Die Kompetenz des Unternehmers 9783110549553, 9783110547368

The author develops an understanding of the entrepreneur that is an innovative contribution to the modern science of bus

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German Pages 154 Year 2017

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Table of contents :
Geleitworte
Vorwort
Inhalt
1. Einleitung
2. Der Unternehmer als das schöpferische, kompetente Subjekt
3. Das Unternehmerische als das Irrationale
4. Der mit sich selbst identische Unternehmer
5. Fallbeispiel: Die Kompetenz des Start-up- Unternehmers
6. Protokoll
Literaturverzeichnis
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Die Kompetenz des Unternehmers
 9783110549553, 9783110547368

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Ralf Neise Die Kompetenz des Unternehmers

Ralf Neise

Die Kompetenz des Unternehmers

Ralf Neise ist Direktor des IUU Institut für Unternehmer- und Unternehmensentwicklung an der Universität Witten/Herdecke und berät Unternehmer, Unternehmensnachfolger und Unternehmensgründer.

ISBN 978-3-11-054736-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-054955-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-054761-0 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Eskemar/iStock/Getty Images Plus Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Geleitworte Mit der Frage nach der Kompetenz des Unternehmers zielt Ralf Neise auf ein Thema, das für die betriebswirtschaftliche Theorie und die unternehmerische Praxis gleichermaßen von Bedeutung ist. Neise entwickelt einen Begriff des Unternehmers, der für die moderne Betriebswirtschaftslehre, die sich als rationale Wissenschaft versteht, eine grundlegende Innovation bedeutet. Neises Arbeit macht gut erklärlich und nachvollziehbar, warum der Begriff des Unternehmers in der modernen Betriebswirtschaftslehre nicht entwickelt ist. Er zeigt in konsistenter und präziser Weise am Beispiel der Betriebswirtschaftslehre Gutenbergs, dass der Unternehmer aus ihrem Erfassungsbereich ausgegrenzt ist. Neise expliziert nachvollziehbar die rationale Konstitution der Gutenbergschen Theorie und zeigt schlüssig auf, dass ihre rationale Grundlegung letztlich verunmöglicht, die Frage nach dem Unternehmer bzw. seiner Kompetenz zu stellen. Mit seiner Arbeit weist Neise auf die Grenze rationaler Wissenschaft hin, die den Unternehmer nicht erfasst, obwohl dieser ein bedeutendes Phänomen der unternehmerischen Praxis ist. Mit Bezug auf die objektive Hermeneutik entwickelt Neise eine ausgezeichnete Möglichkeit, den Begriff des Unternehmers in den Blick zu nehmen und seine Kompetenz zu explizieren. Neise setzt Begriff und Methodologie in ein sinnvolles Verhältnis. Denn das handelnde Subjekt, das quasi im Nachhinein durch das Unternehmen zum Unternehmer wird, ist nur durch Rekonstruktion empirischer Fälle analysierbar. Neise bewegt sich konsistent in einem Wissenschaftsverständnis, das Theorie und Praxis in ein wechselseitiges Verhältnis setzt. Im empirischen Teil kann Neise zeigen, dass die heutigen Gründer von start-ups nicht, wie in der heutigen Zeit gerne unterstellt, apriori Unternehmer sind, sondern dass es einer besonderen Kompetenz bedarf, die mit dem Erfolg am Markt - und das ist nicht nur der Kapitalmarkt - einher geht. Hier liegt uns von Ralf Neise eine sehr mutige, außergewöhnliche wissenschaftliche Arbeit vor, denn er traut sich, den gesicherten Rahmen der heutigen ausschließlich rational begründeten Betriebswirtschaftslehre in Frage zu stellen und öffnet damit der Betriebswirtschaftslehre einen Raum, indem er sie nicht von ihrer Grenze her (Definition) sondern auf ihrer Grenze bewegt. Dies ist im guten Sinne Wissenschaft, die es immer wieder nötig hat, ihren Gegenstand und sich selbst neu in den Blick zu nehmen - nur so kann sich Wissenschaft weiter entwickeln, indem sie ihrer eigenen Grenzen ansichtig wird. Mit der Erinnerung an Humboldt und der Notwendigkeit der Bildung der Persönlichkeit bietet Neise der modernen Betriebswirtschaftslehre die Möglichkeit, ihren Bildungsauftrag neu anzuschauen und ihr heute im wesentlichen auf Forschung fixiertes Konzept zu öffnen, um den Menschen den Zugang zur ihrer Freiheit auch wieder ökonomisch zu eröffnen.

VI | Geleitworte

Auch die zunächst ungewöhnlich anmutende Methodenwahl mit der objektiven Hermeneutik Oevermanns stellt für den heutigen monistischen Methodengebrauch eine mutige Bereicherung des Wissenschaftsinstrumentariums dar, der heutiger Wissenschaft gut ansteht und dem Forschungsgegenstand absolut angemessen ist. Es ist zu wünschen, dass die Arbeit auch nachfolgende Wissenschaftler ermutigt, die Wissenschaft mit Methodenvielfalt in ihrer Anwendung zu bereichern. Die Arbeit von Ralf Neise stellt einen hervorragenden Beitrag für die Weiterentwicklung der Betriebswirtschaftslehre dar, indem sie den Unternehmer in ihren Forschungsfokus nimmt. Wuppertal, im März 2017 Univ.-Prof. Dr. Gerd Walger

Geleitworte | VII

Die Betriebswirtschaftslehre ist eine Lehre. Das hat sich wiederum gezeigt als sie zur Managementlehre mutierte. Versteht man unter Theorie nicht nur das Jonglieren mit Vokabeln und ihre puzzleartige Zusammensetzung in gefällige Bilder, so ist ein alter wissenschaftlicher Ausdruck gefragt. Es geht darum, ein Phänomen auf den Begriff zu bringen. Erich Gutenberg hat diese Anstrengung vor rund 90 Jahren gewagt – und ist grandios daran gescheitert. Seine Als-obKonstruktion der Unternehmung bringt das Unternehmen nicht auf den Begriff, allenfalls einen kapitalistischen. Er klammert die Menschen aus dem Unternehmen aus. Das gilt auch für den Unternehmer, diesen irrationalen Rest, der aber immerhin wenigstens unternehmerisch über die anderen irrationalen Reste bestimmen darf/ soll/ muss. Kann? Ralf Neise versucht auf das Kann zu antworten und das Unternehmerische wissenschaftlich im Sinne gediegener Theorie und eines umfassenden Unternehmerbegriffs zu fassen zu bekommen. Es sind nicht viele Autoren, die die Gutenbergsche Anstrengung aufgegriffen haben. Die von Gutenberg geschaffene offene Flanke besteht als funktionalistische Sichtweise in der Betriebswirtschaftslehre wie in der Managementlehre bis heute. Hier setzt die vorgelegte Arbeit an. Die Rekonstruktion der Rationalität der Kapitalverwertung expliziert eine Kompetenz, die das Handlungssubjekt Manager und austauschbarer Akteur sein lässt. Die Rekonstruktion der Regel, deren Reproduktion bzw. Transformation sich für das Entstehen des Unternehmens als geltend erweist, expliziert eine Kompetenz, die das Handlungssubjekt Unternehmer sein lässt und ihm eine individuelle Subjektivität verleiht. An dieser Stelle und mit dieser präzise erarbeiteten und belegten Erkenntnis gewinnt die Arbeit von Neise in der und für die Theorie der Unternehmung, besser wohl „Theorie des Unternehmens“, eine neue, praktische und wissenschaftliche Perspektive. Nicht an einer abstrakten und gesetzten Rationalität wird angesetzt, sondern das konkret handelnde unternehmerische Subjekt ist nun - ohne Arithmetik und ohne Psychologismen Ausgangspunkt der weiteren Betrachtung. Ich bin versucht zu sagen: Unter den Bedingungen herrschender Betriebswirtschaftslehre gehört schon viel Unverfrorenheit dazu, so eine Arbeit zu schreiben. Theorie ist derzeit nicht angesagt. Gezielt wird dort eher auf eine wortreich mehr oder weniger begründete Anwendung und nicht auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit. Neises Untersuchung mäkelt dennoch nicht an den Defiziten herrschender Lehrmeinungen herum. Als Hypothesen akzeptiert die vorliegende Arbeit selbstbewusst und unabdingbar diese Ansätze in Wissenschaft und Praxis. Gerade deshalb zeigt diese Untersuchung allerdings, wie notwendig eine entfaltetere Theorie des Unternehmens wäre - und wie hilfreich.

VIII | Geleitworte

Methodisch erweist sich die vorgelegte Arbeit als eigenständig sowie als selbstreflexiv unternehmerisch. Unter Bezug auf Hugo Gaudig lässt sich sagen: Die Arbeit zeigt Methode, und der Verfasser hat sie. Freilich, man muss die Arbeit genau lesen (what else?!), dann ist sie gut lesbar und in ihrer Präzision unspektakulär beeindruckend und sehr anregend. Das Buch ist nicht zu umgehen, wenn man unternehmerische Entscheidungen wissenschaftlich und praktisch weiterführend in eine Theorie fassen will. Ihm ist große Verbreitung zu wünschen. Innsbruck im März 2017 em. o. Uni.-Prof. Dipl.-Kfm. Dr. rer. soc. oec. Dr. rer. pol. h.c. Ekkehard Kappler

Vorwort Die Unternehmung entsteht, wie der Begründer der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft Erich Gutenberg schreibt, durch bewussten, schöpferischen Akt des Menschen. Der Unternehmer ist ihr Motor, der ihre Entwicklung mit seiner Individualität prägt. Die Unternehmung bedarf des Unternehmers im Moment der Gründung und während ihres gesamten Lebens. Sie gerät immer wieder in schwierige Situationen oder an Stellen, in denen der schöpferische Akt notwendig wird oder sie des Anschubs durch ihren Motor bedarf. Gutenberg hat eine Theorie der Unternehmung entwickelt, aus der er den Unternehmer und sein schöpferisches Handeln eliminiert hat. Er konstituiert die Unternehmung als eine reguläre als-ob-Konstruktion aus den Elementen Rationalprinzip und Kapital. In dieser Gutenbergschen Unternehmung geht es um den rationalen Kapitaleinsatz. Diese als-ob-Konstruktion ist ein wissenschaftliches Hilfsmittel, eine Fiktion bzw. eine der Wirklichkeit widersprechende Annahme, die als Mittel des Denkens eingesetzt wird, und die wieder aufzuheben ist. Mit ihrer Hilfe hat die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft eine Menge von rationalen Modellen entwickelt, die z.T. das Handeln in den Unternehmen bestimmen. Es war nicht Gutenbergs Anspruch, den Unternehmer und seine schöpferischen Akte mit seiner Theorie zu erfassen. Gutenberg hat den Unternehmer vielmehr mit der Begründung, dass er sich der rationalen Betrachtung entzieht, vorläufig außer Betracht gelassen. Die heutige, sich als rationale Wissenschaft verstehende Betriebswirtschaftslehre hat die als-ob-Konstruktion Gutenbergs allerdings nicht wieder aufgehoben und sie ist ihr weitgehend in Vergessenheit geraten. Dies hat problematische theoretische und praktische Konsequenzen. Es bedeutet, dass heute das rationale Handeln in der Betriebswirtschaftslehre nicht mehr in Frage gestellt und mit dem Handeln des Unternehmers identifiziert wird. Sie entwickelt sich als eine Managementlehre, die auf rationalem Handeln beruht und nur Manager ausbilden kann, aber keine Unternehmer. Dessen schöpferisches Handeln kann sie nicht erfassen. Die Erinnerung an die Konstruktivität des Gutenbergschen Unternehmensbegriffs bedeutet die Möglichkeit und Notwendigkeit, den Unternehmer in den Blick zu nehmen und nicht gegen sondern mit Gutenberg den Raum der Betriebswirtschaftslehre zu öffnen. In meiner Arbeit habe ich die Frage gestellt, wie der Unternehmer und sein Handeln erfasst und theoretisch beschrieben werden kann. Die Antwort entwickle ich mit Hilfe der objektiven Hermeneutik, die Oevermann entwickelt hat und die eine Kompetenz-Theorie des Subjekts ist. Diese Methodenwahl ermöglicht, sowohl das rationale Handeln als auch das schöpferische Handeln, durch das Neues entsteht, zu erfassen und zu erklären und den Kompetenzentwicklungsprozess des Unternehmers zu rekonstruieren.

X | Vorwort

Die vorliegende Publikation wurde 2016 als Dissertation an der Universität Witten/Herdecke angenommen. Im Zuge dieser Veröffentlichung wurde das Fallbeispiel überarbeitet und um einen weiteren Case, den ich in der Disputation vorgetragen habe, ergänzt. Bei der Realisierung und den Abschluss dieser Arbeit habe ich die Ermutigung und Unterstützung von vielen Menschen erfahren. Ihnen möchte ich an dieser Stelle besonders danken. Mein erster Dank gilt Univ.-Prof. Dr. Gerd Walger, meinem wissenschaftlichen Lehrer, der sich mit väterlicher Strenge und Sorgfalt mit mir und meinem Denken auseinandergesetzt und es immer wieder in Bewegung gebracht hat. Ohne seine genaue und liebevolle Bezugnahme und seine Hilfe, die mir oft nicht als eine solche erschien, weil sie zwar das Problem exakt adressiert aber mir die Lösung nicht abgenommen hat, hätte ich diese Arbeit nicht erstellen können und wäre sie nicht die meine geworden. Mindestens ebenso wichtig waren seine theoretischen Arbeiten, die die Betriebswirtschaftslehre Gutenbergs auf ihre Grenze geführt haben, und auch die vielfältigen Erfahrungen, die ich mit ihm in der Beratung von Unternehmern, Nachfolgern und Gründern sammeln konnte. Bei dieser hat er mir in faszinierender Weise im Praktischen vorgemacht, was es bedeutet, den Unternehmer als Unternehmer zu begreifen und seinen Bildungsprozess zu betreiben. Univ. Prof. Dr. Dr. h.c. Ekkehard Kappler danke ich für seine Ermutigung, diese Arbeit zu Ende zu schreiben, seine wertvollen Hinweise bei ihrer Fertigstellung und die Übernahme ihrer Begutachtung. Die von ihm entwickelte kritische Betriebswirtschaftslehre, sein Einstehen für den Menschen und die menschliche Freiheit und Selbstständigkeit sowie seine unerschöpfliche Kreativität waren für mich wegbereitend in meinem Studium und beim Schreiben dieser Arbeit. Ich bin diesem einzigartigen Lehrer zu großem Dank verpflichtet. Danken möchte ich besonders auch den vielen ehemaligen Kollegen und Kommilitonen der Universität Witten/Herdecke und allen, mit denen ich am Institut für Unternehmer- und Unternehmensentwicklung zusammengearbeitet habe. Jeder hat auf seine Weise dazu beigetragen dass ich diese Arbeit schreiben konnte, sei es durch seine Bereitschaft zum Gespräch über sie oder indem er mich an seiner persönlichen Geschichte und beruflichen bzw. unternehmerischen Entwicklung hat Anteil nehmen lassen. Mein größter Dank gebührt meiner Familie, meinem Vater Rudolf und meiner Mutter Sofia Neise, sowie meiner Frau Uta und meinen Kindern Johan, Eva, Jakob und Julius. Bocholt, im Juni 2017 Ralf Neise

Inhalt 1 

Einleitung | 1 

2  Der Unternehmer als das schöpferische, kompetente Subjekt | 15  2.1  Der Mensch als Unternehmer | 15  2.2  Die Kompetenz des schöpferischen Subjekts | 17  2.2.1  Die Handlung des schöpferischen Subjekts und ihre objektive Bedeutung | 18  2.2.2  Die Struktur des kompetenten Subjekts | 22  3  3.1  3.2  3.3  3.4  3.5  3.6 

Das Unternehmerische als das Irrationale | 31  Der Wechsel der Betrachtungsrichtung der theoretischen Betriebswirtschaftslehre | 31  Die Eliminierung des Unternehmers durch die theoretische Betriebswirtschaftslehre | 39  Die Unternehmung, in der ein Unternehmer gar nicht vorhanden ist und die irrationale Restgröße | 55  Die Wiederholung der Eliminierung des Unternehmers in der „Produktion“ | 61  Die Bedeutung der irrationalen Restgröße | 68  Betriebswirtschafts- und Entrepreneurshiplehre als Managementlehre | 78 

4  4.1  4.2 

Der mit sich selbst identische Unternehmer | 89  Die Regel des kompetenten Unternehmers | 90  Die Rekonstruktion der Kompetenzentwicklung des Unternehmers | 97 

5  5.1  5.2 

Fallbeispiel: Die Kompetenz des Start-up-Unternehmers | 107  Vorbemerkung zum Material und zum Umfang sowie Geltungsanspruch der Analyse | 107  Analyse | 109 



Protokoll | 123 

Literaturverzeichnis | 133 

1 Einleitung Diese Arbeit stellt die Frage nach der Kompetenz des Unternehmers. Der Unternehmer wird im ersten Schritt mit Bezug auf Wilhelm von Humboldt als Mensch begriffen, der sich im Wirtschaftlichen der Aufgabe der Aufklärung stellt, ein mündiges und selbstständiges Individuum zu werden.1 Sein Handeln ist der Versuch, wirtschaftlich selbstständig zu agieren. Entsteht daraus eine Unternehmung, macht diese ihn zum Unternehmer. Mit Hilfe der objektiven Hermeneutik, die Ulrich Oevermann entwickelt hat, kann ein solcher Entwicklungsprozess des Menschen mit Bezug auf seine Handlungen in konkreten Situationen erfasst und nachvollzogen werden. Der Unternehmer wird in dieser Arbeit als ein schöpferisches Subjekt begriffen, das in unternehmerischen Situationen kompetent agiert.2 Kompetenz wird als ein implizites Bewusstsein des Subjekts von in der praktischen Situation geltenden Regeln verstanden, die im Moment des Handelns unbekannt sind und in der Situation als geltend erweisen. Diese Regeln können unterschiedlichen Typs sein, z.B. solche, die vor jeder Erfahrung gegeben sind und universell gelten oder andere, die wie Gesetze oder Normen eine historisch oder kulturell bedingte Reichweite haben. Sie generieren die objektive Bedeutung, den Sinn, den eine Handlung in der konkreten Situation macht. Diese objektive Bedeutung, die latent ist und geborgen werden kann, unterscheidet die objektive Hermeneutik systematisch von der subjektiven Bedeutung bzw. der Intention, die das handelnde Subjekt seiner Handlung zuweist. Der Unternehmer handelt kompetent, indem sich sein Handeln als gemäß geltenden Regeln unternehmerisch angemessen erweist und es ein Unternehmen entstehen bzw. sich entwickeln lässt, das ihn zum Unternehmer macht. Das implizite Wissen von diesen Regeln, die im Moment des Handelns unbekannt sind und sich für das Unternehmen als geltend erweisen, ist die Kompetenz des Unternehmers. Die objektive Hermeneutik ermöglicht, mit Bezug auf empirische Fälle die Kompetenz des Unternehmers zu explizieren und seinen Kompetenzentwicklungsprozess zu rekonstruieren.3

|| 1 Vgl. Humboldt (1995a), S. 56ff.; ders. (1995b), S. 234ff.; vgl. Seidl (2001), S. 327ff. 2 Vgl. Oevermann (1993), S. 106ff.; ders. (1996a), ders. (1996b) ders. 1996c); zum Unternehmerbegriff vgl. Walger (2010), S. 186ff.; vgl. Kappler (1993), Sp. 3648ff; vgl. Freiling (2004), S. 411ff.; vgl. Hering/ Vincenti, S. 411ff.; vgl. Bröckling (2010); ders. (2007); vgl. Kohler (2010); vgl. Schumpeter (1985), S. 226ff.; vgl. Brentano (1907); vgl. Casson (1982); vgl. Fallgatter (2001); vgl. Grichnik et al. (2010); vgl. Hering et al. (2008); vgl. Hofmann (1968); vgl. Klandt (1990); vgl. Priddat (2010); vgl. Ripsas (1997); vgl. Schencking (2014); vgl. Schmidt (2001); vgl. Schneider (2002); vgl. Wingenter (2006) 3 Vgl. Oevermann (1976), S. 34 ff.; ders. (1981)

DOI 10.1515/9783110549553-001

2 | Einleitung

Im zweiten Schritt wird geprüft, welchen Beitrag die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft in ihrer Grundlegung durch Erich Gutenberg zur Beschreibung der Kompetenz des Unternehmers leistet. Gutenberg untersucht in seiner Habilitation von 1929 zuerst die an den Handelshochschulen betriebene, auf das Aufsuchen von organisatorischen Regeln zielende Betriebswirtschaftslehre. Diese sieht die Dinge nicht unter dem Aspekt, der für Gutenberg entscheidend ist. Für Gutenberg können in wissenschaftlicher Beziehung das Aufsuchen der organisatorischen Verfahren und ihrer Vor-und Nachteile nicht das Maßgebende sein, sondern nur die Frage, zu welchen Folgen das eine oder andere Verfahren führt.4 Gutenberg grenzt, indem er die Betrachtungsrichtung wechselt, von dieser auf das Organisatorische gerichteten Betriebswirtschaftslehre seine auf die betriebswirtschaftlichen Grundprozesse gerichtete, theoretische Betriebswirtschaftslehre ab. Diese betriebswirtschaftlichen Grundprozesse machen erst den Sinn des Organisatorischen aus, und sie vollziehen sich durch menschliches Handeln, das nicht regellos sondern durch die die Betriebswirtschaft charakterisierenden Prinzipien bestimmt ist.5 Wenn man, wie in dieser Arbeit, das im Unternehmen handelnde Subjekt mit der objektiven Hermeneutik als kompetenten Unternehmer begreift, ist die Suche nach diesen Prinzipien die Frage nach den Regeln, die seinem Handeln zugrunde liegen und ihre Bedeutung generieren. Gutenberg begründet die theoretische, auf die betriebswirtschaftlichen Grundprozesse gerichtete Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft, indem er die Unternehmung als ihr Forschungsobjekt etabliert und dieses aus den Elementen Kapital, Rationalprinzip und psychophysischem Subjekt konstituiert.6 Gutenberg weist das Rationalprinzip allem menschlichen Handeln und Schaffen zu und betrachtet unter Verwendung einer regulären Als-ob-Konstruktion die Unternehmung, als ob das Rationale sich unmittelbar mit seinem Inhalt, dem Kapital träfe, als ob ein psychophysisches Subjekt gar nicht vorhanden sei. Damit konstituiert er die Unternehmung als einen rationalen Komplex von Kapitalien, die funktional gebunden sind.7 Mit der Zuweisung des Rationalprinzips zu allem menschlichen Handeln kann es als die Regel einer rational bewährten Handlung und durch seinen Inhalt und dessen Berechenbarkeit als die Regel der rationalen, rechnerisch richtigen Kapitaldisposition verstanden werden. Mit der Regel der rechnerisch richtigen Kapitaldisposition ist die Kompetenz des im Unternehmen handelnden Subjekts als eine spezifische, betriebswirtschaftliche Kompetenz be-

|| 4 Vgl. Gutenberg (1929), S. 14f. 5 Vgl. Gutenberg (1929), S. 28 6 Vgl. Gutenberg (1929), S. 24ff.; vgl. Walger (1993), S. 109 ff., vgl. Kappler (1976), S. 107ff., ders. (1992a); vgl. Schencking (2014), S. 37ff. 7 Vgl. Gutenberg (1929), S. 44; vgl. Walger (1993), S. 125, vgl. Kappler (1993), Sp. 3648ff., vgl. Wingenter (2006), S. 203ff.

Einleitung | 3

stimmt. Diese betriebswirtschaftliche Kompetenz ist mit der Kompetenz des Unternehmers nicht identisch. Die Konstitution Gutenbergs macht es nur möglich, das Rationale des schöpferischen Unternehmers, seine betriebswirtschaftliche Kompetenz, in den Blick zu nehmen. In der Unternehmung, in der das Kapital rational disponiert wird, ist das Schöpferische des Unternehmers gewissermaßen ein irrationaler Rest außerhalb des Erfassungsbereichs der betriebswirtschaftlichen Kompetenz.8 In den Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre begreift Gutenberg die Unternehmensleitung, die in dem industriellen Großbetrieb die Tätigkeit des Unternehmers übernimmt, als Funktion, die die drei elementaren Produktivfaktoren kombiniert.9 Die drei Schichten des Irrationalen, des Rationalen und des Gestaltend-Vollziehenden machen das Wesen und die Weite dieses vierten Faktors aus.10 Von diesen bleibt das Irrationale, das die Geschäfts- und Betriebsleitung in Wirklichkeit mit einer neuen Kombination dispositiver und organisatorischer Akte reagieren lässt, aus seiner Unternehmenskonstruktion ausgegrenzt. Es wird dem Unternehmerischen zugewiesen und von Gutenberg in seiner rationalen Unternehmenskonstruktion nicht weiter verfolgt. Die quantitativen Methoden Gutenbergs haben nur eine begrenzte Reichweite. Im System der der theoretischen Analyse zugrunde liegenden Axiome setzt er voraus, dass die Entscheidung über den Einsatz neuartiger Produktivfaktoren bereits gefallen ist und das System sich in einer „hypothetischen Ruhelage“11 befindet. Unter dieser Voraussetzung wird die Kombination der elementaren Faktoren optimiert.12 Die Regeln, nach denen die Betriebs- und Geschäftsleitung handelt und die optimale Kombination realisiert, können als betriebswirtschaftliche Kompetenz expliziert werden. Gutenberg erinnert an den Abstand seiner theoretischen Konstruktion von der Wirklichkeit, indem er darauf hinweist, dass es für ihn keine wissenschaftliche Lehre von der Unternehmensführung – und damit auch nicht von dem Unternehmer – geben kann und alle Ausgliederung und Verwissenschaftlichung von Funktionen der Betriebsführung keine Verwissenschaftlichung der Funktion selbst bedeuten.13 Für Gutenberg kann es keine wissenschaftliche Lehre von der Unternehmensführung bzw. dem Unternehmer geben. Mit der theoretischen Betriebswirtschaftslehre kann die betriebswirtschaftliche Kompetenz bestimmt werden, die Kompetenz des Unternehmers kann mit Bezug auf sie nur in ihren rationalen Momenten erfasst und eine nicht spezifisch betriebswirtschaftliche || 8 Vgl. Gutenberg (1929), S. 95 9 Vgl. Albach (2002), S. 87ff., vgl. Schneider (2002), S. 1ff.; vgl. Schmidt (2001), S. 105ff.; vgl. Casson (1982), S. 23; vgl. Wingenter (2006), S. 228ff. 10 Vgl. Gutenberg (1983), S. 131ff.; vgl. Walger (1993), S. 132ff. 11 Vgl. Gutenberg (1989), S. 65 12 Vgl. Gutenberg (1989), S. 299; vgl. Walger (1993), S. 177ff. 13 Vgl. Gutenberg (1962), Vorwort, ders. (1951), S. 107, ders. (1989), S. 147

4 | Einleitung

Kompetenz abgegrenzt werden. Der Unternehmer bleibt in seinem UnternehmerSein, insoweit er mit einem neuen System kombinatorischer und organisatorischer Akte und frei in seiner Disposition reagiert, als irrational begriffen. Dieses Irrationale ist eine Restgröße und bei Gutenberg nicht positiv beschrieben. In diesem Irrationalen, das nicht den Unternehmer sondern das Rationale den Ausgangspunkt der Betrachtung sein lässt, erscheint die die rationale Funktion realisierende Betriebs- und Geschäftsleitung, als ob sie ein kompetent handelnder Unternehmer im Unternehmen sei.14 In der betriebswirtschaftlichen Theorie und der von ihr bestimmten Wirklichkeit ist die Frage nach der Kompetenz des Unternehmers unfragbar geworden. Die Fiktion, die Funktion der Betriebs- und Geschäftsleitung sei mit dem kompetent handelnden Unternehmer identisch, verunmöglicht, die Frage nach der Kompetenz des Unternehmers zu stellen.15 Indem die Betriebswirtschaftslehre sich auf die Funktion der rationalen Kapitaldisposition fokussiert, entwickelt sie sich als Managementlehre. Der Manager muss sich für diese Funktion eignen und das Handeln nach ihren Regeln als betriebswirtschaftliche Kompetenz ausbilden.16 Auch für die Entrepreneurshiplehre, die das Unternehmerische adressiert und die Gründung des Unternehmens thematisiert, muss der Entrepreneur Manager bzw. betriebswirtschaftlich kompetent sein. Die Entrepreneurshiplehre entwickelt sich als Teilbereich der Betriebs- bzw. Managementlehre.17 Der Unternehmer kann in dieser Betriebswirtschaftslehre nicht vorkommen und von ihr nicht ausgebildet werden. Die betriebswirtschaftliche Kompetenz, das Kapital rechnerisch richtig zu disponieren, ist notwendig, aber nicht hinreichend für das Unternehmer-Sein. Die Eliminierung des Unternehmers aus der Betriebswirtschaftslehre ist die Konsequenz ihrer Verwissenschaftlichung. Auch bei Gutenberg finden sich Hinweise auf das Problem und die Notwendigkeit einer Bildung des Unternehmers jenseits der sich als objektiver Wissenschaft verstehenden theoretischen Betriebswirtschaftslehre.18 Innerhalb einer sich rational verstehenden Wissenschaft ist der Unternehmer von der Rationalität her als irrational und nicht positiv zu begreifen.19 Deshalb wird in dieser Arbeit mit Bezug auf Humboldt, der neben die

|| 14 Vgl. Walger (1993), S. 177ff. 15 Vgl. Walger (1993), S. 181, vgl. Wingenter (2006), S. 10ff., vgl. Schencking (2014), S. 80ff. 16 Vgl. Walger (1993), S. 182 17 Vgl. Grichnik et al. (2010); vgl. Grichnik/ Immerthal (2005); vgl. Fallgatter (2002); ders. (2004); vgl Klandt (1999); vgl. Shane/ Venkatamaran (2000) 18 Vgl. Gutenberg (1929) S. 39f., vgl. Albach (1997) S. 3 19 Vgl. Walger (2010), S. 66; Walger/ Neise (2012), S. 11ff; Kappler (2006a); S. 101ff., ders. (2006b), S. 371ff.

Einleitung | 5

objektive Wissenschaft die Bildung des Subjekts stellt, auf die Bildung des Menschen, die auf seine Identität zielt, Bezug genommen.20 Bildung im Sinne Humboldts ist ein Prozess des Sich-selbst-Bildens, der der praktischen Erfahrung bedarf, an die Person gebunden ist und ein von der objektiven Wissenschaft zu unterscheidendes Wissen von sich selbst bildet.21 Die objektive Hermeneutik nimmt den Gedanken der subjektiven Bildung auf und entwickelt die Theorie der Bildungsprozesse des Subjekts, die ermöglicht, die rationale Betriebswirtschaftslehre als Objekttheorie zu integrieren und den empirischen Kompetenzentwicklungsprozess des Unternehmers zu rekonstruieren. Sie geht konstitutionstheoretisch nicht von der bewährten sondern der Krisensituation aus und stellt nicht den Begriff der Rationalität sondern den der Authentizität ins Zentrum.22 Im Unternehmen entspricht das authentisch handelnde Subjekt dem Unternehmer. Für dieses stehen in der praktischen Situation die geltenden Regeln in Frage, erst im Nachhinein können sie sich als geltend für die Entstehung bzw. Entwicklung eines Unternehmens erweisen. Indem das Handlungssubjekt in Bezug auf diese Regeln angemessen handelt, entsteht bzw. entwickelt sich das Unternehmen und dieses macht das Subjekt zum Unternehmer. Das implizite Wissen von diesen Regeln, die sich als geltend erweisen, macht die Kompetenz des Unternehmers aus. Das im Unternehmen handelnde Subjekt verbindet mit seiner Handlung eine subjektive Bedeutung bzw. Intention, aber die geltenden Regeln bestimmen, ob und inwieweit diese der objektiven Bedeutung entspricht. Handlungen, von denen sich erweist, dass subjektive und objektive Bedeutung übereinstimmen, sind kompetente Handlungen.23 Da die Bedeutung des Handelns im Vorhinein in Frage steht, kann das handelnde Subjekt sich nur nachträglich als kompetent erweisen. Die unternehmerische Kompetenz des Handlungssubjekts zeigt sich im Nachhinein, wenn seine Handlungen sich nach objektiv geltenden Regeln als unternehmerisch erweisen und das Unternehmen entstanden ist, das zu realisieren es intendiert hat. Das unternehmerisch kompetent handelnde Subjekt wird als ein Regeln implizit in seinem Bewusstsein verinnerlichender Akteur begriffen.24 Da der Unternehmer die seinem Handeln implizit zugrunde liegenden Regeln nicht notwendig explizieren kann, muss der Kompetenz notwendig ein intuitives Urteil der Angemessenheit entsprechen, das der Unternehmer im Handeln zur Anwendung

|| 20 Vgl. Humboldt (1996), S. 257f.; Walger (2000), S. 186ff.; Kappler (1992a), Sp. 1324ff.; vgl. Wingenter (2006), S. 350ff. 21 Vgl. Walger (2000), S. 186ff; Walger/ Miethe (1996), S. 263ff. 22 Vgl. Oevermann (1993), S. 112ff. 23 Vgl. Oevermann (1997); S. 7ff., ders. (1979), S. 361ff. 24 Vgl. Oevermann (1993), S. 114ff.

6 | Einleitung

bringt. Die Angemessenheit des Urteils kann sich nur im Nachhinein herausstellen. Indem mit Bezug auf unternehmerische Handlungen die Regeln, die sich als geltend erwiesen haben, im Nachhinein expliziert werden, kann die Kompetenz des Unternehmers und die Angemessenheit seines Urteils nachträglich begründet werden. Darin, dass erst im Nachhinein jene Kompetenz beschrieben werden kann, die im intuitiven Urteil und der kompetenten unternehmerischen Handlung enthalten ist und für ihre Rekonstruktion in Anspruch genommen werden muss, manifestiert sich der grundlegende erkenntniskonstitutive Zirkel jeglicher Erfahrungswissenschaft.25 Der kompetente Unternehmer fällt das intuitive Angemessenheitsurteil seines unternehmerischen Handelns, auch wenn er die diesem zugrunde liegenden Regeln nicht kennt. Indem sich erweist, dass der Unternehmer in Bezug auf die geltenden Regeln angemessen handelt und die objektive Bedeutung seines Handelns der seiner Intention entspricht, verinnerlicht er die in der Handlung geltenden Regeln und bildet er unternehmerische Kompetenz. Die Kompetenz des Unternehmers, sein implizites Bewusstsein von den geltenden Regeln und sein intuitives Angemessenheitsurteil, entwickelt sich mit Bezug auf Handlungen, die sich als kompetent erweisen. Die Kompetenzentwicklung des Subjekts ist nicht als konstruktive Regelsetzung begriffen, sondern als die rekonstruktive Verinnerlichung von sich als geltend erweisenden Regeln gedacht. 26 Nicht die Routine sondern die Krise ist der konstitutionstheoretische Normalfall, durch den die Kompetenz des Unternehmers im Nachhinein rekonstruiert werden kann. Der Unternehmer kann nicht nur eine bestimmte Handlungsoption sondern Möglichkeiten mit verschiedener objektiver Bedeutung realisieren.27 Diese bedeuten unterschiedliche Ideen oder verschiedene Möglichkeiten der Entwicklung des Unternehmens. Welche Idee der Unternehmer realisiert, was die Entwicklung seines Unternehmens objektiv bedeutet, wird durch die geltenden Regeln bestimmt. Der Unternehmer muss in der Situation handeln und seine Handlung bedeutet, dass er sich für eine der objektiv möglichen Optionen subjektiv entscheidet. Die Subjektivität dieser Entscheidung, unter den objektiven Optionen zumindest implizit auszuwählen, ist nicht aufhebbar.28 Der Unternehmer weist seiner Handlung eine subjektive Bedeutung zu, aber die objektive Bedeutung seiner Handlung bzw. welche Idee entsteht, bleibt durch die geltenden Regeln bestimmt. Die objektive Regel, die sich für die realisierte Handlungsoption als geltend erweist und die dem Unternehmer nicht notwendig bewusst ist,

|| 25 Vgl. Oevermann (1986), S. 22ff. 26 Vgl. Oevermann (1973), S.26ff. 27 Vgl. Oevermann (1996a), S. 7ff. 28 Vgl. Oevermann (1993) S. 182ff., ders. (1991) S. 267ff.

Einleitung | 7

ist die Regel des Unternehmens. Als implizit ausgewählte Regel, die das Handlungssubjekt unter unterschiedlichen, objektiv möglichen Regeln handelnd selektiert hat, ist sie die subjektive Entscheidungsregel des Unternehmers. Für die Realisierung der Handlungsoption und das Entstehen des Unternehmens ist die Erbringung einer Leistung notwendig. Hinreichend ist die Interaktion des Unternehmers mit den Kunden, sein Handeln am Markt.29 Erst durch den Erfolg am Markt realisiert sich die Option und entsteht das Unternehmen. Der Unternehmer weiß im Vorhinein nicht, was die von ihm erstellte Leistung am Markt bedeutet. Der Unternehmer kann nicht allein mit der Erstellung der Leistung anfangen. Auch eine noch so gut erstellte Leistung birgt das Risiko, am Markt vorbei zu produzieren, so dass das Unternehmen nicht entsteht bzw. ein bestehendes gefährdet wird. Der Unternehmer kann versuchen, den Markt zu erforschen, verschiedene Zielgruppen zu erkunden, Produkte zu testen und unterschiedliche Formen der Leistung auszuprobieren. Aber was seine Leistung am Markt objektiv bedeutet, erweist sich immer erst im Nachhinein und die für das Entstehen des Unternehmens geltenden Regeln können erst festgestellt werden, nachdem das Unternehmen entstanden ist. Der Unternehmer muss mit dem Problem umgehen, dass weder die Qualität der Leistung noch die Berücksichtigung von Markttests oder Kundenbefragungen seinen Erfolg als Unternehmer sichern. Wer Unternehmer sein will, muss handeln und kommt nicht umhin, von ihm als geltend angenommene Regeln in Anspruch zu nehmen und die Bedeutung seines Handelns zumindest implizit zu beurteilen. Er kann im Handeln das Fällen eines intuitiven Angemessenheitsurteils seiner Handlung in Bezug auf Regeln, deren Geltung in Frage steht, nicht auslassen.30 Letztlich ist der Unternehmer auf sein intuitives Angemessenheitsurteils verwiesen. Er kann im Nachhinein die Bedeutung seines Handelns zu seiner subjektiven Intention ins Verhältnis setzen und sich der Angemessenheit bzw. Unangemessenheit seines Handelns vergewissern. Indem das Unternehmen sich am Markt als erfolgreich erweist, kann der Unternehmer gewiss sein, dass die Regeln, die er im Handeln in Anspruch genommen hat, die beanspruchte Geltung haben und sein Urteil verlässlich gewesen ist. Die verwirklichte Auswahlentscheidung des Unternehmers, die durch das angemessene Handeln des Unternehmers realisierte Handlungsoption, lässt das Unternehmen entstehen und das entstandene Unternehmen macht das handelnde Subjekt zum kompetenten Unternehmer.31 Wenn sich das Handeln als

|| 29 Vgl. Walger/ Neise (2012), S. 12ff.; vgl. Walger/ Schencking (2003); vgl. Faltin (2008); vgl. Fallgatter (2001): vgl. Ripsas (1997); vgl. Gigerenzer (2013) 30 Vgl. Oevermann (1973), S. 6ff. 31 Vgl. Walger/ Schencking (2003), S. 39ff.

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nicht oder nicht mehr als sinnvoll erweist, ist der Unternehmer gefragt, sein Handeln an einer anderen, im Vorhinein in Anspruch genommenen Regel zu orientieren. Indem sich erweist, dass sie für das Entstehen bzw. Entwicklung des Unternehmens sich als geltend erweist und er ihr angemessen handelt, entsteht ein neues Unternehmen, das ihn neuerlich zum Unternehmer macht. Die reproduktive Auswahl derselben objektiv geltenden Regel, die sich im Handeln bewährt, lässt das im Vorhinein angenommene Unternehmen entstehen und wachsen. Die sich im Handeln vollziehende Auswahl einer neuen Regel bedeutet die Transformation der subjektiven Auswahlentscheidung, und dass ein neues Unternehmen entsteht, das durch Reproduktion der neu gewählten Regel weiter wachsen kann. Sowohl die Reproduktion als auch die Transformation der Entscheidung bedeuten, das unternehmerische Risiko einzugehen, denn die Offenheit der Situation ist für den am Markt agierenden Unternehmer unaufhebbar.32 Die Folge seiner subjektiven Auswahlentscheidungen, die sich am Markt als erfolgreich erweisen und das Unternehmen entstehen lassen, lässt sich als ein Prozess der Kompetenzentwicklung des Unternehmers beschreiben. Der Kompetenzentwicklungsprozess des Unternehmers beinhaltet die Reproduktion bzw. Transformation der subjektiven Entscheidung des Unternehmers. Der kompetente Unternehmer ist der Idealtyp des unternehmerisch handelnden, mit sich selbst identischen Subjekts.33 Mit seiner Handlung entscheidet es sich implizit, gemäß einer Regel zu handeln, die sich erst noch als geltend für das Entstehen bzw. Entwicklung des Unternehmens erweisen muss, das es Unternehmer sein lässt. Seine Entscheidung nimmt eine unternehmerische Kompetenz in Anspruch, die ebenso in Frage steht wie seine Identität als Unternehmer. Mit ihr antwortet das Handlungssubjekt im wirtschaftlichen Bereich auf die Frage nach seiner Identität. Indem sich die Regel seiner Handlungen als für das Entstehen des Unternehmens geltend erweist und die subjektiv gewählte Handlungsoption als Unternehmen entsteht, bewährt sich die in Anspruch genommene Kompetenz und verwirklicht sich die Subjektivität des Unternehmers. Die Kompetenz des Unternehmers ist mit der betriebswirtschaftlichen Kompetenz nicht identisch. Der Unternehmer begreift seine Situation, ein Angebot am Markt zu machen, als eine offene Situation, in der er seine Handlungen den geltenden Regeln anmessen bzw. in der er die ihr angemessene Handlungsoption herausfinden muss. Mit der Realisierung der Handlungsoption schließt der Unternehmer die offene Situation.34 Mit dieser Entscheidung sind Konsequenzen verbunden, z.B. bestimmte weitere Handlungen oder ein bestimmtes Kapital ein-

|| 32 Vgl. Gigerenzer (2013); vgl. Grichnik/ Immerthal (2005); vgl. Pinkwart (2002) 33 Vgl. Oevermann (1993), S. 106ff.; vgl. ders. (1996) 34 Vgl. Kappler (1989), S. 59ff.

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zusetzen sowie eine Kalkulation, wie dieses sich rechnet. Über die Angemessenheit seines Handelns muss der Unternehmer kontinuierlich entscheiden. Denn objektiv bleibt die Situation eine offene und die objektive Bedeutung der nachfolgenden Handlungen fraglich. Indem die Schließung seine subjektive Entscheidung ist, weiß der Unternehmer, dass mit ihr ein unternehmerisches Risiko verbunden ist, da die Angemessenheit seines Urteils und die Bedeutung seiner Handlungen, auch wie das eingesetzte Kapital sich rechnet, sich im Nachhinein erweisen. Der betriebswirtschaftlich handelnde Manager geht demgegenüber von der Geschlossenheit der unternehmerischen Situation aus. Das von Gutenberg formulierte Rationalprinzip kann als geltende Regel einer als bewährt begriffenen Situation verstanden werden, in der das kompetente Handlungssubjekt den rationalen Kapitaleinsatz realisiert. Wenn der Manager gemäß dieser Regel handelt, dann handelt er richtig. Das Maß des Managers ist, richtig in Bezug auf die festgesetzte Regel der rationalen Kapitalverwendung zu handeln und ihr gemäß die Leistung zu erstellen und am Markt zu agieren. Das Maß des Unternehmers ist, richtig in Bezug auf den Erfolg des Unternehmens am Markt zu handeln, der notwendigerweise in Frage steht und sich erst im Ergebnis zeigt. Die betriebswirtschaftliche Kompetenz des Managers beinhaltet die Regeln einzuhalten, die für das intendierte Ergebnis der rationalen Kapitalverwendung als geltend angenommen werden. Die unternehmerische Kompetenz beinhaltet, die Regeln einzuhalten, die das intendierte Ergebnis – das Unternehmen, das ihn zum Unternehmer macht – generieren und die bis zur Erreichung dieses Ergebnisses in Frage stehen. Dem Unternehmer ist die Notwendigkeit, im Handeln eine Regel zu realisieren, die sich für das Unternehmen als geltend erweist, zumindest implizit bewusst. Wenn sich erweist, dass durch sein Handeln kein Unternehmen entsteht, kann der Unternehmer eine Handlungsoption wählen, die eine andere, für das Unternehmen sich als geltend erweisende Regel realisiert. Der Unternehmer ist die letzte Instanz, die die seinem Handeln im Unternehmen zugrunde liegende Regel bestimmt, und die Handlung, die sich für das Unternehmen als angemessen erweist und es entstehen bzw. sich entwickeln lässt, macht den handelnden Akteur zum Unternehmer. Unternehmer- und Unternehmensentwicklung stehen in einem wechselseitigen Verhältnis.35 Demgegenüber muss der Manager sich für ein bestimmtes Unternehmen eignen. Er handelt, indem er die vorbestimmte Regel, nach der das Kapital richtig eingesetzt wird, realisiert und ein bestimmtes Ergebnis erwartet. 36 Wenn sein Handeln nicht das erwartete Ergebnis hervorbringt, entsteht für ihn das Problem, über eine neue, angemessenere Handlung

|| 35 Vgl. Walger/ Neise (2005), S. 301ff.; vgl. Walger/ Schencking (2003), S. 39ff. 36 Vgl. Walger (1993), S. 182

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entscheiden zu müssen und ihre Angemessenheit in Bezug auf die gesetzte Regel der rationalen Kapitalverwendung zu begründen. Dieses Problem versuchen Manager häufig durch vorgefertigte Organisationslösungen oder den Einsatz von Unternehmensberatung zu lösen. Solche Lösungen bzw. Beratungsprodukte sind definierte Handlungsoptionen mit als geltend angenommenen Regeln, die theoretisch entwickelt worden sind und/ oder sich in einem bestimmten Kontext rational bewährt haben, von ihrem Entstehungszusammenhang abgelöst und auf andere Kontexte übertragbar gemacht worden sind, so dass Manager den durch sie beschriebenen Regeln folgen können.37 Der Unternehmer kommt nicht umhin, das Urteil der Angemessenheit seiner Handlung in Bezug auf die Regel, die sich für das Entstehen des Unternehmens als geltend erst noch erweisen muss, selbst zu fällen, und es steht in Frage, bis es sich im Ergebnis als verlässlich erwiesen hat. Dafür ist es hilfreich, gelernt zu haben, nicht von der Bewährtheit sondern der Offenheit der Situation auszugehen, also statt vorbestimmten Regel zu folgen die in der Situation geltende Regeln in Erfahrung bringen und ihnen angemessen zu agieren. Dies zu lernen erfordert, das Handeln in praktischen Situationen in die Ausbildung zum Unternehmer einzubeziehen und im Nachgang die Bedeutung des Handelns in Erfahrung zu bringen.38 Der Kompetenzbegriff ermöglicht die Grenze zu überschreiten, die Gutenberg als Grenze der betriebswirtschaftlichen Theorie ausgemacht hat. Danach bedeutet die Reaktion „mit einem neuen System kombinatorischer und organisatorischer Akte“39, dass die Handlung der Regel des rationalen Kapitaleinsatzes nicht angemessen ist. Eine solche Unangemessenheit verortet Gutenberg in der Praxis und außerhalb seiner rationalen Theorie. Mit Hilfe der objektiven Hermeneutik kann dieses unternehmerische Handeln, das Gutenberg nur als irrational ausgrenzen konnte, erfasst und als kompetentes Handeln des seine Kompetenz realisierenden Unternehmers durch Rekonstruktion im Nachhinein expliziert und positiv begriffen werden.40 Die objektive Hermeneutik ist eine Methodologie, die mit Bezug auf zur Verfügung stehende Protokolle die impliziten Entscheidungen des Unternehmers expliziert, die Angemessenheit seiner Urteile in Bezug auf das Entstehen bzw. die Entwicklung des Unternehmens im Nachvollzug prüft und die sich als geltend erweisenden Regeln birgt. Für diese Analyse ist es notwendig, die objektive Bedeutung der Handlungen des Unternehmers zu generieren, die ihre Bedeutung generierenden Regeln und sinnvoll möglichen Handlungsoptionen zu bestimmen und im Handlungsverlauf die vom Handlungssubjekt gefällten impliziten

|| 37 Vgl. Walger (1999), S. 5ff., ders. (1995), S. 125ff.; vgl. Miethe (1997), S. 87ff. 38 Vgl. Walger (2000), S. 186ff.; vgl. Walger/ Miethe (1996), S. 263ff.; vgl. Kappler (1997), S. 11ff. 39 Gutenberg (1983) S. 133 40 Vgl. Glasl/ Lievegoed (1993): vgl. Walger/ Neise (2008)

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Auswahlentscheidungen nachzuvollziehen. 41 Indem eine Folge von Sequenzen analysiert wird und sich erweist, dass durch die Handlungen des Handlungssubjektes im Ergebnis ein Unternehmen entstanden ist, können diese als kompetente Handlungen eines Unternehmers qualifiziert werden. Die Regeln, deren Reproduktion bzw. Transformation in diesem Handeln nachgewiesen werden kann, können als die Kompetenz des Unternehmers bestimmt werden, die sich im untersuchten Fall erwiesen hat. Solange das Handeln sich als angemessen gemäß der im Vorhinein gesetzten rationalen Regel der Kapitalverwendung erweist, ist auch der Manager unternehmerisch erfolgreich. Das unternehmerische Handeln und das Handeln eines Managers kann insoweit unterschieden werden, wie die Detailliertheit des Protokolls den Unterschied dokumentiert, dass das Handeln die für das Entstehen des Unternehmers sich als geltend erweisende Regel realisiert bzw. die im Vorhinein festgesetzte Regel der rationalen Kapitalverwendung reproduziert. 42 Das Auseinanderfallen der für das Unternehmen sich als geltend erweisenden Regel und der im Vorhinein festgesetzten Regel der Kapitalverwendung lässt das Problem entstehen, dass Manager in Bezug auf vorab gesetzte Regeln handeln, die nicht notwendig identisch sind mit den Regeln, die sich für den Erfolg des Unternehmens am Markt als geltend erweisen. Da mit den vorab festgesetzten Regeln oftmals Anreizsysteme verbunden sind, realisieren dann Manager in ihrem Handeln ihren persönlichen Erfolg zu Lasten des Unternehmens. Eine solche ggf. bestehende Diskrepanz ist also nicht unbedingt auf regelabweichendes oder unethisches Verhalten zurückzuführen.43 Vielmehr kann es durch regelkonformes Handels bedingt sein, und das eigentliche, durch die Regel-Konstruktion geschaffene Problem kann durch die Rekonstruktion empirischer Fälle sichtbar gemacht werden. Die Rekonstruktion der im Vorhinein gesetzten Regel der rationalen Kapitalverwendung expliziert eine Kompetenz, die das Handlungssubjekt Manager und austauschbarer Akteur sein lässt. Die Rekonstruktion der Regel, deren Reproduktion bzw. Transformation sich für das Unternehmen als geltend erweist, expliziert eine Kompetenz, die das Handlungssubjekt Unternehmer sein lässt und ihm eine individuelle Subjektivität verleiht. Die Kompetenz des Managers kann rekonstruiert werden, wenn er der im Vorhinein gesetzten Regel folgt, auch wenn das Unternehmen sich am Markt nicht als erfolgreich erweist. Die Rekonstruktion der Kompetenz des Unternehmers bedarf des Erfolges des Unternehmens am Markt. Eine Fallrekonstruktion kann darüber hinaus potentiell unternehmerisch

|| 41 Vgl. Oevermann et al. (1979), S. 353, vgl. Kappler (1976), ders, (1983), ders. (1984), ders. (1994), vgl. Walger (1993) 42 Vgl. Oevermann (1991), S. 304 43 Vgl. Holzmann (2015); vgl. Hentze (2009)

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sinnvolles Handeln sichtbar machen, das bisher in der Praxis nicht vorkam.44 Solche vom Unternehmer nicht realisierte Handlungen, die in der Analyse als regelangemessene Handlungsmöglichkeiten generiert werden, können als unternehmerische Optionen bzw. unternehmerische Ideen bezeichnet werden. Ihre als Regelwissen explizierte Kompetenz hat den Charakter einer Hypothese, deren objektive Geltung unter dem Vorbehalt des Markterfolges steht. Gründer von Start-ups werden heute für Unternehmer gehalten. Ob sie dies sind, wird anhand eines empirischen Falls exemplarisch analysiert. Das Beispiel soll dazu dienen, die Kompetenz des Gründers zu explizieren und seine Kompetenz als Unternehmer zu prüfen. Am Beispiel des Gründers G1, der zusammen mit drei anderen Gründern das Start-up SU gegründet hat, wird der Fall anhand eines dokumentierten Beratungsprotokolls gedeutet. Die Analyse wird auf die Frage nach der Kompetenz des Unternehmers begrenzt und geprüft, ob der Gründer kompetent als Unternehmer gehandelt hat. Das Fallbeispiel zeigt, dass die Gründung eines Start-up noch keinen Unternehmer macht. G1 investiert immer weiter in die von ihm anfänglich entwickelte Unternehmenskonzeption und verkauft zur Finanzierung des Start-ups immer mehr Unternehmensanteile an Investoren. G1 handelt gemäß der von ihm für das Entstehen des Unternehmens als geltend angenommenen Regel bis er über fast keine Unternehmensanteile mehr verfügt und von den Investoren abhängig geworden ist. Der Gründer G1 des Start-ups SU hat wie ein Manager agiert, indem er an der als rational geltenden Handlungsoption festgehalten und das damit verbundene Risiko durch den Verkauf der Unternehmensanteile auf die Investoren verlagert hat. Die betriebswirtschaftliche Ausbildung, die die rationale Kapitalverwendung und Modelle zu ihrer Realisierung vermittelt, ist notwendig, aber nicht hinreichend dafür, Unternehmer zu werden. Hinreichend für das Unternehmer-Werden ist, im Handeln die Regel zu realisieren, die für das Entstehen bzw. die Entwicklung des Unternehmens sich als geltend erweist. Für den Unternehmer kommt es darauf an, diese Regel herauszufinden und ihr gemäß zu handeln, so dass das Unternehmen entsteht, das ihn zum Unternehmer macht. Der Unternehmer kommt nicht umhin, das Urteil der Angemessenheit seiner Handlungen in Bezug auf diese, im Vorhinein unbekannte Regel zu fällen und das mit seinem Handeln einher gehende Risiko zu übernehmen. Sein Urteil steht in Frage, bis es sich im Ergebnis als verlässlich erwiesen hat. Für Gründer von Start-ups, die Unternehmer werden wollen, ist daher heute ein die betriebswirtschaftliche Ausbildung ergänzendes Bildungsangebot sinnvoll, in dem sie die Regel ihres Handelns rekonstruieren und die Regel bergen und erproben können, die für ihr Handeln als Unternehmer angemessen ist. Das zweite Beispiel zeigt, wie ein Gründer, der

|| 44 Vgl. Oevermann (1996a), S. 17

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durch die Vermarktung seiner zuvor als angestellter Mitarbeiter erbrachten Arbeitsleistungen Unternehmer werden will, unterstützt durch eine Gründungsberatung die Unangemessenheit seines Handelns erkennt und die seinem Handeln zugrunde liegende Regel transformiert.

2 Der Unternehmer als das schöpferische, kompetente Subjekt Was den Unternehmer ausmacht lässt sich nur verstehen, wenn man ihn als Mensch und in seinem Verhältnis zur Unternehmung begreift.

2.1 Der Mensch als Unternehmer Erich Gutenberg, der wohl größte Denker der modernen Betriebswirtschaftslehre45, beschreibt in seiner Habilitationsschrift von 1929 den Menschen als den Schöpfer der Unternehmung. „Die Unternehmung entsteht durch bewußten, schöpferischen Akt des Menschen, der die Dinge, die wir wirtschaftlich als Güter bezeichnen, bindet und bewegt.“46

Die Unternehmung bedarf des Menschen im Moment ihrer Gründung und während ihres gesamten Lebens. In schwierigen Situationen oder an Stellen, in denen der schöpferische Akt notwendig wird, bedarf sie des Anschubs durch ihren Motor (lat. für Beweger).47 Die unmittelbare menschliche, schöpferische Bildungs- und Gestaltungskraft produziert eine Unternehmung, die durch Einmaligkeit, durch ein ganz individuelles Gerade-so-sein charakterisiert ist, und die keiner anderen in allen Details gleicht. Der Mensch ist das bewegende, schaffende Element des Unternehmens, das er mit seinem Willen, seiner Entschlusskraft und seinem Blick für ökonomische Dinge in seiner Individualität prägt. „Schon daraus, daß die einzelne Unternehmung als solche nicht etwas Naturgegebenes ist, wie das Material der Naturwissenschaften im erfahrungswissenschaftlichen (!) Sinne, sondern ein Produkt unmittelbarer menschlicher, schöpferischer Bildungsund Gestaltungskraft, wird ersichtlich, daß sich jede Betriebswirtschaft durch Einmaligkeit, durch ein ganz individuelles Gerade-so-sein charakterisiert. Es gibt kein Unternehmen, das einem anderen in allen seinen Details gliche. Das bewegende, schaffende Element in ihnen, der Wille, die Entschlußkraft und der Blick der Leiter der

|| 45 Vgl. Walger (1993), S. 11 46 Gutenberg (1929), S. 11 47Vgl. Gutenberg (1951), S. 103f.

DOI 10.1515/9783110549553-002

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Unternehmen für ökonomische Dinge geben jedem Unternehmen sein individuelles Gepräge.“48

Die Einmaligkeit der Unternehmung entsteht durch die Individualität des Menschen, seinem sich im Bewusstsein vollziehenden Denken und schöpferischen Handeln. Humboldt beschreibt die Individualität der Menschen als die Symbolisierung einer Idee, "auf die man nur dadurch, dass sie sie lebendig darstellten, kommen konnte."49 Der Mensch ist die Verkörperung einer Idee, die eine Idee der Aufklärung – dem Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit – und ihrer Vernunft ist.50 Nach dieser ist der wahre Zweck des Menschen nicht das Verfolgen eines äußeren oder vorgegebenen Ziels sondern in ihm selbst angelegt. "Der wahre Zwek des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen."51

Diese Bildung des Menschen fasst Humboldt als eine unabschließbare Aufgabe, die er nie ganz und nie endgültig erfüllen kann und mit Notwendigkeit auch immer wieder verfehlt. Der Mensch ist nie endgültig mit sich identisch, aber neuzeitlich immer wieder gefragt, an der Bestimmung seiner Identität zu arbeiten. Humboldt hat die Möglichkeit einer solchen individuellen Identität mit dem Begriff der Originalität beschrieben. Jedem Menschen ist mit der Zeit der Aufklärung aufgegeben, ein Original zu werden, ohne ein Vorbild für die eigene Originalität zu besitzen. „Jeder Mensch ist ein Original. Jeder besitzt Originalität gerade dann, wenn er darum weiß, dass er das Original seiner Bestimmung ist. Original sein und werden zu wollen, ohne ein Vorbild für die eigene Originalität zu besitzen, stellt die neuzeitliche Aufgabe und zugleich die neuzeitliche Grundaporie einer Bildung dar, in der der Mensch seine Identität immer mehr daraus bezieht, sich eine fiktive Bestimmung als Lebensziel setzen zu können, um sich von ihr leiten zu lassen, ohne dass ihn dies davon enthebt, seine Unbestimmtheit als Moment seiner Bestimmtheit und Ausdruck seiner Imperfektheit aushalten zu müssen. Die neuzeitliche Aufgabe und zugleich Grundaporie der Bildung liegt in der "Bildung ohne Vorbild", die vom "eigengebildeten Menschen" ausgeht. Bildung heißt dann, "sich aus sich selbst, in seiner Eigenthümlichkeit, zu entwikkeln."“52

|| 48 Gutenberg (1929), S. 26 49 Humboldt 1981, S.2 50 Vgl. Kant (1784), Walger (2000), S. 197, Kappler (1992a), Sp. 1324ff.; ders. (1993), Sp. 3648ff. 51 Humboldt 1995a, S.64, vgl. Koller (2012) 52 Walger (2000), S. 198, vgl. Humboldt (1995a), S. 66, Benner 1990, 52 f.

Die Kompetenz des schöpferischen Subjekts | 17

Das Denken und Handeln des Menschen sind für Humboldt immer nur sein Versuch, die Aufgabe der Aufklärung zu erfüllen und vor sich selbst ein verständlicher, freier und unabhängiger Mensch zu werden. Er bedarf dazu der Welt außer ihm, die er so viel als möglich zu ergreifen und so eng er kann mit sich zu verbinden sucht. „Im Mittelpunkt... steht der Mensch, der... nur die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will. Da jedoch die blosse Kraft einen Gegenstand braucht, an dem sie sich üben, und die blosse Form, der reine Gedanke, einen Stoff, in dem sie, sich darin ausprägend, fortdauern könne, so bedarf auch der Mensch einer Welt ausser sich. Daher entspringt sein Streben, den Kreis seiner Erkenntniss und seiner Wirksamkeit zu erweitern, und ohne dass er sich selbst deutlich dessen bewusst ist, liegt es ihm nicht eigentlich an dem, was er von jener erwirbt, oder vermöge dieser ausser sich hervorbringt, sondern nur an seiner inneren Verbesserung und Veredlung, oder wenigstens an der Befriedigung der innern Unruhe, die ihn verzehrt. Rein und in seiner Endabsicht betrachtet, ist sein Denken immer nur ein Versuch seines Geistes, vor sich selbst verständlich, sein Handeln ein Versuch seines Willens, in sich frei und unabhängig zu werden, seine ganze äussre Geschäftigkeit überhaupt aber nur ein Streben, nicht in sich müssig zu bleiben. Bloss weil beides, sein Denken und sein Handeln nicht anders, als nur vermöge eines Dritten, nur vermöge des Vorstellens und des Bearbeitens von etwas möglich ist, dessen eigentlich unterscheidendes Merkmal es ist, NichtMensch, d. i. Welt zu seyn, sucht er, soviel Welt, als möglich zu ergreifen, und so eng, als er nur kann, mit sich zu verbinden.“53

In dem Versuch mit Bezug auf die Welt zu denken und zu handeln verwirklicht der Mensch sich selbst. Mit ihm antwortet der Mensch auf die Aufgabe der Aufklärung, ein mündiges und selbstständiges Individuum zu sein. Im Wirtschaftlichen ist ein solcher Mensch der Unternehmer. Mit seinem UnternehmerSein beantwortet der Mensch die Frage seiner wirtschaftlichen Selbstbestimmung und sein Unternehmen ist seine individuelle Antwort auf die an ihn gestellte Aufgabe der Aufklärung, ökonomisch selbstständig zu sein. Indem seine Antwort sich als tragfähig erweist und ein Unternehmen entstehen bzw. sich entwickeln lässt, wird der Mensch selbstständiger Unternehmer.

2.2 Die Kompetenz des schöpferischen Subjekts Jeder Mensch ist seit der Aufklärung in die Aufgabe gestellt, ein originaler, einzigartiger Mensch zu sein, seine Identität selbst zu bestimmen und ein individuelles, mit sich selbst identisches Subjekt zu werden. Was bedeutet Bildung

|| 53 Humboldt 1995b, S.235

18 | Der Unternehmer als das schöpferische, kompetente Subjekt

ohne Vorbild praktisch und wie vollzieht der Mensch sie konkret? Wie kann er wissen, dass er sich nicht selbst täuscht und der Versuch seiner Selbstbestimmung nicht (immer wieder) im Widerspruch zu seiner wahren Identität steht? Oevermann hat mit der objektiven Hermeneutik eine konstitutive Theorie des Bildungsprozesses vorgelegt, die den Bildungsgedanken Humboldts weiterführt, indem sie den Menschen als das mit sich selbst identische Subjekt begreift, und den empirischen Bildungsprozess des Subjekts, das Neues lernt und schöpferisch handelt, zu erfassen und das Verhältnis von Selbstbild des Subjekts und seiner realen Subjektivität zu beurteilen ermöglicht.54

2.2.1 Die Handlung des schöpferischen Subjekts und ihre objektive Bedeutung Die objektive Hermeneutik wurde von Oevermann mit Bezug auf soziale, insbesondere familiäre Interaktionen entwickelt und zunächst nicht mit Bezug auf Unternehmen, Organisationen oder wirtschaftliche Zusammenhänge. Sie bietet sich in besonderer Weise für das Verstehen des Bildungsprozesses des Unternehmers an, weil sie ihn als menschliches und wirtschaftlich handelndes Subjekt begreifen kann. Oevermann geht von der sozialen Interaktion als Grundform von Sozialität aus, die im Kern reziprok, zweckfrei und ohne Vorbedingung einer Wertdifferenz ist. Nur als solche kann sie die Eröffnung einer Praxis leisten, die gegeben sein muss, damit zweckgerichtet oder interessiert gehandelt werden kann. Der Ansatz der objektiven Hermeneutik ist danach konstitutiv notwendig, um soziale Handlungen in formalisierten Institutionen wie Unternehmen analysieren zu können. Auch wenn das zweckorientierte Interessen realisierende Handeln in der modernen Gesellschaft viel stärker im Lebensmittelpunkt steht, der häufigere Fall als der „informale“, zweckfreie Austausch unter Menschen ist und diesen immer mehr verdeckt, so dass er immer mehr als randständig erscheint, kann nach Oevermann dennoch nur der letztere den Strukturkern von Sozialität ausmachen.55 Sozialem Handeln liegt notwendig ein Modell des regelgeleiteten Handelns zugrunde.56 Der Regelbegriff der objektiven Hermeneutik geht auf den der Lingu-

|| 54 Vgl. Oevermann (1981), S. 28 55 Oevermann sieht darin, dass viele Gesellschafts- bzw. Handlungstheorien z.B. von einem Begriff der Rationalität ausgehen, einen Konstitutionsfehler, vgl. Oevermann (1996a), S. 4 56 Oevermann (1993), S. 114

Die Kompetenz des schöpferischen Subjekts | 19

istik Chomskys zurück, der ihn mit Hilfe der Theorie rekursiver Funktionen verallgemeinert hat.57 Die Besonderheit und Eigentümlichkeit dieses Regelbegriffs ist, dass eine endliche Anzahl von grammatikalischen Regeln die Erzeugung einer unendlichen Anzahl von regelangemessenen Sätzen ermöglicht und die Regelangemessenheit dieser Sätze erklärbar sowie auch empirisch prüfbar ist. Kinder lernen diese Regeln implizit, also ohne dass sie ihnen explizit bewusst sind. Die Überprüfung der Regelangemessenheit kann zuverlässig von jedem kompetenten Sprecher vorgenommen werden, und von grammatikalisch angemessen formulierten Einzelsätzen kann auf die Sprachkompetenz des Sprechers geschlossen werden. Oevermann übernimmt dieses Grundmodell für die Humanwissenschaft. „Das Revolutionäre dieser Erkenntnis für die Humanwissenschaften besteht darin, daß hier ein Grundmodell gewonnen wurde und seither zur Verfügung steht, das einerseits empirisch überprüfbar ist und das andererseits bezüglich seiner kreativen Funktionen, auf der Grundlage von Endlichem Unendliches, von Altem Neues zu erzeugen, auf die Funktionsweise objektiver Strukturen unterschiedlicher Typen angewendet werden kann.“58

Erst mit diesem Modell ist die Möglichkeit eröffnet, zu einer „Formulierung des menschlichen Handlungspotentials schlechthin zu gelangen“59, und den Mensch als schöpferisches Subjekt angemessen zu erfassen, ohne ihn verhaltenswissenschaftlich bzw. soziologisch auf die „Übernahme und Verinnerlichung von gesellschaftlich herrschenden und das Herrschaftssystem legitimierenden Glaubenssystemen, Deutungsmustern und Wertorientierungen sowie Prozesse des Erwerbs von berufsbezogenen Qualifikationen“60 zu verkürzen. Die Regeln dieses Typs generieren eine objektive Bedeutung der Handlungen, die sie radikal von der subjektiven Bedeutung, der Intention, die das Subjekt ihr zuweist, unterscheidet. Sie sind nicht Regularitäten, sondern formal Äquivalente zu einem Algorithmus, der wie „ein Naturgesetz im Kopf“61 des Handlungssubjekts operiert ohne ihm notwendig vollständig bewusst zu sein. Diese Regeln unterscheiden sich nach Graden der Reichweite ihrer Geltung. Z.B. haben Regeln des logischen Schließens, Regeln der Grammatikalität der Sprache, universalpragmatische Regeln der Sprechakttheorie und Formalismen sozialer Kooperation universelle Reichweite. In ihrem Sinne ist die materiale Geltung dieser Regeln ebenso wie die der natürlichen Gesetze nicht kritisierbar. Sie sind

|| 57 Vgl. Chomsky (1973) 58 Wagner (2001), S. 41 59 Oevermann (1973a), S. 13 60 Oevermann (1973a), S. 15 61 Oevermann (1993) S. 115

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konstitutiv für das Handeln des Handlungssubjekts, auch ohne dass es sie in seinem Bewusstsein verinnerlicht hat. Nicht die Geltung der Regeln selbst, sondern lediglich die durch Rekonstruktion gewonnene Gestalt der Explikation von Regeln kann in Frage gestellt werden. Das In-Frage-Stellen der Geltung solcher Regeln würde die prinzipielle Möglichkeit von sprachlicher Verständigung und Sozialität leugnen. Die Existenz dieses Regeltyps bedeutet, dass der durch sie generierten Bedeutung Allgemeinheit und Objektivität zukommt. Die Geltung dieser Regeln kann nicht auf das Bewusstsein des Handlungssubjekts zurückgeführt werden, denn sie sind im vor jeder Erfahrung gegeben.62 Davon zu unterscheiden sind Normen sowie ethische Prinzipien. Diese sind Regeln historisch und kulturell bedingter Reichweite. Sie können durchaus Gegenstand der Kritik sein und sind veränderbar. Regeln dieses Typs stellen quasi eine Weiterentwicklung des Typs der universellen Regeln dar. Gleichwohl haben sie allgemeine Geltung, allerdings eben mit eingeschränkter Reichweite, und generieren die objektive Bedeutung einer Handlung, die kulturell und/ oder zeitlich begrenzt gültig ist. Das Handlungssubjekt kann zwar von den geltenden Regeln innerhalb gewisser Spielräume abweichen, aber die Geltung der Regeln stellt dies nicht in Frage. Dieses Abweichen ermöglicht dem Handlungssubjekt vielmehr Handlungen, deren objektive Bedeutung nicht sinnvoll ist.63 Indem die objektive Hermeneutik die objektive Bedeutung der Handlungen an in der Situation geltende Regeln knüpft, kann sie systematisch die objektive Bedeutung der Handlung von der subjektiven Intention unterscheidet, die das Handlungssubjekt mit seiner Handlung verfolgt.64 Diese Unterscheidung zwischen objektiver, durch geltende Regeln erzeugter und subjektiver, der Zuweisung des Handlungssubjekts unterliegender Bedeutung einer Handlung ist im Verständnis der objektiven Hermeneutik wesentlich. Die Intention ist dem Subjekt bewusst, die objektive Bedeutung hingegen ist latent, also auch für das Handlungssubjekt selbst zunächst verborgen. Sie kann aber von jedem kompetenten Subjekt implizit wahrgenommen bzw. explizit geborgen werden. Die Diskrepanz, die zwischen subjektiver Intention des Handlungssubjekts und objektiver Bedeutung seiner Handlungen entstehen kann, entsteht in ihrem Sinne als „Folge eines defizitären Angemessenheitsurteils in dem Sinne, dass das Subjekt sich selbst täuscht darüber, daß seine Absicht der regelhaften Bedeutung seiner

|| 62 Vgl. Oevermann (1973b) S. 18ff. Die Existenz universeller, nicht kritisierbarer Regeln bricht mit der Dichotomie von Naturwissenschaft, in der bislang einzig solche Gesetze begründet angenommen werden konnten, und Geisteswissenschaft, in der dies nicht der Fall war; vgl. Oevermann (1986) S. 22f., ders. (1993a) S. 115. 63 Vgl. Oevermann (1993) S. 115, vgl. Gutenberg (1929) S. 41, Walger (1993) S. 122 64 Oevermann et al. (1979); S. 359

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Äußerung nicht entspricht.“65 Die objektive Bedeutung der Handlung ist der subjektiven Intention vorgängig. Auf die Intention des Handlungssubjekts kann nur geschlossen werden, nachdem die objektive Bedeutung der Handlungen, die latent ist, expliziert worden ist. Die latente, objektive Bedeutungsebene ist eine „abstrakte Welt außerhalb der sinnlichen Wahrnehmbarkeit.“66 Obwohl diese Welt abstrakt ist und außerhalb der sinnlichen Wahrnehmbarkeit liegt, ist sie gleichwohl erfahrbar und real, und nicht metaphysisch. „Das Kriterium für den Umfang erfahrbarer Realität besteht hier nicht in der sinnlichen Gegebenheit der Gegenstände, sondern in deren intersubjektiv nachprüfbarem, zwingendem Nachweis aufgrund methodisch expliziter Operationen, die eine eindeutige Prädizierung von Gegenständen der erfahrungswissenschaftlichen Analyse erlauben.“67

Erkenntnistheoretisch hebt diese Position die Opposition zwischen Idealismus und Materialismus auf, denn einerseits ist der latente, objektive Sinn ein immaterielles Gebilde, andererseits hat er „epistemologisch denselben Status objektiver Tatsachen und empirisch dieselbe zwingende Wirkung, wie das bei materiellen, sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen der Fall ist.“68 Die objektive Bedeutung ist zudem eine Wirklichkeitsebene, die zeit- und raumlos ist. Oevermann verdeutlicht dieses Argument am Beispiel eines archäologischen Schriftfundes. Indem die latente objektive Bedeutung dieses Schriftstückes entziffert worden ist, ist eine Wirklichkeit rekonstruiert worden, die – latent – lange vorher da war und nicht vom Zeitpunkt oder Ort ihrer Entdeckung abhängig ist.69 Mit der objektiven Hermeneutik lässt sich der Unternehmer als ein handelndes, mit sich selbst identisches Subjekt verstehen, indem mit Bezug auf in der praktischen Situation geltenden Regeln die objektive Bedeutung seiner Handlungen seiner subjektiven Intention der Entstehung bzw. Entwicklung eines Unternehmens entspricht.

|| 65 A..a.O., S. 373; zu Bildern und Selbstbildern von Unternehmern vgl. Weber (1973) 66 Oevermann (1993), S. 117 67 A.a.O., S. 118 68 A.a.O., S. 119 69 Vgl. a.a.O., S. 122f.

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2.2.2 Die Struktur des kompetenten Subjekts Die objektive Bedeutung ist an konkrete Handlungen des Handlungssubjekts gebunden. Handlungssubjekte sind individuelle Personen oder andere korporative Akteure bzw. soziale Systeme, wie z.B. Gruppen oder Organisationen.70 In diesem Sinne ein handelndes Subjekt zu sein bedeutet, dass es in einer konkreten Situation die prinzipielle Fähigkeit hat, sich mindestens implizit entscheiden zu können für eine der durch die geltenden Regeln eröffneten Handlungsoptionen. Denn eine in einer Interaktion geltende Regel eröffnet nicht nur einfach eine Handlungsoption mit objektiver Bedeutung. Vielmehr eröffnen verschiedene Regeln unterschiedliche generierte Handlungsmöglichkeiten mit je eigener Bedeutung. Die Handlungen sind je auf vorausgehende und nachfolgende bezogen – die objektive Hermeneutik spricht daher von Sequenzen von Handlungen – und das Handlungssubjekt ist in die Entscheidung gestellt, sich für eine der durch die geltenden Regeln eröffneten Möglichkeiten entscheiden zu müssen, indem es eine Option handelnd realisiert. Diese Entscheidung legt ggf. auch ohne dass dies dem Handlungssubjekt subjektiv intentional bewusst ist fest, an welchen der in der Interaktion geltenden Regeln es in seiner Handlung orientiert ist und damit, was diese Handlung im Sinne dieser Regeln objektiv bedeutet. Das Handlungssubjekt kann sich nicht nicht entscheiden, weil es in ihrem Sinne nicht nicht handeln kann. Auch abzuwarten und nichts zu tun oder der Versuch, sich der Situation zu verweigern, stellen sich jeweils als mögliche Handlungen dar. Indem die geltenden Regeln unterschiedliche Handlungsoptionen eröffnen, ist das Handlungssubjekt zugleich in die Notwendigkeit, sich entscheiden zu müssen und in die Freiheit, sich entscheiden zu können, gestellt. Die Offenheit der Entscheidung ist dadurch gegeben, dass eine letztgültige Begründung für die Entscheidung im Moment der Entscheidung nicht zur Verfügung steht. Andernfalls, wenn also Begründungen für die richtigen Entscheidungen im Vorhinein immer schon gesichert vorliegen würden, wäre keine echte Entscheidung möglich.71 Dennoch steht die Entscheidung unter dem Anspruch der Begründbarkeit. Dies bedeutet, dass die Begründetheit der Entscheidung nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben ist und sich ihr Sinngehalt im Nachhinein noch erweist. Denn soziales Handeln ist nicht durch Naturgesetze vorgegeben sondern steht unter dem Anspruch einer Vernunft oder Sinnhaftigkeit; dieses Entscheidungsmoment unterscheidet die naturwissenschaftliche Welt, in der Kausalzusammenhänge wirken, und die sinnstrukturierte, soziale Welt.72

|| 70 Auch Netzwerke können Subjekte bzw. Handlungseinheiten sein. Zur Kompetenzentwicklung in Netzwerken vgl. Sydow u.a. (2003), vgl. auch Möllering (2010) 71 Zum Entscheidungsbegriff vgl. Walger/ Schencking (2003), Ortmann (2004) 72 Vgl. Oevermann (1993), S. 119

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Der Widerspruch zwischen Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung, in den das soziale Handlungssubjekt gestellt ist, ist kein Defizit der sozialen Handlungspraxis, sondern ihr Konstitutivum. Oevermann spricht von der „widersprüchlichen Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung“73, die die Autonomie und Lebendigkeit des Handlungssubjekts konstituiert.74 Dies bedeutet, dass das Handlungssubjekt begriffen ist als ein frei und selbstständig sich entscheidendes Handlungssubjekt, dessen Entscheidungen nicht beliebig sind, sondern bestimmen, an welchen der geltenden Regeln es in der Interaktion orientiert ist, d.h. was seine Handlungen objektiv bedeuten bzw. welchen Sinn sie machen.75 Die Entscheidung des Handlungssubjekts, an welchen in der Interaktion geltenden Regeln es in seiner Handlung orientiert ist bzw. welche objektive Bedeutung es handelnd realisiert, ist eine Auswahlentscheidung, für die ihm im Moment der Interaktion die Kriterien nicht vollständig bewusst sind. Die latente, objektive Bedeutung einer Handlung wird von dem Handlungssubjekt bewusstseinsmäßig nur in Ausschnitten und in verschiedenen Graden der Artikuliertheit realisiert.76 Die vollständige intentionale Realisierung dieser objektiven Bedeutung stellt den kontrafaktischen Grenzfall vollständiger Aufgeklärtheit dar, in dem das Handlungssubjekt sich in Selbstreflexion der objektiven Bedeutung seiner Handlungen vollständig vergewissert und es in Bezug auf die geltenden Regeln stets angemessen agiert. Subjektive Intention und objektive Bedeutung sind in diesem idealen Grenzfall vollkommen im Einklang. Das nicht notwendig bewusste Wissen, aufgrund dessen ein Handlungssubjekt in einer konkreten Situation angemessen handelt, wird als Kompetenz bezeichnet. In Anlehnung an Chomsky kann zwischen idealer Kompetenz und ihrer Ausprägung in der konkreten, alltäglichen Handlung, der praktischen oder empirischen Kompetenz unterschieden werden.77 „Vollständige Aufgeklärtheit“ ist gleichbedeutend mit der idealen Kompetenz. Die Möglichkeit sinnvollen sozialen Handelns ist ohne den || 73 Oevermann (1993), S. 179 74 Zur Kritik an Luhmann, der die Bedeutung der generativen Regeln nicht erkennt und deshalb ein verkürztes Verständnis von Selbstorganisation bzw. Autonomie bildet, das an den subjektiven Intentionen des Systems und nicht an der objektiven Bedeutung seiner Handlung orientiert ist, vgl. Oevermann (1993), S. 181, ders. (1983b) S. 271, ders. (1981), S. 25 und ders. (1986), S. 72. „Wahre“ Subjektivität ist nur als Kompetenzentwicklungs- bzw. Selbstorganisationsgesetzlichkeit denkbar, d.h. dass das System bestimmte objektive Handlungsmöglichkeiten subjektiv selegiert. Vgl. auch Schneider (1994), S. 153. Nach Wagner ist der Sinn-Begriff bei Luhmann „letztlich doch wieder subjektivistisch bestimmt“, Wagner (1991), S. 18 75 Vgl. Oevermann (1993) S. 178 76 Vgl. Oevermann (1993) S. 117 77 Die praktische Kompetenz wird bei Chomsky als „Performanz“ bezeichnet, vgl. Oevermann (1973a), S. 16ff.; Chomsky (1973), S. 14. Ein Überblick zum Kompetenzbegriff findet sich bei Sydow et al (2003), S. 35ff

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Begriff der Kompetenz nicht zu denken. Da in der sozialen Situation die geltenden Regeln unterschiedliche Handlungsoptionen eröffnen, muss der intuitiven Auswahlentscheidung ein zumindest implizites Bewusstsein von den geltenden Regeln entsprechen. Kompetenz als Bewusstsein von den geltenden, die objektive Bedeutung generierenden Regeln und das intuitive Angemessenheitsurteil sind zwei Seiten derselben Medaille. In der empirischen Interaktion bringt das Handlungssubjekt seine Kompetenz in Einsatz, indem es die objektive Bedeutung der Interaktion und die geltenden Regeln nicht notwendig bewusst wahrnimmt, also ohne dass sie ihm reflexiv und vollständig explizierbar zur Verfügung stehen. Die Diskrepanz, das Auseinanderfallen oder gar der Gegensatz der subjektiven Intention und der objektiven Bedeutung wird nicht auf ein unbewusstes Motiv zurückgeführt (wie in der Psychoanalyse), sondern auf eine weniger starke Annahme, nämlich auf ein es nicht produzierendes, sondern es nicht verhinderndes Wahrnehmungsdefizit.78 Die objektive Hermeneutik unterscheidet also systematisch zwischen den geltenden Regeln, die in einer Situation unterschiedliche Handlungsoptionen eröffnen, und der Auswahlentscheidung des Subjektes, die eine „echte“ Entscheidung ist.79 Durch diese zwei systematisch zu unterscheidenden Parameter, zum einen den geltenden Regeln als ein Parameter, der noch nicht wirklich dem konkreten Subjekt zugerechnet werden kann, und zum anderen durch den Parameter der subjektiven Auswahlen unter den Optionen, konstituiert sich „wirkliche“ Subjektivität als autonome Lebenspraxis. „Der konkrete soziale Ablauf wird also durch zwei ganz verschiedene Parameter der Sequenzierung strukturiert. Zum einen durch die Menge aller Regeln, die bei Gegebenheit einer beliebigen Sequenzstelle, d.h. bei Gegebenheit einer beliebigen Äußerung oder Handlung, determinieren, welche Handlungen oder Äußerungen regelgerecht angeschlossen werden können und welche regelgerecht vorausgehen konnten… Der zweite Parameter von Sequenzierungen besteht aus den Determinanten der Selektionsentscheidung, der jeweils handelnden Instanz, also der je konkreten Lebenspraxis. Deren Fallstrukturiertheit (Identität) bildet sich ab in der Charakteristik, mit der sie die nach Regeln eröffneten Optionen von „objektiver Vernünftigkeit“ selegiert und in „praktische Vernünftigkeit“ überführt.“80

„Diese Autonomie ist im Sinne einer Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit tatsächliche Eigengesetzlichkeit“,81 mit der die Handlungen des Handlungs-

|| 78 Oevermann et al. (1979), S. 361 79 Vgl. Oevermann (1996a), S. 6 80 Oevermann (1991), S. 271, Hervorhebungen im Original 81 Oevermann (1993), S. 182. Vgl. auch den Ansatz von Giddens, der in gleicher Weise Handlung nicht auf intentionale Handlungen reduziert, vgl. Kießling (1992), S. 290

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subjekts erklärt und prognostiziert werden können. Dieser Gesetzesbegriff unterscheidet sich einerseits vom Modell des Naturgesetzes, indem er nicht universal sondern singulär gilt, also nicht für eine Gesamtheit gleichartiger Merkmalsträger, sondern nur für einen konkreten Fall. Andererseits entspricht er diesem Modell insofern er Objektivität und Allgemeinheit beansprucht. „Es (das Gesetz des Handlungssubjekts, R.N.) ist insofern so etwas wie ein „Naturgesetz“ der je individuierten autonomen Lebenspraxis, deren ´Lebensgesetz.´“82

Die Subjektivität eines Handlungssubjekts ist als eine Fallstruktur begriffen, die besonders ist, weil sie eine Verkettung individueller Selektionsentscheidungen ist und ein Allgemeines, weil sich in ihr die allgemein geltenden Regeln ausdrücken.83 Oevermann bezeichnet diese Strukturen als objektive, rekonstruierbare und generalisierbare Fallstrukturgesetzlichkeiten und unterscheidet von ihnen „jene Subjektivität, in der diese das Subjekt als Subjekt kennzeichnende Fallstrukturgesetzlichkeit notwendig zu sich selbst kommt und die begründbare Gestalt eines Selbstbildes, einer biographischen Organisation, einer rekonstruierten, verfügten Lebensgeschichte annimmt.“84 Beide Momente gehören zusammen, da das Selbstbild als konstitutiver Bestandteil in der Fallstrukturgesetzlichkeit integriert ist. Die Begründungsverpflichtung, das zweite Moment der autonomen Lebenspraxis, ergibt sich aus dem „unaufhebbaren Zwang“85, die tatsächlichen Entscheidungen des Subjekts zu einem subjektiv verfügbaren Selbstbild zusammenzufügen, das in sich und mit ihnen konsistent ist. „Damit haben wir mit … der objektiven Hermeneutik ein Modell von Lebenspraxis vor uns, das Subjektivität als eine Dialektik von objektiver Fallstrukturgesetzlichkeit (Allgemeines und Besonderes zugleich) und subjektiv rekonstruiertem Selbstbild und Identitätsentwurf zu fassen vermag“86, ein Modell des mit sich selbst identischen Subjekts. In diesem ist Subjektivität nicht wie in vielen anderen Konzeptionen als eine Restgröße, die vom Objektiven residual verschieden ist, sondern als etwas Eigenständiges gefasst.

|| 82 Oevermann (1993), S.183 83 Vgl. Oevermann (1981), S. 8, vgl. ders. (1991), S. 272 84 Oevermann (1993), S. 184 85 a.a.O. 86 Oevermann (1993), S. 185

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„Diese Bestimmung von Subjektivität bricht radikal mit allen bewußtseinsphilosophischen Konstruktionen, in denen am Ende doch immer die Subjektivität durch Reduktion auf das von ihr Verschiedene, auf das objektiv Gegebene residual faßbar wird, nicht aber als Eigenständiges, von Objektivität a priori Verschiedenes.“87

Die Fallstrukturgesetzlichkeit des Subjekts bildet sich im Sinne einer Reproduktionsgesetzlichkeit, indem das Handlungssubjekt in unterschiedlichen Interaktionen – nicht unbedingt subjektiv reflektiert – eine bestimmte Auswahl unter den durch die objektiv geltenden Regeln eröffneten Optionen wiederholt. Dies bedeutet, dass das Handlungssubjekt gelernt hat, in bestimmten Situationen sinnvoll zu handeln bzw. dass seine Handlung an einer bestimmten Regel orientiert ist, auch wenn es diese Regel nicht benennen kann. Diese Strukturgesetzlichkeit bildet sich also als Reproduktionsgesetzlichkeit aus, indem das Subjekt in den Handlungssequenzen immer wieder die gleiche objektive Bedeutung reproduziert und es in seinen Handlungen quasi gemäß einer Routine an immer derselben Regel verhaftet bleibt. In einer veränderten Situation, in der andere Regeln gelten bzw. eine andere Auswahl angemessen ist, können die Handlungen des Handlungssubjekts, das an seinem bisherigen Auswahlmodus festhält, unsinnig werden, d.h. dass es unangemessen bzw. inkompetent handelt. Indem das Handlungssubjekt die sich bisher reproduzierende Auswahlentscheidung verändert und eine neue, angemessenere Option selegiert, bedeutet dies die Transformation der Reproduktionsgesetzlichkeit.88 Die transformierte Strukturgesetzlichkeit ist in dem Sinne, dass das Handlungssubjekt mit Bezug auf seine Kompetenz als implizites Wissen von den Regeln diese zumindest implizit rekonstruiert, kein Ergebnis einer eigenständigen Konstruktions- sondern einer impliziten Rekonstruktionstätigkeit des Subjekts. Indem das Handlungssubjekt eine in der Situation angemessenere Auswahlentscheidung realisiert und diese sich neuerlich reproduziert bzw. stabilisiert, kann auf ein Bewusstsein der Regel bzw. Kompetenz des Subjekts geschlossen werden. Aus dem Nicht-Einhalten einer Regel kann nicht auf das Fehlen in der Kompetenz geschlossen werden, während umgekehrt aus positiv vorliegenden Handlungen, die eine Regel voraussetzen, geschlossen werden kann, dass diese spezifische Regel in der Kompetenz verinnerlicht ist. 89 Dies hat die forschungspraktische Konsequenz, dass nicht eine einzelne negative Evidenz ausreicht, um auf das fehlende Bewusstsein von der Regel schließen zu dürfen, während umgekehrt wenige positive, angemessene Handlungen als Nachweis für die Entwicklung der Kompetenz ausreichen.

|| 87 a.a.O. 88 Vgl. Oevermann (), S. 177ff.; ders. (1996), S. 12 89 Oevermann (1973a), S. 37

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Die Transformation der Reproduktionsgesetzlichkeit führt die objektive Hermeneutik darauf zurück, dass das Handlungssubjekt mit seiner Auswahlentscheidung scheitert oder die Unangemessenheit seiner Auswahlentscheidung – nicht unbedingt reflexiv bewusst – wahrnimmt. Die Transformation der Reproduktionsgesetzlichkeit bedarf insofern der Krise. Da jede Situation vom Handlungssubjekt als Krise interpretiert werden kann, indem es z.B. bestehende Routinen in Frage stellt, ist die Transformation der Reproduktionsgesetzlichkeit jederzeit möglich. Insofern solche echten Entscheidungssituationen dem Handlungssubjekt als krisenhaft gelten und es sich in seinen Handlungen auf eingespielte Routinen verlässt um den Preis, konkurrierende Handlungsmöglichkeiten gar nicht erst in Betracht zu ziehen, ist Reproduktionsgesetzlichkeit der häufigere, die Transformation der Reproduktionsgesetzlichkeit der seltenere Fall.90 Die Unterscheidung von Reproduktion und Transformation ist zentral für die objektive Hermeneutik. Transformation ist der allgemeinere Fall des Verlaufs, Reproduktion ihr Spezialfall, sie setzt immer Transformation voraus.91 Denn an jeder beliebigen Sequenzstelle ist im Prinzip eine Transformation möglich. In Relation zur lebenspraktischen Perspektive dreht die objektive Hermeneutik das Verhältnis von Krise und Routine um.92 Die Krise ist ihr der Normalfall, denn vor dem Hintergrund der durch die geltenden Regeln eröffneten Optionen muss das Handlungssubjekt eine Auswahl treffen. Dass diese Situation ihm ggf. nicht bewusst ist, ist kein Kriterium dafür, diese Entscheidungsnot nicht als Krise zu begreifen. Indem die geltenden Regeln an jeder Sequenzstelle eine potentielle Krise eröffnen, eröffnen sie zugleich die Möglichkeit für neue Erfahrung und Bildung. Die objektive Hermeneutik setzt die Bildung des Subjekts daher am Moment der Krise an, nicht an dem der Routine. „Durch routinehaftes Handeln werden keine neuen Erfahrungen gemacht, keine neuen Erkenntnisse gewonnen und wird Bildung nicht bereichert.“93 Die Subjektivität des Handlungssubjekts zeigt sich dadurch, dass dem Subjekt in dem Moment der Krise bewährte Begründungen nicht zur Verfügung stehen, und es gleichwohl entscheiden muss. „Da Entscheidungszwang zugleich Krise insofern bedeutet, als die bis dahin für eine Lebenspraxis gültigen Überzeugungen plötzlich nicht mehr greifen, ist Subjektivität nicht nur im Hinblick auf die Erfahrung ihrer selbst als unmittelbar gegebener, sondern vor allem im Hinblick auf die unhintergehbare eigenständige, je individuierte Realität an die Zustandsbedingung der Krise gebunden… Erst wo die entlastenden

|| 90 Vgl. Oevermann (1993) S. 180 91 Vgl. Oevermann (1991), S. 274 92 Vgl. Wagner (2001), S. 134 93 Wagner (1991), S. 139

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Routinen und die eingeschliffenen Überzeugungen plötzlich versagen, wo also begründungslos dennoch entschieden gehandelt werden muß, wird Subjektivität von der Latenz eines per Fallstrukturgesetzlichkeit immer operierenden Strukturpotentials zur Manifestation einer entschiedenen und entscheidenden Praxis.“94

Die Subjektivität des Handlungssubjekts ist eine Fallstrukturgesetzlichkeit, die das Resultat eines impliziten Rekonstruktionsprozesses ist, der einer bestimmten, faktisch in die Zukunft offenen Transformationsgesetzlichkeit folgt, und der sich als ein konkreter Fall von Kompetenzentwicklung mit allgemeiner Bedeutung erweist, indem das Handlungssubjekt mit Bezug auf in der Interaktion geltenden Regeln angemessen agiert.95 Letztlich kommt es der objektiven Hermeneutik darauf an, solche Transformationsgesetzlichkeiten zu bestimmen. „Aber Transformationsprozesse in der Analyse direkt zu ergreifen ist forschungspraktisch zu viel auf einmal.“96 Es wird zunächst immer zuerst die Frage nach dem „Was“ gestellt, d.h. nach einer in einem bestimmten Zeitintervall gegebenen Fallstruktur, und beantwortet. Erst danach lässt sich die Frage nach dem „Wie“, nach der Entstehung der Fallstruktur angehen.97 Die Offenheit der Transformationsgesetzlichkeit macht deutlich, warum der Begriff der Rationalität nicht im Zentrum der Sozialwissenschaften stehen kann.98 Für die krisenhafte Entscheidungssituation ist konstitutiv, dass alle bisher als bewährt geltenden, entscheidenden Routinen keine Antwort mehr geben. Beispiele für solche Situationen sind: „Soll ich X heiraten oder nicht? Sollen wir noch Kinder zeugen? Oder etwas komplexer: Sollen wir Daimler-Benz von einem Konzern der Automobil-Produktion zu einem modernen Technologie-Trust ausbauen? Sollen wir ein Standort für nicht bestimmte gentechnische Produktion werden oder nicht?“99 Oder auch: Soll ich mich als Unternehmer selbstständig machen? Für solche Krisensituationen kann es keine grundsätzliche Problemlösung im Sinne eines „richtig-falsch“-Kalküls geben. Andernfalls wäre die Entscheidung immer schon vorbestimmt und eine in die Zukunft offene Transformation nicht möglich.

|| 94 Oevermann (1993), S. 186 95 Vgl. Oevermann (1993) S. 182, ders. (1991) S. 267ff. 96 Vgl. Oevermann (1991), S. 275 97 Vgl. auch Wagner (2001), S. 66f. Mit dem Begriff der Fallstruktur und der Möglichkeit ihrer Rekonstruktion geht m.E. Oevermann über den strukturtheoretischen Ansatz von Giddens hinaus. Danach setzt die Soziologie an, „Institutionen und Strukturen der modernen Gesellschaft, wie sie Bedingungen und Konsequenzen des alltäglichen Handelns der Individuen sind, … als solche transparent zu machen.“ D.h. es geht ihm um Transparenz, nicht um Prozesse der subjektiven Entwicklung bzw. des Sich-Bildens des Subjekts. Vgl. Kießling (1988), S. 292f. 98 Vgl. Kappler (1993), vgl. Schencking (2014) 99 Oevermann (1996a), S. 19f.

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„Das .. Interessante an diesen Krisensituationen ist nun, daß einerseits die erzwungene Krisenlösung geradezu definitionsgemäß nicht-rational sein muß, da sie ja den bis dahin bewährten Rationalitätsmaßstäben nicht entsprechen kann, andererseits sie sich dann, wenn sie sich in der Zukunft bewähren sollte, die neue materiale Rationalität ergeben wird, gemessen an der die vorausgehende irrational geworden ist bzw. sie ist im Hegelschen Sinne in ihr aufgehoben worden. Insofern kann sie also, obwohl nicht-rational, nicht zugleich zwingend irrational sein. Das wäre sie nur, wenn sie sich nicht bewähren würde, was vorerst offen bleiben mußte. Wir sehen also, daß wir mit der Dichotomie von rational und irrational und damit mit dem Begriff der Rationalität auf der konstitutionstheoretischen Ebene nichts anfangen können. Rationalität ist jeweils eine Funktion der je konkreten lebenspraxischen Perspektive und als Begriff immer nur aus einer solchen Perspektive heraus verwendbar. Fragt man aber konstitutionstheoretisch danach, wie sich diese Lebenspraxis selbst konstituiert und wie sie operiert, dann ist der Begriff der Rationalität nicht nur unbrauchbar, sondern systematisch irreführend. Er unterläuft nämlich jene Dialektik des Dritten, des Übergangs von einer alten in eine potentiell neue lebenspraktische Rationalität in einer Krisensituation.“100

An der Stelle der Rationalität steht hier der Grundbegriff der gültigen Ausdrucksgestalt („Authentizität“101), d.h. eine nach geltenden Regeln erzeugte und rekonstruierbare Struktur. Im Unterschied zur Rationalität, die nur im Falle des Gelingens, also unter normativen Kriterien gültig ist, ist selbst im Falle des Misslingens mindestens eine Struktur gültig zum Ausdruck gebracht worden, sonst könnte sie gar nicht identifiziert werden. „Die massivste Psychopathologie, das krasseste falsche Bewusstsein ist gültig zum Ausdruck gebracht worden. Darin liegt eine einfache, elementare Dialektik der sprachlich konstituierten Bedeutungsfunktion, mit der sich praktisch bedeutsam ein Selbstheilungspotential der menschlichen Praxis verbindet. Es ist nämlich genau diese objektiv immer gegebene Relation der Gültigkeit einer Ausdrucksgestalt, die sichert, daß den massivsten Verzerrungen in Selbstbildern, Kunstwerken, Biographien und Praxisformen zugleich qua objektiver Sinnstruktur ihrer Ausdrucksgestalt immer auch die Möglichkeit ihres Andersseins beigegeben ist. Die subjektiv verfügbare Einsicht in diese immer schon qua Ausdrucksgestalt gegebene Gültigkeit ist praktisch gesehen der Übertritt in die Auflösung des Mißratenen bzw. gleichursprünglich mit ihr.“102

Das Handlungssubjekt im Unternehmen, das im Moment der Krise entscheiden muss, wird hier in dieser Arbeit als Unternehmer bezeichnet. Die Kompetenz des Unternehmers ist ein zumindest implizites Bewusstsein von in der praktischen Situation geltenden, bedeutungsgenerierenden Regeln, die im Moment des Handelns unbekannt sind und sich in der Situation für das Entstehen bzw.

|| 100 Oevermann (1996b), S. 19f. 101 Oevermann (1990), S. 11. 102 Oevermann (1993), S. 143f.

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die Entwicklung des Unternehmens als geltend erweisen. Der kompetente Unternehmer kann die Bedeutung und Regelangemessenheit seiner Handlungen sowohl in Krisensituationen, in denen eine neue Handlungsmöglichkeit sich noch nicht bewährt haben kann, als auch in Routinesituationen, in denen sich eine rationale Handlungsmöglichkeit bereits bewährt hat, intuitiv beurteilen. Der Unternehmer ist dann als Subjekt begriffen, das, indem es kompetent agiert und seine Handlungsstruktur angemessen reproduziert bzw. transformiert, einer in die Zukunft offene Strukturgesetzlichkeit folgt, die als eine gültige, authentische Ausdrucksgestalt identifiziert werden kann. Der Unternehmer handelt kompetent, indem sich sein Handeln als unternehmerisch angemessen erweist, d.h. durch seine implizite, subjektive Entscheidung für eine objektiv mögliche Handlungsoption ein Unternehmen entsteht bzw. sich entwickelt, das ihn zum Unternehmer macht. Das implizite Wissen von diesen Regeln, die im Moment des Handelns unbekannt sind und sich erst im Nachhinein als geltend erweisen, ist die Kompetenz des Unternehmers. Die objektive Hermeneutik ermöglicht, mit Bezug auf empirische Fälle des Handelns von Unternehmern diese Fallstrukturen zu rekonstruieren, die in der Situation geltenden Regeln zu bergen und die Kompetenz des Unternehmers zu explizieren.

3 Das Unternehmerische als das Irrationale Welchen Beitrag leistet die Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft in ihrer Grundlegung durch Erich Gutenberg zur Beschreibung der Kompetenz des Unternehmers? Diese Frage wird in Bezug auf die Habilitation Gutenbergs sowie seine „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ beantwortet. Erich Gutenberg geht in seiner Habilitation von 1929 der Frage nach, „was es denn überhaupt mit einer betriebswirtschaftlichen Theorie auf sich haben könne, insbesondere, in welcher Weise die Unternehmung als Einzelwirtschaft Gegenstand einer solchen Theorie zu sein vermag.“ 103 Er untersucht zuerst die an den Handelshochschulen betriebene, auf das Aufsuchen von organisatorischen Regeln zielende Betriebswirtschaftslehre.

3.1 Der Wechsel der Betrachtungsrichtung der theoretischen Betriebswirtschaftslehre Gutenberg beschreibt zunächst die Entstehung der empirischen Unternehmung durch einen bewussten, schöpferischen Akt des Menschen und die Unternehmung als eine willentlich unter einen Zweck zusammengefasste Einheit aus Sach- und Leistungsgütern. „Die Unternehmung entsteht durch bewußten, schöpferischen Akt des Menschen, der die Dinge, die wir wirtschaftlich als Güter bezeichnen, bindet und bewegt. Jede Unternehmung, so wie sie als Einheit aus Sach- und Leistungsgütern vor uns steht, ist das Ergebnis eines zielstrebigen, die Güter unter einem einheitlichen Zweck zusammenfassenden Willens.“104

Das Werden, Sein und Vergehen der Unternehmung bedarf zur Erreichung des Zwecks, den Gutenberg zunächst rein privatwirtschaftlich als Ausnutzung von Preisdifferenzen bezeichnet, menschlicher Entschlüsse und Maßnahmen. Für die Durchführung der Entschlüsse und Maßnahmen wiederum bedarf es der Organisation; sie ist für Gutenberg das Mittel, das das Gewollte in Bezug auf den Unternehmenszweck möglichst reibungslos zu vollziehen ermöglicht.

|| 103 Gutenberg (1929) S. 5, vgl. Walger (1982), ders (1993) 104 Gutenberg (1929), S. 11

DOI 10.1515/9783110549553-003

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„Als ein solches Ergebnis menschlichen Gestaltungsvermögens bedarf sie (die Unternehmung, R.N.) zu ihrem Werden, Sein und Vergehen menschlicher Entschlüsse und Maßnahmen, durch welche die Güter, die die Betriebswirtschaft ausmachen, dem gewollten Ziel entsprechend, an die Stelle gebracht werden, an der sie die Erreichung des Zweckes, auf den sie abgestellt sind, gewährleisten. Die Durchführung nun dieser einem letzten betriebswirtschaftlichen Zweck entspringenden Entschlüsse und Maßnahmen bedarf bestimmter Mittel und Einrichtungen, deren Inanspruchnahme den möglichst reibungslosen Vollzug dieser Zielsetzungen ermöglicht. Solche ‚Einrichtungen‘ und ‚Mittel‘ bilden den Komplex betriebswirtschaftlicher Institutionen, den man als Organisation bezeichnet. Diese ist also Mittel zur Erfüllung des Unternehmenszweckes, der hier zunächst rein privatwirtschaftlich als ‚Ausnutzung von Preisdifferenzen‘ bezeichnet sei.“105

Da die Organisation von entscheidender Bedeutung für das Schicksal der Unternehmung werden kann, „kommt es, daß gerade organisatorische Fragen das Hauptarbeitsgebiet und den Hauptansatzpunkt betriebswirtschaftlicher Forschungen bilden.“106 Die Forschungen dieser „auf das Organisatorische gerichteten Betriebswirtschaftslehre“ 107 machen das Organisatorische zu ihrem Gegenstand. Ihr Wissen ist nicht das Wissen von etwas Neuem, sondern ein Wissen von dem Wissen der Praxis, da die betriebswirtschaftlich untersuchte organisatorische Leistung in der Praxis bereits vollzogen ist. „Das spezifisch Organisatorische des Betriebes bildet zunächst und primär den Gegenstand solcher betriebswirtschaftlicher Untersuchungen. Ihnen liegen also im wesentlichen organisatorische Leistungen zu Grunde. Sofern nun in der Betriebswirtschaftslehre bereits in der Praxis erprobte Organisationsformen und Einrichtungen im wissenschaftlichen Sinne beschrieben werden – worüber bereits eine ausgezeichnete Literatur vorliegt – handelt es sich um eine Aufzeichnung oder besser Kennzeichnung der organisatorischen Einrichtungen, die im einzelnen konkreten Falle angewandt wurden, noch nicht dagegen um eine Herauskristallisierung allgemeiner Verfahrensregeln überhaupt, wozu weitere Beschreibungen, d.h. Erweiterungen der Untersuchungsbasis, notwendig sind. Diese deskriptiven Arbeiten sind demnach Darstellungen von organisatorischen Gestaltungen, die unmittelbar der Praxis, der wirtschaftlichen Wirklichkeit, entnommen wurden. Je mehr solche einzelnen Fälle beschrieben werden, um so mehr wird dadurch der Bereich unseres Wissens vergrößert. Dieses Wissen ist nicht das Wissen von einem Neuen, weil die organisatorische Leistung bereits in der Praxis vollzogen ist, aber doch von den Problemen und Möglichkeiten, die in organisatorischer Hinsicht die Praxis beschäftigen.“108

In der Fülle der einzelbetrieblichen organisatorischen Durchführungen verschiedene Grundformen oder typische Verfahrensregeln aufzufinden, machen

|| 105 Gutenberg (1929), S. 11f. 106 Gutenberg (1929), S. 13 107 Vgl. Gutenberg (1929), S. 18 108 Gutenberg (1929), S. 13

Der Wechsel der Betrachtungsrichtung der theoretischen Betriebswirtschaftslehre | 33

das Charakteristikum der wissenschaftlichen Behandlung dieser bisherigen, auf das Organisatorische gerichteten Betriebswirtschaftslehre aus. „Man könnte die Aufgabe einer solchen systematischen Durchforschung vorhandenen Materials so charakterisieren: Sie geht darauf hinaus, das organisatorisch Allgemeine im organisatorisch Besonderen aufzufinden. Dieses Aufsuchen von typischen organisatorischen Verfahren ist nichts anderes als die Reduzierung der mannigfachen Vielheit organisatorischer Erscheinungen auf bestimmte Grundformen.“109

Am Beispiel des Verrechnungspreises im Unternehmen erläutert Gutenberg, dass das Aufsuchen von organisatorischen Regeln in wissenschaftlicher Beziehung nicht das Maßgebende ist. Das wissenschaftlich Maßgebende sind die Folgen, die eine Regel hat, d.h. im Sinne der objektiven Hermeneutik die Frage, was das regelgeleitete Handeln bedeutet. „Sie (die verschiedenen Arten des Verrechnungspreises) haben jeweils ihre Vorzüge und Nachteile und sind deshalb auch nicht einheitlich für alle Betriebe zu verwenden. Das Verordnen des einen oder anderen Verfahrens kann in wissenschaftlicher Beziehung nicht das Maßgebende sein, vielmehr nur die Frage: Welche Verfahren lassen sich für die Ansetzung des Verrechnungspreises feststellen und zu welchen Folgen führt das eine oder das andere Verfahren?“110

Diese bisherige Betriebswirtschaftslehre zielt primär auf das Organisatorische, auf die Mittel, und nicht auf das eigentlich Betriebswirtschaftliche, die Untersuchung der Unternehmung selbst. Denn auch wenn jeder Betrieb eine Organisation hat, so kann doch die Organisation nicht losgelöst von der Unternehmung bestehen und nur die eigentlichen betriebswirtschaftlichen Grundvorgänge machen eine Organisation, die Mittel, sinnvoll.111 „Diese Ausführungen sind nun nicht so zu verstehen, als ob solche organisatorischen Fragen losgelöst von den eigentlichen betriebswirtschaftlichen Güter-Vorgängen betrachtet werden könnten. Organisation ist ja nur in Hinsicht auf betriebswirtschaftliche Grundvorgänge sinnvoll. Aber es ist doch entscheidend, daß diese Güterbewegungen oder besser: die Relationen zwischen den Gütermengen selbst in dieser Betriebswirtschaftslehre nicht als solche, losgelöst von organisatorischen Fragen zum Problem gemacht werden, wie z.B. die Kostenverläufe in der Unternehmung in den Untersuchungen Schmalenbachs. Die Kostengestaltung und Entwicklung ist nicht primär und als solche das Objekt einer auf das Organisatorische der Selbstkostenrechnung zielenden Betriebswirtschaftslehre, vielmehr sind ihr Objekt die Kosten

|| 109 Gutenberg (1929), S. 14 110 Gutenberg (1929), S. 14f. 111 Vgl. Gutenberg (1929), S. 13, zur Betriebswirtschaftslehre, nach der der Betrieb eine Organisation ist, vgl. Heinen (1984). Zur Notwendigkeit der sozialwissenschaftlichen Öffnung der Gutenbergschen Betriebswirtschaftslehre vgl. Rühli (2002), S. 119 ff.

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als etwas organisatorisch zu Erfassendes! Das ‚Wie‘ dieser organisatorischen Erfassung steht im Vordergrund einer solchen betriebswirtschaftlichen Forschungsrichtung, die sich an das Organisatorische hält, und bestimmt ihre Verfahren und ihre Probleme.“112

Gutenberg verdeutlicht am Beispiel der Gründung, dass nicht die eigentlichen betriebswirtschaftlichen Grundvorgänge sondern organisatorische, in den Bereich des Technischen fallende Fragen der Gegenstand der bisherigen Betriebswirtschaftslehre sind. „Tatsächlich gehen z.B. einer Gründung, um diesen hier allerdings etwas abseits liegenden Fall zu streifen, eine Anzahl von Erwägungen und Überlegungen voraus, die nur aus den einzelnen Gründungssituationen heraus zu verstehen sind und deshalb einer allgemeinen Formulierung widerstreben. Die Fragen z.B., ob der Kapitaleinsatz in dieser Branche und an diesem Orte überhaupt zweckmäßig sei, ob überhaupt mit einer erfolgreichen Ausnutzung von Preisspannungen zu rechnen ist, ob und in welchem Maße Sacheinlagen zu machen sind und wie ihr Verhältnis zum Barkapital zu gestalten sei u.a.m. – all diese Fragen müssen bereits irgendwie beantwortet sein, wenn die Technik des Gründungsaktes selbst zur Diskussion steht.“113

Gutenberg geht es nicht um organisatorische Regeln sondern um die Gewinnung theoretischer Einsicht und ihre „Hineinprojizierung … in die Sphäre des Praktisch-Organisatorischen.“114 Er gibt dem Aspekt, um den es ihm geht, im Bereich der Sanierung noch größere Klarheit. Auch hier erkennt Gutenberg, dass von der bisherigen Betriebswirtschaftslehre primär verschiedene organisatorische Grundformen untersucht werden. Diese verschiedenen organisatorischen Grundformen der Sanierung sind entweder „im Prinzip nur eine Korrektur von Fehlern, die in der Kapitalbemessung der Unternehmung, die bei der Gründung gemacht wurden, oder sie wird durch ungünstige Betriebslage selbst erzwungen.“115 Im ersten Fall erfolgt die Sanierung durch eine Korrektur des Fehlers bei der Gründung, „die reinen Betriebsvorgänge brauchen als solche durch die Sanierung nicht tangiert zu werden“.116 „Gerade bei dieser Art von Sanierungen zeigt sich, wie ihre wissenschaftliche Behandlung auf das Sanierungstechnische und damit irgendwie Organisatorische gerichtet sein muß.“117 Im zweiten Fall erzwingen zwar Mängel in der produktionstechnischen oder finanziellen Struktur der Unternehmungen die Sanierung, aber nicht die sie erzwingenden Ursachen

|| 112 Gutenberg (1929), S. 15f. 113 Gutenberg (1929), S. 16f. 114 Gutenbnerg (1929), S. 16 115 Gutenberg (1929), S. 17 116 Gutenberg (1929), S. 18, Hervorhebung im Original 117 Gutenberg (1929), S. 18

Der Wechsel der Betrachtungsrichtung der theoretischen Betriebswirtschaftslehre | 35

bzw. Gesetzmäßigkeiten, sondern die Technik der Sanierung steht im Vordergrund des Interesses. Die die Sanierung erzwingenden Mängel werden „nur insoweit zum Gegenstand der betriebswirtschaftlichen Untersuchungen gemacht, als aus ihnen die Wahl und Durchführung einer Sanierung zu verstehen sind. Keineswegs aber bilden die betriebswirtschaftlichen Spannungen selbst und ihre ‚Gesetzmäßigkeiten‘ das Thema solcher Untersuchungen. Auch hier steht die Sanierung selbst mit ihren technischen Möglichkeiten im Vordergrund des Interesses.“118 Für Gutenberg ist die theoretische Einsicht in die betriebswirtschaftlichen Situationen entscheidend, nicht der Aspekt der Sanierung, auf den die bisherige Betriebswirtschaftslehre den Akzent legt. „Auf der Sanierung liegt der Akzent, nicht auf den konkreten betriebswirtschaftlichen Situationen, die zur Sanierung geführt haben Diese werden lediglich unter dem Aspekt der Sanierung gesehen, nicht aber für sich auf die Fragen hin, die für sie entscheidend sind betrachtet.“119

Das eigentlich Betriebswirtschaftliche liegt für Gutenberg unmittelbar in den Relationen der Gütermengen, in der Einheit von Sach- und Leistungsgütern selbst, und dieser innere, einheitliche Zusammenhang ist der eigentliche Gegenstand einer zweiten Betrachtungsart betriebswirtschaftlicher Phänomene. Das Objekt dieser zweiten Betrachtungsart liegt in einer anderen Dimension. Der Aspekt, die Ansicht, und mit ihr der Gegenstand der zweiten Betrachtungsart betriebswirtschaftlicher Phänomene sind von denen der bisherigen Betriebswirtschaftslehre verschieden. „Sobald die Kosten selbst analysiert werden, wie in den Untersuchungen Schmalenbachs, bleibt der organisatorische Aspekt methodologisch außerhalb der Aufgabe. Das Verfahren selbst wird ein anderes. Es ist abstrakt isolierend, vereinfachend, arbeitet mit bestimmten Annahmen und stellt so unmittelbar die funktionalen Zusammenhänge zwischen den Gütern heraus. Die Relationen, Beziehungsreihen zwischen den Gütermengen in ihrer Unmittelbarkeit sind der eigentliche Gegenstand dieser zweiten Betrachtungsart betriebswirtschaftlicher Phänomene. Ihr Objekt liegt in einer anderen Dimension als das Objekt organisatorischer Untersuchungen … Es ist aber der die Betriebswirtschaft im letzten ausmachende Güterablauf, in den unmittelbar und nicht auf dem Wege über die Organisation vorgestoßen wird, wobei es hier natürlich ohne Bedeutung ist, wie der Untersuchende zu dieser Fragestellung gelangte. Der Aspekt macht den Gegenstand zur Aufgabe und dieser ist in beiden Fällen verschieden!“120

|| 118 a.a.O. 119 a.a.O. 120 Gutenberg (1929), S. 19, Hervorhebungen im Original

36 | Das Unternehmerische als das Irrationale

Gutenberg stößt unmittelbar – ohne Umweg über die Organisation – zu dem eigentlich betriebswirtschaftlichen Objekt vor. Dieses Objekt ist der gewollte, durch die bewusste, schöpferische Handlung entstandene, unter einen einheitlichen Zweck zusammengefasste Güterablauf. Dieser ist für ihn die Unternehmung. Gutenberg begründet die theoretische Betriebswirtschaftslehre, indem er die Betriebswirtschaft nicht mehr wie die bisherige Betriebswirtschaftslehre als Organisation begreift und primär die Mittel betrachtet, sondern nach dem Sinn der Organisation fragt, die Betrachtungsrichtung wechselt und das wissenschaftliche Interesse auf die Unternehmung selbst konzentriert, auf das Objekt der unmittelbaren betriebswirtschaftlichen Grundvorgänge.121 „Wenn nun bisher der Organisationskomplex ‚Betriebswirtschaft‘ als Gegenstand einer auf ihn zielenden Betriebswirtschaftslehre geschildert wurde, so drängt sich dann damit auch die Frage auf, welcher Art denn dasjenige sei, was organisiert wird. Organisation hat doch nur Sinn in Hinsicht auf ein Objekt, das von ihr mit organisatorischen Elementen durchsetzt wird. Es müssen also betriebswirtschaftliche Grundvorgänge da sein, die der Organisation bedürfen und Richtung und Details der konkreten organisatorischen Maßnahmen und Einrichtungen bestimmen. Es bedeutet nun im wesentlichen nur einen Wechsel in der Betrachtungsrichtung, wenn das wissenschaftliche Interesse von den organisatorischen Institutionen weggelenkt und auf diejenigen betriebswirtschaftlichen Grundvorgänge konzentriert wird, welche nach Organisation verlangen. Den eigentlichen Untersuchungsgegenstand bilden dann nicht mehr die konkreten betriebswirtschaftlichen Einrichtungen selbst, sondern betriebswirtschaftliche Prozesse solcher Art, wie sie sich z.B. in den kostentheoretischen Untersuchungen Schmalenbachs (Kostengestaltung bei wechselndem Beschäftigungsgrad) ergeben.“122

Der auf das Aufsuchen von organisatorischen Regeln zielende, bisherige Betriebswirtschaftslehre fehlt es an theoretischer Einsicht, sie sieht die Dinge nicht unter dem Aspekt, der entscheidend ist. Das Aufsuchen von Vor-und Nachteilen kann in wissenschaftlicher Beziehung nicht das Maßgebende sein, sondern nur die Frage, zu welchen Folgen das eine oder andere Verfahren führt, was das sich an den Regeln des Verfahrens orientierende Handeln bedeutet. Indem Gutenberg in Relation zu der auf das Organisatorische zielenden Betriebswirtschaftslehre die Betrachtungsrichtung wechselt und den Blick auf die betriebswirtschaftlichen Grundvorgänge richtet, kann er nicht unmittelbar die empirische Unternehmung, der der Mensch sein individuelles Gepräge gibt, zum Objekt seiner theoretischen Betriebswirtschaftslehre machen. Sein Objekt sind die betriebswirtschaftlichen Prozesse, die in einer anderen Dimension liegen, als das Objekt

|| 121 Zum Gegenentwurf, der die Betriebswirtschaft als Organisation begreift, vgl. Nicklisch (1922) und (1932) sowie Heinen (1969) und (1971) 122 Gutenberg (1929), S. 25, Hervorhebungen im Original

Der Wechsel der Betrachtungsrichtung der theoretischen Betriebswirtschaftslehre | 37

organisatorischer Untersuchungen. „Es gilt nunmehr, den Gegenstand dieser „theoretisch“ orientierten Betriebswirtschaftslehre zu bestimmen.“123 Der unmittelbaren Betrachtung des eigentlichen Untersuchungsgegenstandes steht entgegen, dass jede Unternehmung „in irgendeiner Beziehung Organisation doch mit voraussetzt.“124 Für die theoretische Betriebswirtschaftslehre, die nach dem Sinn der Organisation fragt, die Betrachtungsrichtung wechselt und das wissenschaftliche Interesse auf das Objekt der unmittelbar betriebswirtschaftlichen Grundvorgänge konzentriert, muss Gutenberg deshalb die Annahme machen, dass die Organisation als Quelle eigener Probleme ausgeschaltet wird. „Die Unternehmung als Objekt betriebswirtschaftlicher Theorie kann also nicht unmittelbar die empirische Unternehmung sein. Es muß für sie die Annahme gemacht werden, daß die Organisation der Unternehmung vollkommen funktioniert. Durch diese Annahme wird die Organisation als Quelle eigener Probleme ausgeschaltet und soweit aus ihrer wissenschaftlich und praktisch bedeutsamen Stellung entfernt, daß aus ihr keine Schwierigkeiten mehr für die theoretischen Gedankengänge entstehen können. Die Annahme einer solchen eingestimmten, den reibungslosen Vollzug der betriebswirtschaftlichen Grundprozesse gewährleistenden Organisation bedeutet nicht eine Negation, sondern lediglich eine Neutralisierung der Probleme der Organisation. Gerade aus der hier weiter voranzutreibenden Einstellung heraus wird sich eine Fülle von Argumenten für die wissenschaftliche Bevorzugung organisatorischer Fragen ergeben.“125

Auch mit der Annahme der vollkommen funktionierenden der Organisation und der Ausschaltung der sich aus ihr ergebenden Probleme kann Gutenberg nicht unmittelbar die empirische Unternehmung zum Objekt dieser theoretischen Betriebswirtschaftslehre machen. Denn der Mensch, seine schöpferische Bildungs- und Gestaltungskraft, gibt jeder Unternehmung ein individuelles Gepräge, und diese Individualität der Unternehmung erscheint als Regellosigkeit, die sich Gutenberg bei dem Versuch der Begründung einer theoretischen Betriebswirtschaftslehre auf den ersten Blick entgegenstellt. „Diesem Versuche (zu spezifisch theoretischen Sätzen zu kommen, R.N.) stellen sich auf den ersten Blick aber Schwierigkeiten entgegen, wenn man die Fülle und anscheinende Regellosigkeit betriebswirtschaftlicher Phänomene betrachtet. Schon daraus, daß die einzelne Unternehmung als solche nicht etwas Naturgegebenes ist, wie das Material der Naturwissenschaften im erfahrungswissenschaftlichen (!) Sinne, sondern ein Produkt unmittelbarer menschlicher, schöpferischer Bildungs- und Gestaltungskraft, wird ersichtlich, daß sich jede Betriebswirtschaft durch Einmaligkeit,

|| 123 Gutenberg (1929), S. 23 124 Gutenberg (1929), S. 25 125 Gutenberg (1929), S. 26

38 | Das Unternehmerische als das Irrationale

durch ein ganz individuelles Gerade-so-sein charakterisiert. Es gibt kein Unternehmen, das einem anderen in allen seinen Details gliche. Das bewegende, schaffende Element in ihnen, der Wille, die Entschlußkraft und der Blick der Leiter der Unternehmen für ökonomische Dinge geben jedem Unternehmen ein individuelles Gepräge.“126

Doch auch wenn der Unternehmer bzw. die Unternehmensleitung die Unternehmung mit seinem Willen individuell prägt, so dass kein Unternehmen dem anderen in all seinen Details gleicht, charakterisiert Gutenberg jede Unternehmung dennoch als etwas spezifisch Betriebswirtschaftliches, d.h. er subsummiert jede Unternehmung unter eine allgemeine Kategorie, die ihr erst ihren betriebswirtschaftlichen Sinn gibt und die auf letzten, sie charakterisierenden Prinzipien bzw. Regelmäßigkeiten beruht. Das, was vom Menschen als Unternehmung gewollt und durch einen bewussten, schöpferischen Akt geschaffen werden kann, muss bei aller Individualität auf letzten Prinzipien bzw. Regelmäßigkeiten beruhen. Das nicht unter diese Prinzipien bzw. Regelmäßigkeiten fallende Geschaffene kann keine Unternehmung kein. Wenn man das im Unternehmen handelnde Subjekt mit der objektiven Hermeneutik als kompetenten Unternehmer begreift, ist die Suche nach diesen Prinzipien die Frage nach den Regeln, die der kompetente Unternehmer seinem Handeln zugrunde legt und die seine Bedeutung generieren, ob es also unternehmerisches Handeln ist, das eine Unternehmung als solche charakterisiert. Man könnte die Aufgabe einer solchen systematischen Durchforstung vorhandenen Materials auch so charakterisieren: Gutenberg geht darauf hinaus, das betriebswirtschaftlich Allgemeine im betriebswirtschaftlich Besonderen aufzufinden. Dieses Aufsuchen von typischen betriebswirtschaftlichen Grundprozessen ist nichts anderes als die Reduzierung der mannigfachen Vielheit betriebswirtschaftlicher Erscheinungen auf eine bestimmte Grundform. Dies lässt Gutenberg die Frage stellen, ob sich nicht doch Regeln im Sinne von Prinzipien in der anscheinenden Regellosigkeit der betriebswirtschaftlichen Erscheinungen feststellen lassen. „Diese Unterschiedlichkeit der betriebswirtschaftlichen Erscheinungen zwingt deshalb aber noch nicht zur Resignation. Denn all diesen Erscheinungen kommt doch irgendwie etwas Betriebswirtschaftliches, Ökonomisches als einer allgemeinen Kategorie zu, unter die sie fallen und die ihnen erst ihren betriebswirtschaftlichen Sinn und Charakter gibt. Dieses ‚Auf-eine-Betriebswirtschaft-Bezogensein‘ der einzelnen betriebswirtschaftlichen Vorgänge, ihr Beruhen auf letzten, die Betriebswirtschaft charakterisierenden Prinzipien ist es, worauf sie als auf etwas ihnen allen Gemeinsames zurückführbar und damit möglicherweise erklärbar sind. Mit anderen Worten: Die Frage lautet, ob sich nicht doch ‚Regelmäßigkeiten‘ in der anscheinenden Regel-

|| 126 Gutenberg (1929), S. 26

Die Eliminierung des Unternehmers durch die theoretische Betriebswirtschaftslehre | 39

losigkeit der betriebswirtschaftlichen Erscheinungen feststellen lassen, die gewissermaßen das Nervensystem bilden, in dem die Betriebswirtschaft als wirtschaftliche Institution lebt?“127

Gutenberg grenzt, indem er die Betrachtungsrichtung wechselt, von der organisatorische Regeln und ihre Vor- und Nachteile aufsuchende Betriebswirtschaftslehre seine theoretische, auf die betriebswirtschaftlichen Grundprozesse gerichtete Betriebswirtschaftslehre ab. Diese Grundprozesse machen erst den Sinn des Organisatorischen aus und vollziehen sich durch menschliches Handeln, das nicht regellos sondern durch die Betriebswirtschaft charakterisierende Prinzipien bestimmt ist.128 Die Suche nach diesen Prinzipien lässt sich mit der objektiven Hermeneutik als die Frage nach den Regeln verstehen, die dem Handeln des kompetenten Unternehmers zugrunde liegen und die Bedeutung seiner Handlungen generieren.

3.2 Die Eliminierung des Unternehmers durch die theoretische Betriebswirtschaftslehre Die Suche nach den letzten, die Betriebswirtschaft als allgemeine Kategorie charakterisierenden Prinzipien lässt Gutenberg die Frage nach dem Charakter dieses Objektes stellen, und seine folgenden Überlegungen ergeben drei Grundelemente, „die drei letzten Grundtatsachen, ohne die eine Betriebswirtschaft nicht sein kann“129, und die „irgendwie in der konkreten Betriebswirtschaft da“130 sind. „Welches ist der Charakter des Objektes, auf das eine nach Regeln im Sinne von Regelmäßigkeiten suchende Betriebswirtschaftslehre zielt? Zur Klärung dieser Frage mögen folgende Überlegungen dienen. Wenn man sagt, die Güter bewegen sich durch die Unternehmung, so müßte man sich genauer ausdrücken: Die Güter werden durch die Unternehmung bewegt! In dieser Formulierung tritt schärfer hervor, daß sich die Güter eigentlich passiv verhalten, daß sie Objekt sind für ein sie bewegendes Subjekt. Dieses Subjekt ist einmal das aktiv gestaltende Element in der Unternehmung, zum anderen nimmt es aber doch wieder eine Zwischenstellung zwischen den Gütern als solchen oder kurz dem ‚Material‘ und einem anderen dritten Element ein. Das Handeln des Subjekts bestimmt sich ja doch nach einem Prinzip als drittem Grundelement, an welchem sich sein Denken orientiert. Von diesem Prinzip werden diejenigen Personen in der Unternehmung beherrscht, welche die geschäftlichen Maßnahmen

|| 127 Gutenberg (1929), S. 28, vgl. Walger (1993), S. 110 128 Vgl. Gutenberg (1929), S. 28 129 Gutenberg (1929), S. 29 130 Gutenberg (1929), S. 29

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treffen und vor allem organisatorisch tätig sind. Diese Personen seien unter dem Terminus ‚psychophysisches Subjekt‘ zusammengefaßt. Das Prinzip aber, das dieses psychophysische Subjekt im betriebswirtschaftlichen Material realisiert, sei zunächst ohne alle definitorische Strenge als das Rationalprinzip bezeichnet. Es ergeben sich nun also folgende drei betriebswirtschaftliche Grundelemente: erstens das Rationalprinzip, zweitens das psychophysische Subjekt und drittens das betriebswirtschaftliche ‚Material‘, worunter insbesondere Sach- und Leistungsgüter zu verstehen sind.“131

Diese drei Grundelemente „besitzen .. für die Struktur der Betriebswirtschaft entscheidende Bedeutung.“132 Und sie haben Bedeutung für die theoretische Betriebswirtschaftslehre. Denn sobald Gutenberg die Unternehmung zum Gegenstand betriebswirtschaftlicher Analyse macht, stößt er auf eine Besonderheit gegenüber der naturwissenschaftlichen Untersuchung. Dem Naturwissenschaftler ist sein Material unmittelbar gegeben. Er untersucht es auf immanente Naturgesetze. Die vereinfachende Umformung des Materials in den mathematischen Naturwissenschaften, die es zu etwas anderem macht, als es ursprünglich war, ist für Gutenberg eine Frage der Methode und deshalb nicht von Interesse. Für Gutenberg ist das Material der theoretischen Betriebswirtschaftslehre nicht unmittelbar gegeben, sondern es ist ein an sich passives Material, das vom Menschen nach Prinzipien bewusst geordnet ist. Von Naturgesetzen in der Wirtschaft zu sprechen, ist deshalb nicht angängig. Gutenberg spricht daher von Prinzipien, vom Rationalprinzip, das diejenigen Personen in der Unternehmung beherrscht, welche die geschäftlichen Maßnahmen treffen und vor allem organisatorisch tätig sind, und das in dem zu betrachtenden Gebilde, in dem die theoretische Betriebswirtschaftslehre nach Regeln im Sinne von Regelmäßigkeiten sucht, konstitutiv enthalten ist und es überhaupt erst konstituiert. „Sobald man die Unternehmung zum Gegenstande betriebswirtschaftlicher Analyse macht, stößt man auf ein bereits mit menschlichem Denken durchsetztes Gebilde, in welchem ein an sich passives Material nach Prinzipien bewusst geordnet ist. Dieses Moment ist eine Besonderheit dem Material gegenüber, welches das Objekt der Naturwissenschaften bildet. Dem Naturwissenschaftler ist die Körperwelt als solche unmittelbar gegeben. Er untersucht sie im erfahrungswissenschaftlichen Sinne auf immanente Gesetze, um zu Aussagen zu kommen, die irgendwie allgemeingültig und notwendig sind. Sein Objekt ist nicht bereits ein Komplex aus Material und aus von Menschen bewußt an dieses Material herangebrachten Rationalem als Einheit, wie es die Betriebswirtschaft ist. Von Naturgesetzen in der Wirtschaft zu sprechen, ist deshalb nicht angängig. Wenn übrigens in den mathematischen Naturwissenschaften das Material, das gegeben ist, vereinfachend umgeformt wird, so daß es streng genommen eigentlich schon etwas anderes ist, als es ursprünglich war, so ist das eine

|| 131 Gutenberg (1929), S. 28f., vgl. Walger (1993), S. 110f. 132 Gutenberg (1929), S. 29

Die Eliminierung des Unternehmers durch die theoretische Betriebswirtschaftslehre | 41

Frage der Methode und hier deshalb nicht von Interesse. Wenn also, um es noch einmal zu sagen, die Unternehmung zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung gemacht wird, so findet der Betrachtende ein Gebilde, in welchem die drei Elemente bereits als Konstitutive enthalten sind, ja welches sie überhaupt erst konstituieren.“133

Gutenberg sieht die drei Grundelemente noch zu sehr vom Erfahrungsobjekt ‚Betriebswirtschaft‘ aus und haftet ihnen noch Bedeutungsmöglichkeiten an, die ihre logische Präzision beeinträchtigen. Auf diese logische Präzision kommt es für Gutenberg aber bei der Bestimmung der Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie an. Deshalb muss er die Grundelemente noch einmal einer genaueren Betrachtung unterziehen und sie logisch bereinigen und fixieren. Daraus ergibt sich für Gutenberg, dass er die Unternehmung als Objekt der betriebswirtschaftlichen Theorie ganz auf die spezifischen Probleme dieser Theorie zuschneiden muss. „Die drei aufgezeichneten Grundelemente, wie sie bisher beschrieben wurden, sind noch zu sehr vom Erfahrungsobjekt ‚Betriebswirtschaft‘ aus gesehen. Es haften ihnen noch Bedeutungsmöglichkeiten an, welche ihre logische Präzision beeinträchtigen, auf die es aber bei der Bestimmung der Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie in besonderem Maße ankommt. Wenn nun die theoretische Betriebswirtschaftslehre nur eine Disziplin in der Wissenschaft von der Betriebswirtschaft ist und auch andere theoretische Ansatzpunkte möglich sind, so ergibt sich daraus, daß das besondere Erkenntnisobjekt ‚Unternehmung‘ lediglich ganz auf die spezifischen Probleme zugeschnitten sein muß, die eine solche Betriebswirtschaftslehre beschäftigen. Dazu ist es erforderlich, die drei Grundelemente logisch so zu bereinigen und zu fixieren, daß eine Beantwortung der Fragen, die im theoretischen Interesse gestellt werden können, in möglichst großem Umfange gewährleistet ist. Es ist also die Aufgabe, ein speziell auf die Probleme betriebswirtschaftlicher Theorie abgestimmtes Objekt, indem diese Probleme logisch verknüpft sind, zu konstituieren, so daß sie als logische Einheit begriffen werden können, in der die möglichen Probleme, die die theoretische Betriebswirtschaftslehre beschäftigen, implicite enthalten sind. Es müssen also die drei Grundelemente nochmals einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.“134

Zunächst bedarf das Rationalprinzip einer näheren Analyse. Die Unternehmung ist nicht von Natur gegeben sondern vom Menschen geschaffen und alles menschliche Schaffen charakterisiert Gutenberg als solches, das sich in der Zweck-Mittel-Relation vollzieht. Das Denken in dieser Relation legt Gutenberg an sich allem menschlichen Entschlüssefassen oder vernünftigen Handeln zugrunde.

|| 133 Gutenberg (1929), S. 29 134 Gutenberg (1929), S. 29f.

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„Welches sind die Bedingungen, die es möglich machen, daß die Aussagen der theoretischen Betriebswirtschaftslehre eine systematische Einheit bilden und evtl. sogar mathematisch fixierbar sind? Offenbar handelt es sich im vorstehenden Falle doch nicht um eine naturwissenschaftliche Analyse, da doch die Unternehmung nicht von Natur gegeben ist, sie vielmehr überhaupt nicht da sein würde, wenn die Menschen fehlten, die sie schaffen. Es ist nun aber für alles menschliche Schaffen und Handeln charakteristisch, daß es sich in der Zweck-Mittel-Relation vollzieht. Diese letztere Relation wird den Dingen oder Verhältnissen auf betriebswirtschaftlichem Gebiete von Menschen erst zuerteilt; ihr gegenüber sind die Dinge als solche indifferent. An sich liegt nun das Denken in der Zweck-Mittel-Relation allem menschlichen Entschlüssefassen oder ‚vernünftigen‘ Handeln zu Grunde, und zwar nicht nur im wirtschaftlichen Leben, sondern im menschlichen Leben überhaupt. ‚Unvernünftig handeln‘ heißt überhaupt unzweckmäßig handeln, heißt, die Mittel nicht richtig auf den Zweck, dessen Erreichung sie dienen sollen, abgestimmt haben. Welcher Art dieser Zweck sei, der zu realisieren ist, bleibt dabei ohne Belang“135

Indem Gutenberg das Denken in der Zweck-Mittel-Relation allem menschlichen Schaffen und Handeln zuerteilt, ist das Rationalprinzip in der Unternehmung als Erkenntnisobjekt der theoretischen Betriebswirtschaftslehre konstitutiv enthalten. Es ist ein von Gutenberg bei der Bestimmung der Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie gesetztes Gesetz. Diese Konstitution kann die Krisensituation wie den schöpferischen Akt, bei dem die Richtigkeit des Handelns, die bisher gültige rationale Begründung, in Frage steht und die neue sich noch nicht als solche erwiesen haben kann, nicht erfassen. Um das Werden, Sein und Vergehen der Unternehmung konstitutionstheoretisch zu erfassen, muss die offene Krisensituation den Normalfall und die bewährte Routine den Grenzfall bilden. „In der Alltagspraxis muß um des praktischen Überlebens willen .. die Krise den Ausnahmefall und die Routine den Normalfall bilden. Daß es sich konstitutionstheoretisch gesehen aber umgekehrt verhalten muß, mag man u.a. auch daran sehen, daß die Routine immer die Schließung einer Krise bedeutet, sie sich also material aus der Krise ableitet. Routine ist nämlich … nichts anderes als die Bewährung einer Krisenlösung. Umgekehrt stellt die Krise immer die Öffnung einer Routine, damit auch die Öffnung von Zukunft dar, sie stößt also die Tür zu Neuem auf. Deshalb ist sie als solche aus der Routine nicht ableitbar, sie drückt vielmehr deren Scheitern aus, also etwas Überraschendes und in sich Neues.“136

Gutenberg schließt wie das Handeln, das die Mittel richtig auf den Zweck abstimmt, die offene Krisensituation und teilt allem menschlichen Schaffen und Handeln die Zweck-Mittel-Relation zu.

|| 135 Gutenberg (1929), S. 30, Hervorhebungen im Original 136 Oevermann (1996b), S. 20

Die Eliminierung des Unternehmers durch die theoretische Betriebswirtschaftslehre | 43

„So wie die Zweck-Mittel-Relation den Dingen oder Verhältnissen auf betriebswirtschaftlichem Gebiete von Menschen erst zuerteilt wird, so wird hier das Denken in der Zweck-Mittel-Relation allem menschlichen Schaffen und Handeln von Gutenberg erst zuerteilt.“137

In der bewährten Situation ist für Gutenberg gegenüber dieser allgemeinen, formalen Kategorie, wie auf allen anderen Gebieten menschlichen Handelns auch, nur der Zweck ein Besonderes. „Treten nun aber Zwecke in großer Anzahl auf, gleichgültig, ob es sich um solche handelt, denen noch andere übergeordnet sind oder nicht, und sind sie vor allem inhaltlich voneinander verschieden bestimmt oder bestimmbar, so können es auch nicht ihre Inhalte sein, in denen ihr Gemeinsames als Zweck besteht. So ist es deutlich, daß jeweils der inhaltliche Zweck ein Besonderes ist, gegenüber dem Rationalen, das als formales Prinzip allgemein dann in Erscheinung tritt, wenn es sich darum handelt, das Material in Hinsicht auf den gesetzten Zweck zu ordnen. So ist auch auf dem Gebiet der Betriebswirtschaftslehre der inhaltliche Zweck gewissermaßen nur Datum, demgegenüber das Rationale, die Zweck-Mittel-Relation, jenes Abwägen, Erwägen, Vergleichen, Veranschlagen, gegebenenfalls auch Abmessen darstellt, das als ein solches nicht aus dem inhaltlich bestimmten Zwecke (z.B. Geldertrag), sondern aus der Natur des Rationalen, Vernunftgemäßen, der formalen Kategorie selbst stammt, deren Wesen dieses Abwägen, die Zweck-Mittel-Beziehung ist.“138

Aus dem allgemeinen Rationalprinzip leitet Gutenberg das wirtschaftliche Prinzip ab, indem er das allgemeine, formale Prinzip mit einem bestimmten, wirtschaftlichen Inhalt füllt. Damit ist die Kompetenz des Unternehmers bei Gutenberg als spezifisch betriebswirtschaftlich bestimmt. „Das Rationalprinzip als ‚wirtschaftliches Prinzip‘ formulieren, heißt zunächst nur, es für ein ganz bestimmtes Material mit Beschlag belegen, womit häufig noch die Vorstellung verbunden ist, daß das Abwägen und Vergleichen als solches bereits das Wirtschaftliche an diesem Prinzip ausmache. Das aber ist ein Irrtum. Verglichen, abgewogen, abgestimmt wird auch auf anderem Gebiete der menschlichen Lebensäußerungen, auch im Bereich des Psychischen. Auf einen in seelischer Not befindlichen Menschen eingehen, mit dem Ziele, ihn aus seiner seelischen Depression zu lösen, heißt nichts anderes als auf die psychische Konstellation dieses Menschen einwirken, wobei die Mittel, mit denen diese Einwirkung vorgenommen wird, auf das Ziel hin abgestimmte seelische Beeinflussungen sein können. Die Zweck-Mittel-Relation ist auch in diesem Beispiel vorhanden, wenngleich mit einem anderen Inhalte gefüllt. Spricht man nun vom ‚wirtschaftlichen Prinzip‘, so kann das Wirtschaftliche an diesem Prinzip nicht allein das abwägende Vergleichen sein, das diesem Prinzip als spezifisch ‚wirtschaftlichem‘ zukäme. Das Wirtschaftliche in diesem Prinzip kann nur ein

|| 137 Walger (1993), S. 111 138 Gutenberg (1929), S. 31, Hervorhebungen im Original

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zweites, anderes sein, das von einem bestimmten Material her, eben dem wirtschaftlichen, an das Rationalprinzip herangetragen wird, wodurch dieses für einen bestimmten Inhalt mit Beschlag belegt wird.“139

Durch den spezifischen wirtschaftlichen Inhalt des Rationalprinzips, nicht durch es selbst, entsteht auf dem Gebiete der theoretischen Betriebswirtschaftslehre die Möglichkeit der Berechnung des Erfolges, also der Zweckerreichung. „Die Möglichkeit zur größeren Exaktheit der Berechnung voraussichtlicher oder bereits eingetretener Wirkungen von betriebswirtschaftlichen Maßnahmen kommt durch den Inhalt in das Rationalprinzip herein, nicht aber ist das mengenmäßige Veranschlagenkönnen, das Bemessen, Nachmessen oder Berechnenkönnen des Erfolges, also der Zweckerreichung, wesensnotwendiges Merkmal des Rationalprinzips überhaupt. Der Inhalt des Rationalprinzips ist auf wirtschaftlich-betriebswirtschaftlichem Gebiete von besonderer Natur. Dieser Inhalt wurde oben als das dritte Grundelement, als das ‚Material‘ bezeichnet.“140

Das Material, der Inhalt des Rationalprinzips, ist auf dem betriebswirtschaftlichen Gebiet der Prozess der Umwandlung von Geld in konkrete Güter und wieder in Geld. Das Kapital ist der Generalnenner, auf den Gutenberg alle Güter in der Unternehmung bezieht. „Dieser Inhalt ist, genau gesehen, ein Prozeß, der in der Umwandlung von Geld in konkrete Güter und dann wieder in Geld besteht. Wie unübersehbar auch die Mannigfaltigkeit der produzierten oder umgesetzten Waren ist, ob die einzelnen Unternehmen unmittelbar unter dem Ertragsprinzip oder unter dem der möglichst vollkommenen Befriedigung öffentlicher oder privater Bedürfnisse stehen, stets sind die Güter einer Unternehmung im Umwandlungsstadium befindliches Kapital, welch letzteres als Geld Kaufkraft beschrieben sei. Das Kapital ist größenmäßig bestimmt und gleichzeitig die Instanz, auf die alle Güter in der Unternehmung beziehbar sind. Es ist der Generalnenner, der für die Güter fehlt, wenn man sie nur in ihrer qualitativen Unterschiedlichkeit sieht.“141

Indem allen, an sich qualitativ unterschiedlichen Gütern über den Markt, an dem sie erworben oder verkauft werden, ein Preis zugeordnet werden kann, kann Gutenberg sie miteinander in Kalkulationen rechnerisch verknüpfen. Der Preis der Güter ist bereits die Resultante aus Angebot und Nachfrage, ihre Änderungen werden im Preise aufgefangen, „so daß an ihm abgelesen werden kann, ob Produktionseinschränkung oder Produktionsausdehnung in den Produktivgüter produzierenden Unternehmen und den sie verarbeitenden zweckmäßig ist oder

|| 139 Gutenberg (1929), S. 31f., Hervorhebungen im Original 140 Gutenberg (1929), S. 33, Hervorhebungen im Original 141 Gutenberg (1929), S. 33, Hervorhebungen im Original

Die Eliminierung des Unternehmers durch die theoretische Betriebswirtschaftslehre | 45

nicht.“142 Volkswirtschaftlich bedeutet diese regulative Funktion der Preise, dass sie die Güter an die Stelle im gesamtwirtschaftlichen Prozess leiten, an der ihre Verarbeitung erwünscht ist. In der betriebswirtschaftlichen Blickwendung Gutenbergs orientiert sie den Unternehmer über die Lage in allen produktiven Verwendungen und gibt ihm Anhaltspunkte für die Richtigkeit ihrer Verwendung, d.h. ob die gewollte Einheit aus Sach- und Leistungsgütern betriebswirtschaftlich richtig ist. „In betriebswirtschaftlicher Blickwendung zeigt sich die Aufgabe der regulativen Funktion der Preise so, daß sie den einzelnen Unternehmer über die Lage in allen produktiven Verwendungen, in denen die Produktivgüter überhaupt gebraucht werden, orientieren. Damit geben sie ihm zugleich über die volkswirtschaftliche und privatwirtschaftliche Richtigkeit seiner Verwendung für die Güter Anhaltspunkte. Diese Orientierung selbst geschieht durch das kalkulatorische Vergleichen von Preisen auf dem speziellen Beschaffungs- und dem speziellen Absatzmarkt eines Unternehmens. Der einzelne Unternehmer ist sich bei seiner Kalkulation selten bewußt, daß er durch dieses Vergleichen von nur zwei Preisen die Spannungen auf allen Märkten mit in seine Kalkulation hineinnimmt, an denen das von ihm zur Produktion benötigte Gut beteiligt ist, zu welchem Fabrikate es auch immer verarbeitet sei. Die Lage in den der Sicht des einzelnen Unternehmers entzogenen Verwendungen der Güter kommt in einer solchen ‚einfachen‘ Preisziffer zum Ausdruck. Sie besorgt in einem Netz sich durchkreuzender Marktverflechtungen, daß die Güter an die Stelle im gesamtwirtschaftlichen Prozeß geleitet werden, an der ihre Verarbeitung volkswirtschaftlich erwünscht ist.“143

Indem die Preise die Kapitalquoten an einem Kapital angeben, die auf die einzelnen Güter entfallen, orientieren sie den Unternehmer über die Verwendung des Kapitals und geben ihm Anhaltspunkte für die Richtigkeit von dessen Disposition.144 Das Material, der Inhalt des Rationalprinzips, liegt also in einer Dimension des Quantitativen und dieses Quantitative ist für die betriebswirtschaftliche Theorie und die spezifisch betriebswirtschaftlich bestimmte Kompetenz von allergrößter Bedeutung. „Das Kapital einer Unternehmung ist im Grunde nichts anderes als eine Preissumme. Auf diesem Wege über die Preise werden somit konkrete Güter, denen diese Preise zugeordnet sind, in eine Kapitalsumme eingliederbar. Die Preise sind es also, welche, betriebswirtschaftlich gesehen, die Kapitalquoten angeben, die auf die einzelnen Güter entfallen. Als solche Kapitalquoten werden die Güter einem Kapitale zugehörig, in ihm faßbar gemacht, so daß Gütermengen und zugeordnete Preise (als Kapitalquoten)

|| 142 Gutenberg (1929), S. 34 143 Gutenberg (1929), S. 34, vgl. Walger (1993), S. 114f. 144 Vgl. Walger (1993), S. 115, der die Marktfunktion als Äquivalenzprinzip ausweist, das in betriebswirtschaftlicher Blickwendung zum regulativen Prinzip der Kapitalverwendung wird.

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die letzten Wurzeln dessen darstellen, was bisher als betriebswirtschaftliches ‚Material ‚ bezeichnet wurde. Dieses liegt also in der Dimension des Quantitativen, eine Erscheinung, die für die betriebswirtschaftliche Theorie von allergrößter Bedeutung ist.“145

Die quantitative Dimension des Materials ermöglicht seine Berechnung, d.h. die Berechnung der Richtigkeit der Kapitalverwendung und diese erfolgt in dem Rechnungswesen der Unternehmung, das „im wesentlichen nichts anderes ist als ‚Kapitalrechnung‘“.146 Gutenberg erfasst in den Ziffern des Rechnungswesens „Bewegungen im Kapital der Unternehmung, welches sich im Zustande des Umwandlungsprozesses befindet.“147 Diese Berechnung der Richtigkeit macht Gutenberg von den „Daten“ abhängig, die für die theoretische Betriebswirtschaftslehre als Kapitalquoten durch die Preise irgendwie gegeben sein müssen. Wenn diese Preise gegeben sind, dann müssen sich unter bestimmten Annahmen, zu denen auch die Ausschaltung der einmaligen und individuellen Unternehmerpersönlichkeit gehört, ganz bestimmte Reaktionen in der Betriebswirtschaft feststellen lassen. „Als ‚Daten‘ müssen für die theoretische Betriebswirtschaftslehre die Preise der Beschaffungsgüter irgendwie gegeben sein. Diese unterliegen aber dauernden Veränderungen, welche auf lange Sicht nicht voraussehbar sind. Ebenso ist auch der Grad der Beschäftigung im voraus nicht erkennbar. Diese ‚Daten‘ bestimmen nun gerade die Vorgänge in der Betriebswirtschaft, welche die Theorie analysieren soll. Verlangt man deshalb von einer solchen betriebswirtschaftlichen Theorie unmittelbar für die Empirie geltende Voraussagen und Berechnungen, so zeigt sich deutlich die Begrenztheit theoretischer Bemühungen. Im Bereiche der theoretischen Betriebswirtschaftslehre ist nur zu sagen: Wenn diese oder jene Daten gegeben sind, dann müssen sich unter bestimmten Annahmen, zu denen auch die Ausschaltung der ‚einmaligen‘ und individuellen Unternehmerpersönlichkeit gehört, ganz bestimmte Reaktionsvollzüge in der Betriebswirtschaft feststellen lassen.“148

Die Daten machen die einmalige, individuelle Unternehmerpersönlichkeit, durch dessen bewussten, schöpferischen Akt die Unternehmung entsteht, in der betriebswirtschaftlichen Blickwendung Gutenbergs ausschaltbar.149 In der Unternehmung, in der die Güter unter einen einheitlichen Zweck zusammengefasst und Kapitalquoten sind, kann Gutenberg unter Ausschaltung der einmaligen, individuellen Unternehmerpersönlichkeit die Veränderung der Kapitaldisposition,

|| 145 Gutenberg (1929), S. 34f. 146Gutenberg (1929); S. 35 147 Gutenberg (1929), S. 35, vgl. Walger (1993), S.115f. 148 Gutenberg (1929), S. 35f., Hervorhebungen im Original 149Vgl. Walger (1993), S. 116

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der Vermögenssituation, erkennen, die die Reaktion auf den Markt und die Preise ist. „Nach diesem kurzen Hinweis auf das Problem der ‚Daten‘ müssen wir uns noch einmal der Charakterisierung des betriebswirtschaftlichen ‚Materials‘ zuwenden, Vor allem ist auf folgende Eigenart der Güter als Kapitalquoten hinzuweisen. Aus der ‚Kapitalbezogenheit‘ der Güter ergibt sich ein zweites, daß nämlich die Güter die auf sie entfallenden Kapitalquoten auf verschieden lange Zeit binden. Denn die Kapitalbeträge werden erst nach der zweiten Phase der Umwandlung der Güter in Geld wieder frei. Das heißt aber: Der Begriff der ‚Kapitalbindung‘ enthält den Faktor Zeit, der damit in die theoretische Betriebswirtschaftslehre eingeführt wird. Ein Beispiel möge die betriebswirtschaftliche Bedeutung dieses Begriffes der ‚Kapitalbindung‘ erläutern. Der Umsatz der einzelnen Kapitalteile verläuft in den Unternehmen in gewissen Zeitspannen. Ebenso ist der Kredit, den ein Unternehmen zur Erweiterung seiner Kapitalbasis aufnimmt, irgendwie mit einem Zeitindex behaftet. Zwischen diesen beiden Zeitindices bestehen insofern Beziehungen, als bei kurzfristigem Kredit z.B. die Dauer der Kreditgewährung nicht kürzer sein darf, als die Dauer des Umsatzes des auf dem Kreditwege erhaltenen Kapitals. Nehmen wir diese Beziehung einmal so absolut, wie sie hier formuliert wurde, berücksichtigen wir also nicht, was auch zu machen wäre, die Ersetzbarkeit des Kredits oder seine Zurückzahlung aus anderen Umsätzen resp. eigenem Kapital, so zeigt sich, daß die beiden Zeitspannen z.B. für eine betriebswirtschaftliche Theorie der Preisstellung von Wichtigkeit ist. Man braucht in einem solchen Unternehmen nur ein anderes betriebswirtschaftliches Element, etwa die Absatzgröße, verändern, den Kapitalumsatz verlangsamen, um zu erkennen, wie die immer ungünstiger werdende Kapitaldisposition, Vermögenssituation würde le Coutre sagen, einen Einfluß auf die Preisstellung auszuüben beginnt. In Zeiten der Krise sind es auch nicht die mit den ungünstigen Kosten arbeitenden Unternehmen, welche zuerst mit ihren Preisen heruntergehen, sondern diejenigen, die sich in einer ungünstigen Kapitaldisposition befinden, d.h. in unserem Beispiel diejenigen, bei denen sich die Dauer des Kapitalumsatzes ungünstig zur Dauer der Kreditgewährung verschiebt. Man könnte sogar – hier ohne Beweisführung, die lange Ausführungen erforderlich machen würde – sagen, daß in der Phase der Krise der empirische Grenzbetrieb nicht derjenige mit den höchsten Kosten, sondern der mit der ungünstigsten Kapitaldisposition sei. Das ist aber bei der Bedeutung der Grenzbetriebe für die Preisbewegung von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit. Denkt man diesen Gedanken weiter, so kann man überhaupt die Frage aufwerfen, ob nicht der Begriff der Kapitaldisposition für die Erklärung der Offertpreise mit Erfolg zu verwenden ist, zumal die Kostengestaltung in dem Begriff der Kapitaldisposition auflösbar ist.“150

Die in der Unternehmung festzustellenden Kapitaldispositionen sind die Elemente der betriebswirtschaftlichen Überlegungen und die Quanten dieser Kapitalien sind es, um die das betriebswirtschaftliche Denken der theoretischen Betriebswirtschaftslehre kreist.

|| 150 Gutenberg (1929); S. 36f.

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„Von hier aus wird nun verständlich, daß nicht die qualitative Beschaffenheit der Güter, ihre chemisch-physikalischen und technischen Eigenschaften eine ökonomische Theorie der Betriebswirtschaft primär interessieren können. Vielmehr sind die Güter lediglich als Mengen an aufzuwendenden und produzierten Gütern relevant. Nicht die technischen Details einer Konstruktion, sondern das, was sie kostet und was sie zu leisten vermag, steht betriebswirtschaftlich im Mittelpunkte. Das heißt also es sind aufzuwendende Kapitalbeträge (Gütermengen mal Preise) und zurückerhaltende Kapitalbeträge (Gütermengen mal Preise), die die Elemente der betriebswirtschaftlichen Überlegungen bilden. Eine technische Neuerung besteht, betriebswirtschaftlich gesehen, in einem Mehr oder Weniger an hergestellten Gütern und diese Quanten sind es, um welche betriebswirtschaftliches Denken im engsten Sinne kreist und die die eigentliche Domäne der theoretischen Betriebswirtschaftslehre bilden.“151

Indem das betriebswirtschaftliche Denken der theoretischen Betriebswirtschaftslehre im engsten Sinne die Quanten an einem Kapital sind, beinhaltet der Zweck des Unternehmens, den Gutenberg zunächst nur rein privatwirtschaftlich als Ausnutzung von Preisdifferenzen bezeichnet hat, einen Geldertrag, der sich unter Ausschaltung der einmaligen, individuellen Unternehmerpersönlichkeit als Reaktion auf den Markt und die Preise ergibt. Dieser ist unabhängig von dem für die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie konstitutiven Rationalprinzip mit dem Material, dem Umwandlungsprozess von Geld in Ware und wieder in Geld, verbunden. Für das Berechnen oder Nachrechnen-Können des betriebswirtschaftlichen Erfolgs, der Wirtschaftlichkeit der Unternehmung, ist nicht das Rationalprinzip sondern das Material konstitutiv. „Damit ist nun das Material, auf welches das Rationalprinzip in der Unternehmung Bezug hat, charakterisiert. Jedoch genügen die vorstehenden Ausführungen nicht, um volle Klarheit in die hier zu erörternden Probleme zu bringen. Ein anderes Moment fordert Berücksichtigung. Zwischen dem Material als solchem und dem Zweckinhalt (z.B. Geldertrag) besteht noch eine materielle Beziehung, unabhängig von dem sie verbindenden Rationalprinzip. Das ‚Messen-Können‘ auf betriebswirtschaftlichem Gebiete wäre dann nicht möglich, wenn der Inhalt psychischer Natur wäre. Lust und Unlustgefühle z.B. bei der Bedürfnisbefriedigung liegen an sich außerhalb der Dimension des Quantitativen. Da aber ein Geldertrag, der aus Gütermengen und Güterpreisen besteht oder eine bestimmte Anzahl von Sachgütern oder Dienstleistungen, die ebenfalls mengenmäßig bestimmt sind, als betriebswirtschaftliche Inhalte der Unternehmenszwecke im Bereich des Quantitativen liegen, oder: da diese Zweckinhalte als Kapitalquoten faßbar und in solcher Weise auf das Material beziehbar sind, so erhält das wirtschaftliche Prinzip erst infolge der inneren Verwandtschaft vom betriebswirtschaftlichen Material und konkreten Zweckinhalten seinen quantitativen Charakter. Nunmehr ist endgültig klargestellt, daß das Messen, Nachmessen, evtl. Berechnen oder Nachrechnen-Können betriebswirtschaftlicher Vorgänge und betriebswirtschaftlichen Erfolges nicht im Rationalprinzip als solchem liegt, sondern aus den beiden

|| 151 Gutenberg (1929), S. 37f. , Hervorhebungen im Original

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Faktoren: Material und Zweckinhalt stammen, welche das Rationalprinzip in der Betriebswirtschaft umfaßt.“152

Das dritte Grundelement, der Unternehmer, durch dessen bewussten, schöpferischen Akt die Unternehmung entsteht, bleibt in der theoretischen Betriebswirtschaftslehre als das das Prinzip der Wirtschaftlichkeit realisierende Subjekt übrig. „Es bleibt nun noch übrig, auf ein weiteres betriebswirtschaftliches Grundelement zu sprechen zu kommen, das Subjekt, welches das Prinzip der Wirtschaftlichkeit realisiert.“153

Die Menschen setzen das Prinzip der Wirtschaftlichkeit im Betriebe durch, indem sie die Sach- und Leistungsgüter auf den Unternehmenszweck hin ordnen. Das eigentlich bewegende, aktive, schöpferische Element, durch den die Unternehmung entsteht, wird zum Durchsetzer der Ordnung des Prinzips der Wirtschaftlichkeit. Je mehr das Prinzip durchgesetzt wird, umso mehr wird der Zweck der Unternehmung erreicht. „Je mehr das letztere Prinzip (das Prinzip der Wirtschaftlichkeit, R.N.) in einem Betriebe zur Durchsetzung kommt, um so mehr wird auch der Zweck des Unternehmens erreicht. Das Ordnen der Sach- und Leistungsgüter auf diesen Unternehmenszweck hin geschieht durch Menschen, die als psychophysische Subjekte das eigentlich bewegende, aktive, schöpferische Element in der Unternehmung bilden.“154

Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit, das Rationalprinzip mit seinem Inhalt, der berechenbar ist, lässt sich mit der objektiven Hermeneutik als die Regel der theoretischen Betriebswirtschaftslehre begreifen, die der kompetente Unternehmer im Unternehmen durchsetzt. Es ist die Regel der rechnerisch richtigen Kapitaldisposition. Diese Regel im Unternehmen durchzusetzen, um seinen Zweck zu erreichen, macht in der Theorie Gutenbergs die Kompetenz des Unternehmers aus. Diese Kompetenz erfasst das rational bewährte Handeln des Unternehmers und lässt sich als eine spezifisch betriebswirtschaftliche Kompetenz bezeichnen. Gutenberg unterscheidet die Durchsetzer des Prinzips der Wirtschaftlichkeit nach ihren Fähigkeiten und den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, es voll und ganz zu realisieren. In Relation zu dem in gewissem Sinne absoluten Charakter des Prinzips der Wirtschaftlichkeit, der unberührt bleibt, erscheint der Unternehmer als mit Mängeln behaftet.155

|| 152 Gutenberg (1929), S. 38f. 153 Gutenberg (1929), S. 39 154 Gutenberg (1929), S. 39 155 Vgl. Walger (1993), S. 120

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„Als solche unterscheiden sie sich aber nicht nur in ihren persönlichen Fähigkeiten, sondern auch in den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, das Prinzip der Wirtschaftlichkeit voll und ganz zu realisieren. Durch diese Hemmungen und Unvollkommenheiten wird die Geltung und der in gewissem Sinne absolute Charakter des Prinzips der Wirtschaftlichkeit zwar nicht berührt, wohl aber wird damit gesagt, daß die so im Subjekt liegenden Mängel Verstöße gegen dieses Prinzip möglich machen.“156

Der Wechsel der Betrachtungsrichtung der theoretischen Betriebswirtschaftslehre, der das wissenschaftliche Interesse auf die betriebswirtschaftlichen Grundvorgänge konzentriert, verkehrt die Perspektive und betrachtet den Unternehmer, das aktiv gestaltende Element, durch dessen bewussten, schöpferischen Akt die Unternehmung entsteht von dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit her, das vom Rationalprinzip abgeleitet ist. „Die Perspektive verkehrt sich. Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit ist in seiner Geltung und seinem absoluten Charakter durch das Schöpferische, das Produktive in keiner Weise berührt. Vielmehr erweist sich das Schöpferische, das Produktive im Bezug auf dieses absolut gesetzte Prinzip der Wirtschaftlichkeit als unvollkommen, in seinen produktiven Fähigkeiten begrenzt… Gutenberg betrachtet das produktive Element in der Unternehmung, das psychophysische Subjekt, vom Prinzip der Wirtschaftlichkeit her. Diese Perspektive entzieht sich aber das schöpferische, produktive Element auf Grund einer solchen ‚rationalisierenden, quantifizierenden Betrachtung‘ selbst. In der Ausrichtung auf das Prinzip der Wirtschaftlichkeit wird das, was das produktive Element tut, das Unrichtige, es wird zum Fehler.“157

In der Perspektive Gutenbergs kann der Unternehmer nicht als der Schöpfer des Unternehmens und das aktiv gestaltende Element vorkommen. Das Rationalprinzip ist konstitutiv für die Richtigkeit, mit der die Mittel auf den Zweck hin abgestimmt werden und mit Bezug auf die Berechenbarkeit von Material und Zweckinhalt dafür, die rechnerisch richtige, die rationale Kapitaldisposition zu finden. Sein bewusster, schöpferischer Akt, durch dessen die Unternehmung entsteht, und seine menschlichen Entschlüsse, durch den die Unternehmung sich entwickelt, werden zum Fehler. Diese „verkehrte“ Perspektive hat sich das Unternehmerische des kompetenten Unternehmers selbst entzogen.158 Für Gutenberg kommt es darauf an, dass ein das Prinzip der Wirtschaftlichkeit realisierende Subjekt dieses vollkommen realisiert, d.h. das theoretisch Richtige tut. „Die Unvollkommenheit, mit der das wirtschaftliche Prinzip in der Praxis realisiert wird, stammt also zu einem wesentlichen Teile aus dem psychophysischen Subjekt, dessen individuelle Fähigkeiten für wirtschaftliche Maßnahmen begrenzt sind und

|| 156 Gutenberg (1929), S. 39, Hervorhebungen im Original 157 Walger (1993) S. 121 158 Vgl. Walger (o.J.)

Die Eliminierung des Unternehmers durch die theoretische Betriebswirtschaftslehre | 51

dem es häufig an Mitteln fehlt, an sich richtige Maßnahmen voll und ganz durchzusetzen… Soviel unrichtige Einkäufe beispielsweise auch getätigt, so viele Fehler auch bei der Preisstellung gemacht werden können, in allen Fällen wäre doch ein Einkauf oder ein Verkauf nach Menge und Preis der richtige gewesen. Ob diesen Einkauf resp. Verkauf zu treffen, die menschlichen Kräfte übersteigt oder nicht, ist irrelevant. Nur darauf kommt es an, daß es unter auch noch so komplizierten Verhältnissen einen theoretisch richtigen Einkauf oder Verkauf geben muß.“159 Dem theoretisch Richtigen, bei dem das Prinzip der Wirtschaftlichkeit vollkommen realisiert ist und das es eindeutig geben muss, steht das Mensch-Sein des Unternehmers entgegen. Es ist nicht die Wirtschaftlichkeit, die ihm entgegensteht, sondern erst die Vollkommenheit ihrer Realisierung als Prinzip. Die Absolutsetzung dieses Prinzips macht das Theoretische aus, das gegen das Mensch-Sein und die Kompetenz des Unternehmers steht. „Der Modus …, nach dem diese Grenze (der vollkommenen Realisierung des Wirtschaftlichkeitsprinzips, R.N.) sich bildet, in einem allgemeinen Satz zum Ausdruck zu bringen, ist die Aufgabe einer Theorie.“160 „Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit wird unabhängig von den produktiven Verhältnissen gemacht und zum unbegrenzten Postulat erhoben.“161

Weil er nicht vollkommen zu rationalisieren ist, stellt der Unternehmer für Gutenberg einen irrationalen Faktor dar und Gutenberg kann ihn nicht als ein konstitutives Element in der Unternehmung als Gegenstand der betriebswirtschaftlichen Theorie verwenden. „Wiewohl nun dieses psychophysische Subjekt in der Wirklichkeit dem einzelnen Unternehmen überhaupt erst Leben gibt, so kann es als ‚konstitutives Element‘ in der Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie doch nicht als ein solches irrationales Subjekt verwendet werden, sondern höchstens als ein zwischen Rationalem und seinem Inhalt zwischengeschaltetes Subjekt, das lediglich die Verbindung zwischen diesen beiden Grundelementen herstellt. Störungen und Hemmungen dürfen der Theorie aus ihm nicht erwachsen.“162

Der dem Unternehmen in der Wirklichkeit überhaupt erst Leben gebende Unternehmer, durch dessen bewussten, schöpferischen Akt die Unternehmung entsteht, und seine praktische Kompetenz stehen im Widerspruch zu dem absolut gesetzten Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Das Handeln des Unternehmers kann in der theoretischen Betriebswirtschaftslehre allein in Relation zum Rationalprinzip gedeutet werden, als dieses vollkommen realisierend, auf den Markt und die Preise reagierend, und das dieses Prinzip nicht vollkommen realisierende menschliche Handeln erscheint als Fehler.163

|| 159 Gutenberg (1929) S. 39f., Hervorhebung im Original, vgl. Walger (1993) S. 121 160 Gutenberg (1929) S. 40 161 Walger (1993) S. 122 162 Gutenberg (1929); S. 41 163 Vgl. Walger (1993), S. 120

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Doch Störungen und Hemmungen dürfen der Theorie aus ihm nicht erwachsen. Deshalb muss Gutenberg den Menschen, den Unternehmer, eliminieren. Er betrachtet die Unternehmung unter Verwendung einer regulären Als-ob-Konstruktion so, als ob ein Unternehmer gar nicht vorhanden sei und bringt damit zum Ausdruck, dass dieses Subjekt zwar da ist, aber als eigene Problemquelle ausgeschlossen bleibt.164 „Wir betrachten also nunmehr unter Verwendung einer regulären Als-ob-Konstruktion die Dinge so, als ob das Rationale sich unmittelbar mit seinem Inhalte, dem Material (Sach- und Leistungsgüter, Geld usw.) träfe, als ob ein psychophysisches Subjekt gar nicht vorhanden sei. Dieses letztere wird auf diese Weise aus der Unternehmung als Objekt der betriebswirtschaftlichen Theorie eliminiert. Es gibt noch eine andere mögliche Konstruktion. Man kann ein aus der Phänomenologie bekanntes, wenn auch dort in seinem ganz anderen Sinne Verwendung findendes Verfahren gebrauchen und sagen, das psychophysische Subjekt wird ‚eingeklammert‘, worin zum Ausdruck kommen soll, daß das Subjekt zwar da ist und Berücksichtigung findet, aber als eigene Problemquelle ausgeschlossen bleibt.“165

In dieser Unternehmung Gutenbergs ist der Unternehmer, das eigentlich schöpferische Element, durch dessen schöpferischen Akt die Unternehmung entsteht und durch dessen menschliche Entschlüsse sie sich entwickelt, aus der Konstruktion eliminiert, als ob er gar nicht vorhanden sei.166 Mit der theoretischen Betriebswirtschaftslehre wird die Kompetenz des Unternehmers erfasst, als ob der Unternehmer gar nicht vorhanden sei. Die betriebswirtschaftliche Kompetenz ist die Fiktion der Kompetenz des Unternehmers, in der das eigentlich Unternehmerische nicht vorhanden ist. Gutenberg wirft noch einmal einen Blick zurück auf das Verhältnis von Organisation und psychophysischem Subjekt. Seine Ausführungen machen klar, dass die Annahme der vollkommen funktionierenden Organisation, die das Handeln in Bezug auf den Zweck Gewollte gewährleistet und die das Mittel zur Realisierung des Unternehmenszweckes ist, in der Unternehmung, in der die vollkommene Realisierung des Prinzips der Wirtschaftlichkeit sich vollzieht, unmittelbar aus der Notwendigkeit der Eliminierung des psychophysischen Subjekts stammt und das Organisatorische gar nicht zu dem Gegenstand der theoretischen Betriebswirtschaftslehre gehört. „Hier ist nun gleichzeitig der Ort, noch einmal einen Rückblick auf das Verhältnis der Organisation zu dem sie schaffenden Subjekt zu werfen. Das Organisatorische stammt im wesentlichen aus dem das wirtschaftliche Prinzip realisierenden, es im Betriebe durchsetzenden psychophysischen Subjekt. Nach den letzten Ausführungen ist es

|| 164Vgl. Vaihinger (1922) 165 Gutenberg (1929), S. 41f. 166 Vgl. Walger (1993), S. 126

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aber nun wohl klar geworden, weshalb zu Beginn dieses Kapitels die organisatorischen Problemreihen ausgeschlossen werden mußten. Sie gehören gar nicht zu dem Gegenstand desjenigen, worum es hier zu tun ist. Indem die Organisation als sich reibungslos vollziehend gedacht wird, bleibt sie als solche zwar nicht unberücksichtigt, aber als Quelle eigener Probleme ausgeschaltet. Diese Ausschaltung folgt unmittelbar aus der Notwendigkeit, das psychophysische Subjekt aus dem Erkenntnisobjekt der theoretischen Betriebswirtschaftslehre herauszulösen, da es die Beantwortung der Fragen stören würde, um deren Beantwortung es der Theorie zu tun sein muß.“167

Der Unterschied zwischen empirischer und theoretischer Unternehmung ist die Konsequenz des Standpunktes, den Gutenberg einnimmt. Von solchen Standpunkten kann es unterschiedliche geben, z.B. der „des rein Technologischen, des Wirkungsgrades, des „Betriebsprozesses“, der Volkswirtschaftslehre, der Soziologie und Ethik, obwohl das Realobjekt im eigentlichen Sinne dasselbe bleibt.“168 Indem Gutenberg diesen Standpunkt der theoretischen Betriebswirtschaftslehre einnimmt, die nach dem Sinn der Organisation fragt, die Betrachtungsrichtung wechselt und das wissenschaftliche Interesse auf die betriebswirtschaftlichen Grundvorgänge konzentriert, schränkt er in vollem Bewusstsein und mit Wissen um die Notwendigkeit seine Sicht ein und trifft die Seite der schillernden Buntheit betriebswirtschaftlichen Lebens nur von einer Seite. Die theoretische Unternehmung ist eine wissenschaftliche Konstruktion, die durch bewussten Akt des Erich Gutenberg entsteht, der die Dinge, die wir wirtschaftlich als Güter bezeichnen, nach dem Rationalprinzip ordnet und den Unternehmer, das eigentlich produktive, schöpferische Element, in Relation dazu als irrational begreift. In der betriebswirtschaftlichen Kompetenz kann nur das Rationale des Unternehmers enthalten sein. „Einer von solchen möglichen Standpunkten wird hier des weiteren entwickelt werden, als wiederum nur von einer Art, wie sich dem Betrachtenden betriebswirtschaftliche Vorgänge als Aufgabe zu stellen vermögen. Mit aller Offenheit und in vollem Bewußtsein von der Begrenztheit allen Ausgehens von bestimmten ‚Standpunkten‘ sei gleichzeitig aber auch mit dem Wissen um die Notwendigkeit solcher standpunktlichen Sichteinschränkung von vornherein gesagt, daß auch in dem, was hier vorgetragen wird, nur eine Seite der schillernden Buntheit betriebswirtschaftlichen Lebens getroffen wird.“169 „Im theoretischen Gesichtspunkte erfassen wir also die empirische Betriebswirtschaft überhaupt nur von einer Seite, nicht als unmittelbar gegebenes Gebilde, sondern als eine wissenschaftliche Konstruktion. Diese hat nur Sinn in Hinsicht auf Probleme, deren Beantwortung sie fördern soll.“170

|| 167 Gutenberg (1929), S. 42 168 Gutenberg (1929) S. 24f. 169 Gutenberg (1929) S. 25 170 Gutenberg (1929), S. 42, Hervorhebung im Original

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Nach diesen Feststellungen entsteht Gutenberg eine terminologische Schwierigkeit. Diese terminologische Schwierigkeit entsteht, da unter dem Inhalt des Rationalprinzips einmal Geld und einmal die konkreten Sach- und Leistungsgüter verstanden werden. Über die Preise liegt aber eine innerlich einheitliche Bezogenheit vor. Im eigentlichen Sinne ist der Inhalt des Rationalprinzips, das was als Mittel in Bezug auf den Zweck, den Geldertrag, zu ordnen ist, der Umwandlungsprozess von Geld in Güter und wieder in Geld. Gutenberg beschreibt damit deutlich, dass es in der theoretischen Unternehmung um die Zweckmäßigkeit dieses Umwandlungsprozesses, um einen Prozess der Formumwandlung des Kapitals geht, und nicht um den bewussten, schöpferischen Akt des Unternehmers. Gutenberg unterscheidet klar zwischen der empirischen Unternehmung und dem Unternehmer und der wissenschaftliche Konstruktion der Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie und dem psychophysischen Subjekt.171 „Nach diesen Feststellungen sind noch einige Schritte zu tun, um die vorstehenden Erörterungen zum Abschluß zu bringen. Es sei an dieser Stelle doch noch einmal darauf eingegangen, daß sich im bisherigen stets dann eine Schwierigkeit terminologischer Natur einstellte, wenn von dem ‚Material: gesprochen wurde. Einmal werden unter dem ‚Material‘ das Kapital der Unternehmung im Sinne von Geld, Kaufkraft, dann aber wieder die konkreten Sach- und Leistungsgüter verstanden, Der Ausdruck ‚Vermögen‘ wird stets grundsätzlich vermieden werden. Die Schwierigkeit, die sich hier also scheinbar ergibt, ist aber nicht sachlicher Natur. Denn wie das Kapital im Preise und damit, weil diese Preise Gütern zugeordnet sind, ebenso ist es auch möglich, von den konkreten Gütern auszugehen und auf diesem Wege über die Preise Kapitalquoten zu definieren. Es liegt also eine innerlich einheitliche Bezogenheit vor. Ob man von der Geldsumme Kapital ausgeht und dahinter die konkreten Güter sieht, oder von den Gütern selbst und in ihnen die Kapitalquoten faßt, führt zu keiner sachlichen Antinomie. Die terminologische Schwierigkeit resultiert lediglich daraus, daß den Inhalt des Rationalprinzips weder Geldbeträge (Kapital) noch Gütermengen als solche ausmachen, sondern daß dieser Inhalt im eigentlichen Sinne ein Umwandlungsprozeß von Geld in Güter und von Gütern in Geld ist. Dasjenige also, was den Charakter von Mitteln zu einem betriebswirtschaftlichen Endzweck (Geldertrag) trägt, ist nicht die Geldsumme Kapital, auch sind es nicht die konkreten Güter, sondern es ist ihr Umwandlungsprozeß von der einen Form in die andere.“172

Nachdem Gutenberg die drei Grundelemente und die terminologische Schwierigkeit bereinigt hat, kann er nun „die Unternehmung als einen Komplex von Quantitäten bezeichnen, die in gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnissen voneinander stehen (funktional gebunden sind) und Quoten an einem Kapitale

|| 171 Vgl. Walger (1993), S.124; Bentano (1907), S. 9 172 Gutenberg (1929), S. 43, Hervorhebung im Original

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darstellen, das an einer Stelle im gesamtwirtschaftlichen Prozeß eingesetzt ist.“173 In dieser theoretischen Unternehmung Gutenbergs ist das psychophysische Subjekt, der Unternehmer, das eigentlich schöpferische Element, durch dessen schöpferischen Akt die Unternehmung entsteht und durch dessen menschliche Entschlüsse sie sich entwickelt, eliminiert. Mit der theoretischen Betriebswirtschaftslehre ist das Rationalprinzip als die Regel der rechnerisch richtigen Kapitaldisposition und mit dieser die Kompetenz des Unternehmers als eine betriebswirtschaftliche Kompetenz bestimmt. Die Konstitution Gutenbergs macht es nur möglich, das Rationale des Unternehmers in den Blick zu nehmen. In der betriebswirtschaftlichen Kompetenz kann nur das Rationale des schöpferischen Unternehmers enthalten sein.

3.3 Die Unternehmung, in der ein Unternehmer gar nicht vorhanden ist und die irrationale Restgröße Nachdem Gutenberg die allgemeine Grundstruktur der Unternehmung konstituiert hat, wendet er sich dem konkreten Problemgehalt dieses Objekts der theoretischen Betriebswirtschaftslehre zu. Dazu nimmt er auf den Beschaffungsmarkt und Absatzmarkt der Unternehmung Bezug. In diesen agieren der Beschaffungs- bzw. Verkaufssektor und zwischen diesen befindet sich der Eigensektor der Unternehmung. „Welcher Art die Gegenstände auch sein mögen, welche die verschiedenen Unternehmen umsetzen, stets müssen sie beschafft und abgesetzt werden… Die Seite der Unternehmung, welche nach dem Beschaffungsmarkte hin gelegen ist, sei ihr ‚Beschaffungsmarkt‘ genannt, ihm liegt nach der Absatzseite hin der ‚Absatzsektor‘ gegenüber. Den ersten Sektor füllen die Beschaffungsakte, durch welche gegen Erstattung eines regelmäßig in Geld bestehenden Gegenwertes Sachgüter, Arbeits- und Dienstleistungen von der Unternehmung erworben werden. Im Absatzsektor aber liegen die Verkaufsakte. Die Absatzgüter verlassen die Unternehmung und Geld strömt in sie hinein. Zwischen diesen beiden ‚Außensektoren‘ befindet sich der Eigensektor der Unternehmung.“174

Gutenberg wendet sich zunächst dem „Eigensektor“ zu, in dem er die „Kostensphäre“ und die „finanzielle Sphäre“ unterscheidet. Seine Betrachtung richtet sich auf die Kapitalquantitäten in diesen Sphären und Gutenberg legt ihnen zunächst die Annahme zugrunde, dass die Produktionsverfahren und damit die Produktions-Koeffizienten, also die Beteiligungsziffern der einzelnen Güter an

|| 173 Gutenberg (1929), S. 44 174 Gutenberg (1929), S. 45f. , Hervorhebung im Original

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der erstellten Leistungseinheit, nicht geändert werden.175 Die Kapitalquantitäten verschieben sich entsprechend, wenn ein Datum geändert wird, das ihnen zu Grunde liegt. „Bereits an anderer Stelle wurde die Unternehmung definiert als ein Komplex von Quantitäten, die in bestimmen Abhängigkeitsverhältnissen zueinander stehen (funktional gebunden sind). Diese Abhängigkeits- oder Entsprechungsverhältnisse … verschieben sich, wenn ein Datum, das ihnen zugrunde liegt, geändert wird. Das gilt sowohl für die Kostensphäre als auch für die finanzielle Sphäre und somit für den ganzen Eigensektor der Unternehmung.“176

In Bezug auf die Verschiebungen der Kapitalquantitäten, die in den beiden Außensektoren vor sich gehen können und denen die Eliminierung des Unternehmers sowie die Änderungen von Daten zugrunde liegen, spricht Gutenberg von einer unmittelbaren Reaktionsschicht in der Unternehmung. „Es leuchtet nun ohne weiteres ein, daß die mengenmäßige Zusammensetzung der Betriebswirtschaft, sowohl was ihre Produktionssphäre (Kosten) als auch ihre finanzielle Sphäre (Status) anbetrifft, auf diese Datenänderungen in den Außensektoren reagiert. Die einzelnen Kapitalquoten, aus denen die Unternehmung besteht, verlagern sich zueinander. In diesem Sinne kann man von einer unmittelbaren Reaktionsschicht in der Unternehmung sprechen.“ 177

Gutenberg verdeutlicht im Folgenden, wie die Kosten der Unternehmung, in der ein Unternehmer gar nicht vorhanden ist, auf Preis- und Mengenänderungen im Absatz- und Beschaffungssektor reagieren, beispielsweise dass sich durch Anstieg der Absatzmengen der Beschäftigungsgrad ändert mit der Konsequenz, dass der Kostenanteil an andauernden Gütern (der Fixkostenanteil) sinkt. Diese Kosten der einzelnen Leistungsgüter entspricht jeweils eine bestimmte Disposition zwischen den Kapitalquoten, die auf die ausdauernden Produktivgüter und denjenigen, welche auf die Umsatzgüter entfallen. Gutenberg kann deshalb die Kostensphäre im Eigensektor der Unternehmung, die Produktionssphäre, als ‚Kapitaldisposition‘ begreifen. „Den Kosten oder Kapitalbeträgen der einzelnen Leistungseinheiten entspricht jeweils eine bestimmte Disposition zwischen den Kapitalquoten, die auf die ausdauernden Produktivgüter und denjenigen, welche auf die Umsatzgüter entfallen. Als solche Kapitalbeträge werden sie, wie bereits gesagt, im kaufmännischen Rechnungswesen erfaßt. Es besteht deshalb die Möglichkeit, die Kostensphäre im Eigensektor der Unter-

|| 175 Vgl. Gutenberg (1929), S. 48; diese Änderung wird später als äußerer Eingriff begriffen, siehe unten. 176 Gutenberg (1929), S. 47 177 Gutenberg (1929), S. 47, Hervorhebung im Original

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nehmung unter den Begriff der Kapitaldisposition zu bringen und von Korrelationsverhältnissen zu sprechen, welche zwischen den Kapitalquoten bestehen, welche auf die ausdauernden Produktivgüter und auf die in einer bestimmten Zeitperiode passierenden Umsatzgüter entfallen.“178

Auch die finanzielle Sphäre lässt sich unter den Begriff der Kapitaldisposition fassen, indem Gutenberg die Teile des Kapitals mit heranzieht, die in Debitoren, Kreditoren, Effekten, Obligationen oder sonstigen Reservegütern angelegt sind. „Jeweils also sind Kapitalbeträge in einem bestimmten Verhältnis zueinander disponiert, so daß die Möglichkeit besteht, auch die finanzielle Sphäre im Eigensektor der Unternehmung und damit den Eigensektor überhaupt in ‚Kapitaldisposition‘ aufzulösen.“179

Indem der Eigensektor des Unternehmens von Gutenberg als Kapitaldisposition begriffen wird kann die Verschiebung, die durch eine Datenänderung eintritt, als Überführung der Kapitaldisposition im Eigensektor von der einen in eine andere begriffen werden. „Ist zu einem bestimmten Termine das Kapital der Unternehmung in einer ganz bestimmten Art disponiert, so verschiebt sich die Lage der einzelnen Kapitalteile zueinander, wenn im Absatz- oder Beschaffungssektor der Unternehmung eine Datenänderung eintritt. Die bisherige Situation im Eigensektor wird in eine andere umgewandelt. So zwar, daß gleichzeitig die Kosten- und finanzielle Sphäre nicht nur jeweils als solche, sondern auch in ihren Beziehungen zueinander alteriert werden. Da in dem Begriff der Kapitaldisposition die ganze unmittelbare Reaktionsschicht enthalten ist, die der Eigensektor mit diesen beiden Sphären bildet, so genügt es fortan zu sagen: die Kapitaldisposition eines Unternehmens ist infolge einer Datenänderung in eine andere überführt.“180

Nicht nur der Eigensektor, auch die Außensektoren der Unternehmung stellen für Gutenberg Reaktionsgebiete dar. „Der Eigensektor bildet mit seinen beiden skizzierten Sphären nicht das einzige Reaktionsgebiet in der Unternehmung. Es hieße die Reaktionsabläufe willkürlich abschneiden, wollte man sie auf den Eigensektor begrenzen, der noch nie ‚das Ganze der Unternehmung‘ ausmachen kann. Zu diesem ‚Ganzen der Unternehmung‘ gehören auch Beschaffungs- und Absatzsektor, welche bisher nur als Ausgangspunkte von Datenänderungen in Anspruch genommen wurden. Hiermit ist ihre Bedeutung für die betriebswirtschaftliche Theorie aber nicht erschöpft. Von theoretischem Interesse

|| 178 Gutenberg (1929), S. 86f., Hervorhebung im Original; zusätzlich werden die Vorräte als Kapital begriffen und in die Kapitaldisposition einbezogen 179 Gutenberg (1929), S. 87, Hervorhebung im Original 180 Gutenberg (1929), S. 88, Hervorhebung im Original

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sind beide Außensektoren vor allem deshalb, weil auch sie Reaktionsgebiete und damit Problemgebiete in der Unternehmung als Objekt betriebswirtschaftlicher Theorie darstellen.“181

Im Absatzsektor begreift Gutenberg die Preisstellung als das Kardinalproblem.182 Wenn die Kapitaldisposition rational realisiert wird, muss der bisherige Preis bei einer neuen Situation im Eigensektor, die durch eine Datenänderung entsteht, an das nach den neuen Verhältnissen erreichbare Ertragsmaximum angepasst werden. Die gesamtbetriebliche Reaktion auf die Datenänderung, die rationale Kapitaldisposition, ist erst dann zu einem Abschluss gekommen, wenn der Offertpreis richtig auf die Verschiebung der Kapitalien im Eigensektor reagiert hat. „Der bisherige Preis muß der neuen Situation so angepaßt werden, daß er zu dem nach Maßgabe der neuen Verhältnisse erreichbaren Maximum an Ertrag verhilft. Solange diese Rückwirkung des Situationswechsels in der Kapitaldisposition auf die Preisstellung noch nicht eingetreten ist, ist der gesamtbetriebswirtschaftliche Reaktionsprozeß noch nicht beendet. Hat aber der Offertpreis auf die Situationsverschiebung im Eigensektor der Unternehmung richtig reagiert, dann ist der Reaktionsablauf zu einem Abschluß gekommen.“183

Berücksichtigt man die Angebotselastizität, dass in dem einen Fall geringe Preisermäßigungen genügen, ausfallende Käufer zu gewinnen, im anderen Falle es größerer Preisreduzierungen bedarf, kann der Offertpreis als Resultante der Kapitaldisposition bezeichnet werden. Unter diesen Bedingungen realisiert der Offertpreis zum Zeitpunkt des Produktverkaufs das mögliche Ertragsmaximum. „In einem Falle wird bereits eine geringe Preisermäßigung genügen, ausfallende Käufer wieder zu gewinnen. In einem anderen Falle bedarf es hierzu größerer Preisreduzierungen. Hieraus ergibt sich, daß die in Hinsicht auf den Unternehmenszweck (Geldertrag) günstigste Preislage auch durch die jeweilige Absatzelastizität mit bestimmt wird. Berücksichtigt man dieses Moment, so kann der Offertpreis mit der Maßgabe als Resultante aus der Kapitaldisposition der Unternehmung zum Zeitpunkt des Produktverkaufes und der Absatzelastizität des Verkaufsgutes bezeichnet werden, daß er das unter den gegebenen Bedingungen mögliche Ertragsmaximum realisiert.“184

Diese durch Datenänderungen ausgelöste Abfolge von Reaktionen, die nicht nur die Kapitaldisposition des Eigensektors von der einen Situation in die andere

|| 181 Gutenberg (1929), S. 63 182 Gutenberg (1929), S. 64, zum Beschaffungssektor und den Grenzpunkten der Preisbewilligung vgl. Gutenberg (1929), S. 126ff. 183 Gutenberg (1929), S. 88, Hervorhebung im Original 184 Gutenberg (1929), S. 89, Hervorhebung im Original

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überführen, sondern gleichermaßen auch in den Beschaffungs- und Absatzsektor wirken, bilden den eigentlichen, in nächster Nähe der betriebswirtschaftlichen Wirklichkeit gelegenen Gegenstand der theoretischen Betriebswirtschaftslehre. Denn die einzelnen Reaktionsgebiete sind „sämtlich auf einen Einheitsgrund, auf eine letzte Beziehungsverbundenheit zurückzuführen, welche die Unternehmung als einen Komplex von Quantitäten, im weiteren Sinne als ‚Kapitalquoten‘, verstanden, bildet, die in gegenseitigem Abhängigkeitsverhältnis voneinander stehen.“185 „Den eigentlichen, in nächster Nähe der betriebswirtschaftlichen Wirklichkeit gelegenen Gegenstand einzelwirtschaftlicher Theorie bildet jene durch Datenänderungen ausgelöste Abfolge von Reaktionen, welche die Unternehmung durchlaufen, eine Situation in die andere überführen, nicht nur den Eigensektor, sondern gleichermaßen auch den Beschaffungs- und Absatzsektor durchzucken.“186

Gutenberg kennzeichnet das Verhältnis zwischen den drei Sektoren, in das diese als Reaktion auf Datenänderungen tendieren, als „innerbetrieblichen Gleichgewichtszustand.“187 Der Reaktionsmechanismus, zu dessen Analyse man volkswirtschaftlicher Daten bedarf, nicht aber der Kenntnis ihres volkswirtschaftlichen Charakters oder ihres theoretischen oder praktischen Bestimmtseins, bildet das Wesentliche des Gegenstandes der theoretischen Betriebswirtschaftslehre. „Das Wesentliche des Gegenstandes der theoretischen Betriebswirtschaftslehre bildet jener Reaktionsmechanismus, zu dessen Analyse man einiger volkswirtschaftlicher Daten, nicht aber Kenntnis des volkswirtschaftlichen Charakters oder des jeweiligen praktischen oder theoretischen Bestimmtseins dieser Daten bedarf.“188

Auch Änderungen wie eine neue Betriebsorganisation oder neue Fertigungsmethoden sind für die theoretische Betriebswirtschaftslehre nichts anderes als Daten, auf die die Kapitaldisposition reagiert und die drei Sektoren in eine Gleichgewichtslage zueinander zwingt. Ein Unternehmen, das seine Produktionskoeffizienten ändert, durch Eingriffe, die bewusste Akte und Entschlüsse des Unternehmers und für die theoretische Betriebswirtschaftslehre äußere Eingriffe sind, und dessen Kapitaldisposition nicht in einer Gleichgewichtslage ist, könnte man als ‚dynamisches Unternehmen‘ bezeichnen.

|| 185 Gutenberg (1929), S. 96, Hervorhebung im Original 186Gutenberg (1929), S. 96, Hervorhebung im Original 187 Gutenberg (1929), S. 105 188Gutenberg (1929), S. 105

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„Führt ein Unternehmen eine neue Betriebsorganisation oder neue Fertigungsmethoden ein, so sind auch diese Maßnahmen für die betriebswirtschaftliche Theorie wiederum nichts anderes als Daten, welche die mengenmäßige Zusammensetzung der Unternehmung beeinflussen und die drei Sektoren in eine neue Gleichgewichtslage zwingen. Dieses Unternehmen, welches seine Produktions-Koeffizienten durch äußere Eingriffe in den Produktionsapparat ändert, dazu mit Gewinn oder Verlust arbeitet und finanziellen Spannungen ausgesetzt ist, könnte man als ein ‚dynamisches Unternehmen‘ kennzeichnen.“189

Bei dem Bemühen an die Reaktionsmechanismen der rationalen Kapitaldisposition heranzukommen bleibt in der theoretischen Betriebswirtschaftslehre, der Unternehmer als gewissermaßen „irrationaler Rest“ wie die Daten außerhalb des Erfassungsbereichs dieser betriebswirtschaftlichen Theorie, obwohl er das im eigentlichen Grunde schöpferische Element darstellt, welches der einzelnen Unternehmung ihre individuelle Gestalt gibt. Die Kompetenz des Unternehmers bleibt gewissermaßen außerhalb der Bestimmung der betriebswirtschaftlichen Kompetenz. Zu einer die betriebswirtschaftliche Wirklichkeit vollkommen in sich einbegreifenden Synthesis konnte Gutenberg die methodischen Wege nicht finden. „Wenn im Verlaufe der bisherigen Untersuchung der Charakter einer im engen und strengen Sinne theoretischen Betriebswirtschaftslehre als Lehre von einer Einzelwirtschaft betont wurde, so geschah das, um an jene Problematik heranzukommen, die essentiell betriebswirtschaftliches Gepräge hat. Zwar blieb bei diesem Bemühen der Unternehmer als gewissermaßen ‚irrationaler‘ Rest außerhalb des Erfassungsbereichs dieser betriebswirtschaftlichen Theorie, obwohl er das im eigentlichen Grunde schöpferische Element darstellt, welches der einzelnen Unternehmung ihre individuelle Gestalt gibt. Zur einer die betriebswirtschaftliche Wirklichkeit vollkommen in sich einbegreifenden Synthesis konnten die methodischen Wege also nicht gefunden werden. Dieses umso mehr, als das Phänomen der volkswirtschaftlichen Daten in sich so außerordentlich kompliziert liegt, daß ein exaktes Vorausberechnen empirischer einzelbetrieblicher Zustände zur Zeit wenigstens unmöglich erscheint.“190

Indem Gutenberg alles menschliche Schaffen und Handeln als solches charakterisiert, dass es sich der Zweck-Mittel-Relation vollzieht und er diese Relation den Dingen oder Verhältnissen auf betriebswirtschaftlichem Gebiet zuerteilt, und die Güter, auf deren Relationen und Ablauf die er das wissenschaftliche Interesse als die betriebswirtschaftlichen Grundvorgänge konzentriert, als Quoten an einem Kapital begreift, ist die theoretische Unternehmung ein Komplex von Kapitalien, in dem die Kapitaldisposition vollkommen richtig auf die Änderung der Daten rational reagiert. Als solche wissenschaftliche Konstruktion entsteht

|| 189Gutenberg (1929), S. 119 190 Gutenberg (1929), S. 95f.

Die Wiederholung der Eliminierung des Unternehmers in der „Produktion“ | 61

die Unternehmung durch bewussten, schöpferischen Akt des Erich Gutenberg. In Relation zum absolut gesetzten Rationalprinzip erscheint der bewusste, schöpferische Akt des Menschen und seine menschlichen Entschlüsse, durch den die Unternehmung entsteht bzw. sich entwickelt, als mit Mängeln besetzt und fehlerhaft und bliebt außerhalb des Erfassungsbereichs. Der Unternehmer kann als ein irrationales Subjekt gar nicht in der theoretischen Unternehmung vorkommen, sondern nur das absolut gesetzte Rational- bzw. Wirtschaftlichkeitsprinzip, die rationale Kapitaldisposition. Der Wechsel der Betrachtungsrichtung schränkt die Sicht Gutenbergs auf die Entstehung bzw. Entwicklung der Unternehmung, den bewussten, schöpferischen Akt des Menschen bzw. die menschlichen Entschlüsse, standpunktlich ein. Die theoretische Unternehmung Gutenbergs kann nicht den Sinn haben, dass sie die Beantwortung von Problemen in dieser Hinsicht, in Hinsicht auf die Entstehung und Entwicklung der dynamischen Unternehmung, die Probleme aus dem Subjekt als eigener Problemquelle sind, worin zum Ausdruck kommen soll, dass das Subjekt da ist und Berücksichtigung findet, fördern soll. Die theoretische Betriebswirtschaftslehre bemüht sich an den Reaktionsmechanismus der Kapitaldisposition heranzukommen, die auf Änderungen von Daten reagiert, die Daten des Beschaffungs- oder Absatzmarktes sind oder Akte des Unternehmers, die als äußere Eingriffe begriffen werden.191 Mit der Konstituierung der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft sieht Gutenberg von dem Schöpferischen des Unternehmers ab, dieses kann in Relation zu dem absolut gesetzten Rationalprinzip nur negativ als eine irrationale Restgröße begriffen werden.192 Die Kompetenz des im Unternehmen die Kapitaldisposition richtig realisierenden Subjekts ist mit der theoretischen Betriebswirtschaftslehre als spezifische, betriebswirtschaftliche Kompetenz konstituiert. Diese Konstitution macht es nur möglich, die betriebswirtschaftliche Kompetenz des Unternehmers in den Blick zu nehmen. Das Schöpferische des Unternehmers ist gewissermaßen ein irrationaler Rest außerhalb des Erfassungsbereichs der betriebswirtschaftlichen Kompetenz.

3.4 Die Wiederholung der Eliminierung des Unternehmers in der „Produktion“ In den „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ baut Gutenberg seine Konzeption der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“

|| 191 Vgl. Gutenberg (1989), S. 41 192 Vgl. Walger (1989), S. 27ff.

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aus.193 Gutenberg selbst beschreibt rückblickend diesen Ausbau seiner Konzeption in der Weise, dass nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner wirtschaftsprüferischen und beratenden Tätigkeit in den 1930er Jahren der Betriebsprozess der Unternehmung stärker hervortreten, sie als ein in Grenzen disponibles und steuerbares System definiert und schließlich stärker als bisher als ein auf Produktivität angelegtes System gezeichnet werden soll.194 „In jener Zeit, also etwa im Jahr 1936 konzentrierte sich mein wissenschaftliches Interesse auf drei Fragen, zu denen ich mich anschließend kurz äußern möchte: In der Habilitationsschrift war die Unternehmung als ein Gesamtzusammenhang von Variablen definiert worden, der auf Datenänderungen reagiert. Diese Reaktionen lösen Aktivitäten aus, durch die drohende Gefahren abgewehrt oder sich eröffnende Chancen wahrgenommen werden sollen. Das dieser Vorstellung zugrunde liegende Variablensystem bzw. Beziehungssystem müsse, so war damals meine Ansicht, den Prozeßcharakter des Unternehmens stärker hervortreten lassen. Weder die „theory of the firm“ noch die mikroökonomische Theorie kennen jene Steuerungsapparatur, ohne die die Unternehmungen nicht funktionsfähig sind. Es sollte deshalb versucht werden, die Unternehmung als ein in Grenzen disponibles und insoweit steuerbares System zu definieren. Die Unternehmung sollte stärker als bisher als ein auf Produktivität angelegtes System gezeichnet werden. Aus diesem Grund erschien es nötig, sich darüber klar zu werden, von welchem Umständen die Produktivität eines Unternehmens als abhängig gedacht werden kann.“195

Wie ist der Unternehmer in der „Produktion“ begriffen, wenn die Unternehmung als ein in Grenzen disponibles, steuerbares und stärker auf Produktivität angelegtes System gezeichnet werden sollte, in der der Betriebsprozess stärker hervortritt, und was kann dieser Ausbau zur Beschreibung der Kompetenz des Unternehmers beitragen? Gutenberg konstituiert in der „Produktion“ die Unternehmung als ein System, in dem die objektbezogene menschliche Arbeitsleistungen, die Betriebsmittel und die Werkstoffe als elementare Faktoren und die Geschäfts- und Betriebsleitung, die in dem industriellen Großbetrieb die Tätigkeit des Unternehmeris übernimmt, als Funktion ihrer Kombination aufgefasst werden.196

|| 193 Vgl. Gutenberg (1951), S. 59; Walger (1993), S. 129ff. 194Gutenberg (1989), S. 59f. 195 Gutenberg (1989), S. 59f. 196 Vgl. Gutenberg (1951), S. 7

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„Das System der Produktivelemente besteht aus den drei Elementarfaktoren: Arbeitsleistungen, Betriebsmittel, Werkstoffe und aus dem vierten zusätzlichen Faktor: Geschäfts- und Betriebsleitung mit wesentlich kombinativer Funktion. … Dieses Faktorsystem wollen wir unseren weiteren Ausführungen zugrunde legen.“197

Neben den drei elementaren Faktoren ist die Kombinationsfunktion ein vierter, dispositiver Faktor, den Gutenberg aus dem elementaren Faktor menschliche Arbeitsleistungen ausgliedert, und der die Produktivität der anderen Faktoren wesentlich mitbestimmt. Insofern es sich bei diesem vierten Faktor um die Träger nicht in Formeln auflösbarer und quantifizierender, individueller Eigenschaften handelt, wurzelt der produktive Effekt betriebsführender Tätigkeit in einer „irrationalen Schicht“, in der das Geheimnis „richtiger“ Entscheidungen liegt.198 „Die Geschäfts- und Betriebsleitung, der vierte Produktivfaktor, wird hier als das Zentrum, als die eigentlich bewegende Kraft des Betriebsprozesses aufgefaßt. Im Gesamtsystem der Träger betrieblicher Willensbildung stellt sie den entscheidenden Faktor dar. In ihr kulminiert alle betriebliche Planung und Entscheidungsbefugnis, sofern nicht die übrigen Träger betrieblicher Willensbildung aktiv Anteil an der Leitung des Betriebes nehmen. Bereits an anderer Stelle ist der Nachweis erbracht worden, daß es sich bei diesem vierten "kombinativen" Faktor um ein vielschichtiges, komplexes Gebilde handelt. Als Träger der betrieblichen Impulse, als Motor gewissermaßen der betrieblichen Dynamik durchdringt und formt dieser Faktor das gesamte betriebliche Geschehen, und wenn jeder Betrieb seine eigene Art und Tendenz aufweist, so ist dieser Umstand wesentlich ein Reflex der Individualität derjenigen, denen die Durchführung der kombinativen Akte obliegt. Zwar versachlicht und entindividualisiert sich der betriebliche Vollzug in immer noch zunehmendem Maße und immer mehr werden Improvisation durch Planung und Spontaneität durch Methodik ersetzt. Dennoch finden sich in jeder. Entscheidung, die von der Geschäfts- und Betriebsleitung gefaßt werden muß, Momente, die rational nicht weiter auflösbar und faßbar sind, weil sie aus der Individualität der die Entschlüsse fassenden Personen stammen und von ihrer Gabe zeugen, den Argumenten jeweils jenes Gewicht zu geben, das ihnen in Wirklichkeit zukommt. Hierin liegt das Geheimnis "richtiger" Entscheidungen. Im Grunde handelt es sich also um eine, wie wir bereits sagten, "irrationale Schicht", in welcher der produktive Effekt betriebsführender Tätigkeit wurzelt.“199

Zum Wesen des vierten Faktors gehört indes auch ein Merkmal von ausgesprochen rationalem Charakter. Ohne planendes Vorbedenken, ohne Rationalisierung bleiben alle noch so starken persönlichen Antriebe, bleibt der rational nicht weiter reduzierbare Rest ohne wesentlichen produktiven Effekt. Gutenberg nimmt damit das Rationalprinzip als Planung mit in das Wesen des vierten Fak-

|| 197 Gutenberg (1951), S. 8 198 Vgl. Gutenberg (1951), S. 6ff. und S. 103ff. 199 Gutenberg (1951), S. 103f.

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tors auf und Planung wird zur Rationalisierungsfunktion der Kombinationsfunktion. Auch die Organisation weist Gutenberg dem vierten Faktor zu und die Organisation wird als Mittel, die Kombination der Produktionsfaktoren, das rational Geplante, praktisch zu vollziehen, zur Realisierungsfunktion.200 Obwohl der vierte Faktor in den drei Schichten des Irrationalen, Rationalen und GestaltendVollziehenden wurzelt, ist er als eine Funktion zu begreifen, als die Funktion der Kombination, die selbstständig und durchaus originär neben den drei Elementarfaktoren steht, welche ohne diesen Faktor aus ihrem Nebeneinander nicht in jenes Ineinander gebracht werden können, das ein Betrieb darstellt. „Diese drei Schichten, die des Irrationalen, des Rationalen und des Gestaltend-Vollziehenden machen zusammen das Wesen und die Weite des vierten Produktivfaktors aus. Sie bilden im Grunde eine Einheit und heben sich als solche von den Elementarfaktoren deutlich ab.“201 „So wurzelt also der vierte Faktor in den drei Schichten des Irrationalen, Rationalen und des Gestaltend-Vollziehenden. Trotzdem ist dieser Faktor grundsätzlich als "einer" zu begreifen, denn es handelt sich bei ihm um eine Funktion, die selbständig und durchaus originär neben den drei Elementarfaktoren steht, welche ohne diesen Faktor aus ihrem Nebeneinander nicht in jenes Ineinander gebracht werden können, das ein Betrieb darstellt.“202

Indem das Schöpferisch-Unternehmerische als das Irrationale, das Rationalprinzip als Planung und die Organisation als das das rational Geplante Realisierende und diese drei Schichten als eine Funktion aufgefasst werden, ist Betriebsleitung als solche Funktion nicht mit ihr selbst identisch. So reagiert in der „Produktion“, in der Gutenberg die Unternehmung als ein in Grenzen disponibles, steuerbares und stärker auf Produktivität angelegtes System gezeichnet hat, in der der Betriebsprozess stärker hervortritt, die Geschäfts- und Betriebsleitung, der vierte Faktor, nicht im System der der theoretischen Analyse zugrunde liegenden Axiome, deren quantifizierende Methoden nur eine begrenzte Reichweite besitzen, sondern jeweils mit einem neuen System kombinatorischer und organisatorischer Akte und der Abstand zwischen Theorie und Wirklichkeit bleibt unaufhebbar.203 „Man muß sich aber dabei bewußt bleiben, daß alle Ausgliederung und Verwissenschaftlichung von Funktionen der Betriebsführung keine Verwissenschaftlichung der Funktion selbst bedeutet. Trotz TAYLOR, FORD, der die Fertigung um einen neuen großen Gedanken, das Fließprinzip, bereicherte, trotz BEDEAUX und REFA bleibt aller geschäfts- und betriebsführenden Tätigkeit jener irrationale Einschlag, von dem

|| 200 Vgl. Gutenberg (1951), S. 8ff., vgl. Walger (1993), S. 142ff. 201 Gutenberg (1951), S. 105 202 Gutenberg (1951), S. 10 203 Vgl. Gutenberg (1951), S. 108

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wir sprachen. Denn die wissenschaftliche Betriebsleitung ist und bleibt immer nur eine Methode, deren man sich bedienen kann, und zwar in dieser oder jener Weise. Sie ist nicht selbst und an sich schon betriebsleitende Tätigkeit, nicht mit ihr identisch. Ob und in welcher Form man von ihr Gebrauch macht, ist Sache der persönlichen Entscheidung. Diese Entscheidungen aber sind nicht in Methoden auflösbar. Sie wurzeln vielmehr in jener Dimension des Irrationalen, die das Geheimnis individueller Art zu denken und zu handeln bleibt. Ist aber so jede produktive Leistung eines Elementarfaktors zugleich immer eine produktive Leistung des vierten, kombinativen Faktors und wird das produktive Niveau, das Elementarfaktoren erreichen, von dem qualitativen Niveau dieses Faktors wesentlich mitbestimmt dann, zeigt sich deutlich der im Grunde unselbständige und abhängige Charakter jedes Elementarfaktors und damit zugleich die dominante Stellung des vierten Faktors im System der Produktivelemente. Quantifizierende Methoden können deshalb nur eine begrenzte Reichweite besitzen. So tief diese Methoden in das Gefüge und die verwirrenden Abhängigkeiten der betrieblichen Prozesse einzudringen erlauben und so groß ihre Erfolge sein mögen, die dispositive Freiheit der Geschäfts- und Betriebsleitung geht in keine Formel ein, denn die Geschäfts- und Betriebsleitung reagiert nicht im System der der theoretischen Analyse zugrunde liegenden Axiome, sondern jeweils mit einem neuen System kombinatorischer und organisatorischer Akte. Der Abstand zwischen Wirklichkeit und theoretischer Aussage bleibt unaufhebbar. Wir stoßen hier auf die Grenzen wissenschaftlichen Bemühens, die nicht in der Methodik oder dem Vermögen des einzelnen Forschers, sondern in der Sache selbst liegen.“204

Indem die Geschäfts- und Betriebsleitung in der „Produktion“ nicht im System der theoretischen Analyse zugrunde liegende Axiome sondern jeweils mit einem neuen System kombinatorischer und organisatorischer Akte reagiert, setzt Gutenberg in seiner rationalen Analyse mit quantifizierenden Methoden voraus, dass diese Entscheidung über den Einsatz neuartiger Produktivfaktoren bereits gefallen sei und grenzt die Entscheidung über den Betriebsprozess aus seiner Analyse aus.205 Gutenberg stößt auf die Grenzen, die in der Sache liegen, die nicht die Sache der persönlichen Entscheidung sondern die Sache der rationalen Methodik ist, und reproduziert in der „Produktion“ den Abstand zwischen Wirklichkeit und theoretischer Aussage, den die Fiktion der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ macht. In der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ ist der Unternehmer in Relation zur „richtigen“, rationalen Kapitaldisposition unvollkommen, fehlerhaft und Gutenberg betrachtet die Unternehmung, als ob das Rationale sich unmittelbar mit seinem Inhalte, dem Kapital, träfe und ein solches Subjekt gar nicht vorhanden sei. In der „Produktion“, in der die Unternehmung als ein in Grenzen disponibles, steuerbares und stärker auf Produktivität angelegtes System gezeichnet ist, in der der Betriebsprozess stärker hervortritt, begreift Gutenberg den vierten Faktor in || 204 Gutenberg (1951), S. 107f. 205 Vgl. Gutenberg (1951), S. 206ff.

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Relation zur rationalen Kombination der elementaren Faktoren als irrational und frei in seiner Disposition, indem dieser mit einem neuen System kombinatorischer und organisatorischer Akte reagiert und Gutenberg im System der seiner rationalen Analyse zugrunde liegenden Axiome davon ausgeht, dass diese Entscheidung bereits gefallen sei und sich das System in einer „hypothetischen Ruhelage“ befinde.206 Gutenberg reproduziert in der „Produktion“ die Eliminierung des Unternehmers. Im System der der theoretischen Analyse zugrunde liegenden Axiome die Unternehmung realisiert der vierte Faktor die rationale Disposition des Kapitals und in Wirklichkeit reagiert die Geschäfts- und Betriebsleitung mit einem neuen System kombinatorischer und organisatorischer Akte, irrational und frei in ihrer Disposition. Indem Gutenberg den Unternehmer als das Irrationale, frei Dispositive aus der theoretischen Analyse eliminiert, reproduziert er in der „Produktion“ die Eliminierung des Unternehmers aus seiner UnternehmensKonstruktion.207 Als solche Funktion lässt sich der vierte Faktor als Produktions-, Absatz- und Finanzierungsfunktion beschreiben, für die es theoretische Optima, günstigste Kombinationen, geben muss.208 Durch die theoretische Analyse können die Regeln, nach denen der vierte Faktor handelt und optimale Kombination realisiert, als betriebswirtschaftliche Kompetenz expliziert werden. Indem in der Wirklichkeit der Unternehmer in Relation zu der rationalen Kombination irrational und frei in seiner Disposition ist, kann es für Gutenberg keine wissenschaftliche Lehre von der Unternehmensführung geben.209 Die betriebswirtschaftliche Kompetenz und die Kompetenz des Unternehmers sind nicht identisch. Mit der theoretischen Betriebswirtschaftslehre kann nur die betriebswirtschaftliche Kompetenz bestimmt und eine nicht spezifisch betriebswirtschaftliche Kompetenz abgegrenzt werden. „Auch sei an dieser Stelle ausdrücklich gesagt, daß es nach meiner Auffassung keine wissenschaftliche Lehre von der Unternehmensführung geben kann. Von verantwortlicher Stelle aus weitgehende und richtige Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen – diese Kunst ist im Grunde weder lehr- noch lernbar. Es gibt jedoch eine große Anzahl von Fragen der Unternehmensführung, die einer wissenschaftlichen

|| 206 Vgl. Gutenberg (1989), S. 65 207 Ob und in welchem Maße es gelingt, dieses Ziel zu erreichen, von der Leistungsfähigkeit bzw. Qualität des vierten Faktors ab. Nicht die Frage, in welchem Umfange es den für die Betriebe verantwortlichen Personen gelingt, das Kombinationsproblem zu lösen sondern die Frage, welche Vorgänge überhaupt den Kombinationsprozess charakterisieren, ist es, die Gutenberg interessiert, vgl. Gutenberg (1976), S. 299 208 Vgl. Gutenberg (1951), S. 198f. Gutenberg unterscheidet vom Irrationalen das a-rationale Handeln. Anzunehmen, dass der vierte Faktor a-rational handelt, wäre völlig „wirklichkeitsfremd.“ 209 Vgl. Gutenberg (1962), Vorwort

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Behandlung zugänglich sind. Diesen Fragen gehört hier unser Interesse. Einige von ihnen zu diskutieren, ist der Zweck dieser Arbeit.“210

„Wissenschaftliche Betriebsleitung“ ist und bleibt für Gutenberg ein Verfahren, dessen man sich bedienen kann, und zwar in dieser oder jener Weise. In welcher Form man von den Methoden der wissenschaftlichen Betriebsführung Gebrauch macht, ist Sache der persönlichen Entscheidung. Diese Entscheidungen sind nicht in Methoden auflösbar. Sie wurzeln vielmehr in jener Irrationalität, die das Geheimnis individueller Art zu denken und zu handeln bleibt.211 Quantifizierende Methoden sind für Gutenberg nutzbringende Anwendungen und immer nur Mittel zu dem Zwecke, die Führung in den Unternehmen rationaler zu gestalten.212 Sie sind aber niemals in der Lage, sie zu ersetzen. Über die betriebswirtschaftliche Kompetenz zu entscheiden, bleibt eine Frage der unternehmerischen Kompetenz. Gutenberg führt in seinen 1983 notierten Erinnerungen aus, dass das Problem des Betriebsprozesses, eine neue Kombinationsfunktion aus einer anderen methodisch gesichert und generaliter abzuleiten, von ihm unerledigt geblieben ist. Er verweist allerdings darauf, dass Wissenschaft ein Prozess und das Ergebnis der Anstrengungen vieler ist und dass durch große Fortschritte in den mathematischen Optimierungsmethoden diese mit Erfolg für dieses „Abfolge-Problem“, dessen Lösung auf die Rationalisierung des Irrationalen hinausläuft, verwendet werden können.213 Indem man für die über die quantitativen Methoden hinausreichende Entwicklung des Unternehmens im Bewusstsein halten muss, dass die Betriebsleitung als wissenschaftliche Funktion nicht mit sich identisch selbst sein und der Unternehmer sich betriebswirtschaftlich nicht selbst als solcher verstehen kann, verweist Gutenberg auf das Problem der Bildung des Unternehmers als Subjekt und ihre Notwendigkeit jenseits der sich als objektiver Wissenschaft verstehenden theoretischen Betriebswirtschaftslehre hin. Lösen kann er es in den Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, deren die ihre rationale Sichtweise sowie die Eliminierung des eigentlich Unternehmerischen reproduziert, nicht. Mit den Grundlagen der theoretischen Betriebswirtschaftslehre Gutenbergs kann die betriebswirtschaftliche Kompetenz bestimmt werden, die Kompetenz des Unternehmers kann mit Bezug auf sie nur in ihren rationalen Momenten erfasst und

|| 210 Gutenberg (1962), Vorwort. Zur Wissenschaft als Kunstlehre vgl. Walger (1994) 211 Vgl. Gutenberg (1983), S. 147 Durch eine solche Rationalisierung mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten kann der Entscheidungsbegriff der Unternehmensleitung als rationale Auswahl unter Alternativen verstanden werden, vgl. ders. S.133 212 In der ersten Auflage von 1951 heißt es bei Gutenberg „produktiver“ (S. 108), ab der 10. Auflage von 1984 „erfolgreicher“ (S. 133), vgl. dazu auch Gutenberg (1951), S. 198 213 Vgl. Albach (1989), S.65ff.

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eine nicht spezifisch betriebswirtschaftliche Kompetenz abgegrenzt werden. Der Unternehmer bleibt in seinem Unternehmer-Sein, insoweit er mit einem neuen System kombinatorischer und organisatorischer Akte und frei in seiner Disposition reagiert, als irrational begriffen. Dieses Irrationale ist eine Restgröße und bei Gutenberg nicht positiv beschrieben.

3.5 Die Bedeutung der irrationalen Restgröße Walger rekonstruiert die Gutenbergsche Konstruktion und interpretiert die Gutenbergschen „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“, indem er den Industriebetrieb der „Produktion“ auf die „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ bezieht und ihn als Unternehmung der Kapitaldisposition begreift.214 „Die vorliegende Arbeit denkt die Beziehung zwischen diesem in der Habilitationsschrift (dem Begriff der Unternehmung, der sie verstehen lässt als einen Komplex von Kapitalquoten, als den Ort der Kapitaldisposition, R.N) und seiner betriebswirtschaftlichen Theorie der Produktion nach.“215

Während Gutenberg die empirische Unternehmung in rationaler Perspektive betrachtet und die Fiktion der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ in der „Produktion“ als Funktion der rationalen Kombination von elementaren Faktoren und ihren Abstand zur Wirklichkeit sowie die Eliminierung des Unternehmers reproduziert, untersucht Walger die „Produktion“ im Hinblick auf die Korrektur der Gutenbergschen Fiktion der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“, d.h. ob die Fiktion der Habilitation als eine der Wirklichkeit widersprechende Annahme, die als Mittel des Denkens eingesetzt wird und deren Fehler, ihr Abstand von der Wirklichkeit, durch die „Methode des entgegengesetzten Fehlers“ in der „Produktion“ wieder behoben wird.216 Kann also die Abstraktion, die die betriebswirtschaftliche Kompetenz von der Kompetenz des Unternehmers bedeutet, durch die „Methode des entgegengesetzten Fehlers“ korrigiert werden? In Relation zu Gutenberg, für den die in der „Produktion“ reproduzierte Fiktion für die Wirklichkeit unbedeutend

|| 214 Vgl. Walger (1993), S. 12, Nagaoka (1979), S. 9f., ders. (1983), S. 119, Hundt (1992), S. 7; zur Fiktion vgl. Vaihinger (1922). Andere Autoren beziehen die „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ nicht auf „Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“, sondern beziehen sich im wesentliche auf die Grundlagen und begreifen Gutenbergs Werk als faktoriellen Ansatz, der die mikroökonomische Theorie verwendet, vgl. Rühli (2002), S. 119, vgl. auch Mellerowicz (1953), S. 265ff. 215 Walger (1993), S. 12 216 Vgl. Walger (1993), S. 126, Vaihinger (1922), S. 18ff. und S. 288ff., Ortmann (2004), S. 11

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ist, indem er den fiktiven Charakter der Unternehmung, die Annahme ihres Abstandes zur Wirklichkeit, dadurch im Bewusstsein meint halten zu können, dass er darauf hinweist, dass der Unternehmer irrational und frei in seiner Disposition sei und es keine wissenschaftliche Lehre von der Unternehmensführung geben könne und dass man dies im Bewusstsein halten muss, begreift Walger die Methode der Fiktion und ihrer Aufhebung als einen konstruktiven Weg, dessen Konstruktion nachzudenken ist.217 „Theoria heißt in ihrem Lateinisch-Griechischen Ursprung das Zuschauen, die Betrachtung. Hegel erklärt hierzu in seiner Phänomenologie, daß „wir nicht nötig haben, Maßstäbe mitzubringen und unsere Einfälle und Gedanken bei der Untersuchung zu applizieren; dadurch, daß wir diese weglassen, erreichen wir es, die Sache, wie sie an und für sich selbst ist, zu betrachten.“ Dem theoretischen Vorgehen bleibt damit das „reine Zusehen“, das Nach-Denken des Gedankenganges. In solchem NachDenken entsteht der Weg, den die Arbeit als einen Denk-Weg beschreibt. „Wohin er – einmal begonnen – führen wird, steht am Anfang noch nicht fest. Welche Konsequenzen das Ergebnis des Denkens haben wird, ist zunächst unbekannt … Der wissenschaftliche Prozeß, diese Abfolge von Akten denkerischen Erfassens des Wirklichen entwickelt seine Kriterien aus sich selbst heraus.“ Er ist in diesem Sinne theoretisch produktiv.“218

Indem Walger die „Produktion“ auf die „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ bezieht, rekonstruiert er die Gutenbergsche Konstruktion als konstruktiv, als praktisch wirksam, und beantwortet die Frage neu, was es denn überhaupt mit einer betriebswirtschaftlichen Theorie auf sich haben könne.219 Wissenschaftliche Theorie versteht sich danach als theoretische Rekonstruktion, als das denkende Nach-Denken theoretischer Konstruktion.220 Walger prüft die Aufhebung des mit der Fiktion der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ einhergehenden Fehlers, indem er den Betriebsprozess der Unternehmung als Kombination von drei als Kapitalien fassbaren Faktoren (objektbezogene menschliche Arbeitsleistungen, Betriebsmittel und Werkstoffe) und die Geschäfts- und Betriebsleitung als Funktion der Disposition der betrieblichen Kapitalien rekonstruiert.221 In der „Produktion“ ist der betriebliche Prozess der Unternehmung, des Industriebetriebs, in der Rekonstruktion Walgers in drei große Bereichen geteilt: i)

|| 217 Vgl. Walger (1993), S. 126f. 218 Walger (1993), S. 13, danach Hegel (1977), S, 77, Gutenberg (1960), S. 118 und ders. (1967), S. 26 219 Vgl. Walger (1993), S.126 und Gutenberg (1929), S. 5 220 Vgl. Walger (19939, S. 12f. 221 Die Unternehmung, die bei Gutenberg als Kapital-System gedacht ist, in dem es Elemente gibt, ist bei Walger im Sinne Rombachs streng als Kapital-Struktur gedacht, in der es nur Funktionen gibt. Zum System- bzw. Strukturbegriff vgl. Rombach (1988)

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die betriebliche Leistungserstellung, die Produktion, als Form der Kapitalverwendung in Fabrik- und Industrieunternehmungen, ii) die Leistungsverwertung, der Absatz bzw. Verkauf, als Kapitalverwendung auf dem Markt und iii) „die ‚finanzielle Sphäre‘, d.h. der Gesamtkomplex derjenigen Einrichtungen und Maßnahmen, die der finanziellen Sicherung von Leistungserstellung und Leistungsverwertung dienen“222, als Form des Geldhandels.223 In der „Produktion“, reproduziert Gutenberg die „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“, indem die drei großen Teilbereiche ihres Betriebs als Betrieb der Kapitalverwendung begriffen sind.224 „Der Betrieb, wie Gutenberg ihn hier produziert als Einheit aus allen Kapitalverwendungsformen, ist Betrieb der Kapitalverwendung, kapitalistischer Betrieb.“225

In diesem Betrieb der Kapitalverwendung, der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ der „Produktion“, sind die elementaren Produktivfaktoren als Kapitalien begriffen. „Die drei Faktoren Arbeitsleistung, Betriebsmittel und Werkstoff sind die drei elementaren Produktivfaktoren des nicht in weitere Elemente auflösbar erscheinenden Betriebsprozesses, der damit als Kombination von menschlicher Arbeitsleistung und Kapital in Form von Betriebsmitteln und Werkstoffen sich als Prozeß der Kapitalverwendung manifestiert. In diesem Sinne sprechen wir auch von den drei Elementarfaktoren betrieblicher Kapitalverwendung…“226

Die Werkstoffe werden als sich verbrauchendes Kapital abgespalten von den Betriebsmitteln, die die Form des sich reproduzierenden Kaptals darstellen. „Die Aufspaltung des Begriffs der produzierten Produktionsmittel, des Kapitals, erscheint insofern betriebswirtschaftlich zweckmäßig, als die Werkstoffe als Ausgangsund Grundstoffe für die Produkterstellung Bestandteil des neuen Produktes werden, d.h. in es eingehen, und sich damit als ein sich verbrauchendes Kapital unterscheiden

|| 222 Gutenberg (1951), S. 2, vgl. Walger (1993), S. 130f. 223 Vgl. Walger (1993), S. 129 ff. 224 Vgl. Walger (1993), S. 12 Der Verwendungszusammenhang, nicht der Entstehungszusammenhang bestimmt die Perspektive. In dieser „verkehrten“ Perspektive, die nach der theoretisch richtigen Kapitaldisposition einer produktiven Kombination fragt, ist der abnehmende Grenzertrag der Investition immer schon in der Annahme vorausgesetzter, unbegrenzter Investition und eines Höchstmaßes an Ertrag in Abhängigkeit vom investierten Kapital immer schon enthalten, vgl. Walger (1993), S. 102. Damit lässt sich das „Ponzi Scheme“, d.h. die Spekulationsblase der durch Finanzinvestoren getriebenen Ökonomie erklären, in der das Kapital für produktiv gehalten wird, vgl. Minsky (2011) 225 Walger (1993), S. 131 226 Walger (1993), S. 133

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von den Betriebsmitteln, die die klassische Form des sich reproduzierenden Kapitals darstellen.“227

Und die menschlichen Arbeitsleistungen werden in objektbezogene menschliche Arbeitsleistungen, in Arbeitskapital, und solche, die mit der Steuerung des Betriebsprozesses zusammenhängen, den kapitaldispositiven Arbeitsleistungen, unterschieden. „Die Konkretisierung des Produktivfaktors menschliche Arbeitsleistung führt dazu zu unterschieden, ob es sich um dispositive oder um objektbezogene Arbeitsleistungen handelt. Die dispositive Arbeitsleistung liegt beim Besitz bestimmter Anweisungsbefugnisse vor und ist auf Funktionen, Abhängigkeitsverhältnisse bezogen, die mit der Steuerung des Betriebsprozesses als Prozeß der Kapitalverwendung in Zusammenhang stehen. Als Tätigkeit, die auf Funktionen der Steuerung des Prozesses der Kapitalverwendung im Betrieb bezogen ist, tritt die dispositive Arbeitsleistung das Erbe der in der ‚Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie‘ als einheitsschaffendes Moment fungierenden Kapitaldisposition an und ist in diesem Sinne kapitaldispositive Arbeitsleistung. Das mit der kapitaldispositiven Arbeitsleistung verbundene System von Weisungsbefugnissen manifestiert sich dabei als jene Hierarchie, die in dem allgemeinen Direktionsrecht der Geschäfts- und Betriebsleitung kulminiert.“228 „Den kapitaldispositiven Arbeitsleistungen stehen im Prozeß der Kapitalverwendung die objektbezogenen Arbeitsleistungen gegenüber. Sie sind in dem Sinne wesentlich gegenstandsbezogen, als sie nicht anordnende, kapitaldispositive Tätigkeit zum Gegenstand haben. Die objektbezogenen Arbeitsleistungen bestimmen sich demnach aus den kapitaldispositiven Arbeitsleistungen heraus als von ihnen abhängig, ihnen gegenüber, ihr Gegen-stand, als ihr Kapital. Oft vereinigen sich kapitaldispositive und objektbezogene Arbeitsverrichtungen in einer Person. Unter solchen Umständen verlieren die beiden Arbeitsleistungen trotz ihrer Simultaneität nicht ihren verschiedenartigen Charakter. Es bleibt immer eine Verknüpfung zweier heterogener Arbeitsverrichtungen.“229

Neben den drei als Kapitalien fassbaren, elementaren Faktoren ist in der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ der „Produktion“ der vierte Faktor eine Funktion, die Funktion der Kapitaldisposition.230 „Die Gutenbergsche Konstruktion der Kapitaldisposition als Funktion löst die Unternehmerfunktion ab vom Unternehmer und macht sie unabhängig vom jeweiligen Wirtschaftssystem. Die Kapitaldisposition ist damit eine systemindifferente Funktion, die von einer Instanz wahrgenommen wird, die Gutenberg als Geschäfts- und Betriebsleitung bezeichnet. || 227 Walger (1993), S. 138 228 Walger (1993), S. 134 229 Walger (1993), S. 135 230 Vgl. Gutenberg (1951), S. 6, Walger (1993), S. 138; vgl. zur Funktion des „unternehmerischen Elements“ auch Hofmann (1968a)

72 | Das Unternehmerische als das Irrationale

Da die Kapitaldisposition als vom Unternehmer unabhängige Unternehmerfunktion Aufgabe der Geschäfts- und Betriebsleitung geworden ist, gliedert Gutenberg die Funktion, die Arbeitsleistung der Geschäfts- und Betriebsleitung aus den menschlichen Arbeitsleistungen aus und nimmt sie als kapitaldispositiven Faktor in das Gesamtsystem der produktiven Faktoren auf.“231 „Diesen vierten, zusätzlichen Faktor bezeichnet Gutenberg als ‚Geschäfts- und Betriebsleitung‘. Ihre Aufgabe besteht darin, die betrieblichen Kapitalformen und die menschliche Arbeitsleistung zu einer funktionsfähigen betrieblichen Einheit zusammenzufassen. Die Kapitaldisposition als Funktion, als Funktion der Kombination ist es im Grunde, die mit dem vierten Faktor gemeint ist, für den Gutenberg die Bezeichnung Geschäfts- und Betriebsleitung wählt.“232

Die Fiktion der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ – die in dieser Arbeit als betriebswirtschaftliche Kompetenz begriffen wird –, nach der die Kapitaldisposition sich rational vollzieht und die Unternehmung betrachtet wird, als ob ein Unternehmer gar nicht vorhanden sei, wird in der „Produktion“ durch die Funktion der Kapitaldisposition, jene durch diese gemäß der Methode des entgegengesetzten Fehlers ersetzt. „Die Gutenbergsche Konstruktion der Kapitaldisposition als systemindifferente Funktion, als Funktion der Betriebs- und Geschäftsleitung, mit der er das Zentrum betrieblicher Aktivitäten zu treffen versucht, das dirigierend, planend und gestaltend den gesamtbetrieblichen Arbeitsvollzug steuert, ersetzt die Fiktion des psychophysischen, in der Wirklichkeit dem einzelnen Unternehmen überhaupt erst Leben gebenden Subjekts.“233

Bei dem vierten Faktor, der Funktion der Kapitaldisposition, handelt es sich in der empirischen Unternehmung um die Träger nicht in Formeln auflösbarer und quantifizierender, individueller Eigenschaften. Die betriebswirtschaftliche Kompetenz ist nicht mit der unternehmerischen Kompetenz identisch. Indem jener Träger als Funktion der Kapitaldisposition begriffen ist, der die Fiktion der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ ersetzt, nach der das Kapital rational disponiert wird, als ob ein Unternehmer gar nicht vorhanden sei, bleibt ein rational nicht weiter reduzierbarer Rest, der eine im Grunde irrationale Wurzel des vierten Faktors bildet, der die Fiktion reproduziert. Im Irrationalen reproduziert sich in den Grundlagen, in denen die Fiktion der betriebswirtschaftlichen Kompetenz zur Funktion der Kapitaldisposition geworden ist, die Fiktion der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“, die betriebswirtschaftliche Kompetenz.

|| 231 Walger (1993), S. 141 232 Walger (1993), S. 138f., auch die menschlichen Arbeitsleistungen stellen im Betriebsprozess eine betriebliche Form des Kapitals dar, Arbeitskapital, vgl. Walger (1993), S. 148ff. 233 Walger (1993), S. 142

Die Bedeutung der irrationalen Restgröße | 73

„Indem die Fiktion des psychophysischen Subjekts, die unter Verwendung einer Alsob-Konstruktion die Dinge so betrachtet, als ob das Rationale sich unmittelbar mit seinem Inhalte, dem Umwandlungsprozeß des Kapitals träfe, als ob ein psychophysisches Subjekt gar nicht vorhanden sei, zur Funktion der Geschäfts- und Betriebsleitung wird, bleibt ein rational nicht weiter reduzierbarer, die Fiktion reproduzierender Rest, der eine im Grunde irrationale Wurzel des vierten Faktors bildet.“234

Die Planung ist in der Rekonstruktion Walgers die Funktion der Betriebs- und Geschäftsleitung, die Kapitaldisposition zu rationalisieren. Ohne rationale Planung bleibt das Irrationale ohne wesentlichen produktiven Effekt.235 „Zum Wesen des vierten Faktors gehört eingedenk seiner fiktiven, irrationalen Wurzel ein Merkmal von ausgesprochen rationalem Charakter. Ohne planendes Vorbedenken, ohne Rationalisierung bleiben alle noch so starken persönlichen Antriebe, bleibt die Fiktion des rational nicht weiter reduzierbaren Restes ohne wesentlichen produktiven Effekt. Planung bedeutet, die Kapitaldisposition von den Zufälligkeiten freizumachen, denen sie ausgesetzt ist und das bis dahin Unberechenbare weitgehend berechenbar zu machen. Mit der Planung hat Gutenberg das in das Wesen des vierten Faktors, die Funktion der Geschäfts- und Betriebsleitung mit hineingenommen, was er in der ‚Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie‘ das Rationalprinzip genannt hat. Das Rationalprinzip, nach dem es für alles menschliche Schaffen und Handeln charakteristisch ist, daß es sich in der Zweck-Mittel-Relation vollzieht, wird damit zum Bestandteil der Geschäfts- und Betriebsleitungsfunktion, und die Planung wird zur Rationalisierungsfunktion der Kapitaldisposition.“236

Auch die Organisation ist wie die Planung aus dem ersten produktiven Faktor Arbeit herausgenommen und in einem Produktivelement eigener Art verselbstständigt. Konsequenterweise sind auch die Arbeitsleistungen der betrieblichen Hierarchie, welche die Trägerin der organisatorischen Funktion ist, aus dem ersten produktiven Faktor herausgenommen und dem vierten Faktor, der Funktion der Kapitaldisposition, zugewiesen. „Indem Gutenberg die Fiktion des psychophysischen Subjekts zur Funktion der Geschäfts- und Betriebsleitung macht und mit der Planung das Rationalprinzip mit in diese Funktion hineinnimmt, muß er auch die in der ‚Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie‘ als Fiktion gedachte Organisation, die im wesentlichen aus dem das wirtschaftliche Prinzip realisierenden, es im Betriebe durchsetzenden psychophysischen Subjekt stammt, in die Funktion der Kapitaldisposition einbeziehen.

|| 234 Vgl. Walger (1993), S. 142 235 Vgl. Walger (1993), S. 142; Gutenberg (1983), S. 7. In der 1., Auflage von 1951 heißt es, dieser Rest bleibe „ohne wesentlichen produktiven Effekt.“ Ab der zweiten Auflage spricht Gutenberg von „Wirkung.“ 236 Walger (1993), S. 143

74 | Das Unternehmerische als das Irrationale

Mit der Ausgliederung der Betriebsorganisation aus dem ersten produktiven Faktor menschliche Arbeitsleitung und ihrer Zuweisung der betrieblichen Hierarchie zum vierten Faktor befreit Gutenberg die in der ‚Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie‘ als Fiktion gedachte Organisation aus ihrer fiktiven Existenz, in der sie zwar da ist und Berücksichtigung findet, aber als eigene Problemquelle ausgeschlossen bleibt, und macht sie zum Mittel, die Kombination der Elementarfaktoren praktisch zu vollziehen, indem sie das durch Planung in rationale Schemata umgeformte Gewollte im Betriebe durchsetzt und verwirklicht. Die Fiktion der Organisation wird auf diese Weise zur Funktion, zur Realisierungsfunktion der Kapitaldisposition.“237

Das Planen und Organisieren, das Gutenberg in die Funktion der Kapitaldisposition aufnimmt, lässt sich als Handeln verstehen, das den Regeln betriebswirtschaftlicher Kompetenz folgt. Indem die Fiktion der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“, die betriebswirtschaftliche Kompetenz, in der „Produktion“ gemäß der „Methode des entgegengesetzten Fehlers“ durch die Funktion der Kapitaldisposition ersetzt wird, in der das Irrationale die Fiktion reproduziert, wird die Fiktion wirksam. Die Funktion der Kapitaldisposition hebt sich deutlich ab von der betriebswirtschaftlichen Kompetenz der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“. „Gutenberg faßt den vierten zusätzlichen produktiven Faktor als eine Funktion auf, die die Funktion des Konzipierens, des betrieblichen Impulses, der eigentlich bewegenden Kraft, die Funktion der Planung, also des Transformierens in rationale Formen und die betriebsorganisatorische Funktion, die die Funktion des BetrieblicheWirklichkeit-werden-lassens, beinhaltet. Indem Gutenberg den kapitaldispositiven Faktor als konzipierenden, in rationale Formen transformierenden und betrieblicheWirklichkeit-werden-lassenden konzipiert, und in die rationalen Formen … transformiert, läßt er ihn betriebliche Wirklichkeit werden. Eine Wirklichkeit in der das Irrationale, das Rationale und das gestaltend-Vollziehende im Grunde eine Einheit bilden und sich als solche von den Elementarfaktoren deutlich abheben. In solcher Weise konzipierte, transformierte und betriebliche Wirklichkeit gewordene Wirklichkeit des dispositiven Faktors hebt sich als Funktion deutlich ab von der in der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ von Gutenberg gewählten Konstruktion der Kapitaldisposition als quasi automatischem einheitsschaffenden Moment.“238

In der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ geht Gutenberg von der empirischen Unternehmung aus und betrachtet die Unternehmung, als ob ein Unternehmer, das produktive Element, gar nicht vorhanden sei und die rationale Kapitaldisposition auf Datenänderungen reagiere. In

|| 237 Walger (1993), S. 145 238 Walger (1993), S. 178f., Hervorhebungen im Original

Die Bedeutung der irrationalen Restgröße | 75

Bezug auf die betriebswirtschaftliche Kompetenz ist der Unternehmer eine irrationale Restgröße, er hat eine nicht spezifisch betriebswirtschaftliche Kompetenz. In der „Produktion“, in der die Unternehmung als Komplex von Kapitalien begriffen ist und in der sie als ein in Grenzen disponibles, steuerbares und stärker auf Produktivität angelegtes System, in dem der Betriebsprozess stärker hervortritt, gezeichnet ist, ist der dispositive Faktor die Funktion der Kapitaldisposition und diese wird betrachtet, als ob sie ein nicht ein in Rationalität auflösbares Subjekt sei. Die Funktion der Kapitaldisposition, die die betriebswirtschaftliche Kompetenz ersetzt, realisiert, indem ein irrationaler Rest verbleibt, die betriebswirtschaftliche Kompetenz, als ob sie der Unternehmer sei. „Die Fiktion des psychophysischen Subjekts, nach der die Dinge so betrachtet werden, als ob das Rationale sich unmittelbar mit seinem Inhalte, dem Material träfe, als ob ein psychophysisches Subjekt gar nicht vorhanden sei, erscheint nun im „System der produktiven Faktoren“ so, als ob das Rationale sich nicht unmittelbar mit seinem Inhalte, dem Material träfe, als ob ein subjektives Moment im vierten Faktor vorhanden und er nun einmal nicht in Rationalität auflösbar sei. Das ist die wissenschaftliche Konstruktion der Fiktion als „Methode der entgegengesetzten Fehler.“ Und gleichzeitig ist es die Fiktion des nicht in Rationalität auflösbaren vierten Faktors, … dessen subjektives irrationales Moment zwar da ist und Berücksichtigung findet, aber als Quelle eigener Probleme ausgeschaltet und damit ein fiktiv produktives Element ist – die Fiktion ist Fiktion. Die Fiktion des nicht in Rationalität auflösbaren vierten Faktors ist als fiktive Methode immer nur Mittel zu dem Zwecke, die geschäftsführende Funktion der Kapitaldisposition im Sinne der Reproduktion produktiver zu gestalten. Indem sie in dieser Weise … reproduktiv produktiv ist, sich ständig selbst ersetzt, ist sie nicht imstande, die Fiktion und ihre Reproduktion zu ersetzen. Gleichwohl werden fiktive Methoden, indem sie sich ständig selbst ersetzen, quasi unersetzlich. In der „Produktion“ ersetzt Gutenberg die in der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ nicht zu ersetzende Fiktion des psychophysischen Subjekts durch die unersetzliche Fiktion des nicht in Rationalität auflösbaren vierten Faktors, die Fiktion des subjektiven persönlichen Moments in ihm. Gutenberg ersetzt für die jeweilige Theorie Unersetzliches. In diesem Sinne beliebt das Unersetzliche unersetzlich, ob in Form der Fiktion des psychophysischen Subjekts oder als Fiktion des subjektiven Moments im vierten Faktor.“239

Indem in der „Produktion“ die „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“, als ein Komplex von Kapitalien und der Betriebsprozess als eine Kombination von Kapitalien begriffen ist, die von den Irrationalitäten frei gemacht und qua Planung rational bestimmt ist sowie organisatorisch rational realisiert wird, ist die Kapitaldisposition rational bestimmt und das Subjektive, die dispositive Freiheit, der Funktion der Kapitaldisposition fiktiv. Im Irrationa-

|| 239 Walger (1993), S. 181f.

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len erscheint die die rationale Funktion realisierende Betriebs- und Geschäftsleitung, als ob ein unternehmerisches Moment im Unternehmen vorhanden sei. Die betriebswirtschaftlich kompetent agierende Betriebs- und Geschäftsleitung, die betriebswirtschaftlich und nicht spezifisch betriebswirtschaftlich kompetent ist, erscheint, als ob sie über die Kompetenz des Unternehmers verfüge. Das Irrationale, das die Geschäfts- und Betriebsleitung nicht im System der der theoretischen Analyse zugrunde liegenden Axiome sondern mit einem neuen System kapitaldispositiver und realisierender Akte reagieren lässt, ist als die Transformation der rationalen Funktion in eine andere rationale Funktion rational bestimmt. Für diesen Rationalisierungsprozess muss es, auch wenn von Gutenberg dieses Abfolgeproblem unerledigt geblieben ist, ein theoretisches Optimum geben. In der „Produktion“, in der die „Unternehmung als Objekt der Betriebswirtschaftslehre“ begriffen ist, erscheint die Funktion der Kapitaldisposition, als ob ein Unternehmer vorhanden sei.240 Der die Funktion der rationalen Kapitaldisposition realisierendem betriebswirtschaftlich kompetent agierende Manager handelt, als ob er unternehmerisch kompetent sei. Unternehmensführung als Verwissenschaftlichung von Funktionen der Betriebsführung, scientific management, bedeutet keine Verwissenschaftlichung der Funktion selbst sondern wissenschaftliche Betriebsführung mit der Fiktion eines Unternehmers.241 Das Irrationale, die dispositive Freiheit, erhält die Fiktion, dass die Geschäfts- und Betriebsleitung die Funktion der Kapitaldisposition rational realisiert, als ob sie der Unternehmer sei. Die betriebswirtschaftliche Kompetenz erscheint als unternehmerische Kompetenz. Damit bleibt das qualitative Niveau, das in einem Betriebe erreicht wird, die rationale Kapitaldisposition zu realisieren, primär von der Eignung der die dispositiven Funktionen vollziehenden Personen bestimmt. Es ist von der Intensität ihrer Antriebe, der Höhe ihrer Begabungen und dem Maß an Korrespondenz zwischen Arbeitsleistung und Begabungsrichtung, kurz von jener individuellen Substanz abhängig, die das Wesen des vierten Faktors ausmacht. Funktion der Kapitaldisposition zu sein bedeutet, die Kapitaldisposition rational zu realisieren, als ob sie der Unternehmer sei, und von der individuellen Substanz der die Funktion vollziehenden Personen hängt es ab, in welchem Ausmaß sie diese Funktion realisieren.242 In der Rekonstruktion Walgers wird sichtbar, dass die in der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ entwickelte Fiktion in der „Produktion“ nicht korrigiert sondern der Fehler, den die Fiktion der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ macht, in der „Produktion“

|| 240 Vgl. Walger (1993), S. 180ff. 241 Vgl. Walger (1993), S. 191f. 242 Vgl. Gutenberg (1951), S. 108 und S. 197f. vgl. Walger (1993), S. 182

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transformiert und als Fiktion wirksam wird. Die Fiktion, die in der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ die Annahme ist, dass in der Unternehmung der Unternehmer betrachtet wird, als ob er das die Kapitaldisposition rational realisierende psychophysische Subjekt sei, ist in der „Produktion“ die Fiktion, als ob das die Funktion der rationale Kapitaldisposition realisierende Subjekt der Unternehmer sei. Die betriebswirtschaftliche Kompetenz, in der das Unternehmerische als irrational bzw. nicht spezifisch betriebswirtschaftlich ausgegrenzt ist, wird zur betriebswirtschaftlichen Kompetenz mit der Fiktion des Unternehmerischen. Mit dieser Transformation der Fiktion, wird auch der Abstand zwischen Theorie und Wirklichkeit transformiert. Der Abstand, der in der „Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie“ die Abstraktion des Theoretischen von der Individualität und Unterschiedlichkeit der empirischen Unternehmung ist, ist in der „Produktion“ die Unvollkommenheit, mit der in der praktischen Wirklichkeit der vierte Faktor die betriebswirtschaftliche Kompetenz realisiert.243 Die Abstraktion der betriebswirtschaftlichen Kompetenz von der Kompetenz des Unternehmers wird zur Unvollkommenheit in Relation zur betriebswirtschaftlichen Kompetenz. Der vierte Faktor steht, wenn die Unternehmung als ein Komplex von Kapitalien begriffen ist, in Relation zu der vollkommenen rationalen Kapitaldisposition, der betriebswirtschaftlichen Kompetenz, die in rationaler Betrachtungsweise das Maß der Wirklichkeit ist.244 Im Irrationalen, das nicht den Unternehmer sondern das Rationale den Ausgangspunkt der Betrachtung sein lässt, erscheint die die rationale Funktion realisierende Betriebs- und Geschäftsleitung, als ob sie ein Unternehmer sei.245 Die betriebswirtschaftlich kompetent agierende Betriebs- und Geschäftsleitung, die betriebswirtschaftlich und nicht spezifisch betriebswirtschaftlich kompetent ist, erscheint, als ob sie unternehmerisch kompetent handle. In der betriebswirtschaftliche Theorie und der von ihr bestimmten Wirklichkeit ist die Frage nach der Kompetenz des Unternehmers unfragbar geworden. Die Fiktion, die Funktion der Betriebs- und Geschäftsleitung sei mit dem kompetent handelnden Unternehmer identisch, verunmöglicht, die Frage nach der Kompetenz des Unternehmers zu stellen.246

|| 243 Vgl. Gutenberg (1929), S. 29 244 Dies bedeutet die Möglichkeit ihrer Verselbstständigung, d.h. dass Wissenschaft bzw. ihre Forschung der Praxis im Grunde nicht mehr bedarf und selbstbezüglich rationale Modelle entwickeln kann, die von der Praxis übernommen werden, vgl. zu diesem modernen Wissens- und Wissenschaftsverständnis Walger/ Schencking (2001) 245 Vgl. Walger (1993), S. 177ff. 246 Vgl. Walger (1993), S. 181, vgl. Wingenter (2006), S. 10ff., vgl. Schencking (2014), S. 80ff.

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3.6 Betriebswirtschafts- und Entrepreneurshiplehre als Managementlehre Der Betriebswirtschaftslehre verbreitet und verwirklicht ihre Fiktion qua Forschung und Lehre und reproduziert in der betriebswirtschaftlichen Theorie und der unternehmerischen Praxis die Funktion der rationalen Kapitaldisposition. „..hier, im logisch-systematischen Zusammenhang steht nicht eigentlich der Mensch, sondern die steuernde Funktion, die er ausübt, im Mittelpunkt des Interesses.“247 „In der Allgemeinen Theorie der Unternehmung geht es letztlich nicht um Personen, sondern um Funktionen.“ 248

Albach beschreibt „das Unternehmerische“ als Innovationsfunktion, die er in die allgemeine Theorien der Unternehmung integriert. „Die Person ‚des Unternehmers‘ gibt es in dieser Theorie nicht.“249 Er unterscheidet zur Charakterisierung des Innovationsprozesses die Teilprozesse Erfindung, Entwicklung und Markteinführung. Danach hängen die Erfindungen von der Anzahl der Forscher und der Ausstattung der Forschungslabors ab, die Entwicklung von der Marktkenntnis und der politischen Durchsetzung im Unternehmen und der Markteinführung. Die Innovationsfunktion wird als rationale Funktion beschrieben, bei der ein Zufallsparameter, der „nicht zu vernachlässigen“250 ist, den Einfluss des Zufalls berücksichtigt und die Entwicklung bzw. Markteinführung hängt von der Anzahl der Personen ab, die am Innovationsprozess beteiligt sind. Die Entscheidung über das Innovationsvorhaben erfolgt, als ob die Erfahrung bzw. Kenntnis der beteiligten Personen – die Kompetenz der Subjekte – den Erfolg sichert. „Der Erfolg der Innovation hängt also von dem Erfolg der Forschung (Forschungsausgaben und Forschungs-Kapitalstock), von dem Erfolg der Entwicklung (Ausgaben für Marktbeobachtung und Anzahl der Mitglieder im Board bzw. Vorstand mit Forschungs- und Entwicklungserfahrung) und von dem Erfolg der Markteinführung (Anzahl der Mitglieder im Vorstand und Aufsichtsrat mit intimer Marktkenntnis) ab.“251

Die Innovationsfunktion ist eine Teilfunktion der Funktion der rationalen Kapitaldisposition. Der Mensch muss sich für diese Funktion der rationalen Kapitaldisposition eignen und das Handeln nach ihren Regeln als betriebswirtschaftliche Kompetenz ausbildenDenn die Eignung der Betriebs- und Geschäftsleitung

|| 247 Gutenberg (1989), S. 77 248 Albach (2002), S. 87 249 Albach (2002), S. 97 250 Albach (2002), S. 94 251 Albach (2002), S. 96

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ist von dem qualitativen Niveau abhängig, mit der sie die Funktion vollziehen, und nicht von den Personen selbst, ihrer Kompetenz als Unternehmer. „Das qualitative Niveau, das in einem Betriebe erreicht wird, bleibt primär von der Eignung der die dispositiven Funktionen vollziehenden Personen bestimmt. Es ist von der Intensität ihrer Antriebe, der Höhe ihrer Begabung und dem Maß an Korrespondenz zwischen Arbeitsleistung und Begabungsrichtung, kurz von jener individuellen Substanz abhängig, die das Wesen dieses vierten Faktors ausmacht.“252

Betriebswirtschaftliche Kompetenzentwicklung heißt dann, die Eignung für die Funktion zu steigern und ist in Abhängigkeit von ihr gedacht. Diese Ausbildung qualifiziert den Mensch als Manager. Die Kompetenzentwicklung des Unternehmers, der sich nicht als Funktion sondern als schöpferisches, mit sich selbst identisches Subjekt versteht, kann sie nicht umfassen. Der Unternehmer kann in der Betriebswirtschaftslehre nicht vorkommen und von ihr nicht ausgebildet werden. Im Unterschied zur Unternehmung sind der Unternehmer und seine Kompetenz weitgehend unerforscht und eine Besonderheit. „Unternehmer sind eine eigene Species“253, die in der betriebswirtschaftlichen Literatur kaum vorkommt. In den „Entwicklungen der Betriebswirtschaftslehre“, die 2002 erschienen sind und die 100 Jahre dieser Fachdisziplin nachzeichnen, wird der Begriff des Unternehmers nicht erwähnt.254 Auch betriebswirtschaftliche Lehrbücher nehmen auf den Unternehmer-Begriff keinen Bezug.255 Die betriebswirtschaftliche Theorie entwickelt sich als eine Management-Theorie. Sie betreibt keine Begriffsbildung des Unternehmers und die Eliminierung des Unternehmers sowie sein Ersatz durch die Funktion der rationalen Kapitaldisposition ist keine Frage und scheint kein Problem zu sein. Ist der Begriff des Unternehmers ein Kandidat für das Lexikon der bedrohten Wörter?256 Seit einigen Jahren ist eine Diskussion um den Entrepreneur in den Wirtschaftswissenschaften aufgekommen, die konstatiert, dass das Unternehmerische in der Betriebswirtschaftslehre bzw. der Managementtheorie unterbelichtet

|| 252 Gutenberg (1951), S. 108; vgl. Walger (1993), S. 182 253 Priddat (2010), S. 115 254 Es gibt lediglich einen Bezug auf den Herausgeber Poeschel, der den Denkmustern des 19. Jahrhundert verhaftet gewesen sei, das den Unternehmer nach Jean Baptiste Say als Persönlichkeit definierte, welche die Bedürfnisse und die Mittel zu ihrer Befriedigung abschätzen kann und danach die Produktionsfaktoren für eine bestimmte Produktion auf eigenes Risiko kombiniert, vgl. Gaugler/ Köhler (2002), S. 17. 255 Vgl. exemplarisch Schweitzer/ Baumeister (2015), Töpfer (2005), Welge/ Al-Laham (2005), Heinen (1991), Wöhe (1981). Allenfalls kommt der Unternehmer als rechtliche Kategorie des Einzelunternehmers vor. 256 Vgl. Mrozek (2006)

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sei und die auf die Person des Unternehmers Bezug zu nehmen scheint.257 Im Alltag werde unternehmerisches Handeln oft mit erfolgreichen Persönlichkeiten assoziiert, schreiben Grichnik et al. Die Personen seien allerdings wenig repräsentativ oder träten nach der Gründung hinter das Unternehmen zurück. Dementsprechend machen Grichnik et al. nicht den Entrepreneur sondern die innovative und technologieorientierte Unternehmung zum Erfahrungsobjekt ihrer Entrepreneurshiplehre, die sie als eine eigenständige wissenschaftliche Disziplin, also als ein Teilgebiet der Betriebswirtschafts- bzw. Managementlehre, begründen wollen.258 Sie fokussieren ihre Entrepreneurshiplehre auf das Objekt der Unternehmung, das als technologieorientierte und innovative Unternehmung von dem allgemeinen Objekt nur differenziert wird. In diesem Objekt ist das Subjekt durch bestimmte Prinzipien ersetzt, u.a. das Rationalprinzip, von denen diese Lehre ausgeht bzw. die sie voraussetzt.259 Diese Voraussetzung verunmöglicht ihr, das Subjekt des Unternehmers in den Blick zu nehmen und zu begreifen. Auch in der Entrepreneurshiplehre geht es nicht um den Unternehmer, sondern um die Funktion der rationalen Kapitaldisposition. Sie ist eine Managementlehre und kann das spezifisch Unternehmerische bzw. die Kompetenz des Unternehmers nicht erfassen. Ohne Unternehmer bleibt die Entstehung der Unternehmung unerklärlich. In dem Versuch, den Anfang einer Unternehmung zu erklären, gibt die Entrepreneurshiplehre das Objekt der Unternehmung vorübergehend auf und wählt die „unternehmerische Gelegenheit“ zu ihrem Ausgangspunkt.260 Dabei wird zwischen dem Entdecken („Opportunity Discovery“) und dem Erschaffen unternehmerischer Gelegenheiten („Opportunity Creation“) unterschieden.261 Nach der Discovery Theory existieren unternehmerische Gelegenheiten als objektive Phänomene, die prinzipiell für jedermann zugänglich sind.262 Sie sind durch Unvollkommenheiten bestehender Märkte begründet und „warten“ darauf, von einem Individuum entdeckt zu werden. Entrepreneure sind nach dem Verständnis der Discovery Theory besondere Individuen, die sich von ihren „Nicht-Entrepreneuren“ durch ihre Persönlichkeitsmerkmale, einen besseren Zugang zu Märkten sowie ihren Stand an Informationen und Wissen bzw. ihre

|| 257 Klandt (1990), S. 30; vgl. Faltin/ Ripsas (2011); vgl. Fallgatter (2004); ders. (2002) 258 Vgl. Grichnek et al. (2010), S. 6ff. 259 Vgl. Grichnek u.a. (2010), S. 9f. 260 Vgl. Grichnik et al (2010), S. 29. Sie unterscheiden explizit zwischen Gründungstheorie, die sich auf neue Unternehmen und der Entrepreneurlehre, die sich auch auf bestehende Unternehmen beziehe, vgl. a.a.O. S. 12 261 Vgl. Grichnik et al. (2010), S. 55, Alvarez und Barney (2007) 262 Vgl. Grichnik et al. (2010), S. 62, Shane/ Venkatamaran, 2000

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Aufmerksamkeit für solche Gelegenheiten unterscheiden.263 Da die unternehmerische Gelegenheit als objektives Phänomen angenommen wird, kann der Entrepreneur ihre Bewirtschaftung und das mit ihm einher gehende Risiko berechnen. Die Discovery Theory setzt mit der unternehmerischen Gelegenheit das Objekt des Unternehmens als rational gegeben und den Entrepreneurs als rationalen Akteur voraus. In dieser Konstruktion ist der Entrepreneur mit der Funktion der rationalen Kapitaldisposition bzw. dem Manager identisch. Demgegenüber geht die Creation Theorie davon aus, dass die unternehmerische Gelegenheit durch die Entscheidungen und das Handeln des Unternehmers kreiert wird. Dies erinnert an Gutenbergs Votum, dass die Unternehmung durch schöpferischen Akt des Unternehmers entstehe. Nach der Creation Theorie beginnt der Entrepreneur mit der Umsetzung einer vagen, als unternehmerische Idee bezeichneten Vorstellung über eine mögliche unternehmerische Gelegenheit und beobachtet, wie erste Konsumenten oder Marktteilnehmer auf sein Handeln reagieren. Die unternehmerischen Gelegenheiten sind subjektive Phänomene, die sich in einem iterativen Prozess zu ihrer endgültigen Form entwickeln. Die Entrepreneure bilden sich danach im Prozess des unternehmerischen Prozesses erst als solche heraus und ihre Entscheidung erfolgt unter unvollständigen Informationen und bei ungewissem Risiko.264 Die Creation Theorie setzt insoweit anders als die Discovery Theory weder das Objekt des Unternehmens noch das rationale Subjekt voraus. Wie begreift sie ihre Genese? Nach Grichnik et al. macht die Creation Theorie die Entstehung der unternehmerischen Gelegenheit von der Peergroup des Entrepreneurs abhängig. „Sofern eine hinreichende Anzahl an Peergroup-Mitgliedern, die präsentierte Idee als eine realistische unternehmerische Möglichkeit einschätzt, es also einen Konsens diesbezüglich gibt, beginnt bei dem Entrepreneur der Prozessschritt der Objektivierung: das externe Feedback führt dazu, dass der Entrepreneur seine unternehmerische Idee mehr und mehr als eine objektive Realität betrachtet, die auch außerhalb seiner Vorstellung Bestand haben könnte. Die subjektive Idee wird somit durch soziale Interaktion in eine für den Entrepreneur ‚objektive‘ unternehmerische Gelegenheit transformiert… Fehlt es allerdings an Konsens über die Werthaltigkeit der präsentierten unternehmerischen Idee, wird es für den Entrepreneur schwierig sein, diese reale Gelegenheit wahrzunehmen. Obschon der Entrepreneur vielfach als Person beschrieben wird, die beharrlich an einer Idee – auch gegen massive Widerstände von außen – festhält, ist davon auszugehen, dass bei nur geringem Konsens in der Peergroup über die Umsetzbarkeit einer unternehmerischen Idee der Entrepreneur aufgrund der für ihn weiterhin bestehenden Unsicherheit sehr wahrscheinlich seine

|| 263 Vgl. zur sog. Trait-School, die erfolgreiche Entrepreneure zu charakterisieren versucht, Pinkwart (2002) 264 Vgl. Grichnik et al. (2010), S. 67f., Sarasvathy (2001); vgl. Gigerenzer (2013)

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Aufmerksamkeit und Bemühungen auf andere Aktivitäten, beispielsweise eine andere unternehmerische Idee, verlagert. Dies bedeutet, dass der Entrepreneur von einer Weiterverfolgung der Idee absieht und den Prozess an dieser Stelle abbricht. Im Unterschied zur Discovery Theory sind es also nicht nur die Eigenschaften des Entrepreneurs, sondern vielmehr der Wissens- und Informationsstand der sozialen Umwelt (Peergroup) eines Entrepreneurs, der maßgeblich zur Entwicklung einer unternehmerischen Gelegenheit beiträgt.“265

In dieser Fassung der Creation Theory ist die Annahme gesetzt, die Unternehmung als abhängig von der rationalen Erwartungen bzw. Bewertung der Umwelt des Entrepreneurs zu begreifen, und das Bewegungsmoment ist nicht im Entrepreneur verortet sondern in eben dieser Umwelt, was dem Begriff des selbstständigen Unternehmers, der, wie Gutenberg sagt, der Motor der Unternehmung ist und mit seiner Individualität ihre Entwicklung prägt, entgegensteht.266 Als Kern der Creation-Theory sehen Grichnik et al. den Effectuation Ansatz von Sarasvathy. Dieser beansprucht ein Entscheidungsmodell zu entwickeln, das im Prozess der Gründung von neuen Unternehmen angewendet wird und das die für die Entstehung von neuen Gelegenheiten als unangemessen bezeichneten Annahmen rationaler Entscheidungsmodelle zu korrigieren beansprucht.267 Im Unterschied zu der von Sarasvathy als Causation (causal, planend) beschriebene Grundform unternehmerischen Handelns, nach dem zuerst die Ziele gesetzt und auf diese die Mittel ausrichtet werden, geht der Effectuation-Ansatz von den zur Verfügung stehenden Mitteln aus, und die Ziele werden nach den verfügbaren Mitteln gesetzt.268 Diese Form des Handelns kehrt das rationale Handeln um. Es bleibt aber rationales Handeln. Das von Gutenberg als irrational bezeichnete, eigentlich unternehmerische Moment bleibt außer Betracht. Der Effectuation Ansatz geht von den gegebenen Mitteln des Entrepreneurs aus. Dieser Ausgangspunkt soll das unkontrollierbare, unternehmerische Risiko des Entrepreneurs, das sich aus einer unvorhersagbaren Zukunft ergibt, auf für ihn verkraftbare Verluste begrenzen.269 Dazu werden u.a. Partner gesucht, die ihrerseits Risiken für die Bereitstellung von Mitteln übernehmen. Mit diesem Ansatz setzt der Entrepreneur sich und sein Unternehmen in ein abhängiges Verhältnis zu seinen Partnern.

|| 265 Grichnik et al. (2010), S. 70, Hervorhebungen R. N.; vgl. Wood and McKinley (2010) 266 Vgl. Gutenberg (1929), S. 26 sowie S. 45ff. 267 Sarisvathy (2001), S. 244 268 Grichnik et al (2010), S. 56ff, Dew u.a. (2009), Sarasvathy (2001). Zur Umkehrung der Ziel-MittelRelation vgl. auch Kirsch (1968) sowie zum Verhältnis von Strategie und Struktur Walger/ Neise (2005). 269 Sarasvathy (2001), S. 252

Betriebswirtschafts- und Entrepreneurshiplehre als Managementlehre | 83

“Since the structure of what exactly the enterprise is is left open and is dependent upon the particular commitments made by the stakeholders, the need for prediction is greatly reduced, if not completely obliterated. In other words, the particular firm created becomes the residual of a process of constructing a network of partnerships and precommitments, and the market itself is an aggregated taxonomy of such sustainable sets of partnerships and commitments.”270

Im Effectuation Ansatz bestimmen die Stakeholder die Unternehmung. Der Entrepreneur wird mit dem Manager identifiziert, der sein wirtschaftliches Risiko auf Investoren verlagert und dafür die Abhängigkeit seines Unternehmens von ihnen in Kauf nimmt. Klandt beschreibt die Gründung eines Unternehmens als eine rationale Wahlentscheidung, bei der der Gründer unterschiedlichen Alternativen gegenübersteht und unter diesen diejenige auswählt, die seine Ziele – die Erreichung eines saturierenden Gewinnes, der dem Gründer ein höheres Einkommen gewährt als das eines abhängigen Beschäftigten – am besten realisiert.271 Damit übernimmt der für die Entrepreneurshiplehre die Konzeption der Betriebswirtschaftslehre als Managementlehre. Diese seit den 1960er Jahren, nachdem vor allem in den Vereinigten Staaten Fragen der Unternehmensführung mit größter Intensität bearbeitet wurden, diese auch in der deutschen Betriebswirtschaftslehre immer mehr in den Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses gerückt und seitdem ist der Entscheidungsbegriff für die Betriebswirtschaftslehre zentral geworden. 272 „Die jüngere Vergangenheit brachte für die Betriebswirtschaftslehre tiefgreifende Wandlungen. Ihr Forschungsprogramm und ihr Lehrgebäude haben sich zuerst unter dem Einfluß der mathematisch-statistischen Entscheidungstheorie (Entscheidngsloigik) und später vor dem Hintergrund der sozialwissenschaftlichen Entscheidungsforschung zu vielen Nachbardisziplinen hin geöffnet und neu geformt. Das Geschehen in Betriebswirtschaften (Unternehmungen) zeigt sich in einem veränderten Licht: Entscheidungsprozesse einzelner Menschen und Gruppen werden als eigentliche „Triebkräfte“ des Geschehens erkannt…“

Gutenberg hat die Funktion der Kapitaldisposition in den „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“ ab der 10. Auflage von 1964 in den Begriff der Unternehmensführung gefasst und ihren Entscheidungsprozess als eine Abfolge von Wahlakten begriffen.

|| 270 Sarasvathy (2001), S. 253f. 271 Daneben geht er von der Restriktion aus, jederzeitig die Liquidität bzw. Zahlungsbereitschaft zu erhalten, vgl. Klandt (1999), S. 8ff. 272 Vgl. Gutenberg (1962), Vorwort, vgl. Heinen (1971)

84 | Das Unternehmerische als das Irrationale

„Die Unternehmensführung besteht für Gutenberg als Funktion der Kapitaldisposition aus einer Kette alternativer Entscheidungen, aus einer Abfolge von Wahlakten, die die Unternehmensleitung im Zeitablauf vornimmt. Sie hat … die Wahl zwischen mehreren Alternativen der Kapitalverwendung, über die auf der Basis des jeweils erwarteten Gewinns entschieden wird, wobei die Erwartung Wesensmerkmal des Gewinns ist… Nur in Ausnahmefällen können aber die Alternativen eindeutig bestimmt werden und ihre Konsequenzen mit vollständiger Sicherheit vorausgesehen werden, denn die Unternehmensleitung besitzt bei ihren großen unternehmenspolitischen Entscheidungen in der Regel nur ein fragmentarisches Wissen… Gleichwohl behalten alle unternehmungs- und betriebspolitischen Entscheidungen den Charakter von Wahlakten zwischen Kapitalverwendungsformen.“ 273

Diese Entscheidungen der Unternehmensführung unterscheidet Gutenberg nach dem Grad der Wahrscheinlichkeiten, mit dem die Ergebnisse eintreten, also „der Sicherheit der Erwartungen“. 274 Entscheidungen unter Sicherheit haben eine Wahrscheinlichkeit von 1, bei ihnen liegt ein eindeutiges Ergebnis vor. Entscheidungen unter Risiko können unterschiedliche Ergebnisse zur Folge haben, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten bekannt sind. Diese Entscheidungen orientieren sich an der höchsten, berechneten Gewinnerwartung. In diesen Fällen der rationalen Wahl gibt es für die Unternehmensleitung nichts mehr zu entscheiden. 275 Von Entscheidungen unter Unsicherheit oder Entscheidungen, die auf subjektiven Wahrscheinlichkeiten beruhen, spricht man, wenn das Ergebnis einer Maßnahme je nach Situation verschieden und weder objektive Wahrscheinlichkeiten noch andere Kenntnisse vorhanden sind. 276 In diesen Entscheidungen erweist sich, ob „ein Unternehmensleiter unternehmerischen Instinkt, ob er Weitsicht und Urteil hat.“ 277 Unternehmensführung wählt unter den durch die betriebswirtschaftliche Kompetenz bestimmten Alternativen der Kapitalverwendung aus, als ob sie ein Unternehmer sei, der Instinkt, Weitsicht und Urteil hat. „Unternehmensführung heißt demnach, die eigenen Entscheidungen als eine Auswahl von Alternativen der Kapitalverwendung aufzufassen, wobei für den eigentlichen Wahlakt keine objektiven Wahrscheinlichkeiten bestehen, also Entscheidungen ‚unter Unsicherheit‘ zu treffen, als ob ein subjektives Moment, unternehmerischer Instinkt, Weitsicht und Urteil Sicherheit gäbe… Unternehmensführung heißt, Dispositionsentscheidungen unter Sicherheit zu fällen, als ob subjektiv Sicherheit bestünde.“ 278

|| 273 Walger (1993), S. 185 274 Vgl. Walger (1993), S. 186, Gutenberg (1983), S. 140ff. 275 Vgl Walger/ Schencking S. 45, Kappler (1974), S. 163ff., ders. (1993), Sp. 3648ff.; Rombach (1973), S. 361 276 Vgl. Walger (1993), S. 186, Gutenberg (1983), S. 133ff. 277 Gutenberg (1983), S. 142 278 Walger (1993), S. 187

Betriebswirtschafts- und Entrepreneurshiplehre als Managementlehre | 85

Indem die Unternehmensführung wählt, als ob die Rationalität der Alternativen erwiesen sei, ist der den Begriff der Unternehmensführung in den Vordergrund stellenden Betriebswirtschaftslehre die Kompetenz des Unternehmers keine Frage. Bei Klandt fällt dem Gründer (auch explizit) die Aufgabe des Gründungsmanagements zu. Er ist wie der Manager gedacht, der als rational geltende Alternativen generiert, unter ihnen auswählt, als ob ihre Rationalität erwiesen sei, und der sich für die Realisierung der ausgewählten Alternative eignen muss.279 In den 1980er Jahren hat Drucker das Entrepreneurship vom Management unterschieden. Sein Versuch, das im Verhältnis zum Rest der Welt starke Wachstum der USA zwischen 1965 und 1985 zu erklären, führt dieses nicht auf technologische Trends bzw. die Besonderheit von high-tech-Firmen sondern auf eine Veränderung in der Führung der Unternehmen zurück.280 Drucker will den Begriff des Entrepreneurs, den er weder an einem bestimmten Typ des Unternehmens noch an dem Merkmal des Eigentums festmacht, mit Bezug auf Schumpeter bzw. Say am spezifisch Unternehmerischen orientieren: „the entrepreneur always searches for change, responds to it, and exploits it as an opportunity.“281 Das Unternehmerische ist für ihn das Lebendige, die Veränderung, und die Basis dieser Veränderung ist ihm die zweckgerichtete, Wohlstand kreierende Innovation. „Entrepreneurs innovate. Innovation is the specific instrument of entrepreneurship. It is the act that endows resources with new capacity to create wealth.”282

Drucker macht das Unternehmerische an dem Begriff der Innovation, der Erneuerung fest.283 Die Innovation ist bei ihm als Ausbeutung des Wandels gedacht, der systematisch in den „Gebieten des Wandels“ diagnostiziert werden kann. “The overwhelming majority of successful innovations exploit change. To be sure, there are innovations that in themselves constitute a major change; some of the major technical innovations, such as the Wright Brothers’s airplane, are examples. But these are exceptions, and fairly uncommon ones. Most successful innovations are far more prosaic; they exploit change. And thus the discipline of innovations (and it is the knowledge base of entrepreneurship) is a diagnostic discipline: a systematic examination of the areas of change that typically offer entrepreneurial opportunities.”284

|| 279 Vgl. Klandt (1999), S. 8ff.; Walger / Schencking (2003), S. 40ff. 280 Drucker (1993), S. 11 281 Drucker (1993), S. 28, Hervorhebungen im Original 282 Drucker (1993), S. 30 283 Zur Integration der Innovationsfunktion in die Theorie der Unternehmung vgl. Albach (2002) 284 Drucker (1993), S. 35

86 | Das Unternehmerische als das Irrationale

Die Aufgabe des Entrepreneurs besteht darin, die Aufgabe der Innovation systematisch zu betreiben und diese Gebiete als die Quellen der Innovation zu beobachten. “Systematic innovation means monitoring seven sources for innovative opportunity. The first four sources lie within the entreprise, whether business or public-serviceinstitution, or within an industry or service sector. They are therefore visible primarly to people within that industry or service sector… These four sources are: The unexpected – the unexpected success, the unexpected failure, the unexpected outside event; The incongruity – between reality as it actually is and reality as it is assumed to be or as it ‘ought to be’; Innovation based on process need; Changes in industry structure or market structure that catch everyone unawares. The second set of sources doer innovative opportunity, a set of three, involves changes outside the entreprise or industry: Demographics (population changes); Changes in perception, mood, and meaning; New knowledge, both scientific and nonscientific.”285

Drucker identifiziert mögliche Quellen der Innovation und qualifiziert die Tätigkeit des Innovators als ein systematisches Überwachen, durch das das Neue der „Quelle“ quasi entnommen oder aus der Quelle „geschöpft werden“ kann. Dieses „Schöpfen“ aus einer Quelle entspricht allerdings nicht dem „schöpferischen Akt“ des Unternehmers. Der Schöpfer schafft, was vorher nicht war. Das Schöpfen des Unternehmers entstammt dem Begriff des Erschaffens, es ist nicht identisch mit dem gleichlautenden „Schöpfen“ im Sinne des „Wasser aus einer Quelle Entnehmen.“286 Drucker verortet die Quelle des Unternehmerischen außerhalb des Unternehmers im Systematischen und verfehlt damit seine ihn auszeichnende Qualität. Drucker grenzt in seiner Konzeption – ähnlich wie Gutenberg – das eigentlich Unternehmerische aus, indem er es – anders als Gutenberg, der das Produktive im Unternehmer verortet – als außerhalb der Person des Unternehmers ansiedelt, und leitet, wie die auf das Organisatorische gerichteten Betriebswirtschaftslehre vor Gutenberg, Handlungsweisen des Unternehmers aus der Praxis ab. „Entrepreneurship is neither a science nor an art. It is a practice.”287

|| 285 Drucker (1993), S. 35, Hervorhebungen im Original 286 Drosdowski/ Grebe (1963), S. 620 287 Drucker (1993), S. VIII

Betriebswirtschafts- und Entrepreneurshiplehre als Managementlehre | 87

Indem er das Unternehmerische in der Systematik verortet, bleibt seine Konzeption Management. “The ‘new technology’ is entrepreneurial management.“288 Die Reduktion des Unternehmers auf ein unternehmerisches Management ist eine Ableitung des Managements vom Unternehmerischen und insoweit ist diese besondere Form des Managements nur vom Begriff des Unternehmers her begreifbar. Die Betriebswirtschaftslehre, die sich auf die Funktion der rationalen Kapitaldisposition fokussiert, ist eine wissenschaftliche Managementlehre. Der Manager agiert rational, als ob die Rationalität seines Handelns erwiesen sei. Er muss sich für die Funktion der rationalen Kapitaldisposition eignen und das Handeln nach ihren Regeln als betriebswirtschaftliche Kompetenz ausbilden. Auch für die Entrepreneurshiplehre, die das Unternehmerische adressiert und die Gründung des Unternehmens thematisiert, muss der Entrepreneur ein rationaler Manager bzw. betriebswirtschaftlich kompetent sein. Die Entrepreneurshiplehre entwickelt sich als Teilbereich der Betriebs- bzw. Managementlehre. Der Unternehmer, das schöpferische, mit sich selbst identische Subjekt, kann in der Betriebswirtschaftslehre nicht vorkommen und von ihr nicht ausgebildet werden. Die betriebswirtschaftliche Kompetenz, das Kapital rechnerisch richtig zu disponieren, ist notwendig für die Leitung des Unternehmens, aber nicht hinreichend für das Unternehmer-Sein.

|| 288 Drucker (1993), S.11

4 Der mit sich selbst identische Unternehmer Die Eliminierung des Unternehmers aus der Betriebswirtschaftslehre ist die Konsequenz ihrer Verwissenschaftlichung. Innerhalb der sich rational verstehenden Wissenschaft sind der Unternehmer und die Unternehmung in ihrer Einmaligkeit nicht zu begreifen.289 „Ein Blick auf die wirtschaftliche Wirklichkeit zeigt deutlich, daß der verschiedene Stand der einzelnen Unternehmen zum allergrößten Teile aus der ungleichen Befähigung der verantwortlichen Leiter der Unternehmen zu erklären ist. Blick für geschäftliche Situationen, Kraft zur Überwindung von Schwierigkeiten, die sich der Durchsetzung geschäftlicher Maßnahmen entgegenstemmen, Entschlußkraft und Zähigkeit im Durchführen gewollter Geschäfte oder Organisationen, Elastizität im Anpassen an sich verändernde Bedingungen, kurz eine ganze Anzahl von psychischen Elementen sind es, von denen die Entwicklung des Unternehmens abhängt. Diese entziehen sich stets rationalisierender, quantifizierender Betrachtung, weil sie einmalig und individuell sind. Das Subjekt als ein solches ist nur mit geisteswissenschaftlichen Methoden zu fassen.“290

Mit Humboldt, der neben die objektive Wissenschaft die subjektive Bildung des Menschen stellt, kann die Bildung des Unternehmers als eine eigene Qualität begriffen werden.291 Subjektive Bildung im Sinne Humboldts ist ein Prozess des Sich-selbst-Bildens, der der praktischen Erfahrung bedarf, an die Person gebunden ist und ein von der objektiven Wissenschaft zu unterscheidendes Wissen von sich selbst bildet.292 Die objektive Hermeneutik nimmt den Gedanken der Bildung des mit sich selbst identischen Subjekts auf und entwickelt eine Theorie der Bildungsprozesse, die ermöglicht, die rationale Betriebswirtschaftslehre als Objekttheorie zu integrieren und mit Bezug auf praktische Fälle unternehmerischen Handelns den Bildungsprozess des Subjektes als Kompetenzentwicklungsprozess des Unternehmers zu rekonstruieren.293

|| 289 Vgl. Walger (2010), S. 66; Walger/ Neise (2012), S. 11ff; Kappler (2006a); S. 101ff., ders. (2006b), S. 371ff. 290 Gutenberg (1929) S. 39f., vgl. Albach (1997) S. 3 291 Vgl. Humboldt (1996), S. 257f.; Walger (2000), S. 186ff. 292 Vgl. Walger (2000), S. 186ff; Walger/ Miethe (1996), S. 263ff. 293 Vgl. Oevermann (1973a), ders. (1973b); ders. (1976), ders. (1993)

DOI 10.1515/9783110549553-004

90 | Der mit sich selbst identische Unternehmer

4.1 Die Regel des kompetenten Unternehmers Die objektive Hermeneutik geht nicht von dem Begriff der Rationalität einer Handlung aus, weil dieser die Perspektive der praktisch zweckgerichteten Handlung schon voraussetzt.294 Mit ihr kann die Handlung der im Unternehmen handelnden Person als die Handlung einer offenen Situation begriffen werden, in der das Handeln zwar unter dem Anspruch einer Begründbarkeit steht, eine erwiesene Begründung aber im Moment des Handelns noch nicht zur Verfügung steht.295 Bevor die Frage beantwortet werden kann, was die Person mit ihrer Handlung beabsichtigt, muss beantwortet werden, was die Handlung objektiv nach geltenden Regeln der Bedeutungserzeugung bedeutet.296 Erst auf dieser Grundlage ist es möglich, das Handlungssubjekt in seiner Subjektivität und Intentionalität zu begreifen.297 Die objektive Hermeneutik stellt nicht den Begriff der Rationalität sondern den Begriff der Authentizität ins Zentrum, der eine Lebenspraxis – dies kann eine Person, eine Personengruppe, eine Region, ein Nationalstaat oder ein Bündnissystem sein, sofern sie als subjektiv entscheidende Einheiten praktischen Handelns gelten können – als eine durch geltende Regeln erzeugte und rekonstruierbare Subjektivität beschreibt.298 Im Unternehmen entspricht das authentisch handelnde Subjekt dem Unternehmer. Für dieses stehen in der praktischen Situation die geltenden Regeln in Frage, erst im Nachhinein erweisen sie sich als geltend für die Entstehung eines Unternehmens. Indem das Handlungssubjekt in Bezug auf diese Regeln angemessen handelt, entsteht das Unternehmen und das entstandene Unternehmen macht es erst zum Unternehmer. Das implizite Wissen von diesen Regeln, die sich erst im Nachhinein als geltend für das Entstehen bzw. die Entwicklung des Unternehmens erweisen, macht die Kompetenz des Unternehmers aus. Das im Unternehmen handelnde Subjekt verbindet mit seiner Handlung eine subjektive Bedeutung bzw. Intention, aber die geltenden Regeln bestimmen im Nachhinein, ob und inwieweit diese der objektiven Bedeutung entspricht. Handlungen, von denen sich erweist, dass subjektive und objektive Bedeutung übereinstimmen, sind kompetente Handlungen.299 Da die Bedeutung des Handelns im Vorhinein in Frage steht, kann das handelnde Subjekt sich nur nachträglich als kompetent erweisen. Die unternehmerische Kompetenz des Handlungssubjekts zeigt sich im Nachhinein, wenn seine Handlungen sich nach objektiv geltenden

|| 294 Vgl. Oevermann (1996a), S. 4 295 Vgl. Oevermann (1991), S. 267ff. 296 Vgl. Oevermann (1993), S. 113 297 Vgl. a.a.O. S. 130 298 Vgl. a.a.O. S. 143ff. 299 Vgl. Oevermann (1997); S. 7ff., ders. (1979), S. 361ff.

Die Regel des kompetenten Unternehmers | 91

Regeln als unternehmerisch erweisen und das Unternehmen entstanden ist, das zu realisieren es intendiert hat. Das unternehmerisch handelnde Subjekt wird als ein die geltenden Regeln implizit in seinem Bewusstsein verinnerlichender Akteur begriffen.300 Da der Unternehmer diese Regeln nicht notwendig explizieren kann, muss der Kompetenz notwendig ein intuitives Urteil der Angemessenheit entsprechen, das der Unternehmer im Handeln zur Anwendung bringt. Indem der Unternehmer handelt, urteilt er intuitiv über die Angemessenheit seines Handelns in Bezug auf die geltenden Regeln, die ihm unbekannt sind und deren Geltung sich erst im Nachhinein erweist. Die Angemessenheit des Urteils kann sich also nur nachträglich herausstellen, wenn die Handlungen sich als kompetent erwiesen haben. Indem mit Bezug auf unternehmerische Handlungen die Regeln, die sich als geltend erwiesen haben, im Nachhinein expliziert werden, kann die Kompetenz des Unternehmers und die Angemessenheit seines Urteils nachträglich begründet werden. Darin, dass erst im Nachhinein jene Kompetenz beschrieben werden kann, die im intuitiven Urteil und der kompetenten unternehmerischen Handlung enthalten ist und die für ihre Rekonstruktion in Anspruch genommen werden muss, manifestiert sich der grundlegende erkenntniskonstitutive Zirkel jeglicher Erfahrungswissenschaft.301 Der kompetente Unternehmer fällt das intuitive Angemessenheitsurteil seines unternehmerischen Handelns, auch wenn er die diesem zugrunde liegenden Regeln nicht kennt. Indem sich erweist, dass der Unternehmer in Bezug auf die geltenden Regeln angemessen handelt und die objektive Bedeutung seines Handelns der seiner Intention entspricht, verinnerlicht er die in der Handlung geltenden Regeln und bildet er unternehmerische Kompetenz. Die Kompetenz des Unternehmers, sein implizites Bewusstsein von den geltenden Regeln und sein intuitives Angemessenheitsurteil, entwickelt sich mit Bezug auf Handlungen, die sich als kompetent erweisen. Die Kompetenzentwicklung des Subjekts ist nicht als konstruktive Regelsetzung begriffen, sondern als die rekonstruktive Verinnerlichung von sich als geltend erweisenden Regeln gedacht. 302 Wenn die objektive Bedeutung des Handelns des Unternehmers seiner Intention nicht entspricht, kann er die Unangemessenheit seiner Handlung zumindest

|| 300 Vgl. Oevermann (1993), S. 114ff. 301 Vgl. Oevermann (1986), S. 22ff. Die geltenden Regeln bzw. die Kompetenz des Unternehmers können als Fiktion begriffen werden, d.h. der Wirklichkeit widersprechende Annahme, die wieder aufzuheben ist. Während die Betriebswirtschaftslehre die rationale Unternehmung als Fiktion begreift, wird hier der kompetente Unternehmer als eine solche begriffen. Wissenschaft kommt nicht umhin, mit Fiktionen zu arbeiten und sich ihres Einsatzes bewusst zu bleiben. Vgl. Kap. 3. 302 Vgl. Oevermann (1973), S.26ff. Zur Bedeutung der praktischen Erfahrung im Bildungsprozess vgl. Walger (2000), S. 186ff.; Walger/ Miethe (1996), S.263ff., vgl. Kappler (1997), S. 11ff.

92 | Der mit sich selbst identische Unternehmer

vorbewusst wahrnehmen. Indem er sein Handeln ändert und es sich als angemessener in Bezug auf die in der Situation geltenden Regeln erweist, bildet sich sein intuitives Angemessenheitsurteil. Insoweit bedarf die Kompetenzentwicklung des Handlungssubjekts der Krise. Das Handlungssubjekt kann jede Situation als Krise begreifen. Inwieweit seine veränderte Handlung sich als angemessener erweist, wird durch die in der Situation geltenden Regeln bestimmt und zeigt sich erst im Nachhinein.303 Nicht die Routine sondern die Krise ist der konstitutionstheoretische Normalfall. Der Unternehmer kann nicht nur eine bestimmte Handlungsoption sondern Möglichkeiten mit verschiedener objektiver Bedeutung realisieren.304 Diese bedeuten unterschiedliche Ideen oder verschiedene Möglichkeiten der Entwicklung des Unternehmens. Der Unternehmer muss in der Situation handeln und seine Handlung bedeutet, dass er sich für eine der objektiv möglichen Optionen subjektiv entscheidet. Die Subjektivität dieser Entscheidung, unter den Optionen zumindest implizit auszuwählen, ist nicht aufhebbar.305 Der Unternehmer weist seiner Handlung eine subjektive Bedeutung zu, aber die objektive Bedeutung seiner Handlung bzw. welche Idee entsteht, bleibt durch die geltenden Regeln bestimmt. Die objektive Regel, die sich für die realisierte Handlungsoption als geltend erweist und die dem Unternehmer nicht notwendig bewusst ist, ist die Regel des Unternehmens. Als implizit ausgewählte Regel, die das Handlungssubjekt unter unterschiedlichen, objektiv möglichen Regeln handelnd selektiert hat, ist sie die subjektive Entscheidungsregel des Unternehmers. Für die Realisierung der gewählten Handlungsoption ist die Erbringung einer Leistung notwendig. Hinreichend für ihre Realisierung ist die Interaktion des Unternehmers mit den Kunden, sein Handeln am Markt.306 Erst durch den Erfolg am Markt realisiert sich die Option und entsteht das Unternehmen. Der Unternehmer weiß im Vorhinein nicht, was die von ihm erstellte Leistung am Markt bedeutet. Der Unternehmer kann nicht allein mit der Erstellung der Leistung anfangen. Auch eine noch so gut erstellte Leistung birgt das Risiko, am Markt vorbei zu produzieren, so dass das Unternehmen nicht entsteht bzw. ein bestehendes gefährdet wird. Der Unternehmer kann versuchen, den Markt zu erforschen, verschiedene Zielgruppen zu erkunden, Produkte zu testen und unterschiedliche Formen der Leistung auszuprobieren. Aber was seine Leistung am Markt objektiv bedeutet, erweist sich immer erst im Nachhinein und die für das Unternehmen geltenden Regeln können erst festgestellt werden, nachdem das Unternehmen entstanden ist. Der Unternehmer muss mit dem Problem umgehen, dass weder die

|| 303 Vgl. Oevermann (1996a), S. 6ff. 304 Vgl. Oevermann (1996a), S. 7ff. 305 Vgl. Oevermann (1993) S. 182ff., ders. (1991) S. 267ff. 306 Vgl. Walger/ Neise (2012), S. 12ff.

Die Regel des kompetenten Unternehmers | 93

Qualität der Leistung noch die Berücksichtigung von Markttests oder Kundenbefragungen seinen Erfolg als Unternehmer sichern. Wer Unternehmer sein will, muss handeln und kommt nicht umhin, von ihm als geltend angenommene Regeln in Anspruch zu nehmen und die Bedeutung seines Handelns zumindest implizit zu beurteilen. Er kann im Handeln das Fällen eines intuitiven Angemessenheitsurteils seiner Handlung in Bezug auf Regeln, deren Geltung in Frage steht, nicht auslassen.307 Letztlich ist der Unternehmer auf sein intuitives Angemessenheitsurteils verwiesen. Er kann lediglich im Nachhinein die Bedeutung seines Handelns zu seiner subjektiven Intention ins Verhältnis setzen und sich der Angemessenheit bzw. Unangemessenheit seines Handelns vergewissern. Indem das Unternehmen sich am Markt als erfolgreich erweist, kann der Unternehmer gewiss sein, dass die Regeln, die er im Handeln in Anspruch genommen hat, die beanspruchte Geltung haben und sein Urteil verlässlich gewesen ist. Die verwirklichte Auswahlentscheidung des Unternehmers, die durch das angemessene Handeln des Unternehmers realisierte Handlungsoption, lässt das Unternehmen entstehen und das entstandene Unternehmen macht das handelnde Subjekt zum kompetenten Unternehmer.308 Wenn sich das Handeln als nicht oder nicht mehr als sinnvoll erweist, ist der Unternehmer gefragt, sein Handeln an einer anderen, im Vorhinein in Anspruch genommenen Regel zu orientieren. Indem sich erweist, dass sie für das Unternehmen sich als geltend erweist und er ihr angemessen handelt, entsteht ein Unternehmen, das ihn neuerlich zum Unternehmer macht. Die reproduktive Auswahl derselben objektiv geltenden Regel, die sich im Handeln bewährt, lässt das im Vorhinein angenommene Unternehmen entstehen und wachsen. Die sich im Handeln vollziehende Auswahl einer neuen Regel bedeutet die Transformation der subjektiven Entscheidung, und dass ein neues Unternehmen entsteht, das durch Reproduktion der gewählten Regel weiter wachsen kann. Sowohl die Reproduktion als auch die Transformation der Entscheidung bedeuten, das unternehmerische Risiko einzugehen, denn die Offenheit der Situation ist für den am Markt agierenden Unternehmer unaufhebbar. Die Folge seiner subjektiven Auswahlentscheidungen, die sich am Markt als erfolgreich erweisen und das Unternehmen entstehen lassen, lässt sich als ein Prozess der Kompetenzentwicklung des Unternehmers beschreiben. Der Kompetenzentwicklungsprozess des Unternehmers beinhaltet die Reproduktion bzw. Transformation der subjektiven Entscheidung des Unternehmers.

|| 307 Vgl. Oevermann (1973), S. 6ff. 308 Vgl. Walger/ Schencking (2003), S. 39ff.

94 | Der mit sich selbst identische Unternehmer

Die Folge der subjektiven Auswahlentscheidungen beschreibt den Prozess der Kompetenzentwicklung des empirischen Unternehmers, der nie abgeschlossen ist und ein in die Zukunft gerichteter, offener Prozess ist. 309 Der Unternehmer ist immer wieder gefragt, an der Entwicklung seiner Kompetenz zu arbeiten und ein kompetenter Unternehmer zu werden, der einer individuellen, subjektiven Entscheidungsregel folgt. Das Unternehmen des Unternehmers ist immer nur sein Versuch, mit seiner Leistung am Markt zu reüssieren und ein kompetenter Unternehmer zu sein. So wie erst das Unternehmen das Handlungssubjekt zum kompetenten Unternehmer macht, so lässt sich der Kompetenzentwicklungsprozess des empirischen Unternehmers auch erst am Ende seiner unternehmerischen Betätigung abschließend beschreiben. Als seine Kompetenz erweist sich diejenige, die er am Ende seiner unternehmerischen Tätigkeit realisiert haben wird.310 Der kompetente Unternehmer ist der Idealtyp des unternehmerisch handelnden, mit sich selbst identischen Subjekts.311 Mit seiner Handlung entscheidet es sich implizit, gemäß einer Regel zu handeln, die sich erst noch als geltend für das Entstehen bzw. die Entwicklung des Unternehmens erweisen muss, das es Unternehmer sein lässt. Seine Entscheidung nimmt eine unternehmerische Kompetenz in Anspruch, die ebenso in Frage steht wie seine Identität als Unternehmer. Mit ihr antwortet das Handlungssubjekt im wirtschaftlichen Bereich auf die Frage nach seiner Identität. Indem sich die Regel seiner Handlungen als für das Unternehmen geltend erweist und die subjektiv gewählte Handlungsoption als Unternehmen entsteht, bewährt sich die in Anspruch genommene Kompetenz und verwirklicht sich die Subjektivität des Unternehmers. Diese Subjektivität macht den Unternehmer aus und sie zeigt, dass z.B. es für den Nachfolger, der Unternehmer werden will, keine einfache Nachfolge gibt. Der Nachfolger kann die Geltung der Regel des Unternehmens seines Vorgängers nicht einfach als für ihn geltend annehmen, sondern muss der Regel folgen, die sein Unternehmen entstehen und ihn Unternehmer werden lässt. Die Kompetenz des Unternehmers ist nicht mit der betriebswirtschaftlichen Kompetenz identisch. Der Unternehmer begreift seine Situation, ein Angebot am Markt zu machen, als eine offene Situation, in der er seine Handlungen den geltenden Regeln anmessen bzw. in der er die ihr angemessene Handlungsoption herausfinden muss. Mit der Realisierung der Handlungsoption schließt der Unternehmer die offene Situation. Mit dieser Entscheidung sind Konsequenzen verbunden, z.B. bestimmte weitere Handlungen oder ein bestimmtes Kapital einzusetzen sowie eine Kalkulation, wie dieses sich rechnet. Über die Angemessenheit

|| 309 Vgl. Oevermann (1993), S.182 310 Vgl. Oevermann (1993), S. 184ff. 311 Vgl. Oevermann (1993), S. 106ff.; vgl. ders. (1996)

Die Regel des kompetenten Unternehmers | 95

seines Handelns muss der Unternehmer kontinuierlich entscheiden. Denn objektiv bleibt die Situation eine offene und die objektive Bedeutung der nachfolgenden Handlungen fraglich. Indem die Schließung seine subjektive Entscheidung ist, weiß der Unternehmer, dass mit ihr ein unternehmerisches Risiko verbunden ist, da die Angemessenheit seines Urteils und die Bedeutung seiner Handlungen, auch wie das eingesetzte Kapital sich rechnet, sich erst im Nachhinein erweisen.312 Der betriebswirtschaftlich handelnde Manager geht demgegenüber von der Geschlossenheit der unternehmerischen Situation aus. Das von Gutenberg formulierte Rationalprinzip kann als geltende Regel einer als bewährt begriffenen Situation verstanden werden, in der das kompetente Handlungssubjekt den rationalen Kapitaleinsatz realisiert. In Relation zu dieser idealen Kompetenz, die den richtigen Einsatz des Kapitals sichert, kann die empirische Kompetenz des Handlungssubjekts getrübt sein.313 Diese Trübung der empirischen Kompetenz kann als begrenzte Rationalität beschrieben werden. Diese Beschreibung hält an der von Gutenberg festgesetzten Regel fest.314 Wenn der Manager gemäß dieser Regel handelt, dann handelt er richtig. Das Maß des Managers ist, richtig in Bezug auf die festgesetzte Regel der rationalen Kapitalverwendung zu handeln und ihr gemäß die Leistung zu erstellen und am Markt zu agieren. Das Maß des Unternehmers ist, richtig in Bezug auf den Erfolg des Unternehmens am Markt zu handeln, der notwendigerweise in Frage steht und sich erst im Ergebnis zeigt. Die betriebswirtschaftliche Kompetenz des Managers beinhaltet die Regeln einzuhalten, die für das intendierte Ergebnis der rationalen Kapitalverwendung als geltend angenommen werden. Die unternehmerische Kompetenz beinhaltet, die Regeln einzuhalten, die das intendierte Ergebnis – das Unternehmen, das ihn zum Unternehmer macht – generieren und die bis zur Erreichung dieses Ergebnisses in Frage stehen. Dem Unternehmer ist die Notwendigkeit, im Handeln eine Regel zu realisieren, die sich für das Unternehmen als geltend erweist, zumindest implizit bewusst. Wenn sich erweist, dass durch sein Handeln kein Unternehmen entsteht, kann der Unternehmer eine Handlungsoption wählen, die eine andere, für das Entstehen bzw. die Entwicklung des Unternehmens sich als geltend erweisende Regel realisiert. Der Unternehmer ist die letzte Instanz, die die seinem Handeln im Unternehmen zugrunde liegende Regel bestimmt, und die Handlung, die sich für das Unternehmen als angemessen erweist und es entstehen bzw. sich entwickeln lässt, macht den handelnden Akteur zum Unternehmer. Unternehmer- und

|| 312 Vgl. Kappler (1989), S. 59ff. 313 Vgl. Oevermann (1979), S. 361 314 Vgl. Simon (1959), S. 253ff.

96 | Der mit sich selbst identische Unternehmer

Unternehmensentwicklung stehen in einem wechselseitigen Verhältnis. Demgegenüber muss der Manager sich für ein bestimmtes Unternehmen eignen. Er handelt, indem er die vorbestimmte Regel, nach der das Kapital richtig eingesetzt wird, realisiert und ein bestimmtes Ergebnis erwartet.315 Wenn sein Handeln nicht das erwartete Ergebnis hervorbringt, entsteht für ihn das Problem, über eine neue, angemessenere Handlung entscheiden zu müssen und ihre Angemessenheit in Bezug auf die gesetzte Regel der rationalen Kapitalverwendung zu begründen. Dieses Problem versuchen Manager häufig durch vorgefertigte Organisationslösungen oder den Einsatz von Unternehmensberatung zu lösen.316 Solche Lösungen bzw. Beratungsprodukte sind definierte Handlungsoptionen mit als geltend angenommenen Regeln, die theoretisch entwickelt worden sind und/ oder sich in einem bestimmten Kontext rational bewährt haben, von ihrem Entstehungszusammenhang abgelöst und auf andere Kontexte übertragbar gemacht worden sind, so dass Manager den durch sie beschriebenen Regeln folgen können.317 Der Unternehmer kommt nicht umhin, das Urteil der Angemessenheit seiner Handlung in Bezug auf die Regel, die sich für das Unternehmen als geltend erst noch erweisen muss, selbst zu fällen, und es steht in Frage, bis es sich im Ergebnis als verlässlich erwiesen hat. Dafür ist es hilfreich, gelernt zu haben, nicht von der Bewährtheit sondern der Offenheit der Situation auszugehen, also statt vorbestimmten Regel zu folgen die in der Situation geltende Regeln in Erfahrung bringen und ihnen angemessen zu agieren. Dies zu lernen erfordert, das Handeln in praktischen Situationen in die Ausbildung zum Unternehmer einzubeziehen und im Nachgang die Bedeutung des Handelns in Erfahrung zu bringen.318 Der Kompetenzbegriff ermöglicht die Grenze zu überschreiten, die Gutenberg als Grenze der betriebswirtschaftlichen Theorie ausgemacht hat. Danach bedeutet die Reaktion „mit einem neuen System kombinatorischer und organisatorischer Akte“319, dass die Handlung der Regel des rationalen Kapitaleinsatzes nicht angemessen ist. Eine solche Unangemessenheit verortet Gutenberg in der Praxis und außerhalb seiner rationalen Theorie. Mit Hilfe der objektiven Hermeneutik kann dieses unternehmerische Handeln, das Gutenberg nur als irrational ausgrenzen konnte, erfasst und als kompetentes Handeln des seine Kompetenz realisierenden Unternehmers durch Rekonstruktion im Nachhinein expliziert und positiv begriffen werden.320

|| 315 Vgl. Walger (1993), S. 182 316 Vgl. Walger (1999), S. 2ff.; ders. (1995), S. 125ff. 317 Vgl. Walger (1999), S. 5ff., Miethe (1997), S. 87ff. 318 Vgl. Walger/ Neise (2005), S. 301ff.; Walger/ Miethe (1996), S. 263ff.; Kappler (1997), S. 11ff. 319 Gutenberg (1983) S. 133 320 Vgl. Glasl/ Lievegoed (1993): vgl. Walger/ Neise (2008)

Die Rekonstruktion der Kompetenzentwicklung des Unternehmers | 97

Das unternehmerisch kompetent handelnde Handlungssubjekt erschafft angemessen handelnd sein Unternehmen und dieses durch sein Handeln entstehende Unternehmen macht es rückwirkend zum Unternehmer. Diese Zirkularität ist kein Zirkelschluss – dies ist sie nur einem undialektischen Verständnis nach – sondern beschreibt den Grundzusammenhang von Unternehmer und Unternehmung bzw. die Grundbewegung, in der Unternehmer und Unternehmen sich hervorbringen und ein wechselseitiges Verhältnis bilden.321 Die objektive Hermeneutik richtet den Blick auf das Handlungssubjekt, ob und inwieweit es sich als kompetenter Unternehmer erweist, indem sie die objektive Bedeutung seiner Handlungen und ihre Angemessenheit in Bezug auf den Markt in der konkreten unternehmerischen Situation prüft. Allerdings steht auch das Maß, das den Unternehmer zum Unternehmer und die Bedeutung seiner Handlungen prüfbar macht insoweit in Frage, als der Markt keine feste Bestandsgröße ist sondern sich in Entwicklung befindet und die Kompetenz des Unternehmers die Reproduktion und Transformation der subjektiven Entscheidungsregel beinhaltet. Die Folge der im Handeln vollzogenen Auswahlentscheidungen, die ein Unternehmen entstehen bzw. sich entwickeln lässt, kann nachträglich als eine durch geltende Regeln erzeugte und rekonstruierbare Subjektivität beschrieben und rekonstruiert werden. Sie beschreibt den Fall einer wohlgeformten Kompetenz, der eine konkrete Ausprägung eines allgemeinen Idealtypus des Unternehmers ist.322

4.2 Die Rekonstruktion der Kompetenzentwicklung des Unternehmers Für die Rekonstruktion der Kompetenzentwicklung des Unternehmers muss zunächst die objektive Bedeutung seiner Handlungen geborgen werden. Denn diese objektive Bedeutung ist latent bzw. verborgen und liegt außerhalb der sinnlichen Wahrnehmbarkeit. Sie wird von dem Handlungssubjekt bewusstseinsmäßig nur in Ausschnitten und in verschiedenen Graden der Artikuliertheit realisiert.323 Gleichwohl bildet sie eine eigene, latente Ebene der Realität, die von der Ebene der realen Handlung und der materialen Aufzeichnung der Handlung, ihren Protokollen, kategorial zu unterscheiden ist. Reale Handlungen sind flüchtig, d.h. sie vergehen im Moment ihres Entstehens, sie können jedoch protokolliert werden und damit einer methodisch gesicherten Analyse zur Verfügung stehen.

|| 321 Vgl. Walger/ Schencking (2003) S. 39ff., vgl. Walger/ Neise (2005a) S. 301ff., vgl. Kappler (1991) S. 61ff., ders. (1977); vgl. Fischer (2013b) 322 Vgl. Humboldt (1995), ders. (1996), vgl. Walger (2000), vgl. Kappler (1992a) 323 Vgl. Oevermann (1993) S. 117

98 | Der mit sich selbst identische Unternehmer

Die objektive Bedeutung einer Handlung ist eine erfahrbare Bedeutungswelt in dem Sinne, dass sie die Wirkung einer Handlung ist und in Verbindung mit ihren Protokollen sowie den in der Interaktion geltenden Regeln objektiv, d.h. intersubjektiv überprüfbar und methodisch gesichert, nachgewiesen werden kann. Dem unternehmerisch agierenden Handlungssubjekt stehen für seine Analyse i.d.R. keine Protokolle für eine solche Analyse zur Verfügung, es hat allenfalls Erinnerungen an eine konkrete Situation. Auch unterliegt seine Analyse nicht wissenschaftlichen sondern praktischen Ansprüchen, d.h. dass seine Analyse im Verhältnis zum wissenschaftlichen Vorgehen ein methodisch ungesichertes und abgekürztes ist. Dies bedeutet, dass im praktischen Normalfall die empirisch in Einsatz gebrachte Kompetenz eines Handlungssubjekts im Verhältnis zu der idealen Kompetenz, die die latente, objektive Bedeutung einer Interaktion vollständig erfasst, begrenzt ist. Die vollständige intentionale Realisierung dieser objektiven Bedeutung stellt den kontrafaktischen Grenzfall vollständiger Aufgeklärtheit bzw. idealer Kompetenz dar, in dem das Handlungssubjekt sich in Selbstreflexion der objektiven Bedeutung seiner Handlungen vollständig vergewissert und die Bedeutung seiner Handlungen in Bezug auf die geltenden Regeln stets angemessen ist.324 Die objektive Bedeutung einer Handlung bergen zu können ist dem Forscher deshalb möglich, da er ebenso wie auch das Handlungssubjekt über eine zumindest implizite Kompetenz verfügt. Die objektive Hermeneutik unterscheidet also nicht prinzipiell die Regelkompetenz des Handlungssubjekts von der des Forschers, sondern bezieht beide auf die identische ideale Kompetenz. Diese Identität der idealen Kompetenz begründet sich darin, dass die Geltung der Regeln für sie nicht auf das Bewusstsein des Handlungssubjekts zurückgeführt werden kann, sondern sie vor jeder Erfahrung gegeben sind und ihnen Objektivität zukommt.325 Die objektive Bedeutung von Handlungen und geltende Regeln lassen sich nur mit Bezug auf praktische Handlungen und im Nachhinein bergen. Theorien im Sinne der objektiven Hermeneutik werden als durch Regel generierte Sinnzusammenhänge begriffen, die durch hermeneutische Analyse gewonnen werden. Im Sinne der objektiven Hermeneutik gilt: „Nur die Praxis enthält die ganze Theorie.“326 Die Prüfung der Angemessenheit einer Theorie bzw. der von ihr als geltend angenommenen Regeln muss sich anhand praktischer Situationen erweisen und nachvollziehen lassen. Insoweit geht die Praxis der Theorie voraus und bestimmt Praxis die hermeneutisch gewonnene Theorie.

|| 324 Vgl. Oevermann et al. (1979), S. 380 325 Vgl. Oevermann (1981), S. 5, ders. et al. (1979), S. 387ff. 326 Kappler (1992b); S. 322

Die Rekonstruktion der Kompetenzentwicklung des Unternehmers | 99

Im Unterschied zu familiären Interaktionen, in denen die Bildung des Bewusstseins bzw. die Kompetenzentwicklung im Wesentlichen qua Sozialisation erfolgt, agieren Unternehmer und Manager i.d.R. auf der Basis einer wissenschaftlichen Ausbildung, expliziter theoretischer Modelle und Begriffe oder Anleitungen, die z.B. durch wissenschaftlich geprägte Unternehmensberatung entwickelt wurden.327 Diese stellen theoretische Konstruktionen dar, die mit oder auch ohne empirischen Bezug entwickelt worden sein können. Dies bedeutet, dass im Bereich der unternehmerischen Praxis nicht nur die Praxis die Theorie bestimmt, sondern die theoretischen Konstruktionen, wie die Gutenbergs oder der Entrepreneurshiplehre, auch die unternehmerische Praxis bestimmen und die durch sie ausgebildeten Personen die durch sie als geltend angenommenen Regeln im Bewusstsein verinnerlicht haben können. Indem mit Hilfe der objektiven Hermeneutik die objektive Bedeutung von Handlungen geborgen und diese zu sogenannten „Objekttheorien“ – wie z.B. zu der betriebswirtschaftlichen Theorie – ins Verhältnis gesetzt werden, können die theoretischen Konstruktionen mit Bezug auf die unternehmerische Praxis rekonstruiert und es können die von ihnen angenommene Geltung von Regeln und die Bedeutung ihnen gemäßer Handlungen in der Praxis empirisch geprüft werden. In diesem Sinne kann die Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft erfüllt werden, Anspruch und Wirkung ihrer eigenen theoretischen Konstruktionen in der Praxis zu bedenken.328 Bei der Bergung der latenten objektiven Bedeutung einer Handlung muss der Forscher mit dem Problem umgehen, dass in Bezug auf die zu untersuchende Interaktion die Regeln, die ihre objektive Bedeutung generieren, zunächst unbekannt und er in der Analyse Regeln in Anspruch nehmen muss, die unbestimmt sind. Dies bedeutet, er muss mit dem hermeneutischen Zirkel umgehen, d.h. Regeln im Vorgriff in Anspruch zu nehmen, ohne zu wissen, ob sie für die untersuchte Interaktion Geltung haben.329 Der Forscher kann zunächst die Sinnhaftigkeit einer Handlung bzw. die Angemessenheit ihrer objektiven Bedeutung in Bezug auf die geltenden Regeln prüfen, auch ohne diese Regeln explizieren zu können. Denn der Kompetenz des Forschers entspricht ebenso, wie dies bei dem Unternehmer der Fall ist, eine intuitive Urteilskraft, die ihm eine Unterscheidung sinnvoller Handlungen von nicht sinnvollen bzw. solcher mit regelangemessener von solchen mit regelunangemessener objektiver Bedeutung ermöglicht.330 Zwar ist in der Forschungspraxis des objektiven Hermeneuten die ideale Kompetenz in || 327 Vgl. Walger (1995), S. 125 ff.; vgl. auch Walger (1999) 328 Vgl. Walger (1995), a.a.O.; zum Theorie-Praxis-Verhältnis der Bwl vgl. Walger (1994), ders. (1998), Kappler (1974a), ders. (1976), ders. (1992b), ders. (1994) und ders. (2003); Scheytt (2006), Gutenberg (1957) 329 Vgl. Oevermann et al. (1979), S. 388, Gadamer (1972), S. 465 330 Vgl. Oevermann (1973a), S. 23ff., ders. (1983), S. 134ff.

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ähnlicher Weise wie die des Unternehmers getrübt.331 Dem objektiven Hermeneuten kommt aber die Aufgabe zu, sein implizites Wissen von den in der zu analysierenden Interaktion geltenden Regeln möglichst unbegrenzt zum Einsatz zu bringen und sich der idealen Kompetenz möglichst weitgehend anzunähern.332 Dazu kann er Vorkehrungen treffen, aber er kann nie behaupten, sein Urteil sei restlos ungetrübt, reine Kompetenz, weshalb der Prozess der Wissenschaft prinzipiell als unabgeschlossen gilt. Der Wissenschaftler kann daher mit seiner intuitiven Urteilskraft die geltenden Regeln nur im Vorgriff auf Basis einer weitgehenden Annäherung an die ideale Kompetenz in Einsatz bringen und sinnvolle von nicht sinnvollen Fällen unterscheiden. Die theoretische Begründung für diese von ihm in dieser Weise in Einsatz gebrachten Regeln entsteht erst im Nachhinein, wenn den als sinnvoll beurteilten Handlungen regelangemessene objektive Bedeutungen zugeordnet sind, die eine Explikation der geltenden Regeln erlauben. Mit diesen nachträglichen, theoretischen Begründungen erhält der Forscher auch die Begründung für seine in Einsatz gebrachte Kompetenz und dafür, dass das zu dieser korrespondierende, intuitive Urteil verlässlich gewesen ist.333 In diesem Sinne expliziert der Forscher aus den auf der Basis einer weitgehenden Annäherung an das Ideal der Kompetenz als sinnvoll beurteilten Fällen die Regeln, die das kompetente Handlungssubjekt handlungspraktisch gewusst bzw. durch sein Handeln in Erfahrung gebracht hat, d.h. dass es sich bei der Kompetenztheorie der objektiven Hermeneutik nicht um ein die Regelkompetenz konstruierendes Modell, sondern um ein die Regelkompetenz des Untersuchungssubjekts rekonstruierendes Modell handelt. Diese die Kompetenz beschreibende Theorie ist empirisch, denn ihre Geltung kann mit Bezug auf weitere beobachtbare Handlungen überprüft werden. Sie stellt ein Theoriemodell für die Erklärung menschlichen Handelns dar, das der Falsifizierbarkeit im Sinne Poppers genügt.334 Denn bereits eine einzige, als sinnvoll beurteilte Handlung, die nicht mit Hilfe der Regeln der Kompetenztheorie erklärt bzw. deren Bedeutung nicht generiert werden kann, reicht hin, um die Theorie bzw. das explizierte Regelsystem zu widerlegen bzw. zu modifizieren. Da diese Regeln ein eng verknüpftes System bilden, hat ein solcher Fall weitreichende Konsequenzen für die Umformulierungen der Theorie. Dies bedeutet, dass sie die unter bestimmten Voraussetzungen hergestellte und in Anspruch genommene intuitive Urteilskraft des Forschers als bewährt annimmt und zwar solange, wie durch weitere Analysen die als geltend

|| 331 Oevermann spricht in Entsprechung des Begriffs der Aufklärung nicht von begrenzter, sondern getrübter Kompetenz. 332 Zum Wissensbegriff in der Bwl vgl. Walger/ Schencking (2001b), Walger (2000b), Kappler (1996) 333 Vgl. Oevermann (1983a), S. 134ff., ders. (1979), S. 387ff. 334 Vgl. Oevermann (1973a), S. 23; ders. (1979), S. 150, vgl. Popper (1984), S. 15

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angenommenen Regeln nicht revidiert werden müssen. Die objektive Hermeneutik geht also mit dem Problem des hermeneutischen Zirkels um, indem sie die Regeln als vorläufig geltend annimmt und durch Explikation empirisch überprüfbar macht, die der objektive Hermeneut im Vorgriff in der Analyse unter bestimmten Voraussetzungen zur Beurteilung regelangemessener Fälle implizit in Einsatz bringt. Der Forscher, der das die Kompetenz ausmachende Regelsystem explizieren will, muss die ideale Kompetenz zwingend voraussetzen. Andernfalls ist nämlich eine Unterscheidung von sinnvollen und nicht sinnvollen Handlungen unmöglich. Insofern gilt die Kompetenztheorie, ohne dass sie ausformuliert ist. Oevermann geht sogar so weit zu argumentieren, dass die Kompetenztheorie erst dann widerlegt ist, wenn nachgewiesen ist, dass ein Urteil über die Sinnhaftigkeit von Handlungen bzw. die Regelangemessenheit ihrer objektiven Bedeutung dem Menschen nicht möglich ist und stellt in Frage, dass es möglich ist, diesen Nachweis zu führen.335 Die Möglichkeit des Forschers, die Sinnhaftigkeit von Handlungen bzw. die Regelangemessenheit ihrer objektiven Bedeutung zuverlässig zu beurteilen, hängt davon ab, dass er sich der idealen Kompetenz möglichst weitgehend annähert. Dazu hat Oevermann eine der Methodologie der objektiven Hermeneutik entsprechende Kunstlehre entwickelt und Vorkehrungen für den objektiven Hermeneuten formuliert, z.B. die Analyse unter Bedingungen der Nichtbetroffenheit und Handlungsentlastetheit durchzuführen.336 Die objektive Hermeneutik macht zwar keinen erkenntnislogischen Unterschied zwischen dem Forscher und dem Handlungssubjekt. Beiden kommt die Möglichkeit zu, die objektive Bedeutung einer Handlung zu erkennen. Der Wissenschaftler steht allerdings im Sinne seiner Verpflichtung zum Streben nach (letztlich nie erreichbarer) Wahrheit in der besonderen Verantwortung, mit Hilfe der Kunstlehre die Trübung seiner Kompetenz zu minimieren und die Wahrnehmung dieser Aufgabe erfordert und rechtfertigt, dass er von der praktischen Handlung entlastet ist und er sich ihr enthält. Dies bedeutet, dass Forscher und Handlungssubjekt einer handlungslogischen Differenz unterliegen: Die unter den handlungsmäßig ganz unpraktischen Bedingungen von Wissenschaft sich vollziehende Erkenntnis des Forscher zielt auf Erklärung und Rekonstruktion, die unter Bedingungen der Praxis sich vollziehende Erkenntnis des Handlungssubjekts auf praktische Handlung.337 Auf der Grundlage, dass der objektive Hermeneut sich der idealen impliziten Regelkompetenz möglichst weitgehend annähert, kann er die Rekonstruktion der objektiven Bedeutung der Handlungen des Unternehmers nachträglich

|| 335 Vgl. Oevermann (1973a), S. 27 336 Zur Kunstlehre in der Bwl vgl. Walger (1994), Kappler (1992b), ders. (1994) 337 Vgl. Oevermann (1983a), S. 135, Humboldt (1996), S. 255

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durchführen. Im ersten Schritt bedeutet Rekonstruktion das Bergen der latenten objektiven Bedeutung in der im Protokoll dokumentierten Sprache des Falles. Dies steht im scharfen Gegensatz zur subsumtionslogischen Vorgehensweise, nach der das primäre Datenmaterial unter vorgefasste theoretische Kategorien gefasst wird. Dies hat zur Folge, dass das Problem der Operationalisierung von theoretischen Begriffen vor der empirischen Analyse entfällt. Während in dem subsumtionslogischen Vorgehen ein Fall unter vorbestimmte allgemeine Kategorien bzw. Regeln eingeordnet wird, stehen in den Fallrekonstruktionen der objektiven Hermeneutik diese zunächst in Frage. Was der im Protokoll erscheinende Fall ist, was er objektiv bedeutet und welche Regel in ihm gilt, muss sich an den Begriffen im Protokoll festmachen und unter Einsatz der an das Ideal angenäherten Kompetenz zur Explikation gebracht werden.338 Um die objektive Bedeutung einer Handlung zu bestimmen, müssen zunächst die Bedeutungsmöglichkeiten einer Handlungssequenz vollständig auf der Ebene der sprachlichen Interpretation des konkreten Fallbeispiels expliziert werden, d.h. es werden unter Bezugnahme auf die ideale Kompetenz des objektiven Hermeneuten alle nach sinnvoll annehmbaren Regeln geltende Lesarten des zu analysierenden Datenmaterials generiert.339 Für die Generierung dieser Lesarten wird kein fallspezifisches Kontextwissen eingebracht, aber es können Gedankenexperimente, die konkrete Äußerung kontrastierende Formulierungen, nicht fallspezifisches Kontextwissen und wissenschaftliche Theorien für die durch den Text des Protokolls gedeckten Auslegungen der Sequenzen genutzt werden. Der Bezug auf den Einzelfall, die Hinwendung zur Konkretion der Erscheinung und die detaillierte Analyse der Texten sowie die Prämisse, daß kein Partikel von analysierten Texten zu unscheinbar wäre, als dass er nicht aufschlußreich zu interpretieren sei, sind für die hermeneutische Interpretation wesentlich.340 Die unterschiedlichen, gedanklich oder theoretisch inspirierten Verstehensmöglichkeiten einer protokollierten Handlungssequenz stellen ihre latenten, objektiven Bedeutungsmöglichkeiten dar. Die Bedeutung einer sequentiellen Handlung eines Falls ist nicht eindeutig, sondern mehrdeutig, die Situation also immer als eine offene begriffen. Welche dieser unterschiedlichen, objektiven Bedeutungsmöglichkeiten bzw. prinzipiell möglichen Denkarten sich als tatsächlich gültig erweist, kann und muss im zweiten Schritt der Forscher prüfen, indem er den in seinem vorliegenden Protokoll dokumentierten Handlungssequenzen folgt und die Lesart identi-

|| 338 Vgl. Oevermann (1983b), S. 234ff.; vgl. Miethe (2000), S. 17ff. 339 Oevermann verweist darauf, dass der Forscher mit solchen Theorien heuristisch und nicht subsumtionslogisch umgeht, vgl. Oevermann (1983b), S. 245 340 Vgl. Oevermann

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fiziert, die sich in diesem realisiert. Er setzt die von ihm generierten Lesarten einer Handlungssequenz und die Handlungen, die sinnvoll bzw. regelgerecht an sie angeschlossen werden können, ins Verhältnis zu den nachfolgenden Sequenzen des ihm vorliegenden Materials und vergleicht sie mit den in diesem protokollierten Daten. Nicht durch diese Daten abgedeckte Lesarten sind von ihm als ungültig abzulehnen und nur die Lesart, die sich anhand der vorliegenden Daten nachweisen lässt, erweist sich als die gültige Lesart bzw. als der durch die in der Interaktion geltenden Regeln generierte konkrete Einzelfall. In diesem Fall hat das Handlungssubjekt die offene Situation nachvollziehbar sinnvoll geschlossen, eine der objektiven Bedeutung der Situation angemessene Handlung gewählt und kompetent gehandelt. Kann hingegen keine Übereinstimmung zwischen Protokoll und gültiger Lesart hergestellt werden, muss die protokollierte Handlung durch das Handlungssubjekt subjektiv motiviert sein, und die Unmöglichkeit, dem im Protokoll dokumentierten Handeln eine sinnvolle Interpretation abzugewinnen, weist auf eine inkompetente Handlung hin.341 Die Gültigkeit der Lesart und die Angemessenheit der Handlungen müssen sich am Protokoll der Handlung zeigen und nachverfolgen lassen. Nur anhand des vorliegenden Protokolls ist ihre Bestimmung bzw. Nachvollzug methodisch gesichert, d.h. intersubjektiv nachvollziehbar und jederzeit überprüfbar, möglich.342 In diesem Sinne gründet die objektive Hermeneutik die Gültigkeit ihrer Analyse auf die Möglichkeit der Unterscheidung von Protokoll und protokollierter Wirklichkeit. Als Protokolle gelten in ihrem Sinne alle sprachlich verfassten Dokumentationen eines Handlungsverlaufs, z.B. verschriftete Tonbandaufzeichnungen, Briefe oder aufgeschriebene Erinnerungen. Auf dieses schriftlich vorliegende Material ist die Bezugnahme jederzeit möglich. Die flüchtige Wirklichkeit selbst ist demgegenüber der unmittelbaren wissenschaftlichen Einsicht entzogen, in sie ist ausschließlich praktische Erkenntnis möglich, die nicht dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit unterliegt bzw. genügt. Die objektive Hermeneutik macht also eine prinzipielle Differenz zwischen Protokoll und protokollierter Wirklichkeit, und die methodisch kontrollierte Rekonstruktion kann nur anhand der Protokolle der Wirklichkeit erfolgen.343 Trotz dieser Grenze sind Protokoll und Wirklichkeit unauflöslich aneinander gekettet, denn die Wirklichkeit vermittelt sich immer nur in Formen, die protokollierbar sind. Bleiben sie unprotokolliert, sind sie der wissenschaftlichen Einsicht entzogen. Die Wissenschaftlichkeit der Rekonstruktion ist also aus methodischen Gründen an der Protokolliertheit der

|| 341 Vgl. Oevermann et al. (1979), S412ff. 342 Dies bedeutet, dass der Wissenschaftler sein Vorgehen offen legt und die von ihm in Einsatz gebrachte Kompetenz kritisierbar macht. 343 Vgl. Oevermann (1993), S. 132ff.

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zu analysierenden Wirklichkeit festzumachen. Die objektive Hermeneutik versteht sich in diesem Sinne als die Position eines methodologischen Realismus.344 Indem der objektive Hermeneut schließlich an weiteren Sequenzen der dokumentierten Handlungsprotokolle jeweils die objektive Bedeutung der Handlungen des Handlungssubjekts birgt, kann er dessen Angemessenheitsurteile nachvollziehen und als Reproduktion bzw. Transformation der subjektiven Entscheidungsregel rekonstruieren. Solch eine Rekonstruktion, die regelangemessene Handlungsabläufe und bezogen auf größere Zeiträume Teile von dem oder den gesamten, wohlgeformten Kompetenzentwicklungsprozess repräsentiert, bringt einen Idealtypus hervor, dem unabhängig von der Häufigkeit seiner Verbreitung allgemeine Bedeutung zukommt. Ihm kommt allgemeine Bedeutung zu, da diese Bedeutung mit Bezug auf die allgemein gültigen Regeln generiert wird. Er ist empirisch und individuell konkret, da mit seiner Hilfe die Handlungen des beobachteten und analysierten Handlungssubjekts erklärt und prognostiziert werden kann.345 Der Schluss vom konkreten Einzelfall auf die in ihm eingebettete, allgemeine Bedeutung wird in Anlehnung an Peirce als „Abduktion“ bezeichnet.346 In Relation zur abstrakt isolierenden Vorgehensweise Gutenbergs ist das Verfahren ein anderes. Das Theoretische ist nicht die Abstraktion von der Individualität und Unterschiedlichkeit des empirischen Falls, sondern die Generierung der an ihm anhaftenden, spezifischen und einmaligen Bedeutungsmöglichkeiten. „Der Aspekt macht den Gegenstand zur Aufgabe und dieser ist in beiden Fällen verschieden!“347 In Bezug auf die Erforschung der Kompetenz von Handlungssubjekten geht es forschungsstrategisch darum, die Analyse einiger weniger, möglichst vielfältiger regelangemessener Fallbeispiele vorzunehmen, d.h. um möglichst unterschiedliche Idealtypen von Kompetenzentwicklung. Dies stellt also genau die gegensätzliche Vorgehensweise dar zu der der standardisierten empirischen Sozialforschung, die zur Absicherung allgemeiner Hypothesen eine möglichst große Anzahl von Fällen erhebt. Nach Einschätzung Oevermanns werden mit der Zeit neue Fälle den Erkenntnissen aus früheren nicht mehr viel Neues hinzufügen und man wird dazu übergehen können zu untersuchen, welchem allgemeinen Idealtypus einzelne Fälle zuzuordnen sind. Dabei können standardisierte Methoden der empirischen Sozialforschung Abkürzungsverfahren darstellen, die aus || 344 Vgl. Oevermann (1983a), S. 113 und S. 140, Oevermann (1993), S. 140, Garz/ Kraimer (1994), S. 8f. 345 Vgl. Oevermann (1973), S. 8 346 Vgl. Oevermann (2001), S. 209 ff., ders. (1993a), S. 177ff., ders (1981), S. 3f., vgl. Peirce (1976), S. 403 ff.; zur Kritik der Abduktion in der Forschungslogik der objektiven Hermeneutik vgl. Reichertz (1994), S. 140ff.; zum Verhältnis von bestimmender und reflektierender Urteilskraft vgl. Kant (1993), S. 207ff., Miethe (2000), S. 32ff., Gadamer (1972), S. 27ff. 347 Vgl. Gutenberg (1929), S. 19

Die Rekonstruktion der Kompetenzentwicklung des Unternehmers | 105

forschungsökonomischen Gründen eingesetzt werden.348 Es besteht allerdings die Gefahr, dass eine solche Zuordnung einzelner Fälle zu allgemeinen Idealtypen nicht im abduktiven Schluss erfolgt sondern diese nur unter ihn subsummiert werden. Die objektive Hermeneutik ermöglicht, den Kompetenzentwicklungsprozess des Unternehmers anhand von Protokollen nachzuvollziehen, die unternehmerische Handlungen dokumentieren. In der empirischen Interaktion bringt der Unternehmer seine Kompetenz implizit in Einsatz, d.h. dass er das intuitive Angemessenheitsurteil seiner subjektiv ausgewählten Handlungsoption in Bezug auf ihren Erfolg am Markt im Handeln fällt und die sich als geltend erweisenden Regeln verinnerlicht, ohne dass sie ihm reflexiv und vollständig explizierbar zur Verfügung stehen.349 Die objektive Hermeneutik ist eine Methodologie, die mit Bezug auf zur Verfügung stehende Protokolle die impliziten Entscheidungen des Unternehmers expliziert, die Angemessenheit seiner Urteile in Bezug auf das Entstehen bzw. die Entwicklung des Unternehmens im Nachvollzug prüft und die sich als geltend erweisenden Regeln birgt. Für diese Analyse ist es notwendig, die objektive Bedeutung der Handlungen des Unternehmers zu generieren, die ihre Bedeutung generierenden Regeln und sinnvoll möglichen Handlungsoptionen zu bestimmen und im Handlungsverlauf die vom Handlungssubjekt gefällten impliziten Auswahlentscheidungen nachzuvollziehen. 350 Indem eine Folge von Sequenzen analysiert wird und sich erweist, dass durch die Handlungen des Handlungssubjektes im Ergebnis ein Unternehmen entstanden ist, können diese als kompetente Handlungen eines Unternehmers qualifiziert werden. Die Regeln, deren Reproduktion bzw. Transformation in diesem Handeln nachgewiesen werden kann, können als die Kompetenz des Unternehmers bestimmt werden, die sich im vorliegenden Fall erwiesen hat. Solange das Handeln sich als angemessen gemäß der im Vorhinein gesetzten rationalen Regel der Kapitalverwendung erweist, indem z.B. eine vorgefertigte Organisationslösung implementiert wird, ist auch der Manager unternehmerisch erfolgreich. Das unternehmerische Handeln und das Handeln eines Managers kann insoweit unterschieden werden, wie die Detailliertheit des Protokolls den Unterschied dokumentiert, dass das Handeln die für das Entstehen bzw. die Entwicklung des Unternehmers sich als geltend erweisende Regel realisiert bzw. die im Vorhinein festgesetzte Regel der rationalen Kapitalverwendung reproduziert. 351

|| 348 Vgl. Oevermann (1976), S. 290 349 Vgl. Oevermann (1976) S. 275 350 Vgl. Oevermann et al. (1979), S. 353, zum Rekonstruktionsbegriff in der Bwl vgl. Kappler (1976), ders, (1983), ders. (1984), ders. (1994), Walger (1993) 351 Vgl. Oevermann (1991), S. 304

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Das Auseinanderfallen der für das Entstehen bzw. die Entwicklung des Unternehmens sich als geltend erweisenden Regel und der im Vorhinein festgesetzten Regel der Kapitalverwendung lässt das Problem entstehen, dass Manager in Bezug auf vorab gesetzte Regeln handeln, die nicht notwendig identisch sind mit den Regeln, die sich für den Erfolg des Unternehmens am Markt als geltend erweisen. Da mit den vorab festgesetzten Regeln oftmals Anreizsysteme verbunden sind, realisieren dann Manager in ihrem Handeln ihren persönlichen Erfolg zu Lasten des Unternehmens. Eine solche ggf. bestehende Diskrepanz ist also nicht unbedingt auf regelabweichendes oder unethisches Verhalten zurückzuführen.352 Vielmehr kann es durch regelkonformes Handels bedingt sein, und das eigentliche, durch die Regel-Konstruktion geschaffene Problem kann durch die Rekonstruktion empirischer Fälle sichtbar gemacht werden. Die Rekonstruktion der Rationalität der Kapitalverwertung expliziert eine Kompetenz, die das Handlungssubjekt Manager und austauschbarer Akteur sein lässt. Die Rekonstruktion der Regel, deren Reproduktion bzw. Transformation sich für das Unternehmen als geltend erweist, expliziert eine Kompetenz, die das Handlungssubjekt Unternehmer sein lässt und ihm eine individuelle Subjektivität verleiht. Die Kompetenz des Managers kann rekonstruiert werden, wenn er der im Vorhinein gesetzten Regel folgt, auch wenn das Unternehmen sich am Markt nicht als erfolgreich erweist. Die Rekonstruktion der Kompetenz des Unternehmers bedarf des Erfolges des Unternehmens am Markt. Eine Fallrekonstruktion kann darüber hinaus potentiell unternehmerisches Handeln sichtbar machen, das bisher in der Praxis nicht vorkam.353 Solche vom Unternehmer nicht realisierte Handlungen, die in der Analyse als regelangemessene Handlungsmöglichkeiten generiert werden, können als unternehmerische Optionen bezeichnet werden. Ihre als Regelwissen explizierte Kompetenz hat den Charakter einer Hypothese, deren objektive Geltung unter dem Vorbehalt des Markterfolges steht.

|| 352 Vgl. Holzmann (2015); vgl. Hentze (2009) 353 Vgl. Oevermann (1996a), S. 17

5 Fallbeispiel: Die Kompetenz des Start-upUnternehmers Gründer von Start-ups werden heute für Unternehmer gehalten. Ob sie dies sind, wird im Folgenden exemplarisch analysiert. Die Kompetenz des Start-upGründers wird anhand eines praktischen Falles expliziert und seine Kompetenz als Unternehmer geprüft. Unternehmen werden heute, außer von Handwerkern und Freiberuflern, vornehmlich als Start-ups gegründet. Start-ups sind unternehmerische Vorhaben, die einen neuen Markt erschließen, ein innovatives, skalierbares Produkt entwickeln oder ein neues Geschäftsmodell erproben. Mit ihnen werden schnelle und hohe Wachstumserwartungen und Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung und Erneuerung verbunden. Häufig werden sie von Teams gegründet und durch Venture- bzw. Risikokapital finanziert.354

5.1 Vorbemerkung zum Material und zum Umfang sowie Geltungsanspruch der Analyse Im Folgenden wird ein typisches Beispiel der Gründung eines Start-ups analysiert. Das der Analyse zugrunde liegende Material ist das anonymisierte Protokoll eines Beratungsgesprächs, in dem ein Berater (B) den Gründer (G1) eines Start-Ups (SU) berät. Das etwa vierstündige Gespräch wurde von einem Protokollanten handschriftlich aufgezeichnet und die wörtlichen Redebeiträge der Beteiligten wurden in verdichteter Form festgehalten. Das Protokoll dokumentiert zum einen die Interaktionen zwischen dem Berater B und dem Gründer G1. Zum anderen protokolliert es das Geschehen, von dem G1 berichtet. In diesem Bericht wird die Situation des SU deutlich und wie G1 in ihr in Relation zu seinen Mitgründern und den Investoren agiert. Das Protokoll unterscheidet sich von denen der objektiven Hermeneutik, wie sie Oevermann i.d.R. verwendet. Dies hat Bedeutung für den Geltungsanspruch der Analyse. Oevermann hat für die Entwicklung der objektiven Hermeneutik seine Protokolle für die empirische Analyse von familiären Sozialisationsprozessen durch teilnehmende Beobachtung in Familien und die Aufzeichnung der Dialoge in den Familien mit Hilfe von Tonbändern gewonnen, die er im Nachhinein

|| 354 Vgl. Raeithel/ Tanneberger (2009), Abs. 2; Gründungen im Team werden von der Politik besonders gefördert, vgl. exemplarisch das EU-Förderprojekt „Gründen im Team“ unter www.g-i-t.de

DOI 10.1515/9783110549553-005

108 | Fallbeispiel: Die Kompetenz des Start-up-Unternehmers

wortwörtlich verschriftet hat.355 Solch eine direkte Protokollierung von SprechHandlungen der Gründungssituation steht hier nicht zur Verfügung. Bei dem vorliegenden Material handelt es nicht um unmittelbar sondern um mittelbar aufgezeichnete Sprech-Handlungen der Beratungssituation von B mit G1, in denen die Gründungssituation besprochen wird. 356 Das Berichtete stellt quasi selbst ein Protokoll des Gründungsgeschehens dar, und das vorliegende Material ist damit quasi das Protokoll einer Protokollierung. Da der vorliegende Text eine Äußerung des Protokollanten ist, der die soziale Interaktion zwischen G1 und B aufzeichnet und in einer zusammengefassten, verdichteten Form wiedergibt, können Aufzeichnungsfehler, die durch den Protokollanten bedingt sind, nicht vollständig ausgeschlossen und nicht mehr im Nachhinein durch Abgleich mit einem Tonband o.ä. nachvollzogen werden.357 Insoweit grenzt dies den Geltungsanspruch der Analyse ein bzw. setzt voraus, dass der Protokollant die Sprech-Handlungen von G1 und B angemessen und nicht sinnverzerrend protokolliert hat. Der Anspruch auf Gültigkeit der Analyse kann sich nur auf die protokollierten Handlungen erstrecken. Der Anspruch, dass inkorrekte Aufzeichnungen oder Verzerrungen des Protokollanten im Verhältnis zu seinem Text erkannt werden könnten, wird hier nicht erhoben. Nur insoweit das Protokoll die Äußerungen der Beteiligten sprachlich korrekt aufzeichnet, kann die latente Sinnstruktur der durch das Protokoll dokumentierten Handlungen geborgen und die Geltung der Analyse beansprucht werden. Zum anderen wird das Gründungsgeschehen von G1 nur in Ausschnitten beschrieben worden sein. Das Gespräch bezieht sich auf einen Interaktionszeitraum von ca. zwei Jahren. Deshalb ist das Geschehen nur unvollständig dokumentiert. Unter diesem Vorbehalt wird im Folgenden die Analyse der sozialen Handlungen des Gründungsgeschehens versucht. Sie ist nur auf der Basis des vorliegenden Materials möglich - da diese Handlungen in anderer Form nicht dokumentiert sind. Die nachfolgende Analyse weicht von dem Verfahren ab, das Oevermann entwickelt hat. Denn das Protokoll bzw. der Bericht von den Interaktionen des eigentlichen Gründungsgeschehens ist trotz der Verdichtung äußerst umfangreich und nicht im strengen Sinn sequenzanalytisch geordnet. Die Interpretation kann

|| 355 Vgl. exemplarisch Oevermann (2003); zur Rekonstruktion unternehmerischen Handelns auf der Basis von Beschreibungen vgl. Brosziewski (1993) 356 Das Protokoll ist ursprünglich in einem praktischen Kontext entstanden und nicht für die wissenschaftliche Analyse erstellt worden. Es handelt sich also um eine Art „Zweitverwertung“ des Protokolls. Die unmittelbare Protokollierung von Interaktionen der unternehmerischen Praxis für die wissenschaftliche Analyse stellt sicherlich eine besondere, zusätzliche Herausforderung dar. 357 Man könnte das Protokoll mit einem Kunstwerk vergleichen, insoweit es eine soziale Interaktion angemessen protokolliert. Kunstwerke wiederum sind programmatisch und praktisch Gegenstand der Interpretation durch objektive Hermeneuten, vgl. exemplarisch Loer (1984)

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daher nicht einfach dem Protokollverlauf folgen sondern muss auf die Stellen im Protokoll Bezug nehmen, die für die spezifische Gründungssituation des SU bedeutsam sind. Weiterhin wird die Analyse auf die Frage nach der Kompetenz des Unternehmers begrenzt und geprüft, ob der Gründer kompetent als Unternehmer gehandelt hat. Die darüber hinaus gehende Analyse, inwieweit G1 z.B. kompetent als Manager oder als Akteur am Kapitalmarkt oder B als kompetent Berater gehandelt hat, bleibt hier außer Betracht.

5.2 Analyse Zu Beginn des Protokolls berichtet G1, dass er das Start-up SU mit drei anderen Gründern gegründet hat und es in diesem um die industrielle Produktion eines Gases aus Biomasse geht. Dass es um diese Produktion dieses Gas „geht“ bedeutet, dass das Gas noch nicht hergestellt wird und diese Form der Herstellung eine Intention ist. Das SU ist noch kein „richtiges“ Unternehmen sondern ein unternehmerisches Vorhaben zur Entwicklung einer Produkt- oder Verfahrensinnovation. Das Produkt bzw. Verfahren ist noch nicht zur industriellen Reife entwickelt und die mit dieser Intention verbundene Unwägbarkeit zeichnen es als ein Start-up aus. „G1 berichtet B, dass er vor eineinhalb Jahren zusammen mit drei anderen Gründern das Start-up SU gegründet habe, in dem es um die Herstellung von Gas aus Biomasse gehe.“358

G1 beschreibt das SU als ein Unternehmen, das am Markt der großen Kraftwerksbetreiber agieren und die ökologische Vorteilhaftigkeit des Verfahrens bzw. des durch das Verfahren produzierten Bio-Gases in Preisvorteile für seine Kunden ummünzen soll. Inwieweit die Leistungen des SU, die noch nicht hergestellt werden, in der beabsichtigten Weise und Menge vermarktbar sind sowie der kalkulierte Preisvorteil realistisch und für den Kunden kaufentscheidend ist, muss sich erst noch erweisen. Mit der industriellen Produktionsweise und der Ausrichtung am Bedarf großer Kraftwerksbetreiber beabsichtigen die Gründer ein großes Unternehmen zu verwirklichen, das große Mengen herstellt und vermarktet, große Umsätze macht, hohe Investitionen erfordert, ein großes Risiko birgt und das durch externe Investoren finanziert wird.

|| 358 Diese und die weiteren Zitate beziehen sich auf das nachfolgende Protokoll

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„Grundlage für diese Herstellung sei ein Verfahren, dass die industrielle Produktion mit einer Qualität ermögliche, die von Seiten großer Gas-Kraftwerksbetreiber gefordert werde.“ „G1 sagt, ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass die Unternehmung erforderte, Finanzinvestoren reinzunehmen und den eigenen Anteil zu verkleinern.“

G1 bezeichnet sich als den Initiator der Gründung, der für diese Intention seinen Job als angestellter Mitarbeiter gekündigt hat. Er hat seine Anstellung als Berater aufgegeben und sich in eine neue Situation gestellt, in der es für ihn gilt, als Unternehmer zu handeln. Zunächst hat er zusammen mit einem weiteren Gründer G2 zusammen das SU gegründet, die anderen beiden Gründer sind von ihnen zu einem späteren Zeitpunkt beteiligt worden. „G1 konkretisiert, dass die Gründung des Unternehmens SU auf seine Initiative hin erfolgt sei, als G2 ein Angebot für eine Habilitation bei einem Groß-Forschungsinstitut bekommen habe. Als er selbst davon erfahren habe, habe er seinen Job als Berater bei einer großen internationalen Beratungsgesellschaft gekündigt. Er wollte die Chance auf keinen Fall vergehen lassen und habe mit G2 das Unternehmen gegründet. Jeder habe 50% der Anteile der GmbH übernommen.“

Unabhängig davon, wie konkret oder realistisch die Chance gewesen ist, die G1 in der Gründung gesehen und mit ihr intendiert hat, bedeutet seine Kündigung einen emanzipatorischen Akt. Er hat die wirtschaftliche Sicherheit der Anstellung verlassen und das Risiko seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, das bisher die Beratungsgesellschaft getragen hat, selbst übernommen. Die Gründung der GmbH lässt eine fiktive, juristische Person entstehen, die rechtlich verbindlich agiert, indem G1 und G2 einzeln oder gemeinsam handeln und Rechtsverhältnisse konstituiert bzw. Regeln, die ihre Rechte und Pflichten untereinander und im Verhältnis zu der Gesellschaft festlegen. Die Gründer haben die Pflicht, für die Liquidität der Gesellschaft zu sorgen, Beschlüsse werden mit Mehrheit der Stimmrechte gefasst, jeder Gesellschafter hat das Recht auf Anteile am Gewinn, ihre Haftung ist auf das eingelegte Kapital begrenzt bzw. überträgt es auf diese fiktive Rechtsperson (allerdings bleiben G1 und G2 als Geschäftsführer für bestimmte Risiken haftbar), etc. Die durch die Wahl der Rechtsform bedingten Regeln sind bei der Analyse zu berücksichtigen. Mit dieser Gründung des SU hat G1 sich in eine Situation gestellt, in der die Leistung, mit der er erfolgreich sein kann, in Frage steht und auch der Markt, an dem er erfolgreich tätig sein kann, ungewiss ist. Sein Erfolg als Unternehmer hängt nicht mehr wie als angestellter Mitarbeiter der Beratungsgesellschaft davon ab, seine Arbeitskraft gegen Bezahlung zur Verfügung zu stellen und eine durch seine Vorgesetzten bestimmte Leistung zu erbringen, die dieser beurteilt und deren unternehmerisches Risiko er verantwortet. Der Vorgesetzte leitete die Tätigkeit des G1 an und in Abhängigkeit davon, wie kompetent dieser agiert hat, sind das Beratungsunternehmen und auch G1 erfolgreich gewesen. Im Gegenzug gewährte die Beratungsgesellschaft dem G1

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die Sicherheit, ihn als Mitarbeiter zu beschäftigen und ihm ein Gehalt für die von ihm geleistete Arbeit zu zahlen.359 Als Gründer und Geschäftsführer des SU ist er nun gefragt, eine fertige Leistung bzw. ein bestimmtes Arbeitsergebnis selbst zu bestimmen und als Produkt oder Dienstleistung zu vermarkten. Erst die erfolgreiche Vermarktung des eigenen Angebots macht die GmbH „lebensfähig“ und G1 zum Unternehmer. G1 kann zwar z.B. einen Kunden fragen, was er diesem anbieten soll, aber er bleibt selbst für das, was er anbietet und welches Arbeitsergebnis er erstellt, verantwortlich. Er kann diese Verantwortung nicht an einen anderen abgeben. Er muss zum einen bestimmen, was er anbietet und welche Leistung er erstellt, und zum anderen muss er das Risiko für das Ergebnis bzw. den Erfolg tragen, den er am Markt erzielt. Die Übernahme dieser Verantwortung für die eigene Leistung, ohne sich über einen Dritten seines Erfolgs versichern zu können, qualifiziert den Unternehmer in Relation zum Mitarbeiter. Die Übernahme dieser Verantwortung ist der Preis der Freiheit des Unternehmers. Die Erbringung dieser selbstbestimmten Leistungen, die sich am Markt als erfolgreich erweisen, und die Übernahme des damit verbundenen Risikos macht die Kompetenz des Unternehmers aus und bestimmt seine neue Identität. G1 ist kein angestellter Berater einer großen, internationalen Beratungsgesellschaft mehr sondern ein Gründer des SU und es steht noch in Frage, ob und inwieweit die von ihm intendierte Konzeption realisierbar ist bzw. er unternehmerisch angemessen agiert und SU als ein Unternehmen entsteht, das ihn zum Unternehmer macht. G1 hat das SU zusammen mit G2 gegründet. G1 hat nicht die alleinige unternehmerische Verantwortung für das SU übernommen sondern sich der Mit-Verantwortlichkeit des G2 versichert, dem er ein bestimmte, für das SU von ihm als notwendig erachtete unternehmerische Kompetenz zuschreibt, die er sich selbst nicht zubilligt. Denn G1 bezeichnet im Protokoll den G2 als den technischen Knowhow-Träger, spricht von ihm als „Erfinder .., von dessen Erfindungen die Unternehmung abhänge“ (bzw. G1 widerspricht nicht, dass G2 sich selbst so selbst beschreibt) und sagt von ihm, dass dieser im Unterschied zu ihm selbst für das Unternehmen unabdingbar ist. Die „Chance“, die G1 in dem Unternehmen gesehen hat, hängt für ihn daran, dass er sie zusammen mit G2 realisiert, er hätte sie „vergehen“ lassen, wenn dieser eine andere Anstellung angenommen hätte. G1 hat mit dem SU ein Unternehmen konstituiert, dessen Entstehen er von einer Kompetenz, die er G2 zuweist, abhängig macht und für das er sich selbst nur als bedingt kompetent erachtet. Im einem zweiten Schritt beteiligen G1 und G2 zwei weitere Gründer an dem SU. G3 ist wie G1 Betriebswirt und arbeitet mit diesem in dessen Verantwortungs-

|| 359 Auch wenn das Beschäftigungsverhältnis bei einer i.d.R. Beratungsgesellschaft befristet wird, bietet es doch für diesen Zeitraum eine Sicherheit.

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bereich, G4 ist wie G2 Techniker, der an der technischen Entwicklung des Verfahrens mitwirkt. Die Anteile an dem Unternehmen werden neu verteilt, indem zum einen ein Unternehmenswert auf der Basis des Business Plans berechnet wird, in dem die Intentionen der Gründer ausformuliert werden und festgelegt wird, welche Ausgaben getätigt und welche Einnahmen erzielt werden sollen sowie welcher Gewinn in welcher Zeit erwartet wird. Zum anderen werden die Leistungen der Gründer, die diese erbracht haben und noch erbringen sollen, bewertet. G1 und G2 übernehmen je 10% der Unternehmensanteile als Gegenleistung für das eingebrachte Patent und die im ersten Schritt erbrachten Leistungen und jeder der nun vier Gründer 20% der Anteile dafür, dass er drei Jahre lang im SU weiter mitarbeitet und ein Teil seines Gehaltes wird für den Kauf dieser Anteile verwendet (Vesting Vereinbarung). Zudem wird jeder der vier Gründer Geschäftsführer des SU. Mit diesem Schritt verpflichten die Gründer sich untereinander, die aufgestellte Rechnung und die ihr zugrunde liegende Intention, das Herstellverfahren zur industriellen Reife zu entwickeln und zu vermarkten, zu realisieren und G1 und G2 versichern sich so, wie G1 sich der Mit-Verantwortlichkeit des G2 versichert hat, der Mit-Verantwortlichkeit des G3 und G4 für das SU. „Später hätten sie zwei weitere Gründer, einen Naturwissenschaftler und einen weiteren Betriebswirt dazu genommen, und die Anteile seien im Verhältnis 30:30:20:20 verteilt worden.“

Die Tätigkeiten des G2 und G4 führen nicht zu dem intendierten Ergebnis und G1 kann keine Leistungen am Markt verkaufen sowie nicht die Einnahmen erwirtschaften, um die Ausgaben des SU zu decken. Um SU zu finanzieren, verkaufen G1 und G3 Anteile der Gründer an dem SU an einen Investor. Damit verpflichten sich die Gründer gegenüber dem Investor, den dem Verkauf zugrunde gelegten Business Plan und die in ihn eingegangene Intention zu verwirklichen, der diesem eine bestimmte Verzinsung des von ihm eingesetzten Kapitals verspricht. Zudem reduzieren sich die Anteile der beiden anfänglichen Gründer auf eine Minderheit von 48% und die des G1 auf 24%. „Durch die Hereinnahme eines Investors, der 20% der Anteile übernommen habe, haben sich diese Verhältnisse auf 24:24:16:16 reduziert.“

Auch die weitere technische Entwicklung führt nicht zu dem geplanten Ergebnis. Für G1 sind zu dem Zeitpunkt des Gesprächs mit B noch weitere Investitionen notwendig, die die Funktionsfähigkeit des industriellen Verfahrens nachweisen sollen. „Bisher gebe es nur einen Labor-Reaktor, der nur geringe Mengen des Gases unter Laborbedingungen herzustellen erlaube. Erst der Bau einer industriellen Pilot-Anlage ermögliche eine Produktion in der notwendigen Größenordnung und beweise, dass das Verfahren unter industriellen Bedingungen funktioniere.“

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Diese Investition will G1 neuerlich durch den Verkauf von Anteilen am Kapitalmarkt finanzieren. „G1 berichtet, dass die Anteile der Gründer kurzfristig weiter reduziert würden, weil sie gerade dabei seien, einem weiteren Investor Anteile zu verkaufen, um die notwendige Finanzierung für den Bau einer Industrie-Anlage zu generieren.“ „Das Problem sei, dass das Unternehmen einige Millionen für die Produktionsanlagen investieren und dieses Geld irgendwoher genommen werden müsse.“

G1 beabsichtigt, auch über die Kunden eine Finanzierung der Investition zu erreichen. „G1 sagt, dass sie dabei seien, konkrete Verträge mit Partnern abzuschließen, die in die Entwicklung investieren. Diese Partner würden einen Anteil an dem produzierten Bio-Gas aus der Anlage erhalten.“

Ob dieses Angebot angenommen wird, steht noch in Frage. Denn die Verträge sind noch nicht abgeschlossen und es ist noch ungewiss, ob und unter welchen Bedingungen die Partner in die Entwicklung des Verfahrens investieren. Das Angebot zeigt, dass G1 immer weiter in die Entwicklung des Verfahrens zu investieren bereit ist. G1 setzt keine Grenze für die Investition, er finanziert quasi unbegrenzt die Entwicklung des technischen Verfahrens und verkauft immer weitere Anteile zur Finanzierung der Arbeiten an der angestrebten Intention. G1 und G2 werden zu Minderheitsgesellschaftern, deren Anteil am SU immer kleiner wird und die sich von der Finanzierung durch die Investoren abhängig machen. „Die Gründer hätten zwar schon einmal eine Kapitalerhöhung verhindert, aber die Investoren hätten daraufhin einfach abgewartet, bis wieder Geld vonnöten gewesen sei.“

Es steht noch in Frage, ob die Investoren das SU übernehmen oder die Gründer bei der Herstellung und Vermarktung der Produkte unterstützen. G1 agiert in Relation zu ihnen zunehmend wie ihr Assistent, empfindet sich als „ohnmächtig“ und überlässt ihnen das unternehmerische Handeln, das er als Geschäftsführer des SU allerdings verantwortet. Für G1 wird es zunehmend schwerer, die Dinge im SU zu bestimmen und unternehmerisch zu agieren. „Dieser (externe Investor, R.N.) habe nach dem Verkauf seines Unternehmens viel Zeit und begonnen, sich aktiv in die Geschäftsführung von SU einzumischen. Bei großen Verhandlungen seien die Gründer inzwischen seine Assistenten.“ „G1 sagt, ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass die Unternehmung erforderte, Finanzinvestoren reinzunehmen und den eigenen Anteil zu verkleinern. Jetzt sei er aber in die Situation gestellt, dass ein Investor ihm operativ reinrede. Solange er „mächtig“ gewesen sei, sei es für ihn o.k. gewesen.“

114 | Fallbeispiel: Die Kompetenz des Start-up-Unternehmers

Die Intention, SU als einen industriellen Produzenten von Bios-Gas aufzubauen, hat sich für G1 und G2 bisher als nicht realisierbar erwiesen. G1 hat die Regel der industriellen Produktion des Bio-Gases für die Gründung des SU als geltend angenommen, aber die Gründer haben nicht gemäß dieser Regel agiert. Diese Regel besagt, nur in dem Maße in die Entwicklung zu investieren, die der Größe des Marktes und der Finanzierbarkeit der Investition entspricht. Die Gründer haben zwar diese Intention in einem Business formuliert, aber das damit bestimmte Ergebnis der technischen Entwicklung und der Vermarktung von Leistungen nicht erreicht. Dennoch haben sie die Geltung der Regel, die in Frage steht, nicht in Frage gestellt und immer weiter an der Entwicklung bzw. der Finanzierung dieser Tätigkeit durch den Verkauf von Unternehmensanteilen gearbeitet. Durch das Festhalten an ihrer Intention entsteht immer wieder ein Finanzierungsbedarf und kein sich refinanzierendes Unternehmen, und wenn die Gründer immer weiter Anteile zur Finanzierung ihres Vorhabens verkaufen, werden sie zu Managern, die am Ende keine Anteile am Unternehmen mehr haben. Indem G1 zusammen mit G2 das SU als einen Hersteller von industriell produzierten Bio-Gas oder entsprechender Anlagen gegründet hat, hat er versucht, mit ihm zusammen Unternehmer dieses Unternehmens, also in einer Art Symbiose mit ihm ein industrieller Produzent zu werden. In diesem Versuch hat sich G1 von dem G2 abhängig gemacht bzw. davon, dass sie als eine Handlungseinheit zusammen unternehmerisch kompetent agieren. G1 hat sich selbst nur als bedingt kompetent erachtet dafür, solch ein industrieller Produzent zu sein und darauf gesetzt, dass G2 die fehlende Kompetenz mitbringt bzw. entwickelt. Er hat versucht, den Erfolg des SU zu sichern, indem er zu G2 eine abhängige Beziehung eingegangen ist. In dieses Urteil, dass G2 kompetent agiert, ist die Beurteilung des G1 eingegangen und diese hat sich ihrerseits nicht als kompetent erwiesen. Indem G1 den technischen Verantwortungsbereich des G2 von dem seinem getrennt hat, hat er ihr Verhältnis so angelegt hat, dass nur G2 die fehlende, für das SU notwendige Kompetenz entwickeln kann. Er hat sich selbst der Möglichkeit beraubt, sie zu entwickeln. In diesem Sinne hat die Beziehung, die G1 mit G2 eingegangen ist und durch die er die Gründung des SU gewährleisten wollte, ihn gehindert, selbst die Gründung des SU zu sichern. Er hat insoweit genau durch den Akt das Scheitern des SU hervorgerufen, mit dem er es verhindern wollte. G1 hat versucht, den von ihm empfundenen Mangel an Kompetenz durch die Beteiligung des G2 am SU zu kompensieren. G2 hat die technische Expertise eingebracht, die G1 bei sich vermisste, aber nicht die notwendige unternehmerische Kompetenz. G1 hat die Verantwortung des Unternehmers nicht übernommen, die Herstellung der von ihnen bestimmte Leistung zu sichern, und G2 hat sie ebenso wenig übernommen. G1 hat gegenüber G2 nicht wie ein Unternehmer sondern wie ein Mitarbeiter agiert, der einem Vorgesetzten die unternehmerische Kompetenz zubilligt und dessen Führung folgt. Und G2 hat genauso gegenüber G1 agiert.

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„Zusammen“ bzw. in Summe wird aus zwei solchen Mitarbeitern nicht ein Unternehmer. Nur wenn G1 wie ein Unternehmer ergebnisorientiert agiert, kann das SU als Unternehmen entstehen und er Unternehmer werden. Als industrieller Hersteller kompetent zu agieren hätte erfordert, eine Grenze für die Investition zu setzen und die Finanzierung so zu gestalten, dass genug Zeit für die Entwicklung eingeplant ist und nur einen solchen Anteil am Unternehmen zu verkaufen, der die eigene Position im Unternehmen nicht gefährdet. G1 hat (zusammen mit G2) stattdessen G3 und G4 am SU beteiligt (dazu siehe unten). G1 hat sich nicht zugetraut, alleine der Anbieter des von ihnen intendierten industriellen Verfahrens zu werden. Er hat nicht die alleinige Verantwortung für dieses Unternehmen übernommen und z.B. das Patent erworben, G2 als Mitarbeiter eingestellt, etc. Die damit verbundenen Risiken hat er vermieden um den Preis, für das Vorhaben die Abhängigkeit von G2 in Kauf zu nehmen. Im Protokoll sind einige Hinweise bzw. Ansätze enthalten für mögliche Angebote, die G1 am Markt erproben und realisieren kann. Diese bedeuten Möglichkeiten für den Aufbau eines Unternehmens, in denen G1 sich bzw. seine unternehmerische Kompetenz erproben kann. Z.B. kann er die bereits funktionierende Pilotanlage vermarkten und ein Hersteller von Klein-Anlagen werden. Auch hat G1 bereits erfolgreich in einem gewissen Ausmaß Kunden die Erbringung von Entwicklungsleistungen angeboten. Dieses Angebot eröffnet die Möglichkeit, das SU ggf. als eine Art Ingenieurbüro aufzubauen. Diese Möglichkeiten stehen aber dem Aufbau des SU, in dem es um die Herstellung von Gas aus Biomasse nach einem die industrielle Produktion ermöglichenden Verfahren geht, entgegen. Denn solche Angebote belegen die Kapazitäten und erfordern Investitionen, die für die Entwicklung des Verfahrens benötigt werden. G1 hat nicht weiter auf diesen Märkten agiert und Leistungen vermarktet, die die Gründer bereits erstellen können. Das Ausmaß, in dem die Gründer die Entwicklungsleistungen für Kunden erbracht und vermarktet haben, wird in dem Protokoll nicht expliziert. Dieses Angebot kommt im Protokoll nur als eine beispielhafte Nebenleistung vor. Er hat nicht nach solchen neuen Geschäftsmöglichkeiten gesucht, sondern immer weiter in die Entwicklung der Leistung investiert, die er anfänglich bestimmt hat und deren Herstellbarkeit noch in Frage steht und deren Markt ungewiss ist. G1 hat sich gegen den Aufbau eines Ingenieurbüros entschieden, obwohl dieses Angebot erste Erfolge zeitigt, die das Entstehen eines neuen Unternehmens ermöglicht. G1 hat sich nicht an dem Markterfolg orientiert, sondern an seiner ursprünglichen Intention festgehalten und immer weiter in das industrieller Verfahren investiert und diese Investitionen am Kapitalmarkt finanziert. Wenn G1 verkauft, was von den Gründern bereits erfolgreich produziert worden ist und hergestellt werden kann, kann er ein von ihnen realisierbares Angebot für Kunden machen und das unternehmerische Handlungsmoment neu ergreifen und

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möglicherweise einen Ansatz für ein Unternehmen findet, dass ihn zum Unternehmer macht. Dies bedeutet allerdings, die ursprüngliche Intention bzw. Annahme aufzugeben bzw. zu verändern, also einen Transformationsprozess des G1, und anzuerkennen, dass die Regel des Unternehmens in Frage steht und noch herauszufinden ist. In einem weiteren Schritt hat G1 (zusammen mit G2) den G3 und den G4 am Unternehmen beteiligt. Er hat sie nicht als Mitarbeiter eingestellt, für deren Arbeitsleistung er ein Gehalt zahlt und in Vorleistung gehen muss sondern zu Geschäftsführern gemacht, die einen guten Teil ihres Gehalts in Form von Unternehmensanteilen erhalten. G1 hält nach diesem Schritt noch 30% der Anteile und hat damit insgesamt 70% der Anteile dafür gezahlt, dass er SU als ein Unternehmen konstituiert hat, für das er sich als Unternehmer nur für bedingt kompetent hält und für das die drei weiteren Gründer die Verantwortlichkeit mit ihm teilen. Mit diesem Schritt hat er Kompetenzen und Kapazitäten eingekauft, für die er das unternehmerische Risiko nicht übernommen sondern auf die beteiligten Personen verlagert hat um den Preis, die Abhängigkeit von ihnen in Kauf zu nehmen (z.B. bei der Zustimmung von Gesellschafterbeschlüssen). G1 sagt von sich, dass er eigentlich Unternehmer werden wollte, aber er agiert in Relation zu G3 und G4 erneut nicht wie ein Unternehmer, sondern wie ein Mitarbeiter, der das unternehmerische Risiko auf den Unternehmer überträgt und dafür eine abhängige Beziehung zu ihm eingeht. Mit der Beteiligung der Investoren, die G1 in einem nächsten Schritt verwirklicht hat, bietet G1 diesen die Anteile an dem SU wie ein Produkt an, das ein Produktversprechen beinhaltet, nämlich eine bestimmte Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Dieses Produktversprechen ist durch den Business Plan unterlegt, ähnlich wie ein Beratungsprodukt die Beratungsleistung quasi als das vorweggenommene, noch zu realisierende Ergebnis organisatorischer Veränderung in fertiger Form beschreibt.360 Indem er eine bestimmte organisatorische Form– die der industriellen Produktion – auf einen Inhalt (die Herstellung von Bio-Gas) anwendet, die mit ihr verbundene Regel für das Handeln vorweg bestimmt und zwar so, dass Andere (im SU der G2 bzw. im Falle der Beratungstätigkeit die Mitarbeiter des Klienten-Unternehmens) sie zu realisieren haben, und er selbst nicht die Verantwortung für die Erstellung des Ergebnisses übernimmt, hat G1 im Zug der Gründung seine Handlungsweise als Unternehmensberater reproduziert. In dieser Hinsicht ist G1 nicht der Regel eines Gründers bzw. Unternehmers gefolgt sondern der eines Beraters und insoweit bewusstseinsmäßig Berater geblieben.

|| 360 Zur Expertenberatung als Form der Unternehmensberatung, die solche industriell vorgefertigten Produkte anbietet, vgl. Miethe (2000), S. 87ff.

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G1 sagt schließlich, er gehe davon aus, dass das technische Verfahren selbst einen Wert darstellt, auch ohne dass seine Leistungen am Markt erfolgreich abgesetzt worden sind. Dies zeigt: G1 hat sich zuletzt nicht an dem Markterfolg orientiert sondern an der technischen Funktionsfähigkeit bzw. industriellen Form, die bisher noch nicht erreicht wurde, und die für den anfänglichen Erfolg am Kapitalmarkt notwendig gewesen ist. G1 agiert nicht am Produkt-Markt, sondern bietet die die technische Innovation bzw. die angestrebte Intention der industriellen Produktion als eine Art Option bzw. quasi als ein Produkt (bzw. wie bei einer Beratungsleistung die Antizipation eines Produktes) am Kapitalmarkt an. „Er gehe davon aus, dass das Unternehmen einen Wert darstelle, wenn die Pilot-Anlage nachweise, dass das Verfahren funktioniere.“

Es steht noch in Frage, ob das Verfahren zur Marktreife entwickelt werden kann und SU als ein industrieller Produzent für Bio-Gas entsteht, das die getätigten Investitionen refinanziert. Dieses Problem geht mit dem Verkauf der Anteile immer weiter von G1 auf die Investoren über, die bereits anfangen, entsprechend tätig zu werden und sich immer mehr in die Geschäftsführung einmischen. Das SU ist bis dato kein Unternehmen geworden und hat G1 nicht zum Unternehmer gemacht, weil er immer weiter an seiner anfänglichen Intention festgehalten, in diese im Business Plan formulierte Unternehmenskonzeption investiert und diese Investitionen am Kapitalmarkt durch den Verkauf von Unternehmensanteilen finanziert hat, bis er kaum mehr über Anteile am Unternehmen verfügt. Er hat nicht der Regel eines industriellen Herstellers gemäß agiert, die er als geltend angenommen hat, und auch keine andere, für das Entstehen eines Unternehmens angemessene Regel eruiert. Für den Unternehmer gilt es, die für das Entstehen des Unternehmens geltende Regel herauszufinden. Sie steht in Frage und kann von ihm nicht als geltend vorausgesetzt werden. G1 hat von sich gesagt, dass er Unternehmer werden will, aber letztlich das SU als Unternehmensoption verkauft. G1 ist als Gründer des Start-ups kein Unternehmer geworden, sondern der Verkäufer einer Unternehmensoption, der als Geschäftsführer die Position des Unternehmers besetzt und sich für einen (werdenden) Unternehmer gehalten hat. In diesem Widerspruch, in der Position des Unternehmers zu sein ohne wie ein solcher zu agieren, und in der Selbsttäuschung, sich selbst für einen solchen zu halten, hat er als Verkäufer am Kapitalmarkt und nicht wie ein Unternehmer am Produkt-Markt agiert sowie nicht die marktgängigen Angebote sowie den Vermarktungserfolg generiert, die es für das Unternehmer-Werden bedarf. Er hat die Regel seines Handelns, die Investition am Kapitalmarkt zu finanzieren und die im Anfang sowie für eine begrenzte Zeit sinnvoll gewesen sein mag, immer weiter reproduziert und sie nicht transformiert, als sie mit der Zeit und mit der Änderung der Situation unangemessen geworden ist.

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Das Fallbeispiel zeigt, dass die Gründung eines Start-up noch keinen Unternehmer macht. Der Gründer G1 des Start-ups SU lässt sich als fiktiven Unternehmer begreifen, der wie ein Manager agiert hat, indem er an der als rational geltenden Handlungsoption – die industrielle Fertigung und der Verkauf des Produkts an große Kunden, der die Herstellung großer Mengen notwendig macht – festgehalten und das damit verbundene Risiko durch den Verkauf der Unternehmensanteile auf die Investoren bzw. durch die Vesting-Vereinbarung auf die Mitarbeiter verlagert und dadurch die abhängige Beziehung zu ihnen in Kauf genommen hat. Die betriebswirtschaftliche Ausbildung, die die rationale Kapitalverwendung und Modelle zu ihrer Realisierung vermittelt, ist notwendig, aber nicht hinreichend dafür, Unternehmer zu werden. Hinreichend für das Unternehmer-Werden ist, im Handeln die Regel zu realisieren, die für das Entstehen bzw. die Entwicklung des Unternehmens sich als geltend erweist. Der Unternehmer kommt nicht umhin, das Urteil der Angemessenheit seiner Handlungen in Bezug auf diese Regel selbst zu fällen und das damit einhergehende Risiko zu übernehmen. Sein Urteil steht in Frage, bis es sich im Ergebnis als verlässlich erwiesen hat. Für Gründer von Start-ups, die Unternehmer werden wollen, ist daher heute ein die betriebswirtschaftliche Ausbildung ergänzendes Bildungsangebot sinnvoll, in dem sie die Regel ihres Handelns rekonstruieren, die Regel bergen und erproben können, die für ihr Handeln als Unternehmer angemessen ist und sich prüfen können, ob sie bereit und in der Lage sind, ihr gemäß zu agieren. Dieser Regel gemäß zu agieren bedeutet für Gründer i.d.R. eine Transformation der zuvor dem Handeln zugrunde gelegten Regel und erst in dem Tun, das der neuen, sich als geltend erweisenden Regel angemessen ist, erweist sich ihre Kompetenz als Unternehmer. In einem weiteren Beispiel eines von Gerd Walger und mir beratenen Unternehmensgründers wird im Folgenden ein solcher Bildungsprozess veranschaulicht. Dieser Fall liegt nicht in protokollierter Form vor. Der Fall veranschaulicht, dass das Deuten der Situation, wie es die objektive Hermeneutik ermöglicht, für das Unternehmer-Werden notwendig und sinnvoll ist. In der Praxis – sowohl der des Unternehmers als auch des Beraters – muss es nicht mit wissenschaftlichem Anspruch durchgeführt werden sondern kann in einem abgekürzten Verfahren erfolgen. Oevermann geht so weit zu behaupten, dass jedes kompetente Handeln ein zumindest implizites Deuten birgt, das diesem abgekürzten Verfahren im Sinne der objektiven Hermeneutik gemäß ist. Der Gründer, ein Biologe, wollte sich nach dem Auslaufen seines wiederholt befristeten Vertrages als Mitarbeiter eines Universitätsinstitutes mit der Leistung selbstständig machen, für Kunden gentechnische Analysen durchzuführen. Damit hatte er zuvor bereits vielfältige Erfahrungen gesammelt, eine große Breite von Analysemöglichkeiten erforscht und Kontakte zu Auftraggebern geknüpft. Sein Angebot zur Durchführung von Analysen, das er uns vorstellte, entpuppte

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sich im Kern als der Verkauf von Arbeitsleistungen an diese Kunden. Er hatte implizit die Regel, der er als angestellter Mitarbeiter gefolgt war, reproduziert und auf die neue Situation seiner „unternehmerischen“ Selbstständigkeit übertragen. Das Vorgehen dieses Gründers ist kein Einzelfall. Gründer reproduzieren in vielfältiger Weise das Anbieten ihrer Arbeitskraft und bezeichnen dies oft als sog. kundenorientierte Dienstleistung. Sie handeln dann quasi wie angestellte Mitarbeiter ihrer Kunden, produzieren damit eine Abhängigkeit von einem oder einigen wenigen Kunden, die dann die Qualität der Leistung, die Bedingungen der Arbeitsweise und damit auch die Kosten der Gründer bestimmen. Die Gründer steigern auf diese Weise das Risiko, das sie implizit zu vermeiden suchten und können ihren Erfolg und ihr Wachstum nicht selbst bestimmen. Bleiben sie dieser Abhängigkeit verhaftet, entsteht kein eigenständiges Unternehmen sondern eine Art verlängerte Werkbank, und sie werden keine selbstständigen Unternehmer – obwohl sie sich oft für solche halten. Im Unterschied zu solch einer Reproduktion einer in einer bestimmten Situation im Handeln erlernten Regel und ihre implizite Übertragung auf die neue Situation bedeutet Unternehmer zu werden die Transformation der bisher dem Handeln zugrunde liegenden Regel zu einer neuen Regel, nämlich der des Unternehmens. Eine solche Transformation ist im vorliegenden Fall objektiv notwendig, wenn der Gründer Unternehmer sein will. Sie setzt voraus, dass das Handlungssubjekt die Unangemessenheit seines Handelns zumindest implizit erkennt und anerkennt. Die Aufgabe in der Beratung bestand darin, die durch den Gründer angelegte Krise explizit deutlich zu machen, indem die Konsequenzen des Handelns gedanklich herausgearbeitet bzw. entstandene Erfahrungen mit ihm reflektiert werden. Im beschriebenen Fall haben wir an dem von dem Gründer vorgelegten Business Plan die mangelnde Wirtschaftlichkeit, die zusätzlichen Risiken und die Abhängigkeit des Gründers von seinen Kunden aufgezeigt. Er konnte einsehen, dass es keinen Sinn macht, die gleiche Leistung wie als Angestellter unter den neuen Bedingungen der Selbstständigkeit anzubieten und dass auf diese Weise kein Unternehmen entsteht. Und er konnte die Unangemessenheit seines Vorgehens für seine Intention, Unternehmer werden zu wollen, anerkennen. Der Unternehmer bietet im Unterschied zum angestellten Mitarbeiter eine fertige Leistung am Markt an, und nicht einem Auftraggeber seine Arbeitskraft auf Zeit. Für den, der zuvor angestellt tätig gewesen ist, bedeutet dies eine andere, neue Situation. Der angestellte Mitarbeiter arbeitet für ein Gehalt, seine Leistung wird im Vorhinein bestimmt und geht in die Herstellung oder Vermarktung eines Produktes ein. Das Risiko für diese Herstellung und Vermarktung trägt nicht der Angestellte, sondern der Unternehmer. Der Unternehmer kommt nicht umhin, in Vorleistungen zu investieren und das damit verbundene Risiko zu übernehmen. Für den Erfolg des Unternehmers ist es unabdingbar, das Risiko, das er eingehen

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muss, beurteilen und verantworten zu können. Der angestellte Mitarbeiter folgt also der Regel, seine Arbeitszeit gegen Entgelt zu verkaufen, der Unternehmer hingegen der Regel, fertige Leistungen anzubieten und die damit verbundenen Risiken einzugehen. Das Angebot des Unternehmers ist notwendig, hinreichend ist sein Erfolg am Markt. Der Unternehmer muss sein Angebot so konzipieren, dass es den Bedarf hinreichend vieler Kunden trifft und für den Verkauf sorgen. Sein Angebot wird aber anders als bei der verlängerten Werkbank oder dem Lohnfertiger nicht durch einzelne Kunden bestimmt, sondern der Unternehmer muss mit Bezug auf den Kunden und seinen Bedarf selbst die Qualität und den Umfang seines Angebotes bestimmen. Wir stellten deshalb dem Gründer im vorliegenden Fall die Frage, für welche Analysen er die größten Bedarfe sieht und welches Produkt er für diese anbieten kann. Diese Frage hat den Gründer dahin geführt, ein Werkzeug für bestimmte gentechnische Analysen zu entwickeln, die die Kunden selbst vornehmen können. Die technische Entwicklung der Leistung zu einem solchen Produkt und die Erprobung seiner Vermarktung, ließen den Gründer die Erfahrung machen, dass sein Angebot auf eine Nachfrage trifft und ihn die persönliche Sicherheit gewinnen, die er brauchte, um sich mit dem Unternehmen selbstständig zu machen. Der Gründer hat also zunächst die Regel und die Sicherheit, die er mit ihr verbunden hat, aufgegeben, als Dienstleister alle Anfragen seiner Kunden bearbeiten zu wollen, und sich dann der von ihm erprobten Regel anvertraut, ein Produkt herzustellen und zu vermarkten, das bestimmte, häufig nachgefragte Analysen ermöglicht. Er hat diese Regel unternehmerischen Handelns, deren Geltung im Moment seines Handelns in Frage stand, als subjektive Regel verinnerlicht und ihr gemäß gehandelt, und sie hat sich in dem von ihm anvisierten Markt als geltend erwiesen. Für die Erstellung und Vermarktung seines Produkts hat er das Risiko übernommen und ein Unternehmen von schließlich 13 Mitarbeitern aufgebaut, das ihn vom angestellten Wissenschaftler zum selbstständigen Unternehmer gemacht hat. Die Handlungen, die sich für die Entwicklung des Unternehmens als angemessen erweisen, machen das Handlungssubjekt zum Unternehmer. Das Unternehmen besteht bzw. wächst, so lange sich diese Handlungen bewähren. Der Unternehmer kann allerdings seine Situation jederzeit als Krise begreifen und eine neue Handlungsoption generieren, oder durch Entwicklungen im Markt oder des Wettbewerbs vor eine neue Situation gestellt sein. Die Angemessenheit der neuen Handlung steht ebenso wie auch die der Handlung, die sich bisher als regelangemessen erwiesen hat, im Moment des Handelns je in Frage. Der Unternehmer begreift seine Situation als eine offene Situation. Diese Offenheit der Situation anzuerkennen, dass die im Handeln als geltend angenommene Regel in Frage steht, und in ihr regelangemessen zu handeln, macht die Kompetenz des Unternehmers

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aus, die nur persönlich und mit Bezug auf praktische Erfahrungen gebildet werden kann. Für die Regel, die der Unternehmer seinem Handeln zugrunde legt, gibt es keinen rationalen Grund. Ihren Grund bildet der Unternehmer, der für sie als Person einsteht und ihr gemäß handelt. Indem sie sich in der Situation als geltend erweist, entsteht bzw. entwickelt sich das Unternehmen, das ihn zum Unternehmer macht.

6 Protokoll G1 berichtet B, dass er vor eineinhalb Jahren zusammen mit drei anderen Gründern das Start-up SU gegründet habe, in dem es um die Herstellung von Gas aus Biomasse gehe.360 Grundlage für diese Herstellung sei ein Verfahren, dass die industrielle Produktion mit einer Qualität ermögliche, die von Seiten großer GasKraftwerksbetreiber gefordert werde. In diesem Unternehmen sei er nun zum Sprecher der Geschäftsführung, der alle Gründer angehören, geworden. B sagt, dass G1 auf dem Bild im Bericht über die Unternehmensgründung in einer der größten deutschen Wirtschafts-Zeitschriften, den er vorab übersandt hatte, nicht z.B. wie ein primus inter pares im Vordergrund stehe, sondern in der zweiten Reihe vorkomme und B fragt, was die Sprecherfunktion bedeutet. G1 antwortet, dass der Sprecher die entscheidenden Fragen stellen solle und ergänzt, dass über die Sprecherfunktion entschieden worden sei, nachdem es einen Streit der Gründer untereinander gegeben habe. B sagt, dass dies darauf hindeute, dass G1 die Rolle des Schlichters zugewiesen wurde. Er fragt, ob die vier Gründer in Bezug auf ihre gemeinsame Geschäftsführung einen Geschäftsverteilungsplan vereinbart hätten. G1 sagt, dass es zwar ein Protokoll über eine Absprache gebe, aber keine vertragliche Vereinbarung. B rät, diese Vereinbarung dringend zu schließen. G1 beschreibt weiter, dass er mit G2, dem technischen Knowhow-Träger, das Unternehmen gegründet habe. Mit ihm zusammen habe er das erste Patent angemeldet, das später auf die Firma übertragen worden sei. B fragt nach, ob dies sinnvoll gewesen sei. G1 meint, dass nach seiner Einschätzung dies sinnvoll gewesen sei, da dieses Patent genau wie spätere Patente im Grunde Arbeitnehmererfindungen seien, die der Firma gehören müssten. Er räumt jedoch ein, dass G2 sich weiter als Erfinder sehe, von dessen Erfindungen die Unternehmung abhänge. Dies zeige sich z.B. auch darin, dass er die Betriebswirte in der Firma als „Wasserkopf“ bezeichne und die Gehälter, die höher seien als das, was G2 selbst beanspruche und die auf deren Drängen allen Gründern gezahlt würden, beklage. B sagt, dies bedeute, dass G2 mit der Schenkung seiner Erfindung an das Unternehmen hadere und dies aller Voraussicht nach in der weiteren Entwicklung, z.B. wenn der Erfolg entstehe, noch einmal ein Problem werden könnte.

|| 360 G1, B, VC1 etc. sind anonymisierte Bezeichnungen für Personen (G = Gründer, B = Berater, VC = Venture Capital Investoren), SU für den Namen des Startups. Vgl. Neise (2015b)

DOI 10.1515/9783110549553-006

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G1 konkretisiert, dass die Gründung des Unternehmens SU auf seine Initiative hin erfolgt sei, als G2 ein Angebot für eine Habilitation bei einem Groß-Forschungsinstitut bekommen habe. Als er selbst davon erfahren habe, habe er seinen Job als Berater bei einer großen internationalen Beratungsgesellschaft gekündigt. Er wollte die Chance auf keinen Fall vergehen lassen und habe mit G2 das Unternehmen gegründet. Jeder habe 50% der Anteile der GmbH übernommen. Später hätten sie zwei weitere Gründer, einen Naturwissenschaftler und einen weiteren Betriebswirt dazu genommen, und die Anteile seien im Verhältnis 30:30:20:20 verteilt worden. Allerdings sei es so, dass jeder seine Anteile durch die Erbringung von Leistungen verdienen müsse und sich der volle Anteil erst über einen Zeitraum der Mitarbeit von drei Jahren realisiere („Vesting-Modell“). Da G2 zunächst noch in der Forschung gearbeitet habe, habe sich sein Anteil sogar auf anfängliche 10% reduziert; erst seitdem er gekündigt hat, baue sich dieser mit der Zeit wieder auf. Durch die Hereinnahme eines Investors, der 20% der Anteile übernommen habe, haben sich diese Verhältnisse auf 24:24:16:16 reduziert. Es gebe tatsächlich unter den Gründern Streit über diese Anteilsverteilung. Der andere Bwler im Team z.B. fordere mit dem Argument, dass die Vor-Leistung der Erfindung mit der Zeit an Bedeutung abnehme, einen größeren Anteil. B sagt, dass dies eine logische Konsequenz aus dem Gedanken sei, den G1 beschrieben habe. Aus seiner Sicht sei allerdings der Gedanke falsch, weil dies kein unternehmerischer Gedanke sei sondern ein Arbeitnehmer-Gedanke. Nach seiner Einschätzung werde sich der Konflikt um die Verteilung der Anteile noch deutlich verschärfen, insbesondere wenn die ersten Erfolge entstehen und er rät G1, dass es sinnvoll sei, diesen Konflikt zuvor und sobald als möglich zu lösen. G1 berichtet, dass die Anteile der Gründer kurzfristig weiter reduziert würden, weil sie gerade dabei seien, einem weiteren Investor Anteile zu verkaufen, um die notwendige Finanzierung für den Bau einer Industrie-Anlage zu generieren. B sagt, diese weitere Finanzierungsrunde bedeute für sein Empfinden, dass sie dabei seien, ihr Unternehmen zu verkaufen und angestellte Manager zu werden bzw. sich als Gründer zu eliminieren. G1 argumentiert, dass der Bau der Anlage notwendig sei. Bisher gebe es nur einen Labor-Reaktor, der nur geringe Mengen des Gases unter Laborbedingungen herzustellen erlaube. Erst der Bau einer industriellen Pilot-Anlage ermögliche eine Produktion in der notwendigen Größenordnung und beweise, dass das Verfahren unter industriellen Bedingungen funktioniere. B sagt, dass dieses Vorgehen sich einer technologischen, aber nicht einer ökonomischen Logik verdanke. Er verdeutlicht am Beispiel eines anderen Unternehmens, die Denkweise von Technikern. Diese hätten ein Handmodell für einen Wasserfilter produziert und 2 Mio Euro ausgegeben, ohne dass geklärt worden sei, wie diese Investition sich refinanziere. Auf die Frage, wieviele Investitionen bis zur Produktreife noch notwendig seien, hätten die Ingenieure einen zweistelligen Investitionsbetrag in Millionenhöhe genannt. Dies zeige, dass die

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Refinanzierung der Investition im Bewusstsein der Erfinder überhaupt nicht vorkomme. Er habe viele Gründer beraten, die Erfinder gewesen seien, und die ihre Erfindung immer weiter vorangetrieben hätten. Die technologische Entwicklung habe keine Grenze und keine Stoppregel, es könne immer weiter investiert werden. Deshalb sei es Aufgabe der Ökonomen, diese Grenze zu setzen und vom Markt her zu klären, wie welche Investition wieder hereinkomme. Aus seiner Sicht sei diese Aufgabe bisher ausgelassen. Statt das, was jetzt schon produziert werden könne, zu vermarkten, würde die Refinanzierung, die eigentlich durch die Vermarktung des Produzierten erfolgen müsse, als reines Finanzierungproblem behandelt und über den Verkauf der Unternehmensanteile gelöst. G1 erläutert, dass zum einen bereits Leistungen vermarktet worden seien, nämlich z.B. die Erbringung von Entwicklungsleistungen. Zum anderen wollen die Gründer zwei Produkte anbieten: Produktionslizenzen für Kunden, die Kraftstoffe aus „Bio-Gas“ herstellen und Bio-Gas als Rohstoff für Unternehmen, die daraus Strom und Wärme herstellen. Der Verkauf von Produktionslizenzen solle in der Weise erfolgen, dass die Kunden sich bereits jetzt an den Entwicklungskosten beteiligen. Das Problem sei, dass das Unternehmen einige Millionen für die Produktionsanlagen investieren und dieses Geld irgendwoher genommen werden müsse. B antwortet, dass in unternehmerischer Perspektive dieses Geld zu verdienen sei. Es gehe darum, Produkte zu entwickeln, die vervielfältigt und verkauft werden können, um auf dieser Basis eine stabile Entwicklung und ein Wachstum zu realisieren. Aus seiner Sicht habe das Unternehmen bisher keine Produkte. Einerseits verkaufe man seine Arbeitskraft, andererseits Anteile am Unternehmen bzw. Rechte an der Technologie, was auch die Gefahr beinhaltet, die Produktreife gar nicht mehr zu erreichen. Die Gründer würden nur in der Investitionsphase denken, d.h. sie verbrauchen Geld. Als Unternehmer müsse man klären, wann und mit welchem Ergebnis die Entwicklungsphase zu Ende sei. Die Notwendigkeit einer neuerlichen Finanzierungsrunde zeige, dass dies nicht geschehen ist. Im Grunde, so B weiter, sei das Start-up kein Unternehmen sondern eine Art Forschungsinstitut, für das Finanzierungen eingeworben werden. Ihm stelle sich die Frage, ob es um die Finanzierung von Forschung gehe oder darum, ein Unternehmen zu gründen. Aus seiner Sicht sei die Identitätsfrage nicht geklärt. G1 erklärt, dass das Lizenzmodell im Grunde ein Contracting-Modell sei, bei dem für den Kunden die Anlage, in die er investiert, betrieben werde und aus der er mit Bio-Gas beliefert werde. Das Ziel von G2 sei, eine Anlage zu bauen. Dies sei für diesen das wichtigste. Dabei sei es ihm letztlich egal, ob das die Anlage von SU sei oder die eines Anderen. Mit dem Beweis, dass die Anlage funktioniere, könne er sich auch z.B. woanders hin bewerben. Der zweite Ingenieur denke genauso. G3, der zweite Bwler, wolle im wesentlichen über den Verkauf seiner Anteile am Unternehmen Geld verdienen. Dies finde er auch charmant. B sagt, dass letzterem Vorhaben allerdings entgegenstehe, dass die Anteile bereits am Anfang

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verkauft würden. Die unterschiedlichen Motivationen der Gründer würden aus seiner Sicht unterlegen, dass die Identitätsfrage nicht geklärt sei: Geht es um eine Technologie-Entwicklung oder geht es um ein Produktionsunternehmen? Im letzteren Falle gehe es um ein vervielfältigbares Produkt und konkrete Kunden, von diesem Markt her müsse die Höhe der Investition bestimmt werden. G1 erläutert, es gehe um ein Unternehmen, das für Gas-Kraftwerksbetreiber mit einem innovativen Verfahren Bio-Gas produziere. Dieses Bio-Gas sei für die einen Kunden attraktiv, weil es gegenüber herkömmlichem Gas, bei dessen Verwendung CO2 Zertifikate gekauft werden müssen, preiswerter sei und für andere, weil sich seine Nutzung bei der Verstromung im Rahmen des Gesetzes über die Erneuerbaren Energien rechne. Er gehe davon aus, dass das Unternehmen einen Wert darstelle, wenn die Pilot-Anlage nachweise, dass das Verfahren funktioniere. B antwortet, dass der Unternehmenswert letztlich unwägbar sei und von den Gründern kaum beeinflusst werden könne. Dieser Wert bestimme sich zudem zu einem wesentlichen Teil durch den Vermarktungserfolg des Unternehmens. Und die Entscheidung über die Identitätsfrage lasse G1 aus seiner Sicht aus. Er halte sich beide Optionen offen, die sich in den beiden von ihm geschilderten Ansätzen spiegeln. Es werde kein Produkt entwickelt und produziert, weil das Verfahren vermarktet werden soll und der Verkauf des technologischen Verfahrens erfolge nicht, weil ein Produkt entwickelt und produziert werden soll. Dies sei wie das Hase und Igel-Spiel. Aufgrund dieser Unentschiedenheit müsse und könne er keine Konsequenzen ziehen. G1 sagt, dass sie dabei seien, konkrete Verträge mit Partnern abzuschließen, die in die Entwicklung investieren. Diese Partner würden einen Anteil an dem produzierten Bio-Gas aus der Anlage erhalten. Aufgrund der Höhe der Investition, die SU nicht alleine stemmen könne, entstehe die Notwendigkeit, dass die Kunden die Investition mitfinanzieren. B sagt, dass die Logik eine Kredit-Logik sei, die durch die Größenordnung entstehe, die sie allerdings selber bestimmt hätten. Es gebe auf der Markt-Seite und auf der Finanzierungs-Seite jeweils im Verhältnis zu SU sehr große Partner und es sei aus seiner Sicht die Frage, wer SU in diesem Verhältnis ist und sein kann. Diese Frage sei für sein Empfinden ausgelassen worden und die vier Gründer hätten sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt, der hieße auf Kredit zu konsumieren. Die Forscher verbrauchen das Geld für die Forschung, die BWLer wiederum betrachten die Finanzierung des Unternehmens als Kreditmodell. Statt für eine Selbstfinanzierung des Unternehmens zu sorgen, werden die Anteile am Unternehmen aufgebraucht. In diesem Zusammenspiel würden beide Seiten jeweils nur konsumieren. Dies sei aus seiner Sicht kein Geschäftsmodell. B fragt, welche Investoren in das Unternehmen eingestiegen seien. G1 sagt, dass der erste Investor ein Business Angel gewesen sei. VC1 sei Ingenieur, dem ein Unternehmen gehört, das Kraftstoffe aus Holz herstelle. Dieser habe gesehen,

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dass das Verfahren von SU die von ihm entwickelte Technologie ablösen werde. Zusammen mit einer Gruppe von Kaufleuten, mit denen er befreundet sei, habe dieser den ersten Anteil an SU erworben. In den Fonds, den diese Gruppe aufgelegt habe, habe sich zwei Monate später ein weiterer Unternehmer VC2 eingekauft, der sein Unternehmen, einen Holzhandel zum Hersteller von Holz-Häusern umgebaut und dann verkauft habe. Dieser habe nach dem Verkauf seines Unternehmens viel Zeit und begonnen, sich aktiv in die Geschäftsführung von SU einzumischen. Bei großen Verhandlungen seien die Gründer inzwischen seine Assistenten. Insoweit habe dieser den Krieg gegen sie gewonnen. B fragt, warum der Krieg verloren gegangen sei. G1 antwortet, dass die Gründer weitere Investoren gesucht und gefunden hätten und in den Verhandlungen sich allerdings herausgestellt habe, dass die neuen und die alten Investoren sich gekannt hätten. Sie hätten begonnen, in den Verhandlungen zusammen zu spielen und die Geschäftsführung auszubooten. Dazu sei gekommen, dass die Ingenieure gerne mit VC1 zusammenarbeiten. G2 habe VC1 in die Entwicklung einbezogen und beide hätten inzwischen sogar ein gemeinsames Patent angemeldet, das im Moment noch nicht auf die Firma laute. Auf die Frage, warum dies so sei, sagt er, dass es vor einer möglichen Insolvenz geschützt werden sollte. Inzwischen sei die Stimmung so, dass die Ingenieure gerne mit VC1 zusammenarbeiten, während er und G3 sich mit VC2 herumschlage würden. B meint, sein Eindruck sei, dass G1 von seinen Kollegen die Aufgabe als Sprecher zugewiesen worden sei, um ihnen VC2 „vom Halse“ zu halten. Darüber hinaus sei aus seiner Sicht das Problem, dass die vier Gründer inzwischen den Investoren völlig ausgeliefert seien, sie aber als Geschäftsführer die Geschäfte persönlich verantworteten. Dies halte er für sehr gefährlich. G1 sagt, er habe seit diesem Einschnitt die Motivation für den Job verloren, bisher aber noch keine Konsequenz daraus gezogen. Er räumt ein, dass er von den anderen in die Sprecherfunktion „reingehebelt“ worden sei. B stimmt zu, dass sie ihn nach vorne geschoben haben, weil sie selbst nicht Ansprechpartner für VC2 sein wollten. Und für diesen sei die Konstruktion nützlich, weil er nicht selber die Geschäftsführung machen müsse. B fragt, was der Erfolg von SU für G1 bedeute. G1 antwortet, dass er stolz auf einen solchen Erfolg wäre, weil es SU nur aufgrund seiner Kündigung bei seinem früheren Arbeitgeber und seiner Initiative gegeben habe. B will wissen, was er denke, dass er noch gewinnen könne. G1 meint, er könne erstens von den Investoren lernen. B sagt, dass er als Geschäftsführer kein Lehrling sein könne. G1 sagt zweitens, dass er versuchen könne, die Position zurückzuerobern. Nach seiner Einschätzung würden seine technischen Kollegen nicht dabei helfen, aber G3 z.B. wolle durch gute Leistungen überzeugen und die Macht zurückerobern. B antwortet, dass die Position nicht durch Leistung zurückerobert werden könne. Und G1 habe nach seinem Eindruck den Kampf schon aufgegeben. Er fragt, was er im letzten Ende, wenn es gut kommt, gewinnen könne. Aus seiner Sicht gehöre die

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Gesellschaft bereits den Investoren, am Ende werden die Gründer kleine Anteile haben und er könne angestellter Geschäftsführer sein. Dies sei aus seiner Sicht der best case und für ihn sei die Frage, ob G1 das wolle. G1 räumt ein, dass er schon gelernt habe, dass der Anteil durch Kapitalerhöhungen immer kleiner werde. Die Gründer hätten zwar schon einmal eine Kapitalerhöhung verhindert, aber die Investoren hätten daraufhin einfach abgewartet, bis wieder Geld vonnöten gewesen sei. Insoweit könne es durchaus sein, dass die Gründer am Ende angestellte Manager seien. B sagt, nach seiner Einschätzung werde es in der 3. Finanzierungsrunde noch massiver werden und es werde die Frage entstehen, welcher der vier Geschäftsführer wirklich gebraucht würde. G1 sagt, dass er eigentlich Unternehmer werden wollte. Er überlegt, dass er eventuell eine Möglichkeit entwickeln könne, sich mit einer neuen Idee – z.B. einer Erfindung, die bei SU abfällt – aus diesem Unternehmen auszugründen. Allerdings bedeute dies aufgrund der Vesting-Vereinbarung, dass er den Großteil seiner Anteile verschenken würde. Andererseits könne er im Unternehmen bleiben und parallel sich etwas Neues aufbauen. B meint, dass dies nach seiner Erfahrung schwierig sei, da er dann nicht frei für etwas Neues sondern an das Alte gebunden sei. G1 meint, er halte es jedoch für sinnvoll, sich genau zu überlegen, was er künftig machen wolle. Er könne sich auch einen 8 Stunden Job suchen, der ihn nicht auslaste, und parallel an einer neuen Unternehmensgründung arbeiten. Auf die Frage, was dies konkret sein könne, räumt er ein, dass dies doch keine konkrete Möglichkeit sei. B fragt, ob G1 Angestellter oder Unternehmer sei. G1 antwortet, dass er prinzipiell als Angestellter geeignet, aber als Unternehmer zufriedener sei. Er wolle die Verantwortung für den Erfolg und auch für den Misserfolg übernehmen. Und er wolle nicht Dinge machen müssen, von denen er nicht überzeugt ist. Hinter SU stecke eine Idee, von der er sehr überzeugt sei. B sagt, Unternehmer zu sein sei kein Beruf, den man einfach wählen könne. Vielmehr sei es so, dass das Unternehmen den Unternehmer zum Unternehmer mache. Es sei wie beim Künstler, der durch das Kunstwerk zum Künstler werde. Dazu müsse sich dieser öffnen, und die Welt und die Zeit in sich aufnehmen. Man sagt deshalb, der Künstler werde von der Muse geküsst. Dieses könne man nicht erzwingen. Auch für den Unternehmer gehe es darum, in die Märkte hinein zu hören und die Zukunftstrends aufzunehmen. Ein Unternehmen zu gründen ist nicht ein Produktionsprozess, der allein durch den Willen realisiert werden könne, sondern eher ein Geschaffen-Werden, für das eine gewisse Demut notwendig sei. B sagt, dass G1 ihm unzufrieden vorkomme und in diesem Sinne die Situation, in der er sich befinde, beginnt, auf ihn zurückzuwirken. Es sei nicht sinnvoll, eine solche leidvolle Situation lange andauern zu lassen. Er fragt ihn, ob er sich entscheiden könne zu gehen. Ihm sei bewusst, dass diese Entscheidung nicht einfach sei, da er viel Herzblut in das Unternehmen gesteckt habe und dieser Schritt auch bedeute, das

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eigene Scheitern zu akzeptieren. G1 antwortet, dass für ihn wichtig sei, solch einen Schritt vor seinen Mitgründern und seinem Umfeld zu verantworten. Nach kurzer Überlegung sagt er, dass er denke, dies verantworten zu können. Er wolle jedoch noch den Termin für die neue Finanzierungsrunde am kommenden Freitag veranstalten, weil dann die weitere Entwicklung des Unternehmens vorerst gesichert sei. B will wissen, wie G1s Vertragsbedingungen diesbezüglich aussehen und wie nach seiner Einschätzung seine Mitgründer reagieren würden. G1 sagt, dass er eine Kündigungsfrist von sechs Monaten habe. Er glaube aber nicht, dass an dieser festgehalten würde. In Bezug auf seine Mitgründer meint er, dass diese kein Problem mit seiner Kündigung hätten, wenn die Finanzierungsrunde gelinge. B fragt, was sein Weggang in Bezug auf die Verhandlung bedeute. Nach seiner Einschätzung sei es wesentlich, dass G1 die Entlastung als Geschäftsführer bekomme und diese hänge dann auch von dem neuen Investor ab. Wenn G1 nach dem Verkauf der Anteile gehe, könne dieser sich getäuscht fühlen. G1 sagt, er sei innerlich noch nicht so weit zu gehen. Für ihn stelle sich die Frage nach der Alternative. Von der Unternehmensberatung habe er nach zwei Jahren weggehen können, weil er vom ersten Tag an einer Alternative gearbeitet habe. Jetzt stehe er vor der Frage, ins Nichts zu springen. B meint, dass man dazu neigt zu bleiben, wenn man keine Alternative hat. Insofern könne er dies verstehen. Es sei aber auch sinnvoll darauf zu schauen, wann die Situation so notleidend wird, dass man Schaden nimmt. G1 sagt, ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass die Unternehmung erforderte, Finanzinvestoren reinzunehmen und den eigenen Anteil zu verkleinern. Jetzt sei er aber in die Situation gestellt, dass ein Investor ihm operativ reinrede. Solange er „mächtig“ gewesen sei, sei es für ihn o.k. gewesen. B verweist noch einmal darauf, dass die vier Gründer die Struktur der Situation selber hervorgebracht hätten, indem sie schnell groß hätten werden wollen. Insoweit sei auch die eigene Ohnmacht selbst produziert. Er fragt noch einmal, wie nach seiner Einschätzung die Reaktion der anderen Gründer im Einzelnen auf G1s Weggang sei. G1 meint, dass sie möglicherweise im ersten Moment schockiert seien würden. Es habe im letzten Dezember eine Krise gegeben, in der die anderen davon gesprochen hätten, zu gehen und etwas anderes zu machen. In jener Situation sei er der einzige gewesen, der nie darüber gesprochen und auch nie daran gedacht habe, zu gehen. Insofern würde er ein gewisses Unverständnis erwarten, wenn er so nach der erfolgreichen Finanzierungsrunde sich dazu entscheidet. Allerdings denke er auch, dass sie seine Entscheidung mit Bezug auf den Konflikt mit VC2 verstehen könnten. Die anderen Gründer könnten ohne ihn problemlos weitermachen. In Bezug auf G2 sei dies allerdings anders. Dieser sei für das Unternehmen unabdingbar. Insofern könne er, G1, gehen, ohne dass das Unternehmen unmöglich werde. B fragt nach, wie sein Verhältnis zu G2 sei und wie dieser nach seiner Einschätzung reagiere. G1 antwortet, dass G2 ein sehr sachlicher Typ sei. Letztlich sei ihre Beziehung weniger persönlicher Natur,

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sondern sie würden sich funktional gut ergänzen. Diese Ergänzung könne aber auch ein anderer wahrnehmen. Die Beziehung zu G3 sei demgegenüber stärker persönlich ausgeprägt. B sagt, durch den Weggang von G1 würde sich nach seiner Einschätzung das Grundmodell unter den vier Gründern völlig verändern. Bisher sei das Modell, dass es quasi zwei Eltern und zwei Kinder gebe. Ohne ihn entstehe eine 3er Konstellation, die meist darauf hinauslaufe, dass in festen oder wechselnden Koalitionen zwei gegen einen spielen. G1 sagt, dass die Situation allerdings durch VC1 und VC2 bestimmt werden würde. B stimmt zu, dass diese die Gründer zunehmend substituieren würden. VC1 habe ja bereits angefangen, G2 „auszunehmen“. Er fragt, wie alt VC1 sei. G1 antwortet, dass dieser 68 Jahre alt sei und er nach seiner Einschätzung aufgrund dieses Alters und krankheitsbedingt in Zukunft sich eher zurückziehen werde. B widerspricht und meint, dass nach seiner Einschätzung eher das Gegenteil der Fall sei und das gemeinsame Patent aus seiner Sicht nur der Anfang sei. Sobald der Erfolg da sei, werde er diesen vollständig beanspruchen und G2 dabei nicht mehr vorkommen. G1 berichtet, dass künftig ein Beirat eingerichtet werden solle, in dem VC1, ein externer Vertreter der Gründer und der neue Investor vertreten sein sollen. Er sehe sich dann in der „Sandwich-Position“ zwischen diesem Beirat und den anderen drei Gründern. B fragt, ob er so ein politisches Spiel möge. G1 sagt, dass Politik ihm „zuwider“ sei. Daraufhin meint B, dass dieses Spiel nur politisch gespielt werden könne. B sagt, dass der Versuch, ein schnelles Wachstum zu erreichen zum einen dieses schnelle Wachstum nicht realisiert habe. Durch den Versuch, auf eine Ebene zu kommen, auf die die Gründer aus eigener Kraft nicht kommen konnten, sei zum anderen eine Struktur entstanden, die jetzt das Spiel mache. Das Spiel, das die Gründer angelegt hätten, würde ohne diese Struktur nicht gehen, es gehe aber bald ohne sie und schon jetzt ohne G1. G1 stimmt zu und sagt, dass auch die neuen Investoren einen Fonds gebildet haben, in dem sich 50 Unternehmer zusammen getan hätten. Dieser Fonds würde immer dann co-finanzieren, wenn einer der Unternehmer persönlich investiere. Diese Unternehmer würden in Bezug auf ihre Geschäftsführer immer von „Fremdmanagern“ sprechen und diese Diktion zeige bereits ihre Werthaltung. Er sehe auch, dass es keine vier angestellten Geschäftsführer geben werde. Der zweite Techniker im Team könne in ein anderes Unternehmen von VC1, für das er ein Verfahren entwickelt habe, wechseln, so dass dann keine vier sondern drei bzw. zwei Geschäftsführer übrig bleiben werden. G1 meint, er habe bisher über seine persönliche Situation immer mit den anderen Mit-Gründern sprechen können. Er fragt sich, ob es sinnvoll sei, mit ihnen zu thematisieren, ob er gehe. B antwortet, dass er aus seiner Sicht nur „freudig erregt“ gehen könne. Wenn er offen lege, wie er den Zusammenhang einschätze, würden seine Kollegen darauf bestehen, dass er bleibe. Auch sein Freund würde von ihm verlangen, ihm im Kampf gegen die Übernahme zu helfen. Aus seiner

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Sicht sei dieser Kampf allerdings bereits verloren. Die einzigen, die diesen Kampf spielen können, wenn sie dazu persönlich in der Lage sind, seien die Techniker. Dies erfordere allerdings, dass sie ihre Eigenständigkeit und Lebensnotwendigkeit für das Unternehmen erhalten. G1 sagt, er habe kein Problem, wenn die Investoren an der Unternehmung viel Geld verdienen, solange er mitverdiene. B sagt, dass das „mit-“ das Problem sei. Dies zeige, dass die Gründer ihre Position verschenkt hätten und heute von den Investoren abhängig geworden seien. Sie hätten ihre Ernte nicht gesichert und ein Spiel begonnen, das auf Ausbeutung angelegt sei. Es gebe für die Investoren immer weniger Grund, sie zu beteiligen. Wenn er ihn richtig verstehe, wollte G1 wie die Investoren an dem „deal“ verdienen. Er sei aber nicht in der dealer-Position angetreten, sondern Produzent geworden, d.h. der, der den Geschäftserfolg herstellen müsse. Aus seiner Sicht könne G1 allenfalls noch KleinAnleger sein. Den Erfolg des deals und welchen Anteil er daran hat, bestimmen andere. Seines Erachtens sei das wichtigste, dass G1 die Entlastung als Geschäftsführer bekomme, um unbeschadet aus dem Spiel herauszukommen. G1 fragt, warum er nicht wie ein dealer agieren könne. B antwortet, weil er das Kapital dafür nicht habe, das dafür notwendig sei. Das Spiel werde durch das Kapital bestimmt, dies hätten die Gründer so angelegt. Die beste Option sei seines Erachtens, wenn es einen Investor gebe, der jetzt seine Anteile kaufe, weil er z.B. eine Mehrheit haben wolle. Nach seiner Einschätzung würden die Anteile aufgrund der konsumtiven Struktur immer geringer werden. G1 fragt sich, ob er wirklich von seiner Person her Unternehmer sei. B antwortet, dass er dies nicht wissen könne, da das Unternehmen ihn zum Unternehmer mache. In diesem Fall habe das Unternehmen ihn offensichtlich nicht zum Unternehmer gemacht. Aus seiner Sicht sei die Bewegung eher eine Form der SelbstEnteignung, weil die Kredit-Struktur überhand genommen habe. Die Vorstellung Unternehmer zu sein, sei nach seiner Einschätzung jedoch durch die Investoren weiter ausbeutbar.

   

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