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German Pages 356 Year 2009
Die Handlungsfreiheit des Unternehmers – Wirtschaftliche Perspektiven, strafrechtliche und ethische Schranken ILFS
Institute for Law and Finance Series
Edited by
Theodor Baums Andreas Cahn
De Gruyter Recht • Berlin
Die Handlungsfreiheit des Unternehmers – Wirtschaftliche Perspektiven, strafrechtliche und ethische Schranken
Herausgegeben von
Eberhard Kempf Klaus Lüderssen Klaus Volk
De Gruyter Recht • Berlin
Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN 978-3-89949-631-4 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Copyright 2009 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin Datenkonvertierung: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany
Vorwort Die in diesem Band gesammelten Beiträge sind aus dem Symposion hervorgegangen, das am 6. und 7. November 2008 im Institute for Law and Finance an der Universität Frankfurt am Main stattgefunden hat. Mit dem Thema „Die Handlungsfreiheit des Unternehmers, wirtschaftliche Perspektiven, strafrechtliche Grenzen und ethische Schranken“ sind Zusammenhänge bezeichnet, die in den gegenwärtigen, durch die Finanzkrise zugespitzten Diskussionen über das Wirtschaftsstrafrecht zwar allen Beteiligten mehr oder weniger präsent sind; aber es fehlt eine systematische und interdisziplinäre Verarbeitung. Das Symposion will insoweit einen Anfang machen. Bei den ökonomisch-rechtspolitischen Zerreißproben, denen es sich damit aussetzt, sollte es nicht bleiben. In den divergierenden Perspektiven werden, spricht man nur gründlich genug miteinander, vielleicht doch viele Interessen sichtbar, auf deren verantwortliche Wahrnehmung man sich einigen könnte. Was im einzelnen mit dem Symposion geplant war, wird in den einführenden Vorträgen dargelegt, und einen ersten Eindruck davon, was in den zwei Tagen realisiert worden ist, liefert der Diskussionsbericht. Wir sind dem Institute for Law and Finance und seinen Mitarbeitern, insbesondere Frau Dr. Raphaela Henze und Frau Christine Hagenbring dankbar für die lebhafte und umsichtig-engagierte Hilfe bei der Vorbereitung und Organisation des Symposions. Den Professoren Baums und Cahn danken wir herzlich für die Aufnahme des Sammelbandes in die von ihnen herausgegebene Institute for Law and Finance Series. Die Herausgeber
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Autoren und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einführung Corporate Governance und Strafrecht – einleitende Gedanken aus der Sicht eines Gesellschaftsrechtlers Andreas Cahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wie kam es dazu, was wollen wir? Klaus Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Aspekte eines Unternehmers Ulrich Hermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wirtschaftsstrafrecht im Spannungsfeld der kommunalen Beteiligungen Petra Roth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Soziale Marktwirtschaft, Finanzmarktkrise und Wirtschaftsstrafrecht Klaus Lüderssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität Die Basis des Wirtschaftsstrafrechts Winfried Hassemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts durch die Grundsätze der ultima ratio, der Bestimmtheit der Tatbestände, des Schuldgrundsatzes, der Akzessorietät und der Subsidiarität Rainer Hamm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts durch die Rechtsgutslehre, sowie die Grundsätze der ultima ratio, der Bestimmtheit der Tatbestände, des Schuldgrundsatzes, der Akzessorietät und der Subsidiarität Cornelius Prittwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie – Über die Erstarrung der deutschen Kriminologie zwischen atypischem Moralunternehmertum und Bedarfswissenschaft – Hendrik Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ökonomische Folgen verfehlter Kriminalisierung Cornelius Nestler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bemerkungen zur Rolle des Strafrechts aus finanzökonomischer Sicht Reinhard H. Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Das Unternehmensinteresse zwischen Recht, Ökonomie und Ethik Franz Salditt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zwischenbilanz Wirtschaftspolitischer Kommentar Wolfgang Clement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Alternativen zum Wirtschaftsstrafrecht Verwaltungsrechtliche Alternativen zum Wirtschaftsstrafrecht Dirk Uwer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Korruptionsprävention: Wie aktiviert man die Selbstheilungskräfte des Marktes? Ingo Pies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Selbstregulierungskompetenz versus justizielle Auslegungskompetenz Wolf Schiller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Der Preis: Zu breite, intensive und schlecht überprüfbare Kontrolle? Das Strafrecht die liberalere Lösung? Martin Böse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kosten und Nutzen des Wirtschaftsstrafrechts Thomas C. Knierim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ausblick Zwischen Wettbewerb und Ethik – Die deutsche Corporate Governance Klaus-Peter Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Diskussionsbericht Kriminalpolitische Optionen Cornelius Trendelenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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Folgerungen Regulierung, Selbstregulierung und Wirtschaftsstrafrecht. Versuch einer interdisziplinären Systematisierung Klaus Lüderssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Liste der Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Autoren und Herausgeber Prof. Dr. jur. Martin Böse, Universität Bonn Cheruskerstr. 2, 53175 Bonn Geb. 1969 in Lübeck, 1988–1993 Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen und Leuven (Belgien), 1993–1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Dr. Manfred Maiwald an der Juristischen Fakultät der Georg-AugustUniversität zu Göttingen,1996 Promotion (Thema der Dissertation: „Strafen und Sanktionen im europäischen Gemeinschaftsrecht“), 1995–1997 Juristischer Vorbereitungsdienst in Berlin, Rom und Potsdam; 1997 Zweites juristisches Staatsexamen, 1998–2004 Wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Dr. Knut Amelung an der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden, Ende 2003 Habilitation an der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden (Thema der Habilitationsschrift: „Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung. Die verfahrensübergreifende Verwendung von Informationen und die Grund- und Verfahrensrechte des Einzelnen“), seit Ende 2004 Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht sowie Internationales und Europäisches Strafrecht an der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn. Forschungsschwerpunkt: Internationales und Europäisches Strafrecht. Prof. Dr. jur. Andreas Cahn, Institute for Law and Finance, Frankfurt am Main Andreas Cahn hat Rechtswissenschaft an der Johann Wolfgang GoetheUniversität in Frankfurt a. M. und an der University of California at Berkeley studiert, wo er den Grad eines Master of Laws (LL.M.) erworben hat. Während des Referendariats und nach der zweiten juristischen Staatsprüfung war er in der Rechtsabteilung einer Bank tätig. Anschließend war er für sechs Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Dr. H.-J. Mertens an der Universität Frankfurt. Während dieser Zeit verfasste er seine Dissertation zum Thema „Vergleichsverbote im Gesellschaftsrecht“ und seine Habilitationsschrift mit dem Titel „Kapitalerhaltung im Konzern“. Von 1996 bis 2002 war er Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht an der Universität Mannheim. Er erhielt weitere Rufe an die Universitäten Würzburg und Osnabrück. Seit 2002 ist er geschäftsführender Direktor des Institute for Law and Finance an der Universität Frankfurt. Seine gegenwärtigen Arbeitsschwerpunkte liegen im Aktien-
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und Konzernrecht, im Recht der Unternehmensfinanzierung, dem Kapitalmarktrecht und der Rechtsvergleichung. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Der Konzern“ und der Institute for Law and Finance Series sowie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Zeitschrift „European Company Law“. Dr. h.c. Wolfgang Clement, Bundeswirtschaftsminister a. D. Am Hof 26, 53113 Bonn Seit der Gründung im Oktober 2006 Vorsitzender des Adecco Institute, London. Von 1998 bis 2002 Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, und von 2002 bis 2005 Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit. Nach dem Abitur, einem Zeitungsvolontariat, dem Studium der Rechtswissenschaften und einer Assistenz am Institut für Prozessrecht an der Universität Marburg war Clement ab 1968 zunächst politischer Redakteur, später Ressortleiter für Politik, und schließlich stellvertretender Chefredakteur der „Westfälischen Rundschau“ in Dortmund. Von 1986 bis 1989 war er Chefredakteur der „Hamburger Morgenpost“. 1997 wurde ihm vom Fachbereich Elektrotechnik der Fernunsiversität/ Gesamthochschule Hagen die Ehrendoktorwürde (Dr. ing. e.h.) verliehen. 2004 erhielt er die Ehrendoktorwürde (Dr. jur. h.c.) von der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1970 ist Wolfgang Clement Mitglied der SPD. Von 1981 bis 1986 war er Sprecher des Bundesvorstandes, und von 1985 bis 1986 zugleich stellvertretender Bundesgeschäftsführer der SPD. 1989 berief ihn der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau zum Chef der Staatskanzlei, ab 1990 bekleidere er dieses Amt im Range eines Ministers für besondere Aufgaben: Nach der Landtagswahl 1995 gehörte er dem Rabinett Rau als Minister für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr an. Wolfgang Clement ist Mitglied verschiedener Beiräte und Aufsichtsräte nationaler und internationaler Unternehmen. Prof. Dr. jur. Rainer Hamm, Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Rainer Hamm wurde am 24. 2. 1943 in Kusel/Pfalz geboren. 1964 bis 1968 studierte er Rechtswissenschaften in Saarbrücken, Berlin und Frankfurt a. M.
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1972 promovierte er in Berlin bei Prof. Dr. Ernst Heinitz zum Thema: „Der gesetzliche Richter und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit.“ Rainer Hamm hat 1979 zusammen mit dem früheren Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Werner Sarstedt die Anwaltspraxis HammPartner gegründet, nachdem er von 1972 bis 1973 bei den Rechtsanwälten Redeker, Dahs, Schön und Sellner in Bonn und von 1973 bis 1979 bei dem Frankfurter Strafverteidiger Erich Schmidt-Leichner tätig war. Seit 1991 ist er Honorarprofessor für Strafprozessrecht an der JohannWolfgang-Goethe Universität in Frankfurt am Main. Im Sommersemester 2008 hielt Prof. Hamm in Kooperation mit Prof. Dr. Peter Alexis Albrecht die Vorlesung Strafrecht IV (Strafprozessrecht) und mit Prof. Dr. Cornelius Prittwitz und Dr. Christoph Krehl ein Blockseminar zum Thema Strafrecht und Verfassung. Durch zahlreiche Veröffentlichungen ist Hamm der Fachwelt bekannt; seit 1987 ist er zudem Mitherausgeber der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ (NJW). Unter seinen Buchveröffentlichungen sind besonders zu erwähnen das Standardwerk „Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen“ (in 6. Auflage 1998 bei De Gruyter De Gruyter in Berlin erschienen, 7. Auflage für 2009 in Vorbereitung) sowie das von ihm mit herausgegebene und mit verfasste „Beck’sche Formularbuch für den Strafverteidiger“ (in 4. Auflage 2001 bei C. H. Beck in München erschienen, 5. Auflage in Vorbereitung). Zu seinem 65. Geburtstag am 24. 2. 2008 ist bei De Gruyter eine von seinen Sozien herausgegebene Festschrift erschienen. Von 1996 bis zum 30. 6. 1999 war Rainer Hamm neben dem Beruf des Rechtsanwalts Hessischer Datenschutzbeauftragter. Als Referent im Deutsche Strafverteidiger e. V. ist er seit 1990 tätig. Im Deutschen AnwaltVerein gehört er dem Strafrechtsausschuss, dem Informationsrechtsausschuss und dem Ausschuss für Gefahrenabwehrrecht an. Prof. Dr. jur. Dr. h.c. mult. Winfried Hassemer, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts a. D.; Universität Frankfurt am Main Blanchardstr. 14, 60487 Frankfurt am Main Geb. am 17. Februar 1940 in Gau-Algesheim/Rhein. 1959 bis 1963 Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg, Genf und Saarbrücken. 1964 bis 1969 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Rechts- und Sozialphilosophie der Universität des Saarlandes. 1967 Promotion zum Dr. jur., 1970 Assessor-
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examen. Ab 1970 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Rechtsphilosophie der Universität München. 1972 Habilitation für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie in München. Seit 1973 Professor für Rechtstheorie, Rechtssoziologie, Strafrecht und Strafverfahrensrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt am Main. Berufungen nach Bielefeld (Nachfolge Werner Maihofer) und München (Nachfolge Arthur Kaufmann); beide abgelehnt. Langjähriges Vorstandsmitglied in der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie sowie in der Vereinigung für Rechtssoziologie; Senator der Max-Planck-Gesellschaft. 1991 bis 1996 Hessischer Datenschutzbeauftragter. 1996–2008 Richter des Bundesverfassungsgerichts (Zweiter Senat). Von 2002 bis Frühjahr 2008 Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des Zweiten Senats. 1998 Dr. jur. h.c. der Aristoteles-Universität Thessaloniki, 2001 der Bundesuniversität Rio de Janeiro, 2004 der Universität Lusíada Lissabon, 2005 der Universität Pablo de Olavide Sevilla 2001 Protagonista della Cultura Giuridica Europea der Universität Florenz 2005 Honorarprofessor der Renmin University of China, 2008 des Instituto Nacional des Ciencias Penales, Mexico. 2008 Emeritierung. 2008 Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland Dr. Ulrich Hermann, Geschäftsführer Wolters Kluwer Deutschland GmbH., Luxemburger Str. 449, 50939 Köln Studium Maschinenbau an der RWTH Aachen mit einem einjährigen Studienaufenthalt am Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.) in Cambridge. 1996 promovierte er an der Universität St. Gallen (HSG). Nach einer Assistenz im für den Bereich Fachinformation zuständigen Konzernvorstand der Bertelsmann AG wurde er 1998 Geschäftsführer für die Schweizer Gesellschaften der Bertelsmann Fachinformation GmbH, im Bereich Verkehr und Medizin. 1999 bis 2001 folgte eine Tätigkeit als Bereichsleiter International der Bertelsmann Springer Science+Business Media GmbH. Nach seiner Mitgliedschaft in der Geschäftsführung der Süddeutscher Verlag Hüthig Fachinformationen GmbH (2002) wurde er 2003 Bereichsleiter Medizin der Süddeutschen Verlags GmbH und Geschäftsführer der Medical Tribune International b. V.
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Seit 2005 ist Dr. Hermann Vorsitzender der Geschäftsführung Wolters Kluwer Germany Holding GmbH und Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Als Mitglied des Direktoriums des Instituts für Industriekommunikation und Fachmedien (IIF) an der RWTH Aachen widmet sich Ulrich Hermann dem Bereich der Fachmedien auch aus wissenschaftlicher Perspektive.
Rechtsanwalt Eberhard Kempf, Siesmayerstr. 58, 60323 Frankfurt am Main Rechtsanwalt, Jahrgang 1943, geb. in Lahr/Schwarzwald, Studium in Heidelberg, Berlin, Freiburg und Paris. Rechtsanwalt seit 1971, seit 1977 in Frankfurt am Main. Eberhard Kempf ist seit 1990 Mitglied und war von 1996 bis 2005 Vorsitzender des Strafrechtsausschusses des Deutschen AnwaltVereins und ständiger Gast des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Er hat eine umfangreiche Veröffentlichungs- und Vortragspraxis und ist mehrfach als Sachverständiger durch den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages gehört worden. Eberhard Kempf war aktiv an der Gründung des Barreau Pénal International/International Criminal Bar beteiligt, einer Vereinigung der Rechtsanwälte am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Er war von 2003 bis 2005 Vizepräsident und von 2005 bis 2007 Präsident des ICB.
Rechtsanwalt Thomas C. Knierim, Wallstraße 1, 55122 Mainz Der gelernte Bankkaufmann war zunächst als Koblenzer Staatsanwalt für die Bekämpfung von wirtschaftskriminellen Verhaltensweisen zuständig, und wechselte 1991 in die Strafverteidigung und die strafrechtliche Unternehmensberatung in Mainz. Er lernte das „Handwerk“ von Rechtsanwalt Volker Hoffmann, Mainz, und Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans Dahs, Bonn, mit denen er zusammen in den Verfahren gegen Verantwortliche von Volkswagen, Balsam/Procedo, Thyssen, Philipp Holzmann und Deutsche Telekom verteidigt hat. Seit 2003 ist er in eigener Kanzlei tätig und seitdem mit weiteren Mandaten bei Sachsenring, Refugium und Siemens befasst worden. Seit 2004 ist er Mitglied des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, seit 2006 Herausgeber des Online-Fachdienstes Strafrecht im Beck-Verlag. Seine persönlich-fachlichen Leidenschaften liegen im Banken- und Bilanzstrafrecht
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mit den Bezügen zum Prüfungswesen, der Insolvenzberatung und dem Recht der freien Berufe. Prof. Dr. jur. Klaus Lüderssen, Universität Frankfurt am Main, Ulrichstr. 22, 60433 Frankfurt am Main Jg. 1932, ist seit 1971 ordentlicher Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie an der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt am Main. Mit dem Wirtschaftsstrafrecht beschäftigt sich schon eine frühere Arbeit über kartellrechtliche Probleme. Später folgten Arbeiten über Irrtumsprobleme im Steuerstrafrecht, ferner über Subventions- und Submissionsbetrug, Konkursprobleme im GmbH-Strafrecht, missbräuchliche aktienrechtliche Anfechtungsklagen und Strafrecht, Anti-Korruptionsgesetze und Drittmittelforschung, ökonomische Analyse des Strafrechts, Korruption und strafrechtliche Untreue, gesellschaftsrechtliche Grenzen der strafrechtlichen Haftung des Aufsichtsrats, Aktienrecht und strafrechtliche Untreue und Glücksspielstrafrecht. Einige dieser Abhandlungen sind publiziert in den Bänden „Entkriminalisierung des Wirtschaftsrechts“ I 1998 und II 2007. Mit der Rechtsanwaltskanzlei Dr. Wolf-Dietrich Schiller und Kollegen in Frankfurt am Main gibt es seit 2002 eine ständige Kooperation. Dr. h.c. Klaus−Peter Müller, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Commerzbank AG, 60261 Frankfurt am Main Jahrgang 1944. 1962–1964 Lehre bei Bankhaus Friedrich Simon KGaA, Düsseldorf. 1964–1966 Bundeswehr (Oberleutnant d. R.). 1966–1990 Commerzbank AG: Filiale Düsseldorf; Repräsentanz New York bzw. Filiale New York; Direktion Filiale Düsseldorf bzw. Mitleiter Filiale Duisburg; Mitleiter Filiale New York; Generalbevollmächtigter Leiter Zentrale Abteilung für Firmenkunden; Leiter Zentrale Abteilung „Aufbau Ost“. Seit 1. November 1990 Mitglied des Vorstands; 25. Mai 2001 bis 15. Mai 2008 Sprecher des Vorstands. Seit 16. Mai 2008 Vorsitzender des Aufsichtsrats. Februar 2004: Verleihung der Ehrendoktorwürde der Finanzakademie der Russischen Föderation, Moskau. Seit März 2005 Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Berlin. Seit Januar 2007 Honorarprofessor der Frankfurt School of Finance & Management (Bankakademie HfB). Seit April 2008 Vorsitzender des Präsidiums des Deutschen Verkehrsforums, Berlin. Seit Juli 2008 Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, Berlin.
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Prof. Dr. jur. Cornelius Nestler, Universität Köln Bischof-Kindermann-Str. 4, 61462 Königstein Nach Studium und Assistentenzeiten in Frankfurt am Main ist Cornelius Nestler seit 1997 Professor im kriminalwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln. Dort ist er zur Zeit Prodekan für Planung und Finanzen. Er war mehrfach als Visiting Professor in den USA (University of Florida, Gainesville und University of New York, Buffalo) und hat für die EU wiederholt Fortbildungen für Staatsanwälte und Richter in Georgien und Rumänien durchgeführt. Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind das Strafverfahrensrecht mit seinen internationalen Bezügen, das Betäubungsmittelstrafrecht und das Wirtschaftsstrafrecht mit Schwerpunkt auf Geldwäsche und Wirtschaftskorruption. Cornelius Nestler ist immer wieder auch als Verteidiger tätig. Prof. Dr. rer.pol. Ingo Pies, Universität Halle-Wittenberg Universitätsplatz 6, 06099 Halle Jahrgang 1964. Abitur 1983. Studium der Volkswirtschaftslehre, Universität Münster. Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. 1989 DiplomVolkswirt. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Katholischen Universität Eichstätt, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ingolstadt (Prof. Dr. Dr. Karl Homann). 1992 Dr. rer. pol. (Promotion mit einer Arbeit über „Normative Institutionenökonomik“). 1993 Studienaufenthalt in den USA bei den Nobelpreisträgern James Buchanan (Fairfax) und Gary S. Becker (Chicago). 1994–1998 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik, Ruhr-Universität Bochum (Prof. Dr. Karl-Hans Hartwig). 1998–2002 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Verkehrspolitik Universität Münster (Prof. Dr. Karl-Hans Hartwig). 1999 Venia legendi für Volkswirtschaftslehre, Universität Münster (Habilitation mit einer Arbeit über „Ordnungspolitik in der Demokratie“). 2001–2002 Vertretung des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Universität Passau und Group Leader on Economic Policy an der Freien Universität Bozen. Seit 2002 Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Mitglied im akademischen Netzwerk des „Global Compact“ der Vereinten Nationen. Forschungsschwerpunkte: Normative Institutionenökonomik, Wirtschaftsund Unternehmensethik, New Governance und Corporate Citizenship, Wissenschaftliche Politikberatung.
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Wissenschaftsmanagement: Herausgeber der Schriftenreihe „Ökonomik und Ethik. Studien zur Sozialstruktur und Semantik moderner Governance“, Wissenschaftlicher Verlag Berlin (wvb). Mitherausgeber der Schriftenreihe „Konzepte der Gesellschaftstheorie“ im Verlag Mohr-Siebeck, Tübingen. Mitherausgeber der Schriftenreihe „Angewandte Ethik“ im Verlag Karl Alber, Freiburg und München. Schriftleitender Mitherausgeber von „ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft“. Veranstalter von Wissenschaftskonferenzen, Young-Leaders-Seminaren und Theorie-PraxisDialogen. Durchführung von Management-Trainings. 6 Monographien, über 140 wissenschaftliche Aufsätze Prof. Dr. jur. Cornelius Prittwitz, Universität Frankfurt am Main Am Weinberg 1, 63755 Alzenau Seit 2000 Professor für Strafrecht, Strafprozess, Kriminologie und Rechtsphilosophie an der Goethe- Universität Frankfurt am Main, Master of Public Administration der Harvard University (1985). Er wurde 1984 mit einer strafprozessualen Arbeit zum „Mitbeschuldigten im Strafprozess“ promoviert und 1992 in Frankfurt am Main mit einer Untersuchung zu „Strafrecht und Risiko“ habilitiert. Bevor er an die Goethe-Universität Frankfurt berufen wurde, war er von 1993–1998 Professor für Strafrecht, Strafprozess, Kriminologie und Kriminalpolitik an der Universität Rostock und in dieser Zeit Prorektor der Universität Rostock (1994–1996) und Richter im Nebenamt (1994–1998) am OLG Rostock. Von 1998–2000 war er Berater des Justizministeriums der Republik Chile im Rahmen einer umfassenden Strafprozessreform. Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit sind die Schnittpunkte von Strafrechtsdogmatik, Kriminologie und Kriminalpolitik und vor allem die Grundlagenfragen, die das expandierende (Wirtschafts-)Strafrecht aufwirft. Daneben gilt sein Interesse vor allem der Internationalisierung des Strafrechts und den Herausforderungen von Strafrecht und Kriminalpolitik in der Mediengesellschaft. Dr. h.c. Petra Roth, Rathaus-Römer, 60311 Frankfurt am Main Seit 1995 direkt gewählte Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main. Am 28. Januar 2007 wurde sie mit 60,5 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang für eine dritte Wahlperiode in ihrem Amt bestätigt und wird die Geschicke der Stadt bis 2013 leiten.
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Seit 1997 vertritt sie die Interessen der deutschen Städte auf Bundesebene, dabei insgesamt vier Jahre als Präsidentin des Deutschen Städtetages, sechs Jahre als dessen Vizepräsidentin und darüber hinaus ein Jahr als Amtierende Präsidentin. Am 2. Juni 2005 wurde sie erneut zur Vizepräsidentin des kommunalen Spitzenverbandes gewählt. Petra Roth wurde am 9. Mai 1944 in Bremen geboren. Sie hat das Gymnasium mit der Mittleren Reife und anschließend ihr Examen an der Höheren Handelsschule abgeschlossen. Sie ist seit 1972 in der CDU politisch aktiv. Wirtschafts- und ordnungspolitisch vertritt sie eine an der sozialen Marktwirtschaft orientierte Politik, gesellschaftspolitisch steht sie für eine aufgeklärte und weltoffene Großstadtpolitik. Sie war insgesamt 14 Jahre Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, 1993/94 Stadtverordnetenvorsteherin. Von 1987 bis 1995 war sie Abgeordnete im Hessischen Landtag, ihren Wahlkreis Frankfurt-Ost gewann sie dabei dreimal direkt. In Ihrer Zeit als Frankfurter Oberbürgermeisterin hat Frankfurt am Main in der Bevölkerung, aber auch national und international an Ansehen gewonnen; die Aufwertung des Mainufers, große städtebauliche Projekte, der Bau einer neuen Fußball-Arena im Blick auf die Fußball-WM 2006, die Verschönerung der Innenstadt und der Stadtteile waren im letzten Jahrzehnt neben der Stärkung der Dienstleitungsmetropole im internationalen Wettbewerb Schwerpunkte der Arbeit des Magistrats. Petra Roth wurde am 23. April 2001 zum Offizier der französischen Ehrenlegion für ihre Verdienste um die deutsch-französische Freundschaft ernannt. Die Universität Tel Aviv zeichnete sie am 21. Mai 2005 mit der Ernennung zum „Doctor philosophiae honoris causa“ aus. Justizrat Prof. Dr. jur. Franz Salditt, Rechtsanwalt, Eduard-Verhülsdonk-Str. 8, 56564 Neuwied Rechtsanwalt seit 1971 (vorher 4 Jahre Finanzverwaltung, zuletzt in der Steuerabteilung des BMF), Fachanwalt für Strafrecht, Fachanwalt für Steuerrecht, Vertrauensanwalt für die Landesverwaltung Rheinland-Pfalz (zur Abwehr von Korruption), Honorarprofessor an der FernUniversität Hagen. In der Vergangenheit langjährige Mitgliedschaft im Strafrechtsausschuß des Deutschen AnwaltVereins (DAV), im Criminal Law Committee der CCBE (Cochair); Mitgründer der European Criminal Bar Association (ECBA); Mitglied
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im Kuratorium des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht; 16 Jahre Richter im Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs. Mitherausgeber der wistra, Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und der PStR Praxis Steuerstrafrecht. Rechtsanwalt Dr. jur. Wolf Schiller, Rahmhofstr. 2–4, 60313 Frankfurt am Main Jahrgang 1949. Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main. 1975 Promotion über „Empirisch strukturierte Strafgesetzgebung“. 1976 Zulassung als Rechtsanwalt in Frankfurt am Main. 1991 Zulassung als Notar in Frankfurt am Main. Seit 2002 Lehrbeauftragter an der Universität Frankfurt am Main, Wirtschaftsstrafrecht. Tätigkeitsbereiche: Wirtschaftsstrafrecht, Gesellschaftsstrafrecht, Versicherungsrecht. Prof. Dr. rer.pol. Reinhard Schmidt, Universität Frankfurt am Main Mertonstr. 17, 60325 Frankfurt am Main Reinhard H. Schmidt ist seit 1991 Inhaber der Wilhelm Merton-Professur für Internationales Bank- und Finanzwesen an der Johann Wolfgang GoetheUniversität in Frankfurt. Vorher war er Professor in Göttingen, Trier und Washington (DC) sowie Gastprofessor in Stanford, Philadelphia (Wharton), Paris und Mailand (Bocconi). Seit einigen Jahren widmet sich Reinhard H. Schmidt in seinen Forschungsarbeiten vor allem dem Thema der Entwicklung und des Vergleichs von Finanzsystemen in Industrie- und Entwicklungsländern. Publikationen: 20 Bücher als Autor und Herausgeber und über 100 Aufsätze in deutschen und internationalen Fachzeitschriften und Sammelbänden. Reinhard Schmidt ist derzeit Mitglied des Senats der Goethe-Universität und Sprecher des Finanzschwerpunkts Prof. Dr. jur. Hendrik Schneider, Universität Leipzig Burgstraße 7, 04109 Leipzig Professor Dr. Hendrik Schneider ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzugsrecht an
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der Universität Leipzig. Ein Tätigkeitsschwerpunkt des Lehrstuhls liegt im Bereich der Wirtschaftskriminologie. Im Mai 2009 wurde das Forschungsprojekt „Der Wirtschaftsstraftäter in seinen sozialen Bezügen“ abgeschlossen, in dessen Rahmen das von Prof. Dr. Schneider 2006 entwickelte „Leipziger Verlaufsmodell wirtschaftskriminellen Handelns“ empirisch überprüft und neue Erkenntnisse zur Erklärung und Prävention von Wirtschaftskriminalität gewonnen werden konnten. Einen weiteren Forschungsschwerpunkt stellt die Korruptionsprävention im Gesundheitswesen dar. In diesem Rahmen entwickelt Prof. Dr. Schneider in einer Kooperation mit der Anwaltskanzlei Boemke Frick mit Sitz in Leipzig unternehmensinterne Antikorruptionsrichtlinien für Klinikbetriebe und führt Schulungen zur Korruptionsprävention im Gesundheitswesen durch. In Kooperation mit Boemke Frick ist er außerdem als Strafverteidiger tätig. Prof. Dr. Schneider ist ferner Lehrbeauftragter der Dresden International University und hält dort Veranstaltungen im Bereich des Medizinstrafrechts ab. Cornelius Trendelenburg, Goethe-Universität Frankfurt am Main Juristische Fakultät, Campus Westend Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main Geboren 1978 in Freiburg im Breisgau. Erstes Staatsexamen 2003, Zweites Staatsexamen 2006, jeweils in Frankfurt am Main. Seitdem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Cornelius Prittwitz an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ehrenamtlicher Leiter des Projekts „Jugendrechtsberatung“ beim Kinderschutzbund Frankfurt am Main seit 2008. Dissertationsvorhaben über „Das Wirtschaftsstrafrecht zwischen prima ratio und ultima ratio – Vorstudien zu einer künftigen Subsidiaritätswissenschaft“ (in Begutachtung). Dr. jur. Dirk Uwer, Rechtsanwalt, Kanzlei Hengeler Müller, Benrather Straße 18–20, 40213 Düsseldorf Rechtsanwalt, Jg. 1969, Partner der Sozietät Hengeler Mueller in Düsseldorf. Nach dem Studium der Rechts-, Verwaltungs-, Sprach- und Literaturwissenschaften in Trier, Ferrara, Speyer, Berlin und Newcastle und der Assistenzzeit bei Udo Di Fabio und Michael Kloepfer promovierte er an der Humboldt-Universität (s.c.l.) mit einer Dissertation zur EMRK und graduierte zum Master of Laws (LL.M.) und zum Magister der Verwaltungswissenschaften (Mag.rer.publ.). Rechtsanwalt seit 1999, ist er auf das Öffentliche Wirtschafts-
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recht spezialisiert, mit Schwerpunkten im Umwelt-, Energie- und Arzneimittelrecht. Er hat über 30 Veröffentlichungen vorgelegt und ist u. a. Mitautor des Handbuchs Managerhaftung (Krieger/Schneider (Hrsg.), 2007). Prof. Dr. jur. Dr. h.c. Klaus Volk, Universität München Hedwigstr. 2, 80636 München Geboren 1944 in Coburg. Er hat von 1963 bis 1968 in München Rechtswissenschaften studiert. Nach dem Ersten Staatsexamen war er wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Dr. Paul Bockelmann an der Juristischen Fakultät der Universität München. Nach der Promotion (1970) und dem Zweiten Juristischen Staatsexamen habilitierte er sich dort (1977) für die Fächer Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtstheorie. Nach einer Professur in Erlangen wurde er im gleichen Jahr (1977) Ordinarius in Konstanz. 1980 nahm er den Ruf an die Ludwig-Maximilian-Universität auf den Lehrstuhl für Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht an. Am 29. 3. 2003 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Urbino verliehen. Er ist auch als Strafverteidiger tätig.
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Corporate Governance und Strafrecht – einleitende Gedanken aus der Sicht eines Gesellschaftsrechtlers Andreas Cahn Corporate Governance und Strafrecht Andreas Cahn 1. Im Mittelpunkt unserer Veranstaltung stehen die Handlungsfreiheit des Unternehmers und die Grenzen, die insbesondere das Strafrecht ihr zieht. Dabei werden wir uns aber nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, mit dem Typus des Unternehmers befassen, der auf eigene Rechnung wirtschaftet und Dritten mit seinem eigenen Vermögen haftet. Es wird uns auch nicht in erster Linie um die juristische Person gehen, die als Unternehmensträger fungiert. In unserem Symposion wird vielmehr von Personen die Rede sein, die als Geschäftsleiter einer juristischen Person treuhänderisch die Unternehmerfunktion für fremdes Vermögen ausüben. 2. Die unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleiter wirken sich auf das Unternehmen selbst, aber auch auf dessen Umwelt aus. Dementsprechend stellt sich auch die Frage nach den Grenzen der unternehmerischen Handlungsfreiheit in beide Richtungen, also einerseits im Verhältnis zur Gesellschaft, für die der Unternehmer seine Tätigkeit ausübt, andererseits im Verhältnis zu Dritten, mit denen das Unternehmen in Berührung kommt. a) Soweit es um Bindungen gegenüber der Gesellschaft geht, ist bekanntlich umstritten, an wessen Belangen sich die Geschäftsleiter bei ihrer unternehmerischen Tätigkeit auszurichten haben. Der Hinweis auf das Unternehmensinteresse hilft nicht wirklich weiter, weil keineswegs klar ist, ob es mit den Interessen der Kapitalgeber identisch ist oder ob auch die Belange anderer Interessengruppen, vor allem also die der Gläubiger und der Arbeitnehmer, vielleicht sogar die des Gemeinwesens einfließen. Die Antwort hängt davon ab, ob man das Unternehmen nur als Instrument zur Vermögensmehrung der Kapitalgeber oder auch als soziale Veranstaltung versteht, die den Interessen anderer Gruppen verpflichtet ist. Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, können hieraus für das Unternehmensinteresse durchaus unterschiedliche Handlungsmaximen und damit auch unterschiedliche Grenzen der Handlungsfreiheit der Unternehmer abzuleiten sein. Um das an einem konkreten Beispiel aus der früheren strafrechtlichen Rechtsprechung festzumachen: Auf den Gedanken, dass Zuwendungen an den Alleingesellschafter eine Untreue zum Nachteil der Gesellschaft darstellen, kann man nur kommen,
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wenn man die Gesellschaft auch anderen Interessengruppen für verpflichtet hält. b) Gegenüber Dritten treten die Geschäftsleiter nicht in eigener Sache, sondern als Vertreter der Gesellschaft in Erscheinung. Dementsprechend erfüllen sie gegenüber Dritten zunächst einmal Pflichten der Gesellschaft, deren Verletzung Sanktionen gegenüber dem Normadressaten, also der Gesellschaft nach sich ziehen kann. Mittelbar ergeben sich Grenzen der unternehmerischen Handlungsfreiheit gegenüber Dritten daraus, dass die Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft verpflichtet sind, die der Gesellschaft obliegenden Pflichten zu beachten und bei Verletzung dieser Pflichten Sanktionen im Verhältnis zur Gesellschaft zu gewärtigen haben. Unser Recht nimmt Geschäftsleiter bei ihrer unternehmerischen Tätigkeit aber auch unmittelbar gegenüber Dritten in die Pflicht. Eine solche Inpflichtnahme erfolgt: • Zivilrechtlich durch Einordnung von Verhaltenspflichten als Schutzgesetze zugunsten Dritter (Insolvenzantragspflicht) • Öffentlich-rechtlich, indem Pflichten gegenüber der Allgemeinheit oder dem Staat und seinen Untergliederungen nicht nur der Gesellschaft, sondern auch deren Geschäftsleitern persönlich auferlegt werden (Aufstellung des Jahresabschlusses; Auskunftspflichten gegenüber Behörden) • und nicht zuletzt durch das Strafrecht und das Ordnungswidrigkeitenrecht, indem die Verletzung unternehmensbezogener Pflichten mit Strafen oder Bußgeldern für die Geschäftsleiter belegt wird (Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen; Verletzung von Publizitätspflichten) 3. Das Strafrecht sollte dabei nur als ultima ratio eingesetzt werden, und zwar aus mehreren Gründen: a) Zunächst einmal ist nicht jeder Verstoß gegen zivilrechtliche Pflichten zugleich strafwürdiges Unrecht. Das gilt umso mehr, je ausdifferenzierter die Pflichten werden, die Unternehmen und ihre Geschäftsleiter erfüllen müssen. Die Organisations- und Berichtspflichten nach dem neu gefassten WpHG sind gute Beispiele dafür, wie detailliert und zugleich doch abstrakt umschrieben die zivilrechtlichen Pflichten sein können, die der Unternehmer zu erfüllen hat. Eine konkrete Rechtsgutsverletzung ist bei einem Verstoß nicht immer ohne weiteres auszumachen. Zudem entsteht aus der Freude des Gesetzgebers am Detail und dem Hang zur Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ein Regelungsgestrüpp, in dem man sich nur allzu leicht verheddern kann. Straf-
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rechtliche Sanktionen sollten aber schwerwiegenden Verstößen gegen Regeln vorbehalten bleiben, denen ein nennenswerter und erkennbarer Unrechtsgehalt innewohnt. Anderenfalls kann es seine Signalwirkung, wirklich bedeutsame Pflichten von weniger bedeutsamen abzugrenzen, nicht erfüllen. b) Die Durchsetzung von Geschäftsleiterpflichten und die Sanktionierung ihrer Verletzung begegnet gerade in der AG häufig Schwierigkeiten: Intern wegen fehlenden Anreizes für den Aufsichtsrat, der bei Verfolgung von Ansprüchen gegen Vorstände den Vorwurf gewärtigen muss, seinerseits nicht ordentlich beaufsichtigt zu haben. Extern wegen Kollektivhandlungsproblemen (der Schaden des einzelnen ist oft zu gering, als dass sich der Aufwand einer Anspruchsverfolgung lohnen würde), wegen Schwierigkeiten der Anspruchsbezifferung und des Nachweises, dass die Pflichtverletzung für einen Nachteil des Anspruchstellers ursächlich geworden ist. Dennoch sollte man sich davor hüten, kurzerhand den Ausweg im Strafrecht zu suchen: Mangel an Einfallsreichtum bei der Gestaltung effektiver zivilrechtlicher Rechtsbehelfe ist für sich genommen kein hinreichender Grund für die Pönalisierung von Pflichtverletzungen. c) Zudem sind Abstimmungsprobleme zwischen den einzelnen Disziplinen unverkennbar. Hinlänglich bekannte Beispiele sind die bereits erwähnte Untreue zu Lasten der Gesellschaft bei Zuwendungen an den Alleingesellschafter und in jüngerer Zeit die Frage nach der Zulässigkeit von Anerkennungsprämien, die im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum deutlich großzügiger beantwortet wird als von den Strafgerichten. d) Schließlich kann die Strafbewehrung wirtschaftsrechtlicher Ge- und Verbote eine effektive, am Normzweck orientierte Gesetzesanwendung auch behindern. Wenn man der überwiegend vertretenen Lehre von der einheitlichen Auslegung von Tatbeständen im Zivil- und Strafrecht folgt, zieht das Analogieverbot des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts einer über den Wortlaut hinausgehenden Ausdehnung von Normen auch insoweit eine Grenze, als es um zivilrechtliche Sanktionen geht. Während man also ohne Straf- oder Bußgeldbewehrung Umgehungsversuchen durch die entsprechende Anwendung des betroffenen Ge- oder Verbots begegnen kann, ist das dann nicht mehr möglich, wenn der Gesetzesverstoß Strafe oder ein Bußgeld nach sich ziehen kann. Die Sanktionierung mit Strafe oder Bußgeld kann also paradoxerweise die Umgehung als besonders bedeutsam eingestufter Regelungen geradezu erleichtern. e) Andererseits ist nicht zu übersehen, dass unsere Wirtschaftsordnung ohne ein Mindestmaß an Vertrauen in die Integrität von treuhänderisch tätigen Unternehmern nicht funktionieren kann – das hat nicht zuletzt die Entwick-
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lung der vergangenen Monate bestätigt. Auch wenn „Vertrauen“ sicher kein ebenso konkretes Rechtsgut ist wie Leben, Gesundheit oder Eigentum, scheint mir das Strafrecht doch grundsätzlich eine legitimes Mittel zu sein, um Pflichtverletzungen zu ahnden, die geeignet sind, zu gravierenden Vertrauensverlusten zu führen und damit die Funktionsbedingungen unserer Wirtschaftsordnung zu beeinträchtigen. Die Kunst besteht darin, solche gravierende Fälle von weniger schwer wiegenden Pflichtverstößen abzugrenzen, für die es mit zivilrechtlichen Sanktionen und aufsichtsrechtlichen Maßnahmen sein Bewenden haben sollte. Eine interdisziplinäre Diskussion unter Einbeziehung von Strafrecht, Rechtsphilosophie, Wirtschaftwissenschaften und Wirtschaftsrecht, bietet sicherlich die besten Aussichten für weiterführende Antworten. Der Vorstand des Institute for Law and Finance freut sich darüber, dieses Symposion auszurichten, denn Aufgabe des ILF ist gerade die interdisziplinäre Forschung und Lehre. Ich möchte bei dieser Gelegenheit, Herrn Kempf, Herrn Lüderssen und Herrn Volk, von denen die Idee zu dieser Veranstaltung stammt und die sie inhaltlich gestaltet haben, für ihre Initiative sehr herzlich danken.
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Wie kam es dazu, was wollen wir? Klaus Volk Klaus Volk Wie kam es dazu, was wollen wir? Wir, die Initiatoren dieses Kongresses, machen uns Sorgen um das Strafrecht. Es sind zum Teil alte, aber bedrückender werdende Sorgen. Wirkt Strafrecht überhaupt, macht strafrechtliche Intervention Sinn, wo es ein ethisches Fundament nicht gibt, kann Strafrecht als Ersatz-Ethik verwendet werden? Neue Sorgen sind hinzugekommen. Das moderne Wirtschaftsstrafrecht, flankiert und limitiert es wirtschaftliches Handeln nur, greift es zu massiv in die unternehmerische Freiheit ein, steht es quer zu wirtschaftlich sinnvollen Entscheidungen, weil es eigene Maßstäbe setzt? Sind die ethischen Grundsätze, für die jeder code of conduct hehre Worte findet, nur Ornament oder Ausdruck einer funktionierenden self-regulation, etwas gar als Faktoren ökonomischen Nutzens gedacht und gelebt? Das sind Fragen, die sich jedem Strafverteidiger in Wirtschaftsstrafsachen stellen, wenn er ein wenig Zeit zum Nachdenken findet, und jedem Professor, der Gelegenheit hat, die Praxis beobachtend zu begleiten. Man kann sie auf Dauer nicht verdrängen, ohne dass etwas Schaden nimmt – das Strafrecht, die Wirtschaft oder die Gesellschaft. So kam es dazu. Als ich in unserem Gesprächskreis vorgeschlagen habe, dieses Feld durch die Begriffe Economic, Criminal Law and Ethics zu umschreiben, ging es mir nur darum, die das Strafrecht übergreifende und internationale Dimension dieser Begriffe zu chiffrieren. Kein Gedanke daran, dass es eine Finanzkrise geben könnte, die sich in den USA entwickeln und mit der üblichen Verzögerung Europa erfassen wird. An unserem Programm ändert sie nichts. Die großen Zahlen vergrößern allerdings den Schmerz der Grenze. Was ist Unglück, was Unrecht, was ist nur Misserfolg, was schon kriminelle Misswirtschaft? In unserer Gesellschaft hat jedes Problem die Tendenz, erst zum Rechtsproblem und dann zum Strafrechtsproblem zu werden. Ich will nicht darüber räsonieren, ob wir zuviel Strafrecht haben, und auch nicht darüber, wie ein „richtiges“ Strafrecht beschaffen sein müsste, sondern erst einmal nur andeuten, was in jedem Falle die Legitimation und Effektivität von Strafrecht stört. Es hat sein gutes, dass die Leute sich langsam, wenn auch notgedrungen und fatalistisch, an große Zahlen gewöhnen, an die wirtschaftliche Realität also. Der gefährliche Nebeneffekt besteht darin, dass das Strafrecht korrumpiert wird. Also, heißt es „draußen im Lande“, wenn der kleine Unternehmer Pleite macht und beteuert, es wäre doch am Ende noch alles gut gegangen, zuckt der
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Strafrichter mit den Schultern, und wenn eine große Bank Pleite macht, zückt der Finanzminister die Geldbörse (damit die Börse nicht zuckt). Wo ist der Unterschied? Ich kenne ihn natürlich so gut wie Sie. Das waren Stammtischparolen. Dahinter aber steckt ein irritierendes Problem. Strafrecht soll die Bevölkerung in ihrem Bewusstsein der Rechtsgeltung bestärken, ihr die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung signalisieren und ihre Erwartung staatlicher Reaktion stabilisieren. Eine andere rationale Legitimation hat die Strafe nicht. Wenn nun aber die Bevölkerung irrational denkt, ist es dann nicht rational, auf Irrationales (auch Stammtischparolen eben) Rücksicht zu nehmen? Die Parallele in der modernen Ökonomie ist offensichtlich. Man verabschiedet sich, notgedrungen, vom rational handelnden homo oeconomicus. Dieser Homunkulus, die Inkarnation des Neoliberalismus, hinterlässt erstmals Fußabdrücke in den Nachrichten des Tages – dort ist, sehr feinsinnig, nicht mehr von „Wirtschaft“ die Rede, sondern von „Realwirtschaft“, und so erfährt die Bevölkerung ganz nebenbei, dass die Finanzwirtschaft offenbar etwas anderes ist. Im Strafrecht (jedenfalls im deutschen) hatte der homo oeconomicus noch nie Konjunktur. Auch die Entscheidung gegen das Recht ist wesentlich irrational determiniert. Man weiß seit langem, dass nicht die Strafdrohung abschreckt, sondern allenfalls die Entdeckungswahrscheinlichkeit, und die wird nicht statistischen oder anderen einigermaßen nachvollziehbaren Daten entnommen, sondern individuell gefühlt und überhöht: die anderen erwischen sie vielleicht, mich aber nicht, weil ich cleverer bin. Irrational ist auch das Bestrafungsbedürfnis der Gesellschaft. Nichts Neues, im Grunde, aber durch neuere Forschungen zum homo oeconomicus bestürzend untermauert. Ich meine das Ultimatum-Experiment der ökonomischen Spieltheorie. Ich habe 100, sagt A zu B, und wir teilen so, dass ich 80 bekomme und du 20; akzeptierst du das nicht, bekommen wir beide nichts. B wird nicht zustimmen – weltweit das gleiche Ergebnis –, weil er sich unfair behandelt fühlt und A die Summe nicht gönnt, obwohl er dann selbst leer ausgeht. Er will A „bestraft“ sehen. Daraus kann man nebenbei lernen, dass Fairness als Wert weit höher anzusetzen ist, als das kontinental-europäischem Rechtsdenken vertraut ist, und vor allem, dass das buchstäblich rücksichtlose Interesse – das auch auf den eigenen Vorteil keine Rücksicht nimmt – an der Bestrafung eines anderen als archaisches Grundmuster die Oberhand behält.
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Das ist es, würden die Skeptiker der ganzen Veranstaltung Strafrecht zynisch zugespitzt sagen, was überhaupt das Strafrecht ausmacht – keiner hat etwas davon, aber Hauptsache, es wird jemand bestraft. Wenn man sich eine derart resignierte und simplifizierte Reaktion zu Eigen machen würde, hätte es keinen Sinn, weiter zu reden. Ich tue es doch und behaupte damit, dass es die Aufgabe des Strafrechts ist, trotz aller Irrationalismen kontrafaktisch zu handeln und auf rationalen Grundlagen einer vernünftigen Kriminalpolitik zu bestehen. Man darf den Glauben, dass sich die Aufklärung noch vollenden lässt, nicht verlieren. Dazu ist man als Strafrechtler verpflichtet. Das fällt nicht leicht, weil das Strafrecht keine Lobby hat. Für mehr Strafrecht braucht man ohnehin keine, und für weniger Strafrecht gibt es keine. Das ist es, was wir uns erhoffen – dass ein solcher Kongress eine Lobby für ein vernünftiges Strafrecht entstehen lassen könnte. Wir wollen Einfluss nehmen. Einfluss auf den Gesetzgeber, der sich bei aller Beflissenheit, europäischen Vorgaben zu folgen, wieder auf seine Aufgabe konzentrieren sollte, sinnvoll begrenzte Regelungen zu schaffen. Einfluss auf die Justiz, die der Bevölkerung und den Strafverteidigern den Glauben zurück geben sollte, dass einer, der sich für unschuldig hält, nicht einen scheinbar gnädigen Deal akzeptieren muss, sondern tatsächlich eine faire Chance auf einen Freispruch in kontrovers geführter Verhandlung hat. Einfluss auf die Politik, die im Strafrecht ein kostenneutrales Instrument der Intervention zu sehen pflegt. Einfluss auf die Wirtschaft, die an Compliance mehr interessiert ist als an der Frage, mit welchem Recht ihr Verhalten eigentlich in Übereinstimmung stehen sollte. Da haben wir uns viel vorgenommen. Es liegt vor allem an Ihnen, meine Damen und Herren, dafür zu sorgen, dass es nicht zuviel war.
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Aspekte eines Unternehmers Ulrich Hermann Ulrich Hermann Aspekte eines Unternehmers Wie auch viele meiner Unternehmerkollegen in Deutschland bin ich kein Jurist von meiner Ausbildung her. Ich selber habe ein Diplom in Maschinenbau. Dieses vom Studium an der RWTH Aachen und am M.I.T. in Boston. Neben der Innovation galt mein Interesse dann vor allem der Unternehmensführung. So habe ich Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule St. Gallen studiert und mit einer Promotion abgeschlossen. Neben meiner unternehmerischen Tätigkeit im Bereich des Verlagswesens, befasse ich mich als Direktor eines Forschungsinstitutes an der RWTH Aachen mit dem Zusammenhang von Innovation und der Verfügbarkeit von Fachwissen in industriellen Prozessen. Der Schwerpunkt meiner Ausbildung lag demnach in der industriellen Wertschöpfung, dem Erlangen von Wettbewerbsvorteilen durch die Produktinnovation, dem Betrieb produktiver Ressourcen und der operativen, strategischen und normativen Unternehmensführung. Von meiner Ausbildung und meiner täglichen Praxis kann ich berichten, dass der rechtliche Rahmen einer unternehmerischen Tätigkeit nur am Rande in die Fragestellungen über eine erfolgreiche, wertschöpfende und nachhaltige Unternehmensführung einbezogen wird. Das anwendbare Recht vermag wohl die Rahmenbedingung, nicht aber das Erfolgskonzept einer unternehmerischen Handlung einbringen. Es steht zunächst nicht an der Spitze der Pyramide des Unternehmerinteresses sondern bildet eher sein Fundament. Letztlich ist es die Innovation, die Träger eines nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolges ist. Und dieser Erfolg ist es, der als Antriebsfeder der von den Shareholdern eingesetzten und in diesem Sinne incentivierten Manager funktioniert. Als Resultat dient er dann dem Wohle aller Stakeholder. Die Unternehmer setzen ebendieses und genau ihr eigenes ganzheitliches Verständnis einer industriellen Wertschöpfung voraus, wenn sie ihr Unverständnis über beispielsweise die Strafverfolgung von „Untreue“ zum Ausdruck bringen, die häufig aus dieser Unternehmersicht nicht fassbar, scheinbar willkürlich ohne Norm oder Referenzgrößen erscheinen und zu großen Unsicherheiten und damit Demotivation führen. Vielleicht sind es gerade die paradigmatischen Unterschiede zwischen den Zielen der Unternehmer und denen der Rechtswissenschaftler, des Gesetzge-
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bers, der Gerichtsbarkeit, der Staatsanwaltschaft und – letztlich auch denen der instrumentalisierten Medien, die es zu beleuchten gilt, um zu Antworten zu kommen. Ich begrüße es deshalb sehr, dass Sie Ihren Kongress für eine Stimme aus der Unternehmerseite öffnen. An dieser Stelle möchte ich auf den Unterschied zwischen dem Manager und Unternehmer eingehen. Ein Unternehmer ist über seine Eigenkapitalbeteiligung vor allem an den wirtschaftlichen Geschäftsrisiken des Unternehmens beteiligt. Solche Risiken sind für die am Eigenkapital unbeteiligten Manager in der Regel begrenzt, allerdings damit auch die Gewinnerwartung aus dem Geschäft. Sie bleiben Angestellte. Die tägliche Arbeit von Managern und Unternehmern, einschließlich der Anforderungen aller Stakeholder an ihre Leistungen, sind dieselben. Manager, also Unternehmer ohne Beteiligung am Eigenkapital, müssen zusätzlich ihre Investitionsentscheidungen gegenüber ihren Shareholdern rechtfertigen, was häufig durch eine transparente Berichterstattung ihrer Tätigkeit geschieht. Investitionen richten sich auf die Erträge der Zukunft – die Berichterstattung dagegen auf die heutigen Erträge, d. h. die Investitionen der Vergangenheit! Damit ist die Rechtfertigung von aktuellen Investitionsentscheidungen nicht mit der aktuellen Berichterstattung möglich. Investitionstätigkeiten und alle damit zusammenhängenden Aktivitäten sind ein weites Feld, deren Planung mehr mit Spekulation über die Zukunft zu tun hat, nicht aber mit greifbaren, messbaren oder sogar justiziablen Fakten. Was für den Unternehmer, Shareholder und Manager in einer Person, völlig irrelevant ist, nämlich die Rechtfertigung über die Allokation seiner eigenen Mittel in Investitionen, ist für den Manager nur lösbar im Pakt mit seinem Shareholder. Dieser Pakt muss unantastbar sein. Ich meine damit, dass im Idealfall ausschließlich der Shareholder das Investitionsverhalten, d. h. alle Maßnahmen eines Managers mit dem Ziel, Innovationen und damit neue Geschäfte zu ermöglichen, die in Zukunft zu Erträgen führen könnten, beurteilen und maßregeln sollte. Dritte, auch Stakeholder, oder gar die Idee, eine Unternehmung habe eine eigene Rechtspersönlichkeit, haben hier nichts zu suchen. Ansonsten wird dem Manager der Boden seines Handelns entzogen. Er wird nicht mehr inves-
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tieren und damit die Zukunft der Unternehmung gefährden. Genau dieser Pakt aber steht zur Diskussion. Ich selbst bin Vorsitzender der Geschäftsführung von Wolters Kluwer Deutschland, eines Fachverlags und Informationsdienstleisters. Unsere Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Fachinformation zu Recht, Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung, Steuern und auch Software. Viele von Ihnen kennen die Produkte unserer Werke unter den Marken Luchterhand, Carl Heymanns, RS Schulz, Carl Link aus der beruflichen Praxis [. . .]. Ich leite in dieser Aufgabe die deutsche Tochtergesellschaft eines in den Niederlanden und an der EURONEXT börsennotierten weltweit tätigen Konzerns. Die Muttergesellschaft Wolters Kluwer n. v. erzielte im Jahr 2008 einen Umsatz von 3,4 Milliarden Euro, beschäftigt weltweit rund 20.000 Mitarbeiter und ist in Europa, Nord Amerika, Asien und Australien vertreten. In Europa bildet das Deutschlandgeschäft unseres Konzerns eine wichtige Säule. Allein in Deutschland haben wir daher mittlerweile fast 1000 Mitarbeiter. In meiner Aufgabe als Geschäftsführer der deutschen GmbH berichte ich über die Lage, Planung, Entwicklung und Orientierung des Geschäfts in Deutschland an den Leiter des europäischen Geschäfts in unserem Konzern, dieser wiederum berichtet an den Vorstand. In der Darstellung unserer Geschäftsentwicklung, und das unterscheidet uns als Fachverlag von den allermeisten unserer Konkurrenten in Deutschland, gebietet das Börsen- und Kapitalmarktrecht und die Marktpraxis der Länder, in denen wir an der Börse gelistet sind, dass ich über meine Unternehmensentwicklung mit sehr hoher Transparenz berichte. Meine Status- und Planzahlen fließen in die Gesamtgeschäftsplanung des Konzerns ein und werden in komprimierter Form Analysten, strategischen Investoren und den Shareholdern vorgestellt. Die Tiefe der Darstellung auf dieser Stufe entspricht dabei voll den Anforderungen des amerikanischen Kapitalmarktrechts – auf die dysfunktionale gesellschaftlichen Wirkungen des angelsächsischen Kapitalismus in unserem Kulturraum gehe ich etwas später noch ein. In unserer Struktur, Größe und in unserer Arbeitsweise in Deutschland stellen wir allerdings – ungeachtet der Konzernzugehörigkeit – weitenteils ein typisches deutsches Mittelstandsunternehmen dar. Als Geschäftsführer der GmbH unterliege ich dem lokalen Recht, das mir weite Entscheidungsspielräume einräumt, aber auch Grenzen im unternehmerischen Handeln setzt.
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Mein tägliches Handeln wird bestimmt von gesetzten Umsatz- und Ergebniszielen. Die Übernahme wirtschaftlicher Risiken ist notwendige Voraussetzung für uns, uns am Markt zu behaupten und wie eingangs gesagt zukünftige Gewinne zu erzielen. Dies impliziert grundsätzlich die Möglichkeit, dass sich eine Entscheidung im Nachhinein als falsch herausstellt. Meine Entscheidungen − insbesondere investive − sind umfassend vorbereitet, werden nachvollziehbar dokumentiert und sind ab bestimmten Wertgrenzen mit der Gesellschafterseite vorabgestimmt und genehmigt. Ob dies z. B. dazu führen darf, dass aus der ex post-Betrachtung der (nachträgliche) Vorwurf rechtswidrigen Tuns im Sinne des Strafrechts erhoben wird, ist ein Aspekt Ihrer heutigen Diskussion. Weite Teile der Mitarbeiterschaft bemühen sich intensiv um die Beziehung zu Autoren, die an Universitäten, in Kanzleien, in Ministerien oder in Steuerpraxen, Schulen oder Versicherungen beschäftigt sind. Vor allem Autoren arbeiten für Verlage weniger aus Motiven des Lebensunterhaltes sondern aus Idealismus und dem Interesse an ihrem Themengebiet. Zeitlich priorisieren Autoren deshalb ihre Hauptaufgabe, aus der sie ihr Wissen und ihren Lebensunterhalt beziehen, nicht aber die Autorentätigkeit. Der Verlag ist aber auf eine effiziente und zeitlich planbare Mitarbeit der Autoren angewiesen. Ein Interessenkonflikt, dessen Beherrschung zunehmend zur Kernkompetenz für den Verlag wird. Dies nur als Beispiel für die Art der Beziehungen innerhalb und außerhalb des Umfeldes meines Unternehmens. Es gibt weitere Beispiele von Abhängigkeiten, die es nicht nur inhaltlich sondern auch vertraglich auszugestalten gilt und die es schwierig machen, unsere Wertschöpfung immer planvoll zu steuern. Neben den geschäftstypischen Abhängigkeiten kommen nun Einflussfaktoren insbesondere aus Ihrem Themenbereich hinzu. Jüngste Entwicklungen in der strafrechtlichen Bewertung bis dahin üblicher Geschäftspraktiken haben mich und andere Geschäftsführer aufhorchen lassen, inwieweit unser Geschäft betroffen und meine persönliche Haftung hiervon ausgedehnt wird. Es entsteht bei mir subjektiv der Eindruck einer zunehmenden Verrechtlichung des Wirtschaftslebens: einer neu gefassten Verantwortlichkeit des Geschäftsführers. Es entsteht auch der Eindruck eines weitreichenden Eingriffs in unternehmerisches Handeln als solches. Als Verantwortlicher für das Unternehmen und als Nichtjurist hatte und habe ich natürlich das Bestreben, genau zu verstehen, was beispielsweise Änderungen des geltenden Rechts, z. B. des Gesellschafts- sowie auch des Strafrechts,
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aber auch die Auslegung der Tatbestände durch die Justizbehörden für mich im täglichen Handeln konkret bedeuten. Ich bin mit diesem Wunsch nicht allein. Auch die Mitarbeiter benötigen einen Handlungsrahmen. Dies umso mehr, als die branchenübliche Praxis und Umgangsformen im täglichen Geschäftsverkehr eine neue und andere Wertung zu erfahren scheinen. Das soll nicht heißen, dass wir bislang unter Nichtachtung geltenden Rechts gehandelt haben. Ganz im Gegenteil. Es drängt sich der Eindruck auf, dass jüngste Ermittlungsverfahren und auch manche Urteile gegen Vorstände und Geschäftsführer eine genaue Überprüfung des eigenen unternehmerischen Handelns verlangen, sowie eine Überprüfung des Verhaltens der Mitarbeiter. Ob das Verhalten der Geschäftsführer A oder B mir im Tagesgeschäft nicht auch hätte passieren können, ob ein Strafurteil nicht letztlich an der Wirklichkeit der Geschäftspraxis vorbeigeht, diese Fragen muss sich ein heutiger Geschäftsführer zwingend stellen. Verfahren und auch Urteile, die sich vereinzelt beispielsweise mit Korruption, mit Untreue, mit Vorteilsnahme befassen, geben mir einen Eindruck dessen, was an einer Handlung als verwerflich gesehen wird. Einiges daran scheint neu definiert, Grenzen scheinen manchmal willkürlich und manchmal lebensfremd. Was demgegenüber spiegelbildlich erlaubt sein soll, ist nirgendwo genau beschrieben. Die zunehmende Komplexität des Wirtschaftslebens erhöht in nachvollziehbarer Weise das Risiko, durch Entscheidungen Ursachen oder Mitursachen für Fehlentwicklungen zu setzen. Die verstärkte Berichterstattung über Geschehnisse des Wirtschaftslebens, die der Öffentlichkeit bislang verschlossen waren oder auf kein Interesse stießen, geht fühlbar einher mit dem Ruf nach Kontrolle und Sanktionen. Neben dem Mangel an „Moral“ wird dann vor allem auch die Verfehlung unternehmerischer Ziele kritisiert. Nach alledem spielt dann auch die Zugehörigkeit zu der eingangs beschriebenen Gruppe der „Manager“ eine große Rolle und damit einhergehend auch eine gesteigerte Erwartung an die Ethik, Moral, Verantwortung und Managementfähigkeit. Dazu stellen Äußerungen der Ermittlungsbehörden klar, was als „sittenwidrig, verwerflich, unmoralisch und gierig“ zu gelten hat. Es fällt mir auf, dass auch Urteile, die untypische Fallkonstellationen oder Einzelfälle beleuchten, einer Gesamtdebatte in den Medien über den Zusammenhang von Macht und Unmoral – ungeachtet der Hintergründe – Vorschub leisten.
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Man kann sagen, dass die boulevardeske gegenüber der seltenen analytischen Berichterstattung überwiegt. Die Betriebswirtschaftslehre ist heute noch von neoklassischen Ansätzen der 60er Jahre geprägt. Hier wurden mikroökonomische Zusammenhänge mathematisch erläutert, dies aber vor allem unter Ausblendung von Informationsasymetrie und dysfunktionalen Verhalten ihrer Akteure. Das aus dieser Schule heraus entwickelte Modell des homo oeconomicus lieferte wichtige Anhaltspunkte für die neoklassische betriebswirtschaftliche Entscheidungstheorie. In der Praxis aber ist sie denkbar unbrauchbar: Anders als der homo oeconomicus wählen die Akteure der Wirtschaft nachweislich nämlich nicht immer die Handlungsalternative, die für sie den höchsten wirtschaftlichen Erfolg verspricht. Dies zum einen aufgrund unvollständiger Informationen, aber vor allem, da der Akteur seinen Erfolg zusätzlich am Erfolg einer relevanten Bezugsperson bewertet. Die Praxis zeigt, dass der Akteur nicht allein die Handlungsoptionen daran bewertet, inwieweit sie ihn relativ zur eigenen Situation besser stellt, sondern auch beurteilt, in wieweit diese seine relevante Bezugsperson vergleichsweise schlechter stellt. Der Volksmund spricht in offensichtlichen Ausprägungen „negativ“ von Neid, Missgunst und „positiv“ von Gönnen. Die Ausprägungen dieser Verhaltensweisen sind vor allem kulturell unterschiedlich. In den USA macht es gerade gar nichts, wenn man nach einem Geschäftserfolg einen Ferrari vor der Tür parkt. Im Gegenteil, in den USA belegen wirtschaftlicher Erfolg und hohe Einkommen den gesellschaftlichen Status, die Umsetzung des American Dream – und die Akteure haben wenig dagegen, dies offen zu legen. In Deutschland aber bedeutet das den Ausschluss aus gewachsenen Nachbarschaftsbeziehungen. Den Lottogewinn und natürlich auch den erarbeiteten wirtschaftlichen Erfolg darf man hier nicht zeigen oder man muss ihn teilen, um von Neid und Missgunst verschont zu bleiben. Wenn ich aber nichts von meinem Gewinn habe, lohnt sich dann die unternehmerische Arbeit hierfür? Ich kenne viele Mäzene, Förderer und Spender unter den Unternehmern, die damit ihre gesellschaftliche Stellung zurück erarbeiten, was ihnen allein über den reinen unternehmerischen Erfolg nicht gelingen will. In völliger Nichtbeachtung dieser kulturbestimmten Verhaltensweisen hat der angelsächsische Kapitalismus in Deutschland Einzug gehalten und so viel er auch leistet, schadet er auch. Wenn aber nun wirtschaftlicher Erfolg doch
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einer der Hauptantreiber für Innovation ist, und dieser Erfolg in einer Gesellschaft nur dann akzeptiert wird, wenn seine Neider partizipieren, dann wird dieser nur dann eine Grundlage haben, wenn der Erfolg nicht auf Individuen zurückführbar ist. Das Offenlegen von Management-Gehältern z. B. ist genau deswegen hochproblematisch. Ich möchte damit schließen, dass ich vom Gesetzgeber und von der Rechtssprechung erwarte, dass, wenn das gewünschte richtige und „sozialadäquate“ Verhalten im Geschäftsverkehr festgelegt wird, dieses realitätsnah und mit Deutlichkeit geschieht. Realitätsnah heißt, dass es seitens des Gesetzgebers, der Richter, der Strafverfolgungsbehörden ein betriebswirtschaftliches und vor allem verhaltenstheoretisches Grundverständnis für das Funktionieren von Unternehmen gibt, von Branchenüblichkeiten, sowohl was den Umgang untereinander, als was Gehälter im weltweiten Wettbewerb angeht. Ich rede hierbei nicht einem Grundmaß an erlaubter Korruption oder Bestechlichkeit das Wort. Beides sind Vorgänge, die ein Wirtschaftssystem letztlich lahmlegen. Ich erwarte aber, dass das Strafrecht mit mehr Vorsicht eingesetzt wird, dass schwammige Straftatbestände enger ausgelegt werden und genaue Grenzen kennen. Ich erwarte auch, dass eine Moraldebatte, die ich im Grunde für sinnvoll und förderlich halte, bei allen Beteiligten zu besonnenerer Unterscheidung und zu weniger Pauschalierung führt. Für die Unternehmer entsteht ohnehin bereits genügend zusätzliche Unsicherheit, da nicht nur das amerikanische Wirtschaftsgebaren sondern auch Institute des Anlegerschutzes aus dem amerikanischen Kapitalmarktrecht faktisch und unreflektiert in das deutsche Recht hineinzuwachsen scheinen, mit allen Konsequenzen. Es wird mehr und mehr entscheidend, was man als Unternehmer in einem börsennotierten Unternehmen „vorher hätte wissen müssen, wenn man den Fall im Nachhinein betrachtet“. Über den Tellerrand schauend, muss der deutsche Gesetzgeber sich fragen lassen, ob die Anwendung von mehr Strafrecht, mehr Aufsicht, von Honorarbegrenzung, persönlicher Haftung aufgrund von ex-post Betrachtungen, ob die Marktferne von Richtern, Staatsanwälten, Politikern und auch Journalisten, ob all dies seinen Unternehmen und seiner Wirtschaft förderlich ist. Ich begrüße Ihre heutige Diskussion und wünsche herausfordernde Gespräche.
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Wirtschaftsstrafrecht im Spannungsfeld kommunaler Unternehmen Petra Roth Petra Roth Wirtschaftsstrafrecht im Spannungsfeld kommunaler Unternehmen Die öffentliche Hand verfügt bei der Ausübung wirtschaftlicher oder unternehmerischer Tätigkeit über verschiedene Möglichkeiten in Bezug auf die rechtliche Form. Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand kann sich in Eigen- und in Regiebetrieben sowie in Eigengesellschaften und Beteiligungsgesellschaften abspielen. Als kommunale Unternehmen im engeren Sinne werden jedoch – wenn überhaupt – vornehmlich Gesellschaften in der privat-rechtlichen Form einer AG oder einer GmbH wahrgenommen. In den vergangenen Jahren haben vor allem die großen Städte für ihre gewichtigen wirtschaftlichen Betätigungen zunehmend diese Rechtsformen gewählt. Das gilt vornehmlich für die Gas-, Wasser und Stromversorgung, für den öffentlichen Personennahverkehr oder für die Wohnungswirtschaft – aber auch für die Abfallwirtschaft und sogar für die Straßenreinigung. In Frankfurt sind noch der Flughafen und die Messe zu nennen. Der Gesellschaftszweck ist überwiegend auf die Daseinsvorsorge und auf Tätigkeiten gerichtet, die der öffentlichen Hand eigentümlich und vorbehalten sind. Wegen der Grenzen, die Kommunen in Bezug auf die Gründung von privaten Gesellschaften und die Beteiligung an diesen auferlegt sind sowie der Anzeigepflicht und der Vertretung der Kommune in den vorgenannten Gesellschaften durch den Magistrat, wird auf die Vorschriften in der Hessischen Gemeindeordnung und im Haushaltsgrundsätzegesetz verwiesen. Der Trend zur Rechtsform der Gesellschaft des privaten Rechts ist wiederum am Beispiel der Stadt Frankfurt besonders deutlich zu erkennen. Vor 10 Jahren war die Stadt an 135, am 31. 12. 2007 bereits an 212 Unternehmen gesellschaftsrechtlich beteiligt. Diese Entwicklung hat schon vor vielen Jahren zur Einrichtung eines eigenständigen Beteiligungsreferates innerhalb des Finanzdezernats geführt. Die allgemeinen Themenstellungen und Fragen im Zusammenhang mit der Wirtschaftskriminalität sind
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auch für die Unternehmen der öffentlichen Hand von zunehmender Bedeutung. Wichtig ist, dass die ausgelagerten wirtschaftlichen Betätigungen ihre Funktion als Instrumente der Daseinsvorsorge nicht verlieren dürfen. Das wird vor allem bedeutsam, wenn es um die Anpassung von Preisen an marktwirtschaftliche Entwicklungen geht. Auch der so genannte „steuerliche Querverbund“ ist ein Beleg für die besondere Zwecksetzung, weil er darauf angelegt ist, die Gewinne bestimmter kommunaler Unternehmen zu Gunsten eines dauerhaften Verlustausgleiches anderer kommunaler Unternehmen zu bewirken. Diese Zwecksetzung erzeugt Gegensätze zu den ausschließlich am erwerbswirtschaftlichen Zweck der Unternehmensinhaber oder -beteiligten ausgerichteten Unternehmen. Dies spiegelt auch das Thema „Wirtschaftsstrafrecht im Spannungsfeld kommunaler Unternehmen“ wider. Dieses Spannungsfeld wird bestimmt von der besonderen Zwecksetzung dieser Unternehmen und den sich daraus ergebenden Besonderheiten für ihre rechtliche Betrachtung. Das beginnt aus den nachfolgenden Gründen bereits mit dem Unternehmensbegriff. Der – auch von mir – gerne gebrauchte Begriff vom „Konzern Stadt“ verkennt nämlich, dass unter dem so gebildeten Dach ausschließlich am Gemeinwohl orientierte Interessen zu finden sind. Gleichwohl erfordert die rein formale Betrachtung der neuen Rechnungslegung der Kommunen, die an die mehr oder weniger enge kaufmännische Buchführung angelehnt ist, nach der Einführung der Vermögens- und Ergebnisrechnung einen konsolidierten Rechnungsabschluss und damit eine konzernbezogene Darstellung. Für die Anwendung des Strafrechts stellt sich damit die Frage, ob der Begriff „Konzern Stadt“ überhaupt eine taugliche Grundlage für die Definition eines Unternehmensbegriffes ist, an dem sich Steuerungsfunktionen des Strafrechts orientieren. Und falls diese Frage bejaht werden könnte, ob eine solche Definition nicht auf die Besonderheiten eines solchen Konzerns Rücksicht nehmen müsste. Mir scheinen die Zielsetzungen innerhalb dieses Konzerns zu unterschiedlich und teilweise zu entgegengesetzt, um dies zu bejahen. Das bedeutet für die Anwendung des Wirtschaftsstrafrechts wohl den Verzicht auf die einheitliche
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Betrachtung dieses Konzerns und die isolierte Betrachtung der jeweiligen kommunalen Unternehmen unter allgemeinen an deren wirtschaftlichem Erfolg orientierten unternehmenspolitischen Zielen. Dies muss nach meinem Dafürhalten erst recht dann gelten, wenn zu diesem Konzern Beteiligungsgesellschaften oder Unterkonzerne mit fremden Anteilseignern gehören – die Kommune also nicht Alleingesellschafterin ist. Hier kann nur die isolierte Betrachtung der jeweiligen Gesellschaften allein gelten, an der sich offenbar auch sonst das Wirtschaftsstrafrecht orientiert. Ein weiteres Problemfeld, das sich aus den Besonderheiten der kommunalen Unternehmen ergibt, scheinen mir die Korruptionsdelikte darzustellen. Da als Täter oder Begünstigte nur Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete in Betracht kommen, ist die Amtseigenschaft ein strafbegründendes besonderes persönliches Merkmal. Jedoch täuscht die Annahme, dass mit der fortschreitenden Erledigung von Aufgaben der Öffentlichen Leistungsverwaltung in Gesellschaften privaten Rechts die dortigen Funktionsträger ohne weiteres den von §§ 331 ff. Strafgesetzbuch erfassten Amtsträgern gleichzustellen sind. Vor dem Hintergrund einer mehrheitlich lediglich als eine Verlagerung in eine privat-rechtliche Gesellschaft angesehenen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben halte ich eine Klarstellung eventuell sogar durch den Gesetzgeber für angebracht. Anders beurteile ich die Ausgangslage bei Verstößen gegen das Vergaberecht. Die dortige Betrachtung ist geprägt von einer zunehmenden Ausweitung des Umfangs vergabepflichtiger Vorgänge, die auch die kommunalen Unternehmen in privat-rechtlicher Form erfasst. Dies geht zurück auf die durch die Rechtsprechung gezogenen engen Grenzen eines sog. „Inhouse-Geschäfts“. Neben einer 100%igen Beteiligung an der betreffenden privatrechtlichen Gesellschaft bedarf es einer Kontrolle „wie über eine eigene Dienstelle“ und eines im Wesentlichen auf den öffentlichen Auftraggeber beschränkten Tätigkeitsbereiches. Liegen diese Kriterien nicht vor, ist also das kommunale Unternehmen „eigenständiger“, so macht dessen Auftragsvergabe auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen mit der nicht allein beteiligten Kommune das Unternehmen zu einem öffentlichen Auftraggeber.
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Diese auch auf die Rechtsprechung des EuGH zurückgehende Auslegung des Wettbewerbsrechtes hat im Falle eines Verstoßes die Nichtigkeit der Verträge zur Folge. Dabei ist nach neuester Rechtsprechung des EuGH eine vergaberechtswidrige Zuschlagserteilung sogar im Nachhinein angreifbar. Nun ließe sich einwenden, dass damit „lediglich“ eine Verpflichtung zur Rückabwicklung entstünde. Außerdem natürlich ein Vermögensschaden und ein Imageverlust – nicht aber strafrechtliche Folgen. Doch dürfte heute daneben immer noch der Untreuetatbestand zu prüfen sein bzw. geprüft werden, auch im Blick auf das als öffentliches Vermögen zu betrachtende sonstige kommunale Vermögen. Ich beschränke mich deshalb auf die aufgezeigten Felder, die Veranlassung zu der Klärung der Frage geben, wie das Wirtschaftsstrafrecht mit der besonderen Aufgabenstellung, die für eine Vielzahl kommunaler Unternehmen gilt, umgehen sollte.
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Soziale Marktwirtschaft, Finanzmarktkrise und Wirtschaftsstrafrecht Klaus Lüderssen Klaus Lüderssen Soziale Marktwirtschaft, Finanzmarktkrise und Wirtschaftsstrafrecht Economy, Criminal Law, Ethics – das sind Stichworte. Ob sie am Ende ein System ergeben, für das die Begriffe Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht bereit stehen, bleibt wohlweislich offen. Mit der „Handlungsfreiheit des Unternehmers“, dem eigentlichen Titel unseres Symposions, ist vielleicht ein fester Bezugspunkt gegeben; aber im Untertitel tauchen jene Stichworte wieder auf, etwas abgewandelt, jetzt als spezielle Aspekte eines größeren Themas, zu dem noch vieles andere gehört. Wenn dann in einzelnen Referaten die Begriffe Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht doch vorkommen, so sind das – sofern die Referenten uns nicht eines Besseren belehren – nur Konzessionen an einen eingeführten Sprachgebrauch, Definitionen stecken m. E. nicht dahinter. Diese sind nur als vorläufige Verabredungen zu haben. Denn gesetzliche Festlegungen, auf die man stößt – etwa in § 74 c Gerichtsverfassungsgesetz (Zuständigkeiten der Wirtschaftsstrafkammern) – sind eher zufällig; unabhängig davon angebotene Formulierungen hingegen bleiben, wenn sie sich auf Tatsachen beschränken, unverbindlich. Ist die Wertung aber mit gemeint, so erheben sich Legitimationsprobleme. Denn die Suche nach einem natürlichen Verbrechen, oder wie man gelegentlich noch hört, nach einer Unterscheidung zwischen delicta per se und delicta mere prohibita gehört wissenschaftstheoretisch der Vergangenheit an. Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität sind also gleichsam experimentelle Begriffe, die an den Phänomenen wie an den Normen ausprobiert werden. Die erste Assoziation, die sich dabei meldet, ist die eines extremen Dualismus. Auf der einen Seite stößt man auf Vorgänge, bei denen die Verurteilung zwangsläufig erscheint: Die Schwindelfirma, der betrügerische Bankrott. Auf der anderen Seite liegt das, was nach einem in der ökonomischen Theorie verwendeten Begriff allenfalls die Sphäre der Grenzmoral streift. Die Ausweitung und Intensivierung der Wirtschaftsstrafgesetzgebung im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts galt zwar primär den eindeutig auf die Unrechtsseite gehörenden Fällen, doch die auf sie folgende Praxis der Strafjustiz erfasste – abgesehen von den großen Grauzonen – mit einer gewissen Automatik auch die entgegengesetzte Seite der Amplitude, neutrale Fälle, und mit dieser undifferenzierten Perspektive beginnt unser Problem.
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Es zeigt sich auf verschiedenen Ebenen, für die ich jeweils ein Beispiel gebe. Erstens: Die Ausreizung generalklauselartiger Straftatbestände. Hier nenne ich den Untreuetatbestand. Zweitens: Die Etablierung streckenweise neuer Rechtsgebiete. Das ist insbesondere das Kapitalmarktstrafrecht. Drittens: Die Expansion der Technik der Blankettstraftatbestände. Hier nenne ich als Beispiel den uferlosen § 34 Abs. 4 Außenwirtschaftsgesetz. (Zuwiderhandlung gegen Embargos der UNO und der EU als Verbrechen). Gemeinsam ist diesen Entwicklungen die Tendenz, dass die Strafverfolgungsbehörden ihr Interesse zunehmend auf die gesamte Geschäftstätigkeit eines Unternehmens richten. Damit kommt das Strafrecht auf einen ihm bisher unbekannten Prüfstand: Funktionalität oder Dysfunktionalität. Die Wettbewerbsrechts-Gesellschaft – ich sage das in Anlehnung an Franz Böhms berühmtes Diktum von der Privatrechtsgesellschaft1 – hat ihre eigenen Gesetze und womöglich auch eine implizite Unternehmensethik, die das Strafrecht verfehlen kann. Dieses Konkurrenzverhältnis ist zu klären, auch verfassungs- und europarechtlich. Dabei muss der Sachverstand vieler Fächer zusammen kommen. Er beginnt im Strafrecht, aber zugleich mit den außerhalb seiner genuinen Grenzen liegenden Fragen der Gesetzesfolgenabschätzung durch den Gesetzgeber und der ebenso motivierten, von außerstrafrechtlichen Kenntnissen abhängigen teleologischen Interpretation und Anwendung der Vorschriften. Das geht nicht ohne Kriminologie, deren empirische Forschungen sich auf dem hier interessierenden Gebiet allerdings noch in den Anfängen befinden, und die ihren – durchaus erwünschten – Anteil an kriminalpolitischen Ideen gern verbirgt, wenn man von wissenschaftlich nicht zählenden politischen Reizbarkeiten absieht. Wichtig sind dann das Gesellschaftsrecht, aber auch Teile des Verwaltungsrechts, immer auch in europäischer Perspektive, vor allem aber, das nun ganz sicher ohne nationale Beschränkung, Ökonomie, Betriebswirtschaft und der Teil der Philosophie, die sich mit Unternehmensoder Wirtschaftsethik beschäftigt. In erster Linie eine interdisziplinäre Aufgabe also. Eigentlich etwas altmodisches, denn die Jurisprudenz ist – unerachtet der (so genannten) reinen Rechtslehre – immer eine scientia omnium rerum gewesen. Auch die in den sechziger und siebziger Jahren viele Juristen provozierenden Appelle, interdisziplinär zu arbeiten, sind inzwischen fast verhallt. Aber jetzt wenigstens und hier sollten sie aktualisiert werden.
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Franz Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, in: Ordo 1066, S. 75 ff. (s. auch unten S. 272/273).
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Die Abfolge der Themen der Tagesordnung ergibt sich daraus eigentlich von selbst, bedarf keiner zusätzlichen Erläuterung. Die heikle Frage indessen, die sich bei allen Referaten stellt, ist nicht expressis verbis formuliert: Hat das Strafrecht eine Steuerungsaufgabe? Wer vom Strafzweck der Prävention ausgeht, wird dabei zunächst vielleicht gar nicht zögern wollen. Aber die strafrechtliche Prävention lebt ja vor allem von der Zurechnung des Vergangenen und der daraus zu ziehenden Konsequenzen für zukünftiges Handeln. Außerdem ist sie auf ausgewählte Ereignisse konzentriert, während man bei Steuerung eher an Längerfristiges und Verallgemeinerndes denkt. Im übrigen wird in jüngeren Untersuchungen – mit Recht, finde ich – darauf hingewiesen, dass „unter den Bedingungen einer in verschiedene selbstreferentielle Systeme (. . .) ausdifferenzierten Wirtschaft“ das staatliche Strafrecht nicht durchgesetzt werden könne.2 Jedenfalls müssen diese Sachverhalte erst einmal in größeren Zusammenhängen sichtbar gemacht werden. Zusammen mit Vertretern der Strafjustiz wäre dann in einem nächsten Schritt der Frage nachzugehen, welche Rolle die Strafjustiz in dem komplexen Geflecht von Interessen übernehmen kann und sollte. Die durch autonome obrigkeitliche Eingriffe geprägte Tradition der Strafjustiz wäre mit Bestrebungen zu konfrontieren, die im öffentlichen Recht, wozu Strafrecht und Strafprozessrecht ja auch gehören, längst zu Strukturen kooperativer und konsensualer Normsetzung und Anwendung geführt haben, zunehmend beeinflusst von der unaufhaltsamen Osmose zwischen Staat und Markt. Aktuell: Die Gesetzgebung zur Finanzmarktstabilisierung. Die „Bauhütte“ des Justizministeriums, von der schon Radbruch seinerzeit gesprochen hat, ist längst ungezählten Runden von Experten aus der Wirtschaft gewichen. Damit bin ich bei weiteren zukünftigen Aufgaben: Ich meine, man müsste in erster Linie ganz umfassend, vor allem rechtsvergleichend und rechtshistorisch und unternehmensethisch über Untreue sprechen, das wäre eine komplette Tagung. Dem könnten weitere Auseinandersetzungen etwa über das Wertpapierhandelsstrafrecht und über Korruption folgen. Was die Sanktionen angeht, so steht die Strafe zur Disposition, wenn man Unternehmensstrafrecht fordert; denn bestraft werden können nur Personen, denen man ein Unrecht individualisierend zurechnet. Dieser Maßstab könnte sich relativieren in einem reinen Interventionsrecht, das auf Strafe verzichtet und doch – im Namen des Gemeinwohls – hinausgeht über verwaltungsrechtlich oder zivil2
Hans Theile, Wirtschaftskriminalität und Strafverfahren. Systemtheoretische Überlegungen zum Regulierungspotenzial des Strafrechts, Münsteraner Habilitationsschrift (noch unveröffentlicht), S. 404.
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rechtlich bestimmte Ausgleichsmechanismen zwischen Schädiger und Geschädigtem. Was das für die rechtsstaatlichen Garantien des Strafrechts und des Strafprozessrechts (vor allem: Bestimmtheit der Tatbestände und Beschuldigtenschutz) bedeuten würde, wäre ebenfalls gesondert zu klären, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt, dass es den Rechtsstaat nicht nur im Strafrecht und im Strafprozessrecht gibt. Ferner wäre das Programm der rechtlichen Alternativen zum Strafrecht – vielleicht sogar in mehreren Anläufen – im Sinne der Forderung zu konkretisieren, die vor gut zehn Jahren schon Claus Roxin erhoben hat: Wir brauchen eine „interdisziplinäre Subsidiaritätswissenschaft“3 zum Strafrecht – auch wenn durchaus mit der Meinung zu rechnen ist, dass das Strafrecht, bleibt es nur hinreichend exklusiv, im Vergleich mit weit reichenden und intensiven alternativen Sozialkontrollen das liberale sei. Dabei müsste es freilich der Versuchung widerstehen, die man inzwischen das Kontrollparadoxon nennt, dass nämlich Compliance und Corporate Governance, wiewohl mit dem Anspruch normativer Selbständigkeit auftretend, Pflichten formulieren, die wieder im Strafrecht landen. Vor Jahren hat Klaus Hopt die Neigung der Justiz kritisiert, der „Bejahung der zivilrechtlichen Haftungsmöglichkeiten . . .“ den „Griff zur Kriminalisierung voraus zu schicken“.4 Jetzt ist es im Zeichen der Finanzkrise wieder ein Zivilrechtler, der vor dem voreiligen Ruf nach dem Strafrecht warnt. „Wer sind die Schuldigen?“ fragt Rolf Stürner, „Wirtschaftswissenschaftler, . . . die ihren . . . Modellen“ einen fragwürdigen Begriff vom „homo oeconomicus zugrunde“ legen? . . . oder „der nationale Gesetzgeber mit seinen Parteien, die zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland das Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht dereguliert haben und für die Privatisierung ein Allheilmittel zu sein schien, und die Risiko-Kapitalanlagen des Bürgers steuerlich besonders förderungswürdig“. Oder: Weltbank und internationaler Währungsfond, die das Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell der USA als Vorbild weltweit empfahlen, auch unter der Direktorenschaft des Bundespräsidenten beim IWF? Schließlich Europäischer Gerichtshof und Bundesverfassungsgericht, denen Teile des Berufsrechts nicht genügend dereguliert sein konnten?“ Stürner hat 3
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„Die Strafrechtler müssten im Verein mit den Vertretern der anderen Wissenschaften vor Einführung neuer Strafvorschriften – und auch bei bereits bestehenden – unter Überprüfung des gesamten Repertoires präventiver Möglichkeiten nach Alternativen der Strafdrohung oder nach Möglichkeiten zur Einschränkung des strafbaren Verhaltens suchen“. In: Neumann/Prittwitz (Hrsg.), Kritik und Rechtfertigung des Strafrechts, 2005, S. 75 ff. (183 f.). FS Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 105 ff. (114).
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das gesagt in einem 2008 bei der Frankfurter Buchmesse gehaltenen Vortrag über das Thema „Marktwirtschaft – Verlust des gesellschaftlichen Gleichgewichts?“, auf dem Hintergrund seines großen Werkes über Markt und Wettbewerb.5 Damit ist eine Diskussion berührt, von der man sagen muss, dass sie seit Jahrzehnten ruht und sich vielleicht jetzt erst – angesichts der Finanzmarktkrise – erneut entfaltet. Wirtschaftsverfassung und Grundgesetz war in den späten fünfziger Jahren ein viel erörtertes Thema, bei zunehmender Konzentration freilich auf das Problem der Mitbestimmung und der Kartelle. Die Wiederaufnahme der Marxismus-Diskussion an den westdeutschen Universitäten in den siebziger Jahren hat diese Debatte verdunkelt, und als das wieder vorbei war, hätte man sich vielleicht auf liberale Größen wie Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow – und natürlich das Gegenmodell Keynes6 – besinnen können,7 doch dann kamen die Rezeption der Systemtheorie und die neue Institutionen-Ökonomik mit ganz anderen, eher technischen Problemen,8 und im Gesellschaftsrecht stritt man über Stakeholder- oder Shareholder-Ansatz, nicht über Kapitalismus und Demokratie. Nur wenn man auch diese Frage aufgreift (für die Relativierung der in erster Linie auf den Staat setzenden Modelle ist sie lebenswichtig), wird man die Akzeptanzkrise meistern können, der die Konzeption einer sozialen Marktwirtschaft gegenwärtig ausgesetzt ist. Ökonomen und Verfassungsrechtler sollten hier zusammen wirken, und ich halte es nun nicht für ausgeschlossen, dass es sinnvoll sein könnte, den Beginn eines Programms über spezielle Fragen des Wirtschaftsstrafrechts und der Wirtschaftskriminalität mit dem Versuch einer Orientierung über die politischen Grundlagen des Finanzmarktsystems zu verknüpfen. Man kann gar nicht hoch genug greifen, um sich die verantwortungsschwere Rolle des Strafrechts bewusst zu machen, und für Grenzgebiete wie das Wirtschaftsstrafrecht gilt das erst recht. Darum sind wir hier zusammen gekommen. 5 6
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Rolf Stürner, Markt und Wettbewerb überall? Gesellschaft und Recht im Fokus neoliberaler Marktideologie, München 2007. Dazu jetzt Johann Graf Lambsdorff/Christian Engelen, Das Keynesianische Konsensmodell einer offenen Volkswirtschaft, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium 2008, S. 540 ff. Das tun jetzt Roland Vaubel, Lehren aus der Finanzkrise: Rolle des Staates und internationale Dimension (vorgesehen für die Veröffentlichung im Ordo-Jahrbuch 2009), und Erich Weede, Die Finanzmarktkrise als Legitimationskrise des Kapitalismus: Überlegungen zum (allzu) menschlichen Handeln in Wirtschaft und Politik (ebenfalls vorgesehen zur Veröffentlichung im Ordo-Jahrbuch 2009). Vgl. zur aktuellen Diskussion Thomas Pfahler/Wolfgang Rieken, Transaktionstheorie als Auswahlkriterium für ökonomische Koordinationsformen. In: Wirtschaftswissenschaftliches Studium 2008, S. 654 ff.
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Die Basis des Wirtschaftsstrafrechts Winfried Hassemer Winfried Hassemer Die Basis des Wirtschaftsstrafrechts
Gliederung
A. Das Bild der Wirtschaft I. Vertrauen II. Krise B. Der Gegenstand eines Wirtschaftsstrafrechts I. Konstitution des Gegenstands II. System des Gegenstands 1. Teilsysteme 2. Respekt, Umsicht, Festigkeit 3. Wirtschaft und Moral C. Grundzüge eines Wirtschaftstrafrechts I. Rechtsgüterschutz II. Umhegung III. Prozeduralisierung D. Zusammenfassung
Was immer man am Ende über dieses Symposion sagen wird: Man wird die Veranstalter schon zu seinem Beginn ob ihrer thematischen Punktlandung rühmen dürfen. Wo doch Prognosen im Bereich der Wirtschaft so schwierig und gefährlich sind: Hier ist es gelungen, die Probleme, die wissenschaftlich traktiert werden sollen, an unserer aktuellen Alltagswelt sichtbar zu machen. Was die Beziehungen von Ökonomie, Politik, Recht und Moral angeht, befinden wir uns, mit Händen greifbar, in einer tiefen Orientierungskrise – nicht erst seit heute, aber heute mit besonderer Verzweiflung. Wie auch immer die Antworten ausfallen mögen: die Fragen sind gestellt.
A.
Das Bild der Wirtschaft
Wie die Antworten ausfallen werden, dürfte beim Verhältnis von Wirtschaft und Strafrecht vor allem davon abhängen, aus welcher Ecke sie kommen, und das ist schon das erste Dilemma. Die Menschen, die Ökonomie nicht gelernt
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haben – die allermeisten Juristen eingeschlossen –, haben von „der Wirtschaft“ ein bestenfalls schiefes und verdunkeltes Bild. Dieses Bild hat sich in den letzten Wochen keineswegs zurechtgerückt und aufgehellt, im Gegenteil. Von diesem Bild aber hängt viel ab: für die allgemeine Politik, für Gesetzgebung und Rechtsprechung – und am Ende natürlich auch für die Wirtschaft selbst.
I.
Vertrauen
Solche wie mich gibt es in diesem Saal vermutlich nicht wenige: Interessierte Bürger/-innen, geübte Zeitungsleser, Fachleute des Strafrechts und eingeschworene, aber zunehmend verschreckte Bewunderer der Ökonomie und ihrer Wissenschaften. Dass unser Leben von der Ökonomie vielfältig abhängt, haben wir verstanden – nicht aber das Gewirr der Fäden, an denen diese Abhängigkeit ihrerseits hängt. Ob andere dieses Gewirr verstehen, wie sie heißen und wo sie wohnen, wissen wir nicht. Staunend und nichts Gutes ahnend werden wir immer wieder vor Geheimnisse gestellt, die uns aus dem dunklen Land der Ökonomie erreichen, werden getroffen und verletzt von fremden Entscheidungen, die wir noch nicht einmal im Ansatz nachvollziehen können – von ihrer Verhinderung oder gar Korrektur ganz zu schweigen. Dass die Deutsche Börse in absehbarer Zeit zwischen die Kiefer von Heuschrecken geraten kann, dass dunkle Herren irgendwo auf den Abschwung wetten und den damit auch, auf fremde Kosten, beflügeln: Wer eigentlich stellt ernsthaft und öffentlich die Frage, was solche Nachrichten in den Köpfen und den Herzen der Bürger anrichten, was sie für eine Zivilgesellschaft und eine Demokratie bedeuten? Die armselige Diskussion über die Rolle der Moral in der Wirtschaft ist mir in ihrer Mischung von Verkürzung und Entschiedenheit ein Beleg für das Maß an Desorientierung, die sich mittlerweile breit macht. Die Moral ist das Einzige und Letzte, von dem die Leute glauben, sie verstünden sie wirklich, und nach ihr greifen sie wie nach einem Strohhalm. Der Angriff, die Wirtschaft und die, die sie betreiben, unterlägen den Regeln der Moral, ist ebenso falsch wie die Verteidigung, Wirtschaften habe mit Moral nichts zu tun, kurzsichtig ist. Eine Wirtschaft, welcher die in einer Gesellschaft geltenden normativen Regeln egal sind und die das auch noch mit einem – wenn auch in sich richtigen – bloß analytischen Argument belegt, statt sich in der Sache mit dem Problem auseinanderzusetzen, könnte à la longue ihr blaues Wunder erleben. Ich komme darauf zurück (unter B.II.3.).
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Vertrauen, so hören wir aus der Finanzwirtschaft, ist die Basis der Ökonomie; normative Desorientierung, so hören wir aus dem Strafrecht, ist der Zerstörer einer vernünftigen Kriminalpolitik. Beides ist vermutlich richtig. Richtig aber ist dann auch, dass das Bild, das uns von der Wirtschaft vermittelt wird, der Zerstörer von Vertrauen und Orientierung ist.
II.
Krise
Die aktuelle Bankenkrise war und ist dafür ein sprechendes Beispiel. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat dazu in ihrer Ausgabe vom 21. September 2008 in einer einzigen Abteilung „Geld & Mehr“ etwa Folgendes getitelt: „Untergang oder Rettung? Zwei Szenarien. Alles wird schlimmer. Alles wird gut.“ „Krisen werden immer nach dem gleichen Muster gelöst: Der Staat übernimmt das Risiko.“ „Der amerikanische Staat ist schuld.“ „Trotz allem: Mit Aktien fürs Alter vorsorgen.“ „Jetzt geht es den Spekulanten an den Kragen“. Als ich diesen bunten Strauß gesehen hatte, habe ich den letzten Artikel mit der Überschrift „Alles, was Anleger jetzt wissen müssen“ flugs beiseite gelegt: Was hätte denn da noch Verlässliches drinstehen können? Man stelle sich vor, so sähen Schlagzeilen und Berichte aus, hinter denen andere empirische Wissenschaften stehen als die Wirtschaftswissenschaft, etwa Psychologie, Historiographie, Biologie, Meteorologie oder, Gott behüte, Flugzeugbau oder Pharmakologie. Nicht auszudenken. Ich will der Ökonomie und ihren Wissenschaften wissenschaftstheoretisch nicht zu nahe treten; dazu bin ich weder befugt noch imstande. Dort liegt vermutlich auch nicht das Problem. Es liegt in meinen Augen eher nicht in dem, was geschieht, sondern im öffentlich verbreiteten Bild dessen, was geschieht – wobei ich natürlich offen lassen muss, wie weit das Bild „stimmt“ und wie weit nicht. Denn jeder, der den öffentlichen Diskurs beobachtet und dabei nicht nur sein Portemonnaie, sondern auch das allgemeine Wohl im Auge hat, muss einen Blick entwickeln für die Folgen, die ein bestimmtes Bild der Wirtschaft für unsere Gesellschaft, für unsere Politik und für das Überleben eines civis activus haben wird. Und überdies hat, wer über Wirtschaftsstrafrecht ernsthaft nachdenkt oder verbindlich redet, ein Bild von „Wirtschaft“ – ob er das weiß und will oder nicht. Denn was „Wirtschaft“ ist, ist ja der Gegenstand von Wirtschaftsstrafrecht. Und wie die von ihm vorgeschlagenen rechtlichen Strategien und Instrumente aussehen und ob sie passen, hängt vor allem von seinem Bild von
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„Wirtschaft“ ab. Also ist es nicht ganz falsch, in einer Debatte auch darüber nachzudenken und zu streiten, was das für ein Bild ist.
B.
Der Gegenstand eines Wirtschaftsstrafrechts
Auf der Folie des Bildes der Wirtschaft beginne und entwickle ich meine Überlegungen zur Basis des Wirtschaftsstrafrechts.
I.
Konstitution des Gegenstands
Diese Folie soll verständlich machen oder auch nur daran erinnern, dass dem Strafrecht und deshalb auch einem möglichen Wirtschaftsstrafrecht „die Wirtschaft“ als sein Gegenstand nicht schlicht zur Hand ist. Dasselbe gilt für Handlungsbereiche und deren Gegenstände, die mit der Wirtschaft in Kontakt sind und deshalb gegen sie abgegrenzt werden müssen, wie etwa die Moral oder auch das Recht und seine Politik. Die Vernünftigkeit, die Gerechtigkeit und die Angemessenheit von Wirtschaftsstrafrecht sind keine Funktionen einer unvermittelten Beobachtung von Wirklichkeit, sondern Ergebnis von deren Konstitution. Sie werden nicht abgelesen, sondern hergestellt. Diese traditionsreichen Pfeiler einer kritischen Erkenntnistheorie und einer pragmatischen Hermeneutik brauchen hier nicht noch einmal hergeleitet, an sie soll nur erinnert werden. Diese Erinnerung verhilft zu einem umsichtigen und der Sache angemessenen Umgang mit „der Wirtschaft“ als Gegenstand eines Wirtschaftsstrafrechts. Sie soll uns daran hindern, frohgemut unterkomplexe und methodisch ungesicherte Aussagen über den Sachbereich eines Wirtschaftsstrafrechts zu treffen und diesen Aussagen sodann die kriminalpolitisch gebotenen Schlüsse zu entnehmen oder besser: zu unterlegen. Es ist in Wirklichkeit um eine ganze Stufe komplizierter: Kriminalpolitische Entscheidungen müssen nicht nur ihre Gerechtigkeit überlegen und begründen; sie müssen auch zur Diskussion stellen und rechtfertigen, dass sie ihrem Gegenstand angemessen sind, dass sie ihn zur Kenntnis genommen und verstanden haben. Sie haben nicht nur eine normative, sondern auch eine empirische Aufgabe zu erfüllen, wenn man sie ernst nehmen soll. Wird die empirische Aufgabe verfehlt, so ist die normative nicht mehr zu erfüllen; ein gerechtes Wirtschaftsstrafrecht ohne tragfähigen Bezug zur Wirklichkeit der Wirtschaft wäre der pure Zufall. Das kann man getrost vergessen (obwohl die Juristen zu solchen Kurzschlüssen durchaus neigen).
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Und schließlich: Die Anforderungen an die Erledigung der empirischen Aufgabe wachsen mit der Komplexität des Gegenstands, um dessen rechtliche Regelung es geht: Komplexität macht jegliche Praxis, auch die juristische und die rechtspolitische, schwierig und fehleranfällig. Diese Selbstverständlichkeit steht uns Juristen nicht immer vor Augen, weil nicht alle unsere Regelungsbereiche in besonderer Weise komplex sind. Bei der Wirtschaft aber betrifft sie unsere Arbeit unmittelbar: In meinen Augen gibt es derzeit nicht viele Gegenstandsbereiche rechtlicher Regelung, die es in ihrer Komplexität mit „der Wirtschaft“ aufnehmen könnten. Das Bild, das „die Wirtschaft“ bei uns abgibt und das wir gerade (unter A.) etwas angeschaut haben, spricht für sich. Also kann die Basis eines Wirtschaftsstrafrechts nur gelegt werden, wenn man den Gegenstandsbereich der rechtlichen Regelung mit Umsicht und Vorsicht auch in seiner empirischen Dimension rekonstruiert.
II.
System des Gegenstands
Eine weitere Komplikation eines Wirtschaftsstrafrechts tritt hinzu. Sie ist für die Praxis der Gesetzgebung und den Alltag der Justiz ungleich differenzierter und zugleich folgenreicher als die gerade besprochenen erkenntnistheoretischen Anforderungen an die Konstitution des Gegenstands. Sie verdankt sich dem Umstand, dass der Gegenstand eines jeglichen Wirtschaftsstrafrechts ein „System“ ist: ein teilautonomer Handlungsbereich unseres Gesamtsystems mit nicht nur empirischen, sondern auch normativen Besonderheiten, mit einer eigenen Struktur, mit eigener Kraft und eigenem Recht auf Existenz.
1.
Teilsysteme
Auch hier sollen Einzelheiten der Systemtheorie, der sich diese Überlegungen verdanken, nur in Erinnerung gebracht und nicht hergeleitet werden. Deshalb werde ich kurz diejenigen Kennzeichen des Systems „Wirtschaft“ vor Ihnen ausbreiten, auf die es für ein Wirtschaftsstrafrecht in besonderer Weise ankommt. Der Wirtschaft kommt – gleich anderen Teilsystemen der Gesellschaft wie etwa Wissenschaft, Religion, Sport, Familie, Massenmedien, aber auch dem Recht – eine eigene Systemvernunft zu; sie handelt nach ihren Regeln, mit ihren Methoden, Instrumenten, Instanzen und Funktionen in ihrem Teilbereich der Gesellschaft, sie definiert und erfüllt spezifische Aufgaben, verfügt über eigene Kriterien von Erfolg und Scheitern, führt ihre eigenen sachbezo-
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genen Diskurse und fällt ihre Urteile. Sie ist – schon vor und außerhalb aller rechtlichen Regelung – selber normativ strukturiert. Die Frage, ob man heute oder morgen auf dieses Teilsystem unserer Gesellschaft verzichten sollte oder könnte, ist nicht sinnlos, aber abwegig; sie wäre eine ebenso wirklichkeitsferne Spekulation wie die Frage nach dem Existenzrecht von Wissenschaft oder Religion. Diese systemtheoretisch angeregten Bestimmungen des gesellschaftlichen Teilbereichs Wirtschaft sind von greifbarer Relevanz für jegliche rechtliche Regulierung dieses Teilbereichs und gehören deshalb auch zur Basis eines jeglichen Wirtschaftsstrafrechts. Unterschiede begründen sich nur aus der unterschiedlichen Funktion und Struktur der rechtlichen Regulierung – vom Aktienrecht über das Außenwirtschaftrecht bis hin zum Strafrecht. Gleichsinnig aber – und darauf kommt es hier an – sind die systemisch begründeten Anforderungen, denen jegliche rechtliche Regulierung der Wirtschaft als eines teilautonomen Subsystems der Gesellschaft zu genügen hat:
2.
Respekt, Umsicht, Festigkeit
Respekt, Umsicht und Festigkeit – so könnte man die Haltungen grob beschreiben, die das Recht und auch ein Wirtschaftsstrafrecht aufbringen muss, wenn es ein anderes gesellschaftliches Subsystem wie die Wirtschaft in seinem Sinne ordnen will. Respekt trägt der Tatsache Rechnung, dass das Subsystem Wirtschaft kein chaotisches Feld von Zufälligkeiten oder Sinnlosigkeiten ist, sondern selber eine normative Ordnung und eine funktionale Struktur hat – freilich eine andere als die des Rechts. Die Wirtschaft verfügt darüber hinaus über Vorkehrungen und Einrichtungen, die ihrerseits die Funktion haben, normative Ordnung herzustellen und zu überwachen. Was richtig ist und was falsch, was sachangemessen ist und plausibel, was toleriert werden kann und was sanktioniert werden muss, das hat das Recht der Wirtschaft nicht vorzugeben; das weiß sie selber. Das Recht tritt erst auf den Plan, wenn eine Linie überschritten ist, welche die Systemvernunft des Rechts zu ziehen hat: wenn durch wirtschaftliches Handeln etwa schützenswerte Interessen ohne Rechtfertigung beschädigt werden. Wenn man zu solchen Vergleichen neigt, kann man das Subsystem Recht im Verhältnis zum Subsystem Wirtschaft für einen Linienrichter halten. Ein Schiedsrichter ist es nicht; dessen Aufgaben „auf dem Platz“ erledigt die Wirtschaft selbst. Respekt ist eine positive Form der Abgrenzung; er belässt
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dem anderen Teilsystem die Rechte und die Zuständigkeiten, die ihm gebühren. Auch darauf möchte ich noch einmal zurückkommen (unter C.II.). Umsicht ist die Tugend der vernünftigen, systemschonenden und funktionswahrenden Annäherung. Gerade bei einem komplexen Teilsystem wie der Wirtschaft, das dem Teilsystem Recht in vielerlei Hinsicht ähnlich ist und sich mit ihm berührt – von der Normativität seiner Struktur über seine Abhängigkeit von der Politik bis hin zu den vielfältigen konkreten Ausbildungen von „Wirtschaftsrecht“ –, ist die Gefahr groß, dass das Recht auf seine Weise auch dort regelt, wo es nichts zu suchen hat. Umsicht soll davor bewahren, Grenzen zwischen Teilsystemen zu übersehen und Regelungen zu produzieren, die für das zu ordnende System dysfunktional sind, die ihm nicht passen. Umsicht fragt deshalb nach den Inhalten und Grenzen von Systemvernunft und funktionaler Zuständigkeit; dazu gehören beispielsweise die subsidiäre Vernünftigkeit von Selbstregulierung im Bereich der Wirtschaft, die Tauglichkeit der jeweiligen Regelungsinstrumente des Strafrechts für diesen Bereich oder die Bestimmung von Anlässen des strafrechtlichen Ein- und Übergreifens. Festigkeit endlich schafft die Garantie, dass das Recht sich dort auch durchsetzt, wohin seine Regulierungsfunktion reicht. Festigkeit des Rechts, seiner Grundsätze und seiner Befehle ist schon als solche ein rechtlicher Wert; Gesellschaften mit unklaren oder bloß symbolischen Anordnungen, wie wir sie etwa aus dem früheren Ostblock kennen, oder Gesellschaften mit markanten Lücken der Implementation, wie sie uns immer noch in Latein-Amerika begegnen, sind defizitär schon wegen ihrer mangelnden Festigkeit, sie enttäuschen die Menschen und nehmen sie nicht für voll, sie stiften mehr Schaden als Nutzen. In einem rechtlichen System wie dem Wirtschaftstrafrecht, das dem System Wirtschaft mit Respekt und Umsicht entgegentritt, ist Festigkeit eine unverzichtbare Haltung. Sie ist die Antwort des Rechts auf die Komplexität der Wirtschaft und deren eigene Normativität; sie realisiert, dass das Strafrecht eine normative Struktur, die mit der rechtlichen konkurriert, nicht akzeptiert oder sie auch nur passieren lässt, sie hält fest, dass das Strafrecht auch gegenüber der Wirtschaft eine Botschaft hat und dass diese Botschaft nicht nur im Interesse der Bürger, der Politik oder des Kriminalsystems durchgesetzt werden muss, sondern am Ende auch im Interesse der Wirtschaft. Festigkeit darf ein Wirtschaftsstrafrecht üben, wenn es zuvor seinem Regelungsbereich mit Respekt und Umsicht begegnet ist.
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Winfried Hassemer
Wirtschaft und Moral
Die Konzepte von Systemvernunft und von Subsystem verhelfen nicht nur zu einer basalen Grenzziehung zwischen Wirtschaft und Recht (oben B.II.2.), sondern auch zu einer einleuchtenden Abgrenzung von Wirtschaft und Moral (dazu schon oben A.I.). Natürlich gehört Moral nicht zur Systemvernunft von Wirtschaft, natürlich wäre das Erwirtschaften von sinkenden Einkommen zur Vermeidung einer Neiddebatte kein vernünftiges Ziel ökonomischen Handelns, und natürlich ist deshalb beispielsweise der Verweis auf Moral als Stoppschild für Managergehälter zuerst einmal fehl am Platze. Innerhalb des Subsystems Wirtschaft ist der Versuch, einer Situation das ökonomisch Maximale zu entnehmen, nicht Gier, sondern Geschäftssinn. Diese Art von Moral gehört nicht zum instrumentellen Arsenal des Subsystems Wirtschaft, und wer sich unvermittelt auf sie beruft, zieht ein Kaninchen aus dem Zylinder. Er verschleiert überdies die grundlegenden und für uns alle notwendigen systemischen Abgrenzungen zwischen Wirtschaft und Moral und verschmutzt damit die öffentlichen Diskurse darüber, was bei uns gelten soll – vielleicht nicht immer ohne Hintergedanken. Die Berufung auf die systemischen Grenzen der Wirtschaft aber ist strategisch kurzsichtig, sie ist bloß analytisch und trägt nicht weit. Denn genauso natürlich ist die Debatte um Moral in der Wirtschaft mit dieser systemtheoretischen Argumentation nicht zu Ende. Die Wirtschaft ist bloß ein Teil-, sie ist ein Subsystem der Gesellschaft, sie steht mit anderen Teilsystemen in Kontakt und Konkurrenz, und deshalb ist ihre Vernunft nur eine Teil-Vernunft. Wie sie mit dem Recht zu rechnen hat, mit Verboten, Sanktionen und gesetzlich angeordneten Folgen ihres Handelns, so hat sie auch mit Politik zu rechnen, mit öffentlichem Diskurs und Massenmedien. Das darf sie auf die Dauer nicht übersehen, weil Wirkungen in anderen Teilsystemen auf sie zurückwirken können. Und sie darf nicht vernachlässigen, dass die Systemvernunft etwa der Massenmedien sowie deren Waffenarsenale nicht dieselben sind wie ihre eigenen, weil sie sonst böse Überraschungen erleben wird. Und das Wichtigste: Wie man auch einzelnen Zeichen der aktuellen Finanzkrise entnehmen kann, sind Grenzen und Gewicht der Subsysteme durchaus in Bewegung; die verbreitete – und weithin unbestrittene – Kritik an unmoralischen Managern weist darauf hin, dass es um die Autonomie des Subsystems Wirtschaft derzeit nicht gut bestellt ist. Seine Überzeugungskraft ist schwächer geworden, sein Glanz ist verdunkelt.
Die Basis des Wirtschaftsstrafrechts
C.
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Grundzüge eines Wirtschaftstrafrechts
Damit ist die Basis eines Wirtschaftstrafrechts vorbereitet, nämlich die Antwort auf die Frage, welche Grundzüge rechtlicher Regelung ein Wirtschaftsstrafrecht bestimmen sollen. Drei Stichwörter habe ich, um Ihnen den Weg zu erläutern, den ich für den richtigen halte: Rechtsgüterschutz, Umhegung und Prozeduralisierung. Die Konzepte, die hinter diesen Stichwörtern stehen, nehmen die Besonderheiten des Regelungsbereichs Wirtschaft auf, die wir gerade herausgearbeitet haben, und tragen ihnen Rechnung.
I.
Rechtsgüterschutz
Ob das Strafrecht seine Aufgabe im Schutz von Rechtsgütern findet, ob es zusätzlich zu Rechtsgütern oder anstelle von Rechtsgütern irgendetwas anderes schützen soll, ja ob es Rechtsgüter überhaupt gibt – wer es noch nicht wusste, versteht spätestens an dieser Stelle zweierlei: was eine akademische Diskussion unter Strafrechtlern auszeichnet und warum ich hier alles andere tun werde als sie zu führen. Statt mich in Argumenten zu ergehen, flüchte ich in Lobpreisungen und beschränke mich darauf, Ihnen vorzuführen, welchen massiven Vorteil ein Denken aus dem Rechtsgut gerade in einem Wirtschaftsstrafrecht hätte. Die mir im Untertitel meines Referats angediente alternative Vorstellung, das Verbrechen sei Pflichtverletzung, kann dem Konzept des Rechtsguts das Wasser nicht reichen. Diese Vorstellung ist nicht etwa der Versuch, auf die Frage, was das Strafrecht soll, eine Antwort zu geben, sondern geradewegs der Versuch, diese Antwort zu vermeiden: Das Konzept des Verbrechens als Rechtsgutsverletzung unternimmt es, dem Strafgesetzgeber zu sagen, welches Ziel er mit seinem Gesetz verfolgen soll, um ihn sodann daran festzuhalten: Er soll Rechtsgüter schützen wie Leben, Freiheit oder das Funktionieren des Kapitalmarkts. Das Konzept des Verbrechens als Pflichtverletzung hingegen belästigt den Gesetzgeber mit solchen Zumutungen nicht; es akzeptiert jeweils das, was der Gesetzgeber als Pflicht des Rechtsunterworfenen statuiert. Es ist ein reduziertes, ein positivistisches Konzept und muss uns seine Beliebtheit in eher autoritär gestimmten Strafrechtsordnungen nicht erst mühsam erklären. Dieses Konzept ist also heutzutage kein ernsthafter Konkurrent des Rechtsguts – anders als die These, gerade in einem Wirtschaftsstrafrecht habe das Rechtsgutskonzept nichts zu suchen; dieses Recht sei viel zu komplex für den
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Winfried Hassemer
vorgestrigen Winzling Rechtsgut; der könne die globalen Aufgaben der Moderne nicht stemmen. Es ist offensichtlich, dass das Konzept des Rechtsguts seine Heimat im Vorgestern hat: im klassischen Kernstrafrecht, bei Diebstahl, Vergewaltigung und Brunnenvergiftung; dort hat es uns etwas zu sagen, beispielsweise dass der Hochverrat (§§ 81 ff. StGB) oder die öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) bloß im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung wirken und in den Voraussetzungen der Strafbarkeit entsprechend behandelt werden müssen. Im Nebenstrafrecht hingegen tut sich das Rechtsgutskonzept schwer und auch im Wirtschaftsstrafrecht, wo es um großflächige und zumeist überindividuelle Interessen geht wie Volksgesundheit, Subventionssystem, Energiesicherung oder Ernährungsvorsorge. Wie will man dem Strafgesetzgeber mit Aussicht auf Erfolg einwenden, eine bestimmte Vorschrift des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln sei, bei Licht betrachtet, zum Schutz des Rechtsguts Volksgesundheit eigentlich nicht geeignet? Ich gestehe das zu und halte dagegen: Wenn man mit diesem, in sich richtigen, Argument das Denken aus dem Rechtsgut von einem Wirtschaftsstrafrecht fernhält, schüttet man das Kind mit dem Bade aus. Dass es in diesem Bereich strafrechtlicher Regulierung um großflächige, komplexe, überindividuelle und überdies schnell wechselnde Interessen geht, ist kein Grund, das Rechtsgutskonzept zu verabschieden, sondern ein Anlass, es zu verbessern und zuzuschärfen. Dass die Wirtschaft als teilautonomes Subsystem der Gesellschaft ihre eigene Systemvernunft hat und dass sie diese Vernunft auch lebt, dass sie selber normativ strukturiert ist und Kriterien von richtig und falsch ausbildet (oben B.II.1.) und dass sie deshalb von einer strafrechtlichen Regulierung Respekt und Umsicht erwarten darf (oben B.II.2.) – all das fordert von einem Wirtschaftsstrafrecht eindeutig und nachdrücklich zweierlei: Prinzipienbindung und Zurückhaltung. Eine angemessene Strafbarkeit der Ehrverletzung oder der Geldfälschung ist schon nicht einfach auszustatten – um wie viel komplizierter, gefahrenträchtiger und eingriffsfreundlicher ist sie auf dem komplexen, unübersichtlichen und von Prognosen bestimmten Gebiet der Wirtschaft zu finden. Um wie viel sorgsamer müssen die Strafrechtler sich um Kriterien kümmern, die dysfunktionale Eingriffe und Übergriffe möglichst ausschließen, die handfest sind, klar konturiert und gut kontrollierbar. Dieses Geschenk machen uns nur Rechtsgüter. Die Orientierung der Strafbarkeit am Schutz von konkreten Interessen, an Rechtsgütern ist der einzige Anker, an dem strafrechtliche Zurückhaltung
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und Prinzipienbindung befestigt werden können. Das Rechtsgutskonzept verlangt, anders als andere Vorstellungen guter Strafgesetzgebung, vom Gesetzgeber eine Rechtfertigung seiner Strafdrohungen. Diese Rechtfertigung besteht auch in einem Stück Empirie; sie muss aufweisen, dass es ein konkretes Problem in dem zu regulierenden Feld gibt, wie es aussieht und warum es mit welchen strafrechtlichen Instrumenten gelöst oder jedenfalls bearbeitet werden kann – und nicht besser mit Mitteln außerhalb des Strafrechts. Jedes Stück Empirie im normativen strafrechtlichen Diskurs verbessert, so behaupte ich, dessen Transparenz und Kontrollierbarkeit; denn empirische Behauptungen lassen sich, anders oder doch jedenfalls leichter als normative, falsifizieren und damit langfristig bestätigen. Was aber viel wichtiger ist: Ein dem Niveau der Probleme angemessener Diskurs über den Schutz von Rechtsgütern durch Wirtschaftsstrafrecht lässt sich, wie die Dinge liegen, ohne Beteiligung wirtschaftlichen Sachverstands schwerlich führen. Das Strafrecht braucht diesen Sachverstand in einem komplexen und unübersichtlichen Gelände, ohne dass dadurch seine Festigkeit (oben B.II.2.) ins Rutschen geriete – warum auch? Die Rechtsgüter, die schützenswerten konkreten Interessen, ihre Verletzlichkeit und die ihnen gemäße strafrechtliche Schutztechnik liefern diesem Diskurs seinen Gegenstand. Und vielleicht darf man überdies hoffen, dass eine am Rechtsgut orientierte Grundhaltung zur Politik des Wirtschaftstrafrechts ein feineres Gespür dafür entwickelt, ab welchem Punkt der Strafrechtler gegenüber dem Ökonomen mit dem Reden aufhören und mit dem Hören anfangen sollte – wie etwa beim zentralen Begriff des Vermögensschadens, den der strafrechtliche Sachverstand leichthin auf die Vermögensgefährdung ausdehnt, ohne zu realisieren, dass er sich damit gefährliche prognostische Elemente einhandelt, die in der Erfahrung des Ökonomen einen ganz anderen Stellenwert haben als im Urteil des Kriminalisten. Das Denken aus dem Rechtsgut ist strafrechtliches, nicht ökonomisches Denken. Aber im Diskurs über strafrechtliche Rechtsgüter, ihre Verletzlichkeit und ihren Schutz können Ökonomen und Kriminalisten einander verstehen und belehren.
II.
Umhegung
Eine seltsame Bezeichnung für ein den Juristen und selbst den Rechtstheoretikern weithin unbekanntes Gelände. Zu Unrecht unbekannt. Denn die Umhegung eines Lebens- und Entscheidungsbereichs durch Recht ist ein kluger
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Lösungsweg in denjenigen Konstellationen, in denen das Teilsystem Recht auf ein anderes Teilsystem trifft, wie etwa die Wirtschaft eines ist: mit normativer Struktur, eigener Systemvernunft, eigener Methode und eigenen Instrumenten (oben B.II.1.). Überdies bedient sich unser Rechtssystem dieser Technik schon in mannigfachen Zusammenhängen; man muss nur durch die richtige Brille genau hinschauen. Umhegung meint die Absicherung autonomen Lebens durch Recht innerhalb rechtlich definierter Grenzen. Ihr Konzept passt mit der Vorstellung zusammen, das Wirtschaftsstrafrecht lasse sich gegenüber dem Teilsystem Wirtschaft als Linienrichter denken, der nicht die Dinge „auf dem Platz“ bestimmt, sondern zum Eingreifen erst aufgefordert ist, wenn eine bestimmte Linie überschritten wird (oben B.II.2.). Die Logik dieses Konzepts liegt in der TeilAutonomie von Teil-Systemen. Das Recht lässt diese Teilsysteme gewähren (ja begrüßt und unterstützt sie gar bisweilen), solange sie die Grenzen ihrer Autonomie achten, solange ihr autonomes Handeln nicht zu Schäden führt, die von der Systemvernunft nicht getragen werden. Dass die Grenzen nicht ein für allemal festgeschrieben sind, versteht sich ebenso wie der Umstand, dass die rechtliche Definition des Grenzverlaufs kein Naturrecht, sondern Ergebnis politischer Abstimmung ist. Das Regelungskonzept der Umhegung lässt sich überall dort nachweisen, wo das Recht ein Teilsystem in dem Sinne reguliert, wie er hier ausgeführt worden ist (oben B.II.1.). Drei Typen von Beispielen trage ich Ihnen vor: So umhegt Art. 6 II GG die Familie, indem er die Pflege und Erziehung der Kinder als „das natürliche (!) Recht der Eltern und die zuvörderst (!) ihnen obliegende Pflicht“ statuiert und anfügt, die staatliche Gemeinschaft wache „über ihre Betätigung“. Was in der Familie geschieht, ist nicht des Staates; er wacht still über die „Betätigung“ der Eltern (und schreitet erst ab einer Grenze ein, die er in Art. 6 III GG als Versagen der Erziehungsberechtigten oder drohende Verwahrlosung der Kinder beschreibt). Das Verhältnis von Arzt und Patient, das Verhältnis von Eheleuten liegt in der autonomen Entscheidung der Beteiligten und geht den Staat erst bei definierten Übergriffen etwas an; für diese Übergriffe hat er vorgesorgt und Instrumente bereit gelegt im Recht der unerlaubten Handlung, im Schadensersatz- und im Scheidungsrecht. Religionsgemeinschaften, Universitäten oder Sportverbände schaffen sich eigene Ordnungen gegenüber dem aufmerksamen, aber neutralen Staat, solange sie ihren funktionalen Bereich nicht verlassen. Nichts anderes hat auch die Wirtschaft verdient.
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Machen wir die Gegenprobe am Gegenkonzept von Umhegung – an einem Konzept, für das Theoretiker des Wirtschaftsstrafrechts immer wieder Sympathie bekunden: am Konzept der Steuerung durch Recht, hier also der Wirtschaftslenkung durch Wirtschaftsstrafrecht. Dazu hat das Konzept der Umhegung etwas Hörenswertes, weil Differenzierendes zu sagen. Natürlich wird ein intelligentes Teilsystem wie die Wirtschaft die Informationen und Impulse, die von einem Teilsystem Wirtschaftsstrafrecht ausgehen, registrieren und verarbeiten. Es wird sein Verhalten nach gesetzlichen Strafdrohungen und nach geschehenen Verurteilungen ausrichten, um Sanktionen zu entgehen, und insofern kann man von einer mittelbar lenkenden Wirkung von Wirtschaftsstrafrecht sprechen. Das ist trivial richtig, denn darin besteht schließlich der Sinn des Teilsystems Strafrecht – überall. Das schöpft unser Problem aber nicht aus. Es übersieht die Differenz von Wirtschaft und ihrer Politik auf der einen und Strafrecht auf der anderen Seite: Wirtschaftslenkung in einem unmittelbaren Verständnis der Zielvorgabe und Zielerreichung kann niemals Aufgabe eines Strafrechts sein, es ist Sache der Wirtschaft selbst und ihrer Politik. Das Strafrecht ist zu inhaltlichen, zu lenkenden Vorgaben weder systemisch befugt noch professionell imstande; es wacht über die Grenze, jenseits derer die Verletzung eines seiner Rechtsgüter beginnt. Das ist alles.
III.
Prozeduralisierung
Prozeduralisierung ist für die Ausgestaltung eines Wirtschaftsstrafrechts nicht das Mittel der Wahl; sie ist aber eine Form der Regulierung, die dem prekären Verhältnis von Wirtschaft und Recht (oben B.II.) entgegenkommt und Chancen eröffnet, die sich einer substantiellen Regelung des Wirtschaftsstrafrechts nicht auftun. Deshalb will ich zum Schluss noch ein kleines Licht auf diesen Typ rechtlicher Anordnung werfen. Wer, wie ich, für eine Ausrichtung von Wirtschaftsstrafrecht am Konzept des Rechtsguts wirbt (oben C.I.), macht sich, jedenfalls auf den ersten Blick, einer Inkonsistenz verdächtig, wenn er sich sodann für Prozeduralisierung stark macht. Denn ein am Schutz konkreter Rechtsgüter orientiertes Strafrecht sollte wohl ein substantielles Strafrecht sein, das bestimmte Handlungen ohne Wenn und Aber verbietet, mit Strafe bedroht und dann verurteilt. Auch die Festigkeit, die ich als Haltung des Rechts gegenüber einem komplexen, teil-autonomen und selber normativ strukturierten Teilsystem wie der Wirtschaft empfehle (oben B.II.2.), scheint sich mit klarer, entschiedener und
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abschließender Regulierung besser zu vertragen als mit Prozeduralisierung, die ja Entscheidungen in der Sache offenhält und im Verfahren typischerweise verzögert. All dem widerspreche ich nicht. Ich gebe aber zu bedenken, ob eine ausschließlich substantielle wirtschaftsstrafrechtliche Regelungsstruktur den Besonderheiten gerecht werden kann, welche das System Wirtschaft und sein Verhältnis zum Recht kennzeichnen. Mein Plädoyer ist es, diese Regelungsstruktur als Regelfall anzusehen, Prozeduralisierungen aber nicht von vorneherein beiseitezulassen und ihre Eignung von Konstellation zu Konstellation zu prüfen. Prozeduralisierung hilft, wenn Rechtsfragen zur Entscheidung anstehen, deren angemessene Antwort man derzeit nicht kennt. Das kann an der Notwendigkeit von Prognosen liegen, die sich nicht verantworten lassen, an der Komplexität des zu entscheidenden Sachverhalts, an der Unsicherheit einer Bewertung, an dem Bedarf an fremdem Wissen – oder an allem zusammen. Dann kann es sich anraten, die Entscheidung in der Sache nicht sofort oder nicht endgültig zu fällen, Erfahrungen zu sammeln und die Situation zwischenzeitlich prozedural abzusichern. Einstweilige Anordnungen mit Auflagen sind ein Beispiel, die Beauftragung von Sachverständigen oder die Einrichtung von Behörden zu Aufklärung und Beurteilung ein anderes. Prozeduralisierung kann auch helfen, wenn zu besorgen ist, dass ein schwerer Rechtsgüterschaden nur deshalb eintritt, weil die Entwicklung, die zu ihm geführt hat, nicht rechtzeitig beobachtet worden ist, obwohl das möglich gewesen wäre und den Schaden hätte hindern oder mindern können. Beispiele dafür sind „Vorfeldregelungen“ wie die Kriminalisierung vorbereitender Handlungen oder die strafrechtlich flankierte Pflicht zu Rechnungslegung, Versicherung oder Zulassung von Kontrollen. Auch flankierendes Strafrecht ist Strafrecht. Je komplexer die Entscheidungsgegenstände in der Zukunft werden – empirisch wie normativ –, desto eher ist es Mittel der Wahl. Strafrecht, das Prozeduralisierung flankierend absichert, indem es beispielsweise zur Einrichtung eines Fonds als Sicherheit späterer Entschädigung zwingt oder Falschinformationen kriminalisiert, muss auch nicht soft law sein. Die Rechtsgüter, deren Beschädigung durch Sicherung im Vorfeld verhindert werden soll, werden typischerweise – auch und gerade im Bereich der Wirtschaft – von erheblichem Gewicht sein, sie können im Überleben eines ökonomischen Systems bestehen, und das wird sich in der Ernsthaftigkeit der Strafdrohungen niederschlagen. Rechtsstaatliche Voraussetzung all dessen ist freilich, dass der Eingriff in Grundrechte, der
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auch ein flankierendes Strafrecht kennzeichnet, durch angemessene Sicherungen des Verfahrens aufgefangen wird, so wie dies das strafrechtliche Verfassungsrecht schon immer vorschreibt.
D.
Zusammenfassung
Die Wirtschaft ist für das Strafrecht ein schwieriger Regelungsbereich. Er hat seine eigene Vernunft, seine eigenen Plausibilitäten, Instrumente und Methoden. Er hat auch seine eigenen Normen und seine Wege, diese Normen durchzusetzen. Deshalb muss sich das Strafrecht der Wirtschaft – bei aller Festigkeit seiner eigenen Überzeugungen und der Verbindlichkeit seines Regelungsauftrags – mit Respekt und Umsicht nähern. Das bedeutet für ein Wirtschaftsstrafrecht dreierlei: die Konzentration der Strafbarkeit auf handfeste Rechtsgutsverletzungen, das Freihalten und Sichern eines Kernbereichs, in dem die Wirtschaft ihrer eigenen Vernunft folgt, und die Einrichtung von Prozeduren, die im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung Transparenz und Kontrolle ermöglichen und vom Strafrecht flankierend gesichert werden.
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Rainer Hamm
Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts durch die Grundsätze der ultima ratio, der Bestimmtheit der Tatbestände, des Schuldgrundsatzes, der Akzessorietät und der Subsidiarität Rainer Hamm Rainer Hamm Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts durch die Grundsätze
Gliederung 1. 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 2. 2.1 2.2.
Die prozessrechtliche Dimension des Themas Verkürzung der Verteidigungschancen durch Reduktion der Strafbarkeitsvoraussetzungen im materiellen Recht Strafverfolgung nach Opportunität Fallbeispiele Der Holzschutzmittelprozess Der „Glykolskandal“ Telekom-Immobilienbewertung Mannesmann-Prozess Internationale Korruption und die Bagatellgrenze von 50 Euro Symptomatik der Einzelfälle für den Zustand des materiellen Strafrechts Bilanzielles Vorsichtsprinzip als Einfallstor für in dubio contra reum? Einschränkung des § 266 StGB durch den Gesetzgeber?
Über ultima ratio, die Bestimmtheit der Straftatbestände, den Schuldgrundsatz, die Akzessorietät und die Subsidiarität des Strafrechts in 15 Minuten zu sprechen, um dabei auch noch die Eignung dieser Prinzipien zur Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts zu prüfen, ist nicht möglich. Ich habe mich deshalb entschlossen, die Praxis der Verfolgung so genannter Wirtschaftsstraftaten schlaglichtartig und zwar gleichsam von der Rückseite her zu beleuchten. Was ich hier „Rückseite“ nenne, ist das, was bei Strafverfahren herauskommt, wenn die fünf im Titel meines Kurzreferats genannten Grundsätze nicht beachtet werden.
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1.
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Die prozessrechtliche Dimension des Themas
Wer sich über den Zustand des materiellen Strafrechts in seiner gegenwärtigen praktischen Anwendung ein Bild machen will, muss zuerst einen Blick in das Strafverfahrensrecht werfen.
1.1
Verkürzung der Verteidigungschancen durch Reduktion der Strafbarkeitsvoraussetzungen im materiellen Recht
Nur wer den Zusammenhang zwischen der Tatbestandsgestaltung des materiellen Strafrechts und dem Beweisrecht kennt, durchschaut manche Entscheidung des Gesetzgebers, die Strafbarkeitsvoraussetzungen so herabzusetzen, dass den Beschuldigten sonst naheliegende Einlassungen abgeschnitten werden. Ein Beispiel dafür ist die Einführung des Paragraphen 264 StGB, die erklärtermaßen allein den Zweck verfolgte, der Justiz die Schwierigkeiten beim Nachweis der (durch Täuschung verursachten) Schädigung zu ersparen, wenn das (angebliche) Tatopfer der wirtschaftslenkende Leistungsstaat ist.1 In der Vorschrift sagt der Gesetzgeber wortreich, dass es beim Subventionsbetrug zur Verurteilung des Täters nicht mehr des Nachweises von vier Tatbestandsmerkmalen (wie beim Betrug), sondern nur noch von einem bedarf: Die Täuschungshandlung, während es auf den Irrtum, die Vermögensverfügung und den Vermögensschaden nicht mehr ankommt. Damit ist dem Beschuldigten, der inhaltlich unrichtige Unterlagen zwecks Erlangung einer staatlichen Förderung eingereicht hat, sowohl die Einlassung abgeschnitten, der Adressat habe den wahren Sachverhalt gekannt, als auch die Verteidigungslinie, die darauf bauen würde, dass der volkswirtschaftliche Subventionszweck gleichwohl erfüllt und damit dem Staat kein Schaden entstanden sei. Und durch den Verzicht des Gesetzgebers auf das Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung ist kurzerhand das Versuchsstadium zum vollendeten Delikt hoch gestuft worden. Schließlich lässt auch noch § 264 Abs. 4 StGB im subjektiven Tatbestand die Leichfertigkeit ausreichen, so dass nicht einmal das Bestreiten des für sonstige Vermögensdelikte notwendigen Vorsatzes zum Scheitern der Verurteilung führen muss. 1
Vgl. NK-Hellmann § 264 StGB Rn. 7; Fischer, StGB, 56. Aufl. § 264 Rn. 2 jeweils m. w. N.
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Rainer Hamm
So ist „modernes“ Strafrecht: Abstrakte Gefährdungsdelikte ohne Rechtsgutsbezug, Straftatbestände mit einem auf Beweiserleichterung hin zugeschnittenen Design.
1.2
Strafverfolgung nach Opportunität
Ein noch sehr viel interessanteres prozedurales Beobachtungsfeld ist die materiellrechtliche Funktion der wohl inzwischen für die Praxis wichtigsten Verfahrensvorschrift überhaupt: § 153 a StPO. Etwa ein Viertel aller Strafverfahren, die nicht bereits im Ermittlungsstadium wegen fehlenden oder entfallenen Tatverdachts eingestellt werden, beendet die Justiz statt mit einem Urteil nach dieser Opportunitätsregelung. Sie erlaubt Ausnahmen vom Legalitätsprinzip und von der Aufklärungs- und Kognitionspflicht der Strafgerichte, indem das Verfahren gegen Zahlungsauflagen eingestellt wird. Der Sache nach sind diese Auflagen Strafsanktionen, sie werden aber aufgrund einer gesetzlichen Legitimationsnorm „verhängt“, bei der kaum jemand die Frage nach der Beachtung der hier behandelten Verfassungsprinzipien aufwirft. Nur weil die Sanktionsdrohung im Gewande einer Verfahrensnorm daherkommt? Es wäre ein lohnendes rechtstatsächliches Forschungsvorhaben, einmal herauszufinden, inwieweit die Vorschrift letztlich nur als Ausweg aus der Sackgasse überflüssiger Strafverfolgung dient. Das Wissen um das Vorhandensein dieses Notausgangs wirkt vielfach als Anreiz, den Anfangsverdacht auch dann zu bejahen, wenn die rechtliche Schlüssigkeitsprüfung zu einem (z. B. von zivilrechtliche Zwecke verfolgenden Anzeigeerstattern oder von den Medien erhobenen) Vorwurf noch längst nicht abgeschlossen ist. Dann ermittelt man erst einmal „drauf los“, in der Gewissheit, dass man ja immer noch die Rechts- und Beweisfragen irgendwann dahingestellt sein lassen kann, weil die meisten Beschuldigten ihre Zustimmung zur §-153 a-Erledigung erteilen, um die Bedrohung des über ihnen schwebenden Verfahrens loszuwerden. So entsteht das, was ich an anderer Stelle schon einmal „experimentelle Strafverfolgung“ genannt habe. Sie ist vielfach so etwas wie Menschenversuche an lebenden Objekten. Die Betroffenen werden mitunter Jahre lang im Status des Beschuldigten öffentlich stigmatisiert und in ihrem beruflichen Fortkommen behindert.
1.3
Fallbeispiele
Die folgenden Beispiele aus der Praxis sollen zeigen, dass die weit verbreitete Vorstellung falsch ist, wonach die Einstellung nach den Opportunitätsvor-
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47
schriften immer nur einen Vorteil für die Beschuldigten bedeuten. Dabei kann niemand quantifizieren, wie hoch der Anteil derjenigen Einstellungen ist, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Vermeidung eines Schuldspruchs oder umgekehrt der Vermeidung eines Freispruchs dienten.
1.3.1
Der Holzschutzmittelprozess
Ein viel beachtetes Beispiel aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war der so genannte Holzschutzmittelprozess. Zur Erinnerung: Ein Staatsanwalt hatte 12 Jahre seines Berufslebens fast ausschließlich auf den Versuch verwendet, von den 42 deutschen Herstellerfirmen für Holzschutzmittel die beiden Geschäftsführer eines einzigen Unternehmens (Marktführer) wegen gefährlicher Körperverletzung bestrafen zu lassen – begangen durch Produktion und Vertrieb einer Handelsware, die für ihren bestimmungsgemäßen Gebrauch toxische Inhaltsstoffe enthielt. Zu Beginn der Ermittlungen holte dieser Staatsanwalt für 15.000 DM ein strafrechtliches Rechtsgutachten ein, das zu dem erhofften Ergebnis kam, beim Nachweis einer Kausalität im Einzelfall komme eine Strafbarkeit der Geschäftsführer des Herstellerunternehmens wegen Körperverletzung durchaus in Betracht. Es folgten jahrelange Ermittlungen mit hunderten von Zeugenvernehmungen, eine Anklage vor der Strafkammer, die Nichtzulassung der Anklage, dann doch Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Beschwerdegericht, erste Hauptverhandlung durch eine Strafkammer (Dauer der Hauptverhandlung: viele Monate), Verurteilung zu Bewährungsstrafen, Aufhebung durch den Bundesgerichtshof (BGHSt 41, 206), Neubefassung durch eine andere Strafkammer und schließlich Einstellung nach § 153 a StPO.
1.3.2
Der „Glykolskandal“
Vor dem Landgericht Bad Kreuznach fand in den Zeiten des so genannten Glykolskandals ein mindestens ebenso aufwändiges und mindestens ebenso von Anfang an mit rechtlichen Unsicherheiten behaftetes Verfahren gegen die Manager eines großen Weinhandelsunternehmens statt. Es ging nicht darum, dass die Firma Pieroth etwa das Frostschutzmittel Glykol in den Wein gepanscht hätte, sondern darum, ob es zu Verschnitten zwischen deutschem und österreichischem Wein gekommen sein sollte. Dies war nach damaligem EU-gesteuerten deutschem Weinrecht ein schweres Vergehen. Nicht weil der österreichische Wein weniger qualitätvoll wäre als der deutsche, sonder allein deshalb, weil Österreich (damals noch) nicht Mitglied der EU war und Verschnitte mit „Drittlandsweinen“ bei Strafe verboten waren. Da bekannt war,
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dass es in Österreich zu Glykolbeigaben gekommen war, um eine Spätlese zu simulieren, diente der Nachweis von geringenSpuren von Glykol in einem italienisch-spanisch-französisch-deutschen Verschnitt gleichsam als Fingerabdruck des österreichischen Weins. Da die Fa. Pieroth auch ganz legal österreichischen Wein abfüllte und in die ganze Welt vertrieb, stritt man in der langen Hauptverhandlung erster Instanz über allerlei Möglichkeiten, wie ungewollt, d. h. ohne bewusste Vermischung, eine produktionstechnisch bedingte Verschleppung stattgefunden haben könnte, was die Strafbarkeit ausschloss. Es kam dann auch zum Freispruch. Die Staatsanwaltschaft wollte aber keine Ruhe geben und legte Revision ein. Der BGH hob das Urteil auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück. Danach hatte aber niemand mehr große Lust, die Hauptverhandlung zu wiederholen. Ergebnis: Einstellung nach § 153 a StPO.
1.3.3
Telekom-Immobilienbewertung
Die letzten fünf Jahre seines Berufslebens verbrachte ein Bonner Staatsanwalt damit, Managern der Deutschen Telekom AG vorzuwerfen, in der Eröffnungsbilanz 1995 das Immobilienvermögen überhöht angesetzt und gebucht zu haben. Das Ermittlungsverfahren begann im Jahre 2000 und drohte im Jahre 2005 noch lange nicht zu Ende zu sein. Der Staatsanwalt war schon drauf und dran, ein Gutachten in Auftrag zu geben, um zehn Jahre nach dem Stichtag eine nachträgliche Neubewertung aller 36.000 Immobilienobjekte vornehmen zu lassen. Der erste Kostenvoranschlag für dieses Gutachten belief sich auf 23 Mio. €. (Das ist nicht der Immobilienwert, sondern der Preis für das Gutachten). Nachdem ein Strafrichter den Staatsanwalt dezent darauf hingewiesen hatte, er möge doch aufpassen, dass er sich nicht seinerseits durch einen solchen Gutachtenauftrag den Vorwurf einer Untreue zuziehe, einigte er sich mit dem Sachverständigenteam auf eine Art „Light-Version“ für die Neubewertung, die mit „nur“ 2,5 Mio. € zwar wesentlich preiswerter für den Justizfiskus war, aber dafür genau den methodischen Einwänden ausgesetzt war, die derselbe Staatsanwalt gegenüber der Ursprungsbewertung geltend machte: Hochgerechnete Clusterbewertung statt vollständiger Erfassung aller Einzelfaktoren. Danach zog er die „Notbremse“ und stellte das Verfahren nach § 153 a StPO ein.
1.3.4
Mannesmann-Prozess
Dann wäre eine Vielzahl weiterer Verfahren um den Untreue-Paragraphen aufzulisten, von denen der berühmte Mannesmann-Prozess nur der spektakulärste, aber keineswegs singulär in seiner Symptomatik ist. Das Verfahren
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hatte bekanntlich damit begonnen, dass ein Staatsanwalt schon aus Rechtsgründen den Anfangsverdacht verneinte und die Einleitung von Ermittlungen abgelehnt hatte. Der weitere Verlauf ist bekannt: Beschwerde des Anzeigeerstatters, ein Jahr später Anordnung des Generalstaatsanwalts, die Ermittlungen doch aufzunehmen, eine 12-köpfige Sonderkommission des Landeskriminalamtes, fünf Staatsanwälte, eine über mindestens ein Jahr hinweg für andere Zwecke blockierte Strafkammer,2 eine weitere Strafkammer und auch der Bundesgerichtshof.3 Der BGH hat mit seiner den Freispruch aufhebenden Entscheidung der neu mit der Sache befassten Strafkammer Beweisfragen mit auf den Weg gegeben, die von der Verteidigung natürlich aufgegriffen werden mussten. Wie das Verfahren danach weiter gelaufen wäre, weiß niemand. Wahrscheinlich würden wir noch heute zwei Mal in der Woche im Schwurgerichtssaal in Düsseldorf sitzen, wenn man sich nicht darauf verständigt hätte, den von der Staatsanwaltschaft und dem BGH gründlich vertüderten Knoten durchzuhauen und das Verfahren nach Paragraph 153 a StPO einzustellen.
1.3.5
Internationale Korruption und die Bagatellgrenze von 50 Euro
Wenn ich die Zeit dafür hätte, würde ich jetzt noch ein letztes Beispiel aus dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung ausführlich und mit allen seinen die Haltung der Justiz zur Wirtschaft kennzeichnenden Facetten schildern. Es würde von der Gattin eines pakistanischen Generals handeln, die einfach mitgekommen war, als er zusammen mit einer Delegation von Technikern für 4 Tage nach Darmstadt gereist war, um sich von der Qualität des mittelständischen Unternehmens zu überzeugen, das sich um einen Großauftrag am Hindukusch über 50 Mio. € beworben hatte. Dass das Unternehmen die Unterkunft und Verpflegung der Gäste bezahlte, fand die Staatsanwaltschaft noch in Ordnung. Dass der Doppelzimmerzuschlag der Generalsgattin und die Eintrittskarte für den „Tigerpalast“ nicht ihr oder dem General privat in Rechnung gestellt wurden, und dass das Unternehmen ihr auch noch eine Kuckucksuhr als Gastgeschenk überreicht hatte, brachte dem Geschäftsführer eine Anklage wegen Bestechung nach dem IntBestG ein. Ergebnis: Einstellung nach § 153 a StPO, nachdem auch der Amtsrichter partout auch für solche Fälle an der Bagatellgrenze für Sozialadäquanz von 50 € festhalten wollte, die natürlich überschritten war. Der Auftrag über 50 Mio. wurde übrigens 2 3
Nach Auskunft der Vorsitzenden hatte die Kammer gleichwohl noch eine Reihe weiterer Verfahren parallel zu bearbeiten. BGHSt 50, 331.
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trotz der Kuckucksuhr und des Erdnüsschens aus der Minibar des Hotelzimmers nicht erteilt.
2.
Symptomatik der Einzelfälle für den Zustand des materiellen Strafrechts
Ausgangspunkt dieser inzwischen für Wirtschaftsstrafverfahren typischen Szenarien sind regelmäßig Straftatbestände, die entweder alt sind und früher enger ausgelegt wurden, jetzt aber ausgeweitet werden, oder die Tatbestände sind neu und unbestimmt genug, um den Anfangsverdacht beliebig aus der Zeitungslektüre oder den allfälligen Strafanzeigen unzufriedener Aktionäre, Kunden, Patienten und ihren jeweiligen Interessenverbänden zu begründen. Ein Motor für die geschilderten Verfahrensabläufe ist eine Kriminalpolitik, bei der völlig in Vergessenheit geraten ist, dass das Strafrecht um seiner Bestimmtheit und Subsidiarität willen „von seinen Lücken lebt“. Karl Peters drückte es 1965 so aus: „Die Lückenhaftigkeit und Unvollständigkeit gehören zur Natur des Strafrechts“.4 Stattdessen halten die Rechtspolitiker bei der Produktion immer neuer Strafgesetze als Begründung den Hinweis für ausreichend, es bestehe eine Strafbarkeitslücke, die geschlossen werden müsse. Dieses Verständnis vom möglichst flächendeckenden Einsatz des Strafrechts beseelt dann eben auch Staatsanwälte und Strafrichter, wenn sie sich besonders gern mit solchen Tatbeständen befassen, die mit ihrem knetbaren Wortlaut in jede noch offene Ritze hineinpassen. Von der besonderen „Eignung“ des § 266 StGB für diese Zwecke wird noch in anderen Referaten die Rede sein. Dass die Vorschrift der gegenwärtigen Verfolgungs- und Rechtsprechungspraxis so verstanden wird, als sei der § 242 BGB (Treu und Glauben) strafbewehrt, habe ich an anderer Stelle angemerkt.5 Auch innerhalb des BGH scheint das Problem dieser viel zu weiten Vorschrift erkannt zu werden, wie der Beitrag von Fischer auf dem Frühjahrssymposium des DAV in Karlsruhe 2008 zeigt.6 4 5 6
Peters ZStZ 77 (1965) 470. Hamm NJW 2005, 1993. Siehe dazu auch die Beiträge von Albrecht, Fischer, Greeve, Kempf, Krause, Volk in FS R. Hamm, 2008. Fischer StraFo 2008, 269.
Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts durch die Grundsätze
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Aber dann kam mit literarischer Ankündigung von Nack7 jene Entscheidung des 1. Strafsenats, die in einer Art Parallelwertung des Bilanzrechts in der Laiensphäre von Strafrichtern die prognostische Vermögensgefährdung wegen des angeblich schon im Zeitpunkt der Risikoübernahme bestehenden Wertberichtigungsbedarfs in einen vollendeten Schaden und die darauf bezogene subjektive Komponente gleich in einen direkten Vorsatz umdeutet.8 Dies wird und darf sich auch nicht durchsetzen. Mit dieser Denkfigur würde nämlich für alle prognostischen Zweifelsfälle das im Bilanzrecht vorherrschende Vorsichtsprinzip umgedeutet werden in die Berechtigung, den Satz in dubio pro reo auf den Kopf zu stellen.
2.1
Bilanzielles Vorsichtsprinzip als Einfallstor für in dubio contra reum?
Und schon sind wir wieder bei der beweisrechtlichen und somit verfahrensrechtlichen Dimension des materiellen Strafrechts: Wenn die Grundsätze der Rechnungslegung ein Unternehmen dazu zwingen, ein Prozessrisiko oder auch eine eingetretene Unsicherheit in einer Darlehensforderung „in dubio“ zum Anlass für eine Wertberichtigung nach unten zu nehmen, darf dies den Strafrichter noch lange nicht in die Lage versetzen, schon deshalb die Gefahr des Schadenseintritts einem bereits entstandenen Vermögensnachteil gleichzusetzen. Und allein aus dem Umstand, dass z. B. vor der Ausgabe eines Darlehens oder dem Erwerb granulierter verbriefter Forderungspakete vielleicht ein unzureichender Aufwand zur Einschätzung der Ausfall- oder sogar der Marktrisiken betrieben wurde, ist doch wohl auch noch nicht herzuleiten, man habe mit direktem Vorsatz das eigene Unternehmen schädigen wollen! Da war der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in der sogenannten KantherEntscheidung schon näher an der Lösung und an dem Anliegen, dem § 266 engere Konturen zu verleihen, als er verlangte, dass, wenn es nur um eine Vermögensgefährdung geht, an das sog. voluntative Element des bedingten Vorsatzes besonders hohe Anforderungen zu stellen sind.
7 8
Nack StraFo 2008, 277. BGH NJW 2008, 2451; in die gleiche Richtung weist jetzt auch die Entscheidung des 2. Strafsenats vom 29. 8. 2008 – 2 StR 587/07 – BGHSt 52, 323 = NJW 2009, 89.
52
Rainer Hamm
2.2.
Einschränkung des § 266 StGB durch den Gesetzgeber?
Da dies aber immer noch nach Generalklausel klingt, hätte man sich lieber eine Lösung gewünscht, die den potentiellen Tätern in der Wirtschaft das gäbe, was sich die Richter selbst seit Jahrzehnten zubilligen: Bei dem einzigen Straftatbestand, der mit seiner Generalverweisung auf die gesamte übrige Rechtsordnung dem § 266 StGB vergleichbar ist, der Rechtsbeugung, sagt die Rechtsprechung seit je her, dass die Rechtspflege nicht mehr funktionieren könnte, wenn man hier nicht die Strafbarkeit auf den „bewussten elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege“ durch „schwerwiegende Entfernung von geltenden Rechtsnormen“ beschränkte.9 Da die Justiz dies aber nun einmal nur für ihre eigene Funktionstüchtigkeit und nicht auch für die Funktionstüchtigkeit des Wirtschaftslebens anerkennt, wäre es rechtspolitisch angebracht, Überlegungen zu einer gesetzlichen Einschränkung des § 266 StGB an dieser Stelle anzusetzen. Und wenn man dann schon dabei ist, sollte man auch darüber nachdenken, im objektiven Tatbestand ein einschränkendes Merkmal z. B. eine ungerechtfertigte Bereicherung als Voraussetzung der Strafbarkeit wegen Untreue einzuführen. Denn die Fälle der nicht eigennützigen Untreue sind in der Praxis am häufigsten so angelegt, dass die Strafwürdigkeit schwer zu erkennen ist. Damit könnte erst einmal dieser Tatbestand den im Titel meines Kurzvortrags genannten Grundsätzen näher gebracht werden. Und wenn man so weit wäre, würden uns wahrscheinlich auch noch andere „moderne“ oder durch Rechtsprechung „modernisierte“ Strafnormen einfallen, deren Reduktion auf die Erforderlichkeit und Geeignetheit der Kriminalstrafe zum Rechtsgüterschutz dazu führen würde, dass die Rechtssicherheit in der Wirtschaft ebenso gestärkt wäre wie die Leistungsfähigkeit der Strafjustiz.
9
Nachw. bei Fischer § 339 StGB Rn. 14; kritisch allerdings im Zusammenhang mit der Beschränkung auf den direkten Vorsatz als Folge dieser Rechtsprechung Fischer aaO Rn. 19.
Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts
53
Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts durch die Rechtsgutslehre, sowie die Grundsätze der ultima ratio, der Bestimmtheit der Tatbestände, des Schuldgrundsatzes, der Akzessorietät und der Subsidiarität Cornelius Prittwitz Cornelius Prittwitz Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts
I.
Rechtliche Regelungen schränken Handlungsfreiheit ein. Das ist trivial. Im liberalen Rechtsstaat schränken sie − und das ist nicht selbstverständlich − Handlungsfreiheit ein, um Handlungsfreiheit zu ermöglichen. Strafrechtliche Regelungen tun dies auf drastische Weise: denn wer sein Verhalten entgegen einer strafrechtlichen Regelung organisiert, verhält sich nicht nur regeloder ordnungswidrig, sondern unerträglich. Wer sich so verhält, handelt sich daher ein sozialethisches Unwerturteil ein und muss grundsätzlich mit Sanktionen rechnen, die nicht nur das Vermögen und die allgemeine Handlungsfreiheit betreffen, sondern die persönliche Fortbewegungsfreiheit, die Freiheit, den Ort und die Ausgestaltung des eigenen Lebens u. U. für Jahre selbst zu bestimmen, um mit diesen Worten das Leben in einer Justizvollzugsanstalt mit diskreten Begriffen anzudeuten. Es erscheint mir keineswegs überflüssig, in der stattfindenden Diskussion über die technischen Vor- und Nachteile von mehr oder weniger Wirtschaftsstrafrecht, in einer Situation also, in der in jüngster Zeit aus gegebenem Anlass (Banken- und Finanzkrise) von vielen verschiedenen Seiten und aus ganz unterschiedlichen Gründen nach einer Verschärfung des Wirtschaftsstrafrechts gerufen wird, gleich zu Beginn dieser Tagung auf den überaus ernsten, drastischen Hintergrund und die spezifischen einschneidenden Rechtsfolgen des Strafrechts für den einzelnen Strafrechtsbetroffenen hinzuweisen.1
1
Vgl. dazu schon meine Diskussionsanmerkung auf der Osnabrücker Strafrechtslehrertagung, in: Beckemper ZStW 119 (2007) S. 959 ff., 966.
54
Cornelius Prittwitz
Über Grenzen des Wirtschaftsstrafrechts zu sprechen, bedeutet notwendig, über die Grenzen des Strafrechts zu sprechen.2 Und wer ernsthaft über strafrechtliche Lösungen und ihre Alternativen spricht, wer gar strafrechtliche Lösungen als „liberale Lösungen“3 oder als „milder(es) Mittel“4 in Betracht zieht,5 tut gut daran, sich zu fragen, wer warum die Rechnung für diese „liberale Lösung“ in der Währung persönlicher Lebensmonate und Lebensjahre zahlt und nach unseren Gerechtigkeitsvorstellungen auch zu zahlen verpflichtet ist.6
II. Im folgenden sollen die im Titel genannten fünf Prinzipien kurz vorgestellt werden, dabei ist stets ein Blick auf den − durchaus markanten − Gegensatz zwischen der Idee dieser Begrenzungsprinzipien und ihrer Wirklichkeit zu werfen und die spezifisch wirtschaftsstrafrechtliche Relevanz der unterschiedlichen Begrenzungsprinzipien anzusprechen.
1.
Rechtsgüterschutz
Nach verbreiteter Ansicht sollen nur solche Strafrechtsnormen legitim sein, die nachweisen können, dass sie ein konkret benennbares Rechtsgut schützen wollen.7 Die jüngere Strafrechtsgeschichte zeigt einerseits, wenn man z. B. an 2
3 4 5 6
7
Vgl. jetzt zu den verschiedenen Strafrechtsbegrenzungsprinzipien die Beiträge in v. Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.) Mediating Principles, 2006; sowie Prittwitz Das deutsche Strafrecht: fragmentarisch? subsidiär? ultimo ratio? Gedanken zu Grund und Grenzen gängiger Strafrechtsbeschränkungspostulate, in Institut für Kriminalwissenschaften (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, 1995, S. 387–405. Dazu: Lüderssen Einleitung, in ders. (Hrsg.) Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse? Band I: Legitimationen, S. 70 f. So Tiedemann Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und Allgemeiner Teil, 2004, S. 32. So ausdrücklich (und problembewusst) Haffke in Roxin FS, 1991, 955, 966 f.; vgl. ausführlicher zu dieser Problematik den Beitrag von Böse in diesem Band, S. 180 ff. Es bleibt ein ungutes Gefühl, wenn (z. B. von Haffke aaO S. 967) der gesellschaftliche Freiheitsgewinn betont wird, bei der Frage nach der Legitimation dem Einzelnen gegenüber aber plötzlich hervorgehoben wird, „das klassische liberale Strafrecht wähl(e) bewußt den Weg über den Täter als moralische Persönlichkeit, als verantwortliches Subjekt und respektier(e), indem es so verfährt, seine Freiheit zum abweichenden Verhalten.“ Vgl. nur Roxin Strafrecht AT I, 4. Aufl., 2006, S. 14 ff.; zur Perspektive eines strafrechtsbegrenzungsfreundlichen Rechtsgutsskeptikers vgl. Wohlers in Hefendehl/
Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts
55
die Entkriminalisierung lediglich moralschützenden Strafrechts denkt, das kritische Potential dieser Lehre.8 Die Grenzen dieses Konzepts sind aber in noch jüngerer Strafrechtsgeschichte ebenfalls schmerzhaft deutlich geworden − ich denke an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum strafrechtlichen Inzestverbot, und – vor allem − an die an der Rechtsgutslehre befremdlich desinteressierte Begründung der Richtermehrheit.9 Dass diese Lehre keine trennscharfe Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Strafrecht anbieten kann, überrascht auch ihre Anhänger nicht.10 Denn die Debatten der vergangenen Jahrzehnte lassen sich in zwei Ergebnissen zusammenfassen: Erstens hat sich gezeigt, dass die Nützlichkeit dieser Lehre für die Strafrechtsbegrenzung an einen engen, d. h. einheitlichen und personalen Rechtsgutsbegriff gebunden ist, der sich nicht durchgesetzt hat.11 Und zweitens wurde deutlich, dass sogar die personale Rechtsgutslehre auch ein strafrechtserweiterndes Potential hat.12 Was bleibt ist der ursprüngliche − und nicht zu unterschätzende − Anspruch der Rechtsgutslehre: mit dem Rechtsgut, namentlich dem personalen Rechtsgut, der kriminalpolitischen Diskussion einen Topos zur Verfügung zu stellen, mit dem man den Zustand des jeweiligen Strafrechts und neu entstandene Kriminalisierungstendenzen als mehr oder weniger liberal charakterisieren kann.13 Speziell auf das Wirtschaftsstrafrecht bezogen kann man zweierlei konstatieren: Zum einen hat sich gerade in diesem Kriminalisierungsbereich die Phantasie derjenigen bewiesen, die die restriktiv-kriminalpolitische Richtung der
8
9
10 11 12 13
v. Hirsch/Wohlers (Hrsg.) Die Rechtsgutstheorie 2003, S. 281 ff. Zur Verteidigung der Rechtsgutheorie vgl. ebenda Hassemer S. 57 ff. und Neumann „Alternativen: keine“ – Zur neueren Kritik an der personalen Rechtsgutslehre in Neumann/Prittwitz (Hrsg.) Personale Rechtsgutslehre und Opferorientierung im Strafrecht, 2007, S. 85 ff. Bahnbrechend und eindrucksvoll: Jäger Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, 1957; Jägers Anstöße wurden im AE zum StGB (AE zum StGB, BT, Sexualdelikte, 1968) und darauf basierend im reformierten StGB aufgegriffen. BVerfG Beschl. v. 26. 2. 2008 – 2 BvR 392/07; kritisch dazu: Greco Was lässt das Bundesverfassungsgericht von der Rechtsgutslehre übrig? Abrufbar unter: http:// www.zis-online.com/dat/artikel/2008_5_235.pdf Vgl. die Beiträge in Neumann/Prittwitz (Hrsg.) „Personale Rechtsgutslehre“ und „Opferorientierung im Strafrecht“, 2007. Vgl. zusammenfassend Roxin Strafrecht AT I, 4. Aufl., 2006, S. 14 ff. Vgl. dazu z. B. Frisch An den Grenzen des Strafrechts, in FS W. Stree/J. Wessels zum 70. Geburtstag, 1993, S. 72 ff. Vgl. NK/Hassemer/Neumann vor § 1 Rn 146.
56
Cornelius Prittwitz
Rechtsgutslehre in ihr strafrechtserweiterndes Gegenteil verkehren;14 zum anderen aber kann man ungeachtet dieser Bemühungen, besser gesagt: gerade unter Verweis auf diese Legitimationsversuche, die zu immer weiter verdünnten, jedenfalls in ihrem personalen Bezug kaum noch erkennbaren, Rechtsgütern geführt haben, die tendenziell illiberale straffrechtsexpansive Tendenz des Wirtschaftsstrafrechts zeigen.15
2.
Ultima ratio, Akzessorietät und Subsidiarität
Das Verständnis des Strafrechts als ultima ratio, die Behauptung, legitimes Strafrecht sei an seinen akzessorischen, seinen subsidiären Charakter gebunden − das sind die Namen von drei Strafrechtsbegrenzungsprinzipien, die z. T. synonym verwendet werden, die aber jedenfalls gemeinsame Elemente verbinden. Akzessorisch bezeichnet eines dieser Elemente vielleicht am klarsten, die Behauptung nämlich, dass das Strafrecht mit seinen spezifisch sanktionierten Verboten stets anknüpfen muss an andere als strafrechtliche Regelungen,15a in der Privatrechtsgesellschaft namentlich an privatrechtliche Regelungen. Mag bezüglich des klassischen Kanons der althergebrachten Straftatbestände in dem einen oder anderen Fall die Akzessorietät nicht ganz so eindeutig einleuchten, aber auch, eben weil es sich um unangefochten legitime Straftatbestände handelt, von geringerer Bedeutung sein, so sollte man meinen, dass dieses Begrenzungsprinzip bei neu erhobenen Kriminalisierungen als selbstverständlich akzeptiert wird. Dem ist nicht so und das ist besorgniserregend. Dass im antiliberalen nationalsozialistischen Rechtsdenken, wenn man es denn so nennen will, die „Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken“16 gefeiert wurde, sich diese Lehre der Politik explizit angedient hat16a
14
15 15a 16 16a
Vgl. etwa die Arbeiten von Fürhoff Kapitalmarktrechtliche Ad hoc-Publizität zur Vermeidung von Insiderkriminalität: die Notwendigkeit einer kapitalmarktrechtlich orientierten Ad hoc-Publizitätsnorm zur Legitimation eines strafrechtlichen Insiderhandelsverbotes, 2000 und Soester Die Insiderhandelsverbote des Wertpapierhandelsgesetzes – Wirtschaftsstrafrecht europäischen Ursprungs, 2002, in denen unter Bezug auf das geschützte Rechtsgut die Strafwürdigkeit des Insiderhandels bejaht wird. Vgl. zahlreiche Nachweise dafür im Literaturbericht „Wirtschaftsstrafrecht“ von Wohlers/Kudlich in ZStW 118 (2006), 717 ff. Grundlegend: Lüderssen Eser FS, 2005, 163 ff. Hans-Jürgen Bruns Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken, 1938. Vormbaum ZStW 107 (1995), 734 ff., 757, Fn. 83.
Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts
57
und, wo es passte, von ihr gerne aufgenommen wurde, lässt sich gut nachvollziehen; dass Strafrichter und Strafrechtswissenschaftler heute meinen, einen Strafrechtsfall z. B. im aktienrechtlichen Kontext befreit von den „Fesseln“ des Aktienrechts, also mit strafrechtsspezifischen Begriffen und Maßstäben angemessen beurteilen zu können,17 erschüttert:17a „Volkstümliches Rechtsdenken“ vergangen geglaubter Art und heute populäres populistisches Rechtsdenken liegen schon begrifflich nahe beieinander. Und beiden widersprechen dem zentralen Gedanken der Einheit der Rechtsordnung und damit den Grundannahmen nicht nur des liberalen Rechtsstaats. Nicht nur beim Straftatbestand der Untreue, bei dem der Verzicht auf Akzessorietät besonders prominent eingefordert wurde, sondern überall dort, wo im Wirtschaftsstrafrecht die Akzessorietät nicht ernst genommen wird, sind spezifische und gewichtige Zweifel an der Legitimität dieses expansiven Strafrechts anzumelden. Mit der Behauptung der notwendigen Subsidiarität des Strafrechts wird eine dazu gehörige aber zusätzliche Grenzlinie eingezogen. Die Wertungen des Strafrechts sollen nicht nur akzessorisch denen des sachlich vorrangig zuständigen Rechtsgebiets folgen, sondern das Strafrecht soll nur dort einen legitimen Platz einnehmen, wo − aus welchen Gründen auch immer − das Regelungs- oder auch Sanktionspotential dieses Rechtsgebiets nicht ausreichend erscheint. Analog dazu, aber noch grundsätzlicher den Ausnahmecharakter betonend verlangt das ultima ratio Prinzip, dass das Strafrecht überhaupt nur als letztes Mittel im äußersten Fall zur Anwendung geraten dürfe. Diese Formel, die zum festen Bestand strafrechtlich-kriminalpolitischer Reden gehört,18 aber kaum noch Bezug zur kriminalpolitischen Wirklichkeit aufweisen kann,19 wird man als das zentrale, aber auch als das umstrittenste19a Strafrechtsbegrenzungsprinzip ansehen müssen. 17
17a 18 19
19a
Tendenziell: BGHSt 50, 331 ff., 338: „Die in der aktienrechtlichen Literatur demgegenüber vertretene Meinung . . . vermag nicht zu überzeugen.“ Die Ansicht des BGH, die im Mannesmann-Verfahren Angeklagten hätten ihre Vermögensbetreuungspflicht i. S. des § 266 StGB verletzt, wird nicht unter Bezug auf aktienrechtliche Vorgaben begründet, sondern damit, dass die BGH (Straf-)Richter feststellten, dass „die Sonderzahlungen . . . für die Mannesmann AG ohne jeden Nutzen“ waren (aaO 340 f.). Vor einer Wiederkehr dieses Denkens warnt nachdrücklich: Lüderssen, in: Hanack FS, 1999, 487 ff. Vgl. die Nachweise bei Prittwitz (o. Fn. 2). Für viele, die dem Gesetzgeber attestieren, Strafrecht oft als prima ratio einzusetzen: Rzepka Zur Fairness im deutschen Strafverfahren, 2000 S. 458 Fn. 22; den Strafrechtseinsatz als prima oder auch sola ratio kritisiert auch: Hassemer Erscheinungsformen des modernen Rechts, 2007, S. 193. Vgl. in neuerer Zeit v. a. Wohlers, in: v. Hirsch/Seelman/Wohlers (Hrsg.) (o. Fn. 2), 54 ff.
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Cornelius Prittwitz
Umstritten ist dieses Prinzip gerade im Wirtschaftsstrafrecht insofern, als zunehmend behauptet wird, aus der Sicht der wirtschaftlich tätigen Normadressaten stelle das Strafrecht mit seinen Sanktionen gar nicht mehr das sprichwörtlich schärfste Schwert dar.20 Längst sei der schmerzende Schadensersatz, die Entscheidung, in eine „schwarze Liste“ aufgenommen zu werden einschneidender und gefürchteter als die strafrechtliche Sanktion.21 Diese Argumentation übersieht, mögen auch die Beobachtungen zutreffend sein, zweierlei: Sie misst dem das Strafrecht auszeichnenden eingangs erwähnten sozialethischen Tadel kaum Bedeutung bei, und sie übersieht, dass man mit guten Gründen nur dort von „Strafrecht“ sprechen sollte, wo zumindest theoretisch die Freiheitsstrafe im Hintergrund droht.22 Eng mit dieser Argumentation hängt ein Diskussionsstrang zusammen, der im weiteren Verlauf der Tagung noch ausdrücklich thematisiert wird. Die Behauptung nämlich, jedenfalls bezogen auf die Summe der Normadressaten, sei Strafrecht die liberalere Lösung, weil unter seinem Schutzschild den Bürgern, im Wirtschaftsstrafrecht also den Marktteilnehmern, ein Maximum an Deregulierung, also Freiheit geboten werden könne. Das muss man nicht bestreiten, wird man vielleicht kaum bestreiten können; 23 aber man muss auf zweierlei hinweisen dürfen: Erstens dürfte − wenn man so will unter Effektivitätsgesichtspunkten − nicht per se feststehen, dass die nur durch das Strafrecht begrenzte Freiheit der Akteure stets zum gesellschaftlich wünschenswerten Ergebnis führt;24 und zweitens dürfte unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten feststehen, dass die von der radikalen Strafrechtskritik behauptete Sün-
20
21 22 23
24
So explizit vor allem Tiedemann Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969, S. 145; ders. Wirtschaftsstrafrecht, Einführung und Allgemeiner Teil, 2004, Rn 63; aber auch: Ransiek Unternehmensstrafrecht, 1996, S. 249; Schünemann in Armin Kaufmann-GS, 1989, 632; Vgl. dazu den Diskussionsbeitrag von Pieth auf der Osnabrücker Strafrechtslehrertagung, in Beckemper ZStW 119 (2007), 959 ff., 964 f. Vgl. dazu nochmals Prittwitz (o. Fn. 1). Tiedemann Wirtschaftsstrafrecht AT, 2004, Rn 63 erwähnt ausdrücklich, die „deutsche EDV-Industrie (sei) eher bereit (gewesen), einzelne Straftatbestände als ein ganzes Netzwerk von Kontroll-, Mitteilungspflichten usw. hinzunehmen“. Nicht unrealistisch ist die Vermutung, der Einsatz des Strafrecht diene, gerade weil es gemeinhin immer noch als ulitma ratio gelte, der Politik als Handlungsnachweis, obwohl man in Wirklichkeit − und zur Freude der von Kontrolle freien Subjekte − allenfalls (und im negativen Sinn) symbolisch (dazu: Prittwitz Strafrecht und Risiko, 1993, S. 253 ff.) gehandelt hat. Ulrich Beck Gegengifte, 1988, S. 99 hat das treffend als „symbolische Entgiftung“ bezeichnet.
Begrenzung des Wirtschaftsstrafrechts
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denbockfunktion des Strafrechts25 zum legitimen Programm zu mutieren droht. Insbesondere das ultima ratio Prinzip muss als Strafrechtsbegrenzungsprinzip allgemein, und als Wirtschaftsstrafrechtsbegrenzungsprinzip speziell betont werden. Denn dieses Prinzip hebt als einziges die Notwehrelemente des Strafrechts hervor,26 und dieses Prinzip beruht − anders als die Mehrzahl der konkurrierenden Begrenzungsprinzipien nicht nur auf − stets bestreitbaren − Gerechtigkeitserwägungen, sondern auf nüchternen, wenn auch nachhaltigen Effektivitätserwägungen.27 Kurz zum Notwehrcharakter: „Wenn nichts anderes mehr hilft, dann darf der Staat zum Strafrecht greifen!“ Das impliziert weise − aber weitgehend verloren gegangene − Einsicht in die alles andere als nachgewiesene und bei rechtem Nachdenken überaus fragliche Geeignetheit des Strafrechts, alle möglichen Konflikte, die − zumeist zu recht − als gewichtig wahrgenommen werden, strafrechtlich zu lösen. Und ebenso kurz zum Effektivitätsargument: Wenn das Strafrecht aufgrund des mit ihm verbundenen sozialethischen Unwerturteils und aufgrund seiner stets im Hintergrund stehenden drastischen Sanktionen das schärfste Schwert ist, dann leuchtet unmittelbar ein, dass das expansive Strafrecht auch ein inflationäres Strafrecht ist: es verliert, wenn man bereit ist, wenigstens eine mittelfristige Perspektive einzunehmen, notwendig an Wert.28
3.
Bestimmtheitsgrundsatz und Schuldgrundsatz
Was haben der Bestimmtheitsgrundsatz und der Schuldgrundsatz den bisher genannten Begrenzungsprinzipien hinzuzufügen? Entscheidendes – und gerade für das Wirtschaftsstrafrecht Entscheidendes. Nicht von ungefähr gehört der Satz nullum crimen, nulla poena sine lege certa zum tradierten Bestand der Strafrechtsprinzipien, die eo ipso Strafrechtsbegren25
26 27 28
Vgl. dazu grundlegend Alexander/Staub Der Verbrecher und seine Richter, in Moser (Hrsg.) Psychoanalyse und Justiz, 1974, S. 410. Vgl. zum trotzig-resignativen Versuch der Umsetzung solcher „Entdeckungen“ in ein Strafzweckkonzept Haffke Tiefenpsychologie und Generalprävention, 1976. Vgl. dazu Lüderssen Notwehrelemente in der Strafe – Strafelemente in der Notwehr, in ders. (Hrsg.) Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse? Band I, S. 468 ff. Ausführlicher Prittwitz (o. Fn. 2), S. 400 ff. Vgl. Prittwitz (o. Fn. 2), S. 402 f. zum „stumpf werdenden Schwert“.
60
Cornelius Prittwitz
zungsprinzipien sind. Nur das bestimmte Gesetz ist dem Bürger, der im Rechtsstaat nicht in die von Rechtssoziologen heute diagnostizierte Normenfalle tappen darf, gerechtfertigt. Und nur das bestimmte Gesetz verspricht ansatzweise Effektivität, weil die Normenfalle, wenn sie nicht nur eine symbolische und in Wirklichkeit niemanden schreckende Attrappe ist, nicht nur ungerecht ist, sondern dysfunktional lähmt. Dies dürfte im Wirtschaftsleben und bezüglich wirtschaftsstrafrechtlicher Normenfallen in besonderem Maße sichtbar und auch einsichtig sein, was den Gesetzgeber, so manchen Lobbyisten und auch manchen Strafrechtswissenschaftler nicht daran hindert, auf ein unbestimmtes Gesetz zu setzen. Es mag durchaus sein, vieles spricht sogar dafür, dass sich die systemischen Problemlagen des Wirtschaftslebens nicht in Strafrechtsverbote umsetzen lassen, die dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen. Das kann aber kein Argument für unbestimmtes Wirtschaftsstrafrecht sein, sondern muss mahnen, dem Strafrecht im Wirtschaftsleben nur dort einen legitimen und erfolgversprechenden Platz zuzuweisen, wo den Bestimmtheitserfordernissen Genüge getan werden kann. Gleiches gilt mutatis mutandis für den Schuldgrundsatz. Auch hier suggeriert die lateinische Version nulla poena sine culpa weise Beschränkung. Sowohl unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten, aber auch unter Effektivitätsgesichtspunkten lässt sich an strafrechtliche Unwerturteile und Sanktionen nur sinnvoll denken, wenn feststeht, dass sie Verantwortliche treffen.
III. Ich breche ab und fasse zusammen: Wirtschaftsstrafrecht ist Strafrecht und muss sich schon daher auf den Prüfstand der Strafrechtsbegrenzungsprinzipien stellen lassen. Und ein Wirtschaftsstrafrecht, das nicht nur ein Mäntelchen für ein weitgehend schranken- und ordnungsloses Wirtschaftsleben darstellen soll, muss erst Recht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen, d. h. zunächst seine Geeignetheit nachweisen. Das ist ohne weiteres denkbar, wenn und soweit Wirtschaftsstrafrecht die zu schützenden Rechtsgüter im Auge behält und nicht zum modernen Schurkenparagraph „Pflichtverletzungsdelikt“ mutiert, wenn und soweit der Bezug des Wirtschaftsstrafrechts zu den zuständigen Rechtsgebieten und die Vorrangigkeit der primär zuständigen Regeln beachtet wird, und wenn die aus gutem Grund unbequemen Stolpersteine Bestimmtheits- und Schuldgrundsatz bei Wirtschaftsstrafgesetzgeber und den Wirtschaftsstrafrichtern wieder stärkere Beachtung finden.
Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie
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Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie. Über die Erstarrung der deutschen Kriminologie zwischen atypischem Moralunternehmertum und Bedarfswissenschaft Hendrik Schneider Hendrik Schneider Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie
Gliederung
I. Die Denkblockade der deutschen Kriminologie II. Atypische Moralunternehmer und Bedarfswissenschaftler 1. Die Kritische Kriminologie und das Wirtschaftsstrafrecht 2. Konsequenzen des Bruchs mit etikettierungstheoretischen Grundvorstellungen III. Fragestellungen der Wirtschaftskriminologie: Neuansätze und Auswege 1. Feststellung des Entkriminalisierungsbedarfs 2. Analyse des Anzeigeverhaltens und alternativer Strategien im Umgang mit Wirtschaftskriminalität 3. Die Notwendigkeit eines kriminologischen Begriffs der Wirtschaftskriminalität 4. Das Erfordernis einer wirtschaftskriminologischen Theorie 5. Der Wirtschaftsstraftäter in seinen sozialen Bezügen 6. Wirtschaftskriminologische Wirkungsforschung IV. Fazit
I.
Die Denkblockade der deutschen Kriminologie
Auch Kriminologen, die der Strafrechtspflege ansonsten eher ablehnend gegenüberstehen, haben häufig eine „persönliche Lieblingskriminalität“, bei der sie sich „den Verzicht auf strafrechtliche Sanktionen beim besten Willen nicht vorstellen können“.1 Selbst im Lager der „kritischen Kriminologie“ ist es des1
Brüchert Etwas besseres als das Strafrecht – Zum alternativen Umgang mit Normen, ärgerlichen Situationen und Strafbedürfnissen, BewHi 1999, 275 ff.
62
Hendrik Schneider
halb bis heute umstritten, ob die grundsätzliche Ablehnung des „starken Staates“ und der praktizierten Kriminalpolitik nicht bereichsspezifisch zugunsten einer „Koalition mit den Instanzen sozialer Kontrolle“2 aufgegeben werden soll. Zu den „Feinden“ der Rechtsordnung, gegenüber denen auch nach dem Verständnis einiger kritischer Kriminologen Kriminalisierung erlaubt und „Zuschreibung“ angemessen ist, gehören neben „Vergewaltigern“, „gewalttätigen Rassisten“ und schlagenden Ehemännern oder Lebenspartnern auch Umwelt- und Wirtschaftsstraftäter. Nach der in diesem Beitrag vertretenen These hat die auch als Diskussion über die Zulässigkeit des „atypischen Moralunternehmertums“ bekannte Auseinandersetzung innerhalb der Kritischen Kriminologie zu einer Denkblockade in der deutschen Kriminologie geführt, die bis heute nicht überwunden ist. Deshalb fehlt es in Deutschland nicht nur an einer kriminologischen Analyse 3 des Wirtschaftsstrafrechts und an empirischen Untersuchungen über Wirtschaftskriminalität, die über reine „Bedarfsforschung“4 hinausgehen, sondern auch an einer angemessenen Rezeption des internationalen Forschungsstandes. Weitgehend unbemerkt von der deutschen Kriminologie hat sich seit der Initialzündung durch Sutherlands Vortrag im Jahr 1939 anlässlich seiner Wahl zum Präsidenten der American Sociological Society nämlich vor allem in den USA eine eigenständige Wirtschaftskriminologie entwickelt, die sowohl für die Theoriediskussion als auch für die empirische Forschung wichtige Impulse liefern kann und den Ausgangspunkt für den Aufbau einer Wirtschaftskriminologie in Deutschland bilden sollte.
2
3 4
Scheerer Atypische Moralunternehmer, KrimJ 1. Beiheft 1986, 133 ff.; Hess Kriminologen als Moralunternehmer, in Böllinger/Lautmann (Hrsg.) Vom Guten, das noch stets das Böse schafft. Kriminalwissenschaftliche Essays zu Ehren von Herbert Jäger, Frankfurt am Main 1993, 329 ff.; zusammenfassend: Löbscher KriminologInnen als MoralunternehmerInnen. „Political Correctness“ und moralisch aufgeladene Begriffe. Anmerkungen zu einer Debatte zwischen Sebastian Scheerer, Henner Hess, Johannes Stehr, KrimJ 1997, 19 ff.; Neubacher Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit. Politische Ideen- und Dogmengeschichte, kriminalwissenschaftliche Legitimation, strafrechtliche Perspektiven, 2005, 185 ff. Aus kriminalpolitischer Sicht kritisch: Lüderssen Entkriminalisierung des Wirtschaftsrechts Band I, (1998) und II (2007). Kunz Kriminologie, 4. Aufl., 2004, § 7.
Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie
II.
Atypische Moralunternehmer und Bedarfswissenschaftler
1.
Die Kritische Kriminologie und das Wirtschaftsstrafrecht
63
Während in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zunächst die an der Regierungsverantwortung teilhabenden Politiker der „Grünen“ und der „Frauenbewegung“ der Faszination des für die eigenen Ziele eingesetzten staatlichen Machtapparates und des „Herrschaftsmittels Strafrechts“ erlagen,5 haben seit den 90er Jahren zunehmend auch Kritische KriminologInnen mit der antiinstitutionellen Basis ihrer Bewegung gebrochen.6 In ihrem Bemühen um eine Sensibilisierung der Bevölkerung für die als richtig empfundenen moralischen Vorstellungen zum Beispiel im Bereich des Umweltschutzes oder des Wirtschaftslebens gehen von ihnen keine wesentlichen Impulse für eine Entkriminalisierung aus („defensive Kriminalisierung“) und auch die Forderung einer Verschärfung strafrechtlicher Sozialkontrolle („offensive Kriminalisierung“ oder zumindest „Umkriminalisierung“7) scheint kein Tabu mehr darzustellen, sofern sie sich gegen die „richtige“ Zielgruppe (zum Beispiel die „Umweltsünder“ unter den „Managern“) wendet. So deckt etwa Detlev Frehsee in seinem bekannten Aufsatz „Zur Abweichung der Angepassten“8 aus dem Jahr 1991 zur Veranschaulichung des Ubiquitätstheorems nicht nur verschiedene „Asozialitäten“9 der „Angepassten“ (Steuerflucht, Fehlbelegung von Sozialwohnungen, Leerstehenlassen von Wohnraum, Vergabe existenzvernichtender Kredite) und „mittelschichtspezifisches Delinquenzverhalten“ („Volkssport Versicherungsbetrug“, „Spesenschwindel“,
5
6 7 8 9
Vgl. Scheerer (Fn. 2), 139 „Kaum eine Arbeitsgruppensitzung Grüner Rechtspolitiker, in der nicht die Problematik der Situation deutlich wird. Einerseits ist ,man‘ für die Abschaffung der Anti-Terrorismus-Gesetze, andererseits zeigen sich gerade ,fortschrittliche‘ Juristen wegen der Nützlichkeit mancher der neuen Regelungen für eine effektivere Verfolgung von Wirtschafts- und Umweltdelikten von der ungleichen Machtverteilung zwischen Tatverdächtigen und Strafverfolgung recht angetan“. Provozierend: Hess (Fn. 2), 342: „Und warum sollten wir eigentlich nicht als Moralunternehmer auftreten?“. Vgl. hierzu den Beitrag von Lüderssen in diesem Band. Frehsee KrimJ 1991, 25–45. Frehsee (Fn. 8) 29.
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Hendrik Schneider
„Personaldelikte“ bzw. „Betriebskriminalität“10) auf, sondern er deutet zumindest an, dass bei diesem Deliktsspektrum die aus etikettierungstheoretischer Sicht an sich gebotene radikale Nichtintervention fehlgehen könnte: Es gehe zwar „natürlich“ nicht darum, der Justiz neue Tätigkeitsfelder zu erschließen. Andererseits könne es sich die „demokratische, am Gleichheitspostulat orientierte und unvermeidlich transparenter werdende Gesellschaft“ auf Dauer auch nicht leisten, die normativen Verhaltenserwartungen lediglich auf Grundlage der „Präventivwirkung des Nichtwissens“ zu stabilisieren.11 Sichtbar wird der Bruch mit den Grundannahmen der Kritischen Kriminologie bei der „Bekämpfung“ der Wirtschaftskriminalität auch in einem acht Jahre später erschienen Aufsatz von Susanne Karstedt.12 In Anlehnung an die 1989 erschienene, von Karstedt nicht zitierte Arbeit des amerikanischen Soziologen Blumberg,13 konstatiert die Autorin im Rahmen einer Bestandsaufnahme des „normativen Habitus moderner Marktgesellschaften“ einen zunehmenden Anerkennungsverlust rechtlicher und moralischer Normen im Wirtschaftsleben. Die Kriminalität des „gemeinhin braven und anständigen Bürgers“, für die Karstedt zahlreiche Beispiele anführt, wird in diesem Beitrag nicht nur als originär delinquentes Verhalten wahrgenommen, sondern auch als amoralisch und gemeinschädlich. Ein zumindest angedeuteter Vergleich mit früheren Verhältnissen 14 dramatisiert die Gegenwartsdiagnose. Denn bereits die Feststellung der „Auflösung traditioneller Moral- und Kulturbestände“15 impliziert, dass es früher besser war, und von Bürgern und Managern Pflichten und „Spielregeln“ eingehalten wurden. Die mediale Inszenierung einzelner spektakulärer Fälle von Wirtschaftskriminalität (zum Beispiel
10 11 12
13 14
15
Frehsee (Fn. 8) 30 f. Frehsee (Fn. 8) 40 f. Karstedt Beutegesellschaft: Zur moralischen Ökonomie moderner Marktgesellschaften, Soziale Probleme 1998, 99–114. Vgl. ferner dies. „Das tun doch alle“ Anmerkungen zur moralischen Ökonomie moderner Marktgesellschaften, in Walter/ Kania/H.-J. Albrecht (Hrsg.) Alltagsvorstellungen von Kriminalität. Individuelle und gesellschaftliche Bedeutung von Kriminalitätsbildern für die Lebensgestaltung, 2004, 331–351. Blumberg The Predatory Society. Deception in the American Marketplace, 1989. Nach Karstedt 2004 (Fn. 12) 345 kann sich der Einzelne heute „immer weniger“ darauf verlassen, „dass andere seine Rechtssphäre respektieren“. „Immer weniger“ vertrauten die Menschen darauf, dass ungesichertes Eigentum respektiert wird, dass Arzt- oder Handwerkerrechnungen oder Versicherungsleistungen in Ordnung sind und „immer mehr“ müsse sich der Einzelne selbst um die Bewahrung seiner Interessen kümmern. Karstedt 1999 (Fn. 12) 100.
Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie
65
im Rahmen der Skandalisierung der Vorgänge innerhalb des Energiekonzerns ENRON) ist für sie nicht Baustein eines „politisch-publizistischen Verstärkerkreislaufs“,16 sondern Abbild der Wirklichkeit17 und dient dem Einstieg in die Darstellung. Von einer Entkriminalisierung ist keine Rede.18 Net-widening Effekte, zum Beispiel in Gestalt der Ermittlungstätigkeit Privater im Bereich der Wirtschaftskriminalität, werden zwar konstatiert19 aber nicht analysiert oder gar kritisiert. Diese Analyse ist zunächst deshalb problematisch und unvollständig, weil der von Susanne Karstedt zumindest angedeutete gesamtgesellschaftliche Wertewandel zu einer „Beutegesellschaft“ unklar und im Ergebnis zumindest umstritten ist.20 Blumberg, der den Begriff der „Beutegesellschaft“ geprägt hat, findet in den Schriften von Thomas von Aquin bis Adam Smith unterschiedliche historische Bestandsaufnahmen über eine Kultur des Wettbewerbs, aus denen er ableitet, dass Täuschung und allgemein betrügerisches Verhalten schon immer mit dem Marktgeschehen in Verbindung gebracht wurden. Für ihn und andere Autoren marxistischer Prägung21 ist die „greed-is-good mentality“ der „Predatory Society“ systemimmanent und allgemein Kennzeichen einer „kapitalistischen“ Marktwirtschaft22 und damit gerade nicht Produkt 16 17 18
19 20
21
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Scheerer Der politisch-publizistische Verstärkerkreislauf. Zur Beeinflussung der Massenmedien im Prozess strafrechtlicher Normgenese, KrimJ 1978, 223 ff. Karstedt 2004 (Fn. 12) 331. Karstedt 2004, 335 „Märkte brauchen ein institutionelles Gerüst und einen Rahmen von etablierten Regeln, um funktionieren zu können, kurz, neben der reinen eine ,moralische Ökonomie‘“. Karstedt 1999 (Fn. 12) 103; dies. 2004 (Fn. 12) 343. Für einen Wertewandel im Bereich des Wirtschaftslebens werden von anderer Seite durchaus gewichtige Argumente vorgetragen, vgl. z. B. Taylor Crime in context. A critical Criminology of market societies, 1999 und Rifkin The end of work. The decline of the global labor force and the dawn of the post market era, 2004 (Wandel von der fordistischen zur postfordistischen Produktionstechnologie). Grundlegend bereits Bonger Criminality and Economic Conditions, 1916, 247 ff., 381 ff.; vgl. z. B. auch die antikapitalistischen Ressentiments in den Arbeiten J. W. Colemans Toward an integrated theory of white collar crime, American Journal of Sociology 93 (1987) 406–439; zusammenfassend ders. The criminal elite. Understanding white-collar crime, 6. Aufl., New York 2006, 193–233, hierzu näher: Göppinger/Schneider Kriminologie, 6 Aufl., 2008, § 25, Rn. 21 ff. Blumberg (Fn. 13), 3: „I have tried . . . to identify the constant built-in features of capitalism that, day in day out, create incentives for people to behave dishonestly. While political developments, economic conditions, and social trends may have their independent effects, and may sometimes aggravate the problem, they do not create it. The roots of the problem lie in the system itself.“ Näher: Kapitel 11 „Morality and the Marketplace“, 168 ff.
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eines Wertewandels. Nach anderer Auffassung23 setzt wirtschaftlicher Erfolg insbesondere unter den Bedingungen der globalisierten Wirtschaft die Untadeligkeit und Zuverlässigkeit des Akteurs voraus, so dass aus dieser Perspektive eher ein Wandel in Richtung auf eine stärkere Akzeptanz von Konformitätswerten zu erwarten wäre. Denn bei der so genannten one-shot-interaction, das heißt dem einmaligen Leistungsaustausch unter Fremden (Bsp.: Internetauktionen), bei dem das Synallagma häufig durch die Vorleistungspflicht des Geldschuldners gefährdet wird, ist die erkennbare Reputation des Vertragspartners der entscheidende Gesichtspunkt für das Zustandekommen von Vertragsbeziehungen und hat in bestimmten „Communities“ sogar die Funktion eines „Gruppenselektionskriteriums“. Eine zunehmend bedeutendere Rolle spielt insoweit auch die Tatsache, dass für international agierende Großunternehmen bereits die bekannt gewordene Zusammenarbeit mit einem einzigen unredlichen oder sich nicht gesetzeskonform verhaltenden Geschäftspartner zu massiven Reputationsverlusten führen kann. Deshalb werden seitens dieser Unternehmen potentielle Geschäftspartner schon vor der Eingehung von Vertragsbeziehungen im Rahmen IT-gestützter Massendatenanalysen im Hinblick auf integritätsrelevante Merkmale geprüft.24 Auch in diesem Bereich entsteht ein eigenständiger Markt für entsprechende Dienstleistungen. So bietet zum Beispiel „worldcompliance“ seinen Mitgliedern auf seiner Internetseite eine „Global Enforcement List“ an, auf der sie prüfen können, ob ein möglicher Kooperationspartner mit Geldwäsche, Korruption oder ähnlichen Straftaten in Verbindung gebracht wurde.25 Insgesamt wird deutlich, dass Integrität und Gesetzeskonformität in der globalisierten Wirtschaft ein „Verkaufsargument“ darstellt und deshalb schon aus ökonomischen
23
24
25
Vgl. die Arbeiten des österreichischen Wirtschaftswissenschaftlers Ernst Fehr (Fehr/ Gintis Human Motivation and Social Cooperation: Experimental and Analytical Foundations, Annual Review of Sociology 2007, 43–64 m. w. N.) zur „experimentellen Wirtschaftsforschung“; zu dieser aus kriminologischer Sicht umfassend: Laue Evolution, Kultur und Kriminalität. Über den Beitrag der Evolutionstheorie zur Kriminologie (unveröffentlichte Habilitationsschrift). Für diesen Hinweis danke ich Herrn Rechtsanwalt Henrik Becker, Spezialist für Digitale Beweisführung im Competence Center Fraud . Risk . Compliance der RölfsPartner Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Köln. Vgl. http://www.worldcompliance.com (zuletzt besucht am 3. 3. 2009) „The GEL is comprised of information received from regulatory and governmental authorities, listing the content of warnings and actions against individuals and companies, listing narcotic-traffickers, money launderers, fraudsters, human traffickers, fugitives and other criminals. More than 300 enforcement lists are continuously monitored to provide the most comprehensive protection to clients“.
Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie
67
Gründen, wenn dauerhafter Erfolg erstrebt wird, nicht außer Acht gelassen werden kann.
2.
Konsequenzen des Bruchs mit etikettierungstheoretischen Grundvorstellungen
Für die Entwicklung einer eigenständigen „Wirtschaftskriminologie“ wäre die differenzierte und kritische Rekonstruktion dieser Ansätze wünschenswert. Weitaus problematischer aber ist es, dass das „atypische Moralunternehmertum“ den Zugang zu den aus etikettierungstheoretischer Perspektive interessanten Fragestellungen der Wirtschaftskriminologie versperrt. Eine kritische Analyse des Wirtschaftsstrafrechts aus der Perspektive der Kriminologie unterbleibt daher. Gerade im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts hat aber in den letzten Jahrzehnten (seit dem Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29. 7. 1976) ein atemberaubender Wandel stattgefunden, der eine entsprechende Analyse geradezu herausgefordert hätte.26 Dies gilt nicht nur für die steigende Neukriminalisierung im Bereich der Wirtschaftsdelikte,27 sondern auch für die Normstruktur im Wirtschaftsstrafrecht und die hier gut sichtbare Intention des Gesetzgebers, Beweisschwierigkeiten durch eine Korrektur des materiellen Rechts zu umgehen.28 Zu nennen ist insofern z. B. die Tendenz, durch eine Kriminalisierung leichtfertigen Verhaltens Auffangtatbestände zu schaffen, durch die Freisprüche infolge von Nachweisproblemen im Bereich des subjektiven Tatbestandes der Vorsatzdelikte vermieden werden, vgl. etwa §§ 261 Abs. 5; 264 Abs. 4 StGB;29 283 Abs. 4 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 StGB und § 38 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 WpHG. Dasselbe gilt für so genannte „Vorfeldtatbestände“, die dem strafrechtlichen Schutz des Vermögens dienen, obwohl dem Täter keine Verursachung eines Vermögensschadens nachgewiesen werden kann, vgl. z. B. die bereits durch das 1. WiKG im Jahr 197630 eingeführten Straftatbestände des Subventionsbetrugs (§ 264 StGB) und des Kreditbetrugs (§ 265 b StGB), sowie den zehn
26 27 28 29 30
Vgl. hierzu umfassend Lüderssen in diesem Band. Grunst/Volk Begriff und Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, in Volk (Hrsg.) Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, 2006, 1–34, 18 ff. Geerds Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, 1991, 78. BT-Drucks 7/3441, 27; 7/5291, 8. BGBl. I 1976, S. 2034.
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Jahre später durch das 2. WiKG31 eingeführten Tatbestand des Kapitalanlagebetrugs (§ 264 a StGB). In diesen Tatbeständen werden Täuschungshandlungen unter Strafe gestellt, die abweichend von § 263 StGB weder einen Irrtum noch einen Vermögensschaden verursacht haben.32 Daneben sind Strategien des Gesetzgebers erkennbar, die Bestimmtheit wirtschaftsstrafrechtlicher Normen bis an die Grenze der Verfassungswidrigkeit aufzuweichen. Dies gilt etwa für die Gesetzgebung im Bereich des „Korruptionsstrafrechts“.33 Durch das „Korruptionsbekämpfungsgesetz“ vom 13. 8. 1997 wurden nicht nur die als Amtsdelikte ausgestalteten §§ 331 ff. StGB hinsichtlich ihrer Strafandrohungen verschärft, sondern auch in ihrem Anwendungsbereich erheblich erweitert. Durch §§ 331, 333 StGB werden jetzt auch Sachverhalte erfasst, bei denen eine konkrete Unrechtsvereinbarung zwischen Vorteilsnehmer und Vorteilsgeber nicht beweisbar ist, sondern nur der Anschein der Käuflichkeit besteht und der Amtsträger durch die Zuwendung „günstig gestimmt“ bzw. sein Wohlwollen erkauft werden soll.34 Auch die Folgen dieser Gesetzgebung für die Märkte und ihre Akteure sind kriminologisch bislang noch nicht35 untersucht worden. Dies gilt nicht nur für die Fragen der Anwendung des Wirtschaftsstrafrechts (Entstehung des Tatverdachts, Anzeigeverhalten der Akteure, Definitionsmacht über den Sachverhalt, Sanktionierungspraxis, Strafzumessungskriterien 36 ), sondern auch für die Reaktion der Adressaten der zumeist als Sonderdelikte ausgestal31 32 33
34
35
36
BGBl. I 1986. S. 721. Nomos HK-GS/Duttge § 264 Rn. 4; § 264 a Rn. 1; § 265 b Rn. 1. Schneider Unberechenbares Strafrecht – Vermeidbare Bestimmtheitsdefizite im Tatbestand der Vorteilsannahme und ihre Auswirkungen auf die Praxis des Gesundheitswesens, in Schneider u. a. (Hrsg.) FS Manfred Seebode, 2008, 331–350. Schönke/Schröder/Heine § 331 Rn. 28 ff.; Tröndle/Fischer § 331 Rn. 22. Die heutige Regelung geht auf einen Vorschlag Döllings im Gutachten für den 61. Deutschen Juristentag zurück und ist weniger weit als der ursprüngliche Vorschlag des Bundesrates, nach dem es für die §§ 331, 333 StGB ausreichend sein sollte, dass der Vorteil dem Amtsträger „im Zusammenhang mit seinem Amt“ gewährt wird, zusammenfassend zur Gesetzgebungsgeschichte: Nomos HK-GS/Bannenberg § 331 Rn. 4 ff. Das in diese Rubrik fallende Thema der primären Prävention von Wirtschaftsstraftaten durch Business Ethics ist allerdings von dem Hallenser Kriminologen Kai Bussmann näher analysiert worden, vgl. Bussmann Business Ethics und Wirtschaftsstrafrecht. Zu einer Kriminologie des Managements, MschrKrim 86 (2003) 89–104; ders. Kriminalprävention durch Business Ethics. Ursachen von Wirtschaftskriminalität und die besondere Bedeutung von Werten, zfwu 5 (2004) 35–50. Vgl. aus dem internationalen Schrifttum aber Wheeler/Weisburd/Bode Sentencing the white collar offender, American Sociological Review 47 (1982) 641 ff.; Hagen/Parker White Collar Crime and punishment, American Sociological Review 50 (1985) 302 ff.
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69
teten Straftatbestände, die sich längst auf die gestiegenen Risiken, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, eingestellt haben (die einschlägigen Stichworte lauten: „Compliance“,37 „Business-Ethics“,38 „Unternehmen als Gesetzgeber“39 aber auch „banning and labeling“ eines sich möglicherweise illegal verhaltenden Wettbewerbers40). Außerdem wird durch die Dramatisierung der „Beutegesellschaft“ der Neukriminalisierung im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts Vorschub geleistet und zumindest in der Sache eine Allianz mit der von der Kritischen Kriminologie an sich verachteten „Bedarfsforschung“ eingegangen. Denn auch die wirtschaftskriminologische „Bedarfsforschung“, die sich bemüht, „nützliche Informationen für eine möglichst rationale und effiziente Ausgestaltung der offiziellen Kriminalpolitik“41 zu gewinnen, dramatisiert die von Wirtschaftskriminalität ausgehenden Gefahren42 (zum Beispiel durch zumeist als „Expertenbefragungen“43 ausgestaltete Untersuchungen oder Schätzungen zum 37 38 39 40 41 42
43
Grundlegend Hauschka Corporate Compliance, 2007. Vgl. die in Fn. 35 genannten Arbeiten. Am Beispiel entsprechender Regelungen im Gesundheitswesen, Schneider (Fn. 33). Vgl. hierzu aus journalistischer Sicht: Müller/Kowalewsky Schmiergeld war gestern! Die neuen Tricks der Saubermänner, Capital 10/2008, 20–34. Kunz (Fn. 4) § 7 Rn. 1. Vgl. etwa Hetzer Finanzmärkte und Tatorte, MschrKrim 86 (2003) 353 ff., 362: „Die internationalen Finanzmärkte haben sich in global verstreute Tatorte verwandelt. Die dort auftretenden Akteure sind durch die Strafdrohungen konventioneller Straftatbestände nicht zu beeindrucken. Die verursachten Schäden liegen weit jenseits des Horizonts ,innerer‘ Sicherheit.“ Ferner Jahnke Kompendium Wirtschaftskriminalität 2008, 292: „Durch Wirtschaftskriminalität wird ein Unternehmen so bedroht, wie ein Damm durch Hochwasser. Nur wenn alle Schwachstellen unablässig abgedichtet und interne Fäulnis, die die Stützpfeiler gefährdet bekämpft wird, kann der Bestand gesichert werden. Auch gilt das alte chinesische Sprichwort: ,Wenn der Tropfen nicht gestopft wird, werden schließlich Fluss und Strom daraus‘. Manchmal mutet der Kampf dagegen an wie der Versuch, mit Teelöffeln einen See leer zu schöpfen und viele Experten meinen, wer versucht, einen Buschbrand mit einem Gartenschlauch zu löschen, habe bessere Erfolgsaussichten. . . . Ohne die Verluste, die sich jährlich aus der Vermögensverteilung zugunsten einzelner Krimineller ergeben, könnte in Deutschland vermutlich problemlos die Rente mit 60 für alle finanziert und dennoch die Staatsverschuldung abgebaut werden“. Weitere Nachweise zur „Bedarfsforschung“ bei Boers Wirtschaftskriminologie. Vom Versuch, mit einem blinden Fleck umzugehen, MschrKrim 84 (2001) 335 ff., 337 f. und Schwind Kriminologie, 2008, § 21 Rn. 7 ff.; vgl. zudem die in Fn. 44 genannten Arbeiten. Vgl. z. B. Mischkowitz/Bruhn/Desch/Hübner/Beese Einschätzungen zur Korruption in Polizei, Justiz und Zoll. Ein gemeinsames Forschungsprojekt des Bundeskriminalamtes und der Polizei-Führungsakademie, 2000.
70
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tatsächlichen Umfang der Wirtschaftskriminalität und durch Spekulationen über eine vermutete Sog- und Spiralwirkung der Wirtschaftsstraftaten und ein hohes Dunkelfeldpotential) und legitimiert damit die kriminalpolitische Handlungsstrategie der „Bekämpfungsgesetzgebung“, die nach Auffassung mancher Autoren sogar ausgebaut bzw. konsequenter angewandt werden soll.44 Zusammenfassend ist daher im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts ein Dammbruch zu diagnostizieren: Es dominiert eine kriminalpolitische Grundhaltung der „zero tolerance“, die von George W. Bush anlässlich der Verabschiedung des Sarbanes-Oxley Acts45 im Jahr 2002 mit den Worten „no more easy money for corporate criminals – just hard time“46 auf den Punkt gebracht wurde. Der Wirtschaftsstraftäter ist der neue Feind der Rechtsordnung, der schon deshalb besonders gefährlich ist, weil man ihn nicht auf den ersten Blick erkennen kann (snake in suit47). An der Konservierung dieses Bildes, an der Intensivierung der Strafverfolgung und an der Ausweitung des Wirtschaftsstrafrechts haben verschiedene Berufgruppen unterschiedliche Interessen, und sie verfügen gemeinsam über eine erhebliche Definitionsmacht. Staatsanwälte48 fordern den Staat auf, durch die Ausweitung der Eingriffsbefugnis44
45 46
47
48
Vgl. z. B. Rolfes/Wilmes Wirtschaftskriminalität in Niedersachsen 2003. Betroffenheit und Bewertung aus Sicht Niedersächsischer Unternehmen, 2003; entsprechende kriminalpolitische Schlussfolgerungen finden sich häufig in den Publikationen der BKA Reihe Polizei & Forschung, vgl. z. B.: Sürmann Arzneimittelkriminalität – ein Wachstumsmarkt, 2007; Hecker/Heine/Risch/Windolph/Hühner Abfallwirtschaftskriminalität im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung, 2008; Bannenberg Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle. Eine kriminologischstrafrechtliche Analyse, 2002. Sarbanes-Oxley Act 2002, Pub. L. 107–204, 116 Stat. 745. Hefendehl Enron, WorldCom, and the Consequences: Business Criminal Law between doctrinal requirements and the hopes of crime policy, Buffalo Criminal Law Review 2005, 51 ff., 52. So der Titel des 2006 erschienen Werks von Babiak/Hare, in dem die Autoren das bekannte, von Hare entwickelte Psychopathy-Konzept auf Wirtschaftsstraftäter übertragen; kritisch: Bohling Psychopathenfahndung. Ein soziologisches Begleitschreiben, psychosozial (29. Jahrgang, Nr. 104, Heft II) 2006, S. 85 ff.; Göppinger/ Schneider (Fn. 21), § 25 Rn. 13. Nötzel Strafverfolgung in Korruptionssachen, in Dölling (Hrsg.) Handbuch der Korruptionsprävention, 2007, 598 ff., 601 trat z. B. dafür ein „die Korruptionsdelikte in den Katalog von § 100 a StPO aufzunehmen, um eine effektive Überwachung von Telekommunikation durchführen zu können“ (der Forderung wurde durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. 12. 2007 durch § 100 a Abs. 2, Nr. 1 t StPO Rechnung getragen); vgl. auch
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71
se für Ermittlungsbehörden „Waffengleichheit“ mit der „Organisierten Wirtschaftskriminalität“ herzustellen. Strafverteidiger haben Interesse an wirtschaftsstrafrechtlichen Mandaten und drehen bisweilen selbst an der Kriminalisierungsschraube.49 Außerdem entstehen für sie neue Tätigkeitsfelder, zum Beispiel im Rahmen der strafrechtlichen Präventivberatung, im Zusammenhang mit der Entwicklung firmeninterner Regelungen, die branchenspezifisch wirtschaftsstrafrechtliche Normen konkretisieren, als Schulungsleiter50 oder als Ombudsmänner,51 die anonyme Hinweise über strafrechtlich relevantes Verhalten im Unternehmen entgegennehmen. Wirtschaftsberatungsgesellschaften haben sich mit dem anti-fraud Management ein neues Tätigkeitsfeld erschlossen, klären für ihre Auftraggeber Fälle von Betriebskriminalität auf und installieren Präventionsinstrumente.52 Die wirtschaftskriminologische Bedarfsforschung versieht das hiernach durchaus erwünschte düstere Lagebild Wirtschaftskriminalität mit einem wissenschaftlichen Mehrwert. Eine kriminologische Opposition, die dieser Entwicklung kritisch und mit einem eigenständigen Forschungsansatz gegenübersteht, ist nicht erkennbar, weil die Kritische Kriminologie aus den dargelegten Gründen als „kriminologische Kontrollinstanz“ versagt hat.
49
50
51 52
Schaupensteiner in Bundeskriminalamt (Hrsg.) Wirtschaftskriminalität und Korruption 2003, 73 ff. Schaupensteiner hat sich vor seinem Wechsel zur Deutschen Bahn massiv für die flächendeckende Einführung von Korruptionsregistern eingesetzt, in die Unternehmen, deren Mitarbeitern Bestechung vorgeworfen wird, auch vor einer rechtskräftigen Verurteilung eingetragen werden können. Ferner plädiert er für ein Unternehmensstrafrecht. So tritt etwa der Hamburger Strafverteidiger Pragal (Das Pharma-„Marketing“ um die niedergelassenen Kassenärzte: „Beauftragtenbestechung“ gemäß § 299 StGB!, NStZ 2005, 133 ff.; Pragal/Apfel Bestechlichkeit und Bestechung von Leistungserbringern im Gesundheitswesen, A&R 2007, 10 ff.) dafür ein, dass Apotheker und Vertragsärzte taugliche Täter einer Beauftragtenbestechung nach § 299 StGB sein können (Pragal NStZ 2005, 133 ff.) oder sogar als Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 c StGB Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnehmen und sich deshalb nach §§ 331 ff. StGB strafbar machen können (Pragal/Apfel A&R 2007, 10 ff.). Z. B. im Zusammenhang mit der Durchführung vorgetäuschter Durchsuchungen, durch die das Personal eines Unternehmens im Umgang mit den Ermittlungsbehörden geschult werden soll, sog. „Mock Dawnraids“, näher Lampert Compliance Organisationen, in Hauschka (Hrsg.) Corporate Compliance, 2007, 153. Korte Korruptionsprävention im öffentlichen Bereich, in Dölling (Hrsg.) Handbuch der Korruptionsprävention, 2007, 289 ff., 302 f. Benz/Heißner/John/Möllering Korruptionsprävention in Wirtschaftsunternehmen und durch Verbände, in Dölling (Hrsg.) Handbuch der Korruptionsprävention, 2007, 44 ff.
72
Hendrik Schneider
III.
Fragestellungen der Wirtschaftskriminologie: Neuansätze und Auswege
Vor dem Hintergrund dieser Bestandsaufnahme ist es eine vordringliche Aufgabe der Kriminologie, das Versäumnis der Kritischen Schule nachzuholen und sich der Analyse des Wirtschaftsstrafrechts und seiner Anwendung durch die Instanzen der formellen Sozialkontrolle und anderer definitionsmächtiger Akteure zu widmen. Beispielhaft könnten dabei folgende Fragestellungen im Vordergrund stehen:
1.
Feststellung des Entkriminalisierungsbedarfs
Anstatt Strafbarkeitslücken aufzuspüren, sind die Straftatbestände des Wirtschaftsstrafrechts auf eine mögliche Entkriminalisierung hin zu überprüfen. Entkriminalisierungsbedarf besteht im Anwendungsbereich von Normen, die im „Normbewusstsein“ der Normadressaten nicht ausreichend verankert sind und deshalb keine generalpräventive Wirkung entfalten. Nach den rechtssoziologischen Überlegungen Heinrich Popitz,53 die insoweit richtungweisend sind, setzt Normbewusstsein insbesondere Orientierungswissen (Kenntnis der wesentlichen Regelungsinhalte der Norm), Realisierungswissen (Gewissheit, dass die Norm von anderen eingehalten und ihre Übertretung sanktioniert wird) und Legitimitätsglauben (Akzeptanz und Anerkennung der Verbindlichkeit der Norm) voraus. Nur wenn diese Komponenten gegeben sind, besteht die Chance, dass Normen im täglichen Leben der Normadressaten „Verhaltensgeltung“54 erlangen, das heißt beachtet und eingehalten werden. Sind die Verhaltensnormen hingegen so aufgebaut, dass sie entweder unbekannt oder unverständlich sind (Beeinträchtigung des Orientierungswissens) oder den Normadressaten inhaltlich als nicht gerechtfertigt erscheinen (mangelnder Legitimitätsglaube), ist nicht nur die Normgeltung in Gefahr, sondern die normative Konstruktion der Gesellschaft bzw. des Wirtschaftslebens insgesamt. Aus diesen Grundannahmen und den Komponenten des Normbewusstseins könnten Forschungshypothesen zur Identifikation ungeeigneter (bzw. für die normative Konstruktion der Wirtschaft geradezu gefährlicher55) Tatbe53 54 55
Popitz Die normative Konstruktion von Gesellschaft, 1980, 22 ff. Popitz (Fn. 53) 66. Vgl. Göppinger/Schneider (Fn. 21) § 25 Rn. 32: „kriminogene Normgebung“.
Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie
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stände und damit zur Konkretisierung des Entkriminalisierungs- oder Normpräzisierungsbedarfs im Wirtschaftsstrafrecht abgeleitet werden. Defizite im Bereich des Orientierungswissens sind zum Beispiel bei den §§ 331, 333 StGB bzw. allgemein im Bereich des „Korruptionsstrafrechts“ zu erwarten. Unkenntnis der Grenzen zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten resultiert hier aus der Komplexität und Unübersichtlichkeit der einzelnen Straftatbestände. Es ist in der Praxis keine Seltenheit, dass sich international agierende Unternehmen vor der Erschließung neuer Märkte z. B. in Osteuropa – trotz kundiger Firmenjuristen – extern beraten lassen, um die Regelungsinhalte der §§ 299, 331 ff. StGB, des IntBestG, des EUBestG oder des FCPA56 zu überblicken und die Grenzen zulässiger Akquisestrategien abstecken zu können. Auch die Regelungen im StGB sind für den Normadressaten kaum mehr verständlich. Schon die Frage, wer Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 c StGB ist, kann von einem „Leiter Innenrevision“ mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund, der mit der Aufstellung einer „Antikorruptionsrichtlinie“ beauftragt wird und Mitarbeiter schulen soll, kaum mehr verlässlich beantwortet werden. Deshalb kommt es hier zu diffusen Warnungen, sich nicht nach den §§ 299, 331 ff. StGB strafbar zu machen. Vor allem im Bagatellbereich, in dem die meisten Fälle ohnehin über das soft law der §§ 153 f. StPO erledigt werden, können im Anwendungsbereich der §§ 331, 333 StGB auch Rechtskundige keine sichere Einschätzung darüber abgeben, ob ein „Beratervertrag“, ein „Fortbildungssponsoring“ oder eine Einladung zum Abendessen von den Ermittlungsbehörden als Indiz für eine „Unrechtsvereinbarung“ gewertet und zum Anlass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genommen werden würde. Diese Rechtsunsicherheit schlägt im Ergebnis auch auf die Akzeptanz der Normen durch die Normadressaten durch. Unklare Straftatbestände werden als ungerecht empfunden. Die Normadressaten sehen in ihnen eine ungerechtfertigte und willkürliche Bevormundung durch einen praxisfern agierenden Gesetzgeber, so dass das Strafrecht im Ergebnis bereichspezifisch seine Dignität und die Strafe ihren Charakter als „sozialethisches Unwerturteil“ verliert. Auch im Bereich des Insolvenzstrafrechts, bei dem es in der Praxis häufig lediglich zu einer strafrechtlichen Besiegelung wirtschaftlichen Scheiterns kommt, ist zu vermuten, dass ein erheblicher Anteil der Straftaten aus Unkenntnis der Grenzen zwischen erlaubtem und verbotenem Verhalten begangen wird. Praktische Erfahrungen zeigen, dass die strafrechtlichen Risiken
56
Vgl. Michalowski/Kramer The space between the laws: The problem of corporate crime in transnational context, social problems 34 (1987) 34 ff.
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der Sanierungsbemühungen den Geschäftsführern und ihren Beratern häufig unbekannt sind oder von ihnen in der Hoffnung auf die Abwendung der Unternehmenskrise verdrängt werden.57 Dies gilt insbesondere für die Einmann-GmbH, bei der den Unternehmern häufig nicht einmal die Differenzierung zwischen eigenem Vermögen und dem Vermögen der GmbH und die sich hieran knüpfenden strafrechtlichen Konsequenzen geläufig sind (z. B. auch im Hinblick auf § 266 StGB). Auch im Spektrum der Insolvenzdelikte sind keine Entkriminalisierungstendenzen ersichtlich. Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 28. Oktober 200858 wurden zwar die bislang verstreuten Tatbestände der Insolvenzverschleppung in § 15 a InsO gebündelt. Dieser Anlass wurde aber nicht auch zu einer inhaltlichen Bereinigung und Begrenzung zum Beispiel auf die Fälle vorsätzlichen Handelns genutzt. Stattdessen wurde der Umfang der strafrechtlichen Verantwortlichkeit erweitert. Er erstreckt sich bei Führungslosigkeit der GmbH oder AG auch auf die Gesellschafter (§ 15 a Abs. 4 InsO), sofern diese ihrer Verpflichtung, einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15 a Abs. 3 InsO), nicht nachkommen. Auch insoweit wird fahrlässiges Handeln unter Strafe gestellt. Entkriminalisierungsbedarf besteht ferner im Bereich überflüssiger Normen. Hierzu gehören etwa die Tatbestände im Vorfeld des § 263 StGB. Hier wäre zu prüfen, inwieweit durch eine extensive Auslegung des § 263 StGB über die Figur der „konkreten Vermögensgefährdung“ in der Praxis nicht bereits eine erhebliche Vorverlagerung der Verantwortlichkeit stattfindet, so dass der weitergehende Schutz über die §§ 264 a, 265 b StGB obsolet ist.
2.
Analyse des Anzeigeverhaltens und alternativer Strategien im Umgang mit Wirtschaftskriminalität
Im Hinblick auf das Anzeigeverhalten ist zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Verfahren das Wirtschaftsstrafrecht insbesondere im Bereich der Betriebskriminalität als „Drohkulisse“ zur Durchsetzung arbeitsrechtlicher Interessen eingesetzt wird. In diesem Deliktsspektrum sind arbeitsrechtliche Maßnahmen für Arbeitgeber häufig eine attraktivere Alternative als Strafanzeige und Strafverfahren, so dass hier neue Formen der „Erledigung“ strafrechtlich relevanter Sachverhalte einschließ-
57 58
Krekeler/Werner Unternehmer und Strafrecht, 2006, 417. BGBl. I, S. 2026.
Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie
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lich ihrer Folgeprobleme zu untersuchen wären. Da in diesem Fall Arbeitnehmer nicht durch einen Eintrag im Führungszeugnis auffallen und häufig (z. B. bei einvernehmlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses) auch ein zumindest unauffälliges Zeugnis vorweisen können, versuchen sich Betriebe durch Präventionsinstrumente schon bei der Einstellung vor straffälligen Arbeitnehmern zu schützen (so genanntes „pre-employment-screening“ oder „gate keeping“). Neben den bislang noch kaum erörterten arbeitsrechtlichen Fragen der Zulässigkeit derartiger Maßnahmen ergeben sich auch kriminologische Fragestellungen nach der Wirksamkeit der insbesondere von den Wirtschaftsberatungsgesellschaften entwickelten Methoden und ihren sekundären Effekten (z. B. im Hinblick auf die soziale Ausgrenzung bestimmter Arbeitnehmer und mögliche „false positives“). Vergleichbare Fragen entstehen bei der so genannten „Integrity Due Diligence“, deren Durchführung Unternehmen im Fall eines Unternehmenskaufs empfohlen wird, um sich vor unerkannt straffälligen Mitarbeitern im Zielunternehmen zu schützen. Weiterhin sind für die im Entstehen begriffene Wirtschaftskriminologie folgende Themen relevant:
3.
Die Notwendigkeit eines kriminologischen Begriffs der Wirtschaftskriminalität
Im deutschsprachigen Schrifttum fehlt es bereits an einer Diskussion über einen kriminologischen Begriff der Wirtschaftskriminalität.59 Die Eingrenzung der Wirtschaftskriminalität über die sachliche Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer gemäß § 74 c GVG kann aus pragmatischen Gründen (Zugriff auf einschlägige Verfahrensakten) für empirische Forschungsprojekte oder für amtliche Kriminalstatistiken60 sachdienlich sein. Wie es das im internationalen Diskurs geläufige Bild des „white-collar-criminals“ nahe legt, ist es für die Kriminalätiologie61 aber erforderlich, nicht nur wirtschafts59
60 61
Aufgrund unterschiedlicher Forschungsinteressen der Kriminologie einerseits und des Strafrechts andererseits kann auf die strafrechtliche Diskussion über den Begriff der Wirtschaftskriminalität nur bedingt Bezug genommen werden; vgl. zu dieser Achenbach Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht – Gedanken zu einer terminologischen Bereinigung, in Feltes/Pfeiffer/Steinhilper (Hrsg.) FS Hans-Dieter Schwind, 2006, 177 ff. Bundeskriminalamt (Hrsg.) Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2005 (August 2006). Nach der Korrektur der Fehlrezeption des Labeling Approach (Hendrik Schneider Vom bösen Täter zum kranken System. Perspektivenwechsel in der Kriminologie am Bei-
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strafrechtliche Tatbestände zu identifizieren, sondern auch die Spezifika der Person des Täters und der Tatgelegenheiten zu erfassen. Nach dem vom Verfasser befürworteten Standpunkt62 ist Wirtschaftskriminalität eine Fallgruppe der „Kriminalität bei sonstiger sozialer Unauffälligkeit“. Das Deliktsspektrum umfasst Taten, die im Zusammenhang mit der Ausübung einer legitimen Berufstätigkeit oder legalen wirtschaftlichen Betätigung begangen werden und bezieht sich demnach sowohl auf die „Managerkriminalität“ als auch auf die Kriminalität der Selbständigen und die „Betriebskriminalität“ (d. h. Delikte, die von Angestellten zum Nachteil ihres Arbeitgebers begangen werden). Von diesem Oberbegriff aus, lässt sich Wirtschaftskriminalität in Anlehnung an die im internationalen Schrifttum breit rezipierte,63 in der deutschsprachigen Literatur aber noch kaum zur Kenntnis genommene Typologie von Weisburd/Waring 64 weiter spezifizieren. Auf der Grundlage der Ergebnisse ihrer empirischen Untersuchung65 unterscheiden Weisburd/Waring bei Wirtschaftsstraftätern zwischen den Typen der „opportunity taker“, „opportunity seeker“, „crisis responder“ und „stereotypical criminal“. Diese Kategorien, die bei Weisburd/Waring eher holzschnittartig portraitiert werden, lassen sich weiter ausdifferenzieren und inhaltlich genauer beschreiben. Eine derartige
62 63
64 65
spiel von Psychoanalyse und Kriminalsoziologie, in Requate (Hrsg.) Recht und Justiz im gesellschaftlichen Aufbruch (1960–1975). Bundesrepublik Deutschland, Italien und Frankreich im Vergleich, 2003, 275 ff.; ders. Schöpfung aus dem Nichts. Missverständnisse in der deutschen Rezeption des Labeling Approach und ihre Folgen im Jugendstrafrecht, MschrKrim 1999, 202 ff., Neubacher (Fn. 2) 179 ff.; Göppinger/Bock (Fn. 21) § 10 Rn. 65 ff.; Schwind (Fn. 42) § 8 Rn. 3; Baumann Dem Verbrechen auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminologie und Kriminalpolitik in Deutschland 1880–1980, 2006), besteht heute auch aus Sicht einiger Vertreter der Kritischen Schule Raum für eine kriminalätiologische Fragestellung. Göppinger/Schneider (Fn. 21) § 25 Rn. 8 ff. Vgl. z. B. Coleman The criminal elite. Understanding white collar crime, 2006, 198; Benson&Moore Are white collar and common offenders the same? An empirical and theoretical critique of a recently proposed general theory of crime, Journal of Research in Crime and Delinquency 29 (1992) 251 ff.; Shover/Coffey/Hobbs Crime on the line, British Journal of Criminology 43 (2003) 489 ff. Weisburd/Waring White-Collar Crime and Criminal Careers, Cambridge u. a. 2001 (Abschlussbericht). Es handelt sich um eine Auswertung so genannter „presentence investigation reports“ (PSIs), die im Erhebungszeitraum (vor einer Änderung der „Rules of Criminal Procedure“) umfassende Informationen über den Beschuldigten, seine Vorstrafenbelastung und sein Sozialverhalten enthielten, näher Weisburd/Waring (Fn. 64), 13 ff.
Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie
77
Zielsetzung verfolgt der Verfasser mit dem „Berliner Wirtschaftsdelinquenzprojekt“,66 bei dem unter anderem im Rahmen einer Inhaltsanalyse alle im Jahr 2007 verkündeten Urteile der drei Berliner Wirtschaftsstrafkammern ausgewertet werden.
4.
Das Erfordernis einer wirtschaftskriminologischen Theorie
Daneben bestehen Defizite in der wirtschaftskriminologischen Theoriediskussion. Hier ist fraglich, ob die heute vertretenen „General Theories of Crime“ alle Erscheinungsformen der Kriminalität zu erklären vermögen oder ob eine spezifische Theorie der Wirtschaftskriminalität erforderlich ist. In den USA gibt es diesbezüglich nicht nur empirische Forschung,67 aus der ein Sondererklärungsbedarf für Wirtschaftskriminalität abgeleitet werden kann, sondern auch den Vorschlag einer wirtschaftskriminologischen Theorie,68 die im deutschsprachigen Schrifttum bisher noch nicht ausreichend rezipiert wurde. Auch das vom Verfasser entwickelte Leipziger Verlaufsmodell wirtschaftskriminellen Handelns,69 in dem der Versuch unternommen wurde, die für die Entstehung von Wirtschaftskriminalität relevanten personalen und situativen Risikofaktoren zu ordnen, ist zwar in der Wirtschaft,70 außerhalb der Mainzer Kriminologie71 aber noch nicht in der Wissenschaft zur Kenntnis genommen worden. 66 67 68
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70
71
Es handelt sich um eine von der Wirtschaftsberatungsgesellschaft RölfsPartner drittmittelgeförderte Studie des Verfassers und seiner Mitarbeiter. Benson&Moore (Fn. 63). Coleman Toward an integrated theory of white collar crime; American Journal of Sociology 93 (1987) 406 ff.; zur Wirtschaftskriminalität aus der Perspektive der General Theories of Crime, vgl. auch Tittle Control Balance: Toward a General Theory of Deviance; 1995 und Braithwaite Charles Tittle’s Control Balance and criminological theory; Theoretical Criminology 1 (1997) 77 ff. Schneider Das Leipziger Verlaufsmodell wirtschaftskriminellen Handelns. Ein integrativer Ansatz zur Erklärung von Kriminalität bei sonstiger sozialer Unauffälligkeit, NStZ 2007, 555 ff. Vgl. KPMG Profile of a fraudster 2007 (http://www.kpmg.de/Presse/2836.htm) sowie die Vorträge des Verfassers anlässlich der FTD Konferenz „Wirtschaftsrisiko Korruption“ 2008 (http://www.presseportal.de/pm/13087/1236086/financial_ times_deutschland) und der zum Thema „Schutz vor Korruption“ stattfindenden 4. Handelsblatt Konferenz Unternehmensrisiko Korruption 2009 am 30./31. 3. 2009 in Frankfurt (www.konferenz.de/ots-korruption09). Bock Kriminologie, 2007, 313 f.
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Hendrik Schneider
Kriminologische Erklärungsversuche für Wirtschaftskriminalität sind schon deshalb erforderlich, weil die Erprobung bestimmter Präventionsinstrumente ohne entsprechende theoretische Fundierung einem kriminologischen Blindflug (bzw. einer medizinischen Therapie ohne Diagnose) gleicht. Nur wenn die Maßnahme anschlägt und Wirtschaftskriminalität signifikant reduziert wird (bzw. die Symptome der Krankheit verschwinden), sind Rückschlüsse auf die Ursachen möglich.
5.
Der Wirtschaftsstraftäter in seinen sozialen Bezügen
Kriminologischer Erkenntnisbedarf besteht auch hinsichtlich des „Wirtschaftsstraftäters in seinen sozialen Bezügen“. Insofern gibt es bislang lediglich einzelne Mosaiksteine kriminologischer Forschung, z. B. aus der Perspektive der Psychologie72 zur Werthaltung von Wirtschaftsstraftätern73 oder aus soziologischer Sicht zum Zusammenhang zwischen „Normorientierung“ und „Markteinbindung“. 74 Es fehlen insbesondere Längsschnittuntersuchungen, die dem Gesichtspunkt Rechnung tragen, dass es sich bei Wirtschaftsstraftätern in den meisten Fällen um „latecomer to crime“ handelt. Da nach den einschlägigen empirischen Untersuchungen das Einstiegsalter in die Kriminalität im Fall der Wirtschaftsdelinquenz bei etwa 40 Jahren liegt,75 können die Befunde aus Studien des entwicklungsdynamischen Ansatzes (hier sind selbst die „latecomer“ deutlich jünger) nicht unmittelbar herangezogen werden. Für die Forschung interessant sind insofern insbesondere die biographischen Wendepunkte, durch die das Abdriften in die Kriminalität im 72
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Blickle/Schlegel/Fassbender/Klein Some personality correlates of business white-collar crime, Applied Psychology: An International Review, 55 (2006) 220 ff.; Schlegel Werthaltungen inhaftierter Wirtschaftsdelinquenten, in ders. (Hrsg.) Wirtschaftskriminalität und Werte. Theoretische Konzepte, empirische Befunde, praktische Lösungen, 2003, 113 ff. Blickle/Schlegel/Fassbender/Klein (Fn. 72) 220; Schlegel (Fn. 72) 113 ff.; Collins&Schmidt Personality, integrity, and white collar crime: a construct validity study, Personnel psychology 46 (1993) 295 ff. Burkatzki Verdrängt der homo oeconomicus den homo communis? Normbezogene Orientierungsmuster bei Akteuren unterschiedlicher Markteinbindung, 2007 (mit Rezension Schneider MschrKrim 2008, 488 f.). Nachweise bei Göppinger/Schneider (Fn. 21) § 25 Rn. 11. Beruhen die Erkenntnisse auf Aktenuntersuchungen und Urteilsanalysen sind aber die Tilgungsfristen des § 45 BZRG und das Verwertungsverbot des § 51 BZRG zu berücksichtigen. Insofern ist es denkbar, dass frühere Straftaten lediglich nicht mehr verwertet werden durften oder bereits getilgt waren und deshalb im Urteil nicht erwähnt werden.
Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminologie
79
Einzelfall ausgelöst wurde. Zumindest vorbereitet werden könnten derartige Untersuchungen durch qualitative Einzelfallanalysen, die den Forschungsstil der Chicago-School of Sociology aufgreifen.76
6.
Wirtschaftskriminologische Wirkungsforschung
Schließlich bedarf es einer kriminologischen Wirkungsforschung in Bezug auf zunehmend relevanter werdende Maßnahmen der primären und sekundären Prävention die vor allem auf die Verhinderung der Betriebskriminalität abzielen. Eine entsprechende Studie (EconCrime-Projekt) wird zur Zeit unter der Leitung von Kai Bussmann in Halle durchgeführt. Die quantitativ statistisch angelegte empirische Untersuchung verfolgt unter anderem das Ziel, Verbreitung und Eignung der in den Unternehmen eingesetzten Präventionsinstrumente zu überprüfen („What works, what doesn’t work“).
IV.
Fazit
Die deutschsprachige Kriminologie muss ihre Erstarrung zwischen atypischem Moralunternehmertum und Bedarfswissenschaft überwinden und eine eigenständige Wirtschaftskriminologie entwickeln. Befreit von den Fesseln eines fehlrezipierten Labeling Approach77 hat sie gleichermaßen das Wirtschaftsstrafrecht, Wirtschaftsstraftaten und den Wirtschaftsstraftäter in seinen sozialen Bezügen zu ihrem Forschungsgegenstand zu erklären. Sie sollte dabei das Credo der Chicago School aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts berücksichtigen: „Leave your textbook behind! Get into the actor’s perspective! Go into the district and get your feet wet!“.78 Denn auch in diesem Deliktsspektrum erlangt der Forscher nur im „Feld“ Zugang zu den Akteuren, und er hat die Möglichkeit, Barrieren abzubauen und zu den Problemen des Marktes und den dort entwickelten Lösungsstrategien vorzudringen.
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77 78
Grundlegend: Meyer Qualitative Forschung in der Kriminologie. Die Hallenser Biographiestudie zur Jugendgewalt, 2000, 31–81. Ein entsprechendes Forschungsprojekt ist Gegenstand der Dissertation meiner Mitarbeiterin L. Claassen, die einen inhaftierten Wirtschaftsstraftäter kriminologisch exploriert und sich dabei an der Vorgehensweise Clifford Shaws (The Jack – Roller. A delinquent boy’s own story, Chicago 1930) orientiert. Vgl. hierzu die Hinweise in Fn. 61. Meyer (Fn. 76) 13, 44.
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Cornelius Nestler
Ökonomische Folgen verfehlter Kriminalisierung 1
Cornelius Nestler Cornelius Nestler Ökonomische Folgen verfehlter Kriminalisierung
Gliederung
1. Sanktion als ökonomische Folge 2. Beispiele aus dem Wirtschaftsstrafrecht a) Strafbarkeit der Geldwäsche b) Bestechung im privaten Sektor und Marketing 3. Bemerkung zur aktuellen Finanzkrise
Da ich keine Beispiele für positive ökonomische Folgen verfehlter Kriminalisierung gefunden habe,2 spreche ich im Folgenden über den Zusammenhang zwischen negativen ökonomischen Folgen und verfehlter Kriminalisierung. Dieser Zusammenhang kann in unterschiedlicher Weise hergestellt werden.
1.
Sanktion als ökonomische Folge
Zunächst einmal und ganz grundsätzlich führt jede verfehlte, d. h. aus irgendeinem beliebigen Grund illegitime Kriminalisierung, zu negativen ökonomischen Folgen in Form der dann ebenfalls verfehlten Sanktionen. Das aus meiner Sicht dramatischste Beispiel einer verfehlten Kriminalisierung entstammt nicht dem tradierten Kanon der Gegenstände des Wirtschaftsstrafrechts, sondern dem Betäubungsmittelstrafrecht, das auch den
1 2
Der Vortragstext wurde beibehalten und um Nachweise und Anmerkungen ergänzt. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass es solche Beispiele gibt. Jedenfalls theoretisch ist es durchaus vorstellbar, dass eine Kriminalisierung für verfehlt gehalten wird, weil sie aus anderen als ökonomischen Gründen illegitim ist, aber unter ökonomischen Gesichtspunkten zu positiven Folgen führt. So können etwa Verbote für Märkte vorteilhaft sein, auf denen das Verbot nicht oder nicht in derselben Intensität gilt – Beispiele sind das Ausweichen ins Ausland im Hinblick auf liberalere Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs, der Prostitution und des Zugangs zu Drogen.
Ökonomische Folgen verfehlter Kriminalisierung
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Konsumentenmarkt für Cannabisprodukte, also Verkauf, Erwerb und Besitz von Mengen, die dem Eigenkonsum dienen, unter Strafe stellt. Hält man diese Kriminalisierung allein deswegen für verfehlt, wofür die Anschauung holländischer Verhältnisse spricht, weil nach allen einschlägigen Parametern, mit denen Drogenkonsum epidemiologisch erfasst wird, im Land der Coffeeshops der Cannabiskonsum nicht größer oder problematischer ist als in Deutschland,3 dann wären (auch) die für die Kriminalisierung eingesetzten Ressourcen bei der Strafverfolgung und die Belastung der Konsumenten durch Strafen, die durchaus auch Freiheitsstrafen einschließen, verfehlt. Denn diese Strafpraxis beinhaltet sowohl für den Einzelnen wie auch für die Allgemeinheit durch Kumulation erhebliche negative ökonomische Folgen wie den Verlust an Arbeitskraft, an Arbeitsplätzen und Einkommen,4 während umgekehrt die Coffeeshops Arbeitsplätze und Einkommen generieren. Bei der verfehlten Kriminalisierung der Cannabiskonsumenten wird man sicherlich nicht bei der Sanktionierung als negativer und auch negativer ökonomischer Folge stehen bleiben, sondern allgemeiner die Frage stellen, ob und in welchem Umfang ökonomische Folgen der Kriminalisierung von Märkten generell die Legitimität dieser Kriminalisierung beeinflussen, aber das wäre nicht nur ein Thema für eine eigene Tagung,5 sondern läge auch 3
4
5
Zu den Daten für die Niederlande und Deutschland bis in die späten 80er Jahre vgl. Reuband Drogenkonsum und Drogenpolitik. Deutschland und die Niederlande im Vergleich, 1992. Zu neueren Daten im internationalen Vergleich interpretierend Mc Coun/Reuter Drug War Heresis, 2001, S. 252 ff. Unter Auswertung verschiedenster internationaler Studien van den Brink Current Opinion in Psychiatry 2008 (21), 122, 123 ff. sowie aktuell eine Studie, die auf einer Umfrageinitiative der Weltgesundheitsorganisation in 17 Ländern beruht, Degenhardt ua. Toward a Global View of Alcohol, Tobacco, Cannabis, and Cocaine Use: Findings from the WHO WorldMental Health Surveys. PLoS Med 2008; 5 (7): e141. Ein besonders trübes Kapitel ist die Praxis der Entziehung der Fahrerlaubnis, die an den Nachweis allein des Konsums (und nicht des Fahrens zum Zeitpunkt der Wirkung des Cannabiskonsums) anknüpft, vgl. dazu nur den Überblick bei Körner BetäubungsmittelG, 6. Aufl. 2007, unter C 4 Rn. 105 ff. Da Drogenkonsum keine unmittelbaren Schäden verursacht, kann ein Umgangsverbot von Drogen allein mit der Schadensminimierung bei potentiellen Konsumenten, Dritten und der Gesellschaft legitimiert werden. Über die Legitimität entscheidet daher in einem rationalen, allein an den Schäden orientierten Rechtsgutskonzept die Saldierung von Nutzen und Nachteil einer Kriminalisierung – das ist der grundlegende Unterschied zu solchen Straftatbeständen, bei denen sich die Legitimität allein schon aus dem betroffenen Rechtsgut ergibt (etwa Leben und sexuelle Selbstbestimmung) und niemand auf die Idee käme, Vor – und Nachteile des Verbots und der Sanktionierung der Tötung von Menschen zu saldieren, um über die Legitimität von
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Cornelius Nestler
quer zum thematischen Programm dieser Tagung, der unternehmerischen Handlungsfreiheit auf legalen Geschäftsfeldern.
2.
Beispiele aus dem Wirtschaftsstrafrecht
Eine Kriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen kann einerseits verfehlt sein, weil sie zwar ökonomische Interessen schützen soll, also Interessen einer funktionierenden Wirtschaft, aber gerade das Gegenteil erreicht. Und eine Kriminalisierung kann andererseits deswegen verfehlt sein, weil sie zwar andere als wirtschaftliche Interessen schützen soll, aber dabei zu negativen Folgen für die Ökonomie führt, die so unverhältnismäßig sind, dass im Hinblick auf diese ökonomischen Folgen die Kriminalisierung als verfehlt bewertet wird. Meine Beispiele sind ein Teilbereich der Bestechung im privaten Sektor gem. § 299 StGB und die Strafbarkeit der Geldwäsche gem. § 261 StGB. Letztere ist ein Anwendungsfall für die zweite Variante, also für negative wirtschaftliche Folgen einer Kriminalisierung, deren Rechtsgut keines der Wirtschaft ist.6
a)
Strafbarkeit der Geldwäsche
Der Straftatbestand der Geldwäsche knüpft an illegale Vermögenswerte an, die aus bestimmten Vortaten stammen und enthält zwei Tathandlungen. Die erste kann man vergröbernd so beschreiben, dass die inkriminierten Vermögenswerte in den legalen Wirtschaftskreislauf eingebracht und damit deren illegale Herkunft auch gerade gegenüber den Strafverfolgungsbehörden verschleiert wird. Diese erste in Absatz 1 der Vorschrift in verschiedenen Varianten geregelte Tathandlung entspricht dem Bild der Geldwäsche. Andererseits erfasst der Tatbestand in seinem zweiten Absatz auch die schlichte Entgegen-
6
Tötungsdelikten eine Aussage zu treffen. In diesem Kontext wären unverhältnismäßige Folgen der Cannabisprohibition generell und somit auch deren ökonomische Auswirkungen insbes. für das Kriminaljustizsystem ein weiteres Argument dafür, dass es sich um eine verfehlte Kriminalisierung handelt, vgl. dazu Nestler Grundlagen und Kritik des Betäubungsmittelstrafrechts, in Kreuzer (Hrsg.) Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, 1998, § 11 Rn. 269 ff. Die zuvor angesprochene Kriminalisierung des Konsumentenmarktes von Cannabis fällt nach der hier gewählten Systematik ebenfalls unter die zweite Gruppe ökonomischer Folgen verfehlter Kriminalisierung.
Ökonomische Folgen verfehlter Kriminalisierung
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nahme inkriminierter Vermögenswerte durch den sog. Isolationstatbestand, also etwa die Entgegennahme einer Einzahlung von inkriminiertem Bargeld am Bankschalter. Welche Interessen der Straftatbestand schützen soll – also: um das Thema der vorangegangenen Beiträge aufzugreifen, welches Rechtsgut diese Kriminalisierung legitimiert – ist vor allem deswegen unklar, weil die Tatbestandsfassung vielerlei unterschiedliche Interessen schützt.7 „Vage“ hat das Bundesverfassungsgericht das Rechtsgut genannt, 8 übrigens nicht in erkennbar kritischer Absicht. Vereinfachend wird man sagen können, dass die Vorschrift die kriminalpolitische Forderung des crime shouldn’t pay umsetzen soll und dass alle weiteren Rechtsgutsannäherungen dazu eher akzessorisch sind. Mit der Drohung der Geldwäschestrafbarkeit sollen die Bürger dazu angehalten werden, sich von den illegalen Profiten fernzuhalten und es dadurch den Vortätern schwer zu machen, ihre aus Straftaten stammenden Vermögenswerte in irgendeiner Weise zu verwerten. Mittelbar soll dies potentielle Vortäter von der Begehung von Straftaten abhalten. Und die Geldwäschestrafbarkeit soll Ansatzpunkte für die Verfolgung der Vortäter und den Zugriff auf die inkriminierten Vermögenswerte erbringen. Dieses Konzept ist erkennbar gescheitert.9 Von einem Erfolg rückwirkend präventiver Verhinderung von Straftaten durch Inkriminierung illegaler Vermögenswerte ist nichts zu sehen. So war das Konzept der Geldwäschebekämpfung in seinen Ursprüngen vor allem durch die Profite der internationalen Drogenkriminalität inspiriert.10 Von dieser lässt sich alles Mögliche sagen, aber sicherlich nicht, dass sie seit der und durch die Einführung der internationalen Bekämpfung der Geldwäsche zurückgegangen sei. Also wird das viele Geld gerade aus dem Drogenhandel doch irgendwo gewaschen, aber Verurteilungsraten wegen Geldwäsche sind kümmerlich, in Deutschland bewegt sich das im Bereich von allenfalls ein paar hundert Fällen pro Jahr,11 7
8 9 10 11
Vgl. Nestler Der Straftatbestand der Geldwäsche in Herzog/Mühlhausen (Hrsg.) Geldwäschebekämpfung und Gewinnabschöpfung, 2006, § 15 Rn. 3 ff. sowie die detaillierte Auflistung bei Voß Die Tatobjekte der Geldwäsche, 2007, 4 ff. BVerfG NJW 2004, 1305, 1307 „Weite und Vagheit der durch die Strafvorschrift möglicherweise geschützten Rechtsgüter“. Vgl. dazu mit vielen weiteren Details Fischer StGB, 55. Aufl., § 261 Rn. 4 b ff. Vgl. Pieth Die internationale Entwicklung der Geldwäschebekämpfung in Herzog/Mühlhausen (Hrsg.) aaO (Fn. 7), § 4 Rn. 1 ff. Vgl. Rechtspflegestatistik 2007; Kaetzler Geldwäschebekämpfung in Deutschland in Hypo Investment Bank (Liechtenstein) AG (Hrsg.), Verdacht auf Geldwäsche, 2006, S. 187, 193 nennt für das Jahr 2003 gerade 140 Verurteilungen.
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und auch die Gewinnabschöpfung, die im Zusammenhang mit der Geldwäsche möglich wäre, ist daher dürftig. Und meistens funktionieren die Ermittlungen eben gerade nicht so, dass ein Geldwäscheverdacht zu den Vortaten und Ihren Tätern führt, sondern umgekehrt führt meist die Ermittlung der Vortaten zum Verdacht der Geldwäsche,12 so dass nicht einmal das Konzept, den Geldwäscheverdacht als Ermittlungsansatz nutzen zu können, abgesehen von Einzelfällen erfolgreich ist. Geldwäschebekämpfung als Präventionsinstrument setzt auf möglichst weitgehende Kontrolle von Finanztransaktionen. Diese Kontrolle setzt an bei den Banken und anderen Institutionen und freien Berufen, die professionell mit der Verwaltung von Vermögen zu tun haben.13 Staatliche Strafverfolgung hat daher zu einer beispielslosen Einbindung Privater in die Ermittlungsinteressen des Staates geführt. Insbesondere die Kreditwirtschaft14 wird zu umfassender Identifikation der Kunden, Dokumentation, Verdachtsprüfung und Verdachtsmeldung unter Androhung von Sanktionen verpflichtet.15 Umgekehrt werden die Mitarbeiter der Banken für ihre Mitwirkung am Programm der Geldwäschebekämpfung weitgehend von ihrem Berufsrisiko der Strafbarkeit wegen Geldwäsche befreit.16 Das alles führt zu enormen Kosten. Man geht davon aus, dass allein die Kreditwirtschaft jährlich etwa knapp 800 Millionen Euro für Mitarbeiter ausgibt, um Geldwäsche zu verhindern, davon allein 60 Millionen Euro bei der Deutschen Bank.17 Gleichzeitig wird die Geschäftstätigkeit der Banken durch die Geldwäscheüberprüfungen nicht unerheblich behindert.
12 13
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16
17
Kaetzler aaO. Grundlage für die Umsetzung in das GeldwäscheG und das KreditwesenG sind die sog. Geldwäscherichtlinien der EG, zuletzt die dritte Geldwäscherichtlinie 2005/60/ EG vom 25. 11. 2005, Amtsblatt L 309, S. 15; vgl. zu deren Inhalt den Überblick bei Mühlhausen in Herzog/Mühlhausen (Hrsg.) aaO (Fn. 7), § 39 Rn. 11 ff. Daneben als weiterer bedeutender Wirtschaftszweig auch die Versicherungswirtschaft, vgl. S. Gehrke Versicherungswirtschaft und Geldwäschegesetz in Herzog/ Mühlhausen (Hrsg.) aaO (Fn. 7), §§ 45 ff. Zu den jeweiligen Pflichten nach dem GeldwäscheG und dem KreditwesenG vgl. Teichmann/Achsnich sowie Mühlhausen in Herzog/Mühlhausen (Hrsg.) aaO (Fn. 7) jeweils §§ 29 ff. und §§ 39 ff. Das ergibt sich aus der Regelung in § 261 Abs. 9 StGB, wonach die in Einhaltung der gewerberechtlichen Anzeigepflicht des § 11 GeldwäscheG vorgenommne Verdachtsanzeige zur Straffreiheit wegen Geldwäsche führt, vgl. Nestler in Herzog/Mühlhausen (Hrsg.) aaO (Fn. 7) § 21 und § 17 Rn. 61 ff. Schmitt Das Geldwäsche-Risikomangement der Kreditinstitute, 2008, S. 7 mN.
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Plausibel scheint daher folgende These: Die Kriminalisierung der Geldwäsche kann die gesetzten Ziele nicht erreichen, so dass die mit der Kriminalisierung entstehenden Folgekosten insbes. für die Finanzwirtschaft unverhältnismäßig sind. Diese These trifft so wohl doch nicht zu, ich nenne die drei wichtigsten Einwände: Die genannten Kosten entstehen bei genauerem Hinsehen nicht unmittelbar durch Verhaltensweisen, die von der Kriminalisierung aufgezwungenen werden, sondern durch die gewerberechtlichen Pflichten des GeldwäscheG und des KreditwesenG. Auch die Verpflichtung der Banken zur Einrichtung der aufwendigen Sicherungssysteme, die das Risiko, zur Geldwäsche missbraucht zu werden, minimieren sollen,18 entstammen dem GeldwäscheG wie auch dem KreditwesenG. Zu der Umsetzung der gewerberechtlichen Pflichten tritt hinzu, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Kreditinstitute durch eine höchst umstrittene Verwaltungspraxis dazu zwingt, regelmäßig und kostenträchtig ihre Präventionssysteme anzupassen, und durch sog. Verlautbarungen der BaFin werden die Vorgaben der von der OECD eingesetzten Financial Action Task Force On Money Laundering de facto in nationale Anforderungen transferiert.19 Und zusätzlich zu und neben diesen gewerberechtlichen Verpflichtungen und aufsichtsrechtlichen Einflussnahmen haben sich seit dem Jahr 2000 vor allem die großen und weltweit agierenden sog. „Wolfsberg“-Banken eigenen Selbstverpflichtungen unterworfen, die vor allem auf effektive Risikokontrolle abstellen. Dieser „risk based approach“ führt dazu, dass die Finanzbranche in Kooperation mit dem „verhandelnden Staat“ zunehmend eigene Umsetzungsregeln zur Verhinderung von Geldwäsche entwickelt.20
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Dazu Schmitt aaO, passim; Diergarten Der Geldwäscheverdacht, 2006; Hypo Investment Bank (Liechtenstein) AG (Hrsg.), Verdacht auf Geldwäsche, 2006, Mühlhausen Pflichten zu organisatorischen Sicherungsmaßnahmen in Herzog/Mühlhausen (Hrsg.) aaO (Fn. 7), § 43. Vgl. Kaetzler aaO (Fn. 11), S. 197 ff. Vgl. Pieth aaO (Fn. 10) § 6 Rn. 16 ff.; zum Verhältnis von Strafrecht und zunehmender Selbstregulierung der Wirtschaft am Beispiel der Geldwäschestrafbarkeit vgl. ders. Staatliche Intervention und Selbstregulierung der Wirtschaft, FS Lüderssen 2002, S. 317 ff.
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Fischer, der Autor des Standardkommentars zum Strafrecht, hat zur Kriminalisierung der Geldwäsche prägnant geschrieben: „Das Konzept der Geldwäsche-Verfolgung vollzieht Polizeirecht in den Formen des Strafrechts.“21 Ich teile diese Kritik am Konzept der Straf-Verfolgung von Geldwäsche. Aber die Geldwäschekontrolle, die die genannten hohen Kosten gerade in der Kreditwirtschaft verursacht, ist keine unmittelbare Folge der Kriminalisierung der Geldwäsche. So kann man sich durchaus theoretisch eine Situation vorstellen, in der es einen Straftatbestand der Geldwäsche gibt, dem nicht Regelungen des GeldwäscheG und des KreditwesenG und die Aufsicht der BaFin vor- und nebengeschaltet sind. Eine derartige isolierte Kriminalisierung zwänge die Banken nicht dazu, die genannten immensen Aufwendungen zur Vermeidung des Risikos von Geldwäsche zu erbringen. Ein derart isolierter Straftatbestand der Geldwäsche wäre nur noch ineffektiver als es die Geldwäschestrafbarkeit unter den derzeitigen Bedingungen ist. Die These, dass die Kriminalisierung der Geldwäsche deswegen verfehlt ist, weil sie unverhältnismäßige Kosten verursacht, ist daher in dieser einfachen Form nicht aufrecht zu erhalten. Die Kriminalisierung der Geldwäsche war zwar ein Aufhänger, ist aber mittlerweile doch nur einer unter mehreren Faktoren eines Gesamtkonzeptes der Bekämpfung von Geldwäsche und der Kontrolle von Finanzströmen, das weit über die strafrechtliche Regelung hinausgeht. Vor allem wegen seiner Unübersichtlichkeit und Redundanz produziert dieses Gesamtkonzept unnötige Kosten,22 aber diese Kosten stehen allenfalls in einem vielfach vermittelten Zusammenhang zu dem Straftatbestand der Geldwäsche.
b)
Bestechung im privaten Sektor und Marketing
Die Kriminalisierung der Bestechung im privaten Sektor liefert ein Beispiel für einen Straftatbestand, der zwar ökonomische Interessen schützen soll, gleichzeitig aber wirtschaftliches Handeln behindert und deswegen in einem Teilbereich zu einer verfehlten Kriminalisierung führt. § 299 StGB, der die Strafbarkeit von Bestechung und Bestechlichkeit im Geschäftsverkehr vorsieht, ist eine Vorschrift, deren Rechtsgut das tragende Prinzip einer Marktwirtschaft ist, der freie Wettbewerb.23 Und selbstverständlich gibt es gute Gründe dafür, neben der Kriminalisierung der Amts21 22 23
StGB, 55. Aufl. § 261 Rn. 4 b. Vgl. Schmitt aaO (Fn. 17) S. 144 f. Diemer/Krick MüKo-StGB § 299 Rn. 2.
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trägerkorruption auch die Korruption im privaten Sektor zu kriminalisieren.24 Aber der Umstand, dass es nicht wie bei der Amtsträgerkorruption um die Beziehung zwischen einem Privaten und dem Staat geht, sondern um den Wettbewerb, macht die Konstruktion der Korruption – verstanden als sachwidrige Beeinflussung von Entscheidungen durch Zuwendung unzulässiger Vorteile –25 komplizierter: Während bei der Amtsträgerkorruption ein ZweiPersonen-Verhältnis betroffen ist (jemand besticht einen Amtsträger mit der Zuwendung eines Vorteils) setzt die Bestechung im Geschäftsverkehr ein Dreiecksverhältnis voraus. Dazu ein einfaches Beispiel:26 Wenn ein Autohändler einem Firmeninhaber für den Kauf eines Autos als Aufschlag ein VIP-Ticket für ein ChampionsLeague-Spiel anbietet (Zwei-Personen-Verhältnis), dann hat das mit Bestechung nichts zu tun, sondern allein mit Vertragsfreiheit. Auch dann, wenn der Firmeninhaber sich durch das Angebot des Tickets davon abbringen lässt, ein vielleicht besseres oder günstigeres Auto eines anderen Anbieters zu kaufen, ist seine Entscheidung Ausdruck seiner Vertragsfreiheit27 und der erfolgreiche Verkäufer hat im freien28 Wettbewerb obsiegt. Daher kann es bei § 299 StGB immer nur darum gehen, dass nicht der Prinzipal, der Firmeninhaber selbst Adressat einer Bestechung ist, sondern ein Dritter, der für den Betriebsinhaber handelt, meist ein Angestellter, muss bestochen werden. Wenn etwa der Angestellte für den Firmeninhaber ein Auto kaufen soll, und mit dem VIP-Ticket wird auf seine Entscheidung, welches Auto er kauft, Einfluss genommen, dann wird aus dem Vorgang eine Bestechung seitens des Autoverkäufers und eine Bestechlichkeit auf der Seite 24
25 26
27 28
Der Schutz des Wettbewerbs vor Bestechung und Bestechlichkeit ist ein traditioneller Bestandteil des Wettbewerbsrechts, der 1997 aus dem § 12 UWG mit gleichem Inhalt in den § 299 StGB aufgenommen wurde. Für eine strikt an wettbewerbsrechtlichen Vorgaben orientierte Auslegung des § 299 vgl. Wollschläger Der Täterkreis des § 299 Abs. 1 StGB und Umsatzprämien im Stufenwettbewerb, 2009. Zu den verschiedenen Bemühungen um eine allgemeine Definition vgl. nur Dölling in ders. (Hrsg.), Handbuch der Korruptionsprävention, 2007, S. 2 ff. Für eine detaillierte Analyse vor allem der Konstellationen, bei denen die h. M. eine Strafbarkeit annimmt, weil auch der Firmeninhaber als ein „Dritter“, der den Vorteil empfangen soll, in Betracht kommen soll, siehe Samson Die Angestelltenbestechung. Vom Niedergang deutscher Gesetzgebungskunst, FS Jaan Sootak, 2008, S. 225 ff. Pointiert Samson aaO, S. 236; ebenso Wollschläger aaO (Fn. 24), S. 44 f. Ich unterstelle hier, dass es nicht irgendwelche anderen, nicht dem Bestechungskonzept entspringende, wettbewerbsrechtlichen Einwände gegen ein derartiges Angebot gibt.
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des Angestellten. Die Begründung ist, dass mit dem Versprechen des VIPTickets der Wettbewerb unter den Autohändlern auf unlautere Art und Weise beeinflusst wird. Wenn nun aber der Angestellte dem Firmeninhaber, für den er das Auto kaufen soll, nicht verheimlicht, dass er für den Kauf des Autos ein VIP-Ticket angeboten bekommt, und sich die Entgegennahme des Tickets genehmigen lässt (der Firmeninhaber macht das etwa deswegen, weil er eben dieses Auto zu dem angebotenen Preis kaufen will und sich freut, dass sein Angestellter obendrein noch ein VIP-Ticket bekommt), dann soll das nach der Rechtsprechung und einer wohl herrschenden Meinung nichts an der Strafbarkeit des Angestellten (wegen Bestechlichkeit gem. § 299 Abs. 1 StGB) und des Autoverkäufers (wegen Bestechung gem. § 299 Abs. 2 StGB) ändern.29 Das ist schon ein auf den ersten Blick erstaunliches Ergebnis. Der Firmeninhaber ist nicht geschädigt – er bekommt das Auto für den Preis, den er dafür bezahlen will. Aber auch die konkurrierenden Autohändler, die ja vor einer im Hinblick auf das zusätzliche Angebot des Tickets „unlauteren Bevorzugung“ des Autoverkäufers durch eine unsachliche Kaufentscheidung des Geschäftsherrn geschützt werden sollen, bedürfen dieses Schutzes nicht, denn die Kaufentscheidung des Firmeninhabers, der weiß, dass sein Angestellter mit dem Kauf des Autos das Ticket erhält, beruht auf exakt der gleichen Entscheidungsgrundlage, wie wenn er selbst das Auto gekauft und das Ticket erhalten hätte, und dieser Kauf wäre eindeutig nicht vom Schutz des Wettbewerbs durch § 299 StGB erfasst gewesen.30 Der Grund dafür, dass die Genehmigung des Geschäftsherrn die Strafbarkeit des Angestellten nicht ausschließe, wird darin gesehen, dass es bei der Bestechung auf die Vermögensinteressen des Geschäftsherrn nicht ankomme und er nicht über das abstrakte Rechtsgut der Lauterkeit des Wettbewerbs verfügen könne.31
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31
Vgl. LK-Tiedemann, 12. Aufl. § 299 Rn. 55 mN. Der Schutz der anderen Autoverkäufer vor der Bestechlichkeit des Angestellten beruht darauf, dass der Firmeninhaber, der nicht von seinem Angestellten eingeweiht wurde, bei seiner Kaufentscheidung unsachlich beeinflusst wurde. Dahinter steht somit die Vermutung, dass der Firmeninhaber ohne diese Beeinflussung das Auto gar nicht oder nicht zu dem vereinbarten Preis gekauft hätte, und dass der Angestellte den Kauf nicht allein deswegen abgeschlossen hat, weil er davon überzeugt war, dass der Kauf im Interesse des Geschäftsherrn lag, sondern weil er mit dem Kauf das Ticket bekommen würde. Diese unsachliche Beeinflussung stört den freien Wettbewerb zwischen den Autoverkäufern. Vgl. LK-Tiedemann 12. Aufl. § 299 Rn. 55 mN. Diese Ansicht hat ihren Ursprung in der sog. Korkengeldentscheidung des Reichsgerichts, RGSt 48, 291, 293 ff., 296.
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Was ich hier wie ein Lehrbuchbeispiel entwickelt habe, ist für die Marketingund die Compliance-Abteilungen gerade größerer Firmen in Deutschland zu einem ernsthaften Problem geworden. Zur üblichen Praxis des Marketing vieler Firmen gehört(e) es, die Angestellten wichtiger Kunden, d. h. solche Personen, die in Richtung einer Kaufentscheidung des Kunden beeinflusst werden sollen, zu allen möglichen „Events“ einzuladen: Etwa in die gemieteten VIP-Lounges der Sportstadien, zu teuren Sportveranstaltungen wie der Fußball-WM 2006 und der EM 2008, zu Golfturnieren, zu opulenten Geschäftsessen, zu Konzerten – all dies dient der Kundenpflege und soll zwar nicht unbedingt in der konkreten Situation des Events, aber doch langfristig den Abschluss von Geschäften fördern. Wenn der Wert dieser „Vorteile“ i. S. d. § 299 StGB, die den Angestellten der Kunden angeboten werden, die vollkommen unklare Grenze des Sozialadäquaten übersteigt,32 dann fällt dieses Marketing in den Bereich möglicher Strafbarkeit wegen Bestechung im Geschäftsverkehr. Compliance-Abteilungen setzen den Firmenmitarbeitern daher zunehmend generelle, sehr niedrige und damit „strafrechtssichere“ Grenzen – Einladungen an Angestellte von Kundenunternehmen dürfen etwa den Wert von 50 Euro nicht übersteigen. Schon das Risiko, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Bestechung im Geschäftsverkehr eingeleitet werden könnte, soll sicher ausgeschlossen werden. Diese Form von Compliance führt zum Rückgang vielfältiger Marketingaktivitäten, denn viele der bislang üblichen Einladungen haben einen deutlich höheren Wert. Eine Reduzierung
32
Zur Kritik, die wie hier auf die Straflosigkeit der Beeinflussung des Geschäftsinhabers selbst abstellt, vgl. die umfassende Begründung von Rönnau Wirtschaftskorruption in Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch des Wirtschaftsstrafrechts, 2. Aufl. 2007, Kap. III 2 Rn. 37 f. Gegen die h. M. spricht weiterhin, dass sie den Strafrechtsschutz weiter ausdehnt als die vorrangige lauterkeitsrechtliche Beurteilung, vgl. Wollenschläger aaO (Fn. 24) S. 79 f. sowie Rengier Korkengelder und andere Maßnahmen zur Verkaufsförderung im Lichte des Wettbewerbs(straf)rechts, FS Tiedemann 2008, 837 ff. Hierzu findet man verbreitet die Regel, die Grenzen sozialadäquater Vorteile seien im geschäftlichen Verkehr grundsätzlich weiter zu ziehen als im Bereich der öffentlichen Verwaltung, vgl. beispielhaft Fischer StGB, 55. Aufl. § 299 Rn. 16 oder die Aussage, diese Grenzen könnten sogar „deutlich überschritten“ werden, so Bernsman/Gatzweiler Verteidigung in Korruptionsfällen, 2008, Rn. 595. Mit dieser Auskunft ist dem Normadressaten, der sich nicht dem Verdacht der Strafbarkeit aussetzen will, in allen solchen Fällen, in denen der Wert des Vorteil nicht so niedrig ist, dass eindeutig jegliche korruptive Beeinflussung ausscheidet, wenig geholfen, denn die Entscheidung, ob in seinem Einzelfall die „Wettbewerbsverträglichkeit“ seiner Zuwendung gegeben ist, steht möglicherweise am Ende eines Strafverfahrens, dessen Ausgang nicht kalkulierbar ist.
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Cornelius Nestler
der Marketingmaßnahmen wird mittelbar auch Auswirkungen auf das Sponsoring in den Bereichen von Sport und Kultur haben. Denn Firmen, die VIPLounges kaufen oder mieten oder Ticketkontingente abnehmen, wollen ja meist nicht nur die Veranstaltungen sponsern, sondern wollen diese Ausgaben auch für die Kundenpflege und Geschäftsgespräche nutzen. Die Kriminalisierung der Bestechung im Geschäftsverkehr reicht somit in diesem Bereich sogar noch weiter als bei der Amtsträgerkorruption. Bekanntermaßen gibt es dort mit § 331 Abs. 3 StGB eine gesetzliche Regelung, die eine Genehmigung der Annahme von Vorteilen durch den Dienstherrn ermöglicht.33 Dieser Widerspruch zwischen Marketing und Sponsoring und der strafrechtlichen Regelung der Korruption im privaten Sektor könnte dadurch aufgelöst werden, dass die Strafbarkeit entfällt, wenn das Angebot der Vorteile, etwa die Einladung des Angestellten eines Kunden, gegenüber dem Kunden offengelegt und von diesem genehmigt wird. Dass diese Genehmigung wegen des Wettbewerbsschutzes keine strafbefreiende Wirkung haben soll, führt zu einer verfehlten Kriminalisierung. Sie ist verfehlt, weil sie auf einem Zurechnungskonzept beruht, das den Wettbewerb gar nicht schützt. Denn wenn der Kunde genehmigt, dass seine Angestellten die „Vorteile“ entgegennehmen dürfen, dann liegt im Hinblick auf den Wettbewerb dieselbe Situation vor, wie wenn der Kunde die „Vorteile“ selbst entgegennehmen und dann an seine Angestellten weiterleiten würde. Die Zuwendung an den Kunden selbst ist aber zu Recht gerade nicht von § 299 StGB erfasst – ich erinnere an das Beispiel, dass der Firmeninhaber sein Auto selbst kauft. Wenn er dann das VIPTicket seinem Angestellten schenkt, tritt derselbe Zustand ein, wie wenn der Angestellte sich die Entgegennahme des Tickets genehmigen lässt. Zu den negativen ökonomischen Folgen dieser verfehlten Kriminalisierung wird man nicht nur zählen, dass Marketing und Sponsoring als Bestandteile unternehmerischen Wettbewerbs behindert werden, sondern auch, dass sie die Complianceabteilungen der Unternehmen gerade in Zeiten besonders ausgeprägter Sensibilität für Korruptionsrisiken dazu zwingt, mit enormem Aufwand Marketingmaßnahmen zu verhindern oder zu regulieren, die mit Wirtschaftskorruption gar nichts zu tun haben. 33
Zu den beim sog. Verwaltungssponsoring auftretenden strafrechtlichen Problemen siehe Bernsmann/Gatzweiler aaO Rn. 456 ff. Zur Einladung von Amtsträgern zu Spielen der WM 2006 im Rahmen eines Sponsoringprogramms (EnBW) vgl. BGH NJW 2008, 3580 mit Bespr. von Trüg NJW 2009, 196. Diese Entscheidung schafft nicht nur keine Klarheit über die Auslegung des § 331 StGB im Hinblick auf Sponsoring, sondern produziert geradezu die Unklarheit mit dem Hinweis, das Tatgericht, das freigesprochen hatte, hätte sehr wohl auch verurteilen können.
Ökonomische Folgen verfehlter Kriminalisierung
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Dass der Schutz des Wettbewerbes dieser Kriminalisierung nicht bedarf, zeigt auch ein Blick über die Grenzen. So enthält etwa der Paralleltatbestand im UWG der Schweiz eine Genehmigungsregelung, die der Sache nach zur Straflosigkeit gem. § 299 StGB führen sollte.34 Das Beispiel zeigt, dass die verfehlte Kriminalisierung auch zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber ausländischen Mitbewerbern führt, wenn deren Recht im Fall der Genehmigung eine Strafbarkeit ausschließt. So war etwa das deutsche Unternehmen, dass Angestellte seiner Kunden zu Spielen der Fußball-EM 2008, bei denen die Tickets nicht billig waren, einladen wollte, aber dann das Strafbarkeitsrisiko erkannt hat, gegenüber dem Schweizer Wettbewerber eindeutig benachteiligt.
3.
Bemerkung zur aktuellen Finanzkrise
Auf der Suche nach Beispielen für negative ökonomische Folgen verfehlter Kriminalisierung scheint die Finanzkrise keine Fundgrube zu sein – im Gegenteil: Zu wenig Regulierung und staatliche Kontrolle und damit auch zu wenig Kriminalisierung von verbotenen Verhaltensweisen wird für die Finanzkrise und ihre negativen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft mitverantwortlich gemacht. Zu verfehlter Kriminalisierung könnte es aber in der Zukunft bei den Reaktionen auf die Finanzkrise kommen. So wird aktuell unter anderem diskutiert, ob Credit Default Swaps verboten werden sollten,35 oder auch sog. Short Sales oder Leerverkäufe von Wertpapieren, über die jemand zum Zeitpunkt des Verkaufs keine Verfügungsgewalt hat. Leerverkäufe werden in der Öffentlichkeit als Betrug bezeichnet, zumal die BaFin mit Verfügungen vom 19. und 21. September 2008 sog. ungedeckte Leerverkäufe or Naked Short Selling36 von Aktien von 11 Finanzunternehmen untersagt hat.37 Und schon nach gel-
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35 36
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Art. 4 a Abs. 1 des Schweizer UWG in der Fassung von 2006 regelt die Bestechlichkeit und die Bestechung im privaten Sektor ganz ähnlich wie § 299 StGB. § 4 a Abs. 2 Schweizer UWG lautet: „Keine nicht gebührenden Vorteile sind vertraglich vom Dritten genehmigte (. . .) Vorteile.“ Beispielhaft Freed Credit Default Swaps: Bad Enough to Ban ?, auf der Website TheStreet.com vom 21. 11. 2008. Im Unterschied zum klassischen Short Selling, bei denen der Verkäufer geliehene Aktien verkauft, muss sich der Verkäufer beim Naked Short Selling die Aktien erst noch besorgen, damit er dem Käufer die Aktien liefern kann, so dass im Extremfall mehr Aktien leer verkauft werden als überhaupt existieren. BaFinJournal 09/08, S. 7 f.
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tendem Recht wird vereinzelt vertreten, Short Selling könne unter den Tatbestand der Marktmanipulation gem. § 20 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpHG fallen.38 Wie auch immer die Vor- und Nachteile von Credit Default Swaps oder Short Selling für die Funktion von Finanzmärkten zu beurteilen sind, das Strafrecht ist für diese Fragen nicht zuständig, sondern ihm kommt allenfalls eine akzessorische Rolle bei der Absicherung von Verboten zu.39 Die Begründung der BaFin, warum sie anders als etwa die Aufsichtsbehörden in den USA im September 2008 nicht jedes, sondern nur das Naked Short Selling von Wertpapieren bestimmter Finanzinstitute und dies zunächst auch nur für einen begrenzten Zeitraum verboten hat,40 ist ein instruktives Beispiel dafür, an welche Grenzen ein Strafrecht stoßen würde, dass sich die Bekämpfung von Finanzkrisen oder Wirtschaftskrisen auf die Fahnen schriebe.
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Vgl. Schröder Handbuch Kapitalmarktrecht, 2007, Rn. 499 m. N. und zur Begründung, warum diese Ansicht fehlgeht; vgl. auch Rn. 626 verneinend zu der Frage, ob Short Selling Betrug sein kann. Warnend vor vorschnellen und der Komplexität von Finanzmärkten nicht gerecht werden strafrechtlichen Bewertungen nun auch Schröder Die Komplexität internationaler Finanzmärkte – Einfallstor für Kriminalität, Kriminalistik 2009, 12 ff. und 15 exemplarisch zum Short Selling. AaO (Fn. 37) S. 8.
Bemerkungen zur Rolle des Strafrechts aus finanzökonomischer Sicht
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Bemerkungen zur Rolle des Strafrechts aus finanzökonomischer Sicht Reinhard H. Schmidt Bemerkungen zur Rolle des Strafrechts aus finanzökonomischer Sicht Reinhard H. Schmidt
Gliederung
I. Einordnung und Überblick II. Die institutionenökonomische Denkstruktur III. Die Rolle des Rechts und speziell des Strafrechts als Mittel der Verhaltenssteuerung IV. Schlussbemerkung
I.
Einordnung und Überblick
Für Ökonomen ist es generell schwer, die subtilen und detailreichen Überlegungen von Juristen nachzuvollziehen. Mehr noch als für andere Rechtsmaterien wie das Gesellschafts- und das Kapitalmarktrecht gilt dies für das Strafrecht. Ich muss mich daher vorweg entschuldigen, dass ich mich überhaupt zu einer mir sehr fremden Materie äußere: Ich tue dies nur mit Bedenken und nur wegen der freundlichen Ermunterung durch Herrn Lüderssen. Seine Einschätzung, ich müsse mich nicht genieren, als Dilettant im positiven Wortsinne die Grenzen meines Faches zu überschreiten, hat mich letztlich deshalb überzeugt, weil gerade er schon seit langem und mit größtem Erfolg auch auf ihm fremden Gebieten publiziert. Herr Lüderssen hatte mich eingeladen, aus der Sicht eines Finanzökonomen etwas zu diesem Symposium beizutragen, und er hat mir dafür das einfach erscheinende Thema „Die ökonomischen Folgen verfehlter Kriminalisierung“ vorgegeben. Damit hat er mich allerdings überfordert; denn ich weiß einfach zu wenig über die genuin juristische Frage, welches Verhalten strafbedroht ist und erst recht wann eine Kriminalisierung als verfehlt einzustufen ist. Aus Gründen, die ich erläutern werde, ist es auch viel schwieriger, als es erscheinen mag, die dem Ökonomen zufallende Aufgabe zu erfüllen, die negativen „ökonomischen Folgen (einer solchen) verfehlten Kriminalisierung“ mit einer gewissen Allgemeinheit zu kennzeichnen.
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Natürlich dürfte Ökonomen in diesem Zusammenhang zuerst der Mannesmann-Fall einfallen, und vermutlich bereitet es den meisten unter ihnen große Schwierigkeiten zu verstehen, worin überhaupt die „Untreue“ bestehen könnte, die einigen der in diesem Strafverfahren Angeklagten vorgeworfen worden war, die sich nicht bereichert haben (und denen dies auch nicht unterstellt worden ist). Die meisten Ökonomen werden vermutlich auch wie ich davon ausgehen, dass dann, wenn die Anklage Erfolg gehabt hätte, die Folgen noch fataler gewesen wären, als sie es allein wegen der Anklage ohnehin waren. Die in diesem Falle auch aus Sicht der meisten Ökonomen „verfehlte Kriminalisierung“ hätte vermutlich weitreichende negative „ökonomische Folgen“. Die abschreckende Wirkung der Strafdrohung schafft Anreize für Manager von Publikumsaktiengesellschaften, sich in Zukunft gerade nicht so zu verhalten, wie es nach der zu vermutenden Einschätzung der meisten Ökonomen und in Übereinstimmung mit den bei ihnen üblichen fachwissenschaftlichen Überlegungen wünschenswert erscheint: Sie würden sich vermutlich eher (noch) weniger an Aktionärsinteressen orientieren, und auch diejenigen, die auch die Aufgabe haben, Anreize für die Manager zu setzen und damit deren Erwartungen und letztlich deren Verhalten zu steuern, könnten in Zukunft stärker zögern, Entscheidungen zu treffen, die – über den Einzelfall hinaus – die Ausrichtung von Managern an Aktionärsinteressen stärken würden. Dass das Wort „vermutlich“ hier so oft auftaucht, ist kein Zufall, wie im Folgenden noch deutlich werden soll. Der Mannesmann-Fall ist insofern paradigmatisch, als er alles enthält, was in den ökonomischen Theorien eine zentrale Stellung einnimmt, die in diesem Zusammenhang relevant sind: Anreize und Anreizsetzung, Erwartungen, Verhalten und wirtschaftliche Folgen. Trotzdem möchte ich mich nicht weiter mit diesem speziellen Fall befassen. Dazu ist in der einschlägigen Literatur und auch in anderen Beiträgen zu diesem Symposium schon von viel kompetenteren Personen sehr vieles gesagt worden. Aber ist der Mannesmann-Fall auch beispielhaft und, wenn ja, beispielhaft wofür? Auf diese Fragen muss ich die Antworten schuldig bleiben. Ich weiß einfach nicht, in welchen anderen Feldern eine ähnliche Sachlage gegeben ist, das heißt eine, in der man von Kriminalisierung sprechen kann und vermuten kann, dass diese Kriminalisierung „verfehlt“ ist und mutmaßlich negative ökonomische Folgen hat. Außerdem hat Herr Kollege Nestler als mein Vorredner diese Fragen mit der Fachkompetenz des Strafrechtlers bereits so abgehandelt, dass ich dem nichts hinzuzufügen hätte. Diese Situation brachte mich bereits auf dem Symposium in eine gewisse Verlegenheit: was sollte ich
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sagen, was könnte mein Beitrag sein? Allerdings eröffnete mir der Verlauf der Vorträge und Diskussionen auf dem Symposium bis zu dem Zeitpunkt, zu dem ich sprechen sollte, einen Ausweg aus dieser Verlegenheit. Denn bis dahin war von den juristischen Teilnehmern schon so viel darüber geäußert oder zumindest angedeutet worden, was Ökonomen zu dem Thema unserer Tagung sagen würden, wie sie in ihrer Fachsprache und in ihren Theoriegebäuden argumentierten würden und wie sie generell die Welt sähen, dass es mir geboten erschien, dazu Stellung zu beziehen und ein wenig zu erläutern, wie meiner Erfahrung und Einschätzung nach Ökonomen Anreize und Verhalten in wirtschaftlichen Zusammenhängen analysieren. Diese Überlegungen greife ich auch hier im zweiten Abschnitt meines Beitrags auf. Natürlich entsteht damit auch die Frage, welche Rolle – aus Sicht der Ökonomen – dabei dem Recht zukommt. Ihr wende ich mich im dritten Abschnitt zu. Damit komme ich dann doch auf die mir ursprünglich vorgegebene Themenfrage zu sprechen, welche Rolle das Strafrecht als Mittel der Verhaltenssteuerung im Wirtschaftsleben spielen kann. Die sich anschließende Frage, welche Rolle das Strafrecht spielen soll, werde ich allerdings zuständigkeitshalber an die Juristen zurückverweisen.
II.
Die institutionenökonomische Denkstruktur
Die herkömmliche, oft als neoklassisch bezeichnete Richtung der Wirtschaftstheorie ist vor allem eine Theorie der Allokation, der Märkte, der Bewertung und der Preisbildung. Für sie ist die Annahme charakteristisch, dass Märkte, einschließlich aller Finanzmärkte, vollkommen sind. Dies ist aber genau genommen keine Annahme, sondern eine abgeleitete Aussage, die ihrerseits auf zwei dahinter stehende und wahrlich grundlegende Annahmen zurück geht. Eine dieser grundlegenden Annahmen ist die, dass die Teilnehmer an möglichen Transaktionen (einschließlich der in dieser Theorie analog zu Transaktionen dargestellten Kooperationen) gleich gut über alle Sachverhalte informiert sind, die für die Transaktionen relevant sind. Sie können zwar unsichere Erwartungen haben und sie mögen auch unterschiedliche Informationen und Erwartungen haben, aber es gibt in dieser Theorie nicht die Situation, dass ein Transaktionspartner systematisch besser informiert ist als ein anderer. Es gibt also keine Informationsvorteile und -nachteile und damit keinen Anlass zu der Befürchtung, man könne auf einen potenziellen Transaktionspartner treffen, der besser informiert ist und seinen Informationsvorteil ausnutzen könnte.
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Die zweite grundlegende Annahme ist die der „vollständigen Verträge“. Sie bedeutet, dass die an einer wirtschaftlichen Transaktion beteiligten Parteien alles, was vertraglich zu vereinbaren ist, auch wirklich vereinbaren können und entsprechende Verträge abschließen – und dies ohne Kosten des Vertragsabschlusses und der Vertragsdurchsetzung. Die Sachverhalte, über die solche vollständigen Verträge abgeschlossen werden können, betreffen auch alle zukünftigen Handlungen der jeweiligen Vertragspartner und damit alles, womit diese das Ergebnis der Transaktion oder Kooperation beeinflussen könnten. Damit gibt es auch keinen Anlass zu befürchten, dass nach Vertragsabschluss ein Transaktionspartner Maßnahmen ergreift, die ihm nützen und zugleich dem anderen schaden. Wegen dieser beiden Annahmen kommen in einer „neoklassischen Welt“ mit gleich verteilten Informationen und vollständigen Verträgen nur die Transaktionen zustande, die für beide Seiten wirklich vorteilhaft sind. Für die Beantwortung vieler Fragen hat diese der Theorie zugrunde liegende Annahmenkombination methodisch enorme Vorteile, und deshalb bildet sie auch heute noch den dominierenden Ansatz der Wirtschaftstheorie. Sie hat aber auch gravierende Nachteile. Der wichtigste ist der, dass sich in einer so zurechtgestutzten, vereinfachten Modellwelt – die leider auch die Vorstellungswelt vieler Ökonomen zu prägen scheint – keine Erklärung dafür finden lässt, warum es die vielfältigen Institutionen gibt, die man in der Realität antrifft. Es gibt in der neoklassischen Theorie nur eine institutionelle Minimumausstattung, eben perfekte Märkte und ein reibungs- und kostenlos funktionierendes System zum Abschluss und zur Durchsetzung von Verträgen. Hingegen gibt es keine Banken, keine (realen) Börsen, keine Bilanzen und keinen Bankrott (im Sinne eines Insolvenzrechts), einfach weil diese und andere Institutionen in dieser Modellwelt keine Daseinsberechtigung hätten und weil ihre Berücksichtigung nur der Klarheit und der logischen Geschlossenheit der Modellaussagen im Wege stünde. Weil institutionelle Gegebenheiten per Annahme aus der dominierende neoklassischen Theorie ausgeblendet und implizit als bedeutungslos eingestuft sind, wurden sie Jahrzehnte lang in der Wirtschaftstheorie so behandelt, als gäbe es sie wirklich nicht. Gegen diese vereinfachte Sicht der Welt hat es natürlich auch unter Ökonomen immer schon Vorbehalte gegeben. Doch dies waren bis vor etwa 30 Jahren nur Vorbehalte der Außenseiter, die das Spiel der theoretisch ausgerichteten Fachökonomen einfach nicht mitspielen wollten oder, weil es mitunter mathematisch zu kompliziert war, nicht mitspielen konnten. Seit der Mitte
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der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts hat sich eine andere theoriegetriebene Gegenbewegung gegen die neoklassische Theorie zu einer zweiten starken Richtung innerhalb – und eben nicht außerhalb – der Wirtschaftstheorie entwickelt. Diese Gegenbewegung bezeichnet man mit den Sammelnamen „new institutional economics“, neue Institutionenökonomie und neo-institutionalistische Theorie. Sie hat mit der herkömmlichen neoklassischen Theorie die Annahme gemeinsam, die Akteure des Wirtschaftslebens würden rational handeln. Das bedeutet, sie wissen einigermaßen genau, was sie wollen, und sie verfolgen ihre Ziele konsequent. Der entscheidende Unterschied zur neoklassischen Theorie betrifft die beiden oben hervorgehobenen fundamentalen Annahmen der gleich verteilten Informationen und der vollständigen Verträge. Die Aufhebung oder Vermeidung dieser Annahme hat zur Folge, dass man nicht mehr „einfach“ davon ausgehen kann, alle Märkte seien vollkommen. Es gibt drei wesentliche Einsichten oder Postulate der neueren Richtung: erstens dass Institutionen (in einem sehr weiten Sinne des Wortes) wichtig sind, zweitens dass Märkte nicht immer zu einer optimalen Allokation der wirtschaftlichen Ressourcen führen und drittens dass steuernde Eingriffe in Märkte und damit auch eine aktive, gestaltende Wirtschaftspolitik gesamtwirtschaftlich vorteilhaft sein können. Das erste dieser Postulate – „institutions matter“ – hat der gesamten Richtung ihre Namen gegeben, denn diese blendet institutionelle Gegebenheiten nicht aus, sondern stellt sie sogar in den Mittelpunkt der Theorie. Dies geschieht vor allem in zwei Formen: zum einen dadurch, dass man sie auch in der Theorie als wichtig erkennt und anerkennt, und zum anderen dadurch, dass man gezielt nach ökonomischen Erklärungen dafür sucht, warum es diese Institutionen – wie gesagt: Banken, Bilanzen und Bankrott als Beispiele – überhaupt gibt und warum sie in ihrer jeweils spezifischen Weise ausgestaltet sind. Die neo-institutionalistische Theorie ist auch Theorie in dem Sinne, dass sie formal ist oder zumindest formalisiert werden kann und dass man sich als Forscher an die methodische Norm halten muss, so stringent wie möglich zu argumentieren. Die Beschreibung und Klassifikation von Institutionen, die den Kern des älteren, theoriefernen Institutionalismus bildeten, spielt in der neo-institutionalistischen Theorie hingegen keine Rolle. Allerdings ist wegen der konstitutiven Annahmen, dass Information ungleich verteilt ist und Verträge notwendigerweise unvollkommen sind, auch die Realität anders, als die neoklassische Theorie sie erscheinen lässt: Es gibt weniger Determinismus, die Welt kann sich sehr unterschiedlich entwickeln und es können damit auch ganz unterschiedliche Institutionen entstehen und sich erhalten, d. h. ökonomisch über-
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leben. Und wenn man diesem höheren Freiheitsgrad des Objektbereichs in der Theorie Rechnung zu tragen versucht, entsteht ein Bild von Vielfalt und damit – scheinbar – geringerer theoretischer Geschlossenheit. Die vergleichsweise junge„new institutional economics“ speist sich aus vielen Quellen, die von ihren nicht immer ganz uneitlen „Erfindern“ jeweils mit einem anderen Etikett der Fachöffentlichkeit als eine ganz eigenständige Entwicklung präsentiert wurden. Da gibt es die Theorie der Verfügungsrechte, die Transaktionskostentheorie, die Agenten-Theorie (in den beiden Formen der principal agent theory und der theory of agency costs), die Informationsökonomik und neuerdings mit einem gewissen Anspruch, eine Synthese zu schaffen, die so genannte ökonomische Vertragstheorie. Die Unterschiede der verschiedenen Ansätze sind nicht so groß, wie ihre „Erfinder“ sie darstellen. Inhaltlich gibt es ohnehin viele Ähnlichkeiten und Überschneidungen und in neuerer Zeit kann man auch Tendenzen zur Herausbildung eines gemeinsamen Theorierahmens und einer gemeinsamen Sicht der Welt erkennen. Gemeinsam ist allen Varianten der neo-institutionalistischen Theorie die Einsicht, dass das wirtschaftliche Handeln von Anreizen gesteuert wird und in einer Welt stattfindet, in der es Informationsvorteile und -nachteile gibt und/oder in der nicht alles, was einer vertraglichen Regelung bedarf, auch wirksam geregelt werden kann. Die Anreize gehen in die Richtung, dass jeder Akteur primär oder sogar ausschließlich seinen eigenen Vorteil verfolgt. Doch die Akteure sind nicht naiv. Wer Grund zu der Vermutung hat, dass ein möglicher Transaktions- oder Kooperationspartner besser informiert ist und vor oder nach Beginn der Transaktion oder der Kooperation Möglichkeiten hat, seinen Vorteil auch auf Kosten des anderen zu steigern, wird damit rechnen, dass genau dies passiert. Er wird skeptisch bezüglich übermittelter Informationen und misstrauisch bezüglicher späterer, nach Vertragsabschluss möglicher Handlungen sein und sich entsprechend verhalten. Wer sich im Nachteil glaubt, wird versuchen, sich zu schützen. Eine wichtige Möglichkeit, sich zu schützen, besteht darin, sich auf eine „an sich“ vorteilhafte Transaktion oder Kooperation überhaupt nicht einzulassen, eine andere ist der Selbstschutz durch allerlei Vorkehrungen, die sich in institutionellen Ausgestaltungen der Transaktion oder der Kooperation manifestieren. Zusammen bedeuten Gefährdung und Selbstschutz, dass ökonomische Nachteile im Vergleich zu der Situation entstehen, wie sie sich in der „idealen“, reibungsfrei funktionierenden Modellwelt der neoklassischen Theorie darstellen würde. Man könnte vermuten, dass es für ein Wirtschaftssubjekt vorteilhaft wäre, besser informiert zu sein und vor und nach Vertragsabschluss über Hand-
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lungsmöglichkeiten zu verfügen, mit denen man den eigenen Vorteil steigern kann. Doch das wäre nur dann richtig, wenn die schlechter informierte Seite naiv wäre und sich auf eine für sie gefährliche Situation einlassen würde ohne zu ahnen, was passieren kann. Wer dies erwartet, würde der anderen Seite Irrationalität unterstellen, und dies wäre falsch und damit ebenso irrational. Deshalb haben beide Parteien einer möglichen Transaktion oder Kooperation ein Interesse daran, Wege zu finden, wie sich die unerwünschten Folgen der ungleichen Verteilung von Informationen und Handlungsmöglichkeiten und der Unvollständigkeit der Verträge wirksam, aber mit vertretbaren Kosten begrenzen lassen: die schlechter informierte Partei, weil sie nicht geschädigt werden möchte, und die andere, die besser informierte Partei, weil sie vermeiden will, dass die für sie an sich attraktive Transaktion oder Kooperation nicht zustande kommt. Daraus ergibt sich als eine wesentliche Schlussfolgerung, dass die an möglichen Transaktionen oder Kooperationen beteiligten Akteure die Bedingungen ihrer Interaktion, die Restriktionen und Anreize, denen sie unterworfen sind, vorweg zu gestalten versuchen. Diese Bedingungen sind nicht mehr einfach gegeben, sondern sie bilden Entscheidungs- und Handlungsparameter. Es gibt vielfältige Möglichkeiten zur Begrenzung der Nachteile, die in einer solchen Situation auftreten können. Zu denken ist an Kontrollen, die aber nur begrenzt wirksam sind und zudem Kosten verursachen, und an Bindungen, denen sich die vermeintlich stärkere Seite unterwirft. Bindungen können solche sein, die von der anfangs schwächeren Seite geschaffen werden, oder auch Selbstbindungen. Viele institutionelle Formen, in denen Transaktionen und Kooperationen in der Realität durchgeführt werden, sind letztlich als Formen der Kontrolle und der Bindung zu verstehen, und ein wichtiger Teil der neoinstitutionalistischen Literatur versucht, ihre Existenz und ihre konkrete Ausgestaltung durch den Nachweis zu erklären, dass sie die genannten Funktionen wirksam und mit vertretbaren Kosten erfüllen. In der eher formal ausgerichteten Literatur zur so genannten ökonomischen Vertragstheorie herrscht die Vorstellung vor, Bindungen würden durch „praktikable“, also nicht vollkommene und kostenlose Verträge hergestellt. Solche Verträge können beispielsweise Vertragsstrafen vorsehen. Doch es gibt auch viele andere Formen der Bindung wie etwa die, dass jemand sich selbst oder der anderen Seite Handlungsmöglichkeiten verschließt oder ihre Wahl mit so großen Nachteilen verknüpft, dass sie auf keinen Fall gewählt würden. Umgekehrt – und analog zu Vertragsstrafen – können die an einer möglichen
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Transaktion Beteiligten auch positive Anreize setzen, um das Verhalten in eine für beide Seiten erwünschten Weise zu steuern, etwa in der Form von Prämien oder Schaffung der Erwartung, dass man mit einem Geschäftspartner auch später weitere Geschäfte machen wird, wenn er sich als fairer Partner erweist. All diese Formen sind möglich, und wie die einschlägige Fachliteratur zeigt, sind alle unvollkommen. Aber je nach Situation sind manche geeigneter oder weniger geeignet.
III.
Die Rolle des Rechts und speziell des Strafrechts als Mittel der Verhaltenssteuerung
Im Lichte der vorangegangenen Überlegungen ist unmittelbar einsichtig, dass dem Recht als gesellschaftlicher Institution eine wichtige ökonomische Rolle zukommt. Recht als Institution oder eher ein Bündel von vielfältigen Institutionen kann zur Verhaltenssteuerung genutzt werden, und es kann auch im Sinne dieser Funktion gestaltet werden. Offensichtlich ist Recht ökonomisch wertvoll, wenn es gilt, Verträge abzuschließen, denn die meisten Verträge sind nicht „self-enforcing“, d. h. sie sind nicht so konstruiert, dass sich die Vertragsparteien unter allen Bedingungen ohnehin so verhalten wollen, wie es der Vertrag vorsieht. Recht ist ein Instrument, das es erleichtert, Selbst- und Fremdbindungen zu schaffen, und deshalb ist es wünschenswert, ein leistungsfähiges, durchsetzungsstarkes und flexibles Rechtssystem zu haben. Ein in diesem Sinne gutes Rechtssystem hilft, Transaktionskosten gering zu halten. Der Zweig des Rechts, an den man hier in erster Linie denkt, ist das Privatrecht und speziell das Vertragsrecht und ergänzend, wenn ich dies richtig einordne, das Zivilprozessrecht. Doch um diese Rechtsgebiete geht es bei diesem Symposium gerade nicht. Trotzdem ist es hilfreich, erst einmal von der Denkfigur des Vertrags auszugehen, der kraft Privatautonomie geschlossen und bei Bedarf mit staatlicher Hilfe durchgesetzt werden kann, um deutlich zu machen, wo die Grenzen dieser Denkfigur liegen. Die Idee, dass sich zwei Parteien durch Vertrag binden, um damit erwünschte Wirkungen zu erzielen und unerwünschte Wirkungen einzuschränken oder ganz auszuschließen, setzt zumindest für den naiven Ökonomen voraus, dass es sich für die vertragsschließenden Parteien überhaupt lohnt, die vertragsrechtlichen Mittel und gegebenenfalls die dafür vorgesehenen Durchsetzungsmöglichkeiten zu nutzen, und dass diese identifizierbar sind. Doch die
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Nutzung des Rechts ist in der Realität nicht kostenlos. Diese genannten Bedingungen sind daher nicht immer erfüllt, und deshalb gibt es solche privaten Verträge vermutlich in vielen realen Situationen nicht, in denen es vorteilhaft wäre sie zu haben, wenn sie nur kostenlos zu schließen und kostenlos durchzusetzen wären. Oft sind diejenigen Personen nicht identifizierbar, die unmittelbar davon profitieren würden, wenn jemand mit besseren Informationen oder besseren Handlungsmöglichkeiten Bindungen oder positiven Handlungsanreizen ausgesetzt wäre, und die sich gegebenenfalls selbst schützen würden, indem sie sich nicht auf Transaktionen oder Kooperationen einlassen. Der Grund dafür kann sein, dass dieser Personenkreis nicht klar abgegrenzt ist. Oder die von den möglichen negativen Auswirkungen ungleich verteilter Informationen und Handlungsmöglichkeiten betroffenen Personen wissen nicht oder können nicht wissen, dass sie betroffen sind. Wie ist die Idee der Bindung über Verträge an diesen Fall anzupassen? Dem Denken der neo-institutionalistisch geprägten Ökonomen entspricht es hier zu unterstellen, dass sich so etwas wie eine Stellvertretung herausbildet. Das könnte ein privater Intermediär wie etwa eine Bank oder ein Makler sein. Wichtiger im hier diskutierten Zusammenhang ist aber, dass auch der Staat eine solche Rolle übernehmen kann. Er könnte stellvertretend für viele Betroffenen oder eine Gruppe nicht individuell identifizierter Personen Handlungsanreize und Handlungsoptionen in einer erwünschten Weise gestalten. Und mehr noch: er könnte dies sogar so tun, dass die damit festgelegten Regelungen ihre Bindungswirkungen und Verhaltensanreize in einer Vielzahl von ähnlichen Fällen entfalten. Wenn dies mittels einer allgemeinen Regelung erfolgt, die kraft staatlicher Autorität eine normative Geltung hat, entstehen Gesetze und andere Vorschriften. Als juristisch nicht versierter Ökonom denkt man hier vermutlich zuerst an Vorschriften außerhalb des Strafrechts wie beispielsweise solche aus dem Bereich der Finanzaufsicht, die wohl rechtssystematisch dem Verwaltungsrecht zuzuordnen sind. Die Verletzung solcher Vorschriften ist nicht strafbar, kann aber eine Ordnungswidrigkeit sein und zu Zahlung von Bußgeldern führen. Insofern haben auch solche Vorschriften Sanktionscharakter und können verhaltenssteuernd wirken, und typischerweise gibt es sie genau wegen dieser Wirkungen. Aber auch strafrechtliche Vorschriften erscheinen hier relevant. Die Strafdrohungen, die mit den Normen verbunden sind, man solle nicht morden, stehlen, täuschen etc., sind, wenn die Gefahr der Entdeckung und Bestrafung
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nicht zu gering ist, zumindest für manche potenziellen Täter Gründe, warum sie sich nicht so verhalten, wie es – nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen Folgen – als gesellschaftlich unerwünscht gilt. Und es dürfte den ökonomischen Interessen vieler Akteure, einschließlich derer, für die sonst die auch ökonomischen Anreize zu morden, zu stehlen und zu lügen zu stark wären, entsprechen, wenn diese Verhaltensweisen kriminalisiert sind und dadurch weniger praktiziert werden. Die Abgrenzung, wann eine Norm, die sich auf eine gesellschaftlich unerwünschte Verhaltensweise mit negativen wirtschaftlichen Folgen bezieht, eher in den Bereich des Verwaltungsrechts und der Ordnungswidrigkeiten gehört, und wann eher in den des Strafrechts, ist nicht nur mitunter schwierig, sondern auch historisch variabel. Als Beispiel denke ich an archaische insolvenzrechtliche Vorschriften, die wohl eher strafrechtlicher Natur waren: Die „sectio in partes“ war in altrömischer Zeit nicht – wie später – eine Regelung über die Aufteilung des Vermögens eines insolventen Schuldners unter seinen Gläubigern, sondern eine sehr krasse Form der körperlichen Bestrafung eines Schuldners, von dem vermutet wurde, dass er durch einen zu üppigen Lebenswandel – und damit aus eigener Schuld – unfähig geworden ist, seine Schulden zu bezahlen. Bei den alten Römern bedeutete „sectio in partes“, dass ein insolventer Schuldner, der römischer Bürger war, von vier an seine Arme und Beine gebundenen Pferden in Stücke gerissen werden sollte. Diese Drohung sollte dazu führen, dass alle römischen Bürger sich als bedachte und vorsichtige Hausväter verhalten. Und war die Einkerkerung eines Schuldners, der seine Schulden nicht bezahlt hat, in einem Schuldturm – auf Englisch: im debtors’ prison – nicht eine Strafe für einen „Verbrecher“? Wenn sie das nicht war, dann ist der Unterschied jedenfalls für juristische Laien nicht offensichtlich. Im Zeitablauf und von Land zu Land sind auch unterschiedliche Antworten auf die Frage gegeben worden, ob das Handeln an der Börse mit InsiderInformation ein Kavaliersdelikt, eine Ordnungswidrigkeit oder eine strafbare Handlung ist. Wie Insider-Trading rechtlich behandelt und rechtssystematisch eingeordnet wurde und wird, dürfte maßgeblich davon abhängen, welche wirtschaftliche Bedeutung man einem fairen Börsenhandel zumisst. Die Beispiele zeigen, dass es für einen Ökonomen schwer wäre, dem Strafrecht generell eine verhaltenssteuernde Wirkung abzusprechen. Im Vergleich zu dem Recht der Ordnungswidrigkeiten scheint man – wieder als juristischer Laie – dem Strafrecht eine stärkere verhaltenssteuernde Wirksamkeit zuzumessen. Ob dies sachlich richtig ist, sei dahingestellt.
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Aber der Sanktionscharakter und das gesellschaftliche Unwerturteil dürften dann, wenn bestimmte Verhaltensweisen mit Strafe bedroht sind, stärker sein, als wenn sie nur gegen geltende Vorschriften verstoßen und damit möglicherweise zur Zahlung eines Bußgeldes führen. Die genannten Beispiele machen noch ein Weiteres deutlich: Kann ein Richter bei komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen sicher sein, dass die vermuteten Folgen des Verhaltens, das man durch die Anwendungen strafrechtlicher Vorschriften verhindern will, so negativ sind, wie man vielleicht vermuten könnte? Und sind die intendierten Wirkungen der verhaltenssteuernden Sanktionen richtig erfasst und wirklich so erwünscht, wie man sich dies vielleicht vorstellt? Könnte es nicht doch richtig sein, wie manche Fachleute vermuten, dass eine scharfe rechtliche Bekämpfung von Insider-Trading mit den Mitteln des Strafrechts vor allem dazu führt, dass bei einigen Marktteilnehmern vorhandene Informationen sich nicht schnell in Kursen niederschlagen und dass Aktienkurse deshalb eher „falsch“ sind und zu einer nicht optimalen Kapitalverwendung führen? Und könnte es nicht sein, dass die Drohung, einen insolventen Schuldner in Stücke reißen zu lassen oder in den Schuldturm zu werfen, zu starke Anreize schafft, nur ja keine wirtschaftlichen Risiken einzugehen und deshalb „vorsichtshalber“ auch keine wirtschaftliche Initiative zu entfalten? Es scheint mir allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten problematisch, mit dem scharfen Sanktionsinstrument des Strafrechts das Verhalten in wirtschaftlichen Zusammenhängen steuern zu wollen, wenn man nicht genau überschauen kann, welche positiven und negativen Folgen das jeweils gewählte Verhalten ohne die Strafdrohung und bei Geltung der Strafdrohung hätte. Auch wenn ich nicht weiß, wo genau die Grenze zu ziehen ist, scheint es mir doch richtig zu vermuten, dass es „verfehlte Kriminalisierungen“ allein deshalb geben kann, weil die Bedrohung mit Strafe und gesellschaftlicher Ächtung zu komplexen und oft nicht überschaubaren und zugleich teuren Ausweich- und Anpassungsreaktionen führt, die in ihrer Gesamtheit als wirtschaftlich unerwünscht erscheinen. Diese Überlegungen lassen sich direkt auf die Frage übertragen, welche Rolle das Strafrecht für die Steuerung des Verhaltens von Unternehmensleitern spielen kann und soll. Wie diese Tagung und die juristischen Texte, die ich zur Vorbereitung auf meinen Tagungsbeitrag gelesen habe, erkennen lassen, sind die hier relevanten Stichworte die Verletzung der Pflicht zur Vermögensbetreuung und die Vermögensgefährdung. Aus ihrer Kombination ergibt sich unter Umständen der Straftatbestand der Untreue. Das allein ist aber nicht entscheidend. Für die möglichen Folgen einer „verfehlten Kriminalisie-
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Reinhard H. Schmidt
rung“ dürfte maßgeblich sein, wie das Rechtssystem mit diesen Straftatbeständen umgeht und wann jemand der Bedrohung ausgesetzt ist, auf Grund der entsprechenden Normen verurteilt zu werden. Es gibt sicher Fälle, in denen sich jemand auf Kosten eines Unternehmens bereichert, also Unternehmensvermögen veruntreut, seine Pflicht zur Vermögensbetreuung verletzt oder Unternehmensvermögen gefährdet und all dies in einer Weise tut, die auch die subjektiven Bedingungen der Vorwerfbarkeit erfüllt. Hier scheint mir das Strafrecht passend und die „generalpräventive“ Wirkung der Strafdrohung angebracht. Aber es gibt einen Graubereich, und auf diesen kommt es an, wenn man den ökonomischen Sinn solcher Strafrechtsnormen ermessen will, denn die Strafdrohung führt zu Anpassungsreaktionen. Es wäre bedenklich und wirtschaftlich nicht wünschenswert, wenn die Manager von Unternehmen immer dann schon befürchten müssten, sich strafbar zu machen, wenn sie Entscheidungen unter Unsicherheit treffen, die die Übernahme von Risiken einschließen. Es wäre einfach nicht rational und entspräche nicht den Regeln einer guten Unternehmensführung, wenn Unternehmensleiter alle Risiken vermeiden würden. Es ist ein betriebswirtschaftlicher Gemeinplatz, dass es in manchen Fällen klug ist und auch im Interesse der Aktionäre einer Gesellschaft liegt, wenn ein Unternehmen Risiken übernimmt oder behält, statt sie auf den dafür in Frage kommenden Wegen zu vermeiden oder abzuwälzen. Manche Risiken sollte ein Unternehmen behalten, andere hingegen abgeben. Die generelle Regel ist, dass ein Unternehmen diejenigen Risiken behalten sollte, die es besser beurteilen und besser tragen kann als andere, etwa eine Versicherung. Diejenigen Risiken, die andere besser beurteilen und tragen können, sollten hingegen abgegeben werden. Aber Risiken können schlagend werden, das heißt, der Risikofall kann eintreten. Und wenn Juristen dann „with the benefit of hindsight“ meinen, aus dem Eintritt des Risikofalls erschließen zu können, dass hier vorwerfbare und sogar strafbare Leichtfertigkeit vorliegt, dann ist dies einfach ein Missverständnis. Und das Missverständnis wird noch gravierender, wenn die möglicherweise gegebene Tatsache, dass ein Manager sich der Risiken bewusst war, die das Unternehmen in der Folge seiner Entscheidung übernommen oder behalten hat, als „vorwerfbares In-Kauf-Nehmen“ des Risikos gedeutet und als subjektive Strafbarkeitsvoraussetzung gewertet wird. Im Gegenteil: es wäre eher vorwerfbar, wenn sich ein Manager nicht bewusst gemacht hätte, welche Risiken er bei dem von ihm geführten Unternehmen belässt oder für das Unternehmen übernimmt. Maßgeblich für die Beurteilung des Umgangs eines Managers mit Risiken – und zumal für dessen strafrechtliche Bewertung – kann immer
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nur die Situation sein, in der die entsprechende Entscheidung getroffen wurde (oder hätte getroffen werden müssen), und zu dieser Situation gehört ganz wesentlich der Informationsstand, der in dieser Situation gegeben war oder hätte erreicht werden können. Man kann durchaus fürchten, dass die Drohung mit den genannten Straftatbeständen und einer eventuellen juristischen Praxis der Beurteilung in der Rückschau, wenn sich das Risiko aufgelöst hat, dazu führt, dass zu wenig Risiko übernommen wird. Das würde dann wirklich das Vermögen der Unternehmung bzw. seiner Aktionäre gefährden.
IV.
Schlussbemerkung
Ich habe mich in meinen Überlegungen im letzten Abschnitt darauf beschränkt, auf mögliche negative Folgen einer „verfehlten Kriminalisierung“ einzugehen. Natürlich weiß ich, dass dies das Thema nicht erschöpft. Selbst wenn die vorgebrachten Bedenken gegen eine möglicherweise „verfehlte Kriminalisierung“ nicht relevant wären oder nicht zutreffen sollten, könnte man nicht den Umkehrschluss ziehen, dass nichts gegen eine Strafbedrohung, spricht. Strafrecht kann erwünschte, aber ebenso auch unerwünschte ökonomische Wirkungen entfalten, wie dies in der neo-institutionalistischen Theorie thematisiert wird. Wie eine Gesellschaft mit dem Instrument des Strafrechts umgeht und umgehen sollte, ist aber letztlich keine ökonomische, sondern eine genuin juristische und grundlegend politische Frage. Es wäre verfehlt, wenn man sie allein mit ökonomischen Argumenten beantworten wollte. An Stelle umfangreicher Literaturangaben sei hier nur auf zwei Quellen verwiesen: Zu den Ausführungen im Abschnitt II vgl. ausführlicher R. H. Schmidt und M. Tyrell, Art. Finanzierungstheorie, neoinstitutionalistische, Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., hrsg. von Richard Köhler u. a., Stuttgart: Poeschel-Schäffer, 2007, Sp. 475–485, und zu den insolvenzrechtlichen Beispielen im Abschnitt III R. H. Schmidt, Ökonomische Analyse des Insolvenzrechts, Wiesbaden: Gabler 1980.
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Franz Salditt
Das Unternehmensinteresse zwischen Recht, Ökonomie und Ethik Franz Salditt Franz Salditt Das Unternehmensinteresse zwischen Recht, Ökonomie und Ethik
Gliederung
I. Der Good Corporate Citizen in der Krise II. Der Good Corporate Citizen im Recht 1. Begriff oder Leerformel? 2. Selbstbindung a) Rhetorik als Rechtslage b) Die Folgen III. Strafrechtliche Auswirkungen IV. Kontrolle durch unbestimmte Moral oder durch Regulierung
Der Begriff des Unternehmensinteresses entwickelt sich zur zivil- und strafrechtlichen Herausforderung.
I.
Der Good Corporate Citizen in der Krise
Wie der Bundesgerichtshof bestätigt hat, gehört zum Unternehmensinteresse das Streben nicht nur nach Gewinn, sondern auch nach „sozialer Anerkennung.“1 Damit wird die unternehmerische Handlungsfreiheit ausgedehnt. Der Bundesgerichtshof hat aber auch Grenzen gezogen. Freiwillige nachträgliche Prämien für das Management, die keinen sozialen Aspekt aufweisen und keinen zukunftsbezogenen Nutzen bringen, betrachtet er als „Verschwendung“ des anvertrauten Gesellschaftsvermögens; sie sind nicht mehr vom Unternehmensinteresse gedeckt.2 Was im Zuge der Finanzkrise bekannt ge-
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BGHSt 47, 187 ff., 193 (Sponsoring). Dass das Sponsoring im Bereich des Korruptionsstrafrechts an äußere Grenzen stößt, ergibt sich aus der Revisionsentscheidung des 1. Strafsenats BGH 1 StR 260/08 v. 14. 10. 2008 (Fußballweltmeisterschaft). BGHSt 50, 531 ff., 337 (Mannesmann). Wären die Prämien eines Pharmaunternehmens unter sonst gleichen Umständen dafür gezahlt worden, dass während der
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worden ist, gibt Anlass dazu, über weitergehende Einschränkungen des Unternehmensinteresses nachzudenken, die aus dem öffentlich verkündeten Anspruch insbesondere der börsennotierten Aktiengesellschaften folgen könnten, (auch) dem Gemeinwohl zu dienen. Der deutsche Bundespräsident, der mit der Autorität seines Amtes spricht, hat die für die aktuelle Finanzkrise verantwortlichen Unternehmen Monster und Zocker genannt: Sie hätten vorgegeben, aus nichts Gold machen zu können.3 Wir dürfen davon ausgehen, dass die betroffenen Kapitalgesellschaften sich in ihren Hochglanzpublikationen als Good Corporate Citizen bezeichnet4 und auf ethische Maßstäbe verwiesen hatten. Wenn dies zutrifft, trägt es die erste These: Die publizierte Moral, mit der das Unternehmensinteresse veredelt, verallgemeinert und sozialisiert wird, war in solchen Fällen bloße Rhetorik.5 Schon wird als Reaktion hierauf eine neue und ernsthafte Moral gefordert, um die Unternehmen „gesellschaftlich einzubetten.“ 6 Ban Kimoon, UN-Generalsekretär, hat dies vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen auf den folgenden Nenner gebracht: „Wir brauchen ein neues Verständnis von Ethik und Verantwortung in der Wirtschaft, mit mehr Mitgefühl . . .“7
Andere rufen nach dem Strafrecht, weil die eingetretenen Großgefahren als Fall von „Makrokriminalität“ zu verstehen seien.8 Ermittlungsverfahren gegen Vorstände, die auf der Jagd nach maximalen Renditen das Eigenkapital ihrer Bank durch komplexe Finanzinstrumente und eine Politik hoher Boni sowie Gewinnausschüttungen „verspielt“ haben sollen, sind zumindest mit einer solchen allgemeinen Begründung bisher jedoch nicht bekannt geworden.
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Dienstzeit der Organe ein HIV- oder Krebsimpfmittel entwickelt wurde, hätte es vermutlich kein Verfahren gegeben. Interview des Bundespräsidenten Köhler mit dem SPIEGEL 42/2008. BGHSt 47, 187 ff., 195. Die Realität hinter der Rhetorik hat Köhler in dem vorgenannten Interview wie folgt beschrieben: „Da war eine Menge . . . Zynismus . . . Man hat sich von der ethischen Grundlage des Wirtschaftens verabschiedet und sich aus der Mehrheitsgesellschaft ausgeklinkt.“ Die Formulierung stammt von Bernhard Edmunds FAZ 16. 10. 2008. FAZ 24. 9. 2008. Diesen Begriff hat H. Prantl in der Diskussion der Finanzkrise verwendet.
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Franz Salditt
II.
Der Good Corporate Citizen im Recht
1.
Begriff oder Leerformel?
Früher wäre alles ganz einfach gewesen. The business of business is business, so definierte Milton Friedman 1970 das Unternehmensinteresse.9 Heute hat der Begriff des Unternehmensinteresses längst nicht mehr nur mit dem Geschäft zu tun. Er wurde dekonstruiert, und was geblieben ist, sind multiple Scherben in ganz unterschiedlichen Farben.10 Sie stehen für diverse Interessen von Personengruppen oder anderen Trägern, zwischen denen es Konflikte gibt und die allesamt mit einem „buzzword“ bezeichnet werden – als „stakeholder“ nämlich. Ausgewogen, wie der postmoderne Diskurs formuliert, soll es dabei nicht nur um Kapitalgeber gehen, sondern um Arbeitnehmer, die Öffentlichkeit,11 Kunden, lokale Gemeinschaften, politische Einrichtungen, Zulieferer, Gewerkschaften und schließlich Umweltaktivisten. 12 Wirtschaftsprüfungsgesellschaften verfügen über mehr Anschauung als die Wissenschaft, ist außerdem von allen die Rede, „die durch ihre Betroffenheit ein legitimes Interesse am Unternehmen haben.“13 Angesichts des gewaltigen Lernprozesses, den die aktuelle Lage vermittelt hat, vermisst man unter den Trägern legitimer Interessen nur eine Millionengruppe – die der Steuerzahler, die einstehen müssen, wenn die im Unternehmensinteresse eingegangenen Risiken das Wirtschaftssystem insgesamt bedrohen. Dies führt zur zweiten These: Als Folge der beschriebenen Verwässerung besteht fast allen und deshalb keinem mehr gegenüber eine undefinierte Verantwortung, die passend als Corporate Social Responsibility beschrieben wird.14 Dieser Leerformel haben unsere großen börsennotierten Aktiengesell9 10
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Milton Friedman The social responsibility of business is to increase its profit, New York Times Magazine 13. 9. 1970 (S. 33). Gern wird das Unternehmensinteresse als sprachliche Abkürzung, so Hüffer AktG 7. Aufl. 2006, Rn. 15 zu § 76, oder feiner als Abbreviatur bezeichnet, so W. Goette Leitung, Aufsicht, Haftung – zur Rolle der Rechtsprechung bei der Sicherung einer modernen Unternehmensführung, FS BGH, 2000, S. 123 ff. Hüffer wie vor Rn. 12 zu § 76; BGHSt 50, 331 ff., 341. W. Grewe Corporate Responsibility als strategisches Konzept der Unternehmensführung, in Ballwieser/Grewe (Hrsg.) Wirtschaftsprüfung im Wandel, 2008, S. 31 ff., 37. Grewe wie vor. Grewe wie vor S. 32.
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schaften, und nur von ihnen ist hier die Rede,15 die bereits erwähnte Selbstbeschreibung als Good Corporate Citizen entnommen.16 Ein ausschließlich privat definiertes Unternehmensinternesse ist damit begrifflich unvereinbar. Was aber dahinter steht, das sagen uns, wenn es darauf ankommt, konkret nur noch die Gerichte. Sie sind es, die darüber anstelle des Unternehmens und statt des Gesetzgebers befinden werden, selbstverständlich ohne die Aktionäre anzuhören. Dies ist die dritte These: Bei ihren Entscheidungen handelt es sich nicht um Interpretation der inhaltslosen Begriffe, sondern um Dezision. Die Ergebnisse sind deshalb unberechenbar und, weil sie nicht parlamentarisch zustande kommen, zugleich undemokratisch. Doch hängt die Einschaltung der Gerichte davon ab, ob dazu hinreichende procedurale Voraussetzungen (auch) im Zivil- oder Verwaltungsrecht bereitstehen. Bislang ist die strafrechtliche Möglichkeit, schon bei geringem Anfangsverdacht umfassende Durchsuchungen und Beschlagnahmen von Amts wegen zu beantragen und gerichtlich anzuordnen, die wirksamste. Sie vermittelt den unmittelbaren Einblick in die Innensphäre des betroffenen Unternehmens und seiner Manager. So wird nachträglich Transparenz hergestellt, die im Vorhinein fehlt. Richter werden, wenn sie die vielen benannten „Stakeholder“ durchmustern, eher auf der Seite der Öffentlichkeit stehen als auf der des Kapitals. Und das bedeutet auch: Irgendwann werden die Gerichte von sich aus Grenzen entwickeln, über die hinaus Vorstandsgehälter und vereinbarte Zusatzleistungen nicht mehr vom Unternehmensinteresse gedeckt sind, weil die Öffentlichkeit als Superstakeholder dafür kein Verständnis aufbringt. Der Weg dahin wird zum Beispiel durch die Nachricht bereitet, allein die berüchtigte Goldman Sachs habe im Jahre 2006 16,5 Mrd. Dollar Boni unter ihre Beschäftigten verteilt,17 was aus Sicht der erregten Zeitungsleser eine Beutegemeinschaft und nicht eine Vergütung im Unternehmensinteresse indiziert.
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17
Carsten Schäfer Besondere Regelungen für börsennotierte und für nichtnotierte Gesellschaften? NJW 2008, 2536 ff. Grewe wie vor, S. 37. Zur weiteren Legitimation wird oft auch auf die Ethik-Kodices der Führungskreise der Unternehmen verwiesen. Arbeitgeber der chemischen Industrie und die zuständige Gewerkschaft IG BCE haben sich für die betroffenen Unternehmen auf einen Ethik-Kodex verständigt, mit dem einer ausschließlichen Orientierung an Renditezielen entgegengewirkt werden soll (Gewerkschaftschef Hubertus Schmoldt FAZ 28. 10. 2008). Kenneth Rogoff im SPIEGEL 38/2008.
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2.
Selbstbindung
a)
Rhetorik als Rechtslage
Aber kann sich die vollmundige und inhaltslose Rhetorik der Corporate Social Responsibility denn überhaupt in Recht verwandeln? Niklas Luhmann hat fast prophetisch darüber nachgedacht, „weshalb . . . die Wirtschaftsführung nicht nur auf Börsennotierungen, Profite und Marktanteile blickt, sondern darüber hinaus auch das Bedürfnis hat und ihm nachgibt, sich verbal mit der öffentlichen Meinung zu arrangieren.“18
Er hat ironisch von der „Einfügung eines Sonderkontos Ethik in die Bilanz“ gesprochen19 und gefragt, ob es nur um „die Selbstdarstellung der Manager“ gehe, die ängstlich beobachten, wie sie beobachtet werden.20 Doch hat er gemeint, im Glanz der Worte könne, selbst wenn sie nur auf den „echten Schein der Tugend“ zielen, Fortschritt zu erkennen sein.21 In der Tat laden die Begriffe wie Corporate Social Responsibility und die Verhaltenskodices bei Verstößen zu sozialethischen Unwerturteilen und damit zur Intervention ein. Die Gerichte werden argumentieren: Auch mit dem fortschrittlichen Schein von Moral wird Vertrauen in Anspruch genommen. Börsennotierte Gesellschaften befinden sich aus Rechtsgründen in einem andauernden Dialog mit der Öffentlichkeit (§ 37 b Wertpapierhandelsgesetz). Sie betreten die Welt des Rechts, wenn sie Prinzipien statutenähnlich verkünden und im Internet ausstellen, die für ihr Management gelten sollen.22 Bei öffentlichen Erklärungen versagt der Einwand, es habe sich um ein Scheingeschäft gehandelt. Dann bändigt im Außenverhältnis auch der Schein von Selbstbindung, deren Inhalt den Gerichten überlassen ist, das Unternehmensinteresse, das der Deutsche Corporate Governance Kodex an zwei Stellen benennt.23 Nach seiner Präambel wird mit dem Kodex um das Vertrauen „der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitar-
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Wirtschaftsethik – als Ethik? in: Die Moral der Gesellschaft, 2008, S. 196 ff., 199 f. Luhmann wie vor S. 201. Luhmann wie vor S. 203. Luhmann wie vor S. 203 (mit einem Zitat von Jean Paul). Äußerungen des Vorsitzenden Richters am BGH Goette im Zusammenhang mit Regeln des Corporate Governance Kodex, die Interessenkonflikte eines Mitglieds des Aufsichtsrats betreffen (Abschnitt 5.5.3) deuten in diese Richtung (FAZ 28. 10. 2008). Nr. 4.1.1 und 4.3.3, zuletzt BAnz 24. 7. 2006.
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beiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften“ geworben. Der Kodex, den Manager entworfen haben, unterscheidet das Unternehmensinteresse von der Steigerung des Unternehmenswertes (4.1.1). Wer nach Meinung der Gerichte, fixiert auf Börsenkurs und Shareholder Value, hinter der selbst verkündeten Moral zurückgeblieben ist, darf daher nicht mehr „vernünftigerweise annehmen“, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG). Er kann, weil enttäuschtes Vertrauen das Ansehen des Unternehmens beschädigt und deshalb ein Teil der Handlungsfreiheiten auf den Märkten verloren geht, zum Schadensersatz verpflichtet werden (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG). Dabei freilich kommt es darauf an, dass sich die wirtschaftlichen Folgen des Verlustes sozialer Anerkennung berechnen lassen. Um ein Grundsatzproblem handelt es sich hierbei nicht, weil der Goodwill des Unternehmens ein hochrangiges Vermögensgut ist. Daraus folgt: Die im Blick auf eine drohende Haftung entstehende Angst davor, Vertrauen zu enttäuschen, zähmt das Unternehmensinteresse und immunisiert es gegenüber einem nur kapitalistischen Antrieb. So wird kommunizierte Moral im Geschäftsleben zum Teil dessen, was Richter ex post für Recht halten.24 Ex ante aber gibt es keinerlei Gewissheit. Das ist der Preis, der für Rhetorik gezahlt werden muss. Im Streitfall wird das Unternehmensinteresse als begriffliches Vehikel dafür genutzt, die Manager rückwirkend auf ein „politisch korrektes“ Verhalten festzulegen, das mit privaten Interessen nur noch wenig zu tun hat. Kommt es zum Konflikt, wird man den Organen vorwerfen, sie hätten sich nicht mit dem in § 91 Abs. 2 AktG vorgesehenen Überwachungssystem begnügen dürfen, das (nur) den „Fortbestand der Gesellschaft“ gewährleistet.25 Die Gerichte werden das Management für verpflichtet halten, die laufende Kontrolle so auszugestalten, dass das Ansehen der Gesellschaft nach Maßgabe der selbstgewählten Leitlinien erhalten bleibt.26 Selbst fahrlässige Verletzungen der danach gebotenen Aufsicht sind durch das Ordnungswidrigkeitenrecht sowohl beim Unternehmen (§§ 30, 17 Abs. 4 OWiG) als auch bei deren Leitung (§ 130 OWiG) mit erheblichen Sanktionen bedroht. Die Unterneh-
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Dazu Lutter ZHR 166 (2002) S. 523 ff., 541. Dazu Hüffer a. a. O. Fn. 11 Rn. 6 zu § 91 AktG. Der Kodex verlangt in 4.1.4 ein „angemessenes Risikomanagement und Risikokontrolling“, ohne es qualifizierend auf Gefahren für den Fortbestand der Gesellschaft zu beschränken.
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mensbuße kann ein wirtschaftlicher Schaden sein, für den die Manager zusätzlich haften.
b)
Die Folgen
Bei weltweit tätigen Konzernen wird die rhetorisch aufgeladene Moral der Mutter nicht an der Grenze Halt machen. Sie wird auf die Töchter ausstrahlen, weil damit zu rechnen ist, dass den Anstellungsverträgen des Managements eine entsprechende weitreichende Verpflichtung („Compliance“) entnommen wird. Lässt ein ausländischer Staat Produktionsmethoden mit hoher Umweltbelastung zu, die bei uns strafbar wären (Gewässerschutz) oder allgemeine öffentliche Interessen beeinträchtigen (Regenwälder), ist mit „downstream“-Wirkungen zu rechnen. Über kurz oder lang werden die Standards der Muttergesellschaft auch deren Töchter in China oder Brasilien erreichen. Ähnliches ist für ausländische Standorte zu prognostizieren, an denen es legal wäre, zwingende Vorschriften des deutschen Exportkontroll- oder Medikamentenrechts zu vermeiden. Unternehmer, die sich aus ethischen Gründen der Bekämpfung von Korruption verschreiben, verlieren ihre Handlungsfreiheit auch dort, wo Lücken des internationalen Regelwerks bestehen. Im übrigen schließt Corporate Social Responsibility, weil die Kapitalgesellschaften ihre Verantwortung mit in die Welt nehmen, Ausbeutung durch Niedrigstlöhne aus. Und schon ist zu lesen, dass Corporate Governance dem Entwurf und der systematischen Nutzung von „Tax Shelters“ entgegensteht.27 Dies könnte über das Gesellschaftsrecht das Steuerrecht revolutionieren. Unternehmen, die als Good Corporate Citizen verstanden werden wollen, machen es ihren Managern zur ungeschriebenen Dienstpflicht, auf künstliche Strukturen in Fiskaloasen zu verzichten.
Bindungen können aber auch über das gesetzte Recht hinaus „upstream“ zur Konzernmutter wandern. Wenn (nur) am Sitz einer Tochtergesellschaft Exporte in bestimmte Schurkenstaaten verboten sind, deren Nuklearpolitik weltweit kritisiert wird, bleibt das Gesamtunternehmen davon nicht unberührt. Daraus ergibt sich die vierte These: Tendenziell dehnt sich die bessere Moral auf den gesamten Konzern aus, als gebe es keine Grenzen, und kann sie zu einem rechtlich relevanten übergreifenden Standard des Unternehmensinte27
W. Schön Tax and Corporate Governance, 2008.
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resses werden. Oder anders ausgedrückt: Die schlechtere Moral, mag sie auch an bestimmten Standorten dem dort geltenden Recht entsprechen, liegt nicht (mehr) im Unternehmensinteresse. Schweizerische Banken mit Tochtergesellschaften in den Vereinigten Staaten können dies zur Zeit auf dem Felde insbesondere der Beratung ihrer Klientel bei der sogenannten Steuergestaltung spüren. So wird der neue Begriff des Unternehmensinteresses – gegen Milton Friedman – zu einem Instrument, das Auswüchse der Globalisierung eindämmt.
III.
Strafrechtliche Auswirkungen
Unternehmensmoral, zu deren Einhaltung das Management vertraglich verpflichtet ist, kann auch strafrechtliche Verbote auslösen. Dem entspricht die fünfte These: Untersagt das durch Selbstbindung beschränkte Unternehmensinteresse problematische Aktivitäten, dürfen die Mittel der Kapitalgesellschaft nicht mehr genutzt werden, um derartige Zwecke zu verfolgen. Die Regelungen des Ethik-Kodex nämlich werden ausdrücklich durch Compliance-Texte – oder zumindest konkludent – Inhalt der Dienstverträge, und daraus folgen einschlägige Verbote. Dennoch vorgenommene Verfügungen können, wenn ein Schaden verursacht worden ist, als Untreue verfolgt werden (§ 266 StGB). Die völlige Unbestimmtheit dessen, was als Unternehmensinteresse zu verstehen ist, ändert daran nichts. Sie wird von den Gerichten in der Überzeugung vernachlässigt werden, man stütze sich auf die öffentlich kommunizierte und daher den Managern vertraglich auferlegte Unternehmensmoral. Das Fehlende liefern die Richter. Die Auseinandersetzung darüber entwickelt sich zu den besonders spannenden juristischen Themen unserer Zeit. Unversehens und möglicherweise ungewollt wird das Strafrecht – nämlich die Angst vor § 266 StGB – zu einem Instrument präventiv wirkender Unternehmenskontrolle. Hinter der juristischen Argumentation zeichnet sich ein Konflikt zwischen Wirtschaftsunternehmen und Bürokratien ab, wobei zunächst die Staatsanwaltschaften in Erscheinung treten. Die davon ausgehenden Einflüsse sind umso stärker, je unberechenbarer das Sanktionenschwert des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts geführt wird. Mannesmann war nur der Anfang.28
28
BGHSt 50, 331 ff.
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Am Beispiel der Korruption hat sich der Streit zugespitzt. Die Strafbarkeit der Untreue schützt, so wird dagegen eingewendet, das Vermögen (des Unternehmens). Deshalb müssten die Pflichten, die durch unerlaubte Verfügung verletzt werden, dem Schutz des Vermögens dienen, wenn § 266 StGB angewendet werden soll.29 Die Strafbarkeit von Korruption aber verfolge andere Zwecke. Wird Bestechungsgeld aufgebracht, soll daher jedenfalls keine Untreue vorliegen.30 Diese Argumentation ist respektabel, jedoch wirklichkeitsfremd. Wer als Organ oder in leitender Stellung Mittel einer börsennotierten Kapitalgesellschaft zur Bestechung im geschäftlichen Interesse einsetzt, riskiert für den Fall der Entdeckung einen beträchtlichen Schaden des Unternehmens. Die zu erwartenden Bußen (§ 30 OWiG) schöpfen den erlangten wirtschaftlichen Vorteil ab (§ 17 Abs. 4 OWiG). Hinzukommt der bereits erwähnte drohende Ansehensverlust der Gesellschaft mit den darauf beruhenden negativen Folgen. Wenn das dubiose Geschäft dennoch kurzfristig Profit verspricht, dann nur, weil der Ertrag im Rechnungswesen ohne negative Markierung verbucht und deshalb fiktiv so berücksichtigt wird, als sei er am Markt legal erwirtschaftet worden. Dies aber kann auf eine rechtswidrige Verschleierung im Jahres- oder Zwischenabschluss hinauslaufen (§ 331 Nr. 1 HGB), oft auch auf eine strafbare steuerliche Manipulation (§ 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 1 EStG). Ein positiver Gegenwartswert des bei erfolgreicher Verschleierung erzielten Erlöses ist deshalb überhaupt nur solange vorstellbar, wie die erheblichen Entdeckungsgefahren entgegen dem Vorsichtsprinzip hinweggedacht werden. Rechnet der Manager ehrlich, muss er in Kauf nehmen, dass ein vermeintlicher Korruptionserfolg in Wahrheit keiner ist. Derartige Geschäfte schlagen daher, bei Licht und mit den analytischen Methoden der Due Diligence betrachtet, negativ zu Buch. Dies reicht aus, um den Managern einschlägige Praktiken gerade auch deshalb zu untersagen, weil das Vermögensinteresse des Unternehmens geschützt werden soll. Dass den Verantwortlichen Bestechungen auch vertraglich verboten sind, folgt daher nicht nur aus dem Strafzweck der Korruptionstatbestände, die Amtsträger und das Geschäftsleben schützen sollen. Es ergibt sich vielmehr aus den bei Verstößen dem Unternehmen drohenden wirtschaftlichen Schäden, deren aktuelles Risiko heute ohne weiteres auf den gegenwärtigen Stich29
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BGH wistra 1986, 256; BGH § 266 I Vermögensbetreuungspflicht 9; OLG Hamm NJW 1973, 1809, 1810 f.; dazu M. Kubiciel Gesellschaftsrechtliche Pflichtwidrigkeit und Untreuestrafbarkeit, NStZ 2005, 353 ff., 354 f. Dazu Kubiciel wie vor S. 357.
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tag in diskontierten Zahlen ausgedrückt und bewertet werden kann. Bilanztechnisch ausgedrückt: Die Hoffnung auf andauernde kriminelle Verschleierung ist kein statthafter Aktivposten, der dies kompensiert. Die Aktionäre der Kapitalgesellschaft hätten Korruption, weil sie auch wirtschaftlich schadet, gerade wegen ihrer Vermögensinteressen nicht toleriert. Dies reicht aus, um die spezifische Pflichtverletzung im Sinne von § 266 StGB zu bejahen.31 Die vertraglichen Verbote betreffen, weil es um das zu wahrende soziale Ansehen des Unternehmens und damit um dessen Kernkompetenz in der Gesellschaft geht, eine Hauptpflicht der Manager. Was bleibt, ist die weitere Frage, ob bei der Aktiengesellschaft, zumindest solange eine unredliche Transaktion scheinbar Bestand hat, bereits ein strafrechtlich relevanter Untreueschaden eingetreten ist.32 Die Vorteile des Geschäfts seien, so wird argumentiert, in gleicher Weise wie der Nachteil durch die Pflichtverletzung verursacht.33 Sie sollen daher, wenn man die Grundsätze der mehr als dreißig Jahre zurückliegenden Bundesliga-Entscheidung des Bundesgerichtshofs 34 fortschreibe, als Ausgleich des Nachteils anzusehen sein.35 Diese Auffassung setzt börsennotierte Aktiengesellschaften mit Bundesligavereinen alten Stils gleich; sie behandelt die Wirtschaft wie den Fußballsport. Das mag hin und wieder angehen. Doch unterliegen die durch Bestechung erlangten Einnahmen (heute) den Verfügungssperren des § 261 StGB.36 Sie können also überhaupt nur genutzt werden, wenn die strafbare Quelle nachhaltig verschleiert wird (§ 261 Abs. 2 StGB). Der vermeintliche Vorteil ist von Rechts wegen kontaminiert und weiteren Verfügungen juristisch entzogen. Er darf deshalb, wenn der Schaden der Aktiengesellschaft ermittelt wird, nicht als werthaltiges Wirtschaftsgut berücksichtigt werden. Schwierige Fragen werden auch in den anderen erwähnten Beispielsfällen aufgeworfen. Ob etwa die Kosten für einen ausländischen Tax Shelter, dessen Einrichtung auf der Grundlage von Corporate Social Responsibility dem Management untersagt ist, durch die so beschafften Steuervorteile kompensiert sind, obwohl gerade diese von vielen Stakeholdern als höchst kritisch betrachtet werden, darauf gibt es keine sichere Antwort.
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Dazu Kubiciel wie vor S. 360. Dazu E. Kempf Bestechende Untreue? FS R. Hamm, 2008, S. 256 ff. Wie vor S. 260. BGH NJW 1975, 1234 ff. Kempf wie vor S. 260. Das folgt aus § 261 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) StGB.
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IV.
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Kontrolle durch unbestimmte Moral oder durch Regulierung
Für das Management wird die selbstgewählte begrifflich überhöhte Definition des Unternehmensinteresses zum unkalkulierbaren Wagnis. Es schränkt die Freiheit nicht durch Regulierung und Kontrolle ein, sondern durch diffuse Drohung. Wo die kommunizierte Moral versagt, steht für die Verantwortlichen mögliche Vernichtung durch Schadensersatz und Strafe an. Die Organe der Unternehmen, darunter die Abschlussprüfer, werden sich darauf einstellen. Moral wird sich über Rhetorik hinaus zum Routinegegenstand professioneller Bemühungen entwickeln. Dies führt zur sechsten These: Der beschriebene Prozess kommt einem Umsturz gleich. Er verwandelt die Unternehmen, indem er den Begriff des Unternehmensinteresses durch dessen unbestimmte Öffnung nutzt (enteignet) und gesellschaftlichen Zwecken dienlich macht. Diese Entwicklung knüpft an die von den Unternehmen propagierten Begriffe an. Deren Inhalt wird, wenn die formellen Voraussetzungen dafür insbesondere im Strafrecht genutzt werden, von den Gerichten rechtsschöpferisch bestimmt werden. Eine Umkehrung kann man sich nur vorstellen, wenn die Unternehmen, etwa aus Anlass der Finanzkrise, wieder engeren gesetzlichen Regulierungen unterworfen werden. Dann wäre es entbehrlich, auf selbstgeschaffene Regelwerke (Corporate Governance und Ethik-Codices) zurückzugreifen. Am Ende würde wieder business das business des business, dies allerdings innerhalb strenger und sorgfältig festgesetzter gesetzlicher Grenzen. Wie solche Grenzen aussehen, darüber entscheiden letztlich die Wähler, nicht aber Gremien der großen Kapitalgesellschaften und nicht die Richter. Käme es dazu, würde die Neigung, sich mit moralisch aufgeladener Rhetorik unbestimmten Beschränkungen auszusetzen, drastisch abnehmen. Wir erleben zur Zeit, wie das Pendel zu schwingen beginnt. Irgendwann wird das Unternehmensinteresse schlicht soweit reichen, wie es mit den Grenzen vereinbar ist, die den Unternehmen gesetzlich auferlegt werden. Gesetze müssen bestimmt sein, und sie ergehen nach öffentlicher Debatte parlamentarisch. Das zeichnet sie gegenüber den Ethik-Entwürfen der Good Corporate Citizen aus.
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Wirtschaftspolitischer Kommentar
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Wirtschaftspolitischer Kommentar Wolfgang Clement Wolfgang Clement Wirtschaftspolitischer Kommentar Wir sind heute Mitwirkende oder Zeugen einer ungewöhnlich spannenden Diskussion um ein eminent wichtiges Thema geworden. Und Sie werden diese Diskussion ja morgen fortsetzen. Erlauben Sie mir deshalb aus momentaner Sicht einige Bemerkungen, sowohl grundsätzlicher als auch frei und aktuell kommentierender Art. Zunächst: Es geht beim heutigen Thema um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, inwieweit das Strafrecht – Strafverfolgung, Rechtsprechung – in unternehmerische Entscheidungen hinein wirkt bzw. hinein wirken soll. Wie passen Strafrecht und Gesellschaftsrecht auf der einen und unternehmerisches Handeln, also Betriebswirtschaft und unternehmerische Ethik auf der anderen Seite zueinander? Dazu eine generelle Vorbemerkung: Die Verrechtlichung unseres gesellschaftlichen, politischen, politisch-parlamentarischen und auch unseres wirtschaftlichen, unternehmerischen Lebens – unternehmerisch im Schumpeter schen Sinn – ist bekanntlich weit fortgeschritten. Und manchmal kann man durchaus den Eindruck gewinnen, diese Art Fortschritt sei gar nicht mehr aufzuhalten. Die Folgen sind, wie ich meine, bedrückend. Sie schnüren die Handlungsfreiheit und demzufolge auch die Handlungsbereitschaft ein, die ja stets mit dem Risiko zu fehlen verbunden ist. Anders gesagt: Die stetig ansteigende Flut an Richtlinien, Gesetzen, Verordnungen etc. ist m. E. freiheitsgefährdend. Ich empfinde sie zunehmend als eine Art Misstrauenserklärung des Gesetzes- und Verordnungsgebers gegenüber Bürgern, Unternehmern, Institutionen. Es scheint nicht mehr zu gelten, was für den freiheitlichen Staat konstitutiv ist: dass die aus freien Stücken zustande gekommene, gemeinwohlverträgliche Abmachung, Entscheidung, Regelung grundsätzlich der „von oben“ verordneten vorzuziehen ist. Mein Eindruck ist durchaus, dass sich die verantwortlichen politischen Kräfte mehr und mehr der Mühe der Überzeugung entziehen – sie neigen zumindest dazu, im Zweifel per Gesetz, Verordnung etc. zu entscheiden.
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Es hat den Anschein, dass Strafverfolgungsbehörden und Gerichte es ihnen recht oft gleichzutun versuchen, indem sie – ebenfalls mit der Autorität des Staates durch eine immer weitere Auslegung geltenden Rechts immer tiefer in prinzipiell freie Entscheidungsprozesse etwa in Unternehmen oder zwischen Unternehmen hinein wirken, – und dies gewinnt noch an Brisanz, wenn sich diese Tendenz mit einer öffentlichen Meinung, mischt, die mit sehr rasch ausgesprochenen Schuldzuweisungen und sich permanent verändernden Erwartungen an Ethik, Moral und Verantwortung von Unternelnmen/Managern gewissermaßen. Zertifikate nach dem Muster „sittenwidrig“, „verwerflich“, „unmoralisch“ und neuerdings auch „gierig“ zuweist. Im politischen Raum verwirren sich die Diskussionsstränge zudem noch dadurch, dass dem Ganzen nicht selten politisch-ideologische Absichten beigegeben werden. In den gegenwärtigen Diskussionen um das globale Debakel auf den Finanzmärkten der Welt geschieht das mitunter kaum verhohlen. Unsere deutsche Neigung zu „idiotischen“ Systemdiskussionen, wie ich kürzlich einem Interview mit Lord Dahrendorf entnahm, spielt dabei auch noch eine Rolle, Wo schon die Wiederauferstehung von Karl Marx herbeigesehnt wird, da sind Unwerturteile über die, die „das Kapital“ vertreten, fast naturgemäß schnell bei der Hand. Aber das können wir hier getrost außer Betracht lassen und der allgemeinen politischen Diskussion anheim geben – ohne zu übersehen, dass diese Sorte Systemdiskusion durchaus Risiken für eine freie, soziale Marktwirtschaft in sich birgt. Wichtig ist mir des weiteren, dass wir die Anforderungen an Ethik, Moral und Verantwortlichkeit unternehmerischen Handelns trennen von dessen rechtlicher Bewertung. Das soll auf keinen Fall heißen, dass diese ethisch-moralische Kategorie außer Betracht bleiben sollte. Sie ist heute notwendiger denn je. Das Verhalten etwa von Investmentbankern im allgemeinen Finanzdesaster gehört durchaus – wie Herr Dr. Hermann gesagt hat – auf den „sittlichen Prüfstand“, und zwar insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Zügelung des individuellen Gewinnstrebens im Verhältnis zu dem für das eigene Unternehmen und die gesellschaftliche Akzeptanz Zuträglichen. Aber bis zu dieser Fragestellung ist noch nicht der Staatsanwalt am Zuge, sondern m. E. das Selbstverständnis der Bankmanager, die hier so rasch als
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möglich zu einer selbstregulierenden Verständigung kommen sollten, weil anderenfalls unweigerlich der Gesetzgeber zur Tat schreiten würde und wohl auch müsste. Aber davor – und vor allem vor staatlichen Vergütungsvorschriften für Manager –, ebenso übrigens wie vor gesetzlichen Eingriffen in die Tariffreiheit – möge uns die Einsichtsfähigkeit der Sippe der Bankmanager schützen. Sie sollten wissen: Unternehmerische Verantwortlichkeit – Corporate Governance – gehört zu den Grundvoraussetzungen der Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft. Sie bedarf – nicht nur, aber auch – unter den Erfahrungen des großen Finanzdebakels gewiss weiterer Entwicklung. In diesem gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Mixtum – so will ich offen sagen – hat mir die Darlegung von Professor Hassemer außerordentlich gut gefallen – der Dreiklang aus Respekt, Umsicht und Festigkeit, mit der dem Subsystem Wirtschaft zu begegnen sei – und wenn dies geschehe, dann orientiert am Rechtsgüterschutz, an der Aufgabe der Umhegung „autonomen Rechts durch das Strafrecht, wenn auch auf gewisse „Prozedualisierungen“ angewiesen. Mein Problem beginnt da, wo dieses so wohltuend klingende Konzept auf eine mich gelegentlich erschreckende Weise mit der Praxis der Strafjustiz kontrastiert. Denn tatsächlich hat es ja in der deutschen Wirtschaft noch nie so viel Strafverfolgung gegeben wie heute. Und mit meinem Eindruck möchte ich nicht hinter dem Berg halten, dass nämlich die Strafverfolgung – ähnlich wie die Politik – hier und da einem sozialpsychologischen Trend zu folgen droht, der die individuelle Schuldzuweisung gewissermaßen zur gesellschaftspolitischen Entlastung nutzt. Das äußert sich – wie Professor Hamm auf die deutlichste, weil konkreteste Weise dargelegt hat – namentlich in der ausufernden und zugleich entlarvenden Nutzung der Opportunitätsvorschrift des § 153 a StPO, einer Sanktionsdrohung im Gewande einer Verfahrensnorm. Die prominentesten Beispiele sind allüberall geläufig. Einige davon habe ich aus der Nähe mitverfolgen können – etwa den Telekom-Fall, in dem sich der zuständige Staatsanwalt für rund fünf Jahre bis zu seiner Pensionierung in dem betroffenen Unternehmen niederließ, um schließlich und endlich mit dem § 153 a StPO zu „landen“. Respekt vor dem Subsystem Wirtschaft war m. E. auch im Mannesmann/Vodafone-Verfahren nicht ausreichend gegeben, weil dort – wenn ich es richtig sehe – das Strafrecht kurzerhand über das
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aktienrechtlich Zulässige gestellt werden sollte. Und auch als Beobachter des Verfahrens gegen einen früheren Vorstandsvorsitzenden der WestLB empfand ich die staatsanwaltschaftliche Vorgehensweise als einen Angriff auf die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, so sehr man in diesem Fall über die Erfolgsaussichten des unternehmerischen Handelns streiten konnte. Aber ist die Abwägung zwischen den Chancen und Risiken einer unternehmerischen Entscheidung Aufgabe des Staatsanwalts? Meine Folgerung: Das Wirtschaftsstrafrecht möglichst widerspruchsfrei dem Wirtschaftsrecht/Gesellschaftsrecht zuzuordnen/einzuordnen, ist eine außerordentlich wichtige Aufgabe. Sie muss getan werden, um Unternehmensführern/Managern die Unsicherheit zu nehmen, die sonst deren – notwendige – Risikobereitschaft reduzieren müsste. Ihre Beratungen auf diesem Symposium und deren Fortsetzung werden aus meiner Sicht noch an Bedeutung gewinnen, wenn die Konturen der globalen Finanzkrise noch deutlicher als bisher hervortreten. Da ist zunächst fast eine Glosse fällig zum Begriff der „Sozialadäquanz“ eines korruptiven Abendessens im Verhältnis zu jenen 1,6 Billionen Euro, die bisher schon auf dem Verlustkonto der Kreditkrise stehen. Die Frage ist ja: wer trägt welche Verantwortung, nachdem nun alle Welt zu Recht nach einer neuen globalen Finanzordnung ruft, weil diese größte Krise seit dem „schwarzen Freitag“ von 1929 zuerst natürlich auf das Versagen des Banksystems und seiner Verantwortlichen zurückgeht, aber auch mit dem Versagen von Aufsichtsbehörden, Ratingagenturen und selbst der Regierungen zu tun hat, die ja schon früher (Schröder/Eichel; Merkel/Steinmeier) gemahnt worden waren, vor allem für mehr Transparenz im globalen Geldwesen zu sorgen. Ich will in dieser Katastrophe beileibe nicht Verantwortung hinweg zu reden versuchen; Es hat in dieser Krise gewiss auch kriminelles Handeln stattgefunden. Aber wir haben es hier auch mit einem globalen Marktversagen zu tun, wobei zu beachten ist, dass die Finanzmärkte nicht wie Handelsmärkte nach Angebot und Nachfrage reagieren, sondern dass sie nicht unwesentlich von der Spekulation auf Gewinn und Verlust getragen werden. Und auf diese Weise ist ja in den zurückliegenden Jahren des Aufschwungs Kapital wie noch nie in der Wirtschaftsgeschichte mobilisiert worden, das ja alle großen Volkswirtschaften auch gründlich genutzt haben. Wie aber steht es – eine weitere Kernfrage – auf diesem Feld mit der Erwartung, dass die Regeln, die künftigen neuen Regeln für die Finanzmärkte,
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konsequent und von allen Staaten für alle Marktteilnehmer gleich angewandt werden? Wir haben es mit grenzüberschreitenden, nein, Grenzen kaum noch zur Kenntnis nehmenden Finanzmärkten zu tun. Welche Wirkung hat das auf die rechtliche, insbesondere die strafrechtliche Bewertung? Zurück ins Heimatland – und eine vorletzte Bemerkung: Eines der Hauptprobleme, das ich sehe, das aber heute überhaupt noch nicht angesprochen werden konnte, ist der Missbrauch der Strafverfolgung zum Zwecke der Vorverurteilung, Dies ist ja inzwischen zu einer unheilvollen Übung geworden, und zwar auch bei Staatsanwaltschaften, wie jeder investigierende Journalist weiß. Es gibt heute keine Möglichkeit mehr; sich damit auseinanderzusetzten. Aber sagen will ich doch, dass diese „Übung“ sich von rechtsstaatlichem Gebaren weit entfernt hat – und zwar am weitesten von einer Grundhaltung des Respekts des Rechts vor dem gesellschaftlichen Subsystem Wirtschaft. Mein Anliegen ist, für Klarheit und Festigkeit zur Ahndung rechtswidrigen Verhaltens zu sorgen, aber dazu sind noch Klärungen notwendig, weil – vage Rechtsnormen wie der Untreuetatbestand zu einer Rechtsauslegung einladen, die eine risikobehaftete Entscheidungsfreude in den Unternehmen behindern kann, – m. E. Selbstregulierungen weiterhin Vorrang haben sollten vor gesetzgeberischen Eingriffen, – „Compliance“ ein unternehmerisches Institut bleiben – und weil wir uns insgesamt hüten sollten vor einer immner weitergehenden Selbstfesselung unserer Gesellschaft und einer Einschnürung gesellschaftlichen/unternehmerischen Handelns. Die Diskussion, die Sie heute hier in Frankfurt aufgenommen haben, ist – wie schon gesagt – eminent wichtig, denn es geht um die Sicherung auch der ökonomischen Zukunftsfähigkeit unserer rechtsstaatlichen Gesellschaft.
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Verwaltungsrechtliche Alternativen zum Wirtschaftsstrafrecht Dirk Uwer Dirk Uwer Verwaltungsrechtliche Alternativen zum Wirtschaftsstrafrecht
Gliederung
I. Einleitung II. Verwaltungsrecht in der Transition zum Regulierungsrecht III. Weitere exemplarische wirtschaftsverwaltungsrechtliche Referenzgebiete 1. Vergaberecht 2. Außenwirtschaftsrecht IV. Neue Steuerungskonzepte im Gewährleistungsstaat: Regulierte Selbstregulierung V. Schlussfolgerungen
I.
Einleitung
1. Die Entwicklungen der letzten Woche auf den Finanzmärkten haben eine Akzeptanzkrise unserer staatlichen, supranationalen und wohl auch globalen Wirtschaftssysteme ausgelöst, die historisch unpräzise, aber umso plakativere1 Assoziationen mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 auslöst.2 Der Ruf nach mehr und stärkerer Regulierung – bis hin zu Enteignungen als „Rettungsübernahmen“3 – verliert sich in einem nicht enden wollen-
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Siehe etwa Handelsblatt vom 25. 2. 2009: dort figuriert die „Lehman-Pleite“ als „Beginn der Kernschmelze des Weltfinanzsystems“ (S. 10). Instruktiv zu den Parallelen der gegenwärtigen Kreditkrise mit der ersten weltweiten Kreditkrise des Jahres 1873 Hartmut Bechtold Börsenzeitung vom 18. 12. 2008. Zur Gefahr protektionistischer Reflexe auf die gegenwärtige Finanzkrise und damit der Wiederholung von Fehlern, die zur Weltwirtschaftskrise von 1929 geführt haben, FAZ vom 25. 2. 2009, S. 12. Siehe das als Art. 3 des Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetzes (Entwurf der Bundesregierung in der am 18. 2. 2009 beschlossenen Fassung) vorgesehene „Gesetz zur Rettung von Unternehmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Rettungsübernahmegesetz – RettungsG)“, abrufbar unter www.bundesfinanzministerium. de.
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den Crescendo – beileibe nicht nur am linken Rand des politischen Spektrums. Konjunktur hat in der Depression nur noch der Etatismus.4 Mit der Omnipräsenz und Multifunktionalität des Regulierungspostulats korreliert auf der Seite der faktisch oder noch potentiell Regulierten der gleichermaßen inflationäre Topos der Compliance, auch wenn es in den letzten Monaten davon vielleicht etwas zu wenig und etwas zu viel NonCompliance gegeben haben mag. Der Verwaltungsrechtler klassischer Prägung sieht dies alles zunächst mit Unbehagen, weil solche ubiquitären Topoi sich regelmäßig in Unschärfen verlieren. „Compliance“ nämlich (Einhaltung, Befolgung, Folgsamkeit) bedeutete und bedeutet für Wirtschaftsteilnehmer zuvörderst die Beachtung von Recht und Gesetz. Das ist weniger modisch als Compliance und sollte keiner programmatischen Verbrämung bedürfen. Im Subordinationsverhältnis verschafft sich das Gesetz zudem erforderlichenfalls Geltung mit den Mitteln hoheitlichen Zwangs. Jenseits dessen hat „Compliance“ in ihrem US-amerikanischen Verständnis natürlich auch das deutsche Recht in Richtung einer über die Einhaltung von Rechtsvorschriften hinausgehenden5 Pflicht zu organisatorischen Vorkehrungen sowie präventiven Instrumenten und Maßnahmen, um die Verletzung sämtlicher für einen Wirtschaftsteilnehmer relevanten Vorgaben zu verhindern, beeinflusst.6 Die (Vorstands-)Pflicht zur Einrichtung geeigneter Compliance-Systeme ist mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil des deutschen Gesellschaftsrechts (§ 91 Abs. 2 AktG).7 Welche Flut an haf4
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Siehe die griffige Formel einer Überschrift in der Financial Times Deutschland vom 23. 2. 2009: nach „mehr Demokratie wagen“ (W. Brandt 1969) und „mehr Freiheit wagen“ (A. Merkel 2005) sind wir nun bei „mehr Staat wagen“ (2009) angelangt. Die gesellschaftsrechtliche Pflicht zu rechtstreuem Verhalten ergibt sich für die AG aus § 76 Abs. 1, § 93 Abs. 1 AktG (dazu statt vieler Krieger in ders./Uwe H. Schneider (Hrsg.) Handbuch Managerhaftung, 2007, § 3 Rn. 5), für die GmbH (mittelbar) aus § 37 Abs. 1, § 43 Abs. 1 GmbH (vgl. nur Uwe H. Schneider in Krieger/ders., ebd., § 2 Rn. 15 ff.). Vgl. statt vieler Hauschka (Hrsg.) Corporate Compliance: Handbuch der Haftungsvermeidung im Unternehmen, 2007; Romeike (Hrsg.) Rechtliche Grundlagen des Risikomanagements: Haftungs- und Strafvermeidung für Corporate Compliance, 2008. Dazu im Einzelnen Kremer/Klahold Compliance in Industrieunternehmen, in Krieger/Uwe H. Schneider (o. Fn. 5) § 18 Rn. 2 ff.; Gebauer/Kleinert, Compliance in Finanzdienstleistungsunternehmen, in Krieger/Uwe H. Schneider (o. Fn. 5) § 19 Rn. 2 ff.; zur Vorstandsverantwortlichkeit und Pflicht zur Errichtung einer ComplianceOrganisation Fleischer AG 2003, 291 ff., Uwe H. Schneider ZIP 2003, 645 ff.; speziell zur Korruptionsprävention Hauschka/Greeve BB 2007, 165 ff.; zu Mindestanforderungen an das Risikofrüherkennungs- und Überwachungssystem zusammenfassend jüngst Blasche CCZ 2009, 62 ff.
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tungsträchtigen Vorschriften etwa das Wettbewerbsrecht, 8 das Kartellrecht9 („die Magna Charta der unternehmerischen Tätigkeit“),10 das Steuerrecht11 und das Sozialversicherungsrecht12 bereithalten, kann hier nicht einmal angedeutet werden. Sie alle steuern, regulieren und beschränken die Handlungsfreiheit des Unternehmers, begründen Haftungsrisiken und bergen deshalb das Potential, die freie unternehmerische Entfaltung nicht nur zu disziplinieren, sondern, vor allem in ihrem Zusammenwirken, im Keim zu ersticken. Nichts anderes gilt für das Wirtschaftsverwaltungsrecht und andere Teilgebiete des Besonderen Verwaltungsrechts, allen voran das Umweltrecht.13 2. Ist es aber der Beruf unserer (allerjüngsten) Zeit, den Rang staatlicher Intervention und Regulierung neu zu bestimmen, so kann das auch mit Blick auf die Akzessorietät und Subsidiarität einerseits und die Autonomie des hier im Mittelpunkt stehenden Wirtschaftsstrafrechts andererseits nicht geschehen, ohne sich des Bestandes an wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Normen und der Art und des Maßes bestehender staatlicher Regulierung zu vergewissern. Manch wohlfeile Forderung nach mehr Regulierung fußt bei Lichte betrachtet auf mangelnder Kenntnis des positiven Rechts – eine geläufige Textsammlung des Umweltrechts des Bundes14 fasst auf rund 6.600 Seiten nur das wichtigste dieser Teildisziplin zusammen. Forderungen nach mehr Regulierung des Wirtschaftslebens irritieren vor allem bei Politikern, die in ihrer Funktion als „Lawmaker“ die Primärverantwortung für Bestand und Zukunft von Regulierung tragen. Dies gilt zumal, wenn Politiker dann – es will scheinen, mehr oder minder opportunistisch – wiederum das (Wirtschafts-)Strafrecht als Mittel in allen Krisenlagen bemühen. Das „Strafrecht als Mittel reaktiver Krisenbewälti8 9 10 11
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Vgl. nur Götting GRUR 1994, 6 ff.; Haß GmbHR 1994, 666 ff.; ausführlich Kellenter/Eberhardt in Krieger/Uwe H. Schneider (o. Fn. 5) § 21. Siehe etwa Dreher, Kartellrechtscompliance, ZWeR 2004, 75 ff.; Lampert BB 2002, 2237 ff. Dreher in Krieger/Uwe H. Schneider (o. Fn. 5) § 29 Rn. 9. Zu Fragen der persönlichen Haftung von Geschäftsführer und Vorstand nach § 69 AO etwa Beermann DStR 1994, 810 ff.; Neusel GmbHR 1997, 1129 ff.; H.-F. Müller GmbHR 2003, 389 ff.; Remmert/Horn NZG 2006, 881 ff.; Misbauer DStR 2006, 148 ff. Siehe statt vieler, auch zu § 266 a StGB, Goette DStR 2005, 1869 ff.; Uwe H. Schneider/Brouwer ZIP 2007, 1033 ff.; Kiethe ZIP 2003, 1957 ff. Dazu ausführlich Uwer Umweltrecht, in Krieger/Uwe H. Schneider (o. Fn. 5), § 32, S. 909–966. Kloepfer unter Mitwirkung von Uwer Umweltschutz, Textsammlung des Umweltrechts der Bundesrepublik Deutschland, Losebl., 2 Bd., Stand 11/2008.
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gung“15 ist indes von vornherein mit der Hypothek eines legislativen Seriositätsdefizits belastet, es mit „politisch aufgeladenen Steuerungsansprüchen“ zu überfrachten ist klar abzulehnen.16 Lüderssens jüngst geäußerte Warnung vor der in der gegenwärtigen Finanzkrise als Remedur allzu vorschnellen Forderung nach einem verschärften Finanzstrafrecht17 verdient daher Beachtung und Unterstützung.
II.
Verwaltungsrecht in der Transition zum Regulierungsrecht
Der Handlungsfreiheit des Unternehmers setzt das Wirtschaftsverwaltungsrecht heute Grenzen jenseits der klassischen Formen der behördlichen Präventivkontrolle namentlich zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit (für die die Bau- oder die immissionsschutzrechtliche Anlagenund Betriebsgenehmigung klassische Beispiele sind), der repressiven Kontrolle mit Befreiungsmöglichkeit (sollte man eine Spielbank oder eine gewerbliche Lotterievermittlung aufmachen und damit dem Fiskalstaat18 in die Quere kommen wollen) oder der staatlichen, regelmäßig raumbezogenen Planung. Wirtschaftsverwaltungsrecht ist heute auch und gerade Regulierungsrecht.19 Regulierung ist die zielgerichtete staatliche Gestaltung von Wettbewerbsgeschehen.20 Regulierung ist, da sie ökonomisches Geschehen steuern will, an wirtschaftliche Rationalitäten gebunden. Der Gestaltungs- und Steuerungsanspruch der Regulierung begegnet somit dem Erklärungsanspruch ökonomischer Modellbildung ebenso wie dem ihrer unmittelbaren Falsifizierbarkeit im Wirtschaftsleben. Das ist nicht auf den Gesetzesvollzug beschränkt, sondern bezieht sich auf alle Ebenen des Regulierungsgeschehens: Gesetzgebung 15 16 17
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So die gelungene kritische Formulierung von Achenbach StV 2008, 324 (325). Albrecht Kriminologie, 3. Aufl. 2005, S. 289. Lüderssen FAZ vom 19. 1. 2009 als Erwiderung auf die Forderungen Helmut Schmidts in seinem Artikel „Wie entkommen wir der Konjunkturfalle?, Die Zeit vom 15. 1. 2009. Uwer Monopolisierung und Pathologisierung, NJW 2006, 3257 ff. Aus der unüberschaubar gewordenen Literatur grundlegend Säcker Das Regulierungsrecht im Spannungsfeld von öffentlichem und privatem Recht, AöR 130 (2005), 180–224. Zum Regulierungsverwaltungsrecht Eifert in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I, 2006, S. 1291, Rn. 125 ff.; von Danwitz Was ist eigentlich Regulierung? DÖV 2004, 977 ff.
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ebenso wie Gesetzesauslegung und -anwendung. Unternehmerisches Handeln in regulierten Sektoren sieht sich mit dem Umstand konfrontiert, dass Gesetzes- und Rechtsgebundenheit der öffentlichen Verwaltung unbestritten nicht total sind und somit der Verwaltung ein unmittelbarer Zugriff auf andere Entscheidungsrationalitäten gestattet ist.21 Ob, wie und in welchen Grenzen auf ökonomische Rationalitäten zurückgegriffen werden kann, ist ein vergleichsweise neues Forschungsgebiet der Staats- und Verwaltungsrechtslehre.22 Es wurde erst durch das Entstehen regulierter, weil regulierungsbedürftiger Netzwirtschaften gefördert: Ökonomisch betrachtet liegen ihnen natürliche Monopole zugrunde, die nach der politischen Entscheidung zur Abschaffung ihrer rechtlichen Untermauerung in einen funktionierenden Wettbewerb zu entlassen waren. Unternehmerische Handlungsspielräume wurden im Wirtschaftsverwaltungsrecht allerdings schon immer begrenzt durch administrative Spielräume, darunter das Rechtsfolgenermessen in seinen verschiedenen Ausprägungen, Beurteilungsspielräume mit der aber eher überbeanspruchten Figur des Prognosespielraums, möglicherweise das Modell des Planungsermessens einschließlich der gerichtlichen Abwägungskontrolle. Hinzu treten vergleichsweise neue Konzepte des Regulierungsrechts, die regelmäßig ihre Entsprechung in der ökonomischen Regulierungstheorie finden. Modellhaft sind regulierungsrechtliche Konzepte des Wettbewerbs, des wettbewerbsschädlichen Verhaltens (z. B. Missbrauch, Behinderung) sowie der Preisvorgaben (Angemessenheit, Effizienz). Das TKG 1996 war das erste Gesetz, das einem modernen Regulierungskonzept verpflichtet auf Gestaltung und Begleitung eines Übergangs von staatswirtschaftlicher Leistungserbringung im Daseins21
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Grundlegend dazu jüngst W. Spoerr in Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.) Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 613 ff. (insbes. S. 614–616). Zahlreiche Nachweise bei W. Spoerr in Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.) (o. Fn. 21), S. 614 f., mit deutlicher Kritik an einer „geradezu verkrampften Abwehrhaltung gegen eine Ökonomisierung des Rechts“. Nach wie vor zurückhaltend gegenüber einer ökonomischen Theorie des öffentlichen Rechts die herrschende Staatsrechtslehre. Siehe dazu (mit ausführlichen Nachweisen) die Bestandsaufnahme bei Lindner Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer ökonomischen Theorie des Öffentlichen Rechts, JZ 2008, 957 ff. – Hingegen findet man im Kartellrecht schon seit langem beträchtliche Offenheit für die hiermit verbundenen Fragen, aber wenig rechtsdogmatisches Rüstzeug für deren Bewältigung, worauf Spoerr, aaO S. 615, zu Recht hinweist. Damit dürfte auch das gerade in Deutschland geäußerte Unbehagen am neuerdings „more economic approach“ des Europäischen Wettbewerbsrechts zusammenhängen.
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vorsorgemonopol hin zu privatwirtschaftlicher, wettbewerblicher Leistungserbringung zielte.23 Damit war und ist die Brücke geschlagen zur Ökonomie und der Vielfalt ihrer Theorien, was Wettbewerb ist. Diese können hier nicht einmal mit Blick auf ihre spezifische Bedeutung für das Regulierungsrecht skizziert werden. Hierzu hat jüngst W. Spoerr24 Grundlegendes gesagt und dabei zu Recht resümiert, dass es heute unstreitiger gemeinsamer Nenner aller ökonomischen Theorien sein dürfte, dass atomistische Märkte, wie sie dem Idealtypus der vollständigen Konkurrenz zugrunde liegen, nicht in allen Märkten und unter jedweden Modellbedingungen eine auch nur wünschenswerte Marktstruktur sind. Daher rühre eine große Zurückhaltung gegenüber staatlicher Gestaltung von Unternehmensgrößen und Unternehmenswachstum, da beides Ausdruck überlegener produktiver Effizienz – unter den Bedingungen der Netzindustrien zudem auch wegen der Realisierung von Netzwerkeffekten – gemeinwohlfördernd sein kann.25 Das vom Regulierungsrecht strapazierte unternehmerische Handeln26 sieht deshalb neuere Tendenzen eines Regulierungsrückbaus positiv. Wenn aber in den Zeiten einer beispiellosen Krise des internationalen Finanzsystems selbst aus dem Kreis der Finanzinstitute der Ruf nach vor kurzem noch unvorstellbaren Dimensionen staatlicher Steuerung des Marktgeschehens und damit des individuellen unternehmerischen Handelns laut wird,27 werden solche Bestrebungen zur Rationalisierung hypertropher Regulierung möglicherweise beschädigt. Auch insoweit sind die Auswirkungen der gegenwärtigen Finanzkrise nicht absehbar, geschweige denn bewältigt. Gleichwohl: Schon mit dem TKG 2004 war der programmatische Anspruch verbunden, dass „alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, unnötige Regulierung zu vermeiden“. 28 Das Gesetz verfolgte einen „langfristig geplanten Übergang ins Wettbewerbsrecht“ und einen „Weg zur Entlassung aus dem sektorspezifischen Recht“ sowie zur „Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts für bereits existierende wettbe23 24 25 26
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Spoerr in Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.) (o. Fn. 21), S. 618 f. Spoerr in Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.) (o. Fn. 21), S. 619 ff. Spoerr in Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.) (o. Fn. 21), S. 622. Was öffentlich-rechtlich die Frage nach dem subjektiv-öffentlichen Recht und dem Rechtsschutz aufwirft. Dazu statt vieler Burgi Das subjektive Recht im EnergieRegulierungsverwaltungsrecht, DVBl. 2006, 269 ff. Exemplarisch jüngst Stephen Roach Präsident von Morgan Stanley Asien, in seinem Essay „Für einen robusteren Kapitalismus“, Handelsblatt vom 24. 2. 2009 („stärkere und robustere Steuerung“). BT-Drs. 15/2316, S. 1.
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werbliche Märkte“. Der zuständigen BNetzA ist nunmehr der autonome Zugriff auf ökonomische Modellbildung im TKG 2004 weit intensiver eröffnet als zuvor, wozu wesentlich die – gemeinschaftsrechtlich weitgehend vorgegebenen – Regelungen über das Marktanalyseverfahren beitragen.29 Mit der Einführung des Marktanalyseverfahrens hat das Telkommunikationsrecht einen grundlegenden Paradigmenwechsel von der gesetzesvollziehenden Regulierung hin zu einer administrativ-gestaltenden Gestaltung erfahren. Zu Recht wurde auf die Autonomie dieser neuen Regulierungsform im Verhältnis zu herkömmlichen dogmatischen Figuren des Ermessens und Beurteilungsspielraums hingewiesen und auf die Parallele zur planerische Abwägung als prägendes Element von Planungsermächtigungen: „Marktanalyse ist für Regulierung in etwa das, was die Abwägung für die Planung ist.“30 Dieser Wechsel des regulatorischen Anspruchs lässt sich auch anhand des administrativen Zugriffs auf Preise und Kosten – betriebswirtschaftliche Kennziffern also – zeigen: Elementar für die sektorspezifische Regulierung von Netzindustrien ist eine wirksame Entgeltkontrolle.31 Tradierte Konzepte einer gebühren- oder preisrechtlichen Kontrolle werden im modernen Regulierungsrecht abgelöst durch eine wirksame Effizienzkontrolle, die häufig dem Maßstab eines simulierten oder modellierten Wettbewerbs verpflichtet ist.32 Im Kartellrecht hat das Unternehmen noch die wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit des Preisaufbaus, die kartellrechtliche Preiskontrolle zielt herkömmlich nur auf das Preisniveau ab, nicht aber auf die Kontrolle einzelner Preiskomponenten (jüngste Ausnahme: § 29 GWB33). Einen besonders anspruchsvollen Weg hat der Gesetzgeber bei der energiewirtschaftlichen Anreizregulierung der Strom- und Gasnetzentgelte nach § 21 a EnWG gewählt.34 Er hat die hohe Konzeptabhängigkeit der Anreizregulierung erkannt und deren Konkretisierung deshalb dem Verordnungsgeber zugewiesen (§ 21 a Abs. 1, 6 EnWG), dessen Entscheidungsprogramm aber durch eine Vielzahl materieller Vorgaben mit aus unternehmerischer Sicht 29 30
31 32 33 34
Spoerr in Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.) (o. Fn. 21), S. 626. Spoerr in Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.) (o. Fn. 21), S. 626; zu den verwaltungsrechtsdogmatischen Herausforderungen eines Regulierungsermessens, wie es das BVerwG jüngst der Bundesagentur zu §§ 21, 30 TKG zugestanden hat (BVerwG NVwZ 2008, 575 ff. und N & R 2008, 140 ff.), jetzt Ludwigs JZ 2009, 290 ff. Säcker AöR 130 (2005), 180, 197 ff. Spoerr in Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.) (o. Fn. 21), S. 628 m. w. N. Dazu C. Stadler Der Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung, BB 2007, 60 ff. Vgl. nur Meinzenbach Die Anreizregulierung als Instrument zur Regulierung von Netznutzungsentgelten im neuen EnWG, 2008.
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unterschiedlicher Stringenz vorgegeben.35 Die Grundkonzeption will dem Netzbetreiber Effizienzgewinne belassen, um einen Anreiz für Effizienzsteigerungen zu setzen. Waren ältere regulierungsrechtliche Ansätze noch stärker dirigistisch-zentralistisch geprägt, wird mit der Anreizregulierung der Netzentgelte ein Such- und Entdeckungsverfahren implementiert, das Effizienzreserven aufspüren und mobilisieren soll. Technisch geschieht das durch eine individuell ermittelte Erlösobergrenze, zu deren Ermittlung eine mathematische, sog. Anreizregulierungsformel zur Anwendung gelangt, die die Breite einer Druckseite einnimmt. Auch zur Verwirklichung eines effizienten Netzzugangs beweist das Energie-Regulierungsrecht mit der „normierenden Regulierung“ durch sog. Festlegungsentscheidungen nach § 29 EnWG i. V. m. § 27 StromNZV und § 42 GasNZV.35a Der regulierende Staat determiniert damit in ganz neuartiger Weise auch unternehmerische Investitionsentscheidungen.36 Warum dieser kurze Blick auf die Regulierung? Die ökonomische Dependenz dieser beiden Referenzbereiche Telekommunikation und Energiewirtschaft illustriert exemplarisch die Komplexität unternehmerischer Wirklichkeit in einer ausdifferenzierten Wirtschaftsverfassung. Das ökonomisch rationale Entscheidungsprogramm des Unternehmers wird eben heute nicht nur durch vergleichsweise schlichte Verhaltensge- und -verbote des öffentlichen Rechts begrenzt, sondern trifft sektoral abhängig auf das gesetzlich vorgegebene, aber ebenso unmittelbar an ökonomischer Rationalität ausgerichtete Entscheidungsprogramm des Regulierers. Appelle an wirtschaftsstrafrechtliche Gesetzgebung und Strafverfolgung müssen sich deshalb daran messen lassen, welche normative Steuerungskraft sie in welchem Wirtschaftssektor angesichts der jeweils geltenden sektorspezifischen Regulierung mit ihren je eigenen Beschränkungen unternehmerischer Entscheidungsfreiheit entfalten können. Man muss insoweit nicht unbedingt von einer Einmischung des Strafrechts in andere rechtliche Ordnungssysteme sprechen, sondern sollte es eher in klassischer Weise so interpretieren, dass das Strafrecht auf allen Ebenen – legislativ, aber auch und vor allem bei der Strafverfolgung – Respekt vor den Anforderungen der normativ ausgestalteten Wirtschaftsverfassung in einem umfassenden Sinne zeigen 35 35a 36
Anreizregulierungsverordnung vom 29. 10. 2007 (BGBl. I S. 2529), zuletzt geändert durch Verordnung vom 17. 10. 2008 (BGBl. I S. 2006). Dazu m. w. N. Attendorn RdE 2009, 87 ff. Vgl. Uwer/Zimmer Der Netzerwerb aus Investorensicht – Zur Bedeutung der Regelungen zur kalkulatorischen Abschreibung und Eigenkapitalverzinsung nach StromNEV, GasNEV und ARegV für die Investitionsentscheidung, RdE 2009 109 ff.
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muss.37 Respekt ist insoweit unter den Hassemerschen Topoi38 aus Sicht des Öffentlich-Rechtlers der wichtigste. Wie lässt sich etwa der – zu Recht bestrittene,39 sich aber doch praktisch immer wieder behauptende – Anspruch des Untreuetatbestandes, auch wirtschaftslenkend zu wirken,40 angesichts seiner holzschnittartigen Tatbestandsmerkmale noch mit den Anforderungen an unternehmerisches Handeln in hochregulierten Wirtschaftsbereichen vereinbaren und rechtfertigen? 41 Für den Öffentlich-Rechtler zeichnet sich die Antwort im Grundsatz bei aller notwendigen sektoralen Feinjustierung doch klar ab: Je weiter der regulatorische Gestaltungsanspruch des Staatshandelns unternehmerische Entscheidungsspielräume determiniert und vor allem limitiert, desto mehr übernimmt der regulierende Staat auch eine Mitverantwortung für unternehmerische Fehlleistung und Risikoverwirklichung und umso mehr muss der staatliche Anspruch auf strafrechtliche Wirtschaftslenkung zurückgenommen werden. Modellhaft handelt es sich also um kommunizierende Röhren: Je mehr öffentlichrechtliche Regulierung, desto weniger strafrechtliche Wirtschaftslenkung. Die Idee des Strafrechts als „liberalere“ Lösung erweist sich insoweit trotz ihrer liberal-idealistischen Attraktivität als Trugbild. Empirisch werden wir in Zukunft immer mehr und nicht weniger an außerstrafrechtlicher Regulierung haben. Institutionell sollte sich die staatliche Mitverantwortung auch in etwaigen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren fortsetzen.42 Hier könnte sich nun bei manchem Entsetzen breit machen, wenn man all das als vordergründiges Plädoyer für ein noch engmaschigeres Netz wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Normen missverstünde. Das Gegenteil ist gewollt: gute Gesetzgebungskunst42a muss sich stets und in Zukunft immer mehr 37
38 39 40
41
42 42a
Das gilt unvermindert auch im Verhältnis des Strafrechts zur Regulierung der Kapitalmärkte. Dazu schon Hild Grenzen einer strafrechtlichen Regulierung des Kapitalmarktes, 2004. Hassemer Die Basis des Wirtschaftsstrafrechts, wistra 2009, 169 (171). Mit Recht sehr kritisch Achenbach ZStW 119 (2007), 789 „Strafrecht als Mittel der Wirtschaftslenkung gibt es in unserer Rechtsordnung nicht.“ Kritisch dazu statt vieler Lüderssen Risikomanagement und „Risikoerhöhungstheorie“ – auf der Suche nach Alternativen zu § 266 StGB, in FS Klaus Volk, ; ebenso Alexis Kriminologie, 3. Aufl 2005, S. 289 ff. Beispielhaft für die wachsende Kritik an der Überkriminalisierung (vermeintlicher) Untreue jüngst Kirchner/Luttmer Die steile Karriere eines Paragrafen, FTD vom 23. 10. 2008. Dazu Knierim (in diesem Band), S. . Zum Zustandekommen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes unter dem Gesichtspunkt der Sorgfaltspflichten des Gesetzgebers in Krisensituationen (konkret:
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Dirk Uwer
gerade im öffentlichen Recht durch Maßnahmen der Kodifizierung, Gesetzesfolgenabschätzung, Rechtsbereinigung, Bürokratiekostenmessung43 und einer strikten Erforderlichkeitskontrolle für neue Normen bewähren. Wir leiden unbestritten an einer Hypertrophie der Rechtsetzung.43a Umgekehrt ist es aber pure Illusion zu glauben, die Komplexität der Wirtschaftsbeziehungen in Mehrebenensystemen erlaube eine erhebliche Reduzierung des Normenbestandes. Gerade das ökonomische Rationalität rezipierende Regulierungsrecht bietet aber die Chance zur legislativen Rückbesinnung auf den Vorrang guter wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Steuerung vor strafrechtlicher Kriminalisierung und auf die Subsidiarität und verfassungsrechtlich radizierte44 Ultima-ratio-Funktion des Strafrechts.45 Dieses Postulat gewinnt praktische Relevanz bei der Betrachtung unterschiedlicher verwaltungsrechtlicher Referenzgebiete, von denen hier nur wenige weitere exemplarisch herausgegriffen werden können.
III.
Weitere exemplarische wirtschaftsverwaltungsrechtliche Referenzgebiete
1.
Vergaberecht
Durch das seit 1. 1. 1999 geltende Kartellvergaberecht (§§ 97 ff. GWB) wird das öffentliche Beschaffungswesen, also der Einkauf von Gütern und Leistungen durch den Staat, seine Behörden und Einrichtungen, einem Regelungssystem unterworfen, das in nur einem Jahrzehnt zu erstaunlicher Komplexität gereift ist und in seinen Verästelungen nur noch von hochspezialisierten Juristen durchdrungen werden kann. Das schlichte haushaltsrechtliche Axiom der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit46 bei der Verwendung öffentli-
43 43a 44 45
46
fünf Tage zwischen Einbringung und Verkündung) instruktiv T. Brandner NVwZ 2009, 211 ff. Siehe § 1 Abs. 2, §§ 2, 4 des Gesetzes über den Normenkontrollrat vom 14. 8. 2006 (BGBl. I S. 1866). Jüngst pointiert zur „Rechtserzeugungsdynamik . . . als Folge der Entgrenzung der Staatsaufgaben“ U. Steiner BayVBl. 2009, 1. Aus der neueren verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung: BVerfGE 90, 145 (172); 92, 277 (326 ff.); 105, 135 (154); 110, 226 (252). Dazu statt vieler Prittwitz Der fragmentarische Charakter des Strafrechts, in H. Koch (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht: Alte Antworten auf neue Fragen? 1997, S. 149; Lüderssen/Nestler-Tremel/Weigend (Hrsg.), Modernes Strafrecht und ultimaratio-Prinzip, 1990. § 6 Abs. 1 HGrG, § 7 Abs. 1 Satz 1 BHO.
Verwaltungsrechtliche Alternativen zum Wirtschaftsstrafrecht
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cher Mittel ist einer im Kern der potentiellen Marktauswirkungen öffentlicher Aufträge adäquaten, wettbewerbsschützend ausgerichteten Regulierung nach den Kriterien Diskriminierungsfreiheit und Transparenz gewichen. Man kann und muss wohl die damit verbundene Komplexitätsspirale kritisieren. Im Grunde ist es aber richtig, dass die fiskalischen, ökonomischen und wettbewerblichen Verflechtungen zwischen Markt und Staat genuin öffentlich-rechtlich verfasst und diszipliniert, die Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen aber dem Privatrecht überlassen werden. Angriffe auf das für das Vergaberecht konstitutive Wettbewerbs- und Transparenzprinzip durch Submissionsabsprachen hat der Strafrechtsgesetzgeber in § 298 StGB pönalisiert. Damit kann nur Extremfällen begegnet werden, und das auch nur um den rechtsstaatlich sehr hohen Preis einer (wie Lüderssen es formuliert hat) „äußersten Strapazierung des abstrakten Gefährdungsdelikts“, weil hier letztlich die Gefahr der Gefährdung des Wettbewerbs unter Strafe gestellt wird.47 Darüber hinaus kann das Strafrecht aber mit der prozeduralen und materiellen Ausdifferenzierung des Vergaberechts nicht mithalten und insoweit auch keine Steuerungswirkung entfalten. Das subtile, in schwierigste Abgrenzungsfragen führende System primären und sekundären Rechtsschutzes bei Vergaberechtsverstößen – ober- und unterhalb der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Schwellenwerte48 – muss arrondiert werden durch ein Sanktionssystem, das zielgenauer den Schutz der Integrität des Wettbewerbs zu bewirken vermag als es das Strafrecht je vermöchte. Diskutiert wird seit langem die Einführung eines bundesweiten zentralen Vergabe- bzw. Korruptionsregisters, das ein „Blacklisting“, also den zeitlich befristeten Ausschluss von jeglichen Vergabeverfahren von rechtswidrig handelnden Ausschreibungsteilnehmern ermöglicht.49 Die Bemühungen zu dessen Einführung stocken, weil rechtsstaatliche Bindungen und die Grundrechte der Wirtschaftsteilnehmer sorgsam zu beachten sind, was umso mehr gelten würde, wollte man eine solche Feinjustierung mit dem allzu groben Werkzeug des Strafrechts vornehmen. Dasselbe gilt für das früher Subventions- und heute Beihilferecht genannte Mehrebenenregime der Art. 87, 88 EG und des kaum überschaubaren Implementierungsrechts im Verhältnis zu heillosen Vorschrift des § 264 StGB.50 47
48 49 50
Lüderssen Entkriminalisierung des Wirtschaftsrechts (I), 1998, S. 163 ff.; jüngst Dannecker in FS K. Tiedemann, 2008, S. 789 ff. (802 f.); Lüderssen (in diesem Band), S. . Dazu beispielhaft Ennuschat/Ulrich DÖV 2007, 1009 ff.; Hollands DÖV 2006, 55 ff.; Spießhofer/Sellmann VergabeR 2007, 159 ff. Uwer/Hübschen NZBau 2007, 757 (761 f.). Zur Kritik etwa Wohlers Münchener Kommentar zum StGB, 2006, § 264 Rn. 14 ff.
138
2.
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Außenwirtschaftsrecht
In einer exportorientierten Wirtschaft, die in den letzten Jahrzehnten wie kaum eine andere profitiert hat von den Grundfreiheiten des EG-Vertrags,51 mutet das Außenwirtschaftsrecht mit seinem harschen Sanktionsinstrumentarium wie ein Relikt aus der vor-globalisierten Welt an. Legislative Besserung ist indessen kaum in Sicht, im Gegenteil: Clandestine Kriminalisierungen – wie sie für den 2006 neugefassten Embargoverstoß-Tatbestand des § 34 Abs. 4 AWG festgestellt worden sind,52 der zwar den Verbrechens- zum Vergehenstatbestand herabstufte, aber gleich den minderschweren Fall entfallen ließ (Folge: jetzt mindestens sechs statt drei Monate Freiheitsstrafe) – sind nicht nur im Außenwirtschaftsrecht rechtsstaatlich prekär. Über die generellen rechtsstaatlichen Zweifel an der übertrieben wirkenden Kriminalisierung von Außenwirtschaftsrechtsverstößen ist viel geschrieben worden. Sie machen höchst subtile unternehmerische Gegenmaßnahmen zur Sicherstellung der Außenwirtschaftsrechtskonformität – neudeutsch: Trade Compliance – erforderlich.53 Jenseits seiner verfassungsrechtlichen Dubiosität54 verfehlt das Außenwirtschaftsstrafrecht aber ganz besonders die Wirklichkeit und Probleme internationaler Handelsbeziehungen. Weiß der Strafrechtsgesetzgeber, dass es entscheidend ist für die exportorientierte deutsche Wirtschaft, beispielsweise nicht gegen das Regelwerk des OFAC (Office of Foreign Assets Control) des US Treasury Department zu verstoßen? Die OFAC versteht sich als Behörde, die auf Grundlage der US-Außenpolitik die Durchsetzung von Handelssanktionen erzwingt. Die Befolgung der OFAC-Sanktionen ist für alle US-Bürger und US-Unternehmen (unter Einschluss von deren im Ausland ansässigen Zweigstellen) zwingend. Im Rahmen von Listen und Programmen benennt die OFAC, wer Ziel der Sanktionen ist. Hierzu existiert eine Auflistung natürlicher und juristischer Personen, mit denen ausdrücklich jegliche Form von Handel zu treiben untersagt ist (Specially Designated Nationals – „SDN“). 51 52 53 54
Vgl. C. Herrmann/Michl ZEuS 2008, 81 ff. (83). Dazu Ahlbrecht wistra 2007, 85 ff. Dazu jüngst Kreuder, Rechts- und Organisationsfragen zur Trade Compliance, CCZ 2008, 166 ff. Vgl. nur Bernsmann, Zur Verfassungswidrigkeit des § 34 Abs. 4 AWG, in Festschrift für Hans Joachim Hirsch, 1999, S. 451 ff. – Kritisch zur Blankett-Technik im Außenwirtschaftsstrafrecht L. Schulz, Das neue Außenwirtschaftsstrafrecht (§ 34 AWG n. F. von 2006), in: Institut für Kriminalwissenschaft und Rechtsphilosophie, Frankfurt am Main (Hrsg.) Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrecht, 2007, S. 619 ff. (632 f.).
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Zudem bestehen spezielle Sanktionsprogramme, u. a. gegenüber Staaten und Territorien (z. B. OFAC Country Sanctions Programs). Ein Handel mit den bezeichneten Staaten bzw. Territorien ist US-Bürgern und Unternehmen ebenfalls untersagt. Der Adressat muss sich dazu verpflichten, sich wirtschaftlicher Beziehungen mit den in Listen und Programmen der OFAC genannten Personen, Einrichtungen, Staaten und Territorien (Dritten) zu enthalten. Eine solche Verpflichtung kann aber nach deutschem Recht (§ 4 a AWV) eine verbotene Beteiligung an einer Boykotterklärung sein. Nach dem Runderlass Außenwirtschaft Nr. 31/92 ist eine Boykotterklärung auch dann abgegeben, wenn der Erklärende angibt, „ [. . .] dass die zu liefernde Ware nicht von Unternehmen auf der Black-List stammt, oder sein Unternehmen keine Geschäftsbeziehungen zu einem Unternehmen auf der Black-List hat, oder sein Unternehmen nicht auf der Black-List steht oder das Unternehmen keine Tochter/Mutter eines Unternehmens auf der Black-List ist, [. . .]“. Eine Boykotterklärung liegt also bereits dann vor, wenn erklärt wird, dass man selbst nicht auf einer Boykottliste steht. Die SDN-Liste ist eine eben solche BlackList. Ein Verstoß gegen § 4 a AWV kann als Ordnungswidrigkeit nach § 70 Abs. 1 Nr. 1 AWV i. V. m. § 33 Abs. 1, 5 AWG mit der Auferlegung eines Bußgeldes in Höhe von bis zu 500.000 Euro geahndet werden. Ist schon diese Rechtsfolge angesichts des Umstandes, dass sich die Wirtschaftsteilnehmer hier als Kollateralgeschädigte eines arkanen Wirtschaftskriegs zwischen USA und EU wiederfinden, der ihrem Einfluss weitgehend entzogen ist, sie also schon außenwirtschaftsrechtlich nur die Wahl zwischen zwei Gesetzesverstößen haben, völlig unangemessen, so muss die Berechtigung strafrechtlicher Sanktionen im Außenwirtschaftsrecht umso mehr hinterfragt werden. Schon das europäische öffentliche Recht gerät in dieser globalwirtschaftlichen Dimension an die geopolitischen Grenzen seiner normativen Steuerungskraft und verlangt in einem politisch diffizilen Aktionsfeld nach innovativen regulatorischen Lösungen. Das Strafrecht scheint mir für die drängendsten Probleme des Außenwirtschaftsrechts keine Antworten liefern zu können.
IV.
Neue Steuerungskonzepte im Gewährleistungsstaat: Regulierte Selbstregulierung
Das Wirtschaftsstrafrecht vermag strukturell mit den Komplexitäten globalisierter Wirtschaftssysteme nicht Schritt zu halten. Das Strafrecht als „klassisches“ Instrument staatlicher Lenkung menschlichen Verhaltens sieht sich mit dem allgemeinen Befund konfrontiert, „dass im Globalisierungsprozess ver-
140
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änderte Muster von Staatlichkeit den Staat in seiner ,klassischen‘ Gestalt ablösen.“55 Das betrifft freilich nicht das Strafrecht allein: Auch die „Wissenschaft vom Öffentlichen Recht ringt um ihren Gegenstand.“56 Mehrpolige Verwaltungsrechtsverhältnisse in Mehrebenensystemen institutionell, steuerungstheoretisch und empirisch exakt zu beschreiben, verlangt Dogmatik und Praxis des Öffentlichen Rechts einiges ab, soll dabei nicht das rechtsstaatliche Paradigma verloren gehen. 57 Die Kontext- und Folgenabhängigkeit der Rechtsentwicklung hat im globalisierten Wirtschaftsleben und in der modernen Wissensgesellschaft eine neue Qualität gewonnen, der das Öffentliche Recht mit Überlegungen zur „Reformulierung des Verwaltungsrechts“ in überaus innovativer Weise begegnet.58 Das Öffentliche Recht, und mehr noch und speziell das Wirtschaftsverwaltungsrecht, kann und darf den neuen Herausforderungen einer sich dramatisch verändernden Wirtschaft und Gesellschaft experimentell und kreativ begegnen, weil es über die Subordinationsbeziehung zum Rechtsunterworfenen graduell oder auch ganz disponieren, sie also durch Koordination und Kooperation substituieren und damit das korrespondierende, diese Flexibilität begrenzende Maß grundrechtlichen Schutzanspruchs verschieben kann. Das Öffentliche Recht darf den „Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungswirkung“59 in den Blick nehmen. Der moderne Gewährleistungsstaat60 hat überkommene Modelle unmittelbarer staatlicher Aufgabenerfüllung durch Marktöffnung und Liberalisierung ersetzt, zugleich deren Wirkungen aber im Sinne einer staatlichen Gewährleistungs- statt Erfüllungsverantwortung durch Bereitstellung gemeinwohlsichernder Regulierungsstrukturen grundrechts-
55
56 57 58
59 60
Pitschas, Frei – sozial – auch sicher? Sicherheit als Rechts- und Verfassungsprinzip im Wandel zur „neuen Staatlichkeit“, in FS Heinrich Siedentopf, 2008, S. 285 ff. (302). Lindner JZ 2008, 957 ff. (957). Lindner JZ 2008, 957 (957 f.); zum Ganzen O. Lepsius Steuerungsdiskussion, Systemtheorie und Parlamentarismuskritik, 1999. Beispielhaft aus jüngster Zeit Pitschas Kooperative Wissensgenerierung als Element eines neuen Staat-Bürger-Verhältnisses – Thesen zur Reformulierung des Verwaltungsrechts in der Wissensgesellschaft, in Spiecker gen. Döhmann/Collin (Hrsg.), Generierung und Transfer staatlichen Wissens im System des Verwaltungsrechs, 2008, S. 29 ff. So der Titel der beachtlichen, 2008 erschienenen Habilitationsschrift von Mario Martini. Siehe dazu den instruktiven Sammelband von Schuppert (Hrsg.) Der Gewährleistungsstaat – Ein Leitbild auf dem Prüfstand, 2005, und soeben C. Franzius Der Gewährleistungsstaat, Verwaltungsarchiv 99 (2008), 351 ff.
Verwaltungsrechtliche Alternativen zum Wirtschaftsstrafrecht
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sichernd abgefedert.61 Art. 87 f GG bildet so den verfassungsrechtlichen Anker für die oben skizzierte Regulierung der Telekommunikationsmärkte. Als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaats ist die regulierte Selbstregulierung nicht nur im Telekommunikationsrecht,62 sondern etwa auch im Medienrecht63 oder im Umweltrecht64 seit langem etabliert. Dem Strafrecht ist all das im Ergebnis – unbeschadet aller intellektuell überaus anspruchsvollen Überlegungen zur Übertragung des Modells, namentlich mit Blick auf Absprachen im Strafverfahren65 – doch verwehrt, denn es ist denknotwendig subordinativ, und wo der staatliche Strafanspruch auch nur ansatzweise zur Disposition gestellt wird, ruft dies rechtsstaatliches Unbehagen hervor.66 Unbeschadet der im Unterschied zum Strafrecht dem Öffentlichen Recht eigenen instrumentellen Entwicklungsoffenheit sind in der gegenwärtigen Krise naturgemäß auch gleichsam restaurative Tendenzen erkennbar, die den „gesellschaftliche(n) Geltungsanspruch wirtschaftswissenschaftlichen System- und Modelldenkens . . . deutlich einzuschränken“ fordern und den „eigenartige(n) Verlust an Eigenständigkeit“ in der Rechtswissenschaft beklagen.67 Die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge und die Selbstbeschränkung des Staats auf die Gewährleistung von Rahmenbedingungen werden derzeit in ungeahntem Maße einem praktischen Belastungstest unterzogen, was Fragen nach der Legitimität einer solchen bloßen Auffangverantwortung des Staates provoziert.68 Im Strafrecht ist die Verantwortung des Staates universell und exklusiv. Der Blick kann deshalb direkt auf die Strafrechtspflege gerichtet werden: Die Pra61 62 63 64 65 66
67
68
Zum Stand der gegenwärtigen Diskussion instruktiv C. Franzius Der Gewährleistungsstaat, VerwArch 99 (2008), 351 ff. Dazu spezifisch und rechtsvergleichend W. Schulz Die Verwaltung/Beiheft 4, 2001, S. 101 ff. Holznagel Die Verwaltung/Beiheft 4, 2001, S. 81 ff. E. Brandt Die Verwaltung/Beiheft 4, 2001, S. 123 ff. Lüderssen „Regulierte Selbstregulierung“ in der Strafjustiz? In FS Gerhard Fezer, 2008, S. 531 ff. Siehe den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren (u. a. Einfügung eines § 257 c StPO n. F.) im Anschluss an BGH Beschl. v. 3. 3. 2005, NStZ 2005, 389 (Kabinettsbeschluss vom 21. 1. 2009). Der Gesetzentwurf ist veröffentlicht auf www.bmj.bund.de. Zum Ganzen jüngst Lüderssen Verständigung im Strafverfahren, in FS Rainer Hamm, 2008, S. 419 ff. So insbesondere Stürner Fortschritt durch Eigennutz? FAZ vom 9. 10. 2008, und bereits ders. Markt und Wettbewerb über alles? – Gesellschaft und Recht im Fokus neoliberaler Marktideologie, 2007. Vgl. wiederum Stürner FAZ vom 9. 10. 2008.
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xis des Wirtschaftsstrafrechts scheint häufig geprägt von einem tiefen Misstrauen in das Integritätsinteresse und die selbstregulativen Steuerungskräfte der Wirtschaft.69 Die gegenwärtige systemische Krise unseres Wirtschaftssystems gibt solchen Zweifeln vordergründig reichlich Nahrung. Jenseits des aktuellen Krisenszenarios gilt es indes zu konstatieren, dass Integritätsinteresse und Selbstregulation nicht nur fortbestehen, sondern auch nach zwar informeller, aber effizienter Absicherung streben. So wird darüber nachgedacht, die für die Vorbereitung von Unternehmensakquisitionen tragenden Säulen der Legal, Financial und Tax Due Diligence Review um eine „Integrity Due Diligence“ zu ergänzen. 70 Sie dient vor allem der Aufspürung korrupter Unternehmenspraktiken und der Evaluation tätigkeits- und organisationsbedingter Risiken für Wirtschaftskriminalität. Damit wird das materielle Wirtschaftsstrafrecht berührt und in ein selbstregulatives, durchaus auch auf Kooperation mit den Ermittlungsbehörden angelegtes Gesamtkonzept eingebunden – und mag insoweit die mitunter sehr tief verwurzelt scheinende Skepsis des Strafrechtlers gegenüber der „Euphorie für die weichen Mechanismen“71 von Corporate Governance, Business Ethics und Compliance mildern.
V.
Schlussfolgerungen
Unser kurzer Ausflug in die Phänomenologie des modernen Wirtschaftsverwaltungs- und Regulierungsrechts hat nur andeuten können, was abschließend als Hypothese für die in diesem Rahmen unmöglich zu erfüllende Aufgabe zukünftiger Substantiierungen formuliert werden soll: dass nämlich der reich gefüllte Instrumentenkasten des öffentlichen Rechts Feinjustierung und Situationsadäquanz weit besser zu leisten vermag als das Strafrecht. So ist beispielsweise die Internalisierung externen Sachverstands in der Normgebung – etwa im Umwelt- und Technikrecht72 – dort seit langem erprobt 69 70 71
72
Dazu jüngst Hamm „Das Schwert sitzt locker: Kommt nach der Finanzkrise die Strafrechtskrise?“, FAZ vom 6. 11. 2008. Andras Integrity Due Diligence: Neue Säule im Due Diligence Prozess, ZRFG 2008, 205 ff. So namentlich Hefendehl Corporate Governance und Business Ethics: Scheinberuhigung oder Alternativen bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität? JZ 2006, 119 ff. (125). Vgl. zur Anhörung beteiligter Kreise nach §§ 51 BImSchG, 60 KrW-/AbfG, 17 Abs. 7 ChemG, 6 WRMG, 20 BBodSchG die gleichnamige Untersuchung von Leitzke 1999.
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und sorgt für ein regelmäßig hohes Maß an Rationalität und Akzeptanz. Das Wirtschaftsverwaltungsrecht erlaubt eine Stufung von minimal-invasiven Formen der Selbstregulierung über ökonomisch motivierte BenchmarkRegulierungen (wie bei der Anreizregulierung der Netzentgelte im Energierecht) hin zu klassischen interventionistischen Handlungsformen und der Anwendung von Verwaltungszwang. Das ermöglicht im Grundsatz auch eine Feinsteuerung des Wirtschaftsgeschehens durch „trial and error“ – was dem Strafrecht verfassungsrechtlich verwehrt ist, in der Strafverfolgung bisweilen aber doch in besorgniserregendem Ausmaß praktiziert wird. Deshalb ist auch legislative Zurückhaltung bei der von Hassemer73 geforderten flankierenden strafrechtlichen Sicherung von Prozeduralisierung angezeigt – im Ergebnis scheint aber wegen der von ihm betonten strikten Grundrechtsbindung solcher Flankierungsmaßnahmen kaum Dissens zu bestehen. Die dem Strafrecht somit zugewiesene sekundäre Rolle ist nicht als marginale misszuverstehen. Das Wirtschaftsstrafrecht kann und soll auch nicht auf einem Status quo eingefroren und von der Rechtsentwicklung abgekoppelt werden. Deutet man aus der Perspektive des Öffentlich-Rechtlers neuere kriminalpolitische Entwicklungen richtig, steht solches allerdings auch nicht zu befürchten. Die Diskussion um die wirtschaftsstrafrechtliche Institutionalisierung des sog. Whistleblowing74 etwa zeigt das Wirtschaftsstrafrecht in seiner engen Vernetzung mit den außerstrafrechtlichen Entwicklungstendenzen eines verstärkten „Private Law Enforcement“.75 Innovationskraft sowie Adaption und Rezeption regulatorischer Entwicklungen stehen nicht im Widerspruch zum gebotenen Verzicht auf Steuerungsansprüche systemischer Art und dem längst überfälligen Abschied von der Instrumentalisierung des Strafrechts als sozialpolitisches Präventionsinstrument, wie sie auch aus kriminologischer Sicht beispielsweise von Alexis prägnant gefordert wird.76
73 74
75
76
Hassemer wistra 2009, 169 (173 f.). Instruktiv dazu jüngst Kölbel JZ 2008, 1134 ff. – Überblick zu arbeits- und datenschutzrechtlichen Fragen des Whistleblowing bei Wisskirchen/Bissels, BB 2006, 1567 ff.; zum Whistleblowing als integralem Bestandteil der Corporate Governance Berndt/Hoppler BB 2005, 2623 ff.; zur eingeschränkten Mitbestimmungspflichtigkeit BAG Beschl. v. 22. 7. 2008 – 1 ABR 40/07, NJW 2008, 3731. Überzeugende Systematisierung bei Kölbel JZ 2008, 1134 (1135 f.). Zur kartellrechtlichen Entwicklung siehe die Beiträge bei Basedow (Hrsg.) Private Enforcement of EC Competition Law, 2007; zur privaten Rechtsdurchsetzung im EG-Beihilfenrecht jüngst Martin-Ehlers/Strohmayer EuZW 2008, 745 ff. Alexis Kriminologie, 3. Aufl. 2005, S. 290.
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Der hier – vermutlich nicht überraschend – postulierte Vorrang des Einsatzes öffentlich-rechtlicher Instrumente zur intentionalen staatlichen Einflussnahme auf wirtschaftliche Prozesse und die damit verbundene Selbstbeschränkung des Strafrechts dürfen natürlich immanente Schwächen des Wirtschaftsverwaltungsrechts nicht beiseite wischen. Der öffentlich-rechtliche Instrumentenmix ist als solcher zunächst wertneutral – er hinterfragt diesseits der dem Verfassungsgericht vorbehaltenen Verwerfung von Parlamentsgesetzen nur sehr beschränkt das Ziel seiner Anwendung. Ist dieses Ziel inakzeptabel oder gar unlauter, erweist sich das Instrumentarium des Verwaltungsrechts schnell als missbrauchsanfällig. Große Zweifel sind deshalb angebracht, ob die Novellierung des Außenwirtschaftsrechts mit der Einführung eines Prüfungsverfahrens mit Untersagungsmöglichkeit für Unternehmenserwerbe durch die Bundesregierung in Fällen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit77 nicht nur ein wohlfeiles Mitspracheinstrument für die Politik bereitstellen soll. Man möchte eben mitreden, wenn sich ausländische Investoren an deutschen Unternehmen beteiligen. Der bestehende Genehmigungsvorbehalt für Beteiligungen an Rüstungsunternehmen (§ 7 Abs. 2 Nr. 5 AWG, § 52 AWV) untermauert die Skepsis. In solchen Verfahren wurden von Seiten der Bundesregierung Gesichtspunkte der Standortsicherung und des Arbeitsplatzerhalts eingebracht, die ersichtlich außerhalb des gesetzlichen Prüfprogramms lagen. Ein besonders trauriges Beispiel liefert derzeit das eher am Rande des Wirtschaftsrechts liegende Glücksspielrecht, das freilich einen ökonomisch und fiskalisch signifikanten Markt betrifft. Nachdem den staatlichen Lotteriegesellschaften Gebietskartellabsprachen und die sog. Regionalisierung der Umsätze gewerblicher Spielvermittler durch das Bundeskartellamt verboten worden waren,78 bestellten sich die Lottogesellschaften bei ihren Gesellschaftern, den Ländern, einen neuen Gesetzesrahmen.79 Er sieht in Form eines länderspezifischen Erlaubnisvorbehalts ein Instrument zur öffentlichrechtlichen Durchsetzung genau jener kartellrechtswidrigen Demarkationen vor, die den Landeslotteriegesellschaften verboten worden waren. Wegen der hohen verfassungsrechtlichen Hürden behaupten die Länder nun ernsthaft, dies alles diene nicht etwa ihren finanziellen Interessen, sondern der Vermei77
78 79
Entwurf eines 13. Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung, BT-Drs. 16/10730; dazu aus kapitalmarktrechtlicher Sicht kritisch Krolop ZRP 2008, 40 ff. BKartA Beschl. v. 23. 8. 2006 – B 10-927/3-Kc-148/05. Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag) in Kraft getreten am 1. 1. 2008.
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dung von Spielsucht. Rein fiskalisch motivierte Gebietskartelle zur vermeintlichen Bekämpfung einer frei erfundenen Lottosucht mit Erlaubnisvorbehalten für Lotterievermittler durchzusetzen, diskreditiert freilich die Seriosität des Wirtschaftsverwaltungsrechts. Dass über die verwaltungsakzessorischen Straftatbestände dieser Missbrauch des Ordnungsrechts auch noch strafrechtliche Konsequenzen für das Missbrauchsopfer (§§ 284, 287 StGB) haben könnte, wäre rechtsstaatlich unerträglich.80 Der Fehler liegt hier freilich in der genannten Instrumentalisierbarkeit des Verwaltungsrechts – im Bereich der Verwaltungsakzessorietät rechtsstaatlich korrigierend einzugreifen und jedenfalls die Strafbarkeit zu verneinen, führt das Strafrecht und den Strafrichter auf ihre ureigensten Aufgaben zurück.
80
Zum Ganzen auch Lüderssen Desavouierung kartellrechtlicher Monopolverbote durch Strafvorschriften? Am Beispiel des neuen Hessischen Glücksspielgesetzes, in FS Manfred Seebode, 2008, S. 219 ff.
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Ingo Pies
Korruptionsprävention: Wie aktiviert man die Selbstheilungskräfte des Marktes? Ingo Pies∗ Ingo Pies Wie aktiviert man die Selbstheilungskräfte des Marktes?
Gliederung
Einleitung 1. Eine elementare Unterscheidung: Belastungs- versus Entlastungskorruption 2. Das Problem der (Entlastungs-)Korruption 3. Die Schwierigkeiten einer Ordnungspolitik erster Ordnung 4. Die fundamentale Asymmetrie 5. Das Unternehmensinteresse an einer wirksamen Korruptionsprävention 6. Die Optionen einer Ordnungspolitik zweiter Ordnung Zusammenfassung und Ausblick Literatur
Einleitung Die Verständigung zwischen Juristen und Ökonomen ist nicht immer einfach, und sie kann sogar ausgesprochen schwierig sein, zumal dann, wenn auch Fragen der Moral berührt werden. Dies ist beim Thema der Korruptionsprävention zweifellos der Fall. Allerdings gibt es in Deutschland mit der sog. „Freiburger Schule“1 eine ehrwürdige, bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreichende Tradition des gelungenen interdisziplinären Dialogs zwischen Juristen und Ökonomen. Die führenden Köpfe der Freiburger Schule waren Franz Böhm und Walter Eucken. Auf beide wird in diesem wirtschaftsethischen Beitrag Bezug genommen, mit der Absicht, an ihre Tradition anzuknüpfen und zugleich diese Tradition auf eine zeitgemäße Weise konzeptionell weiterzuentwickeln. Der Jurist Böhm entwickelte eine Theorie der Privatrechtsgesellschaft. Hierbei vertrat er die Meinung, dass die Unternehmen im gesellschaftlichen Auftrag ∗ 1
Ich danke Markus Beckmann, Stefan Hielscher, Peter Sass und Christof Wockenfuß für kritische Diskussionen und wertvolle Anregungen. Vgl. Böhm (1957) und Grossekettler (1997) sowie Goldschmidt/Wohlgemuth (2008).
Wie aktiviert man die Selbstheilungskräfte des Marktes?
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handeln und sich bei ihrem wirtschaftlichen Wertschöpfungsverhalten daran messen lassen müssen, inwiefern sie diesen Auftrag erfüllen.2 Aus dieser Auffassung folgt eine sehr weitgehende Autonomie der Wirtschaft, doch soll sich diese Autonomie innerhalb eines rechtlich gesetzten Rahmens entfalten, der das autonome Verhalten funktional ausrichtet. Die Unternehmen können also nicht einfach tun und lassen, was ihnen beliebt. Vielmehr stehen sie unter Wettbewerbsdruck. Und dieser – nicht zuletzt durch ein Verbot privatrechtlicher Kartellverträge nachhaltig auf Dauer gestellte – Wettbewerbsdruck soll die Unternehmen veranlassen, sich an den Bedürfnissen der Kunden zu orientieren, damit auf diese Weise eine für die gesamte Gesellschaft attraktive Versorgung mit Gütern und Leistungen zustande kommt.3 Der Ökonom Eucken entwickelte eine Theorie der Ordnungspolitik. Er war inspiriert vom Verfassungsdenken der Juristen: Ähnlich wie die politischen Entscheidungsträger ihr Verhalten – etwa im rechtsstaatlichen Gesetzgebungsverfahren – an einer Verfassung orientieren, so sollen auch die wirtschaftlichen Entscheidungsträger – hinsichtlich ihres Wertschöpfungsverhaltens – einer Art Wirtschaftsverfassung unterworfen sein. Eucken befürwortete einen „starken Staat“. Mit dieser Metapher sollte die Vorstellung zum Ausdruck gebracht werden, dass der Staat nicht einfach dem Willen diverser Machtgruppen erliegt, sondern gerade umgekehrt den Interessengruppen – insbesondere den Interessengruppen der Wirtschaft – bestimmte Spielregeln vorgibt, die ihre wettbewerblichen Spielzüge kanalisieren. Für Eucken war wichtig, dass ein in dieser Hinsicht „starker Staat“ als Rechtsstaat stark genug ist, sich den Forderungen nach einer interventionistischen Außerkraftsetzung des Marktes zu entziehen und nicht der Versuchung zu erliegen, bestimmten Gruppen durch Privilegierung eine lukrative Ausnahmestellung im Wettbewerb zu verschaffen. Euckens Vorstellung bestand darin, dass die Autonomie der Wirtschaft politisch gestiftet werden muss: durch eine Wirtschaftspolitik, die als Wirtschaftsordnungspolitik den Rahmen definiert, in2
3
So liest man bei Böhm (1971, 1980; S. 203, H. i. O.): „Die Gewerbefreiheit hat [. . .] den Charakter einer sozialen Auftragszuständigkeit, die der Rechtfertigung durch den sozialen Nutzen bedarf.“ Zum Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Autonomie und rechtlicher Steuerung schreibt Böhm (1971, 1980; S. 203, H. i. O.): „Da in der marktwirtschaftlichen Ordnung die Aufgabe, die individuelle Aktivität auf den gesellschaftlichen Nutzen abzustimmen, dem Marktmechanismus anvertraut ist, hängt die rechtspolitische Sinnhaftigkeit der Gewerbefreiheit von der volkswirtschaftlichen Lenkungsqualität des Marktmechanismus ab. Ein Gesetzgeber, der die Gewerbefreiheit einführt, übernimmt die Garantie und die Sorge für die Lenkungsqualität des marktwirtschaftlichen Preissystems.“
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nerhalb dessen sich die wirtschaftliche Autonomie entfalten kann. Eucken ging es also um eine (rechts-)politische Inkraftsetzung des Marktes. Aber er betonte stets, dass es ihm dabei nicht nur auf die materielle Wohlstandsproduktion ankam. Vielmehr stellte er die Frage der Menschenwürde ins Zentrum seiner Argumentation. Der Ökonom Eucken wollte mit der rechtlichen Ordnungspolitik letztlich auch ein moralisches Problem lösen, wie die folgenden Zitate deutlich werden lassen, die auch nach mehr als einem halben Jahrhundert an Aktualität und Brisanz nichts eingebüßt haben: „Üblich ist es, die Aufgabe, die mit der Spannung zwischen Einzelinteressen und Gesamtinteresse gegeben ist, ausschließlich als ein Problem der sittlichen Erziehung anzusehen. Man spricht von der Notwendigkeit, Eigennutz oder Gewinnstreben oder „kapitalistischen Geist“ zu überwinden, und erhofft davon, dass nun alle Menschen dem Gesamtinteresse dienen. . . . Es ist eine ordnungspolitische Aufgabe, dieses Problem zu lösen. Der einzelne muss im Rahmen der Ordnung die Möglichkeit haben, mit seinen Handlungen, die er in Verfolg eines Sittengesetzes in seiner unmittelbaren Umwelt durchführt, zugleich zu der Verwirklichung des Gesamtinteresses beizutragen. . . . Von den Menschen darf nicht gefordert werden, was allein die Wirtschaftsordnung leisten kann: ein harmonisches Verhältnis zwischen Einzelinteresse und Gesamtinteresse herzustellen.“4
Die nun folgenden Überlegungen aus der Perspektive einer „ordonomischen“ Wirtschafts- und Unternehmensethik knüpfen unmittelbar hier an.5 Unternehmen, die Korruption zu einem Bestandteil ihres Geschäftsmodells machen, verletzen ihren gesellschaftlichen Auftrag. Ihr Verhalten ist nicht funktional, sondern dysfunktional, wenn man es aus der Ordnungsperspektive betrachtet. Korruption ist aber nicht nur ökonomisch, sondern gerade auch moralisch bedenklich. Hier lassen sich zwei Dimensionen unterscheiden: 4 5
Eucken (1952, 1990; S. 366, S. 367 ff.) Der „ordonomische“ Ansatz zur Wirtschafts- und Unternehmensethik – vgl. Pies (2008 a) – ist gekennzeichnet durch eine rational-choice-basierte Analyse von (Interdependenzen zwischen) Sozialstruktur und Semantik. Hierbei bezeichnet „Semantik“ die Begriffe und die ihnen zugrunde liegenden Denkkategorien, während die Bezeichnung „Sozialstruktur“ die institutionellen Anreizarrangements der Gesellschaft umfasst. Untersucht wird, inwiefern es zu Diskrepanzen zwischen Sozialstruktur und Semantik kommen kann, die sich als Denk- oder Handlungsblockaden bemerkbar machen. Das von Eucken thematisierte Problem, dass system(at)isch auftretende Interessenkonflikte oft individualethisch statt institutionenethisch aufgefasst werden, gehört zum Kernbestand dieses Forschungsprogramms, das aktiv dazu beitragen will, die gesellschaftliche Selbstaufklärung (der Semantik) und die gesellschaftliche Selbststeuerung (der Sozialstruktur) zu rationalisieren. Der ordonomische Ansatz zielt auf eine erklärende Theorie und eine gestaltende Politik der Gesellschaftsordnung.
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Durch Korruption erodiert das Systemvertrauen in der Marktwirtschaft, aber auch das Systemvertrauen in die Marktwirtschaft. Korruption verursacht neben wirtschaftlichen Kosten also auch gravierende Kollateralschäden im Hinblick auf die Legitimation marktlichen Wirtschaftens. Dies betrifft die wirtschaftsethische Dimension: Korruption ist ein Problem für die Wirtschaftsordnung. Demgegenüber steht in der unternehmensethischen Dimension im Vordergrund, dass Korruption auch ein Problem für die Unternehmensordnung darstellt: Korruption stürzt die Mitarbeiter in den Unternehmen in schwerste Entscheidungsnöte und existenzielle Krisen. Hier kommt es zu gravierenden Integritäts-, Loyalitäts- und Gewissenskonflikten. Oft sehen sich Mitarbeiter mit Anreizen konfrontiert, die es ihnen extrem schwer machen, sich moralisch zu verhalten. Nicht nur die Problemstellung, sondern auch die Lösungsidee lässt sich im Rekurs auf Franz Böhm und Walter Eucken profilieren. Als These formuliert: Korruptionsprävention ist ein Ordnungsproblem. Dass diese These ein enormes Innovationspotential – für Theorie und Praxis! – aufweist, ist der Gegenstand der folgenden Ausführungen.6 Sie gliedern sich in sechs Argumentationsschritte. Durch sie soll der Gedankengang klar strukturiert und so transparent wie möglich gemacht werden, um eine interdisziplinäre Verständigung über die Möglichkeiten und Grenzen einer wirksamen Korruptionsprävention zu erleichtern. Dem dient auch der vielleicht etwas extensive, doch durchgehend auf Anschaulichkeit zielende Einsatz von Graphiken. Zugleich soll im Hinblick auf die Theoriebildung deutlich werden, inwiefern der ordonomische Ansatz zur Wirtschafts- und Unternehmensethik das ordnungspolitische Denken der Klassiker konzeptionell weiterentwickelt.7 Der Beitrag endet mit einer systematisierenden Zusammenfassung.
1.
Eine elementare Unterscheidung: Belastungsversus Entlastungskorruption
Es gibt zwei Arten von Korruption. Die erste hat eine Nähe zur Erpressung. Hier wird eine Machtstellung ausgenutzt, um Interaktionspartnern Sonderleistungen abzunötigen. Es handelt sich um Belastungskorruption. Sie ist vor 6 7
Für eine ausführliche Argumentation mit zahlreichen Belegquellen zur theoretischen und empirischen Korruptionsforschung vgl. Pies (2008 b). Vgl. hierzu systematisch Pies (2000 a) und (2001).
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allem in Entwicklungsländern weit verbreitet.8 Die zweite Art dominiert in entwickelten Rechtsstaaten wie Deutschland. Man kann sie als Entlastungskorruption kennzeichnen. Sie wird von den unmittelbar Beteiligten – wie ein Tausch – als vorteilhaft empfunden. Allerdings handelt es sich um einen Tausch zu Lasten Dritter. Entlastungskorruption ist immer mit einem Vertrauensbruch verbunden: Hier wird eine Delegationsbeziehung missbraucht, um ein illegales Einkommen zu generieren. Typische Beispiele für Belastungskorruption sind die erzwungene Bestechungszahlung am Flughafen, ohne die Willkürakte drohen, durch die man nicht durch den Zoll kommt; oder das erzwungene Trinkgeld für die Verkehrspolizei, durch das verhindert wird, dass man bei der Verkehrskontrolle unnötigen Schikanen ausgesetzt wird; oder die Korruptionszahlung an einen Beamten, die verhindern soll, dass man auf eine bestimmte Genehmigung bis zum Sanktnimmerleinstag warten muss, obwohl man die rechtlichen Qualifikationen erfüllt. Typische Beispiele für Entlastungskorruption sind die Bestechungszahlung am Flughafen, um illegale Waren durch den Zoll zu schmuggeln; oder das – hier wortwörtlich zu nehmende – „Trinkgeld“, mit dem man einen Verkehrspolizisten dazu bewegt, ein Auge zuzudrücken, obwohl man mit Alkohol am Steuer erwischt wurde; oder die Korruptionszahlung an einen Beamten, um eine Genehmigung zu erhalten, die einem eigentlich nicht zusteht. Belastungskorruption gibt es vor allem im staatlichen Sektor, während Entlastungskorruption auch im privaten Sektor sowie bei Geschäften zwischen Staat und Privatwirtschaft vorkommt. Ein typisches Beispiel für eine rein privatwirtschaftliche Entlastungskorruption besteht darin, dass ein Unternehmen den Leiter der Beschaffungsabteilung seines Kunden besticht, um einen lukrativen Auftrag zu erhalten, für den man im fairen Leistungswettbewerb den Zuschlag nicht erhalten würde.9
8
9
Dass es in Ausnahmefällen aber auch in Deutschland – zumindest ansatzweise – zu Belastungskorruption kommen kann, zeigt z. B. ein von Bannenberg/Schaupensteiner (2004; S. 179–188) besprochener Fall der Vergabe von Aufträgen durch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Lange Zeit wurde Korruption ausschließlich als ein Phänomen der Beziehungen zwischen staatlichen Akteuren auf der einen und privaten Akteuren auf der anderen Seite thematisiert. Korruption in Geschäften zwischen rein privaten Akteuren geriet erst relativ spät in das Visier der Wissenschaft. Erste empirische Studien verdeutlichen die Dimension des Problems. So wurden einer Untersuchung aus dem Jahr 2005 zufolge 11% der weltweit 5.500 befragten Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren Opfer von Korruption durch andere Unternehmen. Vgl. Bussmann/Werle (2006).
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Beide Korruptionsarten sind sozialschädlich, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Belastungskorruption wirkt wie eine zusätzliche Steuer mit starken Verzerrungseffekten, die die volkswirtschaftliche Allokation beeinträchtigen. Entlastungskorruption hingegen legt die Axt an das marktwirtschaftliche Prinzip der arbeitsteiligen Zusammenarbeit, die ja konstitutiv darauf angewiesen ist, dass man auf die Integrität vertraglicher Leistungsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vertrauen kann. Auch hier wird also die volkswirtschaftliche Allokation stark beeinträchtigt. Es gibt aber auch einen wichtigen Unterschied: Im Fall der Belastungskorruption wird der Bestechende zur Zahlung gezwungen. Das würde er lieber vermeiden, am einfachsten dadurch, dass er den Erpresser bei dessen Vorgesetztem oder gleich bei der Polizei anzeigt. Deshalb funktioniert Belastungskorruption nur, wenn große Teile des Staatsapparates involviert sind, die die Korruptionspraxis decken. In Entwicklungsländern ist dies oft der Fall, zumal wenn die Einnahmen dazu verwendet werden, den stark unterbezahlten Staatsdienern ein existenzsicherndes Einkommen zu verschaffen. Im Fall der Entlastungskorruption hingegen will man aktiv bestechen, um sich einen illegalen Vorteil zu verschaffen. Hier gibt es keinen Interessenkonflikt zwischen dem aktiv Bestechenden und dem passiv Bestochenen, sondern vielmehr eine Interessenharmonie. Entlastungskorruption kann von beiden Seiten initiiert werden. Für Belastungskorruption ist dies undenkbar. Sie geht stets von demjenigen aus, der sich bestechen lässt. Im Folgenden ist mit Korruption immer Entlastungskorruption gemeint. Folglich besteht das Präventionsproblem – und mithin das moralische Anliegen der Wirtschafts- und Unternehmensethik – darin, eine kriminelle Interessenharmonie aufzubrechen. Hierbei sind zahlreiche Effekte zu bedenken, die zunächst kontra-intuitiv anmuten mögen. Deshalb wird die Argumentation Schritt für Schritt entwickelt.10 10
Ich danke Klaus Lüderssen für die wichtige Einsicht, dass sich Juristen und Wirtschaftsethiker manchmal in einer ähnlichen Situation befinden können: Lüderssen vertritt die These, die primäre Aufgabe der Strafrechtswissenschaftler bestehe nicht darin, mit Forderungen nach mehr Strafrecht aufzutreten. Eine wichtige Aufgabe sei vielmehr, solchen Forderungen – die populären Vorurteilen entsprechen, in der veröffentlichten Meinung stets lautstarke Vertretung finden und doch oft dysfunktional sind – warnend und mit differenzierenden Argumenten entgegenzutreten. Ich denke, Wirtschaftsethiker sind mit einem strukturanalogen Problem konfrontiert: Sie sehen sich oft einer öffentlich erregten Moralkommunikation gegenüber, die mit falschen Zuschreibungen arbeitet, weil auf persönliche Charaktereigenschaften einzelner Akteure zugerechnet wird anstatt auf institutionell bedingte
152
2.
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Das Problem der (Entlastungs-)Korruption
Schaut man bei der Entlastungskorruption nur auf die unmittelbar beteiligten Akteure – also nur auf den Agenten, der sich bestechen lässt, und nur auf den Klienten, der aktiv besticht –, so ist ein Korruptionsakt nicht von einem Tauschakt zu unterscheiden (Abb. 1). Denn bei einem Korruptionsakt werden Leistung und Gegenleistung aneinander gekoppelt, und zwar so, dass beide Seiten sich davon einen Vorteil versprechen.
Geldleistung
Agent
Klient
Gegenleistung Abbildung 1: Korruption als Tausch? Den – entscheidenden! – Unterschied zwischen einem Korruptionsakt und einem Tauschakt sieht man erst, wenn man das Blickfeld erweitert und betrachtet, dass der Agent in einem Delegationsverhältnis steht. Er hat den Auftrag, im Interesse eines Prinzipals zu handeln (Abb. 2). Dessen Vertrauen Fehlanreize. In einer solchen Situation besteht die vielleicht vornehmste Aufgabe der Wirtschaftsethik darin, „vor der Moral zu warnen“, um es mit Luhmann (1990; S. 41) zu sagen. Oder anders formuliert: Der moralische Rigorismus öffentlicher Moralkommunikation legt in vielen Fällen Maßnahmen nahe, die einer Verwirklichung moralischer Anliegen unter den Bedingungen einer modernen Gesellschaft oft eher im Weg stehen, als einer solchen Verwirklichung konstruktiv den Weg zu weisen. Insofern besteht die interessante Aufgabe der Wirtschaftsethik darin, den Moralismus – um der Moral willen! – zu kritisieren. Hierbei können kontraintuitive Erkenntnisse eine wichtige Rolle spielen, wie in den folgenden Ausführungen sogleich deutlich werden wird.
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153
wird missbraucht, seine Interessen werden verraten. Dies ist die Quelle der Sozialschädlichkeit von Korruption. Agent und Klient stellen sich wechselseitig besser, aber auf Kosten des Prinzipals. Ihr Korruptionsakt ist ein Geschäft zu Lasten Dritter. Der Prinzipal wird geschädigt. Damit er sich dagegen nicht wehren kann, versucht man, ihm die relevanten Informationen vorzuenthalten. Er wird hinters Licht geführt. Agent und Klient errichten eine Informationsbarriere. Dazu gehören vielfältige Maßnahmen: die Manipulation von Ausschreibungsunterlagen sowohl vor als auch nach einem öffentlichen Bietverfahren; ein konspirativer Austausch von Informationen; das Eingehen von Scheingeschäften und das Erbringen von Scheinleistungen sowie insbesondere die Organisation eines unauffälligen Transfers der illegalen Zahlungen („schwarze Kassen“).11 Schädigung!
Prinzipal
Informationsbarriere
Agent
Klient
Abbildung 2: Die Sozialschädlichkeit der Korruption Man sieht: Korruption ist ein Geheimhaltungsdelikt. Dies hat weit reichende Konsequenzen. Die Informationsbarriere führt nicht nur dazu, dass die Identität der Täter im Dunkeln bleibt. Sie bewirkt zudem, dass auch die Tat an sich in der Regel ohne gezielte (und damit aufwändige) Kontrollen nicht entdeckt werden kann.12 Korruption hinter einer Informationsbarriere ist wie 11
12
Für Details zur Organisation der „Schmiergeldwäsche“ vgl. Bannenberg/Schaupensteiner (2004, S. 77–92). Auch das „System Siemens“ bediente sich ausgeklügelter Verschleierungstaktiken. Vgl. hierzu Dahlkamp/Deckstein/Schmitt (2008). Darauf deutet auch die Höhe des Dunkelfeldes der Korruption hin, also der Anteil der nicht bekannt gewordenen Korruptionsfälle. So gehen die Behörden davon aus,
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ein Schwelbrand ohne Feuer und Rauch, bei dem Werte vernichtet werden, auch wenn dies lange Zeit unbemerkt bleibt.
3.
Die Schwierigkeiten einer Ordnungspolitik erster Ordnung
In Deutschland wird versucht, den Prinzipal mittels einer Ordnungspolitik erster Ordnung zu schützen: Der Staat tritt dem Prinzipal zur Seite. Vornehmlich mit Hilfe des Individualstrafrechts, das direkt an Agent und Klient adressiert wird, sollen Korruptionsakte sanktioniert werden (Abb. 3). Vom Einsatz des Strafrechts verspricht man sich nicht zuletzt auch eine präventive Wirkung. Doch die bleibt zumeist aus. Als Präventionsinstrument ist das Strafrecht ein sehr stumpfes Schwert, und zwar aus folgendem Grund: Die rechtsstaatlichen Instanzen sind im Prinzip mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert wie die Prinzipale selbst. Auch sie finden sich einer Informationsbarriere gegenüber. Dadurch fehlt es ihnen zumeist an einem Anfangsverdacht, der begründete Ermittlungen erlauben würde. Gerade durch ihre Geheimhaltung also unterlaufen Agent und Klient die strafrechtliche Bewehrung ihres Tuns. Die Entdeckungswahrscheinlichkeiten sind gering.
Prinzipal
Strafrecht
Informationsbarriere
Agent
Klient
Abbildung 3: Korruption als Geheimhaltungsdelikt dass das Dunkelfeld „erheblich“ sei. Vgl. Bundesministerium des Innern und Bundesministerium der Justiz (2001, S. 162–172) sowie Bundeskriminalamt (2005, S. 7 und S. 18). Andere Autoren beziffern den Anteil der nicht entdeckten Fälle sogar auf 95%. Vgl. etwa Bannenberg/Schaupensteiner (2004, S. 37–38).
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Im Prinzip ließe sich die geringe Entdeckungswahrscheinlichkeit (über-)kompensieren, wenn man die Strafen entsprechend anheben würde. Doch dies ist weder möglich, noch wäre es wünschenswert. Im Rechtsstaat gibt es gute Gründe, die Strafhöhe am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auszurichten. Damit sind der Strategie, mit den Mitteln des Strafrechts wirksame Korruptionsprävention zu betreiben, sehr enge Grenzen gesetzt. Diese Art von Ordnungspolitik erster Ordnung läuft tendenziell ins Leere.
4.
Die fundamentale Asymmetrie
Auf den ersten Blick könnte es so aussehen, als gäbe es wenig Hoffnung, dem Problem der Korruption wirksam begegnen zu können. Doch eine erneute Ausweitung des Blickfeldes kann hier konstruktiv(istisch) weiterhelfen (Abb. 4). Mit ihrer Hilfe lässt sich eine fundamentale Asymmetrie identifizieren. Sie bildet einen geeigneten Ansatzpunkt für die Lösung des Problems. Prävention kostengünstiger/ effektiver
Informationsbarriere
Prävention teurer/ weniger effektiv
Agent
Klient
Informationsbarriere
Prinzipal
Eigentümer
Abbildung 4: Die fundamentale Asymmetrie Man betrachte zunächst den Agenten: Der korrupte Agent nimmt Geld an. Dieses Geld fließt direkt auf sein privates Konto. Es geht nicht durch die Geschäftsbücher des Prinzipals. Deshalb hat der es so schwer, die Informationsbarriere zu durchbrechen. Man betrachte nun den Klienten. Der Klient, der aktiv besticht, verwendet dafür nicht sein eigenes Geld, sondern das Geld des Unternehmens, für das er arbeitet und dem er durch Korruption einen illegalen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen versucht. Der Klient bedient sich aus einer schwarzen Kasse.
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Das markiert den entscheidenden Punkt: Im Prinzip fällt es den Eigentümern des bestechenden Unternehmens, das diese schwarze Kasse bildet, sehr viel leichter als dem letztlich geschädigten Prinzipal, die Informationsbarriere zu durchbrechen. Hier zeigt sich eine fundamentale Asymmetrie zwischen dem Prinzipal – also dem Auftraggeber des Agenten – und den Eigentümern – also den Auftraggebern des Klienten.
5.
Das Unternehmensinteresse an einer wirksamen Korruptionsprävention
Auf den ersten Blick scheint immer noch nicht viel gewonnen zu sein. Die fundamentale Asymmetrie besagt ja zunächst nur, dass es den Eigentümern des bestechenden Unternehmens leichter fällt als den Prinzipalen des bestochenen Unternehmens, die Informationsbarriere zu durchbrechen und an die relevanten Informationen heranzukommen. Zunächst sieht es vielleicht so aus, um das Problem möglichst griffig zu formulieren, dass die Prinzipale die Korruption bekämpfen wollen, dies aber nicht können, während die Eigentümer – aufgrund der fundamentalen Asymmetrie – die Korruption zwar vielleicht (vergleichsweise leichter) bekämpfen können, dies aber nicht wirklich wollen. Schließlich sind sie doch die (vermeintlichen) Nutznießer der Korruption, denn immerhin ist es ihr Unternehmen, dem der Klient einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz zu verschaffen versucht, indem er den Agenten besticht. Abb. 5 zeigt, wie man das Blickfeld nochmals erweitern muss, um die hier aufgeworfenen Fragen zu beantworten.
Prinzipal
Agent
Klient
Eigentümer
Klient
Eigentümer
Klient
Eigentümer
Konkurrierende Unternehmen
Abbildung 5: Das Problem des Korruptionswettbewerbs
Wie aktiviert man die Selbstheilungskräfte des Marktes?
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Auf Wettbewerbsmärkten ist systematisch davon auszugehen, dass nicht nur das eigene Unternehmen, sondern auch die Konkurrenten im Markt alles daransetzen werden, um im Wettbewerb zu bestehen. Deshalb darf man das Unternehmen des Klienten nicht isoliert betrachten. Vielmehr muss man es sich systematisch im Zusammenhang mit den jeweiligen Konkurrenten anschauen. Erweitert man das Blickfeld solchermaßen, dann wird erkennbar, dass sich viele Unternehmen in einem dilemmatischen Korruptionswettlauf befinden. Dessen Anreizstruktur ist so beschaffen, dass sich jedes Unternehmen so verhält, wie es das von den anderen befürchtet. Die Folge ist eine kollektive Selbstschädigung, aus der man freilich nicht gut allein wieder herausfindet (Abb. 6).
U2 ja n e i n
nein II
IV a,d
c,c
b,b
d,a
U1 j a
III
IIII
d;c ;b ;a Alternative: Korruption begehen? Abbildung 6: Korruptionswettbewerb als soziales Dilemma Im Korruptionswettlauf steht jedes Unternehmen vor der Wahl, ob es mitmacht oder ob es aus der Korruptionspraxis aussteigt. Bewertet man jede der vier möglichen Strategiekombinationen aus Unternehmenssicht, so zeigt sich, dass sich die Unternehmen in einer Art Gefangenendilemma befinden. Zur Erläuterung: Das eigentliche Ziel, wenn man auf Korruption als Geschäftsmodell setzt, besteht darin, dadurch einen illegalen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz zu erlangen. Aus Sicht des Unternehmens U1 markiert
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daher Quadrant II das attraktivste Ergebnis (pay-off d).13 Demgegenüber bestünde mit Quadrant IV das schlechteste Ergebnis (pay-off a) darin, das einzige ehrliche Unternehmen im Markt zu sein und von den anderen per Korruption ausgebootet zu werden. Wenn aber nun alle Konkurrenten ebenfalls versuchen, durch Korruption ihr Geschäft voranzubringen, so fallen zwar Anfütterungskosten und Korruptionszahlungen an, doch wird die zugrunde liegende Absicht konterkariert, einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Den Unternehmen entstehen dann nur Mehrkosten. Deshalb ziehen sie die Strategiekombination in Quadrant I der Strategiekombination in Quadrant III vor. Sie wären also durchaus daran interessiert, allesamt auf Korruption zu verzichten. Doch zeigen die Pfeile in Abb. 6, dass für jedes Unternehmen die dominante Strategie darin besteht, auf Korruption zu setzen. Die Unternehmen realisieren Quadrant III, obwohl sie dies eigentlich nicht wollen. Dieser Punkt ist so wichtig, dass er etwas näher erläutert werden sollte. Wenn man bei einer Branche beobachtet, dass viele Unternehmen mit Korruption arbeiten, so bedeutet das nicht, dass Unternehmen prinzipiell kein Interesse daran haben, auf Korruption zu verzichten. Dies wäre ein Non-sequiturFehlschluss. Man muss nämlich unterscheiden zwischen den Handlungsinteressen in einer gegebenen Situation und den Regelinteressen an einer Situationsänderung. Im sozialen Dilemma eines Korruptionswettlaufs ist es nun gerade so, dass die Handlungsinteressen auf Korruption gerichtet sind. Ein jedes Unternehmen glaubt, es sich nicht leisten zu können, allein aus dem Korruptionswettlauf auszusteigen. Also machen alle mit. Die Folge ist eine kollektive Selbstschädigung. Genau die aber konstituiert ein gemeinsames Regelinteresse: Alle Unternehmen könnten sich besserstellen, wenn es ihnen gelänge, sich kollektiv zu binden und gemeinsam glaubwürdig auf Korruption zu verzichten. Das bedeutet im Klartext: Eine wirksame Korruptionsprävention muss man den Unternehmen nicht aufs Auge drücken. Sie stellt die Unternehmen besser, nicht schlechter. Die Unternehmen haben ein gemeinsames Regelinteresse daran, aus dem sozialen Dilemma eines Korruptionswettlaufs befreit zu werden.
6.
Die Optionen einer Ordnungspolitik zweiter Ordnung
Das gemeinsame Regelinteresse der Unternehmen an einer wirksamen Korruptionsprävention lässt sich nur dann aktivieren, wenn man auf breiter 13
Der Buchstabe vor dem Komma gilt für U1, der danach gilt für die Konkurrenz.
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Front alle Unternehmen gleichzeitig mobilisiert und das Trittbrettfahren unattraktiv macht. Das Strafrecht ist hierzu allein kaum in der Lage. Es adressiert in erster Linie die unmittelbar involvierten „Täter“ und verschärft damit bei Agenten und Klienten das Bemühen um eine perfekte Geheimhaltung. Deshalb ist – komplementär zum Strafrecht – ein anderer Ansatz erforderlich. Er muss bei den Eigentümern der bestechenden Unternehmen das Interesse wecken, konsequent gegen Korruption vorgehen zu wollen. Hierzu ist das Haftungsrecht für Organisationen prinzipiell besser geeignet als das Strafrecht für Individuen: In dem Maße, wie die Eigentümer eines Unternehmens für ein etwaiges Fehlverhalten ihrer Organisation haftbar gemacht werden, entsteht bei den Eigentümern – neben dem bereits bestehenden Regelinteresse nun auch – ein pro-aktives Handlungsinteresse daran, wirksam gegen Korruption vorzugehen. Nur so lässt sich in den Unternehmen der Schleier des Nichtwissens lüften – und vor allem: der Schleier des Nichtwissenwollens. Im Unterschied zum Strafrecht, das als eine Ordnungspolitik erster Ordnung den Versuch darstellt, das Korruptionsproblem durch eine staatliche Maßnahme direkt in den Griff zu bekommen, muss eine wirksame Korruptionsprävention darauf setzen, die fundamentale Asymmetrie für sich in Dienst zu nehmen und mittels einer Ordnungspolitik zweiter Ordnung das Problem indirekt, aber umso wirkungsvoller anzugehen: Eine Ordnungspolitik zweiter Ordnung setzt Anreize zur Anreizsetzung in und durch Unternehmen. Im Klartext: Letztlich sind es die Unternehmen selbst, die die Korruption bekämpfen müssen, aber es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, sie in die Lage zu versetzen, ihr Regelinteresse an Integrität auch als Handlungsinteresse im konkreten Wirtschaftsalltag umzusetzen. Sanktionen gegen Unternehmen, aus denen heraus mit Korruption gearbeitet wird, sind ein geeignetes Mittel zur Korruptionsprävention.14 Sie sorgen dafür, dass Manager von den Eigentümern sehr unangenehme Fragen gestellt bekommen, wenn sie sich nicht für eine professionelle Korruptionsprävention einsetzen. Im Status quo ist es – trotz Strafrecht oder vielleicht auch wegen des Strafrechts – oft anders herum, denn es besteht ganz offenkundig die Tendenz, das Problem auf die kriminellen Täter abzuwälzen, anstatt es auf Fehlanreize in der Organisation zuzurechnen. 14
Die Vereinigten Staaten spielen hier eine Vorreiterrolle. In den USA gibt es umfangreiche Regelungen für unternehmensinterne Präventionssysteme gegen Wirtschaftskriminalität und – etwa in Form der „Sentencing Guidelines“ – empfindliche Sanktionen bei Nichteinhaltung dieser Vorschriften. Jüngsten Untersuchungen zufolge zeigen diese Regelungen tatsächlich eine stark präventive Wirkung. Vgl. Bussmann (2007).
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(1) Ein effektives Präventionsprogramm besteht im Wesentlichen aus fünf Elementen, die auf durchaus individuelle Weise so ausgestaltet und miteinander kombiniert werden können, dass den spezifischen Besonderheiten jedes Unternehmens Rechnung getragen wird. • Korruptionsprävention erfordert, auf die gelebte Kultur eines Unternehmens – sei es re-aktiv, sei es pro-aktiv – Einfluss zu nehmen. Schließlich müssen Verhaltensroutinen und eingespielte Geschäftspraktiken nachhaltig verändert werden. Das hierfür am besten geeignete Instrument ist ein Verhaltenskodex.15 Durch ihn lassen sich die Führungskräfte und Mitarbeiter eines Unternehmens für das Problem sensibilisieren. Aber auch die Lösungsoptionen können durch einen Verhaltenskodex vorstrukturiert werden. Mit seiner Hilfe lässt sich kommunizieren, welche Anforderungen das Unternehmen an die Loyalität seiner Mitarbeiter und Führungskräfte stellt – und vor allem: wie es die Grenzen falsch verstandener Loyalität festgelegt wissen will. Richtig eingesetzt, ist ein Verhaltenskodex weit mehr als nur ein beschriebenes Blatt Papier. Es handelt sich vielmehr um ein Instrument der unternehmensstrategischen Selbstverständigung und Selbstverpflichtung, mittels dessen eine Organisation ihre alltäglich gelebte Kultur definieren und weiterentwickeln kann. Freilich vermag ein Verhaltenskodex sein Potential als Steuerungsinstrument nur dann voll zu entfalten, wenn seine Integration ins Alltagsleben durch das Management gezielt unterstützt wird. Verletzungen des Kodex’ müssen arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, sich in der Entlohnung niederschlagen und bis hin zur Entlassung führen können – wohlgemerkt: für Mitarbeiter und Führungskräfte. Ein Verhaltenskodex muss ferner als ein Prozess angelegt sein, der mit Hilfe partizipativer Elemente kontinuierlich fortgeschrieben wird, so dass er sich an den realen Problemen der Organisation und ihrer Lebenswirklichkeit ausrichtet. • Korruptionsprävention ist eine unternehmerische Querschnittsaufgabe. Deshalb darf man sie nicht dem Zufall überlassen. Vielmehr muss die Kompetenz, gegen Korruption vorzugehen, organisatorisch verankert werden. In der Praxis bewährt es sich – unter welcher Bezeichnung auch immer –, ein Büro für Integritätsmanagement einzurichten, damit es im Unternehmen eine Person oder eine Abteilung gibt, die ein Karriereinteresse daran hat, unangenehmen Fragen nicht auszuweichen und, wenn es sein muss, den Finger in die Wunde zu legen. Mit Hilfe geeigneter Stellenanreize kann man gezielt darauf einwirken, wie spezialisiert und wie professionell die Kompetenz zur Korruptionsprävention im Unternehmen ausgeübt wird. 15
Vgl. Beckmann/Pies (2007).
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• Korruption ist ein Geheimhaltungsdelikt. Im Regelfall hat man es innerhalb des aktiv bestechenden Unternehmens aber nicht mit einem Einzeltäter, sondern mit einer Tätergruppe zu tun. Mehrere Personen müssen zusammenarbeiten und sich wechselseitig decken, wenn Kontrollen unterlaufen, schwarze Kassen angelegt und beispielsweise zur Auftragsakquise eingesetzt werden sollen. Insofern zielt die Bekämpfung von Korruption darauf, Schweigekartelle aufzubrechen bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen. Hierfür ist eine besondere Anreizkombination von „Zuckerbrot und Peitsche“ geeignet, die in der Fachliteratur als „Kronzeugenregelung“ bekannt ist. Sie führt dazu, dass das Schweigekartell in einen Geständniswettlauf überführt wird, in dem jeder Mittäter versucht, einer Anzeige durch andere zuvorzukommen, indem er sich selbst offenbart und dafür einen differenzierten Strafnachlass erhält.16 • In einem bestechenden Unternehmen gibt es üblicherweise nicht nur Mittäter, sondern auch Mitwisser. Letztere sind an der Korruption nicht aktiv beteiligt. Insofern hätten sie eigentlich die Möglichkeit, auf Missstände hinzuweisen, ohne eine Strafverfolgung riskieren zu müssen. Aber oft dulden sie die illegalen Aktivitäten der Mittäter passiv. Die Gründe hierfür können zahlreich sein. Sie reichen von einer falsch verstandenen Loyalität mit korrupten Vorgesetzten über die Angst vor Repressalien von Seiten der Täter bis hin zur Befürchtung, als „Verräter“ gebrandmarkt und von Kollegen geschnitten zu werden. Ein bewährtes Instrument zur Aktivierung der Mitwisser sind anonyme Hinweissysteme („whistle-blowing“). Sie schützen die Identität der Mitwisser und ermöglichen dennoch die Aufnahme gezielter Ermittlungen. Systeme für anonyme Hinweisgeber, etwa durch Einschaltung einer externen Ombudsperson, sind ein hoch wirksames Instrument zur Bekämpfung von Korruption. Mit ihrer Hilfe lassen sich nicht nur bereits vorhandene Schweigekartelle der Mittäter aufdecken. Von ihnen geht auch eine ausgesprochen präventive Abschreckungswirkung aus, die potentielle Täter davon abhält, sich auf Korruption überhaupt einzulassen.17 16
17
Gegenwärtig können Korruptionstäter in Deutschland bei einer umfassenden Zusammenarbeit zur Aufklärung des Falls auf eine Reduktion des Strafmaßes durch das Gericht hoffen. Aber sie können eben nur hoffen. Vonnöten wäre eine Lösung, die Strafminderungen verbindlich regelt und so bereits vor der endgültigen Entscheidung des Gerichts Rechtssicherheit schafft. Zum Thema Whistleblowing vgl. Leisinger (2003) und Rohde-Liebenau (2005). Dass es hier einen besonders großen Bedarf an interdisziplinärer Verständigung (und größerer Sachkunde) gibt, zeigt die zwar meinungsstarke, aber doch ausgesprochen ar-
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• Diese internen Maßnahmen – vom Verhaltenskodex über ein Büro für Integritätsmanagement bis hin zu den beiden wichtigsten Instrumenten der Korruptionsprävention, die auf Mittäter und Mitwisser im eigenen Unternehmen zielen – lassen sich durch externe Maßnahmen flankieren, mit denen ein Unternehmen versuchen kann, auch seine Konkurrenten „ins Boot zu holen“. Hier reichen die Maßnahmen von Branchenvereinbarungen und kollektiven Selbstverpflichtungen bis hin zu projektorientierten „Integritätspakten“, wie sie etwa von „Transparency International“ für große Auftragsausschreibungen empfohlen und initiiert werden.18 Auch öffentliche Bekenntnisse zur Bekämpfung von Korruption – beispielsweise im Rahmen des „Global Compact“ der Vereinten Nationen – dienen dazu, mit dem Thema offensiv umzugehen und das eigene Umfeld – insbesondere die eigenen Konkurrenten – zur Integrität anzuhalten.19 Richtig eingesetzt, sind interne und externe Maßnahmen komplementär. Sie ergänzen und unterstützen sich wechselseitig: Ohne interne Maßnahmen fehlt es dem externen Engagement an Glaubwürdigkeit. Und umgekehrt kann externes Engagement die Kosten interner Maßnahmen deutlich reduzieren.20 Schließlich haben alle Unternehmen, die ohne Bestechung arbeiten wollen, ein gemeinsames Interesse daran, dass der Korruptionssumpf trockengelegt wird, um etwaige Wettbewerbsnachteile zu vermeiden – und den mit Skandalen verbundenen Kollateralschäden zu entgehen. (2) Neben dem Gesetzgeber können aber auch diverse gesellschaftliche Akteure dafür sorgen, dass die Unternehmen mit Anreizen versorgt werden, sich ernsthaft um Korruptionsprävention zu bemühen. Sie können aktiv dazu beitragen, dass die Unternehmen ein „enabling environment“ vorfinden, also mit einem gesellschaftlichen Umfeld konfrontiert werden, in dem sie ein vitales Eigeninteresse daran entwickeln, ihre Organisation als moralisch in-
18 19 20
gumentationsschwache Äußerung von Leutheusser-Schnarrenberger/Mahrenholz/Prantl/ Salditt (2006; S. VI), mit der sie sich pauschal gegen Whistleblowing-Systeme wenden: „Der Staat wird, in ehrenwerter Absicht, weil er Korruption zu bekämpfen versucht, selber korrupt – weil er unsaubere Mittel und Methoden benutzt.“ Solche Einschätzungen mögen populär sein. Sie ignorieren jedoch die guten Erfahrungen mit solchen Instrumenten, die nicht nur außerhalb, sondern mittlerweile auch innerhalb Deutschlands gemacht wurden. Folglich sollte man solche Instrumente nicht einfach pauschal ablehnen, sondern das Augenmerk konstruktiv auf die – möglicherweise z. T. kulturspezifischen – Bedingungen für eine erfolgreiche Implementation richten. Vgl. Transparency International (2002). Vgl. Global Compact (2004). Vgl. Meyer zu Schwabedissen (2008).
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tegren Akteur zu konstituieren. Für eine erfolgreiche Kontext-Steuerung im Wege einer Ordnungspolitik zweiter Ordnung sind folgende Punkte hilfreich. • Schwarze Listen: Korrupte Unternehmen sollten fest damit rechnen müssen, auf längere Zeit von Aufträgen ausgeschlossen zu werden.21 • Best practices: Die fünf Kernelemente der Korruptionsprävention sollten als Standard für „good governance“ aufgefasst und von den Unternehmen öffentlich eingefordert werden. Hierbei können Organisationen der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Auch die Wirtschaft selbst muss hier aktiv(er) werden, indem man sich nicht nur über die Produktqualität der Geschäftspartner informiert, sondern sich auch ihrer Prozessqualität versichert. • Die Kapitalmärkte müssen lernen, das strukturelle Bemühen um Korruptionsprävention als Beitrag zum Risikomanagement zu honorieren. Erste Ansätze hierzu gibt es bereits. Sie könnten forciert werden.22 • Von Seiten der Medien sollten Unternehmen nicht nur an Einzelfällen gemessen werden, sondern vor allem daran, wie ernsthaft sie sich bemüht haben, möglichen Einzelfällen systematisch vorzubeugen. Die fünf Kernelemente der Korruptionsprävention bieten hierfür leicht überprüfbare Anhaltspunkte. (3) Eine Ordnungspolitik zweiter Ordnung will die Unternehmen dafür gewinnen, strukturelle Vorkehrungen gegen Korruption zu treffen und mit der organisatorischen Verankerung moralischer Integrität Ernst zu machen. Eine erfolgreiche Korruptionsprävention erfordert Maßnahmen, die letztlich nur die Unternehmen selbst ergreifen können: Wirksame Prävention gibt es nur in und durch Unternehmen. Dabei macht es aber einen großen Unterschied, ob Korruptionsprävention in den Unternehmen als „Compliance“-Thema oder aber als „Integritäts“Thema aufgefasst (und bearbeitet) wird. Ist ersteres der Fall, so neigen Unternehmen dazu, interne Compliance-Abteilungen aufzubauen, die in erster Linie juristisch orientiert sind. Ist hingegen letzteres der Fall, so werden Abteilungen aufgebaut, die sich als Beitrag zur Qualitätssicherung und zum Risikomanagement verstehen. Das Strafrecht fördert eine ComplianceOrientierung und verursacht dadurch in den Unternehmen hohe Kosten. Das 21 22
Vgl. Kehrberg (2004) und Transparency International (2004, S. 48). Die von den Vereinten Nationen initiierten „Principles for Responsible Investment“ sind ein Vorstoß in diese Richtung. Vgl. http://www.unpri.org/files/pri.pdf.
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Haftungsrecht hingegen würde eine Integritäts-Orientierung fördern: eine Um-Orientierung vom Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter hin zu den Prozessfehlern der Organisation, die zu beheben eine genuine Managementaufgabe konstituiert, welche sich zudem in das Managementsystem des Unternehmens problemlos eingliedern lässt, anstatt – wie ein Fremdkörper – künstliche Sonderstrukturen zu erfordern. Unternehmen müssen lernen, nicht nur die Qualität ihrer Produkte, sondern auch die Qualität ihrer Geschäftsprozesse professionell zu steuern. Sie lernen dies leichter, wenn sie Korruption als ein Prozessrisiko erfahren, für das sie haftbar gemacht werden. Hinzu kommt, dass sich Risiken monetär bewerten (und sogar versichern) lassen. Dadurch werden Unternehmen in die Lage versetzt, den Kosten diverser Präventionsmaßnahmen entsprechende Nutzenberechnungen (im Sinne von Risikominderungen) gegenüberzustellen. Die Lernprozesse der Unternehmensorganisation werden dadurch wesentlich beschleunigt und befördert.
Zusammenfassung und Ausblick (1) Dem traditionellen Verständnis von Ordnungspolitik zufolge setzt der Staat die institutionelle Rahmenordnung. Er definiert die Spielregeln des Marktes, die die wirtschaftlichen Akteure bei ihren Spielzügen zu beachten haben. Dieses traditionelle Verständnis muss in dreierlei Hinsicht modifiziert und konstruktiv weiterentwickelt werden, um auch zukünftig Orientierungskraft entfalten zu können: (a) Zahlreiche Probleme überschreiten die Grenzen eines Nationalstaates und müssen daher international geregelt werden. (b) Die internationalen „New-Governance“-Prozesse der Regelfindung und Regelsetzung finden unter Beteiligung nicht-staatlicher Organisationen statt. Neben Nationalstaaten und ihren Zusammenschlüssen avancieren zivilgesellschaftliche Institutionen und Unternehmen zu politischen Akteuren (welt-)gesellschaftlicher Selbstorganisationen. Daraus folgen neue Anforderungen – an das Selbstverständnis der Akteure und an die Koordinationsfähigkeit politischer Prozesse, aber auch an das heuristische Potential demokratischer Politikberatung sowie – last not least – an die interdisziplinäre Verständigung über gesellschaftliche Selbststeuerungsoptionen. (c) Viele Probleme lassen sich nicht im direkten Durchgriff regeln. Zahlreiche Interaktionen sind so komplex, dass sie nur durch eine Hierarchie von Spielregeln angemessen eingerahmt werden können. Hier kann der Fall auftreten, dass staatliche Akteure nicht erst im Hinblick auf die Befolgung von Spielregeln,
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sondern bereits beim Setzen der Spielregeln auf die konstruktive Mitarbeit gesellschaftlicher Akteure angewiesen sind. Genau das ist beim Thema Korruptionsprävention der Fall. Die zentrale These dieses Beitrags lautet: Korruptionsprävention ist ein Ordnungsproblem, dessen Lösung eine Ordnungspolitik zweiter Ordnung erfordert: nicht nur das Setzen von Anreizen, sondern das Setzen von Anreizen zur Anreizsetzung in und durch Unternehmen. Konkret bedeutet dies, dass eine erfolgreiche Eindämmung der Korruption nicht ohne die Unternehmen – und schon gar nicht gegen die Unternehmen –, sondern nur mit den Unternehmen organisiert werden kann. Die entscheidende Frage lautet, wie man die Unternehmen ins Boot holt: wie man sie als Organisationen (als Corporate Citizens) daran interessiert, durch eigenes Engagement in Form präventiver Maßnahmen der Korruption wirksam zu begegnen. Diese These lässt sich in Anlehnung an Franz Böhm und Walter Eucken entwickeln, obwohl sie in konzeptioneller Hinsicht auch über beide hinausgeht: Dass Korruptionsprävention ein Ordnungsproblem darstellt, liegt ganz auf der Argumentationslinie von Walter Eucken. Aber dass sie eine Ordnungspolitik zweiter Ordnung erfordert, weist über ihn hinaus. – Dass durch eine wirksame Korruptionsprävention die Autonomie der Wirtschaft gestärkt werden soll, liegt ganz auf der Argumentationslinie von Franz Böhm. Aber dass sich die Selbstheilungskräfte des Marktes nicht allein durch staatliches Handeln aktivieren lassen und dass es zur Bereitstellung eines „enabling environment“ vielmehr auch auf zivilgesellschaftliche Organisationen und sogar auf die Unternehmen selbst ankommt, weist über Böhm hinaus. (2) Die These dieses Beitrags lässt sich abschließend auch in Anlehnung an Ronald H. Coase entwickeln, der für den Gedanken Pate steht, dass Juristen und Ökonomen wechselseitig voneinander lernen können, wenn es darum geht, die Rechtsetzung des Gesetzgebers an Funktionalitätsüberlegungen auszurichten. Auch hier sind zwei Punkte hervorzuheben. Zum einen dekonstruiert Coase ein – wenn auch populäres, so doch – primitives Verständnis des Verursacherprinzips. Im Hinblick auf negative Externalitäten – etwa im Umweltbereich – weist er darauf hin, dass es irreführend ist, den Sender der Externalität als Schädiger (und folglich als Täter) sowie den Empfänger der Externalität als Geschädigten (und folglich als Opfer) aufzufassen. Dieser physische Verursachungsbegriff sei irreführend, weil es für die Gesetzgebung allein auf die ökonomische Verursachung ankomme, und die sei durch Reziprozität gekennzeichnet. Die klassische Formulierung dieses – in der Literatur oft missverstandenen – Arguments lautet:
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„The question is commonly thought of as one in which A inflicts harm on B and what has to be decided is: how should we restrain A? But this is wrong. We are dealing with a problem of a reciprocal nature. To avoid the harm to B would inflict harm on A. The real question that has to be decided is: should A be allowed to harm B or should B be allowed to harm A?“23
Streng analog hierzu kann argumentiert werden, dass nicht Agent und Klient – als die vom Strafrecht adressierten „Täter“ – das eigentliche Korruptionsproblem verursachen, sondern dass der eigentliche Verursacher die Organisation ist, für die der Klient arbeitet. Denn deren Fehlanreize erst erlauben es, schwarze Kassen zu bilden, die dann zur Bestechung eingesetzt werden. Insofern ist es nur konsequent, wenn eine Ordnungspolitik zweiter Ordnung die Unternehmen adressiert und dafür zu gewinnen versucht, ihre internen Organisationsanreize in Ordnung zu bringen. Zum anderen dekonstruiert Coase die ökonomische Modellwelt ohne Transaktionskosten. Er weist explizit darauf hin, wie wichtig Transaktionskosten sind. Für ihn sind sie auch deswegen so wichtig, weil es in einer Welt ohne Transaktionskosten – zwar nicht für die Distribution, wohl aber – für die Allokation ohne Belang wäre, wie die Rechte in der Ausgangsverteilung für Marktprozesse zugewiesen werden. Auch dieses Argument ist in der Literatur oft missverstanden worden. Aber es besagt, dass die Tätigkeit des Gesetzgebers vor allem deshalb eine ökonomisch eminente Bedeutung hat, weil es Transaktionskosten gibt. Die klassische Formulierung dieses Arguments lautet: „Once the costs of carrying out market transactions are taken into account . . . the initial delimitation of legal rights does have an effect on the efficiency with which the economic system operates. One arrangement of rights may bring about a greater value of production than any other. But unless this is the arrangement of rights established by the legal system, the costs of reaching the same result by altering and combining rights through the market may be so great that this optimal arrangement of rights, and the greater value of production which it would bring, may never be achieved.“24
Streng analog kann argumentiert werden, dass im Status quo die Verteilung der Rechte zwischen „Opfern“ und „Tätern“ – wohlgemerkt: die Verteilung der Haftungsrechte zwischen der Organisation der Prinzipale und der Organisation der Eigentümer – nicht berücksichtigt, dass eine marktliche Umverteilung dieser Rechte durch hohe Transaktionskosten behindert wird. Deshalb sollte sie vom Gesetzgeber so vorgenommen werden, dass die erwünschte Expost-Verteilung der Rechte bereits ex ante weitgehend realisiert wird. 23 24
Coase (1960; S. 2). Vgl. hierzu auch ausführlich Pies (2000 b). Coase (1960; S. 7 f.).
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(3) In Anlehnung an Coase besteht das eigentliche Problem in einer Fehlallokation der Präventionsanstrengungen von Eigentümern und Prinzipalen: Insgesamt sind die Präventionsanstrengungen zu gering, und vor allem stimmt die Aufteilung nicht. Die Eigentümer tun zu wenig, und – auch wenn dies vielleicht kontra-intuitiv anmuten mag – die Prinzipale tun zu viel. Abb. 7 hilft, den Sachverhalt anschaulich zu machen. GK, GN GKP
Erläuterung: Ohne Koordination realisieren die Prinzipale y1, die Eigentümer x1. Mit Koordination realisieren die Prinzipale y2, die Eigentümer x2.
GNP
y
y3
GKE
GNE
y1
y2
x1
x2
x
Abbildung 7: Das ordnungspolitische Problem der Präventionsrente Im rechten Teil der Graphik sind die – von links nach rechts zu lesenden Kurven für – Grenzkosten und Grenznutzen der Präventionsanstrengungen x des (potentiell) bestechenden Unternehmens aus Sicht der Eigentümer abgetragen. Die Grenzkostenkurve verläuft relativ flach. Die Grenznutzen sind vergleichsweise gering. Im linken Teil der Graphik sind die – von rechts nach links zu lesenden Kurven für – Grenzkosten und Grenznutzen der Präventionsanstrengungen y des (potentiell) bestochenen Unternehmens aus Sicht der Prinzipale abgetragen. Die Grenzkostenkurve verläuft relativ steil. Die Grenznutzen sind vergleichsweise hoch. Die fundamentale Asymmetrie zwischen Prinzipalen und Eigentümern kommt in dem unterschiedlichen Verlauf der Grenzkostenkurven zum Ausdruck. Erfolgt aufgrund hoher Transaktionskosten eine isolierte Optimierung, so wählen die Eigentümer das Anstrengungsniveau x1, während die Prinzipale das Niveau y1 wählen. Dieses Ausgangsgleichgewicht ist nicht effizient: Könnten Eigentümer und Prinzipale miteinander in Interaktion treten und
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kostenlos einen Vertrag miteinander aushandeln, so würden sie den Spielraum für Pareto-Verbesserungen voll ausnutzen und eine Allokation von Präventionsanstrengungen vereinbaren, derzufolge die Eigentümer das Niveau x2 realisieren, während die Prinzipale ihr eigenes Anstrengungsniveau auf y2 reduzieren und dennoch in den Genuss von y3 gelangen. Der hierdurch realisierbare Wohlfahrtsgewinn entspricht der Fläche des schraffierten Vielecks im linken Teil der Graphik. Sie repräsentiert die Präventionsrente, d. h. ein „Win-Win“-Potential wechselseitiger Besserstellung, das durch eine verbesserte Allokation der jeweiligen Präventionsanstrengungen realisiert werden kann. Das entscheidende Hindernis auf dem Weg zu einer erfolgreichen Bekämpfung von Korruption besteht mithin in einem „missing market“: im Fehlen eines Austauschprozesses zwischen den Eigentümern der bestechenden und den Prinzipalen der bestochenen Unternehmen im Hinblick auf die Allokation von Präventionsanstrengungen. Aus der hier entwickelten Perspektive steht also nicht im Vordergrund, dass der Staat für die Bekämpfung von Korruption zu wenig Geld ausgibt. Im Vordergrund steht vielmehr, dass gegenwärtig noch keine Rechtsordnung verfügbar ist, die die Beteiligten und Betroffenen dazu veranlasst, ihre für die Korruptionsprävention individuell eingesetzten Ressourcen dezentral besser aufeinander anzupassen. Hierbei sollte man sich folgende Pointe nicht entgehen lassen: Haftungsregeln für bestechende Unternehmen würden zu einer Umverteilung von Rechten führen, durch die der gesellschaftlich verfügbare Wohlstand nicht schrumpft, sondern wächst. Durch eine geeignete Ordnungspolitik zweiter Ordnung wird das Recht als Steuerungsmedium so intelligent eingesetzt, dass moralische Integrität nicht nur individuell belohnt, sondern auch durch einen höheren gesellschaftlichen Wohlstand prämiert wird. Eine solche Perspektive zeigt, das „economics, law, and ethics“ zusammengehören und dass der in Aussicht genommene Dialog zwischen den Disziplinen nicht nur theoretisch interessant, sondern auch praktisch bedeutsam sein kann.
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Selbstregulierungskompetenz versus justizielle Auslegungskompetenz Wolf Schiller Wolf Schiller Selbstregulierungskompetenz versus justizielle Auslegungskompetenz Bei der Frage nach pragmatisch-präventiven Alternativen beschäftigen sich die nachfolgenden Ausführungen generell mit dem Tatbestand der Untreue im Sinne von § 266 StGB, fragmentarisch mit Aspekten der schadensgleichen Vermögensgefährdung. Trotz kompetenter Stimmen, die Zweifel hieran äußern, ist der Untreuetatbestand des § 266 das Wirtschaftsdelikt, der Kernbereich des Wirtschaftsstrafrechts. In seiner seit 1933 (!) bis heute gültigen Fassung versteht sich der Untreuetatbestand als die maßgebliche strafrechtliche Vorschrift, über die staatliche Wirtschaftslenkung erfolgt, die bei der Auslegung des Tatbestandes unter Ausnutzung strafrechtlicher Eingriffsmöglichkeiten auch intendiert war und ist. Die Instrumentalisierung des Strafrechtes zur Durchsetzung von Zielen der Wirtschaftslenkung hat keine legitime Grundlage, weil Wirtschaftslenkung nicht Aufgabe des Strafrechtes sein darf, Wirtschaftslenkung vielmehr mit Mitteln des Wirtschaftsrechtes zu erfolgen hat. Im Zusammenhang mit Korruption ist eine Reihe „praktischer Programme“ auf dem Markt vorhanden und ein solches Programm steht beispielsweise in Form der Check-Liste für „Self-audits“ über Transparency International zur Verfügung. Ob Korruptionsbekämpfung durch Adaptierung strafrechtlicher Parameter bei der inhaltlichen Gestaltung von Präventionskatalogen zu Recht in aller Munde ist, mag für heute dahinstehen. Es besteht Grund zur Sorge, dass die Qualität dieser Konzepte durch die Vielzahl der ausgesprochenen Empfehlungen bereits Effektivitätseinbußen erleidet. Die Justiz zeigt sich in der konkreten Rechtsanwendung derzeit noch unbeeindruckt. So sehr Organmitglieder und verantwortliche Geschäftsführer von Personenoder Kapitalgesellschaften die Korruptionsproblematik mit ihrem kriminalphänomenologischen Schwerpunkt im Mitarbeiterbereich (sich aus den Er-
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mittlungen zum Siemens Komplex aufdrängende Korrekturerfordernisse bezüglich dieses Ansatzes werden nicht verkannt) als drängenstes Problem betrachten mögen, ist gleichwohl die vordringlichste Frage, wie sich ein an nach seinem Verständnis geltenden Normen orientiert handelnder Unternehmer auch im Falle des wirtschaftlichen Misserfolges gegen den aufkommenden Verdacht, diesem liege strafbares Verhalten zugrunde, wehren kann. Es geht nicht um zugegebenermaßen strafrechtlich relevantes Verhalten, bei dem der offenkundige Pflichtenverstoß aus Eigennutz oder fremdnützig erfolgt. Hier mag das Strafrecht seinen Platz haben. (In gebotener Weise wäre auch diese Aussage zu problematisieren. Sie ist zunächst Arbeits-Hypothese). Meine Überlegungen fokussieren das Erscheinungsbild erfolglosen, Verlust bringenden unternehmerischen Handelns; in Potenz: unternehmerische Entscheidungen die durch nicht zu unternehmerischer Verantwortung Berufene eine externe Definition und so strafrechtliche Subsumtion erfahren. Wenn ich weiter bei Fallkonstellationen bleibe, denen jegliche Elemente der Eigen- oder Fremdnützigkeit fehlen, – Überlegungen, die Eigennützigkeit könne bereits durch erfolgsabhängige Vergütungen indiziert sein, gehe ich nicht weiter nach, weil der Gesetzgeber es z. B. in § 87 AktG den zuständigen Gremien vorbehalten hat, erfolgsabhängige Vergütungen zu vereinbaren – muss ich von einem marktwirtschaftlichen Konsens ausgehen, wonach mit unternehmerischem Handeln jedenfalls auch das Eingehen von Risiken verbunden ist, ohne die wirtschaftliches Handeln nicht denkbar ist, weil mit Risiken eben auch Chancen verbunden sind, an deren Realisierung angestrebter unternehmerischer Erfolg sich „zu Recht“ festmacht. Die das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Untreueverdachtes regelmäßig prägende „ex post“ Definition unternehmerischer Entscheidungen als „ex ante“ unvertretbare Überschreitung freien unternehmerischen Ermessens muss – ausgehend von dem vorzitierten Konsens – zunächst als ein venire contra factum proprium erscheinen. Dieser kritische Ansatz – Ihnen allen bekannt – verliert seine Argumentationskraft nicht über den Hinweis auf die Auslegungskompetenz des Strafrichters und dessen vom Gesetz in § 262 StPO zugestandene Fähigkeit, auch die Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten kompetent zu entscheiden. Die in der alltäglichen Praxis umgesetzte Autonomie des Strafrechtes hat eben nicht in der Sache spezialisierte Staatsanwälte und Richter und deren Rechtsauffassungen zur Grundlage. Sie ist, wie die Praxis erweist, auch nicht auf Grenzfälle des nicht vertretbaren Handelns und/oder krasser Fehlent-
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scheidungen beschränkt. Das „Teilsystem Wirtschaftsrecht“ ist hier nicht repräsentiert. Die Tatsache, dass Lehrmeinungen, vor allem aber die Rechtsprechung strafbares von nicht strafbarem unternehmerischem Handeln im Rahmen des subjektiven Tatbestandes bzw. über Irrtumsregeln auszugrenzen versuchen, macht die Fragwürdigkeit der praktizierten Subsumtionsschemata deutlich. Die Schwäche einer Verteidigungsstrategie, die auf mangelnden Vorsatz oder Irrtum abstellt, brauche ich den anwesenden Kolleginnen und Kollegen, die über entsprechende Verteidigungserfahrung verfügen, nicht zu erklären. Pragmatisch-präventive Alternativen müssen sich daher an der Überlegung orientieren, welche Instrumentaria dem Unternehmer zur Verfügung stehen, sich auch im Falle des unternehmerischen Misserfolges vor einer strafrechtlichen Verdachtsschöpfung zu schützen. Ferner, auf welche Weise der Rechtsprechung durch vom Gesetz vorgesehene bzw. vorzusehende unternehmerische Selbstregulierung die Möglichkeit repressiven Zugriffes genommen werden kann. Derartige Strategien sind nicht Konzepte zur Verschleierung des „wahren“ Sachverhalts, sondern durch Transparenz schaffende Strukturen gekennzeichnet. Wird konzediert, dass unternehmerisches Handeln regelmäßig zunächst auf Prognosen basierendes Verhalten ist, geht es nicht darum, euphemistische ex post Argumentationen aufzubauen, sondern die Determinanten prognostischer Entscheidungen bezogen auf den Handlungszeitpunkt intersubjektiv nachvollziehbar zu machen. Es gehört zu den Belastungen einer Verteidigung gegen den Untreuevorwurf, sich mit einer Unternehmensführung nicht vertrauten Wirtschaftsreferenten und Staatsanwälten und deren Bewertung von vertretbarem bzw. unvertretbarem Handeln und den Komponenten freien unternehmerischen Ermessens auseinander zu setzen. Diese These wird durch den Umstand erhärtet, dass die Ermittlungsbehörden nahezu ausnahmslos und letztlich auch die Gerichte auf externe Sachverständigengutachten zurückgreifen müssen. Dieses Unwohlgefühl erfährt seine Steigerung, wenn Verteidigungsbemühungen dadurch belastet sind, dass entgegen grundsätzlich geltenden strafprozessualen Maximen für den Mandanten der „Gegenbeweis“ (im Sinne einer Beweislastumkehr) zu erbringen ist, wonach der festgestellte Vermögensnachteil in seiner eine Pflichtverletzung indizierenden Funktion so nicht prognostizierbar war (vgl. § 93 Abs. 2 AktG).
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Für den Unternehmer gilt es, ex ante unternehmerische Entscheidungen in ihren Determinanten, vor allen Dingen bezüglich der vorgenommenen Abwägungsprozesse zu dokumentieren, um so der Auslegungskompetenz des Strafrichters die sachlich gebotenen wirtschaftsrechtlichen Auslegungsgrenzen aufzuzeigen. Corporate Governance (§ 161 AktG) und Bilanzeid (§ 243 Abs. 2 HGB) sind hierbei ebenso wenig geeignete Instrumentaria wie die Einrichtung und Unterhaltung von Compliance Abteilungen. Ethik-Codices, Unternehmensrichtlinien, Policies oder Guidelines – wie immer sie heißen mögen – sind in der Grundaussage für die Unternehmensführung maßgeblich und Ausdruck von Kompetenz, die sich nach innen wie nach außen richtet. Sie können und sollen Selbstbindung einerseits entfalten und die Grundlage für zivilrechtliche Haftungsbegrenzung sein (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Geeigneter Schutz vor der Erfassung unternehmerischen Misserfolges als strafrechtliches Unrecht sind sie definitiv nicht. Die Schlussfolgerungen aus den empirischen Untersuchungsergebnissen der Universität Münster, wonach die Unternehmensrichtlinien überwiegend Feigenblatt-Funktion haben, teile ich nicht. Die Angaben mancher (Individual-)Verteidiger, die die Basis für die vorgenannten Untersuchungsergebnisse bilden, könnten sich vor dem Hintergrund von (Schutz-)Erklärungen des von den Ermittlungen betroffenen einzelnen Mitarbeiters verstehen, wenn sich dieser bezüglich seines – den Unternehmensrichtlinien widersprechenden Verhaltens – auf das „augenzwinkernd“ mitgeteilte Einverständnis des Geschäftsherrn berufen hat, was nicht den Tatsachen entsprechen muss. So hat der zweite Senat des BGH in der mündlichen Verhandlung zum so genannten Siemens I Verfahren auf die Erklärung eines Verteidigers, die Unternehmensrichtlinien des Konzerns seien bekanntermaßen „nicht ernst“ gemeint gewesen, den Standpunkt bezogen, für eine solche Annahme ergäben weder die tatrichterlichen Feststellungen Anhaltspunkte noch gäbe es ansonsten belastbare Hinweise, die ein solches Verständnis rechtfertigen könnten. Dass die effektive Durchsetzung solcher Codices im Sinne einer Sanktionierung – gerade bei Korruptionsdelikten – auch an arbeitsrechtliche und datenschutzrechtliche Grenzen stößt, ist evident. Die eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der Telekom und der Deutschen Bahn im Zusammenhang mit der „Überwachung von Mitarbeitern“ eröffnen eine zusätzliche strafrechtliche Perspektive.
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Im Zusammenhang mit Untreuesachverhalten sind solche Unternehmensrichtlinien jedenfalls wenig hilfreich. Die Installation von Compliance Bereichen, als „Funktionsträger beim Schutz vor und nicht (nur) bei der Verfolgung von rechtsverletzenden Geschäftspraktiken“, sollte der Kommunikation von – legalen Unternehmenszielen – legalen Geschäftspraktiken – und – der Prävention vor Missverständnissen bezüglich des Primats der Gewinnmaximierung in Anlehnung an die Ethik Codices dienen. Compliance erweist sich in der Praxis aber verstärkt als Quasi-Aufsicht im Sinne einer verlängerten Eingriffsmöglichkeit der Ermittlungsbehörden bzw. der Aufsichtsinstitute. Sie ist geprägt und belastet von der vermeintlichen Verpflichtung, durch vorauseilenden Gehorsam Konflikte mit diesen zu vermeiden. Bei der Abwehr von Untreuevorwürfen gegenüber Organen einer Kapitalgesellschaft waren Strategien und Überwachungsergebnisse von Compliance Abteilungen in ihrer praktischen Erheblichkeit bis dato wenig hilfreich. Der häufig erhobene Verdacht verstärkende Vorwurf, die Unternehmensleitung habe Compliance nicht eingebunden, basiert auf dem unsachlichen Verständnis dieses Unternehmensbereiches als „Supervision“ der operativen Geschäftsführung; ein Verständnis, das mit § 76 AktG nicht zu vereinbaren ist. Das Management kann sich zu seiner Rechtfertigung im strafrechtlichen Sinne auch nicht darauf berufen, der Compliance-Bereich sei eingeschaltet gewesen. Bei den nicht strafrechtlichen alternativ-präventiven Selbstregularien bzw. Selbststeuerungsmechanismen oder -programmen muss es darum gehen, die Auslegungskompetenz des Strafrichters zu den prognostischen Elementen unternehmerischer Entscheidungen zu limitieren. Es muss darum gehen, für den Fall unternehmerischen Misserfolges die Entscheidungsparameter dokumentiert vorhalten zu können, die schon objektiv tatbestandsmäßig die Annahme einer Pflichtverletzung ausschließen. Dann stellt sich – jedenfalls strafrechtlich – die Frage nach der Relevanz einer schadensgleichen Vermögensgefährdung nicht, insbesondere auch nicht vor dem Hintergrund bilanzrechtlicher Bewertungsfragen, aus deren Beantwortung auf eine effektive Schadenszufügung geschlussfolgert werden soll.
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Hier geht es nicht um eine dem „Schutz des Strafverfahrens entzogene“ Offenlegung und Transparenz unternehmerischer Entscheidungen, sondern um die Dokumentation der Struktur unternehmerischen Handelns und seiner Grundlagen, die eo ipso gesellschaftsrechtlich seitens der operativ handelnden Organe geschuldet ist. Mit derartigen Strategien sind auch die Organisationserwartungen angesprochen, denen sich das Management schon nach § 130 OWiG stellen muss. Die im Sinne einer wohlverstandenen strafrechtlichen Akzessorietät vom Gesetzgeber zugestandene Gestaltungskompetenz der Organe von Kapitalgesellschaften für derartige Dokumentationen findet beispielsweise in den §§ 91 Abs. 2 AktG und 25 a KWG ihre Rechtsgrundlage, ist Ausdruck der Selbstbegrenzung des Staates bezüglich der der Justiz zugestandenen Auslegungskompetenz. Soweit die Installation von Risikomanagement bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften (§ 317 Abs. 4 HGB) fakultativ ist, kann sie gleichwohl Gebot unternehmerischer Vernunft in jedem Wirtschaftsunternehmen sein; lassen sich entsprechende Funktionen auch ohne weiteres auf Personengesellschaften übertragen und dort implementieren, ist dies de lege ferenda als obligatorisch anzudenken. Eine dahingehende Pflicht ist Gebot der Systemvernunft, dem im Interesse der Selbstregulierung und des Schutzes anvertrauten Vermögens zu entsprechen ist. Die Unterlegung unternehmerischer Konzepte mit derartigen Programmen, die nicht nur Risiken für das betreute Vermögen an sich, sondern auch für das Vermögen der Geschäftspartner und damit Regressrisiken im Außenverhältnis reflektieren müssen, und zwar vor Durchführung des Geschäftes, lassen die Erwartung gerechtfertigt erscheinen, dass die Prognoseentscheidungsparameter in der Retrospektive die im Ergebnis nachteilige Entscheidung als gleichwohl unternehmerisch vertretbar erscheinen lassen. Die inhaltliche Strukturierung derartiger Programme, an der Ökonomen wie Juristen mitzuwirken hätten, kann und muss die aktuellsten wirtschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen und – orientiert an den aktuellen Marktentwicklungen – ihre jeweilige Fortschreibung erfahren. Hier bereitet auch die Erfassung/Erfüllung von Informationsanforderungen und -pflichten keine Schwierigkeit. Ebenso ist eine Einzelunternehmen übergreifende Adaptierung derartiger Programme möglich, und auf der Grundlage volkswirtschaftlicher Überlegungen zur Reduzierung finanziellen Kriminalitätsbekämpfungsaufwandes
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im Rahmen der Reduzierung der Transaktionskosten auch unternehmerisch geboten, wie dies Prof. Pies dargelegt hat. Konkret den Inhalt solcher Programme anzusprechen, würde den Rahmen der heute möglichen Ausführungen überschreiten, sollte einer sich hierauf konzentrierenden Folgeveranstaltung vorbehalten bleiben, an der aktive Unternehmer zu beteiligen wären. Kritikern, die auch solchen Risikomanagementprogrammen unter strafrechtlichen Gesichtspunkten eine Alibibedeutung beimessen wollen – eine solche Funktion kommt eher den Ergebnissen vom Rating Instituten zu, denen aktuell Legitimationsfunktion beigemessen werden soll, obwohl die Institute „ungeprüft“ von den Unternehmern gelieferte Daten verwerten – ist entgegenzuhalten, dass die tatbestandsausschließende Wirkung bei entsprechender Formalisierung im Rahmen unternehmerischen Handelns durchaus dogmatische Konsequenz ist. Eine Ergänzung des § 266 StGB um Elemente, bei deren Vorliegen bereits die Annahme objektiv tatbestandsmäßigen Handelns ausgeschlossen ist, könnte sich an § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG orientieren. In BGHSt 47, 295 ff (Herzklappenfall) stellt der 1. Senat zu § 331 StGB als strafrechtlich nicht schutzbedürftig dar, wenn bei der Entgegennahme von Vorteilen das (hochschulrechtlich) vorgegebene Verfahren eingehalten, namentlich die Annahme der Mittel vom Empfänger angezeigt und genehmigt wird. Bei der Einhaltung des bei der Drittmitteleinforderung vorgegebenen Verfahrens scheidet tatbestandsmäßiges Handeln, mithin eine Rechtsgutgefährdung aus. Bei Einhaltung der Vorgaben laufe der Vorteilsnehmer kaum je Gefahr, in den Verdacht der Vorteilsannahme zu geraten. Verlässliche Richtschnur werden ihm auch in einem nichtjuristischen Sinne die allgemeinen Regeln der Lauterkeit und Offenheit bieten. Dies gilt es für § 266 StGB im Rahmen der angedachten Risikobegrenzungsprogramme auszufüllen. Nach Ansicht des BGH schließt das Durchlaufen von standardisierten intersubjektivierbar nachprüfbaren und seitens des Unternehmens installierten Risikobegrenzungsprogrammen die Annahme einer Vermögensgefährdung und die Annahme einer Pflichtverletzung objektiv tatbestandlich aus. Soweit einer solchen Übersetzung auf § 266 StGB widersprochen werden könnte, weil sich der BGH im Wesentlichen an die Vorgaben des Gesetzgebers in § 331 Abs. 3 StGB anlehnt, ist auf die tatbestandsausschließende Bedeu-
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tung der Einwilligung des Geschäftsherrn im Rahmen des § 266 StGB hinzuweisen. Im Jahresabschluss zu dokumentierende und vom Abschlussprüfer zu prüfende Risikomanagementprogramme haben die Vermutung für sich, dass über diese und ihre Inanspruchnahme mit dem Eingehen von unternehmerischen Risiken nur solche betroffen sind, die dem Interesse des Unternehmens und damit den Interessen von Share- und Stake-Holder entsprechen. Die rechtliche Bedeutung von formalisierten Schutzprogrammen findet sich ebenso in § 319 StGB, dort allerdings bezogen auf ein abstraktes Gefährdungsdelikt mithin eine Tatbestandsstruktur, die zwar mit § 266 StGB nicht vergleichbar, für die aber die Bedeutung solcher Programme im Sinne eines argumentum a majore ad minus Platz greifen kann. Inwieweit unternehmensethische Konzepte in solche Risikoszenarien im Sinne einer marktwirtschaftlich oder sozialmarktwirtschaftlich verträglichen Selbstbegrenzung eingebunden werden können oder müssen, bleibt der Ausgestaltung eines strafrechtsfreien Verständnisses unternehmerischen Ermessens vorbehalten. Solange nach § 266 StGB (nur) das Einverständnis des Geschäftsherren bezüglich des unternehmerischen Vorhabens tatbestandsausschließend wirkt (beachte die Grenzen zur Existenzgefährdung), sind repressiven Sanktionsbemühungen in Bezug auf die unternehmensethischen Konzepte ggf. über die verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantien Grenzen gesetzt. Das aktuelle Geschehen am Kapitalmarkt macht in Form des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes allerdings deutlich, dass bei entsprechend weit reichenden negativen Konsequenzen nicht-strafrechtliche Regelungsmechanismen auch aus Sicht des Staates – jedenfalls zunächst – den Vorzug verdienen. Allerdings ist abzusehen, dass nach einem gewissen Zeitablauf die Frage nach den individuell Verantwortlichen ggf. auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten gestellt werden wird. Bereits jetzt lassen Einzelfälle der sogenannten Finanzmarktkrise erkennen, dass bei der Einschätzung der strafrechtlichen Relevanz unter Untreuegesichtspunkten der Frage maßgebliche Bedeutung zukommen wird, ob die die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen auslösenden Geschäftsvorfälle der Kontrolle durch die installierten Risikomanagementprogramme unterworfen wurden. Dies gilt insbesondere, soweit eine Abwicklung der Vorgänge unter Einbindung von Auslandstöchtern erfolgt ist, worüber die „externe“ Erfassung von risikobehafteten Geschäftsvorfällen möglich war.
Selbstregulierungskompetenz versus justizielle Auslegungskompetenz
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Insoweit wird sich zeigen, ob es die Manager verstanden hatten, die vom Gesetzgeber in den §§ 91 Abs. 2 AktG und 25 a KWG zur Verfügung gestellten Selbstschutz- und Selbstregulierungsmodalitäten zu nutzen. Für die Zukunft scheint dies unabdingbar. Damit ist – ich greife kritischen Anmerkungen vor – nicht der strafrechtliche Zugriff erweitert, weil etwa die Nichtbeachtung von RisikomanagementVerfahren den Untreuevorwurf indiziert. Wenn es richtigerweise beim Einsatz strafrechtlicher Mittel um Rechtsgüterschutz, d. h. nicht um die Sanktionierung von Treupflichtverletzungen geht, verbleibt es für den Fall, dass Risikobegrenzungsprogramme nicht beachtet bzw. nicht umgesetzt wurden beim derzeitigen Stand, was wenig zufriedenstellend, aber zunächst hinzunehmen ist. Für den von mir unterbreiteten Vorschlag und die bereits bestehende Rechtslage gilt: Die Qualität der Risikobegrenzungsprogramme ist der Auslegungskompetenz des Strafrichters entzogen, weil bei Installation und Beachtung der Überwachungssysteme zur Früherkennung gefährdender Entwicklungen den Transparenz- und gesellschaftsrechtlichen Konsensanforderungen des Wirtschaftsrechtes entsprochen ist. Unabhängig von der späteren Realisierung von Verlusten scheidet dann tatbestandmäßiges Handeln i. S. von § 266 StGB aus. Mit der Installation entsprechender gesellschaftsrechtlich konsentierter Risikobegrenzungsprogramme kann – kostengünstig – effektive Risikobegrenzung betrieben und so ein entsprechender Anreiz für den Unternehmer geschaffen werden, sich gleichzeitig von Risiken der Verdachtsschöpfung zu befreien. Dem hätte der Gesetzgeber durch Ergänzung des § 266 StGB Rechnung zu tragen.
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Martin Böse
Der Preis: Zu breite, intensive und schlecht überprüfbare Kontrolle? Das Strafrecht die liberalere Lösung? Martin Böse Martin Böse Der Preis: Zu breite, intensive und schlecht überprüfbare Kontrolle?
Gliederung
1. Zum Verhältnis von Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung – „zu breite“ Kontrolle? 2. Die Eigenüberwachung als Alternative zum Strafrecht – zu „intensive“ Kontrolle? 3. Resümee
Die Subsidiarität des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes und der ultimaratio-Gedanke werden gemeinhin als gesicherte Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafrechts angesehen, denen die Suche nach privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Instrumenten zur Prävention von Wirtschaftsstraftaten als Alternativen zur Einführung neuer Strafvorschriften geschuldet ist.1 In Bezug auf das Wirtschaftsstrafrecht werden jedoch Zweifel an der uneingeschränkten Geltung dieser Grundsätze geäußert. So hat Klaus Tiedemann bereits vor mehr als drei Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass das Strafrecht in bestimmten Konstellationen als das mildere (und damit nicht als das letzte) Mittel in Betracht kommen kann, um Wirtschaftsstraftaten zu verhindern.2 Nach Ansicht von Tiedemann greift das Strafrecht in der Form der abstrakten Androhungsprävention – d. h. durch die abschreckende Wirkung der Strafandrohung – weniger als alle sonstigen Maßnahmen in die Freiheit des Unternehmers ein, denn strafrechtlichen Tatbeständen könnten die Betroffenen durch normkonformes Verhalten ausweichen, während öffentlich-rechtliche Regulierungsmaßnahmen, insbesondere präventive verwaltungsrechtliche Verbote
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S. aus der Rechtsprechung BVerfGE 88, 203, 258; 96, 10, 25; 96, 245, 249; NJW 2008, 1137, 1138; aus dem Schrifttum s. statt vieler Roxin Strafrecht AT, Bd. I, 4. Aufl. 2006, § 2 Rn. 97 ff. m. w. N. Tiedemann Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht 1969, S. 145 (in Fn. 22); ders. ZStW 87 (1975) 253, 266 f.; ders. Wirtschaftsstrafrecht – Einführung und Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 2007, Rn. 63 a.
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mit Erlaubnisvorbehalt notwendigerweise jeden, d. h. auch den „rechtstreuen“ Unternehmer träfen.3 Gegen diese Sichtweise sind zunächst zwei Einwände zu erheben: Zum Einen ist die Androhungsprävention nicht zum „Nulltarif“ zu haben; auch die strafbewehrte Verhaltensnorm greift, zumal wenn ein neues Verbot geschaffen wird, in die Grundrechte aller Wirtschaftsteilnehmer ein. Mit der Androhung von Strafe für ein bestimmtes Verhalten wird überdies schwerer in die allgemeine Handlungsfreiheit eingegriffen, als wenn dem Normadressaten im Fall eines Verstoßes öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Sanktionen i. w. S. drohen.4 Zum Anderen stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die von einer Kriminalisierung bzw. behördlichen Überwachung ausgehenden Eingriffe in die Grundrecht verschiedener Normadressaten gegeneinander „verrechnet“ werden können; insofern ist zweifelhaft, ob der im Einzelfall intensivere Eingriff gegenüber dem Einzelnen (Strafe) mit der Entlastung Vieler hinreichend begründet ist.5 Gerade der letzte Einwand schließt es aus meiner Sicht aus, in der strafrechtlichen Intervention das „mildere“ Mittel zu sehen; andererseits kann es dem Gesetzgeber nicht von vornherein verwehrt sein, die in der behördlichen Überwachung liegende zusätzliche Belastung sämtlicher Unternehmen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i. e. S. zu berücksichtigen und dabei die betroffenen Grundrechtspositionen gegeneinander abzuwägen. In bestimmten Konstellationen kann daher eine Durchbrechung des ultima-ratio-Prinzips wenn nicht geboten, so doch zumindest zulässig sein. Die verfassungsrechtliche und kriminalpolitische Bewertung hängt also letzten Endes von der konkreten Ausgestaltung der Alternativen ab.6 Ungeachtet der dem Gesetzgeber zustehenden Beurteilungsspielräume möchte ich im Folgenden auf einige Gesichtspunkte eingehen, die gegen einen vorschnellen Rückgriff auf das Strafrecht als vorgeblich „liberalere“ Lösung spre3
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5 6
Tiedemann ZStW 87 (1975) 253, 266 f., mit dem Beispiel der Einführung einer Strafvorschrift zur Erstattung falscher Wertgutachten als Alternative zur Begründung einer gewerberechtlichen Erlaubnispflicht für eine solche Tätigkeit. S. dazu näher Böse in Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.) Die Rechtsgutstheorie – Legitimationsbasis des Strafrechts oder dogmatisches Glasperlenspiel? 2003, S. 89, 91 ff., 95. Hefendehl Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, 2002, S. 235; vgl. auch Tiedemann Wirtschaftsstrafrecht (o. Fn. 2) Rn. 63 a. Hefendehl aaO; s. auch Achenbach ZStW 119 (2007) 789, 813; grundsätzlich kritisch zur Leistungsfähigkeit des ultima-ratio-Gedankens: Schmidt-Jortzig in FS BVerfG, Bd. II, 2001, S. 505, 509.
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chen, und dabei zugleich die in der Überschrift anklingenden Einwände gegen die unternehmerische Eigenüberwachung zur Prävention von Wirtschaftskriminalität aufgreifen.
1.
Zum Verhältnis von Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung – „zu breite“ Kontrolle?
Die oben referierte Kritik öffentlich-rechtlicher Regelungen wendet sich in der Hauptsache gegen die Unterwerfung sämtlicher Unternehmer unter ein behördliches Überwachungsregime. Gleichwohl erscheint die Wahrnehmung der Wirtschaftsaufsicht als ein gegenüber dem Wirtschaftsstrafrecht zu breit angelegtes Kontrollsystem verkürzt: Die behördliche Überwachung hat in der Regel eine sehr viel umfassendere Funktion als das Wirtschaftsstrafrecht, denn sie soll Gefahren (und nicht nur Straftaten) abwenden. Wie die gegenwärtige Finanzkrise und der Ruf nach einer Regulierung der Finanzmärkte zeigt, geht es nicht allein um die Prävention von Wirtschaftskriminalität, sondern darum, die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes insgesamt und umfassend zu gewährleisten. Dies gilt ebenso für die privatrechtliche Selbstregulierung bzw. Selbststeuerung: Soweit diese allgemein darauf gerichtet ist, den „Fortbestand der Gesellschaft“ zu sichern (§ 91 Abs. 2 AktG) bzw. „ethische“ Grundsätze für das Verhalten der Mitarbeiter niederzulegen,7 geht sie in ihrer Zielrichtung weit über die Prävention von Wirtschaftsstraftaten hinaus. Die „breite“ Kontrolle ist dann nicht der Preis für den Verzicht auf das Strafrecht, sondern für eine umfassende Abwehr von Gefahren bzw. Haftungsrisiken, unter Umständen sogar weitergehender der Einhaltung ethischer Gebote. Da die öffentlich-rechtliche und die privat-rechtliche Regulierung insoweit mehr leistet als das Strafrecht, wird ihre Legitimation durch das Strafrecht als (vermeintlich) schonenderes Mittel nicht in Frage gestellt. Aufgrund der (zum Teil) abweichenden Ziele scheidet das Strafrecht damit in der Regel als Alternative zur öffentlich-rechtlichen Überwachung aus; dementsprechend wird im Schrifttum mit Recht konstatiert, dass der Gesetzgeber in der Regel (z. B. im Subventionswesen) beide Instrumente miteinander kombiniert.8 So wäre 7 8
S. insoweit Sieber in FS Tiedemann, 2008, S. 449, 451, 455 und passim. Hefendehl (o. Fn. 5) S. 234 f.; Schünemann in GS Armin Kaufmann, 1989, S. 629, 632 f.; Volk JZ 1982, 85, 88.
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es beispielsweise unsinnig, angesichts der Strafbarkeit des Subventionsbetruges (§ 264 StGB) auf behördliche Kontrollen zu verzichten, die u. a. auch auf die Aufdeckung von zu Unrecht gewährten Leistungen abzielen, die nicht auf betrügerische Weise erlangt worden sind.9 Soweit der Gesetzgeber bereits zur allgemeinen Gefahrenabwehr ein öffentlich-rechtliches Überwachungsregime errichtet hat, stellt sich daher regelmäßig nur noch die Frage, ob es zur Ergänzung bzw. Flankierung dieses Überwachungsregimes darüber hinaus einer Einführung von Strafvorschriften bedarf; insoweit ist und bleibt das Strafrecht das „letzte Mittel“, das auf den bereits bestehenden Regelungen des öffentlichen Rechts und des Zivilrechts aufbaut: Es stellt sich regelmäßig nur noch die Frage, ob das Strafrecht zusätzlich zu den bereits vorgesehenen präventiven oder restitutiven Maßnahmen eingesetzt werden soll.10 Dennoch zeigt ein Blick auf das öffentliche Wirtschaftsrecht, dass die behördliche Überwachung unterschiedlich stark ausgeprägt sein und dem Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht im Verhältnis zum Verwaltungsrecht durchaus eine komplementäre Funktion zukommen kann. So hat der Gesetzgeber im Lebensmittelrecht auf ein behördliches Verfahren zur Konkretisierung der dem Hersteller obliegenden Pflichten (z. B. zur Kennzeichnung) verzichtet, um dessen wirtschaftliche Betätigung nicht unnötig zu behindern, und statt dessen auf die „Präventionswirkung“ des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts gesetzt.11 Ein solcher Verzicht auf staatliche Regulierung erweist sich jedoch nur bedingt als milderer Eingriff, wenn die strafbewehrte Verhaltensnorm aufgrund ihrer Unbestimmtheit ein solches Maß an Rechtsunsicherheit erzeugt, dass der Adressat einen hohen Aufwand betreiben muss, um den Verbotsinhalt zu ermitteln, und bzw. oder in Grenzfällen im Hinblick auf das Strafbarkeitsrisiko von (möglicherweise erlaubten) Handlungen Abstand nimmt. Unternehmerische Handlungsspielräume werden auf diese Weise durch die „überschießende“ Wirkung der Androhungsprävention beschnitten oder können
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Vgl. das Beispiel von Volk JZ 1982, 85, 88. Böse in Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (o. Fn. 4) S. 89, 94; Lagodny Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 348; Wohlers Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, 2000, S. 77. S. BT-Drucks. 7/255, S. 23; 11/4309, S. 7; s. insoweit auch BVerwG DÖV 1992, 790, 792; Hammerl ZLR 1995, 15, 17; vgl. auch die entsprechenden Erwägungen zum 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drucks. 10/318, S. 11.
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erst mit erheblichem Beratungsaufwand (wieder) erschlossen werden.12 Besonders deutlich zeigt sich die freiheitsbeschränkende Wirkung bei Verboten, die vom Gesetzgeber mehr oder weniger bewusst (zu) weit gezogen und mit einem „Korrekturvorbehalt“ versehen werden; als Beispiel sei § 20 a Abs. 2 WpHG genannt, der Handlungen von dem strafbewehrten Verbot der Kursund Marktpreismanipulation ausnimmt, die – gegebenenfalls auch nachträglich (!) – von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) als zulässige Marktpraxis anerkannt werden.13 In den angeführten Konstellationen kann sich daher ein Mehr an Regulierung als die „liberalere“ Lösung erweisen, weil sie den Adressaten von dem Risiko der falschen Normorientierung entlastet. Der den Verbotsinhalt konkretisierende Verwaltungsakt bestimmt dann die Grenze der Strafbarkeit und wird damit zur „Magna Charta“ des Unternehmers.14 Soweit die jeweilige Verhaltensnorm einer Konkretisierung bedarf, ist diese nicht erst nachträglich durch den Strafrichter vorzunehmen, sondern sollte – auch im Hinblick auf eine effektive Steuerung unternehmerischen Verhaltens15 – vorher durch den Rückgriff auf die einschlägigen Instrumente des Verwaltungsrechts (Erlaubnis, Untersagung etc.) erfolgen.16 Auf diese Weise wird der Unternehmer auch in die Lage versetzt, eine gerichtliche Klärung von Streitfragen über den Umfang seiner wirtschaftsrechtlichen Pflichten herbeizuführen. Demgegenüber wird es der Unternehmer in der Regel nicht auf sich nehmen wollen, den Inhalt eines strafbewehrten Verbotes in einem Strafprozess klären zu lassen, 12
13
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Vgl. zur freiheitsbeschränkenden Wirkung fehlender Normenklarheit: Neumann in NK-StGB, 2. Aufl. 2005, § 17 Rn. 72. Dass das Bestimmtheitsgebot keine materiellen Vorgaben zu den Grenzen verfassungsrechtlich zulässiger Freiheitsbeschränkungen enthält (s. zur entsprechenden Kritik an einer „freiheitsschützenden“ Funktion des Art. 103 Abs. 2 GG: Ransiek Gesetz und Lebenswirklichkeit, 1989, S. 38 f.), steht dem nicht entgegen, da es insoweit um überschießende (d. h. materiell nicht mehr legitimierbare) Präventionswirkungen der nicht hinreichend bestimmten Strafnorm geht. Zur konstitutiven Wirkung der Zulassungsentscheidung: Schröder Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, 2007, S. 194 f.; zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Regelung (Art. 103 Abs. 2 GG): Raabe Der Bestimmtheitsgrundsatz bei Blankettstrafgesetzen am Beispiel der unzulässigen Marktmanipulation, 2007, S. 173. S. die – wenngleich in dem dortigen Zusammenhang kritische – Formulierung von Schünemann in GS Armin Kaufmann, 1989, S. 629, 642. S. zum Zusammenhang von Bestimmtheitsgebot und generalpräventiver Wirkung der Strafnorm: Ransiek (o. Fn. 12) S. 13 ff.; Schünemann Nulla poena sine lege? 1978, S. 29. Hufen ZLR 1989, 563, 572 f.; s. auch Dannecker Entsanktionierung der Straf- und Bußgeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 49 f.
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und verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz ist – wie wiederum das Beispiel des Lebensmittelrechts gezeigt hat17 – insoweit nicht zu erlangen. Zur Klarstellung: Die „klassische“ Wirtschaftsaufsicht ist kein Allheilmittel, und die Einführung präventiver Verbote mit Erlaubnisvorbehalt stellt natürlich ebenfalls einen erheblichen Grundrechtseingriff dar, der insbesondere dann nicht zu rechtfertigen ist, wenn die Aufsichtsbehörde nicht in der Lage ist, über entsprechende Anträge zeitnah zu entscheiden. Mit dem Vorstehenden ging es mir nur darum zu zeigen, dass mit einer Rücknahme öffentlichrechtlicher Regulierung nicht nur ein Zugewinn an Freiheit verbunden ist.
2.
Die Eigenüberwachung als Alternative zum Strafrecht – zu „intensive“ Kontrolle?
Was ergibt sich nun aus den vorstehenden Überlegungen für die Bewertung der unternehmerischen Eigenüberwachung? Das Konzept der Eigenüberwachung beruht auf der Erwägung, dass das Unternehmen die Aufgabe der Gefahrenabwehr zum Teil selbständig wahrnimmt und die behördliche Fremdüberwachung dementsprechend zurückgenommen wird.18 Es knüpft damit an die gleiche Erwägung wie die These Tiedemanns an: Die Verhütung von Straftaten und entsprechende Kontrollmaßnahmen werden dem Unternehmen überantwortet und eine behördliche Überwachung damit – zumindest zum Teil – entbehrlich. Diese Parallele kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die unternehmerische „Eigenüberwachung“ in weiten Teilen (auch) als Fremdüberwachung darstellt; dies gilt insbesondere, soweit Straftaten unternehmensexterner Dritter verhindert werden sollen. Sofern derartige Pflichten zur Eigenüberwachung ihrerseits sanktionsbewehrt sind bzw. sein müssen, kann es auch hier zu überschießenden Präventionseffekten kommen. So wird etwa darauf hingewiesen, dass die von Internetprovidern übernommene Selbstverpflichtung zur Sperrung illegaler Inhalte und die Angst vor Sanktionen zu 17
18
S. zur Unzulässigkeit einer Feststellungsklage (§ 43 VwGO): BVerwG DÖV 1992, 790 ff.: Die Reichweite der lebensmittelrechtlichen Untersuchungs- und Verkehrspflichten begründet kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis; s. insoweit auch Hammerl ZLR 1995, 15, 16 ff.; s. dagegen Hufen ZLR 1989, 563, 564, 573 ff. S. dazu (am Beispiel der Geldwäscheprävention): Böse Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, 2005, S. 237 ff. m. w. N.; zu den Vorteilen der unternehmerischen Selbststeuerung aus staatlicher Sicht: Sieber in FS Tiedemann, 2008, S. 449, 475 ff.
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einer praktisch unkontrollierten privaten Zensur des Internet führen können.19 In derartigen Konstellationen geht es nicht nur um unternehmerische Freiheit, sondern auch um Grundrechte Dritter: Die Abwägung widerstreitender Grundrechtspositionen erfolgt durch einen Privaten, der im Zweifel nicht bereit sein wird, zur Wahrung der Meinungsfreiheit des Nutzers ein Strafbarkeitsrisiko auf sich zu nehmen. In der Sanktionsbewehrung der Pflichten zur Eigenüberwachung zeigt sich eine weitere Parallele zu der These vom Strafrecht als der liberaleren Lösung. Sie macht deutlich, dass das Konzept der Eigenüberwachung als Alternative zum Strafrecht nur begrenzt taugt, da es seinerseits zu einer erheblichen Ausdehnung der Strafbarkeit von Unternehmensangehörigen führt: Wer innerhalb des Unternehmens im öffentlichen Interesse dazu bestellt wird, Straftaten zu verhindern, wird damit zum Garanten i. S. d. § 13 StGB; als Beispiel sei insoweit nur die Institution des Betriebsbeauftragten genannt.20 Der Haupteinwand, den die neuen Steuerungsinstrumente der öffentlichrechtlichen und der privatrechtlichen Eigenüberwachung auf sich ziehen, besteht jedoch in der damit zunehmenden Kontrolldichte: Die „Freiheit“ des Unternehmens, innerhalb der gesetzten Grenzen selbst zu entscheiden, welche Maßnahmen zur Kriminalprävention und zur Abwendung sonstiger Gefahren oder Haftungsrisiken zweckmäßig sind, darf nicht den Blick darauf verstellen, dass sich der Staat mit der Inpflichtnahme privater Unternehmen insbesondere im Bereich der Datenverarbeitung ein neues und nahezu unbegrenztes Überwachungspotential erschließt.21 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Eigenüberwachung darauf gerichtet ist, Straftaten (und Gefahren) unmittelbar zu verhindern und nicht nur mittelbar durch eine strafrechtliche Reaktion auf bereits begangene Taten der Begehung weiterer Straftaten vorzubeugen. Gefahrenabwehr darf daher mehr als Strafverfolgung, so dass die Begrenztheit strafprozessualer Ermittlungsbefugnisse keine zwingenden Rückschlüsse auf die Zulässigkeit präventiver Sicherungssysteme zulässt.22 Eine Ausnahme gilt allerdings für Überwachungsmaßnahmen, deren Ziel allein in der Vorbereitung eines straf19 20 21 22
Sieber ZStW 119 (2007) 1, 42; ders. in Waltermann/Machill (Hrsg.) Verantwortung im Internet, 2000, S. 345, 411 f. S. dazu näher Böse NStZ 2003, 636 ff. m. w. N. Vgl. Sieber in FS Tiedemann, 2008, S. 449, 478 (zur Überwachung von Unternehmensmitarbeitern). S. zu aufsichtsbehördlichen Ermittlungen zur Gefahrenabwehr: Böse ZStW 119 (2007) 848, 857 ff.
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rechtlichen Ermittlungsverfahrens besteht: Die Überwachung des Wertpapierhandels und die Auswertung der gemeldeten Transaktionen auf mögliche Insidergeschäfte ist ein Beispiel für eine Flucht in das Verwaltungsrecht, die verschleiern soll, dass es sich um strafprozessuale Vorermittlungen handelt.23 „Echte“ verwaltungsrechtliche, d. h. auf die Abwehr von Gefahren bezogene Überwachungspflichten können jedoch gegenüber dem jeweiligen Unternehmen gerechtfertigt werden, sofern ein hinreichender Zusammenhang der abzuwendenden Straftaten und der unternehmerischen Tätigkeit besteht, d. h. wenn diese Taten entweder von eigenen Mitarbeitern begangen werden oder – wie im Fall der Geldwäsche – die vom Unternehmen zur Verfügung gestellte Infrastruktur zur Begehung von Straftaten missbraucht wird. 24 Gerade das Beispiel der Geldwäscheprävention zeigt jedoch auch die Grenzen einer solchen Legitimation über den Aspekt der Mitverantwortung für ein bestimmtes Risiko auf: Während die Tätigkeit von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten ein spezifisches Geldwäscherisiko mit sich bringt, lässt sich dies im Hinblick auf sämtliche „Personen, die gewerblich mit Gütern handeln“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 12 GwG25) nicht ernsthaft behaupten. Deren Einbeziehung in das Pflichtenregime des Geldwäschegesetzes lässt sich daher – trotz der vorgesehenen Ausnahmen – kaum begründen.26 Das eigentliche Problem bei der Legitimation derartiger Überwachungsregime ist jedoch, dass es sich bei diesen Maßnahmen allenfalls gegenüber dem jeweiligen Unternehmen, aber nicht gegenüber den von den internen Sicherungsmaßnahmen betroffenen Dritten um eine weniger eingriffsintensive Form der Überwachung handelt, denn aus der Sicht des Kunden stellt sich die behördliche wie die von dem Unternehmen durchgeführte Überwachung als „Fremdüberwachung“ dar (s. o.). Mit der Flucht ins Privatrecht wird verschleiert, dass die Verpflichtung von Unternehmen zu internen Sicherungsmaßnahmen massive Auswirkungen auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht der von diesen Maßnahmen Betroffenen hat. Auf die allgemeinen Verarbeitungsbefugnisse Privater im Bundesdatenschutzgesetz lassen sich derartige Maßnahmen jedoch nicht stützen, insbesondere weil die Datenverarbeitung primär im öffentlichen Interesse (Verhütung von Straftaten) erfolgt. Mit der ausdrücklichen Einführung einer entsprechenden Befugnis in der neuen Fas-
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S. dazu Böse aaO 851 ff. S. dazu Böse aaO 858 ff., 868 f. m. w. N. I. d. F. vom 13. 8. 2008 (BGBl. I S. 1690). S. dazu Böse aaO 876 m. w. N.
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sung des § 25 c Abs. 2 S. 3 KWG27 hat der Gesetzgeber das bislang bestehende Defizit anerkannt; das Grundproblem, dass privaten Unternehmen zur Verhütung von Straftaten mit der Übertragung von Pflichten zugleich Rechte gegenüber Dritten eingeräumt werden (müssen), die unter Umständen weit über staatliche Eingriffsbefugnisse hinausgehen bzw. weniger präzise begrenzt sind, bleibt damit jedoch bestehen.28 Sofern es sich um legitime Sicherungsmaßnahmen zur Verhinderung von Straftaten handelt, sind des Weiteren die Auswirkungen auf ein späteres Strafverfahren in den Blick zu nehmen. So steht etwa die beim Verdacht einer Straftat bestehende Anzeigepflicht in keinem Zusammenhang mit der (präventiven) Eigenüberwachung, sondern nimmt den Unternehmer bzw. seine Angestellten für Zwecke der Strafverfolgung in die Pflicht. Mit derartigen Anzeigepflichten wird nicht nur die Bindung an den ursprünglichen Erhebungs- und Verarbeitungszweck durchbrochen, sondern sie führt in vielen Fällen auch zu Konflikten mit der Aussagefreiheit (Nemo tenetur se ipsum accusare), nämlich dann, wenn sich der Anzeigeerstatter selbst dem Verdacht der Beteiligung an der jeweiligen Straftat aussetzt, weil er die anzuzeigende Transaktion zuvor ausgeführt hat.29 Schließlich führt eine Anzeigepflicht dazu, dass der Verpflichtete in Zweifelsfällen eher geneigt sein wird, eine Anzeige zu erstatten, um selbst einer Sanktionierung zu entgehen. So ist nach dem neuen Geldwäschegesetz bereits die leichtfertige Verletzung der Anzeigepflicht als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet (§ 17 Abs. 1 Nr. 4 GwG), von einer möglichen Strafbarkeit wegen Beteiligung an einer Tat nach § 261 StGB ganz zu schweigen. Es können sich also durchaus ähnliche Effekte einstellen wie bei der Selbstregulierung im Internet: Die Interessen der betroffenen Kunden treten aufgrund der (einseitigen) Sanktionsbewehrung in den Hintergrund.30
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I. d. F. vom 13. 8. 2008 (BGBl. I S. 1690). Kritisch insoweit Hefendehl ZStW 119 (2007) 816, 843. S. dazu Böse ZStW 119 (2007) 848, 873 f. (zu § 10 WpHG); in Bezug auf die Anzeigepflicht nach § 11 GwG besteht diese Gefahr nicht, da der Beteiligte i. d. R. durch die Anzeige nach § 261 Abs. 9 StGB Straffreiheit erlangen kann. S. zu ähnlichen Bedenken gegen das „whistle blowing“: Hefendehl ZStW 119 (2007) 816, 841 f.
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Resümee
Das Ausmaß und die Intensität der Eigenüberwachung erscheinen damit in Teilen als zu hoher Preis für die von diesen Maßnahmen erhoffte Wirkung im Hinblick auf die Verhütung von Straftaten. Diese Bedenken setzen zum Teil bei der Inpflichtnahme der Unternehmen selbst, vor allem aber bei den damit verbundenen Belastungen Dritter an; dies gilt insbesondere für den über die Anzeigepflicht geschaffenen „Informationsverbund“ mit den Strafverfolgungsbehörden. Die Frage, ob das Strafrecht als liberalere Lösung bzw. Alternative vorzuziehen ist, stellt sich aus meiner Sicht in diesem Zusammenhang nicht: Wird ganz oder zum Teil auf die unternehmerische Selbst- bzw. Fremdkontrolle verzichtet, bleiben die allgemeinen Straftatbestände anwendbar; die Einführung neuer Straftatbestände für ein Verhalten des Unternehmers im Vorfeld der Deliktsbegehung unterscheidet sich nicht wesentlich von der Begründung öffentlich-rechtlicher Kontrollpflichten und deren Sanktionsbewehrung (ggf. über § 13 StGB). Die mit derartigen Pflichten verbundene Ausweitung der Strafbarkeit ist vielmehr ein weiterer Grund, bei der Einführung von öffentlich-rechtlichen Pflichten der Unternehmen, Straftaten Dritter zu verhindern, Zurückhaltung walten zu lassen.
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Thomas C. Knierim
Kosten und Nutzen des Wirtschaftsstrafrechts Thomas C. Knierim Thomas C. Knierim Kosten und Nutzen des Wirtschaftsstrafrechts
Gliederung
I. Folgen des Wirtschaftsstrafrechts für die Unternehmenslenkung II. Kosten-Nutzen-Matrix für regulatorische Vorgaben III. Praxisbeispiel: Der Berliner Bankenskandal 1. Folgen des Bankenskandals 2. Ursachen des Bankenskandals IV. Risikovermeidung, Risikobewertung, Risikobewältigung 1. Adressrisiko 2. Marktrisiko 3. Länderrisiko 4. Kontrollrisiko 5. Produktrisiko 6. Kapitalrisiko 7. Managementrisiko V. Folgerungen für das Wirtschaftsstrafrecht 1. Strafzweck 2. Normausfüllung 3. Schadensbegriff 4. Strafgerechtigkeit
In Zeiten der globalen Finanzkrise1 besteht die größte Versuchung darin, das Wirtschaftsstrafrecht als Instrument einer Markt-, Branchen- oder Unternehmenskontrolle zu nutzen. Besonders die in den Regelungen des – meist
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In der Wirtschaft „toben“ Krisen und Skandale, die sog. „Subprime-Krise“, die Zusammenbrüche und Zwangsverstaatlichungen einer Vielzahl US-amerikanischer, europäischer und deutscher Banken seit Sommer 2008, bspw. dargestellt in Der SPIEGEL Heft 44/2008 vom 17. 11. 2008, S. 44; Der SPIEGEL Heft 42/2008; Der SPIEGEL Heft 15/2008 vom 7. 4. 2008, S. 76; Wirtschaftswoche vom 8. 12. 2008; vgl. auch Sommer, Rainer Die Subprime-Krise und ihre Folgen Hannover 2. Aufl. 2009; Braunberger/Fehr Crash – Finanzkrisen gestern und heute, 2008 S. 135 ff.
Kosten und Nutzen des Wirtschaftsstrafrechts
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zu Wirtschaftsverwaltungsrecht akzessorischen2– Nebenstrafrechts3 in großem Umfang vorhandenen unbestimmten Rechtsbegriffe4 können jederzeit mit Moral- und Anstandsvorstellungen der aktuellen Politik ausgefüllt werden.5 Dass solchen Krisen und Unternehmenszusammenbrüchen aber zumindest teilweise auch ein Versagen der Verwaltungskontrollen und anderer politisch-gesellschaftlicher Instanzen innewohnt, wird selten eingestanden. Staatliches, zudem medial begleitetes Notfallmanagement verdeckt durch diese „Zeigefinger-Politik“ gegen Unternehmensverantwortliche zudem häufig, dass die Folgenbeseitigung der Krise durch Sozialisierung der Schäden und Kosten bei Versicherungen, dem Steuerfiskus und (meist auch) Kreditgebern bereits zuvor eingeplant war. Was also kann das Wirtschaftsstrafrecht dann noch nützen? Ist die Drohung mit strafrechtlichen Sanktionen nicht eine völlig überzogene, kostenintensive und ineffiziente Reaktion auf derartige Krisen?
I.
Folgen des Wirtschaftsstrafrechts für die Unternehmenslenkung
Wirtschaftsstrafrecht ist zur Wirtschaftslenkung grundsätzlich ungeeignet. Dafür ist es zu statisch, rein repressiv ausgerichtet6 und ohne jeden aktiven Impuls zur strategischen Unternehmenssteuerung.7 Einige Beispiele belegen das:
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Vor allen Dingen in Abgrenzung von einer verbotenen Analogie: BVerfG NJW 1986, 1671 m. Anm. Hanack NStZ 1986, 263; BGHSt 34, 178; 37, 230; AG Münster wistra 1999, 114; OLG Köln NStZ-RR 1999, 270. Lüderssen, Klaus Entkriminalisierung des Wirtschaftsstrafrechts, Bd. II, 2007 S. 100 ff.; Volk, Klaus in FS Hamm 2008 S. 803 ff. Vgl. bspw. BVerfGE 64, 323; 85, 73; 87, 224; 92, 12; LG Düsseldorf NJW 2004, 3275; BGHSt 51, 100; Kubiciel NStZ 2005, 323; Rönnau/Hohn NStZ 2004, 113; Tiedemann ZIP 2004, 2056; krit. Saliger ZStW 112 (2000), 563, 569; Matt NJW 2005, 389, 390 Das Phänomen ist nicht neu, sondern hat große Wirtschaftskrisen immer begleitet, vgl. Otte Der Crash kommt, , 6. Aufl. 2006, S. 130 ff., 137 ff. Sanktionierung eines Fehlverhaltens bedeutet aber nicht, dass das Recht als solches schlecht ist. Es wirkt als Verhaltensforderungen auf den menschlichen Charakter und offenbart dessen Schwächen (Römerbrief Kap. 7 Verse 7–12). Zu den Elementen der Unternehmenssteuerung vgl. Doepke/Standop/Wirth Management-Basiswissen 3. Aufl. 2006 S. 11 ff.; Jossé Balanced Scorecard München 2005 S. 3 ff.; Wöhe Einführung in die allg. Betriebswirtschaftslehre 23. Aufl. 2006, S. 52 ff.
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Thomas C. Knierim
• Der Wirtschaft werden Gelder entzogen, etwa durch unangemessen hohe Aufwendungen nach dem Geldwäschegesetz8 für die bürokratische und ineffiziente Vermeidung einer Unterstützung der Geldwäsche und des Terrorismus. • Durch unbestimmte Androhung von Untreueermittlungen werden Unternehmensübernahmen, Umgestaltungen der Rechtsform oder der Betriebsgröße unterlassen, Investitionen gehen zurück, weil Finanzinstitute wegen eines zu hohen Risikos mit strafrechtlicher Verfolgung bedroht werden. • In Korruptionsverfahren wird mit dem Rückgang von der Industrie geförderter Drittmittelforschungen zu rechnen sein, weil staatliche Einrichtungen und Wirtschaft durch die Ausweitung der Tatbestände zu Bestechung und Bestechlichkeit unter Druck geraten.9 • Trotz grundsätzlich möglicher Fortführung eines Schuldnerbetriebes werden Sanierungsanstrengungen der Gesellschafter unterlassen, denn die Komplexität einer Sanierung und ihrer (unterstützenden) Finanzierung scheitert an den Grenzen des modernen Insolvenzrechts und den Folgen allzu schneller Insolvenz-Strafverfahren.10 • Besonders Ansprüche des Fiskus und der Sozialversicherungen werden voreilig in Form der Rückgewinnungshilfe durch Staatsanwaltschaft vollzogen und treiben Unternehmen in die Insolvenz. • Kapitalmarktunternehmen und den mittelständischen Unternehmen werden komplexe Compliance-Systeme abverlangt, um eine außerbilanzielle, nicht gesetzlich normierte Unternehmensberichterstattung zu sichern.
8
9
10
Vgl. dazu die Neufassung und Ausweitung des GwG aufgrund der Vorgaben der 3. EU-Geldwäscherichtlinie mit dem Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetz (GwBekErgG) vom 13. 8. 2008 (BGBl. I 2008 S. 1690) in Kraft seit dem 21. 8. 2008 (Art. 11 GwBekErgG); dazu Hetzer EuZW 2008, 560; Kallert DStR 2008, 1661; Burmeister/Uwer AnwBl. 2008, 729. Vgl. dazu die geplante Ausweitung der §§ 298 ff. StGB durch den Entwurf eines 2. Korruptionsbekämpfungsgesetzes vom 19. 9. 2006; eingebracht in die BR-Drs. 548/07 Stand 10. 8. 2007, www.bmj.de; abl. Strafrechtsausschuss der BRAK Nr. 2/ 2007 (zum RefE) und 39/2007 (zu BR-Drs. 548/07), abrufbar unter www.brak.de. Vgl. dazu die Änderungen der InsO (insbes. § 15 a InsO n. F.) durch das MoMiG vom 28. 10. 2008 (BGBl. I S. 2026) in Kraft seit dem 1. 11. 2008; Korrekturen durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom 17. 10. 2008 (BGBl. I S. 1982) sind bei weitem nicht überschaubar, vgl. Bitter ZInsO 2008, 1097; Hölzle ZIP 2008, 2003; Schmidt DB 2008, 2467; Säcker NJW 2008, 3313.
Kosten und Nutzen des Wirtschaftsstrafrechts
II.
193
Kosten-Nutzen-Matrix für regulatorische Vorgaben
Wer tatsächlich Kosten und Nutzen von unternehmensinternen bzw. gewerbepolizeilichen Regelwerken oder von strafrechtlichen Normbefehlen vergleichen will, muss eine quasi-betriebswirtschaftliche Analyse anhand einer Kosten-Nutzen-Matrix11 wagen. Da es in der Suche nach Alternativen zum Wirtschaftsstrafrecht um die Schadensabwehr oder die Schadensgeringhaltung geht,12 können vier Ebenen der Verantwortung identifiziert werden, in denen Regelungen vorgeschlagen werden: • die Eigenkapitalhaftung des Unternehmers (Schadensausfallszenarien lassen sich in begrenztem Umfang durch ausreichendes Eigenkapital absichern); • die Verantwortung gegenüber Marktaufsichts- und Regulierungsbehörden (durch Marktaufsichts- und Regulierungsbehörden können Schäden verhindert oder eingedämmt werden, denken Sie bspw. an das staatliche Glücksspielmonopol); • die persönliche Schadenshaftung des Unternehmers und Managers (Corporate Governance-Regeln mit und ohne Versicherungsschutz, durch die sich Schäden ausgleichen lassen); und schließlich • die strafrechtliche Verantwortung (das strafrechtliche Instrumentarium kann präventiv, aber auch regulierend, bessernd, Rechtsfrieden schaffend eingesetzt werden). Kosten und Nutzen eines bestimmten Regelwerkes sind erst dann einer fairen Analyse zugänglich, wenn man auch die Wirkungen der Normsetzungen in 11 12
Das dargestellte Bewertungsprinzip ähnelt der Technik der Balanced Scorecard, vgl. Jossé (Fn. 7) S. 23 ff. Das ist auch der gesetzgeberische Zweck des § 91 Abs. 2 AktG (Einrichtung eines Überwachungssystems zur Erkennung unternehmensinterner Risiken); Das Gleiche folgt auch aus dem bilanziellen Vorsichtsprinzip; vgl. dazu Erben/Romeike Allein auf stürmischer See – Risikomanagement für Einsteiger, 2. Aufl. 2006 S. 32 ff.; Krystek Neue Controlling-Aufgaben durch neue Gesetze – KonTraG und InsO als Herausforderung für das Controlling, Kostenrechnungspraxis, 43 (1999), S. 145, 146. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Saldierung von Chancen und Risiken sowie das Einbeziehen einer Risikokompensation nicht erwünscht sind. Vgl. Lange, K. W. Risikoberichterstattung nach KonTraG und KapCoRiLiG. DStR 2001, 227: ders. in Lange, K. W./Wall, F. (Hrsg.): Risikomanagement nach dem KonTraG, 2001 S. 131, 137; Weber/Weißenberger/Liekweg Ausgestaltung eines unternehmerischen Chancenund Risikomanagement nach dem KonTraG DStR 1999, 1710.
194
Thomas C. Knierim
den drei Phasen der Schadensentwicklung beurteilt. Bspw. gehören also zu Kosten und Nutzen • von Präventionsmaßnahmen (vor dem Schadensfall) alle Anstrengungen zur Vermeidung eines Ausfallschadens des Einzelnen und der Rechtsgemeinschaft wie auch die daraufhin eingetretenen (selten messbaren) Ergebnisse; • der Risikobegrenzung (während sich der Schaden entwickelt) die Kosten der Beobachtung, Messung, Eindämmung etc.; • der Repression (nach Eintritt des Schadens) die Kosten der Aufarbeitung und die der Bestrafung abzüglich erzielter Ausgleiche durch Versicherungen.
Kosten-Nutzen-Matrix
Verantwortungsbereiche
für die Effizienz von Regelwerken
Strafsanktion Schadenhaftung Staatskontrolle
/ ten os K are sb es
m ht Nic tzen Nu
Eigenkapital
b ss me
Variable Kosten / Nutzen n ste Ko e r a
b ss me Prävention
Beobachtung
n/ ste Ko e ar
n tze Nu
Repression
Normziele
Abbildung 1: Kosten-Nutzen-Matrix Nach Festlegung dieser Determinanten erhält man die in der Abb. 1. als Bausteine dargestellten Einschätzungen, bestehend aus dem jeweiligen Normziel und dem Verantwortungsbereich, über den diskutiert wird. Es gibt m. E. keine wirklich messbaren und vergleichbaren Kosten/Nutzen in den Verantwortungsbereichen der Staatsaufsicht, der Schadenshaftung und des Strafrechts, wenn es um die Phase der Prävention geht. In dieser Phase können nur anhand des Verbrauchs oder der Steigerung des Eigenkapitals sinnvoll Kosten gemessen werden, eine Nutzenanalyse ist erst in der Folgephase, also einer eingetretenen Wirtschafts-, Strategie- oder Erfolgskrise messbar. Erst wenn
Kosten und Nutzen des Wirtschaftsstrafrechts
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Widerstände und gegenläufige Interessen auftreten, zeigen sich der Erfolg und die Nachhaltigkeit (Widerstandskraft) einer Verhaltensnorm und damit auch die Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit eines Normziels. Erst im Nachhinein, also sowohl in Fällen der Insolvenz genauso wie in Fällen einer durchgestandenen und abgewendeten Krise, kann der Nutzen des Strafrechts erkannt und gemessen werden. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass sich die Sinnhaftigkeit des strafrechtlichen Normbefehls aus dem Kriterium der Messbarkeit von Kosten und Nutzen ergeben. Vielmehr muss Strafrecht Ultima-Ratio aller anderen Normbefehle sein. Es muss als solche seine Warnfunktion ausüben, darf aber erst dann repressiv eingreifen, wenn die drei davor liegenden Verantwortungsbereiche keinen ausreichenden Beitrag zur Schadensabwehr geleistet haben oder diesen Beitrag selbstverantwortlich unterlassen haben. Das bedeutet, dass wirtschaftsstrafrechtliche Normen • keine einfache Verdoppelung oder Übernahme (im akzessorischen Sinne) einer zivil- oder verwaltungsrechtlichen Handlungspflicht darstellen dürfen, sondern die verschiedenen geschäftlichen Risiken – auch in der Phase der Schadensentwicklung – in die Pflichtenstellung einbeziehen müssen; • keine „Gefährdungen“ erfassen dürfen, die sich lediglich als Folge sachgerechter Chancen- und Risikowahrnehmung bei unternehmerischen Ermessens-Entscheidungen im Sinne der sog. Business-Judgement-Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG)13 darstellen; • nur leichtfertiges, übermütiges oder gewissenloses Verhalten sanktionieren dürfen, das dogmatisch nicht bei der bewussten Fahrlässigkeit, sondern im bedingten Vorsatz anzusiedeln wäre. Der Beitrag der vor jeder strafrechtlichen Sanktion eingreifenden Verantwortungsebene liegt in der Regel darin, dass der Träger der jeweiligen Verantwortung (Kapitalgeber, Staatsaufsicht, personale Verantwortung) für die Maßnahmen zur Analyse, Steuerung und Vermeidung der Risiken, seien sie intern oder extern, allgemein oder geschäftsspezifisch anzusiedeln, verantwortlich ist.14 13
14
Buchta DStR 2003, 694; Hefermehl/Spindler in MünchKomm-AktG 2. Aufl. 2004 § 93 Rn. 23; Hopt ZGR 1993, 534, 536; ders. ZGR 2002, 333, 360; Hüffer AktG, 7. Aufl. 2006 § 76 Rn. 13; Liebscher in Beck´sches Hdb. der AG 2004 § 6 Rn. 129; Lutter, ZIP 2007, 842; Mertens in Kölner Komm. z. AktG 2. Aufl. 1995 § 76 Rn. 17, 22; Mülbert in FS Röhricht (2005) S. 421, 424 ff.; Wellhöfer in Wellhöfer/Peltzer/Müller, Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer, 2008, § 2 Rn. 19. Wöhe (Fn. 7) S. 70 ff.; für die Bankbetriebswirtschaft: Büschgen Bankbetriebslehre, 5. Aufl. 1999, S. 865 ff.; Jacob/Dachler/Erganzinger Die Bank 1999, 92.
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Es darf nicht verkannt werden, dass durch Irrtums- und Schuldprinzip das Strafrecht trotz aller schwerwiegenden und tiefgreifenden Eingriffsmechanismen (Beschlagnahmen, Arrestierungen, Verhaftungen, Geld- und Freiheitsstrafen sowie Nebenstrafen und Maßregeln, Verfall und Einziehung) einen großen Raum an Gestaltungsfreiheit für die Strafverfolger bietet. Gegenüber engmaschigen Verwaltungsnormen wird die Handlungsverantwortung in Unternehmen dadurch begünstigt. Auch sind durch fehlende Ressourcen bei Personal, Material und Schulung Staatsanwaltschaften bei weitem nicht in der Lage, eine gleichmäßige und gleichartige Anwendungsdichte der Strafverfolgung in allen Gerichtsbezirken sicherzustellen. Einfacher gesagt, es wird bei weitem nicht jeder Täter entdeckt oder trotz Entdeckung bestraft. Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) erhellt das, indem sie ausdrücklich die Dunkelfelder von den Auswertungen ausschließt.15
III.
Praxisbeispiel: Der Berliner Bankenskandal
Am Beispiel des sog. Berliner Bankenskandals16 kann die Sinnhaftigkeit der Kosten-Nutzen-Matrix veranschaulicht werden, auch wenn dort ein aus der ex-post-Sicht Beinahe-Zusammenbruch eines einzigen Institutskonzerns wegen seiner nur regionalen Bedeutung wenig über die Effizienz von bundesweit gültigen Normen zum Ausdruck bringen kann. Da alle Regelwerke – in allen Bereichen – mit dem Postulat antreten, schwere Schäden und andere nachteilige Folgen vermeiden oder eindämmen zu können, muss zuerst ein Blick auf die Folgen des Skandals geworfen werden.
1.
Folgen des Bankenskandals
a) Die Bankgesellschaft Berlin AG hat zwischen 2001 und 2004 Bilanzverluste in Höhe von rd. 3,7 Mrd. € ausgewiesen. Die Versicherung der Bankmanager 15 16
BKA Polizeiliche Kriminalitätsstatistik 2007 S. 7 Zahlen und Daten stammen aus der vorzüglichen Internet-Sammlung von Dittbemer, abrufbar unter http://www.khd-research.net/Politik/BankGesBerlin.html; vgl. auch den Zwischenbericht des 2. Untersuchungsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses, Drs. 14/1590, und den ABSCHLUSSBERICHT vom 5. 5. 2006 Drs. 15/4900, abrufbar unter http://www.parlament-berlin.de; Hintergrundinformationen aus der Anfangszeit finden sich auch in Der SPIEGEL Nr. 5/2001 (29. 1. 2001): Der Milliarden Bluff S. 110; Der SPIEGEL Nr. 10/2001 (5. 3. 2001): Die Angst der Strohmänner; Der SPIEGEL Nr. 22/2001 (28. 5. 2001): Das Ende des alten Berlin.
Kosten und Nutzen des Wirtschaftsstrafrechts
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zahlte nach anfänglichen Diskussionen im Vergleichswege einen Schadenersatz in Höhe von rd. 50 Mio. €, der Wert der Bank fiel im Verlauf der Bankenkrise von rd. 15 auf 6 Mrd. €. b) Das Land Berlin als Mehrheitseigentümer mit einer Beteiligung von ursprünglich 56%, später 81%, hatte mit Rekordbeihilfen in Höhe von rd. 9,7 Mrd. € das Überleben der Bankgesellschaft gesichert. Durch ein Risikoabstimmungsgesetz vom April 2002 mussten Garantien für 21,6 Mrd. € bei Immobilienfondsrisiken beschlossen werden. Diese bestanden in einer möglichen Ausfallhaftung für Einnahmen- und Wertausfälle der großen Immobilienfonds des Konzerns. Die Übertragung von 60 Immobilienfonds mit einem Volumen in Höhe von rd. 9 Mrd. € kostete das Land rd. 2 Mrd. €. Insgesamt wurden zwischen 2001 und 2004 drei verfassungswidrige Haushalte des Landes Berlin beschlossen, die eine deutliche Neuverschuldung des Landes Berlin vorsahen. c) Die Folgen für die Anleger bezeichnete man damals bereits als gravierend. Der Aktienkurs der BGB AG sank von rd. 10,00 € im Sommer 2000 auf 1,50 € im Herbst 2001. Fondsanleger verklagten Ende 2004 die Landesbank Berlin und die Fondsverwaltung LBV auf rd. 500 Mio. €, das Gesamtvolumen der immer noch nicht geklärten Ansprüche liegt bei rd. 2,3 Mrd. €. d) Als markanteste politisch-soziale Folge ging der Regierungswechsel im April 2001 in die Geschichte ein. Eine Koalitionsregierung aus SPD und PDS (Die Linke) löste die bisherige große Koalition aus CDU und SPD ab. Anlass dafür war die Geschichte über eine Barspende von Kreditnehmern der Berlin Hyp an den damaligen CDU-Landeschef und Vorstandssprecher der Bank, Rüdiger Landowsky, im Jahr 1996. Durch die Krise selbst wurde eine Reorganisation des Bankenkonzerns erforderlich, rd. 8.500 Arbeitsplätze gingen verloren. Wegen der erheblichen Kapitalunterstützungen für die Bankgesellschaft verarmte das Land Berlin. Es stellte seine Unterstützung für zahlreiche Sozialprojekte ein. Bis heute ist die politische Atmosphäre Berlins durch wechselseitige Schuldzuweisungen der Parteien über ihre Mit-Verantwortung an dem Skandal vergiftet. Die „Bürgerinitiative Bankgesellschaft“ wird nicht müde, die Verantwortung der Senatsverwaltung und der Bankmanager einzufordern.
2.
Ursachen des Bankenskandals
a) Es wäre völlig unangemessen, allein aus den enormen Folgen und Wirkungen zu schließen, dass zur Vermeidung eines solchen Skandals allein strafrechtliche Normbefehle oder eine intensive Verfolgungsandrohung notwen-
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dig seien. Gerade die Nicht-Betroffenheit anderer Banken von der Berliner Bankenkrise zeigt das Funktionieren von – dem Wirtschaftsstrafrecht vorgelagerten – Verantwortungsbereichen. Auch sind Arten von Geschäftsfeldern und Geschäftspraktiken in ganz unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Beispielsweise beweisen ein durch Aufsicht und Wirtschaftsverwaltungsrecht vorgegebenes Regionalprinzip, eine vom Aufsichtsrat zu genehmigende, weniger riskante Geld- und Kreditstrategie oder eine ausreichende Kapitalbasis eine wichtige Ausgleichs- und Schadensvermeidungsfunktion. Wichtig ist es deshalb, weg von einer pauschalen Beurteilung hin zur Konkretisierung von Ursachen zu kommen. Erst dann kann ein Verantwortungsbereich definiert werden, in dem man mit Hilfe eines Regelwerkes einen sich entwickelnden Schaden am Besten bekämpfen oder einem solchen vorbeugen kann. Auf der Grundlage der betriebs- und finanzwirtschaftlichen Risikolehre17 können wenigstens sieben wichtige Ursachengruppen unterschieden werden, die sich bei diesem öffentlichen Skandal verwirklicht haben.
Ursachen „Unternehmerische Betätigung ist immer riskant!“
Managementrisiko
Adressrisiko
Kapital- und Liquiditätsrisiko
Marktrisiko Politische, kulturelle, Sabotage-Risiken
Produktrisiko
Kontrollrisiko Risikoverwirklichung ist nur vorwerfbar bei: Vorhersehbarkeit, Messbarkeit, Beherrschbarkeit und Durchsetzbarkeit
Abbildung 2: Schadensrisiken 17
Zum Risikobegriff und seinen Entwicklungen vgl. Jonen, Semantische Analyse des Risikobegriffs – Strukturierung der betriebswirtschaftlichen Risikodefinitionen, 2. Aufl. 2007, S. 35 ff., 52 ff.; vgl. auch Schredelseker Finanz- und risikowirtschaftliches Denken in der Betriebswirtschaftslehre in FS Gessner, S. 1 ff.
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Die in der Abb. gezeigten Risikogruppen lassen sich auch einteilen in sog. interne Risiken (vor allem Management-, Kapital- und Liquiditätsrisiko, Produktrisiko) und sog. externe Risiken (vor allem Adress-, Markt-, Kontrollund politisches Risiko). Die Unterteilung nach allgemeinen und geschäftsspezifischen Risiken spielt dagegen nur beim Produktrisiko eine Rolle. b) Auch wenn in der Theorie anerkannt ist, dass eine unternehmerische Betätigung immer riskant ist,18 sind zwei Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses Berlin eingesetzt, umfangreiche Sonderprüfungen der Bankenaufsicht BaFin sowie der LZB Berlin-Brandenburg sowie insgesamt 147 Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Berlin durchgeführt worden. Sie sollten herausfinden, wer an dem Niedergang der Bankgesellschaft Berlin AG „schuld“ ist. Jenseits aller Verfolgungsinteressen ist es erstaunlich gewesen, dass keine andere Bank Berlins trotz der allgemeinen Markt- und Adressrisiken eine vergleichbare Aufmerksamkeit erfahren hat. Bei gleichartigen und gleichwertigen Reaktionssystemen müsste man das Gegenteil erwarten. Auch das belegt die in einer unsystematischen Anwendung von Normbefehlen liegenden Chancen der Nichtentdeckung. c) Die Unterscheidung der verschiedenen Risikobereiche kann gleichzeitig dazu beitragen, den Nutzen von Regelwerken zu beurteilen. Stets ist danach zu fragen, ob und in welchem Umfang ein Normbefehl seiner Zwecksetzung nach dazu beitragen kann, dass sich aus einem bestimmten Risikobereich heraus ein Schaden entwickelt. Von vornherein erscheint es indessen ausgeschlossen, dass Regelwerke zu einer Schadensvermeidung beitragen können, wenn der Risikoeintritt oder die Risikowahrscheinlichkeit für den Normadressaten nicht vorhersehbar, messbar, beherrschbar und durchsetzbar sind. In solchen Fällen sind alle Kosten aller Regelwerke überhöht, ihr Nutzen geht gegen Null.
IV.
Risikovermeidung, Risikobewertung, Risikobewältigung
1.
Adressrisiko
Bei dem Adressrisiko geht es um den Ausfall der Forderung gegen Schuldner, also ein sog. externes Risiko. Das Adressrisiko hat sich in der Berliner Bankenkrise nur in einem banküblichen Ausmaß verwirklicht, es gibt immer 18
BGHSt. 46, 30; BGHZ 134, 392, 398 = NJW 1997, 1923, 1925; Semler in FS Ulmer (2003) S. 626.
200
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Kreditschuldner, die insolvent werden. Deshalb ist die Kreditvergabe nicht per se kriminell.19 Die Normbefehle des Strafrechts richten sich hier lediglich gegen den jeweiligen Schuldner im Fall des Eingehungs-, Erfüllungs- oder Kreditbetruges. Da sich die Risikoverwirklichung außerhalb des Zugriffsbereichs des Kreditgebers abspielt, kann nur aus dem Risiko der Geschäftsgestaltung (Darlehensvergabe als Vorleistungsgeschäft der Bank) die Forderung einer banküblichen Absicherung erhoben werden. In den in Berlin untersuchten Fällen hat es lediglich ein großes Strafverfahren wegen eines Adressausfallrisikos gegeben, den sog. Aubis-Prozess. Hier hat das Landgericht Berlin nach fast zweijähriger Verhandlungsdauer im März 2007 bei Kreditvergaben von bis zu rd. 700 Mio. DM an die Aubis-Unternehmensgruppe bzw. die von ihr geführten Objektgesellschaften lediglich in einem Einzelfall einen Kredit aus dem Jahr 1996 als unzureichend gesichert angesehen. Die dafür verantwortlichen Vorstände sind zu geringen Bewährungsstrafen verurteilt worden, die ebenfalls angeklagten Aufsichtsräte wurden sämtlich frei gesprochen.20
2.
Marktrisiko
Als Marktrisiko werden die Veränderungen der Interessen der Marktteilnehmer, die Absenkung von Absatzpreisen, ungünstige Verläufe von Devisenkursen oder die Verteuerung von Einkaufspreisen zusammengefasst. Dieses Risiko, nämlich der Zusammenbruch des durch staatliche Investitionsförderung und Steuerbegünstigungen überteuerten Immobilienmarktes, der zudem durch fast risikolose Fondsfinanzierungen künstlich aufrecht erhalten worden war, war die Hauptursache der Bankenkrise, es ist auch jetzt die Hauptursache der Finanzkrise 2007/2008. Das Strafrecht kann keine sinnvollen Normbefehle gegen eine Risikoverwirklichung aufstellen, solange sich am Markt freie Kräfte von Angebot und Nachfrage durchsetzen. Mit dem Verbot der Marktmanipulation an Börsen soll gerade diese Handlungsfreiheit gesichert werden.
3.
Länderrisiko
Mit den politischen, kulturellen oder mit Kriminalitätsrisiken hat der Unternehmer zwar zu rechnen, aber auch sie sind ihm vorgegeben. Er kann sie 19 20
BGHSt. 46, 30. LG Berlin, Urteil vom 21. 3. 2007 (536) 2 StB Js 215/01 (13/04), teilw. rkr, bislang unveröffentlicht.
Kosten und Nutzen des Wirtschaftsstrafrechts
201
nicht beeinflussen. In Berlin hat sich massiv auf den Markt ausgewirkt, dass durch Förderprogramme viel Kapital von Immobilienkäufern nach Berlin geholt wurde, so dass – wie jetzt in den USA auch – der Markt überhitzt wurde und mit dem Ende der Förderung auch das Ende der Euphorie kam. Das Strafrecht darf auch hier nicht repressiv ex post verfolgen, was dem Unternehmer im Zeitpunkt seines Handelns vorgegeben ist.
4.
Kontrollrisiko
Durch das Kontrollrisiko wird das Risiko bezeichnet, das durch den Ausfall einer an sich als Schadensbegrenzung vorgesehenen Kontrollinstanz entsteht. Dieses Risiko verwirklicht sich, wenn eine nutzbare Kontrolle ungenutzt bleibt und der Schaden sich einstellt. Das Kontrollrisiko lässt sich anhand von vier Kriterien beurteilen, wie sie auch in den Diskussionen um die Bankgesellschaft Berlin eine große Rolle gespielt haben.
Kontrollrisiko Vorwerfbar ist ein Risikoeintritt bei:
Vorhersehbarkeit Vorhersehbarkeit Lässt sich das Risiko, dass eine interne oder externe Kontrolle eine Schadensentstehung nicht verhindert, vorher beurteilen?
Messbarkeit Messbarkeit
>50%
Die Einschätzung eines Risikos ist nicht nur eine Folgenabschätzung, sondern eine Frage des Maßstabes und der Messtechnik
Beherrschbarkeit Beherrschbarkeit