes Pedioneus Rhätus stammte wohl, wie sein Beiname zeigt, ebenfalls aus Tirol oder dem Bündnerland ; man möchte eher das erstere annehmen. Über sein Leben ist wenig bekannt. 1535 war er Lehrer an der Klosterschule in Schlüchtern; daß er hier Petrus Lotichius Secundus unterrichtet und sicher auch gefördert hat, verleiht ihm schon eine von dem Maße seines Könnens unabhängige Bedeutung. Wie er sich in religiösen Fragen mit seinem Brotherrn, dem Oheim des Lotichius, Petrus Lotichius Primus, vertrug, läßt sich nicht feststellen; bei dem ausgesprochen protestantischen Standpunkt des Abtes von Schlüchtern wird es Johannes Pedioneus wohl für das Richtigste gehalten haben, seine Überzeugung nicht zu äußern. Denn er war ein Anhänger der alten Kirche, und sobald er 1545 als Professor der Rhetorik nach Ingolstadt berufen war, hat er gewiß aus seinen Anschauungen kein Hehl mehr gemacht. Nach dem schmalkaldischen Kriege ergriff er jedenfalls für die katholische Sache Partei und feierte den siegenden Kaiser in einem halbfertigen Epos, das ihm den Fluch der Lächerlichkeit aufgeprägt hat. Denn die unglaubliche Schwäche dieses Machwerks bot dem großen Satiriker Thomas Naogeorg willkommene Gelegenheit, sein Spiel damit zu treiben. Von dem Epos selbst wie von Naogeorgs Satire wird im 4. Bande dieses Werkes gesprochen werden; hier ist danach zu fragen, ob sich Johannes Pedioneus nicht in dem, was er sonst geschaffen hat, von einer freundlicheren Seite zeigt, zumal man ihn aus einem Briefe an Lotichius als einen durchaus einsichtigen, verständigen Mann kennen lernt. Einwandfrei erscheint er in seinen „berühmten Rednern", einer Art versifizierter Literaturgeschichte, die sich in Anlage und Ausführung nicht wesentlich von gleichgerichteten Versuchen der Zeit unterscheidet; auch dieses Werk muß späterer Betrachtung vorbehalten bleiben. Was außerdem von ihm auf die Nachwelt gekommen ist, gehört der Lyrik an. Neben einem Gelegenheitsgedicht auf den Tod des Simon Grynäus (1541), dem auch Micyllus und Toxites poetische Nachrufe gewidmet haben, sind Elegien, Hymnen und Oden von ihm vorhanden. Am frischesten wirkt er in den zeitlich am weitesten zurückliegenden beiden Elegien (den „berühmten Rednern" beigegeben 1546). In der ersten, an einen kaiserlichen Statt-
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halter gerichteten, erscheinen am Anfange des Jahres die Musen dem armen Schelm, der seine Dürftigkeit bitter empfindet; was er von ihnen vernimmt, kann ihm freilich nicht viel helfen: die Musen, Apollo und Minerva werden nackt gebildet, weil sie nur dem Gesang, nicht den gewöhnlichen Bedürfnissen des Daseins leben; so können sie auch keine Schätze verleihen, „At
secura quies et carminis auctor Apollo Solantur placido corda labore tua.'.
Aber wenn die Muse auch im Augenblick dem Poeten kein besseres Los verschaffen kann, so läßt sie ihn doch nicht ohne Trost. Karl V., so lautet ihre Weissagung, wird seine Herrschaft siegreich über den Erdkreis ausdehnen, dann müssen auch die Musen wieder zu der ihnen gebührenden Ehre gelangen, und der Sänger soll dann nahe dem Kaiser stehen, allerdings im geziemenden Abstände. Alles das erwägt der Dichter; mit Freude erfüllt es ihn, daß er nicht, um sein Leben zu fristen, ein banausisches Geschäft treiben oder gar zum Wanderstabe greifen muß. Die den Dichtern erwiesene Gunst wird nach Pedioneus, dem hier offenbar eine bekannte Stelle aus Martial vorschwebt, auch eine neue Blüte der Poesie hervorrufen: wo ein Augustus ist, da werden Virgile, wo Mäzene sind, da werden Horaze erstehen; ,,Flaccus
e nostris unus et alter
erit."
Es hat etwas Rührendes, wenn der arme Poet merkt, daß er sich zu hoch verstiegen hat, aber doch seine Ansprüche noch immer weit genug spannt: „Non
equidem me Virgilium Flaccumve putabo; Sive iitus Naso, sive Tibitllus ero."
Allein nicht Ilios und Theben, nicht die Giganten und Jason will er besingen, sondern die Taten Karls V.: wir haben es also mit einer Vorankündigung seines mißglückten Epos zu tun. Wesen und Geistesart des Mannes spiegelt dieses Bekenntnis treulich wider. Die zweite Elegie zeigt manches Verwandte. Janus erscheint in der Neujahrsnacht dem Dichter im Traum und verkündet ein von Karl V. heraufgeführtes goldenes Zeitalter, ähnlich den Zeitaltern des Satumus und Augustus, wo jedermann im Frieden leben, wo die Religion herrschen wird. Auch hier ist die Brust des Poeten vom Selbstgefühl geschwellt; stolz verheißt er dem Adressaten des Gedichtes, daß ihm ewiger Nachruhm durch sein Lied zuteil werden wird:
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„Et
mea perpetuum
LANDSCHAFTEN.
retinebunt
carmina
nomen."
Drei Jahre nach diesen Elegien (1549) veröffentlichte Pedioneus sein „Buch der Hymnen", dem sieben Oden angehängt waren. Die Hymnen sind durchweg im Hexameter abgefaßt. Sie knüpfen an einzelne Feste, wie die Auferstehung, an; sie feiern Gestalten aus Bibel und Legende, den Evangelisten Johannes, Maria Magdalena, die h. Katharina; sie vergegenwärtigen den bethlehemitischen Kindermord. In jeder Hymne ergibt sich die Gelegenheit, Bitten an Gott vorzutragen oder die besungenen Heiligen um Fürbitten anzugehen. Und in einem an Christus gerichteten Gebet ergreift der Dichter für Ferdinand I., dem das Buch gewidmet ist, das Wort und fleht die Gnade des Herrn auf den von ruchlosen Feinden (Türken und Protestanten?) Bedrängten herab; zuletzt läßt er Ferdinand selbst sprechen und ihn als Dank für den gewährten Schutz Gott Opfergaben verheißen: „Non tantum solido temfilum de marmore -ponam, Nec tibi sola pius jumabunt iura per aras, Aut centurn nivea procumbent fronte iuvenci; Plura feram, maiora feram: tibi iura, tibi arteis Egregias, tibi perpetuos pietalis honores sacrabo." Addictasque hominum menteis animosque
Die Art, in der hier der biblische Gedanke, Gott keine Opfer, sondern ein reines Herz darzubringen — zuletzt mit einem Stich in den Geist der Gegenreformation —, behandelt ist, legt die Vermutung nahe, daß der Dichter diese Vorstellung auch in Umgang und Unterricht gelegentlich geäußert hat. Es ist daher bemerkenswert, daß Pedioneus' großer Schüler, Petrus Lotichius Secundus, die gleiche, freilich ganz individuell gewendete Anschauung vorträgt, wenn er, von schwerer Erkrankung genesen, Gott seinen Dank sagt (Elegien I, 7): „Non ddbimus costum succumve liquentis amomi, Nec te Panchaei turis honore colam. Grata tibi mens labe carens et honesta voluntas Inque tui flagrans agnitione fides."
Die einzelnen Hymnen geben meist eine Geschichte der behandelten Persönlichkeiten und ihres Lebenswerkes; am Schlüsse pflegt dann der Dichter einen seiner Gönner dem in Betracht kommenden Heiligen zu empfehlen. In der Charakteristik findet sich manches Annehmbare. Die Sprache strebt nach einer dem
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PEDIONEUS
RHÄTUS.
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Inhalt gemäßen K r a f t ; an Versuchen, der Phantasie einen festen Halt zu geben, fehlt es nicht; der Dichter versetzt sich unmittelbar in die zu schildernde Lage hinein; vielfach werden die Gestalten der Bibel und Heiligengeschichte angeredet; die Anrede wird dann durchgeführt und wechselt nur mit der dritten Person, wenn die Lebhaftigkeit der Darstellung den Verfasser zwingt, auch eine andere Person in der Anrede einzuführen. Die starke persönliche Anteilnahme, die sich in dieser Behandlungsweise kundtut, kommt namentlich dem Hymnus über den bethlehemitischen Kindermord zugute; den Weherufen über die ruchlosen Mörder entsprechen hier die Seligpreisungen der unschuldigen Kinder. Alles ist darauf angelegt, das Erzählte eindringlich, handgreiflich zu gestalten, so gleich die etwas abgebrochene Ansprache am Anfange: ,,Nam quis te furor et scelerum malesuada cupido Impie, nec meritis ulli cessure tyranno Corripuit? tarn crudeleis quis sumere poenas Impulit Her ödes?" In der Sprache fällt manche kräftige Wendung auf, auch einzelne glücklich durchgeführte Bilder beleben die Darstellung. Anderseits stören jedoch Wiederholungen (in dem Hymnus auf Maria Magdalena „Nympha, decus coeli, . . . huc ades!", auf die h. Katharina: „Huc, ades, o Catharina!"); und die Centos aus den Klassikern machen sich um so unangenehmer geltend, als sie die geläufigsten Stellen aus Horaz und anderen Dichtern paraphrasieren, so z. B. am Eingange des Hymnus auf die h. Katharina: „Laudabunt alii Nymphas et carmina dicent." Im ganzen aber kann man sich bei billigen Ansprüchen das Hymnenbündel wohl gefallen lassen. Wenigstens tritt die schriftstellerische Persönlichkeit lebendig heraus. Das ist auch in den sieben Oden der Fall, die freilich wieder in ganz augenfälliger Weise vom horazischen Gute zehren. Sie sind an eine Reihe von Mäzenaten gerichtet, deren Namen uns schon in die Kreise der Gegenreformation führen: an Julius Pflug, an Mitglieder des Hauses Fugger. Wie in den Hymnen, so begegnen auch hier wiederholt Anspielungen auf die Zeitverhältnisse, selbstverständlich vom strengkatholischen Standpunkte des Verfassers aus; in einer an Joh. Jakob Fugger gerichteten Ode tritt Karl V . als Jupiter auf, der die himmelstürmenden Giganten (die Häupter
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des schmalkaldischen Bundes, insbesondere Philipp von Hessen) niederschmettert: ,, Cattus (eroci corruit impetu Caesar rebellem contudit."
. . . .
Ergiebiger scheinen diese Versuche da, wo das eigene Schicksal des Poeten durchblickt und persönliches Empfinden sich Luft verschafft. Wenn ein Freund ihn nach dem Grunde seines langen Schweigens fragt, dann legt er die Gründe dar, weshalb die Leier verstummt ist; und es folgt eine bewegliche Klage über die Armut. Ein andermal gibt er den Bechern und den fröhlichen Kneipgesellen den Abschied und will nur noch der Ausbildung seines Geistes leben: „A
me voluptas et Ventis et merum Cedant, et ultra nil veniat modum: Castis redonatus Camoenis, Castus Apollineas in artes, Juro sacramentum."
Und ganz ähnlich klingt es, wenn er — ebenso wie später sein großer Schüler Petrus Lotichius Secundus — am Geburtstage Virgils eine kleine Feier veranstaltet und seine Freunde, die Musen jünger, dazu einladet: „Hic candor niveus bonaeque pacis N unten: hic Vener es Gratiaeque, Sed castae Veneresque Gratiaeque, Ut castum decet ac pium poetam. Non hic Libcr abest, adest leporum Largitor Deus et decens voluptas." —
Gewiß merkt man vielen Stellen an, wie sich der Poet gemüht hat; daher viel Gezwungenes, auch Hohles. Aber trotzdem haben die Bekenntnisse des von Dürftigkeit gedrückten Professors etwas Anziehendes, und auch das schulmeisterlich Moralisierende wird man sich gern gefallen lassen, weil es nichts äußerlich Angelerntes, sondern offenbar ein Ergebnis des inneren Werdens ist. Schwerlich hätte jedoch Pedioneus um seiner selbst willen ein Anrecht auf so eingehende Behandlung. Allein die Tatsache, daß der größte Neulateiner, Petrus Lotichius Secundus, doch wohl in dem einen oder anderen Zuge durch ihn angeregt worden ist, mag es rechtfertigen, daß eine Geschichte der neulateinischen
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Dichtung länger bei ihm verweilt, als der absolute Wert der Persönlichkeit und ihrer Leistungen es erfordert. Zu den befreundeten Musenjüngern, die Pedioneus zu Virgils Geburtstag einlud, gehörte auch sein Ingolstädter Kollege Johannes Lorichius. Dieser stammte aus einem weitverbreiteten hessischen Geschlecht; er war der Neffe Reinhard Lorichius' (gest. 1556 oder 64), der ebenfalls als lateinischer Dichter tätig gewesen ist. Johannes Lorichius bekleidete von 1543 an die Professur des Griechischen in Ingolstadt; damals bekannte er sich zum Katholizismus. 1546 nahm er Kriegsdienste, und wenn die freilich unbeglaubigten Nachrichten über sein späteres Leben zutreffen, so müßte er den Weg zum Protestantismus zurückgefunden haben, denn er soll Rat Wilhelms von Oranien gewesen und später, an Colignys Seite fechtend, gefallen sein (1569). Von diesem kriegerischen Geist verraten seine Versübungen nichts. Als Verfasser einer Rätselsammlung ist er später zu nennen; auch hat er einen versifizierten Katalog der großen Juristen verfaßt — also wie Pedioneus eine in gehobener Sprache geschriebene literaturgeschichtliche Darstellung. Auf lyrischem Gebiete war er weniger zu Hause. Neben unbedeutenden Gelegenheitsdichtungen kommt nur sein „Reisegedicht" in Betracht; es schildert in elegischem Maße die Fahrt seines angestammten Fürsten Philipp von Hessen zum Religionsgespräch nach Regensburg. Von Marburg wird der Weg mit trockener Aufzählung der wichtigsten durchzogenen Stätten beschrieben. Im Gegensatz zu der sonstigen nüchternen Knappheit breitet sich die Darstellung einmal weiter aus; und gerade die in Betracht kommende Stelle hat dem Gedicht zu einer Art Berühmtheit verholfen, die es an sich nicht verdient. Eine Felslandschaft am Main gibt ihm nämlich Gelegenheit, von dem im Volksliede verherrlichten Raubritter Eppele von Geilingen zu reden (Geilingus celebri nomine Apollo), der durch einen kühnen Reitersprung sich den ihn verfolgenden Feinden entzogen hat; hier nimmt die Darstellung einen etwas höheren Flug, und dem Eppele wird eine Rede in den Mund gelegt: er wägt die ihm offenstehenden Möglichkeiten ab, bis er schließlich, sich dem pater Moenus anbefehlend, in die furchtbare Tiefe setzt. Auch diesmal werde nach der durch den Zusammenhang gebotenen Unterbrechung die landschaftliche Reihenfolge wieder aufgenommen; die Darstellung kehrt von neuem zu den östlichen
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Alpenländern zurück. Pedioneus war mit seinem Ingolstädter Kollegen, dem hervorragenden Juristen Wolfgang Hunger, befreundet; ihm hat er das Buch „Die berühmten R e d n e r " gewidmet. Wolfgang Hunger ist für das Jugendleben eines anderen Poeten von Wichtigkeit; und eine weitere Verbindung mit den soeben Genannten stellt sich dadurch her, daß auch diesmal die Universität Ingolstadt wenigstens eine Zeitlang die Stätte der Wirksamkeit bildet. E s handelt sich dabei um Marcus Streicher, genannt Marcus Tatius Alpinus, eine Bezeichnung, die wieder, wie so häufig, den Familiennamen ganz verdrängt hat. Tatius Alpinus' Erdenwallen zeigt einen Lebenslauf in aufsteigender Linie. Abkömmling eines Bauerngeschlechtes im Engadin, um 1505 geboren, kam er jung nach München und mußte sich hier sein Brot durch Singen in den Gastwirtschaften verdienen. Dann gelang es ihm, in die von Wolfgang Windhuser (Anemöcius) geleitete Schule einzutreten, w o Simon Lemnius und Wolfgang Hunger seine Kameraden waren. Nach eigenen Unterrichtsversuchen wurde er Erzieher im Hause des Patriciers Raimund Fugger in Augsburg, hierauf Professor der Poesie in Ingolstadt. Durch spät aufgenommene juristische Studien vorbereitet, übernahm er 1550 eine Stelle als Assessor beim kaiserlichen Kammergericht in Speier; 1559 ernannte ihn Bischof Moritz von Freising zu seinem Kanzler. Sein Todesjahr ist unbekannt, doch scheint er Ende der sechziger Jahre gestorben zu sein. 1533 trat Tatius Alpinus als etwa Achtundzwanzigjähriger mit einer Raimund Fugger gewidmeten Sammlung: ,,Progymnasmata" auf den Plan. Das Büchlein enthielt nicht ausschließlich eigene Erzeugnisse, auch Proben der Poesien seiner Freunde wurden mitgeteilt, so zwei Gedichte des Lemnius (vgl. oben S. 95), so auch Versuche seiner Mitschüler, des S. Minervius (Simon Scheidenreißer) und Wolfgang Hungers. Der dem Tatius Alpinus zufallende Hauptanteil bie.tet Elegien, Oden, Hendekasyllaben. Manche Gelegenheitsgedichte erscheinen allzu absichtlich; auch sind sie zu reichlich mit klassischen Anspielungen gespickt. Aber in den meisten erfreut doch eine stille Behaglichkeit, auch da, wo sie an sich wenig besagen. Man lernt aus den teils hingeworfenen, teils sorgfältiger ausgeführten Gedichten und Gedichtchen den Freundeskreis des Tatius kennen, der zugleich der Schülerkreis des Anemöcius ist. Verehrung vor dem Lehrer und kameradschaftlicher Sinn berühren angenehm; die gleiche
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Wirkung übt das Familiengefühl aus: mit inniger Liebe hängt der Dichter an seinem Bruder und empfindet tief dessen frühzeitigen Heimgang. Den stärksten Eindruck üben zwei an Anemöcius gerichtete Elegien aus. Der wackere Lehrer war nach Ulm berufen worden. Da bekennt der in München Zurückgebliebene, wie sehr ihn die Sehnsucht nach dem Meister peinigt, der so gar nichts von sich hören läßt; aus dieser Stimmung ersteht ihm ein lebendiges Bild der Vergangenheit, und er vergegenwärtigt sich, wie einst die Schüler unter Anemöcius' Leitung im regsten Wetteifer den Musen gedient haben. Ebenso reich an eindrucksvollen Zügen wie diese ist die andere Elegie. In ihr berichtet Tatius von einer ihm zugefügten schweren Verwundung. Und dieses Mißgeschick gibt ihm Anlaß, über das Ungemach zu klagen, das bisher sein Leben verbitterte; greifbar treten dabei die Leiden vor seine Seele, die der arme Knabe in München zu erdulden hatte, als er sich beim Singen in den Schenken die Schläge der rohen Gesellen gefallen lassen mußte, weil er die ihm zugeworfenen Pfennige so notwendig brauchte: ,,Mox in exilio studiis adtnissus honestis, Utor quaesito voce precante cibo Quos aestus, quae probra famemque et jrigora passus, Verber a potorum quot memoranda vir um?"
Und dann erst geht er zu dem eigentlichen Gegenstand über; er erzählt, wie er bei einem Ausfluge Händel mit einem Raufbolde bekommt, von ihm zum Zweikampfe gezwungen wird, wie er durch vorsichtigen Gebrauch der Waffe den Gegner schont, dieser ihn aber trotzdem heimtückisch verwundet. — Nicht alles in diesem Bericht ist geglückt; manches Prosaische drängt sich ein, aber die ungezwungene Art, in der das Persönliche sich geltend macht, hilft über diese dem Neulateiner nun einmal anhaftenden Mängel hinweg. Jedenfalls bezeichnet diese Gedichtsammlung einen ganz verheißungsvollen Anfang. Leider ist man nicht in der Lage, die weitere Entwicklung vollständig zu verfolgen. Denn aus Tatius' späterer Zeit hat sich wenig erhalten; wirklich in Betracht kommen nur zwei größere Gedichte. Die Annahme liegt nahe, daß es sich dabei nur um Bruchstücke einer umfangreicheren Tätigkeit handelt. Soweit nun aus den beiden erwähnten Stücken ein Schluß gezogen werden darf, läßt sich sagen: die
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frühere Gewandtheit ist geblieben, j a sie hat sich noch gesteigert; was aber die Jugendschöpfungen so anmutend machte, der Hauch des individuellen Lebens, das tritt in den Arbeiten des gereiften Mannes ganz oder doch fast ganz zurück. Das erste der beiden Stücke spielt im Leben des Tatius eine wichtige Rolle. Er mußte plötzlich sein Lehramt in Ingolstadt niederlegen und die Stadt selbst verlassen. Was den Anlaß zu dieser Verbannung gegeben, ist nicht bekannt; es scheint, daß die Habsburger irgendwie daran beteiligt waren, und daß Tatius vielleicht durch irgendeine Unvorsichtigkeit den König Ferdinand gereizt hat. Wie dem auch sei: von Straßburg aus, wohin er sich gewendet, richtete er ein elegisches Gedicht an König Ferdinand, das ihm in der T a t die Erlaubnis zur Rückkehr verschaffte (1540). Das Poem ist mythologisch eingekleidet: Zeus sieht mit Unwillen den üblen Stand der Dinge auf Erden; da naht sein Waffenträger, der Adler, um seine Waffe, den Blitz, dem Gotte zurückzugeben. Denn er habe keine Gelegenheit, seine Kräfte zu zeigen, wofür er Zeus verantwortlich macht. Dieser aber schiebt wiederum dem Adler die Schuld zu; er hätte beizeiten das Nest des arabischen Phoenix (des Türken) zerstören sollen; dann wäre dessen Vordringen in Europa unmöglich gewesen. Doch eröffnet Zeus zugleich die Aussicht auf eine günstige Wendung der Dinge: die beiden kaiserlichen Brüder werden den Türken zurückdrängen, ja ihm noch Land abnehmen; zwei große Reiche werden erstehen, das Karls V. im Westen, das Ferdinands im Osten. E r fordert den Adler auf, Ferdinand aufzusuchen, und legt ihm dar, was für einen tugendhaften, friedlichen Herrscher er finden werde, wobei ein Hinweis auf die Bemühungen Ferdinands nicht fehlt, die Glaubensstreitigkeiten durch das Hagenauer Religionsgespräch zu schlichten. — Die byzantinische Absicht, die sich nirgends verleugnet, wird zuletzt unverblümt ausgesprochen. Das Gedicht ist offenbar sehr schnell hingeworfen worden; davon zeugen Verstöße im Versmaß, so ein ganz ungeheuerlicher Hexameter. Mythologischer Einkleidungen bedient sich nun Tatius auch in der Arbeit, die ihn uns zum letztenmal als Dichter zeigt. Es handelt sich um ein sehr umfangreiches Hochzeitsgedicht im elegischen Versmaß zu Ehren eines Patrizierpaares (1544). In einer Götterversammlung wird Jupiter durch das Drängen und Treiben des Frühlings dazu angeregt, unter scharfem Tadel aller unkeuschen
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Leidenschaften eine Rede zum Lobe des Ehestandes zu halten — eine Rolle, zu der er allerdings wenig geeignet erscheint. Pallas lenkt die Aufmerksamkeit auf die bevorstehende Hochzeit, worauf nun abwechselnd die verschiedenen Gottheiten zum Preise des Paares und seiner Familien das Wort ergreifen. Dann rüsten die Götter die Hochzeit aus und erscheinen selbst bei der Feier; Dichter verherrlichen das Fest, Musiker verschönen es. Der Aufbau vollzieht sich ungezwungen: der Vorbereitung im Olymp folgt die Erfüllung auf der Erde, und beides wird zweckmäßig aneinandergereiht. Ein pomphafter, an den Barockstil gemahnender Ton verleiht dem Ganzen die entscheidende Farbe. Im einzelnen wird manches Ansprechende geboten. So wenn sich Tatius die Mutter der Braut ganz anmutend vergegenwärtigt: „Ducti et alba dornt mollitae vellera lanae, Exonerans plenis jugiter illa colis, Percurrit radio sparsas aptissima telas Ac rarum secto pectine densat opus."
Allerdings stehen neben solchen geglückten Stellen auch Wunderlichkeiten, über die der Nachgeborene den Kopf schüttelt. Es erinnert an die Art von Tatius' Freund Lemnius, wenn der Dichter den besungenen Bräutigam dadurch erheben will, daß er die homerischen Helden ihm gegenüber zurücksetzt, was in erschreckender Prosa bei Agamemnon und Diomedes ausgeführt wird, um schließlich bei Odysseus und Nestor zur ödesten Schulfuchserei herabzusinken: „Vix egressa unam est Ithaci facundia linguam: Hunc (den B r ä u t i g a m ) Germana, Itala, Graeca, Latina Tercentum solos Pylius reminiscitur annos: Hic totam mundi sustinet historiam."
probet.
Immerhin verdient das Werkchen, als Beispiel einer v e r i f i zierten Prunkrede gekannt zu werden; sogar die eben besprochenen Auswüchse mag man als Merkmale des Geschmacks oder Ungeschmacks der Zeit gelten lassen. Und ganz ohne Gewinn geht auch der nicht aus, der unter der Hülle des Bombastischen nach rein menschlichen Zügen sucht. Deshalb nur noch ein Wort über die große Dichterschau, die Tatius vornimmt, als er von der Verherrlichung der Hochzeit durch die Poeten spricht. Wie Gottfried im „Tristan" benutzt er nämlich die Erwähnung dieser Tatsache, um sich über seine zeitgenössischen Sangesgenossen
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im allgemeinen auszulassen. Da das junge Paar zur alten Kirche hielt, so beklagt Tatius die durch die Religionsstreitigkeiten erfolgte Spaltung; sonst würden sicher auch die protestantischen Poeten, Melanchthon, Sabinus, Micyllus, Xystus (Sixt) Birck, Camerarius, Acontius, Gigas, ihre Leier gestimmt haben. Ohne Bedenken könnten sich aber nach seiner Ansicht als Festbarden einstellen: Wolfgang Hunger, Logus, Lange, Lorichius, Wicedorfer, Gmelichius, Lemnius. Und es macht Tatius Ehre, daß er sich bei dieser Gelegenheit des vielgeschmähten Jugendgenossen annimmt: „Et tu Musarum, Lemni carissime, mystes, Digne quidem jato prosperiore frui, Sed trux, cum mundoquc tibi communis Erynnis Opprimit ingenii germina docta tui. Fide tarnen, veniet, quam 11011 spectaveris, hora, Magnaque cum magno commoda honore feret."
Ein einheitliches Bild der Dichterpersönlichkeit des Tatius ergibt sich aus dem Vorhandenen nicht. Denn das, was sich aus seiner Reifezeit erhalten hat, trägt zu sehr den Stempel des Zufälligen. Trotzdem läßt sich auch in diesen Proben einer höfischen Gelegenheitspoesie die Begabung nicht verkennen. Die fruchtbaren Ansätze seiner Jugend scheinen freilich verkümmert zu sein. Schon aus den unbehilflichen Versuchen des Pedioneus Rhätus ließ sich ersehen, daß die Universität Ingolstadt den Mittelpunkt eines Poetenkreises von gutem Willen, aber von bescheidenen Kräften bildete. Allein auch stärkere Anregungen sind von Ingolstadt ausgegangen, und wenigstens ein über das Mittelmaß hinausragender Poet hat hier die für sein späteres Streben entscheidende Richtung erhalten. Bayern. Unter den Ingolstädter Professoren übte Veit Amerbach (Veit Trolmann) einen bedeutenden Einfluß aus. Zahlreiche seiner Schüler sind durch ihn zu eigenem Schaffen ermuntert worden. In der Tat muß er als Persönlichkeit stark gewirkt haben, wie denn auch seine wissenschaftliche Tätigkeit von selbständigem, wenn auch eigenwilligem Geiste Zeugnis ablegt. Veit Amerbach, geb. 1503 zu Wemdingen, in Eichstätt für die Universität vorgebildet, studierte in Wittenberg, wo er sich eine universale Bildung anzueignen suchte. Zuerst an der Schule in Eisleben beschäftigt, wurde er Professor in Wittenberg,
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anfänglich eines Sinnes mit den Reformatoren, aber bald mit ihnen im Zwiespalt, insbesondere mit Melanchthon, der schon sein wissenschaftliches Streben mit kritischem Blicke betrachtet hatte. Er verließ — wohl Anfang 1543 — Wittenberg, trat zur katholischen Kirche über und wurde nach einem Zwischenamt in Eichstätt noch 1543 Professor in Ingolstadt; hier ist er am 18. September 1557 gestorben. Er scheint ein schwer zu behandelnder, unverträglicher Mann gewesen zu sein. Wie der ihm so verhaßte Melanchthon, so suchte auch Amerbach in seinem Gegen-Wittenberg Ingolstadt den von ihm beeinflußten Jüngern der Poesie mit dem eigenen Beispiele voranzugehen. Viel poetisch Brauchbares ist bei diesem Streben allerdings nicht herausgekommen. Das Bändchen, in dem er seine Gedichte sammelte (1550), ist für den Anreger insofern bezeichnend, als er einen großen Teil der Versuche seiner Freunde und Schüler darin aufgenommen hat. Etwas Anmutendes hat die Art, in der er mit seinen Freunden, z. B. mit seinem auch Mynsinger nahestehenden Ingolstädter Kollegen Sebastian Linck, poetische Briefe austauscht und sich mit ihnen über die den Freundeskreis bewegenden Fragen auseinandersetzt. Wirklich nennenswert sind jedoch von allen Teilen der Sammlung Amerbachs nur drei: ein Gebet für Frau und Kinder, das schließlich in einem Preis auf die Heimatsliebe ausklingt, und zwei Aufrufe an Karl V., beide die religiösen Wirren der Zeit darlegend und Karl als Retter in der Not anrufend; das zweite, umfangreichere, fordert den Kaiser schließlich auf, zur Heilung der Schäden ein Konzil zu berufen, und stellt das Verdienst, das er sich dadurch erwerben würde, hoch über alle anderen Taten: „Hoc tibi plus laudis pariet, quam vincere Gallum, Hoc plus quam Turcam vincere, laudis habet." Der Ausdruck hat vielfach etwas Hölzernes, Prosaisches; unpoetische Wendungen stören die Stimmung; wie grundprosaisch sind die Worte: „ni decipior" in der folgenden Stelle aus dem vorhererwähnten Gebet für Frau und Kinder: „Insitus Natura patriae cuilibet est amor, Quo nil est gravius simul, Et, ni decipior, dulcius est nihil." E 111 n g e r , Neulateinische Lyrik 2.
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Doch wird man das eine zugeben müssen, daß bezeichnende Züge der Persönlichkeit sich in seiner Dichtimg deutlich offenbaren. — Unter den Schülern, deren Arbeiten er zusammen mit den eigenen herausgegeben hat, verdient der später noch zu nennende Erasmus Wolf eine Erwähnung. Indessen wahrhafte Bedeutung kommt nur einem Amerbachschüler zu, nämlich Johann Aurpach. Er stammte aus NiederAltaich und wird um 1530 geboren worden sein. 1554 finden wir ihn in Ingolstadt, später vollendet er das Rechtsstudium auf französischen Universitäten und in Padua; hierauf erscheint er wieder in Ingolstadt; 1562—63 wirkt er in Landshut, 1565 zu München in Diensten des Herzogs Albrecht von Bayern, dann geht er als bischöflicher Kanzler nach Regensburg. Über der praktischen Tätigkeit hat er die wissenschaftliche nicht aus den Augen verloren und sein Fach durch selbständige Arbeit gefördert. Sein Todesjahr ist unbekannt. Die erste Sammlung von Aurpachs Gedichten erschien 1554 und umfaßte vier Bücher: Elegien, Trauergedichte, Epigramme und Lyrisches, d. h. Oden und Hendekasyllaben. Die Eigenart des etwa vierundzwanzigjährigen Poeten macht sich am stärksten in den Elegien geltend. Manches verrät hier freilich den Anfänger. Wenn er, wie Pedioneus, am Feste der h. Katharina deren Lebenslauf erzählt, so kann er das Schulmäßige schwer überwinden; es verrät sich in hergeholten klassischen Vergleichen und prosaischen Wendungen. Auch die anderen Elegien halten sich von solchen Flecken nicht frei. Aber wer das Buch als Ganzes betrachtet, wird doch anerkennen müssen, daß es von einer unverächtlichen Begabung Zeugnis ablegt. Es ist keine bloße Redensart, wenn Aurpach davon spricht, daß es ihm schwer falle, den poetischen Drang zu zügeln: „Difjicilis res est primos compescere motus Ardentique animo ponere posse modum."
Diesem Bekenntnis entspricht es, daß die meisten Elegien nicht künstlich Ersonnenes bieten, sondern dem unmittelbaren Leben ihren Ursprung verdanken. Es sind überwiegend Gelegenheitsgedichte im guten Sinn. Entweder handelt es sich um das Verhältnis Aurpachs zu seinen Lehrern, wobei unter den Ingolstädter Professoren Veit Amerbach ihm am nächsten steht; mit Innigkeit gedenkt er seines Jugenderziehers Clavus. Ganz besonders ist
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jedoch der Inhalt von den Beziehungen zu seinen Freunden beherrscht, so namentlich von dem in der Geschichte des bayerischen Gelehrtenwesens vielgenannten Macer. Die behandelten Gegenstände zeigen ebenso wie die Art der Darstellung, daß die meisten dieser Gedichte dem Bedürfnis des Augenblicks entsprungen sind. Vielfach liefern die poetischen Bestrebungen selbst den Stoff. Da lehnt der Dichter das von dem Freunde gespendete Lob bescheiden ab und erklärt, von der Unzulänglichkeit seines Strebens überzeugt zu sein. Er schickt einem anderen Freunde seine poetischen Versuche und bittet ihn, die Fehler zu verbessern oder das Ganze, falls er es für unbrauchbar hält, zu unterdrücken. Aber auch zahlreiche andere Gelegenheiten, wie sie der Freundesverkehr mit sich bringt, bieten zu inhaltlich wenig belangreichen, aber um ihrer Lebensfrische willen anziehenden Briefchen Anlaß. Er beantwortet die Fragen eines Freundes und berichtet von Studien und poetischen Bemühungen, indem er seinerseits sich nach dem Treiben des Freundes erkundigt. Er knüpft an ein Geschenk an, das ihm ein anderer Genosse mit selbsterlegtem Wildpret gemacht hat. Er mahnt einen ihm feindseligen Studenten zum Frieden: Studien und Konvikt vereinigen, weshalb sind unsere Geister nicht eines Sinnes ? Er ist an einem hartnäckigen Husten erkrankt, wodurch ihm das Sprechen unmöglich gemacht wird; nun soll der Freund ihn besuchen und durch seinen Zuspruch den Schmerz lindern oder eine Heilung der Geschwulst herbeiführen. Einen ähnlichen individuellen Charakter tragen die meisten Gedichte, auch da, wo Grundanschauungen des Poeten zum Ausdruck kommen, z. B. sein Widerwille gegen die allgemein herrschende Geldgier und sein Wunsch, sich der Schar der heiligen, nur den idealen Mächten zugewendeten Sänger einzureihen. Ähnlich wie der Ursprung dieser Gedichte, so zeigt auch ihre Ausführung viel Eigentümliches. Es gelingt Aurpach, ganz ansprechende Bilder zu entwerfen. Wie er dabei verfährt, möge an folgenden Erfindungen gezeigt werden. Ein Freund bricht nach Italien auf; die Liebe vermag nicht, ihn zurückzuhalten. Und nun stellt Aurpach in den Mittelpunkt der sich anschließenden Ausführungen die verlassene Geliebte und ihren Schmerz. „Siehst du nicht, wie sich das Mägdlein darüber abhärmt? Wie sie gleich Dido ihren Kummer äußert?" „Dure, graves lacrimas ac tristia verba pitellae, Quae male placato jundit ab ore, vides? 14*
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Dure, vides, ut conspersos laniata capillos Impleat immodicis fletibus ipsa domum?" Ein andermal spricht er seine Freude darüber aus, daß die kaiserliche Soldateska Ingolstadt geräumt hat, und damit viele Beschränkungen weggefallen sind, die bisher das Leben verbitterten. Nun sei wieder die Zeit gekommen, da man den Musen dienen und die Bücher zur Hand nehmen könne. Und die veränderte Lage wird durch eine glücklich eingereihte Naturschilderung nahegebracht: das Tor ist nicht mehr von Wachen besetzt; ungehindert kann man sich jetzt in Flur und Wald ergehen; das scheinbar Absichtslose des Naturbildes verleiht ihm eine stärkere Wirkung. Die hier an den Tag gelegte Fähigkeit äußert sich anderwärts in ähnlicher Weise. Wenn Aurpach von einer ihm zuteil gewordenen himmlischen Erscheinung spricht, die ihm ein Freund deuten soll, oder wenn er zu einer Hochzeit Apollo und die Musen nach gewohnter Art herabbeschwört, so weiß er das Wunderbare durch anmutige Naturschilderungen geschickt vorzubereiten. — Die Wiedergabe der Einzelvorgänge gelingt im ebenfalls. Er weiß Geschehenes lebhaft zu veranschaulichen. Man sieht den Poeten, wie er gerade beim Dichten ist, als ihm ein Freundesbrief überbracht wird, wie er ihn rasch entgegennimmt, nach dem Absender fragt, dem Boten seinen Dank abstattet, hierauf aber schnell das Schreiben aufbricht und es zu lesen beginnt. Alles das ganz ungezwungen und anschaulich. Allerdings stehen diese Ansätze zur Erfassung wirklichen Lebens unmittelbar neben Stellen, bei denen der Poet sich im Banne der Überlieferung befindet. Auch er huldigt der Gelegenheitspoesie — das Wort im üblen Sinn genommen. Aber selbst da, wo er beispielsweise einem Mäzen schmeichelt und sich von Apollo den Weg zu dem Gönner der Poeten, Johann Jakob Fugger, beschreiben läßt, erfreut doch mancher, der sonstigen Bettelpoesie fernliegende Zug. Auch wenn er Modeformen der neulateinischen Literatur verwendet, sucht er dem wirklichen Leben näher zu kommen, und es ist bemerkenswert, daß er sich in diesem Falle unbewußt mit seinem späteren großen Studiengenossen Petrus Lotichius Secundus berührt. Wie dieser entnimmt nämlich Aurpach den Stoff zu einer Heroide der unmittelbaren Gegenwart : bei ihm richten nicht Gestalten der Vorzeit oder allegorische Figuren das Wort aneinander, sondern er läßt die in Augsburg zurückgebliebene Geliebte seines Freundes Macer an diesen
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schreiben, ihre Sehnsucht aussprechen und ihre Treue beteuern, während Macer in seiner Antwort pedantisch seinem Mißtrauen Ausdruck gibt, schließlich aber doch die Geliebte auffordert, zu ihm zu kommen und dauernd in freudiger Vereinigung die Seine zu werden. Namentlich der Brief der Jungfrau ist nicht ohne anmutige Züge, so wenn sie, des Abschiedsgespräches gedenkend, in die Worte ausbricht: ,,Colloquii quando postremi verba recordor, Dextera se credit claudere nostra tuam." Manche andere Erfindung zieht namentlich deshalb an, weil sie beweist, wie der neulateinische Parnaß unablässig den Geist unseres Poeten beschäftigte. So das folgende, wohl nicht bloß ersonnene und ganz artig eingekleidete Traumbild. Aurpach sieht im Traume am Ufer des heimatlichen Flusses Bücher liegen; er nimmt eines von ihnen in die Hand; es sind die Werke Vidas. Dreimal fällt ihm der Band ins Wasser; er fischt ihn wieder heraus, und siehe da, er hat nicht im mindesten gelitten, und der Erzähler freut sich, daß der italienische Sänger keine Ursache hat, sich über ihn zu beklagen. Neben diesen und ähnlichen, aber für den Verfasser bezeichnenden kleinen Bildchen erscheint auch Gewichtiges: zu Neujahr richtet der Dichter eine Bitte an Gott; er klagt über die Zwietracht, durch die Deutschland sich selbst zerfleischt; er fleht um Erlaß der für die Sündenschuld drohenden Strafe und bittet, das kommende Jahr mit Glück zu segnen, was nun im einzelnen ausgeführt wird. Stärker spricht sich das Wesen des Dichters noch da aus, wo er seine Ideale darlegt: das Brotstudium, die Jurisprudenz, behagt ihm wenig, vielmehr zieht es ihn mächtig zu den Musen hin; auch drängt es ihn, zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält: „Me hivat abstrusas rerum cognoscere vires, Otnnia quo fiant, quo pereantque modo. Me ductore iuvat meditari carmina Phoebo Prorsus et ad senos ponere quinque pedes. Me iuvat amplecti fugientibus otia curis, Quidquid et ingenui tntisa laboris habet." Weniger belangreich als die Elegien sind die Trauergedichte, unter denen sich auch Klagelieder auf den Rektor der Universität Ingolstadt, den dichterisch begabten Freund des Pedioneus,
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Erasmus Wolf, sowie auf die Gattin Veit Amerbachs befinden. Von dem sonstigen Inhalt des Buches verdient namentlich der Liber lyricorum Beachtung. Allerdings nicht, weil er sich durch besondere Vollkommenheit auszeichnete, sondern weil er vordeutend auf Aurpachs nächste Sammlung weist. Er enthält Oden und Hendekasyllaben. In den Oden ist eine freie Beweglichkeit noch nicht erzielt, wenn auch das sapphische und alkäische Versmaß gewandt gehandhabt wird. Den Anfang macht eine Ode: „Der Sieg Christi", in der Jesus als neuer, weit überragender Herakles und Theseus gepriesen wird. Eine andere Ode stellt die Schlemmer in Gegensatz zu denen, die den heiligen Chor der Musen verehren und mit Trauer sehen, welches namenlose Unheil die Schwelgerei anrichtet, wobei der Dichter als Beispiel den Elpenor anführt. Die Hendekasyllaben tragen teils ernstes, teils heiteres Gepräge. Auerpach wendet sichz. B. an seinen Lehrer Veit Amerbach und beklagt diesen, weil nach dem Tode der Gattin so viel Schweres auf ihm lastet. Oder er gibt seinen bösen Ahnungen Ausdruck: der Freund hat eine Reise angetreten, die ihn durch kriegserfüllte Länder führt; da fürchtet Aurpach, daß ihm Schweres zustoßen könnte, und sein Blick wendet sich sehnsüchtig in die alten Zeiten, wo der heilige Sänger noch ungekränkt durch die heißen Syrien wandeln konnte. „Heu, nunc integritas honesta viiae Nullo tuia loco, sed in profundis Semper trunca molestiis tepescit. Quae nos ut jeritas relinquat, alma Cum prisco redeatque pax honore Summi graiia faxit hoc Tonanlis."
In ähnlicher Weise wie in diesem Gedicht und in den Elegien werden nun in den anderen Stücken allerhand Vorkommnisse des Freundesverkehrs zu kleinen Betrachtungen ausgesponnen; meist wiegen derartige Arbeiten nicht schwer, sind aber wegen ihrer Unabsichtlichkeit nicht ohne Reiz. Neben der Freundschaft wird schüchtern auch das erotische Gebiet berührt; zwei unbedeutende Gedichte besingen eine Cannia betitelte Geliebte. Die für die Hendekasyllaben durch Catull festgestellte spielerische Art mit Wort- und Verswiederholungen sowie mit leichten Umbildungen einzelner Wörter und ganzer Sätze wird nachgeahmt, ohne daß Aurpach die völlige Herrschaft über die Form erlangt, der man noch zu sehr die schwerfällige Bemühung anmerkt.
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Gewiß läßt sich in diesem ersten Gedichtbuch die ursprüngliche Begabung nicht verkennen; allein es gelingt Aurpach nicht immer, für den glücklichen Gedanken oder das richtig Angeschaute die entsprechende Fassung zu finden. Trotzdem kommt der Sammlung besonderer Wert zu, denn sie führt auf das unmittelbarste in die Daseinsbedingungen des Poeten ein. So wie er sich hier gibt, ist er Zeit seines Lebens geblieben. Aber wenn auch inhaltlich kein Wandel eintrat, die Fähigkeit, den Stoff zu bewältigen, hat sich in den nächsten Jahren außerordentlich gesteigert. Die zweite Folge seiner Gedichte entstand im wesentlichen während seines dreijährigen Aufenthaltes in Padua (1554 bis 1557), wo auch die „zwei Bücher Gedichte" (1557) erschienen sind. Sie enthalten überwiegend Hendekasyllaben, daneben einige Oden, elegische Gedichte; seltener tritt der bloße Hexameter auf. Auch jetzt ist, namentlich in den Oden, die steife Nachahmung des Horaz noch nicht ganz überwunden; aber je weiter der Dichter fortschreitet, desto unabhängiger wird er, und desto mehr steigert sich ihm die selbständige Kraft. Wie das Erstlingswerk mitten hinein in seinen Ingolstädter Freundeskreis führte, so vergegenwärtigen diese Gedichte den Verkehr mit den akademischen Genossen in Padua. Und ganz ebenso wie in den Erzeugnissen der Frühzeit halten die „zwei Bücher Gedichte" durchweg oder fast durchweg Vorgänge fest, die sich innerhalb dieser Gemeinschaft abgespielt haben. Neben den Freundschaftsbündnissen oder vielmehr mit ihnen eng verbunden erscheint aber als gleichberechtigte Macht die Liebe zur Natur — und zwar in weit stärkerem Maße, als es in der ersten Sammlung geschehen war. Es ist keine bloße Redensart, wenn der Padua für einige Zeit mit dem Land vertauschende Dichter in dem am Anfange der Sammlung stehenden Weihegedichte an Apollo den Gott bittet, ihn alle Naturfreuden der Einsamkeit ausgiebig genießen zu lassen: ,,Da densas silvas et antra opaca, Umbras frigidulas, bonas latebras, Semoto recubans ut in recessn Ad murmur gelidum jluentis undae Possim carmine ludicro sodales Ad caelum teueros et astra ferre Et cantare tui benignitatem Gratam numinis ..."
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Den örtlichen und zeitlichen Hintergrund von Aurpachs poetischen Ergüssen bilden Ereignisse, die uns auch später noch beschäftigen werden. In Padua war die Pest ausgebrochen, und wie zahlreiche andere Studiengenossen zog sich Auerpach deshalb auf das Land zurück. Er bietet nun in Hendekasyllaben seine Briefchen an die in der Stadt zurückgebliebenen Freunde dar. Wenn er sie auffordert, das pesterfüllte Padua zu verlassen, wenn er sich nach ihrem Tun und Treiben erkundigt, so gibt ihm das den Anlaß, von seinem Leben in der ländlichen Zurückgezogenheit zu plaudern. Dabei hält er in anmutender Weise den Eindruck der Landschaft fest; man merkt es seinen Versen an, daß es sich nicht um die landläufigen Farben handelt, sondern daß er die Natur so wiedergibt, wie sie ihm selbst aufgegangen ist: „Ad fontem iaceo sonosque capto, Quos dulci Philomela reddit ore, Et quos aeria gemens ab ulmo Fletusque lacrimasque turtur edit. In silva spacior modo propinqua Et quaero latebras et antra et umbras, Secessusque kominum latentiores Et quidquid rapidum fugat calorem."
Und ein andermal: „Frondoso residens lego haec in antro, Cum Phoebus, medio vehens olympo Currum, baiulat aureas hdbenas, Cum sol aridulos hiulcat agros, Et Spinae virides tegunt lacertos, Et solis resonant cicadae in arvis."
Vor Eintönigkeit werden diese Bilder dadurch geschützt, daß der Dichter sie durch mannigfach wechselnde Motive zu beleben versteht. Er führt sich selbst vor, wie er in Wald und Grotte neben Catull und Tibull auch die Gedichte seiner Freunde liest, wie ihm das ländliche Mahl aufgetragen wird, wie er sich mit Karst, Hacke und Getreidegabel eifrig an den Arbeiten des Landmannes beteiligt. Und für den Wunsch, die in der Stadt gebliebenen Freunde zu sich herauszulocken, werden immer neue Einkleidungen gefunden. Da verspricht er beispielsweise dem Erwarteten, daß er für ihn so viele lustige Scherze vorzubereiten
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gedenkt, wie Demokrit nicht in zwei Jahren belachen kann. Ein anderer, der durchaus nicht kommen will, soll durch einen zur Stadt geschickten tiefgebräunten Knecht auf einer von Pferden getragenen Sänfte abgeholt werden und noch möglichst viele Genossen mit sich bringen. So sehr sich in allen diesen Äußerungen nun auch das Behagen Aurpachs an seinem ländlichen Zufluchtsort kundtut, schließlich hält doch diese Stimmung nicht stand. Den Umschwung führt der Besuch eines Freundes herbei. Als der Dichter den Ton gebildeter, anmutiger Rede vernimmt, da sehnt er sich nach der Ursprungsstätte dieser Feinheit in Sinn und Sprache zurück; das Land wird ihm zuwider, und er beschließt, in den Musensitz zurückzukehren, aber nicht, ohne zuvor den Plätzen aller seiner stillen Freuden im Hendekasyllabenstil ein Lebewohl zugerufen zu haben: „Omnes jloriduli valete campi, Ottilies frondiferae valete silvae, Omnes pampinei valete colles, Omnes luciduli valete föntest Iam non atnplius algidorum amoenos Hic protectus ad amnium susurros Sub ulrno patula leves inibo Somnos, excipiam aure delicatas Cantantum quaerimonias volucrum." Schon aus dem Mitgeteilten ist zu ersehen, daß sich mit dem Freundschaftsgefühl, der Liebe zur Natur unmittelbar die Hingebung an die Poesie verbindet. Es offenbart sich auch hier, wie in der ersten Sammlung, daß das Sinnen und Trachten Aurpachs der Dichtung zugewendet ist; er ruft einem Freunde zu: „Magnum est, crede mihi, sacras defendere Et tali darum nomen habere nota."
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Und in einer Ode rät er einem anderen Freunde, die traurigen Rechtsstudien liegen zu lassen und sich, der Anlage seiner Natur entsprechend, den Musen zu weihen; hier, wo der Dichter mit ganzer Seele bei seinem Gegenstande ist, schreitet das sapphische Maß auch nicht so steifbeinig einher, wie es sonst bei ihm der Fall ist, sondern erhebt sich zu größerer Freiheit. Neben Freundschaft, Liebe zu Natur und Kunst tritt gleichberechtigt das erotische Element; die schon früher ge-
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nannte Cannia bildet den Mittelpunkt einer kleinen Gedichtreihe, und glaubhafter als in seinen Erstlingen weiß Aurpach jetzt das Verhältnis zur Gehebten zu gestalten. Er klagt über ihre Untreue, scheint aber doch nicht von ihr lassen zu können. Wenn er sie erblickt, wie sie mit den anderen Jungfrauen zusammen den Reigen tanzt, dann sieht er nur sie, ihre Schönheit überstrahlt alle Mädchen, und von Rechts wegen hätte Paris ihr den Apfel zuerteilen müssen. Ihre Abwesenheit beklagt er in einem langen elegischen Gedicht mit den gangbaren Mitteln der Liebesrhetorik. Und er erzählt ihr, wie ein anderes Mädchen ihm geraten, sich nicht mehr dem Dienst der Sprödesten und Tollköpfigsten zu weihen, sondern lieber einen Kranz aus ihrer Hand anzunehmen, •wie er dieses Anerbieten erwogen, aber schließlich doch den Entschluß gefaßt habe, den Kranz abzulehnen und Cannia treu zu bleiben. Gleich der Liebespoesie nimmt auch die religiöse Dichtung einen breiteren Raum ein als in Aurpachs Anfängen. Ähnlich wie die protestantischen Poeten feiert er Geburt und Auferstehung Christi, zeigt auch in gelegentlichen anderen Äußerungen religiösen Sinn. Unmittelbarer als in diesen Stücken wirkt er da, wo er die Worte wiederholt, mit denen der schwerkranke Vater ihn in die Ferne entläßt, und die Empfindungen festhält, die die bald ihn erreichende Todesnachricht in ihm weckt. Allerdings erscheinen in diesem Gedichte die Hendekasyllaben dem Gegenstande nicht angemessen; auch wenn er sich einführt, wie er trauernd am Grabe von Bruder und Schwester steht, will das gleiche Versmaß zu der Sprache des Gefühls nicht recht passen. Geeigneter scheint in solchem Falle der Hexameter; Aurpach verwendet ihn, wenn er zwei Freunde beklagt, die in der Fremde gestorben sind und die Heimat nicht wiedersehen konnten: ,,Vos patrii colles pairiis in collibus arva, Flumina vos exspectabant et dulcia rura, Quae prope purpureos in verno gramine flores Legistis pueri "
Im ganzen atmet das Gedichtbändchen Frische und Leben; was geboten wird, ist meist der Abdruck unmittelbarer Gegenwart, durch die humanistisch-neulateinischen Formeln nur unwesentlich getrübt. Die liebenswürdige Persönlichkeit des Dichters erschließt sich z. B. ganz, wenn er Apollo um Beistand für
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einen erkrankten Freund angeht und den Gott daran erinnert, daß er die Pflicht habe, seinem treuen Jünger zu helfen: „Ergo si quid amas tuos alumnos, Qui colunt tua sacra teque summis Ornant laudibus et sacras puellas, Quorum tu pater es, meum sodalem, Meum scilicet unicum sodalem Bea et redde Heliconiis puellis!" Aber auch wo ganz unbedeutende Gegenstände behandelt werden, hebt sie Aurpach durch die gemütliche Art der Darstellung. So wenn er einen Kettenhund sich über sein schweres Los beklagen läßt, oder wenn der Dichter von einem Freunde wissen will, ob dessen böser Köter, der ihn offenbar bei Besuchen belästigt hat, nun endlich angebunden und dadurch unschädlich gemacht worden ist. Jedenfalls darf die Sammlung innerhalb der neulateinischen Lyrik Deutschlands einen bedeutsamen Platz in Anspruch nehmen. Hält man die älteren Gedichte daneben, so liegt die Frage nahe, ob der unverkennbare Aufstieg lediglich auf die innere Entwicklung zurückzuführen ist, oder ob auch äußere Einwirkungen die verhältnismäßig schnell eingetretene Reife mit herbeigeführt haben. Höchstwahrscheinlich muß die letzte Frage bejaht worden. Und hier tritt uns zum erstenmal als großer Anreger der hervorragendste neulateinische Dichter Deutschlands, Petrus Lotichius Secundus, entgegen. Dieser zählte in Padua zu den nahen Freunden Auerpachs; drei Gedichte, die unser Poet an ihn gerichtet, setzen ein inniges Verhältnis voraus. Offenbar gehörte Aurpach dem Dichterkreise an, der sich in Padua um Lotichius sammelte; sicher ist jedenfalls, daß er mit einem Mitgliede dieses Kreises, mit Hilarius Cantiuncula, befreundet war; er weiß in einem Gedicht zu berichten, daß Liebeslust und -leid ihnen beiden wohlvertraut war; und als Cantiuncula Padua verlassen hatte und bald darauf im Rhein ertrank, da richtete Aurpach ein heftiges Scheltlied an den Fluß, das freilich durch nüchterne Wendungen entstellt ist. Da nun außerdem für den Eindruck der Verse des Lotichius Aurpachs eigenes Zeugnis vorliegt, wird die Einwirkung des hervorragenden Dichters auf den begabten wohl als gesichert gelten dürfen. Manches in Aurpachs zweiter Sammlung scheint von Lotichius abhängig
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zu sein, so das Weihnachtsgedicht im lyrischen Maß, das an ein gleichartiges des Lotich erinnert. Wie dem auch sei: die schnelle Steigerung im Können Aurpachs darf auf Vorbild, Belehrung, Zuspruch des Lotichius zurückgeführt werden. Aurpach gehörte nicht zu den zahlreichen Neulateinern, die nach ihrer Universitätszeit der Poesie für immer Valet sagten. Er hat auch später noch den Musen gehuldigt; ob alle Zeugnisse seiner dichterischen Bemühungen an das Licht getreten sind, läßt sich nicht sagen; 1570 veröffentlichte der damals etwa vierzigjährige Kanzler ein Bändchen anakreontischer Oden. Sie gehören ebenso wie die Jugendgedichte zu den anziehenden Proben der neulateinischen Poesie. Seit wir ihm das letztemal begegnet sind, ist der Poet nicht bloß zu Amt und Würden gelangt, sondern auch Familienvater geworden. Und in den Kreis seines Hauses führen die Oden mehrfach ein. Er freut sich der innigen Gemeinschaft der Gattin, die ihn unterstützt, wie beim Zweigespann das eine Pferd dem anderen tragen hilft; er klagt über den Tod seines kleinen Töchterchens; er begeht den Geburtstag seines Sohnes festlich; er ladet auch die Freunde mehrfach zur Feier seines eigenen Geburtstages ein, an dem er alles Schwere, alles Traurige von sich fernhalten will. Und auch kleine Ereignisse des häuslichen Lebens werden in die poetische Sprache eingekleidet. So will er z. B. sich und seine Familie im Bilde festhalten lassen; der Diener soll den damit betrauten Künstler herbeirufen, und Auerpach droht dem Boten mit Schlägen, falls er seinen Auftrag nicht schnell ausführt. In den Kreis der Familie führt es gleichfalls, wenn er seinen Sohn über die einzuschlagende Laufbahn berät: große Schätze und Gold kann er ihm nicht hinterlassen, deshalb will er ihm wenigstens mit seiner Erfahrung bei der Auswahl des künftigen Berufes behilflich sein. Und nun werden die einzelnen Fakultäten durchgegangen; aber keine erscheint Aurpach geeignet, keine verheißt wirklichen Erfolg, so daß er ihm schließlich empfehlen muß, bei den Alchimisten (Algoristen) in die Lehre zu gehen: das sei der einzige Weg, zu Ansehen und Reichtum zu gelangen. Wie alle diese Äußerungen offenbar das wirkliche Leben abspiegeln und von bestimmten Anlässen eingegeben werden, so sind auch gelegentliche Ausbrüche des Unmutes, die die im ganzen heitere Stimmung unterbrechen, von der augenblicklichen Lage diktiert. So wenn ein hochfahrender, geckenhaft stolzer Mensch ermahnt wird, von seinem Übermut
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abzulassen, und der Dichter ihm zuletzt weitere Vorhaltungen in Aussicht stellt: „Vis plura? Plura habebisl" Weilt Aurpach offenbar mit besonderer Liebe bei der kleinen Welt des häuslichen Daseins, so klingen doch jetzt auch die großen Fragen des öffentlichen Lebens wider. Kein Wunder bei dem Manne, der als Kanzler des Regensburger Bischofs eine verantwortungsvolle Stellung einnahm. In den früheren Gedichtbüchern Aurpachs macht sich sein religiöser Standpunkt nur selten und nirgends angriffslustig geltend. Daß das verschiedene Bekenntnis etwa den Verkehr zwischen ihm und Petrus Lotichius Secundus gestört hätte, ist nicht wahrscheinlich. Schon am Anfange der sechziger Jahre scheint aber in seinen Ansichten eine Änderung eingetreten zu sein; wenigstens hat er sich damals (1563) als Beamter Herzog Albrechts von Bayern in den Dienst der Gegenreformation gestellt. Kann auch angenommen werden, daß er bei dieser Stellungnahme mehr dem Einflüsse seiner Umgebung als eigener Sinnesart gefolgt ist, so gewannen doch derartige Stimmungen mehr und mehr bei ihm die Oberhand, und auch die vorliegende Sammlung legt davon Zeugnis ab. E r wendet sich in einer Ode an Pius V . und spendet ihm das höchste Lob, weil der Papst die verwüstete Kirche in alter Reinheit wiederherstellen will; dabei fallen die schärfsten Worte über „die räuberischen Wölfe, die in den geheiligten Schafstall eindringen und mit viehischer Wildheit die armen Lämmer töten". Wie hier, so nimmt der Dichter auch in einer anderen Invektive gegen die Protestanten Stellung; er nennt sie nicht, aber wenn er heftig gegen die Treulosen und Aufrührer loszieht, die die Kirchen zerstören, die Klöster schänden, die heiligen Geräte rauben, so leuchtet es ohne weiteres ein, an wen diese Vorwürfe gerichtet sind. Sein Widerwille galt im gleichen Maße den religiösen Neuerern wie den Störern von Ruhe und Ordnung; es ist ein pazifistischer Zug in ihm, was man bei einer ästhetisch gerichteten Natur wohl verstehen kann. Wer den Frieden stört, ist sein Feind; und als ein Gewalttätiger sich gegen die von den Fürsten geschlossenen Verträge mit frechem Worte auflehnte (Grumbach? Die Ode müßte dann spätestens 1566 geschrieben sein, was wohl möglich ist), da gab ihm Aurpach den guten 'Rat, im kriegerischen Ausland seiner Kampfeslust zu frönen: „Ulm scelus recede Et hatte relinque terram,
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Quae dulcern amat quietem, Et isla monstruosa Portenta ad inferorum Tristes relegat umbras." Indessen, wenn er in solchen Fällen auch notgedrungen die Blicke der Außenwelt zulenkt, seine Liebe gehört doch dem stillen Behagen des Hauses und den Musen. So muß er einst längere Zeit in Amtsgeschäften auf der Burg des Fürsten verweilen; da klagt er bitter über das Fehlen der Familienfreuden, der Bücher, der Freunde; in der bäuerlichen Umgebung ist ihm nicht wohl. Überhaupt möchte er nicht völlig in der Amtstätigkeit aufgehen ; er wendet sich gegen die Geizigen und Amusischen, wahrscheinlich bestimmte Kollegen, die sich keine Ruhe gönnen, um nur so viel wie möglich Gold zusammenzuscharren; so will er nicht handeln; wohl genügt er seinen Pflichten, ,,ad virentes Et fluminis recessus Tarnen iuvat morari Interdum et otiari Ac tetricum severi Vultum remittere oris Et cum sacris camoenis Laetoque Anacreonte Apollinis per almas Deambulare valles, Dum Phocidos sacratis Sitim levamus undis Et pangimus sonoro Carmen suave pleclro." Er ist überhaupt des trockenen Tones satt und bittet die Muse, ihm scherzhafte Gesänge einzugeben. Und diese gelingen ihm auch zum Teil nicht übel; er erzählt von einem Nachbar, der alle seine Güter verschwendet hat, und er kann ihn deshalb nicht tadeln, denn mit dem Besitz hat er auch die Sorgen verloren; Raub, Feuersbrunst, Baufälligkeit braucht er nicht mehr zu fürchten; ob er beim Spazierengehen die Tür zuschließt oder nicht, kann ihm gleichgültig sein. In ähnlich scherzender Weise spricht der Dichter von sich selbst; in jener Bitte an die Muse hatte er gesagt: „Me dulcis et Lyaeus — Me dulcior Dione —
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Stimulat suo furore ...", und daß er dem Bacchus nicht abhold ist, erfährt man ein andermal; er erklärt, daß er das Wasser nicht vertragen kann, sondern den Geist mit Wein stärken muß: „Non est enim voluntas Tabescere ac perire lila aemulatione Famelicae cohortis Frugalium sophorum." Wein, Liebe — auch ein schönes Mädchen wird gelegentlich gepriesen —, Freundschaft treten denn auch so in den Vordergrund, wie es sich für eine anakreontische Dichtung gebührt. Und die Liebe zur Poesie bildet bei diesen und anderen Gegenständen einen untrennbaren Bestandteil; Aurpach nimmt es ernst mit seiner dichterischen Arbeit, und wie in den Ingolstädter Jugendtagen sendet er mit einem poetischen Gruß die Oden an einen Freund, damit dieser sie durchsehe und glätte. So sehr nun aber des Dichters Gemüt den Musen zugewendet ist, zuletzt entschließt er sich doch schweren Herzens, ihnen Valet zu sagen und wieder zu den sauren Rechtsgeschäften zurückzukehren, denen er sich im Auftrage des Fürsten unterziehen muß: „Dulces valele Musae, Valete Anacreontis Modi venustiores! Me iam severiora Vocant negotia aulae Ad arduos labores, Quos principis Serena Solent monere iussa." Ob nun der Abschied von der Poesie endgültig gewesen und diese von den Staatsgeschäften vollständig verdrängt worden ist, läßt sich, wie erwähnt, nicht entscheiden. — Die Aurpach zuteil gewordene eingehende Behandlung rechtfertigt sich aus verschiedenen Gründen. Zunächst überragt der Dichter die meisten seiner Mitstrebenden erheblich an Talent. Wohl ist das Gebiet, auf dem er sich bewegt, nicht allzu groß, aber innerhalb dieses engen Kreises schaltet er glücklich mit den sich ergebenden Gegenständen. Das zeigt sich schon in seinen Jugendarbeiten. Aber selbstverständlich enthalten diese noch
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manches Mißglückte; die steife Nachahmung ist nicht immer überwunden. Je weiter er aber fortschreitet, desto mehr stößt er das äußerlich Angelernte ab. Dies führt zu dem zweiten Grunde der ausführlichen Besprechung. Der individualistische Charakter der neulateinischen Poesie verbirgt sich sonst meist unter hölzernen Formen und schulmeisterlichen Anleihen bei der Antike; man muß ihn erst mühsam herausschälen; Aurpach erschließt dagegen sein liebenswürdiges Wesen ohne jeden Zwang und in ansprechender Art. Dazu kommt, daß nur selten die Entwicklung eines neulateinischen Poeten in verschiedenen Sammlungen sich so bis ins Mannesalter hinein verfolgen läßt; auch dieser Umstand lenkt den Blick auf Aurpachs Schaffen. Schließlich noch ein bereits angedeuteter Punkt. Die neulateinische Lyrik trägt in Deutschland ein überwiegend protestantisches Gepräge. Um so notwendiger erscheint es, bei dem einzigen bedeutenden Lyriker zu verweilen, den die katholische Welt im 16. Jahrhundert aufzuweisen hat. — Der Gesamteindruck von Aurpachs Dichtung ist erfreulich; namentlich gewährt es einen Reiz, zu beobachten, wie die unschuldigen Neigungen der Jugend bei dem Manne vorhalten und seine Dichtung befruchten. — Das zuletzt besprochene Gedichtbuch ist wohl die einzige Sammlung eines deutschen Neulateiners, der eine vollständige Übersetzimg zuteil geworden ist. Von diesen durch Johann Engerd (1584) eingedeutschten anakreontischen Oden wird noch im dritten Bande zu reden sein. Als Lyriker kann sich ein anderer bayrischer Poet mit Aurpach nicht messen. Schon deshalb nicht, weil seine Hauptteilnahme dem Drama zugewendet war. Allein die lyrische Seitenprovinz seines Geistes entläßt trotzdem nicht ohne Gewinn und lohnt es wohl, daß man sich mit ihr beschäftigt. Martinus Balticus, um 1532 zu München geboren, dann in Bruck an der Amper durch den protestantischen Pfarrer Zacharias Weichsner unterrichtet und beeinflußt, zuletzt sechs Jahre Schüler des trefflichen Johannes Mathesius zu Joachimsthal in Böhmen, besuchte die Universität Wittenberg und trat hier insbesondere Melanchthon nahe. Nachdem er seine Studien aus Mangel an Mitteln hatte abbrechen müssen, kehrte er in die Heimat zurück. Seine Gönner verschafften ihm in München die Stelle eines Schulmeisters zu St. Peter (1553); bald darauf wurde er zum „Poeten", d. h. zum Leiter einer humanistischen
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Anstalt, der sog. Poetenschule, ernannt. Als „Poet" hatte er auch die Pflicht, mit seinen Schülern dramatische Aufführungen zu veranstalten, und aus dieser praktischen Tätigkeit sind seit 1556 seine (zunächst lateinisch geschriebenen) geistlichen Schauspiele herausgewachsen. Infolge seines protestantischen Bekenntnisses wurde er 1559 gezwungen, München mit Ulm zu vertauschen; er übernahm ein Lehramt an der Lateinschule und wirkte hier bis 1592 segensreich, zuerst, wie es scheint, mit Beifall, in den späteren Jahren aber unter allerlei Widerwärtigkeiten und Anfechtungen, die schließlich zu seiner Absetzung führten; im Jahre 1600 ist er gestorben. Ein echtes Schulmeisterleben, reich an Mühe und Arbeit, arm an Lohn und Anerkennung. Als Balticus sich dem Drama zuwandte, heimste er zugleich den Ertrag seiner bisherigen Lyrik ein. Eine Betrachtung der lyrischen Poesie wird von dem damals zusammengestellten Gedichtbuche auszugehen haben, denn obgleich Balticus noch in späteren Jahren einige Gelegenheitsgedichte verfaßt, auch die Sonntagsevangelien und -episteln in metrischer Umschreibung vorgelegt hat, führen doch diese Arbeiten über die Jugendleistungen nicht wesentlich hinaus. Bereits in der Knabenzeit scheint sich die Richtung von Balticus' Schaffen festgestellt zu haben: wohl hat er gelegentlich gleichgültige anekdotische Stoffe behandelt, Religiöses nicht verschmäht, sich in den gangbaren Formen der neulateinischen Dichtung versucht, aber überwiegend gestaltet er Vorgänge des inneren und äußeren Lebens. Schon der Schüler in Joachimsthal schließt sein volles Herz auf; das Heimweh macht ihn beredt, und obgleich der Knabe Farben und Worte aus Ovids ,,Tristien" entlehnt, so ist er doch nicht ganz unselbständig; ein Hauch sanfter Schwermut unterscheidet seine Darstellung vorteilhaft von der Rhetorik seines Vorbildes. Die persönliche Färbung verleiht auch den anderen Dichtungen das entscheidende Gepräge: Gelegenheitsarbeiten werden durch individuelle Züge gehoben, Kindheitserinnerungen eindrucksvoll vorgetragen, Freundschaftsgefühle zu wahrhaftigem Ausdruck gebracht. In einer Elegie an Melanchthon überschaut der Einundzwanzigjährige sein bisheriges Leben: er berichtet von seiner Heimat; er betont nicht ohne Stolz seine Abkunft von armen, aber ehrlichen Eltern, und wenn er die Hoffnung ausspricht, den unberühmten Vaternamen durch die Musenkunst zu den Sternen zu erheben, so wird man mit dem jungen, ganz von dem Wert seiner £ 111 n g e r , Neiilatelnische Lyrik 2.
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Sendung erfüllten Poeten nicht rechten wollen. Freilich enttäuscht dann der Ausgang des auch die weitere Jugendgeschichte unseres Dichters umfassenden Sendschreibens: anstatt eines wirksamen Abschlusses erfolgt die Bitte an Melanchthon, ihm einen Empfehlungsbrief auszustellen. In ähnlicher Weise wird auch sonst das poetisch Angeschaute durch die Nüchternheit der Zeit beeinträchtigt: liebenswürdig erscheint die Schilderung, wie der Dichter an einem Frühlingstage im Grase liegt und eine Zikade in die Hand nimmt; aber ein breit ausgeführter Vergleich schwächt die Wirkung des reizvollen Natureinganges ab. Wie bei seinen anderen neulateinischen Sangesbrüdern ertönt auch bei Balticus die Klage über die geringe Gunst, die den vergeblich um Schutz flehenden Musen zuteil wird. Trauernd erscheinen die Musen selbst und berichten, daß die Türken sie aus Griechenland vertrieben haben, daß sie dann nach Deutschland ausgewandert sind, aber nirgends eine Stätte finden können: „Spreta pererramus sie terras turba per omnes, Exilium durum cogimur usque pati."
Der Poet, der mit solchen Mahnungen den Mäzenen das Gewissen schärfen will, vergißt nicht, nach Humanistenart sich seiner Macht zu rühmen: lediglich aus der Hand des Dichters empfängt der König die Unsterblichkeit. Zu bitteren Klagen gibt auch die rauhe, wilde, den Musen ungünstige Zeit Veranlassung, namentlich das Haften am äußeren Besitz ist Balticus anstößig, und der Preis dessen, der sich frei von der Begierde nach den Eitelkeiten dieser Welt hält, ertönt auch in seiner geistlichen Dichtung, und zwar in einem Hymnus auf den Apostel Petrus. Noch lebhafter als bei der Verkündigung derartiger allgemeiner Gedanken wird er da, wo er zu eigenem Schutz das Wort ergreift, so in einem der späteren Stücke der Sammlung: zu München hat ihn ein Verleumder als Anhänger der Reformation angegeben; er tritt dem Menschen auf das heftigste entgegen, ohne sich über die Sache selbst auszusprechen. Da alle diese Äußerungen individuelle Züge tragen, möchte man auch einige erzählende Stücke auf persönliche Eindrücke zurückführen. Vielleicht verdroß ihn die Tatsache, daß ein armseliger Dichterling sich in den Chor der berufenen Sänger drängte, und die Verstimmung darüber gab den Anstoß zu folgender lustiger Geschichte: als Noah in der Arche göttliche Gesänge anstimmt, will der Esel
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nicht unmusikalisch erscheinen und brüllt mit; Noah verwünscht ihn: der Sack des Müllers soll allezeit seinen Rücken belasten. — Daß die spärlichen Gelegenheitsgedichte der Spätzeit das Urteil über den poetischen Wert der Lyrik des Balticus nicht wesentlich ändern können, wurde bereits hervorgehoben; doch tritt in ihnen das Individuelle zurück, während das Lehrhafte sich breit in den Vordergrund schiebt, lange Schulmeistertätigkeit hat ihre Spuren in der Dichtung zurückgelassen. Aber es lohnt sich doch, zu sehen, wie Balticus, nachdem er zwei Jahrzehnte als Lyriker geschwiegen hatte, mit einem Hochzeitscarmen in die frühere Bahn zurücklenkt: „Nunc iterum mea mens suspirat ad Aonis undas, Desuetumque diu nectere carmen amat .... Sic aliquando pugil -positam redit acer ad hastam, Si res forte suae postidet artis opus. Sic deserta redit veteranus miles ad arma, Pvscere si qua suain causa videtur opem."
Gewiß spricht aus der Lyrik dieses Poeten keine starke Persönlichkeit. Die sanften Regungen herrschen vor, wie denn auch seine Gesichtszüge die Weichheit des Gemütes bekunden. Wo er einmal dem Zorn Raum gibt, handelt es sich um eine vorübergehende Aufwallung, nicht um wurzelechte Bestandteile des Wesens. Aber was innerhalb der Grenzen dieser stillen, auf sich selbst zurückgezogenen Natur lag, hat er doch so zu gestalten gewußt, daß es auch um seiner selbst willen anzuziehen vermag. Von München führt unsere Darstellung nach der nordöstlichen Grenze, dahin, wo sich die bayrischen von den österreichischen Bajuvaren scheiden. Passau war der Schauplatz des Wirkens Leonhard Pamingers (1495—1567), des Secretarius, d. h. Kantors und Schullehrers zu St. Nicolaus. Als Komponist, protestantischer Schriftsteller und Übersetzer hat er sich rühmlich hervorgetan. Seine Söhne, die gelegentlich ebenfalls die musikalische Kunst des Vaters übten, betrachteten es als ihre Lebensaufgabe, die meist ungedruckten Werke Leonhard Pamingers der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Unter diesen Söhnen kommt zunächst hier Sophonias Paminger in Betracht (geb. 1526). Sophonias erhielt ebenso wie seine Brüder den vorbereitenden Unterricht auf der Lorenzschule in Nürnberg, wo Leonhard Pamingers Freund, der aus der Reformationsgeschichte wohlbekannte 15*
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Pfarrer zu St. Sebald, Veit Dietrich, sich der Knaben annahm und sie auch selbst durch religiöse Unterweisung förderte. Seit 1545 studierte Sophonias in Wittenberg, hierauf kehrte er nach Passau zurück und übernahm dort ein Lehramt an der Nicolaischule. Zum Lehrerberuf fühlte er sich besonders hingezogen; er hat noch später (1576) den Plan für eine Neuordnung der Lateinschule entworfen. Auch seine dichterischen Gaben stellte er in den Dienst seiner pädagogischen Tätigkeit: zu den Schulaufführungen von Lustspielen des Terenz verfaßte er lateinische Chöre, welche die aus der Handlung sich ergebenden Lehren der Jugend faßlich zu machen suchten. 1557 veröffentlichte Sophonias Paminger zwei Bücher Gedichte. Sie sind dem Bischof von Passau, Wolfgang I., Grafen von Salm (1540—55), gewidmet. Paminger rühmt ihn in dem Eingangsgedicht als Beschützer der Wissenschaften und als Friedensfürsten. In der Tat hatte sich Wolfgang I. durch Errichtung eines Gymnasiums um die Förderung wissenschaftlichen Strebens verdient gemacht. Auch das zweite Lob Pamingers war begründet. Wohl betätigte sich der Bischof auch gelegentlich im Sinne der Gegenreformation. Allein er gehörte nicht zu den Eiferern, und den protestantischen Pamingern scheint er trotz ihres abweichenden Bekenntnisses sein Wohlwollen bewahrt zu haben. Nicht alle der in Sophonias Pamingers Sammlung vereinigten Gedichte sind von Wert, aber wo ihm die Sache ans Herz greift, spürt man, wie seine Kraft wächst. Wenn auch die Paminger persönlich zunächst nicht unter den gegenreformatorischen Bestrebungen zu leiden hatten, so konnten sie doch unmöglich verkennen, wie bedrohlich sich die Lage allmählich zuspitzte. Immer stärker setzten in den benachbarten sowie in den zum Passauer Sprengel gehörenden österreichischen Landen Maßregeln ein, die auf Ausrottung des Protestantismus abzielten. Zu solchen Bedrohungen durfte ein überzeugter Protestant nicht stille schweigen. Daher ist Sophonias Paminger offenbar mit ganzer Seele dabei, wenn er einem „Verfolger der Frommen" entgegentritt; die in Betracht kommende Elegie mahnt den Tyrannen, zum Teil mit schneidender Schärfe, von den vergeblichen Empörungsversuchen gegen Christus abzulassen, und hält ihm als warnendes Beispiel den Ausgang solcher Gottesfeinde vor, z. B. den Pharaos. Gewiß stammt das Gedicht aus einer Stunde, da Sophonias Paminger sich den immer näher
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rückenden Gefahren gegenüber in der Zuversicht auf Gottes Hilfe zu stärken suchte. Aber sein Vertrauen sollte sich diesmal nicht bewähren. Unter Wolfgangs I. untüchtigem Nachfolger Wolfgang II. von Klosen brach 1559 in Passau das Unheil über die Protestanten herein, und auch Sophonias Paminger wurde mitbetroffen; er floh nach Straubing, ging später nach Regensburg und wechselte noch mehrfach seinen Aufenthalt, bis er 1603 in Nürnberg starb; die Heimat hat er nicht wiedergesehen. Trotz der leidenschaftlichen, vielleicht durch die Vorahnung kommenden Unglücks geschärften Parteinahme gegen die Verfolger des Evangeliums ist Paminger gegen die Fehler im eigenen Lager nicht blind; eine andere Elegie tadelt auf das schroffste einen (protestantischen) Prediger, der sich auf der Kanzel geckenhaft beträgt und abgeschmacktes Zeug schwatzt. Derselbe Dichter aber, der hier mit so angriffslustiger Herbheit vorgeht, findet wahrhaft innige Worte, sobald das Familiengefühl in Frage kommt. Ein an den Vater gerichtetes Trauerlied auf den Tod der Mutter gestaltet sich zu einer, im Ausdruck zuweilen nüchternen, in der Empfindung aber gleichmäßig echten Klage über die Leiden und Kümmernisse, die den Eltern das Leben verbittert haben. Unter den Schicksalsschlägen, die die Familie getroffen, nennt Sophonias Paminger insbesondere die Krankheit seines Bruders Balthasar (geb. um 1530). Dieser, ein ungewöhnlich früh entwickelter Knabe, voll Lernbegierde, schnell mit den Wissenschaften vertraut, wurde von einer schweren Krankheit ergriffen, die trotz aller angewendeten Mittel unter den heftigsten Schmerzen zu völliger Lähmung des Körpers führte. „In der Mitte des Ozeans der Trübsal" schrieb nun Balthasar Paminger ein Buch Gedichte, die Sophonias nach dem frühen Tode des Bruders herausgegeben hat. Auch in diesem Gedichtbuch herrschen wie bei Sophonias als leitende Sterne Religion und Familiensinn vor, und mit herzlicher Wärme wird die Frühzeit des verehrten Vaters Leonhard dargestellt. Aber das Anziehendste sind drei Gedichte, in denen das tiefe Leid des armen Balthasar sich Luft macht. Es klingt wie ein Aufschrei des um Jugend und Lebensglück Betrogenen, wenn er anhebt: „Ergo
erat in jatis, mea cum vix esset in kerba
Aetas pubescens, dotibus aucta suis, Ut cito, vel tnisere flos ipse periret, et huius Expositus mundi casibus occidereml
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0 saevae leges superumque invicta voluntas, Quam nihil humanuni consiituere diu! 0 decus atque vigor, nunquam reparabilis aevi, Instar qui nebulae tarn propere interiit."
Er erzählt die Geschichte seines Lebens und Leidens; er schildert, wie alle Hoffnungen durch die grause Krankheit zerstört wurden ; er fragt, wodurch er solche Pein verdient hat; er durchforscht sein Dasein nach einem strafwürdigen Vergehen und kann keines finden. Dann führt er seinen Lehrer Veit Dietrich redend ein und läßt ihn pedantisch beschwichtigende Worte sprechen. Allein allzulange haben diese Trostgründe sicher nicht vorgehalten, denn noch zweimal erneuern sich die bitteren Klagen des Armen, der das Ende seiner Leiden nur vom Tod und von der Wiedererweckung durch Christus erwartet. — Der teilweise ungelenke Ausdruck verrät den Anfänger; aber auch die matte Schlußzeile in dem nachfolgenden Bruchstück vermag die Wucht des individuellen Bekenntnisses nicht ernstlich zu gefährden: ,,Sol oritur novus, et pulchro iuveniliter ore Extincta luna rursum Prodit, sed me non permittunt invida fata Emergere hac malorum Illuvie, quibus undique sum circumdatus ipse."
Nach Straubing war Sophonias Paminger, als er aus Passau weichen mußte, zunächst in die Verbannung gegangen; und ebendahin führt der nächste der zu betrachtenden Lyriker. Thomas Naogeorg (Kirchmair) ist als der größte Tendenzdramatiker der Reformation allbekannt; für die vorliegende Darstellung kommt er namentlich als Satiriker in Betracht; in dieser Eigenschaft sowie als Epigrammatiker und Didaktiker wird er später zu würdigen sein. In Balticus, Aurpach, den Pamingers kommt die Eigentümlichkeit der bayerischen Art kaum zum Ausdruck; sie weisen überwiegend weiche Züge auf. Naogeorg dagegen verkörpert durch seine Unbändigkeit, sein leidenschaftliches Ungestüm durchaus das Wesen des Bajuvaren. Da er rückhaltlos sein Inneres aufzudecken pflegte, müßte man ihn für besonders geeignet halten, unter Absage an Phrase und Erborgtes von dem, was er empfand, Rechenschaft zu geben. Und so ist es in der Tat. Aber leider liegen nur zwei kleine Proben der Lyrik Naogeorgs vor; man weiß nicht, haben nur diese sich erhalten, oder hat der
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PAMINGEK;
THOMAS
NAOGEOKG.
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Dichter bei seinem ausgedehnten Schaffen und in der Unruhe seines Wanderlebens keine Zeit für die Pflege dieses Eckchens gefunden. Daß das Gemüt im Reformationszeitalter am stärksten durch das Familiengefühl in Bewegung gesetzt wurde, hat sich in unserer Darstellung wiederholt ergeben. Und dem entspricht es, daß auch die spärlichen Zeugnisse von Naogeorgs Lyrik in die kleine Welt des Hauses und der Familie führen. Im November 1548, als der durch die Ungunst der Verhältnisse und durch eigene Schuld Vielgehetzte eben sein neues Pfarramt in Kempten angetreten hatte, verlor er seine zweite Frau und sein Töchterlein. Beiden hat er rührende Grablieder gesungen. Jeder klassische Aufputz, jede pomphafte Übertreibung, kurz, alle Bestandteile, die sonst immer die Sprache des Gefühls unterbrechen oder verdunkeln, fehlen hier; indem der Dichter sich streng auf die Wiedergabe des Sachlichen beschränkt, gelingt es ihm, überzeugend den innigen Klageton zu treffen: ,,Usque adeone ego sum in fatis prognatus iniquis, Ut tot acerba feram? tristi tot funera luctu Aspiciam? casusque rötet me quilibet ater? Sic ne inimica diu durant, et cara parumper?
So beginnt der Trauergesang auf die verstorbene Gattin: Naogeorg zeichnet kurz den Tatbestand, wirft einen Rückblick auf das gemeinsame Leben und Leiden: „Saepe igitur mortem nobis optavimus ambo, Pertaesi vitae, non quod pcnuria victus Nos premeret, morbusve aliquis cruciaret acutus, Sed quod perniciem fidei verbique reducti, Atque imposturas validas gemeremus uterque Obtrudi populis. Praevertisti, optima coniux, Quod nec polliciti morbi nec suaserat aetas. Iamque tua optatum petierunt carbasa portum, In mediis ego dum iactor mox naufragus undis. Sors felix tua, nam, multis erepta periclis, Cum Christo gaudes atque immortalia guslas. Injelix ego, quem multa Lerna malorum Usque premit, socia fide et altrice carentern. Idcirco lacrimas multas gemitusque perennes Corda traham moesto, nostri dum terminus aevi Adveniat, densa pariierque tegamur arena."
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Wie einfach, ohne jeden Überschwang der Worte ist hier der Seelenzustand wiedergegeben! Und zwar nicht bloß der Schmerz des Einsamen, sondern auch die Art seines Daseins, das Unstete in Leben und Charakter I Noch rührender erklingt die Klage um das ihm entrissene Töchterlein; auch das spielerische Versmaß schmiegt sich hier den Empfindungen und den Erinnerungsbildern des trauernden Vaters unmittelbar an. „Elizabethae filiae. Ah piurirnis afflictionibus tortum Nec non in oris exulem peregrinist O mea voluptas, unicumque solamen, Elizabetha, me relinquis? Heu, quis post Sermone mecum fabulabitur blando? Quis colla cinget, se meumque clamabit? Nostra cibum quis flagitäbit e dextra? Gaudebit et se poculis meis tingi? O dura sors parentium et status tristis! Amare divino iubentur edicto Natura et ipsa liberos amatos mox Fatalis abripit dies " S c h w a b e n . Ähnlich wie in Bayern steht auch in Schwaben e i n Vertreter der neulateinischen Lyrik, Joachim Mynsinger d. Ä., an Begabung erheblich über seinen Mitstrebenden. Doch kann er selbst freilich einen Vergleich mit Aurpach nicht aushalten. Von der übergroßen Mehrzahl der neulateinischen Poeten unterscheidet sich Mynsinger schon durch seine Abkunft. Er stammte nicht, wie die meisten anderen, aus den kleinen Kreisen der bäuerlichen Bevölkerung oder des niederen Bürgertums. Vielmehr gehörte er den höheren Ständen an; sein Vater genoß das besondere Vertrauen der Habsburger und war während der Verbannung Herzog Ulrichs von Württemberg österreichischer Kanzler in Stuttgart. Hier wurde Joachim Mynsinger von Frundeck am 13. August 1514 geboren. Frühzeitig regten sich die Anlagen des Knaben; er studierte in Tübingen, hierauf in Padua Rechtswissenschaft und kehrte dann in die Heimat zurück. Ähnlich wie bei Reysmann wurde sein Schicksal durch den Frieden zu Cadan in andere Bahnen gelenkt. Herzog Ulrich kam wieder; für die Anhänger des österreichischen Regimentes war in Württemberg nichts mehr zu hoffen; Mynsinger begab sich
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daher in den österreichischen Breisgau und suchte an der dortigen Universität unterzukommen (1534). Durch Zasius in der Rechtswissenschaft gefördert, erhielt er erst eine Lehrstelle probeweise (1536), dann eine ordentliche Professur. Aber er zeigte nicht die geringste Lust, den akademischen Zopf zu respektieren; das Selbstgefühl des Adligen lehnte sich gegen kleinliche Bevormundung auf, und so kam es zu wiederholten Zusammenstößen zwischen ihm und der eingesessenen Professorenschaft; erst nach und nach lebte man sich aufeinander ein. 1548 wurde er von Karl V. als Beisitzer an das Reichskammergericht nach Speier berufen, wo ihm ebenfalls widerwärtige Streitigkeiten nicht erspart blieben. Ein ganz anderes Gesicht nahm seine Lebensbahn 1556 an. Hans Worst, der böse Heinz, Heinrich von Braunschweig bot ihm den Kanzlerposten an; Mynsinger sagte zu und hat nun sowohl unter Heinrich wie unter dessen Sohn Julius segensvoll gewirkt, die Rechtsverhältnisse ordnend, die Gegensätze — auch die religiösen — ausgleichend. An Mißhelligkeiten fehlte es hier ebenfalls nicht; die Ungnade des Herzogs Julius veranlaßte ihn, sich zwei Jahre zurückzuziehen; doch nahm er sein Kanzleramt w e d e r auf und wirkte entscheidend bei der Begründung der Universität Helmstedt mit. Am 3. Mai 1588 ist er gestorben. — Eine ausgeprägte Persönlichkeit, sicher mit mancherlei Schärfen und Ecken, aber trotzdem ein Mann aus einem Gusse. Die Frage liegt nahe, inwieweit seine Poesie die Grundzüge des Wesens widerspiegelt. Die poetische Tätigkeit Mynsingers hat wohl schon ziemlich früh eingesetzt; verfolgen läßt sie sich bis in seine Paduaner Studienzeit. Als Siebzehnjähriger kleidete er ein eigenes Erlebnis episch ein und legte in diesem später zu würdigenden Werkchen eine unverkennbare Gewandtheit an den Tag. Kurze Zeit darauf (1532) versuchte er sich auf dem Gebiete der Gelegenheitsdichtung und wußte ganz geschickt die Klippen dieser Gattung zu umschiffen. E s galt, den neuen österreichischen Statthalter von Württemberg, Pfalzgraf Philipp, zu begrüßen, den Nachfolger des 1531 gestorbenen Georg Truchseß von Waldburg. Eine Angelegenheit, die Mynsinger nicht gleichgültig sein konnte, da für den Vater das Verhältnis zum Statthalter eine Lebensfrage war. Dem entspricht es, daß das jetzt entstandene Gedicht von persönlicher Wärme erfüllt ist. Es führt den Titel: „Die Neckarnymphen" (Neccharides); Gedichte wie dieses wurden damals
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zur epischen Poesie gerechnet, daher das gegebene Versmaß der Hexameter war. Die über den Tod des vorigen Statthalters betrübten Neckarnymphen bekunden bei der Nachricht von der Wahl seines Nachfolgers große Freude. Sie versammeln sich in einer Grotte zum fröhlichen Mahl; hier ergreift Leucothoe das Wort zum Preise des neuen Verwesers, sie rühmt seine Vorzüge und Verdienste, insbesondere seine Taten im Türkenkriege. — Die Einkleidung folgt der in der neulateinischen Poesie hergebrachten Weise; dagegen hat die Ausführung manches Selbständige; wenn Mynsinger die Grotte der Leucothoe vergegenwärtigt, trägt er die Farben gut auf, und ganz besonders steigert sich ihm die Fähigkeit, sobald er von der Türkengefahr spricht: den Schrecken des personifizierten Wiens bei der Belagerung von 1529 schildert er aus lebhaftem Mitempfinden heraus. Neben diesen beiden größeren Arbeiten entstand in Padua noch eine Reihe von Elegien. Im Vordergrunde stehen dabei Freundschaft, Natur und Liebe. Wohl werden gelegentlich auch andere Gegenstände behandelt: der würdige Mann, den ihm der Vater als Begleiter nach Padua mitgegeben, hat einen schweren Traum; der erschreckt auch den Dichter; da erscheint diesem nachts Apollo und tröstet ihn mit der Versicherung, daß die Träume oft Falsches vorspiegeln: er solle sie verachten. Doch treten derartige Vorwürfe gegenüber den genannten ganz zurück. Für die Freundschaftsempfindungen findet Mynsinger zuweilen ein schlichtes Wort. Aber mindestens ebenso oft bleibt er im Schulmäßigen stecken, und fürchterlich häuft er die gelahrten Brocken, um seine Freundesliebe zu erhärten: „Wie Achilles den Patroklus, David seinen Jonathan": ,,Non sie Actoriden quondam dilexit Achilles, Non sie magnanimum Thesea Pirithous, Ogygiden non sie clarum Calydonius heros, Euryalum non sie arsit et Hirtacides, Nee Pythian Danton, Pyladen nee amavit Orestes, Ille tuns quantum te Joachimus amat."
In den spärlicheren Liebesgedichten fehlen derartige Geschmacklosigkeiten, doch ist das wichtigste von ihnen ebenfalls stark rhetorisch gefärbt. Auch arbeitet es mit Wiederholungen und Phrasen, entbehrt aber trotzdem der inneren Wahrheit nicht. Der siebzehnjährige Jüngling hat in Stuttgart bereits ein Lieb-
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chen zurückgelassen; er nennt sie Leucothoe wie die Obernymphe in seinen „Neccharides". Es ist Herbst; er stellt sich die Geliebte lebhaft vor, wie sie daheim im Garten die reichen Gaben des Gottes einsammelt: „Aut legis arboreos foetus et mitia poma, Congeris aut facili caerea pruna manu." Allein so lebhaft er sie mit dem geistigen Auge sieht, so schwer empfindet er die körperliche Trennung. Und er bemüht sich, darzulegen, wie sehr ihn der Trennungsschmerz drückt: oft haben die Wälder seine Klage zurückgegeben, das lispelnde Laub hat seine Seufzer mit ihm vereinigt, mit ihm zusammen haben die hohlen Felsen nach ihr gerufen. Durch Wein versucht er den Kummer zu verscheuchen, aber die Trauer wandelt den Labetrank in jammervolle Tränen um. Tief innen sitzt ihm die Glut; ohne die Geliebte widert ihn alles an; die Jagd erfreut ihn nicht, die Lilien erscheinen ihm schwarz, die Rosen blaß. Erst wenn er wieder mit ihr vereinigt ist, wird sich das alles ändern. Und nun malt er sich das Glück dieser Wiedervereinigung enthusiastisch aus. — Gewiß fehlt es in diesem Liebeserguß nicht an äußerlichen, übertreibenden Bestandteilen, aber sie wirken nicht abstoßend, weil man sie als angemessenen Ausdruck der Stimmung empfindet. Wir wissen, daß der Jüngling gerade in jener Zeit unter ähnlichen seelischen Zuständen schwer litt, daß er von ihnen „wie von einem langwährenden und tückischen Fieber" gemartert wurde; es erscheint daher nicht unbegründet, wenn man in den etwas geschwollenen Versen den naturgemäßen Ausdruck des inneren Wogens findet. Im einzelnen überrascht manch glücklicher Griff, auch die Wortwahl zeigt Eigentümliches. Was sonst an Liebesgedichten vorhanden ist, wiegt nicht schwer; die von den italienischen Neulateinern stammende und im Deutschen so vielfach nachgeahmte Wendung, daß der Geliebten anstatt der streitenden drei Göttinnen der Apfel zuteil werden müsse, begegnet auch bei Mynsinger; in einem anderen kleinen, ebenfalls wie das vorige in die Epigramme eingereihten Stücke verbinden sich Erotik und Naturgefühl: der Dichter fordert die Geliebte auf, mit ihm auf das Land zu ziehen; „ein anderer", sagt er, „möge den Krieg, wieder ein anderer Gold und Silber lieben, ,,Me iuvat in viridi requiescere gramine laetum, Serpit ubi nitida rivus amoenus aqua."
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Überhaupt macht sich die Freude an der Natur zuweilen ganz anmutig geltend, so wenn er — wohl einige Jahre später — seinen Garten beschreibt und dabei im Eingange deutlich an die eben erwähnten Verse anklingt: „Me
iuvat in viridi praedulcem gramine somnum Carpere et ad murmur transilientis aquae. Terra viret, pictae surgunt cum suavibus herbae Floribus, in gravido palmite gemma turnet. Et volucres gratis complent concentibus auras. Et jaciunt blandos blanda per ora sonos. Et zephyri grato recubanteis jlamine mulcent, Et placida arboreum perstrepit aura nemus."
Seitdem Beginn seiner Lehrtätigkeit in Freiburg (1535), also seit seinem einundzwanzigsten Jahre, scheint sich der Charakter seiner Poesie zu ändern. Zwar Freundschaft und Natur bleiben Leitsterne; aber die Liebe tritt ganz zurück. Ihre Stelle wird von anderen Gegenständen eingenommen, so z. B. von seinem Lehrberuf: er kündigt nach den Sommerferien eine juristische Vorlesung an und führt aus, wie jedes Ding seine Zeit habe; Erholung sei gewiß notwendig, jetzt komme jedoch die Arbeit an die Reihe. Auch der Verdruß, den er von seinen Kollegen erfuhr, bleibt nicht ohne Widerhall; in den Epigrammen finden sich einige Stoßseufzer; sie stammen sicherlich aus derartigen trüben Stunden. Da wendet er sich gegen einen galligen Neider, und in einem anderen kleinen lyrischen Erguß fragt er sich selbst, was es für einen Zweck habe, die rechte Bahn zu verfolgen. . Der Neid hefte sich an das Streben nach Rechtschaffenheit, aber niemand wolle auf das Laster neidisch sein. „Warum", fragt er sich, „suche ich nicht süße Liebeshändel auf, da diese bei den Menschen in so großer Gunst stehen ?" — Stärker noch als in den Anfängen seines Schaffens machen sich die allgemeinen Verhältnisse geltend; eine „Klage" zählt die schweren Leiden auf, an denen die Zeit krankt — Kriegsunglück, Pest, Türkengefahr — und mahnt zu innerer Umkehr. Namentlich die Türkennot behält der Dichter, wie früher, im Auge; eine „Aufforderung zum Türkenkriege" (nach 1535) wendet sich an Karl V. und König Ferdinand; die Fürsten Deutschlands sollen von den gegenseitigen Kriegen ablassen und unter der Führung der beiden Herrscher wider die
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Türken ziehen. Schon sieht er den Erbfeind niedergeworfen, ewiger Ruhm im Liede des Sängers wird der Lohn der Sieger sein; der Dichter selbst glaubt, daß er bei der Verherrlichung dieser Großtaten auch von Orpheus und Linus nicht übertroffen werden würde. Das elegische Gedicht zeichnet sich durch anschauliche Vergegenwärtigung aus, leidet aber unter schwülstigem Redeprunk, der sich allerdings wie bei der jugendlichen Liebespoesie aus der lebhaften Anteilnahme des Gemütes erklärt. Des Vaters und sein eigenes Verhältnis zu Österreich legte es ihm besonders nahe, das habsburgische Kaiserhaus zu feiern; er tat dies 1540 in einem Epos: „Austrias", das in der Einkleidung an die „Neckarnymphen" erinnert und später gewürdigt werden wird. — Daß die Gelegenheitsdichtung in diesen Jahren ebenfalls nicht schwieg, liegt im Wesen der Literaturgattung begründet; merkwürdigerweise zeigt sich Mynsinger auf diesem Gebiete gerade bedeutenden Gegenständen nicht gewachsen, so wenn er den Tod seines Freundes und Meisters, des großen humanistischen Rechtsgelehrten Ulrich Zasius, betrauert (1536). Dagegen fällt bei privaten Anlässen zuweilen ein eindrucksvolles Wort; Mynsinger tröstet z. B. einen Witwer über den Tod der Frau, ermahnt ihn zum Widerstand gegen das Unglück und weist ihn auf die Wandelbarkeit des Geschickes hin: „Nonne vides alternatim procedere ab ortu Nunc Phoebum, fessos nunc quoque mergere equos? Sic se purpureo tellus nunc vere remittit, Nunc aestas fervct, spicea serta gerens." Seit 1540, dem Erscheinungsjahr seiner Gedichtsammlung und der „Austrias", liegen keine poetischen Leistungen Mynsingers vor. Daß er die letzten achtundvierzig Jahre seines Lebens ganz geschwiegen, ist wohl nicht wahrscheinlich, wenn auch seine amtliche Tätigkeit ihn stärker als vordem in Anspruch genommen hat. Aber immerhin: das Vorliegende schließt mit dem sechsundzwanzigsten Jahre ab, und auf diese Leistungen muß sich das Gesamturteil gründen. Mynsingers Schaffen zeigt viel Ungleichmäßiges. Allein wenn auch z. B. seine religiösen Gedichte, die „ H y m n e n " auf Weihnachten, Himmelfahrt, Pfingsten, auf die Jungfrau Maria und den h. Hieronymus in ihrer Trockenheit und Schwunglosigkeit fast abstoßend wirken, im ganzen spürt man doch nicht selten die starke innere Bewegung, ohne d a ß
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es ihm geglückt wäre, für die seelischen Geschehnisse das erlösende Wort zu finden. Nach der Weise von Zeit und Zunft sucht er diesen Mangel durch den Gebrauch übertriebener Stilmittel zu ersetzen. Aber die Tatsache, daß zu seinen besten Leistungen ein unaufhaltsamer Drang den Anstoß gegeben hat, hebt ihn über die neulateinischen Dutzendpoeten hinaus. Während Mynsingers Tätigkeit in Schwaben ihren Anfang nahm und im Norden abgeschlossen wurde, vollzog sich das Wirken Johann Lauterbachs in umgekehrter Reihenfolge. Geboren 1531 zu Löbau in der Oberlausitz, studierte er in Wittenberg bei Melanchthon, ständig dessen in Dankbarkeit eingedenk, was er dem Lehrer schuldete. Nach den üblichen Hofmeisterjahren landete er erst in Oehringen, dann in Heilbronn (1567) als Rektor. Er hat sich in manchen Dichtungsarten versucht, zum Teil mit geringem Erfolge. Er selbst scheint mit seinen Leistungen unzufrieden gewesen zu sein, denn nach einer nicht unwahrscheinlichen Nachricht soll der Kummer darüber, daß andere ihn in der leichten Handhabung des lateinischen Verses übertrafen, seinen Tod beschleunigt haben. Trifft diese Angabe zu, so würde sie einen Beweis dafür liefern, daß bei den meisten dieser wackeren Schulmänner die lateinische Poesie kein bloßes Anhängsel an die eigentliche Lebensarbeit war, sondern eine unabhängige Geistesmacht, der man sich mit allen Kräften hingab. In seinen Anfängen steht Lauterbach noch durchaus im Banne des Wittenberger Kreises. Ein elegisches Weihnachtsgedicht des Zwanzigjährigen preist die Wohltaten Christi und sucht Schuld und Erlösung an naheliegenden Bildern klar zu machen; es weist warnend darauf hin, wie die Himmelskörper willig ein höheres Gesetz anerkennen und nur der Mensch sich nicht unterordnen mag; es sucht schließlich durch einen Vergleich mit dem blinden Altertum und durch den Hinweis auf den Unbestand aller Dinge zu zeigen, wo der sichere Weg zum ewigen Heile zu finden ist. Eine sich anschließende sapphische Ode wendet sich mit Bitten für das Menschengeschlecht an Christus. — Wie im Inhalt, so zeigen beide Stücke in der Sprache nichts Eigentümliches; sie könnten sehr gut von einem der weniger begabten Mitglieder des Wittenberger Kreises herrühren; und auch die mehrfach auftauchenden Naturbilder gemahnen durchaus an die in Wittenberg übliche Art:
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„Ut
LAUTERBACH
AUS
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ruit excclso praeceps ex aethere nimbus, Sic placido a Christo gratia larga venit."
Die Anklänge an die Richtung des Wittenberger Kreises treten mit der Zeit zurück, ohne daß es Lauterbach gelungen wäre, einen durchgehenden persönlichen Stil auszubilden. Daß er verschiedene Gebiete angebaut, wurde erwähnt; bei der Betrachtung des Epos, des Grenzbezirks von beschreibender und didaktischgnomischer Dichtung, des Rätsels wird sein Wirken noch zu streifen, etwas eingehender seiner Bemühung auf dem Gebiete des Epigramms zu gedenken sein. Auch Lauterbachs Lyrik darf nicht ganz übergangen werden. Nach der Weise der Zeit enthalten seine „Epigramme" (1562) neben den Stücken, denen seit dem 17. Jahrhundert diese Bezeichnung ausschließlich vorbehalten wird, auch mannigfache lyrische Bestandteile. Heimatsgefühl und Freundschaftsempfindung kommen zu Wort; der von Liebeskummer Bedrückte wird gemahnt, die Einsamkeit zu fliehen und in froher Gesellschaft das Leid zu verscheuchen. Auch religiöse Lyrik findet sich, jedoch von der früheren Art abweichend; in einer Bitte an Gott für sein erkranktes Söhnchen wandelt sich das Religiöse zum Individuellen. National-religiös erscheint Lauterbach, wenn er den treuen Eckart Deutschland zur Abkehr von den Sünden und zur Erneuerung der ursprünglichen Kraft mahnen läßt. Allein das Hauptgewicht ruht offenbar auf Lauterbachs Liebeslyrik. Die Geliebte wird unter dem Namen Svavia eingeführt und von Posthius in einem beigegebenen Epigramm beglückwünscht, weil ihr unser Dichter die Unsterblichkeit verleihen und sie Nemesis, Lesbia und Cynthia an Ruhm überstrahlen werde. Die kleinen Liebesgedichte (meist Distichen und Hendekasyllaben) stehen nun freilich weder im Gedankengehalt noch in der Kunst der Ausführung hoch, aber eine gewisse Lebendigkeit ist ihnen nicht abzusprechen. Wiederholt wird die Liebesglut des Dichters ausgemalt: Svavia entzündet seine Brust und verbrennt sein Gebein; Enceladus hat solche Glut nicht empfunden; der Liebende brennt so, daß der Rhein das Feuer nicht löschen kann, das vermag Svavia allein; wie der Speer des Achilleus kann nur sie die Wunde heilen, die sie dem Poeten zugefügt; Amor hat den Dichter mit seinem Pfeil verletzt; niemand ist imstande, ihm zu helfen, machtlos erweist sich alle ärztliche Kunst. Geht es bei dem fortgesetzten Hinund Herwenden der gleichen Motive nicht ohne Eintönigkeit ab.
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so entschädigt dafür doch manches anschauliche Bild. Svavia wird vorgeführt, wie sie singt und dadurch den Dichter entzückt, was freilich nicht mehr notwendig ist, da sie dies schon durch ihren Anblick bewirkt; wir sehen sie, wie sie webt, wie sie im Garten sitzt und einen Strauß für den Geliebten windet. Ganz hübsch auch, wenn der Poet in mehreren Gedichten Svavia darüber tröstet, daß der Neid sie verfolgt; wenn die Kette, die sie ihm geschenkt, ihn so fest an sie bindet, daß er nicht von ihr loskommen kann. Am heißen Ofen erscheint sie zusammen mit dem Geliebten; sie wundert sich, daß ihm die Schweißtropfen von den Wangen herunterlaufen, wird aber von ihm belehrt, daß das nicht wunderbar sei, wenn man zwischen dem Ofen und dem Liebesfeuer sich befinde: „Das glühendste Feuer ist das der Liebe." Auch mittelbar wird ihr Äußeres vergegenwärtigt: nicht ihr aus Milch und Rosen gewebtes Antlitz, nicht ihre schönen Augen, nicht ihr goldenes Haar, nicht ihre Glieder, die denen der Göttinnen gleichen, nein, ihre Keuschheit, der Glanz ihrer edlen Seele zwingen zur Liebe. Gelegentlich sagt sie, daß sie seiner Liebe unwert sei, da es ihr an Vermögen fehle; aber er liebt nicht das Geld, er liebt nur sie und ihre guten Eigenschaften. Zur Versinnbildlichung ihrer Schönheit greift der Dichter gelegentlich auch zu der bekannten mythologischen Einkleidung: Jupiter erklärt Paris' Urteil für ungerecht, Svavia gebührt der goldene Apfel. Um seine Glut zu löschen, will der Poet zum Ehebunde schreiten; ist sie damit einverstanden, so wird niemand glücklicher sein als er. Das zu erhoffende Eheglück malt er sich mit den Farben der Basia des Johannes Secundus aus; auch in einem Gebet an Gott fleht er, ihm die Ehestandsfreuden zu gewähren, deren genaue Vergegenwärtigung allerdings zu dem Charakter des Gebets in einigem Widerspruch steht. An Gewichtigkeit des Gesamtschaffens wird Lauterbach weit durch den zunächst zu Betrachtenden übertroffen; die poetischen Kräfte beider Männer mögen sich ungefähr die Wage halten. Hieronymus Wolf, der große Gräzist, reicht zeitlich erheblich weiter zurück als Lauterbach; er ist am 13. August 1516 zu öttingen geboren. Ein Schwabenkind, hat er schließlich auch in der bedeutendsten schwäbischen Reichsstadt, in Augsburg, nach mancherlei Irrungen und Fahrten als Rektor der Stadtschule seinen endgültigen Wirkungskreis gefunden; am 8. Oktober 1580 ist er gestorben. Er führt wie Pedioneus, Tatius Alpinus, auch
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wie Aurpach in den Kreis der Fugger hinein; sechs Jahre lang war er als Bibliothekar und Sekretär im Dienste Jakob Fuggers in Augsburg tätig. Aber anders als die Genannten, die den streng katholischen Standpunkt der Fugger mehr oder weniger teilten, hat er seine Zugehörigkeit zur Reformation nie, auch in seiner Poesie nicht, verleugnet. Frühzeitig bildete sich infolge der Anlage seines Gemütes und infolge mannigfacher Schicksalsschläge eine düstere Weltanschauung in ihm aus; ähnlich wie sein von ihm hochverehrter Lehrer Melanchthon sah er überwiegend die üble Kehrseite der Dinge und blickte trübe in die Zukunft. Was sich von seinen poetischen Leistungen erhalten hat, gehört ausnahmslos der späteren Lebenszeit an. Gern würde man Arbeiten aus seiner Frühzeit kennen lernen, die gewiß vorhanden gewesen sind; vielleicht hätte sich in ihnen doch etwas von der eigentümlichen Entwicklung gespiegelt, über die Wolf selbst in dem ungemein anziehenden Abriß seiner Jugendgeschichte Bericht erstattet hat. Wolfs Gelegenheitsgedichte preisen seine Freunde, so z. B. seinen Verleger Oporinus. Wenn man aber von derartigen Lobsprüchen absieht, so ist es e i n Gegenstand, der seine Dichtung beherrscht: die Türkengefahr. Die eingehende Beschäftigung mit den byzantinischen Geschichtsschreibern hatte ihm das von den Türken dem Abendlande drohende Unheil so nahe gerückt, daß er immer wieder darauf zurückkam. In dieser Hinsicht würde er unter den neulateinischen Poeten keine Ausnahmestellung einnehmen: er tut das aber in anderer Weise. Denn der Hinweis auf die Notwendigkeit des Widerstandes gegen die Türken verbindet sich bei ihm unmittelbar mit seinem ungünstigen, fast an Hoffnungslosigkeit grenzenden Urteil über den Zustand Deutschlands. Wohl steht er auch in dieser Beziehung nicht allein, ähnliches findet sich z. B. bei Johannes Mylius u. a. (vgl. S. 163); aber keiner der neulateinischen Poeten hat so nachhaltig das Türkenproblem zum Spiegel vaterländischer Sünden gemacht wie unser Dichter. So hält er in dem poetischen Epilog zur Ausgabe der byzantinischen Geschichtsschreiber den Fall von Byzanz Deutschland als warnendes Beispiel vor. Einem kurzen elegischen Gedicht, in dem er den Kaiser zum Türkenkrieg anspornt, fügt er einen kleinen Briefwechsel zwischen Soliman II. und den Deutschen bei. Auch hier spielen die Gesichtspunkte, unter denen er die E l l i n g e r , Neulateinische L y r i k 2.
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Türkengefahr betrachtet, ihre Rolle. Soliman tritt herrisch auf; er weist auf seine bisherigen Siege, auf seine Überlegenheit hin; er hebt Deutschlands Uneinigkeit, seine Zersplitterung in Privathändeln, seine Trunksucht gegenüber den entgegengesetzten Tugenden der Türken hervor. Die Deutschen erkennen in ihrer Antwort das Berechtigte mancher Vorwürfe an, erklären aber ihre Sache für gut; und wenn Soliman sich auf eine alte Weissagung berufen hatte, die ihm die Herrschaft über den Erdkreis verkündet habe, so setzen die Deutschen dem eine festere Burg entgegen, nämlich das Vertrauen auf den siegverheißenden dreieinigen Gott. — Die letzten Erfolge Solimans (1566) drückten unserem Dichter wieder die Feder in die Hand: er pries Zriny und die anderen Helden von Szigeth, wieder nicht ohne bittere Worte über das schlafende, in Luxus erschlaffte, im Bürgerkriege sich verzehrende Deutschland; er richtete ein scharfes Scheltwort gegen den Kommandanten von Gyulai, der die Festung den Türken übergeben hatte. Und gerade der Fall Szigeths und Gyulais gibt ihm den Anlaß, noch einmal in einer kräftigen Elegie „gegen Deutschlands Stumpfsinn" zu wettern, es zum Wachsein, zur Frömmigkeit und Tugend, zur Hingabe an das allgemeine Wohl aufzurufen. Fünf Jahre später schlug Don Juan d'Austria die Türken bei Lepanto (1571). Es ist gezeigt worden, wie lebhaft dieses Ereignis die neulateinischen Lyriker Italiens beschäftigt hat. In Deutschland war der Widerhall ganz außerordentlich gering. Nur Wolf hat in einem größeren Gedicht: „Der durch Gott der christlichen Flotte verliehene Sieg" sein Scherflein zur Siegesfeier beigetragen. Man sollte nun meinen, daß angesichts dieses Triumphes der christlichen Waffen der Pessimismus des Dichters zum Schweigen gekommen wäre. Aber dem ist keineswegs so. Allerdings setzt er mit einem feurigen Dank an Christus ein, aber er warnt vor allzu großer Sicherheit und weist auf die früheren Erfolge des Türken hin. Wohl wird die Schlechtigkeit des Feindes unumwunden zugegeben, wohl wird ihm die Strafe für seine Auflehnung gegen Gott in sichere Aussicht gestellt. Allein trotzdem hält der Dichter es für möglich, daß die Gottheit sich des Türken als Werkzeug bedient, um Deutschland wegen seiner Sünden zu strafen. Denn ein alter Orakelspruch verheiße dem Türken um 1600 die Herrschaft in Deutschland und Italien. Und nun entwirft der Dichter ein düsteres Bild der Zustände,
HIERONYMUS
WOLF;
NICOLAUS
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die das durch den Türken ausgeübte Strafgericht herausfordern; Sünde und Unrecht herrschen überall; die Fürsten folgen ihren tyrannischen Gelüsten, ohne zu bedenken, daß Gott sie nur zu Haushaltern bestellt hat; die Adligen sind ohne Religion, Treue und Güte; das Volk frech, übermütig, in verblendete Sicherheit eingelullt. Deshalb mahnt er zur Buße; dann wird Gott vielleicht — wie bei Ninive — die Weissagung nicht in Erfüllung gehen lassen. — Unzweifelhaft erreicht Wolfs Poesie in diesem sonderbaren Danklied, das sich wie die Gelegenheitsgedichte und der „Epilog zur byzantinischen Geschichte" des Hexameters bedient, ihren Höhepunkt. Wohl finden sich auch in dem „Epilog" wirksame Stellen, so die Vergegenwärtigung des epikurischen Unglaubens, aber nirgends ist Wolf so ganz bei der Sache wie hier. In dem Ungestüm der Sprache malt sich das innere Drängen und Treiben des Gemütes; und auch die rhetorischen Hilfsmittel, von denen reichlich Gebrauch gemacht wird, erscheinen nicht als künstlicher Aufputz, sondern reihen sich dem Ganzen ohne jeden Zwang ein. Freilich wahrhaft poetische Wirkungen darf man hier so wenig wie bei Wolf sonst erwarten. Aber trotzdem verdient er in der Geschichte der neulateinischen Dichtung einen Platz, denn auch er strebt danach, das rückhaltlos auszusprechen, wovon sein Herz voll ist. P f a l z . In der Pfalz behauptet Dietrich Reysmann den Vorrang. Gleichwohl muß auf einen der Nachzügler eingegangen werden, auf Nicolaus Cisner, weil dieser wenigstens mit einem Gedicht die deutsche Literatur .seiner Zeit beeinflußt hat. Er wurde 1529 zu Mosbach geboren, widmete sich zunächst den klassischen Sprachen und der Philosophie, stieg dann als Jurist zu hohen Ehren empor und starb 1583 als Professor und Hofrichter in Heidelberg. Cisner hat außer Gelegenheitsgedichten, Psalmübertragungen und -paraphrasen, die zu besonderen Bemerkungen keinen Anlaß geben, noch eine Reihe von lyrischen und halblyrischen Gedichten geschrieben. Zum großen Teil machen sie den Eindruck, als wären sie in Nebenstunden flüchtig hingeworfen worden. Seine Oden weisen arge Schulfuchsereien auf, und es erinnert an die Zahlenspielereien des früheren Mittelalters oder der Scholastik, wenn z. B. die Bedeutung der Siebenzahl an mannigfachen Beispielen aus der heiligen Schrift nachgewiesen wird. E i n Grundgedanke aber durchzieht fast alle 16*
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diese Gedichte und klingt in der einen oder anderen Weise immer wieder an. Und zwar ist dies das schmerzliche Gefühl von der Not der Zeit, innerhalb der der Dichter zu leben gezwungen ist. Am Palmsonntag bringt er sich die Leiden der kriegserfüllten Gegenwart lebhaft zum Bewußtsein und erhofft eine Besserung der Zustände von Christus und unter dessen Schutz von seinem Landesherrn Wilhelm von -Cleve; er forscht nach der Entstehung des eingetretenen Unglücks und findet die Ursache in der List des Satans sowie in der Sünde der Menschen; er führt Germania selbst ein und läßt sie in beweglichen Worten Fürsten und Stände des Reiches mahnen, daß sie von der inneren verderbenbringenden Zwietracht ablassen und ihre Kraft im Kampf gegen die Türken erproben sollen. Der löblichen Gesinnung, der herzlichen Frömmigkeit des Autors entspricht aber das poetische Vermögen nicht; störend wirkt der hölzerne Ausdruck. Der Gegensatz zwischen dem feierlichen Stil und entsetzlich prosaischen Wendungen — so wenn es etwa heißt, daß die von den Türken zerstörten Städte mit großen Kosten erbaut worden seien — macht sich besonders in den Oden bemerkbar. Etwas freier schaltet Cisner in den Gedichten, in denen er den Hexameter oder das Distichon verwendet. Am wenigsten vermag von diesen Stükken das umfängliche Weihnachtsgedicht anzusprechen; der pomphafte Ton, die klassischen Reminiszenzen, die Anreden an die Gestirne, an Bethlehem, die Hirten usw. kommen über die Geschraubtheit nirgends hinaus. Weit hübscher ist schon das kleine elegische Gedicht, in welchem der Dichter erzählt, wie ihm nachts im Traume die „Gelegenheit" in Frauengestalt erscheint; da beschreibt er eingehend ihr Aussehen, ihre Kleidung, und nachdem sie sich ihm zu erkennen gegeben, deutet sie ihm in allegorischer Weise jede Einzelheit ihres Äußeren auf bestimmte Züge ihres Wesens aus. Zeigt Cisner hier eine gewisse Frische, so ist das noch mehr in der umfangreichen epischen Dichtung der Fall, in der die durch Pfalzgraf Friedrich II. in Heidelberg ausgerichteten Hochzeiten des Grafen Philipp von Hanau und des Grafen Philipp von Leiningen beschrieben werden. Da kommt es Cisner zugute, daß es starke äußere Eindrücke waren, die er festzuhalten hatte; und so ergibt sich ein farbiges Bild der Ankunft der Gäste, der festlichen Ausschmückung, der ausgetauschten Reden und unternommenen Kampfspiele, wobei sich der Schilderer allerdings gar zu sehr in das einzelne
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CISNER.
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vertieft. In den Kreis dieser Feierlichkeiten gehört auch das bekannteste Gedicht Cisners, die Ekloge über das Lob des Maien und des Frühlings. Cisner hat den Gegenstand zweimal behandelt, einmal in dem Idyllion, dann in einer prosaischen Rede, die er so abgefaßt hat, als ob sie in einer Versammlung von Gelehrten gesprochen worden wäre, und die daher recht gravitätisch einherstolziert. In beiden Stücken handelt es sich nicht allein um das Lob des Maies, sondern auch um die Frage, welche von den beiden Jahreszeiten den Preis verdiene, der Frühling oder der Herbst. Die beiden Hirten Corydon und Bassarus beschließen, diese Frage zum Gegenstande ihres Wettgesanges zu machen; Corydon ererhebt den Frühling, das Neuerwachen der Natur in Feld und Wald, bei Pflanze, Baum und Tier, Bassarus rühmt die reichlichen Gaben, die der Herbst spendet, worauf ihm Corydon entgegnet, daß diese Gaben im Grunde dem Frühling zu verdanken seien, da ohne das Wachsen und Sprießen im Mai die Reife im Herbst unmöglich wäre; zugleich hält Corydon noch einmal das lachende Bild des Wonnemondes neben die unbeständige herbstliche Witterung, ihre rauhen Stürme und die Beschwerden, die sie für Mensch und Tier mit sich bringt. Der schon vor Beginn des eigentlichen Wettgesanges zum Preisrichter ernannte Hirt Damoetas entscheidet sich schließlich zugunsten des Maies. — Das in dem Gedichte angeschlagene Thema gehörte zu den Lieblingsgegenständen der älteren deutschen volkstümlichen Poesie, und daß die neulateinische Dichtung an diesen und ähnlichen Erzeugnissen der Volksliteratur nicht achtlos vorbeigegangen ist, lehrt die oben erwähnte Umdichtung des Volksliedes von Buchsbaum und Felbiger durch Micyllus (vgl. S. 40). So wird wohl angenommen werden können, daß auch Cisner ein ähnliches Stück älterer deutscher Poesie gekannt hat und von ihm zu seiner Ekloge angeregt worden ist. Allerdings kann es sich nur um eine Anregung handeln, denn durch die lateinische Form blickt nichts Volkstümliches mehr hindurch. Wenn derartige Reminiszenzen überhaupt vorhanden waren, so sind sie hinter dem klassischen Gewände ganz verschwunden. Dem poetischen Wert nach steht das Stück etwas höher als die vorher erwähnten. Zwar die erste Lobrede Corydons für den Mai zählt die Dinge zu sehr hintereinander auf und gibt kein lebendiges Bild, aber bei der Ausmalung der Nützlichkeit des Herbstes sowie bei der zweiten Rede Corydons weiß der Dichter ganz anschaulich das einzelne zu
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vergegenwärtigen; auch der Ausdruck ist in diesen beiden Reden nicht so schematisch wie in dem Preis des Frühlings, sondern er erhebt sich zu charakteristischen Wendungen. So darf dieses Stück immerhin zu den leidlich gelungenen Eklogen gerechnet werden, zumal das Hirtenkostüm hier nicht, wie so häufig, im Gegensatz zu dem Vorwurfe des Gedichtes steht. Auf Grund seiner Gesamttätigkeit kann Cisner jedoch keinen besonderen Platz unter den neulateinischen Dichtem behaupten; liest man seine lateinischen Reden über juristische und geschichtliche Fragen und Persönlichkeiten, Reden, in denen auch sein nationaler Sinn lebhaft zutage tritt, so hat man jedenfalls das Gefühl, daß ihm wohler war, wenn er sich auf der Bahn der rhetorischen Übung tummelte, als wenn er in dem zahmen Musenhain lustwandelte. Hessen. Die eigentlichen Heroen des hessischen Parnasses waren Eoban Hesse und Euricius Cordus, doch hat auch Hessen sonst manche Poeten aufzuweisen und wenigstens noch einen den Durchschnitt weit überragenden Dichter hervorgebracht. Daneben findet sich allerdings viel Minderwertiges. Am weitesten zurück reicht Nicolaus Asclepius Barbatus; mit seinen Anfängen gehört er noch der humanistischen Blütezeit an. Er stammte aus Kassel und mag im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts geboren sein. In Paris studierte er um 1520/21; zurückgekehrt, erhielt er eine Schulmeisterstelle in Homberg; von da kam er als Professor der Ethik und Dialektik nach Marburg, wo er Eobans Kollege wurde, dem er auch nahegestanden zu haben scheint; 1556 erwarb er sich noch den juristischen Doktortitel, 1571 ist er gestorben. Seine poetischen Arbeiten scheinen sich nicht vollständig erhalten zu haben. Schwerlich hat man Grund, darüber zu klagen. Denn er besaß nur ein geringes Talent, und wo er wirklich anzieht, da liegt die Ursache nur im Stoff, nicht in dem, was er dazugegeben. Sein frühestes Werk sind die zwei Bücher Epigramme (1520). Sie entstammen dem Pariser Aufenthalt. Nach der Weise der Zeit enthalten sie manches Lyrische, Gelegenheitsgedichte, z. B. an Heinrich Glarean, z. T. von des Verfassers warmer Verehrung für Erasmus Zeugnis ablegend. Auch Erotisches findet sich, aber nur so, daß von der Liebe anderer erzählt wird. Alles nimmt sich recht ärmlich aus. Einen höheren Flug strebte der Poet in seinem „Panegyricus auf Hutten
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und Sickingen" an (1522). Er eifert zunächst heftig gegen die Neider der beiden Männer, betont hierauf die Unmöglichkeit, mit seinem geringen Talent dem großen Vorwurf gerecht zu werden, stimmt aber dann doch in der Form eines ihm inspirierten Traumbildes den Hymnus an, von dessen dauernder Wirkung er überzeugt ist: „Visa canam et auditos ex numine versus Posteritas leget atque omnis mirabitur aetas."
Der Grundgedanke des nun folgenden Traumgesichtes ist so übel nicht: der Dichter sieht die Heroen des Geistes mit denen der Tat vereinigt, und zwar nicht bloß die Gestalten der Vergangenheit, sondern auch die seinerzeit, wie Eoban u. a.; einmal wird der Träumende auch unsanft durch seinen Freund Wilhelm Nesen (vgl. oben S. 12 und 30) unterbrochen. Zuletzt erschaut er aber einen großen Zug der olympischen Götter, unter denen Apollo und Mars als die Vertreter der zu feiernden Mächte besonders hervorgehoben werden. In der Götterschar schreiten auch zwei Sterbliche einher, es sind Hutten und Sickingen; zu Ehren der beiden beginnt ein Wechselgesang: Clio preist den Helden der Tat, Sickingen, Calliope den Helden des Geistes, Hutten, selbstverständlich auch mit wiederholtem Hinweis auf das Verhältnis beider zur Reformation. Die Ausführung bleibt freilich hinter dem erträglichen Gedanken weit zurück; auch ein schulmeisterliches Geschmäcklein macht sich bemerkbar, und die überhastete Sprache läßt eine poetische Stimmung nicht aufkommen. Aber immerhin — es ist wenigstens ein Versuch zu selbständiger Gestaltung weltgeschichtlicher Vorgänge gemacht worden, und man vernimmt doch den Widerhall einer weitverbreiteten Ansicht. Daß um die gleiche Zeit auch das entgegengesetzte Urteil über Sickingen zum Ausdruck gekommen ist, wird sich bei der Durchnahme der epischen Literatur noch ergeben. Selbständige Versuche in der Art des Panegyricus scheint Asclepius nicht mehr unternommen zu haben. Gelegentlich übertrug er einige Psalmen ganz gewandt in lyrische Maße. Seine beiden größeren Werke, ebenfalls religiöser Natur, und ebenfalls in der Hauptsache nachbildend, gehören der spätesten Zeit seines Lebens an. Die „drei Bücher heiliger Elegien" geben im ersten Teil eine trockene Umschreibung des hohen Liedes, im zweiten eine ebensolche der Klagelieder Jeremiä. Im dritten
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Buch regt die Erfindungskraft wenigstens einigermaßen die Flügel; acht Elegien erzählen Leben und Tod Christi, die Wirksamkeit Johannes d. T. sowie die Ausgießung des h. Geistes. Viel Wunderliches und Pedantisches drängt sich ein; doch versucht Asclepius seinen Gegenstand zu erschöpfen, so wenn er bei der Behandlung der Geschichte vom zwölfjährigen Jesus die Schriftgelehrten ihrer Parteistellung und Bedeutung nach schildert und die Fragen angibt, über die gestritten worden ist — alles freilich mit Hilfe übel angebrachter klassischer Vergleiche. Auferstehimg und Himmelfahrt werden schließlich zu einem „Triumph Christi" vereinigt, und der alte Humanist, der vordem Hutten und Sickingen gefeiert, erinnerte sich vielleicht nach beinahe einem halben Jahrhundert an den „Triumph Reuchlins", sobald er Christus als Triumphator schildert, wie vor dem Siegeswagen als Gefangene Hochmut, Habsucht, Schwelgerei, Neid, Gefräßigkeit, Zorn, Geistesträgheit (Acedia) gefesselt einherschreiten und auch der überwundene Tod im Zuge folgt; der das Gedicht beschließende Vergleich des erstandenen Christus mit Seidenraupe und Phönix hat allerdings mit dem „Triumph Reuchlins" nichts mehr zu tun. Noch eine Stufe tiefer als die „heiligen Elegien" steht des Asclepius „poetisches Handbuch" (Enchiridion poeticum 1568), wohl die letzte dichterische Gabe des Hochbetagten. In fünf Büchern wird der Inhalt der einzelnen Evangelien umschrieben, zuerst in Distichen, denen sich ein Gebet im gleichen Metrum anschließt, später auch in lyrischen Maßen. Obgleich Asclepius sich redliche Mühe gegeben hat, kann doch von einer poetischen Wirkung nicht die Rede sein. — Während Asclepius Barbatus noch in die humanistische Zeit zurückreicht, wenn auch seine spätere Wirksamkeit zeitlich der eigentlich neulateinischen Dichtung parallel läuft, entstammen die anderen hessischen Poeten dieser Periode dem endenden zweiten und beginnenden dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts. A m 30. März 1532 ist Petrus Paganus (eigentlich Dorfheilge oder Dorfhillige) zu Wanfried in Hessen geboren; er war wie Asclepius Professor in Marburg, in seiner Vaterstadt Wanfried starb er am 29. Mai 1576. Die Zeitgenossen bewunderten seine Versgewandtheit; und in der Tat läßt sich seinen zahlreichen Gelegenheitsgedichten eine gewisse Leichtigkeit im Bau des Verses nicht absprechen, aber sie sind so inhaltleer und nichts-
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PAGANUS;
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sagend, daß sie zu weiteren Bemerkungen ebensowenig Gelegenheit bieten wie seine epischen Versuche, die noch zu nennen sein werden. Als Persönlichkeit muß der trinkfeste Poet auf die Mitlebenden einigen Eindruck gemacht haben, denn einzelne, allerdings wenig bezeichnende Anekdoten sind noch längere Zeit nach seinem Tode von ihm erzählt worden. Zu Witzenhausen erblickte Heinrich Moller 1528 das Licht der Welt; er steht nur wenig höher als Paganus; ein kurzer Bericht über seine poetische Tätigkeit soll erfolgen, sobald die Darstellung bei der Landschaft angelangt ist, die sein Wirkungskreis wurde. Ungefähr gleichaltrig mit Moller war der einzige dieser späteren hessischen Poeten, den eingehender zu betrachten sich lohnt. Justus Vultejus, um 1528 zu Wetter geboren, studierte in Straßburg, Leipzig, Wittenberg, Zürich; auch in Ingolstadt scheint er sich aufgehalten zu haben, denn er ist hier Aurpach nähergetreten und hat wohl zu dessen Freundeskreise gehört, so daß man die Neigung für die neulateinische Dichtung in seine Universitätsjahre zurückführen darf. Unmittelbar im Anschlüsse an seine Studienzeit bereiste er Frankreich, die Niederlande und die Schweiz. Nach seiner Heimkehr wurde er Rektor der Lateinschule in seiner Vaterstadt und wirkte hier so erfolgreich, daß ihm die Leitung des Pädagogiums in Marburg angeboten wurde. Vultejus nahm den Ruf an, und seiner Einsicht und Tatkraft gelang es, die ganz verfallene Anstalt wieder zur Blüte zu bringen. Zuletzt erhielt er noch die Professur des Hebräischen an der Universität. Er starb am 31. März 1575. Seine Lebensarbeit deutet auf einen Mann, der gewohnt ist, bei allem, was er tut, seine ganze Persönlichkeit einzusetzen; eine solche Auffassung würde auch durchaus dem Bilde entsprechen, das sich aus seinen poetischen Versuchen ergibt. Vultejus' religiöse Gedichte lassen überall auf eine ausgeprägte Persönlichkeit schließen. Eine ursprünglich und kraftvoll empfindende Seele offenbart sich. Auch in der Form weiß der Poet meist das Richtige zu treffen; die Seelenstimmung ringt nach dem ihr entsprechenden Ausdruck. Zwar fehlt es auch bei Vultejus nicht an geschraubten Wortkünsteleien, und diese berühren doppelt unangenehm, wenn sie zur Wiedergabe einer unzweifelhaft wahrhaftigen Gemütsregung verwendet werden. Auch neigt der Poet bei seinem Bilderschmuck zur Geschmack-
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losigkeit. Daß er einfache Bilder zweckmäßig gestalten kann, lehrt eines der ersten Gedichte: hier vergleicht er den Zustand des Gemütes mit der Lage des verirrten Schafes: es eilt durch Wälder und gekrümmte Täler, es flieht durch die schattigen Haine, stürzt durch die Schlupfwinkel der Raubtiere; schmerzlich aufblökend, blickt es zurück, ohne irgendwo Hilfe zu erspähen: so fühlt sich der Dichter in der ihn umgebenden Welt der Anfechtungen. Neben derartigen Bestandteilen stehen jedoch Bilder, die die Stimmimg unbarmherzig zerstören; so wenn die Erdenkinder in ihrer Neigung zur Sünde den Schweinen an die Seite gestellt werden, die sich im Sumpfe wälzen und denen der ekelhafte Kotgeruch Vergnügen bereitet; oder wenn Vultejus die zur Läuterung des Menschen nötigen Leiden an dem Einlegen des Pökelfleisches klar zu machen sucht, das erst gesalzen und geräuchert werden muß, damit Würmer und Fäulnis fern bleiben. Allein weder derartige Flecken noch prosaische Wendungen vermögen die Tatsache aufzuheben, daß in diesen Gedichten die Regungen einer leidenschaftlich bewegten Seele zum Ausdruck gelangen. Es ist ein stürmisches Werben um Gottes Gnade, ein Rufen nach Christi Hilfe, eine unmittelbare Zwiesprache mit der Gottheit, ein drängendes Sehnen nach dem Loskommen von der Sünde: „Saucius
en iaceo crudeli
Aspicis, ,,Quando
an fallor incanì,
Respicies Quando
vulnera,
spe, pie
Christe.
Christe,
mea?"
saevo quae vel miserabilis
sortevi?
quando
tuo, qui te suspirat
A ut a peccatis,
levabis avetque
aut erit hoste
hosti
est,
ope? clienti,
quies?"
In manchen Fällen werden die geistigen Nöte nur mittelbar nahegebracht, indem der ungestüme Drang nach Befreiung einen Rückschluß auf die inneren Leiden des Verfassers ermöglicht. Zuweilen gibt jedoch der Poet auch einen genauen Bericht über seinen seelischen Zustand; er sucht zu zeigen, wie er beständig durch die auf das Gemüt einstürmenden Qualen hin- und hergeworfen wird: „Nulla
quies
Confodit
animo trepidum
tristi, densa
recreatio sagitta
nulla jccur.
est,
JUSTUS
VULTEJUS.
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Ex alioque alius metus irruit agmine longo, Multiplici pectus triste pavore labat. Contractus gelido miser undique nuto timore, Cum sedeo, surgit me residente dolor. Seu quaero facili curas mollire sopore, In somnis vigilat sollicitudo meis. Seu male cedentis jalluntur temporis horae, Colloquiis propius, dum loquor, angor adest. Utque diem media lassus sub nocte reposco, Sic lucente die, ,110x' (ego clamo), ,redi!' Sive diem caelo sol arduus urget euntem, Pallida sive suos luna gubernat equos, Non mihi sol curas adimit, non luna dolores, Perpetuum motu cor irepidante gemit." Das Bild des inneren Lebens, das diese Verse enthüllen, tut dar, daß auch unser Poet Zeugnis von dem Erwachen des individuellen Gefühls ablegt; die religiöse Färbung aller in Betracht kommenden Gedichte darf über diese Tatsache nicht hinwegtäuschen. Überall macht sich jedenfalls die Persönlichkeit geltend. Das ist auch in den anderen Gedichten des ersten Buches der Fall; so wenn Vultejus dem Satan oder dem T o d gleichsam A u g ' in A u g ' gegenübertritt, ihrer Macht spottet, dem Teufel Fehde ansagt, wenn er seiner Geringschätzung alles Irdischen Ausdruck verleiht oder sich gegen einzelne Laster wendet. — Das zweite Buch — die Überschrift lautet: Sententiae, also etwa Denksprüche — ist betrachtender Art, kann aber zur Charakteristik des Lyrikers nicht entbehrt werden, weil es in der Haltung mit dem ersten vielfach übereinstimmt; es kämpft wie dieses gegen einzelne Laster, gegen Trunkenheit, Wollust, Geiz und Neid; die läuternde K r a f t des Übels wird hervorgehoben, die Ehe gepriesen, auf die wahrhafte Zier des Weibes, die Anmut der Seele, im Gegensatz zu dem vergänglichen Reiz der Form hingewiesen. Aber neben diesen und anderen in das moralische Gebiet gehörenden Fragen wird das Ästhetische nicht ganz vernachlässigt. Denn auch die Poesie erscheint in dem Kreis der Erwägungen; Vultejus zieht gegen ihre Verächter zu Felde; er empfiehlt namentlich die christlichen Dichter, wie er denn an anderer Stelle auch den Preis Gottes als das allein würdige Ziel der Dichtung bezeichnet und den „heiligen" Sängern rät, die heidnischen Gegenstände dem knirschenden
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Federkiel der „turba projana" zu überlassen. Aber durch alle diese und ähnliche betrachtende Bestandteile bricht sich dann doch wieder das persönliche Element mit urwüchsiger K r a f t B a h n ; und dieser ganz persönliche Zug prägt auch dem zweiten Buch seinen besonderen Stempel auf, so daß man es hier ebenfalls nicht mit didaktischem, sondern mit lyrischem Gut zu tun hat. Dem entspricht es, daß zahlreiche dieser Ergüsse rechte Kinder des Augenblicks sind. Man erfährt z. B., daß ein Schüler sich so weit vergessen hat, gegen seinen Lehrer Vultejus das Schwert zu zücken; er beklagt den Vorfall als Zeichen der verderbten Zustände, doch will er verzeihen und warnt nur vor Wiederholung der ruchlosen T a t ; wir haben uns wohl vorzustellen, daß dieses Gedicht in Gegenwart der versammelten Schülerschaft vorgetragen worden ist; das Ereignis mag in die Zeit fallen, in der Vultejus bei der Reform des Marburger Pädagogiums zu energischem Durchgreifen gezwungen war. Ein andermal äußert er seinen tiefen Widerwillen gegen Rechtsstreitigkeiten, die die Freude wegnehmen und die Schlaflosigkeit bringen. Offenbar spricht er auch hier ganz aus der augenblicklichen Lage heraus: er hat wohl irgendeine Schädigung erfahren und den Rat erhalten, sich auf dem Wege Rechtens zu wehren; nun fährt er den freundlichen Ratgeber heftig an: „Willst du, daß ich prozessiere ? Willst du, daß ich meine Eingeweide in die grausamen Flammen und auf den todbringenden Scheiterhaufen w e r f e ? " Dabei geißelt er die Rechtsanwälte, die wie die Geier ihre Kehlen aufreißen und unaufhörlich neue Vorschüsse verlangen. Alles trägt in seiner originellen Lebhaftigkeit das persönlichste Gepräge. Das gilt auch von dem dritten Buche {Varia), während die in den beiden letzten Büchern zusammengestellten Gelegenheitsgedichte geringen Wert haben. Zwar den im dritten Buche vereinigten Epigrammen kann man nicht zu viele Vorzüge nachrühmen: es fehlt ihnen die rechte Schlagkraft, und sie liefern einen neuen Beweis für die Tatsache, daß vorwiegend lyrische Anlage mit der Begabung für das Sinngedicht selten zusammentrifft. Immerhin ziehen einzelne Gegenstände an: die Bluthochzeit gibt zu einer Reihe von Epigrammen Anlaß: dem gottverhaßten Paris wird der Untergang gewünscht, Coligny gepriesen, seine Verkleinerer werden angegriffen. Auch der durch seine Fehden mit Fischart u. a. bekannte Jesuit N a ß erscheint als Kampfesobjekt. Obgleich manche Typen der Epigrammatik
JUSTUS
VULTEJUS.
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allgemeiner Natur zu sein scheinen, sind sie zuweilen sicher aus bestimmten äußeren Veranlassungen hervorgegangen; zuweilen werden die Anlässe auch angegeben, so in dem satirischen Gedicht gegen einen Possenreißer, der Vultejus' toten Bruder verleumdet hat. Neben diesen den Durchschnittscharakter der Epigrammatik nicht verleugnenden Stücken erscheinen aber auch individuelle Bekenntnisse, um derentwillen allein diese Dichtungsart hier in die Betrachtung der Lyrik einbezogen worden ist. So sucht Vultejus sich, nicht ohne Selbstgefühl, seinem Vaterlande, der Wetterau, gegenüber zu entschuldigen, als er gezwungen war, es zu verlassen. Selbstbewußtsein spricht auch aus dem Gedichte „Über sich selbst", worin er für den Fall seines frühen Todes ein dauerndes Fortleben seines Geistes in den Herzen der empfänglichen Knaben und Teilhaftigkeit am ewigen Leben erhofft. Durch den individuellen Gehalt zieht auch das Gedicht an, in dem Vultejus rückblickend die Leiden seines Lebens beklagt: die Jugend wird ihm durch Krankheiten, durch eine unfreundliche Stiefmutter verbittert; des lange abwesenden Bruders Heimkehr scheint diese Unbilden zu unterbrechen; da stirbt er. ,,Cumque iterum ftaitlo fortuna serena fuisset, Paene dedit ramex haec mea membra neci. Mox quoque Spina gulam fixit transversa tenacem, De manso stimulans ftisee quod haesit onus."
Aber alle die Leiden können ihn schließlich an seiner Gottergebenheit nicht irre machen. — Drängt in den zuletzt besprochenen Gedichten ein elementares Gefühl zur Aussprache, so wird das gleiche gelegentlich durch die kleinen und kleinsten Daseinsvorgänge herbeigeführt, wobei es auffällt, wie stark Vultejus auch in einem solchen Falle unmittelbar aus der Lage heraus zu reden weiß: so eifert er heftig, als er mit dem Kopf an eine hängende Statue anstößt, oder er entschuldigt sich wegen eines Rülpses, der ihm beim Unwohlsein entfahren ist. — Wohl sind auch bei Vultejus die der neulateinischen Dichtung anhaftenden Schwächen nicht zu verkennen, aber sein starkes Temperament hebt ihn doch wieder über seine Mitpoeten hinaus, nicht minder die Fähigkeit, dem wahr Empfundenen treffenden Ausdruck zu verleihen. Es entspricht diesen Eigenschaften, daß er in der Form nach Einfachheit strebt. Davon legt die Tatsache Zeugnis ab, daß er sich fast durchweg des ele-
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gischen Maßes bedient, während der Hexameter selten, auch jambische Metren (in den Angriffsgedichten) nur hie und da verwendet werden. S a c h s e n u n d T h ü r i n g e n . Es lag in der Natur der Sache, daß Thüringer und Sachsen in den beiden Wittenberger Poetenschulen stark vertreten waren. Das gleiche gilt von dem Kreise des Georg Fabricius. Demnach kann es sich hier nur um eine Nachlese handeln. Immerhin treten noch einige Persönlichkeiten bedeutsam heraus. Fast alle hängen in irgendeiner Weise mit Wittenberg oder mit Fabricius und dessen Freunden zusammen. Unter den älteren Sachsen oder in Sachsen Wirkenden würden viele Namen zu nennen sein, wie Christopherus Hegendorff, Andreas Franck (Camitianus) u. a., ohne daß ihre lyrischen Versuche sonderlich ins Gewicht fielen. Von den älteren Vertretern der neulateinischen Dichtung in Thüringen kommt vor allen Johannes Spangenberg in Betracht, zwar kein Thüringer Kind, aber nach dem Hauptertrag seiner Tätigkeit Thüringen angehörig. Er war ein Niedersachse, 1484 zu Hardegsen im Fürstentum Calenberg geboren, frühzeitig als Lehrer tätig, dann zur Fortsetzung seiner Studien in Erfurt, Schulrektor in Stolberg, seit 1524 Pastor an St. Blasien zu Nordhausen und zuletzt vier Jahre bis zu seinem 1550 erfolgten Tode Superintendent in Eisleben. Am bedeutsamsten gestaltete sich sein Wirken in Nordhausen. Hier richtete er für Begabte eine Art Privatschule ein und benutzte den Unterricht, um seine Schüler zu selbständigen Versuchen in der lateinischen Poesie aufzumuntern. Als Anreger gebührt ihm daher innerhalb der Geschichte der neulateinischen Dichtung ein Ehrenplatz (vgl. S. 117). Dagegen stehen seine eigenen Arbeiten auf dem gleichen Gebiete nicht hoch; kein Wunder, da der vielbeschäftigte und schriftstellerisch ungemein rührige Mann diesem Zweige nicht allzuviel Zeit zuwenden konnte. Seine Psalmübertragung (1544) gehört in einen späteren Zusammenhang; eine Versifizierung der Sonntagsevangelien gibt kahle Umschreibungen. Außer diesen größeren Werken besitzen wir von ihm nur kleinere Stücke. Die Unausweichlichkeit des Todes wird eingeschärft, der Standpunkt des Christen dem Tod gegenüber teils dialogisch im Gespräch mit dem Tod, teils betrachtend dargetan. Der Pädagoge spricht aus einer Bearbeitung der „Wahl des Hercules"; der Ton liegt hier durchaus auf den
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SPANGENBERG;
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BERSMAN.
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Streitreden zwischen Tugend und Wollust, von denen jede, wie im lateinischen und deutschen Schauspiele, ihre Vorzüge herausstreicht. Kann auch von einer poetischen Wirkung nicht die Rede sein, so erfreut doch der Eifer des wackeren Theologen und Pädagogen, während zu einer „Beschreibung des Frühlings" seine Kräfte nicht ausreichen; sie bleibt ganz in nüchterner Aufzählung stecken. Literarhistorisch anziehend und bemerkenswert ist sein Versuch, Motive aus Huttens beiden Fiebergesprächen in einem hexametrischen Dialog neu einzukleiden. Größere Ansprüche als das bisher Behandelte stellt ein „Triumph Christi", der die bekannten Motive der Höllenfahrt in gebräuchlicher Weise schildert. Gewiß nur ein mäßiges Gesamtwerk, dessen Kenntnis sich jedoch angesichts der Bedeutung Spangenbergs als Anregers, Ansporners nicht entbehren läßt. Während Spangenberg dem Zeitalter Luthers angehört, führt der um ein halbes Jahrhundert jüngere Gregorius Bersman in die Tage der Epigonen. Er ist 1538 zu Annaberg im Erzgebirge geboren worden und empfing seine Schulbildung auf der Fürstenschule zu Meißen. Hier war er der Schüler des Fabricius. In Leipzig studierte er Philosophie und Philologie, bereiste dann Frankreich und Italien, wo er das ebenfalls schon in Leipzig begonnene medizinische Studium fortsetzte und sein Wissen auch nach anderen Richtungen ausbildete. Drei Jahre blieb er in Italien; dann kehrte er zurück, und zwar nach Wittenberg. Er erhielt ein Lehramt in Pforta, hierauf eine Professur in Leipzig; als Camerarius starb, wurde er dessen Nachfolger. Da er sich weigerte, die Konkordienformel zu unterschreiben, mußte er Leipzig verlassen und ging als Rektor an das neugegründete Gymnasium zu Zerbst. Hier ist er 1611 gestorben. Ein vielseitig gebildeter Gelehrter, eine liebenswürdige, milde und doch aufrechte Persönlichkeit, ein tüchtiger Mann, scheint er als Mensch ungleich anziehender gewesen zu sein denn als Dichter. Bersman hat eine ausgedehnte poetische Tätigkeit entfaltet, und doch ist der Ertrag nicht allzu groß. Von seinen Bemühungen auf dem Gebiete der enkomiastischen Literatur wird später zu reden sein. Eine Umdichtung des ganzen Psalters zeigt Vorzüge und Schwächen der gleichen Unternehmungen. Drei geistliche Eklogen gewinnen dadurch einen Reiz, daß der Dichter seinen Freund Camerarius und sich selbst unter biblischen Namen als
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Sprechende einführt. Was sonst vorliegt, verrät zwar ein gutes Formentalent, bietet aber inhaltlich wenig Bedeutendes. Der Zusammenhang mit Fabricius verrät sich dadurch, daß auch Bersmann sich gelegentlich des Hymnenmaßes bedient, und zwar geschieht das in einem, sich durch Frische auszeichnenden Hymnus auf die Engel. Aus gleichgültigem Schwall angelernter Phrasen heben sich einige Gelegenheitsarbeiten heraus. Während seines Wirkens in Zerbst entrichtete auch er den Zoll höfischer Schmeichelei; er benutzte dazu den Bau einer Brücke, die Johann von Anhalt bei dem Zusammenfluß von Elbe und Mulde hatte bauen lassen. Der Vater Albis will die Knechtung nicht dulden und fordert die Flüsse auf, das Werk zu zerstören. Aber nun erhebt sich Vater Milda und besänftigt den Aufruhr durch den Hinweis, daß der Dienst bei einem so gerechten Fürsten der Freiheit vorzuziehen sei. Belebt Bersman hier die Poesie durch Gegenständliches, so verfährt er in seinen Hochzeitsgedichten ähnlich; auch zeigt sich bei ihnen in der Ausmalung des einzelnen eine dem Wesen der Persönlichkeit entsprechende sinnige Anmut. Dazu kommt, daß er mehrfach anstatt des sonst üblichen Hexameters oder des Distichons das viertaktige Hymnenversmaß verwendet und dadurch einen lebhafteren Ton erzielt. Gelegentlich macht sich auch einmal eine — aber durchaus unanstößige — Sinnlichkeit geltend. — Außerordentlich selten klingen bei Bersman die religiösen Streitigkeiten wider, die doch in sein Leben so tief eingegriffen haben. Dagegen hat er die großen Zeitfragen wenigstens einmal gestreift, und zwar mit einer versifizierten Rede zur Wiederkehr des Todestages Moritzens von Sachsen, die gleich mit einem stumpfen virgilischen Cento beginnt. Sie entstammt noch der Zeit seiner Tätigkeit in Leipzig, wo derartige Feiern regelmäßig stattfanden. Trotz alles aufgewandten rhetorischen Pompes versagt Bersman bei dieser Aufgabe ebenso wie fast alle seine Mitbewerber. — Man muß es bedauern, daß Bersman durch Zeit- und Zunftgeschmack so ausschließlich auf die umfänglichen Modeformen der neulateinischen Poesie hingewiesen und dadurch zu einer steifen Pathetik verleitet wurde, die ihm durchaus nicht lag. Denn wie die gelungenen Stellen in seinen Hochzeitsgedichten bezeugen, war er dazu befähigt, kleine zierliche Bilder zu entwerfen. Leider hat er diese seinem Wesen angemessene Kunst nur wenig ausgeübt. Und doch erscheint er etwa in der nachfolgenden Probe dieser
MICHAEL
BARTH;
CHRISTOPHORUS
SCHELLENBERG.
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Seite seines Schaffens am liebenswürdigsten. Er beklagt sich, daß ein schönes Mädchen, wahrscheinlich von ihm selbst geliebt, einem bäurischen Liebhaber übergeben wird, und die täppische Tölpelei des Bräutigams bietet in zwei Gedichten Gelegenheit zu dankbarer Ausmalung. Wohl mit den hier angedeuteten Verhältnissen hängt das Epigramm: „An Amor" zusammen: „Quid nie cogis, Amor, frusira sperare dolentem, Quod mihi, dum vivam, tion feret ulla dies? Sed sperare juvat, sed non juvat usque dolere, Spes rata sit, longe mox dolor omnis erit."
Aber auch individuelle Klänge wie in diesem Gedichtchen finden sich bei Bersmann nur selten; höchstens daß einmal ein besonderes Ereignis, wie der Abschied von Freunden bei einer wichtigen Reise, ihm die lyrische Stimmimg weckt. Noch erheblich tiefer als Bersman steht dessen älterer Landsmann Michael Barth (geb. um 1530). Er hat die gemeinsame Vaterstadt in einem größeren Poem behandelt, das bei der Behandlung der Städtegedichte gewürdigt werden wird. Als Lyriker kommt er kaum in Betracht. Seine „Wanderung durch Sachsen" setzt in einer Weise ein, daß man Gutes erhofft: die fröhliche Reiselust im Lenz, der Aufbruch vor Sonnenaufgang, der Anfang der Fahrt durch Wiesen und Felder — alles das scheint den Poeten über sich selbst hinauszuheben. Allein diese Erwartungen werden enttäuscht: es bleibt bei einer kahlen Aufzählung; und auch sein Bericht über die Aufnahme, welche er hier und da gefunden, hat nichts Eigentümliches. Manchmal kommt in jeder Zeile ein Ortsname vor, etwas ausführlicher wird Barth nur bei Magdeburg, Hamburg, Lübeck, Travemünde. Und was den Freund des 16. Jahrhunderts anzieht, hat mit der Poesie nur mittelbar zu tun, so wenn er, wie manch anderer der neulateinischen Poeten, nach Gelehrtenart bei dem Anblick von Eulenspiegels Grab mit Geringschätzung des „pfiffigen Menschen" gedenkt. — In den Kreis des Fabricius gehört Christophorus Schellenberg (gest. 1576), auch er wie Bersmann und Barth ein Annaberger Kind. Er war Lehrer an der Fürstenschule zu Grimma und wurde der Schwiegersohn seines Rektors Adam Siber, dem er in Sinnesart, Eifer und Reinheit des Wollens ähnelte. Poetisch hat er sich fast ausschließlich auf dem Gebiet der Hochzeitsdichtung betätigt (1568), meist gehören die in zwei Bündeln verE l l l n g e r , Neulatelnische Lyrik 2.
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öffentlichten Stücke seiner Leipziger und Wittenberger Studienzeit an. Wie im 17. Jahrhundert in der deutschen, so muß man auch in der neulateinischen Poesie des 16. Jahrhunderts in diese Niederungen hinabsteigen, wenn der Poet sich ausschließlich auf dem unfruchtbaren Gebiet der Kasualarbeiten bewegt hat. Freilich kann der Ertrag nicht allzu groß sein und ist es in diesem Falle auch nicht. Nur in den Einkleidungen zeigt sich Schellenberg zuweilen selbständig und weicht von der gebräuchlichen Art ab. So wird in einem Gespräch dem Wanderer von seinem Wirt der Hochzeitszug gezeigt und die sich daran anknüpfende Beschreibung dann dazu benutzt, um alle notwendigen Tatsachen darzulegen. Die üblichen mythologischen Voraussetzungen fehlen ebenfalls nicht: Amor mahnt zur Ehe, Clotho muß sich von Venus harte Vorwürfe gefallen lassen, weil sie die erste Frau geraubt hat, und dafür der Neuerkorenen und ihrem Gemahl ein langes Leben verheißen. Die Sprache hält sich von Übertreibungen frei, überwindet aber die Nüchternheit selten; hin und wieder führt wenigstens ein Anflug poetischen Sinnes über das Gewöhnliche hinaus, so wenn Venus zu einem trauernden Witwer sagt: ,,Suspircs cdiam, quae tibi dicat: ,Amo'." Neben dem überwiegend benutzten Distichon treten lyrische Maße auf, einmal findet sich sogar der Binnenreim wie beim leoninischen Hexameter: ,, Totque deo gratos jecundi Nupta cito mater facta, Auri quot plenas Tagus et Flumine Pactolus, quot
gignitc natos, marite pater: vehit imus arenas teilet astra pohis
..."
Aus der Schule Adam Sibers kam auch Johannes Clajus (geb. 1535 zu Herzberg). E r war zuerst Lehrer in seiner Vaterstadt, dann in Trotzendorfs Schule zu Goldberg und in Frankenstein; hierauf studierte er als reifer Mann in Wittenberg Theologie, übernahm aber noch einmal ein Schulamt in Nordhausen, um dann endgültig ins Pfarramt überzugehen; er starb 1592 als Pfarrer in Bendeleben. Clajus hat sich auf verschiedenen Gebieten versucht. Als Verschronist der Goldberger Schule, als biblischer Epiker wird er noch gelegentlich, aber nicht mit Auszeichnung zu nennen sein. Die Ausflüge in das Reich der Lyrik zeigen, daß poetische Gaben ihm nicht innewohnten. Man kann sich gar nichts Ärmlicheres
JOHANNES
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CLAJUS.
denken als seine „vermischten Gedichte" (die ersten drei Bücher, einschließlich der Epigramme 1568); die Trockenheit der Gelegenheitsgedichte sucht ihresgleichen; auch wenn er zu seiner Braut redet, vermag der Pedant sich nicht höher zu schwingen. Ähnlich verhält es sich mit seinen poetischen Betrachtungen zur Passion (fünf Bücher); der dürre Verstand führt das Wort, und das Gemüt geht ganz leer aus. Aber trotz dieses dichterischen Unvermögens darf man seine „Precationes" (fünf Bücher, 1585, vollständig 1589) nicht übersehen. Das individuelle Gefühl ist in ihnen, wie so häufig im Reformationszeitalter, religiös gewendet; es macht sich nichtsdestoweniger kräftig geltend. Was in sein Leben an bedeutsamen Ereignissen eingreift, was ihn preßt und erhebt, das findet seinen Nachklang: er bittet um Befreiung von tiefer seelischer Verstimmung, um Rettung der schwer erkrankten Frau; er dankt dafür, daß er die Gefahren einer Reise glücklich überwunden: in einer Herberge hat ihn ein Räuber im Schlaf berauben und ermorden wollen; er ist wach geblieben und so dem Unheil entgangen. Die Krankheitsgeschichte der schließlich genesenen Frau wird in mehreren Gedichten monologisch-individuell in Form von Gebeten vorgeführt. Nach dem Tode der ersten Gattin sind ihm zwei Schwestern zur Ehe vorgeschlagen; er bittet Gott, ihn die rechte Wahl treffen zu lassen, indem er die für seine Frau notwendigen Eigenschaften genau bezeichnet. Auch die mit den Kindern gemachten bösen Erfahrungen klingen wider: wenn er Gott für die Geburt einer Tochter dankt, so wünscht er, daß sie ihm mehr Freude machen soll als die Söhne, die die Musen hassen, schlechte Gesellschaft aufsuchen, den Vater durch ihre bösen Sitten quälen und taub gegen mahnende Worte sind. In diesen und zahlreichen anderen Stücken hallt überall das Erlebte wider; deutlich erkennt man, wie die durch die Geschehnisse geweckten Gefühle nach dem sie deckenden Ausdruck ringen. Dieser unbestreitbare Vorzug hilft wenigstens einigermaßen über die Härten und Nüchternheiten der Darstellung hinweg, ja man nimmt selbst die gräßlich schulmeisternde Art hin, die Clajus auch in den schwersten Augenblicken nicht verleugnet. So wenn er von seiner kranken Frau sagt: „Hatte ego complector, foveo, tego, diligo, curo, Praedico, suspicio, commendo, tniror et omo." Oder wenn er als trauernder Witwer in die Worte ausbricht: „Lugeo, lamentor, eitdo, tristis oberro." 17»
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An Gewandtheit wird Clajus durch Georg Mylius aus Borna in Sachsen übertroffen, von dem sich zwei Bücher Elegien erhalten haben (1551.) Über Mylius' Leben ist Näheres nicht bekannt; er selbst bezeichnet sich als Schüler Melanchthons, doch scheint er zu den beiden Wittenberger Kreisen keine näheren Beziehungen gehabt zu haben. In Wittenberg hat er vielleicht die Bekanntschaft Friedrich Dedekinds gemacht; ihn preist er mit begeisterten Worten. Wenn es sich dabei nicht bloß um Floskeln oder um den Wunsch nach Abschluß einer Versicherung auf Gegenseitigkeit handelt, so hatte Mylius allen Grund, Dedekind hochzuschätzen, denn dieser steht als Dichter beträchtlich über ihm. Mylius* Erfindungskraft und Wortschatz sind nur gering; er wiederholt zuweilen in der einen Elegie genau, was er in der anderen gesagt hat. Einiges hebt sich trotzdem aus der gleichgültigen Masse heraus. So rät er einem Freunde, nicht mit seinem Schicksale zu hadern, sondern es männlich zu tragen, da die goldene Geduld allein das Geschick besiege. Erfreulich wirkt die hohe Schätzung der Poesie. „Kümmere dich nicht", ruft er einem Freunde zu, „um die eitlen Ehren der trügerischen Welt und um die Schätze, die der ungeheure Erdkreis birgt: „Cedile degeneres acternis, cedite musis Divitiae, midtis causa reperta malis .... Omnia tempus edax terit et longaeva vetustas, Sola mori dignum laude Thalia vetat." Natürlich fehlt ebenfalls die so vielfach von den Neulateinern angestimmte Klage nicht, daß den Musen der verdiente Lohn vorenthalten wird: „Attamen interdum Musarum sacra perosum Me piget Aonii tangere plectra chori, .. . Dum nemo sacras dignatur honore camoenas,
...."
An seinem Lehrer Melanchthon hängt er mit treuer Liebe und sucht das Wirken des praeceptor Germaniae, insbesondere sein Verhältnis zu Luther festzuhalten. Anderseits blickt er jedoch mit einiger Sorge auf Melanchthons Nachgiebigkeit; man hat vielleicht anzunehmen, daß es sich hier um einen Mahnruf in der Interimszeit oder aus den unmittelbar darauffolgenden Jahren handelt : „. . assereque invicti divina oracida Christi Atque sacram vera cum pietate jidem,
GEORGIUS
MYLIUS;
HEINRICH
ECCARD.
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Assere, nec fatuae monachorutn cede catervae, Hoc sanctum Christus provehet auctor opus. Hoc etiam munus tua junctio honesta requirit, Ipse tui debes nosse laboris onus Non ut te moneam, scribo, quis montibus umbras Et plenis aliquas fontibus addat aquas? ... Sed mea musa tuae pietatis imagins fidens Haec voluit tecum qualiacunque loqui."
Als Stoßseufzer eines pietätvollen Melanchthon-Schülers, der die Ehrfurcht vor dem geliebten Lehrer nicht aus dem Herzen reißen will und doch sein Verhalten im adiaphoristischen Streit mit zweifelnden Blicken betrachtet, verdient diese, die zwiespältige Stimmung des Mylius deutlich widerspiegelnde Stelle Beachtung; es liegen nicht viele poetische Zeugnisse ähnlicher Art vor. F r a n k e n . B ö h m e n . Franken gehört Joach. Camerarius an; in der später zu schildernden Periode der neulateinischen Lyrik werden die beiden Franken Melissus und Taubmann zu erwähnen sein; hier kommt lediglich der Nürnberger Poet Heinrich Eccard (geb. um 1530) in Betracht. Auch er hängt mit den Wittenbergern zusammen; er hatte Beziehungen zu Bugcnhagcn und ergeht sich in dessen Preise. Was er in Gelegenheitsgedichten und einer kleinen Sammlung von 1553 als Lyriker geleistet hat, will allerdings nicht viel besagen. Religiöse Gedichte auf Weihnachten und Auferstehung bringen zu der gewohnten Art keinen neuen Zug hinzu; in seinen Naturschilderungen bleibt er recht platt; auch die wenigen in den Epigrammen verstreuten Liebesgcdichte nehmen keinen höheren Schwung. Höchstens daß in dem Bändchen einmal ein Einfall erfreut: so wenn (ebenfalls in den Epigrammen) der gestorbene Sohn der trauernden Mutter erscheint und sie auffordert, nicht mehr zu klagen — also eine Art Vorklang von Paul Gerhardts „Trostgesang in Person eines verstorbenen Kindes" — oder wenn in einem Hochzeitsgedicht der Poet seine und des Bräutigams Vaterstadt, das edle Nürnberg, mit einem begeisterten Loblied bedenkt. Aber im ganzen ist der poetische Ertrag gering. Mit Eccard nahe befreundet war der Böhme Elias Corvinus (wohl Rabe). Er führt in den Mittelpunkt des Bergwerksbezirks im böhmischen Erzgebirge, wo deutsche Wissenschaft und deut-
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sches Wesen fröhlich emporgediehen waren, nach Joachimsthal. Daß Martin Balticus hier die Schule besucht, Matthesius eine segensreiche Tätigkeit entfaltet hat, ist bereits erwähnt worden. Corvinus ist um 1530 in Joachimsthal geboren und hat in Wien mit Heinrich Eccard und Johann Lauterbach zusammen studiert; Eccard wurde im Sommer 1558 zum Dichter gekrönt; am 15. September empfing auch Corvinus zusammen mit Joh. Lauterbach aus Löbau den Lorbeer. Sein späteres Leben läßt sich im einzelnen nicht verfolgen. Er war Jurist; allein über die Art, in der er sich betätigte, fehlen nähere Nachrichten. Doch müssen seine Leistungen auf diesem Gebiete Anerkennung gefunden haben, denn die Wiener Universität schlug ihn, allerdings vergebens, 1598 zum Universitäts-Superintendenten vor. Durch den Kaiser wurde er in den Ritterstand erhoben. Es bleibt aber nicht sicher, wo und unter welchen Umständen er eine Wirksamkeit entfaltet hat; auch sein Todesjahr ist unbekannt. Im Jahre 1568 veröffentlichte er eine Sammlung seiner Gedichte; sie enthält zwei epische Dichtungen — ein drittes Epos, die Türkenkriege des Johannes Hunyady behandelnd, blieb ungedruckt —, ferner eine umfangreiche Elegie „Die Würde und Erhabenheit der Poesie" (1559). Alles dies bleibt späterer Betrachtung oder Erwähnung vorbehalten. Der Hauptteil des Buches entfällt auf Corvinus' Lyrik, die überwiegend seinen Studienjahren und der immittelbar folgenden Zeit entstammt. Allerdings hat er auch später noch Lyrisches veröffentlicht, aber diese Arbeiten ändern das aus der Sammlung sich ergebende Bild nicht. An sich übt das lyrische Gesamtwerk des Corvinus keinen starken Eindruck aus. Anders stellt sich das Urteil, wenn man die Leistungen Eccards und Johann Lauterbachs daneben hält. Bei einem Vergleich erweist sich Corvinus als die ausgeprägtere Persönlichkeit; deutlicher als bei den beiden Genossen erscheinen bei ihm die individuellen Züge ausgebildet. Freilich seine religiöse Lyrik verrät keine Eigenart, auch die meisten Gelegenheitsgedichte bieten wenig Anziehendes. Aber in einigen kleineren Stücken macht sich persönliche Wärme geltend, wenn es auch dem Poeten nur ausnahmsweise gelingt, des glücklichen Vorwurfs ganz Herr zu werden und ihn auszuschöpfen. Mit einem freundlichen Abschiedswort verläßt er seine Wiener Freunde. In dem heimischen Joachimsthal angekom-
ELIAS
CORVINUS.
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men, wird er von einem heftigen Fieber ergriffen. Eine Elegie schildert seinen Zustand: es ist Morgen; er will arbeiten oder im Garten dichten, allein seine Kräfte sind erschöpft, die Feder fällt ihm aus der Hand. Schon sieht er den Tod herannahen, aber der Gedanke tröstet ihn, daß er auf heimischer Erde stirbt, und die Mutter ihm die Augen schließen wird. Freilich ist er mit der Heimat nicht sonderlich zufrieden; er beneidet einen Freund, der von Joachimsthal wieder nach Wien zu den gewohnten Studien zieht. Die Joachimsthaler erscheinen ihm ungebildet, den Geten vergleichbar; sie trachten allein nach den Schätzen, die sie aus den Tiefen der Erde herausgraben — mit Grauen blickt der Dichter auf dieses gefährliche Unterfangen; es erscheint ihm eine frevelhafte Keckheit, in die stygischen Häuser einzudringen. „Retro ferte pedes! 11011 illic blanda voluptas, Non choreae dulces, gaudia nulla vigent." Durch dieses Bekenntnis nehmen auch andere poetische Zeugnisse persönliche Färbung an. Wir sehen den jungen Poeten am Eingange des schwarzen Schlundes stehen, in den die Bergleute hinabfahren; wir vernehmen sein Mißfallen darüber, daß seine Landsleute nur Befriedigung darin finden, „die Eingeweide der Mutter Erde zu durchwühlen". Dieser hier nur nebensächlich hingeworfene Gedanke regt ihn zu einer längeren Elegie an: die Erde beschwert sich über die Unbilden ihrer Kinder, der Menschen, die, undankbar und rücksichtslos, aus ihr nur Nutzen ziehen wollen; eine Klage über die Verderbtheit des irdischen Geschlechtes schließt sich an, nicht immer organisch aus der ursprünglichen Anlage herauswachsend. Poetischer als in dieser Jeremiade zeigt sich der Dichter in einer kleineren Elegie „ A n Aurora"; auch sie verdankt wie die obengenannten der Zeit der Erkrankung ihren Ursprung. Der Dichter hat sich ein Hüttchen gebaut; von dort aus kann er Aurora sehen; dort opfert er ihr mit Morgentau benetzte Rosen; dort will er bleiben und den Musen dienen. „Aber sobald du frühmorgens das immer wachsame Doppelgespann herausführst, gieße dein willkommenes Licht auf das kleine Haus. Dann wird die Krankheit weichen, die Frische des Geistes zurückkehren; neues Streben wird das wiederbringen, was das Fieber geraubt hat." Erinnert dieses Stück in Anlage und Ausführung an die Art der Italiener, etwa des Flaminius oder Bembus, so wird man an deren Weise auch in
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drei kleinen elegischen Gedichten gemahnt, die antike Verwandlungssagen behandeln. Pan verfolgt die geliebte Nymphe und sucht sie mit lockendem Liebeswerben für sich zu gewinnen; da wird sie in Rohr verwandelt, aus dem Pan sich dann eine Flöte zusammensetzt; Galathea kommt an die Wellen des Acis und gedenkt trauernd ihrer durch Polyphem gestörten Liebe zu Acis, der dann in einen kleinen Fluß verwandelt worden ist; Thetis narrt ihren Peleus durch zahlreiche Verwandlungen; Proteus verheißt ihm den Besitz der Geliebten, er findet diese in einer Höhle, wo sie sich ihm endlich ergibt. Auch der Wiener Professor und Hofmathematikus Paulus Fabricius, ein geborener Schlesier (1529—1588), der Corvinus und dessen Freunden Eccard und Lauterbach den Lorbeer verlieh, hat der Poesie gefrönt. Als geringwertiger Epiker wird er wenigstens noch zu nennen sein; sein zur Dichterkrönung Eccards verfaßter unbedeutender „Actus poeticus" enthält eine merkwürdige Beigabe: „Die Insel der Poesie"; sie muß in einem späteren Zusammenhange gemeinsam mit anderen Zeugnissen einer versifizierten Poetik besprochen werden. Hier kommt nur sein Ekloge: „Tityrus" in Betracht (1549). Wie es schon in Italien üblich gewesen, wird die Geburtsgeschichte Christi in Eklogenform dargestellt, die bei der Behandlung des Gegenstandes so nahe liegt. Die Art, in welcher Fabricius den Vorwurf angreift, läßt ebenfalls das Muster der Italiener erkennen. Tityrus ist einer von den Hirten, denen die Erscheinung des Engels zuteil geworden; in der zweiten Hälfte der Ekloge erstattet er darüber Bericht. Was vorhergeht, dient dazu, das pastorale Gespräch glaubhaft zu gestalten: sowohl in die Zeit wie in die Lage der Hirten und ihre Beschwerden wird der Leser durch Anspielungen und Erzählungen eingeführt. In der Anlage der Unterredungen offenbart sich Geschick; eine ungezwungene Natürlichkeit macht sich angenehm geltend. Allzuhoch darf man den Wert dieser Leistung freilich nicht veranschlagen. Schlesien. Die lebhafte Anteilnahme Schlesiens an der humanistischen Dichtung ebbt zu Beginn der eigentlich neulateinischen Poesie etwas ab, um sich dann allerdings in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wieder kräftig geltend zu machen. Einzelne der vor 1540 geborenen Schlesier, wie Johannes Seckerwitz, gehören ihrer Hauptwirksamkeit nach örtlich
PAULUS
FABRICIUS;
JOHANNES
LANGE.
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und sachlich anderen Landschaften an und sind daher in diese einzugliedern. Andere reichen noch in die Endzeit der humanistischen Bewegung zurück. So namentlich Johannes Lange. Zwar überwiegen bei ihm schon die Merkmale der (im engeren Sinne) neulateinischen Poesie, aber in Ansichten und Bestrebungen erinnert er doch auffallend an die Ausläufer der humanistischen Bewegung, etwa an Georgius Logus (vgl. Band 1 , S. 493 ff.), mit dem er befreundet war und mit dem ihn auch gemeinsame höfische Beziehungen verbanden. Lange gehört in die Reihe jener gelehrten Diplomaten, als deren vollkommensten Typus wir später Johannes Dantiscus kennen lernen werden, der ebenso wie Lange auf der Grenzscheide von humanistischer und neulateinischer Dichtung steht. Geboren 1503 zu Freistadt, wurde Lange nach kurzer Schultätigkeit Geheimschreiber zweier schlesischer Bischöfe, unternahm in deren Auftrag wichtige diplomatische Sendungen, genoß die Gunst Ferdinands I. und wurde von ihm zum kaiserlichen Redner ernannt, zog sich aber schließlich, der höfischen Geschäfte müde, nach Schweidnitz zurück und ist hier nach zehnjähriger Muße 1564 gestorben. Als Verfasser eines bemerkenswerten Epos über Johannes den Täufer wird er noch zu nennen sein. Seine Lyrik gliedert sich in zwei deutlich unterscheidbare und, wie es scheint, auch chronologisch getrennte Abschnitte. Einerseits lag ihm eine sinnende Betrachtung der Dinge; das gilt insbesondere von der Lyrik seiner Spätzeit, die geistig-religiöse Fragen schwunglos abhandelt, auch in der Form religiöser Polemik. Alle diese und verwandte Gedichte nähern sich der Didaktik; es ist daher später noch ein kurzes Wort über sie zu sagen. Unmittelbarer als in dieser Gedankenlyrik tut sich Langes Wesen in seinen Zeitgedichten kund. Sie entstammen fast ausnahmslos den Tagen, da er noch als Vertrauensmann Ferdinands I. und einflußreicher Bischöfe mitten im öffentlichen Leben stand. Damals berührten ihn die großen Zeitereignisse so unmittelbar, daß er es als eine innere Notwendigkeit empfand, sich über sie auszusprechen. „Du weißt," schrieb er 1540 an Georgius Logus, „daß ich gewohnt bin, wenn sich irgend etwas Großes in unserem Lande zuträgt, dies im Gedicht festzuhalten und darin sowohl mein Urteil über das Geschehene darzulegen als auch Bitten zu Gott emporzuschicken, daß alles für das christliche Volk zu gutem Ende führen möge."
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Den in diesen Worten zutage tretenden Absichten entsprechen namentlich zwei seiner politisch-religiösen Äußerungen; sie bezeichnen zugleich den Höhepunkt dessen, was er zu leisten imstande war. Es handelt sich um die beiden umfangreichen Türkenelegien und die Oden, die durch den schmalkaldischen Krieg hervorgerufen worden sind. Überwiegend kleidet Lange in diesen Stücken seine Gedanken in die Form des Gebetes, das er teils selbst an die Gottheit richtet, teils anderen in den Mund legt. Die erste Türkenelegie (1540) weicht sachlich nicht von der Form der Türkengedichte ab, wie wir sie bereits mehrfach kennen gelernt haben. Auch Lange benutzt die Türkenpredigt, um Deutschland seine Sünden vorzuhalten. Aber eigentümlich ist ihm das stürmische Werben um Christi Hilfe, dem er gleich zu Anfang in fast vorwurfsvollem Tone gegenübertritt: „Ergo tuam prorsus patiere occumbere gentem Et praedam saevis hoslibus esse sines, Nate Dei, cui terrarum et stellantis Olympi Et maris undisoni contigit arbitrium? Nec tua te bonitas, nee te pia vota tuorum Nec mistae flectent cum preeibus lacrimae, Ut Placido miseros respectans lumine saltem. Has nostri serves reliquias generis." Es steht im Einklang mit dem hier angeschlagenen Ton, daß Lange die Türken den Unterworfenen vorhalten läßt, was ihnen denn ihr Vertrauen auf Christus genützt hätte: ,,Auspicio toto Mahmetis vineimus orbe, Et nobis summa est gloria militiae." So düster sich auch das Gemälde der deutschen Zustände ausnimmt, am Schlüsse scheint doch ein Hoffnungsstrahl aufzuleuchten. Der Poet setzt sein Vertrauen auf ein zwischen Karl V. und Franz I. zu schließendes Bündnis gegen die Türken. Die zweite Elegie ist dann ein einziger, allzu verfrühter Freudenruf über den wirklichen Abschluß dieses Bündnisses. Es liegt in der Natur der Sache, daß dies Gedicht infolge der Begrenztheit seines Gegenstandes Anteilnahme nur in beschränktem Maße erwecken konnte; allerlei geschichtliche Hilfsstützen tragen nicht dazu bei, es fesselnder zu machen. Ungleich stärker als diese beiden Elegien wirken die Oden auf den schmalkaldischen Krieg (Carmen lyricorum, Uber. 1548). Sie zer-
JOHANNES
LANGE.
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fallen in zwei Hälften. Die erste enthält fast ausnahmslos Gebete, die die Mitglieder des Kaiserhauses angesichts der von den Protestanten drohenden Gefahren an Gott richten. Die Form ist akrostichisch ; aus den Anfangsbuchstaben der einzelnen Strophen setzen sich Name und Würden des Sprechenden zusammen. Gewiß wird durch ein solches Verfahren die freie Bewegung eingeschränkt, aber trotzdem ist manches geglückt, so das sapphische Eingangsgedicht; da wirft Karl V. einen dankbaren Rückblick auf die erzielten Erfolge, legt die Notwendigkeit seines Vorgehens gegen die Empörer dar und fleht um Gottes Hilfe im Entscheidungskampfe. Eine Sonderstellung unter den akrostichischen Oden nimmt ein Monolog Moritzens von Sachsen ein. Er enthält kein Gebet, sondern eine Schutzrede. Vorausgesetzt wird, daß ein Mitglied des schmalkaldischen Bundes oder ein überzeugter Protestant Moritz wegen seiner Judaspolitik zur Rede gestellt hat. Gegen solche Vorhaltungen wendet sich Moritz mit den Worten: „Miraris, ne datam principibus meis Me servare fidem? nec satis approbas, Quae pro Caesareis praelia partibus Bello sustineo gravi? . . . . Ultorem vereor perfidiae Dettm, Patronisque operam navo cliens meis, Amens consilio tu ruis impio, Ut vulgo placeas tuo."
Er rechtfertigt seinen Abfall mit dem Gehorsam, den er dem Kaiser zu leisten verpflichtet sei, er mahnt die aufständischen Fürsten, die Waffen niederzulegen und die Gnade Karls anzuflehen. Und im Ausblicke auf eine solche Beilegung des Streites zeichnet er das ihm vorschwebende Ziel in Worten, die sich freilich im Munde des kühlen Realpolitikers wunderlich ausnehmen: „0 nobis veniat sancta cupiditas, Humani Studium ponere iurgii Et puris animis reddere debitum Regnis, Christe, decus tuisl Nobis praesidio, Christe Deus, veni Bellum consilio si gerimus pio, Ut per bella quies reddita patriae Et pax floreat aureal" —
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In der zweiten Hälfte des Odenbuches gibt Lange die akrostichische Form auf und gewinnt dadurch eine größere Freiheit. Er ergreift nun selbst zu einem innigen Gebet für den Kaiser das Wort. Und in einer anderen Ode läßt er die Führer des schmalkaldischen Bundes wegen ihres früheren und jetzigen Tuns hart an; zuerst haben sie, wie er ihnen vorwirft, mit tempelschänderischen Händen die Kirchen geplündert, dann die Nachbarfürsten bekriegt und ihrer Herrschaft beraubt (Entthronung Heinrichs von Braunschweig), zuletzt wenden sie sich in gigantischem Wagnis gegen den Kaiser, „Qualis columbas vultur agens ruit, Mox vullures et persequitur suos, Ungues ad extremum rapaces In dominas aquilas obannans." Von neuem fleht er auf den Kaiser den Sieg herab, und als dieser errungen wird, stellt er sich mit einem begeisterten, aber allzu umfänglichen Triumphgesange ein. Gewiß wird die Teilnahme an diesen Zeitgedichten in erster Linie durch das Stoffliche hervorgerufen. Allein das Wesen des Dichters verleugnet sich nirgends; Auffassung und Gestaltung der behandelten Fragen tragen durchaus persönliches Gepräge. N o r d d e u t s c h l a n d . Die neulateinische Dichtung Nordwestdeutschlands pflanzt stärker als anderswo sehr frühzeitig empfangene Keime fort. Denn zahlreiche ihrer Vertreter knüpfen an die humanistische Zeit an; sie sind aus der münsterischen Domschule hervorgegangen und haben meist die entscheidenden Einflüsse durch Murmellius erhalten. Dabei ist es bezeichnend, daß diese Schüler sehr verschiedene Wege gehen. Die einen folgen entschlossen der neueren Richtung: sie wenden sich der Reformation zu; die anderen suchen zwar Murmellius' humanistische Ziele festzuhalten, bleiben aber der alten Kirche treu. Unter den zuletzt Genannten ist insbesondere Heinrich van dem Himmel (Henricus Uranius oder Coelicus) hervorzuheben (1494—1572). Der vortreffliche, vielseitige Gelehrte wirkte fünfundfünfzig Jahre getreulich an der Schule zu Emmerich; wie seine weitschichtige, die wichtigsten Altertumsgebiete umfassende wissenschaftliche Tätigkeit, so ist auch seine Poesie im engsten Zusammenhange mit dem Schuldienst erwachsen. Soweit seine
URANIUS;
ROVENIUS;
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Dichtungen rein lehrhaft sind, werden sie in dem Kapitel: Didaktik zusammen mit den gleichgerichteten Arbeiten eines Cureus, Ornitander u. a. gewürdigt werden; hier kommt es nur darauf an, den Grundgehalt der hie und da erklingenden lyrischen Töne zusammenzufassen. Uranius ist eine redliche, stille Seele, von lebhafter Liebe für Jugend und schöne Wissenschaften erfüllt und eifrig bestrebt, beiden redlich zu dienen. Aber er leidet schwer unter der gänzlichen Veränderung der Zeit: überall sieht er Umsturz, Verachtung des Heiligen, Tempelschändung, dazu Niedergang der Studien, ebenfalls herbeigeführt durch die Glaubensspaltung. Alles das betrauert er tief, allein wenn er es auch an Deutlichkeit nicht fehlen läßt, so liegt doch — seinem Wesen entsprechend — ein elegischer Hauch über seinen Klagen; er ist keine angriffslustige Natur. Schärfer bringt die gleichen Töne sein (hier gleich anzuschließender) Amtsgenosse im Emmericher Schulamte Gerhard Rovenius (geb. um 1530) zum Ausdruck, dessen im Stoff der Schulpoesie des Uranius nahestehende Gedichte in ihrem wesentlichen Inhalt ebenfalls späterer Betrachtung vorbehalten werden müssen; auch für ihn ist die streng katholische Tendenz ähnlich bezeichnend wie für Uranius, aber sie äußert sich härter, schärfer als bei diesem; man spürt die Luft der Gegenreformation. Ein vollständiges Bild der beiden Männer wird sich allerdings erst später ergeben. Auch die Schüler des Murmellius, die sich dem neuen Glauben angeschlossen haben, können hier nur mit einem Teil ihres Wirkens behandelt werden, und nicht immer mit dem anziehendsten. Das gilt insbesondere von der bedeutendsten Kraft unter den Murmellius-Schülern, von Johannes Pollius (ca. 1490—1562). Als Vorläufer des Satirikers Naogeorg, als Verfasser des kleinen Epos: „Die drei die Kirche verwüstenden Ungeheuer" (1539) wird noch von ihm die Rede sein; insbesondere in den halbsatirischen Gedichten liegt seine eigentliche Bedeutung. Dagegen offenbart sich in seiner Lyrik keine starke Individualität. Auch die meisten seiner lyrischen Stücke sind betrachtender Art, sie preisen die Gnade Gottes als das höchste Gut, sie verbreiten sich über die Kraft des Glaubens, der Hoffnung, über die christliche Liebe, über das Gebet, sie mahnen zur Mäßigkeit, sie zeigen, welchen Anfechtungen die Frommen in der Welt ausgesetzt sind. Dazu kommt manches Persönliche; Pollius bringt sich seinen Gönnern in Erinnerung; er richtet ein poetisches Sendschreiben
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an Eoban, der auch sonst (neben Micyllus und Sabinus) erwähnt wird. Was diese Gedichte trotz einer gewissen Farblosigkeit hebt, ist die starke religiöse Begeisterung. Überall merkt man, wie der ganze Mensch von dem neuen Geiste ergriffen ist. Poetisch wertlos, aber sonst bemerkenswert ist der kurze elegische Bericht, den Pollius über die wichtigsten Ereignisse der Zeit gegeben hat, getragen von Gottvertrauen, das in einem Refrain zum Ausdruck kommt. Stärker als in allen diesen Dichtungen wird seine Kampfesstimmung in dem erwähnten kleinen Epos verkörpert; davon später I Pollius ungefähr gleichaltrig ist Johannes Buschmann (Busmann), der 1564 als Lehrer zu Lübbecke im Fürstentum Minden gestorben ist. Seine später zu besprechenden Städtegedichte, insbesondere sein Preislied auf Hannover (1544), zeigen viel Frisches, weniger ziehen die früheren Früchte seiner Muse an, die er 1537 herausgegeben hat. Sie enthalten meist Gelegenheitsgedichte, das Wort überwiegend im edleren Sinne genommen. Christian II. von Dänemark, dem das Buch gewidmet ist, wird wegen seiner Tugenden und Verdienste gepriesen, namentlich wegen seiner Begünstigung der Reformation; unmittelbar hängt damit eine Aufforderung an das dänische Volk zusammen, das neugeschenkte Licht des Evangeliums, das dem schweren Druck der Finsternis ein Ende mache, freudig zu empfangen. Zum Eintreten für das Evangelium und die Pflege der Wissenschaft mahnen die an die jungen sächsischen Prinzen Ernst und Johann Friedrich gerichteten Elegien. Andere beklagen den Tod Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen, und in beiden Gedichten wird wenigstens der Versuch gemacht, Wesen und Wirken der Gefeierten darzulegen. Den Tod seines westfälischen Landsmannes Hermann von dem Busche beklagt der Dichter und strebt auch hier danach, ein Bild der Persönlichkeit und ihrer Ziele zu gewinnen. Allgemeinere Fragen werden gestreift, wenn der Obrigkeit Schulgründungen dringend empfohlen oder die ganz verkehrten Lebensziele der Zeit gegeißelt werden. Ein Dichter war Busmann gewiß nicht. Wohl weisen die polemischen Stellen anschauliche Schilderungen auf, und daß er dieser auch sonst mächtig war, zeigt beispielsweise die Art, in der er dem jungen Prinzen Ernst sein väterliches Reich mit ganz hübscher Ausführung des einzelnen beschreibt. Aber meist läßt ihn sein stürmisches Temperament zu derartiger Kleinmalerei nicht
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BUSCHMANN.
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kommen, auch finden sich matte Stellen, ungeschickte Reminiszenzen — „Tu ne cede malis, sed in hostes acrior ito", ruft er dem jungen Johann Friedrich zu — und schwerfällige Konstruktionen. Aber wenn es nach Goethe den Dichter macht, daß er ein ganz von e i n e r Empfindung volles Herz hat, so müßte man Busmann einen Dichter nennen. Denn e i n Gedanke füllt seine ganze Seele aus, das ist die Reformation und der Kampf für sie. Immer von neuem preist er die neugefundene Wahrheit und weiß den früheren Zustand nicht dunkel genug zu malen. Auch bei fernerliegenden Gegenständen lenkt er gewollt oder ungewollt zu diesem seinem Lieblingsgegenstand zurück, so bei der Mahnung zur Gründung von Schulen: wird diese unterlassen, dann ist eine Rückkehr der alten Finsternis zu befürchten, die nun wieder eingehend vorgeführt wird. Diese Schilderungen sind freilich mehr lebhaft als objektiv und von wilden Schimpfreden erfüllt; die Vertreter des Alten sind ihm „blinde Maulwürfe, Krokodile, hungrige Wölfe, Diebe, grausame Räuber, Esel, schmutzige Schweine, tolle Hunde". So lautet die Liste in der „Ermahnung an die Völker des Königs von Dänemark", die Busmann dann kurz nach Luthers Tode, Dänemark überall in Deutschland umwandelnd, als Erinnerungsgedicht an Luther (1546) noch einmal hat drucken lassen. Von dem endgültigen Siege der guten Sache ist er überzeugt. Neben diesem alles beherrschenden Gedanken kommt namentlich noch die Abneigung gegen die Scharrhansen, die kriegslustigen, derber Völlerei ergebenen bildungsfeindlichen Adligen zu Wort, ebenso der Widerwille gegen das Streben der Zeit nach Gewinn und äußeren Gütern; die Verachtung aller idealen Werte wird bekämpft, dagegen die hohe Bedeutung der Bildung hervorgehoben. Von Nordwestdeutschland führt der Weg in den Mittelpunkt des alten Sachsenlandes, von den ersten Jahrzehnten der Reformation zu den Kämpfen der nachlutherischen Zeit. In ihnen zeigte sich Friedrich Dedekind aus Neustadt (1525—1598) als unbeugsamer Vertreter des strengsten Luthertums, wie er denn auch in zwei deutschen Tendenzdramen für den Protestantismus Zeugnis abgelegt, allerdings ohne Polemik gegen die Andersdenkenden im eigenen Lager. Dedekinds Hauptanteil an der lateinischen Poesie gehört der Satire an; er schuf eine der wichtigsten Haupttypen der deutschen Literatur des 16. Jahrhunderts, den „Grobianus". Auch in der geistlichen
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Epik hat er sich versucht, nicht mit sonderlichem Glück. Von seiner Lyrik scheint sich nur wenig erhalten zu haben. Sie beschränkt sich im wesentlichen auf die Gelegenheitsdichtung, von der schon aus seinem zwanzigsten Jahre eine beachtenswerte Probe vorliegt. Unter den etwas später entstandenen gleichartigen Stücken zieht eine Klage um den Tod Johannes Spangenbergs (1550; vgl. S. 254) an; sie gewinnt namentlich, wenn man sie neben die anderen, den gleichen Vorwurf behandelnden Trauergesänge hält. In der Art, wie Dedekind den Stoff angreift, liegt etwas Originelles: die Sonnenglut treibt ihn, den Waldesschatten aufzusuchen; während er dort einherwandelt, gedenkt er traurig der vielen Kriege, durch die Deutschland verwüstet und zerrissen ist. Und er sucht sich von der inneren Bedrängnis zu befreien, indem er Gott sein Herz ausschüttet: ,,Eequis erit nostri jinis quandoque doloris? An tua in aeternum nos gravis ira premet? Quo favor ergo tuus bonitasque paterna recessit, Ille pius nostri quo tibi cessit amor? Ira quidem iusta est, qua crimina nostra perosus. Infligís populo verbera dura tuo, Non tarnen hunc, genitor, perdes simul, optime, coetum, Cui vita est nati parta cruore tui "
Seine kummervolle Stimmung wird noch durch die Nachricht von Spangenbergs Hinscheiden vermehrt; nun leiht er der allgemeinen Trauer Worte und vergegenwärtigt sich Wandel und Werk des Heimgegangenen, um zuletzt den in himmlischer Wonne Verklärten den klagend Zurückgebliebenen gegenüberzustellen. Auch ein zweites Epicedium aus dem gleichen Jahre zeichnet sich trotz der Verwendung hergebrachten Beiwerks durch eine kräftige Erfindung aus: zwei Lehrer an der Schule zu Eisleben, Kämpen für das Luthertum, sind gestorben; da meint unser Dichter: der Teufel hat sich vergebens bemüht, Fürsten und Herzöge zu unsinnigem Ansturm wider das Evangelium zu erregen; es ist ihm mißlungen; nun nimmt er den Tod in seinen Dienst, damit er die Gottesstreiter wegraffe. Unzweifelhaft erheben sich diese Epicedien über den Durchschnitt der Gelegenheitspoesie und zeigen, daß Dedekind wohl imstande war, dieser undankbaren Gattung etwas abzugewinnen.
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Wie Dedekind, so führt auch der Braunschweiger Rektor Matthias Berg (geb. zu Braunschweig) in die Streitigkeiten des späteren Luthertums. Aber er nimmt einen anderen Parteistandpunkt ein. Beteiligte sich Dedekind, durchaus zustimmend, an der Abfassung der Konkordienformel, so versagte ihr Berg die Anerkennung. Er mußte deshalb Braunschweig verlassen und ist 1592 als Professor in Altdorf gestorben. Noch seiner Braunschweiger Zeit gehören die seinen religiösen Sinn bezeugenden zwei Bücher „evangelischer Gedichte" an (1573). Sie begleiten im ersten Buche den Heiland auf seinem Lebenspfade, jedoch nicht in zeitlicher Reihenfolge, sondern im Anschluß an die Evangelien der einzelnen Sonntage; das zweite Buch ist den Aposteln und anderen neutestamentlichen Gestalten gewidmet. Verwendet werden meist lyrische Maße; daneben auch der Hexameter. Daß der Verfasser mit seinen Gedichten hauptsächlich der Schule dienen will, daß der Schreibende ein biederer Schulmeister ist, tritt gleich am Anfange hervor, so wenn er das Eingangscarmen des ersten Buches mit einem gar nicht übel anhebenden Gebet schließt: „Me cum -prae tenero feceris agmini Ductorem, illud ut moribus optimis Et docta arte simul sedulus excolam, Nil vitae huic equidem praefero, quamlibet Abiectae atque humili. Tu modo da, -pater, Ut nosier pucris sit labor utilis, Gratos utque tibi pergat ad exitus."
Auch sonst bricht die Beziehung auf das Schulamt durch; Berg benutzt z. B. die Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel, um die Notwendigkeit des Lehrerberufes einzuschärfen. Meist begnügt sich der Poet mit einer kurzen Erwähnung des biblischen Vorganges; er setzt diesen bei seinen Lesern mit Recht als bekannt voraus; der Hauptnachdruck beruht auf den angeknüpften Betrachtungen sowie auf gelegentlichen allegorischen Ausdeutungen. Zuweilen bricht das fromme Gefühl des Dichters lebhaft durch und verdrängt den trocken-lehrhaften Ton: ein Beispiel bietet eines der Gedichte zum ersten Adventssonntage, wo der ersehnte Messias aufgefordert wird zu kommen und den Menschen aus dem Gefängnis zu erlösen, in das ihn die Sünde eingeschlossen :
E111 n g e r, Xeulatelnlscbe Lyrik 2.
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„Eia, age, rumpe polos et regna relinque dia caeli, Dei propago virginisque semen, Vera salus mundi, spes nostra redemptioque nostra, Heros veni, o desiderate dudum!"
Hin und wieder glückt ihm ein Gedicht; so hebt sich das „Geschick Christi unter den Menschen" heraus: es stellt wirkungsvoll die allgemeine Freude bei Christi Geburt den späteren Leiden gegenüber. Bei anderen Stücken zieht die Art an, in der das zugrunde liegende Ereignis benutzt wird; so z. B. bei dem Gedicht über die Hochzeit zu Cana. Da heißt es: „Wer den Ehebund schließen will, sei zunächst fromm und gottesfürchtig, dann erscheint auch Christus als Gast bei ihm." Und nun wird das Los eines solchen exemplarischen jungen Ehemanns ausgemalt: seine Frau schenkt ihm Treue und Liebe; er ist mäßig begütert, gesund und mit wenigem zufrieden; bei Unglücksfällen setzt er sein Vertrauen auf Gott, der ihm auch Hilfe gewährt. Ein größerer Aufwand als in dieser lehrhaften Auseinandersetzung wird da gemacht, wo der Stoff der Phantasie des Dichters einen stärkeren Antrieb gibt; das ist in dem lebhaft ausgeführten Stück: „Das Schiff Christi" der Fall: hier folgt auf die Seligpreisung des Schiffes, das den Herrn tragen darf, die Schilderung des Sturmes, worauf dann mit folgenden Worten in den Anfangsgedanken zurückgelenkt wird: „Felix tu tarnen, hunc quae vehis, in manu Cuius murmura sunt et maris et poli Quo mandantc aquilones Ponunt jlamina frigidi."
In ähnlicher Weise wie in diesen als Beispiele ausgewählten Poesien verfährt der Dichter auch sonst. Allein selten mit Glück. Häufig sind die Versuche kahl, nüchtern und wissen einem dankbaren Gegenstand auch nicht annähernd gerecht zu werden, Das gilt schon vom ersten Buche, namentlich aber vom zweiten, wo nur ausnahmsweise einmal in den Gedichten auf Johannes den Evangelisten oder die Bekehrung des Paulus ein Aufschwung zur Lebhaftigkeit und Kraft stattfindet. Im ganzen also kein erheblicher Gewinn; auch die Sprache hat keinen natürlichen Fluß; und im Ausdruck stören die unleidlichen Centos dadurch, daß sie gerade die bekanntesten Horazstellen verwenden. Aber
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auch die verunglückten Stücke werden dadurch gehoben, daß die Teilnahme des Gemütes erkennbar wird. Im Gegensatz zu diesen Kämpfern für und wider das reine Luthertum scheint der Hamburger Henning Conradinus an den religiösen Streitigkeiten der Zeit wenig teilgenommen zu haben. Es macht den Eindruck, als ob die ästhetischen Interessen bei ihm überwogen hätten. Geboren 1538, studierte er seit 1556 in Wittenberg; 1560 kehrte er nach Hamburg zurück, wurde 1566 Rektor zu Stade und übernahm 1570 eine Hofmeisterstelle bei dem holsteinischen Geheimrat Paul Rantzau in Schwabstedt; hier wenig zufrieden, folgte er 1575 einem Rufe in seine Vaterstadt, wo er als Konrektor uud Domvikar wirkte, bis ihn dauerndes Siechtum 1584 nötigte, diese Ämter niederzulegen. Er starb 1590. — Mit inniger Verehrung denkt Conradinus wiederholt seines Lehrers Melanchthon; er rühmt die Wittenberger Poeten Stigel und noch mehr Sabinus; doch erhält auch Eoban sein begeistertes Lob. Gewiß haben die Genannten auch auf Conradinus' Schaffen eingewirkt, aber stärker tritt ein anderes Vorbild auf: es ist der Schotte Georg Buchanan, dessen Lob auch am eindringlichsten erklingt, da er den Alten gleichgestellt, ja über sie erhoben wird. Wie für die Poesie, so ist Conradinus auch für die bildende Kunst empfänglich; wiederholt hat er sich durch Kunstwerke zu eigenen Dichtungen anregen lassen, wobei freilich zuweilen die moralisierende Betrachtungsweise der geweckten Empfindung den Garaus macht. — Unter Conradinus' Versuchen könnte man die Liebesdichtungen am ehesten missen; sie sind überwiegend von Buchanan eingegeben. Er klagt, daß ihn die Augen der Geliebten verbrennen, und verlangt, daß sie die Lider schließt. Als sie es tut, bricht für ihn die ewige Nacht herein, und er bittet sie, die Augen wieder zu öffnen, da er lieber verbrannt als in den Finsternissen begraben sein will. Oder er erzählt, wie beim Küssen ein Stück seiner Seele in die Geliebte übergegangen ist, und er fordert nun dieses Stück in einem neuen Kusse von ihr zurück. Besser als diese wenig ursprüngliche Liebeslyrik liegt ihm die religiös-moralische Poesie. Ein Lied auf Christi Geburtstag (In natalem) erhält schon durch die Anrede an zwei Junker, wohl seine Pflegebefohlenen, etwas weihnachtlich Familienhaftes; für das Fehlen eigener Wendungen wird man durch hübsche Naturbilder entschädigt. „Wie soll ich dir danken, Jesus, 18*
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der du als Gott auf unsere Erde kommst, um das erschlaffte Herz deiner Braut zu erquicken?" ruft er aus und fügt hinzu: „So bewässert der vom Gipfel des luftigen Berges kommende Tau das durch die Sonne ausgedörrte Gras." Auch sonst zeigt der Dichter regen Natursinn, der allerdings hie und da durch die Nüchternheit des Zeitalters beeinträchtigt wird. Aber man hört ihm doch gern zu, wenn er von seiner Vogelliebhaberei spricht; neben dem Kanarienvogel bevorzugt er — wie Paulus Melissus — die Tauben; er pflegt sie mit Vergnügen, beobachtet die Liebe des Täuberichs zur Taube und empfindet den Schmerz mit, als der Täuber stirbt und sie aus Sehnsucht nicht mehr im Laub sitzen, kein Körnchen mehr fressen und nichts trinken will: „Sic ambo duplicant meum dolorem, Ille, quem scio iam perisse dudum, Haec, quam nunc video perire totam." Am unmittelbarsten wirkt Conradinus jedoch in seinen rein individuellen Gedichten. Er beklagt es z. B., daß er dem Wohnsitz der Musen fern bleiben muß, und führt im einzelnen aus, daß ihm keine Lebensfreuden dafür Ersatz bieten können. Oder er schildert in einer etwas schematischen, aber doch gefälligen Art seinen Anteil an der Poesie als ein Landgut, welches ihn für das Fehlen eines herrschaftlichen Besitzes entschädigt. Zuweilen ringt sich als Ausdruck der Stimmung seiner Hofmeisterjahre ein ganz unwillkürlicher Stoßseufzer los: „Wie der trauernde Vogel, wenn die Felder mit Schnee bedeckt und die Bäume entblättert sind, schweigt, wie alle gefiederten Sänger im Winter verstummen, so trauern und schweigen auch meine Musen hier, wo mich die traurigen Winter am baltischen Meere plagen, und wo mir weder Himmel noch Volk gefallen." Er hofft, der unholden Gegend entfliehen zu können: „Tunc vernans imitans sono volucres, — Mites liberius canam per auras." Es gilt sicher dem gleichen Aufenthalt, wenn er wiederholt im heftigen Überdruß und mit ähnlicher Unmittelbarkeit über das Leben am Hofe klagt, das er nun schon den dritten Winter zu führen gezwungen ist: die Musik und die Genossen am Hofe sind Flüche, Unflatereien, Streitigkeit und Ähnliches. So sieht es am Hofe aus! In M e c k l e n b u r g , wo später die neulateinische Dichtung eifrig gepflegt wurde, hatte, wie erzählt worden ist, Henricus Husanus eine neue Heimat und einen neuen Wirkungskreis gefunden
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(vgl. S. 141). Sein Amtsgenosse als herzoglicher Rat war Andreas Mylius, auch er kein gebürtiger Mecklenburger, sondern ein Meißner (geb. 1528), der in die Dienste des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg getreten war und bis zu seinem Lebensende (1594) die gleiche Stellung bei den Nachfolgern des Herzogs eingenommen hat. Seine zahlreichen, schlecht überlieferten Dichtungen stehen an Wert hinter denen des Husanus zurück; sie enthalten viel Gleichgültiges: Gelegenheitsarbeiten, Umschreibungen von Psalmen und anderen biblischen Stellen, in denen wenig Poetisches zu spüren ist. Doch fesselt einzelnes durch seinen individuellen Gehalt. Gelegentliche Improvisationen zeigen den Dichter auf beschwerlichen Dienstreisen; gleich dem Husanus preßt ihm der Hofdienst manche Stoßseufzer aus, insbesondere Klagen über zu geringe Entlohnung. Oft verbinden sich mit diesen individuellen Bestandteilen religiöse Klänge, und wo das geschieht, da werden auch die eingesprengten geistlichen Elemente für ihn fruchtbar, so in seiner besten Elegie (1578), die ein lebendiges Bild des Innenlebens entrollt. Der Dichter, offenbar in Geldverlegenheiten, hat durch seinen Bruder dem Könige von Dänemark ein Buch überreichen lassen; er hofft, daß diese Aufmerksamkeit durch ein Geschenk erwidert werden wird, und bringt schon im voraus für die Gewährung dieser Bitte Gott seinen Dank dar, in einem bewegenden Rückblick auf sein ganzes Leben freudig des Schutzes gedenkend, den Gott ihm in allen Lagen hat zuteil werden lassen: „Tu
post ereptum patrem puerilibus anttis Et miserae viatris tristia bustct meae Afjlicto, misero, rebus victuque carenti, Cum mihi pertenuem jerret amicus opem, Hic mihi tu solus pater et spes una fuisti Et miseris rebus portus et aura meis. Tu mihi concilias dominum ventumque secundum, Ut tutis posset currere Unter aquis .. .."
Meist ertragreich wie dieses Dankgebet sind auch die zahlreichen Stücke, zu denen das Verweilen des Dichters auf seinem Landsitze führte. Da preist er die Warnow, an deren Ufern sein Gütchen liegt, und gibt in zahlreichen, überwiegend knappen Schilderungen ein Bild von seinem Leben und Treiben. Auch manche ganz poetische Erfindung taucht hier neben realistischen, das Behagen an den leiblichen Genüssen kündenden Berichten auf.
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Ähnlich wie in Mecklenburg verhält es sich um diese Zeit in P o m m e r n ; auch hier ist der Hauptvertreter der neulateinischen Lyrik kein gebürtiger Pommer, sondern ein Schlesier. Johannes Seckerwitz (Seccervitius), geb. um 1525 zu Breslau, studierte in Wittenberg und war dann Professor in Tübingen. Hier gab er durch Ausschreitungen im Trunk Ärgernis und wurde von der Universität entfernt. A u s der schwierigen Lage, in die er dann geriet, befreite ihn (1574) der Ruf des Pommernherzogs nach Greifswald; die Professur der Poesie wurde ihm übertragen; später erhielt er noch den Auftrag, die lateinische Psalmenübersetzung des Buchannan zu erklären. In Greifswald hat er ruhige und verhältnismäßig sorgenlose Tage verlebt bis zu seinem Tode (Anfang 1583). Wie Seckerwitz selbst über seinen dichterischen Beruf dachte, lehren seine „Pommernlieder". Er spricht in ihnen über die „Dichter, betrachtet nach den von ihnen bevorzugten Hauptgattungen" (de generibus poetarum), und geht die Vertreter der wichtigsten Dichtungsarten durch, behandelt die Epiker ausführlich, kürzer die Dramatiker; zu keinem von beiden will ersieh zählen, auch hält er jeden epischen Versuch für unnütz, da die schwere Zeit dem Epos keinen geeigneten Stoff darbiete, wie er denn überhaupt die Tage, in denen er zu leben gezwungen ist, verwünscht, weil ihnen die Auguste und Mäzene fehlen, und ein Maro, falls er wirklich jetzt geboren würde, notwendigerweise zugrunde gehen müsse. E r habe das A m t des Lyrikers erwählt. Am Schlüsse wiederholt er seine Klagen über die Ungunst der Zeit und sucht den Mäzenen durch den bei seinen Dichterkollegen herkömmlichen Hinweis auf die Macht des Dichters das Gewissen zu schärfen: „Martia laus viriusque fugit, praeconia sordenl, Quae fortes revocare viros a funeris umbris Atque immortali possunt donare trophaeo ..." Seckerwitz betrachtete also die Lyrik als sein eigentliches Feld. Wohl hat er sich später als Epiker und Dramatiker versucht, auch herrscht in seinen Gelegenheitsgedichten nach der Weise der Zeit die epische Behandlungsart vor, aber in den ersten Jahrzehnten folgte er getreulich den Anregungen, die die Wittenberger für die Lyrik und verwandte Gattungen gegeben hatten. Geistliche Gedichte, Eklogen und Elegien auf Weihnachten,
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SECKERWITZ.
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Passion usw., dazu Umschreibungen biblischer Bücher, so des „Jesus Sirach", des Propheten Arnos und einzelner Psalmen, daneben auch kleinere Gelegenheitsdichtungen — das alles macht in der früheren und noch in der Tübinger Zeit den Hauptinhalt seiner poetischen Bemühungen aus, ohne daß das Herkömmliche wesentlich durch eigne Züge bereichert wurde. Nur in einigen Gedichten regt sich etwas Entwicklungsfähiges. Eine Klage über den Tod Karls V. (1558) ist dem Donaufluß in den Mund gelegt; beweglicher als in diesem Grabgesang läßt sich Seckerwitz in einer früheren, ebenfalls auf den Trauerton gestimmten Elegie vernehmen, seiner „Klage Deutschlands über die Bürgerkriege" („Querela Germaniae de bellis civilibus" 1553). Auch hier ist er keineswegs ursprünglich; die von ihm behandelten Fragen gehörten seit langem zum eisernen Bestand der neulateinischen Dichtung, und die einzelnen Motive lassen sich ebenfalls sämtlich bei Seckerwitz" Vorgängern nachweisen. Aber immerhin! Die überlieferten Gedanken werden doch durch ein lebhaftes Gefühl zusammengehalten, wenn auch manches zu ungleichmäßig herauskommt. Die Hauptmasse der überlieferten Dichtung des Seccervitius gehört dem Greifswalder Aufenthalt an. In Betracht kommen namentlich die beiden Sammlungen „Dänenlieder oder von dänischen Begebenheiten" und den schon genannten „Pommernliedern". Früher entstandene Einzelarbeiten hat er in diesen beiden umfänglichen Bänden 1581 und 1582 zusammengestellt. Am wenigsten vermögen die „Dänenlieder" billigen Ansprüchen zu genügen; sie enthalten überwiegend minderwertige Gelegenheitsgedichte. Besser steht es um die zweite Sammlung. Allerdings wird auch sie von der Gelegenheitsdichtung beherrscht. Zu den Hochzeiten im pommerschen Herzogshause stellt der Poet sich regelmäßig ein, und auch zu anderen Ereignissen am Hofe rührt er seine Leier. Ästhetisch ist der Ertrag freilich gering, aber gelegentlich verdient der eine oder der andere Zug hervorgehoben zu werden; wenigstens gilt das von den drei ersten Büchern, während die beiden letzten nichts Erprießliches bieten. Da steigt etwa nach ausgiebigem Lob der Geschlechter von Braut und Bräutigam in der Stille der Nacht, während das bräutliche Lager die Neuvermählten umfängt, aus den Fluten der Oder Triton mit den Nereiden, ein Brautlied anstimmend; oder Cytherea bringt als Hochzeitsgeschenk
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eine Leinwand, auf welcher die dann im einzelnen beschriebenen Städte Pommerns aufgemalt sind; ein andermal stellt sich zu der um die Weihnachtszeit stattfindenden Feier Pan ein; er begrüßt zuerst den König der Menschen, die Zierde der Götter, Immanuel, die Hoffnung und das einzige Licht des gefallenen Geschlechtes; dann ruft er die Nymphen zusammen, verkündet ihnen das frohe Ereignis und spornt sie zur Anfertigung von Geweben an, auf denen das die Brautleute Erfreuende dargestellt werden soll; in sich anschließenden Liedern wird dann der Inhalt dieser Bilder entwickelt. Neben den mythologischen erscheinen auch allegorische Gestalten: die Frömmigkeit beklagt sich darüber, daß noch kein Fürst sein Leben fleckenlos geführt habe, auch David sei durch die Weiber verführt worden, Herakles und Alexander der Große wären auf gleiche Weise zugrundegegangen; aber während sie noch in den trüben Betrachtungen verweilt, kommt zu ihr die Göttin, die nahe bei dem Stuhle Jupiters sitzt (Athene), sie erzählt von dem Hochzeiter Barnim von Pommern, seiner Abkunft, seiner hohen Tugend und fordert sie auf, ihm beizustehen; die Frömmigkeit erklärt sich mit Freuden dazu bereit, da sie von jeher Barnim und dessen Haus besondere Zuneigung entgegengebracht habe; in Hochzeitswünschen klingt das Ganze aus. Die Verwandtschaft aller dieser Motive läßt sich nicht verkennen; fast immer wird der Abschluß durch Lieder herbeigeführt, bei denen der gleiche Anfangsvers als Refrain wiederkehrt; in dem zuletzt erwähnten Gedichte sind es die Musen und Najaden, anderwärts die Nereiden, dann wieder Pans Nymphen, die den Brautgesang (mehrfach in strophisch abgeteilten Hexametern) anstimmen. Auch die Eldoge wird gelegentlich zu höfischer Schmeichelei und Darlegung eines bis auf Widukind hinabreichenden fürstlichen Stammbaums verwendet. Die fürstlichen Beamten erhalten ebenfalls ihren gebührenden Anteil; so werden die Räte Johann Friedrichs von Stettin zu gemeinsamer Beweihräucherung in einer christlich umgedichteten „stettinischen Argo" zusammengepfercht. Größere Ansprüche als alle die genannten Gelegeneitsarbeiten stellt das von dem gleichen Sinn beseelte Reisegedicht, in dem die Fahrt des Herzogs Bugislaus des Großen nach Jerusalem beschrieben wird. Wie in den meisten gleichartigen Erzeugnissen ist die Behandlungsart ganz episch. Die Göttin Gnosis, vom Vater Polyhistor erzeugt, regt zu der Reise an; Bitten und
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Tränen der Gemahlin vermögen Bugislaus nicht zurückzuhalten; der Verfasser folgt nun seinem Helden auf der Reise durch Deutschland, wobei Nürnberg ein begeisterter Preis zuteil wird; dann geht es weiter. In rechten Zug kommt die Beschreibung jedoch erst nach der Abfahrt von Venedig. Da geben die bekannten Requisiten den Anstoß zu effektvoller Malerei; ein furchtbarer Sturm, Angriff durch türkische Seeräuber, Widerstand scheinbar aussichtslos, im letzten Augenblick greift die Göttin ein, die Aeneas und Alexander den Großen beschützt hat ; sie wendet sich mit erfolgreichen Bitten an den höchsten Vater, und dieser läßt ein schreckliches Ungeheuer aus dem Erebus aufsteigen, das den Türken in den Rücken fällt und Bugislaus Befreiung schafft. Der weitere Verlauf der Reise bietet nichts Bemerkenswertes; aber die bewegten Szenen verraten ein darstellerisches Geschick; um es zu würdigen, muß man freilich von den neulateinischen Geschmäcklein absehen können. — In allen diesen Dichtungen zeigt sich Seckerwitz als höfischer Poet, mit den Schattenseiten eines solchen; da ist denn zur Ergänzung des Bildes ein Hinweis darauf notwendig, daß nach Humanistenart ihm die edle Abkunft erst dann am preiswürdigsten erscheint, wenn sie sich mit wissenschaftlicher Bildung verbindet. Diesen Gedanken hat er in seiner Betrachtung „vom doppelten Adel" nicht übel ausgeführt: ,,Multa quidem gencris vis, et de sanguine patrum Saepe vigor natos transit generosus in ipsos. Nec leo magnanimus leporem cervumque fugacem, Alituum aut timidam generat regina columbam, Sed tarnen ingenium studiis excercet et usu Confirmât recto vigilique assuescit honesto Assiduus cura, si quem pudet indolis altae, Degenerique decus maiorum linquere vita." —
Im ganzen konnten von dem in den Pommern- und Dänenliedern behandelten Stoffgebiet keine Allgemeinwirkungen ausgehen. Nur ausnahmsweise zieht ein Gedicht um seines Gegenstandes willen an, so etwa die in kräftigen Farben gehaltene Schilderung der Pest in Anklam. Auch Individuelles blickt selten durch, und offensichtliche Bekenntnisse persönlicher Art werden in wunderlich verhülltem Ausdruck dargeboten. Am stärksten durchpulst das persönliche Leben noch den Anfang
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des Berichtes, den Seckerwitz in den „Dänenliedern" von seiner Reise nach Dänemark erstattet; die lebendige Teilnahme, mit der der Poet hier Reiseerlebnisse und Landschaftseindrücke z u anschaulichen Bildern umschafft, führt ihn über das Schablonenhafte der Gelegenheitsdichtung hinaus. Am Lebensende lenkte unser Poet wieder in die religiösen Anfänge der Jugend zurück. Seine „Ephemeris christiana" (1583) gibt mehr als ein halbes Hundert Oden in den verschiedensten lyrischen Maßen. Jeder Wochentag ist mit einem Gebet bedacht, Morgen- und namentlich Abendbitte wird vorgetragen und mannigfach variiert; die einzelnen Lebensverhältnisse bieten Gelegenheit zu längerem Verweilen; der Dichter bringt seinen Dank für die Wohltaten Gottes dar, er bittet um Stärkung in Hoffnungsfreudigkeit und Demut, im Kampfe gegen den Satan; er betet für die frommen Gatten, für die Kranken, für die Ungläubigen, die Gefeingenen usw. Den Stil mag die nachfolgende Stelle aus einem Abendgebet vergegenwärtigen; sie kann zugleich zeigen, wie der offizielle Psalmenerklärer auch da mit biblischen Gedanken (Psalm 23) arbeitet, wo er es nicht ausdrücklich am Rande vermerkt: ,, Vallis triste licet -per nemus horridae Nigranti nebula septus, obambulem, Securus gradiar te duce: nec metu Exangui pavidum cor male concidet. Sustentabit enim me tua virgula, Solamen dubiis et regimen viis." Inhaltlich kommt nach alledem den Hauptwerken des Seccervitius nur ein sehr bedingter Wert zu. Anders verhält es sich mit der Form. Hier ist der Aufstieg unverkennbar; ein Vergleich mit den Jugendwerken lehrt, wie sehr sich der Poet in der Darstellung und der Handhabung des Verses vervollkommnet hat. Trotz der erlangten Gewandtheit bleibt aber das Schaffen doch am Äußerlichen haften; der Nachlebende meint den Gegensatz zwischen dem stelzenhaft einherschreitenden Poeten und dem liederlichen Tübinger Professor herauszufühlen, der, wahrscheinlich zur Freude des johlenden Pöbels, in der Betrunkenheit seine Bücher zum Fenster hinauswarf. Lieber als manche höfische und geistliche Erfindung vernähme man zuweilen einen echten Ton aus der Sphäre dieses Kneipen- und
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Bummellebens. Aber nur leise klingt er gelegentlich in dem „dänischen Reisegedicht" an. Darf man den poetischen Äußerungen trauen, so hätte sich Zacharias Orth, der einheimische Lyriker Pommerns, durch seinen Widerwillen gegen jedes Übermaß von dem trunkfesten Seckerwitz abgehoben. Aber wenn er wirklich das anfeuernde Hilfsmittel der Poeten nicht nach Gebühr schätzte, er war doch keine in den regelmäßigen Geleisen des Daseins einherschreitende Persönlichkeit. Daß etwas von der Unruhe des Dichterblutes in ihm steckte, lehrt der Verlauf seines Lebens. Wie es scheint, aus dürftigen Verhältnissen stammend, wurde Orth um 1535 in Stralsund geboren; in Lübeck hat er wohl die Schule besucht, 1555—57 studierte er an der Universität Rostock, wo er schon 1556 von dem wunderlichen, durch den Kaiser zum Pfalzgrafen ernannten „Despoten von Samos" Jakob Heraklides oder Basilikus den Dichterlorbeer empfing; merkwürdigerweise wurde diese Krönung später noch zweimal von Ferdinand I. und Maximilian II. wiederholt. 1557 ging Orth nach Wittenberg; hier trat er in innige Beziehungen zu Melanchthon; da dieser nach seiner Art als poetischer Ratgeber die Kinder von Orths Muse sorgfältig betreut hat, so müßte man Orth zum Wittenbergischen Poetenkreise zählen, wenn nicht die Anfänge seines dichterischen Schaffens in frühere Zeiten zurückreichten. In Wittenberg erhielt er eine Professur, er las über Homer und Cicero ; seine Lehrtätigkeit leitete er mit einer ganz verständigen Rede „über die Dichtkunst" ein. 1559 wurde er als Professor der Poesie nach Greifswald berufen; 1561 verließ er diese Stadt, um nach Schweden zu gehen, 1562 war er in Stralsund, dann mehrfach in Wittenberg, 1564 in Wien, 1566 findet man ihn dann in Königsberg, wo ihm 1567 eine Oberinspektorstelle am Alumnat der Akademie mit auskömmlichem Gehalt übertragen wurde. Aber auch hier hielt er nicht lange aus, 1570 soll er schon wieder in Pommern gewesen sein. 1572 und 73 befindet er sich auf Reisen in Oberitalien und Westdeutschland; dann ist er längere Zeit nicht nachweisbar; 1578 erscheint er in Stettin und stirbt ein Jahr später (2. Aug. 1579) zu Barth in Pommern. Ein unruhiges Wanderleben! Offenbar machte die geringe Neigung zur Seßhaftigkeit es Orth unmöglich, irgendwo festen Fuß zu fassen. Immerhin ist er wohl keiner von den Dutzendmenschen gewesen ; und dieses Hinausstreben aus der Alltäglichkeit erweckt un-
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willkürlich die Erwartung, daß der Dichter wirklich etwas zu sagen hatte. In der Tat hat Orth wenigstens e i n e Leistung aufzuweisen, die ihm innerhalb der neulateinischen Poesie einen guten Platz sichert: sein später zu besprechendes Städtegedicht auf Stralsund, von Heimatsgefühl belebt, zeichnet sich durch anmutende Frische aus. Wenn man von diesem eindrucksvollen Werkchen zu der eigentlichen Lyrik Orths übergeht, so wird man freilich enttäuscht. Außer einigen Gelegenheitsgedichten besitzen wir von Orth noch ein „erstes" Buch seiner „carmina" (1562); ein zweites scheint nicht zustande gekommen zu sein. Alle darin enthaltenen Stücke sind elegisch. Die Sammlung bietet mehrere Gelegenheitsgedichte, so einen Trauergesang auf den Tod des Pommernherzogs Philipp I. mit den üblichen Lobpreisungen und einer ebenfalls innerhalb der neulateinischen Poesie hergebrachten Erfindung: der Sterbende versammelt seine Kinder um sich und erteilt ihnen weise und fromme Ratschläge. Auch seine Ankunft im Olymp wird dann nach der bekannten Weise ausgemalt: der Dichter vermag das, da ihn Urania mit den nötigen Nachrichten versorgt hat. Eine früher entstandene Elegie mahnt den Herzog Philipp zur Unterstützung der Musen, die allein imstande seien, den Großen der Erde Unsterblichkeit zu verleihen. Wie dieser, so kehrt auch ein anderer Grundgedanke der neulateinischen Poesie mehrfach wieder, nämlich der, daß wahrer Adel auf Wissenschaft und Frömmigkeit beruhe. Wohl anläßlich seiner Dichterkrönung widmete Orth dem wunderlichen „Pfalzgrafen" Jakob Heraklides eine Elegie; ungezwungen bietet sich hier im Hinblick auf Abkunft und Ansprüche des Hospodars Gelegenheit, von der Knechtung Griechenlands sowie von der Türkengefahr zu reden, und der Dichter kann nicht umhin, die früheren Taten der freiheitsliebenden deutschen Jugend mit ihrer jetzigen Untätigkeit zu vergleichen. Die Gründe für diesen Niedergang findet er teils (wie viele andere seiner Dichterkollegen) in den Bürgerkriegen, teils in dem Versiegen der ursprünglichen Kraft; dann fährt er fort: „Dum tu posl calidas fornaces otia tractas, Regna sibi hello Turca manuque rapit. Ludicra dumque soles in circo spargere bella, Ille tibi nimium seria bella gerit.
ZACHARIAS
ORTH.
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Dum cane venairix cingisque indagine saltus, Ille feris atmis extera regna capit." Neben diesen und ähnlichen Stücken stehen Zeugnisse seiner Wittenberger und Greifswalder Lehrtätigkeit: poetische Einladungen zu Vorlesungen, wie sie seit den Tagen des Humanismus so häufig gegeben worden sind; sie setzen in der Weise und in der Begrenztheit der Zeit die Vorzüge des zu behandelnden Gegenstandes auseinander. An den Wittenberger Aufenthalt gemahnt auch eine Elegie an Melanchthon, voll warmer Verehrung für den Vielgeliebten; sie ist in Greifswald entstanden und bildet ein neues und schönes Zeugnis für die uns schon bekannte Tatsache, wie eifrig Melanchthon darauf bedacht war, die neulateinische Poesie zu fördern, ein Streben, das auch Orth selbst vielfach zugute gekommen ist und das er nun, von Melanchthon entfernt, schmerzlich entbehren muß: „Nam sicut Musas crinitus Apollo gübernat, Scribendi dictat materiamque suis, Attenlaque sonos Musarum examinat aure, Spongia dum versus imbibit uda rüdes, Scripta poetarum sie lima, docte Melanthon, Emendas animi candidiore tui, Materiamque tuis dictas quandoque poelis Summus Apollinei dux decusque chori, Iudiciique quandoque dolos viliosa dolabra Carmina, iudicio missa probanda tuo." Aber Melanchthon ist ihm nicht bloß eine geistige Stütze gewesen. „ .... non ingenii tantum formator et artis, Corporis et pariter causa salutis eras," denn als Orth sich einst auf der Jagd eine schwere Erkältung zuzog und von ausdörrender Fieberglut und Atemnot gequält wurde, da hat ihn Melanchthon in sein Haus genommen und ihn wieder gesund gepflegt. Die persönliche Wärme hilft hier über die steifleinene Art des Neulateinertums hinweg. Eine zweite persönliche Beziehung führt ebenfalls zu einer lebendigen Aussprache. Von Wittenberg aus war Orth mit dem sogleich näher zu betrachtenden Heinrich Moller, dem Erzieher des schwedischen Prinzen Gustav, in Verbindung getreten, höchstwahrscheinlich hatte schon vorher eine persönliche Bekanntschaft zwischen
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beiden Männern stattgefunden. Von Holm aus richtete nun Moller 1558 an den in Wittenberg weilenden Orth ein kleines Begleitgedicht zu einem Bilde; er nimmt hier Apollo und Bacchus in gleicher Weise als Patrone der Dichter in Anspruch und empfiehlt auch Orth beiden Gottheiten, damit ihm ebenso Verse wie Wein zuteil werden möchten. Aber da kam er bei Orth übel an. War dieser nun wirklich in seinem landfahrenden Leben einem guten Trünke abhold geworden, oder beeinflußte ihn im Augenblicke die Wittenberger Luft — genug, er wurde in seiner Antwort zum Apostel der „goldenen" Nüchternheit und somit zu einem Vorläufer des später zu behandelnden Mäßigkeitsvereins, der sich um Posthius und Melissus scharte. Der Wein erscheint ihm als ein Hindernis des Schaffens, nicht aber als eine Anregung dazu: „Non iuvat Aonios Bacchusque merumque poetas, Ui Clario scribant carmina digna deo. Impedit ille magis nervös venamque Camoenae, Ingeniique hebetat dona diserta boni."
Im ganzen handelt es sich also bei diesen beiden Gedichtbändchen nur um eine magere Ausbeute. Noch geringwertiger sind die beiden bekanntgewordenen Gelegenheitsgedichte. Doch mag das eine von ihnen um seines Gegenstandes willen hervorgehoben werden: es ist zur Hochzeit Annas, der Tochter des Sabinus, der Enkelin Melanchthons, mit Eusebius Menius, dem Sohne des Justus Menius, 1558 verfaßt: Hoheit und Würde des Ehestandes erglänzen im hellsten Lichte; daß Unkeuschheit die verdiente Strafe findet, wird an zahlreichen Beispielen nachgewiesen, so z. B. an der in Wittenberg auch episch behandelten Geschichte von den Töchtern des Scedasus; als Vertreterinnen treuer Gattenliebe erscheinen die Turteltaube und Artemisia von Halicarnaß; schließlich gibt die Abkunft der Braut noch Gelegenheit, von Sabinus, insbesondere aber von Melanchthon zu sprechen; neben ihm erhält jedoch Camerarius, der Freund von des Bräutigams Vater, begeistertes Lob, und bei dieser Gelegenheit taucht schon die gleiche Erfindung auf wie in dem Gediehtbändchen, daß nämlich Pallas und die Musen das durch die Türken geknechtete Griechenland verlassen haben und nach Germania geflohen sind, „In
qua nunc multi vena praestante poetae Pindaricis pulsant aemula piectra modis."
HEINRICH
MOLLER.
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W e s t p r e u ß e n . In Elbing hatte der bekannte niederländische Dramatiker Guilielmus Gnapheus seine Schüler zu poetischen Übungen angeregt, und als Frucht dieser Bemühungen erschien schon 1541 eine kleine Sammlung von Gedichten. Aber zu einem wirklichen Aufschwünge der Lyrik kam es in Westpreußen nicht. Der Hauptvertreter wurde vielmehr auch hier ein von außen Kommender, der soeben im Zusammenhang mit Zacharias Orth genannte Hesse, Heinrich Moller, geb. 1528 zu Witzenhausen, Erzieher des Prinzen Gustav von Schweden, hierauf Lehrer in Culm und zuletzt bis zu seinem Tode (1567) Rektor des Gymnasiums in Danzig. Freilich ist auch er über den Durchschnitt nicht hinausgekommen. Am annehmbarsten erscheint er noch in seinen Gelegenheitsgedichten; da greift er herzhaft zu, und diese Stücke sind daher nicht ohne Frische. So etwa sein Hochzeitsgedicht: „Capricormis" (1566). Der Poet läßt sich hier von Urania das Sternbild des Steinbocks deuten und aus dem Stand des Gestirns günstige Aussichten für die Zukunft des neuvermählten Paares herleiten; auch im einzelnen bringt er manchen gewinnenden Zug; so feiert er Magdeburg, die Heimatstadt des Bräutigams, in eindrucksvoller Weise: ,,0 Magdeburga, boni quae clararn Hominis urbem Albidos ad rapidi jlumina magna tencs, Et dccus es tutata tuum, velut arcis Amazon, Expeterent plures ut- tua serta proci." Wo sich Moller jedoch an größere Aufgaben wagt, erlahmt seine Kraft leicht. Das zeigt sich namentlich in seinem Hauptwerk, den „drei Büchern heiliger Gedichte" (1564). Sie geben im ersten Buche Gebete und Danksagungen von Männern des Alten Testaments: Moses' Danklied, Exodus 15; Moses' Gebet, ebd. 32; Lobgesang Davids, Könige 2 , 7 ; Rede Nehemias, Nehemia 1 usw. Es war des Dichters Absicht, alle in der heiligen Schrift vorkommenden liedartigen Stücke in ähnlicher Weise zu bearbeiten. Er erzählt nun in dem poetischen Vorwort ganz hübsch und mit zweckmäßigen Bildern, wie er gerade im besten Zuge gewesen, als plötzlich Adam Sibers gleichartige Arbeit erschienen wäre. Daß mit dem Glänze dieses Buches das seinige nicht in Wettbewerb treten könnte, wurde ihm alsbald klar, und so wollte er schon seine Musen ins Wasser werfen; da baten sie ihn um Schonung und forderten ihn auf, jemanden zu suchen, der
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sie aufnehme. Als er das unter dem bekannten Hinweis auf die geringe Schätzung der Kamönen ablehnt, verweisen sie ihn auf den Danziger Senat, dem er auch wirklich sein Buch überreicht. Dieses Proömium ist nun tatsächlich das netteste Gedicht des ganzen Buches. Zwar mit Adam Siber, dessen Überlegenheit so willig anerkannt wird, kann sich Moller immerhin noch messen, aber im ganzen verleugnet sich hier die Unfruchtbarkeit der Gattung ebensowenig wie bei Siber. Da er mit dem Anfang des zweiten Buches von seinem ursprünglichen Plane abgeht, so fügt er noch einige andere religiöse Gedichte hinzu; das dritte Buch bringt dann ebenfalls Nachträge, das apostolische Glaubensbekenntnis, Gebete und Betrachtungen, z. B. über die h. Schrift, die Apostel und Evangelisten. Bei den elegischen Umschreibungen der alttestamentlichen Stellen kommt wenig Eigenes zutage. Nur zuweilen stellt sich der Poet eine Lage lebhaft vor und sucht dann dem Gemütsinhalt einigermaßen gerecht zu werden. So wenn er den „Ehebruch Davids mit dem Weibe des Urias" vergegenwärtigen will. Da redet er Bathseba unmittelbar an, wie es ähnlich schon früher Simon Lemnius in seinen Epigrammen getan hatte: „Heu cave, Bathsabe, te rex videt improbus, abde Marmoreumque genu, marmoreumque femurl Heu quantos regi parient tua crura dolores, Haec ipsi melius non piacuisse foret. Blanda puellarum vis, ut Vulcania naphtam Inflammata virüm pectora, forma rapit."
Im zweiten Buche finden sich dann umfangreichere Gedichte selbständiger Art, aber zu den gebräuchlichen Gattungen neulateinischer Poesie gehörig, ein Weihnachtsgedicht, ein Gedicht über die Erscheinung Christi unter den Völkern, ein „Triumph Christi" und die Beschreibung eines in Danzig befindlichen Bildes des leidenden Christus. Das zweite Stück knüpft an die Erzählung von den Weisen aus dem Morgenlande an, das dritte behandelt in gewohnter Weise Christi Sieg über die Hölle. Doch kann man von allen diesen Arbeiten sagen, daß sie mehr betrachtender als schildernder Natur sind. Allerdings läßt sich auch Moller effektvolle Einzelheiten nicht entgehen. Aber er verwendet sie in der Hauptsache dazu, den ihm vorschwebenden allgemeinen Gedanken so kräftig wie möglich herauszuarbeiten.
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Ein Beispiel aus dem „Triumph Christi" wird zur Kennzeichnung des Verfahrens genügen. Es heißt bei der Vergegenwärtigung des Höllenschlundes: „En
undans Phlegethon quantis torrentibus hortet, Quam Styx terribiles evom.it atra globos! En quam Cocytus violenta incendia volvit, Quam Lethe turpes nigra refunäit aquasf Quam tetros Acheron exhalat opacus odores, Quamque vaporosae dira venena picis! Haec nisi restincto siccasset suiphure Christus, Aeterno eluerent crimina nostra lacu."
In den Gebeten des dritten Buches werden manche persönliche Töne angeschlagen; auch zur Charakteristik der Zeit fällt einiges ab; drohend erscheinen in den Bitten die damaligen Hauptschrecknisse: Türke, Hungersnot und Pest; in der Zeit, als man noch mit einer Beteiligung der Protestanten am Konzil von Trient rechnete (1551), fleht Moller zu Gott, daß er die Versammlung auf den rechten Weg leiten möchte. Bei allem Mangel des rein Poetischen wird der Freund des 16. Jahrhunderts doch diese Sammlung nicht ohne Gewinn lesen: auch hier erwärmt der persönliche Zug, obgleich die begrenzte Art, in der er sich äußert, keinen Widerhall mehr zu wecken vermag. — Wie stark sich die durch Melanchthon eingeleitete Richtung auch außerhalb Wittenbergs geltend machte, erhellt aus dem Verlauf dieses Kapitels und tritt auch bei den eben besprochenen Dutzendpoeten hervor. Von den Häuptern des älteren Wittenberger Kreises hat neben Melanchthon am nachhaltigsten Georg Sabinus auf die Folgezeit gewirkt, auch er Melanchthonsche Überlieferungen fortpflanzend, aber anderseits schon aus den Bahnen der zu Wittenberg gepflegten Ideale hinauslenkend. In Ostpreußen und in der Mark sind von Sabinus fruchtbringende Anregungen ausgegangen, und zwei der bedeutendsten Lyriker dieses Zeitabschnittes stammen aus seiner Schule.
E111 n g e r, Neulateinische Lyrik 2.
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Fünftes Kapitel.
Der preußische Schülers und Freundeskreis des Sabinus. Es war kein Zufall, daß die nachhaltige Förderung der neulateinischen Dichtung gerade von Sabinus ausgegangen ist. Seine weltmännisch aufgeschlossene Art erwies sich als durchaus geeignet, begabte Anfänger für die von ihm vertretene Sache zu gewinnen. Und war ihm das gelungen, so taten sein vorbildliches Formtalent und sein Lehrgeschick das Übrige. Daß er zu sehr am Äußeren haftete, daß ihm Tiefe und Ursprünglichkeit abgingen, scheint seinen Schülern nicht zum Bewußtsein gekommen zu sein. Jedenfalls ist es ihm sowohl in Frankfurt wie in Königsberg gelungen, sich und der neulateinischen Dichtung begeisterte Jünger zu erziehen. Als „Hort des Parnassus-Berges" wurde Sabinus durch seinen hervorragendsten Königsberger Schüler gefeiert. Johannes Schosser, genannt Ämilianus nach seinem Geburtsort Emleben, wo er am 11. Oktober 1534 zur Welt kam, studierte fünf Jahre in Königsberg und erfuhr hier den entscheidenden Einfluß des Sabinus. Der Königsberger Aufenthalt wurde ihm wie seinem Lehrer durch die religiösen Zwistigkeiten verleidet, er verließ Ostpreußen, nahm eine Schulstelle in Schmalkalden an, erwarb sich in Wittenberg den Magistergrad, scheint dann noch einmal als Lehrer tätig gewesen zu sein, bis er 1560 als Nachfolger des Sabinus nach Frankfurt berufen wurde. Eine Reise nach Italien ausgenommen, hat er hier in engen Verhältnissen bis zu seinem Tode gewirkt (1585). Schosser hat bei den Zeitgenossen viel Anerkennung gefunden; seine Sprache, sichtlich an Sabinus geschult, zeichnet sich durch Gewandtheit und Wohlklang aus. Aber der Inhalt rechtfertigt
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den Beifall der gleichzeitigen Kritiker nicht. Der Kreis der Gegenstände, den diese L y r i k durchläuft, ist ungemein eng; auch das Religiöse klingt nur leise a n ; doch vernimmt man des Dichters Klage über den Zustand der Kirche und seine Fürbitte für sie; im Namen des Rektors der Wittenberger Universität erfleht Schosser den Schutz Christi für Lehrer und Lernende, und in einer annehmbaren Elegie mahnt er die Menschen, die gern mit Christus Zusammensein möchten, zum Abendmahl in die Kirche zu eilen, dort würden sie Christus finden. A b e r der größte Teil von Schossers Lyrik geht ganz in der landläufigen Gelegenheitsdichtung auf, so seine Ekloge und die Hendekasyllaben. Nicht viel anders verhält es sich mit den Elegien. In der üblichen Weise spuken mythologische und allegorische Gestalten. Anläßlich der Hochzeit eines Arztes wird der ränkevolle Sproß der Venus hart darüber angelassen, daß er auch vor den gelehrtesten Männern nicht den mindesten Respekt hat. Eine solche scherzhafte Verwendung des hergebrachten Zierates kann man sich wohl gefallen lassen; wesentlich frostiger mutet die folgende Erfindung an, die freilich ebenfalls schon durch die Überlieferung vorbereitet war. Schosser will das Epos Joh. Bocers: „ D i e dänischen K ö n i g e " verherrlichen. D a führt er den Dichter selbst vor, wie er das Gestade der Dänen betritt und dort eine ganz von Papier umhüllte Nymphe trifft, die ihn auffordert, auf ihre T u n i k a die Geschichte der dänischen Könige zu schreiben, deren Inhalt sie ihm in Kürze andeutet. Lebhafter als hier geht es bei der Beglückwünschung eines Witwers zur zweiten Hochzeit zu, wo die Weisheit, die Gerechtigkeit (Astraea), die Kriegsgöttin und Sophrosyne benutzt werden, um Braut und Bräutigam teils erzählend, teils charakterisierend zu erheben. Ein andermal erscheint die Heilkunde in eigener Person und fordert einen medizinischen Studienfreund des Verfassers auf, nicht in der Verborgenheit zu bleiben, sondern sich aufzumachen und seine Kenntnisse in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen. Erzählende Elemente müssen neben den allegorischen ebenfalls zur Belebung herhalten: so wird in einem pomphaften Hochzeitsgedicht an einen weifischen Fürsten die Geschichte von den Weibern zu Weinsberg ausführlich wiedererzählt. Kleine Natur- oder Zustandsschilderungen in diesen und ähnlichen Stücken lassen erkennen, daß Schosser Besseres geleistet haben würde, wenn er sich nicht fast ausschließlich diesen unfrucht18»
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baren Gattungen zugewendet hätte. Namentlich ist es zu bedauern, daß er so selten die eigenen Empfindungen zu gestalten versucht hat. Denn wo er es tut, zeigt er, daß er sehr wohl imstande war, den individuellen Ton zu treffen. In einer Elegie klagt er z. B. über die Unsicherheit seiner Lebensaussichten. Zwei Landschaften winken und versagen sich ihm zu gleicher gleicher Zeit, seine Heimat und Preußen; aber in seiner Heimat tobt der Krieg, da ist er nicht am Platze, weil er auch unter Waffen und Trommeln nur auf Verse sinnen würde, und in Preußen haben die religiösen Streitigkeiten das Land den Musen entfremdet, daher bietet sich ihm auch dort keine Stätte; so steht er unschlüssig; er vergleicht sich mit dem Schiffer, der in dem vom Sturm aufgewühlten Meere nicht weiß, wohin er den Kiel lenken soll. Ähnliche leise Lyrik findet sich aber selten, und nur manche allgemeine Gedanken erscheinen noch durch persönlichen Ton belebt, so die Klage über das Darniederliegen der schönen Künste, so die Mahnung an die Studiosen, sich der deutschen Geschichte zuzuwenden, und der Hinweis darauf, daß es an einem Sänger fehle, der die Gestalten der Vorzeit zu neuem Leben erwecken könne. Bei dieser Auseinandersetzung wird Schosser besonders warm; denn er berührt ein wichtiges Feld eigener Bestrebungen auf epischem Gebiete. Von diesem soll später die Rede sein. Unter den übrigen Königsberger Schülern des Sabinus, die sich dichterisch versucht haben (David Milesius, Valerius Fiedler, Michael Hecht), verdienen nur zwei eine nähere Betrachtung, obgleich auch sie zu den Dutzendpoeten gehören: Andreas Münzer und Felix Fiedler. Das wesentliche Ergebnis von Münzers Tätigkeit liegt in seinen drei Büchern Elegien (nebst einigen Eklogen 1550) vor; einzelne Gelegenheitsgedichte kommen daneben kaum in Betracht. Das Urteil über diese Früchte seines Geistes müßte günstig ausfallen, wenn es auf Münzers eigene Ansicht über sein Können ankäme. Denn er wird nicht müde, die Macht des Sängers zu preisen und den Mäzenaten ewigen Nachruhm in Aussicht zu stellen; dem Rat von Elbing verheißt er, daß die Stadt durch sein Lied so fortleben werde wie Mantua durch Virgil. Dem heutigen Beurteiler wird freilich das Selbstgefühl des Poeten schwerlich berechtigt erscheinen; denn das, was er hervorgebracht, überragt die Dutzendware nicht sonderlich. — Der
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Kreis, in dem sich Sabinus bewegte, ist auch der Münzers; er wendet sich mit Lob- und Trostgedichten an Herzog Albrecht I. und spendet ihm reichlich wegen der Gründung der Universität (des Gymnasiums) Weihrauch; er gibt poetische Grabschriften auf Petrus Bembus; er sucht Sabinus beim Tode Annas aufzurichten. Was ihn namentlich auszeichnet, wird wohl ebenfalls auf die Rechnung des Sabinus zu setzen sein: trotz gelegentlicher Verstöße verrät sein Versbau eine ungezwungene Leichtigkeit. Weniger kann man sich inhaltlich mit den Dichtungen einverstanden erklären. Unter den Elegien ragen zwei besonders hervor, eine allegorische Heroide und eine „Klage Christi über das menschliche Geschlecht". Die Heroide weist deutlich auf italienische Vorbilder (vgl. Band x, S. 8 8 f . ) ; Graecia schreibt an Germanien, um dieses zum Kampf gegen die Türken aufzufordern. Sie weist auf ihr früheres Glück und dessen Vernichtung durch die Türken hin und legt die Gründe dar, aus denen Deutschland verpflichtet sei, ihr Hilfe zu leisten. Zuweilen fällt wohl ein Wort, dem man die innere Anteilnahme anmerkt, aber die Schilderung der Blüte Griechenlands bleibt in der entsetzlichsten Prosa stecken. Die „Klage Christi" bringt zuerst das, was man nach dem Titel erwartet: Christus beschwert sich am Anfange über die Undankbarkeit der Sterblichen. Dann aber erfolgt in einer, nach der Anlage des Gedichtes unberechtigten Ausführlichkeit die Geschichte v o n . Sündenfall und Erlösung. Dabei werden zwei Fehler begangen: einmal verweilt der Dichter eingehend auf Episoden, die ihn anziehen, obgleich sie für den Gegenstand gar nicht in Betracht kommen, und dann gibt er eine Zeitlang die gewählte Form des Monologs vollständig auf; erst am Schlüsse lenkt er wieder in den Ton des Anfangs zurück. Die poetische Absicht ist jedenfalls nicht überall richtig durchgeführt, obgleich manche Vorgänge dem Verfasser lebhaft vor Augen stehen, so wenn die Nachricht, daß der Sohn sich zum Sühnopfer entschlossen, bis in die Tiefen der Hölle dringt, und die Väter darüber jubeln, daß nun die Verkündigungen der Propheten sich erfüllen: „Nascere, sancte puer, nos, nos his eripe poenis, — Duraque viclrici vincula rumpe manu!" — Von den Eklogen ist die erste am bemerkenswertesten; folgt Münzer sonst durchaus den Spuren des Sabinus, so weicht er hier von dessen Anschauungsweise ab. Sabinus, obwohl Melanchthons Schwiegersohn, war kein eifriger Protestant; das religiöse Bekenntnis scheint bei
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ihm mehr eine Sache des Zufalls als innerer Überzeugung gewesen zu sein. Anders Münzer. Ihm war offenbar der evangelische Glaube Herzenssache. Und davon legt die Ekloge Zeugnis ab. Der Dichter will ein Bild aus seiner Zeit geben. Zwei Hirten werden vorgeführt, ein alter und ein junger. Der alte ist papistisch, der junge hängt dem Luthertum an. Der alte preist die früheren Zustände, und als der junge ihm scharf entgegentritt, gerät er in heftigen Zorn und ruft Jupiters Blitzstrahl auf die Irrgläubigen herab. Da aber fühlt er im Geiste heftige Schmerzen, er sieht darin die göttliche Strafe für den ausgesprochenen Fluch und bittet den anderen Hirten, ihm mit einem religiösen Heilmittel zu helfen. Dazu ist der jüngere sofort bereit. Der alte nimmt die Belehrung willig an und dankt freudig dafür, daß er, der in Finsternis versenkt war, nun mit dem lebendigen Strome des Lichtes gereinigt ist. Dann vereinigen sich beide im Gebet. — In der Tat, unter hirtenmäßiger Verkleidung ein Disput, wie er damals oft geführt sein mochte. Nur daß freilich durch göttliches Eingreifen dem Protestanten die Bekehrung allzu leicht gemacht wird. Auch die beiden anderen Eklogen sind religiöser Natur, wirken aber weit weniger lebendig. — Damit ist das Wesentlichste von Münzers Schaffen bezeichnet; im ganzen eine recht magere Ausbeute. Bekannter als Andreas Münzer ist Felix Fiedler (f 1553) geworden, ebenfalls Sabinus' treuer Schüler in Königsberg. Freilich, was ihm unter den Zeitgenossen besonderes Ansehen verschafft hat, wird heute keinen Widerhall mehr erwecken; es ist seine später zu besprechende „Beschreibung der Flüsse Deutschlands". Aber auch sein sonstiges Schaffen bleibt im Äußerlichen stecken; nur ausnahmsweise gelingt einmal ein annehmbarer Wurf. So etwa in der kleinen Elegie: „Die Wurzel der Leiden" (1549); s i e m a g ihre Entstehung einer trüben Stunde verdanken, da der Poet sich durch die Vorstellung der Erbsünde bedrückt gefühlt hat: das Kraut, das alle Leiden hervorruft, hat ein Drache gepflanzt, aber nicht der Drache des Kadmus, sondern die Schlange, die Eva verführt hat: „Pessime flos, quali referam tua crimina versu, Nempe Lycambeo carmine digna cani."
Allein in der Sammlung seiner Gedichte findet sich verhältnismäßig wenig Brauchbares. Meist Gelegenheitsarbeiten, zum Teil
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pastoral g e f ä r b t ; zu Hochzeiten und Todesfällen stimmt der Poet seine Leier, ohne daß irgendeine Erfindung hervorstäche; von verhältnismäßig günstiger Seite zeigt er sich in der einen Gönner preisenden E k l o g e : „Philotes". Die stärkste Wirkung erreichen zwei an Sabinus gerichtete Elegien. E s sind zwei Reisegedichte (Propemptica), obgleich der Name hier nicht ganz p a ß t : den Ausgangs- und E n d p u n k t bildet die Reise des verehrten Lehrers von Preußen nach Sachsen. In der ersten Elegie malt Fiedler dem Reisefertigen die Gefahren und Beschwerden des Weges aus, Kriegsunruhen, kalte Witterung, Sturm. Wenn ihn aber das alles nicht abschrecke, so sollten die Kinder den Vater küssen und ihn bitten, die Reise zu unterlassen. Nun hat Sabinus die Fahrt angetreten; seit seiner Abreise ist geraume Zeit verflossen; und der Dichter vergegenwärtigt in der zweiten Elegie zunächst die Gemütslage, in welche die Freunde durch das lange Ausbleiben des Allverehrten versetzt werden; sie fürchten schon, daß er die Heimkehr vergessen haben könnte, d a erschallt die Nachricht von seiner A n k u n f t . Das zweite Gedicht bringt manches Geschraubte, künstlich Aufgebauschte, während das erste sich durch anmutende Züge auszeichnet. Von den übrigen Schülern des Sabinus kann Bernhard Holtorp als Epiker Beachtung beanspruchen, insbesondere durch seine „ W a n d e r u n g des Stanislaus Lasco" (1548); für eine Geschichte der L y r i k kommt er kaum in Betracht. A n hervorstechenden Erscheinungen ist der Kreis überhaupt a r m ; nur einer ragt über das Mittelmaß empor, allerdings kein Schüler, sondern ein Freund des Sabinus, der Zeit nach in die Anfänge der neulateinischen Literatur, ja in die Blütezeit des Humanismus zurückreichend, Johannes von Höfen oder Flachsbinder, nach seiner Vaterstadt Danzig Dantiscus genannt. Geboren den 31. Oktober 1485, studierte er schon als K n a b e in K r a k a u und k a m frühzeitig in den Dienst des polnischen Hofes. Nach einer Reise, deren Ziel ursprünglich nur Italien sein sollte, die ihn aber bis ins heilige Land führte (1504—5), schloß er seine juristischen, theologischen und humanistischen Studien in K r a k a u ab und widmete sich mit verdoppeltem Eifer dem Hofdienst, in Staatsgeschäften und diplomatischen Sendungen ein ungewöhnliches Geschick an den T a g legend. Für seine der polnischen Krone geleisteten Dienste wurde er 1530 durch das Bistum Culm, 1537 durch den ermländischen Bischofssitz belohnt; in Frauenburg ist er am
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27. Oktober 1548 gestorben. Der Kreis der bedeutenden Menschen, mit denen er auf ausgedehnten Gesandtschaftsreisen in Bejührung kam, war groß; in Spanien schloß er mit Ferdinand Cortez Freundschaft; wichtiger noch war sein vertrautes Verhältnis zu Copernikus (Band 1 , S. 404), der ihn auch zur Herausgabe seiner ersten Dichtung angeregt zu haben scheint. Überhaupt standen die Vertreter humanistischer Wissenschaft und neulateinischer Poesie Dantiscus' Herzen besonders nahe; großherzig unterstützte er Eoban Hesse, und von Frauenburg aus trat er in freundschaftliche Beziehungen zu Sabinus. Als Mäzen des Sabinus und seiner Freunde kann er dem ostpreußischen Poetenkreise zugerechnet werden. Allerdings war er schon ein ausgewachsener Versmacher, als er mit Sabinus in Verbindung trat. Unter den Gedichten, die der höfischen Stellung des Dantiscus beim Polenkönige ihren Ursprung verdanken, ist das erste (1512) noch verhältnismäßig am frischesten. Es feiert die Vermählung des Königs Sigismund mit der Prinzessin Barbara. In der üblichen Weise werden mythologische Figuren herbeigezogen. Juno preist die Eigenschaften Sigismunds und schlägt vor, ihm eine Genossin zu geben; Venus tritt aber schon mit einem fertigen Plane hervor: denn Amor hat ihr von der Schönheit einer Jungfrau berichtet, und auf seinen Vorschlag ist sie mit ihm herabgestiegen; der kleine Liebesgott sendet den Pfeil in das Herz der Schönen, und Venus selbst weiß die Keuschgesinnte und nur nach Betätigung ihrer Keuschheit Strebende dem Ehebunde geneigt zu machen. Trotz mancher Wunderlichkeit ein lebendiges Werkchen. Merkwürdigerweise zeigt sich der Dichter, wo größere Vorwürfe an ihn herantreten, weit weniger kräftig und selbständig. Der im Jahre 1 5 1 4 begonnene Krieg Sigismunds mit den Russen und die Dinge, die sich unmittelbar an den Krieg anschlössen, haben ihn mehrfach zur Betätigung angeregt; eine „silva" preist den Sieg Sigismunds, ein Gedicht an Richard Bartholinus gibt eine Gesamtwürdigung seiner Heldentaten, ein anderes (1515) schildert die Reise des Polenkönigs nach Wien zu der Zusammenkunft mit Maximilian I. und Ladislaus von Ungarn. Daß Dantiscus allen diesen Ereignissen beigewohnt, würde man aus der Art dieser Stücke schwerlich erschließen können, wenn man es nicht schon wüßte. Nur zuweilen nimmt die Darstellung einen höheren Aufschwung, so wenn in der „silva" nach der Schilderung der Umtriebe der
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Feinde das plötzliche Erscheinen Sigismunds vergegenwärtigt wird, wie er schnell mit Heeresmacht heranzieht, die Feinde überwältigt und sie der verdienten Strafe überliefert. Aber im ganzen herrscht eine ermüdende Aufzählung vor, und dankbare Motive, wie z. B. der Übergang über die Sudeten in Sturm und Regen, werden nicht ausgeschöpft. Viel anziehender erscheint uns Dantiscus bei der Entwicklung von Gedanken, die nur mittelbar mit den behandelten geschichtlichen Ereignissen in Verbindung stehen: so wenn der Freund des Copernikus zweimal mit Nachdruck die Gesetzmäßigkeit alles Geschehens dartut, oder wenn er die Zwietracht der Menschen beklagt und darauf hinweist, daß Eber, Bär und Drache nicht gegen ihresgleichen wüten. Daß jedoch Dantiscus eine kräftige, wirklich poetische Sprache zu Gebote stand, sobald ein starkes Gefühl seine Seele bewegte, lehrt ein nicht allzulange nach diesen Versuchen entstandenes Liebeslied: „An Grinäa" (um 1517), leider das einzige seiner Art, das sich erhalten hat. Es ist der Trennungsschmerz, der zu Worte kommt; den Dichter zwingt sein Beruf, von seiner italienischen Geliebten zu scheiden. Mit allgemeinen Gedanken über das unglückliche Los der Liebenden, die immer, sobald sie eine Geliebte gewählt, von dieser fortgerissen werden, beginnt der leidenschaftliche Monolog; aber bald rückt das persönliche Geschick in den Mittelpunkt; der Augenblick des schmerzvollen Abschiedes wird kräftig festgehalten, und für die Empfindungen, die den Liebenden nach der Trennung bestürmen, findet der Dichter dann aus der Lage quellende Töne. Das unruhige Auf- und Abwogen der Stimmung gelangt in den wechselnd auftauchenden Gedanken zu eigenartigem Ausdruck: von der Allgewalt der Liebe, der auch er sich so wenig wie ein anderes Wesen entziehen kann, kommt er wieder zu dem Ausgangspunkt zurück, dem harten Geschick, das ihn von der Geliebten entfernt, und so schlingt sich Anfang und Ende einheitlich ineinander. Die Sprache, sichtlich an den römischen Elegikern genährt, zeigt trotzdem eine persönliche Färbung; die schmückenden Bestandteile ordnen sich dem Ganzen unter, so wenn der Dichter die Tatsache seiner erzwungenen Trennung durch eine Reihe von Bildern veranschaulicht: der Wolf, der hungrig vom Schafstall abziehen muß, die Biene, die von der süßen Blume weggescheucht wird, und der durstende Tantalus, den die zurückweichenden
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Wellen äffen. Und nur einmal stört ein nicht recht passender klassischer Vergleich: der Dichter will lieber den T o d des Herakles erleiden a b seine Geliebte verlassen. Im allgemeinen aber kann von einem Zwiespalt zwischen dem antiken Gewand und dem persönlichen Erlebnis nicht die Rede sein; vielmehr verschmelzen Form und Inhalt zu einem Ganzen, so daß ein vollkommen einheitlicher Eindruck erzielt wird. Zwischen den soeben behandelten Stücken und der nächsten größeren poetischen Arbeit k l a f f t zeitlich eine große Lücke. Erst 1529 begegnen wir unserem Dichter wieder, der unterdessen als Diplomat im Dienste Sigismunds und K a r l s V . eine umfangreiche Tätigkeit entfaltet hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach ließen ihm die übernommenen Pflichten zu umfangreichen Versuchen keine Z e i t ; wenigstens hat sich nichts Nennenswertes aus diesem Lebensabschnitt erhalten. Die große Elegie, mit der er jetzt wieder hervortrat, entsprang ebenfalls der Richtung, die ihm seine Stellung beim Polenkönige wies. Schon 1521 hatte er im Auftrage Sigismunds K a r l V. zu einem Türkenkriege zu veranlassen gesucht. W a s ihm damals nicht gelungen war, strebte er jetzt durchzusetzen, und die Vereinigung zwischen K a r l V . und Clemens V I I . g a b ihm, der sich damals im Gefolge des Kaisers befand, Gelegenheit, dieses Anliegen poetisch den beiden Häuptern der Christenheit vorzutragen. So entstand die „silva": „Die unglückliche Lage unserer Zeiten" (zuerst Bologua 1529). Hier weist der Dichter zunächst auf die allgemeinen Übel hin, wobei namentlich Sektenbildung und Ketzerei nicht vergessen werden; dann aber schreitet er zu seinem Hauptgegenstande und führt in einer Reihe von Bildern die kriegerischen Fortschritte der Türken von der Schlacht bei Varna bis zu dem Unglückskampfe von Mohacz und der Belagerung von Wien (1529) vor. Daran k n ü p f t er eine Ermahnung an Clemens V I I . , die streitenden europäischen Völker zu versöhnen, um so einen gemeinsamen Krieg Europas gegen die Ungläubigen zu ermöglichen. Die gleiche A u f g a b e wird K a r l zugewiesen, und unter dem Hinweis auf den ihm bisher so reichlich zuteil gewordenen Schutz Gottes erfolgt die Aufforderung an ihn, den Krieg zu unternehmen und dem Erdkreise den Frieden wiederzugeben. — Dantiscus stellt also hier wie in seinen Anfängen die Dichterarbeit wieder in den Dienst der politischen Tätigkeit. Ein Vergleich zwischen jenen Versuchen und unserem Gedicht liegt daher nahe und
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muß zugunsten der späteren Arbeit ausfallen. Wohl wird man hier ebenfalls durch allzu deutliche Anklänge an Virgil und Horaz gestört; auch zeigt die Sprache manche Härten. Aber durchweg ist zu spüren, daß ein innerer Drang treibt und das die Seele Bewegende ausgesprochen werden soll. Das gleiche läßt sich von dem umfangreichen Gedichte sagen, mit dem uns Dantiscus wiederum nach längerem Zwischenräume entgegentritt. Unterdessen hatte unser Dichter den Bistumssitz von Culm bestiegen; während der schweren Arbeiten, die das neue Amt mit sich brachte, während seines Kampfes mit dem in seinem Sprengel überall eindringenden Luthertum hat er wiederum wohl schwerlich allzuviel Zeit für die Muse gefunden. Erst 1538 verfaßte er wieder eine große Dichtung, die in noch weit höherem Maße als die soeben besprochene den Stempel des Erlebten trägt. Das „Ermahnungsgedicht", wie das vorhergehende in elegischem Maße, ist an des Dantiscus jungen Freund Konstantius Alliopagus (Eustathius von Knobelsdorf) gerichtet. Der Dichter wirft einen Rückblick auf sein eigenes Leben; er schildert seine Pilgerfahrt nach Jerusalem; er gedenkt der am Hofe verlebten Jahre und der nachteiligen Wirkung, die dieser Aufenthalt auf sein ganzes Wesen ausgeübt hat, wobei die Klage nicht unterdrückt wird, daß ihn dieser Dienst von der Erfüllung seines Wunsches nach einem stillen, zurückgezogenen Dasein abgehalten hat. Und er benutzt die eigene, schmerzlich errungene Erfahrung, um dem jungen Freunde Mahnungen zu erteilen, ihn zu einem keuschen, frommen, von werktätiger Liebe erfüllten Leben anzuspornen. Dabei sucht er aber zu verhindern, daß der Jüngling in die Netze der Ketzerei falle, und kommt wiederholt auf die ihm verhaßten Lutheraner, das „ruchlose Mönchsgezücht", zurück, deren verworfene Anschauungen er nicht schwarz genug malen kann. An zwei Stellen bekämpft er sie ausführlich; er tritt der Lehre vom alleinseligmachenden Glauben entgegen und geißelt den Gelübdebruch der Priester, wobei namentlich der Einfluß der Frauen, der „offenbaren Dirnen", auf die Handlungsweise der Volksverführer hervorgehoben wird. Die Dirne verlangt nach guter Speise sowie nach Putz; die nackten Bankerte schreien nach Brot; so wird der Gelübdebrecher zu allerhand Untaten getrieben. Wie sich in dem Kopfe eines heftigen Feindes der Reformation die Motive der Gegenpartei malten, kommt in bezeichnenden Zügen zum Ausdruck. Auch im übrigen
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spricht manches an; so am Anfang, wo Dantiscus erzählt, wie des Freundes dichterischer Gruß in ihm die Liebe zur Poesie neu erweckt hat: wenn ein greiser Soldat Schwerter und Waffen erblickt, denkt er des ehemaligen Krieges; wenn der gealterte Schiffer die brausenden Stürme hört, muß er sich des Meeres erinnern; ebenso denkt der alte Jäger an seine frühere Beschäftigung, sobald er im Walde das ausgespannte Netz erblickt (vgl. S. 227). Ein artiger Schnörkel ist es auch, daß dem Dichter bei der Hervorhebung der Nutzlosigkeit des Reisens plötzlich das Gänschen einfällt, das über den Rhein flog und als Gikgak wieder heimkehrte. Die Erzählung der Pilgerfahrt entrollt eine Reihe fesselnder Bilder: seine Enttäuschung, als er die so gerühmten griechischen Inseln sieht, die lebendige Schilderung der Ankunft in Jerusalem, wo sie auf Eseln einziehen, von der Hitze fast entseelt, vom lärmenden Volkshaufen umtobt, verhöhnt, mit Kot beworfen und gelegentlich geschlagen. Auch manche allgemeinen Gedanken verdienen Beachtung; im Gegensatz zu der sonstigen humanistischen Art wird geringschätzend über den Ruhm gesprochen: was nützt er denen, die in der Hölle oder im Himmel sind? Pein kann er nicht mindern, Freude nicht mehren, wie ein nichtiger Schall geht er dahin. Alle diese Ausführungen ordnen sich aber der Grundidee unter; während der Dichter scheinbar abschweift, schreitet er tatsächlich seinem Ziele entgegen, das er fest im Auge behält. Der Schlußteil des Gedichtes faßt in einem, zwar in der Erfindung an ältere christliche poetische Vorstellungen anknüpfenden, in der Ausmalung sichtlich von Ovid beeinflußten, trotzdem aber einer selbständigen Größe nicht entbehrenden symbolischen Bilde den Hauptgedanken der Dichtung zusammen. Als Jüngling verfolgte der Dichter den breiten, anmutigen Pfad, der in das Reich der Wollust führte; der hier herrschende Freudentaumel hielt auch ihn fest, aber bald mußte er sehen, wie an Stelle der Üppigkeit ihn Grausen, Entsetzen, Krankheit und der Moder der Verwesung umgaben. Da flehte er inbrünstig um Erbarmen und Rettung, und Gott sandte ihm einen Genius, mit dessen Hilfe er nun den vordem verschmähten steilen Pfad hinaufklimmt und so endlich zu der höchsten Spitze des Berges gelangt, wo die Tugend ihren Wohnsitz hat. In der Ausführung der mannigfaltigen Einzelheiten, in den schildernden Elementen wie in dem sich steigernden Aufbau des Ganzen macht sich eine unverächtliche Darstellungs-
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lungsgabe geltend. Sie zieht ihre wesentlichste Kraft aus dem persönlichen Erlebnis; denn es kann kein Zweifel daran sein, daß der Verfasser im Bilde den eigenen Entwicklungsgang darstellen will. Einen ganz anderen Rückblick auf sein Leben hat Dantiscus nicht allzulange vor seinem Tode in einem kürzeren elegischen Gedichte entworfen. Er stellt seine Tätigkeit in ihren einzelnen Phasen dar, er erwähnt seine Reisen, er spricht von seinem Verkehr mit den Großen dieser Erde, von den Freunden, die er sich erworben, unter denen nicht Copernikus, wohl aber Ferdinand Cortez erwähnt wird. Allein das Leben, das hinter ihm liegt, und das doch an Erfolgen gewiß nicht arm war, erscheint ihm überwiegend in trübem Lichte, und seine Erzählung mündet schließlich in eine Klage über die Verderbtheit seiner Zeit, von der er nur Ungünstiges zu sagen weiß. Angesichts dieser traurigen Verhältnisse wünscht er abzuscheiden: „Mein Geist sehnt sich, bei Christo zu sein." — Es ist die Stimmung seines Alters. In dieser letzten Lebenszeit war es wohl auch, wo er als zürnender Sittenprediger auftrat. Wir besitzen eine Strafrede von ihm: „DerProphet Jonas" (wahrscheinlich 1538); die eigentümliche Einkleidung kehrt merkwürdigerweise am Ende des Jahrhunderts im englischen Drama in einer an London gerichteten Bußpredigt von Lodge und Peele wieder, ohne daß eine Beeinflussung durch Dantiscus wahrscheinlich wäre. In dessen Gedicht redet der Prophet Jonas zu den Bewohnern Danzigs; er ermahnt sie, von der Ketzerei zu lassen und zum alten Glauben zurückzukehren, Hochmut und Schwelgerei aufzugeben. „Einst habe ich Ninive ermahnt; es hat genützt; auch dich ermahne ich, um dir zu nützen; wenn du klug bist, mache ein Ende." Allein ganz konnte diese Anschauungsweise die Neigungen seiner Jugend nicht unterdrücken. Nach wie vor blieb Dantiscus ein Freund und Gönner der neulateinischen Dichtung; in diesen letzten Abschnitt seines Erdenwallens fällt der Verkehr mit Georg Sabinus, und der anspruchslose poetische Briefwechsel zwischen ihnen zeigt, wie sich Dantiscus noch immer auf dem alten Gebiete zu betätigen suchte. Er preist die ihm vom Verfasser zugeschickten Verse und sendet als Gegengabe seine „Lucretia", die nicht auf uns gekommen ist: wohl ein kürzeres episches Gedicht oder ein Monolog der Lucretia vor ihrem Tode.
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Auch die Freude an harmlosem Lebensgenuß scheint seinem Alter wenigstens nicht ganz gefehlt zu haben; denn dieser Zeit wird man die beiden Hymnen auf den Wein und das Bier zuweisen müssen, die sich handschriftlich erhalten haben. Sie verwenden, vielleicht nach dem Vorbilde des Codrus Urceus, in leicht parodistischer Weise die Stilmittel der feierlichen christlichen Lyrik und wissen ihre Aufgabe mit gutem Humor durchzuführen; es ist hübsch von dem Sohne des Bierbrauers, daß er über dem Wein das Bier nicht vergißt, den verschiedenen Biersorten seinen festlichen Gruß zuruft und ihre belebende Wunderkraft freudig anerkennt. Aber trotz dieser Rückfälle in die geistige Atmosphäre seiner Frühzeit blieb die Hauptteilnahme des Dantiscus in seinem Alter doch naturgemäß der Religion zugewendet, und auch das umfangreichste Werk dieser Lebensepoche legt davon deutliches Zeugnis ab. Es ist das „Buch der Hymnen" (oder „Hymnen, dem Prudentius nachgeahmt"), das zuerst 1548 erschien. In dem einleitenden Gedicht sagt sich der Autor nach berühmten Mustern von Apollo und den Musen los; nur den religiösen Gemütern will er dienen. Dieser Standpunkt macht sich denn nun auch in dem größten Teile des Werkes geltend, und zwar nicht vorteilhaft. Erbaulich mögen diese Hymnen sein, poetisch sind sie nicht; die nüchterne, trockene Darstellung droht an einzelnen Stellen geradezu in das Komische umzuschlagen. Wenn der Dichter den Gedanken, den er in dem „Ermahnungsgedicht" mit bildnerischer Kraft vergegenwärtigt hat, hier zum Ausdruck bringen und auf die verderblichen Folgen der Üppigkeit hinweisen will, so greift er nach einer wunderlichen Aufzählung, die man sich gesungen denken muß, um die ganze Geschmacklosigkeit zu ermessen: Paralysis, Phrenesis, Et mortis Fit causa
icteros, febris, Hydrops et fhtisis ex hac omnium fonsque criminum.
Dazu kommt, daß das knappe Hymnenmaß offenbar seinem an breitere Ausdrucksweise gewöhnten Geiste nicht gemäß war. Auch der Reim hat ihm ersichtlich Schwierigkeiten gemacht. Das zeigte sich schon in den beiden weltlichen Hymnen; zwar die erste weist keine wesentlichen Verstöße auf, aber in der zweiten reimt er devotus, laetus und disertus miteinander. In
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dem „Buch der Hymnen" ist der Reim völlig verwildert; zuweilen fehlt er ganz, zuweilen begnügt sich Dantiscus mit Assonanzen, und da weder der Inhalt noch die Kraft des Ausdrucks über derartige äußere Mängel hinweghelfen, so erhalten diese Stücke etwas unerträglich Klapperndes. Es fehlt auch jeder Bilderschmuck, zu dem das Versmaß freilich nicht einladet. Nur ganz gelegentlich weht ein lebendiger Hauch, so wenn der Grimm gegen die Ketzer charakteristisch ausbricht. Weit freier bewegt sich Dantiscus in den Stücken, in denen er das Hymnenmaß verläßt und antike Rhythmen zur Einkleidung seiner geistlichen Betrachtungen benutzt. Da wächst ihm die Fähigkeit des Ausdrucks, obgleich die alte Beweglichkeit nicht erreicht wird. Aber auch diese unmittelbarer wirkenden Hymnen vermögen das ganze Werk nicht zu retten. Ein wirklicher Dichter war Dantiscus nicht; trotzdem ist seine Bedeutung nicht gering zu veranschlagen. Denn wenn man von seinen politischen Jugendversuchen absieht, tritt aus allen seinen Arbeiten, auch aus dem verunglückten Hauptwerk seines Alters, dem Leser das Bild des Verfassers unmittelbar vor Augen. Dantiscus will nicht hinter seinen Werken verschwinden, er will durch seine Überzeugungen, seine Lebenserfahrungen eine anstachelnde Wirkung ausüben. Daher tragen seine Gedichte eine ganz persönliche Färbung, und wer das Erwachen des individuellen Gefühls in der neulateinischen Dichtung verfolgen will, darf an ihnen nicht vorübergehen. Dantiscus versammelte einen Dichterkreis um sich. Zu ihm zählte der bekannte Bischof Stanislaus Hosius (1504—79) aus Krakau, zwar deutscher Abkunft, aber als Vertreter des kirchlich-polnischen Geistes in die neulateinische Literatur der Polen einzureihen. Unter den anderen (Joh. und Kaspar Hannow, Martin Kromer) ragt Eustathius von Knobelsdorf hervor. Geboren um 1520 zu Heilsberg, erregte er schon als Student die Aufmerksamkeit des Dantiscus und wurde dessen bevorzugter Liebling. Er studierte in Frankfurt, Wittenberg, Löwen, Paris, Orleans, stieg seit 1544 in geistlichen Würden auf und ist als Domdechant in Breslau 1571 gestorben. Zwei Städtegedichte bringen den Orten, in denen er einen Teil seiner Bildung empfangen (Löwen, Paris) eine Art Zoll der Dankbarkeit dar; am wichtigsten ist von diesen beiden das später zu betrachtende Gedicht auf Paris, das durch eine ausführliche epische
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Darstellung der Geschichte der Jungfrau von Orleans an Wert gewinnt, aber auch sonst manche bemerkenswerten Züge aufweist. Dem Lyriker drückten einzelne Zeitereignisse die Feder in die Hand; Gelegenheitsdichtung im besseren und übleren Sinne ist sein eigentliches Feld. Schon während seines Aufenthaltes in Wittenberg (1539) trat er mit einer Art Heroide hervor: König Sigismund von Polen mahnt die kriegerische Germania, ihm im Kampfe gegen die Türken Beistand zu leisten; er tadelt ihre Sorglosigkeit, weist darauf hin, daß er bisher unter vielen Gefahren und Leiden die Türken von Deutschland abgehalten habe, erinnert warnend an das Schicksal Griechenlands und Ungarns und den Wunsch der Türken, sich in Danzig festzusetzen. Deutschland aber hält er die Taten Friedrich Barbarossas im Morgenlande vor. „Cur metuis, cur pigra sed.es, cur bella Incipis a patriis degenerare viris."
recusas?
Für die gewählte Form scheint Eustathius besonders viel übrig gehabt zu haben, und Anlehnung an die Gepflogenheiten des Wittenberger Kreises hat wohl auch später noch bei ihm stattgefunden. Denn beinahe zwei Jahrzehnte später (1557) verfaßte er eine Heroide, in der die Kirche sich flehend an König Sigismund wendet. Solche Schreiben der Kirche, Wünsche zum Ausdruck bringend, waren seit dem Anfang der Reformation bis in die vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts bei den mit Wittenberg zusammenhängenden Poeten üblich: Eoban Hesse läßt die Kirche an Luther, Michael Toxites sie an Hermann von Wied schreiben; der zum Wittenberger Kreise gehörende, sonst nicht bekannte Sebastian Glaser kleidet die Türkengefahr in diese Form: die Kirche mahnt Deutschland, Ungarn beizustehen; und manche Bilder in dieser elegischen Heroide stehen dem Verfasser ganz lebhaft vor der Seele (1545). An diese Richtung mag sich Eustathius angeschlossen haben, wenn man nicht annehmen will, daß er auf die in Italien ausgebildete, von Petrarca vorbereitete Form zurückgegangen ist. Liegt aber der noch wahrscheinlichere Zusammenhang mit Wittenberg vor, so sieht man, daß er der dort üblichen Weise gefolgt ist, um gegen Wittenberg zu wirken. Die Kirche bittet Sigismund, sie, seine Mutter, nicht zu verlassen und den Lockungen der in Polen eindringenden Ketzerei zu widerstehen; wie alle anderen
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Länder, so verdanke Polen seine Blüte der Kirche, und so werde es bleiben, wenn das Land nur die Treue bewahre. Warnend hält der Poet dem Könige das Beispiel Deutschlands vor; trotz aller Gefahren glaubt er doch an die Unüberwindlichkeit der Kirche; er legt ihr die Worte in den Mund: ,,Horrida tempestas letalibus aucta procellis, Agminibus diris viscera nostra promunt. Me face, nie ferro saevi fettere tyranni, Urgebant laqueos, vincla, venena, cruces. Sed neque sum ferro, vivis neque territa flammis, Stabas pro populo, Christe benigne, tuo."
Selbstverständlich teilt der Poet die Anschauungen seines Kreises über das Luthertum, wie sie in dem an ihn gerichteten paränetischen Gedicht des Dantiscus zum Ausdruck gekommen waren, und wie sie am schroffsten durch Stanislaus Hosius vertreten wurden. Doch liegt es in der Natur des gewählten Gegenstandes, daß er von Zerrbildern, wie sie Dantiscus entworfen hatte, absieht und sich damit begnügt, Luthers Lehre der Rechtfertigung allein durch den Glauben zu bekämpfen. Die bisher besprochenen Gedichte bieten Gelegenheitspoesie im besseren Sinne, aber auch der herkömmliche Epicedienstil ist unserem Dichter nicht fremd. Allerdings hat bei zweien dieser Stücke sicher das Herz des Poeten mitgesprochen, nämlich bei den Epicedien auf König Sigismund I. und auf Eustathius' Gönner und Freund Dantiscus (beide 1548). Ein späterer Trauergesang gilt dem Tode Ferdinands I. (1564). Mit vielem klassischen Pomp wird hier der allgemeinen Trauer Ausdruck gegeben und panegyrisch die Geschichte des habsburgischen Hauses erzählt, wobei Maximilian I., Karl V. und der Verstorbene besondere Berücksichtigung erfahren. In den rhetorischen Formeln kehren bestimmte Wendungen zu oft wieder; aber zuweilen stößt man doch auf eine hübsche Erfindung, so wenn der Donaustrom, als er den Trauerzug herannahen sieht, das betränte Antlitz aus den Wellen erhebt und sich sträubt, die Leiche durchzulassen: „ ,Nil agitis, meus Austriacae Caesar Dixit et intumuit, Nescio quid motis
ille fuit, meus usque manebit, gloria magna domus.' nec eum sua ripa coercet, triste minelur aquis.
E 11111 g e r , Nealatelnlsche Lyrik 2.
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Nil facis infelix amnis, tibi vincla •parantur, Poris ddbit, iratus qitod firohibere voles!" —
Nur verhältnismäßig wenig scheint sich von Knobelsdorf erhalten zu haben; immerhin genügt das Vorliegende, um ein Urteil über die dichterische Persönlichkeit zu gewinnen. In der Gewandtheit des Versbaus und der Mannigfaltigkeit des Wortschatzes ist er seinem Meister Dantiscus nicht unebenbürtig. Auch stellt er seine Lyrik in den Dienst großer Gegenstände, namentlich soweit die gehobene Gelegenheitspoesie in Betracht kommt. Die engen Schranken, die die nachahmende Poesie zog, hat er freilich ebensowenig wie einer seiner Genossen überwunden. Ungefähr der gleichen Generation wie Knobelsdorf gehörte der Arzt Alexander von Suchten an (f in Königsberg nach 1570). Er war der Neffe Christophorus' von Suchten (Band 1 , S. 401 ff.) und hat wie dieser sich auch in der lateinischen VersÜbung versucht. Als Epiker wird er später noch zu nennen sein; von seiner Lyrik liegt indessen so wenig vor, daß kein sicheres Urteil möglich ist. Soweit die S c h ü l e r des Sabinus in Betracht kommen, kann von einem fruchtbaren Ergebnis nicht die Rede sein, wenn auch bei einzelnen Poeten die Glätte der Form die vorbildliche Art des Meisters erkennen läßt. Doch entschädigt für den geringen Ertrag eine Gestalt aus Sabinus'Freundeskreise, freilich weniger als Dichter denn als Persönlichkeit: Johannes Dantiscus.
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Die Frankfurter Schüler des Sabinus. In Königsberg hatte Sabinus keinen über das Durchschnittsmaß hervorragenden Poeten zu erziehen vermocht, man müßte denn Johannes Schosser ausnehmen wollen. Besser glückte es ihm in Frankfurt an der Oder. Während seines zweimaligen Aufenthaltes hat er hier die Geister geweckt; zwei der annehmbarsten neulateinischen Dichter fühlten sich ihm als Führer verpflichtet. Von beiden Poeten kann man sagen, daß sie über ihren Lehrer hinausgewachsen sind; in der Gewandtheit und Glätte der Form haben sie ihn zwar nicht erreicht, aber der Gesamtgehalt ihrer Dichtung wiegt schwerer als das Lebenswerk des Sabinus. Freilich stieß dieser auch in Frankfurt nicht überall auf ergiebiges Erdreich. Oft war es unter seinen Frankfurter Schülern ebenfalls mit der lyrischen Begabung schlecht bestellt. So z. B. bei Christopherus Stymmelius. Doch kann man in diesem Falle Sabinus einigermaßen von der Verantwortlichkeit freisprechen, da Stymmelius zwar seinen Unterricht genossen, sich aber für die Ausbildung in der Dichtkunst mehr einem anderen Lehrer, dem Professor Jodocus Willich oder Wilcke, verpflichtet fühlte. Chr. Stymmelius (eigentlich Stummel), in Frankfurt a. O. am 22. Oktober 1525 geboren, an der Universität seiner Vaterstadt und in Wittenberg vorgebildet, hierauf einige Zeit als Geistlicher und Lehrer in der Nähe seiner Heimat tätig, dann seit 1556 fast ununterbrochen bis zu seinem am 19. Februar 1588 erfolgten Tode als Pfarrer und Lehrer am Pädagogium zu Stettin im strengsten lutherischen Sinne wirkend, hat sich schon in jungen Jahren nicht übel in die Literatur eingeführt. Denn die Studentenkomödie: „Studentes" des Zwanzigjährigen (1545) zeigt trotz mancher Mängel eine ungewöhnliche Frische und Lebendigkeit. 20*
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Um so mehr überrascht es, daß seine Lyrik nur ganz selten eigene Töne aufweist. Es sind Hochzeits- und Trauergedichte, die sich innerhalb des landläufigen Schemas halten. Nur zwei Stücke heben sich etwas höher, das eine ist die ,, Threnodia Pomeraniae" auf den Tod des Herzogs Barnim des Älteren von Pommern, das andere die Trauerelegie auf den eigenen Vater. In beiden fehlt es nicht an unwahrem rhetorischen Prunk. Aber in dem ersten Nachruf wird doch die allgemeine Trauer nicht übel geschildert, wie denn auch die Eigenschaften des Herzogs deutlich heraustreten. Und in dem Epicedium auf den Vater bricht häufig durch den kalten, angelernten Aufputz das wahre Gefühl hindurch. Allerdings sind der Wunderlichkeiten viele, so, wenn außer Nestor und Methusalem noch langlebige Geschöpfe aus dem Tierreich angeführt werden, und dann im Hinblick auf den Vater die Klage erschallt, daß der Mensch leider in diese Klasse nicht gehöre. Oder wenn Stymmelius den Wunsch ausspricht, den Vater aus dem Tartarus zu retten, und nun eine ganze Anzahl von klassischen Beispielen für die Möglichkeit des Eindringens in die stygischen Gründe beigebracht wird. Aber schon die Schilderung der Pest, an der der Vater gestorben, zieht durch eigene Züge an; die Ausrufe des Dichters erwecken den Eindruck der Wahrhaftigkeit, so bei der Anrede des Todestages: (0 Tag,) ,,Truncasti vitam, qui mihi vita fuitl" Und sehr hübsch weiß er zu erzählen, was ihm der Vater gewesen ist, wie er mit eigener Hand die Wiege geschaukelt und ihn durch ein Lied in den Schlaf gelullt, wie er ihn gehen gelehrt und ihn dann, als er größer geworden, in die h. Schrift eingeführt hat. Schön auch, wie ihm in der Nacht der Vater erscheint und ihn mit tröstenden Worten aufrichtet. Aber leider werden diese Stellen diirch Abschweifungen um einen Teil ihrer Wirkung gebracht. Daß es Stymmelius nicht ganz an Erfindungskraft fehlte, lehrt ein Epigramm auf den Tod der Gemahlin Johann Georgs von Brandenburg: Amor ist unter einem Baum eingeschlafen ; der Tod benutzt das, um seine Geschosse in den Köcher zu mischen; und als Amor einen seiner Pfeile auf die Fürstin abschießen will, trifft er sie mit dem Todesgeschoß, worüber seine Mutter ihm schwere Vorwürfe macht: „Ah mors, cur iuvenes tarn mox disiungis amantes ? Cur non decrépitos in tua regna trahisV
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Aber auch ein solcher, gewiß nicht hoch anzuschlagender Aufschwung der Phantasie glückte Stymmelius nur einmal. Ein weiter Abstand trennt die handwerksmäßige Verseschmiederei des Stymmelius von der Lyrik des nächsten, hier zu behandeln Sabinus-Schülers. Johann Bocer stammte aus der Nähe von Minden, und der Sohn der roten Erde hat die Vorliebe für seine westfälischen Landsleute nie verleugnet, wie er denn noch als Professor seinen Vorlesungen Lehrbücher des Adoptiv-Westfalen Murmellius zugrunde gelegt hat. Leider sind wir über sein Leben nur ungenügend unterrichtet. Sein Familienname scheint Booker oder Boedeker gewesen zu sein. Das Geburtsjahr schwankt zwischen 1 5 1 6 und 1 5 2 5 ; wahrscheinlicher ist das letztere. Nachdem er 1 5 4 1 — 4 7 die Universitäten Leipzig, Wittenberg und Frankfurt a. O. bezogen hatte, begann für ihn ein unruhevolles Wanderleben; oft fehlte es ihm an dem Nötigsten, und vergeblich suchte er sich den Bedrängnissen zu entwinden. Aber nur der Gesamtcharakter dieser schweren Jahre ist bekannt; die einzelnen Stationen der Leidenszeit entziehen sich der Kenntnis. 1558 winkte ihm endlich ein Hafen; er wurde als Professor der Poesie nach Rostock berufen und entfaltete hier eine ungemein fruchtbare Tätigkeit. Sein Herzog begünstigte ihn; bei den Amtsgenossen und Schülern war er wohlgelitten, und aufrichtig wurde sein früher Heimgang beklagt (6. Oktober 1565). Die entscheidenden Anregungen erhielt unser Dichter durch Sabinus. Leider ist es nicht möglich, die poetische Entwicklung Bocers festzustellen. Auf diesem Gebiete versagt die Überlieferung ebenfalls, wenn auch einzelne Stücke (namentlich in den Elegien) noch in seine Wander- und Leidensjahre zurückreichen und so sich wenigstens ein annähernd richtiges Bild des Werdeganges erreichen läßt. 1 5 5 3 hielt sich Bocer im Kurfürstentum Sachsen auf, und dieser Zeit entstammt seine poetische Beschreibung der Stadt Freiberg; sie wird später zusammen mit den anderen Städtegedichten besprochen werden. Die Fähigkeit, anschaulich zu schildern, erscheint hier noch wenig entwickelt; daß sie Bocer gleichwohl nicht vollständig fehlte, und daß das Versagen mehr auf Gesamtmängel der beschreibenden Gattung zurückzuführen ist, ergibt sich aus einem anderen Werke, den gleich zu besprechenden Elegien, von denen einzelne noch früher entstanden sind
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als die Schilderung Freibergs. Vergleicht man diese mit den Elegien, so ist deutlich zu erkennen, daß Bocer sich auf rein lyrischem Gebiet ungleich leichter und freier bewegt als auf dem beschreibenden. Daß er selbst davon ein Bewußtsein hatte, lehrt der begeisterte Preis, der in seinem „Freiberg", wenn er von den „bonae artes" handelt, gerade den Lyrikern zuteil wird, Adam Siber und namentlich Georg Fabricius, „quem non Thractus Orpheus / Vinceret ant Thamyras". E s darf an Bocers Elegien (das erste Buch der Elegien 1554) nicht stören, daß der damals noch einer gesicherten Stellung Entbehrende sich nach der Weise der Zeit mit dem Büchlein Gönner oder klingenden Lohn erwerben wollte. Das bezeugt nicht bloß die Eingangselegie, in der das Buch nach gewohnter Weise vom Verfasser hinausgesandt und schließlich der Gunst des Lübecker Rates empfohlen wird. Auch in anderen Gedichten drängt sich die gleiche Absicht ziemlich derb vor, z. B. in den wiederholt auftauchenden Jeremiaden über die Verachtung der Kunst, wobei der Nachweis nicht vergessen wird, daß die Blüte der Staaten nur so lange vorgehalten habe, als die Musen geehrt worden seien. Aber auch das eigene Schicksal des Autors wird zur Gewinnung von Gönnern ausgemalt; beweglich klagt der Poet über die Erfolglosigkeit seines Strebens, über Unglück und Not und gibt dann dem Angeredeten einen Wink mit dem Zaunpfahl, er möge dafür sorgen, daß diese Worte zu dem hochherzigen lübischen Senat vordrängen. Der individuelle Ton, der diese Gelegenheitsdichtungen belebt, verleiht auch anderen Elegien das entscheidende Gepräge. Sie sind offenbar aus bestimmten Lebenslagen herausgewachsen. Wir sehen den Dichter in brennender Sonnenhitze auf endlosem Felde wandern, rings nur der Himmel und die unübersehbare Fläche; ermattet, kraftlos, imbekannt mit dem Wege, ohne einen Fußsteig zu sehen, schreitet er dahin und ruft schließlich, nachdem er vergeblich bei den Gottheiten des Waldes und Feldes Schutz gesucht, die Gestirne an, ihm Hilfe zu bringen und die Hitze zu lindern. Oder er erzählt, wie er am frühen Morgen, um den Aufgang der Sonne zu sehen, in die grünenden Wiesen geht, wie er den Reichtum der Natur bewundert und eben dem Schöpfer seinen Dank darbringen will, als er plötzlich am Himmel die Sonne in ganz eigentümlicher Form und in blutigroter Farbe erblickt. Das Zeichen gestaltet sich noch unheildeutender, und das erschüttert
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ihn auf das tiefste, da er darin einen Hinweis auf sein eigenes Schicksal zu sehen glaubt. Unwillkürlich lassen seine Hände die gepflückten Veilchen los, so daß sie zu Boden fallen. Als er sich wieder gesammelt, fleht er im Gebete zu Gott um Abwendung des Schweren, das das Himmelszeichen zu verkünden scheint. Neben den eigenen Angelegenheiten des Dichters kommen die allgemeinen Verhältnisse der Zeit zum Wort. Eine Elegie an seinen Lehrer Melanchthon malt ein trübes Bild des „Wahnsinns des Greisenalters der Welt", wo nichts Gutes mehr gilt. Anziehender als derartige allgemeine, nicht eben seltene Klagen sind einige Gedichte, die besondere Fälle aus der Zeitgeschichte in bemerkenswerten Einkleidungen behandeln. So wird der Eindruck, den der Tod Moritzens von Sachsen hervorgerufen hat, kraftvoll festgehalten: Der Dichter schläft im Walde, an einen Baum gelehnt, ein; da sieht er im Traume Germania in trauriger Gestalt, schwarz, das goldene Haar verbrannt, verstümmelt, von den eigenen Waffen durchbohrt, mit zerbrochenem Schwerte; sie beklagt ihr unglückliches Los, und als der Dichter sie dann anredet und nach dem Grunde ihres Aussehens fragt, erweitert sie die Klage und erklärt ihre jetzige äußere Erscheinung durch die augenblickliche traurige Lage Deutschlands, seine Schwäche, seine inneren Zwistigkeiten, die Verwüstung und Verbrennung Frankens durch den wilden Markgrafen Albrecht Alcibiades, die Niederlagen durch den Türken. Als jedoch der Dichter nach der Bedeutung des zerbrochenen Schwertes und der abgehauenen Hand fragt, bricht sie aufs neue in verzweifelte Klagen aus, da durch diese Frage ihre schwersten Wunden berührt werden. Demi die Säule des Vaterlandes, das einzige Heil, die Hoffnung und Zier unseres Landes ist gefallen; er, der für Germanien immer eingetreten und die Gefahren verachtet hat, ist dahin. Nachdem Germania geendet, wacht der Dichter auf, ungewiß, wie er das Traumbild zu deuten hat; da stimmt er ein trauriges Lied an, schauerlich seufzt der Wald auf. Indem er noch erwägt, daß der Traum doch wohl sein Gewicht haben würde, sieht er einen jammervollen Zug herannahen. Krieger kommen, die Augen gesenkt, Schmerz im Antlitz; in der Mitte der Schar wird eine Leiche getragen, hinter der ein Knabe einhergeht, die Waffen des Erschlagenen in der Hand. Alles dies beobachtet der Dichter voll Furcht und Schrecken, in Zweigen und Blättern versteckt; dann aber wendet er sich an einen aus dem Zuge, der
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ihm mitteilt, daß der tapferste Held, die Säule des Sachsenlandes, gefallen ist. Da kann sich der Dichter nicht halten, und in bitteren Klagen macht er seinem tiefen, berechtigten Schmerze Luft. — Nicht mit der gleichen Kraft sind andere allegorische Erfindungen ausgeführt, aber immerhin haben auch sie etwas Reizvolles. So das Folgende: bei einem Spaziergange verirrt sich der Dichter im Walde und kommt an einen Fluß, den er als die Elbe erkennt. Er sieht zwei Schwäne, die an einer Kette einen Kahn ziehen, und eine schöne Frau, in jedem Zuge ihres Äußeren herrliche Charaktergaben verratend, aber abgemagert, in schwarzer Kleidung; sie besteigt den Kahn und ladet ihn, obgleich sie ihn nicht kennt, ein, sie zu begleiten. Auf seine verwunderte Frage erfährt er, daß die Freundschaft vor ihm steht; sie klagt über die Verachtung, die ihr jetzt überall zuteil wird; der Dichter tritt ihren Anklagen entgegen; er nimmt sein Zeitalter in Schutz und behauptet, daß der Freundschaft jetzt vielmehr allgemeine Verehrung gezollt würde; aber sie weist das zurück: „Eine Göttin bin ich," ruft sie aus, „und als Göttin wurde ich anerkannt, solange Rechtschaffenheit auf Erden herrschte." Im Altertum war das der Fall, da gab es wahre Freundschaft; aber seitdem hat sie vergebens nach ihr gesucht, vergebens nach ihr alle Lande durchstreift. In Deutschland endlich glaubte sie das Ersehnte zu finden, aber auch hier wird sie bitter enttäuscht. „Darum eile, mein Schifflein, durch das ungeheure Meer, und erstrebe Reiche, die in weiten Fernen liegen. Vielleicht werde ich, die aus dem deutschen Lande schmählich verdrängt worden, von den pfeiltragenden Geten aufgenommen." Weinend fährt sie davon, und auch dem Dichter werden unter Seufzern die Wangen naß. Eine ähnliche Verwendung der Allegorie findet sich in einer anderen Elegie. Es handelt sich um einen Wettstreit zwischen Glück und Tugend, wie ja ähnliche Erfindungen in der neulateinischen und in der volkstümlichen Poesie wiederholt auftauchen. An dem Grabe des Ajax steht Fortuna und fragt höhnend, was dem Ajax nun alle seine Tugenden genützt hätten; er habe doch dem Glück weichen müssen, wie denn Fortuna die unbedingte Herrschaft und Macht für sich in Anspruch nimmt und namentlich der Tugend rät, ihr den Ehrenplatz nicht länger streitig zu machen. Aber schnell ist auch die Tugend zur Stelle, sie liest Fortuna derb den Text und macht unter Hinweis auf die vielen ungünstigen Eigenschaften
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der Gegnerin ihre eigene, unbestreitbare Überlegenheit geltend. — Die meisten der in dem Bändchen vereinigten Elegien werden am Ende der vierziger und in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre entstanden sein, das Gedicht auf Moritz von Sachsen verdankt wohl noch dem Jahre 1553 seinen Ursprung. Viele dieser Stücke scheinen so unmittelbar in die Wander- und Leidensjahre unseres Poeten hineinzuführen, daß man sie als Kinder des Augenblicks betrachten muß. Das gilt namentlich von dem Verzweiflungsausbruch des umherstreifenden armen Gelehrten, der Weg und Steg nicht kennt und nicht weiß, nach welcher Seite er sich wenden soll. Aber auch andere Elegien mit ihrem trüb pessimistischen Tone scheinen böse Erfahrungen widerzuspiegeln. Und mit der Uberzeugung von dem unaufhaltbaren Siege der Tugend mag der unbeheimatete Poet sich getröstet haben, wenn die Wogen der widrigen Verhältnisse über seinem Haupt zusammenzuschlagen drohten. Bocer hat sich in diesen Elegien, denen keine weiteren Teile gefolgt sind, auf weltliche Stoffe beschränkt. Aber auch die religiöse Lyrik ist ihm in dieser und der späteren Zeit nicht fremd geblieben, obgleich ihn die Anlage seines Geistes mehr nach der anderen Richtung gewiesen zu haben scheint. Als geistlichen Dichter lernen wir ihn in seinen vier Büchern: sacrorum carminum et piaritm •precationum (Rostock 1565) kennen, und das Werkchen sichert ihm innerhalb der religiösen Lyrik der Neulateiner keinen üblen Platz. Zwar finden sich zahlreiche Gebete und Betrachtungen, die einen poetischen Wert nicht beanspruchen können. Aber in einzelnen Stücken schlägt doch die Persönlichkeit durch, und den Leser fesseln eigene Züge. Ein Gedicht zur Geburt Christi läßt die Gestirne an der allgemeinen Weltfreude teilnehmen; ein anderes malt mit lebhaften Anreden die Wut des Herodes aus, wendet aber dann das Gesagte auf die Gegenwart an und bittet um Schutz gegen einen zeitgenössischen Herodes, der die Christen verfolgt. Mehr noch zieht uns der Dichter an, wenn individuelle Gedanken das religiöse Kleid durchbrechen. E r ruft in der Krankheit, deren Schmerzen und die in ihr auftauchenden Versuchungen er beschreibt, um Hilfe zu Gott und bringt, genesen, seinen Dank dar. E r berührt Einzelheiten seines Lebens und verabschiedet sich z. B. von einem Freunde, der eine größere Reise unternimmt zu
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einer Zeit, in der er selbst eine Seefahrt antreten muß, der er wegen der vielen Gefahren und Unbequemlichkeiten mit Schaudern entgegensieht. Er bittet Gott um ein Eheweib, das ihm die Sorge tragen hilft und mit der er zusammen im Gott wohlgefälligen Stande leben kann. Gegen die Sorgen dieses Standes ist er aber nicht blind; in einem anderen Gedichte fleht er wieder zu Gott, die Plagen des Hauswesens zu mildern, wobei er ganz lebhaft zu schildern weiß, wie die untreuen Dienstboten hausen, wie der gekaufte Vorrat verdirbt, Gerät zerschlagen, anderes gestohlen oder aus Bosheit entwendet wird, wie das Gesinde untereinander, wie die Hausfrau zankt, daß der traurige Schall durch das ganze Haus hallt. In Stunden, wo ihn wegen des Todes Trauer und Angst beschleichen, spricht er sich selber Mut zu und stärkt sich mit dem Gedanken, daß Körper und Seele des Menschen unvergänglich sein werden. Sein Vertrauen auf Gott, auf Christus, auf den von Gott ihm gesendeten Engel tritt überall, stark und kräftig ausgeprägt, hervor. Aber auch die allgemeinen Verhältnisse spielen ihre Rolle. In einer lebhaften Anrede an die Fürsten, die „Halbgötter", malt er das von den Türken angerichtete Unheil und die von ihnen drohende Gefahr in starken Farben aus und fordert die Halbgötter auf, den Feind in siegreichem Kampfe zu schlagen. Er bittet für den Frieden Deutschlands, wenn die Fürsten zur Beratung darüber zusammentreten (1555). Angesichts der Verfolgungen der standhaften Geistlichen, die, überall ausgetrieben, umherirren wie das Schaf in der Mitte der Wölfe, ruft er dem treuen Seelenhirten zu: Lerne vieles leiden; Christus, als er auf unserer Erde weilte, ist kein besseres Geschick zuteil geworden. Unverbrüchlich treu hängt er an seinem Lehrer Melanchthon, und während dessen letzter Todeskrankheit (März 1560) sendet er ein inniges Gebet um Erhaltung des teuren und notwendigen Lebens zum Himmel empor. Als dann sein Gebet fruchtlos blieb, hat er wie viele andere seine dankbare Gesinnung durch einen Trauergesang auf den Tod Melanchthons bewiesen (1560). In zwei, durch klagende Worte unterbrochenen Teilen sucht er die Bedeutung des Dahingeschiedenen darzulegen. Die Wiederherstellung der Wissenschaften stellt er an die Spitze; ewiger Ruhm wird Agricola, Reuchlin, Erasmus zuteil werden, die die Wissenschaft zu neuem Glänze
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erweckt haben. Andere sind ihnen gefolgt, aber sie vermochten nicht, den Schmutz des verschütteten Quells abzuwaschen und die süßen Wasserbäche wieder zurückzuleiten. Das hat erst Melanchthon getan, dem aber zugleich die andere Aufgabe als Mitstreiter Luthers zugefallen ist, der ohne ihn nicht (das gleiche Bild wie oben) den Schmutz von der himmlischen Lehre hätte abwaschen können; von Melanchthon unterstützt, hat der Athlet, gekräftigt, mit doppelter Stärke, hochherzig gegen die widerstrebenden Feinde gekämpft. Der zweite Teil bildet dann eine Schilderung von Melanchthons Entwicklungsgang, seiner Lehrtätigkeit und der Anfechtungen, die er im Alter zu erdulden hatte. Erfreulich wirkt die aus jedem Worte sprechende Verehrung; rein poetisch betrachtet, erscheint das Gedicht weniger schätzenswert; insbesondere fällt die Sprödigkeit des Ausdrucks auf. Überhaupt gestaltet sich der Eindruck bei Bocer nicht selten so, daß zwar die dem Dichter vorschwebende Absicht deutlich erkennbar ist, daß es ihm aber nicht durchweg gelingt, sie ins Leben treten zu lassen. Trotzdem wäre es falsch, den Gesamtgehalt seines Schaffens zu unterschätzen; neben manchem Verfehlten finden sich doch immer wieder Leistungen, die sich beträchtlich über den Durchschnitt seiner Zunftgenossen erheben. Das gilt wie von den bereits besprochenen Gedichtsammlungen, so auch von seinen Eklogen. Allerdings sind ebenfalls nicht alle Arbeiten auf diesem Gebiet als Treffer zu bezeichnen. — 1560 waren Georg Sabinus und Petrus Lotichius Secundus gestorben, zwei Jahre später folgte ihnen Johannes Stigel ins Grab nach. Nach Stigels Tode griff Bocer zur Leier, um im Hirtengesange die drei Koryphäen der neulateinischen Dichtung zu feiern (1562). Drei Hirten, Lycidas, Corydon und Aegon, begeben sich zur Elbe, der erste von der Oder, der andere von der Ilm her und der dritte vom Neckar. In der angegebenen Reihenfolge stimmen sie Trauergesänge auf Aristäus (Sabinus in Frankfurt), Menalcas (Stigel, der freilich an der Saale und nicht an der Ilm lebte) und Daphnis (Lotichius in Heidelberg) an. Allein die Klagen bleiben äußerlich; zu einer wirklichen Charakteristik finden sich kaum Ansätze; namentlich wird die große Verschiedenheit der Dichter nicht angedeutet, alles bleibt im Schematischen stecken. Und die Art, in der zuletzt die Natur an dem allgemeinen Schmerze teilnimmt, streift hart an die Grenze des unfreiwillig Komischen.
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Unzweifelhaft ist es Bocer nicht gelungen, dem großen Vorwurf gerecht zu werden. Allein daran war wohl das Feld schuld, auf das er sich diesmal begeben hatte. Die Kunst der Charakteristik des dichterischen Schaffens war bei den Neulateinern noch wenig ausgebildet; es bedurfte einer Dichterkraft, wie es Petrus Lotichius Secundus war, um den poetischen Nachruf von allem Schablonenhaften zu befreien. Dazu kommt, daß die idyllische Einkleidung von vornherein eine wirkliche Lösung der Aufgabe unmöglich machte, da sie den Dichter zwang, die Tatsachen unter wunderlichen Hüllen vorzutragen, da sie ferner auch dem Ausbruch wahren Gefühls hindernd im Wege stand. Indessen, was Bocer hier mißlang, hat er auf dem gleichen Gebiete wieder eingeholt. 1563, zwei Jahre vor seinem Tode, erschienen die „sieben Eklogen", von denen einige sicherlich schon in frühere Jahre zurückreichen, während die reifsten erst der Zeit nach 1560 anzugehören scheinen. Auch hier ist nun nicht alles gleichwertig; mehrere Eklogen stellen sich in den Dienst der höfischen Schmeichelei (Nr. 1 und 2); in einer anderen Ekloge (Nr. 6) wird im Hirtengespräche die Kirche von Schwerin beschrieben und ihrem Erbauer hohes Lob erteilt. Aber in den übrigbleibenden vier Eklogen erscheint der Gegensatz zwischen dem Inhalt und der gewählten Form fast durchweg aufgehoben, und die kleinen Idyllen zeichnen sich durch ungesuchte Anmut aus. Das gilt insbesondere von der Ekloge: „Nyctilus" (Nr. 4), einer Verwandlungssage in Sannazars Art. Nyctilus liebt die Nymphe Ägle; von der Allgewalt der ihn beherrschenden und in den Tod treibenden Leidenschaft legt er selbst Zeugnis ab. Er bittet Ägle um Gegenliebe, aber sie hört nicht auf ihn und enteilt in raschem Laufe, wie das Reh, das dem grimmen Löwen entgehen will. D a bricht er in bittere Klagen aus; er fühlt sein Ende herannahen und wird in einen Vogel verwandelt, einen Nycticorax, der einsam in den Bergen und Wäldern umherirrt und überall nach der Geliebten sucht. — Die Zierlichkeit des Gemäldes läßt das Konventionelle des Vorwurfs vergessen. Während der Dichter aber hier in Erfindung und Sprache innerhalb der herkömmlichen Idealwelt der Idylle bleibt, sucht er anderwärts der Wirklichkeit durch Aufnahme lebenswahrer Züge näher zu kommen. In der Ekloge: „Phyllis" (Nr. 5) wird die Titelheldin von zwei Hirten geliebt; jeder glaubt sich im Besitze ihrer Gegenliebe; darüber kommt es zum Streit und schließlich zu Schlägen.
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„ D u hörst nicht eher auf zu schimpfen, als bis dir meine Faust im Gesichte sitzt", sagt der eine; der andere erklärt, daß er es ihm heimzahlen wolle: „ D u sollst eine einzige Beule von Faustschlägen werden." Der Hirt Amyntas weist sie zur Ruhe und verlangt, daß ihm im Liede die Ursache des Streites vorgetragen wird; da folgt ein Wettgesang der beiden Werber, indem jeder in vier Zeilen sich Phyllis' Liebe rühmt und aufzählt, welche Geschenke er ihr darbringen will. Nachdem die Hirten geendet, erklärt Amyntas, daß er allein ihren Streit nicht entscheiden könne. Allerdings klafft zwischen den realistischen Bestandteilen und den beibehaltenen Voraussetzungen der Hirtendichtung hier ein Gegensatz, aber immerhin ist doch der Versuch gemacht worden, die vorgeführten Gestalten in ihrer Sprache reden zu lassen. — Einen höheren Flug strebt Bocer an, wenn er das pastorale Kostüm benutzt, um seinem patriotischen Schmerze Ausdruck zu geben. In der dritten Ekloge sieht Thuiskon (doch wohl im alten Sachsen) da, wo ein Fluß (die Aller?) zur Weser fließt, den Rauch sich durch die Städte wälzen und stimmt einen beweglichen Klagegesang mit dem Anfangsrefrain an: „Occule luciferos, tristis nox, occule soles!" Mit tiefer Bitterkeit nimmt er wahr, wie das ehemals so starke Deutschland im Bürgerkriege sich selbst zerfleischt. An den Monolog des Thuiskon schließt sich ein Wechselgesang zweier Hirten, die teils ebenfalls die Verheerung beklagen, teils von ihren Herden und von ihren Liebesangelegenheiten sprechen. Auf welche der kleineren Fehden um 1560 sich dieses Gedicht bezieht, ist schwer zu sagen; Grund zu derartigen Jeremiaden war allerdings im 16. Jahrhundert zur Genüge vorhanden. Das Schluß-Idyll (Nr. 7) führt letzten Endes auf antike Vorbilder zurück, nämlich auf Theokrits zweite und Virgils achte Ekloge, doch scheint daneben noch ein zeitgenössischer Einfluß maßgebend zu sein. Die hier entrollten düsteren Bilder mußten in dem Zeitalter des Hexen- und Zauberwahnes einen besonders starken Widerhall erwecken. Crocale und Thrasyllus haben sich Liebe geschworen; Thrasyllus verläßt die Geliebte; in einem Monolog gibt Crocale ihrem Schmerze leidenschaftlichen Ausdruck und beschließt, einen Zaubertrank zu brauen, der den Ungetreuen entweder zu ihr zurückführen oder ihn verderben soll. Sie läßt durch ihre Schwester auf dem Kirchhof, wo die Geister die schwarzen Gräber umflattern, zwei Altäre errichten, und dann folgt die Bereitung des Trankes unter
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Zaubersprüchen. Ihre Beschwörung der Unterirdischen hat Erfolg: der Verräter wird gebannt: „Audivere preces et raucae murmura vocis Ultrices dirae, saiis est: agnosco luporum Latratusquc canum tristes strepitusque volucrum, Aura sonat, sonat aura, procul per devia raptum Aera Thrasyllum caper adfert: nosco susurrus Et celeris gemitus iucundique rotatus." Die unheimliche Szene wird nicht nur durch zahlreiche naturwahre Einzelzüge belebt, sondern sie wirkt auch durch ihre Geschlossenheit, und den Gesamteindruck verstärkt die Lebhaftigkeit der Darstellung. Bei einem Versuche, das Werkchen als Ganzes zu würdigen, müssen stets die einengenden Schranken im Auge behalten werden, über die der neulateinische Poet des 16. Jahrhunderts nun einmal nicht hinwegkam. Mit diesem Vorbehalt aber darf gesagt werden, daß Bocer sich auch in der Idyllik von einer erfreulichen Seite zeigt. Das Kennzeichen des Durchschnitts der neulateinischen Ekloge in Deutschland, die steife Unbehilflichkeit, erscheint hier in der Hauptsache überwunden. Es ist dem Dichter gelungen, seinen Gebilden Leben einzuhauchen. Und in der Ausführung legt er zuweilen eine Feinheit an den Tag, wie sie in seinem Zeitalter nicht allzuhäufig vorkam. Wenigstens gilt das von den vier ausführlich besprochenen Eklogen, insbesondere dem „Nyctilus". Daß Bocer seinen jüngeren Sangesbruder Petrus Lotichius Secundus überlebte und dessen Tod im Liede beklagte, ist bereits erwähnt worden. Der Eindruck der Gedichte des Lotichius auf Bocer muß außerordentlich stark gewesen sein. Der liebenswürdige neidlose Mann erkannte gewiß schnell, daß hier ein Größerer sprach. Von der Wirkung, die Lotichius auf ihn ausgeübt, legt denn nun auch sein eigenes Schaffen Zeugnis ab. In den ,,sacra carmina et piae precationes" finden sich so deutliche Anklänge an die Gedichte des Lotichius, daß man unmöglich an einen Zufall glauben kann. Ähnlich verhält es sich in den Eklogen. Der „Thuiskon" erinnert im Aufbau wie in Einzelheiten deutlich an die Ekloge des Lotichius: „Viburnus, Venator" (Nr. 2). Und ebenso zeigt die Beschwörungsszene (Nr. 7) eine auffallende Übereinstimmung mit Lotichius': „Daphnis" (Nr. 5), die sich
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aus der Abhängigkeit von den gleichen klassischen Vorbildern und vielleicht auch von Sannazar allein nicht erklären läßt. Man würde aber Bocer unrecht tun, wenn man ihn äußerlicher Nachahmung bezichtigte. Das Muster ist erkennbar, aber das von außen Übernommene ist in selbständiger Arbeit zu Eignem umgeschaffen worden. — Die Grundzüge des Bildes, das sich aus den Dichtungen Bocers ergibt, lassen sich unschwer erkennen; sie vereinigen sich auf das beste mit den Nachrichten über sein Wesen. Eine nicht starke, aber liebenswürdige, reine Persönlichkeit offenbart sich, dankbar und treu den Männern, von denen sie Gutes erfahren, mit lebhafter Empfindung für die Freundschaft und inniger Freude an der Natur ausgestattet. Wo Bocer eine dieser idealen Mächte schwinden sieht, da fühlt man, wie es ihm ans Herz greift. Es entspricht einer solchen Anlage, daß auch sein religiöses Bedürfnis stark ausgebildet ist. Wohl erhebt er sich innerhalb dieses Bezirkes unter dem Eindruck schwerer Erlebnisse gelegentlich zu stärkeren Akzenten, aber im ganzen offenbart sich seine Frömmigkeit nicht als ein stürmisches Werben, sondern als eine mild erwärmende Flamme. Ähnlich verhält es sich mit seiner Vaterlandsliebe; das Gefühl erweist sich als echt, wenn es auch nur in bewegter Klage über Deutschlands Unglück ausströmt. Den Großen der Erde gegenüber muß der arme Poet sich zwar gelegentlich zu Verbeugungen bequemen, aber er wahrt sich doch eine gewisse Freiheit, und das Gedicht auf den Tod Moritzens von Sachsen — der schönste Nachruf auf Moritz trotz zahlreicher Mitbewerber — hält sich von jeder Schmeichelei frei und gibt nur der menschlichen Teilnahme an dem Schicksal des hochbegabten Mannes Ausdruck. Wo Bocers poetische Vorwürfe mit den dargelegten Grundzügen des Inneren übereinstimmten, da ist es ihm auch gelungen, einen Eindruck zu erzielen, der billigen künstlerischen Ansprüchen Genüge tut. Das geschieht in zahlreichen der geistlichen Gedichte, in den Elegien sowie in den vier besten Eklogen. Allerdings wird man zuweilen durch nüchternen Ausdruck gestört, auch drängen sich die wörtlichen Anklänge an bekannte klassische Vorbilder nicht selten allzu störend vor. Aber diese Mängel gleicht die Tatsache aus, daß die Sprache zwar schmucklos, doch kräftig und im Ausdruck dem Gedankengehalt angemessen ist. Auch stehen dem Dichter die zu schildernden Gegenstände lebhaft vor der Seele, und er vermag sie
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meist in der Weise wiederzugeben, in der sie sich ihm eingeprägt haben. Namentlich die beiden zuletzt genannten Eigenschaften weisen seiner Lyrik einen ungleich höheren Platz an als seinen epischen Versuchen, von denen später noch kurz die Rede sein wird. Der Hauptwert der Lyrik Bocers beruht also wesentlich darauf, daß sich in seinen besten Eingebungen die liebenswerte Persönlichkeit widerspiegelt. Insofern rückt er etwa in die Nähe Stigels, aber ein Vergleich mit diesem lehrt, daß Bocer das Innenleben schon unmittelbarer erfaßt und in wirksameren Gebilden ver körpert. Gleich Bocer war auch Michael Haslob ein Schüler des Sabinus und wurde durch diesen in die poetische Bahn gelenkt. Er hat denn auch seinem Lehrer zeitlebens dankbare Verehrung bewahrt und ist nach dessen Tode sein Biograph geworden; ein kleines Epos, das Lebenslauf und Bedeutung des Sabinus behandelt, wird im vierten Bande dieses Werkes besprochen werden. Ähnlich wie bei Bocer gestaltet sich nun aber auch bei Haslob das Verhältnis zu dem Manne, der ihnen die entscheidenden Anregungen gegeben hatte. Gerade das, was Sabinus vor den meisten Neulateinern voraus hatte, die Glätte und den ungezwungenen Fluß des Verses, haben weder Bocer noch Haslob zu übernehmen vermocht; sie bleiben in diesem Punkte weit hinter ihm zurück. Aber trotzdem sind sie nach einer Seite hin ihrem Lehrer überlegen: sie besitzen ein Gemütsleben, das Sabinus fehlte; und wenn es ihnen auch nicht immer gelingt, die Innenwelt entsprechend zu gestalten, so wird man doch bei ihnen niemals durch jene Leere abgeschreckt, über die auch die vollendetste Form nicht hinwegzutäuschen vermag. Haslob stammte aus Berlin; hier ist er 1540 geboren worden. E r studierte in Frankfurt, war dann vorübergehend in Wittenberg, kehrte aber bald wieder nach Frankfurt zurück, das ihm zur zweiten Heimat geworden ist. Hier übernahm er 1572 die Professur der Poesie und hat sie bis zu seinem Tode (28. April 1589) bekleidet. An äußeren Ereignissen ist sein Leben arm; doch geben seine Gedichte Aufschluß über vieles, was ihn innerlich und äußerlich bewegte. Das Schaffen Haslobs läßt sich ungefähr seit dem zwanzigsten Lebensjahr im Zusammenhange verfolgen. Aus dieser Zeit stammen die ältesten seiner bekanntgewordenen Gelegenheits-
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gedichte. Sie zeigen ihn im Ausdruck und gelegentlich im Versm a ß noch nicht vollständig sicher; auch drängt sich der unfruchtbare Charakter der Gattung hie und da allzu deutlich vor. Aber die Eigenart des werdenden Poeten schlägt doch schon deutlich durch; sie äußert sich einmal in der Liebe zur Natur, wie manche ganz artig ausgeführten Bilder beweisen, und dann in einer stillen Behaglichkeit, welche die später den Poeten beherrschende Stimmung vorausverkündet. D a ß es sich um A n fängerarbeiten handelt, läßt sich freilich nicht verkennen. Ä h n lich wie bei diesen frühesten Gelegenheitsgedichten stellt sich das Urteil bei vier im Jahre 1561 veröffentlichten Eklogen. Drei von ihnen sind wohl in diesem Jahre oder Ende 1560 entstanden, fallen also in die gleiche Zeit wie die eben besprochenen Arbeiten. In Maskenform beklagen die vier Eklogen den T o d Luthers, Melanchthons, Sabinus', Lotichius'. Bei den drei letztgenannten liefert das Todesjahr 1560 die Bestimmung für die Entstehungszeit; aber auch das Gedicht auf Luthers T o d wird schwerlich viel früher verfaßt worden sein; man geht wohl mit der A n nahme nicht fehl, daß Melanchthons Tod Haslob veranlaßt hat, auch dem großen Freund des praeceptor Gcrmaniae ein Trauerlied z u weihen. Der Widerspruch zwischen dem pastoralen Kleid und dem Gegenstande macht sich am schroffsten in der Ekloge auf Luther geltend. Sie bietet einen Wechselgesang zwischen zwei märkischen Hirten Dämon und Meliboeus, von denen der eine Luthers Lebenslauf erzählt, der andere dem Schmerze über seinen T o d Ausdruck g i b t ; je ein Anfangsrefrain deutet die verschiedene Stimmung an, wobei insbesondere der Trauer Wittenbergs gedacht wird. Die Gesinnung des Dichters ist unzweifelhaft echt, aber die wunderliche Form führt namentlich bei der Schilderung von Luthers Entwicklung zu unfreiwilliger Komik. — D a s zweite Idyllion ist entweder von Lotichius' fünfter Ekloge oder von deren italienischen Vorbildern beeinflußt (vgl. S. 381 f.): der Hirt Daphnis besingt die ganze heilige Geschichte von der Schöpfung bis herunter auf Paulus, worauf er dann den schon zu Anfang genannten Philetas (Melanchthon) anfügt, nach kurzer Charakteristik den Heimgang des Geliebten in mannigfachen Wendungen beklagend. V o n den beiden Eklogen auf Sabinus und Lotichius wird man der zweiten den Vorzug geben müssen; sie weiß das Gegenständliche ganz gut zu erfassen, zeichnet sich auch durch eine abwechslungsreiche Beweglichkeit der Form aus. Haslob selbst E111 n g e r , Neulateinische Lyrik 2.
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scheint die beiden Eklogen auf Sabinus und Lotichius für besonders gelungen gehalten zu haben, denn er hat sie später auch gesondert ( 1 5 7 9 ) wieder herausgegeben. — In dem Urdruck schließen sich noch einige Trauergedichte auf Luther, Melanchthon, Sabinus, Lotichius an; sie bleiben vielfach im Schülerhaften stecken. Nicht ganz ohne Reiz sind dagegen zwei Gedichte, in denen Haslob seine Muse zu zwei Mäzenaten schickt, ihnen Weg und Ziel hübsch beschreibend. E t w a um 1570, also ungefähr im dreißigsten Jahre Haslobs, erscheinen die eigentümlichen Züge seiner Poesie vollständig ausgebildet, so daß sich ein Gesamtbild gewinnen läßt. Einen außerordentlich großen Raum innerhalb seines Schaffens nehmen die religiösen Dichtungen ein. Ein Jahr vor seinem Tode heimste er den poetischen Ertrag seines Lebens in einer Gesamtausgabe ein ( 1 5 8 8 ) . Von den vierzehn Büchern des ersten Bandes — ein zweiter scheint nicht mehr erschienen zu sein — enthalten zehn geistliche Gedichte, zunächst überwiegend elegisch, die späteren Bücher auch in lyrischen Maßen. Zu Anfang finden sich vielfach allegorische Erklärungen, wie sie auch bei anderen Neulateinern begegnen, z. B. bei Stigel, aber auch bei vielen kleinen Geistern: der Amarant als Bild der leidenden und triumphierenden Kirche, die Rose auf Christi Tod, das Veilchen auf die Passion ausgedeutet; aber obgleich man annehmen sollte, daß die Durchführung solcher Vergleiche dem Naturfreunde besonders liegen müßte, bleiben diese Stücke im Schematischen stecken. Neben derartigen Allegorien erscheinen ganz besonders häufig die bei den Neulateinern gebräuchlichen Formen der geistlichen Lyrik, d. h. Hymnen auf die Engel, Christi Triumph, Lieder auf die einzelnen Feste, namentlich sehr viele Weihnachtsgedichte (In natalem Dei). Aber auch zeitgeschichtliche Ereignisse werden hineingezogen. Im allgemeinen zeigt sich in diesen rein religiösen Dichtungen die eigentümliche K r a f t Haslobs nicht. Zuweilen stellt er sich allerdings eine poetische Situation ganz lebhaft vor, so wenn er ausmalt, wie Christus sich zum Opfer für die Menschheit anbietet, oder wenn der Eingang einer Betrachtung der Passion und des Todes Christi unmittelbar in die Lage hineinführt: „Unde repente ruit facies tristissima caeli, Pristinus et mundi tarn cito fugit honos?
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Sol, pater astrorum, maculat jerrugine vultum, Obtegit auratas pallida Luna genas. Astra refulgenti caelos non lumine pingunt, Terra tremit, sonitu concita saxa fremunt."
Allein diese Fähigkeit der Vergegenwärtigung macht sich doch nur selten geltend. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle gelingt es ihm nicht, die Teilnahme des Lesers zu fesseln; die unbillige Breite wirkt ermüdend, und der wahrhaft fromme Sinn des Dichters genügt allein nicht, um diesen Versuchen eine stärkere Anziehungskraft zu verleihen. Ganz leer geht der Leser freilich nicht aus; denn wiederholt tauchen Naturbilder und Naturschilderungen auf. Da ist der Dichter in seinem Element; er berührt das Gebiet, auf dem er etwas zu sagen hat. In einer sehr umfangreichen Betrachtung (Buch III): „Christus Jesus Gott und Mensch" weist er darauf hin, daß alles zugrunde gegangen wäre, wenn nicht der Sohn den ungeheuren Zorn des Vaters versöhnt hätte. Und nun führt er die Dinge vor, die der Vernichtung anheimgefallen sein würden: „Aspice, sideribus picti, quae gloria caeli, Ut fieret lucis iustitiaeque domus; Respice, quam piene radios sol fundat in agros, Lunaque sit roseo lumine noctis honor; Hesperus ut dulcem vuliu promittat amoretn, Fulgeat ut clari Stella benigna Jovis; Ut volucres, nitidum tranantes aethera pennis, Dulcibus afliciant pectora nostra sonis; Terraque formosis vcstitas jloribus herbas Egerat et laeti graminis omne genus; Ut generet fructus hortis victumque salubrem, Quidquid et utilium vita requirat opum. Aspice delphinos spatioso ludere ponto Et bona, quae gremio /rigidus amnis habet."
Diese und andere Naturbilder werden durch die Teilnahme des Gemütes so belebt, daß wenigstens für kurze Strecken der aus dem Einerlei des Stoffes wie aus der allzu großen Ausdehnung entstehende Überdruß gemildert wird. Allein im ganzen verhält es sich mit diesen Arbeiten nicht anders wie mit dem Durchschnitt der Kirchenlieder im 17. Jahrhundert: der heutige Leser vermag 2T*
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kein Verhältnis mehr zu ihnen zu gewinnen. Wirklich fruchtbar wird die religiöse Lyrik Haslobs erst da, wo die Frömmigkeit nur die aus der Zeit sich ergebende Farbe des Persönlichen ist. Auch für dieses maskierte individuelle Gefühl, das in der neulateinischen Lyrik schon wiederholt festzustellen war, finden sich mannigfache Beispiele, obgleich sie an Zahl hinter den an die Überlieferung sich anschließenden Gedichten weit zurückstehen. Mit rührenden Worten bittet Haslob zu Gott „für die Mark, das süßeste Vaterland"; er fleht um Befreiung von vielen Plagen, von Pest, Krieg und Hungersnot. Aber nicht bloß die Umgegend der Oder soll er beschützen, sondern alle Orte, wo sein Lob verkündet wird, und jeden Deutschen soll er mit gnädigem Antlitz anschauen. Die Oder selbst feiert der Poet in einer hübschen Ode mit den mehrfach wiederkehrenden Worten: ,,Te carum patriae solo Prae multis aliis, Odera, concinam."
In ganz eigentümlicher Weise verschmelzen einmal Frömmigkeit, Freude an der Natur und Reinheit der Seele miteinander. „Sicherlich ist es süß," sagt der Dichter, „den Himmel, die Strahlen und Fackeln der glänzenden Sonne, die wandelnde Gestalt des Mondes zu sehen; sicherlich ist es süß, die Erde zu schauen, voll von Blumen und Wäldern, die vom süßen Gesang der Vögel belebt werden; sicher ist es süß, die Quellen zu schauen und die sanft dahinfließenden Flüsse, und die Fischlein, die geschmeidig unter den Wellen spielen. — Ich bewundere die im hellen Flusse Schwimmenden; ich freue mich über die üppig grünende Grasfläche; der Vogelsang ergötzt mich; aber wenn ich meine Augen zu den Stätten der Menschen hebe, wieviel Schweres erblicke ich! Wie viele Laster erfüllen den Erdkreis, Geldgier, Hochmut, Verachtung, Mißgunst, Schwelgerei, Müßiggang und Zorn; wer kann sie aufzählen ? Wer alles das betrachtet, zittert schaudernd und seufzt." Durch diesen Gegensatz zwischen der Anziehungskraft der Natur und dem Bösen, das der Mensch in die schöne Gotteswelt hineinträgt, wird der Dichter zur religiösen Betrachtungsweise geführt; er findet in dieser trüben Gemütsstimmung Trost im Vertrauen auf den, der niemanden zurückstößt, sondern die Geängstigten und Bekümmerten gern von den Krankheiten der Seele befreit. Ähnlichen Gedanken begegnet man bei Haslob wiederholt. „Was nagt ihr meine
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Brust, ihr unruhigen Beschwerden und Sorgen ? Geht nur, da in schwierigen Lagen Heil von Gott zu erwarten ist, auf dessen Hilfe wir trauen dürfen, und in dessen Schutz wir sicher sind." Wie durch das persönliche Element, so wird die religiöse Lyrik auch durch die Anknüpfung an Tatsächliches belebt. Die furchtbare Pest von 1586 gibt den Anlaß zu dichterischen Äußerungen. Haslob läßt die Stadt Frankfurt selbst sprechen und ihren früheren blühenden Zustand mit dem durch die Pest hervorgerufenen Elend vergleichen. Dabei finden sich manche hübsche Bilder, anderes streift freilich hart an die Grenze der unfreiwilligen Komik. Der Bitte an Gott, die Pest aufhören zu lassen, entspricht in einer Ode der feurige Dank für die Gewährung dieser Bitte. Der individuelle Ton und das Eingehen auf zeitgeschichtliche Vorgänge, die beide — vielfach miteinander verbunden — die Eintönigkeit der geistlichen Poesie angenehm unterbrechen, kommen selbstverständlich da noch deutlicher zur Geltung, wo weltliche Stoffe dankbarere Gegenstände bieten. Allerdings verleugnet sich auch in diesen Schöpfungen der fromme Sinn des Dichters niemals. Über seine Art, die Dinge zu behandeln, geben zwei Gedichtfolgen guten Aufschluß. Das Fieber als Stoff der Dichtung begegnet schon in der neulateinischen Dichtung Italiens; in die deutsche Literatur hat es bekanntlich Hutten eingeführt. Haslob besingt seine Fieberkrankheit und deren Heilung in fünfzehn Elegien (Febris, lib. unus 1577). Er klagt den Freunden, unter welchen sich Schosser und Abel befinden, sein Leid; er redet das Fieber selbst an und macht es für seine Hinfälligkeit und für das Versagen seines Dichtergeistes verantwortlich; er wünscht sich die Kraft des sterbenden Schwanes, die dichterische Leier Arions, um sein Unglück besingen zu können, Und er wendet sich in einer besonderen Elegie um Hilfe an Christus. Als er genesen, dankt er Gott und Christus in zwei Elegien. Dabei wird — ähnlich wie in einer weiteren Elegie — die ganze Krankheitsgeschichte rekapituliert. Solche Wiederholungen finden sich mehrfach. E r trauert darüber, daß ihn die Krankheit hindert, den Wald und die bei der Stadt gelegenen Gärten zu besuchen; sogleich nimmt er dieses Motiv in einer anderen Elegie von neuem auf; er trägt den unterhalb der Stadt liegenden Gärten selbst den Grund des Fernseins vor und freut sich, im Falle seiner Genesung sie wiederzusehen und ihnen
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die Lieder vorzutragen, die er in der Jugend und im reiferen Alter verfaßt hat. Dieses beständige Weiterspinnen der gleichen Gedanken hat jedoch nichts Störendes; dasselbe läßt sich von manchen, regelmäßig wiederkehrenden Wendungen sagen. So von der Klage, daß seine Gedichte nur halbvollendet sind und durch ihn die letzte Feile nicht mehr erhalten werden: „Nunc iaceo, mecumque iacent, tot gaudia, versus, Quos tulit optatis laeta iuventa meis." Ähnlich verhält es sich mit der Bezugnahme auf die Eltern: die Mutter ist tot, der Vater fern; wer wird ihm die Augen schließen, wer die Grabstätte bereiten, wer um ihn weinen? Und ganz wirkungsvoll wird der Vater mit einem Anfluge tragischer Ironie eingeführt: Haslob stellt ihn sich vor, wie er, stolz auf die von dem Sohn jetzt ausgeübte schöne Tätigkeit, freudige Hoffnung für die Zukunft hegt, nicht ahnend, daß der Sohn zu gleicher Zeit im Fieber darniederliegt. Der Dichter schließt in dieser Elegienreihe unmittelbar sein Empfinden auf und versteht nicht minder, die äußeren Vorgänge anmutig zu vergegenwärtigen. Das geschieht auch in einem anderen Zyklus, der den Titel: „Meine Hochzeit" trägt (Carminum de suis nuptiis scriptorum, parsl, 1582 vgl. die Literaturangaben). D a erscheint zuerst Amor dem Dichter im Traum und fragt ihn, weshalb er sein Dichteramt immer in den Dienst der traurigen Leichenbegängnisse stelle; er will ihm besseren Stoff zum Gesänge geben. Damit hebt er den Bogen und schießt einen Pfeil in das Herz des Dichters. Dieser wacht auf und fühlt die Wirkung des Geschosses. In der zweiten Elegie berichtet nun Haslob einem Freunde, wie er in Liebe gekommen: „Ver erat, et pulchris halabant floribus agri; Vos quoque tunc plausum voce dabatis, aves. Egredior pratumque virens vernanlibus herbis Adcolo, dum leni murtnure flumen äbit. Ecce venit quodam casu non rustica virgo, Lumina sub terram jixa decenter erant. Frontis honor niveae formosa virgine dignus, Ingenium mores surripuere meum. Aspicio mirorque decus, nymphaque stupesco Protinus, et toto pallor in ore fuil."
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Seitdem fühlt er die von Amor ihm beigebrachte Wunde; sie drückt und quält ihn. Schwester und Bruder sind fern; sie können seine Schmerzen nicht lindern; da wendet er sich an den arzneikundigen Freund; aber auch der wird nicht imstande sein, Heilung zu bringen, wie denn überhaupt weder Kräuter noch Lieder helfen können. So bleibt ihm nur die Zuflucht zu Amor übrig: „Schone mein!" ruft er ihm zu, „ich bin dir ja Untertan; warum zwingst du mich zu bittrem Schmerz?" Eine dritte, an Michael Abel gerichtete Elegie schildert die Reize der Geliebten, immer in Rücksicht auf die Wirkung, die sie auf den Dichter ausüben, so daß die Unanschaulichkeit der Beschreibung vermieden wird. Das Gedicht sucht zudem den Charakter brieflichen Geplauders festzuhalten; daher drängen sich manche anderen Motive ein: Sehnsucht nach dem entfernten Freunde, dazu die bei Haslob wie bei der ganzen neulateinischen Poesie häufig auftauchende Klage über die Verachtung der Kunst: „Nam quotus est hodie, Musas qui curat et artes?" Bisher hat sich Haslob unter die Obhut des kleinen Liebesgottes gestellt; in der vierten Elegie gibt er jedoch dem bloß erdichteten, sittlich anrüchigen Amor den Abschied; eine heilige Glut hat sein Inneres ergriffen. Aber lange bangt ihm vor der entscheidenden Aussprache; endlich faßt er sich ein Herz; er wirbt um die Geliebte, wobei er ihr zugleich auseinandersetzt, wie er sich seine künftige Gattin denkt. Sie weist ihn an ihren Vater; der stimmt zu, und nun fordert Haslob den Freund auf, ihm ein Hochzeitslied zu singen. Eine Reihe von Gedichten in lyrischen Maßen folgt; Freunde und Gönner werden durch sie zur Hochzeit eingeladen, wobei der Dichter in jedem einzelnen Falle dem Gegenstande eine neue Seite abzugewinnen sucht. So wenn er seinen Entschluß damit begründet, daß das ehelose Leben nicht imstande wäre, Sorgen und Schmerz zu verscheuchen, und er sich daher lieber dem Ehejoch unterwerfen wolle, als länger die ungezähmten Flammen ertragen. Von hier aus gelangt er zu der Tatsache der bevorstehenden Vermählung, die er zu beschicken auffordert: „0 festiva dies, veni, Ut flammae trepido pectore concidant, Ut solatiolum meae Cemam moestitiae: non mihi gratior Ullo tempore jidserit: Hic gemmae valeant et nitor aureus."
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In weiteren Oden und Hymnen bittet er die Dreieinigkeit, ihn und seine Gattin den rechten W e g zu führen, bittet Christus u m glückliche E h e und u m Kinder. Ein hübsches Gedicht gibt am Schluß Sorgen und Beschwerden den Abschied; er hofft, mit Gottes Gnade den Frohsinn zu bewahren. Allerdings handelt es sich in diesem Werkchen nicht um eigentliche Liebespoesie oder doch wenigstens nur um eine sehr zahme. Allein in die Empfindungen, die den Verfasser während eines wichtigen Lebensabschnittes bewegten, führt er gut ein; und trotz des enggespannten Rahmens wird ein munter sich abrollendes Bild erzielt. Sowohl die Anlage des Ganzen wie die Ausmalung des Einzelnen zeigt Eigentümliches; Vorläufer in dieser Gestaltung der Hochzeitspoesie h a t Haslob kaum gehabt, wohl aber einige Nachfolger, von denen später noch zu reden sein wird. Wie lebhaft sich das Naturgefühl des Dichters schon von dem Anfang seines Schaffens an regte, ist bereits mehrfach erwähnt worden. E s wurde gezeigt, daß die Freude an der Natur auch bei der Wiedergabe anderer Gegenstände durchbricht und z u Naturbildern und -Schilderungen A n l a ß gibt. Allein damit h a t sich Haslob nicht begnügt. A u c h in selbständigen Gebilden gewinnt seine Liebe zur Natur Gestalt. Und diese Gebilde faßt er ebenfalls in größeren und kleineren Gedichtfolgen zusammen. Wie aber in die religiösen Versuche das Naturgefühl des Dichters hineinklingt, so bezeugen umgekehrt die selbständigen Naturschilderungen seinen frommen Sinn und seine Sittenreinheit; auch hier wird ihm das Vergängliche zum Sinnbild des Ewigen, und er kann zuweilen nicht unterlassen, dem hübsch Angeschauten einen moralischen Schwanz anzuhängen. Die erste der in Betracht kommenden Sammlungen ist der „Frühlingsgarten" (Hortus vernus, 1572). Die Grundstimmung möchte man als ein stilles, sinniges Behagen bezeichnen. Nicht immer wecken jedoch die Natureindrücke ihm ein frohes Gef ü h l ; zuweilen erinnert ihn der Wechsel der Erscheinungen an die Vergänglichkeit alles Irdischen. A b e r mit wahrer Herzensfreude begrüßt und vergegenwärtigt er das allgemeine Erwachen im Frühling. Freilich kann er das Blühen und Treiben nur von seiner Stube aus mit ansehen, denn er ist gezwungen, zu Hause zu bleiben, aber sein Geist schwebt durch Gärten, Felder und den dichtbelaubten Hain. Herbei nun, ihr Freunde, und vertreibt
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meine Trauer mit dem Klang der Leier, gutem Wein und unanstößigen Büchlein 1 ,,Quod unici sodales Ocellulis videtis, Id assequamur ipsum Sequente mente silvas."
Die hier durchbrechende Lebensfreude kommt auch sonst zu Wort. Ein Hinweis auf die schwere Zeit und die durch sie hervorgerufenen Sorgen veranlaßt die Frage, was man tun könne, um die Sorgen zu verscheuchen. Der Dichter gibt die Antwort, indem er die Freunde zu frohem Gelage in seinen Garten einlädt, wo sie, mit Rosen bekränzt und von ihrem Duft umhaucht, ihre Plätze einnehmen sollen: ,, Rosas gerant amantes, Rosas amant poetae, Jocos, sales colentcs, Rosas gerant puellae. Odoribus repleti, Merum bibamus ülud, Quod optimum putelur. Quid haud merum bibamus? Merum fugat dolores, Merum jacit colorem, Merum iuvat poetas, Merum facit disertos, Resolvil ora vinum, Premit Thalia curas Meraciore poclo."
Schließlich wird zum Frohsinn drinnen im trauten Kreise gemahnt, da es draußen Leid und Klage zur Genüge gebe. Neben solchen heiteren stehen geistliche Stücke auf die Passion und die Auferstehung. Auch die literarischen Verhältnisse werden berührt, dichterische Freunde gepriesen; Haslob warnt vor unsauberen Versen und Verseschmieden; die soll man fliehen wie Gift und Pest und nur den ätherischen Nektar wählen, wie er in den Gedichten des Sabinus und Stigels fließt, oder das, was P. Lotichius Secundus aus den reinen Lippen der Musen gesogen hat. Nicht selten erscheint das elegische Maß; aber
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bezeichnend für das Büchlein ist der dreihebige anakreontische Vers, von dem Beispiele angeführt worden sind. Es erscheint daher begreiflich, daß sich gelegentlich auch mythologische Motive der griechischen Anakreontik finden: Amor hat Rosen gebrochen und sich dabei verletzt; als er darüber staunt, daß so schöne Blumen verwunden können, sagt Venus: „ D u bist ja schön von Aussehen und bringst doch Wunden bei." — Der Dichter begleitet die übernommene Erzählung allerdings mit der prosaischen Nutzanwendung: „Est ita. Nil adeo pulchrum, nil dulce putabis, Quin comes huic olim copia fellis eat." Eine ähnliche, aber weit umfangreichere Sammlung bieten Haslobs „Frühlingsgedichte" (zwei Teile, 1577 und 1578). Sie unterscheiden sich von dem „Frühlingsgarten" auch dadurch, daß der Kreis der behandelten Motive größer ist. In manchen Fällen glaubt man zu spüren, daß sie unmittelbar vom Augenblick eingegeben sind. Der Dichter findet im Garten sein Rosmarin verwelkt; trauernd redet er das so sorgsam von ihm gepflegte Blümchen an. Aber auch jetzt will er es nicht lassen, die unverdorrten Blätter will er weiter pflegen. Trotz dieses Entschlusses behält aber der Schmerz die Oberhand. Das Los des Rosmarins erinnert ihn an den Unbestand alles Irdischen. „0 mi Rosmaris, ergo sie peribis? 0 dulcissitne Rosmaris, iacebis, Dum vitam tibi rettulisse velim?" Überhaupt erweckt ihm der blühende Garten leicht wehmütige Empfindungen. Von den Blumen im Garten wünscht er zu erfahren, wann seinen Leiden endlich ein Ziel gesetzt sein wird. „Ihr Blumen", ruft er aus, „seid von meinen Tränen gewässert. Crescite, felices herbae, quas nutrit ocellus! Was ist das Leben anders als eine Schule der N o t ; Geduld ist nötig; kannst du nicht siegen, so mußt du dich wenigstens schämen, den Beschwerden unterlegen zu sein." Auch andere Natureindrücke regen zuweilen peinigende Empfindungen in ihm an. Bei einem Spaziergange begrüßt er die schöne, durch seine Muse gefeierte Quelle Kallirrhoe; sie ist von Bäumen und Blumen eingefaßt, die Mädchen der Vorstadt haben an ihr die Füße zum Tanze geregt, die befreundeten Dichter den Durst mit ihrem Wasser gestillt. Allein jetzt ist die Oder über ihre Ufer getreten und hat mit ihren Fluten
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das ehemals so klare Wasser getrübt. Bis zu diesem Punkte folgt man der Schilderung gern. Haslob kann es nun aber nicht lassen, den geschilderten Vorgang auf ihm besonders naheliegende menschliche Verhältnisse anzuwenden: „Sic eiiam puros iurbat vis invida fontes, Ora quibus vates et sua corda rigant, Et levis insontes prem.it ignorantia vates, Callirrhoe damno par quibus esse cupis." Es entspricht dieser allgemeinen Betrachtung, daß sich Haslob wiederholt gegen einen unbilligen Tadler seiner Dichtungen zu wenden hat. Selbstverständlich fehlt die Beziehung auf die gleichzeitige Poesie hier ebensowenig wie im „Frühlingsgarten"; sein Dichterkollege und nachmaliger Schwiegervater Johannes Schosser empfängt anerkennende Worte wegen eines von ihm veranstalteten Frühstücks und der dabei gebotenen körperlichen Genüsse, die jedoch durch die geistigen weit übertroffen worden seien. Auch Lotichius erhält wie im „Frühlingsgarten" begeistertes Lob, und einzelne Versuche in zahmer Erotik lassen im Stofflichen seinen Einfluß erkennen. Allzu schwer wiegen diese Liebesgedichte nicht; sie tragen ebenfalls halbanakreontischen Charakter: Margaris, die Perle, vermehrt ihre Reize noch dadurch, daß sie beim Weben singt. ,,Ecquid adhuc cantu mea pectora surripis? ecquid Vordere vis oculos et mea corda sonis?" — Die Wittenbergische Martia bevorzugt das Land, sie läßt ihn allein; er fürchtet, daß sein Nebenbuhler, ein garstiger Bauer, ihm dort gefährlich werden könnte, und bittet sie dringend, zurückzukehren. — Und er preist die Blumen glücklich, die durch die Geliebte begossen und neu erfrischt werden, während er für das Feuer, das Rosellas Augen in ihm entfacht haben, keine Linderung findet — das letztere ersichtlich von dem schönen Gedicht des Lotichius: „ K l a g e des Liebenden" abhängig (vgl. S. 374). — Neben diesen Sprüngen ins erotische Gebiet und Freundschaftsgedichten, die in ihren Erfindungen zuweilen recht ansprechend sind, vernimmt man auch wie im „Frühlingsgarten" religiöse Töne; es erscheint wie ein Vorklang von Paul Gerhardts „Sommerlied", wenn die prangende Frühlingslandschaft in der Seele des Dichters die Vorstellung von der unvergleichlich größeren Schönheit „jener Welt" erweckt. Wieder wie im „Frühlingsgarten" verträgt sich jedoch diese religiöse
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Färbung sehr gut mit einem gemäßigten Frohsinn. Die Aufforderung zu heiterem Lebensgenuß fehlt auch hier nicht, und es wird eingeschärft, wie notwendig dem Poeten ein guter Trunk ist. „ D e r bewässerte Garten zeitigt die schönsten Blumen, die Ader des Dichters, mit dem süßen Saft der lauteren Traube genetzt, bringt tausend treffliche Verse eigentümlicher Art hervor." Freilich sucht Haslob eine mittlere Linie einzuhalten; mehrfach tritt er gegen das Übermaß im Trünke auf; und der beste dieser Warnungsrufe benutzt das gleiche Bild wie in dem eben angeführten Stückchen, nur in umgekehrter Weise: „Wenn zu viel ö l auf die Lampe gegossen wird, erlischt die Flamme; in der gleichen Weise wird der Geist erstickt werden, falls man über seine K r ä f t e trinkt. So verderben die Blumen, wenn Gärten und Wiesen zu stark gewässert werden." Gewiß umspannen diese Versuche kein weites Gebiet, aber der Wunsch, dem engen Kreise immer neue Seiten abzugewinnen, macht im kleinen erfinderisch, und die Sorgfalt, mit der die so entstehenden Stückchen geputzt und poliert sind, führt zu einer Zierlichkeit, die man innerhalb der neulateinischen Lyrik als einen Fortschritt empfindet. Dazu kommt, daß der lebhafte Natursinn des Dichters individuelle Empfindungen zuweilen doppelt wirksam werden läßt. Wenn er den Gedanken zum Ausdruck bringen will, daß die Not des Lebens den Dichter an der Entfaltung seiner Kräfte verhindert, kleidet er den Gedanken, ähnlich wie Jak. Micyllus (vgl. S. 42), in ein Naturbild ein: „Die Nachtigall verbirgt sich bei Wind und Regenschauern im Wald und schweigt; soll der Poet singen, dem Kummer, Gram und Sorgen das Herz beschweren?" Unwillkürlich denkt man an Walthers berühmtes Lied: „Die zutvelaere sprechent, ez si allez t6t." Wenn die „Frühlingsgedichte" auch erst 1577 und 78 erschienen sind, so reichen doch manche Bestandteile in erheblich frühere Zeit zurück, zum Teil wohl noch in die sechziger Jahre, ohne daß es in den meisten Fällen möglich wäre, das chronologische Verhältnis mit Sicherheit festzustellen. Bei einer anderen, im Stoff verwandten Sammlung vermag man dagegen die Entstehung aufzuzeigen. In demselben Jahre, in dem der „Frühlingsgarten" erschien (1572), veröffentlichte Haslob ein elegisches Gedicht: „ L o b des Winters". Mit leichten Veränderungen nahm er es 1577 als Schlußstück in die Sammlung auf: „ D a s Land, Früh-
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ling, Sommer; der Winter und dessen Lob." Ein wirklicher Eindruck wird allerdings hier nur mit dem zeitlich am weitesten Zurückliegenden erzielt. Das erste Stück gibt nicht, wie man erwarten sollte, eine Schilderung des Landlebens, sondern es verweilt nach kurzer Einleitung bei der goldenen Zeit vor dem Sündenfall und der in ihr herrschenden Bedürfnislosigkeit und Genügsamkeit, woran sich der Wunsch knüpft, daß diese Eigenschaften auf die Erde zurückkehren möchten. Auch die beiden Gedichte über Sommer und Winter enthalten mehr Betrachtung als anmutende Schilderung. Durch eindrucksvolle Züge zeichnet sich dagegen das „Lob des Winters" aus. Das trauliche, vom Gesang verschönte Leben am häuslichen Herd ersteht in gemütlicher Wärme, und der Hinweis auf das Weihnachtsfest, in den das Loblied ausklingt, trägt dazu bei, diese Stimmung zu steigern. Während sich draußen der Schnee türmt, sitzt der Poet unter seinen geliebten Alten in der Stube; er freut sich des Feuers im Ofen, in dem Äpfel und Birnen gebraten, Kastanien und Quitten geröstet werden; ein Stieglitz im Bauer oder ein anderer Vogel begleitet die Arbeit des Dichters mit seinem schmetternden Liede. Die Muße und stille Sammlung, die die winterliche Abgeschlossenheit erzeugt, regt zu dichterischem Bemühen an. „Tum domus accipiet cantus, domus apta serendis Versibus, et docto pectore ficta canes. Ficta canes, aut facta canes; nec vincere possit Ver, licet innumero germine vincat hitmi."
Das ganze Bild atmet friedliches Behagen. Möglich, daß eines der kleinen „Augenblicksbilder" Fracastoros (vgl. Band I, S. 205) den Anstoß zu Haslobs Versen gegeben hat; war das der Fall, so hat unser Dichter jedenfalls das von außen Gekommene selbständig umgeschaffen. Alle Seiten der dichterischen Persönlichkeit kommen in den Elegien (zwei Bücher, 1587) ebenso zum Ausdruck wie bestimmte Lieblingsvorstellungen. Von seinem Familiengefühl zeugen die Trauergesänge auf den Tod seiner durch die Pest von 1586 weggerafften Schwester Ursula. Der Ring, den ihm die Schwester sterbend geschenkt, gibt Anlaß zu wehmütiger Versenkung in den Schmerz. Und als bald nach dem Tode Ursulas der Stieglitz Haslobs stirbt, fließt der Kummer um den Tod des Lieblings mit
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dem großen Leid um die Schwester zusammen. Die hat früher für den kleinen Sänger gesorgt und ihm Mohn und Wasser gemischt; als die Schwester starb, schien er den Verlust zu empfinden und um sie zu klagen. Jetzt muß nun der Dichter den Sang des Vogels entbehren; er ruft ihm ein Lebewohl zu und verspricht ihm, daß er im Liede weiterleben soll. Ein wahrem Gefühl entsprungenes Zeugnis! Gern würde man freilich die darauffolgende Antwort des Stieglitz entbehren, denn sie enthält arge Schulfuchsereien: der Vogel mahnt ihn, Maß in der Klage zu halten; Ursula lebt jetzt in ewiger Freude; er soll Kalliope als seine Schwester betrachten. Die in den Elegien auf den Ring und auf den toten Stieglitz zum Ausdruck kommende sinnige Art verleugnet sich auch sonst nicht. So z. B. in der Elegie auf seine Studierstube. Er weiht dieses zu errichtende oder errichtete Museum den Musen; sie finden keinen Prunk bei ihm, wohl aber Einfalt und Rechtschaffenheit, allein das entspricht ja ihrem Wesen, denn nicht bei den Schlemmereien der Reichen suchen sie ihre Freude, sondern bei Reigen und Gesang. So sollen sie denn, durch Phoebus geführt, zu ihm kommen, aber nur Keusches singen. Denn diese Arbeitsstätte sei durch das Bild Christi geheiligt und in ihrem Wesen bestimmt. Im Museum will er die Freunde versammeln und mit ihnen die Alten lesen. Nur diesen musischen Dingen gelte das Freundesgespräch; Gewinnsucht und Rechtshändel sollen verbannt bleiben. Eng mit den Schlußworten berührt sich ein anderes Gedicht; es ist an Joh. Bocer gerichtet. Die Einkleidung hat Haslob Lotichius nachgebildet (Elegie I, 2). Der Dichter erzählt, wie er sich entschlossen habe, der Poesie Valet zu sagen und sich den gewinnbringenden Geschäften des Forums zu widmen; er legt die Klassiker aus der Hand, ebenso den Flaminius, den Johannes Secundus, den Petrus Lotichius Secundus, den Sabinus. Aber da erscheint ihm Erato und mahnt ihn, zu den Musen zurückzukehren. Auf seinen Einwand, der Musendienst bringe keinen Lohn, die Dichtung sei mit dem Hunger gepaart, erwidert ihm Erato: ,,Longa dies aevo splendescens eximit aurum; Perpetuo vatum scripta polita manent. Hic requies, illic rodentes pectora curae, I nunc, magnificas carmine confer opes!
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Nec comcs est setnper paupertas invida coeptis. Perfer: erunt longae praemia iusta morae. Non nisi post multas contingit gloria curas, Non tibi ver uvas, non tibi poma dabit. Nunc afflicta iacens alios emerget in annos Eriget et virtus nomen in orbe suum."
Sie fordert ihn auf, das Forum zu verlassen; und der Dichter folgt ihrem Rat: der Mammon soll ihn dem Phoebus nicht abwendig machen. Die Voraussetzungen der vorliegenden Elegie kehren auch in anderen Gedichten wieder; mehrfach klagt Haslob, daß die Zeit der Poesie nicht günstig ist, daß die Kunst keinen Gewinn bringt und auf die Unterstützung der Fürsten nicht rechnen darf. Die Dichtung steht auch im Mittelpunkte mancher rein individuellen Auslassungen; da spricht er seinen Kummer darüber aus, daß ihn die Sorgen hindern, seinen poetischen Versuchen so viel Zeit zuzuwenden, wie er gern möchte, und sie durch sorgfältiges Feilen der Vollendung nahe zu bringen. Wie diese bei Haslob so oft auftauchenden Gedanken und Klagen, so macht sich auch das für ihn so bezeichnende Naturgefühl in den Elegien geltend; schöne Vergleiche legen davon Zeugnis ab; auch ländliches Leben weiß er nicht übel zu schildern, wenn er einen Freund mahnt, während der Pest die Stadt zu verlassen und auf das Land hinaus zu ziehen. Der Natursinn hat auch das Lied auf einen toten Schwan eingegeben, der, von einem Pfeil durchschossen, in der Spree gefunden worden ist. Die Spree-Nymphen werden zur Trauer um den Gestorbenen aufgefordert, den seine schneeige Farbe, sein Gesang, sein keusches, frommes Leben nicht vor dem Verderben geschützt haben; und der Dichter schickt ihm einen einfachen Sang in die Finsternis oder, wie er lieber glauben will, in das Elysium nach. Das sich hier aussprechende Gefühl erscheint nirgends gekünstelt, und es tut dem von sanfter Wehmut erfüllten Gedicht keinen Abbruch, daß es offenbar durch die Elegie des Lotichius auf einen toten Delphin (Eleg. II, 7) angeregt worden ist. — Soll der Gesamteindruck der poetischen Tätigkeit Haslobs bezeichnet werden, so erscheint ein Vergleich mit Bocer am Platze. Auch hinter Haslobs Gedichten steht eine treuherzige, biedre Persönlichkeit, aufgeschlossen für das Schöne im Leben und in der Natur, empfänglich für Familien- und Freundschafts-
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gefühl, einer gemäßigten Heiterkeit nicht abgeneigt, aber leicht verletzt durch das Böse und Häßliche, dazu unter der Schwere der Zeit leidend. Alle diese Seiten seines Wesens kommen in der einen oder der anderen Weise zu Wort; und wo Haslob nicht bloß spielt, wo es ihm mit dem Sang ernst ist, da erweist sich das Empfinden als echt. In vielen Fällen gelingt es ihm auch, das wahr Empfundene überzeugend auszusprechen. Allerdings wird die der Absicht entsprechende Form nicht durchweg erreicht; ähnlich wie bei Boccr und anderen stören bei Haslob trockene Stellen und prosaische Wendungen; auch das Sprachliche und Metrische ist nicht überall einwandfrei. Aber die unleugbaren Mängel dieser Art treten zurück, wenn der Gehalt des ganzen Lebenswerkes ins Auge gefaßt wird: das Liebenswürdige der dichterischen Persönlichkeit versöhnt mit dem Mißlungenen. — In der Entwicklung der neulateinischen Poesie bezeichnet Haslob bereits einen Übergang. Wohl hängt er mit Sabinus, Stigel, Lotichius zusammen und setzt ihre Weise fort; daneben aber finden sich bereits die Anfänge einer anderen Form: anstatt der ausgeführten Elegien, der immer noch umfänglichen Stücke in Hendekasvllaben begegnen in seiner Lyrik kleine abgerundete Gedichte von wenigen Zeilen, dazu Versuche im anakreontischen Maß. Was dem folgenden Zeitabschnitt, soweit die äußere Gestaltung in Betracht kommt, das entscheidende Gepräge verleiht, erscheint bei ihm schon vorgebildet. Das ist kein Zufall. Denn Haslob war mit den tonangebenden Poeten der Folgezeit, einem Melissus und Posthius, ungefähr gleichaltrig, wenn auch ein unmittelbarer Zusammenhang mit ihnen nicht bestanden zu haben scheint. Trotz dieser Vorklänge einer neu aufkommenden Weise muß er aber doch den Grundlagen seines Schaffens nach der ablaufenden Periode zugerechnet werden. — Zu den nächsten Freunden Haslobs gehörte Michael Abel. Er ist um 1540 in Frankfurt a. O. geboren, hat hier die Universität besucht und auf ihr insbesondere den Einfluß von Sabinus und Schosser erfahren. Von Frankfurt ging er zunächst als Lehrer einiger Adligen nach Lauban, sodann nach Görlitz; hierauf hielt er sich längere Zeit in Sachsen, namentlich in Dresden, auf und suchte dort als höfischer Poet sein Glück zu machen. Dann treffen wir ihn in Ostreich, zunächst in Wien, wo er von Rudolf II. zum Dichter gekrönt wurde, dann in Iglau als Rektor
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der dortigen Schule (1583—85). Wiederholt hatte er Anfechtungen zu bestehen; Lauban mußte er wegen eines Zwistes mit dem dortigen Geistlichen verlassen; wie es scheint, machte ihm das Neuerstarken des Katholizismus die weitere Beibehaltung seines Amtes unmöglich; bald darauf ließ Abel ein Gedicht drucken: „Über die Linde in Lauban," das zu einer erbitterten Entgegnung von Seiten eines Ratsmitgliedes Anlaß gab; soweit die Anspielungen jetzt noch zu deuten sind, warf Abel dem Rat vor, daß er Geistliche und Lehrer zu häufig wechsele und sie nicht genügend entlohne. In Iglau wurde er von seinem Hauswirt, der ihm ein unehrbares Verhältnis mit seiner Tochter vorwarf, längere Zeit gefangen gehalten und erst durch das Machtwort Rudolfs II. befreit. Von Ostreich aus begab er sich 1588 nach Dänemark, konnte aber das Klima nicht vertragen und kehrte nach Frankfurt zurück. Hier fand der viel Umhergetriebene einige Jahre als Rektor der Stadtschule Ruhe (1590—94); dann aber griff er wieder zum Wanderstabe, ohne daß sich seine weiteren Schicksale genau verfolgen ließen. Um 1605 scheint er gestorben zu sein. Eine Art Rechenschaftsbericht legte der landfahrende Poet im Jahre 1590 vor, als er in seiner Vaterstadt nach mancherlei Stürmen den Hafen erreicht zu haben schien. Kleinere Gelegenheitsarbeiten waren der Sammlung von 1590 vorausgegangen, ohne daß die in Betracht kommenden Stücke nähere Berücksichtigung beanspruchen könnten. Auch die Ausgabe von 1590 enthält mancherlei Unbedeutendes. Sie umfaßt vier Bücher carmina, kurze elegische Stücke, Hendekasyllaben und Oden; außerdem zwei Bücher Elegien. Diese enthalten das Beste, was Abel auf lyrischem Gebiete hervorgebracht hat. Aber auch in dem ersten Teil zieht manches Persönliche an. Wenn er in einer Ode, wohl einem der frühsten seiner Gedichte, ein geliebtes Mädchen beklagt, das ihm durch eine schwere ansteckende Krankheit, etwa die Pest, entrissen worden ist, weiß er den Schmerz in ganz innige Worte zu kleiden. Ein kleiner Monolog scheint in die Fahrten des umhergetriebenen Poeten hineinzuführen: in rauhem Winterwetter befindet er sich auf einer Wanderung und bittet Sturm und Kälte, ihn zu schonen, damit er sein Ziel erreichen kann. Von der Gemütsstimmung, in die Mißerfolge und Anfechtungen ihn versetzten, glaubt man manche Nachklänge zu vernehmen. So geht es wohl auf die an den Höfen gemachten Erfahrungen, wenn er sagt: „Die SchoßE U1D g e r, Neulateinisehc Lyrik 2.
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hündchen, die keine Arbeit tun, werden verzogen, gehätschelt und gefüttert, die Hunde dagegen, die die Raubtiere von den Herden fernhalten und das Haus bewachen, müssen mit den Knochen vorlieb nehmen." Das Mißgeschick, das sich an seine Fersen heftete, empfand er tief; und wenn die Musen bei ihm einkehren wollten, hätte er ihnen am liebsten den Zutritt verweigert; als sie sich um sein abweisendes Verhalten nicht kümmern, ruft er ihnen zu: „0, ihr Unglücklichen, daß ihr nicht einen Schüler gefunden habt, der euch eine würdigere Herberge bieten kann!" Wiederholt finden sich Klagen über die Unbilden einer geistig und sittlich heruntergekommenen Zeit; und hoffnungslos wie die allgemeinen Verhältnisse betrachtet der Poet auch das eigne Schicksal: an das Traurige im Leben hat er sich schließlich so gewöhnt, daß er Gutes nicht mehr ertragen zu können meint. So decken die carmina, richtig gedeutet, Seelenzustand und Lebensanschauung Abels auf. Noch stärker als in diesen Gedichten macht sich das persönliche Element in den Elegien geltend; namentlich die mannigfachen Wechselfälle des Wanderlebens treten ganz anschaulich und wohl unmittelbar aus dem Augenblick geboren nahe. So erhält man einen Monolog des Dichters; er befindet sich zur Winterszeit in einem Kahne auf der angeschwollenen Donau und fleht in Lebensgefahr Christus um Hilfe an. Auch sein Aufenthalt in Dänemark wird poetisch vergegenwärtigt, und bei seiner Rückkehr von dort lösen ihm Heimatsgefühl, Familienund Freundesempfindung die Zunge; er hofft, die Mutter und den Herzensfreund Haslob wiederzusehen. Allein dieser war unmittelbar vor Abels Ankunft gestorben, und so muß sich der in seinen Hoffnungen Getäuschte damit begnügen, dem Genossen ein Trauerlied zu singen, wobei er ganz passende Worte zu Haslobs Preise findet. Am deutlichsten zeigt jedoch der Poet sein Gesicht in der Elegie an einen befreundeten Arzt; den fleht er an, ihn von dem bösen Podagra zu befreien. Dabei erwägt er, weshalb das schreckliche Ungeheuer gerade ihn heimsucht. Weder ist seine Lebensweise daran schuld, noch kann er das Leiden von seinen gesunden Vorfahren geerbt haben ; das Letzte gibt ihm Gelegenheit, ganz hübsch von Vater und Großvater zu plaudern. Dann aber geht ihm ein Licht auf: er hat sich die Krankheit in einer Stadt zugezogen, in der er als Lehrer gewirkt, und in der ihm der Sumpfboden, die ungesunde
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Luft und der geschwefelte Wein übel zugesetzt haben; es ist wohl Iglau, über das der Poet die Schale seines Grimmes ausgießt. In der Lebendigkeit des Tones, in der Häufung der Anklagen verrät sich eine satirische Ader; und als Satiriker hat denn Abel auch, wie noch zu zeigen sein wird, sein Bestes geleistet. — Ähnlich wie in Wittenberg fand in Frankfurt ein reger poetischer Wetteifer statt; Poeten dritten und vierten Ranges suchten den Spuren der Begabteren zu folgen. Aber eine Erwähnung verdienen nur die Freunde Haslobs Erdmann Copernicus und der Ostpreuße Johannes Frisch. Doch haben auch sie nicht mit selbständigen Leistungen in die Entwicklung der Lyrik eingegriffen. — Wiederholt ist von dem Einfluß die Rede gewesen, den ein wahrhaft Großer auf diese Poeten ausgeübt hat. Bisher konnte nur hin und wieder sein Schatten aufgezeigt werden; jetzt gilt es ihm selbst, seinem Leben und seinen Leistungen näher zu treten.
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Petrus Lotichius Secundus und dessen Freunde. Nur in einzelnen Fällen war es den bisher behandelten Dichtern geglückt, ihr Innenleben zu gestalten. Gewiß regte sich bei Haslob, Vultejus u. a. der Drang, sich mitzuteilen, aber sie vermochten für das wahr Empfundene nicht die entsprechende Form zu finden. Bei anderen war die Fähigkeit, dem Gefühl die Zunge zu lösen, wohl vorhanden, aber die unpoetischen Gattungen, die sie nach der Weise der Zeit bevorzugten, verhinderten die Ausbildung der Anlage. Lediglich einer dieser Poeten ist über die bloßen Ansätze hinausgekommen und hat das, was sich bei anderen nur stückweise oder unvollkommen erschloß, harmonisch entfaltet. Der Zeit nach geht er den zuletzt Besprochenen voran; mit anderen wirkt er gleichzeitig. Das Beste, was in der neulateinischen Dichtung Deutschlands geleistet worden ist und geleistet werden konnte, faßt er in sich zusammen. Dieser Dichter ist Petrus Lotichius Secundus. Seine Überlegenheit wurde frühzeitig anerkannt, und diesem Umstände verdanken wir es, daß wir auch über den Gang seines Erdenwallens verhältnismäßig gut unterrichtet sind. Einer seiner Jugendfreunde, Johannes Hagius, hat sein Leben geschildert (1585), ohne rechte Disposition, meist mit Rücksicht auf das, was ihm im Augenblicke des Niederschreibens wichtig erschien, daher nicht übersichtlich; immerhin bietet dieser biographische Abriß ein gutes Hilfsmittel, zumal des Lotichius poetisches Lebenswerk die einzelnen Abschnitte seiner irdischen Laufbahn begleitet, so daß Biographie und Dichtung einander ergänzen und aufhellen. Das zu schildernde Dasein ist nicht das Leben eines Büchermenschen. Lotichius hat viel erfahren, allerdings haben die im bunten Wechsel auf ihn einstürmenden Ereignisse nicht
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immer seine Dichtergabe befruchtet. Wirksam wurde nur, was seinem Wesen entsprach oder zu diesem im Gegensatze stand; anderes, auch wenn es unmittelbar auf sein Schicksal einwirkte, vermochte nicht, seine Seele in Schwingungen zu versetzen, und er tat es als Nebensache ab. Das wird sich bei einer Betrachtung seines Erdenlaufes ergeben. P e t r u s L o t i c h i u s S e c u n d u s kam am 2. November 1528 zu Schlüchtern im hessischen Kinzigthale zur Welt. Sohn bäuerlicher Eltern, aber durch seinen Oheim Petrus Lotichius Primus, den kenntnisreichen, würdigen Abt der protestantisch gewordenen Abtei Schlüchtern frühzeitig auf eine gelehrte Zukunft hingewiesen, wurde er siebenjährig der Klosterschule zu Schlüchtern übergeben, wo ihn Johannes Pedioneus Rhätus unterrichtete. Von diesem war bereits die Rede. Mühselig mußte er sich alles abringen, und nun trat ihm ein Knabe entgegen, dem die Natur das in reicher Fülle beschert hatte, was ihm selbst versagt war. Der ganz anders Geartete fühlte die Verpflichtung, die ihm einem so ursprünglichen Geiste gegenüber oblag. Er hat daher seinen Schüler nach Kräften betreut und ihn auch später in der Entfernung noch nach seinem Sinne zu lenken gesucht; „nicht ermatten," rief er ihm zu, „nicht ausruhen, bis du die Höhe, zu der ich dich rufe, erklommen hastl" Als er diese Worte schrieb, befand sich Lotichius bereits auf der Schule zu Frankfurt, wohin ihn der Oheim geschickt hatte; hier, bei Jakob Micyllus, sollte er seine Vorstudien für die Universität vollenden. Micyllus stand turmhoch über Pedioneus; und dem entsprach die ungleich stärkere Einwirkung auf den Knaben; er war es, der, mit Hagius zu reden, „den natürlichen Drang zur P o e s i e " (naturalem
quasi impetum
ad Studium poeticum)
in
ihm geweckt hat. So sind denn die Frankfurter Jahre von größter Wichtigkeit für Lotichius gewesen. Was er als Dichter Micyllus verdankte, und wiefern er über ihn hinauswuchs, läßt sich in den Umrissen erkennen. ' Von des Lehrers Kunst, mühelos den Vers zu bauen, hat Lotichius viel gelernt; nicht minder wird das bei der Geschmeidigkeit der Fall gewesen sein, mit der das überkommene Dichtergut neuen Zwecken dienstbar gemacht wurde, obgleich bei Lotichius die antiken Vorbilder deutlicher erkennbar sind als bei Micyllus. Auch für den Wohllaut der Sprache ist Lotichius bei Micyllus eifrig in die Schule gegangen; erreicht hat er seinen Lehrer allerdings in dieser Hin -
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sieht nicht. Aber er übertrifft ihn weit in dem Gefühl für das, was wahrhaft dichterisch ist. Während Micyllus trotz der Innerlichkeit seines Schaffens doch immer an den unpoetischen Gattungen seiner Zeit haftete, hat Lotichius die Schranken der neulateinischen Kunstübung überwunden und das Gedicht zum wirklichen Träger des seelischen Bekenntnisses gemacht. Trotzdem ist er sich dauernd dessen bewußt gewesen, was Micyllus für ihn bedeutete. Wichtig wie die Frankfurter Jahre wurde für ihn auch die erste Universitätszeit. Um Medizin zu studieren, ging er 1544 nach Marburg. Ein reger Verkehr entspann sich hier mit einigen Commilitonen, mit Joh. Altus, dem schon genannten Joh. Hagius, dem Pfälzer Marius u. a.; 1545 gesellte sich noch der Schweizer Joh. Fabricius Montanus hinzu. Einer der bedeutsamsten Züge im Bilde des Lotichius, seine aus dem Bedürfnis des Herzens entsprungene Sehnsucht, eines Freundes Freund zu sein, macht sich, so weit ersichtlich, hier zum erstenmale geltend; die in jener Zeit und unmittelbar darauf geschlossenen Freundschaftsbündnisse haben seiner Dichtung ihren Stempel aufgedrückt. Nicht zu trennen von diesem Verhältnis zu den Jugendgenossen ist die Liebe zur Natur. Sie tritt ebenfalls in dieser Zeit zuerst nachweisbar hervor; und bereits wird eine Verbindung zwischen der Freude an der Landschaft und der Versenkung in die klassischen Dichter angestrebt, so daß auch in dieser Beziehung der in der Marburger Zeit angeschlagene Ton bis zum Ende in Lotichius' Dichtung nachklingt. 1545 begab sich Lotichius nach Leipzig und von da nach Wittenberg, in Leipzig von Camerarius, in Wittenberg von Melanchthon gern gesehen; Georg Sabinus, Johannes Stigel, Georg Fabricius, David Chyträus wurden seine Freunde, wenn sie ihm auch wohl nicht so nahe gestanden haben wie die anderen Jugendgenossen. Von den frühesten poetischen Versuchen des Lotichius scheint sich nichts erhalten zu haben; das am weitesten Zurückreichende entstammt seinem sechzehnten Jahre, also der Marburger Studienzeit. Ein mythologisch eingekleidetes, in wechselnden Maßen sich bewegendes Hochzeitsgedicht, das er damals verfaßte, zeichnet sich durch ungewöhnliche Leichtigkeit in der Handhabung der Form aus. Um dieselbe Zeit, in der diese Jugendarbeit entstand, betrat der Dichter schon das Gebiet, auf dem er das Höchste erreichen sollte, das der Elegie. Zwei Stücke
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dieser Art liegen vor. In der einen Elegie schickt der Dichter seine Muse zu Jakob Micyllus, er beschreibt ihr — hübsch schildernd — den Weg und läßt durch sie dem verehrten Lehrer Gruß und Dank ausrichten; er ist sich wohl bewußt, daß er alle Kunst von Micyllus empfangen hat: „Tit
nisi Pegasidas duxisses primus ad undas, Arida neglectae vena perisset aquae."
Die zweite Elegie frönt in der Weise der Neulateiner höfischer Schmeichelei, wie es Lotichius glücklicherweise nicht allzuoft getan hat; der hessische Prinz Wilhelm wird, namentlich durch den Mund einer Najade, gerühmt, weil er sich nicht bloß auf Waffen, Waidwerk und das Tummeln der Rosse, sondern auch auf die Musenkunst versteht. Daß hier noch der Anfänger spricht, lehrt ein Vergleich mit den späteren Dichtungen, aber der natürliche Fluß des Verses verrät, ebenso wie manche Wendung, doch schon die nicht gewöhnliche Dichtergabe. Zusammenhängender wird die poetische Tätigkeit bei der zeitlich sich anschließenden Schicht, die überliefert ist, die aber Lotichius der Aufnahme in seine Werke ebenfalls nicht für würdig gehalten hat; sie gehört der ersten Wittenberger Zeit an, also seinem siebzehnten und achtzehnten Lebensjahr. Es handelt sich um scherzhafte Gelegenheitsgedichte, meist um kleine Brieflein, überwiegend an einen Universitätsfreund, Martin Rosemann, gerichtet. In Distichen und Hendekasyllaben lädt Lotichius die Freunde zu sich ein, oder er fordert sie zum Spaziergange auf; er versetzt sich in die Seele Rosemanns, der es mit ansehen muß, wie ein anderer seine E v a im Tanze an sich drückt, und der sich über den Verdruß nur damit trösten kann, daß er sie am nächsten Tage allein besitzen wird; er beschreibt in einem Traumbild anmutig, wie Rosemann und seine Schöne in trautem Kosen bei einander sitzen: ,,Cetera vos qncrcus scitis volucresque canorae, Virgine cum sola quid Rosemannus agat. Omnia spectäbam, sed 11011 tarnen omnia dicatn; 0 teneri lusus multiplicesque iocil"
Und er schildert demselben Rosemann einen ländlichen Ausflug, den er mit anderen Freunden unternommen: im Dorfkrug, dem Ziel ihrer Wanderung, wird ihnen mancherlei vorgesetzt, aber Lotichius verschmäht alles, weil er hofft, daß noch ein Schinken aufgetragen wird; da das nicht geschieht, muß er
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unter dem Gelächter der Genossen hungrig wieder davonziehen. — Wenn auch diese Gedichte sich nicht wesentlich über den Durchschnitt der neulateinischen Poesie erheben, so liegt doch ein Hauch der Unmittelbarkeit und Frische auf ihnen. Ähnlich verhält es sich mit den ungefähr der gleichen Zeit angehörenden Liebesgedichten. Der Gegenstand der wenigen auf die Nachwelt gekommenen Stücke dieser Art war eine Wittenberger Bürgertochter, ein bräunliches Mädchen; Lotichius nannte sie Claudia. Der junge Poet hatte bei der Schönen Erhörung gefunden, war ihr von Herzen ergeben und betrachtete die Zeit als verloren, in der er auf ihre Gegenwart zu verzichten gezwungen war; darum erklärt er in einem kleinen elegischen Gedichte den Namen Bitterfeld für berechtigt, weil er hier zwei Tage allein zubringen mußte ; wäre sie seine Begleiterin gewesen, so hätte die Stadt den Namen: „himmlisches Ambrosia" verdient. Dem Treffpunkt der Liebenden, einem Gärtchen, vor der Stadt gelegen, offenbar im Besitz von Claudias Vater, ist ein längeres Gedicht in Choliamben gewidmet: indem der Dichter dem stillen Zufluchtsort dauerndes Gedeihen wünscht, bittet er ihn zugleich, die Zusammenkünfte der Liebenden vor unwillkommenen Lauschern und frechen Störenfrieden zu schützen; der Hauptnachdruck ruht auf der Vergegenwärtigung der trauten Liebesscherze, die zu zierlichen Bildern Anlaß gibt. „Tu cernis, hortule, et vides coronatam Meam puellam, paululum reclinaiam Mecum iacere, somnulo velut Uni Viclam, meum dum mollibus caput seriis Revincit, et reflagilans in amplexus Serpit venuste, suaviusque blanditur. Ocellulos tunc vibrat usque ridenles, Meosque ludibunda vexai ardores, Et basia uda millies columbatim Figit rogata, spiritumque transfundit In cor meum: hinc amore membra tabescunt, Halans amaracus velut pruinosis Cum tacta flatibus repente marescit." In derartigen Wendungen regt sich bereits eine unverächtliche Kraft. Wichtiger aber erscheint, daß alle diese Jugendversuche schon das vorausverkünden, was Lotichius die einzig-
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artige Stellung unter den deutschen Neulateinern sichert. Er bietet keine in der Studierstube ersonnenen Verse, sondern Gebilde, wie sie ihm die kleinen Leiden und Freuden des Lebens eingegeben, also Gelegenheitspoesie in gutem Sinne. Freilich kommt er vorläufig über Ansätze nicht hinaus; es bedurfte stärkerer Mächte als diese junge Liebe es war, um der Persönlichkeit die entscheidende Prägung zu geben. Diese Wendung wurde durch den schmalkaldischen Krieg herbeigeführt. Mit einem Schlage bringt das in sein Leben eingreifende Ereignis zur Reife, was sich bisher nur keimhaft geregt hatte. Während das Heer des schmalkaldischen Bundes an der Donau kämpfte, war Herzog Moritz im Kurfürstentum Sachsen eingefallen; die Universität Wittenberg wurde deshalb geschlossen, und Melanchthon verließ am n . November 1546 die Stadt; Lotichius begleitete ihn. Die Absicht der Professoren ging dahin, die Universität vorübergehend nach Magdeburg zu verlegen; Melanchthon, von vornherein mit diesem Gedanken nicht einverstanden, zog erst nach Zerbst und erschien dann nur vorübergehend in Magdeburg; Lotichius und sein Freund Altus scheinen sich sogleich nach Magdeburg gewendet zu haben. Die Einschließung der Stadt durch Moritzens Heer stand unmittelbar bevor (erste Hälfte des Dezember 1546); man brauchte Soldaten zur Verteidigung der Feste. Wie seine Freunde, die früh verstorbenen Johannes Altus und Maternus Steindorf er, entschloß sich auch Lotichius, Handgeld zu nehmen und in den Kriegsdienst zu treten. Möglich, daß das Vorbild seiner Freunde für ihn maßgebend gewesen ist; er selbst erklärt, daß er nur in ehrlicher Begeisterung für Vaterland und Religion die Waffen ergriffen habe; und man hat keinen Grund, seinen Worten zu mißtrauen. Aber er mußte bald einsehen, daß er seiner Natur etwas ihr Ungemäßes zugemutet hatte. Die Welt, in die er hineingestellt war, stieß ihn ab; vor allem nahm er Anstoß an den rauhen und rohen Sitten der Landsknechte. Dazu kam ein schwerer Krankheitsanfall, wohl hervorgerufen durch die seine Kräfte übersteigenden Ansprüche des täglichen Dienstes. Zu den körperlichen Leiden gesellten sich die seelischen: während der Belagerung Magdeburgs erhielt er die Nachricht vom Tode seines Vaters. Alles das vereinte sich, um ihn in einen tiefen inneren Zwiespalt zu stürzen, und diese den ganzen Menschen ergreifende Pein hat den Dichter geweckt. Das ihn Quä-
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lende hielt er in kleinen Gelegenheitsgedichten fest; in Tetrametern spricht er seinen Widerwillen gegen den damaligen Durchschnittssoldaten aus: „Pudor deorum opprobriiimqite saeculi, Pestis luesque militaris ordinis." Und, den Frieden herbeiwünschend, versichert er seiner Claudia in Wittenberg, daß er ihr durch die Kunst des Gesanges ewigen Ruhm verleihen würde, wenn nicht der schwere Druck des Schicksals auf ihm lastete. Vergleicht man diese Stücke mit den Erzeugnissen der Wittenberger Zeit, so ergibt sich, wie sehr der Poet unter dem Eindruck des äußeren und inneren Geschehens gewachsen ist. Noch weit mehr tritt dies in dem ersten Buche der Elegien hervor, das in der Hauptsache seinem Kriegsjahr (1547) entstammt und Lotichius als ausgewachsenen Dichter zeigt, wenn auch dem ersten Entwurf in der Form noch Unfertiges anhaftet. Mit Ausnahme einer einzigen, ersichtlich in etwas spätere Zeit fallende Elegie (I 5) beherrscht ein Grundgedanke die im ersten Buche vereinigten Elegien: der Widerwille des Musenzöglings gegen das kriegerische Handwerk. Die Liebe zu dem bedrohten Bekenntnis hat ihn angetrieben, der guten Sache seinen Arm zu leihen; allein das Übereilte des Schrittes kommt ihm bald zum Bewußtsein. Der rauhe Klang der Waffen verträgt sich nicht mit der Zartheit seiner durch die Poesie veredelten Seele; was er an Roheit unter dem Kriegsvolk gewahrt, stößt ihn im Innersten zurück. Und so klagt er schon am Anfange seines Heeresdienstes (I 8) den Haselsträuchen und Buchen am Ufer der Elbe sein Leid; während er eingeübt wird und seine Gesichtszüge zu kriegerisch-trotzigem Ausdrucke zwingt, ziehen wechselnde, aber gleichmäßig traurige Empfindungen durch seine Seele: Schmerz darüber, daß er Eltern und Oheim verlassen, Erinnerung an die seligen Tage des Friedens, Abscheu vor den von den feindlichen Söldnern verübten Greueltaten, nagender Gram, weil ihm die Aussicht auf eine sangesreiche Zukunft versagt ist, und die Ahnung eines frühen Schlachttodes. Noch deutlicher offenbart sich sein Seelenzustand in einer anderen, an Jakob Micyllus gerichteten Elegie ( 1 1 ) ; sie gehört zu seinen besten Arbeiten und zeigt, welche Höhe der Neunzehnjährige bereits erklommen; vielleicht war er selbst mit dieser Schöpfung besonders zufrieden und hat sie deshalb an
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die Spitze des ersten Buches gestellt. Da schließt er sein Inneres unmittelbar auf, meist mit Hilfe durchgeführter Gegensätze: das Kriegshandwerk hindert ihn am Genuß des im rauhen Norden spät einsetzenden Frühlings; sehnsuchtsvoll gedenkt er des fern vom Waffengeräusch lebenden Lehrers, der sich der schönen Jahreszeit freuen kann, ohne von den Klängen der Kriegstrompete im Schlafe gestört zu werden. Während Micyllus behaglich den Frühling genießt, muß sein ehemaliger Schüler mit den wilden Landsknechten zusammen auf der Wacht sein; man glaubt ihn zu sehen, wie er sich von den am Lagerfeuer liegenden, mit ihren Greueltaten prahlenden Söldnern wegstiehlt und den Blick zu den Sternen emporschickt, insbesondere zu denen, die sich bei seiner Geburt gezeigt haben. Aber so wenig ihm seine Mitstreiter zusagen: er ist der übernommenen Pflichten eingedenkt: gern will er den Tod des Helden sterben, allein er sieht keine Gelegenheit zu ruhmvollem Untergang, da ein dumpfes, lähmendes Gefühl ihm das unglückliche Ende des Feldzuges vorausverkündet. Und so bittet er den Freund, durch sein Lied den Frieden herabzurufen. Inneres und Äußeres wird hier zu einem lebensvollen Bilde zusammengeschlossen, und in dem Gegensatz zwischen der augenblicklichen Lage des Dichters und seinen Herzenswünschen offenbaren sich entscheidende Merkmale der Persönlichkeit. Wie dieser Zwiespalt in der Seele des Dichters dem ganzen Buch den Stempel aufprägt, und immer wieder Krieg und Sängerberuf einander gegenüberstehen, auch da, wo andere Gegenstände ergriffen werden, ist nun im einzelnen zu zeigen. Einer seiner Freunde will sich ebenfalls anwerben lassen; da hält Lotichius ihm abmahnend das eigne Beispiel vor und kleidet die Warnung in ein anmutiges Bild ein: die Muse ist ihm erschienen und hat ihn davon überzeugt, daß ihm nicht die Aufgabe zufalle, im Kampfe blutige Lorbeern zu pflücken, sondern daß er sich durch die Kraft des Gesanges dauernden Ruhm erwerben solle (I 2; Sommer 1547). Einem anderen Jugendgenossen und Landsmann, der mit ihm zusammen Kriegsdienst geleistet, und dem es gelungen, sich frei zu machen, folgt er im Geiste in die trauten heimischen Gefilde und ruft sich zugleich die besseren Zeiten zurück, da sie ehemals gemeinsam den Musen gehuldigt, nicht minder die Tage, in denen sie beide zum Verlassen des Musensitzes und zum Tragen der Waffen gezwungen wurden (I 3).
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Ergreifend klingt dann das Trauerlied des Dichters um den Vater (I 4). Erst spät ist die Nachricht vom Tode des fern in der Heimat Dahingegangenen durch die feindlichen Haufen zu ihm gedrungen; nun strömt er seinen Schmerz im Gesänge aus, und die in der neulateinischen Poesie üblichen Wendungen erhalten bei ihm eine besondere, persönliche Farbe, so die Art, in der das Glück der elysischen Gefilde teils religiös, teils familienhaft ausgemalt wird. Und wie im ganzen ersten Buch, so steht auch hier neben den Schrecken des Krieges die Kunst des Gesanges; Lotichs Bruder Georg, der im dreizehnten Jahre starb, aber trotzdem sich schon als Dichter hervorgetan hatte, singt in der Umarmung des Vaters „Carmina, quae caelum caelique volitbilis orbes Mulcent ac niveos Solis enntis equos."
Und Lotichius selbst verheißt dem Vater, daß er in seinem Liede dauernd fortleben wird. Ähnlich wie mit dieser steht es mit zwei anderen Elegien (16 und 7); sie vergegenwärtigen Erkrankung und Genesung des Dichters. In der einen wird das Geschehene durch Gegensätzliches und sinnfällige Schilderung nahegebracht; die andere kündet erzählend, wie das zu Christus emporgeschickte Gebet Erhörung findet, und nun die Natur, die im ersten Gedichte überwiegend als Kontrastmittel verwendet wurde, im vollsten Einklänge mit dem der Erde Wiedergeschenkten erscheint. Trotz des abliegenden Gegenstandes grollt doch in beide Gedichte der Donner des Krieges hinein. Unmittelbarer macht sich dieser vernehmbar, wenn Lotichius vor der erwarteten Schlacht einen Freund mahnt, im Kampfe die wildesten Gegner zu vermeiden und sich immer an seiner Seite zu halten (I 9). Da spürt man das Grauen vor der nahenden Entscheidimg; düstere Zeichen in der Natur verkünden sie; aber gefaßt sieht der Dichter dem Tod fürs Vaterland entgegen. Erscheint hier die Stimmung einheitlich durchgeführt, so wird die vorletzte Elegie wieder durch den Gegensatz zwischen der Kriegswut und dem heiligen Amt des Sängers beherrscht; und die Poesie tritt inmitten der Greuel des Kampfes als die vereinende, versöhnende Macht auf, als die Erzieherin zu milden Sitten (110). Zugleich bietet dieses Gedicht ein gutes Beispiel für die Sicherheit, mit der Lotichius bereits die Technik beherrschte. Er erzählt einem fern weilenden Freunde, was diesem selbst begegnet ist, also eine ähnliche Wunderlichkeit wie der Bericht von der Kaiserwahl in Uhlands „Herzog
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Ernst von Schwaben". Allein die Form hat nichts Erkünsteltes, Unlebendiges, sie ergibt sich vielmehr natürlich aus der Anlage: ,,als du aufbrachst", sagt der Dichter, „warnte ich dich vor den in dieser Kriegszeit drohenden Gefahren; du hast trotzdem die Reise gewagt, und ich zitterte für dich. Da bringt nun ein gemeinsamer Freund Kunde von dem, was dich bedroht, und dem, was dich gerettet hat". Durch diese einführenden Worte gewinnt Lotichius die Möglichkeit, das ihm Mitgeteilte zu wiederholen; wir erfahren, wie der Freund und seine Begleiter in die Greuel des Krieges hineingeraten, wie sie die Leiden der unglücklichen Bevölkerung mit erleben, sich verbergen, aber schließlich doch in die Hände der feindlichen Scharen fallen. Schon zittern sie für ihr Leben; da erwächst ihnen Heil aus der Angabe ihres Dichterberufes; der feindliche Hauptmann gibt sich als einen Verwandten Sannazars zu erkennen; er ist ein Freund der Musenzöglinge, und ritterlich nimmt er sie in seinen Schutz. — Nach dem Ende dieses Berichtes rechtfertigt Lotichius selbst die gewählte Form: der Eindruck des Gehörten war so mächtig, daß der Dichter das Geschick des Freundes mitfühlend selbst erlebt hat und gezwungen ist, es aus sich heraus von neuem zu gestalten. Und wieder bringt ihm die Macht der Sangeskunst den Zwiespalt zwischen Neigung und kriegerischem Beruf zum Bewußtsein ; er sehnt den Tag herbei, an dem er die Waffen niederlegen und sich wieder der Leitung der Musen anvertrauen kann. Diese Gedanken leiten ohne Zwang zu der Schlußelegie hinüber (I; n Spätsommer 1547?). 'hr kommt nicht bloß der Jubel über den Frieden zum Ausdruck, sondern alles, was den Dichter während seines Kriegsdienstes in der Hoffnung auf bessere Zeiten bewegt hatte, klingt harmonisch zusammen: sein Freundschaftsgefühl, seine Heimatsliebe, sein Wunsch, wieder ganz der Poesie zu leben. Aber auch das Hemmende, wie Krankheit und Beschwerde, wird nicht vergessen. Und über dem allen waltet ein reiner, keuscher Sinn; Lotichius hätte es nicht nötig, den Musen die Versicherung zu geben, daß er sich im Kriege von Mord und Brandstiftung ferngehalten. Schon inhaltlich fesselt das erste Buch, weil hier ein Stück des Lebens sich aufrollt, und der Dichter dem Leser einen unmittelbaren Einblick in den seelischen Verlauf dieses Daseinsabschnittes gewährt. Der Reiz der Schilderung des äußeren und inneren Geschehens wird aber noch durch eine Reihe wirksamer
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Einzelzüge erhöht. Eigentümlich ist Lotichius die Neigung, sich Zukunftsbilder gemütlich auszuspinnen. Wenn er den Tod des Vaters beklagt, so denkt er daran, daß er sich so oft an der Hoffnung auf die Heimkehr erfreut hat, und alsbald schwebt ihm das Bild vor, wie er nach beendetem Kriege wieder in der Heimat erscheint, wie die Schar im Dorfe einzieht, sich auflöst, jeder zu den Seinen eilt, und nun der Vater ihm die Helmbinden aufknüpft und den Panzer abnimmt, wie das Volk auf die Nachricht von des Dichters Ankunft zusammenläuft und neugierig vor den Fenstern des Hauses steht, wie er dann zusammen mit dem Vater in der heimatlichen Flur ländliche Arbeit verrichtet. Ganz ähnlich vergegenwärtigt er sich das ihm versagte Zusammensein mit dem gleichgesinnten Freunde. Oder er denkt daran, wie ein anderer Jugendgenosse, aus dem Kriege zurückkehrend, ihm von seinen Erlebnissen Bericht erstatten wird. Gern versetzt er sich in die Seele dessen, von dem er schreibt, und möchte von diesem die Bestätigung seiner Vermutungen hören. „Sage mir", ruft er dem schwer bedrohten Freunde zu, „als du Schwert und Tod vor deinen Augen sähest, was hast du empfunden, wie haben sich deine Lippen entfärbt?" Aus derartigen Beispielen ergibt es sich, daß bei Lotichius alles nach innen gewendet ist. Aber so sicher es dem Dichter vor allem darauf ankommt, die Innenwelt aufzuschließen, er versteht doch zugleich die äußeren Vorgänge mit diesem Bilde des Innenlebens zu verknüpfen. Die Festungswerke von Magdeburg, die im Eis der Elbe eingefrorenen Schiffe, die Reize des heimischen Frankenlandes, die schaurigen Szenen der Kriegswut und des Kriegselendes — das alles wird durch wenige, aber bezeichnende Züge nahegebracht. Auch weiß Lotichius ein Bild aus der Bewegung erstehen zu lassen. Nicht in die Tage seines Kriegsdienstes, sondern in etwas spätere Zeit fällt eine Elegie (I 5), die eine nächtliche Fußreise durch dichte Schneefelder schildert. Unkundig des Weges, vermag sich der Wanderer nicht zurechtzufinden; er ersehnt das Heraufkommen des Mondes. Als er einst in Wittenberg die Türe seines Mädchens bekränzte, hoffte er auf das Ausbleiben Lunas, aber plötzlich erschien sie, verriet sein Tun, und der Spott blieb nicht aus. Jetzt, wo er die sanfte Leuchte der Nacht braucht, verbirgt sie sich. So richtet er denn an die Mondgöttin die Bitte, sich blicken zu lassen und ihm den Pfad zu erhellen; er wird erhört; nachdem die Sterne aufgetaucht sind, tritt zuletzt auch der
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Mond hervor; und während der Dichter ihn bisher mit einem reichlichen Aufwände mythologischer Kenntnisse um die Gründe seines Ausbleibens befragt hat, stimmt er nun ein ebenso eingekleidetes Loblied auf ihn an, bis Lucifer erscheint und das Anbrechen des Tages verkündet. Hier ist durch den Monolog scheindar absichtslos das Geschehene vorgeführt; überall lebendige Vergegenwärtigung; aus den Worten des Sprechenden ersteht die Handlung. Auch dem Gefühlsinhalt einer Situation weiß Lotichius zuweilen durch einen einzigen Zug greifbaren Ausdruck zu verleihen. Schön, wie er bei der Nachricht vom Tode des Vaters den Helm ins Gesicht drückt und seine Tränen hineinfließen läßt; schön auch, wie er bei dem Gedanken an den nahen Schlachtentod in abergläubischer Furcht die böse Ahnung gar nicht ausspricht, sondern nur der Hoffnung Worte leiht: „Tu
quoque, militiam casus quicunque Sive (quod heu vereor), sive redibo,
sequetur, vale!"
Daß die leitenden Gedanken und die üblichen Einkleidungen der humanistisch-neulateinischen Poesie auch bei Lotichius nicht fehlen, kann nicht befremden. Aber diese Bestandteile der Gattung erscheinen bei ihm nicht, wie bei zahlreichen seiner Mitarbeiter, als etwas äußerlich Aufgeheftetes, sondern sie werden unmittelbar aus der Lage abgeleitet. Wenn ihm die Muse das Waffenhandwerk verleiden will, so richtet sie an ihn die Frage, ob ihn vielleicht Beutelust zum Kampfe anreize. Und von hier aus wird der Übergang zu dem humanistischen Grundgedanken von der Unvergänglichkeit des dichterischen Nachruhms leicht gefunden : die Schätze, die der Krieg bescheren kann, haben keinen Bestand, dauernd ist nichts als das Werk des Dichters. — Ähnlich wie bei der Fassung dieses Grundgedankens verhält es sich mit den in der neulateinischen Literatur so beliebten Echospielereien; Sabinus u. a. folgen, wenn sie diese Form verwenden, ganz dem üblichen unpoetischen Schema; wo Lotichius sie benutzt, wird sie ihres äußerlichen Charakters entkleidet und dient dazu, die Stimmung zu verstärken. In der Elegie, in der Lotichius die Wälder an der Elbe zu Vertrauten seiner Schmerzen macht, beklagt er sich, daß ihm der Lorbeer des Sängers versagt sein wird. Dann fährt er fort: „Hoc etiam (quoniam tulimus peiora) feremus, Si modo non hello nos graviora manetti.
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Heu mihi, quae dutis vox rupibus icta resultat? Triste quid hoc iterant concava saxa? Manentl"
Es war notwendig, bei dem ersten Buche der Elegien, diesem frühesten vollgültigen Zeugnis von des Dichters Können, ausführlicher zu verweilen. Deutlich offenbart sich hier, wie stark in ihm die Fähigkeit entwickelt war, für die das Innere bewegenden Kräfte das erlösende Wort zu finden. Lotichius läßt tief in seine Seele blicken, und dem entspricht es, daß auch die Grundzüge der Persönlichkeit sich unmittelbar erschließen. Ein weiches, von allem Rauhen und Rohen zurückgestoßenes, jeder feinen und zarten Regung sich öffnendes Gemüt redet hier um so vernehmlicher, als es in einer durchaus gegensätzlich gestalteten Umwelt sich geltend machen muß. — Der Faden der unterbrochenen Lebensgeschichte muß jetzt wieder aufgenommen werden. Nach dem Abschlüsse seines Kriegsdienstes eilte Lotichius zu einem kurzen Besuche in die Heimat. Dann kehrte er in die sächsisch-thüringischen Lande zurück. Zunächst verweilte er einige Zeit in Erfurt; wie es scheint, wollte er hier abwarten, ob sich die früheren Verhältnisse in Wittenberg wiederherstellen würden. Als dies geschah, als auch Melanchthon sich entschloß, an der altgewohnten Bildungsstätte zu verbleiben, begab sich Lotichius ebenfalls zur Fortsetzung seiner Studien von neuem nach Wittenberg und blieb hier bis zum Herbst 1549. Wohl in diesen letzten Wittenberger Aufenthalt fällt die innerliche Scheidung von seiner Claudia. Er hatte ihrer, wie bereits erwähnt, während seines Madgedurger Aufenthaltes in einem kleinen Lied gedacht; aber in dem ersten Buche der Elegien wird sie merkwürdigerweise mit keinem Worte erwähnt, doch wohl ein Zeichen, daß die Liebe bei dem Dichter nicht allzutief ging. Jetzt in Wittenberg verletzte ihn das Mädchen durch Launen und Hoffart; er mochte dazu nicht schweigen; die Folge war, daß sie das Verhältnis abbrach. Als er aber dann die Stadt für immer verließ, scheint doch eine Wiederannäherung stattgefunden zu haben; weinend nahm sie unter Küssen von ihm Abschied und gab ihm Äpfel und Rosen auf den Weg. Ein kleines anmutiges Gedicht „an die goldenen Äpfel" hält diese Abschiedsszene fest, und unter mythologischen Anspielungen erfährt der Leser, was diese Äpfel für den Dichter bedeuten, wie sie ihn als Erinnerungszeichen auf weiten Fahrten begleiten
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sollen, wohl nur deshalb, weil sie in ihm für einen Augenblick die alte Liebe wachgerufen haben: „Fulgor et exstincto jam paene reluxii ab igne, Lenis ut a Zephyro crescere flamma solet." Sein Versprechen, ihrer und ihrer Gabe beständig eingedenk zu sein, ist allerdings von Klauseln umrahmt, die die Erfüllung zweifelhaft machen könnten. Aber trotzdem hat ihn der Gedanke an sie lange nicht losgelassen. Anfang Februar 1550 richtete er aus der Heimat an den in Wittenberg zurückgebliebenen Freund Joh. Hagen eine Elegie, die in den vier Büchern gleichartiger Dichtungen keine Aufnahme gefunden hat. Sie atmet inniges Freundschaftsgefühl, sie beklagt es, daß er die Genossen verlassen muß, und beteuert seine dauernde Neigung. Am Schlüsse gedenkt er aber neben der Schönen Hagens auch seiner Claudia; er glaubt fest an ihre Treue; und er nimmt wohl an, daß sie sich in Trauer verzehre, denn er fordert Hagen auf, sie mit freundlichen Worte zu trösten; „Claudia sollicitos nobis finivit atnores, Sed tarnen hoc etiam tempore cara mihi." Und welche Rolle sie in der nächsten Zeit im Liebesleben des Lotichius spielte, wird noch zu zeigen sein. Unterdessen war eine für die weiteren Geschicke des Dichters entscheidende Wendung eingetreten. Sein Oheim hatte ihn aus Wittenberg zurückgerufen und ihm die Frage vorgelegt, ob er die Neigung habe, einige junge Patrizier nach Montpellier zu begleiten und die Gelegenheit zu eigenem Studium in Frankreich zu benutzen. Es handelte sich um die Neffen Daniel Stibars. Dieser, ein angesehener, wohlhabender Mann, Kanonikus, mit staatsmännischem Blicke ausgerüstet, tief religiös, gottergeben und den Wechselfällen des Lebens gewachsen, allerdings auch mit einem starken Hang zum Aberglauben, wie seine engen Beziehungen zu dem Schwarzkünstler Georg Faust beweisen, war mit Joachim Camerarius innig befreundet und scheint dem A b t versprochen zu haben, daß er Lotichius die Oberaufsicht über seine Neffen anvertrauen wolle, wenn Camerarius ihm die Tüchtigkeit zu einem solchen Amt bezeugen würde. Der Dichter erklärte sich mit Freuden zur Übernahme einer Pflicht bereit, die ihm die Welt erschließen sollte, und er hielt es für das Beste, alsbald wieder nach Sachsen zu eilen, um sich von E111 n g e r, Xeulatclnlsche Lyrik 2.
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Camerarius die verlangte Empfehlung ausstellen zu lassen. Nachdem er seinen Zweck erreicht, trat er durch Thüringen und den Thüringer Wald die Heimreise an; im dicksten Schnee mußte er unter mancherlei Gefahren mit seinen Reisegefährten sich den Weg in ganz verwehten Gegenden suchen; auch fand er trotz der Kälte nicht überall Unterkunft. Aller Wahrscheinlichkeit nach bezieht sich auf diese Reise die besprochene Elegie „an den Mond" (vgl. oben S. 346 u. 350); erscheint hier Lotichius als einsamer Wanderer, so kann das sehr wohl der Wirklichkeit entsprechen, da er sich vielleicht einmal von seinen Gefährten getrennt hat; anderseits ist es auch möglich, daß die Rücksicht auf die poetische Wirkung maßgebend war. Ende 1549 oder Anfang 1550 langte er wieder in Schlüchtern an; aber die Beschwerden der Reise hatten ein langwieriges Krankenlager zur Folge; wohl erst im Vorfrühling 1550 begab er sich nach Würzburg zu Stibar, der ihn nun endgültig mit der Führung seiner Neffen betraute. Außer den drei jungen Stibar nahm auch deren Hofmeister an der Fahrt teil. Über Frankfurt zog die kleine Schar nach Paris; hier vermehrte sich die Reisegesellschaft noch um sieben Personen, teils Bekannte, die sie in Paris zufällig getroffen hatten, teils solche, die wegen der Unsicherheit der Wege Anschluß suchten. Der Aufenthalt in Paris mag einschließlich eines gleich zu erwähnenden Ausfluges ungefähr ein Jahr gedauert haben; während dieser Zeit hörten Lotichius und seine Schutzbefohlenen eifrig bei den Universitätsleuchten aller Fakultäten mit Ausnahme der Theologie. Von Paris brachen sie aber nicht sogleich nach dem Süden auf, sondern unternahmen erst einen Vorstoß nach der Nordseeküste, dann kehrten sie in die Hauptstadt zurück und begaben sich von hier zu Fuß nach Montpellier. In Lyon bestiegen sie einen Rhonekahn und fuhren bis Avignon; dort begann die Fußreise wieder, sie gelangten nach Nimes und zuletzt nach Montpellier. Hier blieb Lotichius drei Jahre; sie gewannen besondere Wichtigkeit für die Ausbildung in seinem medizinisch-botanischen Fachstudium, das er wahrscheinlich schon auf den deutschen Universitäten ins Auge gefaßt hatte. Ein zu Beginn des dritten Jahres unternommener Versuch, eine Zeitlang auch die in Toulouse gebotenen Möglichkeiten zu wissenschaftlicher Vervollkommnung auszunutzen, hatte keinen Erfolg; Lotichius und seine Freunde gelangten nur bis Narbonne, sie wurden hier für Spione
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gehalten und mußten froh sein, mit dem Leben davonzukommen. Dieses bedrohliche Ereignis stellte keineswegs die einzige Not dar, die der Dichter in den französischen Wanderjahren zu bestehen hatte. Vielmehr war sein Aufenthalt im fremden Lande mit mannigfachen Gefahren verknüpft. Während jener Reise an die Küste unternahm er mit seinen Genossen eine Meerfahrt; die Bootsleute fuhren weit in das Meer hinaus und suchten durch Verweigerung der Rückfahrt eine große Summe zu erpressen — da ergreift Lotichius mit starkem Arme den einen der Gauner, hält ihn über das Wasser und droht ihn hineinzuwerfen, wenn er nicht umwenden würde; dies Verhalten verfehlte seine Wirkung nicht. Durch Mut und Entschlossenheit wußte Lotichius auch sonst das Schlimmste abzuwenden. Unmittelbar nach dem eben berichteten Abenteuer übernachteten sie in einer elenden, unheimlich aussehenden Herberge an der Küste: ein nächtlicher Mordversuch wird dadurch vereitelt, daß auf Lotichius' Rat die Freunde abwechselnd bewaffnet Wache halten und dadurch den Mörder verscheuchen. Den nach dem Süden Ziehenden lauern Räuber auf, ohne jedoch einen Überfall zu wagen; dann gerät der Kahn, auf dem sie die Rhone hinabfahren, in einen Strudel, so daß die Schiffer am Leben verzagen; in Montpellier selbst werden die Genossen wegen Verletzung der Fastengebote vor die Inquisition gefordert, zur Kirchenbuße verurteilt, und nur durch entschlossenes Auftreten können sie sich der demütigenden Strafe entziehen. In die Zeit dieser wechselvollen Wanderfahrten führt nun das zweite Buch der Elegien, allein der Leser empfängt keinen pedantischen Bericht, wie ihn die neulateinischen Poeten so oft in ihren Reisegedichten erstatteten, sondern einzelne Ruhepunkte, einzelne wichtige Augenblicke werden ergriffen und festgehalten. Liebespein und keusches Liebesglück wechseln miteinander; ebenso Sehnsucht nach der Heimat und Scheu vor dem dort noch tobenden Kriege; im Traum erscheint dem Dichter die Stadt, in der er Kriegsdienste getan, und beweint ihre bevorstehende Zerstörung. Die düstere Stimmung, die in dieser Weissagung zum Ausdruck kommt, macht sich auch sonst geltend: bei fröhlichem Gelage wandelt ihn der Gedanke an die Vergänglichkeit des Irdischen an. Mit dem Dichter wandert der Leser durch Montpellier und bewundert mit ihm die aus dem Alter23*
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tum stammenden Anlagen, mehr aber noch die anmutig vergegenwärtigte Umgebung. Der tote Delphin, den Lotichius am Strande findet, wird teilnahmsvoll beklagt und bestattet. Des Dichters Geburtstag gibt zur Rückschau auf Geburt und Entwicklung Anlaß; er schließt mit festlicher Feier, die aber wieder in leise Wehmut ausklingt. Noch kräftiger als in Montpellier werden in Nimes die Reste der Antike nahegebracht; aber auch hier wendet sich dem Dichter alles zum Persönlichen. In der sommerlich heißen Gegend drängt sich ihm der Vergleich mit der lieblichen Heimat, ganz zum Nachteile der Fremde, auf. Und den dort heimischen Lorbeer weist er zurück; als Sänger der Liebe will er nur mit der Myrte gekrönt werden. Indessen diese groben Umrisse geben doch nur eine dürftige Vorstellung des inneren Lebens, von dem das zweite Buch durchpulst wird. Eine Einzelbetrachtung erweist sich daher als notwendig; an ihre Spitze treten wie billig die Liebesgedichte; ihnen gehört die stärkste Leistung dieses Buches an. In schöner Steigerung bauen sich die in Betracht kommenden Elegien auf (II i , 3, 9). Die erste bietet einen Rückblick auf die soeben durchlebten Jahre, wobei freilich die Zeitfolge nicht strenge eingehalten wird. Nachdem der Dichter dem Waffendienst abgesagt, hat er sich Amors Dienst gewidmet; Venus nimmt ihn freundlich auf; beseligendes Liebesglück wird ihm zuteil. Aber in dem engen Umkreis dieser stillen Freuden duldet es ihn nicht lange; er zieht in die Ferne und verläßt die Geliebte. Nun zürnt Venus dem Ungetreuen; sie facht von neuem die Leidenschaft in ihm an, so daß er ruhelos weiter getrieben wird; vergebens bittet er die Nereiden die Glut seines Herzens zu löschen. Und er denkt offenbar an jenen Augenblick, da auf der Rhone die wirbelnden Wellen den Kahn an die Klippen zu werfen drohten, wenn er die ihn peinigende Unrast durch ein Bild erläutert: ,,Me Venus incertis agit imperiosa procellis, Ut rapit instabiles aestus in alta rates." Die Geliebte, die ihm so in Gedanken liegt, daß auch die wechselnden Eindrücke der Wanderung ihr Bild nicht zu verdrängen vermögen, ist die Wittenberger Claudia. Wenn freilich hier als Ursache des Bruches der unstäte Sinn des Dichters angegeben wird, so ist das eine poetische Ableitung aus den späteren Ereignissen, der Wirklichkeit entspricht es nur teilweise. Trotzdem
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findet sich schon in der ersten Elegie eine Anspielung auf die Eigenschaft Claudias, die den Dichter in diesen unruhigen Gemütszustand versetzt hat: er nennt sie das „herrische Mägdlein" (domina puella). Eingehender spricht er sich darüber in der dritten Elegie aus. Sie ist an Johann Hagen in Wittenberg gerichtet; ihn hatte Lotichius, wie bereits erwähnt, schon von Schlüchtern aus gebeten, Claudia in seine Obhut zu nehmen. Durch Hagen erfährt er nun, wie das Mädchen sich in Sehnsucht nach dem noch immer Geliebten verzehrt, und diese Kunde bewegt den Dichter tief. Denn sie zaubert die Bilder vergangenen Glückes und Leides vor seine Seele. Er gedenkt der an ihrer Seite verbrachten seligen Stunden. Aber er kann auch den hoffärtigen Stolz nicht vergessen, durch den sie das Ende des Liebesbundes herbeigefürt hat. Beides wirft ihn in einen Wirrwarr widerstreitender Gefühle. Die Erinnerung an das, was er besessen, läßt ihn nicht los. Allein trotzdem fühlt er, wie allmählich die Wunde vernarbt, so daß er ohne Bitterkeit an Claudia denken und von ihr für immer Abschied nehmen kann. So ist nun die neunte Elegie des zweiten Buches vorbereitet. Freilich, wenn er meinte, die Leidenschaft schon ganz überwunden zu haben, so wird diese Annahme hier zunächst nicht bestätigt; noch immer übt die ferne Geliebte ihre Macht aus. Da findet Lotichius im fremden Lande ein anderes Mädchen, in jedem Zuge Claudias Ebenbild. Seitdem er sie erblickt, streitet die alte Liebe mit der neuen, aber diese behält die Oberhand, und er bittet den Freund, an den die Elegie gerichtet ist, für ihn zu werben. — Technisch ist die Elegie ein kleines Meisterstück. Zunächst erfährt der Leser bloß die Tatsache in der allgemeinen Form, in der sie hier berichtet wurde; erst nachdem so die Spannung erweckt worden ist, erfolgt der genaue Bericht über die Einzelheiten des Vorganges. Auf anmutig geschilderter Wiese hat er sie gesehen, wo sie Veilchen pflückte; er ist auf das höchste über die Ähnlichkeit betroffen, glaubt sogar den Geist der vielleicht verstorbenen ersten Geliebten zu sehen, wird aber bald des Sachverhaltes inne, als das Mädchen zu singen beginnt. Das Ganze, von einer Zartheit und Reinheit getragen, wie man sie im Deutschland des 16. Jahrhunderts nicht sucht; den Geist, den dieses Idyll atmet, bezeichnen am besten die Verse: „Nec precor, ut contra solutn me diligat illa, Dummodo sit penilus non aliena, sat est.
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Ipse velim patrios tanium comes ire per hortos, Ludere et in viridi, si patiatur, humo, Solarique meos, quos illa resuscitat, ignes Et gerere in casto regna púdica sinu, III,us et niveis componere carmen in ulnis: Hie ego sum vates, hic mea musa valet. Quod si pauca mihi dederit semel oscula, vivet, Dum notum terris nomen Amoris erit." Als die Kehrseite dieser seelischen Reinheit wird es nun freilich anzusehen sein, daß der Dichter selten ein volles Behagen am Augenblicke gewinnt, sondern auch inmitten der Freude leicht den Empfindungen der Sehnsucht und der Wehmut Raum gibt. Fast in jedem poetischen Erguß läßt sich ein Beispiel für diese Anlage seines Gemütes aufzeigen. Besonders bezeichnend ist die fünfte Elegie, die Abschiedsfeier für einen scheidenden Freund schildernd. Während des fröhlichen Gelages überschleicht ihn plötzlich der Gedanke an die Vergänglichkeit alles irdischen Glücks; das Unbehagen an dem ruhelosen Umherziehen in der Fremde weckt in ihm den Wunsch nach einem stillen Leben in ländlicher Abgeschiedenheit, das er sich schön ausmalt; auch das Bild des Todes drängt sich ein: er beklagt die heimgegangenen Gefährten, so den Studiengenossen und Kriegskameraden Joh. Altus, der allzufrüh in Italien hingerafft worden ist; und das Schicksal dieses Freundes erinnert ihn daran, daß auch ihm das Grab fern von der Heimat bereitet sein kann: „Ad mea si quando venietis busta, sodales. Qua proeul occiduo litara solé tepent, Este mei longum memores, requiemque precaii, Spargite palíenles ante sepulcra rosas Et facite, ut cineri lotos mea praebeat umbram, Carmen et in viridi cortice tale gerat: Ante diem vates consumptus morte Secundus Hic situs est, dicta pace, viator abil" Das Ganze für die Art des Lotichius ungemein bezeichnend: Abschiedsstimmung, dann Erhebung zu gemäßigter Fröhlichkeit, aber alsbald wieder ein Hinabgleiten in leise Klage. Auch in der schönen Elegie auf seinen Geburtstag (II, 8) fehlen ähnliche Klänge nicht. Da vergegenwärtigt er sich die Stunden seines Eintrittes in die Welt: Phöbus hat ihn in seine Arme ge-
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nommen und den Musen geweiht; Urania deutet ihm den Stand der Gestirne; sie verheißt ihm glückliches Leben und die Gunst der Musen, aber auch viele Fährlichkeiten im Kriege und auf Reisen; sie sagt ihm ferner voraus, daß er diese Beschwerden überwinden, aber unter die Herrschaft eines Mägdleins geraten wird; der heiter strahlende Amor spricht sein bedeutungsvolles Amen dazu. Dann aber wendet sich Lotichius, wie er es schon am Anfange getan, von den antiken Göttern zu dem wahren Gott, dem Geber alles Guten, um nach Erfüllung dieser Pflicht die Freunde zu Trunk und Gesang aufzufordern. Inmitten der Festesfreude taucht jedoch wieder der Gedanke an den Tod sowie das sehnsüchtige Verlangen nach Heimat und Mutter auf, verbunden mit der Catullischen Mahnung, den flüchtigen Augenblick zu genießen: „Vivamus, dum fata sinunt, et amemus, amici! Quis seit, an haec unquam sit reditura dies?" Die Geburtstagselegie bringt einen der schon im ersten Buche erkennbaren Vorzüge der dichterischen Kunst nahe. Wenn Lotichius den Stand der Gestirne zur Zeit seiner Geburt beschreibt, dann wird ihm das Nebeneinander unwillkürlich zu einem Nacheinander. Mit den von der Mythologie gelieferten Mitteln stellt er das einzelne Sternbild a b lebendig fortschreitend dar und weiß so den Eindruck der Bewegung des ganzen Himmelsgewölbes hervorzurufen. Auch bei der Vergegenwärtigung von Natur und Umgebung macht sich, ähnlich wie im ersten Buche, die Kraft des Dichters geltend, das Ruhende auf mannigfache Art zu beleben. Lotichius hat einen guten Blick für das Bezeichnende der Landschaft. Allein das war auch bei manchen seiner Zeitgenossen der Fall; hoch über diese erhebt ihn jedoch die Fähigkeit, den Natureindruck ganz in sein Wesen aufzunehmen und ihn aus diesem heraus neu zu schaffen. Gewiß geschieht dies nicht ausnahmslos; auch bei ihm finden sich gelegentlich bloße Aneinanderreihungen, wie sie sein ästhetisch unreifes Zeitalter bevorzugte. Aber meist versteht er es, das außer ihm Liegende so mit persönlicher Wärme zu erfüllen, daß jeder Überdruß der Beschreibung vermieden wird. Wie schön erfaßt er (II n ) den Charakter der südfranzösischen Landschaft mit ihren schroffen Gegensätzen. Und das Eigentümliche dieser Natur tritt noch schärfer heraus, wenn er
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neben die unvermittelten Übergänge des Südens die fränkische Heimat in ihrer idyllischen Ausgeglichenheit stellt. Wichtiger aber erscheint noch, daß er einer der ersten Deutschen ist, der das Landschaftsbild sozusagen im Spiegel der eigenen Seele auffängt. Er zwingt den Leser, die Natur mit den Augen des Dichters anzusehen. Und indem er seine schwermütige Sehnsucht in die umgebende Landschaft hineinträgt, gelingt es ihm, in einer Weise Stimmung zu erwecken, wie es in der vorklopstockschen Dichtimg nur selten geschehen ist. Es entspricht dieser Fähigkeit, daß Lotichius den Zusammenhang zwischen Natur und Menschenschicksal stark herausarbeitet. Wenn ihm im Traum die Stadt Magdeburg in Jungfrauengestalt erscheint und ihr künftiges Los beklagt, dann stimmt zu der düsteren Weissagung die unheimliche Umgebung, in die sie hineingestellt ist: der waldumsäumte Abhang des unzugänglichen Berges, über dessen Gebüschen und Klüften der heilige Schauer der Morgendämmerung webt. Wie hier durch den Einklang zwischen Natur und Menschenherz, so wirkt der Dichter anderwärts durch den Gegensatz: die lachende, sonnige Ebene des Südens läßt ihn stärker noch als sonst die sanfte Trauer des Inneren empfinden. Das erste Buch weist stärkere Accente auf als das zweite, auch schließen sich die einzelnen Elegien enger aneinander. Trotzdem übt das zweite Buch auch als Ganzes eine starke Wirkung aus. Der Dichter hat nur die Gegenstände behandelt, die ihm wahrhaft poetisch erschienen, und die geeignet waren, ihm die schöpferische Stimmung zu wecken. Es fällt jedoch nicht schwer, die dadurch in der Reihenfolge der Ereignisse entstandenen Lücken auszufüllen und das Ganze zu einem lebendigen Bilde zusammenzuschließen. Welche Tatsachen ihm k e i n e n Anstoß zum Schaffen gegeben haben, wird später zu erwägen sein. — Nach vierjährigem Aufenthalt verließ Lotichius Frankreich für immer. Er zog durch die Schweiz der Heimat zu. Sie bot ihm nichts Erfreuliches. Unmittelbar vor der Rückkehr war ihm die Mutter gestorben; Franken, durch den wilden Mordbrenner Albrecht Alcibiades in grauenhafter Weise verwüstet, lag in Schutt und Trümmern; Daniel Stibar, während einer Mission zur Herstellung des Friedens von einem Schlaganfall betroffen, hoffte in Baden Genesung zu finden. Dorthin begab sich Lotichius, und obgleich Stibar durch den Krieg eines Teiles seiner
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Habe beraubt worden war, stellte er ihm die Mittel für die Vollendung des Studiums in Italien zur Verfügung. Nach einem kurzen Besuche in Sachsen wanderte Lotichius mit dem Jugendfreund Johann Hagen über den Brenner in das ersehnte Land. Ihr Ziel war Padua; hier wechselte die eifrige Ausnutzung der reichen wissenschaftlichen Hilfsmittel mit mannigfachen Ausflügen, die ihm die Umgebung erschlossen: die Freunde sahen mit Staunen die Pracht Venedigs und weilten gern, wie die meisten deutschen Studenten es taten, auf den euganeischen Hügeln. Durch die Pest vertrieben, vertauschte Lotichius Padua mit Bologna. Dort schloß er sein Studium ab und erhielt die Doktorwürde. Aber schon vorher wurde er das Opfer einer unglückseligen Verwechslung; und die Folgen des ihn heimsuchenden Schicksals sollten die Ahnungen eines frühzeitigen Todes bestätigen. Bei einem gemeinsamen Essen mit einem bekannten Studenten bat sich Lotichius, dem die vorgesetzte Suppe zu fett war, die Suppe seines Tischgenossen aus. In diese hatte jedoch die in den Gast verliebte Wirtin einen Liebestrank gemischt, der giftige Bestandteile enthielt. Kaum hatte Lotichius einen Teil gegessen, als das Gift zu wirken begann; nachdem er einen wahnsinnigen Wutanfall überstanden, gelang es ihm, durch schnell getrunkenes Olivenöl sich von dem größten Teil des Giftes zu befreien. Aber trotzdem verfiel er in ein schweres Fieber, das nur mit der größten Mühe zu bannen war und sich von da an in jedem Jahre regelmäßig wieder einstellte. — Wie der Aufenthalt in Frankreich den Boden bildet, auf dem sich die im zweiten Buche geschilderten inneren und äußeren Erlebnisse abspielen, so geben die Schicksale von der Rückreise ins Vaterland an bis zum Verlassen Italiens den Hintergrund für das dritte Buch ab. Nur eine Ausnahme findet statt: die bereits erwähnte Elegie auf den Tod der Geliebten (III 3) gehört ihrem Inhalt nach den Tagen an, da Lotichius in Frankreich weilte. Daß er sie nicht an der zeitlich richtigen Stelle einreihte, sondern ihr einen Platz im dritten Buche anwies, beruht auf künstlerischen Gründen, wie noch gezeigt werden soll. Mit dem Aufbruche aus Frankreich setzt die erste Elegie ein. Wieder handelt es sich nicht um eine Reisebeschreibung, sondern um individuell erschaute Bilder. Es fehlt nicht an eindringlicher Vergegenwärtigung des Geschehenen; vor dem Auge des Lesers taucht die winterliche Bergwildnis nördlich der Isère auf, dann
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der wolkenumhüllte Jura, die aus dem Genfer See heraustretende, sonst schäumende, jetzt träge unter dem Eise dahinschleichende Rhone — das Letzte in seiner Bewegung am bezeichnendsten für Lotichius' Art. Aber das Hauptgewicht ruht doch auch hier auf den Empfindungen, die mit dem Natureindruck verknüpft sind. Wenn Lotichius von dem Wege durch die Schweiz spricht, so verweilt er nur auf dem friedlichen Dasein des dem Luxus abholden, mit wenigem zufriedenen Hirtenvolkes, und zwar deshalb, weil ihm immer ein solches Leben als unerreichbares Ideal vorschwebte (vgl. auch II, 5; 50—58). Von dem Augenblick an, wo der Dichter den vaterländischen Boden betritt, wird der weitere Verlauf der Elegie durch das Heimatsgefühl beherrscht: das Glück des Dichters, das Frankenland wiederzusehen und der Kummer, infolge der Kriegswirren von ihm ausgeschlossen und von neuem zu mühseligem Wandern gezwungen zu sein. Die zweite Elegie führt nach Baden, wo Lotichius den schwerkranken Stibar besucht; die Ankündigung der bevorstehenden Reise nach Italien erfolgt mit Hilfe mythologischer Figuren: Amor erscheint dem Schlummernden im Traume und mahnt ihn, das Land seiner Verheißung aufzusuchen. So nimmt Lotichius nach dem Erwachen Abschied von Heimat, Geschwistern und Genossen: „Vobis parta quies, de me deus auctor amoris Viderit, auspiciis mens favet ipsa suis." Daß ihm Amor den Weg weist, ist nichts Zufälliges; es soll vielmehr damit die Stimmung angedeutet werden, die die nächsten Elegien ganz oder zum Teil erfüllt. Zunächst schließt sich das bereits erwähnte Trauerlied auf die französische Kallichoe oder pudla tunicaia an (III 3). Von der Entstehung dieser Elegie war bereits die Rede; genauer wird noch bei der zusammenfassenden Betrachtimg von Lotichius' Lebenswerk darauf eingegangen werden müssen. Das Gedicht ist an Wilhelm Rondolet, Professor in Montpellier, gerichtet, bei dem die pudla tunicata verkehrt, und der vergebliche Mühe aufgewendet hatte, sie dem Tode zu entreißen. Obgleich weit von der Geliebten entfernt, ahnt der Dichter ihren Tod; oft erblickte er unmittelbar neben seinem Bette ihren Schatten; sobald er aber in die Höhe fuhr, verschwand die Erscheinung. So darf er an ihrem Heimgang nicht mehr zweifeln, und wehmütig vergegenwärtigt ist.
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wie nahe ihm schon die Erfüllung seiner Herzenswünsche war. E r will die Geliebte nicht lassen, möchte mit ihr in die Unterwelt ziehen — doch nein! sie wohnt ja droben in den himmlischen Höhen, und so bleibt ihm nichts weiter übrig, als sie dauernd fern von den Menschen, in der Einöde zu beklagen. Wunderbar zart, sowohl im Ausdruck wie in der Sinnesweise, klingen am Schlüsse die widerstreitenden Empfindungen ineinander: seine schmerzliche Sehnsucht nach der Geliebten und der Verzicht auf den Wunsch, daß ihr Schatten ihm oft im Traum und im Wachen nahe sein möge: „Tu
quoque, si veterum memor est et pulvis amorum, Occurras oculis saepe videnda meis. Saepius in somno redeat tua dulcis imago, Fidaque tangendas praebeat umbra manus. Quid precor, imprudens? non fas ita velle piumve est! Otia sint cineri, sit sopor usque tuol Et tumulum myrti virides et amaracus ornet, Et sedeat custos ad tua busta Venus!" Unzweifelhaft bildet der schöne Trauergesang einen der Höhepunkte im Schaffen unseres Dichters. Wenn er ihn in die Zeit der italienischen Reise einreiht, so geben die beiden folgenden Elegien sowie der Schluß der zweiten über die Gründe dieser Anordnung Aufschluß. Lotichius will sein Liebesleid im Zusammenhang darstellen: Tod der Geliebten — Trauer — neue Liebe — vergebliches Werben — Entsagung: die innere Verknüpfung dieser Vorgänge tritt deutlicher heraus, wenn die poetischen Zeugnisse unmittelbar nebeneinander gerückt werden. Wie die Trauerelegie, so gehört auch die unmittelbar sich anschließende (III 4) zu den besten Arbeiten-des Lotichius. Sie ist an Georg Sabinus gerichtet. Der hatte einst selbst Italien gesehen, deshalb liegt die Beziehung auf ihn nahe. Sabinus' Gedanken, so meint unser Poet, weilen noch immer bei dem Lande seiner Sehnsucht und dem dort Erschauten; noch immer schweben seinem Geiste die Meister der neulateinischen Poesie Italiens vor, mit denen er einst persönlich wie im Geiste verkehrt hat. Da ist es wohl wahrscheinlich, daß er auch des in Italien lebenden Freundes gedenkt und etwas über sein Ergehen zu hören wünscht. Diese Mutmaßung veranlaßt Lotichius zu einem eingehenden Bericht. Er erzählt in anmutiger Weise von seinem
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wissenschaftlichen Streben. Im faustischen Drange möchte er erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält; er möchte die Geheimnisse des Werdens und Vergehens ergründen. Über den tiefsten Fragen vergißt er aber die wissenschaftliche Kleinarbeit nicht; ausführlich berichtet er von seinen medizinischen, namentlich aber von seinen botanischen Studien. Die Wissenschaft erscheint jedoch im engsten Zusammenhange mit der Dichtung: die Platane, die ihn erfreut, hat einst Sabinus' Freund Bembus gepflanzt; in Arquä bringt er Petrarcas Grab seine Huldigung dar. Allein auch das eigene Schaffen vergißt er nicht: am Tage sammelt er eifrig Pflanzen; wenn ihn aber dann, nachdem er sich zur Ruhe gelegt, der Schlaf flieht, dann kürzt er sich die lange Nacht durch ein Lied: „Carminibusque solor casus patriaeque meosque, Abstergens moesta lumina saepe manu. Sic mihi flos aevi, sie dulcis carpitur aetas, Labitur, et tacito clam fugit illa pede. Inierea tarnen instat Amor, nec ptdsa recessit Ossibus haec pestis pemiciesque meis." Durch diesen Gedanken wird der Übergang von der vorhergehenden, den Tod der Kallichoe beklagenden zu der folgenden Elegie hergestellt, die das Erwachen und zugleich das Ende einer neuen Leidenschaft kundtut. Wohl hat der Dichter gelobt, der Liebe für immer zu entsagen, aber nachdem er lange die Geschiedene betrauert, macht die Jugend ihr Recht geltend. Doch nicht einer der Schönen Paduas gibt er sich gefangen, vielmehr fesselt ihn ein ländliches Mädchen, das auf dem Apennin die Schafe hütet (III 5). Er läßt sich von den Hirten ihren Aufenthaltsort beschreiben; er findet sie, aber ihm wird keine Erhörung zuteil, denn die Erkorene ist der irdischen Liebe abhold; und er selbst muß es sehen, daß sie der Welt entsagt und den Schleier nimmt. So bleibt auch diesmal dem Dichter nur die Klage übrig; vergebens sucht er nach einem Heilmittel für seinen Schmerz. Wieder wird der Eindruck dadurch gesteigert, daß Liebeslust und -pein mit der Natur unmittelbar zusammenklingen. Daß Lotichius wegen der Pest Padua verließ und sich nach Bologna begab, wurde erzählt; auch von dem schweren Schicksal, das ihn in der neuen Universitätsstadt traf, war bereits
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die Rede. Einige Zeit nach diesem Unglück richtet er nun aus Bologna die sechste Elegie an einen in Padua zurückgebliebenen Genossen und fordert ihn auf, nach seinem Beispiele der verseuchten Stadt den Rücken zu kehren und mit der Geliebten gesündere Gegenden aufzusuchen, was wieder den Anstoß zu streiflichtartiger Wiedergabe landschaftlicher Eindrücke bietet. Nach dieser Mahnung an den Freund spricht der Dichter von sich selbst: schon seit langer Zeit flieht ihn der Schlaf; aber die Ursache sucht er nicht in der unerwiderten Liebe zu der Gottesbraut, nicht in den Folgeerscheinungen der Vergiftung, sondern in der Nachricht von dem Tode seines Gönners und Freundes Daniel Stibar. Kein Schmerz, selbst nicht der Verlust der betagten Eltern — „verzeihe das Wort, Kindesliebe I" setzt der fromme Dichter hinzu — hat ihn so tief getroffen wie dieser Schlag. Das Fieber nimmt unter solchen seelischen Nöten seinen unaufhaltsamen Fortgang; er sieht den Tod vor Augen und bittet den Freund, wenn er durch Bologna kommen sollte, seine Manen zu begrüßen und das Grab mit Blumen zu bekränzen. So ergreifende Worte er hier für Daniel Stibar gefunden, sie genügen ihm noch nicht. Und darum läßt er in der nächsten Elegie (III 7) einen umfangreichen Trauergesang folgen. Dieser weist hohe Vorzüge auf. Zunächst fesselt die Anlage. Zu Grunde liegt die Vorstellung, daß der Inhalt des Gedichtes einen ganzen Tag umfaßt. Das Selbstgespräch, nur einmal durch die Anrede an einen zur Bedienung mitgenommenen Knaben unterbrochen, setzt mit dem Erscheinen des Morgensternes ein und erstreckt sich über die Mittagsglut bis zum Sinken der Sonne und dem Aufgang des Mondes. Und jede Klage ist dem betreffenden Naturzustände angepaßt. Zuerst herrschen die weichen Klänge vor: der Dichter spricht von seinem persönlichen Verhältnis zu dem Toten, von den Wohltaten, die dieser ihm erwiesen; als aber um die Mittagszeit die klagenden Stimmen des Meeres und der Winde schweigen, da scheint ihm der leise Schmerzenslaut nicht mehr mit dem Natureindruck vereinbar; da meint er kräftigere Töne anschlagen zu müssen: und nun preist er die staatsmännischen Verdienste des Freundes; er erzählt, wie Stibar in dem Raubkriege des Albrecht Alcibiades, allen Gefahren trotzend, den Frieden herbeizuführen suchte; lebhaft steht ihm dabei das Bild der Verwüstung vor Augen (vgl. Eleg. III 1), innerhalb deren sich die Bemühungen Stibars abspielten. Als Lohn
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für solche Taten verheißt er dem Freunde ewigen Ruhm und Eintritt in die himmlischen Gefilde, deren Glanz mit wenigen Strichen, aber eindringlich vergegenwärtigt wird. Mischten sich nun schon in diesen heroisch gedachten Bericht weichere Klänge, so gewinnen diese in der Abenddämmerung wieder die Oberhand und der Schluß lenkt mit den Worten: „Lebe wohl, bald werde ich dir nachfolgen!" in die Stimmung des Anfangs zurück. Die innige Gemeinschaft zwischen Natur und Menschenherz, von der das ganze Gedicht Zeugnis ablegt, verrät sich auch darin, daß Einzelerfindungen und Gleichnisse unmittelbar aus der gegenwärtigen Lage quellen. Glücklich ist namentlich die Wahl der örtlichkeit. Den Schauplatz bildet die Pomündung, „hier, wo Phaethons Fluß sich ins Meer ergießt." Daher erscheint die wiederholte Bezugnahme auf Ovids Wiedergabe der Sage von Phaethon und seinen Schwestern innerlich gerechtfertigt. Diese mythologischen Bestandteile stehen aber nun unmittelbar neben dem aus tiefem Frommsein quellenden Aufblicken zu Gott und Christus. Trotzdem klafft kein schroffer Gegensatz; die Vereinigung der Antike mit christlicher Gläubigkeit, wie sie namentlich in Melanchthon ausgeprägt war, hat hier die vollkommenste dichterische Gestalt gewonnen. Die für das dritte Buch bezeichnende trübe Stimmung wird dann noch einmal durch einen Sonnenblick unterbrochen (III 8). Der Dichter erzählt einem in Padua zurückgebliebenen Freunde, daß er sich mit mehreren Studiengenossen in eine ländliche Siedelei zurückgezogen hat. Dabei hält er anmutig das stille Behagen dieses weltentrückten Lebens fest, und mit einer schon aus dem ersten Buche bekannten Gemütlichkeit malt er sich aus, wie zu gleicher Zeit das Tagewerk des fernen Freundes abläuft. Aber dieses trauliche Zwischenspiel währt nicht lange. Von neuem kehrt das Fieber wieder und bringt den Dichter an den Rand des Grabes. In einer schönen Elegie (III 9) trifft Lotichius seine letzten Verfügungen. Nicht an öder Stelle, nicht im modrigen Grunde, sondern in freier Luft vor der Pforte des Tempels will er begraben werden; Tränen soll man ihm nicht zollen, „denn ich habe selbst genug geweint", sagt der Dichter, „als ich die harten Tage meines Zeitalters beklagte." Besser sei es, seine Manen mit Liedern zu erfreuen. Dankbar vermachte er dem Freunde, dem er die Bestattung überträgt, seinen Besitz: Bücher der Alten und eigene Dichtungen. Allein diese bittet er
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zu verbrennen, „wie die Liebe selbst den Sänger mit ihren Gluten verbrannt hat." Sein Grab aber soll eine Myrte zieren, „die wird meine Asche nicht beschweren können." Daß das erwartete Verhängnis nicht eintrat, daß Lotichius gerettet wurde, fand in seiner Poesie keinen Widerhall. Im ersten Buche hat er nach der Erkrankung die Rückkehr in das Leben mit überschwänglicher Seligkeit begrüßt. Diesmal schweigt er. Wahrscheinlich vollzog sich die Genesung so langsam, daß Lotichius ihrer nicht recht froh werden konnte. Daher war auch die neugewonnene Gesundheit nicht dazu angetan, die poetische Stimmung zu wecken. Erst auf der Heimreise wurde ihm die Zunge gelöst. Er hatte sich von Bologna nach Venetien begeben und wollte von da aus über den Garda- und Corner See durch die Schweiz nach der Heimat ziehen. In der Schlußelegie des dritten Buches wirft er einen Rückblick auf die Erlebnisse und Gefahren seiner Wanderjahre. Da ihm der Freund, an den die Elegie gerichtet ist, nicht mehr wie sonst Führer sein kann, malt er sich selbst den einzuhaltenden Weg aus. Wieder aber kommt nicht die Freude an den mannigfach wechselnden Szenen zum Ausdruck, sondern sein Gemüt wird durch das Unstäte des Umherziehens so bedrückt, daß sich von neuem der Wunsch nach ländlicher Zurückgezogenheit regt; und diese Sehnsucht nach dem Idyll gibt ihm zuletzt den freilich nicht durchgeführten Entschluß ein, daheim die Felder zu bebauen, wie es einst sein Vater getan. Die Kraft des Lotichius, dem, was er an seinen Lebensschicksalen der poetischen Wiedergabe würdig erachtete, Ausdruck zu zu verleihen, erscheint in dem dritten Buche der Elegien am höchsten gesteigert. Unmittelbar läßt er durch ein andeutendes Wort mit dem Gefühl auch den Vorgang erstehen, durch den das Gefühl geweckt worden ist. Aber trotzdem erscheint der Vorgang nur als das Begleitende, und der Hauptnachdruck ruht, wie bei jeder echten Lyrik, auf der gefühlsmäßigen Aneignung. Das innere Leben zum Tönen zu bringen, ist des Lotichius eigenste Kunst. Das Gleiche gilt von seiner Fähigkeit, die Stimmung vorzubereiten. Die Elegie an Sabinus läßt das Erwachen einer neuen Liebe ahnen; das folgende Stück gibt dem Geahnten Farbe und Gestalt. Der Vorklang zu dem Trauerlied auf Stibar (III, 6) überzeugt davon, daß der Dichter notwendig den tiefen Schmerz um den väterlichen Freund noch einmal ausströmen
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lassen muß. Noch stärker als in den ersten beiden Büchern macht sich daher der Zusammenhang des Ganzen geltend, während doch. gleichzeitig das Einzelne zum Greifen nahegerückt wird. Trotz der Vorzüge dieses Abschnittes würde es unrichtig sein, die beiden ersten Bücher ihm gegenüber allzuweit zurückzustellen. Der Fortschritt ist unverkennbar, aber er vollzieht sich auf der Basis des bisher Geleisteten. Auch im Gesamtcharakter waltet kein Unterschied ob: in jedem der drei ersten Teile wird ein p o e t i s c h e s T a g e b u c h vorgelegt: der Dichter zeichnet auf, was in fruchtbaren Augenblicken sein Gemüt bewegt hat. So kommt es zu einer Beichte des inneren und teilweise auch des äußeren Lebens, die im Deutschland des 16. Jahrhunderts nicht ihresgleichen hat. Im dritten Buche begleitet das Lied des Dichters diesen bis zur Rückkehr in die Heimat. Für das Weitere ist man auf Hagens Bericht angewiesen. Lotichius begab sich zunächst nach Würzburg. Hier hatte sein, freilich erheblich älterer Freund und Gevatter Melchior Zobel die Bischofswürde erlangt; aber Lotichius fand ihn nicht mehr vor; während der durch Albrecht Alcibiades heraufgeführten Wirren war Zobel grausam ermordet worden. Was er über das furchtbare Ende des Jugendgenossen erfahren, faßte Lotichius erzählend in klassischer Prosa zusammen, durch die trotz der absichtlichen Zurückhaltung Teilnahme und Unwille hindurchzittern. Zobels Nachfolger, Bischof Friedrich, beraten durch Lotichius' Freund Erasmus Neusteter, genannt Stürmer, wollte den Dichter in Würzburg fesseln. Allein diese Bemühungen waren vergebens; Lotichius zog es mächtig zur Heimat hin. Hier in Schlüchtern, wo er von den Mühsalen und Gefahren der Reise ausruhte, erhielt er einen ehrenvollen Ruf als Professor der Medizin und Botanik nach Heidelberg. Er nahm ihn an und hat dann noch vier Jahre in der Neckarstadt gewirkt, zuerst mit dem alten Mentor Jakob Micyllus zusammen, der freilich schon 1558 starb. Als Mensch, als Lehrer und als Arzt erfreute sich Lotichius des größten Ansehens und allgemeiner Beliebtheit. Hagen, der ihn 1559 besuchte, fand ihn unverändert in seiner Gesinnung wie in seinen Neigungen, insbesondere in seiner Liebe zur Natur. Eine im Frühherbst 1560 an ihn gelangte Berufung nach Marburg auf den Lehrstuhl der Mezidin oder der schönen Wissenschaften lehnte er ab, er mochte fühlen, daß sein Ende nahe war, da die Fieberanfälle sich in
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jedem Jahre, wohl gesteigert, wiederholt hatten. Erst zweiunddreißigjährig ist er am 22. Oktober 1560 aus dem Leben geschieden; ihm wurde das frühe Grab zuteil, das er in Anfällen der Schwermut so oft mit ahnendem Geiste erschaut hatte. Der tagebuchartige Charakter der drei ersten Abschnitte wird im vierten Teile der Elegien nicht mehr oder doch wenigstens nicht vollständig gewahrt. Allerdings stammen fast alle Stücke aus den Heidelberger Endjahren, schließen sich also der Zeit nach an das dritte Buch an. Nur am Anfange steht eine viel früher (1551) entstandene Elegie. Aber auch die dem Heidelberger Aufenthalt angehörenden Gedichte führen nicht so unmittelbar in das Leben ein, wie es die drei ersten Bücher getan haben. Der Grund dieses Wandels wird später darzulegen sein. Auch der Zusammenhang des Ganzen tritt im vierten Buche bei weitem nicht mit der einleuchtenden Kraft hervor wie in den früheren Teilen. Das mag auf folgendem Umstände beruhen. Während die Anordnung der ersten drei Bücher unzweifelhaft von Lotichius selbst herrührt, wird der vierte Abschnitt erst nach seinem Tode hergestellt worden sein. Daher auch die bereits erwähnte Tatsache, daß die erste Elegie der Zeit nach nicht in den Zusammenhang gehört; sie müßte eigentlich am Anfange des zweiten Buches stehen. Denn sie ist das einzige poetische Zeugnis, das von des Dichters Verweilen in Paris Kunde gibt, während für die im zweiten Buche vereinigten Gedichte die südfranzösische Landschaft Unter- und Hintergrund bildet. Allerdings begnügt sich Lotichius mit einer kurzen Angabe der örtlichkeit; wenn diese für den weiteren Verlauf des Gedichtes bedeutungslos ist, so mag man den Grund darin sehen, daß das städtische Leben dem Dichter wenig poetische Anregungen zu geben vermochte. Lotichius wendet sich an seinen Lehrer und Freund Camerarius. Zuerst schlägt er ein echtes Humanistenthema an, er spricht von der geringen Achtung, die die Welt dem heiligen Sänger zollt, dann aber geht er wieder dazu über, in eigne Stimmung und Erlebnisse einzuführen, und indem er sein und seiner Freunde Verehrung für Camerarius Ausdruck gibt, berichtet er von den chronologisch-geschichtlichen Arbeiten eines dieser Freunde, Michael Beuthers, — ein schönes Beispiel für seine Kunst, den Ertrag wissenschaftlichen Strebens, poetisch angeschaut, wiederzugeben. Und zwar geschieht dies aus der Persönlichkeit heraus, erst der schaffenden Beuthers, dann der geE111 n g 0 c , Neulatelnlache Lyrik 2.
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nießenden des Camerarius. Von Beuthers Leistungen gelangt er ohne Zwang zu den eignen poetischen Arbeiten und von diesen zu dem Sänger der Heimat, zu Stigel, dessen Fasten er vollendet zu sehen wünscht, von dem er aber weiß, daß er jetzt (1551) seine Leier um des gefangenen Johann Friedrichs willen auf einen traurigen Ton stimmen muß. Das ganze Werkchen bewegt sich innerhalb der Stoffwelt des neulateinischen Gelehrtentums: es zeigt aber zugleich, daß es sehr wohl möglich war, auch die Grundlagen dieses Gebietes poetisch zu verklären. Die sämtlichen anderen Elegien (d. h. das Ergebnis der Heidelberger Zeit auf diesem Gebiete) gehören den Modeformen der neulateinischen Poesie an, d. h. es sind entweder Epithalamien oder Epicedien, Hochzeits- und Trauergesänge oder religiöse Gedichte festumschriebener Art. An Zahl stehen die Epicedien voran; im Gegensatz zu der Mehrzahl gleichartiger Gedichte sind sie, wie schon die Klage um den Vater und um Stibar, vom Gefühl unmittelbar eingegeben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß bestimmte, der neulateinischen Trauerliteratur eigentümliche Wendungen wiederkehren, die Hinfälligkeit des Menschen, das dauernde Fortleben im Liede des Sängers, die Freuden der Seligen in der Ewigkeit. Sucht man die drei Epicedien nach der Bedeutung des Gegenstandes in aufsteigender Linie zu gruppieren, so muß der Trauergesang auf Mangold von Hutten (IV 5) an erster Stelle stehen. Der fränkische Ritter war im blühendsten Mannesalter gestorben; Lotichius beklagt ihn, vergegenwärtigt die wichtigsten Stufen seines Lebens und hält die Erinnerung an das Zusammensein mit dem Freunde im fremden Lande fest. Der Charakteristik fehlt es nicht an hübschen Wendungen, so wenn der Tod als Zeuge des Lebens bezeichnet wird. Und bei der Verherrlichung des Huttenschen Geschlechtes liest man gern das begeisterte Preislied auf Mangolds Oheim Ulrich; nicht minder gern das Bekenntnis, daß sich Lotichius als Dichter in Ulrichs Schuld fühlt, „der zuerst die Musen in die blühenden Fluren meiner Heimat geführt hat." Stiftet hier Lotichius dem Weggenossen ein Denkmal, so findet er doch unmittelbarere Laute, wenn er den Heimgang des verehrten Lehrers Micyllus beklagt (IV 2). Es hat etwas Rührendes, wie die Töne, die er einst in dem Jugendgedicht an Micyllus angeschlagen, hier widerklingen. Er bringt dem Verstorbenen, den er wie einen zweiten Vater geliebt, seinen Dank dar; er ruft die befreundeten Dichter zu seinem
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Preise auf; er verheißt ihm ewigen Nachruhm; er zeigt den in frommer Fassung dem Tode Entgegengehenden; er sieht ihn die Freuden der Ewigkeit genießen, während er selbst in Kummer und Tränen auf der Erde ausharren muß. Das Ganze liefert einen neuen Beweis für die bereits mehrfach belegte Tatsache, welches Maß seelischer Feinheit auch in dieser so oft handwerksmäßig mißbrauchten Form zum Ausdruck gelangen konnte. Die Elegie ist an Melanchthon gerichtet. Dessen Tod gab den Anstoß zu dem dritten und bedeutendsten der Trauergedichte des vierten Buches (IV 4). In Anlage, Ausführung und Einzelheiten übertrifft dieser poetische Nachruf die zahlreichen Trauergesänge auf den praeceptor Germaniae weit. Schön der Anfang, wie unter dem Eindruck der Trauerkunde dem Dichter die Frühlingslandschaft plötzlich tot und erstorben erscheint, und schön auch, wie am Schlüsse in dieses Bild der verwandelten Natur wieder eingelenkt wird. Dazwischen nun der eigentliche Nachruf: die allgemeine Würdigung des Lebenswerkes, anknüpfend an ein wohl aus Vidas „Christias" übernommenes und „Mahomets Gesang" vordeutendes Bild von dem durch Nebenflüsse mächtig erstarkenden Strome; dann Schilderung des Wirkens aus Lotichius' persönlicher Erfahrung heraus, und schließlich Melanchthon die Seligkeit der himmlischen Gefilde genießend, seine Verehrer im Vorgefühl naher Leiden zurückbleibend und aus dieser Stimmung heraus Bitten zu Gott emporschickend. Wie stark die persönliche Anteilnahme des Dichters sich geltend macht, erkennt man am besten bei der Erwähnung von Melanchthons Friedensliebe: da kann Lotichius den Groll gegen die Feinde des Toten nur mühsam unterdrücken. Im ganzen reiht sich dieser poetische Nachruf dem Besten an, was auf dem gleichen Gebiete in Deutschland gedichtet worden ist: aus poetischem Geiste heraus hat Lotichius die Grundlinien des Lebenswerkes wieder erstehen lassen. Und daß der Dichter nirgends ersonnene Einkleidungen verwendet, sondern daß ihm alles aus dem wirklichen Erleben und der unmittelbaren Gegenwart quillt, läßt sich hier an einem bestimmten Zuge feststellen. Denn wenn er am Anfange erzählt, daß er die Trauernachricht während eines Morgenspazierganges in der Frühlingsflur erhalten habe, so entspricht dies, wie ein Brief des Lotichius beweist, durchaus den Tatsachen. Aber freilich: es bedurfte dieses Zeugnisses nicht, da das ganze Dichten des Lotichius auf Lebenswahrheit gestellt ist. Wie das Trauerlied hier auf 24*
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eine höhere Stufe gehoben und aller schematischen Wendungen entkleidet wird, so wandelt Lotichius auch das Epithalamium zu einem ganz individuellen Gebilde um (IV, 3). Allerdings steht er dabei schon im Banne der Überlieferung; er hatte einen Vorläufer in Melchior Acontius; und es ist höchstwahrscheinlich, daß Acontius' zweites Gedicht auf Sabinus' Hochzeit Lotichius im ganzen wie im einzelnen angeregt hat. Aus Heidelberg sendet Lotichius dem in Speier Hochzeit feiernden Freunde seinen Glückwunsch; aber er läßt den örtlichen Abstand verschwinden und stellt den Zusammenhang zwischen sich und dem Freunde durch eine Reihe von unmittelbar erschauten Bildern her: der Dichter, zusammen mit der Muse auf dem Wege nach Speier, sich die Zeit mit Lobliedern auf Hymen, den Begründer edler Sitten, kürzend; Amor und Venus, gefolgt von Hymen, ihm voran über den Rhein ziehend; schließlich die Feier der Hochzeit in Speier und die freundschaftliche Ansprache an den Bräutigam, den Jugendgenossen aus der französischen Studien- und Abenteuerzeit. Alles atmet auch hier Unmittelbarkeit, Gegenwart; dem Dichter steht jeder einzelne Vorgang lebendig vor Augen, und die Gestalten werden durch schöne Vergleiche nahegebracht, so die Braut ähnlich wie im Nibelungenliede: „Qualiter astrorum caelo regina sereno Luna, repercussis nocte refulget aquis, Quäle vel Oceani liquidis jubar exserit undis Lucifer, Aurorae -praevia Stella suae, Sic vivus micat ore nitor, sie lumina flagrant, Cincta superciliis lumina nigra suis." Auch in den das Buch abschließenden beiden religiösen Stücken (IV 6 und 7) handelt es sich um Modeformen der neulateinischen Dichtung. Die eine Elegie behandelt ein tausendfach von den Neulateinern variiertes Thema, die Geburt des Herrn, durch die ausstrahlende herzliche Wärme ebenso wie durch mannigfache Naturschilderungen anmutig belebt. Wie unmittelbar ist die Ruhe erfaßt, die nach der Aufnahme der heiligen Familie die Krippe umgibt, wie lebendig die Teilnahme der Natur nach der Geburt Christi nahegebracht 1 Im Angesicht des Knäbleins sagt Joseph die einzelnen Stufen der Lebensbahn Jesu bis zur Himmelfahrt voraus, kurz abgerissen, aber mit dramatischer Eindringlichkeit; und es ist hübsch, wenn er das Weinen des Kindes mit dem Leiden am Kreuz in Verbindung bringt:
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„Parve quid ah vagis? tanquam iua vtdnera noris, Dum reparas leto, quae •periere, tuo." Erscheinung des Engels, Anbetung der Hirten, Bitten des Dichters schließen das schöne Gedicht ab. Nicht die gleiche Wirkung geht von dem Hymnus auf den heiligen Geist aus, doch wird die schaffende Kraft des Geistes in eindrucksvollen Naturbildern festgehalten. Es ist wohl kein Zufall, daß der Dichter in diesem letzten Abschnitt seines Schaffens mehr als sonst die herkömmlichen Formen der neulateinischen Poesie bevorzugte. Sein Erdenlauf war in ruhigere Bahnen geleitet; es fehlten die außergewöhnlichen Schicksale, die in den Kriegs- und Wanderjahren das Gemüt befruchtet hatten. Deshalb läßt es sich verstehen, daß er selbst bei einem Vergleich mit seiner früheren Tätigkeit den augenblicklichen Stand seines Könnens gering anschlug (IV, 3): „Nunc vigor omnis abest, curisque exhausius amaris, Ingenii cecidit spiritus ille mei." Allein das Versagen der Dichterader war doch nur durch die Einförmigkeit des Lebens bedingt; wo ein ergiebiger Gegenstand zur Wiedergabe reizte, da stellte sich schnell die alte Kraft wieder ein. So in dem elegischen Gedicht: „Auf das Landgut am Neckar." Ein Loblied des Dichters auf seinen Zufluchtsort in den heißen Hundstagen. Der Sommersitz hat es ihm angetan; er preist ihn wegen seiner anmutigen Lage, die wieder meist durch Bewegung vergegenwärtigt wird, nicht minder aber wegen seiner gesitteten, aller Roheit abholden, nach altem Brauch lebenden Bewohner. Unter diesen hebt er nun ganz besonders die Mädchen hervor und von ihnen wieder eine, bei deren Nennung man deutlich merkt, daß das Herz des Dichters nicht unbeteiligt ist. Ihren wirklichen Namen will er nicht verraten; für ihn heißt sie Phyllis. „Qualiter Eois cum surgit Lucifer undis, Oceanum radiis vestit et arva suis, Blanda verecundo sie ardent lumitta vultu, Sic oetdis fiunt cuncta serena tuis. Musa sile! mea Phylli vale, lux unica salve, Et stabili gaude vatis atnore tuil" Der Abschied von der einzigen Person, die besonders vorgeführt wird, ermöglicht es in den Ton des Anfangs zurückzulenken und
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zu zeigen, wie erfreulich sich ihm die Zurückgezogenheit gestaltet: das Behagen an ländlicher Einfachheit, der stille Frieden abseits von Lärm und Streit, die beseligende Ruhe, die dem Dichter schöne Gesänge eingibt. Ein in seiner Art vollkommenes kleines Kunstwerk; es hält nicht bloß einen Vergleich mit den Elegien der ersten drei Bücher aus, sondern zeigt sogar einen Fortschritt: Zwiespalt und Unruhe sind überwunden; in der Einheitlichkeit der Stimmung kommt das befriedete Gemüt des Dichters zum Ausdruck. Dieses Zeugnis glücklicher Zufriedenheit steht im zweiten und letzten Buche der „Carmina". Die Sammlung umfaßt die kleineren Arbeiten des Lotichius; einzelne Stücke der Carmina sind bereits gelegentlich zur Ergänzung des aus den Elegien gewonnenen Bildes angeführt worden. Aber das Gedichtbuch erheischt auch eine besondere Würdigung. — An Versmaßen werden besonders häufig die Hendekasyllaben verwendet, verhältnismäßig selten erscheint die Odenform — worüber noch zu sprechen sein wird — sehr häufig das elegische Metrum. Die in dem zuletzt erwähnten Maße verfaßten Gedichte unterscheiden sich insgesamt deutlich von den ausgeführten Elegien; und es ist daher nicht zulässig, die meisten dieser Stücke auszusondern und sie mit anderen Gedichten zu einem fünften Buche der Elegien zusammenzustellen, wie es der sonst so vortreffliche Herausgeber des Lotichius, Peter Burmann, getan hat. Die carmina verhalten sich zu den Elegien, wie Augenblicksimpressionen zu ausgeführten kleinen Kunstwerken. Allerdings ist das keineswegs so zu verstehen, als ob Lotichius nicht auf diesem etwas begrenzten Gebiete künstlerische Vollendung angestrebt hätte. Auch an manchen der hier vereinigten Poesien hat er sorgfältig gefeilt; andere sind ihm, soweit sich sehen läßt, auf den ersten Wurf gelungen. Wie bedeutsam der poetische Gehalt häufig ist, lehrt das soeben besprochene Erzeugnis der Heidelberger Endjahre. Aber die carmina enthalten auch aus den früheren Jahren ein Kleinod der Lyrik des Lotichius, ein Kleinod von solchem Werte, daß manche neueren Beurteiler es nur dem ganz gereiften Dichter zutrauten und es in die Heidelberger Zeit verlegten, während es tatsächlich vor 1551, wahrscheinlich schon 1549, entstanden ist. Das Gedicht wird in einer alten Niederschrift: „Klage des Liebenden" benannt; in der Ausgabe der Carmina führt es den Titel: „M(artinusP)
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Rosa (Rosemannus? des Dichters Freund in Wittenberg) ad flores Melissae", also eine Anrede an die Blumen der Geliebten, im Namen eines anderen abgefaßt. Mehr als der Inhalt zieht die Ausführung an. Es ist Abend. Der Dichter sieht, wie die vergeblich Umworbene die Beete begießt; er beneidet die Blumen um dieses Glück. „Vos roris has rejrigerantis undttlas, Mettm sed ebibit puella sanguinem. 0 si liceret, ipse lacrimis meis Vos irrigarem: vos decus resumitis, Vobis honor redit, sed ipse langueo, Et sicut herbulae liquoris insciae Aresco semimortuus; tarnen foret Nec mors acerba, si Melissa faidtilum Dulci meum cor irrigaret oscttlo, Incendium levans. Sed heu, quid (heu) querar? Sol, dum loquor, repente noster occidit, Iam lux recedit, ingruitque nox gravis. Vale, Melissa, cordis unicum mei Levamen; o rosae, o valele lilia!" Auch hier sind individuelles Gefühl, Naturschilderung und Tageszeit so ineinander verflochten, und das Versmaß paßt sich dem Gang des inneren und äußeren Geschehens so an, daß ein vollkommen einheitliches Bild erzielt wird. — Ähnlich wie von den Elegien gilt von den carmina, was Lotichius in einer kurzen Selbstcharakteristik zum Ausdruck gebracht hat: „meine Gedichte enthalten keine Galle". Nur einmal wird ein Dichter angegriffen und zwar mit einer Heftigkeit, an die man bei Lotichius sonst nicht gewohnt ist. Peter Burmann hält Lemnius für den Adressaten; allein die Entrüstung über den Verfasser der Epigramme und der Monachopornomachia war, als Lotichius die Elbuniversität bezog, doch schon so abgeebbt, daß es nicht recht verständlich erscheint, weshalb er sich noch in diesen schon Jahre zurückliegenden Streit eingemischt haben sollte. So wird sich schwerlich feststellen lassen, wem der zornige Zuruf gilt. Sieht man nun aber von diesem einmaligen Ausruf des Unwillens ab, so ersteht aus den carmina das gleiche Bild, das die Elegien bieten: eine Verbindung von sanfter Schwermut, reinem zarten Sinn und treuer Hingabe.
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Trotz des verwandten Eindrucks, trotz der Tatsache, daß häufig die gleichen Verhältnisse den Anstoß zum Schaffen gegeben haben, kann aber von einer bloßen Wiederholung nicht die Rede sein. Die verschiedene Art der Behandlung führt in jedem einzelnen Falle zu einer selbständigen Leistung; der Dichter mag — je nach seiner Stimmung — dem Gedanken erst die kurze Form gegeben und ihn dann breiter entwickelt haben oder umgekehrt — immer aber fesselt jede der beiden Fassungen durch eigenartige Züge, so daß man weder die Elegie noch das Carmen entbehren mag. Ähnlich wie im ersten Buche der Elegien erklingt auch in den carmina die Klage des zu Magdeburg Kriegsdienst Verrichtenden über die rauhe, drangvolle Zeit und über die unglücklichen Verhältnisse, unter denen er zu leben gezwungen ist; in gleicher Weise macht sich die Sehnsucht nach dem früheren glücklichen Freundesverkehr geltend. Des Dichters Trauer, als er nach der Rückkehr aus Frankreich die Heimat wiedersieht, allein wegen der kriegerischen Wirren nur kurze Zeit dort verweilen kann (Elegien, III, i), kommt lebensvoll zum Ausdruck, wenn er den anmutigen laubumgebenen, vom Vogelsang umtönten, einschläfernden, aber auch mit seinem Gemurmel den Dichter anregenden Quell in der heimischen Flur freudig begrüßt und doch alsbald wieder von ihm Abschied nehmen muß. „Hei mihi, quod iuvenis tellure altrice relicta His careo silvis, his ego Semper aquis. Dttlce sed exhausti quondam meminisse laboris, Estque pererrato gralior orbe quies. Ergo vale rursus, nostri memor, herbifer Aci, Hoc tibi discedens opto, perennis eas/" Auch in den französischen Aufenthalt selbst werden wir zurückgeführt, denn unzweifelhaft handelt es sich um Südfrankreich, wenn der Dichter die Lorbeerbäume der Unterstadt anredet und im Gegensatz zu dem in den Elegien häufig geäußerten Widerwillen gegen die südliche Landschaft einmal betont, wie glücklich er sich hier gefühlt habe. Wie in den äußeren Ereignissen und dem Boden, auf dem diese sich abspielen, so fühlt man sich in Inhalt und Sinnesart vielfach an den aus den Elegien sprechenden Geist erinnert. Den vordersten Platz nehmen auch hier die freundschaftlichen Gefühle ein. Er findet für sie die zartesten Töne, unterstützt
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durch das innig sich anschmiegende Versmaß der Hendekasyllaben. Daß der Dichterberuf die Freunde eint, offenbart sich hier ebenfalls: so ergeht z. B. die Frage an Georg Fabricius, weshalb er, der schon so viele Proben wahrer Dichterkraft gegeben, jetzt mit seinen Schöpfungen zurückhalte. Und auch darin findet man den Dichter der Elegien wieder, daß er sein wissenschaftliches Streben mit einem Schimmer der Poesie zu umkleiden weiß. Da wandert er mit einem Freunde im Garten und macht ihn darauf aufmerksam, wie die Pflanzen auf die Sonnenstrahlen reagieren: „Sensus inest igitur plantis, gaudentque dolentque, Certaque naturae dant documenta suae." An die Elegien erinnert ferner die Verbindung der Freundschaftsempfindungen mit der Freude am ländlichen Leben; und ebenso wie in den Elegien gibt gerade dieses Zusammenklingen der beiden Motive den Anstoß zu anmutig belebten Bildern. Auch harmloser Lebensgenuß wird wie in den Elegien gepredigt und die Gelegenheit dazu beim Schöpfe ergriffen. So wenn die Feier von Virgils Geburtstag den Anlaß zu fröhlicher Gasterei gibt, deren Vorbereitung Lotichius schildert. Aber der Freundesverkehr, innerhalb dessen derartige Mahnungen sich abspielen, weckt auch ernstere Klänge, wie die mannigfachen, den frühzeitig dahingerafften Jugendgenossen und Kriegsgefährten gewidmeten Grabschriften beweisen. Manche dieser Grabschriften führen über den Kreis der Freunde hinaus. Unmittelbar aus dem Herzen quellen die Worte, die der Dichter dem frühverstorbenen Bruder spendet, dessen Grab er erst sehen kann, als ihn sein Weg nach langer Reise wieder in die Heimat führt. Den Höhepunkt aller dieser Versuche bildet die Wiedergabe der Empfindungen am Grabe Ulrichs von Hutten; hier handelt es sich nicht um einen äußerlichen Heroenkult, nicht um landsmännische Parteinahme, sondern innige Verehrung löst dem echten Gefühl die Zunge. Nicht in dem gleichen Maße wie die Freundschaft kommt die Liebe zu Wort, doch enthalten die carmina kleinere Dichtungen der Art, die sich an Gehalt getrost den entsprechenden Elegien gleichstellen können, so die bereits besprochenen Stücke: „Klage des Liebenden" und „Auf das Landgut am Neckar". Einen ganz eigenen Ton schlagen die Hendekasyllaben an, die die Überschrift: „An das ostpreußische Gestirn" tragen. Da rät Lotichius
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dem ostpreußischen Freunde (Matthias Stoius), seine hoffnungslose Liebe zu einem Mädchen zu ersticken und nicht durch Gewöhnung das Gift über sich Herr werden zu lassen. Ein offenbar aus dem Leben gegriffener Gegenstand wird hier mit schalkhafter Anmut gestaltet. Das religiöse Element tritt stärker hervor als in den Elegien, wenigstens soweit eine selbständige Behandlung des religiösen Vorwurfes in Betracht kommt. Dem einen Weihnachtslied im vierten Buche der Elegien stehen hier nicht weniger als drei gegenüber. Dazu kommen zwei Bußpsalmen an Christus; sie zeigen, wie sehr das die Zeit beherrschende Schuldgefühl auch diese reine Seele quälte, und wie auch die harmlosen Freuden sein zartes Gewissen belasteten. „Tilge", ruft er dem Herrn zu, „die Vergehen der kecken Jugend und wische mit flüssigem Tau meinen Schmutz ab!" Die Stärke der religiösen Stimmung bekundet das in dem zweiten Gedicht gegebene Versprechen, seine ganze Kunst in den Dienst Jesu zu stellen. Für zwei der Weihnachtslieder sind lyrische Maße gewählt, während das dritte elegisch ist. Erfreulich wirkt auch hier die Abwesenheit jeder Schablone. Denn der Dichter verzichtet ganz auf die herkömmlichen Bestandteile der Gattung; er ergreift vielmehr unmittelbar das Gegenwärtige. So z. B. in dem an seinen jungen Schüler Martin Stibar gerichteten Weihnachtsgesang. Als das Fest naht, befindet sich Lotichius mit seinem Zögling an der Küste des Mittelmeers, da drängt sich ihm der Gegensatz zwischen der weihnachtlichen Landschaft der Heimat und dem ganz unweihnachtlichen Eindruck der Fremde mit aller Gewalt auf, und er fragt sich, wie man in dieser Umgebung Weihnachten feiern solle. Es scheint ihm nun am angemessensten, das Kind in der Krippe durch das Christo so liebe jugendliche Alter begrüßen zu lassen, und er fordert seinen Schüler auf, das Lied anzustimmen: „Es ist ein Ros' entsprungen", auf das er auch in einem der anderen Weihnachtsgedichte anspielt. Am tiefsten spricht jedoch Lotichius auch in den carmina da zu Herzen, wo er ganz individuelle Bekenntnisse bietet. In ergreifenden Worten beklagt er seine Leiden und führt sie auf den unglücklichen Zustand des Vaterlandes zurück. Wie sein Lehrer Micyllus, wie Melanchthon u. a. sieht er mit trübem Blick in die Zukunft; die Ahnung kommenden Unheils preßt ihm Seufzer und Tränen aus, und mit offenbarer Anlehnung an den Anfang
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eines Gedichtes des Pontanus erforscht er die Ursache der ihn beschleichenden Trauer und findet sie nicht in der Liebe, sondern eben in den schreckhaften Vorzeichen kommenden Unglücks, die ihm den trüben Ausruf eingeben: „Nil praeter lacrimas haec et suspiria vita est, Quae si fine bono clauditur acta, sai est." Wie das Individuelle auch die herkömmlichen Gattungen der neulateinischen Poesie belebt, ist schon bei den Weihnachtsgedichten gezeigt worden, deutlicher wird es noch bei einer anderen Modeform, der Heroide. In dieser hat sich Lotichius ebenfalls versucht: die Carmina bringen zwei elegische Briefe einer Liebenden an den abwesenden Freund; aber auch bei ihnen handelt es sich nicht um ein künstliches Gewächs, um ersonnene Zustände. Zu den Reisebegleitern des Lotichius gehörte der Pfälzer Georg Marius. Da hat sich Lotichius offenbar den Spaß gemacht, die Empfindungen der am Neckar zurückgebliebenen Geliebten des Freundes in Verse zu fassen und sie an den Adressaten zu übermitteln. Wir mögen uns also denken, wie Marius-plötzlich auf dem Tisch einer Laube diese angeblichen Briefe fand. Sicher liegt ein ähnlicher Zusammenhang vor; dies erhellt schon daraus, daß die sich in Sehnsucht und eifersüchtiger Furcht verzehrende Schöne dem Geliebten rät, die Mädchen in der Fremde zu meiden und lieber mit den Freunden oder mit der Dichtkunst sich die Zeit zu kürzen. Dieser ganz individuelle Ton verleiht nun auch den meisten Eklogen des Lotichius das entscheidende Gepräge. Selten ist es der neulateinischen Ekloge in Deutschland gelungen, das Schablonenhafte und Unlebendige zu überwinden; zwei Ausnahmen von der Regel, die Eklogen des Camerarius und die freilich erst nach Lotichius* Tode veröffentlichten gleichartigen Dichtungen Johann Bocers sind bereits gewürdigt worden. Auch Lotichius' Idyllik hält sich von den Unarten der Zeit- und Zunftgenossen fast völlig frei. Wohl benutzt er die Ekloge gelegentlich zu einer Verbeugung vor seinem Fürsten: in der aus der Heidelberger Zeit stammenden dritten Ekloge stimmt der Neckar ein Loblied auf Ottheinrich von der Pfalz an und rühmt dessen Verdienste um die Wiederherstellung des Landes. Allein wenn der Dichter sich hier in der Anlage der landläufigen Maskenform der Neulateiner nähert, — wie er denn auch einmal nach der Weise seiner Zunftgenossen
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eine fürstliche Hochzeit in idyllischer Form gefeiert hat — so zeigt doch anderseits manche ungesuchte poetische Wendung, wie wenig er mit den Vertretern der Durchschnittsekloge in eine Reihe gestellt werden darf. Indessen eine Vorstellung davon, was er auf diesem Gebiet zu leisten vermochte, und wie die eigentümlichen Grundzüge der Persönlichkeit auch in dieser verkünstelten Form heraustreten, gewährt die dritte Ekloge freilich nicht. Wohl aber offenbart sich seine Kraft in drei anderen Eklogen (Nr. i , 2 und 5). Keine Frage, daß hier der Dichter ebenfalls Erlebtes festhält. Die erste Ekloge bringt einen Monolog: Lycidas beklagt die Abwesenheit seines Freundes, des Jägers Sarnis, und fordert den Entfernten zur Rückkehr auf. Dabei vergegenwärtigt er sich die Zeit des ehemaligen Zusammenseins und vertieft sich in den einstigen Abschiedsschmerz, an dem auch die Natur teilgenommen hat. Durch Trauer und Sehnsucht werden die zur Charakteristik des Sarnis mitgeteilten Züge gehoben. Die zweite Ekloge führt uns nach Südfrankreich; der Jäger Viburnus, der hier zuerst das Wort ergreift, ist unzweifelhaft Lotichius selbst; am Flusse Varus — ach, fern vom süßen Vaterlande — beklagt er den Zustand der Heimat, die von fremden Scharen heimgesucht und verwüstet worden ist. Und infolge dieser inneren Wirren ist ViburnusLotichius gezwungen, als Verbannter in der Fremde zu leben. E s verlangt ihn mächtig nach der heimischen Flur, wo die Kinzig durch Wiesen und Waldgebirge fließt; aber die KinzigNymphen sind jetzt durch die Zwietracht vertrieben, „die wild die Berge mit schwarzen Flügeln umfliegt". Nach einem in das Altertum zurückreichenden, durch Pontanus u. a. wieder aufgenommenen Schema schließen sich an diesen Monolog Wechselreden anderer an: zwei Genossen der Verbannung, Lycidas und Acron, hören den Viburnus klagen und beschließen, ihn durch alternierende Lieder (alternios cantus) zu trösten. In je vier Hexametern mit priamelhaften Wendungen geben sie teils Liebessänge, teils bewegen sie sich innerhalb der gewählten Einkleidung des Jägerlebens. Zuletzt aber wird noch ein unmittelbarer Zusammenhang hergestellt, indem auch sie das Los ihrer Verbannung beklagen; und wenn sie sich über die ihnen versagte Rückkehr mit den Gedanken trösten: „Tellus commune sepulcrum est", und: „Uno sub sole iacebimus omnes", so denkt man unwillkürlich an die offenbar gleichzeitig, ebenfalls in Südfrankreich entstandene Elegie (II, 5): „Terra sepulturae quaelibet apta
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meae". Ähnlich wie mit dieser Ekloge, verhält es sich mit der fünften. Sie ist Daphnis betitelt. Obgleich sie stark unter dem Einfluß der antiken Idyllik steht, kann doch kein Zweifel daran sein, daß auch sie an die unmittelbare Gegenwart knüpft, daß sie schweres Freundesgeschick, tief empfundene Schmerzen des Dichters zum Ausdruck bringen will. Der Jäger Celadon und der Vogelfänger Myrtilus beklagen den Tod ihres Freundes Daphnis, der, von der Mosel kommend, bei den euganeischen Hügeln den Musen gehuldigt hat. Es handelt sich also um einen Paduaner Studiengenossen, vielleicht um den liebenswürdigen Hilarius Cantiuncula. Der hat während seines Aufenthaltes in Padua die Nymphe Leuce kennen gelernt und mit ihr den Liebesbund geschlossen; zu weiterer Wanderung gezwungen, kommt er jedoch, fern von den Seinen, in den schäumenden Wellen eines Flusses um. Leuce glaubt ihn treulos, und in einer düsteren Beschwörungsszene sucht sie die Rache auf den vermeintlich Treulosen herabzubeschwören. Es gelingt ihren Zauberformeln, ihn zu bannen; aber nicht als Lebender, sondern als entseeltes Bild erscheint er. Sie erkennt nun, was geschehen ist, und beschließt, ihm in den Tod zu folgen. Wie bei Bocer, der vielleicht von Lotichius abhängig ist, erkennt man leicht das letzte Urbild dieser Erfindung: es sind „die Zauberinnen" Theokrits, die dann von Virgil in der achten Ekloge nachgedichtet worden sind; beide Stücke mögen gleichmäßig die Phantasie der neulateinischen Dichter befruchtet haben. An die Beschwörungsszene schließt sich noch eine Trauerklage des Myrtilus an; sie gemahnt in ihrem zarten, innigen Ton an die Weise der ersten Ekloge. Der ganzen Ekloge kommt eine Art symbolischer Bedeutung zu: trotz des ersichtlichen Anschlusses an die Dichtung des Altertums ringt doch das eigene Empfinden mächtig nach Aussprache. Mit den besprochenen drei Eklogen vermag die vierte nicht zu wetteifern; dennoch ist auch sie für die Erkenntnis von Lotichius' Schaffen von Wichtigkeit. Denn in keinem seiner Gedichte schließt sich Lotichius so nahe an die italienischen Neulateiner an wie in diesem Gedicht. Bei Naugerius, bei Vida findet sich Ähnliches; besonders deutlich aber tritt der Zusammenhang heraus, wenn man etwa die Ekloge: „Silis" des Joh. Bapt. Amaltheus heranzieht. Da wird ein förmlicher Katalog der poetischen Leistungen des Flußgottes gegeben. Genau so verfährt Lotichius. Freilich bleibt er auch hier nicht an der literarischen Überlieferung
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haften, sondern die Handlung schöpft wieder aus den Erlebnissen seiner Paduaner Studienzeit. Lycidas, die Hauptgestalt, die der Ekloge den Namen gegeben, ist offenbar einer der Genossen des Lotich, der vergeblich um die Gunst einer Schönen geworben hatte. Der Dichter fordert einen Freund auf, mit ihm zusammen die Gedichte zu lesen, die der jüngst abgereiste Lycidas in die Rinde eines schlanken Baumes eingegraben — die Lieder, durch die er sich über sein herbes Liebesleid zu trösten gesucht hat. Die Flüsse in Oberitalien und im narbonnensischen Gallien haben seinen Gesang bewundert. Und nun folgt, wie bei den Italienern, das ungemein reiche Programm der dichterischen Tätigkeit in ganz kurzen Inhaltsangaben. Von der Erschaffung aller Dinge geht er über zu zahlreichen antiken Mythen; auch den Gönner des Lotichiüs, Neusteter, genannt Stürmer, besingt er; Stürmers Neigung für die Jagd scheint die Veranlassung zu sein, daß auch die Gewohnheiten der Jagd und die Arten der Jagdhunde nicht vergessen werden; dann legt er die Ursachen der Krankheiten dar; wir haben es also wohl mit einem Studenten zu tun, der, wie der Dichter selbst, der Heilwissenschaft oblag. Über das alles aber kehrt er zu der zurück, deren Kälte ihn veranlaßt hat, Trost im Gesänge zu suchen, und während bisher nur von den Stoffen seiner Lieder die Rede gewesen ist, läßt der Dichter ihn nun selbst das Wort ergreifen, sich über die Grausamkeit der Geliebten Ocyroe beklagen und Abschied von den Fluren nehmen, wo die Unerbittliche wohnt. Der Leser erfährt dann, daß er weggezogen, aber die Heimat nicht wiedergesehen, sondern sich in Wäldern verborgen und hier seine Klagen fortgesetzt hat. — Infolge der schematischen Art tritt das Künstliche der Gattung stärker hervor als in den drei schönsten Eklogen; trotzdem läßt sich der Nährboden der Wirklichkeit auch in dieser schwächeren Arbeit nicht verkennen. Der vorstehende Abschnitt ist der poetischen Lebensarbeit des Lotichiüs mit einer Ausführlichkeit gefolgt, die nur durch die überragende Bedeutung des Dichters innerhalb der neulateinischen Lyrik gerechtfertigt werden kann. Es kommt nun noch darauf an, die dargelegten Einzelzüge zu einem Gesamtbilde zusammenzuschließen. Die Betrachtimg von Lotichiüs' Gesamtwerk wird immer das Ergebnis zeitigen, daß ihm die Stimmung durch das Erlebnis
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geweckt worden ist; seine poetischen Gebilde sind nicht hinter dem Schreibtische erdacht, sondern sie wurden ihm durch das diktiert, was ihn in Freude und Leid berührt hatte. Aber so wechselvoll auch die Flut der auf ihn einstürmenden Schicksale war: nur ein verhältnismäßig kleiner Ausschnitt daraus vermochte ihm die künstlerische Schöpferkraft zu wecken. Deshalb muß die Frage beantwortet werden, w e l c h e Ereignisse seine Seele zum Schwingen gebracht haben. Am stärksten wurde, wie gezeigt worden ist, sein Gemüt während der Kriegszeit und der Reisejahre angeregt. Es ist bezeichnend, wie er in beiden Fällen die empfangenen Eindrücke verarbeitet. Die kriegerischen Verwicklungen als solche üben kaum nachhaltige Wirkung auf ihn aus; selbst der ihn so nahe angehende Religionsstreit klingt nur leise hinein, seltsam genug in einer Zeit, in der die Wälle und Gassen Magdeburgs von Trutzliedern gegen Habsburg widerhallten. Wenn Lotichius Kampfszenen vorführt oder unwillige Blicke auf das Treiben des Kriegsvolks wirft, so geschieht das nur, um durch den Gegensatz sein und seiner Freunde feines Empfinden offenbar werden zu lassen; nicht die äußeren Ereignisse an sich ziehen ihn an; für ihn kommt nur das in Betracht, was sie für sein Innenleben bedeuten. Das Gleiche ergibt sich, wenn man seine Reisezeit betrachtet. Wir sehen ihn von Gefahren umringt, auf dem Meere durch betrügerische Schiffer, auf dem Lande durch Räuber bedroht, um ein Haar den Schrecken der Inquisition preisgegeben, in Italien beinahe einer Vergiftung erliegend — alles gewiß Ereignisse, die sich tief einprägen mußten. Welche Spuren hat nun dieses Geschehen in seiner Dichtung hinterlassen ? So gut wie keine! Wohl wird gelegentlich der aus Versehen geschlürfte Gifttrank erwähnt, ebenso die von der Inquisition zu fürchtende Todesstrafe — aber nirgends haben ihn diese oder andere äußere Ereignisse zu längerem Verweilen veranlaßt. Nur was seiner Natur gemäß ist, weckt ihm die poetische Stimmung, alles andere bleibt Staffage und Hintergrund. Freundschaft, Liebe, pietätvolle Verehrung, Anhänglichkeit an die Heimat, innige Hingabe an Natur und Kunst, wehmütige Ahnung frühzeitigen Abscheidens — das sind die Stoffe, die seine Leier zum Tönen bringen. Aus dem Gesagten ergibt es sich, daß heroischer Aufschwung der Natur des Dichters fern liegt. Wenn er selbst in der Gefahr Mut und Geistesgegenwart bewies, für sein inneres Leben spielen
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diese männlichen Tugenden keine Rolle. Deshalb hat er sich auch nicht bemüht, sie in die Kunst hineinzutragen. Er wußte, daß sein Können in die Grenzen weicher Gefühle gebannt war, und er hat nie den Versuch gemacht, die ihm von der Natur gezogenen Schranken zu überspringen. Dieses weise Maßhalten prägt seiner Poesie die entscheidenden Züge auf und hebt ihn zugleich über die meisten seiner Dichtergenossen empor. Denn so häufig versuchen die Neulateinier das, was ihnen an innerem Besitz fehlte, durch geschwollene Redensarten zu ersetzen. Lotichius hält sich dagegen von jeder Verstiegenheit frei, und er vermag das, weil die zum Ausdruck gelangenden Gefühle echt sind. Man ist unwillkürlich geneigt, hier einen Einfluß von Lotichius' Lehrer Micyllus anzunehmen, und könnte dies zu den früheren Bemerkungen über das Verhältnis von Lehrer und Schüler hinzufügen. Allein wenn es zutrifft, daß Micyllus den angehenden Poeten zu schlichter Wiedergabe wahren Empfindens angeleitet hat, so wird man hinzufügen dürfen, daß für die Aufnahme dieser Lehre von vornherein der fruchtbarste Boden vorhanden war. Wie im Inhalt, so offenbart sich Lotichius' Naturell auch in der Form. Dem allzu Künstlichen wird aus dem Wege gegangen. Lotichius bevorzugt den elegischen Vers, der sich dem Gedanken so leicht anschmiegt. An lyrischen Maßen erscheinen am häufigsten die Hendekasyllaben; sie kleiden lebenswahr behagliches Geplauder, freundschaftlichen Scherz und verwandte Gegenstände ein. Beide Maße kommen dem ungezwungenen Ausdruck der Rede am nächsten, und das war der Grund, weshalb Lotichius sich meist für sie entschieden hat. Es ist bezeichnend, daß zu der Odenform verhältnismäßig selten gegriffen wird, und daß sich in den wenigen Fällen, in denen es geschieht, die Zurückhaltung deutlich erkennen läßt. Offenbar lag dem Dichter das Odenmaß nicht; er mochte fürchten, bei dem Gebrauch dieser Form etwas zu unternehmen, was seine Natur nicht zu leisten imstande war. Erwägt man, daß bei Micyllus ein ähnlicher Vorgang festgestellt werden konnte, so wird es nicht für unwahrscheinlich gelten, daß auch in diesem Falle der Lehrer vorbildlich gewesen ist. Wenn es Lotichius vornehmlich auf die Offenbarung des seelischen Lebens ankam, so fehlte ihm doch die Fähigkeit nicht, auch das Äußere eindringlich zu gestalten. Aber so lebendig auch alles vergegenwärtigt wird, was in den Gesichtskreis des
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Dichters tritt, es muß im letzten Grunde doch immer wieder der Endabsicht dienen. Denn die Verhältnisse, innerhalb deren das Innenleben sich kundtut, wirken so stark mit diesem zusammen, daß das Wesen des Sprechenden offen vor dem Leser liegt. Lotichius brauchte eine solche Entblößung des Inneren nicht zu scheuen. Von der Wahrheit des Dargestellten legt jedes Wort wohltuendes Zeugnis ab. Mit dieser Echtheit des Inhaltes wie des Ausdrucks scheint die freie Umformung zahlreicher Stellen aus den römischen Dichtern im Widerspruch zu stehen. Lotichius bildet in der unbekümmerten Aneignung fremden Gutes keine Ausnahme, ja die Anlehnung an klassische Vorbilder zeigt sich bei ihm deutlicher als bei Micyllus. Wie diese der ganzen Dichtungsart eigentümliche Unselbständigkeit zu erklären und zu beurteilen ist, wird im dritten Bande ausführlich dargelegt werden. Für Lotichius im besonderen daher hier nur so viel: es ist richtig, daß auch seine Poesien vielfach mit dem entliehenen und leicht nach den Bedürfnissen des Augenblicks geänderten römischen Dichtermaterial arbeiten. Aber bei genauer Betrachtung wird man doch feststellen können, daß es sich keineswegs um ein gewöhnliches Plagiat handelt. Die innere Wahrheit leidet unter den Anklängen nicht; das Übernommene wird der jeweiligen Lage so angepaßt, daß ein vollkommen neues Gebilde entsteht. Unter den benutzten Dichtern stehen selbstverständlich die Elegiker an erste Stelle. Tibull scheint stärker auf Lotichius gewirkt zu haben als Properz; vorbildlich für den Wortlaut war namentlich Ovid, und es ist bei Lotichius' Anlage zur Schwermut vielleicht nicht als ein Zufall zu bezeichnen, daß die Tristien und die „Epistolae ex Ponto" ihm wiederholt vorschweben. Daneben behaupten auch die anderen Ovidischen Werke ihr Recht, so die „Amores", auch die „ars amatoria", besonders aber die von den Neulateinern viel benutzte „Ibis". In den Hendekasyllaben macht sich Catulls Einfluß geltend, aber doch im Wortlaut nicht so stark als man annehmen möchte. Gelegentlich finden sich auch Anklänge an andere Dichter, z. B. an Virgil, während die sonst so häufig nachgebildeten Alten, wie Lucretius, Lucan, Statius u. a. ganz zurücktreten. Mit dem übermächtigen Einflüsse der Antike läßt sich, wenigstens soweit der Wortlaut in Betracht kommt, die vorbildliche
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Wirkung der italienischen Neulateiner nicht vergleichen. Wohl hat Lotichius seine italienischen Sangesgenossen eifrig gelesen, aber sie sind ihm nicht so in Fleisch und Blut übergegangen wie die Klassiker. Bei alledem wird es sich empfehlen, die durch die neulateinische Lyrik Italiens gewährten Anregungen nicht allzusehr zu unterschätzen: allerdings ist die Anlehnung im einzelnen gering, aber in der Kunst, die Stimmung zu erfassen, hat Lotichius doch von den Italienern viel gelernt. Es wird zweckmäßig sein, festzustellen, auf welche der hier in Betracht kommenden Poeten sich Lotichius bezieht. Mit besonderem Nachdruck rückt er Flaminius und Molza in den Vordergrund; dann preist er Bembus, Fracastoro und Naugerius; an einer dritten Stelle erscheinen neben Flaminius und Bembus der in einem anderen Zusammenhang (110) schon einmal als Sangesmeister auftretende Sannazar und Augurelli. Daß der zuletzt Genannte irgendwelchen Einfluß auf Lotichius ausgeübt, ist nicht wahrscheinlich; er erwähnt ihn sozusagen anhangsweise während seines Aufenthaltes in Padua, und man geht wohl mit der Annahme nicht fehl, daß der genius loci in diesem Falle bestimmend war, und Lotichius es für richtig hielt, in Padua dem Dichter, der dort seine Bildung empfangen, eine kleine Verbeugung zu machen. Von den übrigen steht der trotzdem gelegentlich als Vorbild erkennbare Bembus dem deutschen Dichter am fernsten. Dagegen ist Lotichius sicher bei Naugerius, Sannazar und Molza eifrig in die Schule gegangen, wenn er auch Molzas unnachahmliche Weichheit nicht erreicht hat. Besonders aber fühlte er sich, wie es scheint, zu Flaminius hingezogen; aus dessen Werken wehte ihn ein verwandter Geist an; nicht bloß die Reinheit des Wesens, auch die gleichgerichteten Neigungen mögen Lotichius angezogen haben. Daher finden sich gelegentlich auch Berührungen im Stoffe. In einer Elegie des Flaminius gibt der schwer Erkrankte seinem Empfinden Ausdruck: „Als ich krank darniederlag (De se aegrotante)". Es ist genau die gleiche Lage, aus der die sechste Elegie des ersten Buches entstanden ist. Auch die Überschrift von Flaminius' Gedicht ist wörtlich übernommen worden, und man darf aus diesem Umstände den Schluß ziehen, daß Flaminius den deutschen Dichter angeregt hat; die Tatsache, daß Lotichius hier — wie immer — Erlebtes gestaltet, steht damit nicht im Widerspruch. Liegt aber eine solche Abhängigkeit vor, dann hat sich Lotichius eines Vergleichs nicht zu schämen.
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Denn weit unmittelbarer als der italienische versteht der deutsche Dichter in die Lage einzuführen; weit inniger verknüpft er Natur und Menschenschicksal. — Sicher hat Lotichius noch viele andere neulateinische Dichter Italiens gekannt, aber er nennt nur die, denen er sich nach irgend einer Richtung hin verwandt fühlte, und von denen er stärkere Anregungen empfangen hat. Mit Verehrung gedenkt er gelegentlich Petrarcas, allein es geschieht nicht in einer Weise, daß man daraus einen stärkeren Einfluß auf Lotichius' Kunstübung erschließen könnte. Merkwürdigerweise erwähnt unser Dichter den Pontanus nicht, obgleich er ihn gekannt und — sicherlich wenigstens einmal — nachgeahmt hat, wobei man allerdings darüber zweifelhaft sein kann, ob eine bewußte oder unbewußte Reminiszenz vorliegt. Es scheint so, als ob es sich in diesem Falle um ein beredtes Schweigen handelt. Lotichius mochte an Pontanus die unvergleichlich leichte Anmut, die unnachahmliche Beherrschung des Sprachinstrumentes bewundern — der aus Pontanus' Dichtungen sprechende Geist mußte ihn abstoßen. Und damit kommt man zu einem weiteren, durch das Leben bezeugten Charakterzug: aus der Poesie des Lotichius spricht eine reine Seele, die jede feine oder grobe Sinnlichkeit als etwas Beschmutzendes empfindet. Allerdings bildet Lotichius in dieser Hinsicht nicht eigentlich eine Ausnahme: im allgemeinen hat die neulateinische Dichtung Deutschlands das Eingehen auf geschlechtliche Vorgänge vermieden; es ist wohl kein Zufall, daß Simon Lemnius kein Deutscher war. Aber bei Lotichius erhält dieser allgemeine Charakter der Richtung eine besondere Note. Nur einmal — in der ersten Heroide: „Helicana an Marius" — findet sich eine leise Anspielung dieser A r t ; im übrigen schaltet er das Gebiet völlig aus. Allein während bei den meisten anderen Neulateinern sich das Fehlen dieses Zuges aus der steifleinenspießbürgerlichen Art erklärt, entspringt es bei Lotichius aus der Keuschheit seines Wesens. E s liegt über allen diesen Gedichten ein Zug von Reinheit, der um so tiefer ergreift, als der Dichter sonst für weibliche Reize sehr empfänglich war. Aber er trifft das Richtige, wenn er von sich sagt (II 1): „feliciter arsi, Inque meo nulluni crimen amore fttit." Auch diese Seite seiner Natur deutet auf eine Persönlichkeit, deren sittliche Kräfte sich in einem durch keine wilden Leiden25*
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Schäften gestörten Gleichgewichte befinden. Alles ist bei ihm auf Ebenmaß gestellt. Die Vorzüge einer solchen Anlage dürfen nicht unterschätzt werden. Auf der anderen Seite wird man jedoch gut tun, auch die Grenzen nicht zu übersehen. Lotichius ist wie seine Freunde Melanchthon, Camerarius, Micyllus, Fabricius ein ungemein weicher Mensch. Es würde ganz verkehrt sein, die häufigen Tränengüsse des Dichters für ein poetisches Requisit zu halten. Bekannt ist, welche Rolle die Tränen in den meisten Lebenslagen Melanchthons gespielt haben. Der heute Lebende ist geneigt, eine derartige Weichheit für unmännlich zu halten; aber die Zeitgenossen scheinen nichts an ihr auszusetzen gehabt zu haben, obwohl diese Männer in einem männlichen, ja männischen Zeitalter lebten. Der gleiche Maßstab wie etwa an Melanchthon muß nun auch an Lotichius gelegt werden. Ein ungemein zartes, reizbares Gemüt hat sich die anderen Seelenkräfte so dienstbar gemacht, daß alle Äußerungen die Farbe der gleichen Gefühlswelt tragen und so ein ganz ausgeglichenes, wenn auch nicht stark wirkendes Bild entsteht. Es entspricht durchaus diesem einheitlichen, auf weiche Züge aufgebauten Gemüt, daß ihn in der Natur das anzog, was mit dem Grundbestande seines Wesens übereinstimmte. Die schroffen Natureindrücke waren ihm wie!seinem fränkischen Landsmann Rückert unheimlich. An der südlichen Landschaft stießen ihn die gewaltsamen Gegensätze und der unvermittelte Wechsel ab. Allein auch die heimische Natur sah er unter dem gleichen Gesichtspunkte an. Mit dem Ausbruch elementarer Naturgewalten vermochte er sich nicht zu befreunden; lediglich die friedliche Stille idyllischer Landschaftsbilder empfand er als das seinem Wesen Gemäße (III, 8): „Odi ego, qui vastis torrens exaestuat undis, Qui fluit exiguo murmure rivus, amo, Leniter et nullo strepitu, quem laeta rigantem Gramina, formoso Naiades ore bibunt." Die Worte sind von besonderer Wichtigkeit, weil sie zeigen, wie eng Lotichius' künstlerische Grundsätze mit seinem Widerwillen gegen alles Gewaltsame in der Natur zusammenhingen. Denn die Stelle findet sich da, wo er von dem für einen Freund vorbildlichen gebändigten Wohllaut Molzascher und Flaminiusscher Verse redet. Wie in der Natur, so ist ihm auch in der Poesie
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jede Übertreibung verhaßt; sein Ideal war die stille, in sich gefaßte Schönheit, die zur Wirkung des Brausens und Donnems nicht bedarf. Ein ähnliches Bekenntnis hat er auch später noch (in seiner Heidelberger Zeit) abgelegt; da ruft er einem jungen poesiebeflissenen Fremde (Hartmann Schopper) zu: „Turbidus ingrato decurrit murmure torrens, Gratior est j>arvae rivus amoenus aquae."
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Ein Stück von Lotichius* Verhältnis zur umgebenden Natur wird auch aufgeschlossen, wenn man die verwendeten Bilder und Vergleiche mustert. Die Betrachtung des poetischen Schmuckes kann auch deshalb nicht ohne Ertrag sein, weil er davon Zeugnis ablegt, wie dem Dichter das Meiste aus der unmittelbaren Gegenwart quillt. Wohl braucht er auch gelegentlich Bilder, die zum herkömmlichen Gute der humanistisch-neulateinischen Poesie gehören, so wenn es vom Tode eines Freundes heißt (IV, 5): „Sic ego saepe rosas, sie uda papavera vidi, Candida sie prirno lilia vere rnori." Auch einer seiner Lieblingsvergleiche hebt sich im allgemeinen nicht über die in der Poetenzunft bräuchliche Art hinaus: der vom Kummer verzehrte Dichter vergleicht sich mit der Blume (Myrte, Majoran), die vom Sonnenstrahl getroffen worden ist. Aber in den meisten Fällen erkennt man, wie die augenblickliche Lage ihm das Bild eingibt. Weilt er an der Mittelmeerküste, dann liefert ihm sogleich die Umgebung das Bild von dem durch die Fluten des Meeres hin- und hergeworfenen Nachen; wenn er sich in Marseille aufhält, so ersteht ihm alsbald die Vorstellung von dem Schiff, das, alle Hindernisse überwindend, der Heimat zustrebt, aber noch im Angesichte des Hafens scheitert; er beobachtet, wie die Südländer mit Heu den Ofen heizen, wie die Flamme schnell emporlodert, und sogleich versinnbildlicht er mit dem, was er gesehen, die Glut des Inneren. Der ständig grünende Lorbeerbaum, auf den er in Oberitalien so häufig trifft, wird ihm zum Gleichnis des ewig dauernden Ruhmes. Und wenn er zum Ausdruck bringen will, daß seit Stibars Tod alle seine Freude zerronnen ist, dann wählt er ebenfalls ein Bild aus seiner unmittelbarsten Umgebung: den weißen Schwan, der im Frühling fröhlich war und nun drückend die Herrschaft des Winters empfindet. So schöpft er den poetischen Schmuck der Rede nur teil-
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weise aus der Überlieferung; meist ist alles Leben, Gegenwart; und es läßt sich auch auf diesem Gebiete erkennen, wie das ihn unmittelbar Berührende Bilder und Gestalten hervorruft. Wohl hat nun der Dichter der in der humanistisch-neulateinischen Poesie herkömmlichen Überlieferung seinen Zoll entrichtet; die üblichen Vergleiche aus dem klassischen Altertum, namentlich mythologischer Art, fehlen auch bei ihm nicht. Aber diesen gelehrten Aufputz versteht er so zu vereinfachen, wie es bei der Zusammenschweißung zweier weit voneinander abliegenden Welten überhaupt möglich war. Im Gegensatz zu den Verstiegenheiten seiner Zunft- und Sangesgenossen geht er allem Hochtrabenden aus dem Wege. Das ist auch dann der Fall, wenn es sich nicht um einzelne Vergleiche, sondern um einen durchgeführten bildlichen Schmuck der Rede handelt. Auch da wird alles Weithergeholte vermieden. Aber sobald der Dichter nach dem Nächstliegenden greift, verleiht er doch der Wendung ein besonderes Gepräge. Zwei Beispiele werden genügen: Lotichius erzählt (El. II, 3), daß er sich ein trauliches Leben an der Seite der Geliebten ausgemalt habe. Dann fährt er fort: „So spiegelte mir der trügerische Amor vor, aber die Nacht hat alles vernichtet, auf den kurzen Liebesfrühling ist ein langer Winter gefolgt." — Wenn er in einer anderen Elegie berichten will, daß er nachts keinen Schlaf finden könne, dann wandelt sich ihm diese Tatsache sofort zum lebendig angeschauten Bilde um; durch Personifikation wird dem abstrakten Begriffe wirkliches Leben eingeblasen: der Schlaf liegt draußen vor der Tür; die ist verschlossen, und er kann deshalb nicht zu ihm hineingelangen (III, 4). Leben und Poesie durchdringen sich bei Lotichius in einer Weise, daß die Frage beantwortet werden muß, welchen Widerhall die großen Bewegungen der Zeit in seiner Seele geweckt haben. Das Eingehen auf diesen Punkt erweist sich schon deshalb als nötig, weil die politischen und religiösen Strömungen auch in sein Dasein so unmittelbar eingriffen, daß er gezwungen war, sich mit ihnen in der einen oder der anderen Weise auseinanderzusetzen. Lotichius hat zwar im protestantischen Heere gekämpft, aber als dann der schmalkaldische Bund niedergeworfen wird, und der Friede eintritt, da merkt man ihm nichts von Niedergeschlagenheit an; im Gegenteil, mit Jubel begrüßt er den Frieden, Stärker als die Hingabe an die Glaubenspartei, der er diente, war also bei ihm die Stimmung des Künstlers, der zur Entfaltung
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seiner Gaben ruhige Zustände brauchte. Allein es wäre falsch, ihm deshalb die Teilnahme an den religiösen Fragen abzusprechen. Er vertritt eine Art des zahmen Protestantismus, ähnlich wie Melanchthon und dessen engerer Freundeskreis; gelegentlich kommt dieser Standpunkt zu Wort, so wenn er etwa in Frankreich den siegreichen Karl V. vor verhängnisvollem Übermut warnt. Im übrigen begnügt er sich wie Stigel u. a. mit der Bitte an den Kaiser, Gnade walten zu lassen. Ein protestantischer Bekennermut war also nicht vorhanden. Dagegen muß sein starkes Vaterlands- und Heimatsgefühl anerkannt werden. Mit Trauer sieht er, wie der Rhein fremder Völker Gefangener ist (II. xo): Hic quoque, cui fuerat commissa poientia rerum, (0 pudor!) externas Rhenus adorat aquas. Daß das vaterländische Gefühl bei ihm stärker entwickelt war als der Eifer um die protestantische Sache, bezeugt er selbst durch das Bekenntnis, es sei ihm (1552 als Moritz von Sachsen sich mit Heinrich II. von Frankreich gegen Karl V. verbündet hat) unmöglich gewesen, im französischen Heere Kriegsdienste zu nehmen, obgleich er dadurch seinen Glaubensgenossen gedient haben würde: „pia causa vetabat'', sagt er (III, 1). Das Vaterland steht ihm also höher als die Konfession. Freilich darf das Fehlen des protestantischen Überzeugungsmutes nicht als Mangel an religiösem Sinn gedeutet werden; Lotichius war trotzdem eine tiefreligiöse Natur, ähnlich wie Melanchthon. Sicher aber ist, daß keines dieser idealen Güter von dem Dichter so mit ganzer Seele umfaßt worden ist wie die Poesie. Eine Betrachtung von Lotichius' Werken führt daher immer wieder zu dem gleichen Ergebnis. Er war auf das tiefste von seinem Dichterberuf überzeugt, und diesem einen Endziel ordnete er alle anderen Lebensmächte unter. Der poetische Drang war seit seiner Jugend in ihm lebendig; unwillkürlich wurde ihm alles, was seine Seele berührte, zum Gedicht. „Was ich anders als in Versen treibe", sagte er einmal, „darin bin ich nur ein halber Mensch". Diesem Bekenntnis entspricht es, daß seine Schöpfungen nirgends das Merkmal des Zwanges tragen; alles quillt ursprünglich aus der augenblicklichen Lage. Aber neben den poetischen Drang tritt bei Lotichius gleichberechtigt der Künstlerfleiß. Die Tatsache, daß das Geschaffene mit Not-
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wendigkeit aus dem Inneren hervorgegangen war, genügte ihm nicht. Wenn er sich doch einmal zur Veröffentlichung des ursprünglichen Wurfes entschloß, so geschah es, wie beim ersten Buche der Elegien (1551), in den Anfängen seiner dichterischen Tätigkeit, wo die Freude des jungen Poeten, sein Buch in die Welt hinausschicken zu können, die Selbstkritik einen Augenblick zum Schweigen brachte. Aber gerade ein Vergleich dieser noch nicht ganz reifen Form mit der Gestalt, die der Dichter später dem Buche gegeben hat, zeigt, wie unermüdlich er zu feilen wußte. Der Redestrom wurde gebändigt, ganze Versreihen fielen dem bessernden Stifte zum Opfer; den Ausdruck prägte der Dichter schärfer und eindringlicher aus. Vom zweiten Elegienbuche an läßt sich das Verfahren des Lotichius nicht mehr durchweg verfolgen; doch eröffnet sich wenigstens gelegentlich noch ein Einblick in seine dichterische Werkstatt. Die Elegie auf den Tod der Callirhoe liegt auch in einer älteren Fassung vor. Die ursprüngliche Form weist einige schöne Züge auf, die bei der Umarbeitung fallen mußten; aber diesen Verlusten stehen überwiegend Gewinne gegenüber: Situationen und Gedanken werden genauer, angemessener ausgeführt; Uberflüssiges, das die Aufmerksamkeit des Lesers von der Hauptsache abziehen könnte, gibt der Dichter ohne weiteres preis. Er ist nicht in die guten Einzelheiten verliebt, sobald sie den Gesamteindruck schädigen; deshalb trägt er kein Bedenken, sie auszumerzen und dadurch die volle Einheitlichkeit des Kunstwerks herzustellen. — Bei der letzten Durchsicht seiner Elegien gewann er den Eindruck, daß in manchen Fällen der Zusammenhang zwischen den einzelnen Gliedern nicht eng genug sei. Er beschloß diesem Übelstande durch Einfügung eines überleitenden Distichons abzuhelfen. Die Stellen, bei denen dies geschehen sollte, hat er dadurch bezeichnet, daß er in der Handschrift dort, wo ihm eine solche Überleitung nötig schien, eine Lücke ließ. Der Tod nahm ihm die Feder aus der Hand, bevor er diese Verbesserungen ausführen konnte. Daß auch unser Dichter die landläufigen Wendungen der neulateinischen Poesie nicht ganz verschmähte, ist bereits hervorgehoben worden. Ebenso wurde aber gezeigt, wie Lotichius es verstanden hat, diese so oft handwerksmäßig entstellten Floskeln zu höherer poetischer Wahrheit zu erheben (vgl. S. 351 u. ö.). Auch Gedanken, die für den heutigen Leser eines Beigeschmacks der
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unfreiwilligen Komik nicht entbehren, hat er übernommen, aber den Staub der pedantischen Stubengelehrsamkeit von ihnen abgestreift. Das läßt sich durch einen Vergleich erweisen. Stymmelius hatte in einem Trauergedicht auf den Vater von der Langlebigkeit einzelner Tiere gesprochen, um mit besonderem Nachdruck dann die allzukurze Lebensdauer des Menschen betonen zu können. Wie abgeschmackt erschien dieser Hinweis I Wenn Lotichius den gleichen Gedanken verwendet (IV, 5), scheidet er alles Wunderliche aus; die steife Wendung wird des Prosaischen entkleidet und reiht sich glücklich einem Klagelied auf die Hinfälligkeit der Sterblichen ein. Auch einen der Grundgedanken der neulateinischen Dichtung findet man bei Lotichius veredelt wieder. Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, daß die neulateinischen Poeten sich bitterlich über die geringe Schätzung der Poesie beklagen. Meist laufen solche Klagen auf den Wunsch nach klingendem Lohn heraus. So sehr man diese Absicht angesichts der drückenden Lage der meisten Poeten verstehen kann, so wenig haben sie etwas mit echter Teilnahme an der Kunst zu tun, ja zuweilen wird auch das letzte Mäntelchen von der unverblümten Bettelei weggezogen. Wenn Lotichius sich in der gleichen Frage äußert, so läßt sich eine Ähnlichkeit mit den Jammerlauten der meisten Poeten nicht verkennen, aber das Ganze ist in eine höhere, reinere Sphäre gerückt. Lotichius empfand tief die Hindernisse, die sich der ruhigen Entfaltung seiner Dichtergabe entgegenstellten. Die Unruhe der Zeit, die kriegerischen Verwicklungen macht er, wie viele seiner Dichterkollegen, für das Darniederliegen der Künste und für die ihm nicht genügende Vollendung seiner Leistungen verantwortlich. Sein Ideal war, daß der Sänger mit dem Könige gehen sollte, und die pries er glücklich, denen Großmut und Kunstliebe eines Fürsten das sorgenlose Verweilen in den ätherischen Höhen ermöglichen (II, 10): „Felices, guibus indulget fortuna, poetae, Felix, qui regum, cura ducumque fuit. Illorum deus ora movet, terrisque relictis Per liquidum caeli ttube vehuntar Her." Ebenso kehrt eine andere der Lieblingsideen des neulateinischen Schrifttums bei Lotichius geläutert wieder: die Überzeugung von der Unvergänglichkeit des dichterischen Nachruhmes. Be-
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nutzen aber Lotichius' Dichterkollegen diesen Gedanken meistens, um ihren Mäcenaten einzuprägen, daß nur sie imstande seien, vor ewigem Vergessensein zu schützen, und läßt fast ein jeder von ihnen durchblicken, daß er für einen solchen Dienst eine Gegenleistung erwartet, so erscheint die Vorstellung bei Lotichius von jedem Eigennutz gereinigt; nirgends der leiseste Anklang an die üblen Gewohnheiten des Bettelpoetentums. Eine der wichtigsten Eigenschaften des echten Lyrikers kann Lotichius nicht abgesprochen werden. Er folgt nur dem Drang des Innern. Was ihn in Natur und Menschenleben berührte, das verschmolz auf das innigste mit seinem Wesen und wurde aus ihm heraus neu geboren. Daher gelang es ihm, für alle Freuden und Leiden seines zarten Gemütes den wahren Ausdruck zu finden und Gebilde zu schaffen, aus denen die Persönlichkeit ihres Urhebers unmittelbar zu dem Leser spricht. Was wir bei ihm vernehmen, sind Naturlaute wie bei jeder ursprünglichen Lyrik, wobei es nur wenig verschlägt, daß die Sprache oft eine mehr oder weniger starke Modifikation römischer Vorbilder ist. Denn die Echtheit des Inhaltes darf nicht bezweifelt werden, ebensowenig wie die Fähigkeit, die Bewegungen des Inneren so in Worte zu fassen, daß ein überzeugendes Bild der seelischen Vorgänge entsteht. Sieht man von einigen vorzüglichen Leistungen des deutschen Volksliedes ab, so kann man ihn den bedeutendsten neueren deutschen Lyriker vor Klopstock nennen; keiner der deutschschreibenden Lyriker des 17. Jahrhunderts kann sich ihm vergleichen, weder Gryphius noch Paul Gerhardt; alle diese Dichter und Dichterlinge müssen schon deshalb hinter unserem Poeten zurückstehen, weil sie durch die konventionelle oder religiöse Überlieferung weit mehr an der Entfaltung ihres Innenlebens gehindert waren als Lotichius durch den Zwang, den die übermächtigen klassischen Vorbilder seiner Sprache auferlegten. Nach alledem wird es nicht zu hoch gegriffen sein, wenn man die Dichtung des Lotichius als eine Vorstufe der größten Leistungen der deutschen Lyrik im 18. Jahrhundert bezeichnet. Verwandte Züge sind sicherlich vorhanden. Auch bei Lotichius ist es die Persönlichkeit, die sich ausprechen will; den Stoff seiner Poesie bilden nicht die großen Weltbegebenheiten, sondern das eigene Seelenleben, daneben das Empfinden derer, die ihm am nächsten standen, und denen er sich innerlich verbunden wußte.
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Auch er vermag nur zu singen, wenn ihm ein Erlebnis die Stimmung weckt: er ist Gelegenheitsdichter im besten Sinne gewesen. Innerhalb des Aufstiegs der deutschen Lyrik kann ihm daher ein wichtiger Platz nicht streitig gemacht werden.
Verwandte und Freunde des Lotichius. Was Lotichius und seine Genossen verband, war nicht bloß die Freundschaft, so hoch er dieses Glück zu schätzen wußte, sondern auch die gemeinsame Liebe zur neulateinischen Poesie. Fast alle Adressaten seiner Dichtungen haben sich als Poeten versucht; andere bezeugen in ihren Gedichten ausdrücklich, daß sie zum Kreise des Lotichius gehört und unter dem Einfluß des frühzeitig als Meister Anerkannten gestanden haben. Das Bild des Lotichius würde unvollständig bleiben, wenn man nicht auch dieser seiner Genossen und Schüler gedächte. Den Anfang möge des Lotichius jüngerer Bruder Christian Lotichius machen. Allzuviel hat sich von ihm nicht erhalten; unter dem Vorhandenen ragen einige Stücke hervor, die ihn im ganzen von einer günstigen Seite zeigen (1551). Sie sind wohl während seiner Studienjahre in Wittenberg (1551) entstanden. Ein Trauergesang auf Buzers Tod schildert nach den üblichen Klagen über die schweren Schicksale, die Deutschland heimsuchen, den äußeren Lebenslauf des Reformators. Aber er strebt auch nach Erfassung der geistigen Grundlagen seines Wirkens; und es ist lehrreich, dabei zu sehen, wie sehr für den damaligen Betrachter der unüberbrückbare Gegensatz zwischen Luther und Erasmus zurückgetreten war: Erasmus, „in dessen Schriften Samen des himmlischen Lichtes waren", steht geradezu als gleichwertiger Mitstreiter neben Luther. Bewundernd ruht auch der Blick des Lotichius auf Sickingen und Hutten, „die beide, so lange sie lebten, dem wankenden Glauben freundlichen Schutz gewährten"; Buzers Aufenthalt auf der Ebernburg gibt selbstverständlich den Anlaß zu diesem begeisterten Erguß. Als ganzes übertrifft der Nachruf zahlreiche Arbeiten ähnlicher Art; es ist dem Verfasser gelungen, sich von der schematischen Art der Gattung loszumachen. Durch die eigentümliche Anlage wirkt ein anderer Versuch. Lotichius gibt der Form der Heroide eine neue Wen-
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dung. Im Gegensatz zu dem sonst festgehaltenen Unterschied der Geschlechter oder zu der Verwendung allegorischer Gestalten, sind die Briefschreiber bei ihm zwei Männer: der verbannte David kommt bei Saul um die Erlaubnis zur Rückkehr ein, Saul lehnt in seiner Antwort die Bitte ab. Dabei finden sich manche ganz hübsche Züge, so wenn in Davids Schreiben das Selbstgefühl des Jüngeren durchbricht; oder wenn der Isaisohn es besonders schwer empfindet, unter Götzendienern leben zu müssen; es macht fast den Eindruck, als ob Lotichius bei dieser Schilderung ein eifriger Protestant vorgeschwebt hätte, der mit Unwillen den Heiligen- und Reliquiendienst der ihn umgebenden katholischen Bevölkerung ansieht: „0 quam lenta dei patientia! scilicet ullum Fictile divinas imbibat aure preces? Ipse sed haec Semper delubra profana perosus Ad sacra divinae pronus atthelo domus." Auch in Sauls Erwiderung fällt manches nicht Unebene auf. Treffend ist gleich der Eingang aus seiner Seele heraus empfunden: lieber will er Hartes ertragen als in dem Knecht den Überlegenen sehen. — Mit diesen beiden Stücken kann ein Loblied auf die Lerche, den „willkommensten Frühlingsboten", keinen Vergleich aushalten; an Beschreibendes reiht sich eine Ausdeutung religiösmoralischer Art in Stigels Weise. Es scheint in der Hauptsache bei diesen Jugendversuchen geblieben zu sein. Später hat ihn wohl der Schuldienst ganz in Anspruch genommen. Denn der Abt Petrus Lotichius Primus übertrug ihm die Leitung der Klosterschule zu Schlüchtern; hier ist er acht Jahre nach seinem Bruder (1568) gestorben. Als Petrus Lotichius Secundus in Heidelberg zur Ruhe gekommen war, versammelte er einen Kreis jüngerer Poeten um sich und regte sie zum Schaffen an. In diese Zeit scheinen seine Beziehungen zu Hartmann Schopper zu fallen; doch kann dieser hier außer Betracht bleiben; er gehört erst der nächsten Periode an. Auch einer der treuesten Schüler des Lotichius, der in seinen letzten Leidenstagen immer sorgend um ihn war, Johannes Posthius, muß späterer Betrachtung vorbehalten bleiben, da er zusammen mit Melissus einen neuen Abschnitt der neulateinischen Poesie einleitet. Die übrigen Mitglieder dieses Kreises, dem auch ein älterer, Nicolaus Cisner, nahestand, waren Adam Gelph und
GELPH;
HÜGEL;
ALTUS;
MATTHIAS
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Karl Hügel (Hugelius). Eine Ekloge Gelphs führte Lotichius selbst in die Öffentlichkeit ein; sie betrauert in den herkömmlichen Wendungen einen verstorbenen Freund, ohne in den Klagen und Naturschilderungen irgendwelche Eigenart zu entwickeln. Auch ein Gedicht Gelphs auf den Tod des Lotichius kommt über' allgemeine Redensarten nicht hinaus. Ob die Karl Hügel von verschiedenen Seiten erteilten Lobsprüche durch seine Leistungen gerechtfertigt sind, läßt sich nicht entscheiden; die zugänglichen Proben ermöglichen kein sicheres Urteil. Immerhin wird man die Heidelberger Zeit, schon wegen der Anregungen, die z. B. Posthius durch Lotichius empfing, nicht unterschätzen dürfen; trotzdem ist es nicht zweifelhaft, daß sich Lotichius' Einfluß in der früheren Zeit fruchtbringender geltend gemacht hat. Allerdings konnte er nur da wecken, wo wirklich schlummerndes Talent vorhanden war. Deshalb sind seine Einwirkungen auch in diesen Jugendtagen nicht immer fruchtbar geworden. Lotichius' früh verstorbener Herzensfreund z. B., Johannes Altus, scheint sich mit seinen poetischen Versuchen nur wenig über den Durchschnitt erhoben zu haben. Etwas höher steht Lotichius' Wittenberger Studiengenosse, der Ostpreuße Matthias Stoius. Freilich liegt auch von ihm zu wenig vor, als daß man ein sicheres Urteil über sein Können zu gewinnen vermöchte. Ein elegisches Hochzeitsgedicht lieferte er zur zweiten Hochzeit des seit 1536 in Wittenberg als Professor wirkenden Astronomen Erasmus Reinhold; ganz hübsch läßt er die Sternenwelt an der Freude ihres Erforschers teilnehmen. Auch durch manche individuelle Züge wird die Darstellung anmutig belebt; freilich geht es nicht ohne prosaische Schulfuchsereien ab. Ebenfalls mit einem Hochzeitsgedicht stellte sich Stoius bei der Vermählung Caspar Peucers mit Magdalena Melanchthon ein; die Bedeutung des Bräutigams und die Abkunft der Braut sichern auch diesem zweiten Werkchen eine stärkere Teilnahme. Dazu kommt, daß der Dichter die idyllische Form benutzt, um einen weiteren, über die Privatverhältnisse hinausreichenden Ausblick zu gewinnen. Die Wiederherstellung der alten Zustände in Stadt und Universität Wittenberg bietet Gelegenheit zu einer Rückschau auf die von Luther vorausverkündete Zeit der Kriegsnot, in der Wittenberg von des Kaisers Heer besetzt worden war, in der die Musen hatten fliehen müssen, mit ihnen ihre Zier, „der Grieche", dessen Abwesenheit ebenso betrauert wurde,
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wie jetzt seine Heimkehr gefeiert wird. Durch die Erwähnung dieses von neuem für Wittenberg gewonnenen geistigen Führers stellt sich der Übergang zu dem freudigen Feste in Melanchthons Hause wie von selbst her: ausführlich verweilt Stoius bei dem angesehenen Bräutigam, aber auch für die Braut findet er ein bezeichnendes Wort: ihre Wangen glänzen wie die Morgenröte, ihr Antlitz wie die rote Rose in der weißen Milch. Im Ausdruck fällt manches Ungelenke auf; aber die handwerksmäßige Art der Gelegenheitspoesie erscheint in beiden Gedichten überwunden; deutlich läßt sich erkennen, daß die persönliche Anteilnahme dem Verfasser die Feder führt. — Betrachtet man das zuletzt besprochene Stück (1548) unter dem Gesichtspunkt, daß es aus dem Freundeskreis des Lotichius stammt, so kommt ihm noch eine besondere Bedeutung zu: Stoius schildert das wiedererstandene Wittenberg, das Lotichius zu neuem Studium aufsuchte, nachdem er des Kriegsdienstes ledig geworden war. Schon vor der Wittenberger Zeit hat Lotichius in Marburg trotz seiner Jugend zum Schaffen anspornend auf seine Genossen eingewirkt, wie noch an dem talentvollsten seiner gleichaltrigen Jünger zu zeigen sein wird. Indessen am deutlichsten erkennbar ist der Einfluß des Lotichius in der Paduaner Studienzeit. Da scharte sich ein größerer Jüngerkreis um ihn, der allgemein als das überragende Haupt anerkannt wurde, und umfangreiche Leistungen legen von den Anregungen Zeugnis ab, die er mit freigebiger Hand ausgestreut hat. Schon früher ist ein Mitglied dieses Kreises, Joh. Aurpach, ausführlich besprochen, es ist auch bereits die fördernde Einwirkung des Lotichius auf seinen Entwicklungsgang dargelegt worden. Unter den anderen Paduaner Dichtergenossen mag zunächst Lotichius' alter Freund, der Pfälzer Georg Marius, genannt werden; doch hat sich von ihm nur ein Trauergesang auf Daniel Stibars Tod (vgl. oben S. 365 f.) erhalten, der freilich den entsprechenden Klängen des Lotichius gegenüber einen ebenso schweren Stand hat wie ein dem gleichen Gegenstande gewidmetes Gedicht des Johannes Sambucus. Wie dieser, so war auch Hilarius Cantiuncula schon früher mit Lotichius bekannt geworden; er hatte mit ihm (wohl 1545/6) in Wittenberg studiert und war hocherfreut, ihn jetzt in Padua wiederzufinden. Über Cantiuncula sind nur wenige Nachrichten vorhanden. Er war ein Sohn des berühmten Juristen Claudius Cantiuncula aus Metz (f um 1565). Die Mutter mag früh gestorben
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MARIUS;
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sein, und der Vater mußte oft seinen Aufenthalt wechseln, sodaß der Sohn wahrscheinlich fern von dem Vater erzogen worden ist. Sein Ende war tragisch; als er in die elsässische Heimat zurückkehren wollte, ertrank er im Rhein. Wie schon bei der Besprechung von Aurpachs Schaffen hervorgehoben wurde, wetteiferten die Paduaner Freunde in Hendekasyllaben miteinander, einem Versmaß, das in der Tat zur Einkleidung harmlosen Geplauders wie gemacht ist. Während aber die übrigen Mitglieder des Kreises auch zu anderen Formen griffen, hat sich Cantiuncula, wie es scheint, ausschließlich an das Lieblingsmetrum der Dichtergenossen gehalten und seine offenbar sorgfältig gefeilten zwei Bücher Hendekasyllaben noch während seines Aufenthaltes in Padua 1555 in Venedig herausgegeben. Der bei anderen Poeten nur erschlossene Einfluß des Lotichius wird von Cantiuncula ausdrücklich bezeugt; schon während der Wittenberger Zeit hatte er begonnen; wie hoch Cantiuncula ihn einschätzte, geht aus einem Gedicht an seinen Lehrer Johann Härtung hervor; da berichtet er von der Förderung, die ihm durch Lotichius zuteil geworden: „Nempe auger et ut ipse sie amorern Erga Pierides tneum, bonamque Adferret mihi spern suo lepore, Ac durissima quaeque tunc ferebam Primo taedia demeret labori."
„Wie der Vater dem kleinen Sohn, der stammelnden Lautes nach der Mutter ruft, mit schmeichelndem Lobe aufhilft", so hat Lotichius seine ersten wankenden Schritte auf der poetischen Laufbahn gestützt; und wie sehr Cantiuncula das Glück des gemeinsamen Strebens empfindet, geht daraus hervor, daß er hier, wo er dem Lehrer mit dankbarem Gemüte über seine bisherige Entwicklung Bericht erstattet, sich plötzlich, den Adressaten vergessend, an Lotichius sowie an die anderen Freunde wendet und ihnen alles Gute für die Zukunft wünscht, insbesondere im Hinblick auf ihre dichterischen Bemühungen. In der Anlage der Persönlichkeit kommt eine gewisse Verwandtschaft mit Lotichius zum Vorschein. Auch Cantiuncula ist eine zarte, durch die Eindrücke einer rauhen Wirklichkeit leicht verletzte Natur. Ihn überschleiert ebenfalls eine Schwermut, obgleich der frohe Jugendmut ihrer meist Herr wird. Er selbst
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führt diese trübe Stimmung auf die Jugenderlebnisse zurück: er hat von früh auf die Elternliebe entbehren müssen und ist unter fremden Menschen aufgewachsen; nicht neidisch, aber doch mit einem lebhaften Gefühl für das, was ihm gefehlt, gedenkt er daher der glücklichen Kindheit eines Freundes: „A primis ego continenter annis Duros sustinui puer labores, Nam rne vivere Semper a parentum Conspectu voluere dii remotum." Die leise Klage ist für sein Wesen bezeichnend. Aber gerade das weiche Gemüt machte ihn, wie Lotichius, für das Glück der Freundschaft besonders empfänglich. Und so läßt sich der Inhalt seines Hendekasyllabenbüchleins dahin zusammenfassen, daß es in der Hauptsache durch die Freundschaftsempfindungen beherrscht wird. Ähnlich wie etwa bei Aurpach sind die meisten dieser Gedichte bestimmten Gelegenheiten des Freundschaftsverkehrs entsprungen und tragen den Stempel der umittelbaren Gegenwart. Cantiuncula spricht wiederholt aus, wie sehr ihn die Freundschaft beglückt; die poetischen Antworten eines Herzensfreundes, die er in sein Buch aufgenommen hat, geben die Möglichkeit, den unter den Genossen üblichen Ton zu erkennen: es ist eine Art schwärmerischer, von eifersüchtigen Wallungen nicht freier Jugendliebe: da beklagt sich der eine der Freunde darüber, weshalb der andere sein Versprechen, ihn zu besuchen, nicht erfüllt hat, der andere rechtfertigt sich in einem langen Sendschreiben. Neben diesen vorübergehenden Trübungen des Verhältnisses fehlt aber auch die große Enttäuschung nicht: mit einem Genossen — er nennt ihn Philenus — hat er Schwüre und Beteuerungen ausgetauscht, aber trotzdem hat der Falsche ihm die Treue gebrochen, da entlädt nun Cantiuncula in langer Rede die Bitterkeit seines verwundeten Herzens: „I, nunquam rediturus huc, Philene, I, quo perfida te vocat voluntas!" Allein ein derartiger Abfall bildet doch eine Ausnahme; sonst sehen wir ihn überall von dem hohen Glücksgefühl der Freundschaft erfüllt. Er begleitet z. B. einen französischen Freund von Padua bis Venedig, von wo dieser die Heimkehr antreten will; dabei kann es Hilarius nicht unterlassen, ein hohes Lied
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auf die Freundschaft anzustimmen, die selbst dem Orestes für eine Zeitlang den Verstand wiedergegeben und den grimmen Achilles milde gemacht hat. Wir erfahren gleichzeitig, daß der Freund die Deutschen liebt, während Cantiuncula umgekehrt den kulturell höherstehenden Franzosen zugetan ist, die ihn bei seinem Aufenthalte in Frankreich mit außerordentlicher Gastlichkeit gehegt haben. Dann kehrt er aber wieder zu dem abschiednehmenden Freunde selbst zurück und bringt zum Ausdruck, welchen Verlust er durch dessen Abwesenheit erleidet: „Quis tunc alter, ubi hinc eris profectus, Noslris lusibus applicabit aurem? Cuius deinde legam novo lepore Tinctos, mirificos, novos libellos?" Und er verspricht ihm: „sub imis Fixum ego retinebo te medullis." In ähnlicher Weise knüpfen auch sonst Cantiunculas Hendekasyllaben an größere oder kleinere Geschehnisse aus dem Freundesverkehr an, die dann den Ausgangspunkt zu mancherlei Betrachtungen bilden und nicht ohne Anmut hin- und hergewendet werden. So bittet er sich bei einem Studiengenossen, einem schlesischen Baron, zu Gast und malt sich das Zusammensein in dessen schönem Garten beim Becher Wein behaglich aus. Oder er unternimmt mit den Freunden einen Ausflug nach Venedig, um am Cameval teilzunehmen und die Belustigungen mit anzusehen, die die Signorie zu dieser Zeit für Volk und Fremde veranstaltet. Oder er erwägt, welcher Beruf dem Freunde am meisten frommt und zeigt sich in seinen Ratschlägen zuweilen unsicher; einer seiner Genossen erscheint ihm für das gelehrte Wesen nicht recht geeignet zu sein, und er empfiehlt ihm, die Wissenschaft mit dem edlen Waffenhandwerk zu vertauschen : „I, virtute potissimum magistra, Consectare imitando claritatem Herourn et bene facta fortiorum. .... pete castra, pone libros!" Aber bei näherer Überlegung erscheint ihm doch das gütige, milde Wesen des Freundes mit der kriegerischen Laufbahn EI 11 o g e r , Keulatelnlsche Lyrik 2.
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nicht recht vereinbar; und so ändert er seinen Sinn und rät ihm schließlich doch, bei den Büchern zu bleiben. Auch die in seiner Dichtung festgehaltenen äußeren Ereignisse sind meist auf das engste mit den Freundschaftsbeziehungen verknüpft. So sagt er nach einer Ferienreise in die Steiermark den dortigen Freunden, die ihn zu allzulangem Bleiben veranlaßt, innigen Dank. An der Rückkehr hindert ihn ein Einfall der Türken in Ungarn sowie das Gerücht von dem Wiederauftreten der Pest in Italien. Ungewiß, wohin er sich wenden soll, möchte er am liebsten die Waffen ergreifen, um gegen den alten Erbfeind der Christenheit zu kämpfen: „Imo castra per alta me iuvdbit Ferratas equitum sequi phalanges. Quin tracto galeasque lanceasque Et ferro tegor aereumque fuslem Conquasso crepiiantibus lacertis." Von einer Freundesschar begleitet, tritt er eine Reise in die Heimat an; dabei versteht der Poet doch, wie unabsichtlich in wirkliches Geschehen einzuführen; er gibt am Eingang eine Anrede an die Gefährten: es ist Nachmittag, man hat einen beschwerlichen Weg vor sich, und der Dichter drängt zur Eile, damit noch vor Einbruch der Nacht die Herberge erreicht wird. Ebenso lebhaft weiß er ein anderes Mal zu erzählen, wie er sich in der Nähe seiner Heimat auf der Jagd durch Erkältung eine schwere Krankheit zugezogen hat; dabei ersteht ihm ein ganz anschauliches Bild der Jagd bis herunter zu den Wettspielen, die während der Ruhepause von einzelnen starken und gewandten Jagdgenossen unternommen werden. Daß über der Teilnahme an den äußeren Ereignissen das Seelische nicht zu kurz kommt, wurde bereits angedeutet. Und die Art, in der Cantiuncula seinen Empfindungen Ausdruck verleiht, hat etwas Erwärmendes. Das gilt z. B. von seinem starken Heimats- und Vaterlandsgefühl. Es heimelt an, wenn auf der Reise ins Elsaß seine Freude über das durchbricht, was ihn in der Heimat erwartet: „0 quae gaudia, quos meos amores Agnoscam, propriisque mox in hortis Caeli temperie serenioris Laetus perfruar otioque dulci
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Perculsam hactenus allevabo mentem. Spirantisque Favonii susurros Captabo, pairiasque ad astra gentes, Ad caelum patrios vocabo campos."
Und in demselben, schon einmal erwähnten Gedicht über seine Heimfahrt stimmt er ein Loblied auf die geliebte Heimat an, der er ungeduldig entgegenharrt; wohl stört es den heutigen Betrachter, daß sich die Nüchternheit des Zeitalters geltend macht, und der Dichter bei dem Preis des Elsasses zuerst an die Ausfuhr von Getreide und Wein denkt, aber die Unmittelbarkeit des Gefühls bewirkt doch, daß man derartige Härten nicht empfindet: „0 Alsatia, terra diis amata, Quae pascis steriles tuo per Alpes Frumento Helveiios ad usque fines Per gentes tua Galliae comatae Diffundens bona; tu per Britannos Bacchum ducis et ultimis sub oris Extremos hominum remoto in orbe Divi mttnere non sinis carere. Ut fons in medio pere7inis arvo. Quem multi agricolae et simul iuvenci Robusti accoluere, purus kaustas Limphas sufficit omnibus, nec unquam Aut fundi vitio aut latente vena Exarescit; at ille prata rivo Vicinis quoque temper at colonis."
Diese Liebe zur engeren Heimat tut jedoch dem allgemeinen Gefühl für das deutsche Vaterland keinen Eintrag. Cantiuncula ist ein glühender Patriot und verfolgt im Geiste die Vorgänge in Deutschland, meist mit sorgender Seele. Wohl gewinnt gelegentlich der ästhetische Sinn des Poeten in ihm die Oberhand; dann bannt er die Gedanken an das, was in Deutschland vorgeht, und freut sich, daß die Götter seine Wünsche erhört und ihm gestattet haben, in Italien fern von den Kriegswirren den Musen und dem behaglich-ruhigen Verkehr mit gleichgesinnten Freunden zu leben. Aber derartige Stimmungen halten nicht allzulange vor; er kann sich den bösen, aus Deutschland kommenden Gerüchten nicht verschließen; er hört von neuen 26»
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inneren Zwistigkeiten, und tief bewegt ihn der Gedanke, daß, während die Deutschen miteinander hadern, andere Völker ihnen das Szepter der Macht entwinden: „0 Germania, quid tuis inhaeres Ferro visceribus? 0 Germania jortium virorum Altrix libera, Martium potensque Terrarum caput, incliti superbum Conserva imperii decus, neque in te Omnem verte potentiam tuorum." — Man erkennt aus diesen Worten, daß man es mit einer Seele zu tun hat, die den geeigneten Resonanzboden für alle über das Gewöhnliche hinausführenden Empfindungen bildet. Das offenbart sich auch in dem Verhältnis zu seinem Liebüngslehrer Joh. Härtung; in dem bereits erwähnten Gedicht trägt die dankbare Gesinnung, die ja auch andere Poeten bei ähnlichen Gelegenheiten an den Tag legen, ein besonders zartes Gepräge, das für den Schreibenden einnimmt. Den Rechenschaftsbericht an seinen Lehrer benutzt unser Dichter zu einem Bekenntnis, wie er sich sein künftiges Leben und Streben denkt. Ähnlich spricht er sich über den gleichen Gegenstand auch sonst aus. Während bei dem von Cantiuncula nicht erwähnten Aurpach Rechtswissenschaft und Poesie noch als gegensätzliche, kaum zu vereinende Mächte erscheinen, gedenkt Cantiuncula zwischen beiden eine Art Ausgleich herbeizuführen. In einer Anrede an die Musen scheidet er zwischen dem ewigen Ruhm, den die Poesie verleiht, und den von der Gesetzeskunde gewährten zeitlichen Ehren. Eine Vereinigung dieser Vorzüge hält er für möglich: erst will er die Dichtung pflegen, dann sich mit Eifer der Rechtswissenschaft zuwenden: „Sic et fraga reperta vere primo Parnassi velut a iugo revellam, Et mox uberiora poma iusto Vitae tempore colligam severae." Wie die meisten Neulateiner hat auch er die Überzeugung von der UnVergänglichkeit des papiernen Ruhmes; doch trägt das sonst so herausfordernde Selbstgefühl bei ihm liebenswürdigere Züge; ein offenbar nicht gemachter Zug der Bescheidenheit ist
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ihm beigemischt. Das tritt z. B. bei dem Verkehr mit seinen Genossen hervor, insbesondere mit Lotichius, dessen zweites Elegien-Buch er mit Jubel begrüßt, und dem er dafür seine Hendekasyllaben empfiehlt. Freilich fehlt das neulateinisch-humanistische Zöpfchen auch bei Cantiuncula nicht, es drängt sich gelegentlich auch an einer Stelle ein, wo es erkältend wirkt. So z. B. bei dem einzigen Falle, in dem neben dem Freundschaftsdas Familiengefühl zu Worte kommt. Er steht am Grabe des Bruders und weiß der echten Empfindung die Zunge zu lösen, bis dann zuletzt der Eindruck durch jenen Zopf wenn nicht aufgehoben, so doch stark beeinträchtigt wird: „.. .sed 0 profana Mors nunc omnia sustulit, quod aulem Mi desiderium iui reliquit, Aetemum memorabo, et hunc dolorem Mandabo pariter meo libello, Postens quoque ul indicare possit, Quam carus fueris mihi, tuumque Venturos decus efferat per annos." — Durch die liebenswürdige Art der Persönlichkeit erscheint auch die Freude an der Natur belebt. Die Teilnahme an den Naturvorgängen hat etwas Naives, von der schematischen, unlebendigen Weise der Neulateiner angenehm Abstechendes. So wenn es in einer Frühlingsschilderung heißt: „0 quam Naturae omnia mira sunt/ comatae Coelo tollitur arboris cacumen; Frondes luxuriant, novumque robur Luctaiur, vigor exit, atque rami Laie se vacuas ferunl per auras." Nur eine geringe Rolle spielt bei Cantiuncula die Liebe. E r selbst hält sich in diesem Punkte außerordentlich zurück, und da man das Gefühl hat, daß er sich über alles, was ihn innerlich und äußerlich berührt, offen ausspricht, so wird wohl angenommen werden müssen, daß Freundschaft und Poesie ihn stärker als die Liebe berührt haben. Ein kleines Selbstbekenntnis findet sich in dem einzigen erotischen Gedicht der Sammlung, das aber bezeichnenderweise nicht von dem eignen Verhältnis zu Frauen, sondern von dem eines Freundes spricht. Der Dichter
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hält diesem seine Härte und Kälte vor: ein Mädchen, das, von vielen umworben und gesucht, noch niemanden erhört habe, schmachte nach ihm, er aber verschmähe es: „Sei felix ita sis tibi, Galese, Ut solus cupias tuam severa Virtutem asperiiate comprobare. De me ipso mihi nil licet fateri, Nam castas ego pro mea virüi Parte Pierias colo sorores, Nec fecisse pericttlum recusem Istorum tarnen omniunt malorum."
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Der Wert von Cantiunculas Hendekasyllabenbuch beruht vor allem darauf, daß sich in diesen poetischen Kleinigkeiten die Persönlichkeit unmittelbar wiederspiegelt. Eine nicht starke, aber wohltuend wirkende Individualität offenbart sich; wie unabsichtlich treten die wichtigsten Züge des Wesens heraus. Eine ungleich geringere Anziehungskraft als Hilarius Cantiuncula übt der Ungar Johannes Sambucus aus (1531—1584). Er ist in der Folgezeit namentlich durch seine vielseitige Tätigkeit bekannt geworden. Aber schon auf den Universitäten suchte er möglichst alle wissenschaftlichen Gebiete zu umspannen, und es gelang ihm in der Tat, sich ein ungemein reiches Wissen anzueignen. Obgleich sein Hauptfach die Medizin war, hat er sich doch später der Philologie, der Geschichte und deren Hilfswissenschaften zugewandt; als Hofhistoriograph Maximilians II. und Rudolfs II. stand er in hohem Ansehen. Schon in Ingolstadt, wo er 1554 studierte, war er Johannes Aurpach näher getreten; wie dieser hat auch er von Veit Amerbach poetische Anregungen erfahren. In Padua erwarb er sich 1555 den medizinischen Doktorhut, der dortige Aufenthalt brachte ihn gleich Aurpach in Verbindung mit Petrus Lotichius Secundus. Davon legt das Gedichtbuch Zeugnis ab, das Sambucus hier in dem ebengenannten Jahre veröffentlichte. Wohl führen diese Verse ebenso, wie die Hendekasyllaben Cantiunculas, in den Paduaner Freundeskreis hinein, auch dieselben studentischen Freunde begegnen öfter; persönliche und allgemeine Fragen werden in den kleinen poetischen Sendschreiben erörtert. Wenn er die Freunde zur Begehung der Fastnacht einlädt, so erwähnt er, daß auch Lo-
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tichius Secundus dort anwesend sei; ein andermal richtet er an diesen die Frage, weshalb er seine Büchlein nicht glätte und der Öffentlichkeit zugänglich mache. Aber der ganz individuelle Ton, der diesen dem Paduaner Freundesverkehr entsprungenen Gedichten des Lotichius, Cantiunculas, Aurpachs das entscheidende Gepräge gibt, fehlt bei Sambucus oder tritt doch wenigstens nicht genügend hervor. Bezeichnend für ihn sind vielmehr Gedichte betrachtender Art; er knüpft an allgemeine Begriffe kürzere, zuweilen nicht üble Erwägungen an; es sind offenbar Vorklänge zu seiner besten Leistung, den „Emblemen" (1566). Religiöses, so eine Hymne an Christus, gelingt ihm wenig. — Neben dem Distichon erscheinen die Hendekasyllaben, dazu viele andere lyrische Maße, z. B. das anakreontische, so daß auch vielleicht Aurpachs spätere Neigung für die anakreontischen Verse schon in die Paduaner Zeit zurückreicht. Ähnlich wie bei Sambucus liegt bei Michael Beuther (1522—87) der Hauptakzent nicht auf seiner poetischen Tätigkeit, sondern auf seinen geschichtlich-chronologischen Arbeiten. Für das Nachfolgende erscheint es indessen nicht unwichtig, daß er ein Freund der deutschen Volksliteratur war und als erster den „Reineke de Vos" ins Hochdeutsche übertragen hat. — Lotichius spricht bewundernd von den wissenschaftlichen Leistungen Beuthers; die Poesie wird nur nebenher erwähnt. Und in der Tat läßt sich von den dichterischen Versuchen nicht allzuviel sagen. Seine Epigramme (zwei Bücher 1544), von denen später noch kurz die Rede sein wird, enthalten nach der Weise der Zeit auch einige lyrische Stücke, so ein paar bedeutungslose Liebesgedichte, die meist mit klassischen Anspielungen arbeiten. Die Schönheit eines Mädchens wird gerühmt: „Paris hätte dich überall gesucht, Leander um deinetwillen Gefahren auf sich genommen, Jupiter hätte gewünscht, Stier, Schwan, Satyr zu werden; selig, der dich besitzt." Und in ganz ähnlicher Weise zieht er wie manche andere Neulateiner zum Preise derselben Maid das Urteil des Paris heran; und dieses Gedichtchen nötigt dem Freund der deutschgeschriebenen Literatur des Reformationszeitalters eine gewisse Teilnahme ab, denn Beuther scheint sich in der Form an ein bekanntes Gesellschaftslied des 16. Jahrhunderts anzulehnen, das dann wohl früher entstanden sein müßte, als man gewöhnlich annimmt. Die Übereinstimmung wird einleuchten, sobald man die beiden Fassungen nebeneinander hält:
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Gesellschaftslied: „Rosina, wo was dein' Gestalt Bei König Paris Leben, Do er den Apfel hält' in Gewalt Der Schönsten sollen geben? Fürwahr glaub' ich hält' Paris dich Mit deiner Schön gesehen, Venus wär' nit begabt damit, Der Preis wär dir verjehen."
B e u t h e r , ad C a m i l l a m . „Die, tibi eras, formae cum tres ex ordine divae Iudicium Paridi proposuere suae? Credo equidem, tu si tribus addita quarta fuisses, Nesciret palmae praemia lata Venus." Im ganzen ist der Ertrag gering. Die poetischen Anregungen, die Beuther erhalten hatte, reichen wohl noch in verhältnismäßig frühe Zeit zurück, Joh. Pedioneus scheint auf ihn eingewirkt zu haben, wenigstens findet sich ein Epigramm an ihn, aus dem wohl hervorgeht, daß Pedioneus ihn zu eifrigem Studium der römischen Dichter ermahnt hat, während Beuther der Meinung ist, daß die deutschen Poeten bereits den Klassikern gleichgekommen sind und Ebenbürtiges geleistet haben, so Eoban Hesse, Hutten, Busch, Cordus, Sabinus, Ursinus Velius, Celtes. Vielleicht hat er dabei auch an seine eigenen Leistungen gedacht. Grund hatte er allerdings nicht dazu. Es ist erwähnt worden, daß Lotichius schon in den Anfängen seiner Studienzeit fördernd auf seine gleichalterigen Genossen eingewirkt hat. Freilich mit ungleichem Erfolge. Doch gelang es ihm, wenigstens bei einem seiner Vertrauten die schlummernde Begabung zu wecken und der neulateinischen Dichtung einen ihrer liebenswürdigsten Jünger zu gewinnen. Johannes Fabricius Montanus (1527—1566), von Geburt Elsässer, hatte einen Teil seiner Erziehung in der Schweiz erhalten, wo sein Oheim Leo Judä lebte; der Schweiz gehört er durch seine ganze spätere Wirksamkeit an. Nachdem er in jungen Jahren zu Zürich eine Lehrstellung bekleidet hatte, besuchte er auf Veranlassung des Züricher Rates die Universität Marburg. Hier schloß er sich auf das engste an Lotichius an, und in dieser Zeit war es auch, in der Lotichius kein Mittel unversucht ließ, um den noch ungewandten Freund
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zu eigener poetischer Tätigkeit anzuspornen. Von Marburg wandte sich Fabricius mit Lotichius 1546 nach Wittenberg; 1547 kehrte er nach Zürich zurück, wo er gleichzeitig als Lehrer und Prediger tätig war; 1557 wurde er als Pfarrer nach Chur berufen, und ohne sich durch die schwankenden politischen Verhältnisse Rhätiens entmutigen zu lassen, verwaltete er dieses Amt bis zu seinem Tode. Durch zwei höchst anmutende Lebensabrisse hat Fabricius die Schlüssel zu seinen Dichtungen geliefert. Kaum nach Zürich zurückgekehrt, verheiratete sich der Zwanzigjährige und fand in der Ehe das vollste Glück. Aber schon nach Jahresfrist starb die Frau bei der Geburt eines Kindes und ließ ihn „in bitterster Sehnsucht zurück." Diesem schmerzlichen Gefühl hat Fabricius in seiner schönsten Dichtung, der Ekloge: „Orion" Ausdruck gegeben. Wohl weist die epische Einkleidung die hergebrachten Wendungen der pastoralen Trauerklagen auf, aber sobald Orion-Fabricius selbst das Wort ergreift, fällt alles Angelernte von ihm ab. Dann findet er für die echte Empfindung auch den wahrhaftigen Ausdruck; am tiefsten weiß er da zu ergreifen, wo ihm die unendliche Sehnsucht das Bild der Geliebten zurückzaubert, wo er sich ins Gedächtnis ruft, was sie ihm in den verschiedensten Lagen des Lebens gewesen ist. Eine Wirkung von ähnlicher Unmittelbarkeit hat Fabricius nicht wieder erreicht, doch versteht er auch in den meisten seiner anderen Gedichte Regungen des Inneren eindrucksvoll zu gestalten. So wenn er sehnsüchtig des Jugendfreundes und poetischen Mentors Petrus Lotichius Secundus gedenkt, den er vergebens noch einmal wiederzusehen hoffte. Oder wenn er in den beiden Gedichten „das glückliche Leben" und „die Armut" sein Lebensideal entwickelt und zugleich den seine Zeit beherrschenden Geist oder Ungeist auf das schärfste geißelt; ausgefüllt durch den Dienst der Musen, fühlt er sich im trauten Kreise der Seinen bei mäßigem Einkommen zufrieden; dagegen verurteilt er auf das schärfste den herrschenden Luxus, zu dessen Befriedigung der ganze Erdball in Bewegung gesetzt wird. Er stimmt daher ein begeistertes Loblied auf die Armut an und wünscht von Herzen ihre allgemeine Rückkehr. Wie die Ekloge „Orion" der Erinnerung an Fabricius' erste Gattin geweiht ist, so zeigt ein Hinweis in der Betrachtimg über „das glückliche Leben", daß ihre Nachfolgerin die Leere ausgefüllt und ihm ein neues Glück geschenkt hat. Was an Freude
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oder Leid in sein Leben eingriff, so z. B. den Tod des Vaters, hat der Dichter meist poetisch zu verklären gesucht, nicht immer mit Glück, aber doch stets durch die Teilnahme des Gefühls belebt. Daß Fabricius für die Größe der Geschichte des Landes, das ihm zur zweiten Heimat geworden war, ein offenes Auge hatte, wird noch zu zeigen sein. Als ein Vorläufer Gottfried Kellers und Konrad Ferdinand Meyers erscheint er da, wo er, ähnlich wie sein Herzensfreund Lotichius und doch in der Ausführung von diesem geschieden, den Schatten Ulrichs von Hutten heraufbeschwört. Er läßt den toten Ritter selbst zu den Besuchern der Insel Ufenau sprechen. Da befremdet es allerdings, daß von dem patriotisch-religiösen Reformeifer Huttens mit keinem Worte die Rede ist ; auch erkältet der lehrhafte Denkspruch am Schlüsse, umsomehr als er unmittelbar auf eine wirklich poetische, aus der Sachlage sich ergebende Erfindung folgt, deren Eindruck durch die virgilische Reminiscenz ebensowenig gemindert wird wie eine andere Naturschilderung durch allzugenaue Anlehnung an den Wortlaut des Properz: „Tetturem res erat genitabilis aura Favoni, Flos tener in gratis murice tinctus hiat; Nonne vieles silvas undare comantibus umbris?" .... Das Zusammenfließen von landschaftlichen Eindrücken und seelischen Vorgängen wirkt deshalb so überzeugend, weil es auf einer echten Empfindung beruht. Fabricius' Sinn war für die Natur aufgeschlossen. Daß er auch in anderen mit der Neigung für die Dichtkunst Freude an der Natur zu fördern wußte, bezeugt eine wahrscheinlich von ihm inspirierte Elegie seines kleinen Schwagers Theodor Collin: in ihr wird mit anmutender Frische ein Ausflug auf den Uetliberg beschrieben, den Fabricius mit seiner Klasse unternommen hatte. Fabricius ist mit seinem poetischen Vermögen haushälterisch umgegangen. 1556 faßte er die Erträgnisse seiner Züricher Zeit in einem schlanken Bändchen zusammen, für dessen Erweiterung man gern manche dickleibigen Durchschnitts-Neulateiner preisgeben möchte. Mit seiner Übersiedlung nach Chur wurde ihm die poetische Stimmung durch die Sorgen gestört, die sich aus der unsicheren Lage des Staates ergaben. Aber trotzdem hat seine Muse nicht ganz geschwiegen. Was sich an Dichtungen aus dieser Zeit erhalten hat, zeigt, daß ihm die Fähigkeit, sein Inneres aufzuschließen, nicht verloren gegangen ist. Ein Jahr
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vor seinem Tode entwarf er in dem schon erwähnten poetischen Rückblick die Grundzüge seines Lebenslaufes. Deutlich treten hier die Eigenschaften der liebenswerten Persönlichkeit heraus, von einem Hauche sanfter Schwermut umwittert. Und nicht ohne Rührung nimmt man wahr, wie bei der Erzählung von dem Tode der ersten Gattin die Töne wieder anklingen, mit denen Fabricius einst in der Ekloge Orion das Trauerlied auf die ihm Entrissene angestimmt hatte. Die Literaturgeschichte wird Fabricius in eine Reihe mit Lotichius stellen, allerdings in einem merklichen Abstände. Von dem Gleichmaß der Vollendung, das Lotichius erreicht hat, kann bei Fabricius keine Rede sein. Aber in seinen besten Leistungen erzielt er doch eine ähnliche Wirkung wie sein Mentor und Freund. Denn auch er will weniger die äußeren Vorgänge als das innere Geschehen künden. Deutlich lassen sich unter denen, an die Lotichius seine Gedichte gerichtet hat, zwei Schichten unterscheiden. Die einen sind die Alters- und Studiengenossen; soweit sie sich auf dem lyrischen Felde versucht haben, ist in dem vorstehenden Abriß von ihnen die Rede gewesen. Neben ihnen stehen, mindestens in der gleichen Anzahl, die Vertreter einer älteren Zeit: außer Melanchthon, Micyllus und Camerarius erscheinen Georg Sabinus, Johannes Stigel, Georgius Fabricius, dazu weniger Begabte, wie Georgius Cracovius. Auch nach der persönlichen Seite hin bildet Lotichius den Abschluß eines wichtigen Zeitabschnittes. Wohl taucht auch später noch der eine oder der andere der Genannten als Anreger auf, z. B. Camerarius in den Gedichten des Melissus. Aber der innere Zusammenhang mit der älteren Dichtergeneration hört auf; Lotichius ist der Letzte, der ihn bewahrt. Nach ihm beginnt eine andere Richtung, geführt durch zwei Dichter, von denen der eine schon als Schüler des Lotichius genannt ist: Melissus und Posthius. Im Empfinden und in den Ausdrucksformen beginnt sich ein Wandel zu vollziehen. Dieser Entwicklung soll nunmehr nachgegangen werden. Vorher aber gilt es nachholend die neulateinische Lyrik der Niederländer in den Grundzügen darzulegen, zumal der Einfluß der Niederländer in der nächsten Periode der neulateinischen Dichtung Deutschlands mit aller Stärke einsetzt.
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B.
Abel, Michael S. 325. 327. 336ff. Acontius, Melchior S. 105ff. u o f f . i i 4 f . 150. 208. 372. Aemilius, Georgius S. 11 off. Agricola, Rudolf S. 314. Albrecht Achilles S. 37. Albrecht Alcibiades S. 49. 134. 311.
Balticus, Martinus S. 224 ff. 230. 262. Barbaras, Hermolaus S. 31. Barnes, Robert S. 118. Barnim, Herzog von Pommern S. 280. 308. Barth, Michael S. 257. Bartholinus, Richardus S. 58. 296. Bartholomäusnacht S. 165ff. 252. Bauernkrieg S. 54. Baumgartner, Hieronymus S. 81 f. Bebel, Heinrich S. 4. Beckmann, Otto S 58. 6if. Bedrottus, Jacobus S. 183 f. 188. Bembus, Petrus S. 51. 6gf. 72. 154. 160. 263. 364. 386. Berg, Matthias S. 273ff. Berneck, Magdalena von S. 197. Bersman, Gregorius S. 255 ff. Beuther, Michael S. 369 f. 407 f. Beyer, Christian S. 58. 62. Birck, Sixt S. 208. Block, Theodoricus S. 59. Bocer, Johannes S. 130. 291. 309ff.
365. 368. Albrecht von Bayern S. 210. 221. Albrecht von Mainz S. 69. 73. 94. 96. Alliopagus, Konstantius, siehe Knobelsdorf, Eustathius v. Altilius, Gabriel S. 78. Altus, Johannes S. 342. 345. 358. 397Amaltheus, Johannes Baptista S . 381. Amandus, Sixtus S. 110. Amerbach, Veit S. 208 ff. 214. Anakreontische Gedichte S. 220 ff. 328 ff. 407. Andreiini, Publio Fausto S. 98. Anemoecius, siehe Windhuser, Wolfgang. Anna von Cleve S. 79. Arminius S. 37. 66. Asclepius, Nicolaus, Barbatus S. 246 ff. Augurelli, Aurelio S. 386. August I., Kurfürst von Sachsen, S. 124. 132. Aurpach, Johann S. 2 i o f f . 230. 241. 249. 398. 400. 404. 406. Avitus, Alcimus S. 157.
334 H- 379- 381. Boger, Heinrich S. 59. Boiardo S. 103. Bologna S. 361. 364 f. Bonnus, Hermann S. 162. Bossert, Gustav S. 191. Brück, Gregor S. 89. Brusch, Caspar S. 192 ff. Bucer, Martin S. 184. 395. Buchanan, Georg S. 275.
REGISTER.
Bugislaus, Herzog von Pommern S. 280t Bucolicon, siehe Ekloge. Bugenhagen S. 261. Burmann, Peter S. 374 f. Busche, Hermann v. d. S. 270. 408. Buschmann, Johannes S. 270ff. C.
Camerarius, Joachimus S. 7. 12. 28ff. 38t. 44ff. 69. 80. 85. 88. 208. 255. 261. 286. 342. 353. 369t. 379. 388. 411. Camitianus, siehe Franck, Andreas. Cantiuncula, Claudius S. 398 f. Cantiuncula, Hilarius S. 219. 381. 398 ff. 406 f. Capito, Wolfgang S. 183 f. 187. Caselius, Johannes S. 147 ff. Catull S. 214. 216. Celtes, Konrad S. 48. 63. 100. 408. Christian I., Kurfürst von Sachsen, S. 125. Christian II., König von Dänemark, S. 34. 270. Christiani, Ludwig S. 20. Chytraeus, David S. 137. 342. Chytraeus, Nathan S. 130. 138. Cisner, Nicolaus S. 33. 243 ff. 396. Cisner, Paul S. 33. Clajus, Johannes S. 258f. Clemens VII. S. 298. Coligny S. 203. 252. Collin, Theodor S. 410. Conradi, Tilemann, siehe Philhymnus, Thiloninus. Conradinus, Henning 2 75 f. Copernikus, Erdmann S. 339. Copernikus, Nikolaus S. 296. 301. Cordus, Euricius S. 7. 11. 23 ff. 28. 62. 103. 108. 115. 246. 408. Cortez, Ferdinand S. 296. 301. Corvinus, Elias S. 126. 261 ff. Cotta, Giovanni S. 78.
413
Cracovius, Georgius S. 411. Cranach, Joh. Lucas S. 78. Cranach, Lucas S. 77 t Crappen, Andreas S. 58 ff. Cureus, Achatius S. 269. Cyclopius, Wolf S. 58. 60 f.
D. Dantiscus, Johannes S. 2of. 69f. 162. 265. 295 ff. 303. 305 f. Dedekind, Friedrich S. 260. 271 ff. Delius, Matthäus S. 119. Dietrich, Veit S. 228. 230. Dobeneck, Hiob von S. 4. 19. Dürer, Albrecht S. 12. 14. E.
Eber, Paul S. 131. Eberbach, Peter (Aperbacchius) S. 7. 28. Ebner, Hieronymus S. 12. Eccard, Heinrich S. 261 f. 264. Echospielereien S. 351. Eduard VI., König von England S. 187. Ekloge S. 4ff. 22ff. soff. 73f. 87ff. io3f. 118. 125. 128. 245f. 255f. 291 ff* 295. 315ff. 32if. 379ff. 409. 41t. Ekloge, geistliche S. 264. Ellinger, Andreas S. 163. Embleme S. 407 Emser, Hieronymus S. 16. Engerd, Johann S. 224. Epicedien S. 12 ff. 31 ff. 78 f. 108 ff. 145. 161. 183t. 231 f. 272. 305f. 308. 348. 365 f. 370ff. „Epistolae obscurorum virorum." S. 63. Epithalamien S. 34t 105ff. 161. 164. 187. 206ff. 244. 286f. 372. Epithalamien, geistliche S. 164 f. Eppele von Geilingen S. 203. Erasmus S. 12 f. 27. 108 ff. 115. 162. 314. 395.
REGISTER.
414
E r f u r t S. 3 ff. 172. E r n s t , Prinz von Sachsen, S. 270. Eulenspiegel S. 257. F.
F a b e r , J a k o b , Stapulensis (Jacques le Ffcvre d'Estaples) S. 108. Fabricius, Andreas S. 1 5 1 . Fabricius, Georgius S. 61. 1 1 4 . i 5 o f f . 159. 1 6 1 ff. 165. 178 t. 190. 254ff. 310. 342. 377. 388. 411. Fabricius, Johannes, M o n t a n u s S. 342. 408 ff. Fabricius, P a u l u s S. 264. F a u s t , Georg S. 45. 353. F e r d i n a n d I . S. 64. 7 1 . 194. 200. 206. 236. 265. 283. 305. Ferrarius, Johannes, Montanus S. 58. 61 f. Fiedler, Felix S. 292. 294f. Fiedler, Valerius S. 292. Fischart, J o h a n n S. 252. Flacius, Matthias, Illyricus S. 84 f. 9of. 1 2 1 . 132. Flaminius, Marcus Antonius S. 154. 263. 334- 386 f. Fracastoro, Girolamo S. 333. 386. F r a n c k , Andreas S. 254. F r a n z I . S. 73. 103. 266. Freder, J o h a n n e s S. 1 1 9 . Friedrich der Weise. S. 12. 58. 66. 270. Friedrich, Bischof von W ü r z b u r g , S. 368. Friedrich, Pfalzgraf S. 39 f. 244. Friedrich Wilhelm, Herzog von Sachsen, S. 170. Frisch, Johannes. S. 339. Frischlin, N i k o d e m u s S. 125. Fugger, die S. 201. Fugger, J o h . J a k o b S. 201. 2 1 2 . 241. Fugger, R a i m u n d S. 204. Funck, Matthias S. 11.
G.
Gallus, J o h a n n e s S. 169ff. 173. 178. G a t t i n a r a , Mercurinus S. 12. Gelph, A d a m S. 3 9 6 ! Georg, Herzog von Sachsen, 63. G e r h a r d t , P a u l S. 261. 3 3 1 . 394. Gesellschaftslied S. 407 f. Gigas, J o h a n n e s S. i i 4 f f . 1 2 1 . 208. Glarean, Heinrich S. 246. Glaser, Sebastian S. 304. Gmelichius S. 208. Gnapheus, Gulielmus S. 287. Goethe S. 3 7 1 . Göritz, J o h a n n (Corycius) S. 28. G o t t f r i e d von S t r a 0 b u r g S. 207. Gremp, Ludwig S. 187. Grudius, Nicolaus S. 87. G r u m b a c h , Wilhelm von S. 140. 142. 2 2 1 . Grynaeus, Simon S. 32. 1 7 1 . 1 8 3 ! 188. 198. Gryphius, Andreas S. 394. H.
Hagius, J o h a n n e s
S. 34off. 353.
357- 3 6 i . 368. H a n a u , Philipp von S. 187. 244. H a n n o w , Caspar S. 303. H ä r t u n g , J o h a n n S. 399. 404. Haslob, Michael S. 194. 32off. 338. 34°Hecht, Michael S. 292. H e e r m a n n , J o h a n n e s S. 76. Hegendorff, Christopherus S. 254. Hegius, Alexander S. 162. Heine, Heinrich S. 1 3 5 . Heinrich von Braunschweig S. 233. 268. Heinrich I I . von Frankreich S. 103. 391Heinrich V I I I . von E n g l a n d S. 79. 86. 1 1 8 . Helmbold, Ludwig S. 172 ff. Heraklides, J a k o b S. 283 f.
REGISTER.
Heroide S. 379. 387. 395f. Heroide, allegorische S. 10. 17. 71. 84.
86f.
i84f.
192. 293.
304f.
Heroide, christliche S. 8ff. 22. Hesse, Johann S. 59. Hessus, Eobanus S. 3ff. 24. 28f. 3 2 . 38. 4 3 ff. 5 8 . 69. 7 1 . 7 5 . 80. 115.
179.
296. 304.
103.
408.
192.
246.
270.
H o d o e p o r i c o n S. 38. 48f. 7 3 f . i 2 8 f . 1 5 1 f. 2 0 3 . 2 5 7 . 282. Holtorp, Bernhard S. 295. Homer S. 92. Horaz S. 47. 155. 215. 274. f Hosius, Stanislaus S. 69. 303. Hübner, Bartholomäus S. 172. Hügel (Hugelius), Karl S. 397. Humanismus und Reformation S. 15 ff. Hunger, Wolfgang S. 204. 208. H u n y a d y , Johannes S. 262. Husanus, Heinrich S. i 3 7 f f . 276f. Hutten, Mangold von S. 370. Hutten, Ulrich von S. 12. 14f. i 6 f . 3 1 . 5 8 . 7 3 . 80. 86. 1 0 4 . 1 9 4 . 2 4 6 f f . 2 5 5 . 325. 370. 3 7 7 . 408.
395-
410.
H y m n i k , religiöse S. 76 f. 114. 116. 1 3 7 ! i 5 o f f . 226. 237. 273ff. 282. 287^ 302ff. 322ff. 372t. 378.
I. J. Idylle, siehe Ekloge. Ingolstadt
S.
I 9 8 f f . 204.
2o8ff.
Interim S. 148. 260. Joachim II. S. 71 ff. Johann Albrecht von Mecklenburg S. 1 4 1 . 2 7 7 . Johann der Beständige S. 87. 270. Johann von Anhalt S. 256. Johann Friedrich, Kurfürst von Sachsen, S. 67. 82 f. 84. 87ff. 270.
370.
415
Johann Friedrich der Mittlere, Herzog von Sachsen, S. 140. Johann Friedrich von Stettin S. 280. Johann Georg von Brandenburg S. 308. Jonas, Justus S. 6. i 6 f . 66. Jovius, Paulus S. 71. Juan d'Austria S. 242. Judä, Leo S. 408. Julius von Braunschweig S. 233. K. Kannegießer, Wolfgang, siehe Cyclopius. Karl V. S. 27. 47. 49. 72t. 86ff. 1 0 3 . 1 1 7 . 1 7 8 . 1 9 2 ff. 1 9 9 . 2 0 1 f. 206. 2 0 9 . 2 3 3 . 2 3 6 . 2 6 6 f . 298. 3 ° 5 -
279.
391.
Keller, Gottfried S. 9. 410. Kleist, E w a l d v. S. 53. Knobelsdorf, Eustathius von S. 303 ff. Konzil von Trient S. 289. Kranichfeld, Heinrich S. 118 f. Kromer, Martin S. 303. Kryptokalvinismus und Philippismus S. 1 2 0 ff.
L. Ladislaus von Ungarn S. 296. Lange, Johannes S. 208. 265 ff. Lauterbach, Johann, aus Löbau S. 2 3 8 ff. 2 6 2 . 2 6 4 . Leiningen, Philipp von S. 244. Lemnius, Simon S. 48 f. 80. 92. 94ff- 2°4- 207. f 288. 3 7 5 .
387.
Lepanto, Schlacht von S. 242. Lessing S. 24. Limburg, Erasmus von S. 183 Linck, Sebastian S. 209. Livius S. 102. Lodge, Thomas. S. 301. Logus, Georgius S. 208. 265.
4i6
REGISTER.
Lorichius, Johannes S. 203. 208. Lorichius, Reinhard S. 203. Lotichius, Christian S. 395 t. Lotichius, Georg S. 348. Lotichius, Petrus, Primus S. 67. 198. 341. 396. Lotichius, Petrus, Secundus S. 45. 67. 70. 75. 107. 198. 200. 202. 212. 219t. 3 1 5 ! 3i8f. 321 f. 329. 331. 334 ff. 340—395. 396ff. 405 ff. Lucan S. 385. Lucian S. 40 f. Lucrez S. 75. 385. Ludwig, Pfalzgraf S. 37. Luther, Martin S. 12. 15 ff. 27. 64 ff. 80. 86 f. 94. 96 f. 109 ff. 122. 146. 156. 160. 169. 171. 271. 305. 315. 321 f. 395.
M. Macer S. 211 ff. Magdeburg S. 345 ff. Major, Georg S. 114. 116. Major, Johannes S. 121 ff. Mantegna, Andrea S. 164. Mantuanus, Baptista S. 4 f. 89. Marius, Georg S. 342. 379. 398. Martial S. 199. Marthen, Herbord v. d. S. 6. Matthesius, Johannes S. 121. 224. 262. Mauer, Thomas S. 136 f. Maximilian I. S. 63. 86. 296. 305. Maximilian II. S. 177. 283. 406. Melanchthon, Anna S. 68 ff. 79. 106 f. Melanchthon, Katharina S. 131. Melanchthon, Magdalena S. 397. Melanchthon, Philipp S. 12. 18. 29. 35. 42. 47 ff. 52. 57. 65 ff. 68. 75. 80. 82ff. 91. 94. 105. io8f. i n . 113. n 8 f . 120f. 127! 131 ff. *37- »45- 147154- i6°-
172. 179t. 184. 187. 2o8f. 224ff* 238. 241. 260f. 275. 285t. 289. 293- 3 " - 314*- 32if- 345- 35*366.371.378. 388.391.397 f - 4 " Melissus, Paulus S. 261. 276. 286. 336. 396. 411. Meilerstatt, Kilian S. 63. Menius, Eusebius S. 286. Menius, Justus S. 286. Meyer, Konrad Ferdinand S. 410. Micyllus, Jacobus S. 28ff. 46t. 57. 73. 75. 85. 88. i n . 198. 208. 245. 270. 332. 341 ff. 34Öf. 368. 370I 378. 384f. 388. 411. Milesius, David S. 292. Minervius, Simon, siehe Scheidenreißer. Mocker, Antonius S. 172t. Mönch tum, Kampf gegen das S. 195 f. Moller, Heinrich S. 249. 285 ff. Molza, Francesco Mario S. 386. Montpellier S. 354. Moritz von Sachsen S. 37. 66. 130f. 194. 256. 267. 311 ff. 319. 345- 391Moschus S. 51. Mosellanus, Petrus S. 30t. 108. Mucius, Macarius S. 11. Münzer, Andreas S. 118. 292 ff. Murmellius, Johannes S. 268. Mutian, Konrad S. 3, 6f. 12f. 26. 38. Mylius, Andreas S. 277. Mylius, Georg S. 260 f. Mylius, Johannes S. 163 ff. 241. Mynsinger, Joachim S. 209. 232 ff. N. Naogeorg, Thomas S. 198. 23off. 269. Naß, Johannes S. 252. Naugerius, Andreas S. 381. 386. Nesen, Wilhelm S. 12. 30. m . 247.
REGISTER.
Neusteter, Erasmus, genannt Stürmer, S. 368. 382. Nützel, Caspar S. 12 f. 0. Oporinus, Johannes S. 241. Ornitander, Georgius S. 269. Orth, Zacharias S. 283 ff. Osius, Hieronymus S. i 3 o f f . Ottheinrich von der Pfalz S. 379. Ovid S. 8 f. 50. 98. 157 f. 225. 366. 385. P. Padua S. 215 ff. 361 ff. Paganus, Petrus S. 248 f. Paminger, Balthasar S. 229 f. Paminger, Leonhard S. 227U. Paminger, Sophonias S. 227ff. Paracelsus S. 181. Paris S. 354. 369. Pedioneus, Johannes, Rhätus S. 198ff. 208. 210. 240. 341. 408. Peele, George S. 301. Petrarca S. 4. 304. 364. 387. Peucer, Kaspar S. 132 f. 397. Pflug, Julius S. 201. Philhymnus, Thiloninus S. 58. 62 f. Philipp I., Herzog von Pommern, S. 284. Philipp von Hessen S. 86f. 202 f. Philipp, Pfalzgraf, Statthalter von Württemberg, S. 233. Philippismus, siehe Kryptokalvinismus. Pico von Mirandola, Giovanni S. 31. Pirkheimer, Willibald S. 12. 14t. Pius I V . S. 221. Poliziano, Angelo S. 142. Pollius, Johannes S. 269 f. Pontano, Giovanni S. 95. 379. 387. Porcello de' Pandoni S. 8. Posthius, Johannes S. 239. 286. 336. 396f. 411. E l l i n g e r , Neulatelnlsche Lyrik 2.
417
Preyß, Christoph, gen. Pannonius, S. 112. Propempticon S. i i 2 f f . 295. Properz S. 98. 385. 410. Protestantenfeindliche Stimmung S. 2 2 X . Prudentius S. 157. 302. B. Reifenstein, Johann S. 32. Reim in der neulateinischen Dichtung S. 258. Reineke de Vos S. 407. Reinhold, Erasmus S. 397f. Reisegedicht, siehe Hodoeporicon. Religionsgespräche S. 66 f. 131. 203. 206. Reuchlin, Johann S. 3. 12. 31. 248. 314. Reysmann, Dietrich S. 190 ff. 197. 232- 243Rhagius, Johannes, Aesticampianus S. 60 f. Rondolet, Wilhelm S. 362. Rosemann, Martin S. 343. 375. Rovenius, Gerhard S. 269. Rudolf II., deutscher Kaiser, S. 336. 406. S. Sabinus, Georgius S. 45. 65. 68 ff. 79. 93. 96. 105ff. 115. 118. 135. 150. 270. 275. 286. 289ff. 195 f. 3o6ff. 315. 320ff. 329. 334. 336. 342. 351. 363. 367. 408. 411. sacco di Roma i 8 f . 73. Sambucus, Johannes S. 398. 406f. Sannazar, Jakob S. 89. 316. 319. 349. 386. Sastrow, Bartholomaeus S. 117. Sastrovianus (Sastrow), Johannes S. H 7 f . Sbrulius, Richardus S. 7. 58 ff. Scheidenreißer, Simon S. 204.
27
4i8
REGISTER.
Schellenberg, Christopherus S. 2 5 7 f . Schmalkaldischer Krieg S. 82 f. 195. 198. 2 6 6 « . 3 4 5 « .
397f.
Schmidt, Karl S. 1 9 1 . Schopper, H a r t m a n n S. 396. Schosser, Johannes S. 290 ff. 307. 325- 331- 336Schreck, Valentin S. 165 ff. Schubert, Clemens S. 11. Sehlde u n d neulateinische Poesie S. 1 5 6 . 1 5 9 . 1 6 1 . 2 7 3 . Schütz, Michael, siehe Toxites. Schwarzburg, G ü n t h e r von S. 194. Seckerwitz, J o h a n n e s S. 264.278ff. Sccundus, Johannes S. 87. 98. 100. 24°- 334Sedulius S. 157. Seidel, Bruno S. 1 2 1 . 1 3 3 ff. Siber, A d a m S. 150. 1 5 7 ff. 162t. 257. 2 8 7 !
310.
Sibutus, Georgius S. 58. 63 f. Sickingen, F r a n z v. S. 16.247 t. 395. Sigismund I. von Polen S. 73. 29öff.
304t.
Sforza, Francesco S. 73. Soliman I I . S. 241. Spalatin, B u r k a r d S. 6. 58. 62. Spangenberg, J o h a n n e s S. r i . 1 1 0 . 114.
u6f.
254!
272.
Stadion, Christoph von S. 1 8 3 . 1 8 5 . Statius S. 385. Steindorfer, Maternus S. 345. Stibar, Daniel S. 45. 353 f. 360. 362. 365 ff. 389. 398. Stibar, Martin S. 378. Stigel, J o h a n n e s S. 69. 75 ff. 96. 103. 105. 107. i 2 i f. 130. 137. 145. 169. 187. 194. 275. 315. 322. 329. 336. 342. 370. 395. 411. Stöffler, Johannes S. 192. Stoius, Matthias S. 378. 397f. Streicher, Marcus, siehe Tatius Alpinus.
Strozzi, Ercole S. 160. Strozzi, T i t o Vespasiano 98. 1 0 0 .
S. 78.
160.
Sturm, J o h a n n e s S. 180 f. 187. Stymmelius, Christoph S. 307 ff. Suchten, Alexander von S. 306. Suchten, Christopherus von S. 306.
T. Tatius, Marcus, Alpinus
S. 204 ff.
240.
T a u b m a n n , Friedrich S. 122. 261. Terenz S. 228. Theokrit S. 55. 90. 3x7. 381. Tibull 216. 385. Toxites, Michael S. 180 ff. 190. 1 9 7 f. 3 0 4 . „ T r i u m p h u s Christi." S. 11. 63. 1 3 7 . 248. 255. 288.
322.
Trozendorf, Valentin S. I n f . Truchseß, Georg, von W a l d b u r g S. 1 8 6 . 2 3 3 . Truchseß, Otto, von Waldburg S. 1 8 5 f. Türkengefahr u n d Türkenkriege S. 4 7 . 6 4 . 7 1 . 8 7 . 1 1 6 . 1 4 9 . 1 5 3 . 165. 184. 1 9 4 f . 206. 234. 241
236f.
ff. 2 6 6 . 2 8 4 . 2 9 8 . 3 0 4 . 3 1 4 .
402.
Uhland, Ludwig S. 348 f. Ulrich von W ü r t t e m b e r g S. 86. 190.
232.
Universitätsspäße S. 127. Urceus, Codrus S. 302. Uranius, Henricus S. 268. Ursinus, Caspar, Velius S. 64. 408. V. Vadian, J o a c h i m S. 28. Velius, siehe Ursinus. Vida, Marco Girolamo S. 76. 136. 213.
371.
381.
Virgil S. 158. 202 f. 3 1 7 . 381. 385. 410.
419
REGISTER.
Volkslied S. 40. 182. 245. Volkstümliche Elemente S. 1 2 5 ! Vultejus, Justus S. 249ff. 340.
Vi. Walther von der Vogelweide S. 332. Weichsner, Zacharias S. 224. Weiler, Hieronymus S. 162. Wicedorfer S. 208. Widebram, Friedrich S. 126ff. 137. Wied, Hermann von S. 184 f. 304. Wilhelm von Cleve S. 244. Wilhelm, Prinz von Hessen, S. 343. Wilhelm von Oranien S. 203. Willich (Wilcke), Jodokus S. 307.
Wimpfeling, Jakob S. 28. 60. 150. Windhuser, Wolfgang S. 204 f. Wittenberg S. 58«. 343 ff. Wolf, Erasmus S. 210. 214. Wolf, Hieronymus. S. 172. 240ff. Wolfgang I., Bischof von Passau S. 228 f. Wolfgang II., Bischof von Passau S . 229. Z. Zasius, Ulrich S. 233. 237. Zobel, Melchior S. 368. Zriny, Nikolaus von S. 242. Zwingli, Huldreich S. 174.
27*
420
BERICHTIGUNGEN.
Berichtigungen. S. 4, Z. 6 v. u., S. 7, Z. 21, S. 8, Z. 17, S. 16, Z. 15, S. 59, Z. 6 f . lies für Halbband I : e r s t e r B a n d .
S. 17, Z. 7,
S. 62, Z. 18 lies am Schlüsse der Zeile: ,,ähnlich verhält es sich mit Christian B e y e r " . S. 171, Z. 8 ff. Die Erzählung von Grynaeus* wunderbarer Rettung bezieht sich wahrscheinlich auf Grynaeus' Aufenthalt in Speier 1529, wo er, wie Melanchthon glaubte, durch eine himmlische Erscheinung gewarnt wurde und sich so der drohenden Verhaftung entziehen konnte. Sowohl dieser Bericht wie die Geschichte vom Zwickauer Knaben ist Gallus wohl unmittelbar durch Melanchthon zugekommen. S. 211, Z. 8 ff. Geburts- und Todesjahr Aurpachs werden in einem mir leider unzugänglich gebliebenen Aufsatz in den „ostbayrischen Grenzmarken", Bd. 14, S. 343 ff. auf 1531, bezw. 1582 angegeben. Nachtrag zu Bd. 1, S. 86, Z. 19. Antonio Geraldini soll nach anderen Nachrichten um 1449 geboren worden sein.
Altdeutsches Prosa-Lesebuch. Texte vom 12.—14. Jahrhundert. Ton Dr. Hans Naumann, o. Professor an der Universität Frankfurt. Kieln-Oktav. VIII, 162 Seiten. 1018. (Trübners Philologische Bibliothek Bd. 6.) EM. 2 — Diese Ergänzung zu der Grammatik desselben Verfassers bringt Denkmäler zur Zeitgeschichte, zur Geschichte der christlichen Kultur, profane ttberietzungskunst, volkstümlich« Protartücke und poetische Denkmäler. Althochdautschu Lesebuch. Von Dr. Hans Naumann, o. Professor an der Universität Frankfurt. Neudruck. 148 Selten. 1S23. (Sammlung Göschen Bd. 734.) Geb. KU. 1.50 Enthält Denkmäler zur Zeitgeschichte, religiöse Dokumente, Proben aus der theologischen, scholastischen, naturwissenschaftlichen und historischen Literatur und eine Auswahl volkstümlicher Dichtungen. Ol« altslchilscho Genesis und dar Hailand, das Werk eines Dichters. Von Wilhelm Bruckner, E U . 7.— a. o. Professor an der Universität Basel. Oktav. V, 119 Selten. 1929. (Germanisch und Deutsch, Studien zur Sprache und Kultur, 4. Heft.) Der Verlasser versucht in seiner Untersuchung den Nachweis zu erbringen, daß Genesis und IIeliand von einem Dichter verlaßt sind: die weitgehende Übereinstimmung des Sprachgebrauche, die eigenartige Behandlung des biblischen Stoffes und auch die Beobachtung, daß gerade die Schlußpartien des Heliand der Genesis in manchem Punkte näherstehen als der Anlang des großen Werkes, sprechen dafür. Waltharllled. Ein Heldengesang aus dem 10. Jahrhundert. Im Versmaße der Urschrift übersetzt und erläutert von Professor Dr. Hermann Althof in Weimar. Zweite, verbesserte Auflage. Neudruck. 152 Selten. 1925. (Sammlung Göschen Bd. 46.) Geb. E U . 1.50 Dichtungen aut mittelhochdeutscher Frühzelt. Auswahl mit Einleitungen und Wörterbuch, herausgegeben von Dr. Hermann Jantzen, Geh. Beglerungs- und Provlnzialschulrat in Breslau. Dritte, durchgesehene Auflage. 154 Selten. 1926. (Sammlung Göschen Bd. 137.) Geb. E U . 1.50 Etzos Gesang. Genesis und Exodus. Heinrich von Meli. Annolied. Alexanderlied. Rolandslied. Kaiserchronik. König Rother. Herzog Emst. Dar Nlbelungo Nsth und die Klag*. Nach der Ältesten Überlieferung mit Bezeichnung des Unechten und mit den Abweichungen der gemeinen Lesart herausgegeben von Karl Lachmann. Fünfte Ausgabe. Groß-Oktav. XII, 372 Selten. 1878. E U . 6.—, geb. 7.— Dir Nlbalunga Noth und die Klagt. Nach der ältesten Überlieferung herausgegeben von Karl Lachmann. 14. Abdruck. Oktav. 297 Selten. 1927. Geb. E U . 3.40 Oer Nlbalunga N4t in Auswahl, und mittelhochdeutsche Sprachlehre mit kurzem Wörterbuch. Von Dr. W. Golther, Professor an der Universität Rostock. Sechste, verbesserte Auflage. Neudruck. 196 Selten. 1928. (Sammlung Göschen Bd. 1.) Geb. EU. 1.50 Wolfram von Eschenbach. Von Karl Lachmann. Sechste Ausgabe, bearbeitet von Dr. Eduard Hart!, Privatdozent in München. Groß-Oktav. LXXII, 640 Seiten. 1926. E U . 18—, geb. 20 — Wolfram von Eichenbach, Parzlval. Eine Auswahl mit Anmerkungen und Wörterbuch. Von Dr. Hermann Jantzen, Geh. Beglerungs- und Provlnzialschulrat in Breslau. 127 Selten. 1925. (Sammlung Göschen Bd. 921.) Geb. EU. 1.50 Die Ausgabe bringt aus den sechzehn Büchern des Parzival die bedeutungsvollsten Stellen im Urtext mit Anmerkungen, ausführlichem Wörterbuch und verbindendem Text. Ola Textgeschichte das Wolframschan Parzlval. Von Eduard Hartl. I. Teil: Dlo Jüngeren *G-nandschrlften. 1. Abteilung: Die Wiener Mischhandschriftengruppe * W (Q»G4G«Gq>). Mit einem Stammbaum der Oruppe *W. Oktav. XXIII, 165 Selten. 1928. EM. 10.— (Germanisch und Deutsch, Studien zur Sprache und Kultur. 1. Heft.) Das erste Heft dieser neuen Sammlung, die ein Sammelbecken für Untersuchungen unserer Sprache und Kultur sein wird, ist einem ünterthema der Textgeschichte des Wolframschen Parzival gewidmet, das deshalb grundlegende Bedeutung hat, weil es den allerersten Anfang streng philologischer Behandlung auf diesem vollkommen unbebauten Gebiet darstellt. Hartmann von Aua und Gottfried von StraBburg. Eine Auswahl mit Anmerkungen und Wörterbuch. Von Dr. Hermann Jantzen, Geh. Beglerungs- und Provlnzialschulrat in Breslau. 127 Selten. 1925. (Sammlung Göschen Bd. 22.) Geb. EM. 1.50 Eine Auswahl der wichtigsten Teile aus ,J)er arme Heinrich" und „Tristan". Kudrun und Dlatrlchapan in Auswahl mit Wörterbuch. Von Professor Dr. Otto L. Jlrlczek. Fünfte, textlich unveränderte Auflage. 168 Selten. 1920. (Sammlung Göschen Bd. 10.) Geb. 1.50 Auszüge aut Kudrun und den Dietrichepen (Eckenlied, Alpharts Tod, Babenschlacht) mit autführlicher Bibliographie. Walthar von dar Vogalwalda, Gedichte. Von Karl Lachmann. Achte, neudurchgesehene und verbesserte Ausgabe, besorgt von Dr. Carl von Kraus, o. Professor an der Universität München. Oktav. XXXIII, 232 Selten. 1923. Geb. E U . 6.—
Walther von der Vogelweide mit Auswahl aus Minnesang und Spruchdlchtnng. Mit Anmerkungen und einem Wörterbuch. Von Professor Dr. Otto von Gilntter. Fünfte Auflage. Neudruck. 127 Seiten. 1929. (Sammlung Göschen Bd. 23.) Geb. RM. 1.50 Der Band enthäU über HO Lieder und Sprüche, die ein lebendige» Bild diese» größten Lyriker» de» deutschen Mittelalter» geben. Iweln. Bine Erzählung. Von Hartmann von Aue. Mit Anmerkungen von G. F. Benecke und K . Lachmann. Fünfte Ausgabe, durchgesehen von Dr. Ludwig Wolff, Privatdozent an der Universität Göttingen. Oktav. X V I I , 664 Seiten. 1926. E M . 13.60, geb. 15.— Kaspar Scheit, Die frShliche Heimfahrt. Herausgegeben von Philipp Strauch. GroB-Oktav. X X I V , 143 Seiten. 1920. RM. 10.— Da» 3634 Verte umlatsende Gedieht, da» teinen Platz neben Sebastian Brani und Murner verdient, liegt zum erstenmal in einer wissenschaftlich zuverlässigen Ausgabe vor. Die zwöll Holzschnitte sind in Originalreproduktionen beigegeben. Dia StraBburger Chronik des elslsslschen Humanisten Hieronymus Gebwller. Untersucht und herausgegeben von Dr. Karl Stenzel. Oktav. X I I , 79 Selten. 1926. RM. 4.— Die Epigonen de« höflichen Epos. Auswahl aus deutschen Dichtungen des 13. Jahrhunderts. Von Dr. Viktor J u n k , Privatdozent an der Universität Wien. Neudruck. 143 Seiten. 1922. (Sammlung Göschen Bd. 289.) Geb. RM. 1.50 Slmpllclus Simpllcltslmut. Von H . J. Chr. von Grimmelshausen. I n Auswahl. Herausgegeben von Dr. F . Bobertag. Fünfter Neudruck. 157 Selten. 1928. (Sammlung Göschen Bd. 138.) Geb. RM. 1.50 Deutsche Llteraturdenkmller dee 14. und 15. Jahrhunderts. Ausgewählt und erläutert von Dr. Hermann Jantzen, Geh. Regierungs- und Provinzlalschulrat In Breslau. Zweite, neudurchgesehene Auflage. 151 Selten. 1919. (Sammlung Göschen Bd. 181.) Geb. RM. 1.50 Eine Auswahl au» Lyrik, Meistergesang, Beimrede, Fabel, moralischer und Sehwankdichtung, Drama, sowie au» dem Prosaschrifttum der Myttiker, Naturkundigen, Satiriker, der Faeetien und volkstümlichen Schusankbüeher. Deutsche Llteraturdenkmller des 16. Jahrhunderts. I . Martin Luther und Thomas Murner. Ausgewählt und mit Einleitungen und Anmerkungen versehen von Georg Berlit +, Professor am Nikolaigymnasium zu Leipzig. Zweite, verbesserte Auflage. Neudruck. 141 Selten. 1919. (Sammlung Göschen Bd. 7.) Geb. RM. 1.50 I I . H a n s Sachs. Neubearbeitet und erläutert von Dr. Paul Merker, o. ö. Professor an der Unlversit&t Breslau. 144 Seiten. 1927. (Sammlung Göschen Bd. 24.) Geb. RM. 1.50 I I I . Von Brant bis Rotenhagen: Brant, Hutten, Fischart sowie Tierepos und Fabel. Ausgewählt und erl&utert von Professor Dr. Jnllus Sahr. Zweite, verbesserte und vermehrte Auflage. Neudruck. 159 Selten. 1920. (Samml. Göschen Bd. 38.) Geb. RM. 1.50 Handschriftenproben des 16. Jahrhunderts, nach StraQburger Originalen herausgegeben von Dr. Johannes Ficker, o. Professor an der Universität Halle, und Otto Wlnckelmann. Kleinfolio. 102 Tafeln In Lichtdruck mit Text. Band I . XV Selten Einleitung und Tafel 1—46: „Zur politischen Geschichte" mit Text. 1902. RM. 40.— Band I I . X I I I Seiten. Verzeichnisse, Register, Nachträge und Tafel 47—102: „Zur geistigen Geschichte" mit Text. 1905. RM. 50.— — Kleine Ausgabe. Kleinfolio. 35 Tafeln In Lichtdruck mit Transkription und biographischen Skizzen. I X Seiten. Vorwort, Übersicht, Abkürzungen, Nachträge und Berichtigungen. 1906. RM. 20.— Johann Fischart Ein Literaturblid aus der Zelt der Gegenreformation. Dargestellt von Dr. Adolf Hauffen, o. Professor a n der Universität Prag. Band I . Oktav. X , 290 Selten. 1921. Band n . Oktav. 429 Seiten. 1922. Zus. RM. 10.—, geb. 12.— Dat Leben dieses bedeutendsten und vielseitigsten Schriftstellers am Ausgang des IS. Jahrhundert» gibt zugleich ein Spiegelbild jener geistig reichbewegten Epoche. Thomas Murnert Deutsche Schriften mit den Holzschnitten der Erstdrucke. Herausgegeben unter Mitarbeit von Dr. G. Bebermeyer, a. o. Professor an der Universität Tübingen, Dr. E . Fuchs In Beuthcn, Dr. P. Merker, o. ö. Professor an der Universität Breslau, Geheimer Hofrat Dr. V. Michels, o. Professor an der Universität Jena, Dr. W . PfeifferBelli, Frankfurt a. M., und Dr. M. Spanier, Berlin, von Dr. Franz Schultz, o. Professor an der Universität Frankfurt a. M. Band I : a) Von den vier Ketzern. I m Druck. b) Badenlahrt. Herausgegeben von Geh. Hofrat Dr. Victor Michels, o. Professor an der Universität Jena. Oktav. XLIV, 269 Selten. 1927. R M . 20.— Band I I : Die NarrenbeschwBrung. Herausgegeben von Dr. Meier Spanler, Berlin. Mit einem Brief Murners In HandBchriftendruck. Oktav. X, 597 Selten. 1926. RM. 30.— Band I I I : Die Schelmenzunft. Herausgegeben von Dr. Meler Spanier, Berlin. Oktav. 228 Seiten. 1925. RM. 10.—
Werne zur
MSCMII
Soractiuiissenscnait und UMraeschichie GrundrIB der germanischen Philologie. unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter begründet von H e r m a n n Paul, well. o. Professor der deutschen Philologie a n der Universität München. Groß-Oktav. Der „GrundrIB der germanischen Philologie" h a t von der dritten Auflage a n einen U m b a u erfahren. S i e Darstellungen erscheinen Jede für sich In Einzel bänden. Der Ausbau des Grundrisses wird In nächster Zelt besonders gefördert werden. Abgezweigt von dem Paulschen GrundrIB Ist ein besonderer „GrundrIB der deutschen Literaturgeschichte", well die Darstellung der Literaturgeschichte bis zur Neuzelt fortgeführt werden soll (siehe Seite 16). Das gleiche gilt für einen besonderen „Grundriß der englischen Literaturgeschichte". — Von der neuen Auflage des Paulschen Grundrisses sind die folgenden Bände erschienen: 1 . 1 . e n t f l i c h t « der gotischen Sprache. Von M. H . Jellinek, a . o. Professor an der Universität Wien. I X , 209 Selten. 1926. HM. 1 0 — , geb. 12.— Der Band ist für den Studierenden und Forscher der germanischen Sprachwissenschaft unentbehrlich. 1 . 2 . Geschieht* der gotischen Literatur. Von Wilhelm Streitberg. 3. Aufl. In Bearbeitung, n . Urgermanlich. Vorgeschichte der altgermanischen Dialekte. Von Dr. Friedrich Kluge, weil. Professor a n der Universität Freiburg 1. B. X I , 289 Selten. 1913. E M . 6.—, geb. 8.— m . Geschichte der deutschen Sprache. Von Dr. Otto Behaghel, o. Professor a n der Universität Gießen. Mit 1 Karte. Fünfte, verbesserte und stark erweiterte Auflage. X X I X , 588 Seiten. 1928. E M . 18.—, geb. 20.— Behaghels in der neuen Auflage wesentlich erweiterte Geschichte gewinnt für die heutige Zeit, die die Sprachgeschichte gern als Bildungs• und Geistesgeschichte ansieht, ganz besondere Bedeutung. I V . Geschichte der nördlichen Sprachen, besonders in altnordischer Zeit. Von Adolf Noreen, ehem. Professor an der Universität Upsala. Dritte, vollständig umgearbeitete Auflage. 239 Seiten. 1913. KM. 5 — , geb. 7.— V. GrundrIB de« germanlichen Rechts. Von Dr. Karl von Amira, o. Professor a n der Universität München. Dritte, verbesserte und erweiterte Auflage. I, 302 Seiten. 1913. Ü.M. 5 — , geb. 7.— V I . Geschichte der englischen Sprache. I I . Historische Syntax. Von Dr. Eugen Einenkel. Dritte, verbesserte und erweiterte Auflage. X V I I I , 223 Seiten. 1916. KM. 6.—, geb. 8.— V I I . Geschichte der mlttelnlederdeutichan Literatur. Von Dr. Hermann Jelllnghaus. Dritte, verbesserte Auflage. V I I I , 00 Seiten. 1925. RM. 5.—, geb. 7.— V I I I . 1. Deutsche Verigeichlchta mit Einschluß des altenglischen u n d altnordischen Stabreimverses. Von Dr. Andreas Heusler, o. Professor a n der Universität Basel. Erster Band. Teil I und I I : Einführendes: Grundbegriffe der Verslehre; Der altgermanlsche Vers. V, 314 Seiten. 1925. KM. 18.—, geb.18.— Zweiter B a n d . Teil I I I : Der altdeutsche Vers, VIII, 351 Selten. 1927. RM. 1 6 — ,geb. 18.— Dritter Band. Teil IV und V : Der frühdeutschc Vers. Der neudeutsche Vers. V, 427 Selten. 1929. RM. 22.—, geb. 24.— In dem vorliegenden bahnbrechenden Werl, das für jeden Sprach- und Lileraturwissenichaftler unentbehrlich ist, wird die deutsche Metrik zum erstenmal in umfassender Weite von den Anfängen bis zur Gegenwart von dem berufensten Fachgelehrten behandelt. I X . Dia Germanen. Eine Einführung in die Geschichte ihrer Sprache u n d K u l t u r . Von Torsten E v e r t Karsten, a. o. Professor an der Universität Helslngfors. Mit 4 Tafeln u n d 8 Textabbildungen. X , 241 Selten. 1928. RM. 13.—, geb. 16.— Das vorliegende Wert bedeutet den ersten Versuch von nichtdeutscher Seite, Sprache und Kultur der gesamten germanischen Basse darzustellen, unter Einschluß auch ihrer numerisch finnländischen kleinsten und zivilieatorisch vielleicht rücketändigsten Splitter, wie die der und ostbaltiechen Schweden und ihrer Vorfahren, die es alt gleichberechtigte Teile der großen germanischen Sprach- und Kuttuncett einbezieht. X . Germanisch« Heldentage. Von Dr. phil. Hermann Schneider, o. Universitätsprofessor, Tübingen. I . Band. Einleitung: Ursprung und Wesen der Heldensage. I . Buch: Deutsche Heldensage. X , 443 Seiten. 1928. RM. 15.—, geb. 17.— I I . B a n d . I n Vorbereitung. Das Buch versucht die Entwicklung aller Sagenkreise ton den ältesten verlorenen Liedern der Vilkerwanderungszeit bis zu den hauptsächlich erhaltenen Denkmälern des späteren ilittelaUeri wiederzugewinnen und in einem Gesamtbilde zu erfassen.
Allgermanlscha Kulturproblem«. Von Boll Schröder, o. 6. Professor a n der Universität Würzburg. Oktav. VI, 151 Selten. 1929. (Trllbners Philologische Bibliothek, 11. Band.) BM. «.—, geb. 7.— Aus dem Inhalt: Jacob Grimm. Karl MüBenhoff und Sophus Bugge. Die germanische Völkerwanderung- Die Qoten. Die Kulturen am Schönnen Meer. Tierornamentik und StabreimdicMung. Die Runenschrift. Die Beruler. Die Germanen und Rom. Das Christentum. Die orientaiiechen Mysterienkulte. Gestirnkult. Zahlenmystik. Planetenkutt und Planetenwoche. Mithraslcult. Himmelweite der Seele. Die Weltsäule. Tmir. Der Manichäismus. Island und Helios. Qoethe. Germanische Sprachwissenschaft Von Dr. Elchard Loews. I . Einleitung und Lautlehre. Dritte Auflage. Neudruck. 96 Selten. 1922. (Sammlung Göschen Bd. 238.) Geb. BM. 1.50 I I . Formenlehre. Dritte Aullage. Neudruck. 101 Selten. 1924. (Sammlung Göschen Bd. 780.) Geb. BM. 1.50 Oeutsche Grammatik. Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. Von Wilhelm WUmanns, well. o. Professor der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Bonn. GroßOktav. I . Abteilung: Lautlehre. Dritte, verbesserte Auflage. X X I , 482 Selten. 1911. BM. 10.—, geb. 11.50 n . Abteilung: Wortbildung. Zweite Auflage. Anastatischer Neudruck. XVI, 671 Selten. 1922. EM. 15.—. geb. 16.50 I I I . Abteilung: Flexion. Erste und zweite Auflage. 1. Hälfte: Verbum. AnastatlscherNeudruck. X,315 Seiten. 1922. BM. 10.—,geb. 11.50 2. Hälfte: Nomen und Pronomen. V I I I Selten, Seite 317—772. 1909. BM. 10.—, geb. 11.50 Repetltorlum dar deutschen Sprache. I. Gotisch, Althochdeutsch, Altsächsisch. Von D r . Hermann Ammon. Oktav. 79 Seiten. 1922. (Wissenschaftliche Bepetltorien Bd. 8.) E M . —.50 AbrIB der deutschen Grammatik. Von Hans Schulz. Kletn-Oktav. Zweite Auflage. (Trllbners Philologische Bibliothek Bd. 1.) In Vorbereitung. Deutsche Grammatik. Von Professor Dr. Otto Lyon, well. Stadtschulrat in Dresden. Sechste, umgearbeitete Auflage, nnter Mitwirkung von Dr. Horst Kraemer herausgegeben von Dr. Walther Hofstaetter. 144 Seiten. 1928. (Sammlung Göschen Bd. 20.) Geb. BM. 1.50 Kurze historische Syntax der deutschen Sprache. Von Dr. Hans Naumann, o. Professor an der Universität Frankfurt. Kletn-Oktav. VI, 125 Selten. 1915. (Trilbners Philologische Bibliothek Bd. 2.) BM. 2 — Grundlagen der neuhochdeutschen Satzlehre. Ein Schulbuch für Lehrer. Von Bertnold Delbrück, o. Professor an der Universität J e n a . Oktav. V U t , 91 Seiten. 1920. E M . 1.— Das Buch behandelt ausgewähäe Stücke der deutschen Satzlehre (Begriff de» Satzes, Satzlehre, Grundbestandteile des Sattes, Wortbildung, Konjunktiv, Satzgefüge) vom psychologischen und geschichtlichen Standpunkt aus. Geschichte der deutschen Sprache. Von Dr. Hans Sperber. 132 Seiten. 1926. (Sammlung Göschen Bd. 915.) Geb. BM. 1.50 Der Verfasser aar bestrebt, die sprachlichen Tatsachen nicht isoliert darzustellen, sondern in ihrem Zusammenhang mit den wichtigsten Erscheinungen der Kultur- und Geistesgeschichte. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Von Dr. Friedrich Kluge, well. Professor an der Universität Freiburg 1. Br. Zehnte, verbesserte Auflage. GroB-Oktav. XVI, 558 Seiten. 1924. BM. 1 2 — , geb. 14.50 Durch immer erneute Umarbeitungen und Erweiterungen ist das Lexikon im Verlauf von mehreren Jahrzehnten zu einem Standardwerk nicht nur für die Germanistik sondern für das deutsche Geistesleben überhaupt geworden. Wörterbuch nach der neuen deutschen Rechtschreibung. Von Dr. Heinrich Klenz. Dritter Neudruck. 268 Selten. 1923. (Sammlung Göschen Bd. 200.) Geb. B M . 1.50 Deutsches Fremdwirterbuch. Von Hans Schulz. Lexikon-Oktav. Band I : A—K. X X m , 41« Seiten. 1910/13. BM. 14.—, Band n . Fortgeführt von Dr. Otto Basler. 1. Lieferung: L—M. 168 Selten. 1926. 2. Lieferung: N—P. Seite 169—280. 1928. Hier wird nach den Grundsätzen moderner Wortforschung für jedes Fremdwort und Zeit seiner Entstehung ermittelt und seine Entwicklung dargelegt.
geb. 16.— B M . 6.80 B M . 6.— die Quelle
Deutsches Fremdwörterbuch. Von Dr. Budolf Kletnpaul. Zweite, verbesserte Auflage. Neudruck. 171 Selten. 1920. (Sammlung Göschen Bd. 273.) Geb. B M . 1.50 Der Band enthält u . a. überzeugende sprachliche Ableitungen der wichtigsten in den allgemeinen Gebrauch übergegangenen Fremdwörter.
Deutsche Wortkunde. Eine Knitargeschichte des deutschen Wortschatzes. Von D r . Alired Schirmer. 111 Selten. 1926. (Sammlung Göschen B d . 929.) Geb. E M . 1.50
Inhalt: Wortforschung als Kulturgeschichte. Entstehung des Wortes. Urschipfung und Ableitung. Bedeutungswandel, Entlehnung. Mundart. Hochsprache, Umgangssprache usw. Geschichtliche Entwicklung von der Urzeit bis zur Gegenwart.
Dia deutschen Personennamen. Ihre Entstehung und Bedeutung. Von Dr. Rudolf Klelnpaul. Zweite, • e r m e h r t e a n d verbessert« Auflage, neubearbeitet von Dr. H a n s N a u m a n n , o. Professor a n der Universität F r a n k f u r t . 127 Selten. 1921. (Sammlung Göschen B d . 422.) Geb. B M . 1.50
Der Sand, ein wertvoller Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte, behandelt Kleinkinderturnen, Taufnamen unterer heidnischen Vorfahren, Christen-, Toter- und Familiennamen.
Die Ortsnamen Im Deutschen. I h r e Entwicklung und Ihre H e r k u n f t . Von [Dr. Budolf Kleinpaul. Zweite, verbesserte u n d vermehrte Auflage. 112 Selten. 1919. (Sammlung Göschen B d . 573.) Geh. B M . 1.50
Der Verfasser zeigt, wie das tarne menschliehe Leben, Pflanzen- und Tierwelt an der Bildung unserer Ortsnamen mitgewirkt hat, die in ihrer Vielseitigkeit ein bis ins kleinste genauer Spiegel der deutschen Geschichte sind.
Linder- und VBIkernamen. Von Dr. Budolf Kleinpaul. Zweite, verbesserte u n d vermehrte Auflage. 139 Selten. 1919. (Sammlung Göschen B d . 478.) Geb. E M . 1.50
Der kulturgeschichtlich und folkloristisch interessante Band ist für den Historiker und Geographen besonders wertvoll.
Deutsche Redelehre. Von Hans Probst, S e k t o r des Gymnasiums In Ansbach. Dritte, verbesserte Auflage. Neudruck. ISO Selten. 1920. (Sammlung Göschen Bd. Ol.) Geb. BM. 1.50
Der Band faßt alles Wesentliche über Stilistik, die Lehre vom Ausdruck, und über Rhetorik, die Lehre vom Inhalt des Gesprochenen, zusammen. Deutsche Uuttafel. Von Paul Menzerath. 73 X 143 cm. Auf Karton gedruckt, m i t Stäben, Ösen und Bandern versehen. K U . 8.—, auf Leinen gezogen 12.50 Beiheft dazu. Mit kleiner Lauttafel. Oktav. 11 Seiten. 1928. BM. —.75 Kleine Lauttafel, einzeln (nur von 10 Exemplaren ab) J e BM. — . 2 0
Die Tafel entspricht dem neuesten Stand der Lautforschung. Sie läßt den Zusammenhang der Laute nach Art und Stelle ihrer Bildung deutlich hervortreten. Systematisch geordnete Beispiele geben sämtliche orthographischen Varianten der Einzellaute wieder.
Die deutschen Mundarten. Von Professor Dr. H a n s Reis, Oberlehrer In Mainz. Zweite, umgearbeitete Auflage. 142 Seiten. 1920. (Sammlung Göschen B d . 605.) Geb. BM. 1.50
Ober Wesen der Mundart und die Ursachen der mundartlichen Veränderungen, die Einteilung der deutschen Mundarten sowie ihre Laute und Formen. Den Schluß bildet ein reichhaltiges Wörterverzeichnis.
Die deutsche Mundartdichtuno. Ausgewählt und erläutert von Professor Dr. Hans Bcls, Oberlehrer in Mainz. 141 Selten. 1915. (Sammlung Göschen B d . 753.) Geb. BM. 1.50
Eine Austcahl von Proben aus zwanzig Mundartgruppen. Viebig, Xiebergall, Hebel, Rosegger und Koschat vertreten.
U. a. sind Groth, Reuter,
Die plattdeutschen Mundarten. Von Dr. Hubert Grimme, Professor in Münster 1. W . Zweite Auflage. 160 Seiten. 1922. (Sammlung Göschen B d . 461.) Geb. BM. 1.50
Der Band fährt in die vier wichtigsten Dialekte (Assinghausen, Ostbevern, Heide, Sturenhagen) ein und bringt das Hauptsächliche der Laut- und Formenlehre, der Wortbildung, der Syntax und des Wortschatzes. Deutsche Poetik. Von Dr. Karl Borinskl, Professor an der Universität München. Vierte, verbesserte Auflage. Neudruck. 165 Selten. 1920. (Sammlung Göschen B d . 40.) Geb. B M . 1.50
Der Verfasser behandelt die Dichtung als Gabe und Kunst, den dichterischen Stü, seine Mittel und Gattungen.
Reallexikon der deutschen Llteraturoeschlchte. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter herausgegeben von Dr. Paul Merker, o. ö. Professor an der Universität Breslau, u n d D r . Wolfgang Stammler, o. ö. Professor a n der Universität Greifswald. Erscheint in etwa 20 Lieferungen. Band I : Abenteurerroman—Hyperbel. Lexikon-Oktav. 593 Selten. 1926. B M . 32.—, in Halbleder 41.— Band I I : J a m b u s — Q u a t r a i n . Lexikon-Oktav. IV, 754 Selten. 1926/28. BM. 40.—, In Halbleder 49.— Band i n (SchluQband u n d Register). Erscheint In etwa 8 Lieferungen zu Je B M . 4.—.
Da* Kennzeichnende für das Werk ist, daß es sich auf die formale und sachlich» Seit» der Literaturgeschichte, die Realien derselben beschränkt und die Dichtung als Leistung und Ausdruck eines schöpferischen Individuums nur insoweit berücksichtigt, als et unbedingt erforderlich ist.
GrundrIB dtr deutschen Literaturgeschichte. I. Geschieht« der deutschen Literatur bis zur Mitte dee elften Jahrhunderts. Von Wolf von Unwerth und Dr. Theodor Siebs, o. Professor an der Universität Breslau. Oktav. X I , 280 Selten. 1920. EM. 6.—, geb. 8.50 Die Darstellung tritt an die einzelnen Denkmäler mit einteilender spraehgeschichUicher und literarhistorischer Analyse heran und berücksichtigt jedesmal die gesamte einschlägige Literalm. I I . Geschichte der mittelhochdeutschen Literatur. 1. Teil: FrUhmittelhochdeutsche Zelt. Blütezeit I : Das hfifiscbe Epos bis auf Gottfried von StraBburg. Von Dr. Friedrich Vogt, o. Professor an der Universität Marburg. Dritte, umgearbeitete Auflage. Oktav. X, 383 Selten. 1922. EM. 5 — , geb. 8.— Geistliche und weltliche Dichtung von 1060 bis um 1180. Heinrich von Veldeke und das mitteldeutsche Kunstepoä. Der Artusroman und Hartmann von Aue. Wolfram von Eschenbach und der Oral. Gottfried von StraBburg. 2. und 3. Teil sowie die folgenden in Vorbereitung. Geschichte der deutschen Literatur. I . Von der ältesten Zeit bis 1748. Von Dr. MUT Koch, o. ö. Professor an der Universität Breslau. Neunte, neubearbeitete und erweiterte Auflage. 170 Selten. 1920. (Sammlung Göschen Bd. 31.) Geb. EM. 1.50 I I . Von Klopstock bis zum Ausgang der Romantik. Von Dr. Friedrich Eainz, Privatdozent an der Universität Wien. 148 Seiten. 1929. (Sammlung Göschen Bd. 783.) Geb. E M . 1.50 I I I . Von Goethes Tod bis zur Gegenwart. Von Dr. Friedrich Kalnz, Privatdozent an der Universität Wien. 138 Selten. 1928. (Sammlung Göschen Bd. 1004.) Geb. EM. 1.50 und Die Bände vermitteln einen läßlichen Überblick über die Hauptentwicklungslinien das wichtigste historische Tatsachenmaterial der deutschen Literatur. Der Schilderung jeder Epoche ist eine kurze Wesensschau vorausgeschickt, die ihre konstitutiven Züge hervorhebt, ihre stilistischen Gemeinsamkeiten, ihr Lebensgefühl und Kunstwollen charakterisiert. Geschichte der deutschen Lyrik. Von Dr. Eichard Findels, Professor in Wien. 1914. I . 151 Selten. (Sammlung Göschen Bd. 737.) Geb. EM. 1.50 I I . 120 Seiten. (Sammlung Göschen Bd. 738.) Geb. E M . 1.50 Der erste Teil umfaßt die deutsche Lyrik von der indogermanischen Frühzeit bis zur Romantik, der zweite Teil führt bis in die jüngste Gegenwart hinauf. Das deutsche Kirchenlied In seinen charakteristischen Erscheinungen. Ausgewählt von Dr. Friedrich Spitta, o. Professor an der Universität Tübingen. I . Mittelalter und Eeformatlonszeit. 141 Seiten. 1912. (Sammlung Göschen Bd. 802.) Geb. E M . 1.50 Aus dem Inhalt: Mittelatter. Martin Luther. Zwingli. Agricola. Blaurer. Zwick. Konrad Hubert. Capito. Vogtherr. Leo Jud. M. Weiße. Niederdeutsche Meßgesänge. B. Waldis. Albrecht von Preußen. Die Markgrafenlieder. Geschichte des deutschen Romans. Von Dr. Walther Eehm. I . Vom Mittelalter bis zum Eealismus. Auf Grund der Mlelkeschen Darstellung neubearbeitet. 176 Selten. 1927. (Sammlung Göschen Bd. 229.) Geb. E M . 1.50 I I . Vom Naturallsmus bis zur Gegenwart. 104 Selten. 1927. (Sammlung Göschen Bd. 958.) Geb. E M . 1.50 Die beiden nach Ideen geordneten Bände bedeuten einen nichtigen Beitrag zur kritischen Erfassung der deutschen, vor allem der gegenwärtigen Bomanliteratur. Repetltorlum der deutschen Literaturgeschichte. I . Von den Anfängen bis Luther. Von Dr. Hermann Ammon. Oktav, 131 Selten. 1922. (Wissenschaftliche Eepetitorlen Bd. 9.) E M . —.50 Stoff- und Motivgeschichte der deutschen Literatur. Hrsg. von P . Merker und G. Lildtke. Gr. 8«. 1. Die Jungfrau von Orleans in der Dichtung. Von Wilhelm Grenzmann. V I I I . 74 Selten. 1929. EM. 4 — 2. Tristan und Isolde. Von Wolfgang Golther. VI, 72 Selten. 1929. E M . 4.— 3. Julianus Apostata. Von K . Philipp. IV, 78 Seiten. 1929. E M . 5.— Das vorliegende Unternehmen beabsichtigt nicht eine zweck- und sinnlose Sammlung und Aneinanderreihung bloßer Inhaltsangaben von Werken mit gleichem Sto ff geholt. Vielmehr wird es zwar tn der Materie von stofflichen Gesichtspunkten erfüllt sein, in der Durchführung aber durchaus einen soziologischen und geistesgeschichtliehen Generalnenner tragen. Die behandelten und ausgewerteten Dichtungsinhalte sollen als Exponenten der jeweiligen Kulturstimmung und Stilrichtung erscheinen und Bausteine zur Geschichte des geistigen Lebens und der seelischen Entwicklung des deutschen Volkes bilden. Althochdeutsche Grammatik. Von Dr. H . Naumann, o. Professor an der Universität F r a n k f u r t . Zweite Auflage. 159 Selten. 1922. (Sammlung Göschen Bd. 727.) Geb. E M . 1.50 Den Bauptteil des Buches bildet die Rekonstruktion der westgermanischen Gemeinsprache, die vor unserer literarischen Überlieferung liegt. Dadurch besitzt der Band selbständigen Wert neben anderen Hillsbüchern.
Band IV: DI« Mühl« von Schwindallhelm und Gradt Müllerin Jahrzalt. Herausgegeben von Dr. Gustav Bebermeyer, a. o. Professor an der Universität Tübingen. Oktav. VIII, 205 Seiten. 1923. RM. 6 — Band V: Ole GeuchmatL Im Druck. Band VI: Klalna Schriften. (Prosaschriften gegen die Reformation.) Herausgegeben von Dr. Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a. M. Erster Teil: Ein christliche vnd brlederllche ermanung. Von Doctor Martlnus luters leren und predigen. Oktav. VHI, 200 Selten. 1927. RM. 10.— Band VII: Zweiter Teil: Von dam babstanthum. An dan GroBmechtlgatan und DurchlOchtlgitan adal tatscher natlon. Oktav. VI, 174 Selten. 1928. RM. 9.— Band VIII: Dritter Teil: Wla doctor M. Lutar uB falichan unachan bawagt Daa galatllch rächt varbrannat hat uaw. Oktav. III, 192 Selten. 1928. RM. 12.— Band I X : Von dam groBan Lutharltchan Harran. Heransgegeben von Dr. Paul Merker, o. S. Professor an der Universität Breslau. Oktav. XI, 127 Seiten. 1918. RM. 10.—, geb. 11.— (Kritüche OetamlautQaben eXtäesischer Schriftsteller de$ Mittelalter» und der Relormatum»teit, verölfenUieU vom WittewchajUichen Institut der EUaß-Lothringer im Reith an der Univenüät Franktun.) Ecbatia captlvl, das Mteste Tierepos des Mittelalters. Herausgegeben von Emst Voigt. X , 105 Selten. 1875. (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 8.) 4.— Dar Marnar. Herausgegeben von Philipp Strauch. 188 Selten. 1876. (Quellen u. Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 14.) 4.— Ellhart von Obarga. Zum erstenmal herausgegeben von Franz Lichtenstein. CCV, 475 Selten. 1878. (Quellen u. Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 19.) RM. 14.— Dia Handichrlftan und Ouallan Wllllrama dautschar Paraphraaa daa Hohen Liedes. Untersucht von Josef Seemllller. VIII, 117 Selten. 1877. (Quellen u. Forschungen zur Sprachund Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 24.) RM. 2.50 Wllllrama dautacha Paraphrase da* Hohenliedes. Mit Einleitung und Glossar herausgegeben von Josef Seemaller. XIV, 147 Selten. 1878. (Quellen u. Forschungen zur Sprachund Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 28.) RM. 3.— Kleinere lateinliche Dankmtler dar Tiarsaga aus dem XII. bis XIV. Jahrhundert. Herausgegeben von E. Voigt. VII, 156 Selten. 1878. (Quellen und Forschungen zur Sprachund Kulturgeschichte der germanischen Völker. Heft 25.) RM. 4.50 Ulrichs von Hutten Deutsche Schriften. Untersuchungen nebst einer Nachlese. Von S. Szamatolskl. IX, 180 Seiten. 1891. (Quellen u. Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 67.) RM. 4.— Studien Ober das dautacha Volksbuch Luddarlut und seine Bearbeitungen In fremden Sprachen. Von Karl Schorbach. XI, 277 Selten. 1894. (Quellen und Forschungen zur Sprachund Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 74.) RM. 6.50 Lydgataa Fabula duorum marcatorum. Aus dem Nachlasse von J. Zupitza, nach sämtlichen Handschriften herausgegeben von Gustav Schlclch. VIII, CXI, 154 Selten, 1897. (Quellen u. Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 83.) RM. 0.50 Dia Verfasser dar Eplstolae obscurorum vlrorum. Von Waither Brecht. XXV, 383 Selten. 1904. (Quellen u. Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 93.) RM. 10 — Heinrich Stelnhüwela Verdeutschung der Hlstorla Hlerosolymltana des Robertus Monachus. Von Friedrich Kraft. XII, 200 Seiten. 1905. (Quellen u. Forschungen zur Sprachund Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 96.) RM. 5.— Simon Lamnlua. Ein Humanlstenleben. Von Paul Merker. VII, 106 Selten. 1909. (Quellen u. Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 104.) RM. 3.— Notkers Boathlus. Untersuchungen Ober Quellen und Stil. Von Hans Naumann. Oktav. X, 116 Selten. 1913. (Quellen u. Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 121.) RM. 4.— Dautschar und antiker Vers. Der falsche Spondeus und angrenzende Fragen. Untersucht von Andreas Heusler. Oktav. VII, 185 Selten. 1917. (Quellen n. Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, Heft 123.) RM. 6.50
Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen Herausgegeben von H a n s L i e t z m a n n (Auswahl) Mittelalter. 54 Kleinere geistliche Gedichte de* XII. Jahrhunderte. Hrsg. von A. Lei tz mann. 30 S. 1010. Vergriffen. Ol Scholastische Texte I : Thomas von Aquln, Texte zum Gottes beweis. Aasgew. n . chron. geordn. von E . Krebs. 2. Aufl. 64 S. 1912. 2.— Mystiker. 65 Meister Eckharts Buch der göttlichen Tristung und von dem edlen Menschen (llber beDedictus). Hrsg. von P h . Btranch. 2. Aufl. 61 S. 1922. BM. 1.70 117 Meister Eckharts Reden der Unterscheidung. Anastatischer Neudruck 1925. 96 Der Francktorter (,.eyn deutsch theologU"). Anastatlscber Neudruck 1926.
Hrsg. von E . Dlederichs. 45 S. EM. 1.40 Hrsg. von W. Chi.
64 S. 1912. BM. 2.—
123 Hugo von St. Victor, Sollloqulum de arrha anlmae and de vanltate mundl. Hrsg. von E . Müller. 61 S. 1913. BM. 1.65 127 Ausgewählte Predigten Johann Taulers.
Hrsg. von L. Naumann.
62 S. 1914. BM. 2.—
Reformationszeit. 101 Frflhneuhochdeutsches Glossar. Von Alired Götze. 3. Aufl. Wörterbuch zu Luther und leinen Zeügenotsen. 21 Die Wittenberger und Lelsnlger Kastenordnung. 1522/1523. Hrsg. von H . Lietzmann. 24 8. 1907. BM. —.75 24/25 Martin Luthers geistliche Lieder. Hrsg. von A. Leltzmann. 31 8. 1907. EM. 1.— 36 Liturgische Texte. I V : Martin Luthers Von Ordnung gottesdlensts, TaafbDchlein, Formula mlssae et communlonls 1523. Hrsg. von H . Lietzmann. 24 S. 1909. BM. —.75 37 Liturgische Texte. V: Martin Luthers Deutsche Messe 1526. Hrsg, von H . Lietzmann. 16 8. 1909. BM. —.50 109 Luthers Kielner Katechismus, der deutsche t e i t In Beiner geschichtlichen entwicklung. Von J . Meyer. 32 8. 1912. EM. 1.— 142 Martin Luthers 95 Thesen nebst dem Sermon von AblaO a n d Gnade 1517. Hrsg. von O. Clemen. 34 8. 1917. BM. —.50 60/51 Urkunden zur Geschichte des Bauernkrieges und der Wiedertäufer. Hrsg. von H . Böhmer. 2. Aufl. 36 S. 1921. BM. 1.10 74 Andreas Karlstadt von Abtuhung der Bilder und das keyn bedtler vnther den Christen seyn sollen 1522, und die Wittenberger beutelordnung. Hrsg. von H . Lietzmann. 32 8. 1911. BM. 1.— 86 Alte Einblattdrucke.
Hrsg. von Otto Clemen.
77 S.
1911.
EM. 2.50
99 Authentische Berichte Uber Luthera letzte Lebensstunden. Hrsg. von Dr. J . Strieder. 42 8. 1912. BM. 1.25 106 Das niederdeutsche Neue Testament nach Emsers Übersetzung, Rostock 1530. Eine Auswahl aus den Lemgoer Bruchstücken. Mit einer Einleitung hisg. von E . Welßbrodt. 32 8. 1912. BM. 1.—
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Walter
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