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German Pages 316 Year 2021
Schriften zum Steuerrecht Band 156
Der Vertrauensschutz des gutgläubigen Unternehmers im harmonisierten Umsatzsteuerrecht
Von
Philipp von Sanden
Duncker & Humblot · Berlin
PHILIPP VON SANDEN
Der Vertrauensschutz des gutgläubigen Unternehmers im harmonisierten Umsatzsteuerrecht
S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 156
Der Vertrauensschutz des gutgläubigen Unternehmers im harmonisierten Umsatzsteuerrecht
Von
Philipp von Sanden
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Passau hat diese Arbeit im Jahr 2020 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 978-3-428-18207-7 (Print) ISBN 978-3-428-58207-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meiner Familie in Liebe und Dankbarkeit
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im September 2020 an der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommen. Es wird herausgearbeitet, dass der redliche Unternehmer keine Ausfallhaftung für entgangene Umsatzsteuer übernehmen muss, wenn sein Geschäftspartner falsche umsatzsteuerliche Angaben abgibt. Dies folgt insbesondere aus den unionsrechtlichen Vorgaben zum Vertrauensschutz des gutgläubigen Unternehmers. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Ende 2019 berücksichtigt werden. Die umsatzsteuerlichen Neuregelungen zum 1.1.2020 („Quick fixes“), BGBl. I 2019, 2451 (2467 ff.), wurden beim Verfassen der Arbeit vorausblickend eingearbeitet. Vereinzelte nach Abgabe der Arbeit erschienene Literatur wurde bis September 2020 noch nachträglich in den Fußnoten berücksichtigt. Des Weiteren wurde die Arbeit vor der Drucklegung an die Änderungen durch das Jahressteuergesetz 2020 (BGBl. I 2020, 3096) angepasst. Es gibt eine Reihe von Menschen, ohne deren Rückhalt diese Arbeit niemals entstanden wäre. Als erstes möchte ich Herrn Prof. Dr. Rainer Wernsmann vielmals und von ganzem Herzen für die vorbildliche Betreuung der Arbeit danken. Er hat mich in meiner Zeit als studentische Hilfskraft und späterer Wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl stets gefördert und mir beim Erstellen der Dissertation immer den nötigen Freiraum gewährt. Frau RiBFH Prof. Dr. Friederike Grube danke ich nicht nur ganz herzlich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens, sondern auch für die vielen hilfreichen Anregungen zu meiner Arbeit. Ich hatte das große Glück, zwei Jahre in einer Bürogemeinschaft mit meinem geschätzten Studienfreund, Herrn Simon Bering, zu arbeiten. Ich bin ihm für die vielen wertvollen Hinweise und Denkanstöße zu meiner Arbeit sehr dankbar. Darüber hinaus danke ich Herrn Dr. Dennis Fuchs vielfach für seine stetige Bereitschaft zu einem Gedankenaustausch. Dem gesamten Lehrstuhlteam sei für die schöne gemeinsame Zeit in Passau gedankt, an die ich sehr gerne zurückdenke. Für die unkomplizierte Förderung der Arbeit durch ein Zeitschriftenstipendium bin ich der Kanzlei „KMLZ – Küffner Maunz Langer Zugmaier“ sehr dankbar. Dadurch konnte die Verarbeitung von aktuellen umsatzsteuerlichen Entwicklungen sichergestellt werden. Mein größter Dank gilt schließlich meiner Familie: Leider konnte mein mir sehr nahestehender Onkel, Dr. Michael Stein, den Abschluss der Arbeit überraschend nicht mehr erleben. Ich bin ihm für seine stetige Hilfsbereitschaft und seine Unterstützung unendlich dankbar. Ich vermisse ihn und die interessanten Gespräche mit ihm sehr. Mein Bruder, Felix von Sanden, stand mir bei technischen Fragen stets
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Vorwort
zur Seite. Meine Eltern, Dr. Gabriele Sigl-von Sanden und Dr. Dipl.-Ing. Hasko von Sanden, haben mich während meines gesamten Studiums und meiner akademischen Laufbahn bedingungslos unterschützt. Meine größte Freude ist es, meiner Familie diese Arbeit in aller Dankbarkeit widmen zu können. Passau, September 2020
Philipp von Sanden
Inhaltsübersicht Teil I § 1
Einleitung und Grundlagen der Untersuchung 25 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
§ 2 Grundlagen des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 § 3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
Teil II
Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner 55
§ 4 Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 § 5 Verhältnis des Vertrauensschutzes zu zivilrechtlichen Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . 181 § 6 Zum Sorgfaltsmaßstab des gutgläubigen Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 § 7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Teil III
Herleitung des Vertrauensschutzes und Berücksichtigung innerhalb der nationalen Rechtsordnung 210
§ 8 Normative Herleitung des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 § 9 Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . 227 § 10 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Teil IV
Ausblick und Überlegungen de lege ferenda 253
§ 11 Gut- und Bösgläubigkeit im endgültigen Mehrwertsteuersystem . . . . . . . . . . . . . . 253 § 12 Vereinigung des Vertrauensschutzes mit einer wirksamen Betrugs- und Missbrauchsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
Teil V
Zusammenfassung der Ergebnisse 261
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Inhaltsübersicht
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Dokumentenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Inhaltsverzeichnis Teil I § 1
Einleitung und Grundlagen der Untersuchung 25 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Der redliche Unternehmer im harmonisierten Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . . . 25 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
§ 2 Grundlagen des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 A. Erhebungssystem der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I. Allphasen-Netto-System als europäische Vorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer bis 1967 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Allphasen-Netto-Umsatzsteuer seit 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Systembedingte Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner . . . . . . . 35 1. Abhängigkeitsverhältnisse im Allphasen-Netto-System . . . . . . . . . . . . 35 a) Indirekte Erhebungsform der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Nachweispflichten des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Abhängigkeitsverhältnisse im internationalen Warenverkehr . . . . . . . . 37 a) Bestimmungslandprinzip als maßgebliches Besteuerungssystem . . 37 b) Nachweispflichten als Folge des Bestimmungslandprinzips . . . . . . 39 c) Vergleich mit dem Ursprungslandprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Abhängigkeitsverhältnisse in umsatzsteuerlichen Spezialfällen . . . . . . 42 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 B. Gleichsetzung von Gutglaubensschutz und Vertrauensschutz? . . . . . . . . . . . . . 43 I. Ausgangssituation: Vertrauensbildung durch Privatperson . . . . . . . . . . . . . 44 II. Weites Verständnis des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 C. Missbrauchs- und Betrugskontrolle nebst Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Zur Missbrauchs- und Betrugsanfälligkeit der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . 49 II. Bösgläubigkeit als eigenständiger Versagungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 III. Verhinderung neuer Missbrauchs- und Betrugsvarianten . . . . . . . . . . . . . . 52 § 3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
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Inhaltsverzeichnis Teil II
Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner 55
§ 4 Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 A. Vorsteuerabzugsrecht, §§ 15, 15a UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Grundlagen des Vorsteuerabzugsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Erster Schritt: Erfassung der relevanten Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . 57 1. Unternehmereigenschaft des Vorleistenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 a) Vorleistender als Scheinunternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Strohmann oder Hintermann als Nichtunternehmer . . . . . . . . . . . . 59 aa) Identität von Leistendem und Rechnungsaussteller . . . . . . . . . . 60 bb) Strohmann ohne Unternehmereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 61 cc) Hintermann ohne Unternehmereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 61 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Rechnungsangaben gemäß § 14 Abs. 4 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Rechtlicher Gehalt der Rechnungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . 63 aa) Analyse der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (1) EuGH-Urteil vom 29.4.2004, Terra Baubedarf . . . . . . . . . . 63 (2) EuGH-Urteil vom 15.9.2016, Senatex . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (3) EuGH-Urteil vom 15.9.2016, Barlis 06 . . . . . . . . . . . . . . . . 65 (4) EuGH-Urteil vom 21.11.2018, Vădan . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 bb) Rechtsprechung des BFH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (1) Ordnungsgemäße Rechnung als formelles Nachweismittel 67 (2) Steuerausweis als materielles Kriterium? . . . . . . . . . . . . . . 69 (3) Gänzliche Entbehrlichkeit der Rechnung? . . . . . . . . . . . . . 69 (a) Zunächst: Kritische Betrachtung der Vădan-Entscheidung 70 (b) Progressives Verständnis vom Erfordernis einer Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 dd) Konsequenzen für den Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (1) Anderweitige Nachweisführung gelingt nicht . . . . . . . . . . 74 (2) Anderweitige Nachweisführung gelingt . . . . . . . . . . . . . . . 74 (3) Rechnung entspricht nicht den Formvorgaben . . . . . . . . . . 75 b) Vertrauensschutz bei unrichtigen Rechnungsangaben . . . . . . . . . . . 76 aa) Nicht überprüfbare Rechnungsangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (1) Angaben zur Steuernummer oder USt-IdNr. . . . . . . . . . . . . 76 (2) Angaben zur Rechnungsnummer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (3) Angaben zu Name und Anschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (4) Angaben zum Ausstellungsdatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
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bb) Überprüfbare Rechnungsangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (1) Angaben zum Leistungsdatum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (2) Angaben zur Leistungs- oder Empfängerbeschreibung . . . . 82 (3) Angaben zum (Netto-)Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (4) Angaben zum Steuerausweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 c) Verhältnis der Rechnungskorrektur zum Vertrauensschutz . . . . . . . . 84 aa) Rechnungsberichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 (1) Berichtigung nach § 14c Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 17 UStG . . . . 84 (2) Berichtigung nach § 14c Abs. 2 S. 3, S. 5 i. V. m. § 17 UStG 85 (3) Berichtigung nach § 31 Abs. 5 UStDV . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (4) Rückwirkung der Rechnungsberichtigung . . . . . . . . . . . . . 87 (a) Konstitutive Rechnungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (b) Keine rückwirkende Korrektur des Steuerausweises? . 88 (c) Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO . . . . . . . . . . . . 90 bb) Rechnungsergänzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (1) Anderweitige Beweisführung durch Zeugen? . . . . . . . . . . . 92 (2) Ergänzung von Kernbestandteilen der Rechnung . . . . . . . . 93 cc) Verhältnis zum Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (1) Vertrauensschutz des Leistenden beim Steuerausweis . . . . 94 (a) Unrichtiger Steuerausweis nach § 14c Abs. 1 UStG . . . 95 (b) Unberechtigter Steuerausweis nach § 14c Abs. 2 UStG 95 (2) Vertrauensschutz des Leistungsempfängers . . . . . . . . . . . . 97 d) Zusammenfassende Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 e) Vorsteuerabzug mit Gutschriften, § 14 Abs. 2 S. 2 UStG . . . . . . . . . 100 3. Erbringung einer Leistung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne . . . . . . . 102 a) Anlastung des Risikos juristisch umstrittener Sachverhalte . . . . . . 102 b) Täuschung über das Vorliegen oder Folgen einer Leistung . . . . . . . 104 aa) Nach außen kundgetane und innere Absicht . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Lösungsvorschlag: Einbeziehung des Vertrauensschutzes . . . . 106 III. Zweiter Schritt: Versagung des Vorsteuerabzugs nur noch wegen Bösgläubigkeit hinsichtlich eines Missbrauchs oder Steuerbetrugs . . . . . . . . . . . . . 107 1. Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Rechtsprechung des BFH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Eigenständiger Versagungsgrund bei Bösgläubigkeit . . . . . . . . . . . 109 b) Beweislastverteilung bezüglich gesetzlicher Voraussetzungen . . . . . 110 c) Vertrauensschutz als Ausfluss der Beweislastverteilung . . . . . . . . . 110
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Inhaltsverzeichnis aa) Keine Pflicht zum Negativbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 bb) Nachforschungspflicht nur bei überprüfbaren Falschangaben . . 112 d) Direkter Anspruch auf Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4. Verhältnis zur Beweislastverteilung im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . 115 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 B. Steuerbefreiung und Steuerbarkeit von innergemeinschaftlichen Lieferungen, §§ 4 Nr. 1 lit. b i. V. m. 6a UStG und §§ 3, 3c ff. UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Grundlagen zur innergemeinschaftlichen Lieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Nachweispflichten, § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV . . . . . . . 120 a) Neuregelungen zum 1.1.2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Vermutungsregelung nach Art. 45a MwSt-DVO . . . . . . . . . . . . 120 bb) Neuregelung der §§ 17a ff. UStDV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Verhältnis des Art. 45a MwSt-DVO zu §§ 17a ff. UStDV n. F. . . . . . 123 3. Nationale Vertrauensschutzregelung, § 6a Abs. 4 UStG . . . . . . . . . . . . . 123 a) Ursprüngliche Kritik an § 6a Abs. 4 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Deklaratorischer Regelungsgehalt des § 6a Abs. 4 UStG . . . . . . . . . 124 4. Sonderfälle innergemeinschaftlicher Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte, § 25b UStG . . . . . . . . . 128 c) Ausfuhrreihengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Erster Schritt: Erfassung der relevanten Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . 129 1. Bilaterale innergemeinschaftliche Liefergeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Unternehmereigenschaft des Abnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Scheinunternehmerschaft des Abnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Auseinanderfallen von angeblichem und tatsächlichem Abnehmer 131 b) Unrichtiger Beleg- oder Buchnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Verhältnis der formellen Nachweise zum Vertrauensschutz . . . 132 (1) Vermutungswirkung der formellen Nachweispflichten . . . 133 (2) Verhältnis des Art. 45a MwSt-DVO zum Vertrauensschutz
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(3) Verhältnis der §§ 17b–17d UStDV n. F. zum Vertrauensschutz 135 (a) Rechnungsdoppel, § 17b Abs. 2 Nr. 1 UStDV n. F. . . . . 136 (b) Gelangensbestätigung, § 17b Abs. 2 Nr. 2 UStDV n. F. . 137 (c) Belegnachweis nach § 17b Abs. 3 UStDV n. F. . . . . . . . 139 (d) Belegnachweis nach § 17c UStDV n. F. . . . . . . . . . . . . 140 (e) Verhältnis des Buchnachweises nach § 17d UStDV n. F. zum Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Inhaltsverzeichnis
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c) Mitteilung der USt-IdNr. und zusammenfassende Meldung . . . . . . 143 aa) Bestätigungsverfahren nach § 18e Nr. 1 UStG . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Vertrauensschutz bei Falschangaben des Abnehmers . . . . . . . . 146 d) Erbringung einer Lieferung im umsatzsteuerlichen Sinne . . . . . . . . 147 e) Erwerb des Abnehmers „für sein Unternehmen“ . . . . . . . . . . . . . . . 148 f) Ausbleibende Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland . . . . . . . . 148 2. Mehrseitige innergemeinschaftliche Liefergeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Vertrauensschutz bei der Zuordnung der Warenbewegung . . . . . . . 149 aa) EuGH-Urteil vom 21.2.2018, Kreuzmayr GmbH . . . . . . . . . . . . 150 bb) Irrtümliche rechtliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 cc) Vertrauensschutz bei täuschungsbedingter Fehlbeurteilung . . . 152 b) Innergemeinschaftliche Anschlussgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 aa) Zum sogenannten „Zollverfahren 42“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 bb) Vertrauensschutz im „Zollverfahren 42“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (1) Einheitliche Betrachtungsweise des Liefervorgangs . . . . . 155 (2) Vertrauensschutz des „indirekten Vertreters“ . . . . . . . . . . . 156 cc) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3. Ortsbestimmung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen . . . . . . . . . 158 a) Auffangbesteuerung nach § 3d S. 2 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Ortsbestimmungen in besonderen Fällen nach § 3c UStG . . . . . . . . 160 III. Zweiter Schritt: Versagung der Steuerbefreiung nur noch wegen Bösgläubigkeit hinsichtlich eines Missbrauchs oder Steuerbetrugs . . . . . . . . . . . . 161 1. Bösgläubigkeit als eigenständiger Versagungsgrund . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Nachweis der Voraussetzungen der Steuerbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Zusätzliches Fehlen materieller Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . 162 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 C. Steuerbefreiung von Ausfuhrlieferungen, § 4 Nr. 1 lit. a UStG i. V. m. § 6 UStG 164 I. Erster Schritt: Erfassung der relevanten Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . 165 1. EuGH-Urteil vom 21.2.2008, Netto Supermarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Konsequenzen für den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht . . . . . . 166 II. Zweiter Schritt: Versagung der Steuerbefreiung nur noch wegen Bösgläubigkeit hinsichtlich eines Missbrauchs oder Steuerbetrugs . . . . . . . . . . . . . 168 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 D. Bestimmung des Ortes einer sonstigen Leistung, § 3 Abs. 9 UStG i. V. m. § 3a UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Vermutungsregelungen nach Art. 18 ff. MwSt-DVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 II. Vertrauensschutz bei sonstigen Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Systematische Einordnung der Art. 18 ff. MwSt-DVO . . . . . . . . . . . . . . 171
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Inhaltsverzeichnis 2. „Gegenteilige Informationen“ des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 E. Reverse-Charge-Verfahren, § 13b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 I. Systembedingte Nachweispflichten des leistenden Unternehmers . . . . . . 174 II. „Nichtbeanstandungsregelung“ gemäß § 13b Abs. 5 S. 7 UStG . . . . . . . . . 175 III. Vertrauensschutz im Reverse-Charge-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1. Unzutreffende Annahme des § 13b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. Unzutreffende Nichtanwendung des § 13b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 F. Differenzbesteuerung, § 25a UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 I. Abhängigkeit von Angaben des Geschäftspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 II. EuGH-Urteil vom 18.5.2017, Litdana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 III. Eigene Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
§ 5 Verhältnis des Vertrauensschutzes zu zivilrechtlichen Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . 181 A. In Betracht kommende zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Schadensersatzrechtliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Bereicherungsrechtliche Ansprüche und Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . 182 B. Vorrangige Verweisung auf die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche . 184 I. Zum Vorsteuerabzugsrecht, §§ 15, 15a UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Überprüfbare oder nicht überprüfbare Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Unrichtiger oder unberechtigter Steuerausweis, § 14c UStG . . . . . . . . . 186 a) In Bezug auf den Leistenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) In Bezug auf den Leistungsempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Anzahlungen nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5. Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1a UStG . . . . . . . . . . . 190 II. Zur Steuerbefreiung grenzüberschreitender Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . 192 III. Zum Reverse-Charge-Verfahren nach § 13b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 IV. Zur Differenzbesteuerung nach § 25a UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 V. Zivilrechtliche Anfechtung des Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 C. Wegfall des Schadens durch die Gewährung von Vertrauensschutz? . . . . . . . . . 194 I. Vorrangwirkung des Vertrauensschutzes gegenüber Schadensersatz ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Heranziehung der Grundsätze des „normativen Schadens“ . . . . . . . . . . . . 195 1. Abtretung der zivilrechtlichen Ansprüche an den Fiskus? . . . . . . . . . . . 195 2. Anrechnung der Gewährung von Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . 196 D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Inhaltsverzeichnis
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§ 6 Zum Sorgfaltsmaßstab des gutgläubigen Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 A. Sorgfaltsmaßstab bezüglich der Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . 199 I. Sorgfaltsmaßstab bei hoheitlichen Bestätigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 II. Fahrlässige Unkenntnis unrichtiger Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 B. Sorgfaltsmaßstab bezüglich einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs in der Leistungskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I. Auslegung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 II. Bestimmung der Bösgläubigkeit im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Allgemeines zur Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Anhaltspunkte für Missbrauch oder Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . 205 a) Branchenübliche Sorgfaltsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Unseriöse Bargeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 c) Niedriger Verkaufspreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 d) Neue Geschäftsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 e) Weitere Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 § 7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
Teil III
Herleitung des Vertrauensschutzes und Berücksichtigung innerhalb der nationalen Rechtsordnung 210
§ 8 Normative Herleitung des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 A. Gegenläufige Lösung des EuGH: Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht als Zusammenspiel primärrechtlicher Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 B. Schutz des redlichen Unternehmers durch die GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Eingriff in die unternehmerische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 II. Schutz des Eigentumsrechts gemäß Art. 17 GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 III. Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Art. 20 GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 C. Vertrauensschutz anhand des nationalen Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 218 I. Zur Anwendbarkeit des nationalen Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Vollständig unionsrechtlich determinierte Umsetzungsgesetze . . . . . . . 218 2. Nicht vollständig unionsrechtlich determinierte Umsetzungsgesetze . . 220 II. Volle unionsrechtliche Determinierung des Vertrauensschutzes? . . . . . . . . 221 1. Vorsteuerabzugsrecht, §§ 15, 15a UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
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Inhaltsverzeichnis 2. Steuerbefreiungen, § 4 Nr. 1 lit. a und lit. b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Ort der sonstigen Leistungen, §§ 3 Abs. 9 i.V.m 3a UStG . . . . . . . . . . . 224 4. Reverse-Charge-Verfahren, § 13b UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 5. Differenzbesteuerung, § 25a UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 III. Vertrauensschutz im Anwendungsbereich des Verfassungsrechts . . . . . . . . 225 D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
§ 9 Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . 227 A. Rechtsmethodische Integration des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Integration durch unmittelbare Anwendung des Unionsrechts? . . . . . . . . . 228 1. Unmittelbare Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie . . . . . . . 228 2. Unmittelbare Anwendung des Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 II. Stufenweise Integration durch (richterliche) Rechtsfortbildung . . . . . . . . 230 1. Parallele: Integration der Bösgläubigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Absichtsbesteuerung nach der objektiven Empfängersicht . . . . . . . . . . 233 3. Übertragung der Überlegungen auf den Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . 234 a) Rechtsfortbildung des Unternehmerbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 b) Planwidrige Regelungslücke als zwingende Voraussetzung . . . . . . . 235 aa) Analoge Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG? . . . . . . . . . . . . . . . 235 (1) Keine planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (2) Keine vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 bb) Quelle-Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) Vergleich mit Rückzahlung unionsrechtswidriger Beihilfen . . . . . . 239 III. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 B. Verfahrensrechtliche Geltendmachung des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . 240 I. Stand der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Verfahrensautonomie und Effektivitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Billigkeitserlass von Amts wegen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Ermessensreduzierung auf Null . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 c) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Billigkeitsverfahren trotz bereichsübergreifender Analogieunfähigkeit des § 6a Abs. 4 UStG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Künstliche Aufspaltung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 4. Beweislastverteilung als maßgebender Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 5. Festsetzung nach „Auslegung“ des objektiven Tatbestands . . . . . . . . . . 250 III. Ergebnis zur verfahrensrechtlichen Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 § 10 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Inhaltsverzeichnis
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Teil IV
Ausblick und Überlegungen de lege ferenda 253
§ 11 Gut- und Bösgläubigkeit im endgültigen Mehrwertsteuersystem . . . . . . . . . . . . . . 253 A. Einheitliche europäische Lieferung („One-Stop-Shop“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 B. Klare Nachweispflichten zur Beweislastverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 C. Überkompensation als willkommener Nebeneffekt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I. Bereitwilligkeit des Gesetzgebers zur Überkompensation . . . . . . . . . . . . . 255 II. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 III. Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 § 12 Vereinigung des Vertrauensschutzes mit einer wirksamen Betrugs- und Missbrauchsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 A. Verlagerung der Beweislast durch Nachweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 B. Keine Pflicht zum Nachweis einer tatsächlichen Abführung . . . . . . . . . . . . . . 259 C. Zwischenstaatlicher digitaler Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
Teil V
Zusammenfassung der Ergebnisse 261
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Dokumentenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
Abkürzungsverzeichnis A. A. (a. A.) Andere / Abweichende Ansicht a. E. am Ende a. F. alte Fassung ABl. Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz Abschn. Abschnitt AdV Aussetzung der Vollziehung AEO Authorised Economic Operator (Zugelassener Wirtschaftsteilnehmer) AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AFS Österreichische Zeitschrift für Abgaben-, Finanz-, und Steuerrecht AG Amtsgericht AktStR Aktuelles Steuerrecht (Zeitschrift) allg. allgemein Alt. Alternative Anm. Anmerkung AO Abgabenordnung Art. Artikel AT Allgemeiner Teil Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BAG Bundesarbeitsgericht BAGE Sammlung der Entscheidungen des BAG BB Betriebs-Berater (Zeitschrift) BBK Buchführung, Bilanzierung, Kostenrechnung (Zeitschrift) BC Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling bearb. bearbeitet BeckRS Beck-Rechtsprechung (Fundstelle) Begr. Begründer Beih. Beihefter Beschl. Beschluss BeSt Beratersicht zur Steuerrechtsprechung (Zeitschrift) BFH Bundesfinanzhof Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH BFH / N V (Zeitschrift) BFHE Sammlung der Entscheidungen des BFH Bürgerliches Gesetzbuch BGB BGH Bundesgerichtshof BGHZ Sammlung der Entscheidungen des BGH in Zivilsachen BHO Bundeshaushaltsordnung BK Bonner Kommentar BMF Bundesfinanzministerium
Abkürzungsverzeichnis
21
Bundesrepublik Deutschland BRD BStBl. Bundessteuerblatt BT-Drucks. Bundestags-Drucksache Betrieb und Wirtschaft (Zeitschrift) BuW BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Sammlung der Entscheidungen des BVerfG BVerwG Bundesverwaltungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise das heißt d. h. Corporate Compliance (Zeitschrift) CCZ Der Betrieb (Zeitschrift) DB ders. derselbe dens. denselben dieselbe / n dies. Deutsche Notar-Zeitschrift DNotZ Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) DÖV Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft DStJG Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) DStR DStR-Entscheidungsdienst (Zeitschrift) DStRE Deutscher Steuerberaterverband e. V. DStV Deutsche Steuer Zeitung (Zeitschrift) DStZ Deutsche Steuer Zeitung / Ausgabe A (Zeitschrift) DStZ / A Die Verwaltung (Zeitschrift) DV Deutsches Verwaltungsblatt DVBl. eingetragener Verein e. V. Europäisches Forum für Außenwirtschaft, Verbrauchsteuern und Zoll EFA Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) EFG EG Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EGV Einf. Einführung endg. endgültig Entsch. Entscheidung EStG Einkommensteuergesetz Europäische Union EU Europäischer Gerichtshof EuGH Europäische Grundrechte Zeitschrift EuGRZ Europarecht (Zeitschrift) EuR EU-Umsatzsteuer-Berater (Zeitschrift) EU-UStB Vertrag über die Europäische Union EUV Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EuZW Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG folgende (Seite, Randnummer) f. folgende (Seiten, Randnummern) ff. FG Finanzgericht FGO Finanzgerichtsordnung Fn. Fußnote
22
Abkürzungsverzeichnis
Finanz-Rundschau (Zeitschrift) FR FS Festschrift GewStG Gewerbesteuergesetz GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls gl.A. gleiche Ansicht / Auffassung Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH Grundrechte-Charta der Europäischen Union GrCh Großer Senat GrS Grundl. Grundlegend Goods and Services Tax (Mehrwertsteuer) GST Gut. Gutachten herrschende Meinung h. M. Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) HFR Hübschmann / Hepp / Spitaler (AO / FGO-Kommentar) HHSp hrsg. herausgegeben Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz Handbuch des Staatsrechts HStR Handbuch des Strafrechts HStrafR in der Fassung i. d. F. im Ergebnis i.Erg. Im Sinne des / der i. S. d. im Sinne von i. S. v. in Verbindung mit i. V. m. insbes. insbesondere insg. insgesamt Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) IStR Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht JbFSt. jM Juris – Die Monatszeitschrift JStG Jahressteuergesetz Juris-Praxis-Steuerrecht (Fundstelle) jurisPR-SteuerR Juristische Schulung (Zeitschrift) JuS Juristenzeitung (Zeitschrift) JZ Kap. Kapitel Kfz Kraftfahrzeug Kammergericht (höchstes Berliner Gericht der ordentlichen GerichtsKG barkeit) KOM Kommission Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) KÖSDI kritisch / k ritisierend krit. KStG Körperschaftsteuergesetz LG Landgericht lit. Buchstabe LSK Leitsatzkartei mit weiteren Nachweisen m. w. N. Mrd. Milliarden Münchener Kommentar MüKo
Abkürzungsverzeichnis
23
MwSt Mehrwertsteuer MwSt-DVO Mehrwertsteuer-Durchführungsverordnung Mehrwertsteuerrecht (Zeitschrift) MwStR MwStSystRL Mehrwertsteuersystemrichtlinie neue Fassung n. F. Nichtannahmebeschl. Nichtannahmebeschluss Neue Juristische Online-Zeitschrift NJOZ Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW Nr. Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Neue Wirtschafts-Briefe (Zeitschrift) NWB Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZG Neue Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht NZWiSt ohne Herausgeber o. Hrsg. ohne Ortsangabe o. O. Organisation for Economic Cooperation and Development (OrganisaOECD tion für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) OFD Oberfinanzdirektion Offene Handelsgesellschaft OHG Österreichische Steuerzeitung (Zeitschrift) ÖStZ Österreichisches Umsatzsteuergesetz öUStG Praxis Internationale Steuerberatung (Zeitschrift) PIStB Praxis Steuerstrafrecht (Zeitschrift) PStR Rev. Revision RFH Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs RFHE RGBl. Reichsgesetzblatt Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) RIW rkr. rechtskräftig RL Richtlinie Randnummer / n Rn. Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung RStBl. Reichssteuerblatt Seite / n oder Satz S. Schlussantr. Schlussantrag Sammlung der Rechtsprechung des EuGH Slg. sogenannt / e sog. SolZG Solidaritätszuschlagsgesetz Ständige Rechtsprechung St.Rspr. StAuskV Steuer-Auskunftsverordnung Der Steuerberater (Zeitschrift) StB StbJb. Steuerberater-Jahrbuch Die steuerliche Betriebsprüfung (Zeitschrift) StBp Steuerberater Woche (Zeitschrift) StBW Steuer Consultant (Zeitschrift) StC Steuerrecht Kurzgefasst (Zeitschrift) SteuK
24
Abkürzungsverzeichnis
str. strittig StRO Steuerrechtsordnung Steuern und Bilanzen (Zeitschrift) StuB Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) StuW Steuer- und Wirtschaftskartei (österreichische Zeitschrift) SWK Teilurt. Teilurteil unter anderem, und andere u. a. unter Umständen u. U. UAbs. Unterabsatz UmwStG Umwandlungsteuergesetz Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) UR Urt. Urteil United States of America USA UStÄndG Umsatzsteuer-Änderungsgesetz Der Umsatzsteuer-Berater (Zeitschrift) UStB UStDV Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung UStG Umsatzsteuergesetz USt-IdNr. Umsatzsteueridentifikationsnummer Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (Zeitschrift) UVR UZK Unions-Zollkodex von / vom v. Value added tax (Mehrwertsteuer) VAT VC Verfahrenscode Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) VerwArch VerwR Verwaltungsrecht Vgl. Vergleiche VO Verordnung Vorbemerkungen Vor / Vorbem. Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen StaatsrechtslehrerVVDStRL tagung e. V. Fachzeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wistra Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankenrecht WM Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wpg zum Beispiel z. B. Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZEuP Zeitschrift für die Privatrechtswissenschaft ZfPW Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ZfZ Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht ZHR zit. zitiert Zeitschrift für das gesamte Medizin- und Gesundheitsrecht ZMGR zust. zustimmend
Teil I
Einleitung und Grundlagen der Untersuchung § 1 Einleitung A. Der redliche Unternehmer im harmonisierten Umsatzsteuerrecht Keine andere Steuer wird heute in ihrem nationalen Rechtskreis derart vom Unionsrecht beeinflusst wie die Umsatzsteuer.1 Im Bereich der indirekten Steuern weist die Umsatzsteuer die am weitesten fortgeschrittene Harmonisierung innerhalb des europäischen Binnenmarktes auf.2 Dies lässt sich auf ihre indirekte Erhebungsform zurückführen, durch die sich die Umsatzsteuer im Preis widerspiegelt und die erhebliche Beeinträchtigungen beim Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten hervorrufen kann.3 Zur Verhinderung von Wirtschaftsverzerrungen soll die Umsatzsteuer einer möglichst umfangreichen Rechtsangleichung4 zwischen den Mitgliedstaaten unterfallen. Allerdings ist die Harmonisierung der Umsatzsteuer vor ein anhaltendes Problem gestellt: Anders als im Einkommensteuerrecht ist im Umsatzsteuerrecht eine „tatbestandliche Kommunikation“ zwischen den Geschäftspartnern angelegt.5 In vielen Fällen ist der Unternehmer von Angaben des Geschäftspartners abhängig, um einen begünstigenden Tatbestand nachweisen zu können.6 Dies betrifft im Teilbereich des Vorsteuerabzugsrechts (§§ 15, 15a UStG) insbesondere die Rechnungsangaben des Vorleistenden gemäß § 14 Abs. 4 UStG. Auch für die Gewährung einer Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 4 Nr. 1 lit. b UStG i. V. m. § 6a UStG) oder Ausfuhrlieferungen (§ 4 Nr. 1 lit. a UStG i. V. m. § 6 UStG) sind Angaben des Abnehmers notwendig, auf deren Richtigkeit sich der Unternehmer verlassen muss. Kommt es zu Falschangaben des Geschäfts 1
Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 21. Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 21; Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 6; Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim, Europarecht, § 35, Rn. 49. 3 Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 9; Schröer-Schallenberg, in: Birk, Handbuch des Europäischen Steuer- und Abgabenrechts, § 27, Rn. 1; Fehling, in: Schaumburg / Englisch2, Europäisches Steuerrecht, Rn. 10.10. 4 Harmonisierung ist nicht als Rechtsvereinheitlichung zu verstehen, sondern als Rechtsangleichung. Zur Rechtsangleichung eröffnen sich die Handlungsformen des Art. 288 AEUV, vgl. Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 16; Waldhoff, in: Calliess / Ruffert, Art. 113 AEUV, Rn. 2, m. w. N. 5 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (8). 6 Stapperfend, UR 2013, 321; Sterzinger, DStR 2010, 2606; vgl. Weiß, UR 1985, 25 (26 f.). 2
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Teil I: Einleitung und Grundlagen der Untersuchung
partners, stellen sich viele Fragen: Ist der Unternehmer in seinem Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben seiner Geschäftspartner zu schützen? Woraus lässt sich im harmonisierten Umsatzsteuerrecht ein Vertrauensschutz des Unternehmers hinsichtlich der Angaben seiner Geschäftspartner herleiten, wenn dieser weder im nationalen Umsatzsteuergesetz noch im Sekundärrecht vorgesehen ist? Wie ist die Risikoverteilung zwischen Staat und Unternehmer, wenn durch Falschangaben eines Geschäftspartners ein Steuerschaden eintritt? In welchem Verfahren ist ein etwaiger Vertrauensschutz auf nationaler Ebene vorzubringen? Zur Verdeutlichung der Fragestellungen folgender Beispielsfall:7 A möchte zusammen mit B Elektronik- und Computerteile aus Taiwan nach Deutschland schmuggeln. Hierfür gründen sie mit notariellem Vertrag vom 10.11.2017 die sogenannte Y-GmbH, die am 18.5.2018 ins Handelsregister eingetragen wird und als Geschäftsgegenstand „Handel mit Elektronik- und Computerteilen“ vorweist. In Wirklichkeit besteht der einzige Zweck der Y-GmbH darin, gegenüber den deutschen Abnehmern als inländischer Lieferant aufzutreten und deutsche Umsatzsteuer auf den Rechnungsformularen auszuweisen. Eine normale Geschäftstätigkeit der Y-GmbH findet nicht statt. Unter der angegebenen Adresse existieren keine Geschäftsräume. Es findet sich nur ein Briefkasten mit der Aufschrift „Y-GmbH“. Die gutgläubige X-GmbH kauft innerhalb kurzer Zeit für einen Preis von insgesamt 20.000.000 € zuzüglich 3.800.000 € Umsatzsteuer aus 48 Rechnungen die für sie nicht erkennbar von A und B geschmuggelten Elektronikteile von der Y-GmbH. Den gesamten Rechnungsbetrag zahlt sie jeweils an die Y-GmbH, welche auch immer die Rechnungen ausstellt. Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung versagt das zuständige Finanzamt der X-GmbH den Vorsteuerabzug, da es sich bei der Y-GmbH um ein Scheinunternehmen handle und zudem die eigentlich liefernden A und B nicht mit dem Rechnungsaussteller identisch seien. Die X-GmbH trägt vor, dies alles sei für sie nicht erkennbar gewesen. Der Beispielsfall zeigt, dass für die umsatzsteuerliche Behandlung der X-GmbH Verhältnisse ihres Geschäftspartners miteinbezogen werden. Verhält sich dieser unredlich, kann es durch die Versagung des Vorsteuerabzugs und die damit verbundene endgültige Belastung mit Umsatzsteuer zu einem gravierenden Steuerschaden kommen.8 Konnte der Unternehmer die Angaben seines Geschäftspartners nicht überprüfen, wirft dies die Frage eines Vertrauensschutzes auf.9 Eine gesetzliche Vertrauensschutzregelung ist im deutschen Umsatzsteuerrecht de lege lata nur im Teilbereich der innergemeinschaftlichen Lieferungen unter § 6a Abs. 4 UStG zu finden. Bei einer rein objektiven Sichtweise müsste dem Unternehmer in allen übrigen Fällen – wie im Vorsteuerabzugsrecht – der beantragte Steuer 7
Orientiert an BFH, Urt. v. 4.9.2003 – V R 9, 10/02, BFHE 203, 389 = DStRE 2004, 96. Vgl. Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (30). Siehe dazu Fehrenbacher, Steuerrecht, § 7, Rn. 89, der davon ausgeht, dass „eine fehlerhafte Rechnung […] zulasten des Vorsteuerabzugsberechtigten [geht]“. 9 Vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 507. 8
§ 1 Einleitung
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vorteil versagt werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Angaben seines Geschäftspartners unzutreffend sind. Um diesem Ergebnis entgegenzuwirken, wird in der jüngeren Literatur besonders lebhaft ein bereichsübergreifender allgemeiner Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht diskutiert.10 Gestützt wird diese These insbesondere auf die richtungsweisende EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Netto Supermarkt11. Der EuGH hatte dort seine Rechtsprechung in der Rechtsache Teleos12, welche die Gewährung von Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen betraf, auf Ausfuhrlieferungen übertragen. Ein Vertrauensschutz bei Ausfuhrlieferungen sei sogar geboten, wenn eine nationale Vertrauensschutzregelung wie § 6a Abs. 4 UStG nicht existiert.13 Einige Literaturstimmen wollen den Vertrauensschutz deshalb auch auf weitere Teilbereiche des Umsatzsteuerrechts übertragen.14 Während der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht zunächst kaum diskutiert wurde,15 hat der EuGH mittlerweile durch zahlreiche neue Entscheidungen die Fachwelt für die Problematik sensibilisiert.16 Die Auswirkungen der unionsrechtlichen Vorgaben auf das nationale Umsatzsteuerrecht müssen allerdings noch weiter untersucht werden.17 Schon im Jahr 2010 hatte der BFH erklärt, dass er im Bereich des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht „erstaunlicherweise offensichtliche Probleme“ bei der Übernahme unionsrechtlicher Vorgaben hat.18 Ausnahmslos belässt es die finanzgerichtliche Rechtsprechung19 in Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung20 zur Herleitung des Vertrauensschutzes bei einer 10
Vgl. Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1602, 1608); Heuermann, StuW 2018, 123 (132 ff.); Stapperfend, UR 2013, 321 (324); von Streit, UStB 2012, 288 (289); Sterzinger, DStR 2010, 2606 (2606 ff.); Drüen, DB 2010, 1847 (1847 f.); Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil B; Widmann, in: FS für J. Lang, S. 913 (919 f.); Tumpel / Prechtl, SWK 2006, 872 (874 ff.); Kraeusel, Diskussionsbeitrag, in: JbFSt. 2008/09, S. 595 (602). 11 EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 = DStR 2008, 450 mit Anm. Langer / Z ugmaier, DStR 2008, 453. 12 EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 = DStRE 2008, 109. 13 EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (798), Rn. 27. 14 Englisch, UR 2009, 181 (185); Drüen, DB 2010, 1847 (1848); Nieskens, UR 2008, 812 (813). 15 Vgl. etwa den 9. Jahrestagungsband des EFA, Vertrauensschutz in der Europäischen Union, 1997. Trotz einer steuerrechtlichen Ausrichtung einzelner Beiträge fand der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht dort noch keine Berücksichtigung. 16 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, DStRE 2017, 1389; EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, DStR 2018, 461; EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (105), Rn. 35 ff. 17 Vgl. Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1602 f.); dens., UR 2018, 45 (74). 18 BFH (Hrsg.), 60 Jahre Bundesfinanzhof – Eine Chronik (1950–2010), S. 357 f. unter Hinweis auf BFH, Urt. v. 30.7.2008 – V R 7/03, BFHE 223, 372. 19 Vgl. nur BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254 (262) = DStR 2009, 1427 (1430); BFH, Urt. v. 8.10.2008 – V R 63/07, BFH / N V 2009, 1473 (1476); FG Hessen, Urt. v. 12.4.2016 – 6 K 2281/12, BeckRS 2017, 94626, Rn. 1.b.aa. 20 EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7854 f.), Rn. 58; EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (796), Rn. 18.
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Teil I: Einleitung und Grundlagen der Untersuchung
isolierten Prüfung der „Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes“. Diese Vorgehensweise strebt das Ergebnis an, den in Dienst genommenen Unternehmer vor Falschangaben seiner Geschäftspartner zu schützen,21 lässt aber offen, welche Reichweite den herangezogenen allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Einzelfall zukommt.22 Eine grundrechtliche Sichtweise wird nur vereinzelt in Betracht gezogen.23 Dabei muss sich das Umsatzsteuerrecht aufgrund seiner unionsrechtlichen Determinierung an der Grundrechtecharta der Europäischen Union (GrCh) messen lassen.24 Nur im Falle eines Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten kann es noch am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes gemessen werden.25 Ein weiteres Problemfeld ist die Auswirkung der Einhaltung formaler Voraussetzungen (wie § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV) auf den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht.26 Dies betrifft die Frage, ob einem Unternehmer hinsichtlich eines fehlerhaften materiellen Tatbestands auch Vertrauensschutz zugesprochen werden muss, wenn er zuvor formale Voraussetzungen nicht eingehalten hat.27 In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, welcher Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist, damit das Vertrauen des Unternehmers in die Angaben seines Geschäftspartners überhaupt schützenswert ist.28 Selbst wenn ein Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht im Ergebnis möglich sein kann, hat sich dessen verfahrensrechtliche Geltendmachung auf nationaler Eben zu einem Dauerstreitthema zwischen der Rechtsprechung und der Literatur entwickelt. Die ständige Rechtsprechung geht davon aus, dass in Teilbereichen des Umsatzsteuerrechts, in denen eine gesetzliche Regelung wie § 6a Abs. 4 UStG nicht
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Vgl. Dietlein, UR 2004, 531 (532). Krit. zur Reichweite auch Ismer, Rechtsgutachten, S. 27; Laudacher, SWK 2010, 847 (850); vgl. dazu Ossenbühl, DÖV 1972, 25 (34), der bzgl. eines staatlich geschaffenen Vertrauenstatbestands davor warnt, den Vertrauensschutz als „Allerweltsformel“ für die Beseitigung unerwünschter Ergebnisse zu erfassen. 23 Englisch, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39 (72 f.). 24 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 11.7.1989, Rs. 265/87, Schräder, BeckRS 2004, 72769, Rn. 16 ff.; Jarass, in: Jarass, Art. 16 GRCh, Rn. 17; Englisch, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39 (70 ff.); Dobratz, UR 2014, 425 (426 ff.). 25 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300 (301 ff.), Rn. 44 ff.; BVerfG, Beschl. v. 19.7.2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 (90); Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (November 2014), Rn. 399; Bleckmann, Nationale Grundrechte im Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Union, S. 379 f.; Mellinghoff, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 165 (175). 26 Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil C; Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (472 ff.); Englisch, UR 2008, 481 (481 ff.). 27 Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 296 geht davon aus, dass „im Einzelnen hier noch einiges unklar [ist]“; vgl. Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil C; Oelmaier, DStR 2008, 1213 (1216 f.); Matheis / Krumes, UVR 2012, 316 (318 f.). 28 Vgl. Grünwald, in: Hartmann / Metzenmacher, § 6a UStG (Dezember 2014), Rn. 241; Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 205 f. 22
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existiert, ein Vertrauensschutz nur im Wege eines Billigkeitsverfahrens gemäß §§ 163, 227 AO möglich sei.29 Teilweise erhält die Rechtsprechung Zuspruch.30 Weit überwiegend wird stattdessen in der Literatur seit Jahren eine Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im Festsetzungsverfahren gefordert.31 Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg schloss sich dieser Ansicht in einem rechtskräftigen AdV-Beschluss an.32 Dies hat Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung zur Folge.33 Für den Unternehmer wäre es von Vorteil, wenn der Vertrauensschutz bezüglich der Angaben seiner Geschäftspartner bereits im Festsetzungsverfahren gewährt werden würde und er einem solchen nicht erst nachträglich innerhalb eines Billigkeitsverfahrens „hinterherlaufen“ müsste.
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BFH, Urt. v. 18.2.2016 – V R 62/14, DStR 2016, 960 (962), Rn. 22 mit Anm. Heuermann, DStR 2016, 963; BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559 (566) = DStR 2015, 2073 (2075), Rn. 31 mit Anm. Heuermann, DStR 2015, 2077 (2077 f.); BFH, Urt. v. 10.9.2015 – V R 17/14, NZWiSt 2016, 29 (33), Rn. 48; BFH, Beschl. v. 26.10.2010 – V B 104/09, BFH / N V 2011, 609, Rn. 7; BFH, Beschl. v. 12.10.2010 – V B 134/09, BFH / N V 2011, 326, Rn. 6; BFH, Urt. v. 8.7.2009 – XI R 51/07, BFH / N V 2010, 256; BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R 15/07, BFHE 225, 254 (261 f.); BFH, Urt. v. 08.10.2008 – V R 63/07, BFH / N V 2009, 1473 (1477); FG München, Beschl. v. 21.6.2010 – 14 K 4034/07, BeckRS 2010, 26029453, Rn. II.; FG Hessen, Urt. v. 12.4.2016 – 6 K 2281/12, BeckRS 2017, 94626, Rn. 1.b.aa. 30 Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (438 f.); Rüsken, in: Klein, § 163 AO, Rn. 60, 65; Oellerich, in: Gosch / Hoyer, § 163 AO (Januar 2017), Rn. 131; Weimann, UStB 2009, 273 (273 f.); Sterzinger, DStR 2010, 2606 (2608); R. Schwarz, in: Widmann / Schwarz / Radeisen, § 6 UStG (September 2019), Rn. 521; Osterloh, UVR 2016, 207 (208); tendenziell befürwortend auch Widmann, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 15 UStG (September 2019), Rn. 74; Kraeusel, in: Reiß / K raeusel / Langer / Wäger, UStG-Kommentar, § 15 UStG (August 2019), Rn. 733. 31 Grube, MwStR 2015, 969 (970); dies., jurisPR-SteuerR 36/2016, Anm. 6, Teil C; Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1605); ders., UR 2018, 45 (52); ders., UR 2017, 41 (46); Lange, UR 2020, 595 (598 ff.); Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 33; Wagner, Diskussionsbeitrag, in: JbFSt. 2008/09, S. 595 (601); Heidner, UR 2002, 445 (450); Hassa, UR 2015, 809 (821); Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 900 ff.; Stapperfend, UR 2013, 321 (324); Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (März 2018), Rn. 79; Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 89 ff.; Schumann, DStR 2017, 2719 (2721); Grünwald, MwStR 2013, 13 (16); von Streit, UStB 2013, 201 (207); ders., UStB 2012, 288 (292); Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 262; Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1076); Weymüller, in: Weymüller2, § 14 UStG, Rn. 515.2; ders., MwStR 2015, 820 (821); Heinrichshofen, in: Hartmann / Metzenmacher, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG (September 2016), Rn. 361; Robisch, in: Bunjes18, § 6 UStG, Rn. 34; Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 196; Tehler, in: Rau / Dürrwächter, § 6 UStG (Januar 2014), Rn. 578 f.; Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 282; Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 745; Höink / Hudasch, BB 2017, 215 (217); Beyer, StBW 2012, 85 (86); mittlerweile auch Sterzinger, UR 2017, 609 (614). 32 FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 4.6.2013 – 5 V 5022/13 (rkr.), DStRE 2014, 364. 33 Vgl. Stapperfend, UR 2013, 321 (324 f.); von Streit, UStB 2013, 201 (207).
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Teil I: Einleitung und Grundlagen der Untersuchung
Zudem darf die Gewährung von Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht nicht zu neuen Missbrauchs- und Betrugskonstellationen führen.34 Hier gilt es, eine angemessene Lösung zu finden, die einerseits dem Schutz des redlichen Unternehmers vor Falschangaben seiner Geschäftspartner Rechnung trägt und andererseits das Allgemeininteresse an einer wirkungsvollen Missbrauchs- und Betrugsbekämpfung zur Sicherung des Umsatzsteueraufkommens nicht vernachlässigt.35
B. Gang der Untersuchung Gegenstand der Arbeit ist der Schutz des redlichen Unternehmers vor Falschangaben seiner Geschäftspartner im harmonisierten Umsatzsteuerrecht36. Die Arbeit behandelt zunächst die Grundlagen des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht (§ 2). Die Zwischenergebnisse finden sich zusammengefasst unter § 3 der Arbeit. Unter § 4 der Arbeit werden die Fallkonstellationen, die für den Vertrauensschutz aufgrund von Falschangaben des Geschäftspartners relevant sind, dargestellt. Dabei erfolgt eine Abgrenzung des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht zu anderen Instrumenten des Umsatzsteuerrechts wie der Rechnungsergänzung oder Rechnungsberichtigung, die es zulassen, dass der beantragte materielle Tatbestand trotz anfänglich formell fehlerhafter Nachweisführung doch noch gewährt wird37. Des Weiteren wird unter § 5 der Arbeit das Verhältnis des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht zu zivilrechtlichen Ansprüchen gegen den Geschäftspartner untersucht. Unter § 6 der Arbeit ist näher aufzugreifen, welchen Sorgfaltsmaßstab der Unternehmer beim Umgang mit den Angaben seiner Geschäftspartner einhalten muss, damit er überhaupt schutzwürdig ist. Einen weiteren Schwerpunkt setzt die Arbeit mit der normativen Herleitung (§ 8) und Berücksichtigung des Vertrauensschutzes innerhalb des deutschen Umsatzsteuergesetzes (§ 9), denn die harmonisierende Mehrwertsteuersystemrichtlinie 34 Vgl. Ammann, UR 2005, 533 (539); Sterzinger, DStR 2010, 2606; Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, S. 1591 (1593 f.). 35 So bereits Reiß, BB 1981, 1632 (1634 f.). 36 Terminologisch sprechen der deutsche und österreichische Gesetzgeber nach wie vor von einer „Umsatzsteuer“, während der europäische Gesetzgeber den Begriff „Mehrwertsteuer“ verwendet und damit die Erhebung in Form der Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug betonen möchte (siehe dazu sogleich Seite 32 ff.). In der Literatur wird des Öfteren eine Anpassung des nationalen Sprachgebrauchs an die europäischen Vorgaben gefordert, indem etwa auch nicht mehr von einer „Umsatzsteuer-Identifikationsnummer“, sondern einer „Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer“ gesprochen werden sollte, vgl. Lohse, UR 2019, 321 (321 ff.). Die Arbeit soll sich hier nach dem Sprachgebrauch des nationalen Steuergesetzgebers richten. Vereinzelt kann der Begriff der „Mehrwertsteuer“ verwendet werden, um den unionsrechtlichen Bezug zu verdeutlichen, so auch Höink, Nichtsteuerbare Vermögensübertragungen im Umsatzsteuerrecht, S. 25 dort Fn. 20. 37 Vgl. Michel, DB 2018, 2957 (2962 f.).
§ 2 Grundlagen des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht
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enthält grundsätzlich keine Vorgaben für den Schutz eines redlichen Unternehmers bei Falschangaben seines Geschäftspartners.38 Dabei ist die selten vorgenommene Herleitung des Vertrauensschutzes aus den Unionsgrundrechten39 genauer zu untersuchen. Daneben ist der Anwendungsbereich des nationalen Verfassungsrechts bei vollständig determiniertem Umsetzungsrecht40 zu prüfen. Im nächsten Schritt ist die verfahrensrechtliche Geltendmachung des Vertrauensschutzes zu behandeln. Die Zwischenergebnisse sind unter § 10 der Arbeit zusammengefasst. Schließlich finden sich ein Ausblick zur Gut- und Bösgläubigkeit im endgültigen Mehrwertsteuersystem (§ 11) und Vorschläge, wie ein Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht mit einer wirksamen Missbrauchs- und Betrugskontrolle in Einklang zu bringen ist (§ 12). Die Ergebnisse der Arbeit finden sich zusammengefasst unter Teil V. Nicht vertiefend untersucht wird der Vertrauensschutz auf der Grundlage von Akten der Exekutive, Legislative oder Judikative,41 denn der Vertrauenstatbestand wird hier durch die Angaben des als Privatperson handelnden Geschäftspartners hervorgerufen42.
§ 2 Grundlagen des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht Die Grundlagen des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht werden im Folgenden näher dargestellt. Einzugehen ist insbesondere auf das Erhebungssystem der Umsatzsteuer (dazu A.). Ferner ist eine terminologische Abgrenzung zwischen „Gutglaubensschutz“ und „Vertrauensschutz“ (dazu B.) vorzunehmen und das Verhältnis des Vertrauensschutzes zu einer effektiven Betrugs- und Missbrauchskontrolle im Umsatzsteuerrecht aufzugreifen (dazu C.).
A. Erhebungssystem der Umsatzsteuer § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erklärt unternehmerisches Handeln für steuerbar, wenn eine Lieferung oder sonstige Leistung vorliegt. Anders als bei den Ertragsteuern muss der Unternehmer die Umsatzsteuer selbst berechnen (vgl. §§ 167, 168, 150 38 Der Schutz des redlichen Unternehmers im Umsatzsteuerrecht wird vielmehr als ein „tragende[s] Prinzip“ verstanden, vgl. Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 32 39 Vgl. z. B. Englisch, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39 (72 f.); dens., UR 2011, 488 (492). 40 Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 19.7.2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 (90). 41 Siehe monographisch dazu Blanke, Vertrauensschutz im europäischen Verwaltungsrecht, passim; Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, passim; Weber-Dürler, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, passim. 42 Dazu und zu der Frage, ob dann noch begrifflich von einem „Vertrauensschutz“ gesprochen werden kann sogleich Seite 31 ff. und 43 ff.
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Teil I: Einleitung und Grundlagen der Untersuchung
Abs. 1 S. 3 AO, 18 UStG), sodass insoweit Kontrollaufgaben, die ansonsten bei der Finanzverwaltung liegen, vom Unternehmer vorgenommen werden müssen.43 Zudem unterscheidet sich die Umsatzsteuer von den Ertragsteuern gerade darin wesentlich, dass Verhältnisse der Geschäftspartner mit in die umsatzsteuerlichen Tatbestände einfließen.44 So zielt etwa die Einkommensteuer primär darauf ab, die Einkünfte des Steuerpflichtigen zu erfassen und nach dessen Leistungsfähigkeit zu besteuern,45 während ihr eine Einbeziehung der Verhältnisse des Geschäftspartners eher fremd ist.46 I. Allphasen-Netto-System als europäische Vorgabe Bei der traditionell in Deutschland erhobenen Allphasenbesteuerung unterfällt jeder Umsatzakt auf jeder Wirtschaftsstufe einer steuerlichen Belastung.47 Das Gegenmodell ist eine Einphasenbesteuerung, bei der die Steuer mit entsprechend hohem Steuersatz auf einer einzigen Wirtschaftsstufe erhoben wird.48 Dies bereitet Schwierigkeiten bei der Festlegung der jeweiligen Wirtschaftsstufe.49 Auch eine Mehrphasenbesteuerung, die nur auf bestimmten Wirtschaftsstufen erfolgt,50 konnte sich nicht durchsetzen. Heute wird in der Europäischen Union eine „allgemeine“ Umsatzsteuer als Allphasensteuer auf jeder Wirtschaftsstufe erhoben.51
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Stapperfend, UR 2013, 321. Vgl. Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (30). 45 Vgl. Wernsmann, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1229 (1230 ff.); ders., DStR-Beih. 2009, 101; Lang, in: Leitgedanken des Rechts, FS für P. Kirchhof, Band II, § 168, S. 1827 (1831); Weber-Grellet, in: Schmidt38, § 9 EStG, Rn. 1. 46 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (8). Zwar kennt die Einkommensteuer auch die Rechnung als Beleg (z. B. für Werbungskosten gemäß § 9 EStG), einkommensteuerliche Vorteile setzen aber beispielsweise nicht die Unternehmereigenschaft des Geschäftspartners voraus. 47 Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 22. 48 Eine Einphasenbesteuerung („single stage levies“) wurde hauptsächlich in den USA in Form einer Produktionsteuer („manufactures sales tax“) und einer Kleinhandelsteuer („retail sales tax“) erhoben, ein weiteres Beispiel ist die Großhandelsteuer („wholesale tax“); vgl. Terra, Sales Taxation, S. 21 ff.; Pohmer, in: Neumark, Handbuch der Finanzwissenschaft, Band II, S. 674 ff. 49 Popitz, in: Gerloff / Meisel, Handbuch der Finanzwissenschaft, Band II, S. 180 (193). 50 Siehe etwa die bis Mitte 1954 in Frankreich erhobene „taxe à la production“, näher dazu Pohmer, in: Neumark, Handbuch der Finanzwissenschaft, Band II, S. 660. 51 Vgl. Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 13 ff.; Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 23; siehe zur Allphasenbesteuerung Popitz, in: Gerloff / Meisel, Handbuch der Finanzwissenschaft, Band II, S. 180 (194). 44
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1. Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer bis 1967 Bis zum Jahr 1967 wurde die Umsatzsteuer in Form einer Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer ohne Vorsteuerabzug erhoben. Diese Ausgestaltungsform der Allphasen besteuerung ging ursprünglich auf Johannes Popitz zurück.52 Die Ausformung in Gestalt einer Brutto-Umsatzsteuer ohne Vorsteuerabzug ließ die Umsatzsteuer auf jeder Wirtschaftsstufe auf das volle Entgelt inklusive der im Preis übergewälzten Umsatzsteuer anfallen.53 Zwar ergaben sich dadurch für den Staatshaushalt besonders hohe Erträge. Es kam jedoch nachweisbar54 zu Kumulations- beziehungsweise Kaskadeneffekten.55 Die schon einmal gezahlte Steuer wurde Teil der Bemessungsgrundlage auf der nächsten Wirtschaftsebene.56 Die Steuerbelastung wurde so immer größer, je mehr Wirtschaftsebenen durchlaufen wurden, was Unternehmenskonzentrationen zur Bündelung der einzelnen Wirtschaftsschritte begünstigte.57 Zwar wurde die kumulative Wirkung dadurch abgeschwächt, dass Großhändler und verarbeitende Unternehmer von der Umsatzsteuer entweder befreit wurden oder bei diesen nur ein ermäßigter Steuersatz von 1 % erhoben wurde,58 jedoch erreichte man mit der Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer dauerhaft keine Wettbewerbsneutralität.59 Darüber hinaus war die Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer für den grenzüberschreitenden Warenverkehr ungeeignet, da zur Verwirklichung des Bestimmungs landprinzips beim Warenverkehr über die Grenze anhaltend Ausgleichsmaßnahmen vorgenommen werden mussten.60 Der damalige EWG-Vertrag hatte richtungsweisend das Bestimmungslandprinzip vorgesehen, mit welchem die Ausfuhrlieferungen im Ursprungsland von der Umsatzsteuer befreit wurden und damit nur der Umsatzsteuer im Bestimmungsland unterfielen,61 weshalb die AllphasenBrutto-Umsatzsteuer nicht weiter zukunftstauglich war.62 Schließlich erklärte das BVerfG die Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer mit Urteil vom 20.12.1966 wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch erhebliche Wettbewerbsverzerrungen und Benachteiligung von kleineren Einzelhandelsbetrieben für verfassungswidrig.63 Der 52
Popitz, Umsatzsteuergesetz-Kommentar3, S. 5 ff. und S. 39. Popitz, Umsatzsteuergesetz-Kommentar3, S. 8; vgl. Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 22. 54 Siehe dazu Petersen / Spanakakis, Die kumulierte Umsatzsteuerbelastung in der BRD, S. 21 ff. 55 Beck, Von der Brutto-Umsatzsteuer zur Mehrwertsteuer, S. 6; Heilmann, Die Umsatzsteuerreform in der Bundesrepublik Deutschland, S. 53 ff. 56 Scheffler, Besteuerung von Unternehmen, Band I, Rn. 682. 57 Statt aller Pohmer, in: FS für P. Scherpf, S. 375 (376); Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 22. 58 Vgl. dazu Grabower / Herting / Schwarz, Die Umsatzsteuer, S. 212 ff. 59 Beck, Von der Brutto-Umsatzsteuer zur Mehrwertsteuer, S. 6; a. A. noch Plückebaum / Malitzky, Umsatzsteuergesetz-Kommentar8, Band I, S. 181, Rn. 11 ff. 60 Beck, Von der Brutto-Umsatzsteuer zur Mehrwertsteuer, S. 7. 61 Art. 95 bis 97 EWGV; vgl. Beck, Von der Brutto-Umsatzsteuer zur Mehrwertsteuer, S. 7. 62 Vgl. Tipke, StRO, Band II2, S. 1007; Pohmer, in: FS für P. Scherpf, S. 375 (375 f.). 63 BVerfG, Urt. v. 20.12.1966 – 1 BvR 320/57, 70/63, BVerfGE 21, 12 ff.; vgl. Tipke, StRO, Band II2, S. 1007; Seiler, in: Maunz / Dürig, Art. 106 GG (September 2017), Rn. 142. 53
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Gesetzgeber war gezwungen, die Verabschiedung bereits vorliegender Reform entwürfe64 zu beschleunigen.65 So kam es im Jahr 1967 zu einer umfänglichen Reform der Allphasenbesteuerung. 2. Allphasen-Netto-Umsatzsteuer seit 1968 Bereits im Jahr 1919 entwickelte Wilhelm von Siemens den Vorschlag einer Abziehbarkeit der Umsatzsteuer auf die Vorumsätze im Wege einer AllphasenNetto-Umsatzsteuer.66 Dahinter stand die Idee, kumulative Wirkungen der Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer zu vermeiden, indem der Unternehmer die gezahlten Vorsteuerbeträge vom Finanzamt rückvergütet bekommen sollte. Die ausschließliche und einmalige Belastung des Endverbrauchers tritt dadurch ein, dass dieser nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Die bis heute maßgebliche AllphasenNetto-Umsatzsteuer trat mit Reformgesetz vom 29.5.196767 am 1.1.1968 in Kraft. Die Umsatzsteuerreform wurde dabei maßgeblich durch Art. 99 EWGV68 geprägt, der einen weiteren entscheidenden Anstoß zur Einführung des Systems einer Allphasen-Netto-Umsatzsteuer gab.69 Nach Art. 2, 3 lit. a, c und f EWGV sollten innerhalb des „Gemeinsamen Marktes“ der Mitgliedstaaten zugunsten eines unverfälschten Wettbewerbs keine Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs-, und Kapitalverkehr bestehen. Im Sinne des Art. 99 EWGV sollte der innergemeinschaftliche Handel dadurch gefördert werden, dass der Unternehmer durch das Recht zum Vorsteuerabzug nicht mit Umsatzsteuer belastet und die Umsatzsteuer dadurch wettbewerbsneutral ausgestaltet wird.70 Die Umsatzsteuer sollte auf dem Gebiet der Europäischen Gemeinschaft harmonisiert werden, um Wettbewerbsverzerrungen gezielt zu vermeiden. Mit dem Vertrag von Lissabon71 wurde das primäre Harmonisie 64
BT-Drucks. IV/1590 und BT-Drucks. V/48. Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Band I, AT, S. 14. 66 W. von Siemens, Veredelte Umsatzsteuer1. Zit. nach C. von Siemens, Veredelte Umsatzsteuer2, S. 4 ff., der das Werk nach dem Tod von W. von Siemens im Jahr 1919 weiterführte. 67 UStG v. 29.5.1967; BGBl. I 1967, 545; vgl. Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Band I, AT, S. 14 f.; ausführlich dazu Zerres, Die Entwicklung der Mehrwertsteuer, S. 54 ff., S. 64 f. 68 Vertrag zur Gründung einer EWG v. 25.3.1957, BGBl. II 1957, 766. Art. 99 EWGV lautete: Die Kommission prüft, wie die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern, einschließlich der Ausgleichsmaßnahmen für den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, im Interesse des Gemeinsamen Marktes harmonisiert werden können. […]. 69 Heilmann, Die Umsatzsteuerreform in der Bundesrepublik Deutschland, S. 145 f., S. 183 ff.; Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 8; Pohmer, in: Neumark, Handbuch der Finanzwissenschaft, Band II, S. 687; vgl. BT-Drucks. IV/1590, S. 23. 70 Vgl. Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 10 f. 71 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 13.12.2007 (in Kraft seit 65
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rungsziel, eine steuerliche Wettbewerbsgleichheit der indirekten Steuern innerhalb des europäischen Binnenmarktes zu erreichen, in dem heute geltenden Art. 113 AEUV niedergeschrieben.72 Zur Harmonisierung stehen die Handlungsformen des Art. 288 Abs. 1 AEUV zur Verfügung. Dabei ist heute die Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL)73 das maßgebliche Instrument zur Harmonisierung der Umsatzsteuer. Sie ist hinsichtlich ihrer Ziele für die nationalen Mitgliedstaaten verbindlich, überlässt ihnen jedoch bei der Umsetzung in innerstaatliches Recht die Wahl hinsichtlich der Form und der Mittel (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV). Die Art. 168 ff. MwStSystRL verpflichten dabei die Mitgliedstaaten zur Umsetzung des Rechts auf Vorsteuerabzug. Innerhalb der Europäischen Union müssen alle Mitgliedstaaten das Allphasen-Netto-System verfolgen (vgl. Art. 1 MwStSystRL), sodass es zu einer Neutralisation der Umsatzsteuer-Vorbelastungen kommen soll.74 Der Umsatzsteuer soll dadurch europaweite Wettbewerbsneutralität zukommen. II. Systembedingte Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner Die Allphasen-Netto-Umsatzsteuer ist von einer Interdependenz zwischen den Angaben der Geschäftspartner und dem Eintritt der Neutralität der Umsatzsteuer geprägt.75 Systembedingt ist der Unternehmer von Angaben seiner Geschäftspartner abhängig,76 die es der Finanzverwaltung erleichtern sollen, die Umsatzgeschäfte nachzuverfolgen. Sind die Angaben unzutreffend, kann es vorkommen, dass der Unternehmer neutralitätswidrig mit Umsatzsteuer belastet wird.77 1. Abhängigkeitsverhältnisse im Allphasen-Netto-System Die Diskussion um den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht begann in den Anfangsphasen des Allphasen-Netto-Systems.78 Hintergrund waren die zahlreichen Nachweispflichten, die das System mit sich brachte. Schon vor der Einführung des Allphasen-Netto-Systems mit Vorsteuerabzug wurden die Nachweispflichten des Unternehmers als ein wesentlicher Nachteil bezeichnet.79 1.12.2009), ABl. Nr. C 307/2007, S. 1 ff.; dazu insg. Schaumburg, in: Schaumburg / Englisch2, Europäisches Steuerrecht, Rn. 2.11. 72 Waldhoff, in: Calliess / Ruffert, Art. 113 AEUV, Rn. 1. 73 RiL 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006, ABl. Nr. L 347/2006, S. 1. 74 Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 15. 75 Vgl. Widmann, in: FS für J. Lang, S. 913 (915). 76 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (30). 77 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (30). 78 Leipold, Personelle Zurechnung von Umsätzen und Vorsteuerabzug, S. 227. 79 Siehe etwa Plückebaum / Malitzky, Umsatzsteuergesetz-Kommentar8, Band I, S. 191, Rn. 13d, die zudem in Bezug auf eine etwaige Bescheinigung über gezahlte Umsatzsteuer konstatieren: „Die […] nur schwer nachprüfbaren Bescheinigungen über die vom Vorunternehmer gezahlte Umsatzsteuer […] bieten keine hinreichende Sicherheit für die Abzugsfähigkeit der
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a) Indirekte Erhebungsform der Umsatzsteuer Die Umsatzsteuer ist eine indirekte Steuer.80 Sie zeichnet sich dadurch aus, dass Steuerschuldner und Steuerträger verschieden sein sollen.81 Der Grundgedanke hinter einer indirekten Besteuerung liegt darin, dass der Staat nicht jedes sich ereignende Umsatzgeschäft nachverfolgen kann und daher den Unternehmer als Steuerschuldner in die Pflicht nimmt, die Steuer für den Staat einzuziehen. Der Staat verlagert seine Kontrollpflichten damit im Sinne der Sicherung des Steueraufkommens auf einen leichter überprüfbaren Personenkreis.82 Der Unternehmer ist allerdings berechtigt, die zu zahlende Umsatzsteuer über den Preis auf den Endverbraucher abzuwälzen. Wurde dem Unternehmer die Umsatzsteuer von einem anderen Unternehmer in Rechnung gestellt, kann sich der Unternehmer über den Vorsteuerabzug (§§ 15, 15a UStG) die gezahlte Vorsteuer vom Finanzamt rück vergüten lassen. Der Unternehmer soll dadurch nur als „Steuereinsammler“ fungieren und nicht selbst mit Umsatzsteuer belastet werden. Die Nettoumsatzsteuer bemisst sich gemäß § 10 Abs. 1 S. 2 UStG nach dem für die Leistung gezahlten Entgelt abzüglich der Umsatzsteuer. b) Nachweispflichten des Unternehmers Um die Abzugsfähigkeit der Vorsteuerbeträge sicherzustellen, muss das Allphasen-Netto-Umsatzsteuersystem für die getätigten Umsatzgeschäfte zwingend Nachweispflichten vorsehen, damit die Finanzbehörden die Berechtigung des Unternehmers zum Vorsteuerabzug nachprüfen können (vgl. Art. 178 lit. a i. V. m. Art. 226 MwStSystRL).83 Stellt sich nachträglich heraus, dass der vom Unternehmer beantragte Tatbestand nicht vorliegt, weil die dafür notwendigen Angaben des Geschäftspartners unzutreffend sind, muss geklärt werden, wer das Risiko dieser Falschangaben zu tragen hat.84 Darin liegt ein Grundproblem des Allphasen-Netto-Systems. In vielen Fällen sind die Angaben der Geschäftspartner nur Vorumsätze, Bescheinigungsverfahren sind außerdem in der Praxis nur schwer durchsetzbar und bringen für alle Beteiligten viel Ärger“; vgl. auch C. von Siemens, Veredelte Umsatzsteuer2, S. 10. 80 EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (797), Rn. 21 mit Anm. Langer / Z ugmaier DStR 2008, 453; BVerfG, Beschl. v. 13.6.1997 – 1 BvR 201/97, UR 1997, 387; BFH, Urt. v. 23.2.2017 – V R 16/16 und V R 24/16, BFHE 257, 177 (183) = DStR 2017, 777 (779), Rn. 31; Walden, Die Umsatzsteuer als indirekte Verbrauchsteuer, S. 50 ff. 81 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, Kernbrennstoffsteuer, BVerfGE 145, 171 (213 f.), Rn. 119; Söhn, StuW 1975, 1 (10); Drüen, in: Tipke / K ruse, § 3 AO (Januar 2017), Rn. 91; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 22 f. 82 Drüen, Die Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen, S. 122. 83 Vgl. Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 121.1. 84 Vgl. Drüen, DB 2010, 1847; Dietlein, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 13 ff.; ders. / Mehrbrey, BB 2001, 446 (447).
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schwer oder nur mit unwirtschaftlichem Aufwand überprüfbar. Oftmals hat der Unternehmer schlicht keine Einblicke in die Umstände seiner Geschäftspartner.85 Daher hat der Unternehmer bei Falschangaben zunächst das Nachsehen, wenn er aus diesem Grund neutralitätswidrig mit Umsatzsteuer belastet wird.86 Ein Vertrauensschutz kann als Kompensation für die mangelnde Überprüfbarkeit der Angaben der Geschäftspartner dienen, sodass im Ergebnis wieder eine neutralitätsgerechte Besteuerung vorliegt.87 2. Abhängigkeitsverhältnisse im internationalen Warenverkehr Würden im Falle grenzüberschreitender Lieferungen und sonstigen Leistungen alle Staaten, die an dem Vorgang beteiligt sind, Umsatzsteuer erheben, wäre eine Doppelbesteuerung die Folge, die sich negativ auf den Warenverkehr innerhalb des europäischen Binnenmarktes auswirken würde.88 Anders als bei den direkten Steuern ergibt sich die Doppelbesteuerung im Umsatzsteuerrecht nicht daraus, dass derselbe Sachverhalt eines Steuerpflichtigen unter den Besteuerungszugriff mehrerer Staaten fällt, sondern daraus, dass dieselbe „umsatzsteuerliche Transaktion“ einen steuerlichen Zugriff durch mehrere Staaten erfährt.89 Um dies zu verhindern, muss ein einheitliches System zur Verteilung der mitgliedstaatlichen Besteuerungsbefugnisse zur Anwendung gebracht werden. a) Bestimmungslandprinzip als maßgebliches Besteuerungssystem Die Umsatzsteuer verfolgt das Ziel, nur den Verbrauch von Gegenständen im Inland zu besteuern.90 Dem wird das Bestimmungslandprinzip entsprechend der Belastungswirkung der Umsatzsteuer als eine allgemeine Verbrauchsteuer91 am 85
Wäger, UR 2018, 45 (74); bereits auch Weiß, Steuer-Kongress-Report 1973, S. 253 (266). Stapperfend, UR 2013, 321; vgl. Weiß, UR 1988, 188 (190); dens., UR 1976, 1 (2). 87 Vgl. Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 127; siehe ferner Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (465); Zitzl, Rechtsfolgen irrtümlicher Rechtsanwendungsfehler von Mehrwertsteuerpflichtigen, S. 46; Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (5). 88 Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 59; Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, S. 37. 89 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.6.2017, Rs. C-26/16, Santogal, MwStR 2017, 617 (620), Rn. 45 mit Anm. Grube, MwStR 2017, 623 (623 f.); Ismer / Artinger, MwStR 2018, 12 (14); Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, S. 37 f. 90 EuGH, Urt. v. 2.8.1993, Rs. C-111/92, Wilfried Lange, UR 1994, 47 (48), Rn. 20 mit Anm. Weiß, UR 1994, 48 (48 ff.); Schaumburg, in: FS für W. Reiß, S. 25 (34); Stadie, UStGKommentar, § 6 UStG, Rn. 2. 91 Die rechtliche Einordnung der Umsatzsteuer wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. Während die Umsatzsteuer rechtstechnisch durch Anknüpfung an Verkehrsakte erhoben wird, ist sie wirtschaftlich durch ihre indirekte Erhebungsform darauf angelegt, den Endverbraucher zu belasten, vgl. Wernsmann, in: HHSp, § 3 AO (März 2016), Rn. 389; Söhn, StuW 1975, 1 (10). 86
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besten gerecht.92 Darunter ist ein Besteuerungsprinzip zu verstehen, bei dem der Besteuerungsmaßstab desjenigen Landes gelten soll, in das die Lieferung oder sonstige Leistung gelangt.93 Das alternative Ursprungslandprinzip, bei dem nur demjenigen Mitgliedstaat das Besteuerungsrecht zukommt, aus welchem die Lieferung oder sonstige Leistung stammt,94 hat die Kommission verworfen und sich stattdessen für die konsequente Beibehaltung des Bestimmungslandprinzips ausgesprochen.95 Dem Konzept eines „Gemeinsamen Marktes“ sollte das Bestimmungslandprinzip zugrunde gelegt werden,96 was bis heute im „Binnenmarkt“ das maßgebliche Prinzip zur Verteilung der Umsatzbesteuerungsbefugnisse zwischen Schon Popitz ordnete die damalige Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer ein, vgl. Popitz, Umsatzsteuergesetz-Kommentar3, S. 6 und S. 10 f.; dens., in: Gerloff / Meisel, Handbuch der Finanzwissenschaft, Band II, S. 180 (191 ff.). Auch der RFH betonte, dass die Umsatzsteuer auf Überwälzung angelegt ist, vgl. RFH, Gut. v. 2.7.1924 – V D 2/24, RFHE 14, 73 (75); RFH, Urt. v. 7.11.1922 – V A 426, RStBl. 1923, 46. Nach der Literatur ist die Belastungswirkung beim Endverbraucher unabhängig von der verfahrensmäßigen Behandlung der Umsatzsteuer maßgeblich für ihre rechtliche Einordnung, so Söhn, StuW 1975, 1 (2 f., 10); ders., StuW 1996, 165 ff.; ders., in: FS für H. von Wallis, S. 439 (444 f.); Tipke, StRO, Band II2, S. 975 ff.; ders., DStR 1983, 595 (595 ff.); ders., UR 1972, 2 (3 f.); a. A. für die Einordnung als Verkehrsteuer BFH, Beschl. v. 8.11.1972 – II B 24/72, BStBl. II 1973, 94 (96); Weiß, UR 1982, 246; Plückebaum / Malitzky, Umsatzsteuergesetz-Kommentar, Band I8, S. 176, Rn. 2 f.; Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, § 1 RAO, Anm. 7 d; Herting, BB 1955, 389 (391); differenzierend hingegen Theile, StuW 1996, 154 (163); ders., Wettbewerbsneutralität der harmonisierten Umsatzsteuer, S. 136 f., der von einer „Steuer auf die unternehmerische Wertschöpfung“ ausgeht; dazu zu Recht krit. Söhn, StuW 1996, 165 (165 ff.). Die Umsatzsteuer ist mit der heute h. M. als allgemeine Verbrauchsteuer einzuordnen, vgl. BFH, Urt. v. 23.2.2017 – V R 16/16 und V R 24/16, BFHE 257, 177 (183), Rn. 31; Tappe / Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, Rn. 234; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 91; Robisch, in: Bunjes18, Vor § 1 UStG, Rn. 25; Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 10, m. w. N. Im Übrigen muss auch die Umsatzsteuer dem Leistungsfähigkeitsprinzip genügen, vgl. Wernsmann, in: HHSp, § 3 AO (März 2016), Rn. 389; Birk, Die Umsatzsteuer aus juristischer Sicht, in: Kirchhof / Neumann, S. 61 (67 f.); dens., Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, S. 32 f., 143. Man muss daran anknüpfend für die rechtliche Einordnung der Umsatzsteuer die angestrebte Belastung des Endverbrauchers heranziehen, so bereits zutreffend Söhn, StuW 1975, 1 (10); vgl. Robisch, in: Bunjes18, Vor § 1 UStG, Rn. 25. Dies steht im Einklang mit dem Willen des europäischen Gesetzgebers, der in Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL die Umsatzsteuer ausdrücklich als eine allgemeine Verbrauchsteuer charakterisiert. 92 Widmann, in: Leitgedanken des Rechts, FS für P. Kirchhof, Band II, § 183, S. 1995 (2004); Schaumburg, in: FS für W. Reiß, S. 25 (34); Breinersdorfer, in: Leitgedanken des Rechts, FS für P. Kirchhof, Band II, § 184, S. 2007 (2010); sinngemäß übersetzt Terra, Sales Taxation, S. 14. 93 Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 59; Breinersdorfer, in: FS für P. Kirchhof, Band II, § 184, S. 2007 (2010); Lippross, Umsatzsteuer, S. 52; vgl. EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, DStR 2012, 1917 mit Anm. Beer / Streit, DStR 2012, 1922. 94 Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 59; Widmann, in: Leitgedanken des Rechts, FS für P. Kirchhof, Band II, § 183, S. 1995 (2004); Lippross, Umsatzsteuer, S. 52. 95 So bereits KOM (2011), 851 endg., S. 5 ff.; vgl. Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 18 f.; Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 29; Theile, Wettbewerbsneutralität der harmonisierten Umsatzsteuer, S. 47 ff., m. w. N. 96 Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, S. 112 mit Verweis auf Steindorff, ZHR 150 (1986), 687 (690 ff.); vgl. Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 1.
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den Mitgliedstaaten ist.97 Auf dem Gebiet der Umsatzsteuer werden dadurch keine Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen den Mitgliedstaaten benötigt, da grundsätzlich demjenigen Staat die Besteuerungshoheit zukommt, in welchen die Lieferung oder sonstige Leistung gelangt.98 Allerdings entsteht innerhalb der Europäischen Union ein Konflikt zwischen dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer und der Erreichung eines Binnenmarktes ohne Beeinträchtigungen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs.99 Während für die Verwirklichung des Verbrauchsteuercharakters der Umsatzsteuer das Bestimmungslandprinzip am besten geeignet ist, wäre für einen freien Warenund Dienstleistungsverkehr prinzipiell das Ursprungslandprinzip vorzugswürdiger.100 Dieses Konfliktfeld wurde „gelöst“, indem vom Unternehmer umfangreiche Nachweise gefordert werden.101 b) Nachweispflichten als Folge des Bestimmungslandprinzips Das Bestimmungslandprinzip macht entgegen der europäischen Zielsetzung (vgl. Art. 77 AEUV) zwangsläufig Grenzkontrollen erforderlich.102 Der Rat sprach sich früh dafür aus, die wegfallenden physischen Grenzkontrollen innerhalb des europäischen Binnenmarktes durch eine erhöhte Aufzeichnungs- und Erklärungspflicht der Unternehmer zu ersetzen, um der Finanzverwaltung wirksame Kontrol len zu ermöglichen.103 Die Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten betreffen dabei notwendigerweise auch die Angaben der Geschäftspartner des Unternehmers.104 Im Ergebnis wurden mit der Abschaffung der Grenzkontrollen innerhalb des europäischen Binnenmarktes und der gleichzeitigen Beibehaltung des Bestimmungslandprinzips die Prüfpflichten, die ansonsten der Finanzverwaltung 97
Mitteilung der Kommission v. 4.10.2017 zur einheitlichen europäischen Mehrwertsteuer, KOM (2017), 566 endg., S. 7; OECD, International VAT / GST Guidelines 2017, S. 22, Rn. 2.12. 98 Widmann, in: Leitgedanken des Rechts, FS für P. Kirchhof, Band II, § 183, S. 1995 (2004); Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 60; sinngemäß übersetzt auch Terra, Sales Taxation, S. 13. 99 Rose / Watrin, Umsatzsteuer, S. 24. 100 Rose / Watrin, Umsatzsteuer, S. 24. 101 Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 413; vgl. Reiß, in: FS für K. Tipke, S. 433 (450); Kluge, Das internationale Steuerrecht, S. 1015. 102 Theile, Wettbewerbsneutralität der harmonisierten Umsatzsteuer, S. 48; Institut „Finanzen und Steuern“ e. V. (Hrsg.), Interdependenzen zwischen Harmonisierung und Finanzpolitik, S. 7. 103 Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16.12.1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Anpassung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Rechtsvorschriften an den EG-Binnenmarkt vom 25.81992; vgl. Theile, Wettbewerbsneutralität der harmonisierten Umsatzsteuer, S. 50; Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, S. 40. 104 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, UR 2011, 176 (179), Rn. 37; EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, DStR 2012, 1917 (1920), Rn. 42; BFH, Urt. v. 25.2.2015 – XI R 15/14, BFHE 249, 343 (356), Rn. 70; Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 190.
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obliegen, weitgehend auf den steuerpflichtigen Unternehmer übertragen.105 Es entstand eine „Papiergrenze“106, die sich in erster Linie bei den Steuerbefreiungen von innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 4 Nr. 1 lit. b i. V. m. § 6a UStG) und Ausfuhrlieferungen (§ 4 Nr. 1 lit. a i. V. m. § 6 UStG) zeigt. Umfangreich muss der Ort des Umsatzes geprüft werden, um festzustellen, in welchem Land die Umsätze der Steuer unterfallen.107 Die Verfolgung des Bestimmungslandprinzips mit einer Besteuerung am Verbrauchsort scheitert, wenn dem Unternehmer aufgrund von Falschangaben des Geschäftspartners nachträglich die Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung oder Ausfuhrlieferung versagt wird.108 Da dies zu einem Zeitpunkt geschieht, zu dem der Unternehmer nicht mehr in der Lage sein wird, die Umsatzsteuer über den Preis abzuwälzen, wird er zudem neutra litätswidrig mit Umsatzsteuer belastet.109 Daraus ergibt sich die Problematik, ob dem Unternehmer Vertrauensschutz zu gewähren ist, wenn die Angaben seiner Geschäftspartner nicht zutreffen, und wie ein solcher Vertrauensschutz ausgestaltet werden kann. Der Steuervorteil könnte entweder nach dem Vorstellungsbild des Unternehmers gewährt werden110 oder das Vertrauen des Unternehmers könnte anderweitig kompensiert werden.111 c) Vergleich mit dem Ursprungslandprinzip Das Ursprungslandprinzip ist grundsätzlich nicht an Grenzkontrollen gebunden und in dieser Hinsicht das binnenmarktfreundlichere Modell.112 Zudem lässt es sich kostengünstiger und weniger aufwendig durchführen.113 Der Hauptnachteil des Ursprungslandprinzips besteht jedoch darin, dass es nur zu wettbewerbsneutralen Ergebnissen führt, wenn die Umsatzsteuergesetze und insbesondere die jeweiligen Steuersätze der Mitgliedstaaten gleich oder vergleichbar sind, da ansonsten Mitgliedstaten mit niedrigen Steuersätzen den innergemeinschaftlichen Wettbewerb verzerren und Mitgliedstaaten mit höheren Steuersätzen diesem Effekt unter Um-
105
Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 396; Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 190; Englisch, UR 2008, 481 (482). 106 F. Kirchhof, Grundriß des Steuer- und Abgabenrechts, Rn. 189. 107 Rose / Watrin, Umsatzsteuer, S. 24. 108 Schaumburg, in: FS für W. Reiß, S. 25 (34). 109 Scheller / Schrömbges, Grenzüberschreitender Warenverkehr aus Sicht der Umsatzsteuer, S. 51. 110 So Lohse / Spilker / Zitzl, UR 2010, 633 (637) mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 und EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827; befürwortend auch Hassa, UR 2015, 809 (811); Kettisch, Reihengeschäfte in der Umsatzsteuer, S. 44 f.; vgl. dazu Achatz, in: FS für H. F. Köck, S. 65 (76). 111 Vgl. Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (5). 112 Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 501. 113 Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, S. 44.
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ständen entgegenwirken müssen.114 Daher finden sich nur noch einzelne Bereiche des Umsatzsteuerrechts, in welchen ausnahmsweise das Ursprungslandprinzip verfolgt wird. Dies betrifft insbesondere innergemeinschaftliche Lieferungen im Wege des nichtkommerziellen Reiseverkehrs mit Ausnahme des Erwerbs von Neufahrzeugen (vgl. §§ 1b, 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. c UStG).115 Von Lieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr sind Fälle umfasst, in denen der Unternehmer Ware an den sogenannten „ausländischen Abnehmer“ (§ 6 Abs. 2 UStG) verkauft und dieser die Ware in seinem Reisegepäck in sein Heimatland befördert. Handelt es sich um eine Ausfuhrlieferung, ist die Lieferung des Unternehmers an den „ausländischen Abnehmer“ gemäß Art. 146 Abs. 1 lit. b MwStSystRL (§ 4 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 2 und 3 i. V. m. Abs. 3a UStG) von der Umsatzsteuer befreit (Bestimmungslandprinzip).116 Bei innergemeinschaftlichen Lieferungen bleibt es demgegenüber nach dem Ursprungslandprinzip beim Besteuerungsrecht desjenigen Mitgliedstaats, in welchem der „ausländische Abnehmer“ die Ware erwirbt,117 vgl. §§ 4 Nr. 1, 6a UStG i. V. m. Art. 138 MwStSystRL. Daran zeigt sich, dass bei der Anwendung des Ursprungslandprinzips nur der Steuersatz des Herkunftslandes zugrunde gelegt wird, ohne dass dem Unternehmer vermehrt Nachweispflichten auferlegt werden.118 Anders verhält es sich, wenn der Unternehmer im Rahmen des Bestimmungslandprinzips zur Erlangung einer Steuerbefreiung Nachweise erbringen muss (vgl. dazu §§ 8 Abs. S. 1, 9 ff. UStDV). Dadurch kann es vorkommen, dass der Unternehmer seinem Geschäftspartner aufgrund von Falschangaben einen (wirtschaftlich) ungerechtfertigten Preisnachlass gewährt hat und selbst nachträglich Umsatzsteuer entrichten muss.119 Bei einer Anwendung des Ursprungslandprinzips würden Probleme in dieser Form nicht auftreten. Aufgrund der Tatsache, dass das nicht konsensfähige120 Ursprungslandprinzip nur ohne wettbewerbsverzerrende Wirkungen angewendet werden kann, wenn insbesondere die Steuersätze der Mitgliedstaaten ein gleiches Niveau erreichen, waren die erhöhten Nachweispflichten und Kontrollpflichten, die das Bestimmungslandprinzip mit sich bringt, aber in Kauf zu nehmen.121
114 Sinngemäß übersetzt aus Terra, Sales Taxation, S. 13; vgl. dazu Institut „Finanzen und Steuern“ e. V. (Hrsg.), Interdependenzen zwischen Harmonisierung und Finanzpolitik, S. 11. 115 Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 522; Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 18 f.; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 11, Rn. 22. 116 Dazu Dietlein, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 13. 117 Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 522. 118 Vgl. dazu Stumpf, NJW 1993, 95 (98); siehe ferner Harksen / Möller, UStB 2008, 78 (78 f.). 119 Dietlein, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 13 f. 120 So KOM (2017), 569 endg., S. 2; vgl. Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 29; Haag, in: Bieber / Epiney / Haag / Kotzur, Die Europäische Union, § 22, Rn. 13. 121 Waldhoff, in: Calliess / Ruffert, Art. 113 AEUV, Rn. 14; Rose / Watrin, Umsatzsteuer, S. 24; Englisch, UR 2008, 481 (482); vgl. dazu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5, Rn. 12; Hobe, Europarecht, Rn. 983; Stumpf, NJW 1993, 95 (98 f.).
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3. Abhängigkeitsverhältnisse in umsatzsteuerlichen Spezialfällen Das Umsatzsteuerrecht weist zahlreiche Regelungen für spezielle Sachverhaltskonstellationen auf. So sind etwa bei der Umkehrung der Steuerschuld über das Reverse-Charge-Verfahren gemäß § 13b UStG (Art. 196 MwStSystRL) oder bei der Anwendung der Differenzbesteuerung gemäß § 25a UStG (Art. 314 MwStSystRL) strenge tatbestandliche Vorgaben einzuhalten. Aufgrund des Charakters einer Spezial- beziehungsweise Ausnahmeregelung sind die Tatbestandsvoraussetzungen eng auszulegen.122 Das Vorliegen des Tatbestands hängt nicht nur mit Kriterien zusammen, die alle aus dem Rechtskreis des (antragstellenden) Unternehmers herrühren. Gerade aufgrund der tatbestandlichen Abweichung vom Normalfall spielen für sämtliche Fragen zur Steuerpflicht des antragstellenden Unternehmers die Umstände seines Geschäftspartners eine gewichtige Rolle. Ein leistender Unternehmer ist zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens nur berechtigt, wenn es sich bei seinem Leistungsempfänger ebenfalls um einen Unternehmer handelt und dieser die Leistung für sein Unternehmen verwendet, vgl. § 13b Abs. 1 und 2 UStG. Ein diesbezügliches Restrisiko wird für den liefernden Unternehmer immer bestehen.123 Waren Falschangaben des Leistungsempfängers nicht erkennbar, stellt sich die Frage, ob der liefernde Unternehmer gleichwohl das Reverse-Charge-Verfahren anwenden kann.124 Das gleiche Problem stellt sich bei den Angaben des Geschäftspartners zur Anwendung der Differenzbesteuerung gemäß § 25a UStG.125 III. Zwischenergebnis Die Umsatzsteuer wird innerhalb der Europäischen Union im Rahmen eines Allphasen-Netto-Systems erhoben. In diesem System ist der Unternehmer von Angaben seiner Geschäftspartner abhängig.126 Für die Rückvergütung der Vorsteuer muss der Unternehmer sich auf die Angaben seiner Geschäftspartner verlassen. Bei Falschangaben läuft er Gefahr, mit Umsatzsteuer belastet zu werden. Im internationalen Warenverkehr sind Nachweis- und Kontrollpflichten zur Aufrechterhaltung des Bestimmungslandprinzips bei gleichzeitiger Abschaffung der Binnenmarktgrenzen notwendig. Diese Nachweis- und Kontrollpflichten sind auf den liefernden Unternehmer verlagert, sodass auch in diesem Fall bei Falsch 122
Bzgl. der Beispielsfälle Buschmann, in: Weymüller2, § 25a UStG, Rn. 3; Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 3 f. 123 Vgl. Langer, DStR 2011, 1647 (1649 f.). 124 Vgl. Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 137; Brill, KÖSDI 2018, 21034 (21042 f.). 125 Siehe dazu EuGH, Urt. v. 18.5.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536, Rn. 35 ff. mit Anm. Grube, MwStR 2017, 541; vgl. Osterloh, UVR 2016, 207 (209 f.). 126 Siehe Seite 35 f.
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angaben des Abnehmers die Gefahr einer nachträglichen Belastung mit Umsatzsteuer besteht.127 Im Umsatzsteuerrecht häufig zu findende Spezial- und Ausnahmefälle sind eine weitere Ursache für die Problematik des Vertrauensschutzes.128 Wie es sich innerhalb dieser Vorschriften mit der Steuerpflicht des betroffenen Unternehmers verhält, hängt oftmals maßgeblich mit den Umständen seines Geschäftspartners zusammen. Auf diesen Umständen beruht die in dieser Arbeit untersuchte Problematik, ob dem Unternehmer im Sinne einer „Solidarisierung des Geschäftsrisikos“129 ein Vertrauensschutz hinsichtlich der Angaben seiner Geschäftspartner zu gewähren ist.
B. Gleichsetzung von Gutglaubensschutz und Vertrauensschutz? In der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur wird zwischen „Gutglaubensschutz“ und „Vertrauensschutz“ begrifflich kaum differenziert.130 Beide Begriffe werden wahlweise nebeneinander verwendet.131 Vereinzelt belässt man es bei der Formulierung „Vertrauensschutz bzw. Gutglaubensschutz“.132 Selten wird auf die Frage eingegangen, ob zwischen diesen beiden Begriffen unterschieden werden muss. In der Tat könnte man, wie es Formulierungen in der Literatur anklingen lassen,133 keine begriffliche Unterscheidung vornehmen. Allerdings lässt sich der Literatur (zumeist andeutungsweise) auch entnehmen, dass zwischen einem „Vertrauensschutz“ und einem „Gutglaubensschutz“ zu differenzieren sei.134 Die im Folgenden erarbeitete Begriffsexplikation soll für den weiten Verlauf der Arbeit Berücksichtigung finden.
127
Siehe Seite 37 ff. Siehe Seite 42. 129 Widmann, MwStR 2018, 311 (312). 130 Dies konstatiert auch Kettisch, Reihengeschäfte in der Umsatzsteuer, S. 45, der sich dann allerdings auf die überwiegende Verwendung des Begriffs „Vertrauensschutz“ beruft. 131 Vgl. nur BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559 (566) = DStR 2015, 2073 (2075), Rn. 31; BFH, Urt. v. 8.7.2009 – XI R 51/07, BFH / N V 2010, 256 (256 ff.); FG Hamburg, Beschl. v. 29.7.2016 – 2 V 34/16 (rkr.), DStRE 2017, 990 (992); Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (464 f.); Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (März 2018), Rn. 74; Schumann, DStR 2017, 2719 (2720 f.); Becker, UR 2009, 664 (664 ff.). 132 Weber, NWB 2014, 3076; ähnlich Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 18 UStG (Oktober 2016), Rn. 483: „Vertrauensschutz / Gutglaubensschutz“. 133 Widmann, in: FS für J. Lang, S. 913 will mit der Formulierung „Der Vertrauensschutz oder auch der Schutz des guten Glaubens […]“ wohl beide Begriffe gleichsetzen. 134 Friedrich-Vache, UR 2015, 889 will mit ihrem Aufsatztitel „Schutz des guten Glaubens und damit Vertrauensschutz beim Vorsteuerabzug?“ offenbar zwischen beiden Begriffen unterscheiden; deutlich hingegen Heinrichshofen, UR 2018, 285 (285 f.). 128
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I. Ausgangssituation: Vertrauensbildung durch Privatperson Vorwiegend ist der Begriff des „Vertrauensschutzes“ aus Problemkreisen bekannt, in denen sich der Bürger auf den Fortbestand des geltenden Rechts verlässt und Dispositionen tätigt.135 Er soll nicht von einer rückwirkenden Neuregelung „überrumpelt“ werden, ohne entsprechende Vorkehrungen treffen zu können.136 Das Bundesverfassungsgericht leitet einen diesbezüglichen Vertrauensschutz aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG her.137 Dieses gebiete, dass sich der Bürger auf eine vom Gesetzgeber getroffene Regelungsentscheidung verlassen können muss, es sei denn, die Neuregelung ist für ihn vorhersehbar gewesen oder die Interessen der Allgemeinheit überwiegen.138 Nach diesem Begriffsverständnis kommt dem „Vertrauensschutz“ damit eine Korrektivfunktion gegenüber der staatlichen Hoheitsgewalt zu, die anfänglich innerhalb der Rücknahme rechtswidrig belastender Verwaltungsakte diskutiert wurde und sodann auf weitere Fallgruppen wie der rückwirkenden Änderung von Gesetzen übertragen wurde.139 Grundsätzlich rührt der so verstandene „Vertrauensschutz“ aus einem öffentlich-rechtlichen Rangverhältnis her140 und wird – auch im Steuerrecht – gegenüber den Handlungen aller drei Staatsgewalten diskutiert.141 Bezüglich eines Vertrauensschutzes gegenüber einer Änderung der Rechtsprechung wird allerdings überwiegend Zurückhaltung gefordert, da der Vertrauensschutz nicht dazu führen dürfe, dass die Rechtsprechung eine einmal getroffene Entscheidung nicht wieder korrigieren kann („Versteinerung der Rechtsprechung“).142 Im Falle einer rückwirkenden Rechtsprechungsänderung, bei der § 176 AO nur
135
Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 23.3.1971 – 2 BvL 17/69, BVerfGE 30, 392 (403 f.); Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (Februar 2015), Rn. 711; Spindler, DStJG 27 (2004), S. 69 (70 f.); Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 292; Robbers, in: BK, Art. 20 Abs. 3 GG (Januar 2014), Rn. 3278; Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 20 GG, Rn. 94. 136 Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 293. 137 St. Rspr.: BVerfG, Beschl. v. 7.10.2003 – 1 BvR 1712/01, BVerfGE 108, 370 (396 f.); BVerfG, Beschl. v. 8.6.1988 – 2 BvL 9/85 und 2 BvL 3/86, JZ 1989, 387 (389); BVerfG, Beschl. v. 8.3.1983 – 2 BvL 27/81, BVerfGE 63, 312 (328); BVerfG, Beschl. v. 18.11.1980 – 1 BvR 228, 311/73, BVerfGE 50, 185 (203); BVerfG, Beschl. v. 23.3.1971 – 2 BvL 17/69, BVerfGE 30, 392 (401); dazu Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (Februar 2015), Rn. 721; Sommermann, in: v. Mangoldt / K lein / Starck, Art. 20 Abs. 3 GG, Rn. 292; Desens, StuW 2011, 113 (126 f.). 138 Ausführlich zur echten und unechten Rückwirkung Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (Februar 2015), Rn. 729 ff.; Desens, StuW 2011, 113 (118 f.), jeweils m. w. N. 139 Ossenbühl, DÖV 1972, 25 (27 ff.); von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, S. 281; Mellinghoff, DStJG 27 (2004), S. 25 (26). 140 Ossenbühl, DÖV 1972, 25 (26); vgl. Gunacker-Slawitsch, in: FS für Ruppe, S. 186 (188 ff.). 141 Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 387; Spindler, DNotZ 2007, 105 (105 f.). 142 Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (Februar 2015), Rn. 191; Ossenbühl, DÖV 1972, 25 (33 f.); Hey, DStR 2004, 1897 (1900), jeweils m. w. N.; a. A. etwa Rose, in: FS für H. von Wallis, S. 275 (282 ff.); Tipke, StRO, Band I2, S. 174 f.; Dötsch, DStR 2009, 409 (410).
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begrenzten Schutz bietet, kann das Rechtsstaatsprinzip allerdings im Einzelfall einen Vertrauensschutz erforderlich machen.143 Vorliegend wird der „Vertrauenstatbestand“ jedoch nicht durch den Staat, sondern durch den Geschäftspartner des Unternehmers geschaffen, der als Privatperson auftritt. Vertrauensträger sind die Angaben des Geschäftspartners wie zum Beispiel in der Rechnung oder Gelangensbestätigung.144 Außerdem entsteht die Umsatzsteuer grundsätzlich bereits nach Ablauf des Voranmeldezeitraums, in dem die Leistung ausgeführt wurde (§§ 13, 18 UStG), und nicht wie bei der Einkommensteuer mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums (§ 36 EStG), sodass ein Dispositionsschutz bezüglich länger anhaltender Planungen bei der Umsatzsteuer im Regelfall ausscheidet.145 Der Fokus ist folglich darauf zu richten, ob auch bei einer Vertrauensbildung durch den Geschäftspartner des umsatzsteuerpflichtigen Unternehmers begrifflich von einem Vertrauensschutz gesprochen werden kann. II. Weites Verständnis des Vertrauensschutzes Der Vertrauensschutz ist ein etablierter Rechtsgrundsatz innerhalb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union.146 Rechtsgrundsätze werden in der Rechtstheorie auch als Rechtsprinzipien bezeichnet.147 Sie fordern die Verwirklichung oder Realisation eines gewissen Ziels, ohne dass dabei vorgeschrieben wird, wie dieses Ziel im Einzelfall zu erreichen ist.148 Rechtsprinzipien zeichnen sich durch ihren hohen Abstraktionsgrad aus, durch welchen ihre unmittelbare Subsumtionsfähigkeit eingeschränkt wird.149 Häufig muss mit konkurrierenden Prinzipien ein Ausgleich gefunden werden.150 Der Vertrauensschutz ist in seinen Rechtsfolgen zwar strukturierbar, seine tat bestandlichen Voraussetzungen sind jedoch nicht objektiv bestimmbar, weshalb diese näher ausgefüllt werden müssen.151 In seinen Rechtsfolgen ist das Rechtsprinzip des Vertrauensschutzes durch zahlreiche Elemente ausgeprägt, die denselben Rechtsgedanken verfolgen, einen schützenswerten Rechtszustand vor Ver-
143
Vgl. Birk, DStJG 27 (2004), S. 9 (21 ff.); Gersch, in: Klein, § 4 AO, Rn. 19, jeweils m. w. N. Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (435). 145 Widmann, in: FS für J. Lang, S. 913 (915). 146 Götz, in: FS für C. Starck, S. 555 (558); Kokott, das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2, Rn. 37 ff.; Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, S. 385 ff., m. w. N. 147 Penski, JZ 1989, 105; Koller, Theorie des Rechts, S. 90; Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August 2015), Rn. 43; vgl. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 121 ff. 148 Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August 2015), Rn. 43; Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 120; Koller, Theorie des Rechts, S. 92; Penski, JZ 1989, 105 (106). 149 Kramer, in: FS für F. Bydlinski, S. 197 (199 f.). 150 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 120; vgl. dens., Der Staat, 50 (2011), 389 (404). 151 Kreibich, Treu und Glauben im Steuerrecht, S. 45; vgl. Hassa, UR 2015, 809 (810 f.). 144
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änderungen zu bewahren.152 Durch diese allgemeingültige Zielsetzung treten verschiedenartige Fallkonstellationen auf, die sich auf das Rechtsprinzip des Vertrauensschutzes zurückführen lassen.153 Es bilden sich aus dem „übergreifenden Vertrauensschutzprinzip“154 Unterprinzipien.155 Ein solches Unterprinzip stellt der „Gutglaubensschutz“ dar.156 Der betroffene Unternehmer hat mit dem Erhalt der Angaben seines Geschäftspartners auf die Subsumierbarkeit unter einen Tatbestand vertraut, die ihm aus umsatzsteuerlicher Sicht eine günstige Rechtsposition einräumt. Es handelt sich dadurch nicht um die Strukturformen eines Vertrauensschutzes, dessen Grundlage auf einem Akt der öffentlichen Gewalt beruht.157 Die Strukturform entspricht vielmehr einem umsatzsteuerlichen Verkehrsschutz. Zwar begründet das Verhalten einer Privatperson regelmäßig nur auf einer gesetzlichen Grundlage ein schutzwürdiges Vertrauen, was zum Beispiel bei der Vertrauensschutzregelung des § 10b Abs. 4 EStG bei unrichtigen Angaben des Spendenempfängers der Fall ist.158 Allerdings kommt es aufgrund der indirekten Erhebungsform der Umsatzsteuer nicht zu einem rein privatrechtlichen Verhältnis. Der Unternehmer wird von hoheitlicher Seite in Dienst genommen159 und sieht sich durch fehlerhafte Angaben seiner Geschäftspartner mit einer neutralitätswidrigen Umsatzsteuerbelastung durch den Staat konfrontiert. Der Unternehmer ist bezüglich der Gewährung eines begehrten umsatzsteuerlichen Vorteils vom Staat abhängig.160 Der Rechtsbegriff „Vertrauensschutz“ ist dabei nicht starr an 152
Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft5, S. 458 f. (ähnlich in der 6. Aufl., S. 477); vgl. Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, S. 386; siehe auch Luhmann, Vertrauen, S. 43 f., der in dem Vertrauensprinzip eine auferlegte Selbstbeschränkung des Staates sieht. 153 Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August 2015), Rn. 43; Grabitz, DVBl. 1973, 675; vgl. Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, S. 33 f. 154 Drüen, DB 2010, 1847. 155 Vgl. dazu allg. Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 124; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6, S. 474 ff. 156 So auch Drüen, DB 2010, 1847; ders., in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 45, dort Fn. 153; Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (5); Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 68. 157 Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (5) mit Verweis auf von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 351. 158 Vgl. Geserich, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, § 10b EStG (Januar 2009), Rn. E 26. Allg. dazu Gierlich, FR 1991, 518 (518 f.). 159 Vgl. Drüen, Die Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen, S. 121 ff. 160 Vgl. hierzu Borchardt, Der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 8 f. Dieses staatliche Handeln gegenüber dem Unternehmer muss aus rechtsstaatlicher Sicht der Gerechtigkeit genügen, vgl. dazu Schmidt-Aßmann, in: Isensee / K irchhof, HStR, Band II, § 26, Rn. 80; Püttner, VVDStRL 32 (1974), S. 200 (202); Tipke, StRO, Band I2, S. 256 ff.; dens., Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis, S. 147 ff.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 335 ff.; siehe auch Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, S. 12 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/2, S. 1825, 1828; Stober, in: Wolff / Bachof / Stober / K luth, Verwaltungsrecht I, § 25, Rn. 6; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 7, m. w. N.; zum Problem der verschiedenen Gerechtigkeitsideale Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 613 ff., S. 627 f.
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die Vertrauensbildung durch den Staat gebunden.161, 162 Vielmehr sieht der Begriff des „Vertrauensschutzes“ eine Begrenzung staatlicher oder (in einem Hierarchieverhältnis) übergeordneter Handlungsmöglichkeiten vor. Da es bei der Erhebung der Umsatzsteuer zu einer Abhängigkeit des Unternehmers von Angaben seiner Geschäftspartner kommt, soll das Handeln des Staates (als Dritter) in Bezug auf die Versagung umsatzsteuerlicher Vorteile durch die Gewährung von Vertrauensschutz rechtlich begrenzt werden.163 Der Rechtsbegriff „Gutglaubensschutz“ stellt eine rechtstechnisch engere Sachverhaltskonstellation dar.164 Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens setzt eine Gutgläubigkeit des Unternehmers hinsichtlich der Angaben seines Geschäftspartners voraus.165 Gutgläubigkeit kann etwa dann vorliegen, wenn ein unauffälliges Verhalten des Geschäftspartners zu der Annahme veranlasst, dass in der Leistungskette kein Umsatzsteuerbetrug begangen wurde.166 Ist die Gutgläubigkeit des Unternehmers hinsichtlich der Angaben seines Geschäftspartners gegeben, ist dies die Grundlage für die Gewährung eines Vertrauensschutzes, der darauf aufbauend nach seinem Rechtszielcharakter ein staatliches Handeln (hier: Versagung eines umsatzsteuerlichen Vorteils) begrenzt. III. Zwischenfazit Für den Begriff des Vertrauensschutzes im weiteren Sinne ist entscheidend, dass staatliches Handeln begrenzt wird. Im hier relevanten Kontext muss sich der Unternehmer innerhalb eines Systems, in welchem er zur Erlangung umsatzsteuer-
161
So i.Erg. auch Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (3 ff.); Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 45, dort Fn. 153; Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 67 f. 162 Auch in anderen Rechtsgebieten wird wie selbstverständlich von einem Vertrauensschutz gesprochen, wenn die vertrauensbildende Handlung von einer Privatperson ausgeht, vgl. die Rspr. zur „betrieblichen Übung“: BAG, Teilurt. v. 5.2.1971 – 3 AZR 28/70, BAGE 23, 213 (218), die von einem „Vertrauensschutz“ ausgeht, wenn der Arbeitnehmer aus einem wiederholten Verhalten seines Arbeitgebers Ansprüche ableiten will. Dort ist zwar das Vertrauen im Verhältnis zu anderen Privaten geschützt, es wird aber begrifflich bei einer Vertrauensbildung durch eine Privatperson von „Vertrauensschutz“ gesprochen. Ferner stellt § 122 Abs. 1 BGB eine klassische „Vertrauensschutzvorschrift“ dar, die das erweckte Vertrauen in die Gültigkeit einer Willenserklärung des Geschäftspartners schützt, vgl. Armbrüster, in: MüKo-BGB, § 122 BGB, Rn. 1, m. w. N. 163 Vgl. allg. zur „staatsbegrenzenden Wirkung“ des Vertrauensschutzes Haas, Vertrauensschutz im Steuerrecht, S. 109 f. 164 Vgl. Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, S. 93. 165 Vgl. dazu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2, Rn. 44. 166 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (798) = DStR 2008, 450 (452), Rn. 25 mit Anm. Langer / Z ugmaier, DStR 2008, 453; Grune, AktStR 2014, 315 (320).
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licher Vorteile vom Staat abhängig ist, seinen Erwartungen entsprechend verhalten können.167 Nachträgliche belastende hoheitliche Handlungen sollen durch ein vorausgehendes redliches Verhalten des Unternehmers begrenzt werden. In der vorliegenden Arbeit wird daher von einem Vertrauensschutz im weiteren Sinne gesprochen, der rechtstechnisch eine Gutgläubigkeit voraussetzt.
C. Missbrauchs- und Betrugskontrolle nebst Vertrauensschutz Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich niemand in missbräuchlicher oder betrügerischer Absicht auf das Unionsrecht berufen darf.168 Dabei behandelt der EuGH den Missbrauchs- und den Betrugsbegriff in ihren Rechtsfolgen gleichwertig und verwendet den Begriff der Steuerhinterziehung synonym mit dem des Steuerbetrugs.169 Beide Sachverhalte stellen unabhängig von ihrer strafrechtlichen Relevanz ein unionsrechtlich unerwünschtes Verhalten dar.170 Gleichwohl ist die Umsatzsteuer aufgrund ihrer indirekten Erhebungsform gemeinsam mit dem Recht auf Vorsteuerabzug zu einer der missbrauchs- und betrugsanfälligsten Steuern in Europa geworden.171 Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten172 und die wegfallenden Zollkontrollen innerhalb des europäischen Binnenmarktes haben die Anfälligkeit erweitert.173 Der Bundesrechnungshof rügt seit Jahren die unzureichende Überprüfung der umsatzsteuerlichen Pflichten durch die Finanzämter.174 Die Ressourcenknappheit innerhalb der Finanzverwaltung hat dieses Defizit anhaltend verschärft.
167
Siehe zum Begriff des Vertrauens auch Mülbert / Sajnovits, ZfPW 2016, 1 (4 f.), die von einem „disziplinübergreifende[n] Konzept“ sprechen. 168 EuGH, Urt. v. 21.2.2006, Rs. C-255/02, Halifax, Slg. I 2006, 1655 (1675) = DStR 2006, 420 (424), Rn. 68; EuGH Urt. v. 13.2.2014, Rs. C-18/13, Maks Pen, MwStR 2014, 197 (199), Rn. 26; EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1340), Rn. 41; EuGH, Urt. v. 3.3.2005, Rs. C-32/03, Fini H, Slg. I 2005, 1614 = DStRE 2005, 596 (598), Rn. 32; EuGH, Urt. v. 10.7.2019, Rs. C-273/18, SIA Kuršu zeme, MwStR 2019, 787 (788), Rn. 34. 169 EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Rs. C-251/16, Cussens, DStRE 2018, 617 (620), Rn. 34; vgl. Ehrke-Rabel, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 721 (728); Michel, DB 2010, 296 (302). 170 Ehrke-Rabel, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 721 (728). 171 Ismer / Schwarz, MwStR 2019, 348; siehe ferner Naumann, Harmonisiertes Mehrwertsteuersystem, S. 151 ff. 172 Zu dieser Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 127. 173 Haslehner, in: Achatz / Tumpel, Missbrauch im Umsatzsteuerrecht, S. 73; Grube, MwStR 2013, 8 (9); Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1593). 174 Siehe nur BRH, Bemerkungen 2017 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, S. 295 ff.
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I. Zur Missbrauchs- und Betrugsanfälligkeit der Umsatzsteuer Auch wenn es letztlich keine genaue Aufzeichnung der umsatzsteuerlichen Betrugsfälle geben kann,175 handelt es sich im Bereich des internationalen Warenverkehrs bei dem sogenannten „Umsatzsteuerkarussell“ um das verbreitetste Betrugsmodell.176 Dieser gesetzlich nicht vorgesehene Begriff ist auf eine karussellartige Warenbewegung zurückzuführen.177 Bei den §§ 26a, 26b UStG und § 25f UStG (früher: § 25d UStG) handelt es sich um Abwehrinstrumente, die speziell der Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellen dienen sollen.178 Ferner reagierte der Gesetzgeber mit der strafrechtlichen Erfassung einer gewerbs- oder bandenmäßigen Steuerhinterziehung in § 370 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr. 5 AO (früher: § 370a AO) und einer gewerbs- oder bandenmäßigen Schädigung des Umsatzsteueraufkommens in § 26c UStG.179 In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung stellt der Umsatzsteuerbetrug durch Karussellgeschäfte ein anhaltendes Problemfeld dar.180 Die Vorgehensweise der Täter wurden unter Einbeziehung vorsatzloser Dritter in den vergangenen Jahren immer einfallsreicher und für die Kontrollbehörden immer schwieriger aufzudecken und nachzuweisen.181 Für einen Karussellbetrug existieren verschiedene Möglichkeiten:182 Zumeist handelt es sich um einen innergemeinschaftlichen Sachverhalt.183 Der sogenannte „missing trader“ importiert (hochwertige) Ware aus dem EU-Ausland, welche für den Lieferant eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung darstellt.184 Der „missing trader“ liefert die Ware innerstaatlich weiter an den sogenannten „buffer“ ohne Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen. Gleichwohl wird die Umsatzsteuer in der Rechnung an den „buffer“ ausgewiesen. Daraufhin verschwindet der „missing trader“ als Steuerschuldner aus dem Geschehensablauf, indem er beispielsweise seinen Geschäftsbetrieb kurz nach der Lieferung aufgibt oder von 175
So der zutreffende Hinweis von Kemper, MwStR 2018, 641 (641 f.). Grube, MwStR 2013, 8 mit Verweis auf den Gemeinsamen Bericht der Rechnungshöfe der Niederlande, Belgiens und Deutschlands v. 27.9.2012, S. 6, wonach sich im Jahr 2006 der Ausfallschaden durch Karussellbetrug auf geschätzte 106, 7 Mrd. € belief. Der Gesamtausfall wird für das Jahr 2016 auf 147 Mrd. € geschätzt, vgl. Ismer / Schwarz, MwStR 2019, 348, m. w. N. 177 Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften, S. 33. 178 Vgl. Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 30. 179 Vgl. Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 30; Drüen, MwStR 2015, 841. 180 Vgl. nur BFH, Beschl. v. 12.9.2014 –VII B 99/13, BFH / N V 2015, 161 (164), Rn. 21 ff. 181 Eder, NZWiSt 2014, 90; vgl. dazu Grube, MwStR 2013, 8 (8 f.); Küffner / Z ugmaier, UVR 2008, 30; Gehm, BuW 2002, 893 (894); ders., NWB 2012, 3237 (3238). 182 Dazu insg. Gehm, NJW 2012, 1257; Nöhren, Hinterziehung von Umsatzsteuer, S. 253; Loy, DStR 2018, 1097 (1098); Danzer, Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellgeschäften, S. 40 f. 183 Oellerich, Defizitärer Vollzug des Umsatzsteuerrechts, S. 31. 184 Grube, MwStR 2013, 8 f., dort auch zum weiteren Ablauf. Siehe auch Schaumburg, in: Schaumburg / Peters, Internationales Steuerstrafrecht, Rn. 17.41; Brandl, in: Achatz / Tumpel, Missbrauch im Umsatzsteuerrecht, S. 140; Küffner / Z ugmaier, UVR 2008, 30. 176
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Anfang an eine entwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) verwendet185. Dadurch verhindert der „missing trader“, dass die Finanzbehörden nachträglich auf ihn zugreifen können. Der „buffer“ lässt sich hingegen die fälschlicherweise in Rechnung gestellte Umsatzsteuer vom Finanzamt rückvergüten, nachdem er die Ware weiter an den sogenannten „distributor“ geliefert hat, der diese wiederum steuerfrei in den Ausgangsmitgliedstaat liefert und die in Rechnung gestellte Vorsteuer abzieht. Der „missing trader“ konnte so zulasten des Steueraufkommens mit einem Gewinn die Ware an den „buffer“ weiterliefern, während der „buffer“ und der „distributor“ ihre steuerlichen Pflichten erfüllt haben. Die Möglichkeiten des „missing traders“, die Ware aufgrund von Einsparungen bei der Umsatzsteuer zu einem niedrigeren Preis weiterzuliefern, verstärken sich, je öfter der dargestellte Prozess wiederholt wird.186 Auch der Kreis der regelmäßig am Gewinn des „m issing traders“ beteiligten Personen ist beliebig veränderbar.187 Neben dem Umsatzsteuerkarussell und vergleichbaren Betrugsformen ergeben sich Herausforderungen hinsichtlich einer Missbrauchs- und Betrugsbekämpfung im Bereich von „ohne Rechnung“-Geschäften oder im Internethandel, wenn ausländische Drittanbieter auf Internetplattformen den europäischen Markt nutzen, aber keine Umsatzsteuer abführen und sich dadurch nicht zu unterschätzende Wettbewerbsvorteile verschaffen.188 II. Bösgläubigkeit als eigenständiger Versagungsgrund Der EuGH betont in mittlerweile zahlreichen Entscheidungen, dass es ein anerkanntes Ziel der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist, Steuerbetrug und Missbrauch zu bekämpfen.189 Einem Steuerpflichtigen, der selbst Täter einer Steuer 185 So geschehen im Fall „Optigen“: EuGH, Urt. v. 12.1.2006, Rs. C-354/03, C-355/05 und C-484/03, Optigen, Slg. I 2006, 500; Oellerich, Defizitärer Vollzug des Umsatzsteuerrechts, S. 31. 186 Oellerich, Defizitärer Vollzug des Umsatzsteuerrechts, S. 31. 187 Grube, MwStR 2013, 8 (9); Rödl / U. Grube, in: Wabnitz / Janovsky, Kap. 21, Rn. 144. 188 Englisch, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1491 (1495 f.); vgl. dazu Reinel, Der „nemo tenetur“-Grundsatz als Grenze steuerlicher Informationshilfe, S. 30 f. 189 EuGH, Urt. v. 21.2.2006, Rs. C-255/02, Halifax, Slg. I 2006, 1655 (1675), Rn. 71; EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, 440/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177 (6195 f.) = DStR 2006, 1274 (1278), Rn. 54; EuGH, Urt. v. 6.12.2012, Rs. C-285/11, Bonik EOOD, MwStR 2013, 37 (40), Rn. 35; EuGH, Urt. v. 7.12.2010, Rs. C-285/09, R., DStR 2010, 2572 (2573), Rn. 36; EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, „Italmoda“ Mariano Previti, MwStR 2015, 87 (90), Rn. 42, MwStR 2015, 93; EuGH, Urt. v. 28.7.2016, Rs. C-332/15, Astone, MwStR 2016, 751 (755), Rn. 50; EuGH, Urt. v. 5.10.2016, Rs. C-576/15, Maya Marinova ET, MwStR 2016, 871 (874), Rn. 49; EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Rs. C-251/16, Cussens, DStRE 2018, 617 (619), Rn. 27; EuGH, Urt. v. 8.9.2015, Rs. C-105/14, Ivo Taricco, NZWiSt 2015, 390 (394), Rn. 37; EuGH, Urt. v. 5.12.2017, Rs. C-42/17, M. A. S. und M. B., MwStR 2018, 172 (174), Rn. 30; EuGH, Urt. v. 8.11.2018, Rs. C-495/17, Cartrans Spedition, MwStR 2019, 65 (68 f.), Rn. 41; EuGH, Urt. v. 28.3.2019, Rs. C-275/18, Vins, MwStR 2019, 486 (488), Rn. 33.
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hinterziehung ist oder der wusste oder hätte wissen können, dass er sich daran beteiligt, muss der begehrte Steuervorteil wie der Vorsteuerabzug oder eine Steuerbefreiung versagt werden.190 Dem liegt erkennbar eine generalpräventive Missbrauchs- und Betrugsbekämpfungsabsicht zugrunde.191 Der BFH geht bei einer Bösgläubigkeit des Steuerpflichtigen von einem „eigenständigen Versagungsgrund“192 aus.193 Es handle sich um eine „zulässige Ausnahme vom Neutralitätsgrundsatz“.194 Unter unmittelbarer Berufung auf das Unionsrecht können umsatzsteuerliche Vorteile (wie etwa der Vorsteuerabzug) auch bei Vorliegen der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen versagt werden, wenn der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich an einer Steuerhinterziehung beteiligt.195 Für den BFH stellt diese Form der Versagung keine Erweiterung des Tatbestands um ein subjektives Merkmal dar, sondern es handle sich um eine „Begrenzung“ des umsatzsteuerlichen Vorteils durch das primärrechtliche Ziel der Betrugs- und Missbrauchsbekämpfung.196 Diese müsse nicht ausdrücklich im nationalen Recht geregelt werden, da der primärrechtlich vorgegebene Rechtsgrundsatz direkt in nationales Recht einwirke.197 Der deutsche Gesetzgeber hat die Rechtsprechung des EuGH mittlerweile in einem neuen § 25f UStG aufgenommen,198 sodass der dargestellte Begründungsaufwand des BFH möglicherweise obsolet geworden ist. Jedenfalls zeigt sich an dieser Stelle, dass subjektive Elemente innerhalb der Umsatzsteuer Berücksichtigung finden, obwohl diese der Umsatzsteuer eigentlich fremd sind.199 Denn zugleich anerkennt der EuGH einen Vertrauensschutz des 190
EuGH, Urt. v. 12.1.2006, C-354/03, C-355/05 und C-484/03, Optigen, Slg. I 2006, 500 (521 f.), Rn. 51 f.; EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, 440/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177 (6196), Rn. 55 f.; EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, „Italmoda“ Mariano Previti, MwStR 2015, 87 (90 f.), Rn. 44 ff.; EuGH, Urt. v. 6.12.2012, Rs. C-285/11, Bonik EOOD, MwStR 2013, 37 (40), Rn. 37 ff.; vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 403; Grube, MwStR 2013, 8 (9 ff.). 191 Krenzin, DStR 2012, 2361; Ammann, UR, 2005, 533 (539). 192 BFH, Urt. v. 5.8.2010 – V R 13/09, BFH / N V 2011, 81 (83), Rn. 36. 193 Vgl. Grube, MwStR 2013, 8 (9); dies., MwStR 2015, 93; Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (437); Drüen, MwStR 2015, 841 (842). 194 BFH, Beschl. v. 12.9.2014 –VII B 99/13, BFH / N V 2015, 161 (164), Rn. 22; BFH, Urt. v. 19.5.2010 – XI R 78/70, BFH / N V 2010, 2132 (2136), Rn. 46. 195 BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559 (567), Rn. 36 mit Anm. Weymüller, MwStR 2015, 820 f.; BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, BFHE 217, 194 (205 f.); Heuermann, MwStR 2017, 729 (735); ders., in: StbJb. 2015/16, S. 425 (437); vgl. auch BMF-Schreiben v. 7.2.2014, IV D 2 – S 7100/12/10003, DStR 2014, 331 (332). 196 BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559 (567), Rn. 36; vgl. Heuermann, MwStR 2017, 729 (735); Grube, MwStR 2015, 93; Meyer-Burow / Connemann, UStB 2014, 255 (255 f.). 197 Str.: Vgl. EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Rs. C-251/16, Cussens, DStRE 2018, 617 (620), Rn. 28; Heuermann, StuW 2018, 123 (129); a. A. Lindenberg / Klamet / Schmidt, UR 2015, 895 (898 ff.). 198 BGBl. I 2019, 2451 (2473). Ausführlich hierzu § 9, II. dieser Arbeit. 199 Vgl. Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 68; Hassa, UR 2015, 809 (814); von Streit, UStB 2012, 288; Wagner, DStR-Beih. 2007, 23.
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Steuerpflichtigen, indem dieser sein Recht auf Vorsteuerabzug nicht „verlieren“ dürfe, sofern dieser alle Maßnahmen getroffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Steuerbetrug einbezogen sind.200 Wusste der Unternehmer im Einzelfall nichts von einem Steuerbetrug und hätte er dies auch nicht wissen müssen, könnte man ein eigenständiges Recht des Steuerpflichtigen annehmen, dass diesem der umsatzsteuerliche Vorteil nicht mehr versagt werden darf.201 III. Verhinderung neuer Missbrauchs- und Betrugsvarianten Es dürfen keine neuen Missbrauchs- und Betrugsvarianten entstehen, indem sich Unternehmer auf einen ihnen in Wirklichkeit nicht zustehenden Vertrauensschutz berufen könnten.202 Denn Unternehmer werden wohl auch Vertrauensschutz beanspruchen wollen, wenn sie in Wirklichkeit von den betrügerischen Machenschaften ihrer Geschäftspartner wussten oder dies hätten wissen können.203 Die Versagung des Vorsteuerabzugs oder einer Steuerbefreiung wegen Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis von einer Steuerhinterziehung ist praktisch vor erhebliche Probleme gestellt, die letztlich immer bei der Frage der Beweislast enden.204 Zwar ist es legitim, dass die Mitgliedstaaten ihre Ansprüche zur Steuererhebung möglichst wirksam schützen wollen, sie dürfen aber gleichzeitig nicht mehr als das erforderliche Maß vom Steuerpflichtigen verlangen.205 Letzteres wäre der Fall, wenn ein faktisches „System einer verschuldensunabhängigen Haftung“ geschaffen würde, das nicht im steuerrechtlichen Sinne einer Haftung206 den Unternehmer, der nichts
200
EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 47, m. w. N. 201 Vgl. Achatz, SWK 2008, 86 (88 f.); Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (172 f.); krit. dazu Laudacher, SWK 2009, 662 (665 f.). 202 Ammann, UR, 2005, 533 (533 f.); Sterzinger, DStR 2010, 2606; Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, S. 1591 (1592 ff.); Schrömbges, AW-Prax 2012, 421 (422 f.). 203 Weber, BB 2009, 248 (254); vgl. Gehm, BuW 2002, 893 (894); Vanheiden, UStB 2003, 276. 204 Widmann, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 15 UStG (September 2019), Rn. 73c; vgl. dazu Grube, MwStR 2013, 8 (10); Grune, AktStR 2014, 315 (320 ff.). 205 EuGH, Urt. v. 11.5.2006, Rs. C-384/04, Federation of Technological Industries, Slg. I 2006, 4210 (4228) = DStR 2006, 897 (900), Rn. 30; EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (796), Rn. 20, m. w. N.; vgl. Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil B; dies., jurisPR-SteuerR 25/2008, Anm. 6, Teil C; Lohse, BB 2006, 2222 (2227); Nieskens, EU-UStB 2008, 57; Kemper, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 749 (751). 206 Strenggenommen handelt es sich bei der betrugsbedingten Versagung eines Steuervorteils nicht um eine Haftung im rechtlichen Sinne, da hierfür nach § 38 AO ein Haftungstatbestand vorliegen muss. Ein solcher ergab sich lediglich aus § 25d UStG a. F., der den Leistungsempfänger für die Umsatzsteuerschuld des Leistenden einstehen ließ. Die Versagung des in eigener Sache begehrten Steuervorteils tendiert daher vielmehr zu einer zusätzlichen verschuldens unabhängigen (Kollektiv-)Sanktion, vgl. Schinnerl, ÖStZ 2014, 617 (618 f.).
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von einer Steuerhinterziehung in seinem Umsatz wusste oder hätte wissen können, mit der Versagung des Vorsteuerabzugs sanktioniert.207 Auch erscheint das Maß überschritten, wenn dem Steuerpflichtigen kein Vertrauensschutz gewährt wird, obwohl er zuvor die Angaben seiner Geschäftspartner von der Finanzbehörde hat überprüfen lassen.208 Insgesamt muss ein Ausgleich zwischen dem Interesse des Staates an einer gleichmäßigen Steuereintreibung und dem Interesse des Unternehmers an einem Vertrauensschutz bezüglich der Angaben seiner Geschäftspartner gefunden werden.209 Dies erweist sich nicht zuletzt aufgrund der fehlenden sekundärrechtlichen Vorgaben zum Vertrauensschutz als problematisch.210 Nach wie vor sind die Hürden zur Rechtsbefolgung für den umsatzsteuerpflichtigen Unternehmer durch umfangreiche Nachweispflichten hoch.211 Das Ziel, Steuerhinterziehung innerhalb des europäischen Mehrwertsteuersystems zu verhindern, rechtfertigt es zwar, dem Unternehmer Überprüfungspflichten hinsichtlich der Angaben seiner Geschäftspartner aufzuerlegen.212 Dies darf aber nicht dazu führen, dass der Unternehmer das komplette Ausfallrisiko für die Zahlung der Umsatzsteuer übernehmen muss213 und sich der Staat daneben bei einer Involvierung in einen Steuerbetrug eine Überkompensation des Steuerschadens verschafft, indem er auf jeder Lieferebene durch einen „eigenständigen Versagungsgrund“ beziehungsweise nach § 25f UStG den
207 St. Rspr.: EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 48; EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (797), Rn. 23; EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7854 f.), Rn. 58; EuGH, Urt. v. 31.1.2013, Rs. C-642/11, Stroy trans, MwStR 2013, 125 (128), Rn. 48; vgl. dazu Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (466); Fumi, EFG 2007, 630 (631). 208 Vgl. Sterzinger, DStR 2008, 2450 (2454); Ruppe, DStJG 27 (2004), S. 229 (235). Siehe auch Pettenkofer, Der Vertrauensschutz bei behördlichen Auskünften und Zusagen, S. 85, der darin sogar einen Verstoß gegen die Menschenwürde nach Art. 1 GG sieht. 209 Vgl. EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7854 f.), Rn. 58; FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.11.2015 – 5 K 5187/15, juris, Rn. 23; Haslehner, in: Achatz / Tumpel, Missbrauch im Umsatzsteuerrecht, S. 73 (79); Achatz, in: FS für H. F. Köck, S. 65 (68); Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (17); Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 56; Nieskens, EU-UStB 2008, 57; Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, S. 1591 (1592 ff.); Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 68 f.; Hassa, UR 2015, 809 (813); Trinks, SteuK 2013, 349; Zitzl, Rechtsfolgen irrtümlicher Rechtsanwendungsfehler von Mehrwertsteuerpflichtigen, S. 45 f. Siehe ferner Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 120, der in der Abwägung eine kennzeichnende Form der Anwendung von Prinzipien sieht. Auch der EGMR, Entsch. v. 18.3.2014, Nr. 39689/05, Atev / Bulgaria, ECLI:CE:ECHR:2014:0318DEC003968905, Rn. 36 spricht von einer „fair balance […] between the protection of the applicant’s rights and the demands of the general interest“. 210 Vgl. Radeisen, SteuK 2011, 51 (53). 211 Kemper, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 749 (751); vgl. Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6 UStG (September 2016), Rn. 167. 212 EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7854 f.), Rn. 58. 213 Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 2313 (2320); vgl. Kellersmann, UR 2006, 164 (165).
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Teil I: Einleitung und Grundlagen der Untersuchung
Vorsteuerabzug versagt214. Die Missbrauchsbekämpfung muss zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Bestimmtheit und Rechtssicherheit stehen215 und damit auch die Belange des in Dienst genommenen Unternehmers berücksichtigen.216
§ 3 Zusammenfassung Der Ursprung des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht liegt in der systembedingten Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner im AllphasenNetto-Umsatzsteuersystem, der Beibehaltung des Bestimmungslandprinzips bei gleichzeitiger Abschaffung der Grenzkontrollen durch Nachweispflichten und den Nachweispflichten in umsatzsteuerrechtlichen Spezialfällen.217 Wann in diesen Fällen genau ein schutzwürdiges Vertrauen des umsatzsteuerpflichtigen Unternehmers vorliegt, wird in Teil II aufgegriffen. Begrifflich spricht nichts gegen die Terminologie „Vertrauensschutz“, auch wenn der Vertrauenstatbestand von den Angaben einer Privatperson herrührt. Der Vertrauensschutz ist im weiten Sinne als übergreifendes Prinzip zu verstehen, das den Gutglaubensschutz als untergeordnete Kategorie miterfasst.218 Die Gewährung des Vertrauensschutzes setzt voraus, dass der Unternehmer, der diesen begehrt, gutgläubig ist. Wenn der Unternehmer im Ergebnis vor Falschangaben seiner Geschäftspartner geschützt sein soll, muss zwangsläufig weiterhin eine effektive Betrugs- und Missbrauchskontrolle gewährleistet bleiben.219 Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht soll nicht das Tor zu neuen Betrugs- und Missbrauchskonstellationen öffnen, sondern alleine dem redlichen Unternehmer zustehen.
214
So auch die überwiegende Kritik in der Literatur, vgl. Grube, MwStR 2013, 8 (12 f.); Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 408, 508; Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (173 ff.); Schuska, MwStR 2015, 323 (328); Hummel, UR 2014, 256 (258 f.); Kaiser / Hummel, PStR 2015, 265 (266); Ismer / Artinger, MwStR 2019, 56 (64); Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 415; zweifelnd auch Heuermann, DB 2017, 990 (993). Siehe dazu ausführlich § 11, C. dieser Arbeit. 215 FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.11.2015 – 5 K 5187/15, juris, Rn. 23; Kokott, in: FS 100 Jahre BFH, Band I, S. 735 (750 f.). 216 Vgl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 86: „Die Relation von Staat und Einzelpersönlichkeit ist derart, dass beide als einander ergänzende Grössen erscheinen.“ 217 Siehe Seite 35 ff. 218 Siehe Seite 43 ff. 219 Siehe Seite 48 ff.
Teil II
Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner § 4 Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen Der Unternehmer ist in verschiedenen Teilbereichen des Umsatzsteuerrechts von Angaben seines Geschäftspartners abhängig.1 Dadurch wird der Vertrauensschutz des in Dienst genommenen Unternehmers in unterschiedlichen Fallkonstellationen relevant. Aktuelle und offene Problemfelder innerhalb der jeweiligen Teilbereiche des Umsatzsteuerrechts werden im Folgenden unter Einbeziehung unionsrecht licher Vorgaben einem Lösungsvorschlag zugeführt.
A. Vorsteuerabzugsrecht, §§ 15, 15a UStG Das Vorsteuerabzugsrecht (dazu I.) hat sich seit seiner Einführung durch das System der Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug mit Wirkung zum 1.1.1968 zu einem Teilbereich des Umsatzsteuerrechts entwickelt, der für Falschangaben des Geschäftspartners besonders anfällig ist.2 Die Prüfung eines Vertrauensschutzes lässt sich in zwei Schritten vornehmen (dazu II. und III.). I. Grundlagen des Vorsteuerabzugsrechts Nach Art. 168 MwStSystRL ist der Steuerpflichtige berechtigt, die Gegenstände und Dienstleistungen, soweit sie für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer abzuziehen. Der Vorsteuerabzug ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH „ein integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer“, von welchem nicht abgewichen werden kann.3 Die 1 Vgl. Stapperfend, UR 2013, 321 (321 ff.); Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 65 ff. 2 Vgl. Widmann, in: FS für J. Lang, S. 913 (915). 3 EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1340), Rn. 38; EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177 (6193), Rn. 47; EuGH, Urt. v. 12.5.2011, Rs. C-107/10, Enel Maritsa Iztok, BeckRS 2011, 80513, Rn. 32; EuGH, Urt. v. 30.9.2010, Rs. C-392/09, Uszodaépítő, BeckRS 2010, 91144, Rn. 34; EuGH, Urt. v. 6.7.1995, Rs. C-62/93, BP Soupergaz, Slg. I 1995, 1883, Rn. 18; vgl. Englisch,
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
gesamte Vorsteuerbelastung der vorangehenden Umsatzstufen kann sofort abgezogen werden, sodass der Unternehmer im Sinne des Neutralitätsgrundsatzes von der geschuldeten Vorsteuer vollständig entlastet wird.4 Der EuGH betont den Unterschied zwischen den materiellen Anforderungen des Rechts auf Vorsteuerabzug („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“, Art. 167–172 MwStSystRL) und den formellen Anforderungen zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug („Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug“, Art. 178–183 MwStSystRL).5 Die Art. 167 bis 183 MwStSystRL sind im nationalen Umsatzsteuergesetz durch § 15 UStG und die Art. 184 bis 192 MwStSystRL durch § 15a UStG umgesetzt. Den Vorsteuerabzug kann gemäß § 15 Abs. 1 UStG nur ein Unternehmer geltend machen. Handelt es sich um den Abzugstatbestand des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG, muss der Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung „für sein Unternehmen“ von einem anderen Unternehmer erhalten haben. Der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer gilt damit nur im unternehmerischen Rechtsverkehr.6 Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG kann der leistungsempfangende Unternehmer nur die Vorsteuer abziehen, die der leistende Unternehmer nach der zugrundeliegenden gesetzlichen Regelung tatsächlich schuldet. Eine gemäß § 14c Abs. 1 oder Abs. 2 UStG geschuldete Steuer ist keine gesetzlich geschuldete Steuer im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG, da sie nicht für eine Leistung, sondern aufgrund ihres Ausweises in der Rechnung geschuldet wird,7 vgl. Art. 168 lit. a MwStSystRL. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG verweist auf die §§ 14, 14a UStG. Der Unternehmer muss für den Vorsteuerabzug die empfangenen Leistungen für sein Unternehmen durch Rechnungsbelege nachweisen können. Dafür sieht § 14 Abs. 4 UStG einen umfassenden Katalog an Rechnungsanforderungen vor, die auf den Richtlinienvorgaben des Art. 226 MwStSystRL beruhen. Der Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG verleitet zu der Annahme, dass es sich bei einer ordnungsgemäßen Rechnung um eine materielle Voraussetzung handelt, um das Recht auf Vorsteuerabzug in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 23; Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (März 2018), Rn. 33, jeweils m. w. N.; krit. P. Kirchhof, Umsatzsteuergesetzbuch, S. 20 f. 4 EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1340), Rn. 38 f.; EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177 (6193 f.), Rn. 47 f.; EuGH, Urt. v. 21.3.2000, Rs. C-110/98 bis C-147/98, Gabalfrisa, Slg. I 2000, 1577 (1613), Rn. 43 f.; siehe zum Begriff des „Nullsummenspiels“ Mittler, UR 2001, 385. 5 EuGH, Urt. v. 28.7.2016, Rs. C-332/15, Astone, MwStR 2016, 751 (755), Rn. 47; EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-518/14, Senatex, DStR 2016, 2211 (2212 f.), Rn. 28 f.; EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 (799), Rn. 40 f., m. w. N.; dazu auch Grube, MwStR 2016, 800; Heuermann, DB 2017, 990. 6 Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 61 f.; vgl. Crezelius, Steuerrecht II, § 24, Rn. 12. 7 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.12.1989, Rs. C-342/87, Genius Holding, UR 1991, 83; BFH, Urt. v. 5.12.2018 – XI R 44/14, BFH / N V 2019, 499 (503), Rn. 57; Heidner, in: Bunjes18, § 15 UStG, Rn. 158; Heuermann, UR 2014, 877; vgl. zum Umfang und zu den Grenzen des Vorsteuerabzugs allg. Wäger, DStR 2011, 433 (433 ff.).
§ 4 Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen
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ausüben zu können.8 Im Nachfolgenden ist zu untersuchen, ob diese Sichtweise im Hinblick auf die aktuelle EuGH-Rechtsprechung überzeugen beziehungsweise aufrecht erhalten werden kann.9 II. Erster Schritt: Erfassung der relevanten Tatbestandsmerkmale Dem System einer Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug ist es immanent, dass der Unternehmer sich auf die Angaben seiner Geschäftspartner verlassen muss.10 Der Unternehmer muss die erbrachten Vorleistungen, die ihn zum Vorsteuerabzug berechtigen, über Rechnungsangaben nachweisen.11 Dabei ist er gezwungen, mit seinen Geschäftspartnern zu kommunizieren, um die erforderlichen Rechnungsangaben einzuholen. Das Problem des Vertrauensschutzes tritt immer dann auf, wenn sich die Angaben des Geschäftspartners, auf die der Unternehmer angewiesen ist, nachträglich als falsch oder unzureichend herausstellen oder dem Unternehmer das betrügerische Verhalten seiner Geschäftspartner zur Last gelegt werden soll.12 Oftmals trägt der gutgläubige Leistungsempfänger das faktische Risiko einer nachträglichen Versagung des Vorsteuerabzugs durch das Finanzamt.13 Dies führt nicht nur zu einer anhaltenden Rechtsunsicherheit im laufenden Wirtschaftsbetrieb, sondern kann im Zweifelsfall auch existenzbedrohende Steuernachforderungen auslösen.14 Entsprechend wird für verschiedene Fallkonstellationen ein dem entgegenwirkender Vertrauensschutz im Vorsteuerabzugsrecht diskutiert.15 1. Unternehmereigenschaft des Vorleistenden Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG muss die Leistung durch einen „anderen Unternehmer“ ausgeführt werden. Dabei ist auf den umsatzsteuerrechtlichen Unternehmerbegriff in § 2 Abs. 1 UStG zurückzugreifen.16 Unternehmer ist dem 8
So insb. auch BFH, Urt. v. 20.10.2016 – V R 26/15, BFHE 255, 348 (351 f.) = DStR 2016, 2967 (2968), Rn. 17; vgl. Looks, in: Weymüller2, § 15 UStG, Rn. 106. 9 Siehe dazu sogleich Seite 62 ff. Diesbezüglich krit. Grube, MwStR 2016, 800. 10 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (30). 11 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (30); ders., in: FS J. Lang, S. 913 (915); Stapperfend, UR 2013, 321 (322). 12 Kemper, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 749 (751); vgl. Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 150. 13 Vgl. Abschn. 15.2a Abs. 6 Satz 10 UStAE; OFD Frankfurt v. 5.6.2013 – S 7340 A – St 112, UR 2014, 74. Siehe dazu Kemper, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 749 (751). 14 So auch Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1074). 15 Vgl. Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (März 2018), Rn. 73 ff.; Widmann, in: FS für J. Lang, S. 913 (915); Englisch, UR 2009, 181 (185); Spatschek / Stenert, DStR 2016, 1070 (1071). 16 Looks, in: Weymüller2, § 15 UStG, Rn. 57.
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
nach, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Der europäische Gesetzgeber spricht demgegenüber in Art. 9 MwStSystRL vom sogenannten „Steuerpflichtigen“. Als „Steuerpflichtiger“ gilt nach Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt. Der nationale Unternehmerbegriff stellt nach überwiegender Auffassung einen Typusbegriff dar.17 Im Gegensatz zum Klassenbegriff müssen beim Typusbegriff nicht sämtliche Voraussetzungen erfüllt werden, sondern es kommt auf das Gesamtbild der Umstände an.18 Diese müssen es rechtfertigen, den Unternehmer noch als solchen zu bezeichnen. Im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung muss sich der Rechtsanwender dabei an Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 MwStSystRL orientieren,19 welcher als wirtschaftliche Tätigkeiten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeit der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe erfasst. Handelt es sich bei dem Geschäftspartner nicht um einen Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinn, läuft der leistungsempfangende Unternehmer Gefahr, dass ihm der Vorsteuerabzug versagt wird. Alleine aus den Angaben des Geschäftspartners (wie etwa der USt-IdNr.) ist es für den Unternehmer nicht erkennbar, ob er tatsächlich mit einem anderen Unternehmer kontrahiert. Dabei können sich unterschiedliche Fallgruppen bilden, in denen der leistende Geschäftspartner in Wirklichkeit gar nicht als Unternehmer zu qualifizieren ist. a) Vorleistender als Scheinunternehmer Ein Scheinunternehmer liegt vor, wenn ein Privatmann nach außen den Anschein einer unternehmerischen Tätigkeit erweckt. Der „missing trader“ spiegelt etwa nicht selten durch eine Schein- oder Fantasieadresse zusammen mit einer erfundenen unternehmerischen Tätigkeit den Umstand vor, dass es sich bei ihm um einen Unternehmer handelt. Der leistungsempfangende Unternehmer geht davon aus, dass er aufgrund einer Leistung eines Unternehmers für sein Unternehmen zum Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG berechtigt ist. Ist der Leistende aber ein Scheinunternehmer, drohen die nachträgliche Versagung des Vorsteuerabzugs und eine endgültige Belastung mit Umsatzsteuer.20 17 BFH, Urt. v. 27.1.2011 – V R 21/09, BFHE 233, 77 (83) = DStRE 2011, 769 (771), Rn. 23; Offerhaus, UR 1991, 279; Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 460; Birkenfeld, DStR 1994, 81 (83); Fischer, DStZ 2000, 885 (886); a. A. Mösslang, UR 1994, 10 (14 ff.). 18 Vgl. BFH, Beschl. v. 10.12.2001 – GrS 1/98, BFHE 197, 240 (245) = BStBl. II 2002, 291 (292); Wernsmann, DStR-Beih. 2011, 72 (76); dens., NVwZ 2011, 1367 (1368); dens., in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1229 (1238 f.); Lange, in: FS für K. Offerhaus, S. 701 (711); krit. Mössner, in: FS für H. W. Kruse, S. 161 (170 ff.). 19 So auch Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 2 UStG (März 2016), Rn. 12. 20 Vgl. Widmann, in: Dziadkowski / Reiß, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 1997/98, S. 85 (88 f.).
§ 4 Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen
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Eine besondere Rechtsunsicherheit ergibt sich in Geschäftsbereichen, in denen eine physische Beziehung zu den Geschäftsräumen des Vertragspartners nicht unbedingt üblich ist.21 Nicht immer kann sich ein Unternehmer über fremde Umstände informieren. Eine täuschend echte Scheinadresse des Geschäftspartners ist beispielsweise gerade darauf angelegt, dass die dortige Unerreichbarkeit erst nach Abwicklung des Rechtsgeschäfts mit einem erfolglosen Versuch der Kontaktaufnahme festzustellen ist.22 Die wahre Tatsache, dass es sich bei dem Vorleistenden um eine reine Privatperson handelt, soll verschleiert werden. Ist der Vorleistende kein Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne, sind rein objektiv die materiell-rechtlichen Anforderungen des § 15 Abs. 1 UStG nicht erfüllt. Dadurch stellt sich die umstrittene Frage, ob dem Unternehmer ein Vertrauensschutz hinsichtlich der Angaben des Geschäftspartners zu seiner Eigenschaft als Unternehmer gewährt werden muss.23 Die Frage eines diesbezüglichen Vertrauensschutzes ist untrennbar damit verbunden, welche Mindestanforderungen dem Unternehmer bei der Überprüfung der Angaben seines Geschäftspartners auferlegt werden können.24 Die Rechnungsangaben des Vorleistenden nach § 14 Abs. 4 S. 1 UStG müssen daher für die Frage der Schutzwürdigkeit des Leistungsempfängers miteinbezogen werden (dazu Seite 62 ff.). b) Strohmann oder Hintermann als Nichtunternehmer Bei Strohmanngeschäften wird eine Person – als sogenannter Strohmann – vom Hintermann vorgeschoben, um ein rechtliches Geschäft vorzunehmen, das der Hintermann aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht selbst abschließen will.25 Erfüllt ein Strohmann für den Hintermann ein Umsatzgeschäft (§ 3 Abs. 6 S. 5 UStG), muss in dieser Konstellation einem der beiden die umsatzsteuerliche Leistung zugerechnet werden. Nach der Rechtsprechung des BFH ist der Leistende im umsatzsteuerlichen Sinne in der Regel derjenige, der die Lieferung oder sonstige Leistung im eigenen Namen gegenüber einem anderen oder durch einen Beauftragten ausführt.26 Regelmäßig ergibt sich aus den von den Vertragsparteien abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen, wer bei Erfüllung des Umsatzgeschäfts der Leistende sein soll.27 Um die Leistung zurechnen zu können, ist 21
Prätzler, jurisPR-SteuerR 12/2010, Anm. 6, Teil. D; vgl. Hörn, UR 1993, 79 (81). Vgl. dazu Schumann, DStR 2017, 2719 (2720). 23 Befürwortend etwa Schumann, DStR 2017, 2719 (2720); Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 1707; Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 98; Weiß, in: Steuer-KongressReport 1973, S. 253 (266); Thietz-Bartram, DB 2013, 418 (419 f.); a. A. Looks, in: Weymüller2, § 15 UStG, Rn. 59; Reiß, StuW 1981, 81 (84); Schulte / Höink, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, § 9b EStG (März 2013), Rn. B 34; Stöcker, in: Lademann, § 9b EStG (September 2013), Rn. 77. 24 Prätzler, jurisPR-SteuerR 12/2010, Anm. 6, Teil. D; vgl. dazu Thietz-Bartram, DB 2013, 418 (419 f.); Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (März 2018), Rn. 74. 25 Vgl. Schubert, in: MüKo-BGB, § 164 BGB, Rn. 47; Heidner, UR 2002, 445. 26 BFH, Urt. v. 4.9.2003 – V R 9, 10/02, BFHE 203, 389 (393) = DStRE 2004, 96 (97). 27 BFH, Urt. v. 4.9.2003 – V R 9, 10/02, BFHE 203, 389 (393). 22
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
zu klären, ob der Handelnde (Strohmann) gegenüber dem Geschäftspartner im eigenen Namen oder unter der Berechtigung eines anderen zur Erbringung einer Leistung aufgetreten ist.28 Für den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers muss der Vorleistende einerseits Unternehmer sein und andererseits muss diesem die ausgeführte Leistung zuzurechnen sein.29 aa) Identität von Leistendem und Rechnungsaussteller Rechnungsaussteller und Leistender müssen, damit der Unternehmer das Recht zum Vorsteuerabzug erlangt, miteinander identisch sein.30 In der Rechnung muss derjenige Unternehmer angegeben sein, dem die beschriebene Leistung zuzurechnen ist.31 Während ursprünglich noch der XI. Senat die Leistung des Strohmanns dem Hintermann zurechnen wollte,32 beurteilt der V. Senat in ständiger Rechtsprechung nach dem äußeren Erscheinungsbild den Strohmann selbst als den leistenden Unternehmer33. Letzteres überzeugt, weil für den leistungsempfangenden Unternehmer ein Vorsteuerabzug möglich sein muss, wenn der leistende Strohmann erkennbar im Auftrag des Hintermanns auftritt und dem Unternehmer eine Rechnung ausstellt.34 Durch die Zurechnung der Leistung an den Strohmann sind im Ergebnis Rechnungsaussteller und Leistender wieder identisch. Ergibt sich allerdings aus der Rechnung nicht eindeutig und leicht nachprüfbar, wer in Wirklichkeit leistender Unternehmer ist, wird es zur Versagung des Vorsteuerabzugs kommen.35 Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen der Strohmann nicht erkennbar zu Täuschungszwecken für den Hintermann auftritt (vgl. den Beispielsfall auf Seite 26). Wird der rechnungaustellende Strohmann zur Verdeckung betrügeri 28
BFH, Urt. v. 4.9.2003 – V R 9, 10/02, BFHE 203, 389 (393 f.); BFH, Urt. v. 281.1999 – V R 4/98, BFHE 188, 456 (459); BFH, Urt. v. 30.9.1999, V R 8/99, BFH / N V 2000, 353 (354). 29 Heidner, UR 2002, 445. 30 St. Rspr.: BFH, Urt. v. 14.2.2019 – V R 47/16, BFH / N V 2019, 783 (784), Rn. 20; BFH, Urt. v. 8.7.2009 – XI R 51/07, BFH / N V 2010, 256 (257); BFH, Beschl. v. 22.11.2001 – V R 61/00, BFHE 197, 322 (329); BFH, Beschl. v. 31.1.2002 – V B 108/01, BB 2002, 979 (980); FG Münster, Urt. v. 26.2.2009 – 5 K 320/06 U (rkr.), EFG 2009, 812 (813); vgl. dazu Schaumburg, in: Schaumburg / Peters, Internationales Steuerstrafrecht, Rn. 17.42; Heidner, UR 2002, 445; Hundt-Eßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 15 UStG (Oktober 2018), Rn. 245; Lippross, Umsatzsteuer, S. 1061; Abschn. 15.2a Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 Satz 7 UStAE. 31 Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 767. 32 BFH, Urt. 13.7.1994 – XI R 97/92, BFH / N V 1995, 168 (169). 33 BFH, Urt. v. 20.10.2016 – V R 36/14, BFH / N V 2017, 327 (328); BFH, Urt. v. 10.9.2015 – V R 17/14, BFH / N V 2016, 80, Rn. 33; BFH, Urt. v. 31.1.2002, V B 108/01, BFH / N V 2002, 835 (837); BFH, Beschl. v. 31.1.2002 – V B 108/01, BB 2002, 979 (980); mittlerweile auch BFH, Urt. v 11.3.2020 – XI R 38/18, DStR 2020, 1850 (1854), Rn. 53; zust. Achatz, Diskussionsbeitrag, DStJG 32 (2009), S. 461 (492 f.); dazu auch Wagner, StuW 1995, 154 ff.; Widmann, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 15 UStG (September 2019), Rn. 71; Wäger, UR 2017, 45 (53). 34 Vgl. Widmann, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 15 UStG (September 2019), Rn. 71. 35 Vgl. BFH, Urt. v. 17.9.1992 – V R 41/89, BFHE 169, 540 = DStR 1993, 162; BFH, Beschl. v. 31.1.2002 – V B 108/01, BB 2002, 979 (980); Abschn. 15.2a Abs. 5 Satz 1 UStAE.
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scher Machenschaften vorgeschoben, ist es nach entsprechender Tatsachenwürdigung möglich, den Hintermann als den wirklich Leistenden anzusehen,36 sodass Rechnungsaussteller und Leistender auseinanderfallen. Ein Vertrauensschutz kann diesbezüglich in Betracht kommen, sofern dem leistungsempfangenden Unternehmer wiederum nicht aus den übrigen Rechnungsangaben Zweifel hätten aufkommen müssen (vgl. Seite 62). Bei einer offenen vertraglichen Zuordnung der Leistung wird ein Vertrauensschutz allerdings erst relevant, wenn demjenigen, dem die Leistung zugerechnet wird (Strohmann oder Hintermann),37 weitere objektive Tatbestandsvoraussetzungen des Vorsteuerabzugs – wie in aller Regel die Unternehmereigenschaft – fehlen (dazu bb. und cc.).38 bb) Strohmann ohne Unternehmereigenschaft Tritt bei Geschäftsabschluss ein leistender Strohmann ohne Unternehmereigenschaft auf, kann unter Umständen kein Steuerschuldner vorliegen, da der Hintermann selbst nicht leistet und durch die fehlende Unternehmereigenschaft des Strohmanns keine Umsatzsteuerschuld begründet wird, was den Staat wegen § 14c Abs. 2 UStG nur geringfügig tangieren wird.39 Auf Seiten des Unternehmers, dem der Vorsteuerabzug deswegen versagt wird,40 kommt aber die Frage auf, ob er in seinem Vertrauen auf die Unternehmereigenschaft möglicherweise zu schützen ist. Stellt man auf das Auftreten des Strohmanns im Außenverhältnis ab, wäre der leistende Unternehmer nach dem Empfängerhorizont derjenige, für den der leistungsempfangende Unternehmer ihn berechtigterweise hält oder gehalten hat.41 Sein Vertrauen in dieses Verhalten ist mit der Berechtigung zum Vorsteuerabzug zu schützen.42 Für die Beurteilung, ob das Vertrauen des Leistungsempfängers schutzwürdig ist, sind wiederum die Rechnungsangaben des leistenden Unternehmers nach § 14 Abs. 4 S. 1 UStG von entscheidender Bedeutung (vgl. dazu im Folgenden unter 2.). cc) Hintermann ohne Unternehmereigenschaft Eine ähnliche Problematik ergibt sich, wenn der leistungsempfangende Unternehmer den Hintermann für den Leistenden hält, weil der Strohmann nicht in eigenem Namen aufgetreten ist und insofern zivilrechtlich vereinbart wurde, dass 36
Vgl. BFH, Urt. v. 4.9.2003 – V R 9, 10/02, BFHE 203, 389 (394 f.). Vgl. BFH, Urt. 12.8.2009 – XI R 48/07, BFH / N V 2010, 259 (260); siehe dazu HundtEßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 15 UStG (Oktober 2018), Rn. 222. 38 Vgl. Widmann, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 15 UStG (September 2019), Rn. 71. 39 Heidner, UR 2002, 445 (450). 40 Vgl. Zaumseil, UStB 2008, 230. 41 Heidner, UR 445 (451); Wäger, UR 2017, 41 (46). 42 Schuhmann, UVR 2003, 255 (258). 37
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der Hintermann als der Leistende anzusehen ist.43 Denkbar wäre, dass der leistende Hintermann gar kein Unternehmer ist. Hatte der leistungsempfangende Unternehmer bei Durchsicht der Rechnungsangaben daran keinen Anlass zum Zweifel, ist diesem ein Vertrauensschutz hinsichtlich der Unternehmereigenschaft des Hintermanns zu gewähren. dd) Zwischenergebnis Die Unternehmereigenschaft des Vorleistenden stellt eine materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung zur Gewährung des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1 UStG (Art. 167 MwStSystRL) dar. Allerdings ist die Unternehmereigenschaft des Vorleistenden oftmals kaum nachprüfbar oder bietet keinen Anlass zur Überprüfung, weshalb ein Vertrauensschutz des leistungsempfangenden Unternehmers bezüglich der Unternehmereigenschaft des Vorleistenden in Betracht gezogen werden muss.44 Dies gilt insbesondere bei der Zuordnung der Leistung in einer Strohmann-Hintermann-Konstellation. Ob das Vertrauen des leistungsempfangenden Unternehmers hinsichtlich der Unternehmereigenschaft des Vorleistenden schutzwürdig ist, kann nur im Zusammenhang mit den Rechnungsangaben nach § 14 Abs. 4 UStG beantwortet werden. 2. Rechnungsangaben gemäß § 14 Abs. 4 UStG Der leistungsempfangende Unternehmer muss über die gezahlten Vorsteuerbeträge Nachweise führen. Dafür legt § 14 Abs. 4 UStG (Art. 226 MwStSystRL) Anforderungen an die Rechnung fest, die vom leistenden Unternehmer auszustellen ist. Dazu gehören insbesondere der vollständige Name und die vollständige Anschrift des Leistenden und des Leistungsempfängers (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG) sowie die USt-IdNr des leistenden Unternehmers (§ 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG). Beide Geschäftspartner sind von den Rechnungsangaben betroffen.45 Fehler, die aus der Sphäre des leistenden Rechnungsausstellers stammen, wirken sich auf die Rechtsverhältnisse des Leistungsempfängers aus.46 Allerdings ist für einen etwaigen Vertrauensschutz zum einen entscheidend, welcher rechtliche Gehalt den Rechnungsangaben insgemein zukommt [dazu a)]. Zum anderen ist die Gewährung 43
Vgl. BFH, Urt. v. 5.4.2001 – V R 5/00, BFH / N V 2001, 1307 (1308); BFH, Beschl. v. 31.1.2002 – V B 108/01, BB 2002, 979 (980); BFH, Urt. v. 16.1.2014 – V R 22/13, BFH / N V 2014, 736 (737), Rn. 21; BFH, Urt. v. 12.8.2009 – XI R 48/07, BFH / N V 2009, 259 (260). 44 Schuhmann, UVR 2003, 255 (257 f.); Weiß, in: Steuer-Kongress-Report 1973, S. 253 (266); ders., UR 1985, 25 (27); ders., UR 1988, 188 (190); Weimann, UStB 2009, 236 (237); a. A. Looks, in: Weymüller2, § 15 UStG, Rn. 59; Schulte / Höink, in: Kirchhof / Söhn / Mellinghoff, § 9b EStG (März 2013), Rn. B 34. 45 Radeisen, Rechnungen im Umsatzsteuerrecht, S. 221. 46 Höink / Hudasch, BB 2017, 215.
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von Vertrauensschutz davon abhängig, welche Rechnungsangaben nicht eingehalten wurden47 [dazu b) und c)]. a) Rechtlicher Gehalt der Rechnungsanforderungen Über die Frage, ob es sich bei den Rechnungsangaben gemäß § 14 Abs. 4 UStG (Art. 226 MwStSystRL) eine rein formelle Voraussetzung handelt, die das materielle Recht auf Vorsteuerabzug unberührt lässt, herrscht Uneinigkeit.48 aa) Analyse der EuGH-Rechtsprechung Der EuGH äußerte sich zur rechtlichen Einordnung der heute in Art. 178 lit. a i. V. m. Art. 226 MwStSystRL geregelten Rechnungsanforderungen nicht immer eindeutig. Bei der nachstehenden Analyse ausgewählter Entscheidungen ist streng zwischen dem grundsätzlichen Vorliegen einer Rechnung und dem Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung zu unterscheiden. (1) EuGH-Urteil vom 29.4.2004, Terra Baubedarf In der viel beachteten Entscheidung Terra Baubedarf ging es um das grundsätzliche Vorliegen einer Rechnung. Der EuGH hatte zu klären, ob ein Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt des Leistungsbezugs zu gewähren ist, auch wenn der Steuerpflichtige zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Besitz einer Rechnung war. Aus der Annahme, dass der Steuerpflichtige keine Zahlungen vornehmen und keine ihn belastende Vorsteuer abführen werde, bevor er nicht eine Rechnung oder ein anderes als Rechnung zu betrachtendes Dokument49 erhalten habe, schloss der EuGH, dass eine Rechnung zwingend vorliegen muss, damit ein Vorsteuerabzug für den Steuerpflichtigen in Betracht komme.50 Der Vorsteuerabzug sei daher in dem Erklärungszeitraum auszuüben, in welchem die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurden und der Steuerpflichtige erstmalig im Besitz einer Rechnung war.51 Fielen der Empfang einer Leistung und der Empfang der Rechnung auseinander, so schloss man aus der Entscheidung, dass der Vorsteuerabzug erst in dem Zeitpunkt möglich sein kann, in welchem zum erstem Mal beides 47
Vgl. dahingehend Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (481); Radeisen, Rechnungen im Umsatzsteuerrecht, S. 223 ff.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 980; Stadie, UStG-Kommentar, § 15 UStG, Rn. 225 ff.; Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 747. 48 Vgl. Grube, MwStR 2016, 800; Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (Juni 2018), Rn. 399. 49 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 5.12.1996, Rs. C-85/95, Reisdorf, DStRE 1997, 112 (114), Rn. 25. 50 EuGH, Urt. v. 29.4.2004, Rs. C-152/02, Terra Baubedarf, Slg. I 2004, 5597 (5610), Rn. 35. 51 EuGH, Urt. v. 29.4.2004, Rs. C-152/02, Terra Baubedarf, Slg. I 2004, 5597 (5611), Rn. 38.
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gleichzeitig vorliegt.52 Man ist aus diesem Grund dazu geneigt, das grundsätzliche Vorliegen einer Rechnung als materiell-rechtliche Voraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug anzunehmen.53 Stellte sich nach dem verspäteten Erhalt der Rechnung heraus, dass die Rechnung nicht ordnungsgemäß ist, war der Steuerpflichtige zunächst auf eine daraufhin vorgenommene Rechnungsberichtigung durch den Rechnungsaussteller angewiesen.54 Bei einem Verlust der Originalrechnung ist es aber ausdrücklich zulässig, dass der Unternehmer „andere Beweise“ vorbringt, die belegen, dass der Umsatz tatsächlich stattgefunden hat.55 (2) EuGH-Urteil vom 15.9.2016, Senatex Das rein formelle Verständnis vom Erfordernis einer ordnungsgemäßen Rechnung brachte der EuGH in der Entscheidung Senatex deutlich zum Ausdruck.56 Dabei hatte der EuGH die Vorlagefrage zu beantworten, ob die Art. 167, 178 lit. a, 179 und 226 Nr. 3 MwStSystRL so auszulegen sind, dass eine Berichtigung einer ursprünglich fehlenden USt-IdNr. auf den Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung zurückwirkt. Der EuGH legte die Richtlinie dahingehend aus, dass der Neutralitätsgrundsatz es verbiete, das materiell vorliegende Recht auf Vorsteuerabzugs zu versagen, wenn nur einzelne bestimmte formelle Bedingungen nicht eingehalten sind.57 Der EuGH unterscheidet einmal mehr streng zwischen den materiellen Anforderungen des Vorsteuerabzugs in Art. 168 lit. a MwStSystRL und den formellen Anforderungen gemäß Art. 178 lit. a i. V. m. Art. 226 MwStSystRL, zu denen er eine ordnungsgemäße Rechnung zählt.58 Die Rechnung ist damit ein formell zu verstehendes Beweismittel für das Vorliegen einer Vorsteuerbelastung.59 Als Kon 52
Kobor / Z ugmaier, DStRE 2004, 832; Heuermann, UR 2017, 729 (739). Vgl. Ismer / Baur-Rückert, MwStR 2015, 575 (576 f.). Dies ist zu unterscheiden von der Frage, ob auch eine ordnungsgemäße Rechnung materiell-rechtlichen Charakter haben soll. 54 Kobor / Z ugmaier, DStRE 2004, 832. 55 EuGH, Urt. v. 5.12.1996, Rs. C-85/95, Reisdorf, DStRE 1997, 112 (114), Rn. 30 f.; vgl. dazu von Streit / Streit, MwStR 2019, 13 (20). 56 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-518/14, Senatex, DStR 2016, 2211 (2213), Rn. 38 mit Anm. Wäger, DStR 2016, 2214 f.; vgl. EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 (799), Rn. 41 mit Anm. Grube, MwStR 2016, 800 f.; EuGH, Urt. v. 22.10.2015, Rs. C-277/14, PPUH Stehcemp, MwStR 2015, 964 (966), Rn. 29 mit Anm. Grube, MwStR 2015, 969 f.; EuGH, Urt. v. 15.7.2010, Rs. C-368/09, Pannon Gép Centrum, DStR 2010, 1475 (1478), Rn. 39 mit Anm. Wäger, DStR 2010, 1478 f.; Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1075); Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 41. 57 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-518/14, Senatex, DStR 2016, 2211 (2213), Rn. 38; EuGH, Urt. v. 1.3.2012, Rs. C-280/10, Polski Trawertyn, DStRE 2012, 893 (897), Rn. 43; vgl. dazu von Streit / Streit, MwStR 2019, 13 (14 f.). 58 EuGH, Urt. v. 15.11.2017, Rs. C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin, DStR 2017, 2544 (2547), Rn. 40; EuGH, Urt. v. 1.3.2012, Rs. C-280/10, Polski Trawertyn, DStRE 2012, 893 (896 f.), Rn. 41 f.; vgl. Hartman, UR 2018, 392 (393). 59 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 5.12.1996, Rs. C-85/95, Reisdorf, DStRE 1997, 112 (114), Rn. 30 f.; Becker, MwStR 2019, 478 (483 ff.); krit. Stadie, Das Recht des Vorsteuerabzugs, S. 280 f. 53
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sequenz dieser formellen Sichtweise entfaltet die Berichtigung einer USt-IdNr. aus Sicht des EuGH Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung.60 (3) EuGH-Urteil vom 15.9.2016, Barlis 06 Die Entscheidung Barlis 06 61 betraf zunächst die Anforderungen an eine korrekte Leistungsbeschreibung bei juristischen Dienstleistungen. Der EuGH urteilte, dass grundsätzlich die streitige Formulierung „Vom 1. Dezember bis zum heutigen Tag erbrachte juristische Dienstleistungen“ nicht den Anforderungen an eine präzise Leistungsbeschreibung (vgl. Art. 226 Nr. 6, Nr. 7 MwStSystRL, § 14 Abs. 4 Nr. 5, Nr. 6 UStG) genüge, da sich daraus nicht Art und Umfang der erbrachten juristischen Dienstleistungen ableiten lassen würden.62 Der EuGH eröffnet dem Rechnungsempfänger aber, der Finanzbehörde die fehlenden Angaben selbst zur Verfügung zu stellen, indem er deren Vorliegen durch andere Dokumente nachweist.63 Die Finanzbehörde muss andere beigebrachte Dokumente, die Art und Umfang der juristischen Dienstleistungen eingrenzen, berücksichtigen.64 Der EuGH bezeichnet diese als „Annexe“65, die das Recht auf Vorsteuerabzug anderweitig nachweisen. Kann der Rechnungsempfänger durch diese den sogenannten „Objektivbeweis“ hinsichtlich des Vorliegens der materiellen Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug führen, steht ihm dieser auch bei mangelhaften Rechnungsangaben zu.66 Soweit eine effektive Kontrolle folglich auch durch andere Informationen und Dokumente als durch die Rechnung gewährleistet ist, darf der Vorsteuerabzug bei nachgewiesener Erfüllung der materiellen Voraussetzungen nicht versagt werden.67 Die Möglichkeit eines Objektivnachweises besteht bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.68 An der Rechnung selbst nimmt der Rechnungsempfänger dadurch keine Veränderungen vor. Es wird nur das Vorliegen des materiellen Tatbestands anderweitig nachgewiesen,69 was den formellen Charakter einer ordnungsgemäßen Rechnung untermauert.
60 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-518/14, Senatex, DStR 2016, 2211. Siehe dazu näher Seite 87 ff. 61 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 ff. mit Anm. Grube, MwStR 2016, 800 f. 62 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 (798), Rn. 33. 63 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 (800), Rn. 43. 64 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 (800), Rn. 44. 65 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 ff., Rn. 16, 17, 34, 45. 66 Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (September 2018), Rn. 321 f.; Neeser, UVR 2018, 221 (223); Höink / Hudasch, BB 2017, 215 (218). 67 Höink / Hudasch, BB 2017, 215 (218). 68 Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (September 2018), Rn. 322. 69 Vgl. Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 19.
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(4) EuGH-Urteil vom 21.11.2018, Vădan Der EuGH hat „revolutionär“70 in der Entscheidung Vădan bestätigt, dass auch ein Vorsteuerabzug ohne Rechnung möglich sei, wenn der Steuerpflichtige auf andere Beweismittel zugreifen kann.71 Ein rumänischer Bauunternehmer begehrte im zugrundeliegenden Sachverhalt den Vorsteuerabzug aus mehreren Bauvorhaben, wobei er dafür keine einzige Rechnung vorlegen konnte.72 Dies lag daran, dass sich zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs der rumänische Unternehmer als Kleinunternehmer ansah und nach rumänischem Recht nicht vorgeschrieben war, eine Rechnung an natürliche Personen auszustellen.73 Als die Finanzbehörde den rumänischen Unternehmer hingegen als vollumfänglich umsatzsteuerpflichtig einstufte, wollte dieser im Gegenzug den Vorsteuerabzug aus seinen umfangreichen Bauvorhaben geltend machen. Er war der Ansicht, dass sich aus einem Sachverständigengutachten im Wege der Schätzung ermitteln lasse, in welchem Umfang bei den Bauvorhaben die Vorsteuer entstanden war.74 Der EuGH stellte klar, dass ein Vorsteuerabzug nicht pauschal versagt werden darf, weil der Unternehmer keine Rechnung vorweisen kann.75 Das strikte Festhalten an einer Rechnung würde dem Neutralitätsgrundsatz widersprechen.76 Folglich darf der Vorsteuerabzug weder wegen formaler Mängel in der Rechnung noch wegen einer gänzlich fehlenden Rechnung versagt werden, wenn der Unternehmer andere gängige Beweismittel vorlegen kann.77 Im zugrundliegenden Fall des rumänischen Unternehmers wurde der Vorsteuerabzug allerdings im Ergebnis trotzdem nicht zugesprochen, weil auch der EuGH ein Sachverständigengutachten nicht als geeignet ansah, die Voraussetzungen für das Vorliegen des Vorsteuerabzugs nachzuweisen.78 Die Entscheidung stellt aber klar, dass dem rumänischen Unternehmer der Vorsteuerabzug hätte gewährt werden müssen, wenn er ein anderes taugliches Beweismittel als Ersatz für seine gänzlich fehlenden Rechnungen vorgebracht hätte.
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So zu Recht Höink / Hudasch, BB 2019, 542 (543), Nücken, UR 2018, 965 (966). EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 42. 72 Zwar waren ursprünglich Kassenzettel ausgestellt worden. Diese waren allerdings aufgrund verblasster Druckschwärze nicht mehr lesbar, sodass das vorlegende rumänische Gericht und der EuGH von einer Situation ausgingen, in der gar keine Rechnung vorliegt, vgl. EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 46; Maunz, MwStR 2019, 34. 73 Nücken, UR 2018, 965 (966). 74 Vgl. Maunz, MwStR 2019, 34; Nücken, UR 2018, 965 (966). 75 EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 42. 76 EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 42. 77 EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 43 ff. 78 EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 47; vgl. dazu Janzen, in: Lippross / Seibel, § 15 UStG (April 2019), Rn. 178. 71
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bb) Rechtsprechung des BFH Ursprünglich sah der BFH in dem Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung eine rein materiell-rechtliche Voraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug.79 Unter Zugrundelegung der EuGH-Rechtsprechung will der BFH nach heutigem Verständnis „vermittelnd“80 in der Vorlage einer ordnungsgemäßen Rechnung eine materielle Anspruchsvoraussetzung zur Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug sehen.81 Dies entspricht dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG, der die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug an den Besitz einer Rechnung knüpft. Dies wird in der Literatur als eine lediglich terminologische Abweichung82 gesehen, mit der insbesondere betont werden soll, dass ein Vorsteuerabzug nicht ohne eine Rechnung ausgeübt werden könne.83 cc) Stellungnahme Der Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG muss unionsrechtskonform ausgelegt werden.84 Im Folgenden wird untersucht, ob die ordnungsgemäße Rechnung als ein rein formelles Nachweismittel für die Tatbestandsvoraussetzungen des Vorsteuerabzugs einzuordnen ist [dazu (1)]. Selbst wenn eine Rechnung überhaupt nicht vorliegt, könnte ein Vorsteuerabzug nicht von vornherein ausgeschlossen sein [dazu (2)]. (1) Ordnungsgemäße Rechnung als formelles Nachweismittel Das innerhalb des Mehrwertsteuersystems fundamentale Instrument des Vorsteuerabzugs85 darf nicht unter Einschränkungen leiden, die auf einen über 79
BFH, Urt. v. 8.7.2009 – XI R 51/07, BFH / N V 2010, 256 (257); BFH, Beschl. v. 31.7.2007 – V B 156/06, BFH / N V 2008, 416 (417), m. w. N.; so in der Literatur auch (noch) Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 158; Uhl, Die Rechnung im Umsatzsteuerrecht, S. 27; Kurz / Meissner, Umsatzsteuer, S. 359. 80 Heuermann, MwStR 2017, 729 (738). 81 BFH, Urt. v. 23.10.2014 – V R 23/13, DStR 2015, 71 (72 f.), Rn. 15; BFH, Urt. v. 20.10.2016 – V R 26/15, MwStR 2017, 73 (75), Rn. 17; BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, DStR 2015, 2073 (2074), Rn. 23; BFH, Urt. v. 16.1.2014 – V R 28/13, DStR 2014, 743 (745), Rn. 18; zust. Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (432); ders., UR 2019, 561 (566) unter Hinweis auf die verfahrensrechtliche Implementierung der EuGH-Vorgaben. 82 Vgl. Michel, DB 2018, 2957 (2958); Jacobs / Zitzl, UR 2017, 125. 83 So Heuermann, MwStR 2017, 729 (739). 84 Vgl. Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 41. Krit. auch Grube, MwStR 2016, 800; Hartman, UR 2018, 392 (398); Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1594); Spatschek / Stenert, DStR 2016, 1070 (1075); Neeser, UVR 2018, 221 (222); Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 342; Seer, DStJG 32 (2009), S. 497 (505 f.). 85 Siehe dazu die Nachweise in Teil II, Fn. 3.
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triebenen Formalismus zurückzuführen sind.86 Kann der Unternehmer keine ordnungsgemäße Rechnung vorweisen, bedeutet dies nicht zwingend, dass er die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht mehr erfüllen würde.87 Denn allgemein kann die Nichteinhaltung formeller Voraussetzungen die materielle Rechtslage nicht verändern.88 Eine effektive Kontrolle des Vorsteuerabzugs kann auch gewährleistet werden, wenn durch andere Dokumente die materiellen Voraussetzungen nachgewiesen werden.89 Würde man die ordnungsgemäße Rechnung als materielle Tatbestandsvoraussetzung einordnen, wäre es konsequent, diese nicht als ein Beweismittel anzusehen,90 da ein Beweismittel im Besteuerungsverfahren vielmehr formell dem Nachweis des materiellen Tatbestands dient91. Es lässt sich zudem argumentieren, dass sich aus der ordnungsgemäßen Rechnung nicht mehr ergibt, als dass die vom Rechnungsaussteller mitgeteilten Tatsachen und rechtlichen Würdigungen später vom Finanzamt geprüft werden können.92 Unter Zugrundelegung der EuGH-Rechtsprechung, die eine ordnungsgemäße Rechnung als rein formelle Voraussetzung ansieht, erscheint es hingegen überzeugend, das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung selbst als ein Beweismittel dafür anzusehen, dass der Unternehmer an den vorleistenden Geschäftspartner Umsatzsteuer entrichtet hat und die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorliegen.93 Jedenfalls lässt sich von einer Indiz wirkung ausgehen, die im Rahmen der Beweiswürdigung darauf hindeutet, dass der Leistungsempfänger die Gegenleistung inklusive Umsatzsteuer an den Leistenden gezahlt hat.94 Einer ordnungsgemäßen Rechnung kommt damit neben einer Dokumentationsfunktion sowohl eine Beweis- als auch eine Kontrollfunktion zu.95
86
So auch Schinnerl, ÖStZ 2014, 617 (618); vgl. von Streit / Streit, MwStR 2019, 13 (20 f.); Hundt-Eßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 14 UStG (Juli 2019), Rn. 71. 87 Zutreffend Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (Juni 2018), Rn. 375. 88 EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. 146/05, Albert Collée, Slg. I 2007, 7880 (7891) = DStR 2007, 1811 (1813), Rn. 26 ff.; vgl. von Streit, MwStR 2018, 136 (137). 89 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 (799), Rn. 43; EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 47. 90 So etwa Ismer / Baur-Rückert, MwStR 2015, 575 (576); Stadie, Das Recht des Vorsteuerabzugs, S. 279 ff. 91 Vgl. Söhn, in: HHSp, § 88 AO (März 2010), Rn. 102. 92 Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 14 UStG (Januar 2017), Rn. 45 f.; von Streit / Streit, UStB 2017, 57 (63 f.); tendenziell anders dies., MwStR 2019, 13 (20). 93 FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.10.2017 – 6 K 1083/17 (rkr.), DStRE 2019, 38 (41 f.); Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 98; Reiß, MwStR 2016, 972 (985); Höink / Hudasch, BB 2017, 215 (221); dies., BB 2019, 542 (545); Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 19; Seer, in: Tipke / K ruse, § 162 AO (Oktober 2017), Rn. 28; Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 741; Crezelius, Steuerrecht II, § 28, Rn. 3; bereits auch Tipke, UR 1983, 105; Trzaskalik, in: HHSp, § 162 AO (November 1997), Rn. 29. 94 So auch Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (481 f.); von Streit, MwStR 2018, 136 (136 f.). 95 Höink / Hudasch, BB 2017, 215 (218); Schinnerl, ÖStZ 2014, 617 (617 f.).
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(2) Steuerausweis als materielles Kriterium? Die Generalanwältin Juliane Kokott kam in ihrem Schlussantrag zur Rechtsache Biosafe zu dem Ergebnis, dass die Angabe des Mehrwertsteuerausweises gemäß Art. 226 Nr. 10 MwStSystRL gegenüber anderen Rechnungsangaben einen höheren Stellenwert einnimmt, weil „diese Angabe essenziell für den Gleichlauf der Belastung mit der Steuerschuld und des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers“ sei und der Mehrwertsteuerausweis damit – anders als die anderen Rechnungsangaben innerhalb des Art. 226 MwStSystRL – in die Nähe einer materiellen Voraussetzung des Vorsteuerabzugs rücke.96 Im zugrundeliegenden Sachverhalt ging es darum, dass das portugiesische Unternehmen Biosafe seinem Abnehmer Flexipiso unzutreffend den ermäßigten Steuersatz in Höhe von 5 % für die Lieferung von Gummigranulat in Rechnung stellte. Eine vorliegend abgelaufene nationale Ausschlussfrist sah vor, dass Flexipiso nach vier Jahren die in Rechnung gestellte Vorsteuer nicht mehr abziehen konnte, weshalb sich das Unternehmen weigerte, den Differenzbetrag zum eigentlich geschuldeten Regelsteuersatz nachträglich an Biosafe zu entrichten. Auf den Antrag der Generalanwältin ist der EuGH nicht weiter eingegangen und befand vielmehr, dass eine derartige nationale Ausschlussfrist nicht wirksam gegen das Recht auf Ausübung des Vorsteuerabzug eingewandt werden kann.97 Überzeugenderweise existieren auch keine vorrangigen Rechnungsangaben in Form des Steuerausweises gegenüber (angeblich) nachrangigen Rechnungsangaben wie etwa der Steuernummer.98 Eine derartige Differenzierung innerhalb des Art. 226 MwStSystRL führt zu einer nicht begrüßenswerten Rechtsunsicherheit.99 Die Angabe des Mehrwertsteuerausweises ist eine rein formelle Voraussetzung, wie dies bei jeder anderen erforderlichen Rechnungsangabe auch der Fall ist.100 Daher könnte prinzipiell auch die Korrektur des zu niedrigen Steuerausweises auf die ursprüngliche Ausstellung zurückwirken. Würde die portugiesische Vier-Jahres-Frist erst mit der Rechnungsberichtigung zu laufen beginnen, hätten sich keine Probleme gestellt. Ob eine Rechnungsberichtigung in jedem Fall Rückwirkung entfaltet, wird an späterer Stelle101 nochmals aufzugreifen sein. (3) Gänzliche Entbehrlichkeit der Rechnung? Die Einordnung einer ordnungsgemäßen Rechnung als rein formelle Tatbestandsvoraussetzung hat schon früh in der Literatur zu einer Diskussion darüber 96
50.
Kokott, Schlussantr. v. 31.11.2017, Rs. C-8/17, Biosafe, MwStR 2018, 130 (134), Rn. 61,
97 EuGH, Urt. v. 12.4.2018, Rs. C-8/17, Biosafe, DStR 2018, 787 (790), Rn. 43; vgl. EuGH, Urt. v. 21.3.2018, Rs. C-533/16, Volkswagen, DStR 2018, 676 (679), Rn. 50. 98 Diese Frage aufwerfend Langer, DStR 2018, 679 (680). 99 So auch von Streit, MwStR 2018, 136 (138); Hartman, UR 2018, 392 (398). 100 Vgl. Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 23. 101 Siehe Seite 88 f.
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geführt, ob der Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug auch ohne Rechnung geltend machen kann, wenn er dessen Voraussetzungen anderweitig nachweisen kann.102 Argumentiert wurde insbesondere, dass es keinen Unterscheid machen könne, ob eine Rechnung gänzlich fehlt oder ob alle Rechnungsanforderungen nicht eingehalten sind.103 (a) Zunächst: Kritische Betrachtung der Vădan-Entscheidung Indem der EuGH mit der Vădan-Entscheidung dem Unternehmer die Möglichkeit einräumte, neben der Rechnung auch andere Nachweise für das materielle Recht auf Vorsteuerabzug vorzubringen,104 ergeben sich neue Argumentationsmöglichkeiten für Unternehmer, die zunächst keine Rechnung über ihre Umsatzgeschäfte vorweisen können.105 Allerdings weist der Begründungsduktus einige Unstimmigkeiten auf. Auf den ersten Blick mag die Entscheidung vor dem Hintergrund der sekundärrechtlichen Vorgaben in Art. 178 lit. a MwStSystRL kaum zu überzeugen.106 Die Norm knüpft die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug ausdrücklich an den Besitz einer Rechnung. Daraus lässt sich die Annahme ableiten, dass die Diskussion um den formellen Rechtsgehalt der Rechnungsanforderungen den grundsätzlichen Besitz einer Rechnung voraussetzt.107 Das Recht auf Vorsteuerabzug kann nach diesem Verständnis erst ausgeübt werden, wenn der Unternehmer im Besitz einer Rechnung ist.108 Ein Vorsteuerabzug ohne Rechnung ist mit den Vorgaben des Art. 178 lit. a MwStSystRL schwer zu vereinbaren.109 Denn das Rechnungserfordernis ist eine Voraussetzung, die die Mehrwertsteuersystemrichtlinie selbst festlegt, weshalb die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, diese Vorgabe im nationalen Recht umzusetzen und anzuwenden.110 Eine Rech 102
Vgl. von Streit / Streit, UStB 2017, 57 (60 f.); Höink / Hudasch, BB 2017, 215 (221); Oel maier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (Juni 2018), Rn. 342; Huschens, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 749 (797). 103 von Streit / Streit, UStB 2017, 57 (64). 104 EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 42. 105 Nücken, UR 2018, 965 (966); Streit / Z awatson, DB 2019, 936 (937). 106 Vgl. Kessens, MwStR 2019, 308 (312). 107 BFH, Urt. v. 20.10.2016 – V R 26/15, DStR 2016, 2967, Rn. 17; Becker, NWB 2016, 3374 (3381); Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (September 2018), Rn. 315; Madauß, NZWiSt 2017, 221; Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (Juni 2018), Rn. 342, m. w. N. 108 So ausdrücklich EuGH, Urt. v. 29.4.2004, Rs. C-152/02, Terra Baubedarf, Slg. I 2004, 5597 (5610), Rn. 34; vgl. EuGH, Urt. v. 21.3.2018, Rs. C-533/16, Volkswagen, DStR 2018, 676 (678), Rn. 43; EuGH, Urt. v. 12.4.2018, Rs. C-8/17, Biosafe, DStR 2018, 787 (789), Rn. 33; Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (Juni 2018), Rn. 342; Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (432); ders., MwStR 2017, 729 (738); Schumann, DStR 2019, 1191 (1193 f.); Kessens, MwStR 2019, 308 (312 f.). 109 Vgl. Hartman, NWB 2019, 316 (322); dens., UR 2018, 392 (394); Ismer, MwStR 2017, 687 (691); Becker, NWB 2016, 3374 (3381); Birkenfeld, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 197 (212); Nacke, NWB 2017, 3124 (3128). 110 Treiber, UR 2017, 858 (864).
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nung muss in formeller Hinsicht „alle nach der [MwStSystRL] erforderlichen Angaben“ enthalten.111 Aus diesem Grund ist zunächst schwer nachvollziehbar, wie der EuGH die eindeutigen sekundärrechtlichen Bestimmungen des Art. 178 lit. a MwStSystRL anders auslegen möchte.112 Liegt keine Rechnung vor, so kann der Unternehmer allenfalls nachweisen, dass diese etwa nur nachträglich abhandengekommen ist (Hochwasser, Hausbrand etc.), ihre Existenz aber grundsätzlich besteht beziehungsweise bestanden hat.113 (b) Progressives Verständnis vom Erfordernis einer Rechnung Der aufgeworfenen Kritik liegt eine eher traditionelle als eine progressive Sichtweise zugrunde.114 Nach ersterer stellt eine ordnungsgemäße Rechnung nach Art. 178 lit. a MwStSystRL eine reine formelle Voraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug dar. Die progressive Sichtweise geht einen Schritt weiter und hält das Vorliegen einer Rechnung insgesamt für eine formelle Voraussetzung. Grundsätzlich haben die nationalen Gerichte die Auslegung des nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen.115 Nach neuer Interpretation der Richtlinie zeichnet sich der Rechnungsnachweis durch eine Parallelität zu den Nachweispflichten gemäß §§ 17a ff. UStDV bei innergemeinschaftlichen Lieferungen aus.116 Freilich sind die Mitgliedstaaten bei den Art. 131 und 273 MwStSystRL 111 EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 44; Wäger, in: JbFSt. 2014/15, S. 737 (738). 112 Auch die vor der Vădan-Entscheidung veröffentlichte Literatur sprach sich überwiegend dafür aus, den Vorsteuerabzug nicht ohne das grundsätzliche Vorliegen einer Rechnung zu gewähren: Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (Juni 2018), Rn. 342 f.; Treiber, UR 2017, 858 (863 f.); Heuermann, MwStR 2017, 729 (738); ders., DB 2017, 990 (994); Ismer, MwStR 2017, 687 (691); Huschens, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 773 (797); Lippross, Umsatzsteuer, S. 1061; Hartman, UR 2018, 392 (394); Becker, NWB 2016, 3374 (3381); Nücken, SteuK 2016, 542 (543); Nacke, NWB 2017, 3124 (3128); a. A. von Streit / Streit, UStB 2017, 57 (60 f.); anders auch Höink / Hudasch, BB 2017, 215 (221), die einen Objektivbeweis im Ausnahmefall für möglich erachten wollen; krit. zum Begriff des Objektivbeweises Heidner, UR 2015, 773 (776). 113 BFH, Urt. 23.10.2014 – V R 23/13, DStR 2015, 71 (73), Rn. 18 ff.; BFH, Urt. v. 16.4.1997 – XI R 63/93, BFHE 182, 440 (444) = DStR 1997, 1287 (1288). Vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 5.12.1996, Rs. C-85/95, Reisdorf, DStRE 1997, 112 (114), Rn. 30 f. und EuGH, Urt. v. 29.4.2004, Rs. C-152/02, Terra Baubedarf, Slg. I 2004, 5597 (5610), Rn. 34 f. 114 Wäger, UR 2017, 85 (91 f.). 115 EuGH, Urt. v. 19.1.2010, Rs. C-555/07, Kücükdeveci, NJW 2010, 427 (429), Rn. 48; EuGH, Urt. v. 4.7.2006, Rs. C-212/04, Adeneler, Slg. I 2006, 6091 (6134 f.), Rn. 124; vgl. Kokott / Henze, in: FS für W. Spindler, S. 279 (288 f.); Gosch, DStR 2007, 1553 (1555); Paulus, Staatsrecht III, S. 131; Riesenhuber / Domröse, RIW 2005, 47 (51). 116 Vgl. Wäger, UR 2017, 85 (91 f.); Huschens, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 773 (797); von Streit / Streit, MwStR 2019, 13 (19 f.); de Weerth, in: in: StbJb. 2016/17, S. 521 (525); Dürrschmidt, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 33 (64); a. A. Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 14 UStG (Mai 2018), Rn. 34.2. Ausführlich zum Ganzen Seite 119 f.
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in den Anforderungen an die formellen Voraussetzungen wesentlich freier als bei Art. 178 lit. a MwStSystRL.117 Die Vorgaben des Art. 178 lit. a MwStSystRL sehen von sich aus die Rechnung als Nachweismittel vor, während bei innergemeinschaftlichen Lieferungen die Mitgliedstaaten nach Art. 131 MwStSystRL über die genaue Nachweisführung selbstständig Regelungen erlassen können. Selbst wenn zwischen beiden Instituten Unterschiede bestehen, lässt sich aber eine Parallelität bezüglich der Handhabung der formellen Voraussetzungen erkennen.118 Bei der Nachweisführung soll sowohl beim Vorsteuerabzug als auch bei innergemeinschaftlicher Lieferungen das Vorherrschen eines übertriebenen Formalismus verhindert werden, indem alternative Nachweise der materiellen Tatbestandsmerkmale zugelassen werden.119 Steht dabei fest, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen vorliegen, muss sowohl bei der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung als auch beim Vorsteuerabzug das materielle Recht gewährt werden, obwohl die formellen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.120 Nach diesem Verständnis sieht Art. 178 lit. a MwStSystRL die Rechnung als das gängige Nachweismittel für das Recht auf Vorsteuerabzug vor. Dieses ist nicht wie in Art. 131 MwStSystRL den Mitgliedstaaten zur selbstständigen Bestimmung überlassen worden. Die Rechnung nimmt als Nachweismittel im Vorsteuerabzugsrecht eine derart elementare Stellung ein, dass diese nur im Einzelfall durch andere Beweise ersetzbar ist. Art. 178 lit. a MwStSystRL ist so auszulegen, dass der Nachweis über eine ordnungsgemäße Rechnung den absoluten Regelfall der Nachweisführung darstellt, dies aber nicht als eine materiell zwingende Voraussetzung für den Vorsteuerabzug anzusehen ist. Dem Steuerpflichtigen wird dadurch das Recht auf Vorsteuerabzug nicht generell auch ohne Rechnung gewährt,121 sondern nur, wenn das materielle Recht auf Vorsteuerabzug zweifelsfrei durch entsprechende Nachweise des Unternehmers vorliegt. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 UStG muss entsprechend unionsrechtskonform ausgelegt werden.122 Selbst wenn man, wie terminologisch dort angelegt, von einer „materiellen Ausübungsvoraussetzung“ ausgeht, darf eine anderweitige Nachweiseführung nicht ausgeschlossen sein.123 Ohne Widerspruch zu diesem formellen Verständnis ist die Entscheidung Terra Baubedarf 124 dahingehend zu verstehen, dass es für den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs nach dem Neutralitätsgrundsatz auf die entsprechende wirtschaftliche Be 117
Langer / Z ugmaier, DStR 2016, 2249 (2250). Vgl. Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1608). 119 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 (799), Rn. 42; EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-146/05, Albert Collée, Slg. I 2007, 7880 (7892), Rn. 31; so auch Schinnerl, ÖStZ 2014, 617 (618). 120 In diese Richtung argumentiert auch Wäger, UR 2017, 85 (91 f.). 121 So auch Huschens, UVR 2019, 45 (52); Kokott, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 109 (119). 122 So auch Nücken, UR 2018, 965 (966); vgl. dazu Wenzel, NWB 2019, 3141 (3145 f.). 123 So i.Erg wohl auch Heuermann, UR 2019, 561 (566). 124 EuGH, Urt. v. 29.4.2004, Rs. C-152/02, Terra Baubedarf, Slg. I 2004, 5597. 118
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lastung des Unternehmers ankommt, welche durch den regelmäßigen Erhalt einer Rechnung indiziert wird.125 Erhält der Unternehmer keine Rechnung, ist ebenfalls der Zeitpunkt der wirtschaftlichen Belastung maßgebend, sodass im Ergebnis die anderweitigen Nachweise des materiellen Tatbestands an die Stelle einer ordnungsgemäßen Rechnung treten.126 Somit ist nicht der Besitz einer Rechnung, sondern die (nachgewiesene) wirtschaftliche Belastung des Unternehmers mit Vorsteuer für den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs maßgebend. dd) Konsequenzen für den Vertrauensschutz Die Rechnungsanforderungen behalten trotz ihrer rein formellen Voraussetzung als Nachweis für das Recht auf Vorsteuerabzug einen hohen Stellenwert innerhalb des Vorsteuerabzugsrechts.127 Ein Verstoß gegen formelle Rechnungserfordernisse hat eine Versagung des Vorsteuerabzugs zur Folge, wenn aufgrund des formellen Mangels der Nachweis der materiellen Voraussetzungen unwiederbringlich nicht geliefert werden kann oder eine Bösgläubigkeit hinsichtlich eines Missbrauchs oder einer Steuerhinterziehung im Raum steht.128 Die Indizwirkung, dass der leistungsempfangende Unternehmer in Wirklichkeit keine Umsatzsteuer an einen Vorleistenden entrichtet hat, fällt umso größer aus, je gewichtiger die fehlende oder falsche Angabe in der Rechnung ist.129 Für den Vertrauensschutz hat die Einordnung der Rechnung als rein formelle Tatbestandsvoraussetzung für das Recht auf Vorsteuerabzug umfangreiche Konsequenzen. Ob für den Unternehmer ein Vertrauensschutz hinsichtlich der Angaben seines liefernden Geschäftspartners in Betracht kommt, hängt maßgeblich von der Frage ab, ob der Unternehmer zunächst eine Rechnung vorweisen kann beziehungsweise eine anderweitige Nachweisführung vornimmt.
125
von Streit / Streit, MwStR 2019, 13 (23); dies., UStB 2017, 57 (62). Vgl. von Streit / Streit, MwStR 2019, 13 (23); dies., UStB 2017, 57 (62). 127 Moldan, UStB 2019, 41 (44); Höink / Hudasch, BB 2017, 215 (222); von Streit / Streit, MwStR 2019, 13 (22); Becker, MwStR 2019, 478 (485). 128 EuGH, Urt. v. 28.7.2016, Rs. C-332/15, Astone, MwStR 2016, 751 (755), Rn. 46 ff.; vgl. dazu bzgl. innergemeinschaftlicher Lieferungen, EuGH, Urt. v. 20.10.2016, Rs. C-24/15, Josef Plöckl, MwStR 2016, 950 (953 f.), Rn. 43 ff. mit Anm. Robisch, MwStR 2016, 955; EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-146/05, Albert Collée, Slg. I 2007, 7880 (7892), Rn. 31. Siehe dazu Winter, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 853 (862); Zitzl, Rechtsfolgen irrtümlicher Rechtsanwendungsfehler von Mehrwertsteuerpflichtigen, S. 196 f.; Michel, DB 2018, 2957 (2958); Zaumseil, UR 2019, 289 (292), jeweils m. w. N. 129 Vgl. Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (September 2018), Rn. 324. 126
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(1) Anderweitige Nachweisführung gelingt nicht Der Unternehmer muss nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen nachweisen, dass ihm das Recht auf Vorsteuerabzug zusteht. Ist der Unternehmer nicht im Besitz einer Rechnung, muss er das Recht auf Vorsteuerabzug anderweitig nachweisen.130 Gelingt dies nicht, ist der Vorsteuerabzug aus diesem Grund zu versagen, ohne dass dies im Zusammenhang mit einem Vertrauensschutz steht.131 Die Rechnung ist ein tragendes Instrument, mit der nicht nur die für den Vorsteuerabzug notwendigen Informationen dokumentiert werden, sondern auch der Leistungsempfänger gegenüber der zuständigen Finanzbehörde bekannt gegeben wird.132 Auf die Ausstellung einer Rechnung besteht sowohl ein zivilrechtlicher als auch ein öffentlich-rechtlicher Anspruch.133 Sollte sich der Fall ereignen, dass ein Unternehmer anderweitige Beweismittel als eine Rechnung vorlegt (wie etwa Verträge, Bankauszüge oder Lieferbestätigungen134) und sich im Nachhinein herausstellt, dass er beispielsweise an einen Scheinunternehmer geraten ist, kann er keinen Vertrauensschutz mehr genießen. Materielle Voraussetzung für den Vertrauensschutz ist der Nachweisweg über eine ihrer Art nach vorliegende Rechnung. Dogmatisch lässt sich dies mit dem Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Kaufmanns begründen.135 Dieser weist sein Recht auf Vorsteuerabzug über eine Rechnung nach und nicht anderweitig. Letzteres wird ihm zwar nicht vorenthalten, aber er muss im Sinne einer Obliegenheit die sich daraus ergebenden Nachteile in Kauf nehmen. Dazu gehört, dass bei einer anderweitigen Nachweisführung ein anfänglich nicht erkennbares Fehlen materieller Tatbestandsmerkmale zu seinen Lasten ausfällt. (2) Anderweitige Nachweisführung gelingt Nach der Vădan-Entscheidung des EuGH136 steht es dem Unternehmer zwar frei, den Nachweis anders als durch eine Rechnung zu führen. Liegen aber anderweitige Nachweise vor, müssen sie so beschaffen sein, dass das materielle Recht des Vorsteuerabzugs zweifelsfrei feststeht. Ist dies der Fall, wird der Vertrauens-
130 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 43; von Streit / Streit, MwStR 2019, 13 (20 f.) dort Fn. 75; Huschens, UVR 2019, 45 (52). 131 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 17.7.2014, Rs. C-272/13, Equoland, UR 2015, 75, Rn. 46; Kube, UR 2020, 590 (592). 132 Vgl. nur BFH, Urt. v. 1.3.2018 – V R 18/17, BFHE 261, 187 (190) = DStR 2018, 1169 (1170), Rn. 13; so auch Uhl, Die Rechnung im Umsatzsteuerrecht, S. 3. 133 Ausführlich dazu Lippross, Umsatzsteuer, S. 958 ff.; krit. zu den daraus resultierenden unterschiedlichen Gerichtszuständigkeiten Rößler, DStZ 1996, 301. 134 Denkbar wären auch sonstige Bankdaten oder Unterlagen zur Vertragsabwicklung. 135 Näher dazu § 6 dieser Arbeit. 136 EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524.
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schutz hinsichtlich der Angaben des Geschäftspartners nicht mehr nötig sein, da der Unternehmer gerade das objektive Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nachweisen konnte. (3) Rechnung entspricht nicht den Formvorgaben Besitzt der Unternehmer eine Rechnung, die nur nicht den Formvorgaben des § 14 Abs. 4 UStG (Art. 226 MwStSystRL) entspricht, ist zunächst festzuhalten, dass es aufgrund des rein formellen Charakters einer ordnungsgemäßen Rechnung nicht auf die inhaltliche Richtigkeit ankommt.137 Allerdings spielt es bei der Rechtsfrage, ob dem leistungsempfangenden Unternehmer aufgrund der Falschangaben in der Rechnung eine Indizwirkung für das Nichtbestehen des Rechts auf Vorsteuerabzug entgegengehalten werden kann, eine gewichtige Rolle, ob der Unternehmer auf die Richtigkeit der Angaben vertrauen durfte.138 Dies gilt insbesondere dann, wenn darüber hinaus Mängel im materiellen Tatbestand des Vorsteuerabzugs vorliegen (wie bei der Unternehmereigenschaft des Vorleistenden).139 In diesem Punkt zeigt sich im Hinblick auf den Vertrauensschutz die bereits angesprochene Verknüpfung der formellen Rechnungsnachweise mit den materiellen Tatbestandsmerkmalen des Vorsteuerabzugs.140 Hierbei ist richtigerweise zwischen den einzelnen Rechnungsanforderungen in § 14 Abs. 4 UStG (Art. 226 MwStSystRL) zu differenzieren, inwieweit sie vom Unternehmer überprüfbar waren.141 Wichtig ist eine weitere Unterscheidung zwischen der Unerweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei für sich günstige Rechtsfolgen ableitet (materielle Beweislast) und der
137
Vgl. Sterzinger, UR 2017, 609 (613); Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1604). Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (482 f.); ders., SWK 2008, 86 (88); Ruppe / Achatz, UStGKommentar, § 12 öUStG, Rn. 98. 139 Die sog. subjektive Beweislast beschreibt die Last einer Partei, zur Vermeidung eines Prozessverlustes selbstständig einen Beweis über streitige Tatsachen zu führen, vgl. Söhn, in: HHSp, § 88 AO (März 2010), Rn. 345. Grundsätzlich schließt der im Steuerverfahren geltende Untersuchungsgrundsatz (§ 88 AO) eine subjektive Beweislast des Steuerpflichtigen aus, vgl. Söhn, in: HHSp, § 88 AO (März 2010), Rn. 348; Seer, in: Tipke / K ruse, § 88 AO (Januar 2017), Rn. 44; F. Hey, Beweislast und Vermutungen im deutschen internationalen Steuerrecht, S. 20 f. Hierfür existieren allerdings Ausnahmen, die gesetzlich ausdrücklich normiert werden müssen, vgl. Söhn, in: HHSp, § 88 AO (März 2010), Rn. 353. Eine solche Ausnahme stellt der Rechnungsnachweis gemäß §§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i. V. m. 14, 14a UStG dar. Siehe für weitere Beispiele Krumm, in: Tipke / K ruse, § 76 FGO (Februar 2018), Rn. 46. Im Allgemeinen trägt der Steuergläubiger folglich die Beweislast für anspruchsbegründende Tatsachen und der Steuerpflichtige die Feststellungslast für Steuerbefreiungen und -ermäßigungen, vgl. Söhn, in: HHSp, § 88 AO (März 2010), Rn. 363, 368; K. Wagner, in: Kühn / v. Wedelstädt, Abgabenund Finanzgerichtsordnung22, § 88 AO, Rn. 12; Jakob, Abgabenordnung, Rn. 185. 140 Vgl. Seite 57 ff. 141 Vgl. Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (482); Zitzl, Rechtsfolgen irrtümlicher Rechtsanwendungsfehler von Mehrwertsteuerpflichtigen, S. 209 f.; Radeisen, Rechnungen im Umsatzsteuerrecht, S. 223; wohl auch Kokott, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 109 (122). 138
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„(verfahrensrechtlichen) Frage der Beweiswürdigung“142, deren Scheitern im verfahrensmäßigen Ablauf den Rückgriff auf die materielle Beweislast zur Folge hat.143 Daneben scheint das Erfordernis eines Vertrauensschutzes auch an dieser Stelle hinfällig zu sein, wenn die formellen Rechnungsangaben nicht zutreffen, der Unternehmer aber auf anderweitige Nachweise oder auf eine Rechnungsberichtigung seines Rechnungsausstellers zurückgreifen kann. Auf diese Problempunkte ist im Folgenden näher einzugehen. b) Vertrauensschutz bei unrichtigen Rechnungsangaben Innerhalb der Rechnungsanforderungen ist eine Unterscheidung vorzunehmen, welche Angaben der Unternehmer in zumutbarer Weise überprüfen kann und in welchen Fällen dies vor dem Hintergrund einer hoheitlichen Indienstnahme außer Verhältnis stünde.144 Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass dem leistungsempfangenden Unternehmer die wesentlichen Inhalte aus der Rechnung bekannt sind, sodass es für den Rechnungsempfänger auf die Überprüfbarkeit der jeweils betroffenen Rechnungsangabe ankommt.145 aa) Nicht überprüfbare Rechnungsangaben Bestimmte Angaben innerhalb der Rechnung zeichnen sich dadurch aus, dass sie nur hinsichtlich ihrer äußeren Erscheinungsform, aber nicht hinsichtlich ihrer inhaltlichen Richtigkeit für den Rechnungsempfänger überprüfbar sind. (1) Angaben zur Steuernummer oder USt-IdNr. Die Finanzverwaltung gewährt dem steuerpflichtigen Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug auch aus Rechnungen mit einer fehlerhaften Angabe zur Steuernummer oder USt-IdNr. (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 UStG), wenn die weiteren Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorliegen.146 Dies ist im Ergebnis dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geschuldet, da dem steuerpflichtigen Rechnungsempfänger nicht abverlangt werden kann, die Steuernummer oder USt-IdNr. des Rech-
142
BVerwG, Urt. v. 28.1.1965 – VIII C 293.63, BVerwGE 20, 211 (215). Vgl. Söhn, in: HHSp, § 88 AO (März 2010), Rn. 356 ff.; Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, S. 38; F. Hey, Beweislast und Vermutungen im deutschen internationalen Steuerrecht, S. 26, jeweils m. w. N.; siehe dazu im verwaltungsrechtlichen Kontext Brunn, NJOZ 2011, 1873 (1877). 144 Zutreffend Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (482). 145 Radeisen, Rechnungen im Umsatzsteuerrecht, S. 223 ff.; ders., SteuK 2011 51 (54). 146 Abschn. 15.2a Abs. 6 Satz 2 bis 5 UStAE. 143
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nungsausstellers nachzuprüfen.147 In Deutschland kann eine inländische USt-IdNr. weder in einem durch die Finanzverwaltung eingerichteten Portal noch im Rahmen einer Auskunft nach § 18e UStG überprüft werden.148 Zudem muss sich das für den Leistenden zuständige Finanzamt gemäß § 30 AO an das Steuergeheimnis halten.149 Schon aus dem Grund, dass es sich um eine formelle Voraussetzung handelt, darf der Vorsteuerabzug nicht alleine wegen einer unrichtigen Steuernummer oder USt-IdNr. versagt werden. Es wäre aber gleichwohl unverhältnismäßig, die bezüglich Steuernummer oder USt-IdNr. fehlerhafte Rechnung als Indiz gegen den Unternehmer zu verwenden, da dieser keine Möglichkeit besitzt, die Angaben zu überprüfen.150 Allerdings ergibt sich die schon angesprochene Problematik, dass der Rechnungsaussteller möglicherweise ein Scheinunternehmer ist, der als Privatmann eine falsche oder erfundene USt-IdNr. verwendet.151 Eine fehlerhafte nicht überprüfbare Angabe der USt-IdNr. oder Steuernummer korrespondiert mit einem Vertrauensschutz bezüglich der Unternehmereigenschaft des Geschäftspartners.152 Anders ist der Sachverhalt zu beurteilen, wenn sich herausstellt, dass die Angaben zu Steuernummer oder USt-IdNr. offensichtlich falsch sind.153 Wann dies der Fall ist, kann sich nicht an einem einheitlichen Maßstab orientieren, weil immer die Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind. Da zum Beispiel die Ziffernkombination der USt-IdNr. innerhalb der Bundesländer unterschiedlich gehandhabt wird, darf an das Kriterium der Offensichtlichkeit keine zu großen Anforderungen gestellt werden.154 Der Unternehmer ist nur nicht mehr schützenswert, wenn er Zweifel an der Richtigkeit hinsichtlich der ihm vorgelegten Rechnungsangaben hätte haben müssen.155 Dies kann angenommen werden, wenn der inländische Unternehmer eine ausländische USt-IdNr. führt.156 Eine unzutreffende Steuernummer oder USt-IdNr. ist dem Unternehmer dann nicht anzulasten, wenn er nach Maßgabe der Umstände davon ausgehen durfte, dass mit der ihm vorgelegten Angabe der Vorleistende identifiziert werden kann. Dabei kann vom Unternehmer bei einmaligen Transaktionen ein höherer Sorgfaltsmaßstab verlangt werden als bei einer langjährigen Geschäftsbeziehung.157 147
Lippross, Umsatzsteuer, S. 980; Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 747. Radeisen, Rechnungen im Umsatzsteuerrecht, S. 223; Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 889. 149 Vgl. Michel, DB 2017, 2957 (2959). 150 Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (482). 151 Vgl. Englisch, UR 2008, 481 (493); Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (433). 152 Vgl. Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (486 ff.); Kemper, DStR 2014, 1654 (1657 f.). 153 FG Hamburg, Urt. v. 30.9.2015 – 5 K 85/12, BeckRS 2016, 94090, Rn. I.7.b.dd.; Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 889. 154 BFH, Urt. v. 18.2.2016 – V R 62/14, DStR 2016, 960 (962), Rn. 27; strenger BFH, Urt. v. 2.9.2010 – V R 55/09, DStR 2010, 2348 (2349), Rn. 17; krit. zur letzteren Rspr. Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Januar 2017), Rn. 889. 155 Nieskens, UR 2008, 812 (814); Neeser, UVR 2008, 285 (288); Englisch, UR 2009, 181 (185). 156 Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 889. 157 de Weerth, in: StbJb. 2016/17, S. 521 (528). Ausführlich dazu § 6 dieser Arbeit. 148
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(2) Angaben zur Rechnungsnummer Die fortlaufende, einmalig erteilte Rechnungsnummer (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 UStG, Art. 226 Nr. 2 MwStSystRL)158 kann der Unternehmer nicht oder nur unter wirtschaftlich nicht sinnvollem Aufwand nachprüfen.159 Verglichen mit den obigen Ausführungen muss allerdings eine Rechnungsnummer vorliegen, die beim Rechnungsempfänger keine Zweifel an der Richtigkeit aufkommen lassen darf.160 Ist dies der Fall, kann keine Indizwirkung gegen den Unternehmer entstehen. Für die Einmaligkeit der Rechnung ist nicht notwendig, dass eine lückenlose zahlenmäßige Abfolge vorliegt.161 Auch sogenannte Nummernkreise, bei denen die fortlaufende Nummerierung etwa an zeitlich oder geographisch abgrenzbare Bauprojekte geknüpft wird, sind zulässig.162 Dies darf aber nicht dazu führen, dass die Rechnungsnummern des Rechnungsausstellers keinem durchschaubaren System mehr zugeordnet werden können und dadurch die Prüfung der Einmaligkeit der Rechnung erheblich erschwert wird.163 Unsystematische Rechnungsnummern können daher eine Indizwirkung gegen den rechnungserhaltenden Unternehmer entfalten, die ohne Widerlegung durch weitere Nachweise zur Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug führt. Dies liegt daran, dass Undurchschaubarkeiten meist in Zusammenhang mit der Verschleierung eines Umsatzsteuerhinterziehungstatbestands stehen.164 Der Rechnungsempfänger muss aber weiterhin vortragen können, dass er keinen Anlass hatte, Nachforschungen anzustellen. Ansonsten würde diesem die komplette Überprüfungspflicht hinsichtlich der systematischen Ausgestaltung der Rechnungsnummern seines Vertragspartners auferlegt. Ergibt sich die Undurchschaubarkeit der Rechnungsnummern etwa nur aus einem Vergleich mit Rechnungen anderer Geschäftspartner, ist dies in der Form eines Vertrauensschutzes zu berücksichtigen, sofern eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen von einer Steuerhinterziehung nicht im Raum steht. Gleiches gilt, wenn der rechnungsempfangende Unternehmer nichts von einer mehrfachen Verwendung der Rechnungsnummer durch seinen Rechnungsaussteller ahnen konnte.165 Eine nicht erkennbar fehlerhafte Rechnungsnummer lässt einen Vertrauensschutz bezüglich 158
Ausgenommen sind Kleinbetragsrechnungen (§ 33 UStDV) und Fahrausweise (§ 34 UStDV). Radeisen, Rechnungen im Umsatzsteuerrecht, S. 224; Abschn. 15.2a Abs. 6 Satz 4 UStAE. 160 Radeisen, Rechnungen im Umsatzsteuerrecht, S. 224. 161 Scharpenberg, in: Hartmann / Metzenmacher, § 14 UStG (September 2014), Rn. 271; Hundt-Eßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 14 UStG (Juli 2019), Rn. 90. 162 FG Hamburg, Urt. v. 25.11.2014 – 3 K 85/14, BeckRS 2015, 94288, Rn. B. I.1.c.aa; Scharpenberg, in: Hartmann / Metzenmacher, § 14 UStG (September 2014), Rn. 272; Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 458. 163 Vgl. FG Hamburg, Urt. v. 25.11.2014 – 3 K 85/14, BeckRS 2015, 94288, Rn. B. I. 1. c. aa. aaa.; Scharpenberg, in: Hartmann / Metzenmacher, § 14 UStG (September 2014), Rn. 272; Michel, DB 2018, 2018, 2957 (2960). 164 Vgl. z. B. den zu beurteilenden Fall des FG Hamburg, Urt. v. 25.11.2014 – 3 K 85/14, BeckRS 2015, 94288, Rn. B. I. 2. 165 Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 466; vgl. Abschn. 15.2a Abs. 6 Satz 2 bis 6 UStAE. 159
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eines darüber hinaus gehenden Mangels im materiellen Tatbestand – wie etwa der Unternehmereigenschaft des Rechnungsausstellers – unberührt. (3) Angaben zu Name und Anschrift Die Angaben zur Adresse des Rechnungsausstellers sind ebenfalls nicht immer einer Überprüfung durch den Rechnungsempfänger zugänglich.166 Ursprünglich ging der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Merkmal „vollständige Anschrift“ (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG) nur die zutreffende Anschrift des leistenden Unternehmers erfasse und mithin die Anschrift in der Rechnung anzugeben sei, unter welcher der Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet.167 Mit der Entscheidung Geissel und Butin ist der EuGH dem entgegengetreten und hat für eine ordnungsgemäße Rechnung einen Briefkastensitz des Rechnungsausstellers anstelle des tatsächlichen Geschäftsbetriebs für ausreichend erklärt.168 Der BFH hat daraufhin seine ursprüngliche Rechtsprechung mit der Einschränkung, dass der Rechnungsaussteller unter der Briefkastenadresse postalisch erreichbar ist,169 aufgegeben.170 Dem Unternehmer könne es nicht abverlangt werden, sich über die Richtigkeit sämtlicher Rechnungsangaben zu vergewissern.171 Bei der Angabe eines Briefkastensitzes stellt sich die Frage des Vertrauensschutzes allerdings nicht, da die Rechnung auch mit dieser Angabe den Anforderungen genügt.172 Gleichwohl können Name und Anschrift des Rechnungsausstellers im Einzelfall für den Rechnungsempfänger ein schutzwürdiges Vertrauen bilden.173 Ohne die vollständige Angabe von Name und Anschrift des leistenden Unternehmers ist der Finanzbehörde eine effektive Kontrolle nicht möglich. Es darf aber an die tatsächlichen Verhältnisse in der Anschrift des Rechnungsausstellers (wie etwa die Postleitzahl) unter Beachtung der Gesamtumstände keine zu großen Anforderungen gestellt werden.174 Denn grundsätzlich hat der Steuerpflichtige keine Pflicht zur Aufklärung der wirtschaftlichen und steuerlichen Verhältnisse seiner Geschäfts 166
Vgl. Schumann, DStR 2017, 2719 (2720 f.). Zuletzt noch BFH, Urt. 22.7.2015 – V R 23/14, DStR 2015, 2073 (2075), Rn. 25; BFH, Urt. v. 8.7.2009 – XI R 51/07, BFH / N V 2010, 256 (257); BFH, Urt. v. 8.10.2008 – V R 63/07, BFH / N V 2009, 1473 (1475); BFH, Urt. v. 6.12.2007 – V R 61/05, DStR 2008, 821 (823); vgl. auch FG Köln, Urt. v. 6.12.2006 – 4 K 1354/02, DStRE 2006, 491 (493). 168 EuGH, Urt. v. 15.11.2017, Rs. C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin, DStR 2017, 2544 (2547 f.), Rn. 46 mit Anm. Streit, DStR 2017, 2548 (2548 f.). 169 Vgl. FG Sachsen, Urt. v. 24.1.2019 – 4 K 20/19, MwStR 2019, 558; Werth, DB 2018, 2720. 170 BFH, Urt. v. 21.6.2018 – V R 28/16, DStR 2018, 1659 (1661), Rn. 28 ff. 171 Vgl. BFH, Urt. v. 21.6.2018 – V R 28/16, DStR 2018, 1659 (1661), Rn. 28; Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 891. 172 So auch Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (März 2018), Rn. 352. 173 Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (486 f.); Neeser, UVR 2008, 285 (287 f.); Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 890. 174 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.11.2017, Rs. C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin, DStR 2017, 2544 (2547), Rn. 35. 167
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partner,175 außer die Umstände geben dazu Anlass.176 Es ist dem Unternehmer unter keinen Umständen zuzumuten, nachzuforschen, ob der Rechnungsaussteller tatsächlich unter seiner in der Rechnung angegebenen Briefkastenadresse im Zeitpunkt der Rechnungsausstellung (noch) postalisch erreichbar ist.177 Die Richtigkeit der Adressangaben kann aufgrund ihrer fehlenden Überprüfbarkeit – wie bei der USt-IdNr., Steuer- oder Rechnungsnummer – nicht in der Risikosphäre des Leistungsempfängers liegen.178 Durch falsche Angaben zum Namen oder zur Anschrift entfaltet sich keine gegen den Leistungsempfänger gerichtete Indizwirkung, wenn dieser die kaufmännische Sorgfalt hat walten lassen und keine Zweifel hätte haben müssen.179 Wenn der Rechnungsausteller zusätzlich ein Scheinunternehmer gewesen ist, bleibt in diesem Fall ein Vertrauensschutz bezüglich des materiellen Tatbestands unberührt. (4) Angaben zum Ausstellungsdatum Das Ausstellungsdatum ist dasjenige Datum, das festlegt, an welchem Tag der leistende Unternehmer die Rechnung hergestellt hat.180 Da es sich um einen rein internen Prozess handelt, kann der leistungsempfangende Unternehmer diese Angabe nicht eindeutig überprüfen.181 Gleichwohl versagt die Finanzverwaltung bei einer Fehlerhaftigkeit dem Unternehmer den Vorsteuerabzug.182 Eine Rechnung ohne Ausstellungsdatum kann berechtigterweise eine Indizwirkung gegen den leistungsempfangenden Unternehmer entfalten, da sich in diesem Fall der Mangel zweifelsfrei erkennen lässt. Anders verhält es sich, wenn die Angabe des Ausstellungsdatums in der Rechnung enthalten, aber falsch ist. Hätte dies dem Unternehmer Anlass zum Zweifel geben müssen, weil das Ausstellungsdatum offensichtlich falsch ist, kann dieser Umstand zur Folge haben, dass der Nachweis der Voraus 175
EuGH, Urt. v. 18.7.2013, Rs. C-78/12, Evita-K, DStRE 2014, 167 (171), Rn. 42; EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1342), Rn. 61; EuGH, Urt. v. 18.5.2017, Rs. C-624/15, Litdana, DStRE 2017, 1389 (1394), Rn. 41. 176 Insoweit zutreffend FG Berlin-Bandenburg, Beschl. v. 27.8.2014 – 7 V 7147/14 (rkr.), DStRE 2015, 867 (868 f.), das bei zusätzlichem Fehlen jeglicher üblicher Kontaktdaten wie Telefonnummer, Telefaxnummer, Email-Adresse oder Bankverbindung einen Anlass für weitere Nachforschungen gesehen hat. Dies gilt insbesondere bei Bargeschäften, vgl. BFH, Beschl. v. 20.1.2015 – XI B 112/14, BFH / N V 2015, 537, Rn. 21; Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (März 2018), Rn. 74. 177 Vgl. dazu FG Bremen, Urt. v. 6.6.2018 – 2 K 19/17 (5), BeckRS 2018, 14716, Rn. 64 ff.; Michel, DB 2018, 2957 (2959). 178 A. A. noch FG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 29.11.2000 – 1 K 40/99, EFG 2001, 395; Sterzinger, UR 2012, 600 (601). 179 Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (482); ders., SWK 2008, 86 (88). 180 Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 445. 181 Vgl. Sterzinger, UR 2012, 600 (601); Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (482). 182 Abschn. 15.2a Abs. 6 Satz 8 und 10 UStAE. A. A. Sterzinger, UR 2012, 600 (601) mit Verweis auf die Unüberprüfbarkeit. Vgl. Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 448.
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setzungen des Vorsteuerabzugs nicht geführt werden kann. War der Mangel nicht erkennbar, darf wegen des schutzwürdigen Vertrauens in die Angaben des Rechnungsaustellers keine für den Empfänger nachteilige Indizwirkung angenommen werden.183 Aufgrund ihrer Eigenschaft als formelle Voraussetzung steht es dem Unternehmer aber jedenfalls offen, das objektive Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs anderweitig nachzuweisen.184 bb) Überprüfbare Rechnungsangaben Die übrigen Rechnungsangaben in § 14 Abs. 4 S. 1 UStG lassen sich demgegenüber vom Rechnungsaussteller einfacher kontrollieren oder sie sind ihm im Vorhinein bekannt.185 Dementsprechend sind auch die Auswirkungen auf den Vertrauensschutz anders zu beurteilen. (1) Angaben zum Leistungsdatum Das Leistungsdatum gibt den Tag der tatsächlich ausgeführten Lieferung oder sonstigen Leistung an. Bei einem fehlerhaften Leistungsdatum ist die Kontrolle durch die Finanzbehörden erheblich beeinträchtigt. Allerdings kann sich aus dem Ausstellungsdatum (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 UStG) der Rechnung auch der Kalendermonat als Leistungszeitpunkt (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 UStG) ergeben, wenn anzunehmen ist, dass die Leistung in dem Monat bewirkt wurde, in dem die Rechnung ausgestellt wurde.186 Eine Rechnung ohne jeglichen Lieferungszeitpunkt richtet die Indizien gegen den leistungsempfangenden Unternehmer.187 Dabei sind zwar immer die Gesamtumstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.188 Aufgrund der allgemeinen Überprüfbarkeit des Leistungsdatums kommt aber für den Leistungsempfänger kein Vertrauensschutz bezüglich dieser Rechnungsangabe189 oder zusätzlicher Mängel im materiellen Tatbestand in Betracht.
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So i.Erg. auch Sterzinger, UR 2012, 600 (601). Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 449. 185 Radeisen, Rechnungen im Umsatzsteuerrecht, S. 223. 186 BFH, Urt. v. 1.3.2018 – V R 18/17, DStR 2018, 1169 (1171), Rn. 26. 187 Vgl. BFH, Urt. v. 17.12.2008 – XI R 62/07, DStR 2009, 479 (480), mit der Maßgabe, dass das Lieferdatum heute als rein formelle Voraussetzung des Vorsteuerabzugs anzusehen ist. 188 Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (486); ders., SWK 2008, 86 (88); de Weerth, in: StbJb. 2016/17, S. 521 (527 f.). Siehe ferner Grube, MwStR 2013, 275 (276). 189 So auch die zutreffende Argumentation der Finanzverwaltung im zu beurteilenden Fall des FG Hamburg, Urt.v. 9.11.2007 – 7 K 240/06, BeckRS 2007, 26024521. Inhaltlich ging das FG Hamburg im Urteil nicht mehr auf das klägerische Vorbringen zum Vertrauensschutz ein, was einer nachfolgenden Beschwerde standhielt, vgl. BFH, Beschl. v. 17.4.2008 – XI B 248/07, BeckRS 2008, 25013343, Rn. 3. 184
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
(2) Angaben zur Leistungs- oder Empfängerbeschreibung Für die zutreffende Beschreibung des Leistungsempfängers in der Rechnung (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG) muss der Rechnungsempfänger als Leistungsempfänger zur Vermeidung von Verwechslungen selbst darauf achten, dass sein Unternehmen in der richtigen Rechtsform beschrieben ist.190 Ob seine Geschäftsdaten vom Rechnungsaussteller richtig beschrieben wurden, kann der Rechnungsempfänger überprüfen. Dem Rechnungsempfänger steht hier bei Mängeln nur der Weg über die Rechnungsberichtigung durch seinen Rechnungsaussteller und kein Vertrauensschutz zu.191 Eine korrekte Leistungsbeschreibung (§ 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 5 UStG) vom Rechnungsaussteller einzufordern, ist grundsätzlich ebenfalls mit dem Verhältnis mäßigkeitsgrundsatz und dem Neutralitätsgrundsatz vereinbar, da der leistungsempfangende Unternehmer selbst weiß, welche Leistung er angefordert hat.192 Bei der Frage, ob die Leistung ausreichend beschrieben und nicht zu allgemein formuliert wurde,193 geht es nicht darum, dass der Unternehmer auf die ihm vorgelegte Beschreibung seines Geschäftspartners vertrauen kann, sondern dass er sich im Rahmen seiner eigenen Unternehmensführung den Anforderungen einer Leistungsbeschreibung bewusst ist und diese im eigenen Interesse prüft. Vertrauensschutz kommt daher nicht in Betracht, da der Leistungsempfänger bei sorgfältiger Geschäftsführung den Eingang einer ordnungsgemäß beschriebenen Leistung erkennen kann.194 Eine anderweitige Nachweisführung zur Eingrenzung des Umfangs der Leistung bleibt aber möglich. (3) Angaben zum (Netto-)Entgelt In der Rechnung ist gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 UStG das umsatzsteuerliche (Netto-) Entgelt anzugeben. Es genügt nicht, den Bruttobetrag und den Steuersatz anzuführen.195 Aufgrund der für den Rechnungsempfänger möglichen Überprüfbarkeit der Angabe stellt sich die Frage des Vertrauensschutzes nicht.
190 Vgl. BFH, Beschl. v. 8.10.2009 – V B 45/09, BFH / N V 2010, 261; Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 896. 191 Sterzinger, UR 2012, 600 (601). Ausführlich zur Rechnungskorrektur Seite 84 ff. 192 Hundt-Eßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 15 UStG (Oktober 2018), Rn. 247; vgl. auch Widmann, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 14 UStG (September 2018), Rn. 100. 193 Dazu Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 475 ff., m. w. N. 194 Vgl. FG Hamburg, Beschl. v. 29.7.2016 – 2 V 34/16 (rkr.), DStRE 2017, 990 (992); FG Saarland, Urt. v. 16.6.2010 – 1 K 1176/07 (rkr.), DStRE 2011, 947 (949). 195 BFH, Urt. v. 27.7.2000 – V R 55/99, BB 2000, 2559 (2560 f.); Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2107), Rn. 555; Michel, DB 2018, 2957 (2962).
§ 4 Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen
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(4) Angaben zum Steuerausweis Der Rechnungsaussteller hat gemäß § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 8 UStG den anzuwendenden Steuersatz in der Rechnung festzulegen. In Deutschland beträgt der Regelsteuersatz 19 % (§ 12 Abs. 1 UStG) und der ermäßigte Steuersatz 7 % (§ 12 Abs. 2 UStG).196 Leider hat sich die Umsatzsteuer immer mehr von einem gängigen System verabschiedet, wann ein ermäßigter Steuersatz in Höhe von 7 % vorliegen soll und wann es beim Regelsteuersatz in Höhe von 19 % bleibt.197 Geltende Regelungen wie ein ermäßigter Steuersatz in Höhe von 7 % auf Hundefutter (§ 12 Abs. 2 Nr.1 UStG i. V. m. Anlage 2, Nr. 37) sind im Verhältnis zu einem Regelsteuersatz in Höhe von 19 % auf den überwiegenden Teil der Säuglingsnahrungsprodukte nicht mehr nachzuvollziehen.198 Die EU-Kommission plant flexible Mehrwertsteuersätze, die zur Vereinheitlichung des Systems beitragen sollen.199 Es kann der Fall eintreten, dass es zu einem unrichtigen Steuerausweis kommt, weil der Rechnungsaussteller den zugrundeliegenden Sachverhalt irrtümlich eingeschätzt hat und der Rechnungsempfänger auf die Richtigkeit seiner Einschätzung vertraut hat.200 Dem Leistungsempfänger wird der Vorsteuerabzug in der Höhe des unrichtigen Steuerausweises versagt werden.201 Das Gleiche gilt in der gesamten Höhe für einen unberechtigt gestellten Steuerausweis. Zwar handelt es sich prinzipiell bei dem Steuerausweis um eine überprüfbare Rechnungsangabe. In der Literatur wird aber aufgrund der undurchsichtigen Ausgestaltung des geltenden Systems über die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes gefordert, einen Vertrauensschutz nicht pauschal zu versagen.202 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Rechnungsempfänger auch eine Rechnungsberichtigung vornehmen lassen kann, vgl. §§ 14 Abs. 1 S. 2, 14 Abs. 2 S. 3 und 14 Abs. 6 Nr. 5 UStG i. V. m. § 31 Abs. 5 UStDV). Aus diesem Grund ist im Folgenden genauer auf das Verhältnis der Rechnungsberichtigung durch den Rechnungsausteller und einer daneben immer möglichen Rechnungsergänzung durch den Rechnungsempfänger zum Vertrauensschutz einzugehen.
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Zu den Durchschnittssätzen für land- und forstwirtschaftliche Umsätze siehe § 24 UStG. Nieskens, UR 2018, 832 (833). 198 Siehe für weitere Beispielsfälle Ismer / Kaul / Reiß, DStR 2010, 1970 (1972 ff.) sowie den Bericht des BRH v. 28.6.2010 über den ermäßigten Umsatzsteuersatz, S. 13 ff. Der Gesetzgeber hat daraufhin nur punktuelle Änderungen vorgenommen, die zur Behebung der Defizite und Schwachstellen der Ermäßigungstatbestände kaum beigetragen haben, vgl. Engels, Chancen zur Sicherung des Umsatzsteueraufkommens, S. 16 f. Bis heute stehen die verworrenen Ermäßigungstatbestände in der Kritik, vgl. statt vieler Nieskens, UR 2018, 832 (833). 199 Vorschlag der Kommission v. 18.1.2018 für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Mehrwertsteuersätze, KOM (2018), 20 endg., S. 3 ff. 200 Vgl. Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 167. 201 Vgl. Uhl, Die Rechnung im Umsatzsteuerrecht, S. 68. 202 So Stadie, UStG-Kommentar, § 15 UStG, Rn. 248; a. A. Sterzinger, UR 2012, 600 (601). 197
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c) Verhältnis der Rechnungskorrektur203 zum Vertrauensschutz Das Vorsteuervergütungsverfahren zeichnet sich durch die Pflicht zur Einhaltung besonderer Förmlichkeiten wie die Antragsfrist von neun Monaten in § 61 Abs. 2 S. 1 UStDV aus.204 Da es sich dabei um eine Ausschlussfrist handelt, ist eine Nachholung etwaiger Versäumnisse, auch wenn sie durch den Geschäftspartner verschuldet waren, grundsätzlich an die Voraussetzungen einer Widereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 110 AO gebunden.205 Dem eine mangelhafte Rechnung empfangenden Unternehmer eröffnet sich allerdings die Möglichkeit, eine Rechnungsberichtigung vornehmen zu lassen, um die formellen Anforderungen doch noch einzuhalten.206 Die Frist nach § 61 Abs. 2 S. 1 UStDV ist nach § 110 AO zu verlängern, sofern der Steuerpflichtige die Berichtigung in diesem Zeitraum ohne sein Verschulden nicht einhalten konnte.207 Neben einer Berufung auf Vertrauensschutz hat der Rechnungsempfänger damit bei mangelhaften Rechnungsangaben die Möglichkeit, diese durch den Rechnungsaussteller berichtigen zu lassen oder mit anderen Nachweisen selbst zu ergänzen.208 Dadurch könnten eine (rückwirkende) Rechnungsberichtigung oder die Beibringung anderer Nachweise die Notwendigkeit eines Vertrauensschutzes verdrängen,209 weshalb das Verhältnis dieser Instrumente zu klären ist. aa) Rechnungsberichtigung Eine Rechnungsberichtigung setzt voraus, dass tatbestandlich eine berichtigungsfähige (fehlerhafte210) Rechnung vorliegt und die Berichtigung durch eine zur Berichtigung berechtigten Person erfolgt.211 Es können sich abhängig von dem jeweiligen Mangel unterschiedliche Berichtigungstatbestände ergeben. (1) Berichtigung nach § 14c Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 17 UStG Kommt es zu einem unrichtigen Steuerausweis, weil der Rechnungsaussteller für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als den 203 Hier verstanden als Oberbegriff für Rechnungsberichtigung und -ergänzung; vgl. dazu Scharpenberg, in: Hartmann / Metzenmacher, § 14 UStG (September 2014), Rn. 368 f. 204 Matthes, EFG 2018, 1843. 205 Matthes, EFG 2018, 1843. 206 Vgl. Heuermann, UR 2019, 561 (565); Matthes, EFG 2018, 1843. 207 Heuermann, UR 2019, 561 (565). 208 Vgl. Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 465 f. 209 Friedrich-Vache, UR 2015, 889 (893); vgl. Winter, DB 2009, 1843 (1845). 210 Eine nicht fehlerhafte Rechnung ist nicht berichtigungsfähig, vgl. BFH, Urt. v. 19.6.2013 – XI R 41/10, DStR 2013, 2329 (2332), Rn. 37. 211 Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (Juni 2018), Rn. 385.
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nach dem Gesetz geschuldeten Betrag ausweist, schuldet der Rechnungsaussteller nach § 14c Abs. 1 S. 1 UStG auch den zu Unrecht ausgewiesenen Mehrbetrag gegenüber dem Staat. Der Grund dafür liegt in der Gefahr, dass der Rechnungsempfänger einen Vorsteuerabzug mit der erhaltenen Rechnung geltend macht und zum Nachteil des Steueraufkommens einen anderen (höheren) Betrag abzieht als „die gesetzlich geschuldete Steuer“ (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG).212 Diese Rechtsfolge kann der Rechnungsaussteller durch eine Rechnungsberichtigung gemäß § 14c Abs. 1 S. 2 UStG nachträglich verhindern. Zur Berichtigung nach § 14c Abs. 1 S. 2 UStG bei einem unrichtigen Steuerausweis ist grundsätzlich213 nur der Rechnungsaussteller und nicht der Rechnungsempfänger berechtigt.214 Dies liegt daran, dass nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG der Vorsteuerabzug nur auf Grundlage der „gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer“ zulässig ist und gerade ein Abzug einer aufgrund § 14c Abs. 1 S. 1 UStG geschuldeten Steuer nicht möglich ist, weshalb der Leistungsempfänger auch nicht zu einer Vorsteuerberichtigung berechtigt sein kann.215 Bestätigt wird dies durch den klaren Wortlaut in § 14c Abs. 1 S. 2 UStG, der von einer Berichtigung „gegenüber dem Leistungsempfänger“ spricht. Da in diesem Fall unstreitig der Rechnungsempfänger keine Berichtigung vornehmen kann, wird bei fehlender Kooperation des Rechnungsausstellers eine Rechnungsberichtigung scheitern, sodass der Leistungsempfänger mit dem zu viel gezahlten Vorsteuerbetrag belastet bleibt. Im Übrigen setzt die wirksame Rechnungsberichtigung nach § 14c Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 17 Abs. 1 UStG voraus, dass der Unternehmer die vereinnahmte Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat, da er ansonsten (doppelt) ungerechtfertigt bereichert wäre.216 (2) Berichtigung nach § 14c Abs. 2 S. 3, S. 5 i. V. m. § 17 UStG Gleichfalls schuldet derjenige den Steuerbetrag gegenüber dem Staat, den er in der Rechnung ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), § 14c Abs. 2 UStG. Der Grund dafür liegt wie beim unrichtigen Steuerausweis gemäß § 14c Abs. 1 S. 1 UStG in der Sicherung des Umsatzsteueraufkommens.217 Die Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung besteht nach dem Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer auch 212
Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 680. Leistet eine Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG), ist diese berechtigt, vgl. Abschn. 14c.1 Abs. 6 UStAE. Bei einer Ausstellung durch einen Dritten (§ 14 Abs. 2 S. 4 UStG) kann der leistende Unternehmer berichtigen, vgl. Abschn. 14.11 Abs. 2 Satz 2 UStAE. 214 Ganz h. M.: EuGH, Urt. v. 13.12.1989, Rs. C342/87, Genius Holding, UR 1991, 83 (84), Rn. 18; BFH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 43/14, DStR 2017, 258 (260), Rn. 26; Hundt-Eßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 14c UStG (August 2019), Rn. 17; Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14c UStG (März 2019), Rn. 115a; Weymüller, in: Weymüller2, § 14c UStG, Rn. 165; Meissner / Neeser, Umsatzsteuer, S. 194; vgl. Abschn. 14.11 Abs. 2 UStAE. 215 Hundt-Eßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 14c UStG (August 2019), Rn. 19. 216 BFH, Urt. v. 16.5.2018 – XI R 28/16, DStR 2018, 1663 (1666), Rn. 49 ff. 217 Vgl. BFH, Urt. v. 17.2.2011 – V R 39/09, DStR 2011, 969 (971), Rn. 15, 23, m. w. N. 213
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bei einem unberechtigten Steuerausweis gemäß § 14c Abs. 2 S. 3 UStG, unabhängig vom guten Glauben des Ausstellers, sofern der Aussteller die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat.218 § 14 Abs. 3 UStG a. F. hatte eine Berichtigung nicht vorgesehen, sodass für den Rechnungsaussteller nur noch ein Billigkeitsverfahren gemäß §§ 163, 227 AO übrigblieb.219 Innerhalb der Neuregelung sind die Voraussetzungen für eine Berichtigung bei einem unberechtigten Steuerausweis (§ 14c Abs. 2 UStG) strenger als bei einem unrichtigen Steuerausweis (§ 14c Abs. 1 UStG).220 Anders als bei § 14c Abs. 1 S. 2 UStG kann der Rechnungsaussteller im Fall des § 14c Abs. 2 S. 3 UStG die Rechnung nur berichtigen, wenn er nachweist, dass eine Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist.221 Dies ist nach § 14c Abs. 2 S. 4 UStG der Fall, wenn verhindert wird, dass der Rechnungsempfänger einen unberechtigten Vorsteuerabzug geltend macht oder der entsprechende Betrag der Finanzbehörde zurückbezahlt wurde. Aus der passivischen Formulierung in § 14c Abs. 2 S. 3 UStG, ohne den Wortlaut „gegenüber dem Leistungsempfänger“ zu verwenden, könnte sich die Annahme folgern lassen, dass auch der Rechnungsempfänger zur Rechnungsberichtigung berechtigt sein soll.222 Allerdings ist ein Abzug der aufgrund von § 14c Abs. 2 UStG geschuldeten Steuer im Rahmen des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG ebenfalls nicht möglich.223 Die nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldete Steuer ist allein von demjenigen zu begleichen, der sie unberechtigt ausweist. Daher steht das Recht zur Berichtigung auch nur demjenigen zu, den es angeht. Die Tatsache, dass der Leistungsempfänger einen Steuerbetrag an den unberechtigten Aussteller gezahlt hat, legitimiert ihn nicht zur Rechnungsberichtigung. Dies wird alleine unter den verschärften Voraussetzungen innerhalb der Beseitigung einer Gefährdung des Steueraufkommens nach § 14c Abs. 2 S. 3, S. 4 UStG berücksichtigt. Im Übrigen ist die passivische Formulierung in § 14c Abs. 2 UStG nach hier vertretenem Verständnis dem Umstand geschuldet, dass sich der Tatbestand des unberechtigten Steuerausweises auch daraus ergeben kann, dass entsprechend den Legaldefinitionen in § 3 Abs. 1 und Abs. 9 UStG keine Leistung im umsatzsteuer lichen Sinne vorliegt, sodass eine Formulierung „gegenüber dem Leistungsempfänger“ in § 14c Abs. 3 S. 3, S. 5 UStG unschlüssig wäre, vgl. § 14c Abs. 2 S. 2 UStG. Berechtigt zur Rechnungsberichtigung ist damit auch bei § 14c Abs. 2 S. 3, S. 5 UStG nur der leistende Unternehmer, der die Rechnung ausgestellt hat.224 218 EuGH, Urt.v. 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink und Cofreth, DStRE 2000, 1166 (1169), Rn. 58; vgl. dazu Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14c UStG (März 2019), Rn. 351, Weymüller, in: Weymüller2, § 14c UStG, Rn. 266 f. 219 Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 774. 220 Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 681. 221 Vgl. Tehler, UVR 2012, 238 (239, 241); Weymüller, in: Weymüller2, § 14c UStG, Rn. 267. 222 So Bosche, UR 2015, 693 (700). 223 Statt aller Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 845. 224 So auch Weymüller, in: Weymüller2, § 14c UStG, Rn. 268; Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14c UStG (März 2109), Rn. 357; Korn, in: Bunjes18, § 14c UStG, Rn. 47; Widmann, UR 2017, 18 (22); a. A. Bosche, UR 2015, 693 (700).
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(3) Berichtigung nach § 31 Abs. 5 UStDV Bei allen übrigen Rechnungsangaben ist eine Berichtigung nach § 14 Abs. 6 Nr. 5 UStG i. V. m. § 31 Abs. 5 UStDV möglich.225 Im Verhältnis zur Korrektur nach § 31 Abs. 5 UStDV sind die §§ 14c Abs. 1 S. 2, 14c Abs. 2 S. 3, S. 5 UStG Spezialregelungen.226 Teilweise wird in der Literatur vorgebracht, dass der Wortlaut des § 31 Abs. 5 UStDV nicht voraussetze, dass der Rechnungsaussteller der Berichtigungsberechtigte ist, weshalb bei nachträglichem Ausfall des Ausstellers (zum Beispiel durch Insolvenz) eine Lösung in einem Berichtigungsrecht des Leistungsempfänger in Betracht komme.227 Wäre dies der Fall, stellt sich unmittelbar die Frage, wie sich dies daneben auf eine mögliche Gewährung von Vertrauensschutz auswirkt. Ist der Empfänger einer fehlerhaften Rechnung gegebenenfalls selbst zur Berichtigung angehalten, ehe er einen Vertrauensschutz hinsichtlich der fehlerhaften Angaben gewährt bekommen kann? Diese Frage ist aber schon im Ansatz verfehlt, denn auch § 31 Abs. 5 UStDV berechtigt nur den Rechnungsaussteller zu Rechnungsberichtigung.228 Dass auch bei der Generalregelung des § 31 Abs. 5 UStDV der Leistungs- beziehungsweise Rechnungsempfänger nicht zur Berichtigung berechtigt sein kann, verdeutlicht insbesondere die Barlis 06-Entscheidung des EuGH, nach der es dem Empfänger einer mangelhaften Rechnung nur möglich ist, einzelne fehlerhafte Rechnungsteile durch anderweitige Nachweise zu ergänzen,229 aber eben gerade nicht, selbstständig eine Berichtigung vorzunehmen. (4) Rückwirkung der Rechnungsberichtigung Der BFH und nunmehr auch die Finanzverwaltung230 haben die schon angesprochene Senatex-Rechtsprechung des EuGH231 übernommen.232 Grundsätzlich ist damit eine rückwirkende Rechnungsberichtigung möglich, wenn der rechnungsempfangende Unternehmer zunächst eine falsche Rechnung ausgestellt bekommt. Dadurch entsteht neben der Berufung auf Vertrauensschutz für den Unternehmer die Möglichkeit, sich, sofern der Rechnungsaussteller mitwirkt, so zu stellen, wie 225
Vgl. Hundt-Eßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 14 UStG (Juli 2019), Rn. 147 f.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 979 ff. 226 Englisch, UR 2011, 488 (494); Bosche, UR 2015, 693 (694); 227 So Becker, MwStR, 2016, 447 (448); anders aber dies., NWB 2016, 3374 (3383) mit Verweis auf den Aspekt der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB. 228 Zutreffend Sterzinger, SteuK 2012, 433; Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 803; Korn, in: Bunjes18, § 14 UStG, Rn. 108. 229 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 ff. 230 BMF-Schreiben v. 18.9.2020 – III C 2 – S 7286-a/19/10001: 001 – DOK 2020/0920350, DStR 2020, 2131. 231 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-518/14, Senatex, DStR 2016, 2211 ff. 232 BFH, Urt. v. 20.10.2016 – V R 26/15, DStR 2016, 2967 (2968), Rn. 14; BFH, Urt. v. 20.10.2016 – V R 54/14, MwStR 2017, 422 (423), Rn. 13 f.; BFH, Urt. v. 20.10.2016 – V R 64/14, MwStR 2017, 425 (426), Rn. 11 f., vgl. Streit, DStR 2018, 790.
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wenn von Anfang an eine ordnungsgemäße Rechnung ausgestellt worden wäre. Allerdings gewährt der BFH eine rückwirkende Korrektur nur, sofern alle aus seiner Sicht dafür notwendigen konstitutiven Rechnungsmerkmale vorliegen [dazu (a)]. Uneinigkeit besteht bei der Frage, ob auch bei der Berichtigung des Steuerausweises eine Rückwirkung angenommen werden kann [dazu (b)]. Schließlich wirkt sich die Rückwirkung der Rechnungsberichtigung signifikant auf die Verzinsungspflicht nach § 233a AO aus [dazu (c)]. (a) Konstitutive Rechnungsmerkmale Nach der BFH-Rechtsprechung ist eine rückwirkende Rechnungskorrektur nur möglich, wenn Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zum Steuerausweis vorliegen.233 Nur wenn ein solcher „Rechnungstorso“234 mit diesen fünf Merkmalen vorhanden ist, könne die Rechnung mit Rückwirkung (ex tunc) durch den Austeller gemäß § 31 Abs. 5 UStDV berichtigt werden. Ansonsten handele es sich schon gar nicht um eine berichtigungsfähige Rechnung, sondern allenfalls eine spätere Erstrechnung.235 Es stellt sich dabei die Frage, warum ausgerechnet diese fünf Rechnungsmerkmale für die rückwirkende Rechnungskorrektur konstitutiv sein sollen.236 Dies ist darauf zurückzuführen, dass eine Rechnung nicht mit Rückwirkung berichtigt werden können soll, wenn der Aussteller ein beliebiges Papier mit der Überschrift „Rechnung“ versieht und damit elementare Rechnungsbestandteile nicht enthalten sind.237 Vor dem Hintergrund des § 233a AO238, welcher auch für das Finanzamt gilt, wird der Rechtsprechung hier gefolgt. (b) Keine rückwirkende Korrektur des Steuerausweises? Ob Berichtigungen nach §§ 14c Abs. 1 S. 2, 14c Abs. 2 S. 3, S. 5 UStG Rück wirkung entfalten, wird nicht einheitlich beurteilt.239 Die rein formelle Einordnung 233
BFH, Urt. v. 20.7.2012 – V B 82/11, DStR 2012, 1702 (1705), Rn. 33; BFH, Urt. v. 17.2.2011 – V R 39/09, DStRE 2011, 969 (972); vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 12.10.2017 – 6 K 1083/ 17 (rkr.), DStRE 2019, 38 (40); Leipold, in: Sölch / R ingleb (September 2018), Rn. 804; Michel, DB 2018, 2957 (2962); dens., jM 2017, 165 (166). 234 Michel, DB 2018, 2957 (2962). 235 Michel, DB 2018, 2957 (2962); vgl. Slapio, Wpg 2017, 540 (543); Kemper, MwStR 2017, 424 (424 f.). 236 Leipold, in: Sölch / R ingleb (September 2018), Rn. 805; Huschens, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 773 (794 ff.). 237 Wäger, DStR 2016, 2214 (2215); vgl. Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 343. 238 Dazu sogleich auf Seite 90 ff. 239 Unklar EuGH, Urt. v. 21.3.2018, Rs. C-533/16, Volkswagen, DStR 2018, 676 mit krit. Anm. Langer, DStR 2018, 679 (680); EuGH, Urt. v. 12.4.2018, Rs. C-8/17, Biosafe, DStR 2018, 787 mit Anm. Streit, DStR 2018, 790 (790 f.).
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der Rechnungsanforderungen hat eigentlich zur Konsequenz, dass auch bei der Berichtigung des Steuerausweises eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Erstausstellung möglich sein muss.240, 241 Im Hinblick auf die Rechtssache Biosafe, in der dem Leistungsempfänger Flexipiso das Recht auf Vorsteuerabzug wegen einer portugiesischen Ausschlussfrist von vier Jahren ab dem Ausstellungsdatum versagt werden sollte,242 ist die dogmatische Herleitung der Unwirksamkeit einer solchen Ausschlussfrist entscheidend. Sieht man den Steuerausweis als materielle Voraussetzung an, würde die Frist schon gar nicht ab der Ausstellung zu laufen beginnen, sondern als neue zeitliche Zäsur erst ab der Berichtigung.243 Richtigerweise stellt der Steuerausweis allerdings keine materielle Voraussetzung dar,244 sodass sich der Grund für die Unwirksamkeit der nationalen Ausschlussfrist dogmatisch aus einer Rückwirkung der Berichtigung des Steuerausweises auf den Zeitpunkt der Ausstellung ergeben müsste. Die dadurch tatbestandlich einschlägige Ausschlussfrist stellt dann eine unverhältnismäßige Behinderung für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug dar.245 Eine allgemeine Rückwirkung einer Korrektur des Steuerausweises unterläuft allerdings den Telos der § 14c Abs. 1 und Abs. 2 UStG, eine Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens zu verhindern.246 Die Gefährdungslage soll gerade ab dem Zeitpunkt der Rechnungsausstellung (präventiv) erfasst werden. Dadurch lässt sich die Annahme rechtfertigen, dass die EuGH-Rechtsprechung zur Rückwirkung der Rechnungskorrektur nicht eine nach § 14c UStG geschuldete Steuer erfassen kann.247 Auch der Verweis innerhalb des § 14c Abs. 1 und Abs. 2 UStG auf den § 17 UStG wird in der Literatur und Rechtsprechung als Argument gegen eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung vorgebracht.248 Dieser Interessenkonflikt kann aufgelöst werden. Der Rechtssache Biosafe lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der Rechnungsaussteller Biosafe einen zu niedrigen Steuerausweis angegeben hatte.249 In der vergleichbaren Rechtssache Volkswagen hatte der Rechnungsaussteller gar keine Umsatzsteuer abgeführt, weil er 240
Neeser, UVR 2016, 337 (343). Unklar EuGH, Urt. v. 12.4.2018, Rs. C-8/17, Biosafe, DStR 2018, 787 (790), Rn. 43, der formuliert: „Erst nach [der] Berichtigung lagen die materiellen und formellen Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug vor […].“ (Hervorhebung nur hier). 242 Siehe zum Sachverhalt Seite 69. 243 So Kokott, Schlussantr. v. 31.11.2017, Rs. C-8/17, Biosafe, MwStR 2018, 130 (136), Rn. 71. 244 Siehe die Argumente auf Seite 69. 245 Vgl. dazu i.Erg. EuGH, Urt. v. 12.4.2018, Rs. C-8/17, Biosafe, DStR 2018, 787 (790), Rn. 43. 246 BFH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 43/14, DStR 2017, 258 (261), Rn. 35 f.; BFH, Urt. v. 14.2.2019 – V R 68/17, MwStR 2019, 872 (873), Rn. 15; FG Münster, Urt. v. 14.2.2017 – 15 K 2862/14 AO, EFG 2017, 620 (622), Rn. 47. 247 Vgl. Madauß, NZWiSt 2017, 221 (223). 248 FG Münster, Urt. v. 14.2.2017 – 15 K 2862/14 AO, EFG 2017, 620 (622), Rn. 46 mit zust. Anm. Dittmer, EFG 2017, 623 (624); Becker, BC 2017, 254 (256). Aus strafrechtlicher Sicht entfällt somit auch nicht rückwirkend der Verkürzungserfolg einer begangenen Steuerhinterziehung, vgl. Gehm, NZWiSt 2019, 180 (181). 249 EuGH, Urt. v. 12.4.2018, Rs. C-8/17, Biosafe, DStR 2018, 787 (788), Rn. 20 ff. 241
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die Vorgänge als umsatzsteuerfrei erachtete.250 Nach deutschem Recht würde es sich dabei weder um einen Fall des § 14c Abs. 1 UStG noch um einen Fall des § 14c Abs. 2 UStG handeln. Die von § 14c UStG erfasste Gefährdung des Steueraufkommens tritt nur bei einem zu hohen oder unberechtigten Steuerausweis ein, indem der Leistungsempfänger den nicht geschuldeten Betrag als Vorsteuer abzieht. Ist der Steuerbetrag hingegen zu niedrig oder gar nicht ausgewiesen und der Rechnungsaussteller (wie in den Fällen Biosafe und Volkswagen) bereit, nachträglich die nicht entrichtete, aber geschuldete Umsatzsteuer an den Fiskus zu entrichten, besteht kein Interessenkonflikt mehr, sodass sich in diesen Fällen eine rückwirkende Korrektur vornehmen lässt. Bei einem zu hohen oder unberechtigten Steuerausweis nach § 14c Abs. 1 und Abs. 2 UStG ist allerdings von einer rückwirkenden Rechnungskorrektur aufgrund des Telos der präventiven Sicherung des Steueraufkommens abzusehen.251 (c) Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO Die neue Rechtsprechung kommt dem leistungsempfangenden Unternehmer wegen der Verzinsungspflicht gemäß § 233a Abs. 1 AO entgegen.252 Hatte der Unternehmer früher einen Vorsteuerabzug aus einer Rechnung vorgenommen, die nicht den Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 UStG entspricht, wurde der Vorsteuerabzug zu Unrecht gewährt und musste vom Unternehmer mit 6 % pro Jahr gemäß § 233a AO253 verzinst werden.254 Da der Sachverhalt oftmals erst nach etlichen Jahren aufgedeckt werden konnte, kam es für Unternehmer zu signifikanten Zinsbelastungen.255 Eine Versagung des Vorsteuerabzug durch die Finanzbehörde, um wegen Rechnungsmängeln einen Unterschiedsbetrag im Sinne des § 233a Abs. 3 AO im Prüfungszeitraum zu erhalten, ist mit der neunen Rechtsprechung nicht mehr möglich.256 Die Rechnungsberichtigung wirkt, sofern sie die dargestellten Vorgaben der Rechtsprechung erfüllt, auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zurück.257 250
EuGH, Urt. v. 21.3.2018, Rs. C-533/16, Volkswagen, DStR 2018, 676 (676 f.), Rn. 25 ff.; vgl. FG Niedersachsen, Urt. v. 17.9.2020 – 11 K 323/19 (rkr.), MwStR 2021, 43. 251 Tendenziell noch weitergehend Neeser, UVR 2016, 337 (343). 252 Vgl. BFH, Urt. v. 20.10.2016 – V R 26/15, DStR 2016, 2967 (2969), Rn. 26; Heuermann, DStR 2016, 2969; Reiß, MwStR 2016, 972 (979 ff.); Friedrich-Vache, UR 2015, 889 (890); Zugmaier / Streit, MwStR 2015, 67 (68); Langer / Z ugmaier, DStR 2016, 2249 (2253); Streit, DStR 2018, 790. 253 Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG, Beschl. v. 3.9.2009 – 1 BvR 2539/07, NVwZ 2010, 902 (903 ff.), Rn. 12 ff. Die anhaltende Kritik an der Zinshöhe im Vergleich zu marktüblichen Zinsen hat nun beim IX. Senat Gehör gefunden: BFH, Beschl. v. 25.4.2018 – IX B 21/18, DStR 2018, 1020 ff.; dazu Rüsken, DStZ 2018, 476 (476 ff.), m. w. N. 254 Zugmaier / Streit, MwStR 2015, 67 (68). 255 Vgl. Englisch, UR 2011, 488 (490); dens., UR 2011, 648 (650). 256 Wäger, DStR 2010, 1478 (1479); Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (Juni 2018), Rn. 396; Michel, jM 2017, 165 (167). 257 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-518/14, Senatex, DStR 2016, 2211.
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Nachzahlungszinsen gemäß § 233a Abs. 1 AO fallen dadurch für den Steuerpflichtigen nicht mehr an.258 Allerdings entsteht eine nicht wünschenswerte Gestaltungsmöglichkeit: Ein liquider Unternehmer könnte sein Recht auf Vorsteuerabzug zunächst aufgrund fehlerhafter Rechnungsangaben (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG, Art. 178a lit. a MwStSystRL) von sich aus nicht „ausüben“.259 Anschließend lässt er sich nach erfolgter Rechnungsberichtigung durch den Rechnungsaussteller mit seinem Antrag auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung bezüglich des Jahres, in dem die Rechnung erstmalig erteilt wurde, Zeit oder wartet etwa eine bevorstehende Betriebsprüfung ab.260 Nach Änderung der ursprünglich unzutreffenden Steuerfestsetzung entstehen nun umgekehrt gemäß § 233a AO für das Finanzamt Erstattungszinsen, die für den Steuerpflichtigen in einer Niedrigzinsphase durchaus attraktiv sein können.261 Dieser Fall zeigt, dass sich § 233a AO mit der Umsatzsteuer nicht vereinen lässt. Die eigentlich vorgesehene Parität bei den „zu Gunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen“262 erhobenen Nachzahlungszinsen ist je nach Sachverhalt durch „strukturelle[…] Vorteil[e]“263 einer Partei gestört. Oftmals muss mit einer teleologischen Reduktion des § 233a AO gearbeitet werden.264 Dem Gesetzgeber ist zu empfehlen, diesen Zustand zu beheben.265 Problematisch ist auch, ob es sich bei der Berichtigung um ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO i. V. m. § 233a Abs. 2a und 7 AO handeln kann. Denn unter einem „Ereignis“ ist grundsätzlich jeder rechtlich bedeutsame Vorgang zu verstehen.266 Der Gesetzgeber hat dies mittlerweile in § 14 Abs. 4 S. 4 UStG n. F. durch das Jahressteuergesetz 2020 (BGBl. I 2020, 3096) ausgeschlossen. Dies liegt daran, dass man durch das rein formelle Verständnis von einer ordnungsgemäßen Rechnung davon ausgehen kann, dass schon gar kein „rückwirkendes Ereignis“ im Sinne des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO vorliegt, da die Entstehung des Anspruch nicht an die Einhaltung formeller Aspekte geknüpft ist, sodass durch die berichtigungsfähige Rechnung schon gar keine Anpassung einer endgültigen Regelung an einen neuen Sachverhalt vorliegt.267 Ein anderes Ergebnis würde im Übrigen dem widersprechen, was der EuGH mit seiner Rechtsprechung zur rückwirkenden 258
Vgl. BFH, Urt. v. 20.10.2016 – V R 26/15, DStR 2016, 2967 (2969), Rn. 26. Reiß, MwStR 2016, 972 (980 f.). 260 Reiß, MwStR 2016, 972 (980 f.). 261 Reiß, MwStR 2016, 972 (980 f.). 262 BVerfG, Beschl. v. 3.9.2009 – 1 BvR 2539/07, NVwZ 2010, 902 (904), Rn. 29. 263 So die treffende Bezeichnung von Maunz, MwStR 2019, 418. 264 Vgl. nur Englisch, UR 2011, 648 (655 f.), m. w. N. 265 Krit. auch Widmann, UR 2017, 18 (21 f.); Heinrichshofen, UVR 2018, 61 (63), dort Fn. 10. 266 BFH, Urt. v. 19.7.1993 – GrS 2/92, DStR 1993, 1735 (1737); Zugmaier / Streit, MwStR 2015, 67 (68), Loose, in: Tipke / K ruse, § 175 AO (Januar 2017), Rn. 25; von Wedelstädt, in: Gosch / Hoyer, § 175 AO (August 2016), Rn. 45. 267 Reiß, MwStR 2016, 972 (982 f.); Heuermann, DStR 2016, 2969; anders ders., UR 2019, 561 (565 f.), der dort von einer veränderten Sachverhaltskonstellation ausgeht; anders auch von Groll, in: HHSp, § 175 AO (September 2014), Rn. 267, der mit Verweis auf Seer, in: Tipke / Lang, § 1, Rn. 29, 64 betont, dass das Steuerschuldrecht wesentlich von der „Durchsetzungs 259
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Rechnungskorrektur erreichen wollte.268 Spätestens müssten die § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO i. V. m. § 233a Abs. 2a i. V. m. Abs. 7 AO ohne den neuen § 14 Abs. 4 S. 4 UStG daher nach einer unionsrechtskonformen Reduktion unangewendet bleiben.269 Die Ermöglichung einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung in Fällen des § 31 Abs. 5 UStDV mag insgesamt zu einem nachlässigeren Umgang der Unternehmer mit der Einhaltung der Rechnungsangaben führen, spiegelt aber das Verständnis des EuGH wieder, den Neutralitätsgrundsatz und das damit verbundene Recht auf Vorsteuerabzug über die Einhaltung von Formvorschriften und ihre Kontrollfunktion zu stellen.270 Denn diese kann wie bei jeder anderen Beweisführung (vgl. § 81 Abs. 1 S. 1 FGO) bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorgenommen werden.271 bb) Rechnungsergänzung Da die Rechnungsberichtigung bei allen Berichtigungstatbeständen vom Rechnungsaussteller vorgenommen werden muss, verbleiben dem Empfänger einer mangelhaften Rechnung Schwierigkeiten, wenn der Rechnungsaussteller etwa durch Insolvenz oder Tod nicht mehr erreichbar ist oder nicht dazu bereit ist, eine Rechnungsberichtigung vorzunehmen.272 Es wäre für den Rechnungsempfänger daher von Vorteil, wenn dieser auch nachträglich selbst das Vorliegen der materiellen Vorrausetzungen des Vorsteuerabzugs anderweitig nachweisen kann, ohne an die mangelhafte Rechnung gebunden zu sein. Der EuGH hat dem rechnungsempfangenden Unternehmer in der Entscheidung Barlis 06 diese Möglichkeit ausdrücklich zugesichert.273 Die Beibringung anderweitiger Nachweise wird als Rechnungsergänzung bezeichnet.274 (1) Anderweitige Beweisführung durch Zeugen? Der Zeugenbeweis ist zwar ein nach § 81 Abs. 1 S. 2 FGO zulässiges Beweismittel, jedoch darf es nicht zu der Situation kommen, dass sämtliche steuerpflichtige Unternehmer nach ihrem Gutdünken ausgewählte Beweismittel bei der Fimöglichkeit“ der Ansprüche geprägt sei, weshalb dies in dem Begriff „Ereignis“ mit zu berücksichtigen sein könnte. 268 So auch Hundt-Eßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 15 UStG (Oktober 2018), Rn. 263. Siehe zur Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auch BMF-Schreiben v. 18.9.2020 – III C 2 – S 7286-a/19/10001 :001, DStR 2020, 2131. 269 Dies ebenso befürwortend Jacobs / Zitzl, UR 2017, 125 (126). 270 Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 314. 271 BFH, Urt. v. 20.10.2016 – V R 26/15, DStR 2016, 2967 (2969), Rn. 24; Grube, MwStR 2016, 800; Neeser, UVR 2018, 221 (222). 272 Vgl. Prätzler, jurisPR-SteuerR 8/2018, Anm. 5, Teil C. 273 EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Balis 06, MwStR 2016, 796. 274 Michel, jM 2017, 165 (167); ders., DB 2018, 2957 (2962).
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nanzbehörde oder dem Finanzgericht präsentieren, deren Kontrolle mit einem in der Gesamtheit nicht zu bewältigenden Aufwand verbunden ist.275 Doch ist es vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör) nicht zu rechtfertigen, den Zeugenbeweis pauschal zu versagen. Die widerstreitenden Interessen müssen vielmehr in Einklang gebracht werden. Auf der einen Seite steht das Interesse an einer möglichst effektiven Verwaltung und auf der anderen Seite der Neutralitätsgrundsatz, nach welchem der Unternehmer vor einer Belastung mit Umsatzsteuer bewahrt werden soll. Bringt der Unternehmer im Einzelfall einen nachvollziehbaren Sachverhalt vor, darf es unter Berücksichtigung der dargestellten EuGH-Rechtsprechung nicht zu einem pauschalen Ausschluss des Zeugenbeweises kommen.276 Dies würde dem Neutralitätsgrundsatz nicht gerecht werden. Nur wenn der Vortrag von Anfang an nicht substantiiert erscheint, darf das Finanzgericht den Beweisantrag verwerfen.277 Der BFH hat beispielsweise einen Zeugenbeweis zugelassen, der dem Nachweis diente, dass zu einem früheren Zeitpunkt überhaupt eine Rechnung vorlag.278 Dies zeigt auch, dass für den Unternehmer die Rechnung das maßgebende Beweismittel bleibt, um die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nachzuweisen.279 (2) Ergänzung von Kernbestandteilen der Rechnung Problematisch ist, ob eine Rechnungsergänzung auch hinsichtlich der vom BFH geforderten fünf konstitutiven Rechnungsmerkmalen erfolgen kann. Die Rechnungsergänzung könnte dadurch weiterreichen als die Rechnungsberichtigung, indem auch die Kernbestandteile der Rechnung anderweitig nachgewiesen werden können.280 Nach zutreffender Auffassung ist eine Rechnungsergänzung auch möglich, wenn die vom BFH aufgestellten fünf konstitutiven Mindestangaben nachgeholt werden sollen. Dieses Verständnis entspricht dem hohen Stellenwert des Vorsteuerabzugs und des Neutralitätsgrundsatzes innerhalb des Mehrwertsteuersystems.281 Für die Rechnungsergänzung ist gerade charakteristisch, dass anderweitige Beweismittel losgelöst von der mangelhaften Rechnung vorgebracht 275
Vgl. Heuermann, MwStR 2015, 798 (800); dens., DStR 2015, 1919 (1919 f.). Zutreffend Widmann, UR 2017, 18 (23). 277 Woring, in: FS für M. Streck, S. 461 (463 f.); Schallmoser, in: HHSp, § 82 FGO (März 2013), Rn. 78; Herbert, in: Gräber, § 82 FGO, Rn. 17; vgl. Seifert, StuB 2019, 370 (371). 278 BFH, Urt. v. 23.10.2014 – V R 23/13, DStR 2015, 71 (73), Rn. 21; vgl. Becker, NWB 2016, 3374 (3384); Birkenfeld, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 197 (215). 279 Vgl. Höink / Hudasch, BB 2017, 215 (223); Moldan, UStB 2019, 41 (44); Neeser, UVR 2015, 331 (338); Huschens, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 773 (798). 280 Offenlassend Michel, DB 2018, 2957 (2963). 281 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 (799), Rn. 37 ff.; EuGH, Urt. v. 13.2.2014, Rs. C-18/13, Maks Pen, MwStR 2014, 197 (198 f.), Rn. 23 ff. mit Anm. Grube, MwStR 2014, 201 (201 f.); EuGH, Urt. v. 6.12.2012, Rs. C-285/11, Bonik EOOD, MwStR 2013, 37 (39), Rn. 25 ff. mit Anm. Grube, MwStR 2013, 41; Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 322. 276
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werden können. Es geht primär darum, dass das Recht auf Vorsteuerabzug zweifelsfrei feststeht. Ist dies aufgrund einer vorgenommenen Rechnungsergänzung der Fall, wäre es mit dem Neutralitätsgrundsatz nicht zu vereinbaren, wenn der Vorsteuerabzug aufgrund ursprünglich fehlerhafter Kernbestandteile in der Rechnung versagt werden soll.282 Der Neutralitätsgrundsatz reicht sogar so weit, dass eine Rechnung gänzlich entbehrlich sein kann,283 weshalb dies erst recht gelten muss, wenn „nur“ Kernbestandteile nicht eingehalten wurden (argumentum a fortiori). cc) Verhältnis zum Vertrauensschutz Wie das rechtliche Verhältnis zwischen einer Rechnungsberichtigung oder -ergänzung gegenüber dem Vertrauensschutz bei fehlerhaften Rechnungsangaben ausfällt, ist kaum untersucht worden. Vereinzelt findet man in der Literatur Anhaltspunkte dafür, dass der Empfänger einer mangelhaften Rechnung sich zuvor um eine erfolgreiche Rechnungskorrektur bemühen müsse, bevor er sich auf einen Vertrauensschutz bezüglich der fehlerhaften oder unzureichenden Angaben berufen kann.284 Eine Klage auf Rechnungsberichtigung wäre jedenfalls mit einem oftmals langwierigen Zivilprozess verbunden.285 Daneben wird in der Literatur sowohl vertreten, dass ein Vertrauensschutz gegenüber der Rechnungsberichtigung „ausscheiden dürfte“286 als auch, dass dieser vorrangig sei287. Nach hier vertretener Auffassung ist zum einen danach zu differenzieren, wem der Vertrauensschutz gewährt werden soll (Leistendem oder Leistungsempfänger) und zum anderen danach, ob im vorliegenden Fall eine überprüfbare oder eine nicht überprüfbare Angabe fehlerhaft ist. (1) Vertrauensschutz des Leistenden beim Steuerausweis Ein Vertrauensschutz des Leistenden selbst ist nur beim unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweis denkbar, da nur in diesem Fall der Leistende die Steuer aus seiner fehlerhaften Rechnung nach § 14c Abs. 1, Abs. 2 UStG schuldet.
282 So i. Erg. auch FG Düsseldorf, Beschl. v. 16.3.2018 – 1 K 338/16 (rkr.), MwStR 2018, 1031 (1034 f.) mit zust. Anm. Oldiges, MwStR 2018, 1035 (1035 f.); a. A. Neeser, UVR 2018, 221 (223), der in diesem Fall eine Rechnungsergänzung ausschließen will und diese nur hinsichtlich der nicht konstitutiven Angaben für zulässig erachtet. 283 EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 42. 284 So relativ knapp Englisch, UR 2011, 488 (494); ähnlich Schinnerl, ÖStZ 2014, 617 (622). 285 Vgl. Widmann, UR 2017, 18 (22). 286 Ismer, MwStR 2016, 795 (796); ähnlich Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (September 2018), Rn. 324. 287 Kokott, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 109 (122).
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(a) Unrichtiger Steuerausweis nach § 14c Abs. 1 UStG Bei einem unrichtigen Steuerausweis (§ 14c Abs. 1 UStG) kann der Rechnungsaussteller die Rechnung gegenüber dem Rechnungsempfänger jederzeit berichtigen, § 14c Abs. 1 S. 2 UStG. Schon aus diesem Grund werden Aspekte des Vertrauensschutzes auf Seiten des Leistenden nicht mehr benötigt. Zu beachten ist, dass hier grundsätzlich keine falschen Angaben vorliegen, die aus der Sphäre des Leistungsempfängers stammen, sondern dem leistenden Rechnungssausteller eine eigenständige Steuerschuld auferlegt wird, wenn er in seiner Rechnung einen zu hohen Betrag ausweist. Nichts Anderes ergibt sich selbst dann, wenn der leistende Unternehmer in der Rechnung die Steuer falsch ausweist, weil der Leistungsempfänger ihm gegenüber falsche Angaben gemacht hat. Der Unternehmer, der versehentlich einen zu hohen Steuersatz ausweist, ist über die Rechnungsberichtigung gemäß § 14c Abs. 1 S. 2 UStG ausreichend geschützt.288 Zu Recht betont der BFH, dass es keinen Vertrauensschutz bezüglich einer fehlerhaften Würdigung des geltenden Rechts gibt.289 (b) Unberechtigter Steuerausweis nach § 14c Abs. 2 UStG Eine andere Situation könnte sich ergeben, wenn der „leistende Unternehmer“290 nach einem unberechtigten Steuerausweis gemäß § 14c Abs. 2 UStG die Gefährdung des Steueraufkommens nicht mehr verhindern kann. Bei einem unberechtigten Steuerausweis muss der Aussteller der Rechnung zur Berichtigung nachträglich die Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens nachweisen (§ 14c Abs. 2 S. 3 UStG). Ein Vertrauensschutz beim Aussteller könnte in Betracht kommen, wenn dieser bei einem unberechtigten Steuerausweis nachträglich nicht mehr die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigen kann, aber hinsichtlich seiner Berechtigung zum Ausweis der Steuer gutgläubig war.291 Da die Rechnungsberichtigung endgültig scheitert, wird dem Rechnungsaussteller das gesamte Risiko des Steuerschadens auferlegt.292
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Vgl. Widmann, in: FS für J. Lang, S. 913 (916); a. A. Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 160 ff., der einen Vertrauensschutz des Leistenden bejaht; anders auch Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 14c UStG (Mai 2018), Rn. 226, der entgegen dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 S. 7 UStG für eine rückwirkende Korrektur gemäß § 163 Abs. 1 S. 1 AO plädiert. 289 BFH, Urt. v. 14.2.2019 – V R 47/16, BFHE 264, 76 (82) = DStR 2019, 1086 (1089), Rn. 31; so auch bzgl. des Leistungsempfängers Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1603). 290 Die Unternehmereigenschaft wird gerade im Fall eines unberechtigten Steuerausweises (§ 14c Abs. 2 UStG) im Regelfall nicht vorliegen. 291 So offenbar Hundt-Eßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 14c UStG (August 2019), Rn. 60. 292 Vgl. Breucha / Robisch, UVR 2002, 272 (274) mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink und Cofreth, DStRE 2000, 1166 (1169), Rn. 61.
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Doch auch hier ist dem Rechnungsaussteller kein Vertrauensschutz zu gewähren. Der EuGH hat in der Rechtssache Schmeink & Cofreth293 entschieden, dass sich aus dem Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer ergebe, dass die Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung bestehen muss, wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens nachweisbar auszuschließen ist.294 Kann die Gefährdung des Steueraufkommens nicht mehr verhindert werden, ist hingegen eine Ausfallhaftung des leistenden Unternehmers möglich.295 Der EuGH überließ es an dieser Stelle den Mitgliedstaaten, ob sie die Berichtigung vom guten Glauben des leistenden Unternehmers an seinen Steuerausweis abhängig machen wollen.296 Nur wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens ausscheidet, sei die Rechnungsberichtigung unabhängig von einem guten Glauben des leistenden Unternehmers vorzunehmen.297 Folglich darf selbst einem (nachgewiesen) gutgläubigen Wirtschaftsteilnehmer die Ausfallhaftung auferlegt werden, wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens nicht nachträglich beseitigt werden kann.298 De lege lata hat Deutschland in diesem Fall keine Vertrauensschutzregelung des leistenden Unternehmers vorgesehen.299 Da für den Rechnungsaussteller ursprünglich die Möglichkeit bestand, die Gefährdungslage zu beseitigen und die Rechnung zu berichtigen, ist ihm kein Vertrauensschutz zu gewähren, wenn er sich über die eigene Berechtigung zum Ausweis der gesonderten Steuer irrt.300
293
EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink und Cofreth, DStRE 2000, 1166. EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink und Cofreth, DStRE 2000, 1166 (1169), Rn. 58; vgl. EuGH, Urt. v. 6.11.2003, Rs. C-78/02 bis C-80/02, Karageorgou, UR 2003, 595 (599 f.), Rn. 50 ff.; Schön, in: Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2001/02, S. 17 (60). 295 EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink und Cofreth, DStRE 2000, 1166 (1169), Rn. 61; Scharpenberg, in: Hartmann / Metzenmacher, § 14c UStG (Juli 2015), Rn. 43. 296 EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink und Cofreth, DStRE 2000, 1166 (1169), Rn. 61; EuGH, Urt. v. 13.12.1989, Rs. C-342/87, Genius Holding, UR 1991, 83 (84), Rn. 18.; EuGH, Urt. v. 6.11.2003, Rs. C-78/02 bis C-80/02, Karageorgou, UR 2003, 595 (599), Rn. 50. 297 EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink und Cofreth, DStRE 2000, 1166 (1169), Rn. 58; vgl. Scharpenberg, in: Hartmann / Metzenmacher, § 14c UStG (Juli 2015), Rn. 43; Widmann, in: FS für J. Lang, S. 913 (916); dens., in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 14c UStG (Juli 2017), Rn. 56, der treffend von einer „sanktionslose[n] ‚tätige[n] Reue‘“ spricht. 298 EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink und Cofreth, DStRE 2000, 1166 (1169), Rn. 61; Korn, in: Bunjes18, § 14c UStG, Rn. 48; a. A. Breucha / Robisch, UVR 2002, 272 (275); Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 161 f. 299 Das StÄndG 2003, BGBl. I 2003, S. 2645 (2659), hat die Voraussetzungen für die Rechnungsberichtigung im Übrigen nicht so geregelt, wie es die nicht differenzierende damalige Regelung des Art. 21 Abs. 1 lit. c der 6. EG-Richtlinie und der EuGH vorsahen. Die nachweisliche Verhinderung der Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens wird nur in den Fällen des § 14c Abs. 1 S. 3 UStG und in § 14c Abs. 2 UStG relevant. Bei § 14c Abs. 1 S. 2 UStG ist sie unerheblich, vgl. dazu Scharpenberg, in: Hartmann / Metzenmacher, § 14c UStG (Juli 2015), Rn. 45. 300 Vgl. Widmann, in: FS für J. Lang, S. 913 (916); Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1603); so wohl auch BFH, Urt. v. 14.2.2019 – V R 47/16, BFHE 264, 76 (82) = DStR 2019, 1086 (1089), Rn. 31; BFH, Urt. v. 22.3.2001, V R 11/98, BB 2001, 1341 (1342); siehe ferner FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 7 K 7246/14 (Rev. eingelegt), DStRE 2017, 749 (751). 294
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Wertungsmäßig steht dieses Ergebnis im Einklang mit dem Telos, das Steueraufkommen bereits im Zeitpunkt der Gefährdung durch einen unberechtigten Steuerausweis zu sichern. Zudem ist auch auf Seiten des Rechnungsempfängers ein Vertrauensschutz bei überprüfbaren Angaben grundsätzlich abgelehnt worden,301 weshalb erst recht für den Rechnungsaussteller kein Vertrauensschutz in Betracht kommen sollte, wenn dieser in einer nachprüfbaren Situation nur auf die Richtigkeit seiner eigenen Angaben zum Steuerausweis vertraut. Die abschließenden Regelungen zur Rechnungsberichtigung verdrängen auf Seiten des Rechnungsausstellers jegliche Form von Vertrauensschutz. Die Allgemeingültigkeit des Vertrauensschutzprinzips erfährt dadurch eine Einschränkung.302 Möglich bleibt daneben aber weiterhin in besonderen Härtefällen ein nach dem Einzelfall zu beurteilender Billigkeitserlass nach §§ 163, 227 AO.303 (2) Vertrauensschutz des Leistungsempfängers Hinsichtlich des Vertrauensschutzes des Leistungsempfängers ist das Verhältnis zu Rechnungsberichtigung und -ergänzung differenzierter zu beurteilen.304 Sind die Angaben des Leistenden für den Leistungsempfänger überprüfbar, kommt für diesen kein Vertrauensschutz in Betracht.305 Der Leistungsempfänger ist in diesen Fällen auf die Rechnungsberichtigung durch den Rechnungsaussteller angewiesen.306 Ihm steht solange ein Zurückbehaltungsrecht am noch nicht bezahlten Entgelt zu.307 Die insoweit eintretende Unerheblichkeit des Vertrauensschutzes lässt sich auch damit begründen, dass es sich bei den Rechnungsangaben um rein formelle Voraussetzungen handelt und der Vertrauensschutz mehr darauf angelegt ist, fehlende materielle Tatbestandsvoraussetzungen zu überwinden.308 Ist der Rechnungsaussteller nicht mehr ausfindig zu machen, kann der leistungsempfangende Unternehmer daneben andere Beweismittel heranziehen, die das materielle Recht auf Vorsteuerabzug nachweisen.309 Denn die Finanzbehörden sind bei formellen Mängeln, die einer Überprüfung durch den Leistungsempfänger zugänglich wa 301
Siehe Seite 81 ff. A. A. Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 161 f., 185 f., der diese Einschränkung nur bei einem technischen Versehen annimmt. 303 So auch BFH, Urt. v. 27.9.2018 – V R 32/16, DStR 2019, 273 (274 f.); BGH, Urt. v. 23.11.1995 – IX ZR 225/94, DStR 1996, 781 (783 f.); Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14c UStG (März 2019), Rn. 381. Siehe dazu auch Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 182 f. 304 Vgl. Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 95. 305 Siehe Seite 81 ff. 306 Siehe Seite 84 ff. und 92 ff. 307 BGH, Urt. v. 26.6.2014 – VII ZR 247/13, NJW-RR 2014, 1520, Rn. 13; Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2017), Rn. 610; vgl. Heinrichshofen, UVR 2018, 316 (320). 308 Vgl. Zitzl, Rechtsfolgen irrtümlicher Rechtsanwendungsfehler von Mehrwertsteuerpflichtigen, S. 224, der aus dem rein formellen Charakter der Rechnung schließt, dass es insoweit auf den Vertrauensschutzgrundsatz nicht mehr ankommen kann. 309 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.9.2016, Rs. C-516/14, Barlis 06, MwStR 2016, 796 (800), Rn. 43. 302
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ren, berechtigt, davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht vorliegen.310 Im Fall einer vom Leistungsempfänger überprüfbaren fehlerhaften Angabe des Leistenden, kann verlangt werden, dass der Unternehmer seine erhaltene Rechnung durch den Aussteller berichtigen lässt oder das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug anderweitig nachweist. Hier steht dem Unternehmer der Weg der Beweisführung offen.311 Entscheidend ist, dass zweifelsfrei vorliegende materielle Tatbestandsvoraussetzungen im Ergebnis nicht wegen formeller Mängel versagt werden dürfen.312 Folglich steht der Eintritt des Vertrauensschutzes im Falle einer nicht überprüfbaren Rechnungsangabe der Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung oder -ergänzung gegenüber. Bei allen nicht überprüfbaren Angaben innerhalb des § 14 Abs. 4 S. 1 UStG ist es nicht gerechtfertigt, eine Indizwirkung gegen den Unternehmer anzunehmen, es sei denn, die Unrichtigkeit ist offensichtlich.313 Der Vorsteuerabzug ist gleichwohl zu gewähren, ohne dass der Unternehmer einen etwaigen Anschein widerlegen muss.314 Auch dies ist nach hier vertretenem Verständnis eine Form von Vertrauensschutz, selbst wenn es sich bei der Rechnung um eine rein formelle Voraussetzung handelt.315 Daher ist es nicht erforderlich, dass der Unternehmer sich vor der Berufung auf Vertrauensschutz um eine Rechnungsberichtigung oder -ergänzung bemüht. Diese werden erst relevant, wenn eine nicht überprüfbare Angabe offensichtlich falsch ist und der Unternehmer unabhängig von seiner diesbezüglichen Kenntnis sein Recht auf Vorsteuerabzug weiterhin nachweisen will. Bei Fehlern zu Angaben, die für den rechnungsempfangenden Unternehmer nicht überprüfbar sind (wie etwa USt-IdNr.; Scheinadresse), fehlt möglicherweise neben diesem formellen Mangel auch die Unternehmereigenschaft des Rechnungssaustellers.316 Ist der Geschäftspartner kein Unternehmer, kann auch eine 310
Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 98; Achatz, SWK 2008, 86 (88); ders., DStJG 32 (2009), S. 461 (485). 311 Vgl. Widmann, UR 2017, 18 (22); einschränkend Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 343, der einen Rückgriff auf sonstige Nachweise nur als „ultima ratio“ gestatten will. 312 Vgl. EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-146/05, Albert Collée, Slg. I 2007, 7880 (7892), Rn. 29 ff.; Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 129. 313 Siehe Seite 77. 314 So auch Achatz, SWK 2008, 86 (88); ders., DStJG 32 (2009), S. 461 (481 f.); Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 98; so im Ansatz auch Abschn. 15.2a Abs. 6 Satz 5 UStAE. 315 Anders Zitzl, Rechtsfolgen irrtümlicher Rechtsanwendungsfehler von Mehrwertsteuerpflichtigen, S. 224, der wohl in Bezug auf die Senatex-Entscheidung darauf verweist, dass der EuGH neben der Rechnungsberichtigung nicht auf Vertrauensschutz eingegangen ist. Die Senatex-Entscheidung betraf aber einen Fall, in der eine Steuernummer und eine USt-IdNr. zunächst gar nicht vorhanden waren, weshalb sich richtigerweise das Problem des Vertrauensschutzes mangels konkreten Vertrauenstatbestands schon gar nicht gestellt hat. Erst wenn der leistende Geschäftspartner (nicht überprüfbare) Angaben abgibt – diese also ihrer Art nach erfüllt sind – und diese inhaltlich unzutreffend sind, stellt sich das Konkurrenzproblem zum Vertrauensschutz. 316 Vgl. Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (433).
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Rechnungsberichtigung oder -ergänzung nicht mehr weiterhelfen, da in jedem Fall eine materielle Voraussetzung des Rechts auf Vorsteuerabzug in tatsächlicher Hinsicht nicht vorliegt. Für den Vertrauensschutz hinsichtlich der Unternehmereigenschaft ist dann wesentlich, ob dies aus den mangelhaften Rechnungsangaben erkennbar war. Damit zeigt sich, dass der Vertrauensschutz nicht erst bedeutsam wird, wenn für den Leistungsempfänger eine nachträgliche Berichtigung nicht erkennbar fehlerhafter Angaben durch den Rechnungsaussteller scheitert.317 Es ist schon anfänglich nicht gerechtfertigt, einer fehlerhaften nicht überprüfbaren Rechnungsangabe des Geschäftspartners zu entnehmen, dass die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht vorliegen,318 es sei denn, sie ist offensichtlich falsch.319 Somit ist zu differenzieren, ob eine überprüfbare oder nicht überprüfbare Rechnungsangabe fehlerhaft ist.320 Ist die fehlerhafte Rechnungsangabe überprüfbar, sind die Gesamtumstände des Einzelfalles einzubeziehen, ob es gerechtfertigt ist, eine Indizwirkung gegen den Unternehmer anzunehmen321. Ist dies nach Erfassung aller Umstände des Einzelfalls anzunehmen, kann der Unternehmer sein Recht auf Vorsteuerabzug anderweitig nachweisen oder – wenn möglich – die Rechnung durch den Aussteller berichtigen lassen. Vertrauensschutz ist aufgrund der Überprüfbarkeit nicht zu gewähren.322 Sind die Rechnungsangaben hingegen nicht überprüfbar, ist danach zu fragen, ob die Umstände des Einzelfalls eine Indizwirkung gegen den Unternehmer rechtfertigen,323 was nur der Fall ist, wenn eine offensichtliche Unrichtigkeit vorliegt. Oft würde eine Rechnungsberichtigung oder -ergänzung ohnehin nicht zur Rückvergütung der Vorsteuer führen, da es darüber hinaus an materiellen Tatbestandsvoraussetzungen wie der Unternehmereigenschaft des Rechnungsausstellers fehlt. Der Vertrauensschutz des leistungsempfangenden Unternehmers greift daraufhin
317 So aber wohl Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 14 UStG (Mai 2018), Rn. 556; ders., in: UStG-Kommentar, § 15 UStG, Rn. 211. 318 Zitzl, Rechtsfolgen irrtümlicher Rechtsanwendungsfehler von Mehrwertsteuerpflichtigen, S. 217 ff., der zutreffend darauf hinweist, dass sich der Unternehmer in diesem Fall auf den Bestand des Rechts auf Vorsteuerabzug verlassen darf. 319 Vgl. Achatz, SWK 2008, 86 (88). 320 So im Ansatz auch die Finanzverwaltung: Abschn. 15.2a Abs. 6 Satz 8 UStAE; vgl. dazu Becker, MwStR 2016, 447 (450); Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 98; Zitzl, Rechtsfolgen irrtümlicher Rechtsanwendungsfehler von Mehrwertsteuerpflichtigen, S. 209 f. 321 Dies wäre etwa bei offensichtlichen „Zahlendrehern“ im Lieferungsdatum oder anderen offenbaren Unrichtigkeiten nicht der Fall, wenn sich die korrekte Angabe zweifelsfrei aus der Gesamtheit der vorgelegten Dokumente ergibt. In diesem Fall geht von der Rechnung schon gar keine Indizwirkung gegen den Unternehmer aus; vgl. dazu Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 98; Tratlehner, SWK 2015, 1415 (1417, 1421). 322 Vgl. Radeisen, Rechnungen im Umsatzsteuerrecht, S. 223. 323 Vgl. Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (482); dens., SWK 2008, 86 (88); Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 98.
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bezüglich der Unternehmereigenschaft des Leistenden.324 Aufgrund der Nichtüberprüfbarkeit der fehlerhaften Rechnungsangabe ist dabei der kaufmännische Sorgfaltsmaßstab als erfüllt anzusehen. d) Zusammenfassende Übersicht Die Ergebnisse sind in der nachfolgenden Übersicht zusammengestellt. Sie dient einem Überblick über die Fallkonstellationen, in denen für den Rechnungsempfänger ein Vertrauensschutz bei fehlerhaften Rechnungsangaben in Betracht kommt.
Übersicht 1: Vertrauensschutz bei fehlerhaften Rechnungsangaben
e) Vorsteuerabzug mit Gutschriften, § 14 Abs. 2 S. 2 UStG Die Praktikabilität des Geschäftsverkehrs erfordert es, von der Erteilung einer Rechnung (wie etwa in Fällen von Kommissionsgeschäften) absehen zu können.325 § 14 Abs. 2 S. 2 UStG sieht hierfür vor, dass der Leistungsempfänger gegenüber dem Leistenden anstelle einer Rechnung eine Gutschrift ausstellen kann. Der Gutschrift kommt die Wirkung einer Rechnung zu (argumentum e § 14 Abs. 2 S. 3 UStG). Unter der zusätzlichen Einhaltung der allgemeinen Voraussetzungen (vgl. § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 10 UStG) steht dem Gutschriftenaussteller durch diese Fiktion der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG zu. Die Gutschrift ist damit eine Rechnung, die der Leistungsempfänger ausstellt.326 324
Vgl. Becker, NWB 2016, 3374 (3384 f.). I.Erg. auch Zitzl, Rechtsfolgen irrtümlicher Rechtsanwendungsfehler von Mehrwertsteuerpflichtigen, S. 224. 325 Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 645. 326 Bathe, BC 2013, 434.
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Die Problematik des Vertrauensschutzes im Gutschriftenverfahren wurde schon relativ früh im Schrifttum diskutiert.327 Das Gutschriftenverfahren birgt für den Leistungsempfänger das erhebliche Risiko, neutralitätswidrig mit der abgewälzten Umsatzsteuer belastet zu werden.328 Der Leistende, der die Gutschrift vom Leistungsempfänger erhält, muss systemgerecht ein zum gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer berechtigter Unternehmer sein.329 Dies setzt zudem voraus, dass eine steuerbare und nicht von der Umsatzsteuer befreite Leistung vorliegt.330 Der Leistende darf zudem nicht nach § 14 Abs. 2 S. 3 UStG gegen die Gutschrift widersprochen haben.331 Der Leistungsempfänger stellt die Gutschrift selbst aus, weshalb kein Fall vorliegt, in dem sich der Leistungsempfänger auf erhaltene Rechnungsangaben des Leistenden verlassen muss.332 Vielmehr muss der Leistungsempfänger im Gutschriftenverfahren laufend die Unternehmensdaten seiner Gutschriftenempfänger prüfen.333 Die oben genannten Ergebnisse zum Rechnungsverfahren finden daher auf das Gutschriftenverfahren nur bedingt Anwendung. Der Leistungsempfänger, der eine Gutschrift ausstellt, kann jedoch auch im Gutschriftenverfahren Grund zur Annahme haben, dass der Leistende ein Unternehmer im Sinne des § 2 UStG ist, sofern keine Anhaltspunkte vorliegen, die den Leistungsempfänger vom Gegenteil ausgehen lassen. Denn unabhängig von der Art der Nachweisführung ist die Unternehmereigenschaft des Vorleistenden für den Leistungsempfänger kaum überprüfbar, da diese hauptsächlich die Verhältnisse des Leistenden betrifft.334 Insofern stellt sich eine vergleichbare Situation wie in derjenigen, in der der leistungsempfangende Unternehmer aufgrund einer erhaltenen Rechnung seines Vorleistenden von dessen Unternehmereigenschaft ausgeht. Eine Steuerschuld nach § 14c UStG kann sowohl beim Leistenden (Gutschriftenempfänger) als auch beim Leistungsempfänger (Gutschriftenaussteller) einschlägig sein, wenn der Empfänger der Gutschrift ein Klein- oder Nichtunternehmer ist.335 Diesbezüglich kommt ein Vertrauensschutz für den leistungsempfangenden Unternehmer in Betracht. Dieser würde nicht die Vorgaben des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG umgehen, der ausschließlich eine Abziehbarkeit der „gesetzlich geschuldete[n] Steuer“ und gerade nicht eine nach § 14c UStG geschuldete Steuer vorsieht.336 Der Leistende, der die Gutschrift empfängt, kann dieser sodann nach § 14 Abs. 2 S. 3 UStG wider
327
Vgl. Weiß, UR 1976, 1 (2 ff.); Wachweger, DStZ / A 1975, 331 (333 f.). Vgl. Slapio, MwStR 2013, 175. 329 FG München, Urt. v. 5.11.2014 – 3 K 3209/11 (rkr.), DStRE 2016, 676 (677). Vgl. auch Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 195. 330 Vgl. Weiß, UR 1976, 1 (2). 331 Vgl. dazu BFH, Urt. v. 23.1.2013 – XI R 25/11, BFHE 239, 547 (550) = MwStR 2013, 173, Rn. 20 ff.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 960 f.; Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (27). 332 So auch FG München, Urt. v. 5.11.2014 – 3 K 3209/11 (rkr.), DStRE 2016, 676 (680). 333 FG München, Urt. v. 5.11.2014 – 3 K 3209/11 (rkr.), DStRE 2016, 676 (680). 334 Vgl. Weiß, in: Steuer-Kongress-Report 1973, S. 253 (266). 335 So auch Weymüller, in: Weymüller2, § 14 UStG, Rn. 187. 336 Ausführlich dazu Seite 114 f. 328
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sprechen, um einer Steuerschuld nach § 14c UStG zu entgehen,337 womit dieser als ausreichend geschützt anzusehen ist. Bei einem Widerruf der Gutschrift nach § 14 Abs. 2 S. 3 UStG durch den Leistenden kommt für den Leistungsempfänger kein Vertrauensschutz in Betracht. In diesem Fall erlangt der Leistungsempfänger gegenüber dem Leistenden einen sofortigen Anspruch auf Ausstellung einer Rechnung, den er notfalls zivilrechtlich durchsetzen muss.338 Dieser Gefahr ist sich ein Leistungsempfänger, der das Gutschriftenverfahren anwenden möchte, von Anfang an bewusst.339 (Grob) vertragswidrige Verhaltensweisen des Geschäftspartners bleiben eine Frage der zivilrechtlichen (Rück-)Abwicklung.340 3. Erbringung einer Leistung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne Nicht einheitlich beurteilt wird, ob ein Vertrauensschutz hinsichtlich der Erbringung einer Lieferung oder sonstigen Leistung im umsatzsteuerlichen Sinne (§ 3 Abs. 1 und Abs. 9 UStG) in Frage kommt. Ein beachtlicher Teil der Literatur hält es für möglich, dem Unternehmer hinsichtlich des Vorliegens einer Leistung im umsatzsteuerlichen Sinne Vertrauensschutz zu gewähren.341 Demgegenüber bemisst die Rechtsprechung das materielle Kriterium der Lieferung oder sonstigen Leistung nicht anhand subjektiver Kriterien.342 a) Anlastung des Risikos juristisch umstrittener Sachverhalte Ob es sich um eine Leistung im umsatzsteuerlichen Sinn handelt, ist für den Unternehmer in den weit überwiegenden Fällen erkennbar.343 Es können sich allerdings Sachverhaltskonstellationen bilden, in denen es juristisch umstritten ist,
337
Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14 UStG (Oktober 2014), Rn. 200. Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (27 f.); Slapio, MwStR 2013, 175. 339 Zutreffend Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (28); ders., in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 14 UStG (März 2014), Rn. 54; a. A. Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 14 UStG (Mai 2018 und Januar 2017), Rn. 255 und Rn. 561. 340 Siehe zum Verhältnis des Vertrauensschutzes zum Zivilrecht § 5 dieser Arbeit. 341 Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 318; Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 322; ders., UStG-Kommentar, § 15 UStG, Rn. 61; Wäger, UR 2017, 41 (45); Gerken / Tetens, DB 2001, 1693 (1695); wohl auch de Weerth, in: StbJb. 2016/17, S. 521 (527 f.). Vgl. dazu Rothenberger, UStB 2018, 231. 342 St. Rspr.: BFH, Urt. v. 10.12.2008 – XI R 57/06, BFH / N V 2009, 1156 (1157), Rn. II.1.; BFH, Urt. v. 6.5.2004 – V R 73/03, DStR 2004, 1383 (1384), Rn. II.1.; BFH, Urt. v. 2.4.1998 – V R 34/97, DStR 1998, 1261 (1262), Rn. 3; BFH, Urt. v. 24.4.1986 – V R 110/76, UR 1988, 188 (189); vgl. dazu FG Berlin, Urt. v. 14.6.2006 – 2 K 4129/03, DStRE 2007, 176 (176 f.). 343 Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 30. 338
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ob eine Leistung im umsatzsteuerlichen Sinne vorliegt.344 Diesen Umstand nimmt ein Teil der Literatur zum Anlass, dem Unternehmer einen Vertrauensschutz zu gewähren, da das Risiko der Auslegung eines juristisch umstrittenen Sachverhalts nicht auf den in Dienst genommenen Unternehmer verlagert werden dürfe.345 Das ist zu weitgehend. Grundsätzlich ist das Vorliegen einer Lieferung oder sonstigen Leistung objektiv und ohne Berücksichtigung subjektiver Vorstellungsbilder zu bestimmen.346 Der „Lieferung eines Gegenstands“ kommt ein „objektiver Charakter“ zu, dessen Fehlen nicht durch subjektive Elemente ersetzt werden kann.347 Die systembedingte Anknüpfung des Umsatzsteuerrechts an einen Leistungsaustausch348 muss streng an die objektive Sachlage gebunden sein.349 Nach dem Wortlaut des Art.168 lit. a MwStSystRL kann ein Recht auf Vorsteuerabzug nur entstehen, wenn tatsächlich eine Lieferung oder Dienstleistung erbracht wurde.350 Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht bedeutet nicht, dass dem Unternehmer die juristische Beurteilung seiner Geschäftsvorgänge gleichgültig sein kann. Vielmehr ist es dem Unternehmer zuzumuten, sich vom Vorliegen einer zugrundeliegenden Leistung im umsatzsteuerlichen Sinn allumfänglich zu vergewissern. Die Verhältnisse hinsichtlich der Erbringung einer Leistung im umsatzsteuerlichen Sinn sind für den Unternehmer einfacher zu beurteilen als bei anderen materiellen Tat bestandsmerkmalen (wie der Unternehmereigenschaft), was aufzeigt, dass man hinsichtlich des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht nicht alle materiellen
344
Beispielsweise liegt reinen Entschädigungszahlungen nach überwiegender Ansicht keine Leistung im umsatzsteuerlichen Sinne zugrunde; vgl. nur BFH, Urt. v. 8.10.2008 – XI R 66/07, BFH / N V 2009, 616; Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 1 UStG (Juni 2017), Rn. 101; Robisch, in: Bunjes18, § 1 UStG, Rn. 45 f.; Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 183. Die Gegenauffassung will bei Schädigungshandlungen eine zugrunde liegende Leistung erkennen, ohne dass es auf einen Leistungswillen des Geschädigten ankomme; vgl. Birk / Desens / Tappe, Klausurenkurs im Steuerrecht, Rn. 683 ff., m. w. N. Fachterminologisch unterscheidet man bei dieser Problematik zwischen „echtem Schadensersatz“ und „unechtem Schadensersatz“. Ein „echter Schadensersatz“ umschreibt einen nicht steuerbaren Vorgang, da der Schaden nicht ohne Leistungswillen eingetreten ist. In Fällen, in denen der Schaden willentlich hingenommen wird, spricht man von einem „unechten Schadensersatz“, um die ausnahmsweise vorliegende Steuerschädlichkeit zum Ausdruck zu bringen; siehe dazu Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 184. 345 So Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 318; Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 322; ders., UStG-Kommentar, § 15 UStG, Rn. 61. 346 EuGH, Urt. v. 27.6.2018, Rs. C-459/17 und C-460/17, SGI und SNC, UR 2018, 684 (687), Rn. 38; Widmann, MwStR 2018, 311; Reiß, MwStR 2018, 296 (305). 347 EuGH, Urt. v. 27.6.2018, Rs. C-459/17 und C-460/17, SGI und SNC, UR 2018, 684 (687), Rn. 38; vgl. EuGH, Urt. v. 22.10.2015, Rs. C-277/14, PPUH Stehcemp, MwStR 2015, 964 (968), Rn. 44 mit Anm. Grube, MwStR 2015, 969 (969 f.); EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-324/11, Tóth, UR 2012, 851 (854), Rn. 26; BFH, Urt. v. 10.12.2008 – XI R 57/06, BFH / N V 2009, 1156 (1157), Rn. II.1.; Ismer / Artinger, MwStR 2019, 56 (59); Huschens, EU-UStB 2018, 79. 348 Dies bereits betonend Grabower / Herting / Schwarz, Die Umsatzsteuer, S. 192; vgl. S töcker, in: Lademann, § 9b EStG (September 2013), Rn. 59 a. E. 349 Reiß, MwStR 2018, 372 (374 f.); ders., MwStR 2018, 444 (450 ff.); ders., BB 1981, 1632 (1634 f.); Heuermann, StuW 2018, 123 (133); Stadie, Das Recht des Vorsteuerabzugs, S. 58. 350 Reiß, MwStR 2018, 444 (450 ff.); zust. Heuermann, StuW 2018, 123 (133).
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Tatbestandsmerkmale des Vorsteuerabzugs einheitlich betrachten kann.351 Es ist dem Unternehmer zwar nicht zuzumuten, einen hinsichtlich des Leistungsaustauschs komplexen Sachverhalt juristisch „richtig“ zu erfassen. Es kann allerdings verlangt werden, dass sich der Unternehmer hinsichtlich der juristischen Unsicherheit einer vorliegenden Sachverhaltskonstellation352 bewusst ist. b) Täuschung über das Vorliegen oder Folgen einer Leistung Anders verhält es sich, wenn der Geschäftspartner den betroffenen Unternehmer über das Vorliegen oder Folgen einer Leistung täuscht.353 Zu diesem Ergebnis gelangt man ebenfalls, wenn man alle materiellen Tatbestandsmerkmale des Vorsteuerabzugs über eine objektive Empfängersicht erfasst.354 Denn in diesen Fällen war es gerade nicht erkennbar, dass objektiv gesehen keine Lieferung oder sonstige Leistung vorliegt oder vorliegen wird.355 aa) Nach außen kundgetane und innere Absicht Einen argumentativ bemerkenswerten Weg verfolgte der EuGH hierzu in der verbundenen Rechtssache Kollroß und Wirtl, in der es um eine ausgebliebene Lieferung eines Blockheizkraftwerks ging.356 Die Kläger Kollroß und Wirtl hatten zuvor eine Anzahlung im Sinne der Art. 65 i. V. m. Art. 167 MwStSystRL, welche im deutschen Recht durch § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 UStG umgesetzt sind, inklusive Umsatzsteuer an den vermeintlichen Lieferant gezahlt. Später wurde gegenüber diesem ein Insolvenzverfahren eröffnet, das mangels Insolvenzmasse abgelehnt wurde. Der vermeintliche Lieferant wurde sodann wegen Betrugs rechtskräftig verurteilt, nicht aber wegen Steuerhinterziehung.357 Dies alles war für die Kläger bei der Leistung der Anzahlung nicht vorhersehbar gewesen.358 Das Finanzamt versagte den Klägern den Vorsteuerabzug aus der geleisteten Anzahlung. Daraufhin argumentierten diese, sie hätten hinsichtlich der Erbringung der zukünftigen Lieferung in gutem Glauben gehandelt und auch keinen Anlass zum Zweifel an der Redlichkeit ihres Geschäftspartners gehabt. Während der zuständige Generalanwalt 351
Zutreffend Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 30. So auch FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.8.2016 – 7 K 7246/14 (Rev. eingelegt), DStRE 2017, 749 (751), das von einem „herabgesetzten Vertrauensschutz“ spricht. 352 Vgl. dazu Nieskens, in: Rau / Dürrwächter, § 3 UStG (März 2018), Rn. 810 ff. 353 Vgl. Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 318. 354 So Wäger, UR 2017, 41 (46); vgl. dens., in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1603). 355 Vgl. Gerken / Tetens, DB 2001, 1693 (1695). 356 Vgl. EuGH, Urt. v. 31.5.2018, Rs. C-660/16, C-661/16, Kollroß und Wirtl, DStR 2018, 1171 (1171 f.), Rn. 16 ff. 357 Vgl. Reiß, MwStR 2018, 372. 358 Siehe zum Anzahlungsbetrug auch Schumann, DStR 2018, 1653.
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Wahl davon ausging, dass es „unverhältnismäßig“ sei, einem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug zu versagen, wenn dieser die missbräuchlichen Praktiken seines Geschäftspartners weder kannte noch kennen musste,359 nahm der EuGH lediglich eine Auslegung des Begriffs der „Anzahlung“ in Art. 65 MwStSystRL vor.360 Eine Anzahlung ist gegeben, wenn aus der Sicht des Zahlenden eine Bezahlung für eine künftig erbrachte Leistung vorliegt.361 Es kommt damit für den Vorsteuerabzug aus Anzahlungen nicht auf die innere Absicht des Anzahlungsempfängers an, die Leistung tatsächlich zu erbringen, sondern auf die nach außen kundgetane Absicht gegenüber dem Anzahlenden (Empfängersicht).362 Da der EuGH auf dieser Grundlage die objektiven Voraussetzungen einer abzugsfähigen Anzahlung als erfüllt ansah, musste er nicht über die Frage des Vertrauensschutzes entscheiden.363 bb) Kritik Der EuGH läuft in der Entscheidung Kollroß und Wirtl Gefahr, das grundsätzliche Erfordernis einer objektiv vorliegenden Lieferung oder sonstigen Leistung durch einen weiten Anzahlungsbegriff zu unterlaufen.364 Wenn der Tatbestand einer Leistung grundsätzlich objektiv zu verstehen ist,365 sollte der objektive Tat bestand einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Anzahlung nicht so weit ausgelegt werden, dass sämtliche irgendwie gearteten Leistungserwartungen des Anzahlenden366 den Komplettausfall der Leistung kompensieren würden. Der Vorsteuerabzug aus Anzahlungen ist nur eine Verlagerung des Rechts auf Vorsteuerabzug auf den Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts,367 was nicht bedeutet, dass einfach von dem Erfordernis der später erbrachten Leistung abgesehen werden kann, vgl. § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG.
359 Wahl, Schlussantr. v. 30.1.2018, Rs. C-660/16, C-661/16, Kollroß und Wirtl, DStR 2018, 1171 (1173), Rn. 35. 360 EuGH, Urt. v. 31.5.2018, Rs. C-660/16, C-661/16, Kollroß und Wirtl, DStR 2018, 1171 (1173), Rn. 39 ff. 361 EuGH, Urt. v. 31.5.2018, Rs. C-660/16, C-661/16, Kollroß und Wirtl, DStR 2018, 1171 (1173), Rn. 42; vgl. BFH, Urt. v. 17.7.2019 – V R 9/19 (V R 29/15), UR 2019, 863 (865), Rn. 22; Schumann, DStR 2018, 1653 (1654). 362 So auch BFH, Urt. v. 17.7.2019 – V R 9/19 (V R 29/15), UR 2019, 863 (865), Rn. 23. 363 Schumann, DStR 2018, 1653 (1654). 364 Krit. auch Reiß, MwStR 2018, 372 (374 f.); ders., MwStR 2019, 392 (392 ff.); Mayer, MwStR 2019, 400 (403); dies., MwStR 2019, 962. 365 So EuGH, Urt. v. 27.6.2018, Rs. C-459/17 und C-460/17, SGI und SNC, UR 2018, 684 (687), Rn. 38; BFH, Urt. v. 10.12.2008 – XI R 57/06, BFH / N V 2009, 1156 (1157), Rn. II.1. 366 Unklar EuGH, Urt. v. 13.3.2014, Rs. C-107/13, FIRIN, MwStR 2014, 240 (242), Rn. 36–38. 367 BFH, Urt. v. 17.7.2019 – V R 9/19 (V R 29/15), UR 2019, 863 (864), Rn. 18.
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cc) Lösungsvorschlag: Einbeziehung des Vertrauensschutzes Grundsätzlich ist eine objektive Sichtweise hinsichtlich des Vorliegens einer Leistung im umsatzsteuerlichen Sinn vorzunehmen.368 Muss konstatiert werden, dass eine solche nicht vorliegt, ist der Unternehmer auf die zivilrechtlichen Folgeansprüche zu verweisen.369 Bei Täuschungshandlungen wie einem Anzahlungsbetrug des Geschäftspartners kann ebenfalls festgehalten werden, dass objektiv keine Leistung im umsatzsteuerlichen Sinn vorliegt beziehungsweise vorliegen wird, sodass § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG greift. Ist dem Unternehmer, der die Leistung erwartet, mit Blick auf den Sorgfaltsmaßstab370 kein Vorwurf zu machen, kommt aber ein diesbezüglicher Vertrauensschutz in Betracht.371 Erachtet man die nach außen kundgetane Absicht des Anzahlungsempfängers zur Erbringung der Leistung für entscheidungserheblich,372 handelt es sich faktisch um einen Vertrauensschutz des Anzahlenden hinsichtlich der künftigen Erbringung der Leistung.373 Der BFH will dies gleichfalls für die Unternehmereigenschaft des Anzahlungsempfängers gelten lassen.374 Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug aus Anzahlungen muss folglich mit dem Vertrauensschutz in Verbindung gebracht werden. Der Sorgfaltsmaßstab des Anzahlenden hinsichtlich der Angaben des Anzahlungsempfängers kann im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes berücksichtigt werden. Ist festzustellen, dass der Anzahlende nicht die erforderliche Sorgfalt hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit eines künftigen Erhalts der Leistung oder der Unternehmereigenschaft des Anzahlungsempfängers eingehalten hat, fehlt schlussendlich ein materielles Tatbestandsmerkmal des Vorsteuerabzugs, sodass der Anzahlende auch nicht über § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Umgekehrt bleibt das Recht auf Vorsteuerabzug erhalten, wenn dem Anzah 368
Vgl. BFH, Beschl. v. 21.9.2016 – V R 29/15, MwStR 2017, 122 (123 f.), Rn. 33–35; Reiß, MwStR 2018, 392 (394); Mayer, MwStR 2019, 400 (402 f.). Siehe bzgl. des entstandenen Steueranspruchs BFH, Beschl. v. 21.9.2016 – XI R 44/14, MwStR 2017, 128, (131), Rn. 50. 369 Vgl. Reiß, BB 1981, 1632 (1634): „Der Leistungsempfänger, der den Versicherungen seines Vertragspartners vertraut und enttäuscht wird, mag sein Vertrauen bei seinem Vertragspartner und nicht beim Fiskus suchen.“ 370 Siehe dazu § 6 dieser Arbeit. 371 Vgl. dazu Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 318, der daneben eine Rechnungsberichtigung nach § 14c Abs. 3 S. 3 UStG für „dauerhaft aus[geschlossen]“ hält; a. A. Reiß, MwStR 2020, 63 (65). 372 BFH, Urt. v. 17.7.2019 – V R 9/19 (V R 29/15), UR 2019, 863 (865), Rn. 23; vgl. BFH, Urt. v. 5.12.2018 – XI R 44/14, MwStR 2019, 419 (422 f.), Rn. 48 ff. 373 Vgl. dazu die Kritik von Leipold, in: Sölch / R ingleb, § 14c UStG (März 2019), Rn. 282, der zutreffend darauf hinweist, dass es dem EuGH in seinem Urteil v. 31.5.2018, Rs. C-660/16, C-661/16, Kollroß und Wirtl, DStR 2018, 1171 wohl hauptsächlich darum ging, den guten Glauben des Rechnungsempfängers an das Recht auf Vorsteuerabzug zu schützen. Leipold hält es für dogmatisch überzeugender, an dieser Stelle aus Vertrauensschutzgesichtspunkten auf die Korrespondenz von Entstehung der Steuerschuld und des Rechts auf Vorsteuerabzug (Art. 167 MwStSystRL) zu verzichten. 374 So ausdrücklich BFH, Urt. v. 17.7.2019 – V R 9/19 (V R 29/15), UR 2019, 863 (865), Rn. 24.
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lenden keine Zweifel an den Angaben seines Anzahlungsempfängers hätten aufkommen müssen.375 III. Zweiter Schritt: Versagung des Vorsteuerabzugs nur noch wegen Bösgläubigkeit hinsichtlich eines Missbrauchs oder Steuerbetrugs Oft sind innerhalb eines Umsatzsteuerbetrugs Unternehmer einbezogen, die von dem betrügerischen Vorgehen der Geschäftspartner keine Kenntnis haben.376 Sie werden hauptsächlich zu Tarnzwecken in die Lieferkette aufgenommen, um der Strafverfolgungsbehörde die spätere Sachverhaltsaufklärung zu erschweren.377 Wird der Umsatzsteuerbetrug nachträglich aufgedeckt, ist problematisch, ob dem redlichen Unternehmer das Recht zum Vorsteuerabzug weiterhin erhalten bleibt oder ob die Finanzbehörde den Vorsteuerabzug versagen muss. 1. Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hat sich diesbezüglich in der Rechtsache Optigen 378 deutlich geäußert und in der Rechtssache Kittel 379 seinen Standpunkt bestätigt. Einem Unternehmer, der wusste oder hätte wissen müssen, dass sein oder ein anderer vor- oder nachgelagerter Umsatz in der Lieferkette von einem Umsatzsteuerbetrug behaftet ist, steht kein Recht auf Vorsteuerabzug zu.380 Der EuGH sieht darin einen allgemeinen Grundsatz, dass sich niemand in betrügerischer Absicht auf unionsrechtlich vorgesehene Rechte berufen kann.381 Das Recht auf Vorsteuerabzug müsse unabhängig von der Existenz einer nationalen Gesetzesregelung bei Bösgläubigkeit des Steuerpflichtigen hinsichtlich einer Steuerhinterziehung in der Lieferkette versagt werden.382 Diese Rechtsprechung gilt auch für Fälle missbräuchlicher Praktiken.383 Nach Teilen der Literatur beruht diese Versagungspflicht unmittelbar auf dem un 375
Vgl. BFH, Urt. v. 17.7.2019 – V R 9/19 (V R 29/15), UR 2019, 863 (865), Rn. 25. Küffner / Z ugmaier, UVR 2008, 30; Eder, NZWiSt 2014, 90 (90 ff.). 377 Vgl. Achatz, SWK 2008, 86 (88); Wenning, UStB 2002, 265 (266). 378 EuGH, Urt. v. 12.1.2006, Rs. C-354/03, C-355/05 und C-484/03, Optigen, Slg. I 2006, 500. 379 EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, 440/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177. 380 EuGH, Urt. v. 12.1.2006, Rs. C-354/03, C-355/05 und C-484/03, Optigen, Slg. I 2006, 500 (522), Rn. 52; EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, 440/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177 (6196), Rn. 56; vgl. Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 92/1. 381 EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, MwstR 2015, 87 (90), Rn. 46; EuGH, Urt. v. 13.2.2014, Rs. C-18/13, Maks Pen, MwStR 2014, 197 (199), Rn. 26. 382 EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, MwstR 2015, 87 (90), Rn. 54 ff.; krit. dazu Lindenberg / Klamet / Schmidt, UR 2015, 895 (899); Hummel, BB 2015, 549. 383 EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Rs. C-251/16, Cussens, DStRE 2018, 617 (621), Rn. 34; EuGH, Urt. v. 10.7.2019, Rs. C-273/18, SIA Kuršu zeme, MwStR 2019, 787 (788), Rn. 34. 376
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geschriebenen Primärrecht und wirkt direkt in das nationale Recht ein.384 Dabei soll es sich nicht um eine Strafe, sondern um eine konsequente Anwendung der einschlägigen Rechtsfolge handeln, wenn die objektiven Voraussetzungen des Vorsteuerabzugsrechts nicht vorliegen.385 Insgesamt ist festzuhalten, dass die nationalen Behörden und Gerichte dazu verpflichtet sind, einem umsatzsteuerpflichtigen Unternehmer, der von einer Steuerhinterziehung in seiner Lieferkette Kenntnis hatte oder Kenntnis hätte haben müssen, den Vorsteuerabzug zu versagen.386 Umgekehrt genießen Unternehmer Vertrauensschutz, „die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangen werden können, um sicherzustellen, dass [ihre] Umsätze nicht in einem Betrug – sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug – einbezogen sind“.387 Einerseits tritt der EuGH einer Ausnutzung der Betrugs- und Missbrauchsanfälligkeit des Mehrwertsteuersystems klar entgegen, indem eine Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug bei Bösgläubigkeit unter unmittelbarer Berufung auf das Unionsrecht auch möglich sein soll, wenn keine nationale Gesetzesregelung vorgesehen ist. Andererseits hat der EuGH den Vertrauensschutz für den leistungsempfangenden Unternehmer, der sich an einer nicht erkennbaren Betrugskonstellationen beteiligt, dadurch zu einem „tragenden Prinzip der Umsatzbesteuerung“ entwickelt.388 2. Rechtsprechung des BFH Der BFH hat die EuGH-Rechtsprechung grundsätzlich übernommen.389 Der innerhalb eines Umsatzsteuerbetrugs instrumentalisierte Unternehmer ist in dem Vertrauen auf die Redlichkeit seiner Geschäftspartner geschützt. Hinsichtlich der Versagung des Vorsteuerabzugs bei Bösgläubigkeit handle es sich allerdings nicht um eine Erweiterung der Tatbestandsmerkmale des Vorsteuerabzugs durch ein 384
Heuermann, StuW 2018, 123 (129). Ausführlich dazu § 9 dieser Arbeit. EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, MwstR 2015, 87 (90), Rn. 61 mit Anm. Grube, MwStR 2015, 93; Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 92/1; Heuermann, StuW 2018, 123 (129); teilweise a. A. Grünwald, MwStR 2013, 13 (17 ff.). 386 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.3.2014, Rs. C-107/13, FIRIN, MwStR 2014, 240 (242), Rn. 41 ff. mit Anm. Grube, MwStR 2014, 444; EuGH, Urt. v. 13.2.2014, Rs. C-18/13, Maks Pen, MwStR 2014, 197 (199), Rn. 26 ff. mit Anm. Grube, MwStR 2014, 201 (201 f.); EuGH, Urt. v. 31.1.2013, Rs. C-642/11, Stroy trans, MwStR 2013, 125 (128), Rn. 46 ff. mit Anm. Grube, MwStR 2013, 129; siehe dazu Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (169), m. w. N. 387 EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, 440/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177 (6195), Rn. 51; vgl. Grube, MwStR 2013, 8 (9); Küffner / Z ugmaier, UVR 2008, 30 (32). 388 Küffner / Z ugmaier, UVR 2008, 30 (32). 389 BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, DStR 2007, 1524 (1528 f.); BFH, Urt. v. 5.8.2010 – V R 13/09, BFH / N V 2011, 81 (83), Rn. 36; BFH, Urt. v. 10.12.2008 – XI R 57/06, BFH / N V 2009, 1156 (1158), Rn. II.2.a. 385
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subjektives Merkmal, sondern um eine Begrenzung, da der Vorsteuerabzug bei der Beteiligung an einem Missbrauch oder einer Steuerhinterziehung selbst dann zu versagen sei, wenn dessen objektive Voraussetzungen vorliegen.390 Dieses Ergebnis wird nunmehr jedenfalls auch durch § 25f UStG erreicht. Die Rechtsprechung des EuGH zum Schutz des gutgläubigen Unternehmers könne sodann innerhalb eines nationalen Billigkeitsverfahrens nach §§ 163, 227 AO Berücksichtigung finden.391 3. Stellungnahme Die materiellen und formellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs sollten keinesfalls ihre Bedeutung verlieren, indem der Vorsteuerabzug immer zu gewähren wäre, wenn dem betroffenen Unternehmer gerade eine Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis an einem Steuerbetrug nicht nachgewiesen werden kann.392 Insofern bedarf es einer Herangehensweise, die die Finanzbehörde zwar in die Pflicht nimmt, aber nicht völlig machtlos stellt. Unterschieden werden muss zwischen einer Versagung des Vorsteuerabzugs aufgrund einer missbräuchlichen Geltendmachung wegen Kenntnis oder Kennenmüssen von einer Steuerhinterziehung in der Lieferkette [dazu a)], einer Versagung aufgrund fehlender gesetzlicher Voraussetzungen nach Art. 167, 168 MwStSystRL, § 15 UStG, für die der Steuerpflichtige die Feststellungslast trägt, [dazu b)] und einer Gewährung des Vorsteuerabzugs, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, der Steuerpflichtige aber diesbezüglich in gutem Glauben gehandelt hat [dazu c) und d)].393 a) Eigenständiger Versagungsgrund bei Bösgläubigkeit Die oben und in der Einleitung (§ 2, C.) dargestellte Rechtsprechung des EuGH sieht vor, dass das Recht auf Vorsteuerabzug einer missbräuchlichen Inanspruchnahme entgegensteht und die Finanzverwaltung und die nationalen Gerichte dementsprechend – unabhängig von einer Regelung in den nationalen Gesetzen wie etwa § 25f UStG – dazu verpflichtet sind, einen solchen (ungeschriebenen) Versagungsgrund zu berücksichtigen.394 Einem Unternehmer, der von einem Steuer 390
BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559 (567), Rn. 36. BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559 (566), Rn. 32; BFH, Urt. v. 10.9.2015 – V R 17/14, NZWiSt 2016, 29 (33), Rn. 48; BFH, Beschl. v. 26.10.2010 – V B 104/09, BFH / N V 2011, 609, Rn. 7; zweifelnd allerdings BFH, Beschl. v. 18.2.2015 – V S 19/14, BFH / N V 2015, 866. Ausführlich hierzu § 9, B. dieser Arbeit. 392 BFH, Beschl. v. 6.4.2016, V R 25/15, DStR 2016, 1527 (1531), Rn. 58; Grube, jurisPRSteuerR 36/2016, Anm. 6, Teil B; Neeser, UVR 2016, 337 (340). 393 Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (173). 394 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 13.2.2014, Rs. C-18/13, Maks Pen, MwStR 2014, 197 (200), Rn. 36; ebenso BFH, Beschl. v. 12.9.2014 – VII B 99/13, BFH / N V 2015, 161 (165), Rn. 22. 391
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betrug oder Missbrauch in der Leistungskette wusste oder hätte wissen müssen, ist der Vorsteuerabzug zwingend zu versagen, selbst wenn dessen objektiver Tatbestand erfüllt sein sollte.395 b) Beweislastverteilung bezüglich gesetzlicher Voraussetzungen Der leistungsempfangende Unternehmer muss nach allgemeinen Beweislastregeln die gesetzlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges zunächst formell nachweisen.396 Beim Nachweis des Rechts auf Vorsteuerabzug durch die Rechnung hat dieser darauf zu achten, dass die Rechnungsangaben ihrer Art nach vorliegen. Sind sie fehlerhaft, so muss zwischen überprüfbaren und nicht überprüfbaren Angaben unterschieden werden. Im Fall einer nicht überprüfbaren fehlerhaften Angabe, entfaltet diese – wie gesehen – keine Indizwirkung gegen den Unternehmer, die er widerlegen müsste. Gelingt allerdings schon die formelle – also eine der Art nach vorliegende – Nachweisführung nicht, ist das materielle Recht auf Vorsteuerabzug aus diesem Grund zu versagen.397 c) Vertrauensschutz als Ausfluss der Beweislastverteilung Häufig handelt es sich bei einer betrügerischen Leistung auch um eine Leistung eines Unternehmers, was die materiellen Tatbestandvoraussetzungen des Vorsteuer abzugs grundsätzlich vorliegen lässt.398 Der Vorsteuerabzug kann aber bei einer formell ordnungsgemäßen Rechnung nur noch versagt werden, wenn der Leistungsempfänger von der Steuerhinterziehung beziehungsweise einem Missbrauch wusste oder hätte wissen müssen.399 Dies hat die Finanzbehörde nachzuweisen. Wenn trotz Erfüllung der formellen Nachweispflichten materielle Tatbestandsmerkmale des Leistenden nicht vorliegen oder diese vorliegen, aber der Umsatz betrugsbehaftet ist, ergibt sich der Vertrauensschutz daraus, dass die Finanzbehörde den Nachweis einer Kenntnis oder eines Kennenmüssens nicht führen kann.400 Wusste der Steuerpflichtige nichts von einer Steuerhinterziehung in seiner Leistungskette und hätte er dies auch nicht wissen müssen, bleibt ihm der Vorsteuerabzug er-
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Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (171 f.); ders., in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-KongressBericht 2014, S. 161 (177 f.); Grube, MwStR 2015, 93. 396 Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (172 f.); vgl. dazu Grube, MwStR 2013, 8 (10); Huschens, EU-UStB 2018, 79 (80); Meyer-Burow / Connemann, UStB 2014, 204 (210 ff.). 397 Vgl. Söhn, in: HHSp, § 88 AO (März 2010), Rn. 352, 366. 398 Meyer-Burow / Connemann, UStB 2014, 204 (210). 399 Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1076 f.); dies., DStR 2016, 2313 (2319 f.); Prätzler, jurisPR-SteuerR 8/2018 Anm. 5, Teil D; vgl. dazu Schrömbges / Kotschnigg, ZfZ 2016, 2 (9 f.). 400 Zutreffend FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.11.2015 – 5 K 5187/15, juris, Rn. 24 f.; Maunz, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 135 (140).
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halten.401 Mitnichten kehrt sich die Beweislast schon bei objektivem Vorliegen einer Steuerhinterziehung um.402 Denn die (Finanz-)Behörde hat nachzuweisen, dass objektiv gesehen eine Steuerhinterziehung in der Leistungskette des Unternehmers vorliegt und subjektiv der Steuerpflichtige von dieser wusste oder hätte wissen können.403 Dies hat der BFH über den Weg eines Billigkeitsverfahrens, in welchem die Finanzbehörde nicht die Darlegungslast trägt und der Steuerpflichtige seine Beteiligung an einem Steuerbetrug vielmehr widerlegen muss,404 noch nicht hinreichend berücksichtigt.405 Der Vertrauensschutz ist damit ein Ausfluss der Beweislastverteilung.406 Problematisch ist, welchen Sorgfaltsmaßstab der Unternehmer an den Tag legen muss, damit ihm die Finanzbehörde keine fahrlässige Unkenntnis von einem Steuerbetrug vorwerfen kann. Es besteht die Gefahr, dass der Unternehmer diesem Vorwurf besonders schnell ausgesetzt ist. Das Problem, was unter „hätte wissen müssen“ zu verstehen ist,407 wird in § 6 der Arbeit näher aufgegriffen. aa) Keine Pflicht zum Negativbeweis Aufgrund der dargestellten Beweislastverteilung kann einem Unternehmer, der die Rechnungsangaben zum Nachweis über das Recht zum Vorsteuerabzug ihrer Art nach erbracht hat, der Vorsteuerabzug „nur“408 noch versagt werden, wenn die Finanzbehörde nachweist, dass zum einen in seiner Leistungskette eine Steuerhinterziehung oder ein Missbrauch objektiv vorliegt und zum anderen der 401 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 49; Grube, MwStR 2013, 8 (10 f.). 402 So aber offenbar Birkenfeld, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 197 (219). 403 EuGH, Urt. v. 22.10.2015, Rs. C-277/14, PPUH Stehcemp, MwStR 2015, 964 (968), Rn. 50; EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 49; EuGH, Urt. v. 6.12.2012, Rs. C-285/11, Bonik EOOD, MwStR 2013, 37 (40), Rn. 43 mit Anm. Grube, MwStR, 2013, 41; FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.11.2015 – 5 K 5187/15, juris, Rn. 24 f.; vgl. Grube, MwStR 2013, 8 (10 f.); Spatscheck / Spilker, DB 2018, 1239 (1239 f.); von Streit / Luther, UStB 2016, 51 (57); Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 95; Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (172); Gröpl, in: Dausens / Ludwigs, Handbuch des EUWirtschaftsrechts, Kap. J (März 2019), Rn. 424; Höink, in: Adick / Höink / Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4, Rn. 273; Maunz, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 135 (140), der von einer Beweislastumkehr zulasten der Finanzbehörde ausgeht. Siehe dazu allg. Tenbrock, Die Verteilung der objektiven Beweislast im Steuerrecht, S. 61 f., 133. 404 BFH, Urt. v. 18.2.2016 – V R 62/14, BFHE 253, 283 (287 f.) = DStR 2016, 960 (962), Rn. 21 f.; BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, BFHE 217, 194 (207 f.). Ausführlich dazu § 9, B. dieser Arbeit. 405 So auch Maunz, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 135 (141 f.). 406 Vgl. Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (483 ff.); Nieskens, Stbg 2005, 554 (572). 407 Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (446) geht von einer „offenen Frage“ aus; vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2, Rn. 45. 408 So das entscheidende Wort in EuGH, Urt. v. 22.10.2015, Rs. C-277/14, PPUH Stehcemp, MwStR 2015, 964, Leitsatz (Hervorhebung nur hier).
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Steuerpflichtige davon wusste oder hätte wissen können.409 Der Unternehmer muss keinen Negativbeweis führen.410 Erbringt der Unternehmer folglich sämt liche Rechnungsnachweise ihrer Art nach und stellt sich später heraus, dass auf der Grundlage nicht überprüfbarer Angaben materielle Tatbestandsvoraussetzungen wie die Unternehmereigenschaft nicht vorliegen, ist die Finanzbehörde gehalten, die subjektive Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von einer objektiv vorliegenden Steuerhinterziehung nachzuweisen.411 Liegt objektiv keine Steuerhinterziehung vor oder wird der Unternehmer unwissentlich an einem Umsatzsteuerbetrug seiner Geschäftspartner beteiligt, bleibt das Recht auf Vorsteuerabzug im Sinne des Vertrauensschutzes erhalten.412 So wird verhindert, dass im Ergebnis die falsche Person mit einer Steuerbelastung „bestraft“ wird.413 Man kann darin dogmatisch eine Ausnahme davon sehen, dass bei fehlenden materiellen Tatbestandsvoraussetzungen der Vorsteuerabzug zu versagen ist, die immer dann greift, wenn der Unternehmer seinen formellen Nachweispflichten vollumfänglich nachgekommen ist.414 bb) Nachforschungspflicht nur bei überprüfbaren Falschangaben Wenn überprüfbare Rechnungsangaben vorliegen, die inhaltlich falsch sind, bleibt es der Finanzbehörde weiterhin möglich, den Vorsteuerabzug zu versagen, sofern der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht anderweitig nachkommen 409 Vgl. Grube, MwStR 2013, 8 (10); Spatschek / Stenert, DStR 2016, 2313 (2319); Streit, BC 2013, 97; Achatz, SWK 2008, 86 (88); dens., DStJG 32 (2009), 461 (481); Tumpel / Prechtl, SWK 2006, 872 (875); Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 92 ff. 410 Grube, MwStR 2013, 8 (10); de Weerth, in: StbJb. 2016/17, S. 521 (528 f.). 411 A. A. Mann, Der Schutz des guten Glaubens im Umsatzsteuerrecht im Spannungsfeld des Umsatzsteuerbetrugs, S. 357 ff., der annimmt, dass es bei materiellen Tatbestandsmerkmalen des Vorsteuerabzugs unbillig wäre, den Staat mit in das Geschäftsrisiko des Unternehmers „einzuschalten“; ähnlich Zaumseil, UStB 2008, 230 (232 f.). Es ist an dieser Stelle daran zu erinnern, dass der Unternehmer im Dienste des Staates zur Umsatzsteuereintreibung herangezogen wird, vgl. statt vieler Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Einf. (März 2017), Rn. 197 ff.; Weimann, UStB 2009, 236 (237). Es kann daher nicht überzeugen, einem Unternehmer, der alles in seiner Macht Stehende getan hat, auf Grundlage einer nicht überprüfbaren Angabe des Geschäftspartners, die im Zweifel auch der Staat nicht hätte kontrollieren können, den Vorsteuerabzug zu versagen, weil sich nachträglich herausstellt, dass es sich bei dem Geschäftspartner um keinen Unternehmer handelt. Richtigerweise ist daher bei Erbringung sämtlicher Nachweis der Staat in der Pflicht, nachzuweisen, dass in der Leistungskette ein Umsatzsteuerbetrug vorliegt und der Unternehmer davon Kenntnis hatte oder diese Kenntnis hätte haben müssen, vgl. EuGH, Urt. v. 22.10.2015, Rs. C-277/14, PPUH Stehcemp, MwStR 2015, 964 (968), Rn. 50, 53; EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 49. Liegt letzteres nicht kumulativ vor, bleibt der Vorsteuerabzug erhalten, auch wenn etwa die Unternehmereigenschaft des Geschäftspartners nicht vorliegen sollte. 412 Vgl. Grube, MwStR 2013, 41; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 405 f.; Taucher, SWK 2008, 622 (626); Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 93; Ismer / Artinger, MwStR 2019, 56 (60); Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 2313 (2320); tendenziell befürwortend auch Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (172 f.). 413 Treffend Heinrichshofen, UVR 2018, 61 (63). 414 So Ismer / Artinger, MwStR 2019, 56 (60).
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kann. Erst recht kann die Behörde dann zulässigerweise davon ausgehen, dass der Unternehmer von einer Steuerhinterziehung hätte wissen müssen, wenn eine solche darüber hinaus objektiv vorliegt.415 Das Finanzamt kann hier eine Gesamtwürdigung der Indizien vornehmen.416 Im Ergebnis wird durch die Differenzierung zwischen fehlerhaften überprüfbaren und fehlerhaften nicht überprüfbaren Rechnungsangaben ein angemessener Ausgleich geschaffen. Sind nicht überprüfbare formelle Angaben fehlerhaft, liegt es an der Finanzbehörde, eine objektiv vorliegende Steuerhinterziehung in der Leistungskette, von der der Steuerpflichtige Kenntnis hatte oder hätte haben müssen, nachzuweisen. Der Steuerpflichtige kann in diesem Fall glaubhaft vorbringen, dass er „alle Maßnahmen [getroffen hat], die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass [die] Umsätze nicht in einen Betrug […] einbezogen sind“417. Sind überprüfbare Angaben fehlerhaft, muss der Steuerpflichtige sich weiter um einen ordnungsgemäßen Nachweis (wie etwa Rechnungsberichtigung oder -ergänzung) sowie um Nachforschungen zur Sachverhaltsaufklärung bemühen bis das Recht auf Vorsteuerabzug und ein Ausschluss eines Betrugs oder Missbrauchs zweifelsfrei feststehen. Denn „[es] verstößt […] nicht gegen das Unionsrecht, wenn von einem Wirtschaftsteilnehmer gefordert wird, dass er alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.418 […] Liegen Anhaltspunkte für eine Unregelmäßigkeit oder Steuerhinterziehung vor, kann ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer […] nach den Umständen des konkreten Falls verpflichtet sein, über einen anderen Wirtschaftsteilnehmer […] Auskünfte einzuholen, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen.“419 Letzteres darf allerdings aufgrund des Neutralitätsgrundsatzes von der Finanzbehörde nicht dahingehend missbraucht werden, dass der in Dienst genommen Unternehmer für Untersuchungen instrumentalisiert wird, welche der Finanzbehörde obliegen.420 Zudem muss der Unternehmer nach dem Gebot der Rechtssicherheit die ihm obliegenden Pflichten kennen.421 Es ist grundsätzlich Aufgabe der Finanzbehörde, Unregelmäßigkeiten, die auf eine Steuerhinterziehung 415 Vgl. Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (481); dens., SWK 2008, 86 (88); Taucher, SWK 2008, 622 (627 f.). 416 Vgl. BFH, Beschl. v. 12.9.2014 – VII B 99/13, BFH / N V 2015, 161 (166), Rn. 28. 417 EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 53; EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, 440/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177 (6195), Rn. 51. Ähnlich argumentieren Meyer-Burow / Connemann, UStB 2014, 255 (262). 418 EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1342), Rn. 54, m. w. N. 419 EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1342), Rn. 60. 420 EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1342 f.), Rn. 61 ff. 421 EuGH, Urt. v. 9.10.2014, Rs. C-492/13, Traum EOOD, DStRE 2015, 427 (430), Rn. 28 f.
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hindeuten, aufzuklären.422 Diese Auslegung des EuGH spricht stark für die hier vertretene Differenzierung zwischen fehlerhaften überprüfbaren und fehlerhaften nicht überprüfbaren Angaben. Der Unternehmer kann demnach nur zu weiteren Verpflichtungen herangezogen werden, wenn eine Überprüfung der fehlerhaften Angaben für ihn anfänglich möglich war.423 Würde die Finanzbehörde den Unternehmer verpflichten, bei einer nicht überprüfbaren fehlerhaften Angabe weitere Nachforschungen anzustellen, würde dies die vorgegebenen Grenzen des EuGH überschreiten. In keinem Fall muss der leistungsempfangende Unternehmer nach Unstimmigkeiten regelrecht „suchen“.424 Durch diese Differenzierung lassen sich auch die „jeweiligen Umstände“425, von denen der EuGH sehr abstrakt bezüglich der Nachforschungspflicht des Unternehmers spricht, näher eingrenzen. Jedenfalls fällt hierunter der Fall einer überprüfbaren fehlerhaften Rechnungsangabe. Im Übrigen bleibt es dabei, dass die Finanzbehörde das Vorliegen einer Steuerhinterziehung, von der der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, nachzuweisen hat, wenn der Unternehmer die formellen Nachweise ihrer Art nach erbringen kann und die in Frage stehenden fehlerhaften Angaben nicht überprüfbar waren. Gelingt dies nicht, bleibt der Vorsteuerabzug vertrauensschützend erhalten.426 d) Direkter Anspruch auf Vertrauensschutz Werden die formellen Nachweispflichten ihrer Art nach erfüllt, kommt es folglich für den Vertrauensschutz bezüglich fehlender materieller Tatbestandsmerkmale darauf an, ob der leistungsempfangende Unternehmer dies aus den formellen Angaben erkennen konnte. Es liegen bei einer fehlenden Unternehmereigenschaft des Leistenden und einem Nichtvorliegen einer Leistung im umsatzsteuerlichen Sinne ebenfalls Konstellationen vor, in denen der Leistende unberechtigt Umsatzsteuer in der Rechnung ausweist. Aus diesem Grund schuldet beispielsweise ein leistender Scheinunternehmer die unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer nach 422
EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1342), Rn. 61; dazu auch Grube, MwStR 2013, 8 (10); Streit, BC 2013, 97. 423 Ähnlich Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1077), die auf widersprüchliche Auskünfte des Leistenden abstellen. Eine erkennbare Widersprüchlichkeit ist dabei ein Umstand, der auf überprüfbaren Angaben beruht. Vgl. Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 34; Meyer-Burow / Connemann, UStB 2014, 204 (212); Carlé, BeSt 2013, 19 (19 f.). 424 So auch Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1077); vgl. Neeser, UVR 2008, 285 (288). 425 EuGH, Urt. v. 22.10.2015, Rs. C-277/14, PPUH Stehcemp, MwStR 2015, 964 (968), Rn. 51; EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1342), Rn. 59. 426 FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.11.2015 – 5 K 5187/15, juris, Rn. 24 f.; Maunz, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 135 (140); vgl. dazu allg. Söhn, in: HHSp, § 88 AO (März 2010), Rn. 366.
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§ 14c Abs. 2 UStG.427 Es bleibt prinzipiell dabei, dass der Leistungsempfänger des Scheinunternehmers eine nach § 14c UStG geschuldete Steuer nicht als Vorsteuer abziehen kann.428 Wenn hingegen der redliche Unternehmer über die Unternehmereigenschaft seines Vertragspartners getäuscht wird, ist der Vertrauensschutz dogmatisch nicht als eine Umgehung der Nicht-Abzugsfähigkeit einer nach § 14c UStG geschuldeten Steuer zu sehen,429 sondern als ein Direktanspruch, um eine angemessene Risikoverteilung zu erreichen.430 Dies verhindert das unverhältnismäßige Ergebnis, dass der Staat einen ehrlichen Unternehmer sanktioniert, weil auf diesen, was einen ehrlichen Unternehmer ausmacht, noch zugegriffen werden kann, während der eigentliche Betrüger innerhalb der Umsatzkette nicht mehr ausfindig zu machen ist.431 Zudem müsste der Unternehmer versuchen, in langwierigen Zivilverfahren bei seinem täuschenden Vertragspartner Regress zu nehmen. Es ist nicht gerechtfertigt, dass der Staat in diesen Fällen den redlichen Unternehmer auf möglicherweise bestehende Ansprüche gegen seinen Geschäftspartner verweist. Konnte der leistungsempfangende Unternehmer aus den vollständigen Rechnungsangaben oder sonstigen Anhaltspunkten nicht erkennen, dass es sich um einen Steuerbetrug beziehungsweise einen Missbrauch handelt432 oder der materielle Tatbestand des Vorsteuerabzugs in Wirklichkeit nicht vorliegt, so ist dieses Risiko des unternehmerischen Geschäftsverkehrs dem Staat aufzuerlegen, indem dem redlichen Unternehmer weiterhin ein direkter Anspruch auf Abzug der Vorsteuer zusteht.433 4. Verhältnis zur Beweislastverteilung im Strafverfahren Die dargestellte Analyse der EuGH-Rechtsprechung lässt sich mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz „in dubio pro reo“ in Einklang bringen.434 Wird ein vorsatzloser Dritter in ein Umsatzsteuerkarussell oder eine andere Betrugskonstellation einbezogen, so besteht das erhebliche Risiko, dass gegen ihn strafrechtliche Er 427
Dies ebenfalls betonend Real, DStR 2016, 2406 (2407). Statt aller Heidner, in: Bunjes18, § 15 UStG, Rn. 158, m. w. N. 429 In diese Richtung argumentiert aber Leipold, Personelle Zurechnung von Umsätzen und Vorsteuerabzug, S. 233, der davon ausgeht, dass der Leistungsempfänger nicht von „Entgeltbestandteilen“ entlastet werden soll, die er für tatsächlich geschuldete Umsatzsteuer hält. Ähnlich zu lesen bei Stöcker, in: Lademann, § 9b EStG (September 2013), Rn. 83, der auf die Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG a. F. verweist und im nächsten Satz einen Gutglaubensschutz ausschließt. 430 I.Erg. ebenso im Kontext einer Anzahlung BFH, Urt. v. 17.7.2019 – V R 9/19 (V R 29/15), UR 2019, 863 (865), Rn. 24, der eine Steuerschuld des Rechnungsaustellers nach § 14c Abs. 2 S. 2 UStG verneint, weil die Norm nach der Empfängersicht auszulegen sei; vgl. Burgmaier, UStB 2016, 341 (344); Schrömbges, SWK 2014, 108 (109); Lange, DStR 2004, 1773. 431 von Streit / Luther, UStB 2016, 51 (56); vgl. Vellen, UStB 2003, 293. 432 Vgl. Taucher, SWK, 2008, 622 (628) dort. Fn. 40. 433 Vgl. von Streit / Luther, UStB 2016, 51 (56); Looks, in: Weymüller2, § 15 UStG, Rn. 59.1.; Naumann, Harmonisiertes Mehrwertsteuersystem, S. 143 f. 434 Grube, MwStR 2013, 8 (11). 428
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mittlungen von nicht unerheblicher Dauer eingeleitet werden.435 Innerhalb dieser Ermittlungen hat der beschuldigte oder angeklagte Unternehmer keinesfalls einen Negativbeweis zu führen, dass die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 AO oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung im Sinne des § 378 AO nicht vorlagen. „Negativa non sunt probanda“:436 Die Feststellungslast liegt alleine bei der Staatsanwaltschaft. Die Finanzbehörden, welche wiederum die Feststellungslast für die Beteiligung an einem Steuerbetrug für die Versagung des Vorsteuerabzug tragen,437 werden die Feststellungen der Strafgerichte zugrunde legen, woran allerdings die Finanzgerichte aufgrund freier Beweiswürdigung nicht gebunden sind.438 Im Wege einer funktionalen Verständigung werden aber auch die Finanzbehörden aufgrund ihrer besonderen Sachkunde bei der Verfolgung von Steuerdelikten eingebunden.439 Die enge Vernetzung der beiden Verfahren birgt die Gefahr, dass der Steuerpflichtige im Steuerverfahren entgegen dem „nemo tenetur“-Grundsatz und der Unschuldsvermutung Tatsachen preisgibt, die ihn im Strafverfahren belasten, weshalb die Zuständigkeiten und Befugnisse strikt zu trennen sind.440 Bezogen auf das vorliegende Problem würde dem Unternehmer in einem Billigkeitsverfahren nach §§ 163, 227 AO stets die Feststellungs- und Beweislast auferlegt.441 Er muss nachweisen, dass die Voraussetzungen einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit vorliegen. Die dadurch geforderten Negativbeweise sind mit einer einheitlichen Erfassung von Steuer- und Strafverfahren nicht zu vereinbaren.442 Der Steuerpflichtige müsste innerhalb des Billigkeitsverfahrens nachweisen, dass er keine Kenntnis von einer Steuerhinterziehung in der Lieferkette gehabt habe. Der positive Belastungsnachweis ist aber gerade von den Strafverfolgungsbehörden innerhalb des Strafverfahrens zu führen. Die Beweislast muss daher auch im finanzgerichtlichen Verfahren auf der Seite des Finanzamts liegen. Es ergibt sich daher unter der Berücksichtigung der hier untersuchten unionsrechtlichen Vorgaben eine Einheitlichkeit hinsichtlich der beiden Verfahren.
435 Höink, in: Adick / Höink / Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4, Rn. 71; Bülte, CCZ 2009, 98 (100); vgl. dazu Rödl / U. Grube, in: Wabnitz / Janovsky, § 21, Rn. 152 ff. 436 Siehe dazu Birkenfeld, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 197 (219). 437 Schaumburg, in: Schaumburg / Peters, Internationales Steuerstrafrecht, Rn. 17.43; Höink, in: Adick / Höink / Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4, Rn. 272 ff., jeweils m. w. N. 438 Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 102 f. 439 Reinel, Der „nemo tenetur“-Grundsatz als Grenze steuerlicher Informationshilfe, S. 48; Rüping / Kopp, NStZ 1997, 530 (532); vgl. auch Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 103 f. 440 Reinel, Der „nemo tenetur“-Grundsatz als Grenze steuerlicher Informationshilfe, S. 49; Mellinghoff, Stbg 2014, 97 (99 f.); vgl. Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, S. 248; Rüping / Kopp, NStZ 1997, 530 (532); Raum, in: Wabnitz / Janovsky, § 4, Rn. 142. 441 Grube, jurisPR-SteuerR 36/2016, Anm. 6, Teil. C. 442 So aber BFH, Urt. v. 18.2.2016 – V R 62/14, BFHE 253, 283 (287 f.), Rn. 21 f.; BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, BFHE 217, 194 (207 f.); zu Recht krit. Grube, MwStR 2013, 8 (11).
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IV. Zwischenergebnis Der Leistungsempfänger ist zur Erlangung des Rechts auf Vorsteuerabzug von den Angaben seines Geschäftspartners abhängig. Daraus ergibt sich die Problematik, ob einem redlichen Unternehmer Vertrauensschutz hinsichtlich der unrichtigen Angaben seines Geschäftspartners zu gewähren ist Der Geschäftspartner des Leistungsempfängers kann aus verschiedenen Gründen als Scheinunternehmer aufgetreten sein. Der Vertrauensschutz bezüglich der Identität von Leistendem und Rechnungsaussteller bezieht sich dogmatisch allerdings auf die Frage, ob der Strohmann nicht erkennbar zu Täuschungszwecken vom Hintermann vorgeschoben wird. Tritt der Strohmann erkennbar im Namen des Hintermanns auf, verlagert sich der Vertrauensschutz auf die verkehrswesentlichen Eigenschaften desjenigen, dem die Leistung zugerechnet wird. Das heißt, der Vertrauensschutz wird relevant, wenn entweder der Strohmann, dem die Leistung zugerechnet wird, selbst kein Unternehmer ist oder bei einer Zurechnung der Leistung an den Hintermann auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung der Hintermann kein Unternehmer ist.443 Für den redlichen Unternehmer besteht die Gefahr, dass er die Vorsteuer vom Finanzamt nicht rückvergütet bekommt, da er mit einem Scheinunternehmer kontrahiert hat und damit die objektiven Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG nicht vorliegen. Ob sein diesbezügliches Vertrauen schützenswert ist, steht maßgeblich im Zusammenhang mit den Rechnungsangaben des Vorleistenden. Sowohl die Rechnung als auch ihre inhaltlichen Anforderungen nach § 14 Abs. 4 UStG sind rein formelle Voraussetzungen für das Recht auf Vorsteuerabzug.444 Der Unternehmer verliert das materielle Recht auf Vorsteuerabzug folglich nicht, wenn er zunächst keine oder keine ordnungsgemäße Rechnung vorlegen kann. Für den Vertrauensschutz bei unzutreffenden Rechnungsangaben hat dies weitreichende Auswirkungen. Wichtig ist, dass zwischen solchen Rechnungsangaben, die der Unternehmer überprüfen kann, und solchen, die dieser nicht überprüfen kann, unterschieden werden muss.445 Die Finanzbehörde kann bei einer fehlerhaften überprüfbaren Rechnungsangabe davon ausgehen, dass die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht vorliegen. Dem Unternehmer steht allerdings der Gegenbeweis offen, indem er die Rechnung vom Aussteller berichtigen lässt oder selbstständig „Annexe“ vorbringt, die das materielle Recht auf Vorsteuerabzug nachweisen.446 Bei einer nicht überprüfbaren Angabe entfaltet die Rechnung keine Indizwirkung gegen den Unternehmer.447 Eine Rechnungsberichtigung oder -ergänzung 443
Siehe Seite 61 f. Siehe Seite 63 ff. 445 Siehe Seite 76 ff. und 81 ff. 446 Siehe Seite 84 ff. und 92 ff 447 Siehe Seite Seite 97 ff. 444
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
wird daneben nur relevant, wenn die Angabe offensichtlich fehlerhaft ist.448 Bei nicht überprüfbaren Rechnungsangaben stellt sich häufig die Problematik, dass es zudem an materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs – wie der Unternehmereigenschaft des Vorleistenden – fehlt oder es zu einer Involvierung des redlichen Unternehmers in einen Umsatzsteuerbetrug kam. War dies aus den Rechnungsangaben nicht erkennbar und ist der Unternehmer auch nicht aus anderen Gründen bösgläubig, kann die Finanzbehörde den Vorsteuerabzug nicht mehr versagen. Das Finanzamt muss, wenn die Rechnungsnachweise ihrer Art nach erbracht worden sind, sowohl die objektive Einbeziehung in eine Steuerhinterziehung oder einen – vom EuGH in der Rechtsfolge gleichgesetzten – Missbrauch als auch die diesbezügliche Kenntnis oder das Kennenmüssen des Unternehmers nachweisen.449 Dies ergibt sich auch aus § 25f UStG. Erbringt der Unternehmer die formellen Rechnungsnachweise ihrer Art nach, muss er einen Gegenbeweis nur führen, wenn die enthaltenen Rechnungsangaben überprüfbar fehlerhaft sind. Das bedeutet im Ergebnis, dass ein Vorsteuerabzug in einer „non liquet“-Situation zu gewähren sein kann, obwohl der Geschäftspartner des leistungsempfangenden Unternehmers als Scheinunternehmer aufgetreten ist.450 Weitere Untersuchungspflichten treffen den Unternehmer nur, wenn die fehlerhafte Angabe des leistenden Geschäftspartners anfänglich überprüfbar war.451
B. Steuerbefreiung und Steuerbarkeit von innergemeinschaftlichen Lieferungen, §§ 4 Nr. 1 lit. b i. V. m. 6a UStG und §§ 3, 3c ff. UStG Innergemeinschaftliche Lieferungen gemäß § 6a UStG sind nach § 4 Nr. 1 lit. b i. V. m. § 6a UStG (Art. 138 ff. MwStSystRL) von der Umsatzsteuer befreit. Durch die steuerliche Entlastung bei gleichzeitiger Beibehaltung des Rechts auf Vorsteuerabzug (vgl. § 15 Abs. 3 Nr. 1 lit. a UStG) soll das Bestimmungslandprinzip umgesetzt werden.452 Das Besteuerungsrecht am mutmaßlichen Verbrauch soll demjenigen Staat zukommen, in welchen die Lieferung des Gegenstands gelangt.453 Als Kompensation für die Abschaffung der Grenzkontrollen und der Möglichkeit einer physischen Überwachung der gelieferten Gegenstände schreiben die § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV (Art. 131, 273 MwStSystRL) Nachweispflichten vor.454 Sowohl bei der Ortsbestimmung (Steuerbarkeit) als auch bei der 448
Siehe Seite 100. Siehe Seite 109 ff. 450 Siehe Seite 110 ff. 451 Siehe Seite 112 ff. 452 Statt aller Söhn, StuW 1976, 1 (17 f.); Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 399. 453 Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 186. 454 Englisch, UR 2008, 481 (482); ders. / Becker / Kurzenberger, UR 2010, 285; ders., in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 413; Kurzenberger, Nachweisproblematik und Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, S. 18 f. 449
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Steuerfreiheit ist der Unternehmer dabei von Angaben seines Geschäftspartners abhängig455 (dazu I.). Die Prüfung des Vertrauensschutzes erfolgt wiederum in zwei Schritten (dazu II. und III.). I. Grundlagen zur innergemeinschaftlichen Lieferung Die Mitgliedstaaten befreien nach Art. 138 f. MwStSystRL die Lieferung von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft456 versandt oder befördert werden. Die Umsetzung der Steuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen erfolgt in § 4 Nr. 1 lit. b UStG. 1. Tatbestandliche Voraussetzungen Tatbestandlich handelt es sich nach § 6a UStG um eine innergemeinschaftliche Lieferung, wenn eine Lieferung im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG eine EU-Binnengrenze überschreitet.457 Die Vorschrift des § 6a UStG will eine Warenbewegung erfassen, was bedeutet, dass ein Fall vorliegen muss, in dem der Gegenstand befördert oder versendet wird.458 Da die Besteuerungshoheit dem Mitgliedstaat zufallen soll, in welchen die Lieferung gelangt, setzt eine innergemeinschaftliche Lieferung voraus, dass der Erwerb des Gegenstands der Lieferung im Mitgliedstaat des Abnehmers den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt, § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG. Der Tatbestand einer innergemeinschaftlichen Lieferung ist von gewissen Abnehmereigenschaften abhängig. Der liefernde Unternehmer kann nur eine innergemeinschaftliche Lieferung im rechtlichen Sinne durchführen, wenn sein Abnehmer entweder gemäß § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a UStG ein Unternehmer ist, der den Gegenstand für sein Unternehmen erworben hat, oder gemäß § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b UStG eine juristische Person ist, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat.
455
Vgl. Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 21; Oelmaier, DStR 2008, 1213 (1217); Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 127 ff.; Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 95. 456 Seit dem Vertrag von Lissabon (ABl. Nr. C 307/2007, S. 1 ff.) wird nicht mehr von einer „Europäischen Gemeinschaft“ gesprochen, sondern von der „Europäischen Union“. Gleichwohl spricht § 6a Abs. 1 S. 2 UStG von einer Lieferung in das „übrige Gemeinschaftsgebiet“. Die Arbeit orientiert sich daher am Wortlaut des UStG. 457 Grünwald, in: Hartmann / Metzenmacher, § 6a UStG (Oktober 2014), Rn. 62. 458 Grünwald, in: Hartmann / Metzenmacher, § 6a UStG (Oktober 2014), Rn. 62.
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2. Nachweispflichten, § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV Der Unternehmer muss die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung nachweisen. § 6a Abs. 3 S. 2 UStG ermächtigt das Bundesfinanzministerium durch Rechtsverordnung zu bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat, vgl. Art. 131 MwStSystRL. Hiervon wurde mit den §§ 17a ff. UStDV umfänglich Gebrauch gemacht. Es handelt sich um rein formelle Tatbestandsvoraussetzungen.459 Die Steuerfreiheit bleibt gegeben, wenn der Unternehmer das objektive Vorliegen der Steuerbefreiung anderweitig nachweisen kann.460 Den Nachweispflichten kommt damit – wie einer ordnungsgemäßen Rechnung – eine Funktion zur Verteilung der Beweislast zu (Substance-over-form).461 a) Neuregelungen zum 1.1.2020 Die sogenannten „Quick fixes“ des europäischen Gesetzgebers462 haben auch Auswirkung auf die Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen. Ab dem 1.1.2020 tritt neben die bereits bestehenden nationalen Nachweispflichten über den Buch- und Belegnachweis nach §§ 17a ff. UStDV ein neuer Art. 45a MwSt-DVO. aa) Vermutungsregelung nach Art. 45a MwSt-DVO Der Unionsgesetzgeber hat mit dem ab dem 1.1.2020 in Kraft getretenen Art. 45a MwSt-DVO463 eine unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltende widerlegbare Vermutungsregelung beim grenzüberschreitenden Warentransport geschaffen. 459
EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-146/05, Albert Collée, Slg. I 2007, 7880 (7892), Rn. 29 ff.; BFH, Urt. v. 8.11.2007 – V R 72/05, DStR 2008, 716, 2. Leitsatz; Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil C; Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 550; Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 84; Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 98; Weymüller, in: Weymüller2, § 6a UStG, Rn. 110.1; Englisch / Becker / Kurzenberger, UR 2010, 285 (287); Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 129 f.; Oelmaier, DStR, 2008, 1213; Wäger, DStR 2009, 1621 (1623); Küffner / Streit, BC 2012, 2; Heuermann, MwStR 2015, 798; vgl. Abschn. 6a.2 Abs. 3 Satz 5 UStAE; a. A. noch BFH, Urt. v. 30.3.2006 – V R 47/03, BB 2006, 1308 (1309); siehe zur älteren Rspr. und deren Entwicklung auch Bielefeld, DStR 2006, 355 (356 ff.). 460 BFH, Urt. v. 12.5.2009 – V R 65/06, BFHE 225, 264 (271); BFH, Urt. v. 12.5.2011 – V R 46/10, BFHE 234, 436 (439, 441), Rn. 14, 25; Robisch, in: Bunjes18, § 6a UStG, Rn. 54; R. Schwarz, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 6a UStG (September 2019), Rn. 193, m. w. N. 461 Achatz, DStJG 32 (2009), 461 (470 f.); Englisch, UR 2008, 481 (482 f.); Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 129 f. 462 Vgl. Richtlinie (EU) 2018/190 v. 4.12.2018, ABl. 2018 L 311/3. 463 Durchführungs-VO (EU) 2018/1912 des Rates vom 4.12.2018 zur Änderung der Durchführungs-VO (EU) 282/2011, ABl. EU Nr. L 311/2018, S. 10–11:
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Die Vermutung, dass Gegenstände der Lieferung von einem Mitgliedstaat an einen Bestimmungsort außerhalb dieses Mitgliedstaats, aber innerhalb der Gemeinschaft befördert oder versendet wurden, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen davon, wer den Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet „Art. 45a MwSt-DVO (1) Für die Zwecke der Anwendung der Befreiungen gemäß Artikel 138 der Richtlinie 2006/112/ EG wird vermutet, dass Gegenstände von einem Mitgliedstaat an einen Bestimmungsort außerhalb seines Gebiets, jedoch innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert wurden, wenn einer der folgenden Fälle eintritt: a. Der Verkäufer gibt an, dass die Gegenstände von ihm oder auf seine Rechnung von einem Dritten versandt oder befördert wurden, und entweder ist der Verkäufer im Besitz von mindestens zwei einander nicht widersprechenden Nachweisen nach Absatz 3 Buchstabe a, die von zwei verschiedenen Parteien ausgestellt wurden, die voneinander, vom Verkäufer und vom Erwerber unabhängig sind, oder der Verkäufer ist im Besitz eines Schriftstücks nach Absatz 3 Buchstabe a und einem nicht widersprechenden Nachweis nach Absatz 3 Buchstabe b, mit dem der Versand oder die Beförderung bestätigt wird, welche von zwei verschiedenen Parteien ausgestellt wurden, die voneinander, vom Verkäufer und vom Erwerber unabhängig sind. b. Der Verkäufer ist im Besitz folgender Unterlagen: i. einer schriftlichen Erklärung des Erwerbers, aus der hervorgeht, dass die Gegenstände vom Erwerber oder auf Rechnung des Erwerbers von einem Dritten versandt oder befördert wurden, und in der der Bestimmungsmitgliedstaat der Gegenstände angegeben ist; in dieser schriftlichen Erklärung muss Folgendes angegeben sein: das Ausstellungsdatum; Name und Anschrift des Erwerbers; Menge und Art der Gegenstände; Ankunftsdatum und -ort der Gegenstände; bei Lieferung von Fahrzeugen die Identifikationsnummer des Fahrzeugs; die Identifikation der Person, die die Gegenstände auf Rechnung des Erwerbers entgegennimmt; und ii. mindestens zwei einander nicht widersprechender Nachweise nach Absatz 3 Buchstabe a, die von zwei voneinander unabhängigen Parteien – vom Verkäufer und vom Erwerber – ausgestellt wurden, oder eines Schriftstücks nach Absatz 3 Buchstabe a zusammen mit einem nicht widersprechenden Nachweis nach Absatz 3 Buchstabe b, mit dem der Versand oder die Beförderung bestätigt wird, welche von zwei verschiedenen Parteien ausgestellt wurden, die voneinander, vom Verkäufer und vom Erwerber unabhängig sind. Der Erwerber legt dem Verkäufer die schriftliche Erklärung gemäß Buchstabe b Ziffer i spätestens am zehnten Tag des auf die Lieferung folgenden Monats vor. (2) Eine Steuerbehörde kann Vermutungen gemäß Absatz 1 widerlegen. (3) Für die Zwecke von Absatz 1 wird Folgendes als Nachweis des Versands oder der Beförderung akzeptiert: a. Unterlagen zum Versand oder zur Beförderung der Gegenstände wie beispielsweise ein unterzeichneter CMR-Frachtbrief, ein Konnossement, eine Luftfracht-Rechnung oder eine Rechnung des Beförderers der Gegenstände; b. die folgenden Dokumente: i. eine Versicherungspolice für den Versand oder die Beförderung der Gegenstände oder Bankunterlagen, die die Bezahlung des Versands oder der Beförderung der Gegenstände belegen; ii. von einer öffentlichen Stelle wie z. B. einem Notar ausgestellte offizielle Unterlagen, die die Ankunft der Gegenstände im Bestimmungsmitgliedstaat bestätigen; iii. eine Quittung, ausgestellt von einem Lagerinhaber im Bestimmungsmitgliedstaat, durch die die Lagerung der Gegenstände in diesem Mitgliedstaat bestätigt wird.“ (Hervorhebungen nur hier).
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und zum anderen davon, welche Nachweise für den Erhalt der Steuerbefreiung vorgebracht werden können. Erfolgt die Beförderung oder Versendung durch den Lieferanten, tritt die Vermutungsregelung ein, wenn er mindestens zwei sich nicht widersprechende Unterlagen zur Beförderung oder zum Versand der Gegenstände vorlegen kann, die jeweils von unterschiedlichen Parteien ausgestellt wurden,464 vgl. Art. 45a Abs. 1 lit. a MwSt-DVO. Bei einer Beförderung oder Versendung durch den Abnehmer ist zusätzlich eine Erklärung des Erwerbers erforderlich,465 vgl. Art. 45a Abs. 1 lit. b MwSt-DVO. So soll sichergestellt werden, dass der Gegenstand der Lieferung auch tatsächlich in das Bestimmungsland gelangt ist. In Art. 45a Abs. 3 lit. a und lit. b MwSt-DVO werden sodann die dem Unternehmer zur Verfügung stehenden Nachweisformen angeführt. bb) Neuregelung der §§ 17a ff. UStDV Die Bundesregierung hat sich aus Gründen der besseren Rechtsanwendung dazu entschlossen, die Vorgaben des Art. 45a MwSt-DVO im Wesentlichen wortgleich in einem neuen § 17a UStDV aufzunehmen.466 Da eine sekundärrechtliche Verordnung keiner wiederholenden Umsetzung bedarf, kann dieser Vorgang durchaus kritisiert werden. Der EuGH hält es allerdings für zulässig, wenn nationale Gesetzte den Wortlaut einer europäischen Verordnung im Interesse ihres inneren Zusammenhangs und ihrer Verständlichkeit für die Adressaten in bestimmten Punkten wiederholen.467 Im Ergebnis bleibt es jedenfalls dabei, dass die von Art. 45a MwStDVO vorgeschriebenen Nachweismöglichkeiten für eine Vermutungswirkung ausreichen. Innerhalb eines neuen § 17b Abs. 1 S. 1 UStDV verweist der Verordnungsgeber auf die ursprünglichen Nachweisregelungen über den Beleg- und Buchnachweis, sofern keine „Gelangensvermutung“ nach § 17a UStDV n. F. vorliegt. Die §§ 17a-17c UStDV a. F. sind mit den §§ 17b-17d UStDV n. F. inhaltsgleich. Für den liefernden Unternehmer bleiben damit die ursprünglichen Nachweismöglichkeiten über den Beleg- und Buchnachweis bestehen, sofern er die Vorgaben einer „Gelangensvermutung“ nach § 17a UStDV n. F. nicht einhalten will oder kann.
464
Becker, MwStR 2018, 957 (963). Becker, MwStR 2018, 957 (963). 466 BR-Drucks. 356/19, S. 40 f.; vgl. nachfolgend BGBl. I 2019, 2451 (2474 f.). 467 EuGH, Urt. v. 28.3.1983, Rs. 272/83, Kommission / Italien, Slg. I 1985, 1057 (1074), Rn. 27; vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 480. 465
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b) Verhältnis des Art. 45a MwSt-DVO zu §§ 17a ff. UStDV n. F. Die Vermutungsregelung in Art. 45a Abs. 1 MwSt-DVO entspricht weitgehend den Nachweisregelungen in §§ 17a ff. UStDV n. F.468 Eine Nachweisführung, die die Vorgaben des Art. 45a Abs. 1 MwSt-DVO einhält, wird nun einheitlich innerhalb der Europäischen Union zu einer Vermutungswirkung zugunsten des liefernden Unternehmers aufgewertet. Die §§ 17b-17d UStDV n. F. werden dadurch keinesfalls verdrängt, sondern treten neben die von den Mitgliedstaaten über Art. 131 MwStSystRL vorgesehenen Nachweisregelungen.469 Art. 45a Abs. 1 MwSt-DVO setzt im Verhältnis zu den §§ 17a ff. UStDV n. F. allenfalls eine „Höchstgrenze“ der erforderlichen Nachweispflichten, welche die Mitgliedstaaten nicht durch ihre nationalen Nachweisregelungen überschreiten können.470 Nach Art. 45a Abs. 2 MwSt-DVO hat die Finanzverwaltung die Möglichkeit, diese Vermutungswirkung zu widerlegen. Es kommt allerdings die Frage auf, ob sich der Unternehmer im Anschluss an die Widerlegung auf Vertrauensschutz berufen kann.471 Zur Lösung dieser Problematik ist wiederum zwischen überprüfbaren und nicht überprüfbaren Angaben zu differenzieren.472 3. Nationale Vertrauensschutzregelung, § 6a Abs. 4 UStG Die innergemeinschaftlichen Lieferungen sind der einzige Teilbereich des Umsatzsteuergesetzes, der in § 6a Abs. 4 UStG eine nationale Vertrauensschutzvorschrift enthält, wenn der liefernde Unternehmer die Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, weil die Angaben des Geschäftspartners unzutreffend sind, und der Unternehmer die Unrichtigkeit der Angaben bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Sekundärrechtlich ist eine solche Vertrauensschutzregelung in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen.473 Die Regelung beruht auf einer gemeinsamen Protokollerklärung, die der Rat und die Kommission bei der Annahme der Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16.12.1991474 abgegeben haben.475 Die Lieferung ist dann laut § 6a Abs. 4 S. 1 UStG „gleichwohl als steuerfrei anzusehen“. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 UStG schuldet in diesem Fall der Abnehmer die „entgangene Steuer“. 468
Becker, MwStR 2018, 957 (963); Höink, BB 2019, 87 (88). Monfort, UR 2019, 407 (410); Becker, MwStR 2019, 812 (816); Weymüller, DStR 2020, 185 (191). 470 Monfort, UR 2019, 407 (411); vgl. Szabó / Tausch, UVR 2019, 53 (59). 471 Bejahend Becker, MwStR 2018, 957 (964); vgl. Szabó / Tausch, UVR 2019, 53 (60). 472 Eingehend dazu sogleich auf Seite 129 ff. 473 Vgl. statt vieler Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, S. 286, m. w. N. 474 ABl. EG Nr. L 376/1991, S. 1 ff. 475 Abgedruckt bei Lohse / Peltner, 6. MwSt-Richtlinie und Rechtsprechung des EuGH, Art. 28c 6. USt-RL, S. 5; vgl. dazu BT-Drucks. 12/2463, S. 31; Rokos, UR 1992, 89 (100 f.); Robisch, in: Bunjes18, § 6a UStG, Rn. 81. 469
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a) Ursprüngliche Kritik an § 6a Abs. 4 UStG Der fehlende sekundärrechtliche Rückhalt ließ in der Vergangenheit Zweifel an der Existenzberechtigung des § 6a Abs. 4 UStG aufkommen.476 Die Norm sei nicht geeignet, den stetigen Herausforderungen des Umsatzsteuerbetrugs wirksam zu begegnen, da ein immenser Verwaltungsaufwand getätigt werden müsse, um zu klären, ob der Unternehmer die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hat walten lassen.477 § 6a Abs. 4 UStG sei diesbezüglich inhaltlich zu unbestimmt und biete dem betrogenen Unternehmern keine hinreichende Sicherheit.478 Die Vorschrift widerstrebe einer praktikablen Rechtsanwendung und sei für den Rechtsanwender wegen umfänglicher Auslegungsschwierigkeiten eine „Katastrophe“.479 Es sei nicht möglich den Vertrauensschutz aus dem Übermaßverbot oder Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleiten, sondern es müsse dem Unternehmer aufgrund fehlender Sorgfaltsmaßstäbe das Ausfallrisiko bei Falschangaben des Geschäftspartners auferlegt werden.480 § 6a Abs. 4 UStG stelle eine Einladung zum Steuermissbrauch dar, welche umgehend wieder abgeschafft werden sollte, zumal sie von der Richtlinie nicht vorgesehen sei.481 Die Abschaffung des § 6a Abs. 4 UStG legte auch der Bundesrechnungshof dem Gesetzgeber in einem Vorschlag zur Gesetzesänderung vom 3.9.2003 aufgrund der hohen Missbrauchsgefahr nahe.482 b) Deklaratorischer Regelungsgehalt des § 6a Abs. 4 UStG Die dargestellte Kritik an § 6a Abs. 4 UStG hat sich – wie zuvor von Gegenstimmen in der Literatur erhofft483 – überzeugenderweise nicht durchgesetzt.484 Der EuGH urteilte in der Rechtssache Teleos, dass bei innergemeinschaftlichen Lieferungen der damalige Art. 28c Teil A lit. a UAbs.1 der 6. EG-Richtlinie dahin auszulegen sei, dass die zuständigen Behörden des Liefermitgliedstaats nicht befugt sind, einem gutgläubigen Lieferanten, der zunächst Belege zum Nachweis seiner Steuerbefreiung vorweisen konnte, die Steuerbefreiung zu versagen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Nachweise unzutreffend sind und dem 476 Vgl. Saß, Diskussionsbeitrag, in: JbFSt. 2004/05, S. 537 (542); bzgl. der Parallelregelung in § 7 Abs. 4 öUStG Pichler, Umsatzsteuerliche Formalpflichten bei Ausfuhr- und innergemeinschaftlichen Lieferungen, S. 136 ff. 477 Pump, UStB 2007, 165 (166 f.); vgl. Klawikowski / Leitmeier / Zühlke, StBp 2002, 121 (127 f.). 478 Pump, UStB 2007, 165 (167 ff.). 479 Pump, UStB 2007, 165 (167). 480 So ausdrücklich Pump, UStB 2007, 165 (168); vgl. dens., UStB 2007, 73 (74). 481 Pump, UStB 2007, 165 (171); ders., UStB 2007, 73 (76); krit. auch Wagner, Diskussionsbeitrag, in: JbFSt. 2004/05, S. 537 (541 f.); ähnlich Fumi, EFG 2004, 1877 (1878). 482 BRH, Bericht nach § 99 BHO über die Steuerausfälle bei der Umsatzsteuer durch Steuerbetrug und Steuervermeidung vom 3.9.2003, BT-Drucks. 15/1495, S. 3; zust. Ammann, UR 2005, 533 (536); offenlassend Kraeusel, in: FS für W. Reiß, S. 297 (319), der die Streichung des § 6a Abs. 4 UStG als „fakultative Maßnahme“ einordnet. 483 Statt vieler Winter, UR 2005, 247 (249); Theile, UR 1993, 73 (73 f.). 484 Schaumburg, in: FS für W. Reiß, S. 25 (35) geht von einem „normative[n] Minimum“ aus.
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Steuerpflichtigen keine Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich einer Steuerhinterziehung nachgewiesen werden kann und er die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns beachtet hat.485 Der EuGH leitete dieses Ergebnis erstens aus dem Gebot der Rechtssicherheit her, denn der Steuerpflichtige müsse bei einer Regelung, die sich für ihn finanziell belastend auswirken kann, in der Lage sein, den Umfang der auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen.486 Zweitens ist nach dem EuGH der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, wenn es um die Frage geht, wie einer Steuerhinterziehung im innergemeinschaftlichen Erwerb wirksam entgegengewirkt werden kann.487 Eine Belastung des Steuerpflichtigen mit Umsatzsteuer würde zudem dem Grundsatz der Neutralität widersprechen488 und den Steuerpflichtigen schlechter stellen als vor der Abschaffung der Grenzkontrollen, welche einen Handel zwischen den Staaten fördern und nicht behindern sollte489. Nach dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer soll nur der Endverbraucher mit der Umsatzsteuer wirtschaftlich belastet werden und nicht der in Dienst genommene Unternehmer.490 Der EuGH hat diese Argumentationslinie in jüngeren Entscheidungen konsequent weiterverfolgt.491 Trotz der fehlenden sekundärrechtlichen Verknüpfung ergibt sich die Daseinsberechtigung des § 6a Abs. 4 UStG aus der Berücksichtigung dieser vom EuGH aufgestellten Rechtsgrundsätze.492 Dadurch kommt § 6a Abs. 4 UStG lediglich ein deklaratorischer Charakter zu, sodass die Norm nicht ausdrücklich hätte eingeführt werden müssen.493 Sie ist zwar sekundärrechtlich nicht vorgesehen, bildet aber den primärrechtlich abgeleiteten Schutz494 des Unternehmers vor Falschangaben seines Geschäftspartners zutreffend ab. 485
EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7857), Rn. 68. EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7852), Rn. 48. 487 EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7854 f.), Rn. 58. 488 EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7855), Rn. 60. 489 EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7855 f.), Rn. 61 f.; vgl. Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (465). 490 Darauf verweist zu Recht Schaumburg, in: FS für W. Reiß, S. 25 (34 f.); vgl. Neeser, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 829 (832). 491 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (796), Rn. 18; bereits auch EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. 146/05, Albert Collée, Slg. I 2007, 7880 (7893 f.), Rn. 34 ff.; EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-184/05, Twoh International, IStR 2007, 745 (746), Rn. 28 f.; siehe dazu Hummel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. 14.180; Nieskens, UR 2008, 812 (813), jeweils m. w. N. 492 BFH, Urt. v. 12.5.2011 –V R 46/10, DStR 2011, 1709 (1712), Rn. 29; Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil B; Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (465); Henze, EU-UStB 2007, 89 (91 f.); Lippross, Umsatzsteuer, S. 1496. 493 Hummel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. 14.180; Stadie, UStG-Kommentar, § 6a UStG, Rn. 88; Dietlein / Mehrbrey, BB 2001, 446 (449 f.); Widmann, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 15 UStG (September 2019), Rn. 73a. Für eine Konkretisierung der unionsrechtlichen Vorgaben Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 41; Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 99. A. A. Reiß, UR 2017, 254 (262), der eine „gesetzgeberische Umsetzung“ für notwendig erachtet. 494 Näher dazu Seite 210 ff. 486
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
4. Sonderfälle innergemeinschaftlicher Lieferungen Oftmals sind bei innergemeinschaftlichen Lieferungen mehr Personen einbezogen als nur der inländische Lieferant und der innergemeinschaftliche Abnehmer. Dadurch kommt es im innergemeinschaftliche Warenaustausch insbesondere zu Reihen- und Dreiecksgeschäften. a) Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte zeichnen sich dadurch aus, dass mindestens drei innereuropäische Unternehmer über einen Gegenstand Lieferverträge abschließen und die Erfüllung der vertraglichen Pflichten dadurch erfolgt, dass der Gegenstand vom ersten Lieferanten unmittelbar zum letzten Abnehmer gelangt.495 Über denselben Liefergegenstand werden mehrere Lieferumsätze getätigt, der Gegenstand der Lieferung gelangt allerdings vom ersten Lieferant an den letzten Abnehmer.496 Die Steuerbefreiung der Lieferung hängt davon ab, welchem der Liefergegenstände die Warenbewegung zugeordnet wird.497 Die Steuerbefreiung kommt ausschließlich bei der sogenannten „bewegten Lieferung“ in Betracht. Alle übrigen Lieferungen werden als „ruhende Lieferungen“ bezeichnet. Der Unternehmer, der innerhalb eines Reihengeschäfts folglich eine Steuerbefreiung beanspruchen möchte, muss daher seine Lieferung als die innerhalb der Lieferkette warenbewegte zuordnen. Die Zuordnung der Lieferung zur Warenbewegung bereitete über längere Zeit Schwierigkeiten.498 Der EuGH hat für die Zuordnung der Warenbewegung maßgeblich die Übertragung der Verfügungsmacht herangezogen.499 Auch der BFH nahm die Entscheidung über die Zuordnung der Warenbewegung in seiner jüngeren Rechtsprechung nur noch auf der Grundlage der Verschaffung der Verfügungs 495
Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 6.4.2006, Rs. C-245/04, Handel Eder OHG, DStR 2006, 699 (702), Rn. 38; Hassa, Die umsatzsteuerliche Behandlung von Reihengeschäften, S. 52 ff.; Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, S. 111; Leonard, in: Bunjes18, § 3 UStG, Rn. 206; Höink, BB 2018, 23 (27). 496 Höink, BB 2018, 23 (27). 497 EuGH, Urt. v. 26.7.2017, Rs. C-386/16, Toridas, DStR 2017, 1819 (1821), Rn. 34; EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DStR 2011, 23 (25), Rn. 27; EuGH, Urt. v. 6.4.2006, Rs. C-245/04, Handel Eder OHG, DStR 2006, 699 (703), Rn. 45; Heuermann, DStR 2018, 2078 (2079); Robisch, in: Bunjes18, § 6a UStG, Rn. 31; Höink, BB 2018, 23 (27 f.). 498 Vgl. Heuermann, DStR 2018, 2078; Wäger, UR 2015, 576; Heinrichshofen, UVR 2018, 206 (207); Nieskens, DStR 2017, 1963 (1964 f.); Höink / Hudasch, UStB 2015, 198 (198 ff.); Koemm, JuS 2013, 690 (693). Zum UStÄndG 1997 bereits Heuermann, UR 1998, 5 (5 ff., 12), der zu dem Ergebnis gelangt, dass dieses für den Unternehmer kein „Mehr an Rechtssicherheit“ bietet. 499 St. Rspr.: EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, DStR 2018, 461 (464), Rn. 32; EuGH, Urt. v. 26.7.2017, Rs. C-386/16, Toridas, DStR 2017, 1819 (1821), Rn. 35 f.; EuGH, Urt. v. 27.9.2012, Rs. C-587/10, VSTR, DStR 2012, 2014 (2016 f.), Rn. 32; vgl. dazu Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 3 UStG (September 2018), Rn. 478.
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macht vor.500 Jedoch zeigten sich zwischen den Mitgliedstaaten unterschiedliche Kriterien für die Zuordnung der warenbewegten Lieferung.501 Für den liefernden Unternehmer führte dies oftmals zu irrigen Beurteilungen, die sich erst im Nachhinein herausstellten.502 Die Europäische Kommission hat aus diesem Grund vorgeschlagen, den Tatbestand des Reihengeschäfts und die Zuordnung der Warenbewegung in einem Art. 138a MwStSystRL neu zu regeln.503 Aufgrund der rechtssystematischen Zugehörigkeit zum Ort der Lieferung von Gegenständen504 erfolgte die Neuregelung in Art. 36a MwStSystRL505 und dessen Umsetzung in einem neu eingefügten § 3 Abs. 6a UStG.506 Die Zuordnung der Warenbewegung hängt demnach davon ab, wer den Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet. Grundsätzlich ist die warenbewegte Lieferung die Lieferung an den ersten 500
BFH, Urt. v. 25.5.2015 – XI R 15/14, BFHE 249, 343 (354), Rn. 59 mit Verweis auf BFH, Urt. v. 6.12.2007 – V R 24/05, BFHE 219, 476 (481 f.). 501 Instruktiv dazu Langenhövel, BB 2018, 2583 (2583 ff.), m. w. N. 502 Reiß, MwStR 2018, 296; vgl. Höink, BB, 2019, 23 (28). 503 KOM (2017), 569 endg., S. 21 f. 504 Siehe dazu Heuermann, DStR 2018, 2078 (2079); Körner, MwStR 2017, 940 (942). 505 Eingefügt durch Richtlinie (EU) vom 4.12.2018, ABl. EU Nr. L 311/2018, S. 3. „Artikel 36a MwStSystRL (1) Werden dieselben Gegenstände nacheinander geliefert und werden diese Gegenstände aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat unmittelbar vom ersten Lieferer bis zum letzten Erwerber in der Reihe versandt oder befördert, so wird die Versendung oder Beförderung nur der Lieferung an den Zwischenhändler zugeschrieben. (2) Abweichend von Absatz 1 wird die Versendung oder Beförderung nur der Lieferung von Gegenständen durch den Zwischenhändler zugeschrieben, wenn der Zwischenhändler seinem Lieferer die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer mitgeteilt hat, die ihm vom Mitgliedstaat, aus dem die Gegenstände versandt oder befördert werden, erteilt wurde. (3) Für die Zwecke dieses Artikels bezeichnet der Ausdruck „Zwischenhändler“ einen Lieferer innerhalb der Reihe (mit Ausnahme des ersten Lieferers in der Reihe), der die Gegenstände selbst oder auf seine Rechnung durch einen Dritten versendet oder befördert. (4) Dieser Artikel gilt nicht für Fälle nach Artikel 14a.“ (Hervorhebungen nur hier). 506 BGBl. I 2019, 2451 (2468): „§ 3 UStG (6a) 1Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Liefergeschäfte ab und gelangt dieser Gegenstand bei der Beförderung oder Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer (Reihengeschäft), so ist die Beförderung oder Versendung des Gegenstands nur einer der Lieferungen zuzuordnen. 2Wird der Gegenstand der Lieferung dabei durch den ersten Unternehmer in der Reihe befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen. 3Wird der Gegenstand der Lieferung durch den letzten Abnehmer befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen. 4Wird der Gegenstand der Lieferung durch einen Abnehmer befördert oder versendet, der zugleich Lieferer ist (Zwischenhändler), ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung an ihn zuzuordnen, es sei denn, er weist nach, dass er den Gegenstand als Lieferer befördert oder versendet hat. 5Gelangt der Gegenstand der Lieferung aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates und verwendet der Zwischenhändler gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung eine UmsatzsteuerIdentifikationsnummer, die ihm vom Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung erteilt wurde, ist die Beförderung oder Versendung seiner Lieferung zuzuordnen. […]“ (Hervorhebungen nur hier).
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
Zwischenhändler im Sinne des Art. 36a Abs. 3 MwStSystRL.507 Diese Vermutungsregelung gilt jedoch nur in dem Fall, in dem auch tatsächlich ein Zwischenhändler aufgetreten ist, sodass in allen anderen Fällen die Warenbewegung demjenigen zugeordnet wird, der sie tatsächlich befördert oder versendet.508 Es kann auch nach der Neuregelung vorkommen, dass der Unternehmer seine Lieferung irrigerweise als die innerhalb des Reihengeschäfts warenbewegte und damit steuerfreie ansieht. Wird deshalb die Steuerbefreiung nachträglich durch die Finanzbehörde versagt, stellt sich wiederum die Frage eines Vertrauensschutzes im Hinblick auf die Zuordnung der Warenbewegung innerhalb des Reihengeschäfts. b) Innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte, § 25b UStG Das innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäft ist in § 25b UStG normiert und beruht auf den Art. 140, 141 MwStSystRL. Danach müssen drei Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte (vgl. § 3 Abs. 6 S. 5 UStG) abschließen und es muss dieser Gegenstand unmittelbar vom ersten Lieferant an den letzten Abnehmer gelangen, § 25b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG. Darüber hinaus müssen die Unternehmer in jeweils unterschiedlichen Mitgliedstaaten für Zwecke der Umsatzsteuer erfasst sein, § 25b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG, und der Gegenstand der Lieferung muss aus dem Gebiet eines Mitgliedstaats in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats gelangen, § 25b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG. Als letzte Voraussetzung muss der Gegenstand der Lieferung durch den ersten Lieferanten oder den ersten Abnehmer befördert oder versendet werden, § 25b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG. Das innergemeinschaftliche Reihengeschäft ist demnach gegenüber dem innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft der allgemeinere Begriff.509 Insgesamt führen aber auch in diesem Fall die aufeinanderfolgenden Lieferungen desselben Gegenstands nur zu einer einzigen innergemeinschaftlichen Beförderung oder Versendung.510 Das innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäft hat gegenüber dem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft für den Unternehmer in der Mitte der Lieferkette den Vorteil, dass dieser sich nicht im Bestimmungsmitgliedstaat registrieren lassen muss.511 Dies wird dadurch erreicht, dass § 25b Abs. 3 UStG 507
Höink, BB 2018, 23 (28). Höink, BB 2018, 23 (28); Heuermann, DStR 2018, 2078. 509 Robisch, in: Bunjes18, § 25b UStG, Rn. 5; Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 25b UStG (September 2018), Rn. 7; Brandl, in: Weymüller2, § 25b UStG, Rn. 11; Janzen, in: Lippross / Seibel, § 25b UStG (Juni 2019), Rn. 6. 510 EuGH, Urt. v. 6.4.2006, Rs. C-254/04, Handel Eder OHG, DStR 2006, 699 (703), Rn. 45; EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DStR 2011, 23 (25), Rn. 21; EuGH, Urt. v. 27.9.2012, Rs. C-587/10, VSTR, DStR 2012, 2014 (2016 f.), Rn. 31 ff.; Robisch, in: Bunjes18, § 25b UStG, Rn. 3. 511 Vgl. Abschn. 25b.1 Abs. 1 Satz 2 UStAE; BR-Drucks. 390/96, S. 82. Siehe ferner Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 25b UStG (September 2018), Rn. 5; Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 25b UStG (September 2018), Rn. 2; Brandl, in: Weymnüller, § 25b UStG, Rn. 8. 508
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i. V. m. § 3d S. 2 UStG die Besteuerung der innergemeinschaftlichen Lieferung im Bestimmungsland und in dem Land, in dem der Unternehmer in der Mitte seine USt-IdNr. verwendet, fingiert. Die Steuerschuld geht nach § 25b Abs. 2 UStG auf den letzten Abnehmer über.512 Würde es die Vereinfachungsregel des § 25b UStG nicht geben, müsste der mittlere Unternehmer wie beim innergemeinschaftlichen Erwerb die Lieferung in dem Land versteuern, in welchem die Beförderung oder Versendung endet, und hätte eine anschließende Inlandslieferung an den Empfänger zu versteuern.513 c) Ausfuhrreihengeschäfte Der neue § 3 Abs. 6a UStG sieht auch für einen Drittlandbezug Zuordnungskriterien vor.514 Auch hier ist die Exportlieferung dem Zwischenhändler zuzuordnen, wenn er den Gegenstand der Lieferung befördert oder versendet und dem ersten Abnehmer die USt-IdNr. des Abgangslandes mitteilt.515 Vertrauensschutz kann auch in dieser Konstellation relevant werden, wenn bei falschen Angaben des Geschäftspartners die Warenbewegung unzutreffend zugeordnet wird.516 II. Erster Schritt: Erfassung der relevanten Tatbestandsmerkmale Die Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen bereitet dem liefernden Unternehmer oftmals Schwierigkeiten.517 Um eine Steuerbefreiung geltend machen zu können, ist der liefernde Unternehmer im innergemeinschaftlichen Warenverkehr auf die Angaben seines Abnehmers ange-
512
Vgl. dazu Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 25b UStG (September 2018), Rn. 5. Robisch, in: Bunjes18, § 25b UStG, Rn. 6; Gehm, in: Hartmann / Metzenmacher, § 25b UStG (August 2017), Rn. 3. 514 BGBl. I 2019, 2451 (2468 f.): „§ 3 UStG (6a) […] 6Gelangt der Gegenstand der Lieferung in das Drittlandsgebiet, ist von einem ausreichenden Nachweis nach Satz 4 auszugehen, wenn der Zwischenhändler gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder Steuernummer verwendet, die ihm vom Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung oder Versendung erteilt wurde. 7 Gelangt der Gegenstand der Lieferung vom Drittlandsgebiet in das Gemeinschaftsgebiet, ist von einem ausreichenden Nachweis nach Satz 4 auszugehen, wenn der Gegenstand der Lieferung im Namen des Zwischenhändlers oder im Rahmen der indirekten Stellvertretung (Artikel 18 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. L 269 vom 10.10.2013, S. 1) für seine Rechnung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldet wird.“ (Hervorhebungen nur hier). 515 Vgl. Grambeck, MwStR 2019, 438; Höink, BB 2019, 23 (27). 516 Vgl. dazu sogleich S. 149 ff. 517 Vgl. Wäger, BFH / PR 2017, 30; Hassa, UR 2015, 809 (812). 513
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wiesen.518 Zum Zwecke einer Steuerhinterziehung kommt es häufig vor, dass die Angaben des Geschäftspartners gefälscht sind oder an formellen Mängeln leiden.519 Dabei kann es in ganz unterschiedlichen Situationen zu Falschangaben des Abnehmers kommen, was dazu führt, dass die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nachträglich zu einem Zeitpunkt versagt werden, in welchem der Unternehmer nicht mehr in der Lage sein wird, die Umsatzsteuer über den Preis auf seinen Abnehmer abzuwälzen.520 In diesem Zeitpunkt wird es auch kaum mehr möglich sein, andere Beweise vorzubringen, die das materielle Vorliegen der Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nachweisen würden.521 Die Abschaffung der physischen Grenzkontrollen innerhalb des europäischen Binnenmarktes brachte folglich die Fragestellung auf, wie zu verfahren ist, wenn die zu Kontrollzwecken erforderlichen Angaben des Geschäftspartners im innergemeinschaftlichen Warenverkehr nicht zutreffen.522 Ohne einen Vertrauensschutz besteht die Gefahr, dass der Lieferant in Folge der Falschangaben des Abnehmers neutralitätswidrig mit Umsatzsteuer belastet wird.523 1. Bilaterale innergemeinschaftliche Liefergeschäfte Innerhalb eines bilateralen innergemeinschaftlichen Lieferungsgeschäfts gemäß § 6a Abs. 1 UStG kann es zu unterschiedlichen Fallgruppen kommen, in denen der Unternehmer für die Gewährung der Steuerbefreiung auf die Angaben seines Geschäftspartners angewiesen ist. Auf die unterschiedlichen Fallkonstellationen wird im Folgenden näher eingegangen. a) Unternehmereigenschaft des Abnehmers Für den Lieferanten besteht bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung durch das vermehrte Auftreten von Umsatzsteuerkarussellgeschäften die erhöhte Gefahr, an einen Scheinunternehmer („missing trader“) zu geraten.524 Die Problematik der Scheinunternehmerschaft des Geschäftspartners stellt sich folglich nicht nur auf 518
Schaumburg, in: FS für W. Reiß, S. 25 (34); Widmann, in: Ismer / Nieskens, UmsatzsteuerKongress-Bericht 2014, S. 7 (19 f.); Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 413; Hassa, UR 2015, 809; R. Schwarz, in: Widmann / Schwarz / Radeisen, § 6a UStG (Juni 2018), Rn. 312; von Streit, UStB 2012, 288 (289); Schrömbges, AW-Prax 2012, 421 (422). 519 Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 127. 520 Scheller / Schrömbges, Grenzüberschreitender Warenverkehr aus Sicht der Umsatzsteuer, S. 51; vgl. Henze, EU-UStB 2007, 89 (92); Streit / Schwarz, NWB 2017, 3632 (3636). 521 Lehr, DStR 2005, 586. 522 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (19); vgl. Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 413, 415. 523 Vgl. Schaumburg, in: FS für W. Reiß, S. 25 (34). 524 Vgl. Grube, MwStR 2013, 8 (11); F. Lang, in: Weimann / Lang, § 6a UStG, Rn. 181.
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der Seite des Vorsteuerabzugs, sondern auch auf der Seite der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung. aa) Scheinunternehmerschaft des Abnehmers War der Abnehmer gegenüber dem Lieferanten als Scheinunternehmer tätig, liegt der Tatbestand einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung nicht vor.525 Für die Steuerfreiheit der Lieferung müssen gemäß § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UStG sowohl der Lieferant als auch der Abnehmer Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG sein. Kauft der Abnehmer mit einer fremden USt-IdNr. vom Lieferanten ein, führt dies im Regelfall dazu, dass der liefernde Unternehmer mit einem Scheinunternehmer kontrahiert.526 Eine einfache Bestätigung der angegebenen USt-IdNr. nach § 18e UStG hilft dabei, wie auch bei nachträglicher Aberkennung der Unternehmereigenschaft,527 nicht weiter.528 Ein Vertrauensschutz des Lieferanten529 muss allerdings – wie im Vorsteuerabzugsrecht – im Zusammenhang mit den formellen Nachweispflichten beurteilt werden. Diese hängen maßgeblich damit zusammen, ob das Vertrauen des Unternehmers in die Angaben des Abnehmers zur Unternehmereigenschaft schutzwürdig ist.530 bb) Auseinanderfallen von angeblichem und tatsächlichem Abnehmer Die Gründe für das Auftreten eines Scheinunternehmers sind vielseitig. Häufig liegen sie darin, dass ein Hintermann verdeckt werden soll und der Scheinunternehmer nur vorgeschoben wird.531 So wird häufig der arglose „buffer“ im Umsatzsteuerkarussell herangezogen, um für den Hintermann weiterzuliefern.532 Die verbreitete Annahme, dass sich die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG ausschließlich auf die tatsächliche Unternehmereigenschaft des Abnehmers, die Verwendung des Liefergegenstands für das Unternehmen oder die körperliche Warenbewegung beziehe und nicht auf die Identität des angeblichen
525
Vgl. BFH, Urt. v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BFHE 239, 516 (521), Rn. 23. Schumann, UVR 1993, 300. 527 Vgl. EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 (802), Rn. 64. 528 Vgl. dazu Nieskens, in: Rau / Dürrwächter, § 18e UStG (März 2019), Rn. 30. 529 Vgl. dazu Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 299; Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 822; Schumann, UVR 1993, 300; Englisch / Becker / Kurzenberger, UR 2010, 285 (297 f.); krit. Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 647. 530 Siehe dazu sogleich Seite 132 ff. 531 Schiessl / Krüger, BB 2003, 1468. 532 Vgl. dazu Hellmann, wistra 2005, 161 (164); Gehm, NWB 2012, 3237 (3238); Oellerich, Defizitärer Vollzug des Umsatzsteuerrechts, S. 34. 526
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Abnehmers mit dem tatsächlichen Abnehmer,533 ist dogmatisch nicht stimmig.534 Vielmehr kann auch ein vorgeschobener Scheinunternehmer der tatsächliche Abnehmer sein.535 Zu einem Vertrauensschutz bezüglich eines Auseinanderfallens von angeblichem und tatsächlichen Abnehmer kommt es dann nicht mehr, weil der angebliche Abnehmer rechtlich als tatsächlicher Abnehmer qualifiziert wird.536 Der Vertrauensschutz bezieht sich dann darauf, dass entweder der angebliche Abnehmer selbst nicht als Unternehmer aufgetreten ist oder der Hintermann, der vereinbarungsgemäß der Abnehmer sein sollte537, kein Unternehmer ist.538 Möglich ist auch, dass der Abnehmer die Ware gar nicht für sein Unternehmen erwirbt.539 Es ist damit die Sorgfältigkeit des Lieferanten bezüglich der Eigenschaften des umsatzsteuerlichen Abnehmers relevant.540 Unklarheiten über die Zuordnung wirken sich zu Lasten des liefernden Unternehmers aus.541 b) Unrichtiger Beleg- oder Buchnachweis Es stellt sich die Frage, wie sich das Einhalten der formellen Nachweispflichten (§ 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV n. F.) auf den Vertrauensschutz hinsichtlich materieller Tatbestandsmerkmale auswirkt. aa) Verhältnis der formellen Nachweise zum Vertrauensschutz Die ständige Rechtsprechung vertritt die Auffassung, dass dem Unternehmer kein Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG zusteht, wenn er nicht zuvor die formalen Anforderungen gemäß § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a-17c UStDV a. F. ihrer Art nach eingehalten hat.542 Dieser Ansicht ist insoweit zu folgen, als es für die Gewährung von Vertrauensschutz nicht auf die inhaltliche Richtigkeit der formellen
533
So etwa FG Bremen, Beschl. v. 18.8.2003 – 2 V 593/02, u. a., EFG 2003, 1737 (1737 f.); Grünwald, in: Hartmann / Metzenmacher, § 6a UStG (Dezember 2014), Rn. 247. 534 Hellmann, wistra 2005, 161 (164 ff.); vgl. F. Lang, in: Weimann / Lang, § 6a UStG, Rn. 182. 535 BFH, Beschl. v. 5.2.2004 – V B 180/03, BFH / N V 2004, 988 (989); BFH, Urt. v. 15.7.2004 – V R 1/04, BFH / N V 2005, 81 (83). 536 Schiessl / Krüger, BB 2003, 1468 (1471); vgl. Bülte, CCZ 2009, 98 (100). 537 Vgl. BFH, Beschl. v. 5.2.2004 – V B 180/03, BFH / N V 2004, 988 (989), Rn. II.2.b. 538 Vgl. Englisch / Becker / Kurzenberger, UR 2010, 285 (298). 539 Vgl. BGH, Beschl. v. 12.10.2016 – 1 StR 210/16, NZWiSt 2018, 103 (104 f.), Rn. 18. 540 Kurzenberger, Nachweisproblematik und Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, S. 75; vgl. dazu Englisch / Becker / Kurzenberger, UR 2010, 285 (298); Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 299; Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 823. 541 Vgl. Abschn. 6a.8 Abs. 8 UStAE. 542 BFH, Urt. v. 10.8.2016 – V R 45/15, MwStR 2016, 956 (967), Rn. 21; FG München, Urt. v. 28.10.2014 – 2 K 1412/11, MwStR 2015, 651 (654), jeweils m. w. N.
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Nachweise ankommt,543 denn dies würde den Vertrauensschutz leerlaufen lassen, wenn der Lieferant die Angaben nicht überprüfen kann.544, 545 (1) Vermutungswirkung der formellen Nachweispflichten Die Erfüllung der durch Verordnung vorgeschriebenen Nachweispflichten stellt eine gesetzliche Vermutung für das Vorliegen der materiell-rechtlichen Befreiungsvoraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung dar.546 Hieran hat sich durch die Neuregelung der §§ 17a ff. UStDV nach der Einführung des Art. 45a MwSt-DVO547 nichts geändert. § 17a UStDV n. F. stellt im Wesentlichen wortgleich mit den Vorgaben des Art. 45a MwSt-DVO eine „Gelangensvermutung“ auf. Diese unmittelbar geltende Vermutungsregelung des Art. 45a MwSt-DVO wirkt nicht abschließend. Vielmehr stellt sie eine in sämtlichen Mitgliedstaaten geltende Regelung dar, die jedenfalls dann eingreift, wenn der Steuerpflichtige die dort geschilderten Voraussetzungen einhält. Nach Art. 131 MwStSystRL steht es den Mitgliedstaaten weiterhin offen, die formalen Voraussetzungen zum Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferungen zu regeln. Hält der Unternehmer folglich die Bestimmungen der §§ 17b-17d UStDV n. F. ein, führt dies ebenfalls zu einer Vermutungswirkung, dass der Tatbestand einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegt. Kann der Unternehmer die formalen Anforderungen schon ihrer Art nach nicht erfüllen, ist die Steuerbefreiung aus diesem Grund zu versagen, wenn dadurch die Tatbestandsvoraussetzungen, sofern diese nicht durch andere Beweismittel zweifelsfrei feststehen548, nicht sicher nachgewiesen werden können oder eine Beteiligung an einer Steuerhinterziehung oder einem Missbrauch vorliegt.549 543 Die Gegenauffassung, vgl. Kraeusel, UR 2005, 187 (189 ff.); Vanheiden, UStB 2003, 276 (279); Lembke, DStR 2009, 1290 (1296), ist überholt. Insbesondere aufgrund der Einordnung der §§ 17a ff. UStDV (a. F. und n. F.) als bloße formelle Nachweispflichten ist die Forderung, dass die Gewährung von Vertrauensschutz eine inhaltliche Richtigkeit dieser Angaben voraussetze, nicht haltbar; zutreffend Englisch, UR 2008, 481 (491); Winter, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 853 (863); Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 295. 544 Vgl. Kußmaul / Sopp, DB 2009, 201 (203); Küffner / L anger, DB 2008, 1116 (1118). 545 Reiß, UR 2017, 254 (262) betont diesbezüglich zu Recht, dass sich ein Vertrauensschutz nur insoweit ergeben kann, als die inhaltliche Unrichtigkeit der formellen Nachweise auf Falschangaben des Abnehmers zurückzuführen ist. Dazu sogleich im Folgenden. 546 BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, MwStR 2015, 816 (820), Rn. 44; BFH, Urt. v. 28.8.2014 – V R 16/14, DStR 2014, 2124 (2125), Rn. 14; Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 130; Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (470 f.); Lippross, Umsatzsteuer, S. 1484; Kurzenberger, Nachweisproblematik und Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, S. 32; Englisch, UR 2008, 481 (482); ders. / Becker / Kurzenberger, UR 2010, 285 (287 f.). 547 Siehe dazu Seite 120 f. 548 Vgl. nur R. Schwarz, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 6a UStG (September 2019), Rn. 193. 549 EuGH, Urt. v. 20.10.2016, Rs. C-24/15, Josef Plöckl, MwStR 2016, 950 (953 f.), Rn. 43 ff. mit Anm. Robisch, MwStR 2016, 955; vgl. dazu Reiß, UR 2017, 254 (262 f.); Grube, MwStR
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
Kann der Unternehmer hingegen die formellen Angaben ihrer Art nach erfüllen und stellen sich nachträglich materielle Fehler heraus, ist zu klären, welche Bedeutung die formellen Nachweispflichten für den Vertrauensschutz haben. Diese Frage stellt sich sowohl in den Fällen, in denen die anfängliche Vermutungswirkung des Art. 45a Abs. 1 MwSt-DVO vom Finanzamt nach Art. 45 Abs. 2 MwSt-DVO widerlegt wurde, als auch in den Fällen, in denen das Finanzamt nachweist, dass trotz der formellen Einhaltung der §§ 17b-17d UStDV n. F. Mängel im materiellen Tatbestand vorliegen. Die formellen Voraussetzungen dienen als Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung, entwickeln aber zugleich bei einem unredlichen Abnehmer eine Indizwirkung, dass der Lieferant vom Vorliegen des Tatbestands einer innergemeinschaftlichen Lieferung ausgehen durfte.550 Zu unterscheiden ist zwischen überprüfbaren und nicht überprüfbaren Angaben.551 Eine solche Differenzierung ist angebracht, da mit der Überprüfbarkeit zum Ausdruck gebracht wird, ob es dem Unternehmer zuzumuten war, die Angaben seines Geschäftspartners zu kontrollieren. Erweisen sich scheinbar plausible Angaben als falsch, ergibt sich für den Vertrauensschutz eine andere Situation, als wenn unzutreffende Angaben vorliegen, die vom Unternehmer hätten erkannt werden können.552 Eine formell fehlerhafte nicht überprüfbare Angabe entfaltet auch bei innergemeinschaftlichen Lieferungen keine Indizwirkung gegen den Unternehmer.553 Ist hingegen eine überprüfbare formelle Angabe fehlerhaft, kann dies zum einen dazu führen, dass der leistende Unternehmer den Nachweis der Steuerfreiheit nicht führen kann und zum anderen, dass es sich um einen Fall des nicht eingehaltenen Sorgfaltsmaßstabs im Sinne der Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG handelt554. Bei einer nicht überprüfbaren fehlerhaften Angabe muss dies umgekehrt beurteilt werden. Durch den Vertrauensschutz wird dem Unternehmer, der alles in seiner Macht Stehende getan hat, um die Voraussetzungen für das Vorliegen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung nachzuweisen, die Steuerbefreiung trotz Mängeln im materiellen Tatbestand gewährt.555 Es obliegt bei einer formell erbrachten Nachweisführung wiederum der Finanzbehörde, nachzuweisen, dass objektiv in der Lieferkette eine Steuerhinterziehung oder ein Missbrauch verwirklicht wurde und der Unternehmer davon wusste oder 2014, 799 (800); Neeser, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 829 (844); Ismer / Artinger, MwStR 2019, 56 (58); von Streit / Streit, MwStR 2019, 13 (20); Körner, MwStR 2016, 957 (958). 550 Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (473); vgl. dazu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 400; Wäger, Diskussionsbeitrag, in: JbFSt. 2008/09, S. 573 (586). 551 So auch Wäger, UStB 2004, 206 (210); Englisch, UR 2008, 481 (486). 552 Englisch, UR 2008, 481 (486); vgl. Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 130; Wäger, UStB 2004, 206 (210). 553 Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (473 f.); vgl. Baumgartner / Stolz, UStB 2005, 267 (273 f.), die den Vertrauensschutz dadurch schon in § 6a Abs. 3 UStG berücksichtigt sehen. 554 Englisch, UR 2008, 481 (490 f.); Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 813; Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 119. 555 Vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 403.
§ 4 Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen
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hätte wissen müssen.556 Unter der Prämisse, dass bei einem unredlichen Abnehmer die formellen Voraussetzungen eine Indizwirkung dahingehend entfalten, dass der liefernde Unternehmer davon ausgehen durfte, dass die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, muss zwischen den unterschiedlichen Nachweismöglichkeiten differenziert werden.557 (2) Verhältnis des Art. 45a MwSt-DVO zum Vertrauensschutz Durch das Recht der Finanzbehörde, eine eingetretene Vermutungswirkung nach Art. 45a Abs. 2 MwSt-DVO zu widerlegen, stellt sich die Frage, ob diese bei der anschließenden Entscheidung über die Versagung oder Gewährung der Steuerbefreiung einen Vertrauensschutz des Unternehmers berücksichtigen muss. Das ist zu bejahen.558 Die Widerlegung der Vermutungswirkung steht der Finanzbehörde grundsätzlich unabhängig von der Regelung in Art. 45a Abs. 2 MwSt-DVO zu. Sie muss dabei allerdings geltende Prinzipien des Unionsrechts wie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes berücksichtigen.559 Daraus ergibt sich, dass bei einer anfänglich eingetretenen Vermutungswirkung nach Art. 45a Abs. 1 MwSt-DVO (§ 17a UStDV n. F.) die Widerlegung nach Art. 45a Abs. 2 MwSt-DVO zwar erfolgen kann, die Finanzbehörde für die Versagung der Steuerbefreiung aber nachweisen muss, dass es sich objektiv gesehen in der Lieferkette um einen Fall der Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs handelt, von dem der liefernde Unternehmer Kenntnis hatte oder diese Kenntnis hätte haben müssen. Art. 45a Abs. 2 MwSt-DVO erfasst ohnehin hauptsächlich Fälle der Steuerfahndung. Der Vertrauensschutz des Lieferanten findet dadurch Berücksichtigung, dass die Behörde dessen Bösgläubigkeit nachweisen muss. Ist die Vermutungswirkung des Art. 45 Abs. 1 MwSt-DVO einmal eingetreten, verfügt der liefernde Unternehmer über eine stark gesicherte Rechtsposition. (3) Verhältnis der §§ 17b–17d UStDV n. F. zum Vertrauensschutz Sind Angaben innerhalb des Belegnachweises unzutreffend, so kommt es für den Vertrauensschutz entscheidend darauf an, ob der Unternehmer unter Zugrunde legung des Sorgfaltsmaßstabs eines ordentlichen Kaufmanns560 daraus schließen 556
Vgl. EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7857), Rn. 68; in diesem Sinne bzgl. des Vorsteuerabzugs EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 49; Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (472 f.); Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 76 f. 557 Vgl. Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (474 f.); dens., in: FS für H. F. Köck, S. 65 (75). 558 So auch Becker, MwStR 2018, 957 (964); Robisch, UR 2019, 922 (925). 559 EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (796), Rn. 18. 560 Siehe zum Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Kaufmanns § 6 dieser Arbeit.
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konnte oder musste, dass die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen in Wirklichkeit nicht vorliegen.561 Dabei kann festgehalten werden, dass diese Schlussfolgerung nicht aus einer unüberprüfbaren Angabe ergeben kann. Bei einer fehlerhaften überprüfbaren Belegangabe ist hingegen danach zu fragen, ob der Unternehmer aus dieser Angabe eine materielle Fehlerhaftigkeit erkennen konnte. Nur wenn dies bejaht werden kann, ist ihm ein nachträglicher Vertrauensschutz zu versagen.562 Die dogmatische Einordnung der formellen Nachweispflichten im Bereich des Sorgfaltsmaßstabs des Unternehmers zeigt sich vor allem dadurch, dass diese nicht in sich widersprüchlich als materielle Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung von Vertrauensschutz aufleben können.563 Vertrauensschutz ist daher von der Finanzbehörde – wie im Rahmen von Art. 45a MwSt-DVO, § 17a UStDV n. F. – zu gewähren, wenn der Unternehmer die alternativen Nachweispflichten nach §§ 17b-17d UStDV n. F. ihrer Art nach erbracht hat und er unter Beachtung des Sorgfaltsmaßstabs eines ordentlichen Kaufmanns aus den Angaben seines Abnehmers nicht auf fehlende materielle Tatbestandsmerkmale oder der Beteiligung seines Umsatzes an einer Steuerhinterziehung schließen musste oder hätte müssen.564 Ist hingegen eine überprüfbare Angabe in nicht bloß unerheblicher Weise565 fehlerhaft, begründet dies die Indizwirkung, dass der Tatbestand einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung nicht vorliegt. (a) Rechnungsdoppel, § 17b Abs. 2 Nr. 1 UStDV n. F. Das Doppel der Rechnung gemäß § 17b Abs. 2 Nr. 1 UStDV n. F. muss seiner Art nach vorliegen und den §§ 14, 14a UStG entsprechen. Ist dies nicht der Fall, ist der Belegnachweis vom Unternehmer nicht geführt.566 In seinem Rechnungsdoppel muss der Lieferant darauf hinweisen, dass er die innergemeinschaftliche Lieferung als steuerfrei behandelt hat.567 Das Rechnungsdoppel hat für den Vertrauensschutz allerdings keine Relevanz, da sich daraus nicht ergibt, ob die Voraus 561
Vgl. Englisch / Becker / Kurzenberger, UR 2010, 285 (298). So wohl auch Robisch, in: Bunjes18, § 6a UStG, Rn. 84. 563 Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 76. 564 Vgl. EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7856) Rn. 65 f.; EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 (801), Rn. 54; Neeser, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 829 (833); Huschens, EU-UStB 2018, 79 (80); Henze, EUUStB 2007, 89 (92); Spatscheck / Stenert, DStR 2015, 104 (105 f.); Nieskens, EU-UStB 2007, 83 (83 f.). 565 Wie etwa bei einem offensichtlichen „Zahlendreher“, vgl. dazu bzgl. des Vorsteuerabzugs Looks, in: Weymüller2, § 15 UStG, Rn. 112.1; Tratlehner, SWK 2015, 1415 (1417, 1421). 566 BFH, Urt. v. 12.5.2011 – V R 46/10, DStR 2011, 1709 (1711), Rn. 21; BFH, Urt. v. 14.11.2012 – XI R 8/11, MwStR 2013, 165 (167), Rn. 44; BFH, Urt. v. 22.4.2015 – XI R 43/11, MwStR 2015, 688 (690), Rn. 33; BFH, Urt. v. 30.3.2006 – V R 47/03, DStR 2006, 988 (989 f.); Lippross, Umsatzsteuer, S. 1487; Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 110; ebenso die Finanzverwaltung in Abschn. 6a.3 Abs. 1 Satz 2 UStAE. 567 BFH, Urt. v. 14.11.2012 – XI R 8/11, MwStR 2013, 165 (167), Rn. 44. 562
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setzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegen.568 Es handelt sich bei dem Rechnungsdoppel um eine Belegangabe des liefernden Unternehmers. Für Vertrauensschutz bedarf es immer einer Grundlage, die auf das Verhalten eines anderen (hier: des Lieferungsempfängers) zurückzuführen ist.569 Daraus zeigt sich, dass die Steuerbefreiung aufgrund des formellen Mangels versagt werden wird, wenn nicht aus anderen Gründen der materielle Tatbestand der Steuerbefreiung zweifelsfrei nachgewiesen werden kann570. (b) Gelangensbestätigung, § 17b Abs. 2 Nr. 2 UStDV n. F. Eine Gelangensbestätigung gemäß § 17b Abs. 2 Nr. 2 UStDV n. F. muss ebenfalls ihrer Art nach vorliegen.571 Es sind Fallkonstellationen denkbar, in denen der Unternehmer auf eine Gelangensbestätigung seines Abnehmers angewiesen ist.572 Grundsätzlich lassen sich die Angaben zur Gelangensbestätigung für den liefernden Unternehmer inhaltlich überprüfen. Ob und wann der Gegenstand der Lieferung aber in den sogenannten „Abholfällen“ tatsächlich in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt ist, kann der liefernde Unternehmer im Nachhinein nicht überprüfen.573 Grundsätzlich handelt es sich bei der Gelangensbestätigung gemäß § 17b Abs. 2 Nr. 2 UStDV n. F. um die Bestätigung des Abnehmers, dass der Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet „gelangt“ ist.574 Die Bestätigung korrespondiert mit dem Wesen einer innergemeinschaftlichen Lieferung, welche nur vorliegen kann, wenn der Gegenstand der Lieferung vom Ursprungsland auch tatsächlich in das Bestimmungsland befördert oder versendet wurde, also dorthin gelangt ist.575 Dies stellt eine materielle Tatbestandsvoraussetzung des § 6a Abs. 1 Nr. 1 lit. a UStG dar. 568
So auch Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (475); krit. auch Neeser, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 829 (835); vgl. Englisch, UR 2008, 481 (492). 569 Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 74; allg. Birk, DStJG 27 (2004), S. 9 (10). 570 Vgl. R. Schwarz, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 6a UStG (September 2019), Rn. 193. 571 Winter, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 853 (857 f.). Siehe auch die Rspr. des BFH zur Verbringungsbestätigung gemäß § 17a Abs. 2 Nr. 4 UStDV a. F., welche als Vorgängerin der Gelangensbestätigung in den Fällen der Beförderung durch den Abnehmer eine im Vorfeld abgegebene Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten vorsah, statt aller BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 38/14, DStR 2015, 2069 (2072), Rn. 29. Die Rspr. ist auf die mit Wirkung vom 1.1.2012, vgl. BGBl. I 2011, 2416 (2418), vorgesehene nachträgliche Gelangensbestäti gung übertragbar, vgl. dazu Heuermann, DStR 2015, 2073; dens., MwStR 2015, 798 (798 f.); Herzing, SteuK 2016, 558. 572 Ausführlich dazu Neeser, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 829 (834 ff.). 573 Neeser, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 829 (840 f.); Heuermann, MwStR 2015, 798 (799). 574 Heuermann, MwStR 2015, 798. 575 Vgl. Schaumburg, in: Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 10.103.
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Eine dahingehend fehlerhafte Gelangensbestätigung bewirkt allerdings wiederum gegen den liefernden Unternehmer nicht die nachteilige Indizwirkung, dass vom Nichtvorliegen der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen hätte ausgegangen werden müssen, da die Angabe in tatsächlicher Hinsicht nicht überprüfbar ist.576 Stellt sich nachträglich heraus, dass bei einer formell erbrachten Gelangensbestätigung der Gegenstand der Lieferung in Wirklichkeit, etwa wegen einer vom Erwerber begangenen Steuerhinterziehung, von der der Lieferant weder Kenntnis hatte noch haben konnte, nicht in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt ist, ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, dem gutgläubigen Unternehmer die Steuerbefreiung zu versagen.577 So gesehen, folgt der Vertrauensschutz bei Mängeln im materiellen Tatbestand aus den gewissenhaft und vollständig erbrachten Nachweis pflichten.578 Vertrauensschutz ist hingegen zu versagen, wenn der Unternehmer darauf vertraut, von seinem Abnehmer eine Gelangensbestätigung über den Gegenstand der Lieferung zu erhalten, diese aber gänzlich ausbleibt.579 Denn der Unternehmer muss sich im Hinblick auf dieses Geschäftsrisiko zivilrechtlich durch Sicherheitsleistungen absichern.580 Mit anderen Worten ist der liefernde Unternehmer selbst dafür verantwortlich, dass er eine Gelangensbestätigung ihrer Art nach vorweisen kann.581 Erst eine im Hinblick auf die tatsächliche Beförderung oder Versendung des Gegenstands der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet unrichtige Gelangensbestätigung kann als Grundlage für Vertrauensschutz in Betracht kommen.582
576 Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (473); vgl. dazu bzgl. des Vorsteuerabzugs dens., SWK 2008, 86 (88); Ruppe / Achatz, UStG-Kommentar, § 12 öUStG, Rn. 98. 577 So auch unter Heranziehung des Grundsatzes der Rechtssicherheit EuGH, Urt. v. 9.10.2014, Rs. C-492/13, Traum EOOD, MwStR 2014, 795 (798), Rn. 31; vgl. Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 2313 (2319); Winter, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 853 (857). 578 Vgl. dazu BFH, Urt. v. 19.3.2015 – V R 14/14, BFHE 250, 248 (252), Rn. 23. 579 A. A. Weymüller, in: Weymüller2, § 6a UStG, Rn. 377. 580 Vgl. Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 113 f.; krit. Neeser, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 829 (841 f.); Robisch, in: Bunjes18, § 6a UStG, Rn. 97 hält dies nur bei ausgewählten Transaktionen (wie bei hochpreisigen Gütern) für verhältnismäßig. 581 Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 114, will eine Abnehmerversicherung i. S. d. § 17a Abs. 2 Nr. 4 UStDV a. F. als zulässigen Beleg ansehen, aus dem sich die Einhaltung der Tatbestandsvoraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung eindeutig und leicht nachprüfbar ergibt. In Abholfällen könnte die Steuerbefreiung dann allerdings an der tatsächlichen Verbringung scheitern, wohingegen Vertrauensschutz relevant bleibt. 582 I.Erg. ebenso Schaumburg, in: Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 10.104; ders., in: FS für W. Reiß, S. 25 (34 f.); Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 415; Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 132 mit Verweis auf BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 38/14, DStR 2015, 2069 (2074 f.), Rn. 25; Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 298; Schrömbges, AW-Prax 2012, 421 (422).
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(c) Belegnachweis nach § 17b Abs. 3 UStDV n. F. Der Unternehmer kann nach § 17b Abs. 3 UStDV n. F. den Nachweis durch andere Belege als durch die Gelangensbestätigung nach § 17b Abs. 2 Nr. 2 UStDV n. F. führen. Dies kann gemäß § 17b Abs. 3 S. 1 Nr. 1 lit. a UStDV n. F. mit einem Frachtbrief, einem Konnossement (Schiffsfrachtbrief) oder durch die Vorlage von Doppelstücken des Frachtbriefs oder Konnossements erfolgen, wenn die Versendung durch den liefernden Unternehmer oder den Abnehmer ausgeführt wird. § 17b Abs. 3 Nr. 1 lit. b UStDV n. F. listet alternativ die Angaben für eine Spediteursbescheinigung auf. Nach § 17b Abs. 3 S. 1 Nr. 1 lit. c UStDV n. F. genügt für den Nachweis auch eine schriftliche oder elektronische Auftragserteilung und ein von dem mit der Beförderung Beauftragten erstelltes Protokoll, das den Transport lückenlos bis zur Ablieferung beim Empfänger nachweist. Im Fall von Postsendungen ist nach § 17b Abs. 3 S. 1 Nr. 1 lit. d UStDV n. F. eine Empfangsbescheinigung des Postdienstleiters ausreichend. Nicht überprüfbare Falschangaben haben keine nachteilige Indizwirkung zur Folge. § 17b Abs. 3 S. 1 Nr. 2 UStDV n. F. erfasst nur Fälle, in denen der Gegenstand der Lieferung durch den Abnehmer versendet wird. Der Nachweis über die Entrichtung der Gegenleistung für die Lieferung des Gegenstands wird über ein Bankkonto des Abnehmers erbracht sowie über eine Bescheinigung des beauftragten Spediteurs. Dem Unternehmer ist es wiederum möglich, die Angaben nach § 17b Abs. 3 S. 1 Nr. 2 UStDV n. F. ihrer Art nach zu überprüfen. Gleiches gilt für die übrigen Nachweismöglichkeiten (§ 17b Abs. 3 S. 1 Nr. 3–5 UStDV n. F.). Der Unternehmer kann aber auch bei § 17b Abs. 3 UStDV n. F. das tatsächliche Gelangen des Gegenstands der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet nicht überprüfen. Dies stellt – wie gesehen – unabhängig von der Nachweisart eine materielle Voraussetzung der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung dar.583 Insgesamt ist zu beachten, dass die fehlerhaften Angaben, die innerhalb des § 17b Abs. 3 UStDV n. F. gemacht werden, kausal dafür sein müssen, dass der liefernde Unternehmer von einem Nichtvorliegen des materiellen Tatbestands der Steuerbefreiung ausgehen musste. Dieser Kausalzusammenhang ist erforderlich,584 denn der Belegnachweis würde ansonsten als reiner Selbstzweck den innergemeinschaftlichen Handel behindern585. Aus diesem Grund sind etwa ein falscher Name oder eine falsche Anschrift des mit der Lieferung beauftragten Unternehmers nach § 17b Abs. 3 S. 1 Nr. 1 lit. b, lit. aa) UStDV n. F. beziehungsweise nach § 17b Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a UStDV n. F. allenfalls bei einer offensichtlichen Unrichtigkeit ein Indiz, dass der Lieferant davon ausgehen musste, dass der materielle Tatbestand 583
Statt aller BFH, Urt. v. 13.6.2018 – XI R 20/14, DStR 2018, 1967 (1970 f.), Rn. 54. So auch Englisch / Becker / Kurzenberger, UR 2010, 285 (297); gl.A. bereits G. von Wallis, in: Bunjes / Geist 5, § 6a UStG, Rn. 19 mit Verweis auf BFH, Beschl. v. 2.4.1997 – V B 159/96, UVR 1997, 210; vgl. dazu Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, S. 291. 585 Rüth / Winter, DStR 2005, 681 (682); vgl. Theile, UR 1993, 73 (76). 584
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der Steuerbefreiung nicht vorliegt. Dasselbe gilt hinsichtlich der weiteren Angaben, die letztlich nur den Spediteur betreffen, sowie bei einer Empfangsbescheinigung durch einen Postdienstleiter nach § 17b Abs. 3 S. 1 Nr. 1 lit. d UStDV n. F. (d) Belegnachweis nach § 17c UStDV n. F. Bezüglich der Angaben des Belegnachweises nach § 17c UStDV n. F. kann auf die obigen Ausführungen zu § 17b UStDV n. F. verwiesen werden. Auch die in diesem Fall geforderten zusätzlichen Angaben nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 UStDV kann der Unternehmer ihrer Art nach nachvollziehen und unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns überprüfen. Kommt es zu Falschangaben, die zumeist mit erkennbaren Ungereimtheiten verbunden sind,586 kann die Finanzverwaltung davon ausgehen, dass die Voraussetzungen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung nicht vorliegen. (e) Verhältnis des Buchnachweises nach § 17d UStDV n. F. zum Vertrauensschutz Der Buchnachweis gemäß § 17d Abs. 1 UStDV n. F. betrifft die internen Aufzeichnungspflichten des Unternehmers bei der Abwicklung seiner Umsatzgeschäfte.587 Der Unternehmer hat demnach bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach § 6a UStG im Geltungsbereich des UStG die Voraussetzungen der Steuerbefreiung einschließlich der ausländischen USt-IdNr. des Abnehmers buchmäßig nachzuweisen. Die Voraussetzungen zur Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung müssen nach § 17d Abs. 1 S. 2 UStDV n. F. eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein. Zwar bilden Buch- und Belegnachweis eine Einheit.588 Jedoch sagt eine mangelhafte Buchführung nur etwas über die generelle Sorgfältigkeit des Unternehmers aus, aber nichts über dessen mangelnde Sorgfalt gegenüber den Angaben des Abnehmers.589 Ein mangelhafter Buchnachweis betrifft alleine die Frage, ob ein Unternehmer die Voraussetzung zum Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung, welche die Mitgliedstaaten unter Beachtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts festle 586 Vgl. FG München, Urt. v. 28.10.2014 – 2 K 1412/11, MwStR 2015, 651 (654) mit Anm. Mausch, MwStR 2015, 655. 587 Vgl. Achatz, in: FS für F. Rödler, S. 13 (17); Kurzenberger, Nachweisproblematik und Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, S. 42 ff. 588 BFH, Urt. v. 7.12.2006 – V R 52/03, BFHE 216, 367 (371); Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, S. 258, m. w. N. 589 Englisch, UR 2008, 481 (492); Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 75; Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (475 f.); ders., in: FS für F. Rödler, S. 13 (20); vgl. Englisch / Becker / Kurzenberger, UR 2010, 285 (297).
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gen dürfen590, einhalten kann. Der seiner Art nach erbrachte Buchnachweis ist für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens hinsichtlich der Angaben der Geschäftspartner nicht hilfreich, da es sich nur um eine interne Aufzeichnung handelt und diese keine Aussage darüber trifft, mit welcher Sorgfalt der Lieferant gegenüber seinem Abnehmer aufgetreten ist und ob er auf das Vorliegen des materiellen Tatbestands der Steuerbefreiung schließen durfte.591 Auch lässt sich nicht von einem mangelhaften Buchnachweis auf die Beteiligung an einer Steuerhinterziehung schließen, zumal der Buchnachweis an vielen Stellen auf den Belegnachweis (mit Heilwirkung) Bezug nimmt.592 Der liefernde Unternehmer kann nur die von seinem Mitgliedstaat festgelegte Bestimmung, einen Buchnachweis zu führen, nicht einhalten. Dieser Umstand ist allein dem Lieferanten zuzuschreiben. Die Gewährung der Steuerbefreiung scheitert somit an einer sicheren Nachweisführung. Dogmatisch kann eine Prüfung von Vertrauensschutz deshalb gar nicht erst in Rede stehen. bb) Zwischenergebnis Die Nachweispflichten nach §§ 17a ff. UStDV n. F. sind trotz ihres formellen Charakters ein wesentliches Instrument für die Gewährung einer Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen. Kann der Unternehmer die Nachweise nicht ihrer Art nach erbringen, entfaltete dies eine Vermutungswirkung, dass die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nicht vorliegen.593 Art. 45a MwSt-DVO sieht darüber hinaus eine eigenständige Vermutungsregelung vor. Die dort angeführten Nachweise gelten unabhängig von den über Art. 131 MwStSystRL ermöglichten eigenständigen Nachweisregelungen der Mitgliedstaaten (in Deutschland § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV n. F.) und bilden eine in allen Mitgliedstaaten einheitlich geltende Regelung. 590 EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. 2007, 7827 (7851), Rn. 45 u. a. mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 11.5.2006, Rs. C-384/04, Federation of Technological Industries, Slg. I 2006, 4210 (4228), Rn. 29 f. Siehe auch Winter, UR 2007, 881 (882 f.). 591 A. A. BFH, Urt. v. 10.8.2016 – V R 45/15, DStR 2016, 2402 (2404), Rn. 21, der den seiner Art nach erbrachten Buchnachweis als materielle Voraussetzung für die Gewährung von Vertrauensschutz einordnet. Dabei handelt es sich aber um zwei unterschiedliche Aspekte. Wird der Buchnachweis nicht erbracht, kann der Unternehmer die formelle Vorgabe des § 17d UStDV n. F. nicht erfüllen, was mit einem Vertrauensschutz hinsichtlich der Angaben seines Geschäftspartners nichts zu tun hat. Zwar ist der Vertrauensschutz hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung nur relevant, wenn nicht zuvor die Finanzbehörde aufgrund von formellen Mängeln die Steuerbefreiung versagt hat, vgl. Wäger, Diskussionsbeitrag, in: JbFSt. 2008/09, S. 573 (586). Dogmatisch ist der Buchnachweis aber keinesfalls eine materielle Voraussetzung für den Vertrauensschutz, gl.A. Achatz, in: FS für F. Rödler, S. 13 (20). 592 Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 75. 593 Siehe Seite 132 ff.
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Kann der Unternehmer sämtliche geforderten Nachweise nach §§ 17a ff. UStDV n. F. ihrer Art nach erfüllen, kommt es bei Falschangaben auf die inhaltliche Überprüfbarkeit an. Die Forderung nach einer inhaltlichen Richtigkeit der Nachweise würde den Vertrauensschutztatbestand des § 6a Abs. 4 UStG leerlaufen lassen.594 Im Abholfall ist die Gelangensbestätigung, die der Unternehmer bei der Finanzbehörde vorlegen muss, um das sichere Gelangen des Gegenstands der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet nachzuweisen, nicht auf ihre tatsächliche Richtigkeit überprüfbar.595 Ist der Gegenstand nicht in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt, entfaltet der fehlerhafte Nachweis keine Indizwirkung gegen den Unternehmer, da dieser vom Vorliegen des materiellen Tatbestands ausgehen durfte. Mangelhafte überprüfbare Angaben im Beleg- oder Buchnachweis sind dagegen ein Indiz dafür, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht vorliegen.596 Der Unternehmer muss in diesem Fall die Vorrausetzungen der Steuerbefreiung anderweitig nachweisen.597 Fehlen materielle Tatbestandsvoraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung (wie etwa die Unternehmereigenschaft des Abnehmers), kommt es bezüglich des Vertrauensschutzes auf die Überprüfbarkeit der ihrer Art nach erbrachten Nachweise an und darauf, ob der Unternehmer aufgrund der ihm vorlegten Angaben davon ausgehen hätte müssen, dass die materiellen Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt sind oder eine Steuerhinterziehung beziehungsweise ein Missbrauch vorliegt.598 Dieser sich daraus ergebende Kausalzusammenhang ist im Einzelfall zu prüfen.599 Ein ordnungsgemäß erbrachter Buchnachweis ist in dieser Konsequenz für die Frage der Gewährung eines Vertrauensschutzes bei Falschangaben des Geschäftspartners nicht relevant. Der Buchnachweis behandelt allein die Frage, ob der liefernde Unternehmer eine generelle Sorgfältigkeit600 bei der Führung 594
Zutreffend Wäger, UStB 2004, 206 (209 f.); Höink, in: Adick / Höink / Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4, Rn. 132; Kurzenberger, Nachweisproblematik und Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, S. 61. 595 Siehe Seite 137 f. 596 Vgl. Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 415. 597 Vgl. Reiß, UR 2017, 254 (263). 598 Siehe Seite 132 ff. 599 Vgl. Englisch / Becker / Kurzenberger, UR 2010, 285 (297). Ähnlich Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (9), die „es für nicht ersichtlich halten, warum die Aufzeichnung einer USt-IdNr. [damals noch ein formelles Kriterium] gefordert wird, wenn der Abnehmer sich nachher zweifelsfrei als Unternehmer erweist. […] Im Ergebnis richtiger [sic] erscheint es daher, eine Vollständigkeit des Nachweises nur insoweit zu fordern, wie die Realität von den Vorstellungen des Unternehmers abweicht.“ Die formalen Voraussetzungen sind allerdings ihrer Art nach vollständig und ggf. anderweitig zu erbringen. Ansonsten kann der Unternehmer allein aus diesem Grund nicht den Nachweis führen, den sein Mitgliedstaat auf Grundlage des Art. 131 MwStSystRL im nationalen Recht vorgesehen hat. Vertrauensschutz spielt erst eine Rolle, wenn es auf Grundlage dieser formalen Voraussetzungen für den Unternehmer nicht kausal erkennbar war, dass die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegen oder es sich um eine Steuerhinterziehung handelt. 600 Englisch, UR 2008, 481 (492).
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seiner Geschäfte vorweisen kann. Wird damit der Buchnachweis seiner Art nach nicht geführt, scheitert die Steuerbefreiung an einer sicheren Nachweisführung, ohne dass ein Vertrauensschutz relevant wird. c) Mitteilung der USt-IdNr. und zusammenfassende Meldung Seit dem 1.1.2020 handelt es sich bei der Angabe der USt-IdNr. des Abnehmers bei innergemeinschaftlichen Lieferungen um eine materielle Tatbestandsvoraussetzung einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Der Unionsgesetzgeber hat sich zu dieser Maßnahme entschlossen, um die Voraussetzungen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung nach Art. 138 MwStSystRL wesentlich zu verschärfen.601 Nach dem Wortlaut des Art. 138 Abs. 1 lit. a und b MwStSystRL n. F. muss der Abnehmer grundsätzlich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union steuerlich registriert sein, was mit der Existenz einer USt-IdNr. einhergeht. Der Abnehmer muss „diese“ USt-IdNr. dem Leistenden mitgeteilt haben, Art. 138 Abs. 1 lit. b MwStSystRL (n. F.). Als weitere Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung muss der liefernde Unternehmer nach Art. 138 Abs. 1a MwStSystRL nunmehr auch eine sogenannte „zusammenfassende Meldung“ abgeben, ohne die es zu keiner Steuerbefreiung für den liefernden Unternehmer kommen soll. Die zusammenfassenden Meldungen der liefernden Unternehmer werden dazu im Mehrwertsteuer-Informations-Austauschsystem (MIAS) erfasst.602 In Deutschland ist die zusammenfassende Meldung in § 18a UStG geregelt. Die Daten sind im jeweiligen Meldezeitraum an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln. Hintergrund dieser Neuregelung war ein Bestreben des Unionsgesetzgebers nach Eindämmung der Missbrauchsanfälligkeit der Umsatzsteuer, die sich vor allem bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zeigt.603 Insbesondere soll der MIAS-Eintrag ein „Schlüsselelement der Betrugsbekämpfung“ in der Europäischen Union darstellen, da der Eingangsmitgliedstaat so über das Vorhandensein der Gegenstände der Lieferung in seinem Hoheitsgebiet informiert wird.604 Kommt der Unter nehmer mithin dem Eintrag in das MIAS nicht nach, erfolgt nach Art. 138 Abs. 1a MwStSystRL keine Steuerbefreiung, „es sei denn, der Lieferant handelt in gutem Glauben“, was bedeutet, dass er alle seine Versäumnisse im Hinblick auf die zu-
601
Richtlinie (EU) vom 4.12.2018, ABl. EU Nr. L 311/2018, S. 3 als Reaktion auf die EuGHRspr.: EuGH, Urt. v. 20.10.2016, Rs. C-24/15, Josef Plöckl, MwStR 2016, 950 (953), Rn. 40 f. 602 Vgl. dazu den Erwägungsgrund Nr. 7 der Richtlinie (EU) 2018/1910 vom 4.12.2018, ABl. EU Nr. L 311/2018, S. 3. 603 Erwägungsgrund Nr. 7 der Richtlinie (EU) 2018/1910 vom 4.12.2018, ABl. EU Nr. L 311/2018, S. 3; vgl. dazu KOM (2017), 569 endg., S. 12; Kemper, UR 2019, 241 (242); Becker, MwStR 2018, 957 (961); Höink, BB 2019, 87 (88). 604 Erwägungsgrund Nr. 7 der Richtlinie (EU) 2018/1910 vom 4.12.2018, ABl. EU Nr. L 311/2018, S. 3; vgl. dazu Kemper, UR 2019, 241 (242).
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sammenfassende Meldung hinreichend begründen kann.605 Wurde zuvor mit der EuGH-Rechtsprechung606 die USt-IdNr. als rein formelle Voraussetzung eingeordnet, konnten die Steuerbehörden bei ihrem Fehlen nur Geldbußen und Verwaltungssanktionen verhängen, wenn das Recht auf die Steuerbefreiung zweifelsfrei festgestellt wurde.607 Durch die Neuregelung haben sich die Bedürfnisse des Unternehmers nach einem Vertrauensschutz bei Falschangaben erhöht. Mit der „Aufwertung“ zu einer materiellen Voraussetzung für das Recht, eine Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung zu erlangen, ist es dem Unternehmer nun nicht mehr möglich, das grundsätzliche Bestehen einer Steuerbefreiung anderweitig nachzuweisen, wenn hinsichtlich der USt-IdNr. des Abnehmers oder der zusammenfassenden Meldung Mängel auftreten.608 Zum einen wird die Bedeutung elektronischer Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG in großem Umfang zunehmen und zum anderen muss der liefernde Unternehmer in Zukunft akribisch auf die in § 18a UStG vorgesehenen Voraussetzungen einer zusammenfassenden Meldung achten, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Steuerbefreiung wegen Mängeln im materiellen Tat bestand versagt wird.609 Gültigkeit und Richtigkeit der USt-IdNr. sind bei der Abgabe der zusammenfassenden Meldung erforderlich, weshalb sich umso mehr die Frage stellt, wie bei Falschangaben zu verfahren ist und welchen Sorgfaltsmaßstab der liefernde Unternehmer einhalten muss, damit ihm ein Vertrauensschutz hinsichtlich der Angaben seiner Geschäftspartner gewährt werden kann beziehungsweise muss.610 Schließlich erfolgt die Abgabe einer zusammenfassenden Meldung in aller Regel nach dem Zeitpunkt der Lieferung, sodass es dem liefernden Unternehmer nicht möglich ist, im Zeitpunkt der Lieferung von einer sicheren Gewährung der Steuerbefreiung auszugehen, was allerdings einen wesentlichen Faktor für planbare wirtschaftliche Entscheidungen darstellt.611 aa) Bestätigungsverfahren nach § 18e Nr. 1 UStG Anders als im Vorsteuerabzugsrecht besteht für den liefernden Unternehmer im Teilbereich der innergemeinschaftlichen Lieferungen gemäß § 18e Nr. 1 UStG die Möglichkeit, die USt-IdNr., die dem Abnehmer von einem anderen Mitgliedstaat erteilt wurde, sowie (qualifiziert) dessen Name und Anschrift beim Bundes 605 Erwägungsgrund Nr. 7 der Richtlinie (EU) 2018/1910 vom 4.12.2018, ABl. EU Nr. L 311/2018, S. 3. 606 Statt aller EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 (801), Rn. 59 f., m. w. N. 607 Vgl. KOM (2017), 569 endg., S. 12 f.; vgl. Langer / Breitsameter, DStR 2018, 97 (99). 608 Kemper, UR 2019, 241 (242 f.); Höink, BB 2019, 87 (88). 609 Kemper, UR 2019, 241 (243); Höink, BB 2019, 87 (88); deswegen krit. Scharrer / Schreiber, DB 2019, 18 (20 ff.); Neeser, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 829 (848 ff.). 610 Becker, MwStR 2018, 957 (962 f.). Eingehend dazu sogleich auf S. 146 f. 611 Sterzinger, UR 2018, 893 (897).
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zentralamt für Steuern überprüfen zu lassen.612 Dabei stellt sich die Frage, ob der Vertrauensschutz im Einzelfall auch dann gewährt werden kann oder muss, wenn die Möglichkeit einer staatlichen Überprüfung durch § 18e Nr. 1 UStG nicht genutzt wurde. Die Überprüfung der Angaben durch eine Behörde stellt eine Obliegenheit des liefernden Unternehmers dar, was bedeutet, dass er nicht dazu verpflichtet ist, aber die nachteiligen Folgen in Kauf nehmen muss, wenn er keine Überprüfung durchführen lässt.613 Dabei stellt sich aber die Frage, ob der liefernde Unternehmer bei allen Umsatzgeschäften ein Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG durchführen lassen muss, um sich auf Vertrauensschutz berufen zu können.614 Es erscheint nicht angemessen, den Unternehmer in jeder auch nur denkbaren Situation eines innergemeinschaftlichen Liefergeschäfts zur Vornahme eines Bestätigungsverfahrens zu zwingen, indem apodiktisch angenommen wird, das Instrument des Vertrauensschutzes setzte die vorherige Durchführung eines solchen Verfahrens voraus. Zumal kommt der Bestätigung der USt-IdNr. inhaltlich nur die Bedeutung zu, dass die USt-IdNr. existiert und dem Abnehmer tatsächlich zu einem bestimmten Zeitpunkt erteilt wurde.615 Das Bestätigungsverfahren kann nicht verhindern, dass die nachweislich erteilte USt-IdNr. von einem anderen Unternehmer missbraucht wird.616 Von Bedeutung ist die Durchführung eines Bestätigungsverfahrens allein für den Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Kaufmanns.617 Dafür reichte es nach überwiegender Auffassung aus, wenn in einer langjährigen Geschäftsbeziehung der Unternehmer nicht bei jedem erneuten Geschäftsabschluss ein Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG durchführen lässt und stattdessen eine turnusmäßige618 und anlassbezogene619 Überprüfung der Angaben zur USt-IdNr. vornimmt. In jedem Fall kann sich der Steuerpflichtige nicht darauf verlassen, dass das Finanzamt nach entsprechenden Hinweisen Ergebnisse zu internen Recherchen bezüglich 612
Dazu auch Nieskens, in: Rau / Dürrwächter, § 18e UStG (März 2019), Rn. 25 ff. So auch vorgesehen im Reformvorschlag von P. Kirchhof, Umsatzsteuergesetzbuch, S. 82. 614 Dies offenbar bejahend Abschn. 6a.8 Abs. 6 Satz 1 UStAE. 615 Tiedtke, UR 2004, 6 (10). 616 So schon G. von Wallis, in: Bunjes / Geist 5, § 6a UStG, Rn. 19. 617 Vgl. BFH, Beschl. v. 2.4.1997 – V B 159/96, UR 1997, 224 (225 f.); Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, S. 267 ff.; Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 121 ff., m. w. N.; ähnlich Henze, EU-UStB 2007, 89 (92); insoweit wohl auch Abschn. 6a.8 Abs. 6 S. 1 und Abs. 7 Satz 3 UStAE. 618 Lippross, Umsatzsteuer, S. 1498; FG Berlin-Brandenburg v. 4.11.2015 – 7 K 7283/13, MwStR 2016, 594 (596) mit Anm. Sterzinger, MwStR 2016, 596 (596 f.); Englisch, UR 2008, 481 (490); Scheller / Schrömbges, Grenzüberschreitender Warenverkehr aus Sicht der Umsatzsteuer, S. 55; Sopp, Umsatzbesteuerung beim Handel in der EU, S. 271; Nieskens, UR 2008, 812 (814); Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 292; Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (April 2014), Rn. 846 ff.; Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 647; Schrömbges, AW-Prax 2012, 421 (425); a. A. FG München, Beschl. v. 10.2.2009 – 14 V 3396/08, juris, Rn. 27. 619 FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.11.2018 – 7 K 7196/15, EFG 2019, 211 (222), Rn. 151 mit Anm. Herbert, EFG 2019, 223 (223 f.); Stadie, UStG-Kommentar, § 6a UStG, Rn. 90. 613
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der Umstände seiner Geschäftspartner von selbst mitteilt.620 Dieser Sichtweise lag allerdings noch ein formelles Verständnis von dem Erfordernis der USt-IdNr. des Abnehmers zugrunde. Betrachtet man die USt-IdNr. nunmehr als materielle Tatbestandsvoraussetzung der Steuerbefreiung, wird der ordentliche Kaufmann diesem Tatbestandsmerkmal eine noch höhere Sorgfalt widmen müssen, als dies schon bei der früheren Einordnung als rein formelles Nachweismittel erforderlich gewesen ist.621 Vor diesem Hintergrund sollte darüber nachgedacht werden, ob das Bestätigungsverfahren gemäß § 18e UStG für den Steuerpflichtigen noch ein adäquates Instrument innerhalb des Besteuerungsverfahrens darstellt.622 bb) Vertrauensschutz bei Falschangaben des Abnehmers Das qualifizierte Bestätigungsverfahren bewirkt, dass die Angaben zur UStIdNr. sowie zum Namen und zur Anschrift objektiv gesehen für den Unternehmer überprüfbar sind.623 Durch die Aufwertung der USt-IdNr. des Abnehmers zu einem materiellen Tatbestandsmerkmal ist eine diesbezügliche Gewährung von Vertrauensschutz eingedämmt worden. Ist die USt-IdNr. falsch, hat dies grundsätzlich zur Folge, dass der Unternehmer ein für ihn überprüfbares materielles Tatbestandsmerkmal nicht erfüllen kann. Ohne durchgeführtes Bestätigungsverfahren kann sich ein Vertrauensschutz nur noch ergeben, wenn es im Einzelfall bei Einhaltung der kaufmännischen Sorgfalt zu keinem Zeitpunkt erforderlich erschien, ein qualifiziertes Bestätigungsverfahren durchzuführen. Ist die Auskunft innerhalb des qualifizierten Bestätigungsverfahrens unzutreffend, hat der Unternehmer alles in seiner Macht Stehende getan,624 um die Angaben des Abnehmers zu kontrollieren.625 Ein Unternehmer, der weder Kenntnis von einer Steuerhinterziehung hatte noch hätte haben müssen, ist zu schützen, wenn die ihm vorgelegten Unterlagen zunächst von der Behörde akzeptiert wurden.626
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FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.11.2018 – 7 K 7196/15, EFG 2019, 211 (222), Rn. 156. Ähnlich Kemper, UR 2019, 241 (242 f.), der darauf hinweist, dass der Unternehmer dann zwangsläufig bei jeder Lieferung eine Abfrage vornehmen müsste. Siehe ferner Nieskens, in: Rau / Dürrwächter, § 18e UStG (März 2019), Rn. 37. 622 Zweifelnd auch Harksen / Höink / Witte, MwStR 2018, 57 (60), die § 18e UStG für die Bewältigung des zu erwartenden Anfrageansturms beim BZSt als kaum noch geeignet ansehen. 623 Vgl. Englisch, UR 2008, 481 (491); Neeser, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 829 (833). 624 Vgl. EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. 2007, 7827 (7857), Rn. 66. 625 Sterzinger, DStR 2008, 2450 (2454) spricht von einem „besondere[n] Vertrauensschutz“; vgl. Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 84. 626 St. Rspr.: EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (105 f.), Rn. 43; EuGH, Urt. v. 20.6.2018, Rs. C-108/17, Enteco Baltic, DStRE 2018, 1196 (1205), Rn. 97; EuGH, Urt. v. 14.9.2006, Rs. C-181/04 bis C-183/04, Elmeka, UR 2007, 268 (271 f.), Rn. 32 ff.; EuGH, Urt. v. 14.6.2017, Rs. 26/16, Santogal, MwStR 2017, 617 (623), Rn. 75. 621
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Das Verhalten der Behörde ist folglich stets zu berücksichtigen.627 Die Sorgfaltspflichten des Unternehmers sind nach Einholung der Auskunft als erfüllt anzusehen.628 Dass es sich bei der USt-IdNr. des Abnehmers nunmehr um eine materielle Tatbestandsvorausetzung handelt, ändert an diesem Umstand nichts. Denn auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes kann sich jeder berufen, bei dem die Finanzbehörde aufgrund eines Vorverhaltens begründete Erwartungen geweckt hat.629 Zudem obliegt es der Finanzbehörde, vor der Erteilung der USt-IdNr. zu prüfen, ob der Antragssteller die Voraussetzungen erfüllt.630 Es überwiegt das Interesse des Unternehmers am Erhalt seiner einmalig zugesicherten Position.631 Gleiches gilt bei einer unvorhersehbaren rückwirkenden Löschung der USt-IdNr. durch den Ansässigkeitsstaat des Geschäftspartners.632 d) Erbringung einer Lieferung im umsatzsteuerlichen Sinne Auch im Teilbereich der innergemeinschaftlichen Lieferungen kann sich die Problematik stellen, dass gar keine Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne erbracht wurde.633 Eine Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne setzt nicht zwingend eine Eigentumsübertragung nach den nationalen Bestimmungen voraus, sondern umfasst eine Übertragung eines Gegenstands durch eine Partei, welche die andere Partei dazu ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie der Eigentümer.634 Durchaus kann eine Lieferung aber schon daran scheitern, dass der „Liefernde“ kein Eigentum am Gegenstand der Lieferung besitzt, das er dem „Abnehmer“ hätte übertragen können.635 Der Wortlaut des § 6a Abs. 4 UStG setzt für die Gewährung von Vertrauensschutz das Vorliegen einer Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne voraus.636 Allerdings sind Sach 627 EuGH, Urt. v. 14.6.2017, Rs. 26/16, Santogal, MwStR 2017, 617 (623), Rn. 75; vgl. dazu FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.11.2018 – 7 K 7196/15, EFG 2019, 211 (222), Rn. 155. 628 Gl.A.: FG Niedersachsen, Beschl. v. 17.8.2004 – 5 V 84/04 (rkr.), DStRE 2005, 42 (43); FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 26.8.2010 – 6 K 1130/09 (rkr.), DStRE 2011, 561 (564 f.); Hildesheim, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 18e UStG (Juni 2018), Rn. 9; Nieskens, in: Rau / Dürrwächter, § 18e UStG (März 2019), Rn. 35; Lippross, Umsatzsteuer, S. 1499; Vierbach / Baumgartner, UStB 2004, 239 (244); unklar ist die a. A. von Grünwald, in: Hartmann / Metzenmacher, § 6a UStG (Dezember 2014), Rn. 246, der Rückschlüsse aus „Legitimationspapieren“ abverlangt. 629 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.6.2017, Rs. 26/16, Santogal, MwStR 2017, 617 (623), Rn. 76. 630 Weimann, StB 2014, 361 (363); vgl. Dobratz, in: Schaumburg / Englisch2, Europäisches Steuerrecht, Rn. 19.168, der von einer „Schutzfunktion“ der USt-IdNr. spricht. 631 Streit / Schwarz, NWB 2017, 3632 (3636 f.); Streit / Rust, DStR 2018, 1321 (1329 f.). 632 Vgl. EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 (802), Rn. 64; Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 309. 633 Vgl. etwa FG München, Urt. v. 24.11.2011 – 14 K 1167/10 (rkr.), DStRE 2013, 486. 634 Statt aller EuGH, Urt. v. 15.12.2005, Rs. C-63/04, Centralan Property, IStR 2006, 52 (55), Rn. 62; vgl. dazu Martin, in: Sölch / R ingleb, § 3 UStG (März 2019), Rn. 38. 635 So geschehen im zu beurteilenden Sachverhalt des FG München, Urt. v. 24.11.2011 – 14 K 1167/10 (rkr.), DStRE 2013, 486. 636 Vgl. FG München, Urt. v. 24.11.2011 – 14 K 1167/10 (rkr.), DStRE 2013, 486 (487).
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
verhalte, in denen der Unternehmer in schutzwürdiger Weise einen wirtschaftlichen Vorgang irrtümlich als umsatzsteuerrechtlich relevante Lieferung eingeordnet, kaum vorstellbar.637 Insbesondere würde es an dieser Stelle nicht – wie im Vorsteuerabzugsrecht – um den Schutz des Leistungsempfängers,638 sondern um den Schutz des Lieferanten gehen. e) Erwerb des Abnehmers „für sein Unternehmen“ Tatbestandsmerkmal des § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a UStG ist, dass der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung „für sein Unternehmen erworben“ haben muss. Davon kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn der Abnehmer mit einer ihm vom anderen Mitgliedstaat erteilten USt-IdNr. auftritt und sich aus der Art und Menge der erworbenen Gegenstände keine berechtigten Zweifel an einer unternehmerischen Verwendung ergeben müssen.639 Stellt sich allerdings im Nachhinein heraus, dass der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung dem privaten Bereich zuordnet,640 wird es zu einer Versagung der Steuerbefreiung beim Lieferanten kommen. Auf die Verwendung des Liefergegenstands durch seinen Abnehmer hat der Lieferant allerdings keinen Einfluss. Er muss sich weitgehend durch die Angabe einer USt-IdNr. auf eine unternehmerische Verwendung verlassen.641 Bei Falschangaben ergibt sich folglich eine Fallkonstellation, in der für den liefernden Unternehmer ein Vertrauensschutz greifen muss.642 f) Ausbleibende Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland Nach dem Bestimmungslandprinzip soll es zu einer Erwerbsbesteuerung beim Abnehmer kommen.643 Dabei handelt es sich um das Pendant der Steuerbefreiung für den Lieferant im Ursprungsland.644 Nach § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG ist die Erwerbsbesteuerung ein Tatbestandsmerkmal einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Dem Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung zu seinem Abnehmer befördert oder versendet hat, ist es nicht mehr möglich, dies zu kontrollieren.645 Das sich aus der Angabe einer USt-IdNr. ergebende Vertrauen auf die Erwerbs 637
So auch Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 30. Vgl. dazu Wäger, UR 2017, 41 (45). 639 Abschn. 6a.1 Abs. 13 UStAE. 640 Umfassend dazu Lohse, Die Zuordnung im Mehrwertsteuerrecht, S. 241 ff. 641 Schrömbges, AW-Prax 2012, 421 (422); vgl. Achatz, in: FS für H. F. Köck, S. 65 (71). 642 Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 300. 643 Siehe dazu Seite 37 f. 644 Breinersdorfer, in: Leitgedanken des Rechts, FS für P. Kirchhof, Band II, § 184, S. 2007 (2010); vgl. Weymüller, in: Weymüller2, § 6a UStG, Rn. 10. 645 Teilweise wurde ein Abnehmer, der seinen steuerlichen Verpflichtungen im Bestimmungs land nicht nachkommt, auch direkt als Scheinunternehmer qualifiziert, vgl. dazu F. Lang, in: Weimann / Lang, § 6a UStG, Rn. 182, m. w. N. 638
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besteuerung ist demnach zu schützen.646 Die Steuerbefreiung ist bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen gemäß § 6a Abs. 4 S. 1 UStG gleichwohl zu gewähren. 2. Mehrseitige innergemeinschaftliche Liefergeschäfte An einer innergemeinschaftlichen Lieferung können mehrere Unternehmer aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten beteiligt sein. Bei mehrseitigen innergemeinschaftlichen Lieferungsgeschäften ergeben sich über die bereits dargestellten Fallkonstellationen bei zweiseitigen innergemeinschaftlichen Lieferungen hinaus Probleme hinsichtlich der Zuordnung der Warenbewegung.647 a) Vertrauensschutz bei der Zuordnung der Warenbewegung Bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften wird ein Vertrauensschutz dann relevant, wenn ein Unternehmer eine von ihm getätigte innergemeinschaftliche Lieferung innerhalb eines Reihengeschäfts als steuerfrei behandeln möchte, da die Warenbewegung dann gerade seiner Lieferung zugeordnet werden muss.648 Auch nach der Einführung der vereinfachenden Vermutungsregelung in Art. 36a MwStSystRL muss der Unternehmer diesbezüglich alle Umstände des Einzelfalls würdigen.649 Dieser entspricht der schon vorher in Deutschland geltenden Rechtslage, dass der Ersterwerber im Fall eines Weiterverkaufs durch Mitteilung oder Verschweigen des Weiterverkaufs die Zuordnung der Warenbewegung in der Hand hat,650 vgl. § 3 Abs. 6 S. 6 UStG. Um die Umstände zu bewerten, ist der erste Lieferant maßgeblich auf die Angaben seiner Geschäftspartner angewiesen.651 Vor diesem Hintergrund könnte wiederum nach den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit das Vertrauen des ersten Lieferanten in die zugrundliegende Warenbewegung Berücksichtigung finden.652 646
So auch Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 301; vgl. Achatz, in: FS für H. F. Köck, S 65 (72). 647 Hassa, Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Reihengeschäften, S. 181 f. 648 Hassa, Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Reihengeschäften, S. 181 f.; Kettisch, Reihengeschäfte in der Umsatzsteuer, S. 45 ff. 649 Vgl. EuGH, Urt. v. 26.7.2017, Rs. C-386/16, Toridas, DStR 2017, 1819 (1821), Rn. 35 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DStR 2011, 23 (25), Rn. 27 und EuGH, Urt. v. 27.9.2012, Rs. C-587/10, VSTR, DStR 2012, 2014 (2016 f.), Rn. 32; siehe dazu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 414; Hassa, Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Reihengeschäften, S. 182. 650 Vgl. BFH, Urt. v. 11.8.2011 – V R 3/10, BFHE 235, 43 (47), Rn. 18. 651 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DStR 2011, 23 (26), Rn. 37; Kettisch, Reihengeschäfte in der Umsatzsteuer, S. 43. 652 So etwa Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 415; i.Erg. ebenso befürwortend Hassa, Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Reihengeschäften, S. 183; vgl. auch F. Lang, in: Weimann / Lang, § 6a UStG, Rn.180.
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aa) EuGH-Urteil vom 21.2.2018, Kreuzmayr GmbH Der EuGH folgte jedoch in seiner neueren Rechtsprechung nicht dem unternehmerfreundlichen Weg, den er in den bereits dargestellten Fallkonstellationen eingeschlagen hat. In seiner Entscheidung Kreuzmayr GmbH hat der EuGH einen Vertrauensschutz des gutgläubigen Unternehmers ausdrücklich abgelehnt und diesen vielmehr auf den nationalen Zivilrechtsweg verwiesen.653 Im zugrundeliegenden Sachverhalt wurde dem österreichischen Unternehmen „Kreuzmayr“ der Vorsteuerabzug nachträglich versagt, weil der ebenfalls in Österreich ansässige Vorlieferant „BIDI“ in seiner Rechnung Umsatzteuer ausgewiesen hatte, obwohl seine Lieferung diejenige war, die im Reihengeschäft nach zutreffender Zuordnung der Warenbewegung als steuerfrei hätte behandelt werden müssen.654 Das Unternehmer „BIDI“ bezog seine Waren von dem in Deutschland ansässigen Unternehmen „BP Marketing“ und hatte diesem nicht mittgeteilt, dass es zu einem Weiterverkauf und Transport an „Kreuzmayr“ kommt, sodass „BP Marketing“ zunächst von einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung nach Österreich ausging.655 „BIDI“ wies für die Lieferung an „Kreuzmayr“ wiederum Umsatzsteuer aus, welche sich nach zutreffender Zuordnung der Warenbewegung656 als unberechtigt herausstellte. „Kreuzmayr“ begehrte weiterhin aus Vertrauensschutzgründen den Vorsteuerabzug auf Grundlage der in der Rechnung von „BIDI“ unberechtigt ausgewiesenen Umsatzsteuer, was der EuGH schließlich ablehnte. Der Begründungsduktus ist allerdings mit Unklarheiten behaftet: Es erschließt sich nicht ganz, warum der EuGH in seiner Entscheidung von einem Vertrauensschutz ausgeht, der auf der Grundlage von Zusicherungen einer Verwaltungs behörde beruht, und diesen dann logischerweise für die dargestellte Fallkonstellation ablehnt,657 anstatt auf den Vertrauensschutz bei Falschangaben der Geschäftspartner im Umsatzsteuerrecht einzugehen, nach welchem vorliegend auch gefragt war.658 Gleichwohl lässt sich das Ergebnis, einen Vertrauensschutz bei der Zuordnung der Warenbewegung im Reihengeschäft nur eingeschränkt zu gewähren, mit einer treffenderen Begründung herleiten und zudem mit der bereits dargestellten EuGH-Rechtsprechung in Einklang bringen.659 Dies soll im Folgenden näher dargestellt werden.
653
EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, DStR 2018, 461 (464), Rn. 46 ff. 654 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, DStR 2018, 461 (461 f.), Rn. 10 ff.; siehe auch Reiß, MwStR 2018, 296. 655 Vgl. Reiß, MwStR 2018, 296. 656 Dazu sogleich Seite 151. 657 EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, DStR 2018, 461 (464), Rn. 46 f. 658 Diesbezüglich krit. auch Heinrichshofen, UR 2018, 285 (285 f.). 659 So auch Heinrichshofen, UR 2018, 285 (285 f.).
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bb) Irrtümliche rechtliche Würdigung Zu unterscheiden ist, ob der Unternehmer auf einen bestimmten Sachverhalt vertraut, der nach seinem Vorstellungsbild vorliegen soll, und er deshalb eine irrige rechtliche Würdigung vornimmt oder ob der Unternehmer durch die unzutreffenden Angaben seines Geschäftspartners getäuscht wurde.660 Natürlich kann es auch bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften zu der Situation kommen, dass der Unternehmer auf das Vorliegen eines gewissen Sachverhalts vertraut hat, gerade weil sein Geschäftspartner ihm gegenüber falsche Angaben gemacht hat.661 Einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft liegt aber zunächst eine rechtliche Bewertung durch die beteiligten Unternehmer über die Zuordnung der Warenbewegung zugrunde. Mit der Einführung der übergreifenden Vermutungsregelung des Art. 36a MwStSystRL ist die Beurteilung für den Fall der Beförderung oder Versendung durch den Zwischenhändler vereinfacht worden.662 Indem der deutsche Gesetzgeber in § 3 Abs. 6a S. 2 und 3 UStG auch die Zuordnung der Warenbewegung bei einer Beförderung oder Versendung durch den Lieferanten beziehungsweise den Endabnehmer mitgeregelt hat – entscheidend ist, wer die Ware befördert oder versendet –, wurde zumindest aus deutscher Sicht ein Abstellen auf die Verschaffung der Verfügungsmacht für die Zuordnung der Warenbewegung obsolet.663 Da Art. 36a MwStSystRL ausschließlich die Beförderung oder Versendung durch den Zwischenhändler erfasst, ergibt sich auch nur insoweit eine einheitliche europäische Regelung. Die deutsche Regelung zur Zuordnung bei einer Beförderung oder Versendung durch den Lieferanten oder Endabnehmer könnte damit wiederum in Konflikt mit anderen mitgliedstaatlichen Rechtsauffassungen geraten. So wäre es denkbar, dass ein anderer Mitgliedstaat bei einer Beförderung oder Versendung, die nicht von einem Zwischenhändler durchgeführt wird, weiterhin für die Zuordnung der Warenbewegung nach den ursprünglichen Kriterien des EuGH auf die Verschaffung der Verfügungsmacht664 abstellt.665 Daraus können sich weiterhin differierende (rechtliche) Beurteilungen des Sachverhalts ergeben. Die Kreuzmayr GmbH-Entscheidung des EuGH betraf dabei die Fallkonstellation, dass der erste Lieferant („BP Marketing“) von seinem Zwischenhändler („BIDI“) nicht ausreichend informiert wurde, dass dieser die Ware bereits weiterveräußert hatte und die Abholung auch von dem Endabnehmer „Kreuzmayr“ veranlasst war, sodass nach den dargestellten Grundsätzen die Lieferung des Zwischenhändlers „BIDI“ die warenbewegte steuerfreie Lieferung sein musste.666 660
Reiß, MwStR 2018, 296 (299 f.). Reiß, MwStR 2018, 296 (300). 662 Becker, MwStR 2018, 957 (960); vgl. dazu Vellen, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 955 (968). 663 Grambeck, MwStR 2019, 438 (438 f.). 664 EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, DStR 2018, 461 (464), Rn. 32; vgl. dazu Heuermann, DStR 2018, 2078 (2082); Wäger, UR 2015, 576 (579). 665 Vgl. Becker, MwStR 2018, 957 (960). 666 Vgl. Reiß, MwStR 2018, 296 (300). 661
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Die Entscheidung zeigt, dass sich der Unternehmer („Kreuzmayr“) bei einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung durch seinen Geschäftspartner („BIDI“), der im konkreten Fall unzutreffend die Lieferung an „Kreuzmayr“ als steuerpflichtige Lieferung einordnete, nicht auf Vertrauensschutz berufen kann, sondern auf den Zivilrechtsweg verwiesen ist.667 Im Fall dieser rechtlich unzutreffenden Beurteilung wäre ein Vertrauensschutz nur auf der Grundlage einer vorherigen verwaltungsbehördlichen Zusage möglich.668 In der Konsequenz genießt auch ein Unternehmer keinen Vertrauensschutz hinsichtlich seiner Beurteilung des Sachverhalts und dessen rechtlicher Würdigung, wenn er unzutreffend in seiner Rechnung einen unrichtigen oder unberechtigten Umsatzsteuerbetrag ausweist (hier „BIDI“).669 Dies ist allein eine Frage der zivilrechtlichen Rückabwicklung oder gegebenenfalls einer Rechnungsberichtigung und führt nicht dazu, dass dem Unternehmer auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ein Vertrauensschutz zu gewähren ist.670 Grundsätzlich ist in allen Fragen des Reihengeschäfts der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt entscheidend, was mit der Wertung in Einklang steht, dass es in einem Reihengeschäft nicht zu mehreren steuerbefreiten Lieferungen kommen kann, nur weil die in der Lieferkette beteiligten Unternehmer unterschiedliche Würdigungen bezüglich der Zuordnung der Warenbewegung vorgenommen haben.671 An dieser Stelle muss eine Korrektur unter der Heranziehung der zivilrechtlichen Vereinbarungen erfolgen und nicht über einen (unionsrechtlichen) Vertrauensschutz.672 cc) Vertrauensschutz bei täuschungsbedingter Fehlbeurteilung Kommt es allerdings zu einer Täuschungshandlung innerhalb des Reihengeschäfts, auf deren Grundlage der Unternehmer von einer in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhaltskonstellation ausging, kann dies nach den Grundsätzen der Rechtssicherheit, der Neutralität der Umsatzsteuer und der Verhältnismäßig-
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EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, DStR 2018, 461 (464), Rn. 48; vgl. Heuermann, DStR 2018, 2078 (2083). 668 In diesem Sinne wohl zu verstehen EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, DStR 2018, 461 (464), Rn. 46 f. Vgl. dazu Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1602 f.); Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 3 UStG (September 2018), Rn. 489. 669 Vgl. Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1603). Dies deckt sich im Übrigen mit den Ausführungen zur Rechnungsberichtigung auf Seite 84 ff. 670 Vgl. EuGH, Urt.v. 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink und Cofreth, DStRE 2000, 1166 (1169), Rn. 61, wo es den Mitgliedstaaten überlassen wurde, bei einer nicht vollständigen Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens die Berichtigung der Rechnung vom guten Glauben des Rechnungsausstellers abhängig zu machen. 671 Reiß, MwStR 2018, 296 (299 ff.); Kettisch, UR 2014, 593 (596 f.); ders., Reihengeschäfte in der Umsatzsteuer, S. 119 ff.; Schwab, ÖStZ 2014, 32 (35); vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 415. 672 Eingehend zur Abgrenzung § 5 dieser Arbeit.
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keit einen Vertrauensschutz rechtfertigen.673 Denn letztlich ist auch das inner gemeinschaftliche Reihengeschäft nur eine Sonderform der innergemeinschaft lichen Lieferungsgeschäfte, womit die in § 6a Abs. 4 UStG abgebildeten Grundsätze Anwendung finden müssen.674 Damit ist für den Vertrauensschutz bei Reihen geschäften entscheidend, ob der liefernde Unternehmer durch die von seinem Geschäftspartner erhaltenen Angaben davon ausgehen konnte, dass die materiellen Tatbestandsmerkmale einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegen und es sich nicht um eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch handelt.675 Insbesondere der erste Lieferant ist auf die Erklärungen des Zwischenhändlers angewiesen, um zu beurteilen, ob seine Lieferung an den Zwischenhändler die warenbewegte (steuerbefreie) Lieferung ist.676 Konnte der liefernde Unternehmer auf der Grundlage der Angaben des Zwischenhändlers nicht wissen oder davon ausgehen, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung bei korrekter Zuordnung nicht vorliegen und war er auch sonst nicht bösgläubig, ist sein Vertrauen auch im Hinblick auf die unbewegten Lieferung zu schützen.677, 678 Die Zubilligung von Vertrauensschutz hat allerdings nur für den betroffenen gutgläubigen Unternehmer Bedeutung und nicht für die Beurteilung des Sachverhalts seiner Vertragspartner.679 Dies würde zu mehrfachen Steuerbefreiungen frei nach den Vorstellungsbild der Parteien innerhalb der Lieferkette führen.680 Der Vorgang ist deshalb im Lieferstaat als steuerpflichtig zu behandeln und nur die Steuerschuld ist auf den täuschenden Abnehmer zu verlagern.681 Ein Rückgriff auf § 6a Abs. 4 UStG eignet sich hierfür nur in Bezug auf § 6a Abs. 4 S. 2 UStG, denn § 6a Abs. 4 S. 1 UStG erklärt den Vorgang „gleichwohl als steuerfrei“. § 6a Abs. 4 S. 2 UStG 673 Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DStR 2011, 23 (26), Rn. 35; EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7852), Rn. 48 ff. 674 Vgl. BFH, Urt. v. 25.5.2015 – XI R 15/14, BFHE 249, 343 (356), Rn. 69. 675 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DStR 2011, 23 (26), Rn. 35; Kettisch, Reihengeschäfte in der Umsatzsteuer, S. 121; Reiß, MwStR 2018, 296 (300). 676 Problematisch dürften insbesondere auch nach Einführung des Art. 36a MwStSystRL Fälle bleiben, in denen der Enderwerber ohne die Kenntnis des ersten Lieferers bereits im Abgangsstaat frühzeitig (d. h. vor Beginn der Beförderung / Versendung) die Verfügungsmacht erlangt, da dann nur die Lieferung des Zwischenhändlers an den Endabnehmer der Warenbewegung zugerechnet werden kann, vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DStR 2011, 23 (26), Rn. 35 ff.; Ismer / Pull, MwStR 2014, 152 (157); Hassa, Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Reihengeschäften, S. 182 f.; dazu auch Nieskens, DStR 2017, 1963 (1967). 677 Vgl. Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 3 UStG (September 2018), Rn. 489; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 415; Hassa, Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Reihengeschäften, S. 183; Treiber, HFR 2015, 599 (600). 678 Str.: Siehe i.Erg. auch BFH, Urt. v. 11.8.2011 – V R 3/10, BFHE 235, 43 (48 f.), Rn. 22, 29, der allein auf den Kenntnisstand des ersten Lieferers abstellt; a. A. BFH, Urt. v. 28.5.2013 – XI R 11/09, BFHE 242, 84 (95), Rn. 61 ff., der dies nicht allein für entscheidungserheblich hält. 679 Kettisch, UR 2014, 593 (597). 680 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 415; vgl. Seite 150 ff. 681 Treiber, HFR 2015, 599 (600); vgl. Schwab, ÖStZ 2014, 32 (35). Unionsrechtlich zulässig nach EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DStR 2011, 23 (26), Rn. 38.
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ist im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes „zu Ende zu denken“682 und muss daher auf täuschungsbedingt fehlerhafte Zuordnungen der Warenbewegung nur in diesem Fall aufgrund einer planwidrigen Regelungslücke zulässigerweise analog angewendet werden. b) Innergemeinschaftliche Anschlussgeschäfte Bei einem innergemeinschaftlichen Anschlussgeschäft gelangt der Gegenstand der Lieferung aus dem Drittland in einen Mitgliedstaat und wird von dort in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet. In dieser Konstellation begegnen dem importierenden und gleichzeitig weiterliefernden Unternehmer Risiken einer unvorhergesehenen Belastung mit Abgaben sowohl zollrechtlicher als auch umsatzsteuerlicher Art.683 aa) Zum sogenannten „Zollverfahren 42“ Der importierende Unternehmer erlangt nach Art. 143 Abs. 1 lit. d MwStSystRL i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG eine Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer. Nach § 21 Abs. 2 UStG gelten für die Einfuhrumsatzsteuer grundsätzlich die „Vorschriften über die Zölle“684 sinngemäß. Der importierende Unternehmer kann daraufhin nach Art. 138 MwStSystRL und § 4 Abs. 1 UStG i. V. m. § 6a UStG wiederum steuerfrei in das „übrige Gemeinschaftsgebiet“ liefern. Voraussetzung ist, dass er die dafür notwendigen zusätzlichen Vorgaben des Art. 143 Abs. 2 MwStSystRL einhält. Die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer wird damit an das Bestehen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung gekoppelt.685 Darunter versteht man das „Zollverfahren 42“686, welches das Zollrecht und das Umsatzsteuerrecht in der Weise zusammenführt, dass ausschließlich der Verbrauch der Ware im Bestimmungsland der Besteuerung unterfallen soll.687
682
Vgl. dazu Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (Februar 2015), Rn. 694, m. w. N. Schrömbges, AW-Prax 2013, 8 (9). 684 Diese umfassen alle materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften des Unionsrechts und des nationalen Zollrechts, wovon insbes. der seit dem 1.5.2016 geltende Unionszollkodex (UZK) erfasst wird. Vgl. BFH, Urt. v. 3.5.1990 – VII R 71/88, BFHE 161, 260 (261); Hamster, in: Weymüller2, § 21 UStG, Rn. 35 f. 685 Schrömbges, AW-Prax 2013, 8 (9). 686 Der Name „Zollverfahren 42“ beruht auf dem Verfahrenscode 0042 (VC 42), der in diesem Zusammenhang von den Zollbehörden geführt wird, die die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer genehmigen. 687 Schrömbges, AW-Prax 2013, 8; vgl. dens., SWK 2014, 108; dens. / Kotschnigg, ZfZ 2016, 2; siehe ferner Kuhr / Schrömbges, MwStR 2016, 14 (20). 683
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bb) Vertrauensschutz im „Zollverfahren 42“ Auch innerhalb des „Zollverfahrens 42“ kommt die Frage auf, ob der gutgläubige Importeur vor Falschangaben seiner Geschäftspartner zu schützen ist.688 Zunächst ist zu beachten, dass der Vertrauensschutz im „Zollverfahren 42“ eine zollrechtliche und eine umsatzsteuerliche Dimension erhält.689 Der Zollkodex der Europäischen Union (UZK) sieht in Art. 119 UZK einen Vertrauensschutz für irrtümliche Beurteilungen der Zollbehörden vor, die der gutgläubige Importeur nicht erkennen konnte.690 Gegenüber Täuschungshandlungen des Abnehmers wird der Importeur über § 6a Abs. 4 UStG geschützt, da es sich um eine innergemeinschaftliche Lieferung handelt wie jede andere auch.691 (1) Einheitliche Betrachtungsweise des Liefervorgangs Es überrascht nicht, dass der EuGH jüngst in der Rechtsache Milan die Vorgaben der Teleos-Rechtsprechung692 auf die innergemeinschaftlichen Anschlusslieferungen ausgeweitet hat.693 Grundsätzlich werden zollrechtliche Zahlungen des Importeurs für die Einfuhr der Waren aus dem Drittland unabhängig von einer Gutgläubigkeit hinsichtlich der Einhaltung der zollrechtlichen Verpflichtungen des Exporteuers geschuldet.694 Nach dem EuGH ist diese rein objektive Beurteilung aber nicht auf eine betrugsbehaftete innergemeinschaftliche Lieferung, die im Rahmen des „Zollverfahrens 42“ durchgeführt wird, übertragbar.695 Die in der Teleos-Rechtsprechung herangezogenen Grundsätze zum Vertrauensschutz des Lieferanten sind vielmehr auch auf Art. 143 Abs. 1 lit. d MwStSystRL anwendbar, weshalb einem gutgläubigen Importeur nicht nachträglich die Steuerbefreiung bei der Einfuhrumsatzsteuer versagt werden darf, weil der Enderwerber ohne Wissen des Importeurs innerhalb des angeschlossenen Umsatzes eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch begangen hat.696 Da die Steuerbefreiung von der Einfuhrumsatzsteuer und die Steuerbefreiung der anschließenden innergemeinschaftlichen
688
Vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (104 ff.), Rn. 32 ff.; Schrömbges, MwStR 2019, 133 (133 f.). 689 Schrömbges, AW-Prax 2013, 8 (10); Jatzke, in: Sölch / R ingleb, § 5 UStG (September 2018), Rn. 35; vgl. dazu in Bezug auf die österreichische Vertrauensschutzregelung in § 7 Abs. 4 öUStG Schrömbges, SWK 2014, 108 (110). 690 Vgl. dazu Alexander, in: Witte, Art. 119 UZK, Rn. 3 ff.; Deimel, in: HHSp, Art. 119 UZK (Februar 2019), Rn. 8 ff. 691 Vgl. Schrömbges, SWK 2014, 108 (110). 692 Vgl. EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7852 f.), Rn. 48 ff. Siehe dazu Seite 124 f. 693 EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (105), Rn. 35 ff. und 38. 694 EuGH, Urt. v. 17.7.1997, C-97/95, Pascoal, Slg. I 1997, 4209 (4210 f.). 695 EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (105), Rn. 36. 696 EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (105), Rn. 38.
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
Lieferung einheitlich betrachtet werden müssen,697 würde die behördliche Verweigerung des Rechts auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer ohne Berücksichtigung des Sorgfaltsmaßstabs bei der Anschlusslieferung auf eine unverhältnismäßige Trennung zwischen der Befreiung bei der Einfuhr und der Befreiung bei der nachfolgenden innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung hinauslaufen, weshalb die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nicht „automatisch […] verweigert“ werden darf.698 Ferner verwehrt es der Grundsatz der Rechtssicherheit, einem gutgläubigen Lieferanten, dessen Nachweise für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zunächst von der Behörde akzeptiert wurden, nachträglich die Steuerbefreiung zu versagen, weil dessen Enderwerber innerhalb des angeschlossenen Umsatzes einen Steuerbetrug begangen hat, vorausgesetzt der Lieferant hatte von dem Steuerbetrug keine Kenntnis und hätte diese Kenntnis auch nicht haben müssen.699 (2) Vertrauensschutz des „indirekten Vertreters“ Um einen Grenzfall handelt es sich, wenn im „Zollverfahren 42“ ein Spediteur als „indirekter Vertreter“700 für den Importeur auftritt. Der Grund dafür liegt in der Problematik, dass der indirekte Vertreter als Anmelder gesamtschuldnerisch mit dem Vertretenen nach Art. 77 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 UZK die Einfuhrumsatzsteuer schuldet. Dahinter verbirgt sich für den indirekten Vertreter des Importeurs das Risiko, dass er nachträglich aufgrund von Täuschungshandlungen oder unrichtigen Angaben701 gesamtschuldnerisch mit Einfuhrumsatzsteuer belastet wird.702 Dabei erstreckt der EuGH den Vertrauensschutz auch auf den redlichen Spediteur, der als indirekter Vertreter im „Zollverfahren 42“ nichts davon wusste oder hätte wissen können, dass der spätere Umsatz in eine vom Empfänger der Lieferung begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.703 Dies hat weitaus mehr Bedeutung als eine bloße Einzelfallentscheidung. Denn die Konfrontation mit Falschangaben oder Täuschungen betrifft grundsätzlich das allgemeine Risiko eines Stellvertreters.704 Da einem Spediteur dieses Risiko bekannt sein muss, ist man geneigt, diesen auf
697
EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (105), Rn. 39. EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (105), Rn. 40. 699 EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (105 f.), Rn. 42 ff. 700 Nach Art. 170 Abs. 2 UZK muss der „Anmelder“ im Zollgebiet ansässig sein. Ist er dies (z. B. bei Ansässigkeit in den USA) nicht, muss er sich einen im Zollgebiet ansässigen indirekten Vertreter beschaffen. Indirekter Vertreter bedeutet in diesem Zusammenhang, dass dieser selbst nicht die Verfügungsmacht über den Gegenstand der Lieferung erlangt. 701 Siehe im Einzelnen dazu Witte, in: Witte, Art. 77 UZK, Rn. 27. 702 So auch Schrömbges, AW-Prax 2013, 8 (10); vgl. dens., SWK 2014, 108 (111). 703 EuGH, Urt. 14.2.2019, Rs. C-531/17, Vetsch, MwStR 2019, 449; vgl. Schrömbges, MwStR 2019, 133 (140), der unter Hinweis auf den gewährten Vertrauensschutz beim vertretenen Importeur aus Gleichheitsgründen schon seit längerem für diese Sichtweise plädiert. 704 Vgl. FG München, Urt. v. 20.10.2016 – 14 K 1770/13 (rkr.), MwStR 2017, 586 (590). 698
§ 4 Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen
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eine zivilrechtliche Absicherung zu verweisen.705 Der EuGH macht hingegen deutlich, dass dies auch bei einer vermeintlichen Vorhersehbarkeit nicht zumutbar ist.706 Der Neutralitätsgrundsatz, der das Recht auf Vorsteuerabzug oder Steuerbefreiung beinhaltet, steht über der nicht bewiesenen Behauptung der Finanzbehörde, es handle sich um eine Beteiligung an einem Missbrauch oder Steuerbetrug.707 Ein pauschaler Verweis auf zivilrechtliche Ansprüche ist demnach unzulässig. Diese Wertung ist unter § 5 dieser Arbeit bei der Untersuchung des Verhältnisses zivilrechtlicher Ansprüche gegenüber dem Vertrauensschutz bereichsübergreifend zu berücksichtigen. cc) Zusammenfassende Bewertung Der EuGH bekräftigt einen allgemeinen Vertrauensschutz hinsichtlich unzutreffender Angaben des Abnehmers in sämtlichen Konstellationen einer innergemeinschaftlichen Lieferung.708 Abzuwägen ist zwischen den Interessen des Staates an einer Sicherung des Steueraufkommens und dem Interesse des Unternehmers an einer verhältnismäßigen Indienstnahme.709 Der Vertrauensschutz hat dabei eine derart gewichtige Bedeutung, dass er eine einheitliche Betrachtung bei der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer und der steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung erfordert. Das Vertrauen des importierenden Unternehmers auf die Angaben seines Geschäftspartners bei der Anschlusslieferung muss einheitlich auch im Rahmen der Steuerbefreiung von der Einfuhrumsatzsteuer Berücksichtigung finden.710 Der Vertrauensschutz wäre missachtet, wenn man den Finanzbehörden eine nachträgliche Belastung mit Einfuhrumsatzsteuer ohne Prüfung des Sorgfaltsmaßstabs des Importeurs bei der damit zusammenhängenden Anschlusslieferung ermöglichen würde. Dies gilt unabhängig davon, ob die Behörden zuvor Dokumente des Steuerpflichtigen akzeptiert haben.711 Zudem gelten bei einem Drittlandbezug keine strengeren Maßstäbe hinsichtlich der Sorgfältigkeit des Unternehmers als bei einem bilateralen innergemeinschaftlichen Lieferungsgeschäft.712 Nach diesen unionsrechtlichen Vorgaben können nicht erkennbare Falschangaben des Abnehmers nicht als allgemeines „Geschäftsrisiko“
705
So FG München, Urt. v. 20.10.2016 – 14 K 1770/13 (rkr.), MwStR 2017, 586 (591). Vgl. EuGH, Urt. 14.2.2019, Rs. C-531/17, Vetsch, MwStR 2019, 449 (451), Rn. 42. 707 So die treffende Formulierung von Winter, MwStR 2019, 789. 708 Zust. Winter, MwStR 2019, 106. Siehe ferner Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1608); Becker, UR 2009, 664 (665 f.); krit. Sterzinger, DStR 2010, 2606 (2607 ff.). 709 Vgl. Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (17). 710 Vgl. dazu Schrömbges, MwStR 2019, 133 (140 f.). 711 Der EuGH behandelte diesen Aspekt erst innerhalb der zweiten Vorlagefrage, vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (105 f.). 712 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (106), Rn. 46. 706
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
eines Unternehmers abgetan werden,713 sondern sie sind durch Vertrauensschutz vor Fiskalinteressen zu berücksichtigen.714 3. Ortsbestimmung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Um den Ort einer innergemeinschaftlichen Lieferung bestimmen zu können, ist der Unternehmer auf teilweise nicht überprüfbare Angaben seines Geschäftspartners angewiesen. Dadurch kann es zu der Situation kommen, dass sich der zutreffende Ort der Lieferung und deren Steuerbarkeit im Lieferstaat erst nachträglich herausstellen. a) Auffangbesteuerung nach § 3d S. 2 UStG Verwendet der Erwerber einer innergemeinschaftlichen Lieferung (vgl. § 1a UStG) eine andere USt-IdNr. als diejenige des Mitgliedstaats, in dem die Beförderung oder Versendung endet, so enthält § 3d S. 2 UStG eine Ortsbestimmung, nach der der Erwerber auch im Mitgliedstaat, dessen USt-IdNr. er verwendet hat, steuerpflichtig bleibt, solange er die Besteuerung der Lieferung im Bestimmungsmitgliedstaat nicht nachgewiesen hat oder der Erwerb nach § 25b Abs. 3 UStG als besteuert gilt, sofern der erste Abnehmer seiner Erklärungspflicht nach § 18a Abs. 7 S. 1 Nr. 4 UStG nachgekommen ist. § 3d S. 2 UStG ist auch für innergemeinschaftliche Reihen- und Dreiecksgeschäfte anwendbar.715 Eine nach § 3d S. 2 UStG geschuldete Steuer ist im Umkehrschluss aus dem eindeutigen Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG nicht als Vorsteuer abziehbar.716 Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 3d S. 2, 17 Abs. 2 Nr. 4 UStG trägt allein der Erwerber.717 Beispielsfall:718 D ist Bauunternehmer in Deutschland und erhält zur Zeit Aufträge zum Gebäudebau in Tschechien. D verfügt selbst nicht immer über das notwendige Baumaterial. Daher einigt er sich mit dem polnischen Unternehmer P über
713 So aber Mann, Der Schutz des guten Glaubens im Spannungsfeld des Umsatzsteuerbetrugs, S. 357 ff. 714 In diese Richtung hat bereits zutreffend Nieskens, Stbg 2005, 554 (572) argumentiert. 715 Marchal, in: Rau / Dürrwächter, § 3d UStG (März 2019), Rn. 23 ff.; vgl. dazu Kossack, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 3d UStG (Mai 2017), Rn. 15 f. 716 Vgl. EuGH. Urt. v. 22.4.2010, Rs. C-536/08 und 539/08, X und Facet Trading, DStR 2010, 926 (928), Rn. 40 ff.; BFH v. 1.9.2010 – V R 39/08, BStBl. II 2011, 658 (660 f.); Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 3d UStG (Oktober 2017), Rn. 17; a. A. Wagner, UVR 2010, 220 (222 f.). 717 BFH, Urt. v. 1.9.2010 – V R 39/08, BFHE 231, 308 (311), Rn. 14; vgl. dazu Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 3d UStG (Oktober 2017), Rn. 14; Kossack, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 3d UStG (Mai 2017), Rn. 14. 718 Orientiert an Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 930.
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die Lieferung von fünf Stahlträgern. D und P vereinbaren, dass die Stahlträger direkt nach Tschechien auf die Baustelle transportiert werden sollen. Der Erwerber D verwendet für die Lieferung seine deutsche USt-IdNr. Im Beispielsfall würde der innergemeinschaftliche Erwerb zum einen in Tschechien der Erwerbsbesteuerung unterfallen und zum anderen in Deutschland nach § 3d S. 2 UStG der Auffangbesteuerung, solange der Unternehmer D nicht nachweist, dass der Erwerb tatsächlich in Tschechien besteuert worden ist. In der Literatur wird diskutiert, ob ein innergemeinschaftlicher Erwerber, der im Hinblick auf die Ausführung der Lieferung im Bestimmungsland gutgläubig war, zu schützen ist, denn nicht immer wird der Erwerber den Nachweis einer Besteuerung im Mitgliedstaat, in dem die Beförderung oder Versendung endet, sicher führen können.719 Der Zweck des § 3d S. 2 UStG liegt allerdings darin, die Besteuerung des Erwerbvorgangs wenigstens in einem Mitgliedstaat beziehungsweise innerhalb der Europäischen Union sicherzustellen.720 § 3d S. 2 UStG soll dem latenten Risiko entgegenwirken, dass es zu einem unversteuerten Letztverbrauch kommt, zumal die Warenbewegung der Kontrolle des Abgangslandes entzogen ist und nur auf die verwendete USt-IdNr. zurückgegriffen werden kann.721 Ein Vertrauensschutz ist mit der zulässigen Absicht der Sicherung des Steueraufkommens in abstrakten Gefährdungssituationen nicht zu vereinbaren.722 Wie im Fall des § 14c Abs. 1 und Abs. 2 UStG soll eine objektiv hervorgerufene Gefährdungssituation durch die Einführung einer Steuerpflicht behoben werden. Dem Erwerber ist es zuzumuten, sich im Bestimmungsland steuerlich registrieren zu lassen, wenn er einer doppelten Belastung mit Umsatzsteuer aufgrund unterbliebener Nachweisführung ausweichen möchte. Die Sicherstellung des Umsatzsteueraufkommens in Gefährdungssituationen durch die Fiktion des § 3d S. 2 UStG führt damit zu einer Restriktion des Vertrauensschutzes.723 Ferner würde durch die Gewährung eines
719 Vgl. Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (15). Bei einem Irrtum der Beteiligten über die Anwendungsvoraussetzungen eines Dreiecksgeschäfts treten regelmäßig Steuerbelastungen nach § 3d S. 2 UStG beim „mittleren Unternehmer“ ein, was nicht zuletzt aus unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Mitgliedstaaten resultiert, vgl. Prätzler, in: Birkenfeld / Wäger, Das große USt-Handbuch, Abschn. I, Kap. 6, C. Innergemeinschaftlicher Erwerb § 3d UStG (Februar 2018), Rn. 51 ff.; Robisch, UR 2014, 561 (561 f.) 720 Marchal, in: Rau / Dürrwächter, § 3d UStG (März 2019), Rn. 17; Kossack, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 3d UStG (Mai 2017), Rn. 10; Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 3d UStG (Oktober 2017), Rn. 11; Höink, in: Adick / Höink / Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4, Rn. 245. 721 Hiller, DStR 2015, 621 (624). 722 Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (16). Im Übrigen wird der Nachweis im Sinne des § 3d S. 2 UStG ohne Rückwirkung in § 17 Abs. 2 Nr. 4 UStG erfasst, vgl. BFH, Urt. v. 1.9.2010 – V R 39/08, BFHE 231, 308 (312) = DStR 2011, 232 (234), Rn. 21. 723 Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (16).
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Vertrauensschutzes der Anreiz724 entfallen, den Ort der Beendigung der Warenbewegung nachzuweisen.725 b) Ortsbestimmungen in besonderen Fällen nach § 3c UStG Die Ortsbestimmung nach § 3c UStG zeichnen sich dadurch aus, dass die eigene Besteuerung des Lieferanten von Status und Aktivitäten des Abnehmers abhängt.726 Es ist gerade bei grenzüberschreitenden Lieferungen innerhalb der Europäischen Union für den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen liefernden Unternehmer kaum möglich, sich entsprechende Einblicke in die Umstände seines Abnehmers zu verschaffen. Die Ortsbestimmung hat Einfluss auf die Höhe des Bruttopreises,727 denn wenn der liefernde Unternehmer davon ausgeht, dass die Lieferung dort ausgeführt wird, wo die Beförderung oder Versendung endet (vgl. § 3c Abs. 1 UStG), wird er von einem in seinem Mitgliedstaat nicht steuerbaren Umsatz ausgehen. Täuscht sein Abnehmer über die in § 3c Abs. 2 UStG vorgesehenen Abnehmereigenschaften (wie zum Beispiel seine Eigenschaft als Kleinunternehmer nach § 3c Abs. 2 Nr. 2 lit. b UStG), wird der Unternehmer nachträglich mit Umsatzsteuer belastet und ist nicht mehr in der Lage, diese über den Preis seiner Ware abzuwälzen, da er diese schon an den Abnehmer geliefert hat. Unter Zugrundelegung der bereits dargestellten Wertungen ist es auch in diesem Fall nicht gerechtfertigt, das Risiko des Steuerausfalls dem in Dienst genommenen Unternehmer aufzuerlegen. Bei der Zuordnung der Warenbewegung innerhalb eines Reihengeschäfts handelt es sich ebenfalls um eine Bestimmung des Ortes der Lieferung. Überträgt man die dortigen Ergebnisse auf § 3c UStG, ergibt sich ein Vertrauensschutz des liefernden Unternehmers ebenfalls dergestalt, dass aufgrund der fehlerhaften Angaben des Abnehmers grundsätzlich von einer steuerbaren und steuerpflichtigen Lieferung im Abgangsstaat auszugehen ist.728 Die Steuerschuld verlagert sich wiederum in analoger Anwendung des § 6a Abs. 4 S. 2 UStG, der nach seinem Wortlaut nur die Steuerbefreiung und nicht die Steuerbarkeit betrifft, auf den Abnehmer, der gegenüber dem Lieferant falsche Angaben gemacht hat.729 So gelangt man bei Reihengeschäften und der Ortsbestimmung nach § 3c UStG zu einem einheitlichen Ergebnis, ohne den Sachverhalt aufgrund abweichender Vorstellungsbilder der Parteien (mehrfach) unterschiedlich zu behandeln.730
724
Zu diesem Teilzweck Kossack, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 3d UStG (Mai 2017), Rn. 11. Vgl. Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (16). 726 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (18 f.). 727 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (19). 728 Vgl. Seite 153 f. 729 Vgl. Seite f. 730 Vgl. bzgl. der Reihengeschäfte Schwab, ÖStZ 2014, 32 (35). 725
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III. Zweiter Schritt: Versagung der Steuerbefreiung nur noch wegen Bösgläubigkeit hinsichtlich eines Missbrauchs oder Steuerbetrugs Der umgekehrte Fall der Versagung der Steuerbefreiung aufgrund von Bösgläubigkeit des liefernden Unternehmers hat für den Vertrauensschutz weitreichende Bedeutung. Wie im Bereich des Vorsteuerabzugsrechts ist der Vertrauensschutz ein Ausfluss der Beweislastverteilung.731 Es bleibt bei der Unterteilung zwischen einer eigenständigen Versagung der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung, weil der Unternehmer von einer Steuerhinterziehung in seiner Umsatzsteuerkette wusste oder hätte wissen müssen (dazu 1.), einer Versagung, weil der Unternehmer die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht nachweisen kann (dazu 2.), und einer Gewährung der Steuerbefreiung, obwohl die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht vorliegen (dazu 3.).732 1. Bösgläubigkeit als eigenständiger Versagungsgrund Die Versagung einer Steuerbefreiung aufgrund von Bösgläubigkeit findet im Bereich der innergemeinschaftlichen Lieferungen uneingeschränkt Anwendung.733 Die Rechtsprechung des EuGH zur Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug bei der Beteiligung an einem Missbrauch oder einem Steuerbetrug ist auch auf die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung anzuwenden.734 Aus der BFH-Rechtsprechung ergibt sich grundsätzlich nichts anderes.735 Wie gesehen, wird dieses Ergebnis nunmehr jedenfalls auch durch § 25f UStG erreicht. Ein hinsichtlich einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs bösgläubiger Unternehmer bewegt sich außerhalb des Mehrwertsteuersystems, weshalb ihm weder eine Steuerbefreiung noch ein Vorsteuerabzug gewährt werden darf.736
731
Vgl. BFH, Urt. v. 12.5.2011 – V R 46/10, BFHE 234, 436 (442), Rn. 29. Vgl. bzgl. des Vorsteuerabzugs Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (173). 733 de Weerth, in: StbJb. 2016/17, S. 521 (525). 734 EuGH, Urt. v. 9.10.2014, Rs. C-492/13, Traum EOOD, DStRE 2015, 427 (431), Rn. 42; EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, DStR 2012, 1917 (1921), Rn. 54; EuGH, Urt. v. 7.12.2010, Rs. C-285/09, R., DStR 2010, 2572 (2575), Rn. 50 f. 735 BFH, Urt. v. 11.8.2011 – V R 19/10, DStRE 2011, 1533, Leitsatz; BFH, Urt. v. 14.12.2011 – IX R 33/10, BFH / N V 2012, 1009, Leitsatz. 736 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 403, m. w. N. Noch weiter gehend Spatscheck / Stenert, DStR 2015, 104 (106), die einen Vertrauensschutz nicht ausschließen wollen, wenn der bösgläubige Lieferer ernsthaft versucht, eine spätere Steuerhinterziehung zu verhindern. 732
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2. Nachweis der Voraussetzungen der Steuerbefreiung Die formellen Nachweise gemäß §§ 17a ff. UStDV n. F. müssen ihrer Art nach vorliegen, wobei der Unternehmer auf andere Nachweise zurückgreifen darf, wenn dadurch das objektive Vorliegen der Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nachgewiesen werden kann.737 Entscheidend ist dabei (wie im Vorsteuerabzugsrecht), ob der Unternehmer aus den Angaben seines Geschäftspartners schließen konnte, dass die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegen oder es sich um eine Steuerhinterziehung handelt (Kausalzusammenhang).738 Nach der Überprüfbarkeit der Angabe richtet sich wiederum die Beweislastfrage. War eine aus Sicht des Unternehmers überprüfbare Angabe fehlerhaft, so muss er sich weiterhin um den Nachweis der Steuerbefreiung bemühen. Ist eine nicht überprüfbare Angabe fehlerhaft, so entfaltet dies zunächst keine Indizwirkung gegen den Unternehmer. 3. Zusätzliches Fehlen materieller Tatbestandsvoraussetzungen Fehlen darüber hinaus, was in den meisten Fällen einer nicht überprüfbaren fehlerhaften Angabe der Fall ist, materielle Tatbestandsmerkmale einer innergemeinschaftlichen Lieferung,739 muss die Finanzbehörde nachweisen, dass es sich objektiv um eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch gehandelt hat und der Unternehmer subjektiv davon Kenntnis hatte oder diese Kenntnis hätte haben müssen.740 Dabei ist auf die Gesamtumstände des Einzelfalls abzustellen, aus denen auf die nachzuweisenden inneren Tatsachen geschlossen werden kann. Der Unternehmer ist auch hier nicht zu einem Negativbeweis verpflichtet.741 Dies hat zur Konsequenz, dass die Finanzbehörde dem liefernden Unternehmer die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung gewähren muss, solange sie bei einer formell erbrachten Nachweisführung nicht beweisen kann, dass es sich um eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch in der Lieferkette handelt und der Unternehmer hiervon Kenntnis hatte oder hätte haben müssen.742
737
BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, MwStR 2015, 816 (820), Rn. 44. Vgl. Feldt, in: Englisch / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2010, 147 (156), der zur Risikoverteilung die Gutgläubigkeit und die Buch- und Belegnachweise heranziehen will. 739 Vgl. dazu Nieskens, EU-UStB 2008, 57 (58 f.). 740 Vgl. EuGH, Urt. v. 9.10.2014, Rs. C-492/13, Traum EOOD, DStRE 2015, 427 (430), Rn. 31; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 400; Höink, in: Adick / Höink / Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4, Rn. 273 741 Vgl. de Weerth, in: StbJb. 2016/17, S. 521 (528 f.); Widmann, UR 2006, 108 (109). Bzgl. des Vorsteuerabzugs Grube, MwStR 2013, 8 (11). 742 Vgl. Nieskens, Stbg 2005, 554 (572); allg. Söhn, in: HHSp, § 88 AO (März 2010), Rn. 366. 738
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IV. Zwischenergebnis Insgesamt ergibt sich ein allgemeiner Vertrauensschutz hinsichtlich der Angaben des Geschäftspartners bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, welcher sich in § 6a Abs. 4 UStG als zulässige nationale Normierung unionsrechtlich fundierter Rechtsgrundsätze wiederfindet743. Der Unternehmer muss die Voraussetzungen für das Vorliegen einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung nach den §§ 17a ff. UStDV n. F. nachweisen.744 Die Nachweisführung ist für den Vertrauensschutz von hoher Relevanz, da der Unternehmer dabei möglicherweise erkennen kann, dass der materielle Tatbestand einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung nicht vorliegt oder es sich um eine Steuerhinterziehung beziehungsweise einen Missbrauch handelt.745 Erfüllt der Unternehmer hingegen sämtliche Nachweispflichten ihrer Art nach, ist bei Mängeln im materiellen Tatbestand vom Finanzamt nachzuweisen, dass objektiv gesehen in der Lieferkette eine Steuerhinterziehung enthalten ist und der liefernde Unternehmer hiervon Kenntnis hatte oder hätte haben müssen.746 Wichtig ist, die Sachverhalte danach abzugrenzen, ob es sich um eine rein zivilrechtliche Angelegenheit handelt oder ob dem Unternehmer tatsächlich ein auf dem Unionsrecht basierender Vertrauensschutz hinsichtlich der Angaben seines Geschäftspartners zu gewähren ist.747 Die dargestellten Maßnahmen der Mehrwertsteuerreform („Quick fixes“) zwingen im Bereich der innergemeinschaftlichen Lieferungen hinsichtlich des Vertrauensschutzes an vielen Stellen zum Umdenken. Insbesondere muss bei der seit dem 1.1.2020 geltenden Einordnung der USt-IdNr. als materielle Tatbestandsvoraussetzung einer innergemeinschaftlichen Lieferung der diesbezügliche Sorgfaltsmaßstab des Unternehmers noch strenger ausfallen als bei einer rein formellen Vorgabe.748 Dies führt dazu, dass der Unternehmer nahezu bei jeder innergemeinschaftlichen Lieferung ein Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG durchführen muss. Nur wenn dies ausnahmsweise im Einzelfall nicht mehr verhältnismäßig wäre, kann der Sorgfaltsmaßstab trotz Nichtdurchführung des Bestätigungsverfahrens nach § 18e UStG als eingehalten angesehen werden. Das Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG ist unter den neuen Bedingungen kaum mehr geeignet, dem Steuerpflichtigen unter zumutbarem Aufwand Rechtssicherheit zu verschaffen, da dieser praktisch bei jeder Lieferung die USt-IdNr. des Abnehmers bestätigen lassen müsste.
743
Siehe Seite 124 ff. Siehe Seite 132 ff. 745 Siehe Seite 141. 746 Siehe Seite 161 f. 747 Siehe Seite 158 ff. 748 Siehe Seite 146. 744
164
Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
C. Steuerbefreiung von Ausfuhrlieferungen, § 4 Nr. 1 lit. a UStG i. V. m. § 6 UStG Ausfuhrlieferungen stellen das Gegenstück zu innergemeinschaftlichen Lieferungen dar. Die Lieferung erfolgt nicht in das übrige Gemeinschaftsgebiet, sondern in ein Drittland. Bei einem Drittlandbezug sind die Angaben des Abnehmers oftmals noch schwieriger zu überprüfen, als dies bei innergemeinschaftlichen Lieferungen schon der Fall ist. Ausfuhrbelege, Dienstsiegel und andere Urkunden werden zum Teil derart professionell gefälscht, dass dies für gutgläubige Lieferant auch bei höchster Sorgfältigkeit nicht mehr erkennbar ist.749 Hinzu kommt, dass zahlreiche aus dem Drittland agierende Umsatzsteuerhinterzieher sich dort in besonderer Sicherheit wiegen, weil nicht immer ein Rechtshilfeabkommen vorhanden ist.750 Im nationalen Recht sind die Art. 146 f. MwStSystRL durch § 4 Nr. 1 lit. a UStG i. V. m. § 6 UStG umgesetzt. § 6 UStG definiert, unter welchen Voraussetzungen eine Ausfuhrlieferung vorliegt. Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 lit. a UStG im Ursprungsland dient wie bei den innergemeinschaftlichen Lieferungen der Umsetzung des Bestimmungslandprinzips. Die Lieferung soll im Bestimmungsland durch die entsprechende Erhebung einer Einfuhrumsatzsteuer dem dort geltenden Besteuerungsniveau unterworfen werden.751 Eine nationale Vertrauensschutzregelung wie bei innergemeinschaftlichen Lieferungen in § 6a Abs. 4 UStG ist nicht vorgesehen.752 Dieser Umstand bereitet getäuschten Unternehmern noch mehr Schwierigkeiten, denn sie können sich nicht wie bei innergemeinschaftlichen Lieferungen direkt auf die nationale Regelung in § 6a Abs. 4 UStG berufen. Die Tatsache, dass im Bereich der Ausfuhrlieferungen keine Vertrauensschutzregelung existiert, lässt den Sachverhalt des gutgläubigen Unternehmers zudem in ein Licht rücken, in welchem man davon ausgehen könnte, dass sein Vertrauen in die Angaben seiner Geschäftspartner nicht schützenswert sei. Im Folgenden wird aufgezeigt, dass diese Annahme unberechtigt ist.
749
Dietlein / Mehrbrey, BB 2001, 446 (447); Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil B. Vgl. Braun, PStR 2005, 58. 751 Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6 UStG (September 2016), Rn. 1; Harksen / Möller, UStB 2008, 78; Tehler, in: Rau / Dürrwächter, § 6 UStG (Januar 2014), Rn. 51. 752 Dies betont auch die Literatur, vgl. Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil C; Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6 UStG (September 2016), Rn. 160; Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 462; Stapperfend, UR 2013, 321 (322); Weymüller, in: Weymüller2, § 6 UStG, Rn. 107; Nieskoven, PIStB 2008, 147; Dziadkowski, UVR 2002, 73 (73 f.). 750
§ 4 Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen
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I. Erster Schritt: Erfassung der relevanten Tatbestandsmerkmale Im Bereich der Ausfuhrlieferungen stellen sich ähnliche vertrauensschutzrechtliche Probleme wie bei den innergemeinschaftlichen Lieferungen. Der Unternehmer ist zur Gewährung der Steuerbefreiung von den Angaben seines Geschäftspartners abhängig.753 Der liefernde Unternehmer muss ebenfalls nachweisen, dass die Voraussetzungen einer für ihn günstigen steuerbefreiten Ausfuhrlieferung vorliegen.754 Die Mitgliedstaaten treffen hierfür wie bei den innergemeinschaftlichen Lieferungen nach Art. 131 MwStSystRL eigenständige Regelungen über die Nachweisführung. In Deutschland gelten dafür die Bestimmungen in § 6 Abs. 4 S. 2 UStG i. V. m. §§ 8 ff. UStDV. Diese sind ebenfalls rein formelle Voraussetzungen für die Steuerbefreiung.755 1. EuGH-Urteil vom 21.2.2008, Netto Supermarkt Die bezüglich des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht wichtigste Entscheidung erging in der Rechtssache Netto Supermarkt756. Das Urteil betraf einen Sachverhalt, in welchem es um die Ausfuhr im nichtkommerziellen Reiseverkehr757 ging. Lieferungen im Bereich des nichtkommerziellen Reiseverkehrs waren damals nach Art. 15 Nr. 2 der 6. EG-Richtlinie (heute: Art. 146 Abs. 1 lit. b i. V. m. Art. 147 MwStSystRL) von der Umsatzsteuer zu befreien. Die Discount-Kette und Klägerin „Netto Supermarkt“ erstattete in den Jahren 1992 bis 1998 die Umsatzsteuer an vorwiegend polnische Staatsbürger758, die in krimineller Absicht ein Betrugsmodell verfolgten. Sie sammelten vor den Geschäftsstandorten der Klägerin herumliegende Kassenzettel ein und versahen diese mit derart professionell gefälschten Zollstempeln, dass dies selbst im später von der Klägerin konsultierten Hauptzollamt erst auf den zweiten Blick auffiel. Im Glauben, den internen Richtlinien zu entsprechen, erstattete die Klägerin in den Streitjahren den polnischen Antragsstellern die Umsatzsteuer, weil sie davon ausging, dass die angegebene Ware tatsächlich über die Grenze nach Polen gelangte. Als sich herausstellte, dass dies nicht der Fall war, setzte das zuständige Finanzamt die Umsatzsteuerbescheide der Klägerin geändert fest.759
753
Vgl. Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 462 f. EuGH, Urt. v. 8.11.2018, Rs. C-495/17, Cartrans Spedition, MwStR 2019, 65 (67), Rn. 37. 755 BFH, Urt. v. 28.5.2009 – V R 23/08, DStR 2009, 1636 (1637), Rn. II.2; vgl. Tehler, UVR 2008, 350 (351 f.). 756 EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 = DStR 2008, 450 mit Anm. Langer / Z ugmaier, DStR, 2008, 453. 757 Siehe dazu Seite 40 f. 758 Der Beitritt Polens erfolgte im Zuge der ersten EU-Osterweiterung im Jahre 2004, vgl. Abl. 2003, L 236/33 und C 227 E. 759 Vgl. zum Sachverhalt auch Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil B. 754
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Der EuGH entschied zugunsten von Netto Supermarkt: Unter anderem unter Verweis auf die zu den innergemeinschaftlichen Lieferungen ergangene Entscheidung Teleos760 ergibt sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes, dass ein gutgläubiger Steuerpflichtiger auf die Rechtmäßigkeit seiner Umsätze vertrauen darf, wenn er von den betrügerischen Machenschaften seiner Geschäftspartner nichts wusste und dies auch bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht erkennen konnte.761 In der Literatur wird darin – wie schon in der Einleitung erwähnt – die Begründung eines „allgemeinverbindlichen Rechtsgedanken[s]“ innerhalb sämtlicher Bereiche des Umsatzsteuerrechts erblickt.762 Nach der BFH-Rechtsprechung ist Vertrauensschutz mangels konkreter Normierung im Bereich der Ausfuhrlieferungen nur über den Weg des Billigkeitsverfahrens nach §§ 163, 227 AO zu gewähren.763 2. Konsequenzen für den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht Die auf den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes beruhende Argumentation des EuGH in der Netto-SupermarktEntscheidung lässt den Schluss zu, dass ein Schutz des redlichen Unternehmers nicht nur im Bereich der Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr in Betracht kommt, sondern bei allen Ausfuhrlieferungen.764 Es darf nicht von einer generellen Risikoverteilung zu Lasten eines redlichen Unternehmers ausgegangen werden.765 Zudem zeigt sich beim Vertrauensschutz hinsichtlich der Ausfuhrlieferungen eine erkennbare Parallele zu den innergemeinschaftlichen Lieferungen, obwohl für Ausfuhrlieferungen auf nationaler Ebene keine Vertrauensschutzregelung existiert.766 Auf beiden Seiten ist die Problematik des Vertrauensschutzes jedenfalls prinzipiell vergleichbar.767 Hinzu kommt, dass der EuGH in seiner Rechtsprechung zu den innergemeinschaftlichen Anschlusslieferungen darauf verweist, dass an den 760
EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827. EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (796), Rn. 18 ff., 26 f.; vgl. Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil C. 762 Nieskens, EU-UStB 2008, 57; ders., UR 2008, 812 (813); vgl. Lohse, BB 2008, 822 (823). 763 BFH, Urt. v. 30.7.2008 – V R 7/03, BFHE 223, 372 (379); BFH, Urt. v. 19.11.2009 – V R 8/09, BFH / N V 2010, 1141 (1142); vgl. BFH, Beschl. v. 29.3.2016 – XI B 77/15, BeckRS 94852; Rn. 28; zust. Sterzinger, DStR 2008, 2450 (2452 f.); Schießl, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6 UStG (Januar 2015), Rn. 93. Eingehend dazu § 9, B. dieser Arbeit. 764 Langer / Z ugmaier, DStR 2008, 453. 765 Vgl. Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 38 f.; Wagner, Diskussionsbeitrag, in: JbFSt. 2008/09, S. 595 (601); Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil B; Hassa, UR 2015, 809 (813); Weymüller, in: Weymüller2, § 6 UStG, Rn. 107. 766 Vgl. Schaumburg, in: FS W. Reiß, S. 25 (34 f.); Weymüller, in: Weymüller2 § 6 UStG, Rn. 107; Looks, DStR 2009, 513 (515); Nieskens, StC 2009 (Heft 9), 16 (21). 767 Vgl. Sterzinger, DStR 2008, 2450 (2453); Kraeusel, Diskussionsbeitrag, in: JbFSt. 2008/09, S. 595 (602); Winter, DB 2009, 1843 (1845); Langer / Z ugmaier, DStR 2008, 453. 761
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Unternehmer grundsätzlich keine erhöhten Anforderungen zu stellen sind, nur weil es sich um einen Drittlandbezug handelt.768 Es sollte allerdings nicht vorschnell eine Allgemeingültigkeit angenommen werden, denn der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht hat nur bereichsübergreifend eine „gemeinsame europarechtliche Wurzel“769. Die Umstände des Einzelfalls können sich demgegenüber bei einer Ausfuhrlieferung ganz anders ergeben als bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung oder gar beim Vorsteuerabzug.770 Die Parallelität ergibt sich nur anhand der Nachweispflichten, die die Grundlage für den Vertrauensschutz des redlichen Unternehmers im Umsatzsteuerrecht bilden, sofern sie ihrer Art nach erbracht wurden. Die Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen sind mit den jenigen der Ausfuhrlieferungen vergleichbar.771 Die nach § 6 Abs. 4 S. 2 UStG i. V. m. §§ 8 ff. UStDV geforderten Nachweispflichten müssen gleichfalls ihrer Art nach vorliegen.772 Ansonsten kann der Unternehmer wie bei den innergemeinschaft lichen Lieferungen schon nicht die formellen Nachweise führen, die sein Mitgliedstaat nach Art. 131 MwStSystRL verlangen darf.773 Bei Mängeln kommt es darauf an, ob der Unternehmer daraus erkennen konnte, dass die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen in Wirklichkeit nicht vorliegen oder es sich um eine Beteiligung an einer Steuerhinterziehung oder einem Missbrauch handelt.774 Dies kann sich nur aus für den Unternehmer überprüfbaren Angaben ergeben. Handelt es sich dagegen um eine fehlerhafte nicht überprüfbare Angabe, liegt die Beweislast ausschließlich bei der Finanzbehörde.775 So kann die Beweislastverteilung auch zur Annahme der Verwirklichung eines streitigen Tatbestandsmerkmals führen.776 Dies muss insbesondere bei nicht erkennbar inhaltlich falschen oder gefälschten Ausfuhrnach weisen777 gelten, die das tatsächliche Gelangen des Gegenstands der Lieferung in
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EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103 (106), Rn. 46. Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 46. 770 Zutreffend Drüen, DB 2010, 1847 (1848), der betont, dass die Vertrauensbildung oder Vertrauenszerstörung immer an die Funktion der betroffenen Regelung gebunden ist; vgl. Hassa, UR 2015, 809 (811); von Streit, UStB 2012, 288 (292 f.). 771 Wäger, DStR 2009, 1621 (1624 f.); Nieskens, StC 2009 (Heft 9), 16 (21) spricht von einem „systematischen Gleichklang“; vgl. dazu Tetzlaff / Schallock, UStB 2008, 180 (184). 772 Vgl. BFH, Beschl. v. 29.3.2016 – XI B 77/15, BeckRS 2016, 94852, Rn. 28 f.; FG München, Urt. v. 9.6.2015 – 14 K 3247/12, EFG 2015, 1987 (1989), Rn. II.2.a. 773 Tehler, in: Rau / Dürrwächter, § 6 UStG (Januar 2014), Rn. 573.12; Wäger, DStR 2009, 1621 (1622); vgl. dazu bzgl. des Vorsteuerabzugs Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (172). 774 EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (798), Rn. 27. 775 Vgl. dazu Seite 109 ff. und 161 ff. 776 Vgl. F. Hey, Beweislast und Vermutungen im deutschen internationalen Steuerrecht, S. 22. 777 Z. B. Bescheinigungen, die durch gestohlene Dienstsiegel, Falschstempelabdrucke oder Bestechung des Zollbeamten erlangt wurden, vgl. Dziadkowski, UVR 2002, 73. 769
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das Drittlandgebiet vortäuschen.778 Die Unternehmereigenschaft des Abnehmers spielt im Rahmen der Ausfuhrlieferung eine untergeordnete Rolle, vgl. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b UStG. Der Lieferant kann demnach die Steuerbefreiung auch erlangen, wenn sein Abnehmer im Drittland kein Unternehmer ist.779 Hat ein Lieferant allerdings berechtigterweise auf das Vorliegen eines Befreiungstatbestands vertraut, der die Unternehmereigenschaft des Abnehmers voraussetzt (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a UStG), ist dieser dahingehend zu schützen.780 Die objektiven Gegebenheiten sind für Rückschlüsse auf die subjektiven Umstände heranzuziehen.781 II. Zweiter Schritt: Versagung der Steuerbefreiung nur noch wegen Bösgläubigkeit hinsichtlich eines Missbrauchs oder Steuerbetrugs Ein Unternehmer muss grundsätzlich alle zumutbaren Maßnahmen e rgreifen, um eine Beteiligung an einer Steuerhinterziehung oder einem Missbrauch aus zuschließen.782 Ob die Versagung der Steuerbefreiung wegen Bösgläubigkeit hinsichtlich eines Missbrauchs oder Steuerbetrugs auch uneingeschränkt auf Ausfuhrlieferungen Anwendung findet, ist ungeklärt.783 Zu beachten ist, dass die tatsächliche Erwerbsbesteuerung im Drittland – anders als bei innergemeinschaftlichen Lieferungen – keine materielle Tatbestandsvoraussetzung der Steuer befreiung darstellt.784 In der Rechtsache „United Sp. z.o.o.“ formulierte der EuGH, dass es sich um „das Vorliegen irgendeines Betrugs zum Nachteil des gemeinsamen
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Zutreffend Nieskoven, PIStB, 2008, 147. Zu einem anderen Ergebnis gelangt Mann, Der Schutz des Guten Glaubens im Spannungsfeld des Umsatzsteuerbetrugs, S. 411, der formuliert, dass dadurch „ein Schutz des Lieferers auch bei gefälschten Zollbelegen anerkannt wird“. Der Zuspruch eines Vertrauensschutzes beruhte in der Rs. Netto Supermarkt auf Falschangaben des Abnehmers, die für den Lieferer (und zunächst auch für das Hauptzollamt) nicht erkennbar waren. Der Verweis von Mann auf das Veranlassungsprinzip ist nicht überzeugend, da die Falschangaben vom täuschenden Abnehmer veranlasst wurden und nicht vom (gutgläubig) liefernden Unternehmer. Nicht zuzustimmen ist auch der Bundesregierung (15. Wahlperiode) im Antwortschreiben vom 14.6.2004 auf eine diesbezügliche Kleine Anfrage, BT-Drucks. 15/3289, S. 3 f. Vgl. dazu wie hier Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 84; Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 128; Tehler, in: Rau / Dürrwächter, § 6 UStG (Januar 2014), Rn. 575; Looks, DStR 2009, 513 (514); Höink, in: Adick / Höink / Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4, Rn. 202 ff.; Lippross, Umsatzsteuer, S. 553. 779 Siehe dazu Tehler, in: Rau / Dürrwächter, § 6 UStG (Januar 2014), Rn. 371 ff. 780 So auch Stapperfend, UR 2013, 321 (322). 781 Vgl. R. Schwarz, in: Widmann / Schwarz / Radeisen, § 6 UStG (Januar 2017), Rn. 521. 782 BFH, Urt. v. 30.7.2008 – V R 7/03, BFHE 213, 227 (131 ff.); BMF-Schreiben v. 25.6.2020 – III C 3 – S 7134/19/10003 :001, BStBl. I 2020, 582; Oelmaier, DStR 2008, 1213 (1216); Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil D; vgl. dies., jurisPR-SteuerR 25/2008, Anm. 6, Teil C.; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 434; insoweit auch Sterzinger, DStR 2010, 2606 (2610). 783 Vgl. Kessens, EFG 2019, 1243; Grebe / Deckert, UStB 2019, 258 (260). 784 Sterzinger, DStR 2015, 2641 (2643).
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Mehrwertsteuersystems“ handeln muss.785 Da es aber im Kern darum geht, einen bösgläubigen Wirtschaftsteilnehmer nicht in den Genuss mehrwertsteuerlicher Vorteile kommen zu lassen, erscheinen die Grundsätze des EuGH auch auf Fälle übertragbar, in denen der Steuerschaden in einem drittstaatlichen Steuersystem eintritt.786 Erbringt der Unternehmer hingegen die Nachweispflichten ihrer Art nach, liegt die Beweislast hinsichtlich einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs sowohl objektiv als auch subjektiv bei der Finanzbehörde.787 Gelingt dies nicht, bleibt die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung vertrauensschützend erhalten.788 III. Zwischenergebnis Der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht erstreckt sich trotz einer fehlenden Normierung im nationalen Recht auch auf den Teilbereich der Ausfuhrlieferungen.789 Die zu erbringenden Nachweise bilden wie bei den innergemeinschaftlichen Lieferungen und dem Vorsteuerabzug die Grundlage eines schutzwürdigen Vertrauens. Sind diese ordnungsgemäß erbracht und liegen keine fehlerhaften überprüfbaren Angaben vor, erlangt der liefernde Unternehmer eine schutzwürdige Rechtsposition. Die Finanzbehörde kann die Steuerbefreiung nur noch versagen, wenn sie nachweist, dass es sich um eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch in der Lieferkette handelt, von dem der Lieferant wusste oder hätte wissen müssen.790
D. Bestimmung des Ortes einer sonstigen Leistung, § 3 Abs. 9 UStG i. V. m. § 3a UStG Die „Urform aller Umsätze“ liegt in einem Leistungstatbestand im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG.791 Eine „Leistung“ bildet den Oberbegriff für die darunter fallenden „Lieferungen“ (§ 3 Abs. 1 UStG) und „sonstige Leistungen“ (§ 3 Abs. 9 UStG). Diese stellen die Grundlage zur Erfassung eines steuerbaren Umsatzes dar. Bei zwischenstaatlichen Sachverhalten dient die Bestimmung des Ortes, an wel 785
EuGH, Urt. v. 17.10.2019, Rs. C-653/18, United Sp. z.o.o., DStR 2019, 2254 (2257), Rn. 37. So i.Erg. auch FG Köln, Urt. v. 19.2.2019 – 8 K 2906/16, EFG 2019, 1236 (1237 f.), Rn. 70 ff., das eine Kenntnis des Lieferers von einer Steuerhinterziehung des Erwerbers in der Türkei feststellte und deshalb die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung versagte; a. A. aber BFH, Urt. v. 12.3.2020 – V R 20/19, MwStR 2020, 941 (943), Rn. 21 ff.; a. A. Sterzinger, DStR 2015, 2641 (2643); zweifelnd Treiber, MwStR 2015, 626 (634). 787 Vgl. bzgl. des Vorsteuerabzugs EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 49 f. 788 Siehe dazu Seite 109 ff. und 161 f. 789 Vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 434. 790 Wann diese innere Tatsache anzunehmen ist, wird in § 6 dieser Arbeit aufgegriffen. 791 Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 35. 786
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chem dieser steuerbare Umsatz erbracht wird, zur Abgrenzung der Besteuerungsbefugnisse der beteiligten Staaten.792 Sekundärrechtlich sind hierfür unterschiedliche Wege zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen (Dienstleistungen) vorgesehen.793 Bei zwischenstaatlichen Lieferungen bleibt es nach der Regelungssystematik dabei, dass der Ort der Lieferung grundsätzlich im Ursprungsland erfasst wird und damit ein im Ursprungsland steuerbarer, aber zur Verwirklichung des Bestimmungslandprinzips steuerfreier Umsatz vorliegt.794 Im Bereich der sonstigen Leistungen setzt das System zur Verwirklichung des Bestimmungslandprinzips einen Schritt früher an. Art. 44 MwStSystRL verlagert den Ort der Leistung im Falle der Leistung an einen „Steuerpflichtigen“ (d. h. einen Unternehmer) in das Bestimmungsland, in welchem der steuerpflichtige Geschäftspartner den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ausübt. Im Ansässigkeitsstaat des Leistenden wird dadurch kein steuerbarer Umsatz getätigt.795 Damit korrespondierend verlagert Art. 196 MwStSystRL die Steuerschuldnerschaft auf den Dienstleistungsempfänger. Im Falle einer Leistung an einen „Nichtsteuerpflichtigen“ (d. h. einen Endverbraucher) sieht Art. 45 MwStSystRL weiterhin das Ursprungslandprinzip vor, indem der Ort der Leistung derjenige ist, an welchem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. I. Vermutungsregelungen nach Art. 18 ff. MwSt-DVO Im Teilbereich der sonstigen Leistungen sehen die mit Wirkung zum 1.7.2011 eingeführten Art. 17 ff. MwSt-DVO Konkretisierungen für die Bestimmung des Leistungsortes vor.796 Die Art. 18 ff. MwSt-DVO enthalten Vermutungsregelungen zugunsten des Leistungsempfängers. Diese Regelungen wirken unmittelbar und bedürfen keiner Umsetzung.797 Der Unternehmer kann etwa gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. a MwSt-DVO auf der Grundlage eines positiven qualifizierten Bestätigungsverfahrens nach § 18e UStG „davon ausgehen“, dass es sich bei seinem Geschäftspartner um einen steuerpflichtigen Unternehmer handelt. Nach überwiegender Auffassung in der Literatur stellen die Art. 18 ff. MwSt-DVO eine Vertrauensschutzregelung für den gutgläubigen Unternehmer dar.798 Hierauf ist im Folgenden näher einzugehen. 792
Tumpel, Mehrwertsteuer im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, S. 176. Lohse / Spilker / Zitzl, UR 2010, 633. 794 Lohse / Spilker / Zitzl, UR 2010, 633; vgl. zur Unterscheidung zwischen Steuerbarkeit und Steuerfreiheit im Umsatzsteuerrecht, Heuermann, UR 2014, 877 (879 ff.). 795 Lohse / Spilker / Zitzl, UR 2010, 633 (634). 796 Verordnung (EU) Nr. 282/2011 vom 15.3.2011, Abl. EU Nr. L 2011/77, S. 1; vgl. Hassa, UR 2015, 809 (813 f.); krit. dazu Nieskens, DB 2011, 1470 (1470 ff.). 797 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 478. Jedenfalls missverständlich Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 79. 798 So Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 166; Lohse, DStR 2011, 1740 (1740 f.); Hassa, UR 2015, 809 (814), der Art. 18 MwSt-DVO ausdrücklich erst auf der „zweiten Stufe“ des Vertrauensschutzes und nicht auf der „ersten Stufe“ der Nachweispflicht einordnet. 793
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II. Vertrauensschutz bei sonstigen Leistungen Genau wie bei Ausfuhrlieferungen und beim Vorsteuerabzug enthält das d eutsche Umsatzsteuergesetz bei der Ortsbestimmung sonstiger Leistungen keine explizite Vertrauensschutzregelung.799 Der Unternehmer ist auch in diesem Teilbereich des Umsatzsteuerrechts maßgeblich auf Angaben des Geschäftspartners angewiesen, um den Ort der sonstigen Leistung bestimmen zu können und um feststellen zu können, ob er in der Rechnung an seinen Geschäftspartner Umsatzsteuer ausweisen muss.800 1. Systematische Einordnung der Art. 18 ff. MwSt-DVO Art. 18 ff. MwSt-DVO stellen Vermutungswirkungen dafür auf, wann der leistende Unternehmer bei seinem Geschäftspartner von einem Unternehmer oder einem Nichtsteuerpflichtigen „ausgehen [kann]“. Diese reinen Vermutungsregelungen der MwSt-DVO sollten daher nicht als eine Vertrauensschutzregelung bezeichnet werden. Der Vertrauensschutz besteht darin, dass der Unternehmer aufgrund der Angaben seines Geschäftspartners davon ausgehen konnte, dass es sich bei diesem um einen Unternehmer oder einen Nichtsteuerpflichtigen handelt und die Finanzbehörde in der Pflicht ist, nachzuweisen, dass entweder trotzdem die materiellen Vorgaben der vom Unternehmer vorgesehenen Ortsbestimmung nicht vorliegen oder es sich um eine dem Unternehmer positiv bekannte801 Steuerhinterziehung handelt. Der Sachverhalt wird nach dem subjektiven Vorstellungsbild des Unternehmers behandelt,802 solange die Finanzbehörde nicht die dargestellten gegensätzlichen Umstände nachweisbar vorbringen kann. Dadurch handelt es sich mehr um ein zugunsten des Unternehmers wirkendes „non liquet“ und weniger um eine vertrauensschützende Fiktion.803 Entscheidend ist alleine, was vorgebracht werden muss, um die Beweislast auf die Gegenseite zu verlagern.804 Kann die Gegenseite daraufhin nicht die erforderlichen Nachweise erbringen, ist der Sach 799
Vgl. Matheis, UVR 2010, 57 (60). Vgl. Lohse / Spilker / Zitzl, UR 2010, 633 (638 f.); Hassa, UR 2015, 809 (814 ff.); Kemper, UR 2017, 1 (3 f.); Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 438; Neeser, in: Englisch / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2010, S. 131 (145); Becker, Ortsbestimmung von sonstigen Leistungen, S. 49; Brill, KÖSDI 2018, 21034 (21040 f.). 801 Zu der Frage, warum fahrlässige Unkenntnis hier nicht ausreicht, sogleich. 802 Vgl. Hassa, UR 2015, 809 (810, 814); Kemper, UR 2017, 1 (4). 803 Ob sich eine Fiktion des vorgestellten Sachverhalts aus Abschn. 3a.2 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStAE entnehmen lässt, sei dahingestellt, eingehend dazu Hassa, UR 2015, 809 (818 f.). Im Übrigen spiegelt der UStAE nur eine Rechtsauffassung der Finanzverwaltung wider, der keinesfalls Gesetzesrang zugesprochen werden darf, vgl. Gerhards, UStB 2009, 102 (106 f.). Entscheidend ist allein eine Auslegung der unmittelbar geltenden Art. 18 ff. MwSt-DVO. Krit. zur Einordnung als Fiktion auch Hassa, UR 2015, 809 (818 ff.), der vielmehr von einer „relativen Fiktion“ ausgehen will. 804 Vgl. Nieskens, DB 2011, 1470 (1474 f.), der nur von einer Indizwirkung spricht. 800
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
verhalt rechtlich so zu behandeln, wie er sich nach den Umständen der zunächst korrekt erbrachten Nachweisführung ergibt. Freilich vermag die Finanzbehörde in vielen Fällen genau diesen Nachweis nicht zu führen.805 2. „Gegenteilige Informationen“ des Unternehmers In diesem Sinne ist auch die einschränkende Formulierung „Sofern dem Dienstleistungserbringer keine gegenteiligen Informationen vorliegen […]“ in den Art. 18 ff. MwSt-DVO auszulegen. Die Vermutungswirkung kann zugunsten des leistungserbringenden Unternehmers nur eintreten, wenn er alles getan hat, was in seiner Macht steht, um die Angaben seines Geschäftspartners zu überprüfen und nicht von einem Steuerbetrug ausgehen musste. Dies ist nicht der Fall, wenn dem leistungserbringenden Unternehmer Informationen vorliegen, die auf das Gegenteil schließen lassen. Gegenteilige Informationen stellen folglich einen für den Unternehmer überprüfbaren Umstand dar, aus dem sich ergibt, dass die Ortsbestimmung der Leistung anders als nach dem Anschein zu beurteilen ist. Das Vorliegen gegenteiliger Informationen ist vollumfänglich von der Finanzbehörde nachzuweisen.806 Nach dem Wortlaut der Art. 18 ff. MwSt-DVO müssen gegenteilige Informationen „vorliegen“. Daraus ergibt sich, dass sich eine anderweitige rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nur noch ergeben kann, wenn für den Unternehmer positiv erkennbar war, dass die Umstände nicht dem Anschein nach gegeben sind.807 Es handelt sich insbesondere um einen Sachverhalt, in welchem von behördlicher Seite eine Bestätigung erfolgte. Diese kann auf der Grundlage des § 18e UStG oder im Rahmen einer Unbedenklichkeitsbescheinigung808 ergehen. Aufgrund dieser hoheitlichen Auskunft kann nachträglich nur noch positive Kenntnis vom Gegenteil schaden. Die Auskunft eines Hoheitsträgers führt dazu, dass der gute Glaube des Unternehmers auch bei fahrlässiger Unkenntnis (d. h. einem „Hätte-WissenMüssen“) geschützt bleibt.809 Dies ist im Ergebnis Ausfluss einer Verhältnismäßigkeitsprüfung.810 Der europäische Gesetzgeber konkretisiert damit im Bereich der Ortsbestimmung von Dienstleistungen die primärrechtlichen Grenzen bei der Indienstnahme gutgläubiger Unternehmer näher auf sekundärrechtlicher Ebene durch die Art. 18 ff. MwSt-DVO. 805
Vgl. dazu Grube, jurisPR-SteuerR 36/2016, Anm. 6, Teil B. Vgl. Hassa, UR 2015, 809 (816); Nieskens, DB 2011, 1470 (1474). 807 Hassa, UR 2015, 809 (816); Nieskens, DB 2011, 1470 (1474). 808 Siehe dazu Weimann, StB 2014, 361 (361 f.). Die Finanzverwaltung ist allerdings diesbezüglich sehr zurückhaltend, vgl. OFD Frankfurt v. 5.6.2013 – S 7340 A – St 112, UR 2014, 74. 809 Dies ist hinsichtlich des Rechtsgedankens vergleichbar mit der Wirkungsweise des öffentlichen Glaubens, der vom Grundbuch ausgeht (§ 892 Abs. 1 S. 2 BGB). 810 Vgl. dazu Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 84, der in Bezug auf die behördliche Auskunft und Akzeptanz der Unterlagen von „vertrauensstärkende[n] Umstände[n]“ spricht. 806
§ 4 Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen
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III. Zwischenergebnis Vertrauensschutz ist auch im Teilbereich der sonstigen Leistungen nach § 3 Abs. 9 UStG i. V. m. § 3a UStG zu gewähren.811 Dieser entsteht, indem die Finanzverwaltung eine nach den Art. 18 ff. MwSt-DVO vorgesehene Vermutungswirkung zugunsten des Unternehmers nicht widerlegt beziehungsweise widerlegen kann. Die Art. 18 ff. MwSt-DVO sprechen in diesem Zusammenhang von „gegenteiligen Informationen“, welche aufgrund der damit verbundenen hoheitlichen Auskunft nur eine positive Kenntnis des Steuerpflichtigen vom Gegenteil für schädlich befinden. Diese Wertung ist entsprechend für andere Teilbereiche des Umsatzsteuerrechts bei der Prüfung des Sorgfaltsmaßstabs zu berücksichtigen, wenn die Finanzverwaltung Angaben des Geschäftspartners bestätigt.812
E. Reverse-Charge-Verfahren, § 13b UStG Im engen Zusammenhang mit dem Ort der sonstigen Leistungen gemäß § 3 Abs. 9 UStG i. V. m. § 3a UStG steht das Reverse-Charge-Verfahren (Steuerschuldumkehr) gemäß § 13b UStG,813 wodurch dem Leistungsempfänger gemäß § 13b Abs. 5 UStG die Steuerschuld auferlegt wird (Art. 196 MwStSystRL). Neben den verbindlichen Steuerschuldumkehrungen regelt Art. 199 MwStSystRL als „KannBestimmung“ weitere Fälle, in denen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Umsetzung Regelungen zur Umkehr der Steuerschuldnerschaft vorsehen können. Es handelt sich um eine Ausnahme vom Prinzip der Allphasenbesteuerung, mit welcher grundsätzlich auf jeder Wirtschaftsstufe eine Besteuerung vorgenommen werden soll.814 Die beteiligten Parteien haben bezüglich dieser Umkehrung der Steuerschuldnerschaft kein Wahlrecht, da sie kraft Gesetzes eintritt.815 Um die Neutralität der Umsatzsteuer innerhalb des unternehmerischen Rechtsverkehrs zu gewährleisten, ist in § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG eine Parallelregelung geschaffen worden. In der erteilten Rechnung ist nach § 14a Abs. 5 UStG stets auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers hinzuweisen. Der Empfänger einer „Nettorechnung“ (einer Rechnung, in der aufgrund des Reverse-ChargeVerfahrens keine Umsatzsteuer ausgewiesen ist) ist sodann zum Vorsteuerabzug berechtigt.
811
So i. Erg. auch Becker, Ortsbestimmung von sonstigen Leistungen, S. 52. Siehe dazu § 6 dieser Arbeit. 813 Vgl. Widmann, DStJG 32 (2009), S. 103 (119). 814 Filtzinger, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 801. 815 BFH, Urt. v. 22.8.2013 – V R 37/10, BStBl. II 2014, 128, Rn. 55; vgl. Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 36; Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 615. 812
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
I. Systembedingte Nachweispflichten des leistenden Unternehmers Der Sinn und Zweck des Reverse-Charge-Verfahrens liegt zum einen in der Sicherung des Umsatzsteueraufkommens816 und zum anderen in der Verfahrenserleichterung für den leistenden Unternehmer817. Erfasst werden Branchen, in denen die leistenden Unternehmer nach aller Erfahrung in zahlreichen Fällen keine Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen.818 Es besteht für den Fiskus die Gefahr, dass dem Leistungsempfänger dann gleichwohl die Vorsteuer rückvergütet werden muss.819 Das Reverse-Charge-Verfahren ist dabei ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung von Umsatzsteuerhinterziehung.820 Ob durch die nach § 13b Abs. 5 UStG vorgesehene Umkehr der Steuerschuldnerschaft sämtliche Ausfallrisiken als „gebannt“ angesehen werden können,821 erscheint zweifelhaft.822 Jedenfalls stellt das Reverse-Charge-Verfahren für den leistenden Unternehmer nicht immer eine Vereinfachung dar, sondern bereitet diesem durch seine komplexe Ausgestaltung oftmals Schwierigkeiten.823 Er muss zahlreiche Nachweise und Informationen über seinen Geschäftspartner einholen, um innerhalb eines bis zur „Unkenntlichkeit verkompliziert[en]“ Systems sicherzugehen, dass es sich auch tatsächlich um einen Fall der Umkehr der Steuerschuldnerschaft handelt.824 Macht der Vertragspartner falsche Angaben, führt dies dazu, dass der Unternehmer entweder fälschlicherweise von den Voraussetzungen des Revers-Charge-Verfahrens ausgegangen ist oder umgekehrt fälschlicherweise davon ausgegangen ist, dass dessen Voraussetzungen gerade nicht vorliegen. Etliche Umstände, wie etwa die Unternehmereigenschaft des Geschäftspartners oder die Verwendung der Leistung für sein Unternehmen, lassen sich oftmals nicht ohne Restrisiko überprüfen.825
816 BT-Drucks. 14/6877, S. 36; vgl. EuGH, Urt. v. 6.2.2014, Rs. C-424/12, Fatorie, MwStR 2014, 125 (127), Rn. 38; FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 22.12.2005 – 6 K 1996/02 (rkr.), DStRE 2006, 1357 (1359); Filtzinger, FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 801 (804 f.); Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 3; Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 617. 817 Spilker, in: Weymüller2, § 13b UStG, Rn. 16; vgl. Loy, DStR 2018, 1097 (1099). 818 Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 617; Madauß, NZWiSt 2013, 386 (388). 819 Janzen, in: Lippross / Seibel, § 13b UStG (Oktober 2016), Rn. 1. 820 Madauß, NZWiSt 2013, 386 (388). 821 So Spilker, in: Weymüller2, § 13b UStG, Rn. 17 a. E. 822 Instruktiv am Beispiel der Bauleistungen Filtzinger, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 801 (816, 817 f.); krit. auch bereits Tiedtke, UR 2004, 6 (8). 823 Vgl. Lippross, Umsatzsteuer, S. 1282. 824 Filtzinger, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 801 (804 ff.); vgl. Lippross, Umsatzsteuer, S. 1282; Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (25); exemplarisch für Gebäudereinigungsleistungen Luft, DStR 2011, 749 (751 f.). 825 Vgl. Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 46; Langer, DStR 2011, 1647 (1649 f.); zur Leistungsverwendung Neeser, UVR 2014, 333 (341).
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II. „Nichtbeanstandungsregelung“ gemäß § 13b Abs. 5 S. 7 UStG Die sogenannte „Nichtbeanstandungsregelung“ in § 13b Abs. 5 S. 7 UStG führt innerhalb des komplexen Reverse-Charge-Verfahrens nicht immer weiter, denn sie setzt voraus, dass der Leistungsempfänger die ihm unter Anlegung objektiver Kriterien zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer auch tatsächlich an das Finanzamt abgeführt hat, sodass sich das Finanzamt andernfalls wieder an den Leistenden halten wird.826 Es handelt sich strenggenommen bei § 13b Abs. 5 S. 7 UStG um keine Vertrauensschutzregelung, sondern um eine Abwendung eines „reinen Formalismus“.827 Würde § 13b Abs. 5 S. 7 UStG nicht existieren, ließe sich dies auch anhand einer teleologischen Reduktion des § 13b Abs. 5 UStG herleiten. Denn wenn die Umsatzsteuer im Ergebnis abgeführt wird, besteht kein Grund mehr, penibel an den Vorgaben des § 13b UStG festzuhalten. In kaum einer anderen Vorschrift des UStG zeigt sich allerdings die Abhängigkeit der eigenen Besteuerung von dem Verhalten des Geschäftspartners so deutlich wie bei § 13b Abs. 5 S. 7 UStG.828 III. Vertrauensschutz im Reverse-Charge-Verfahren In der Literatur wird im Teilbereich der Steuerschuldumkehr nach § 13b UStG ein Vertrauensschutz für die fehlerhafte Annahme der Steuerschuldnerschaft angenommen.829 Grundsätzlich muss aber unter der Berücksichtigung bereichsspezifischer Besonderheiten unterschieden werden, ob ein Vertrauensschutz für den Leistenden oder für den Leistungsempfänger in Betracht kommen soll. 1. Unzutreffende Annahme des § 13b UStG Beispielsfall: 830 B betreibt ein Fitness-Studio mit einem renovierungsbedürftigen Parkplatz. Eines Tages betritt der deutsch sprechende A die Einrichtungen und bietet dem B an, den Parkplatz vor dem Fitness-Studio neu zu teeren. B müsse sich aber sofort entscheiden und den angemessenen Preis in Höhe von 15.000 Euro bar bezahlen. Daraufhin erteilt B den mündlichen Auftrag, den Parkplatz zu teeren. 826
Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 46; vgl. auch Stadie, UStG-Kommentar, § 13b UStG, Rn. 125, der eine „verfassungskonforme Reduktion“ des § 13b Abs. 5 S. 7 UStG vornehmen will, wenn der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer nicht abführt. 827 Vgl. Prätzler, MwStR 2014, 680 (684); a. A. Leonard, in: Bunjes18, § 13b UStG, Rn. 8; Hundt-Eßwein, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 13b UStG (Juli 2017), Rn. 196. 828 So auch Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (26 f.). 829 So Stadie, UStG-Kommentar, § 13b UStG, Rn. 124 f. In der Literatur wurde auch immer wieder die Einführung einer Vertrauensschutzregelung im Reverse-Charge-Verfahren diskutiert, vgl. Kraeusel, in: FS für W. Reiß, S. 297 (313); tendenziell krit. Nieskens, BB 2006, 356. 830 Orientiert an Widmann, in: Dziadkowski / Reiß, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 1997/98, S. 85 (88 f.), als noch das Abzugsverfahren nach §§ 51 ff. UStDV galt.
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Es fahren Arbeiter mit englischem Kennzeichen auf den Parkplatz vor und renovieren diesen tadellos. B erhält von A eine Rechnung über 15.000 Euro ohne Umsatzsteuer, da nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. § 13b Abs. 5 S. 2 UStG der B als Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schulde. Dies ist schon deswegen unzutreffend, weil B selbst keine Bauleistungen erbringt, vgl. § 13b Abs. 5 S. 2 Hs. 1 UStG. B führt in gutem Glauben an die Richtigkeit der Rechnung die aus seiner Sicht geschuldete Umsatzsteuer an das Finanzamt ab. Später stellt sich zudem heraus, dass A keine feste Geschäftseinrichtungen im Inland vorweisen kann und auch in England unter wechselnden Anschriften seine Dienste anbietet. Das Finanzamt versagt dem B nach alledem den Vorsteuerabzug aus § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG. Der Beispielsfall zeigt, dass der Unternehmer B hier eine zu Unrecht an das Finanzamt abgeführte, aber vermeintlich geschuldete Umsatzsteuer nicht im Wege eines Vertrauensschutzes beim Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG zurückerlangt, sondern diesem ein Rückerstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO bezüglich des ohne Rechtsgrund (vorausgesetzt der Steuerbescheid ist nicht unanfechtbar) gezahlten Geldbetrags zusteht.831 Es ist dogmatisch nicht überzeugend, die Rückzahlung des nicht geschuldeten Geldbetrages durch das Finanzamt an den Leistungsempfänger über einen Vertrauensschutz herzuleiten.832 Man hat sich zunächst zu vergegenwärtigen, dass eine formale Rückzahlung nicht erforderlich ist, wenn der Leistungsempfänger die nicht geschuldete Umsatzsteuer tatsächlich abführt und keine Steuerausfälle entstehen, vgl. § 13b Abs. 5 S. 7 UStG. Ist der Leistende, was vorwiegend bei betrügerischen Machenschaften der Fall sein wird, nicht mehr aufgreifbar und hat dieser die von ihm geschuldete Steuer auch nicht abgeführt, fällt dies allerdings in den Risikobereich des Staates. Dieser muss die Steuer beim Leistenden, der durch die unzutreffende Abführung der Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger nicht von der Umsatzsteuerschuld befreit wird,833 eintreiben. Der Rückgriff auf § 48 Abs. 1 AO ist nicht möglich, weil der Leistungsempfänger irrtümlich seine eigene Steuer gegenüber dem Finanzamt zahlt.834 Es ist Aufgabe der Finanzbehörde, die geschuldete Umsatzsteuer beim Steuerschuldner einzutreiben. Dass der Leistungsempfänger die Leistung dann möglicherweise ohne Umsatzsteuerbelastung erhält,835 hat allenfalls eine zivilrechtliche Bedeutung. So reicht es auch im Sinne einer kalkulatorischen Abwälzbarkeit, dass dem Steuerschuldner die rechtliche Gewähr, den entrichteten Geldbetrag immer von demjenigen zu erhalten, der nach der Konzeption des Gesetzgebers der Steuerträger sein soll, nicht geboten werden muss.836
831
Vgl. Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 37. So aber Stadie, UStG-Kommentar, § 13b UStG, Rn. 125. 833 Zutreffend Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 37. 834 Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 37; Spilker, in: Wey müller2, § 13b UStG, Rn. 197; a. A. Stadie, UStG-Kommentar, § 13b UStG, Rn. 125. 835 So das Argument von Stadie, UStG-Kommentar, § 13b UStG, Rn. 125. 836 BVerfG, Urt. v. 4.2.2009 – 1 BvL 8/05, Spielgerätesteuer, BVerfGE 123, 1 (22 f.). 832
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Der Leistungsempfänger ist zwar zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens auf die Angaben seines Geschäftspartners angewiesen.837 Beiderseitige Irrtümer begründen aber keinen Vertrauensschutz. Der EuGH hat ausdrücklich betont, dass das Risiko der unzutreffenden Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens den beteiligten Parteien auferlegt werden kann.838 Der Vertrauensschutz beruht nicht auf einer beidseitigen unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Sachverhalts.839 Wird das Reverse-Charge-Verfahren irrtümlich angewendet, erlangt der Leistungsempfänger einen ausreichenden Schutz über eine Rückerstattung des (sofern keine Bestandskraft vorliegt) ohne Rechtsgrund gezahlten Geldbetrags nach § 37 Abs. 2 AO.840 Der Staat muss demgegenüber die Umsatzsteuer beim tatsächlichen Schuldner eintreiben. 2. Unzutreffende Nichtanwendung des § 13b UStG Eine irrtümliche Nichtanwendung des Revers-Charge-Verfahrens ist demgegenüber mit zivilrechtlichen Ansprüchen841 gegen den leistenden Austeller einer Bruttorechnung verbunden, an den der Geldbetrag unberechtigterweise gezahlt wurde.842 Zum anderen eröffnet sich bei einer irrtümlichen Sachverhaltsbeurteilung das maßgebende Instrument einer in der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung vorzusehenden Rechnungsberichtigung.843 Wird das Reverse-Charge-Verfahren irrtümlich nicht angewendet, kann spiegelbildlich der Leistende nach entsprechender Rechnungsberichtigung (§ 14 Abs. 2 S. 3 und 5 UStG) einen Anspruch aus § 37 Abs. 2 AO gegenüber dem Fiskus geltend machen.844 Nachzahlungszinsen sind dem Leistungsempfänger zu erlassen, wenn er keinen Liquiditätsvorteil erlangt.845 Ist der zivilrechtliche Anspruch des Leistungsempfängers gegen den Leistenden auf Rückzahlung unmöglich oder übermäßig erschwert, steht diesem ein direkter Anspruch gegen den Fiskus auf Rückzahlung der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer zu.846 Nach hier vertretener Auffassung leitet sich dieser Anspruch 837
Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (25). Vgl. EuGH, Urt. v. 6.2.2014, Rs. C-242/12, Fatorie, MwStR 2014, 125 (128), Rn. 42. 839 Vgl. Grube, MwStR 2014, 128 (129). 840 Zum Verfahrensrecht Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 37. 841 Eingehend dazu § 5 dieser Arbeit. 842 EuGH, Urt. v. 26.4.2017, Rs. C-564/15, Farkas, MwStR 2017, 413 (417), Rn. 49; EuGH, Urt. v. 6.2.2014, Rs. C-424/12, Fatorie, MwStR 2014, 125 (128), Rn. 42; Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 40; vgl. dazu Hummel, MwStR, 2018, 778 (778 f). Zu weitgehend daher Brill, KÖSDI 2018, 21034 (21042 f.) und Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 138 f., die diesen Aspekt außer Betracht lassen. 843 EuGH, Urt. v. 23.4.2015, Rs. C-111/14, GST, MwStR 2015, 538 (541), Rn. 33 f. 844 Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 40. 845 BFH, Urt. v. 26.9.2019 – V R 13/18, DStR 2019, 2531 (2533), Rn. 16 ff. 846 So EuGH, Urt. v. 15.3.2007, Rs. C-35/05, Reemtsma, Slg. I 2007, 2452; EuGH, Urt. v. 26.4.2017, Rs. C-564/15, Farkas, MwStR 2017, 413 (417), Rn. 56. Näher dazu Seite 186 ff. 838
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unmittelbar aus dem Neutralitätsprinzip ab. Er zeigt auf, dass der Leistende und der Leistungsempfänger sich zunächst selbst untereinander einigen müssen, bevor der Sachverhalt an den Fiskus herangetragen werden kann.847 In der Konsequenz kann auch kein Vertrauensschutz bezüglich der irrtümlichen Nichtanwendung des Reverse-Charge-Verfahrens eingreifen.
F. Differenzbesteuerung, § 25a UStG Die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG (Art. 314 MwStSystRL) stellt eine Abweichung von § 10 Abs. 1 UStG dar. Erfasst sind Fälle, in denen ein von einem Endverbraucher gebrauchter Gegenstand wieder zu einem Unternehmer gelangt und dieser seinerseits den Gegenstand an einen anderen Endverbraucher weiterveräußert.848 Typisches Beispiel ist der Handel mit Gebrauchtfahrzeugen.849 Die Differenzbesteuerung berücksichtigt, dass die Umsatzsteuer schon einmal voll ständig auf einen Endverbraucher abgewälzt wurde. Würde der Nettoverkaufspreis zu Grunde gelegt werden, würde die Umsatzsteuer kumuliert anfallen und der Wiederverkäufer entgegen dem Neutralitätsgrundsatz mit Umsatzsteuer belastet.850 Nach § 25a Abs. 3 UStG wird daher nicht das Entgelt als Bemessungsgrundlage herangezogen, sondern die Differenz zwischen Verkaufs- und Einkaufpreis, sodass im Ergebnis die Zahllast für den Unternehmer in derselben Höhe ausfällt, wie wenn er den gebrauchten Gegenstand von einem anderen Unternehmer erworben hätte.851 Gemäß § 25a Abs. 8 UStG hat der Unternehmer daneben die Option zur Normalbesteuerung. I. Abhängigkeit von Angaben des Geschäftspartners Um festzustellen, ob es sich um einen Fall der Differenzbesteuerung gemäß § 25a UStG handelt, ist der Unternehmer auf die Angaben seines Geschäftspartners angewiesen.852 Der Vorlieferant muss entweder ein Verbraucher, ein Kleinunternehmer, ein Unternehmer, der steuerfrei liefert, oder ein Unternehmer sein, der selbst zur Differenzbesteuerung berechtigt ist.853 Auf der Grundlage dieser Angaben kann der lieferungsempfangende Unternehmer auf seine eigene Berechtigung zur Anwendung der Differenzbesteuerung schließen. Sind die Angaben des Geschäftspartners unzutreffend, kann dies dazu führen, dass der Unternehmer
847
Vgl. Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 40. Grube, UR 1994, 173 (174); Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 1698. 849 Vgl. Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (31). 850 Grube, UR 1994, 173 (174); Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 263. 851 Vgl. Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 1698 mit exemplarischer Berechnung. 852 Vgl. Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1602); dens, UR 2018, 45 (74). 853 Vgl. Wäger, UR 2018, 45 (74). 848
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seinen Umsatz fälschlicherweise der Differenzbesteuerung unterwirft, sofern er nicht nach § 25a Abs. 8 UStG verzichtet. II. EuGH-Urteil vom 18.5.2017, Litdana In der Rechtsache Litdana hatte der EuGH über einen Sachverhalt zu entscheiden, in welchem der litauische Gebrauchtwagenhändler „Litdana“ bei einem dänischen Wiederverkäufer Gebrauchtwagen einkaufte, welche er an natürliche und juristische Personen weiterveräußerte.854 Der dänische Gebrauchtwagenhändler wies in seiner Rechnung in sich widersprüchliche Angaben zur Differenzbesteuerung und zur Steuerfreiheit der Lieferung der Fahrzeuge aus.855 Aufgrund dieser Angaben unterwarf „Litdana“ seine Umsätze der Differenzbesteuerung, was sich im Nachhinein als fehlerhaft herausstellte, da der dänische Gebrauchtwagenhändler in Wahrheit seine Umsätze nicht parallel zu den Umsätzen von „Litdana“ der Differenzbesteuerung unterworfen hatte.856 Der EuGH urteilte zugunsten von „Litdana“ und argumentierte vergleichbar mit den Entscheidungen in den bereits dargestellten Teilbereichen des Umsatzsteuerrechts.857 Einem Steuerpflichtigen darf die Differenzbesteuerung wegen eines objektiv vorliegenden Missbrauchs oder einer Steuerhinterziehung nur versagt werden, wenn er von diesen Umständen Kenntnis hatte oder diese Kenntnis hätte haben müssen.858 Ein gutgläubiger Steuerpflichtiger, der alle zumutbaren Maßnahmen unternommen hat, um zu überprüfen, ob der von ihm getätigte Umsatz mit einem Missbrauch oder einer Steuerhinterziehung behaftet ist, ist demgegenüber zu schützen.859 Diese Erwägungen sind auch im Rahmen der Differenzbesteuerung heranzuziehen, weshalb dem Steuerpflichtigen nicht die begehrte Differenzbesteuerung versagt werden kann, wenn er berechtigterweise auf die Angaben seines Geschäftspartners vertrauen konnte.860 Insbesondere darf dem Steuerpflichtigen nicht eine generelle Pflicht auferlegt werden zu prüfen, ob der Rechnungsaussteller seines umsatzsteuerlichen Pflichten wie deklariert nachgekommen ist.861
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EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536, Rn. 12. EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536, Rn. 12, 45 f.; wörtlich handelte es sich dabei zum einen um die Angabe „Mehrwertsteuerfrei“ und zum anderen um die Angabe „Art. 69–71“ des dänischen Mehrwertsteuergesetzes zur Differenzbesteuerung mit dem Zusatz „Gesamt DKK inkl. MWSt.“ 856 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (536 f.), Rn. 13. 857 Vgl. Grube, MwStR 2017, 541; Höink / L angenhövel, BB 2017, 1239 (1240); Nieskens, EU-UStB, 2017, 60 (62). 858 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (538 f.), Rn. 32, 33.; vgl. Grube, MwStR 2017, 541; Nieskens, EU-UStB 2017, 60 (61 f.). 859 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (539), Rn. 35. 860 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (539), Rn. 37. 861 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (539 f.), Rn. 40. 855
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
III. Eigene Bewertung Die Litdana-Entscheidung zeigt deutlich, dass es der EuGH für möglich hält, Tatbestände des Umsatzsteuerrechts unter der Berücksichtigung subjektiver Vorstellungen des Steuerpflichtigen zu gewähren, obwohl nach einer objektiven Sichtweise die materiellen Voraussetzungen dieses Tatbestands nicht vorliegen.862 Bemerkenswert ist, dass der EuGH näher auf mögliche Umstände eingegangen ist, die das nationale Gericht berücksichtigen kann, um zu beurteilen, ob der umsatzsteuerpflichtige Unternehmer Litdana davon hätte ausgehen müssen, dass es sich um eine Steuerhinterziehung seines Geschäftspartners handelt.863 Bezüglich der Unregelmäßigkeiten oder Unstimmigkeiten, die in der Rechnung vorzufinden waren,864 stellte sich der EuGH auf die Seite des lieferungsempfangenden Unternehmers Litdana, der als „verständiger Wirtschaftsteilnehmer, der kein Fachmann auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer“ sei und daher nicht davon ausgehen musste, dass es sich bei dem Vorgang um eine Steuerhinterziehung handelt.865 Ein entscheidender Aspekt ist zudem, dass Litdana zuvor von der Steuerbehörde die Bestätigung erlangt hat, dass die vorliegenden Rechnungen zur Anwendung der Differenzbesteuerung berechtigen.866 Dies steht mit der hier vertretenen Ansicht im Einklang, dass in einem solchen Fall nur noch positive Kenntnis von einer Steuerhinterziehung schaden kann, um das beantragte Recht auf Anwendung der Differenzbesteuerung versagen zu können.867 Bloße Unstimmigkeiten oder Unregelmäßigkeiten, um welche es sich in dem vorliegenden Fall handelte, lassen aber keinesfalls den Schluss zu, dass ein nicht fachkundiger Wirtschaftsteilnehmer positive Kenntnis von einer Steuerhinterziehung in seiner Lieferkette868 hat.869 Zumal der Unternehmer die umsatzsteuerlich relevanten Verhältnisse seines Geschäftspartners nicht überprüfen kann, ist diesem bei der Anwendung der Differenz besteuerung Vertrauensschutz zu gewähren.870
862
Höink / L angenhövel, BB 2017, 1239 (1241); vgl. Klenk, HFR, 2017, 664. EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (540), Rn. 42 ff. 864 Vgl. Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1602), der von „diffuse[n] Angaben sowohl zur Differenzbesteuerung als auch zu einer Steuerfreiheit“ spricht. 865 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (540), Rn. 46; vgl. dazu Nieskens, EU-UStB 2017, 60 (62). 866 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (540), Rn. 44. 867 Siehe Seite 171 f. unter Bezugnahme auf §§ 18 ff. MwSt-DVO. 868 Vgl. dazu Wäger, DStR 2017, 2017 (2019 ff.), der die bloße Anwendung der Differenzbesteuerung auf Lieferungen gegenüber den sonstigen Leistungen für gleichheitswidrig hält. 869 Vgl. die zust. Anm. von Grube, MwStR 2017, 541. 870 So i.Erg. auch Grube, MwStR 2017, 541; Höink / L angenhövel, BB 2017, 1239 (1240 f.); Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 601; Martini, UR 2010, 81 (85); Osterloh, UVR 2016, 207 (209 f.); offenlassend FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 4.11.2015 – 7 K 7189/15, EFG 2016, 237 (239); a. A. Reiß, UR 2017, 565 (571), der allein einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Lieferanten für einschlägig hält. 863
§ 5 Verhältnis des Vertrauensschutzes zu zivilrechtlichen Ansprüchen
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§ 5 Verhältnis des Vertrauensschutzes zu zivilrechtlichen Ansprüchen Im Folgenden wird erarbeitet, wann der Unternehmer sich auf einen unionsrechtlich fundierten Vertrauensschutz berufen kann und wann es sich um eine zivilrechtliche Angelegenheit handelt. Zunächst werden zivilrechtliche Ansprüche aufgezeigt, die nach deutschem Recht bei Falschangaben des Geschäftspartners in Betracht kommen (dazu A.). Sodann werden diejenigen Fallkonstellationen behandelt, in denen der Unternehmer ausschließlich auf zivilrechtliche Ansprüche gegen den Geschäftspartner zu verweisen ist (dazu B.). Umgekehrt ist zu untersuchen, ob bei einer Gewährung von Vertrauensschutz durch den Staat zivilrechtlich kein Schaden mehr für den betroffenen Unternehmer besteht (dazu C.).
A. In Betracht kommende zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen Das Bestehen oder Nichtbestehen zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Geschäftspartner kann ganz wesentliche Bedeutung dafür erlangen, ob der Unternehmer endgültig (neutralitätswidrig) mit Umsatzsteuer belastet wird.871 Für den Unternehmer, der durch Falschangaben des Geschäftspartners mit Umsatzsteuer belastet wird, kommen, je nach entsprechender Fallkonstellation, verschiedene zivilrechtliche Ansprüche in Betracht.872 I. Schadensersatzrechtliche Ansprüche Unabhängig von der öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Rechnungsausstellung nach § 14 Abs. 2 S. 1 UStG handelt es sich um eine vertragliche Nebenpflicht, eine ordnungsgemäße Rechnung auszustellen, welche aus § 242 BGB abzuleiten ist.873 Dadurch entsteht die Möglichkeit, bei einer nicht ordnungsgemäß ausgestellten Rechnung die verspätet oder nicht erfolgte Gewährung des Vorsteuerabzugs als zivilrechtlichen Schadensposten anzusehen.874 Ein Schadensersatzanspruch 871
von Streit / Streit, UR 2018, 813 (819); vgl. dazu Widmann, in: Schwarz / Widmann / Radeisen, § 14 UStG (März 2014), Rn. 54a, der darauf verweist, dass bei einem zivilrechtlichen Anspruch kein Grund für die Umsatzsteuer besteht, sich in das Zivilrecht „einzumischen“. 872 Vgl. dazu Wartenburger, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 145 (146 f.). Siehe ferner Kemper, Umsatzsteuer und zivilrechtlicher Vertrag, S. 77 ff., 115. 873 Wittmann / Z ugmaier, DStR 2008, 538 (539); Lippross, Umsatzsteuer, S. 958 f. 874 Vgl. BGH, Urt. v. 10.3.2010 – VIII ZR 65/09, DStR 2010, 1183 (1184), Rn. 13; BGH, Urt. v. 11.12.1974 – VIII ZR 186/73, NJW 1975, 310; Streit / Dietz-Vellmer, DB 2019, 2259 (2261 f.); Wittmann / Z ugmaier, DStR 2008, 538 (539); Lippross, Umsatzsteuer, S. 959. Siehe dazu auch Kemper, Umsatzsteuer und zivilrechtlicher Vertrag, S. 115; zur Schadensberechnung anhand der Differenzmethode Nolte, Die Umsatzsteuer als zu ersetzender Schaden im Zivilrecht, S. 22 ff.
182
Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
kann sich dann aus § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer Nebenpflicht ergeben.875 Dies gilt insbesondere, wenn der Geschäftspartner durch Vertrag eine Garantie über bestimmte umsatzsteuerlich relevante Verhältnisse (wie etwa die Zuordnung des Gegenstands zu seinem Unternehmen) übernommen hat.876 Ferner umfassen Falschangaben des Geschäftspartners bei und vor Vertragsabschluss einen Schadensersatzanspruch aus „culpa in contrahendo“ nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB. Täuscht der Geschäftspartner den Unternehmer nach Vertragsschluss über den zutreffenden Rechnungsinhalt kommt demgegenüber nur ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB in Frage.877 Denkbar sind ferner Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB. II. Bereicherungsrechtliche Ansprüche und Vertragsauslegung Nach einer Vernichtung des zu Grunde liegenden Rechtsgeschäfts (wie etwa durch Anfechtung nach §§ 142 Abs. 1, 119 ff. BGB) kommt daneben ein bereicherungsrechtlicher Anspruch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB in Betracht.878 Täuscht der Geschäftspartner des Steuerpflichtigen beispielsweise über seine Unternehmereigenschaft, ist eine Anfechtung wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Vertragspartners nach § 119 Abs. 2 Alt. 1 BGB denkbar.879 Hierfür ist in § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG für die Rückabwicklung eine Spezialregelung gegenüber § 41 Abs. 1 AO vorgesehen. Die Berichtigung des Steuerbetrags durch den täuschenden Geschäftspartner wird jedoch nur in den wenigsten Fällen gelingen, da dieser entweder nicht dazu bereit sein wird oder nicht mehr aufgreifbar ist. Handelt es sich um Fälle, in denen auf den Käufer über den Preis ein Steuerbetrag unrichtig oder unberechtigt abgewälzt wurde, kommt ebenfalls ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 S. 1 Abs. 1 BGB in Betracht.880 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die Parteien grundsätzlich der Höhe nach über einen Kaufpreis zivilrechtlich geeinigt haben. Die Umsatzsteuer wird nur im Fall einer ausdrücklich vereinbarten Nettoentgeltabrede selbstständiger Entgeltbestandteil, sodass dann etwa im Fall einer Umsatzsteuerfreiheit für
875 Vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 28.9.2006 – 12 U 46/06 (rkr.), DStRE 2007, 1453; zust. Wittmann / Z ugmaier, DStR 2008, 538 (539). 876 Wartenburger, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 145 (149). 877 Vgl. Kemper, Umsatzsteuer und zivilrechtlicher Vertrag, S. 115. 878 Wartenburger, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 145 (146 f.). 879 Vgl. Thomale / Schüßler, ZfPW 2015, 454 (481 f.); a. A. Kemper, Umsatzsteuer und zivilrechtlicher Vertrag, S. 73. 880 Vgl. OLG Braunschweig, Urt. v. 22.5.2018 – 8 U 130/17, BeckRS 2018, 10707, Rn. 15–23; LG Göttingen, Urt. v. 21.9.2017 – 12 O 58/16, BeckRS 2017, 139551, Leitsatz; Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (22).
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den Leistungsempfänger keine Verpflichtung zur Zahlung von Umsatzsteuer an den Leistenden besteht.881 Sofern sich die Parteien in ihrem Vertag nicht zur Umsatzsteuer äußern, ist von einer Bruttoentgeltabrede auszugehen, bei der die Umsatzsteuer ein unselbstständiger Bestandteil der Vergütung ist.882 Dem Leistungsempfänger geht es bei einer stillschweigenden Bruttoentgeltabrede um den Erhalt der Leistung zum vereinbarten Preis und nicht darum, wie viel Umsatzsteuer in dem vereinbarten Preis enthalten ist.883 Der BGH behilft sich an dieser Stelle mit dem Instrument einer ergänzenden Vertragsauslegung nach §§ 157, 133 BGB.884 Diese geht dogmatisch einer Prüfung des § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage) vor.885 Sie kann regelmäßig bei einer irrtümlichen angenommenen Nichtsteuerbarkeit, einer Fehlbeurteilung bei der Umkehr der Steuerschuldnerschaft oder einer irrtümlichen Annahme einer Leistung im umsatzsteuerlichen Sinne herangezogen werden.886 Der Vertrag wird demnach um eine Regelung ergänzt, die die Parteien mutmaßlich vereinbart hätten, wenn sie die umsatzsteuerlichen Verhältnisse richtig erfasst hätten.887, 888 Die ergänzende Vertragsauslegung ist jedoch an Voraussetzungen gebunden. Der Irrtum über die umsatzsteuerlichen
881 BGH, Urt. v. 11.5.2001 – V ZR 492/99, DStRE 2002, 49 (50); LG Aachen, Urt. v. 9.2.2018 – 6 S 118/17, BeckRS 2018, 4655, Rn. 21; AG Gummersbach, Urt. v. 7.11.2017 – 15 C 96/17, NJOZ 2018, 999 (999 f.), Rn. 15; Kahsnitz, DStR 2017, 1272. 882 St.Rspr.: BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 66/18, BeckRS 2019, 3518, Rn. 45; BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 7/18, BeckRS 2019, 3512, Rn. 28; BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 115/18, BeckRS 2019, 3584, Rn. 27; BGH, Urt. v. 11.5.2001 – V ZR 492/99, DStRE 2002, 49 (50). Siehe dazu Makoski / Clausen, ZMGR 2018, 231 (233 f., 236), m. w. N. 883 Wartenburger, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 145 (145 f.); vgl. Kemper, Umsatzsteuer und zivilrechtlicher Vertrag, S. 74. 884 BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 66/18, BeckRS 2019, 3518, Rn. 46; BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 7/18, BeckRS 2019, 3512, Rn. 36; BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 115/18, BeckRS 2019, 3584, Rn. 34; vgl. Reiß, MwStR 2019, 526 (532 f.). 885 BGH, Urt. v. 14.1.2000 – V ZR 416–97, DStR 2000, 834 (835); vgl. BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 7/18, BeckRS 2019, 3512, Rn. 59; Kahsnitz, DStR 2017, 1272 (1273); Haupt, DStR 2018, 1953 (1954). Die Parteien werden zudem kaum umsatzsteuerliche Folgen als Grundlage ihres Rechtsgeschäfts erachten, so auch Wartenburger, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 145 (147 f.); a. A. noch OLG Schleswig, Urt. v. 20.12.2017 – 4 U 69/17, BeckRS 2017, 146597, Rn. 22–38. 886 Reiß, MwStR 2019, 526 (533). 887 BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 66/18, BeckRS 2019, 3518, Rn. 62; vgl. Wartenburger, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 145 (148). 888 Fehlt eine Vereinbarung der Parteien über die Höhe des Entgelts, sind grundsätzlich die §§ 315 ff. BGB heranzuziehen. Für die vorliegende umsatzsteuerliche Problematik muss die Annahme einer einseitigen Preisbestimmung nach §§ 315, 316 BGB aber regelmäßig als ausgeschlossen gelten, da dem Vertrag nach ergänzender Auslegung in den weit überwiegenden Fällen nicht entnommen werden kann, dass einer Partei das einseitige Preisbestimmungsrecht zustehen soll, vgl. BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 7/18, BeckRS 2019, 3512, Rn. 36; BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 115/18, BeckRS 2019, 3584, Rn. 34; a. A. noch OLG Köln, Urt. v. 22.6.2012 – 20 U 27/12, NJW-RR 2012, 1520 (1521); LG Aachen, Urt. v. 9.2.2018 – 6 S 118/17, BeckRS 2018, 4655, Rn. 23; Kahsnitz, DStR 2017, 1272 (1275).
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Verhältnisse muss übereinstimmend erfolgen.889 Dies ist nicht der Fall, wenn der Geschäftspartner den Unternehmer über umsatzsteuerlich relevante Tatsachen täuscht. Bereicherungsrechtliche Ansprüche können sich dann nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung ergeben, sodass nur noch schadensersatzrechtliche Ansprüche in Betracht kommen.890 Dasselbe gilt, wenn der leistende Unternehmer den unzutreffend geschuldeten Betrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einsetzt und hiernach davon ausgeht, für die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen treffen zu können.891 In diesem Fall kann es nicht zu einer Rückabwicklung über einen bereicherungsrechtlichen Anspruch des Leistungsempfängers kommen, da die Umsatzsteuer wirtschaftlich gar nicht auf ihn abgewälzt wurde.892
B. Vorrangige Verweisung auf die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche Der EuGH verweist den Steuerpflichtigen – wie bereits gesehen – in bestimmten Fällen ausschließlich auf die dargestellten zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Geschäftspartner, sodass ein etwaiger Vertrauensschutz in dieser Relation zurücktritt. Hierauf ist im Folgenden näher einzugehen. I. Zum Vorsteuerabzugsrecht, §§ 15, 15a UStG Eine vorrangige Verweisung des betroffenen Unternehmers auf zivilrechtliche Ansprüche gegen seinen Geschäftspartner wird unter anderem im Vorsteuerabzugsrecht relevant. Ob der leistungsempfangende Unternehmer auf zivilrechtliche Ansprüche zu verweisen ist, ist maßgeblich davon abhängig, ob dieser auf der Grundlage der erhaltenen Rechnung davon ausgehen durfte, dass die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorliegen.
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BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 7/18, BeckRS 2019, 3512, Rn. 49; Streit / Dietz-Vellmer, DB 2019, 2259 (2261); vgl. allg. dazu Kötz, JuS 2013, 289 (293 ff.), m. w. N. 890 So auch Wartenburger, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 145 (150). Siehe zur Nettoentgeltabrede Rohde / Knobbe, NJW 2012, 2156 (2159 f.). Vgl. dazu AG Gummersbach, Urt. v. 7.11.2017 – V 15 C 96/17, NJOZ 2018, 999 (1000), Rn. 19, das (umgekehrt) einen Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB ablehnt, da sich die Parteien im Rahmen einer Bruttopreisabrede auf eine Umsatzsteuerpflicht geeinigt haben. 891 Vgl. BVerfG, Urt. v. 4.2.2009 – 1 BvL 8/05, Spielgerätesteuer, BVerfGE 123, 1 (22 f.); Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, S. 73. 892 Ähnlich streng danach differenzierend, ob sich aus der Rechnung ein berechneter Umsatzsteueranteil ergibt OLG Frankfurt, Urt. v. 26.4.2019 – 26.4 2019, BeckRS 2019, 8575, Rn. 32.
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1. Überprüfbare oder nicht überprüfbare Angaben Der Vertrauensschutz resultiert aus der Indienstnahme des Unternehmers durch den Staat zur Steuererhebung. Hat der Unternehmer alles in seiner Macht Stehende getan, um sein Recht auf Vorsteuerabzug durch die erhaltene Rechnung nachzuweisen,893 handelt es sich nicht mehr um einen Fall, in welchem der Staat den Unternehmer auf die zivilrechtliche Haftung seines Geschäftspartners verweisen kann. Der Unternehmer würde dadurch sein Recht auf Vorsteuerabzug faktisch „verlieren“, was der EuGH mehrfach für ausgeschlossen erklärt hat894. Im Zweifel wäre auch der Staat über diese Angaben getäuscht worden. Er darf nicht dadurch besser gestellt werden, dass er sich eines Privatmanns zur Steuereintreibung bedient. Die Haftung darf nicht verschuldensunabhängig auf den in Dienst genommenen Unternehmers verlagert werden, da dies über das hinausginge, was erforderlich ist, um die Ansprüche der Staatskasse zu schützen.895 Handelt es sich demgegenüber um fehlerhafte überprüfbare Angaben, kann vom Unternehmer verlangt werden, dass er sich um eine Rechnungsberichtigung oder -ergänzung bemüht.896 Hier stehen ihm alle Möglichkeiten des Zivilrechts offen, um gegen seinen Geschäftspartner vorzugehen, damit eine ordnungsgemäße Rechnung ausgestellt wird. Die zivilrechtliche Haftung kann dadurch streng von der Frage des Vertrauensschutzes getrennt werden. Erhält der Unternehmer überhaupt keine Rechnung, ist dies ebenfalls keine Frage des Vertrauensschutzes, sondern eine zivilrechtliche Problematik. Der Unternehmer muss sich im Zweifel vertraglich durch Umsatzsteuerklauseln absichern.897 Erst wenn der Unternehmer eine Rechnung erhalten hat, aus der er schließen durfte, dass die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorliegen und es sich nicht um eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch handelt, ist eine für den Vertrauensschutz relevante Sachverhaltskonstellation gegeben.
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Vgl. EuGH, Urt. v. 31.1.2013, Rs. C-642/11, Stroy trans, MwStR 2013, 125 (128), Rn. 48 f. EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1342), Rn. 53 f.; EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177 (6195), Rn. 51; vgl. von Streit, UStB 2012, 288 (292); Stapperfend, UR 2013, 321 (323). 895 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 48; EuGH, Urt. v. 11.5.2006, Rs. C-384/04, Federation of Technological Industries, Slg. I 2006, 4191 (4229), Rn. 32; EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (797), Rn. 23; Meyer-Burow / Connemann, UStB 2014, 255 (261 f.). 896 Siehe Seite 84 ff. 897 Siehe von Streit / Streit, UR 2018, 813 (819 f.); vgl. auch Jakob, Abgabenordnung, Rn. 275. 894
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2. Unrichtiger oder unberechtigter Steuerausweis, § 14c UStG Kommt es zu einem unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweis, entstehen ebenfalls zivilrechtliche Ansprüche, die eine Berufung auf Vertrauensschutz einschränken. a) In Bezug auf den Leistenden Auf der Seite des Leistenden verdrängt die Möglichkeit einer Rechnungskorrektur einen Vertrauensschutz hinsichtlich des eigenen Steuerausweises.898 Zwar ist durchaus anzuerkennen, dass die Möglichkeit einer Rechnungskorrektur das Risiko einer endgültigen Belastung mit Umsatzsteuer beim Leistenden nicht vollständig ausschließen kann.899 Diesem Umstand ist jedoch rein zivilrechtlich dadurch zu begegnen, dass in einem Fall, in welchem ernstlich zweifelhaft ist, ob der Leistende in seiner Rechnung Umsatzsteuer ausweisen muss, der Leistungsempfänger die Erteilung einer Rechnung mit gesondert ausgewiesener Steuer nur verlangen kann, wenn die zuständige Finanzbehörde den fraglichen Vorgang bestandskräftig der Umsatzsteuer unterworfen hat.900 Selbst in umsatzsteuerlichen Zweifelsfällen handelt es sich daher nicht um eine Problematik des Vertrauensschutzes. Erst recht greift dieser nicht, wenn sich der Leistende nicht über die Rechtslage informiert.901 b) In Bezug auf den Leistungsempfänger Auf der Gegenseite kann der leistungs- und rechnungsempfangende Unternehmer nicht gegenüber dem Staat vorbringen, er habe auf die richtige Höhe des Steuerausweises vertraut.902 Bei falscher Ausweisung des Rechnungsausstellers muss der Rechnungsempfänger eine berichtigte Rechnung anfordern.903 Als (prinzipiell) überprüfbare Angabe ist der zu viel bezahlte Steuerbetrag bei einer Brutto entgeltabrede nach ergänzender Vertragsauslegung auf dem Zivilrechtsweg als ungerechtfertigte Bereicherung rückabzuwickeln.904
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Siehe Seite 94 ff. So BGH, Urt. v. 26.6.2014 – VII ZR 247/13, NJW-RR 2014, 1520 (1521), Rn. 14. 900 BGH, Urt. v. 26.6.2014 – VII ZR 247/13, NJW-RR 2014, 1520, 2. Leitsatz.; BGH, Urt. v. 10.11.1988 – VII ZR 137/87, BGHZ 103, 284 (291 ff.). 901 Vgl. FG Hamburg, Urt. v. 11.12.2018, 4 K 161/15 (rkr.), ZfZ 2019, 118 (121). 902 A. A. Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 14c UStG (Mai 2018), Rn. 235. 903 Vgl. Deutsches wissenschaftliches Institut der Steuerberater e. V., Handbuch zur Umsatzsteuer 2017, § 15 UStG, Rn. 47. 904 Statt aller BGH, Urt. v. 20.2.2019 – VIII ZR 66/18, BeckRS 2019, 3518, Rn. 46; vgl. OLG Braunschweig, Urt. v. 22.5.2018 – 8 U 130/17, BeckRS 2018, 10707, Rn. 15–23; LG Göttingen, Urt. v. 21.9.2017 – 12 O 58/16, BeckRS 2017, 139551, Leitsatz.; Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (22). 899
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Dies steht mit der sogenannten Reemtsma-Rechtsprechung des EuGH905 in Einklang. Ein Leistungsempfänger, der an den Leistenden einen unrichtig oder unberechtigt ausgewiesenen Steuerbetrag bezahlt hat, muss zunächst über den Zivilrechtsweg den gezahlten Geldbetrag zurückfordern.906 Erst wenn der zivilrechtliche Anspruch gegen den Leistenden „unmöglich oder übermäßig erschwert“ wird (Insolvenz des Leistenden), kann sich der Leistungsempfänger nach Ansicht des EuGH mit einem direkten Anspruch auf Steuererstattung („Reemtsma-Anspruch“) an den Fiskus wenden, sofern der Leistende den unrichtig oder unberechtigt ausgewiesenen Steuerbetrag an das Finanzamt abgeführt hat.907 Dies entspricht einer verhältnismäßigen Risikoverteilung.908 Denn der Staat kann es dem Unternehmer zwar zumuten, sich über den Zivilrechtsweg beim Geschäftspartner schadlos zu halten. Allerdings kann er nicht das damit dem Leistungsempfänger auferlegte Insolvenzrisiko seines Geschäftspartners dazu missbrauchen, einen nicht geschuldeten, aber abgewälzten und abgeführten Geldbetrag zu Lasten des irrenden Leistungsempfängers einzubehalten. Vertrauensschutz gilt demgegenüber dann, wenn materielle Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht vorliegen, weil der Rechnungsaussteller etwa als Scheinunternehmer aufgetreten ist und der leistungsempfangende Unternehmer auf der Grundlage der vorgelegten Dokumente davon ausgehen durfte, dass die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorliegen und es sich um keine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch handelt. In diesen Fällen, in denen sich aus den rein formellen Angaben das Nichtvorliegen der materiellen Tatbestandsvoraussetzung nicht erkennen ließ, überwiegt das Interesse des Einzelnen an einem Vertrauensschutz.909 Ansonsten würde es sich gerade um ein System der verschuldensunabhängigen Haftung des redlichen Unternehmers für entgangene Umsatzsteuer handeln.910 Die fehlende Unternehmereigenschaft bewirkt daneben einen unberechtigten Steuerausweis des Rechnungsausstellers. Dieser schuldet die Steuer nach § 14c Abs. 2 UStG, die der Leistungsempfänger nicht in Abzug bringen kann. Der
905
EuGH, Urt. v. 15.3.2007, Rs. C-35/05, Reemtsma, Slg. I 2007, 2452 = DStRE 2007, 570; jüngst bestätigt durch EuGH, Urt. v. 11.4.2019, Rs. C-691/17, PORR, MwStR 2019, 540 ff.; vgl. EuGH, Urt. v. 26.4.2017, Rs. C-564/15, Farkas, MwStR 2017, 413 ff. 906 EuGH, Urt. v. 15.3.2007, Rs. C-35/05, Reemtsma, Slg. I 2007, 2452 (2469), Rn. 39; EuGH, Urt. v. 11.4.2019, Rs. C-691/17, PORR, MwStR 2019, 540 (544), Rn. 40. 907 EuGH, Urt. v. 15.3.2007, Rs. C-35/05, Reemtsma, Slg. I 2007, 2452 (2469 f.), Rn. 41; EuGH, Urt. v. 11.4.2019, Rs. C-691/17, PORR, MwStR 2019, 540 (544), Rn. 42. 908 Englisch, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39 (72); Stadie, UR 2007, 431 (431 f.). Ablehnend Reiß, MwStR 2019, 526 (530 ff.), der für einen solchen Anspruch keine Rechtsgrundlage sieht; krit. auch Haupt, DStR 2018, 1953 (1956). 909 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (798), Rn. 27; EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7857), Rn. 66; EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (539), Rn. 35; EuGH, Urt. v. 22.10.2015, Rs. C-277/14, PPUH Stehcemp, MwStR 2015, 964 (969), Rn. 53; Hassa, UR 2015, 809 (813), Nieskens, Stbg 2005, 554 (572). 910 EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (797), Rn. 23.
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
eine Abziehbarkeit herbeiführende direkte Anspruch auf Vertrauensschutz umgeht diese Grundsätze nicht.911 3. Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 9 UStG Nach § 9 Abs. 1 UStG kann der Unternehmer die dort genannten steuerfreien Umsätze als steuerpflichtig behandeln. Steuerbefreiungen schließen nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG das Recht zum Vorsteuerabzug aus. Die Steuerbefreiung von Umsätzen kann zu systemwidrigen Kumulationseffekten führen, da der Unternehmer die ihm für seine Vorbezüge in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht abziehen kann, aber in den Preis einkalkulieren wird.912 Die dem entgegenwirkende Einräumung eines Optionsrechts zur Steuerpflicht ist nach Art. 137 MwStSystRL den Mitgliedstaaten freigestellt. Um für die Steuerpflicht zu optieren, muss der leistungserbringende Unternehmer einige Umstände seines Geschäftspartners kennen, die er nicht überprüfen kann.913 Der Umsatz muss zum Beispiel nach § 9 Abs. 1 UStG an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt werden. In den Fällen des § 9 Abs. 2 UStG steht dem leistungserbringenden Unternehmer das Optionsrecht nur zu, wenn der leistungsempfangende Unternehmer die Leistungen ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Der leistungserbringende Unternehmer hat nach § 9 Abs. 2 S. 2 UStG die Voraussetzungen für den Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung nachzuweisen. Dadurch kann die Situation eintreten, dass dem leistungserbringenden Unternehmer nachträglich das Optionsrecht versagt wird, weil dessen Geschäftspartner in Wirklichkeit nicht die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllt. Das Optionsrecht nach § 9 Abs. 1 (i. V. m. Abs. 2) UStG ist grundsätzlich ein Recht, das nur bei objektiv zutreffenden Tatbestandsvoraussetzungen ausgeübt werden kann.914 Der Leistende ist nach der Rechtsprechung des BFH bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft dazu berechtigt, das Optionsrecht zu widerrufen.915 Entstehen dadurch Nachteile für den Leistungsempfänger, wie etwa der
911
Siehe dazu Seite 114 f. Meyer, in: Weymüller2, § 9 UStG, Rn. 7. 913 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (20); vgl. Janzen, in: Lippross / Seibel, § 9 UStG (Dezember 2015), Rn. 4. 914 So Meyer, in: Weymüller2, § 9 UStG, Rn. 88.2; vgl. Heidner, in: Bunjes18, § 9 UStG, Rn. 33, der einen Gutglaubensschutz im Rahmen des § 9 UStG ablehnt. 915 BFH, Urt. v. 19.12.2013 – V R 6/12, BFHE 245, 71 (75), Rn. 20; BFH, Urt. v. 19.12.2013 – V R 7/12, BFHE 245, 80 (84), Rn. 19; anders noch der XI. Senat, BFH, Urt. v. 10.12.2008 – XI R 1/08, BStBl. II 2009, 1026 (1028), der auf eine formelle Bestandskraft abstellte; vgl. dazu Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (21); Friedrich- Vache, UR 2014, 646 (648). 912
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Verlust des Rechts auf Vorsteuerabzug, ist dies zivilrechtlich anzupassen.916 Ein Vertrauensschutz für den Leistungsempfänger ist nicht das Pendant einer Widerrufsmöglichkeit des Leistenden bis zur materiellen Bestandskraft. Dass diese Gefahr bei der Option zur Steuerpflicht nach § 9 UStG besteht, ist den Beteiligten von Anfang an bekannt. Sie müssen sich in den zugrundeliegenden zivilrechtlichen Verträgen hinreichend absichern.917 Nicht anderes kann im umgekehrten Fall gelten, wenn der Leistende das Optionsrecht aufgrund fehlerhafter Angaben des Geschäftspartners nicht – wie ursprünglich vorgestellt und beabsichtigt – ausüben kann.918 Dem Leistenden ist bekannt, dass sich Umstände bei seinem Vertragspartner (über längere Zeit) ändern können. Dagegen muss er sich ebenfalls zivilrechtlich absichern. Umsatzsteuerrechtlich wurden für diese Situation die Korrektur nach § 17 UStG und die Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach 15a UStG geschaffen. Unter Umständen eintretende Wettbewerbsnachteile aufgrund nachträglicher Versagung des Optionsrechts sind alleine auf dem Zivilrechtsweg zu kompensieren. 4. Anzahlungen nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 UStG Sowohl der EuGH919 als auch der BFH920 gehen davon aus, dass dem Unternehmer der Vorsteuerabzug aus geleisteten Vorauszahlungen nicht zu versagen sei, wenn zum Zeitpunkt der Zahlung die Lieferung als sicher erscheint, weil alle maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung als bekannt angesehen werden konnten, und anhand objektiver Umstände der Zahlende zu diesem Zeitpunkt nicht davon ausgehen musste, dass die zukünftige Bewirkung der Lieferung unsicher ist. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 UStG stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass der Vorsteuerabzug eine bereits erfolgte Leistung für das Unternehmen voraussetzt.921 Dies ist aber nur in zeitlicher Hinsicht zu verstehen.922 Eine zugrundeliegende Lieferung oder sonstige Leistung bildet das Kernstück eines umsatzsteuerlichen Sachverhalts. Daher müssen Anzahlungen auf eine Leistung gerichtet sein, die mit Sicherheit in Zukunft erbracht werden wird.923
916 Widmann, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 7 (21); teilweise krit. Friedrich-Vache, UR 2014, 646 (650 f.). 917 Vgl. Brockmann, in: Hartmann / Metzenmacher, § 9 UStG (August 2003), Rn. 23. 918 Vgl. Friedrich-Vache, UR 2014, 646 (650), die daneben aber einen Erlass aus sachlicher Unbilligkeit gemäß § 163 AO in Erwägung zieht. 919 EuGH, Urt. v. 31.5.2018, Rs. C-660/16, C-661/16, Kollroß und Wirtl, DStR 2018, 1171. 920 BFH, Urt. v. 5.12.2018 – XI R 44/14, BFH / N V 2019, 499. 921 Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (März und Juni 2018), Rn. 324 und 406. 922 Vgl. Lippross, Umsatzsteuer, S. 949. 923 EuGH, Urt. v. 31.5.2018, Rs. C-660/16, C-661/16, Kollroß und Wirtl, DStR 2018, 1171 (1173), Rn. 41 ff.; vgl. insoweit BFH, Urt. v. 5.12.2018 – XI R 44/14, BFH / N V, 2019, 499 (502), Rn. 41 ff.; so auch Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (Juni 2018), Rn. 408.
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Problematisch ist, dass das Vorstellungsbild des Anzahlenden über die künftige Erbringung der Leistung bereits über den Tatbestand der Anzahlung Berücksichtigung finden soll.924 Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 UStG (Art. 65 MwStSystRL) sollten jedoch so ausgelegt werden, dass es sich nur um eine Ausnahme handelt, die das Recht auf den Vorsteuerabzug zeitlich vor den Leistungsempfang verlagert. Ein Vorsteuerabzug bei einem späteren gänzlichen Ausfall der Leistung ist nicht davon umfasst. Der Unternehmer, der eine Anzahlung leistet, muss immer ein Ausbleiben der Leistung einkalkulieren und sich entsprechend zivilrechtlich absichern.925 Das Risiko für den Verlust des Vorsteuerabzugs sollte allerdings auch bei Anzahlungen nicht ausschließlich auf den Unternehmer verlagert werden.926 Dass die Lieferung zu diesem Zeitpunkt als sicher erschien, rechtfertigt nur die zeitliche Vorverlagerung des Vorsteuerabzugs, nicht einen Vorsteuerabzug bei gänzlichem Ausfall der Leistung. Fällt die Leistung gänzlich aus, erfüllt dies dogmatisch nicht den Tatbestand einer Anzahlung gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 UStG (Art. 65 MwStSystRL),927 sondern die Frage, ob dem redlichen Unternehmer, der auf den Erhalt der Leistung vertraut hat, ein Vertrauensschutz zu gewähren ist. Eine nachträgliche Korrektur über § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG kann davon abhängig gemacht werden, dass die Anzahlung vom vermeintlichen Lieferanten zurückgezahlt wird.928 In Täuschungsfällen, in denen der gutgläubige Unternehmer schutzwürdig ist,929 wird eine solche Rückzahlung in aller Regel scheitern. Dann bleibt dem Unternehmer der Vorsteuerabzug aus der Anzahlung erhalten, ohne dass es zu einer Korrektur nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG kommt. Bei Nichtbeachtung des kaufmännischen Sorgfaltsmaßstabs ist der Anzahlende an das nationale Zivilrecht gebunden. 5. Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1a UStG Die Umsätze einer Geschäftsveräußerung im Ganzen unterliegen gemäß § 1 Abs. 1a S. 1 UStG nicht der Umsatzsteuer. Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen liegt nach § 1 Abs. 1a S. 2 UStG vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. Nach § 1 Abs. 1a S. 3 UStG tritt der erwerbende Unternehmer an die Stelle des Veräußerers. Die Beteiligten sind bei der Beurteilung, ob es sich um eine nichtsteuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1a S. 1 UStG oder um ein Bün 924
Siehe Seite 105. Vgl. Reiß, MwStR 2019, 392 (399); dens., BB 1981, 1632 (1634 f.). 926 Vgl. Seite 104 ff. 927 Krit. auch Reiß, MwStR 2019, 392 (393). 928 In diesem Sinne wohl auch EuGH, Urt. v. 31.5.2018, Rs. C-660/16, C-661/16, Kollroß und Wirtl, DStR 2018, 1171, 2. Leitsatz; vgl. Ismer / Artinger, MwStR 2019, 56 (59 f.). 929 Vgl. dazu Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 318; Grube, MwStR 2014, 128 (129). 925
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del steuerbarer und steuerpflichtiger Leistungen handelt, oftmals vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt.930, 931 Einerseits können die Parteien den Geschäftsvorfall unzutreffend als Geschäftsveräußerung im Ganzen eingeordnet haben und andererseits eine in Wirklichkeit vorliegende Geschäftsveräußerung im Ganzen nicht als solche ausgewiesen haben.932 Umsatzsteuerlich hat ein derartiger Irrtum vor allem Folgen für den Vorsteuerabzug. Sind die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen zu Unrecht abgelehnt worden, schuldet der Veräußerer die in der Rechnung ausgewiesene Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG933, welche der Erwerber nicht als Vorsteuer abziehen kann.934 Haben die Beteiligten eine Geschäftsveräußerung im Ganzen zu Unrecht bejaht, schuldet der Veräußerer (mit entsprechender Zinsbelastung nach § 233a AO) Umsatzsteuer und muss seinem Erwerber eine Rechnung ausstellen, die ihm die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug ermöglicht.935 Teilweise wird in der Literatur dafür plädiert, im Irrtumsfall dem gutgläubigen Erwerber den Vorsteuerabzug aus einer nach § 14c Abs. 1 UStG geschuldeten Steuer des Veräußerers zu gewähren.936 Das ist zu weitgehend. Es darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass einem Unternehmer sowohl auf Erwerber- als auch auf Veräußererseite bekannt sein muss, dass sich bei der Geschäftsveräußerung umsatzsteuerliche Zweifelsfälle bilden. Es handelt sich nicht um einen Fall, in dem formelle Nachweise zu führen sind, die zunächst darauf hindeuten, dass die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Ist zweifelhaft, ob eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorliegt, müssen sich Erwerber und Veräußerer zivilrechtlich absichern.937 Daneben besteht die Möglichkeit einer vorsorglichen 930
Grube, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 77 (79 f.); Nieskens, in: Rau / Dürrwächter, § 1 UStG (Juli 2016), Rn. 1357; Peltner, in: Weymüller2, § 1 UStG, Rn. 207. 931 Beispielsweise sah der BFH entgegen dem Urteil der Vorinstanz (FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 13.3.2014 – 6 K 1396/10, MwStR 2014, 401) in dem Verkauf verpachteter Altenheime von einer Unternehmensgruppe an eine andere Unternehmensgruppe keine Geschäftsveräußerung im Ganzen, wenn die Fortführung der Verpachtungstätigkeit die Übertragung von Grundbesitz, Inventar und Geschäftsanteilen erfordert und diese Übertragungen von verschiedenen (selbstständigen) Veräußerern an verschiedene (selbstständige) Erwerber erfolgen, BFH, Urt. v. 4.2.2015 – XI R 14/14, BFHE 250, 240 = DStR 2015, 1561; vgl. Grube, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 77 (88). 932 Nieskens, in: Rau / Dürrwächter, § 1 UStG (Juli 2016), Rn. 1358 f.; Sterzinger, SteuK 2014, 4 (4 f.); vgl. Höink, Nichtsteuerbare Vermögensübertragungen im Umsatzsteuerrecht, S. 39 ff. 933 In § 14c Abs. 1 S. 3 UStG ist für den Fall des § 1 Abs. 1a UStG eine Verweisung auf § 14c Abs. 2 S. 3–5 UStG vorgesehen. Es handelt sich demnach systematisch um einen unrichtigen Steuerausweis nach § 14c Abs. 1 UStG dessen Berichtigung sich nach § 14 Abs. 2 S. 3–5 UStG richtet. 934 Nieskens, in: Rau / Dürrwächter, § 1 UStG (Juli 2016), Rn. 1358; Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 1 UStG (Juni 2017), Rn. 175; vgl. EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, MwStR 2018, 308 (310), Rn. 43, Heuermann, StBp 2018, 352 (356). 935 Vgl. Nieskens, in: Rau / Dürrwächter, § 1 UStG (Juli 2016), Rn. 1359. 936 So Stadie, UStG-Kommentar, § 1 UStG, Rn. 130. 937 Vgl. Streit / Dietz-Vellmer, DB 2019, 2259 (2266); Sterzinger, SteuK 2014, 4 (6 f.).
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
Option des Verkäufers938 oder einer verbindlichen Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO. Die zivilrechtlichen Folgeansprüche verdrängen in dieser Fallkonstellation einen Vertrauensschutz und nicht umgekehrt.939 II. Zur Steuerbefreiung grenzüberschreitender Lieferungen Auch im Bereich des grenzüberschreitenden Lieferverkehrs kann es zu der Situation kommen, dass der redliche Unternehmer den Zivilrechtsweg beschreiten muss, anstatt sich auf einen Vertrauensschutz gegenüber dem Staat berufen zu können. Dies zeigt sich insbesondere anhand der Kreuzmayr-Entscheidung, in der der EuGH im Falle einer fehlerhaften Zuordnung der warenbewegten Lieferung den Lieferungsempfänger zur Zurückerlangung der unberechtigt gezahlten Umsatzsteuer auf den Zivilrechtsweg verwiesen hat.940 Irrtümliche Zuordnungen bei der Warenbewegung und Ortsbestimmung sind zwar grundsätzlich kein Umstand, aus dem ein Vertrauensschutz resultiert. Anhand der formell erbrachten Nachweise kann der liefernde Unternehmer allerdings davon ausgehen, dass der materielle Tatbestand der Steuerbefreiung vorliegt. Daher lässt sich bei täuschenden Handlungen des Geschäftspartners ein Vertrauensschutz bei der Zuordnung der Warenbewegung annehmen. Dies ist auch wertungsmäßig überzeugend, da bei der fehlerhaften Zuordnung der Warenbewegung aufgrund einer Täuschung dem Opfer keine vertraglichen Vereinbarungen mehr weiterhelfen,941 sondern nur ein Vertrauensschutz durch den Fiskus. III. Zum Reverse-Charge-Verfahren nach § 13b UStG Die zweifelsfrei bestehende Komplexität des Reverse-Charge-Verfahrens und die damit verbundene Fehleranfälligkeit rechtfertigen es nicht, einen Vertrauensschutz zu fordern.942 Meist wird es sich im Hinblick auf das Revers-Charge-Verfahren nach § 13b UStG um eine irrtümliche rechtliche Fehlbeurteilung handeln. Ein deswegen unberechtigt ausgewiesener Steuerbetrag ist auf dem Zivilrechtsweg zurückzufordern.943 938
Ausführlich dazu Meyer-Burow / Connemann, UStB 2013, 362 (362 ff.). Vgl. dazu EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, MwStR 2018, 308 (311), Rn. 48; EuGH, Urt. v. 26.4.2017, Rs. C-564/15, Farkas, MwStR 2017, 413 (417), Rn. 49 mit Anm. Grube, MwStR 2017, 418 (419); EuGH, Urt.v. 6.2.2014, Rs. C-424/12, Fatorie, MwStR 2014, 125 (128), Rn. 42 mit Anm. Grube, MwStR 2014, 128 (129). 940 EuGH, Urt. v. 21.2.2018, Rs. C-628/16, Kreuzmayr GmbH, MwStR 2018, 308 (310), Rn. 48. 941 Vgl. Robisch, in: Bunjes18, § 6a UStG, Rn. 97. 942 So aber Brill, KÖSDI 2018, 21034 (21042 f.); Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 13b UStG (Januar 2018), Rn. 436 ff. 943 Vgl. EuGH, Urt. v. 6.2.2014., Rs. C-424/12, Fatorie, MwStR 2014, 125 (128), Rn. 42. 939
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In diesem Fall verweist der Staat den betroffenen Unternehmer nicht unzulässig auf möglich Ansprüche gegen einen Dritten. Sinn und Zweck des Reverse-ChargeVerfahrens nach § 13b UStG ist es, das Umsatzsteueraufkommen zu sichern, indem in betrugsanfälligen Branchen die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger verlagert wird.944 Den Mitgliedstaaten ist es in ihrem Interesse an einer Sicherung des Umsatzsteueraufkommens erlaubt, hohe Anforderungen an den Unternehmer zu stellen.945 Der dabei zu berücksichtigende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit946 führt aber nicht dazu, dass subjektive Vorstellungen über einen steuerlichen Vorgang die tatsächliche Eigenschaft als Steuerschuldner verändern. Das legitime Ziel der Bekämpfung von Steuerausfällen hat zur Folge, dass dem Unternehmer auch Unannehmlichkeiten im Besteuerungsverfahren auferlegt werden dürfen. Mit diesen Unannehmlichkeiten einhergehende Fehlbeurteilungen werden vom Bereicherungsrecht und § 37 Abs. 2 AO erfasst und rückabgewickelt. IV. Zur Differenzbesteuerung nach § 25a UStG Bei der Differenzbesteuerung kann es ebenfalls zu irrtümlichen rechtlichen Bewertungen des Sachverhalts kommen.947 Der Fall Litdana betraf einen Sachverhalt, in dem der Unternehmer von seinem Vorlieferanten eine fehlerhafte Rechnung erhalten hatte.948 Die Finanzbehörde bestätigte gleichwohl die Anwendung der Differenzbesteuerung auf Grundlage der ausgestellten Rechnung.949 Schon diese Bestätigung rechtfertigt es, nicht mehr von einem bloßen zivilrechtlichen Sachverhalt auszugehen. Ansonsten könnte der Staat bedenkenlos Bestätigungen erteilen, ohne dafür einstehen zu müssen.950 Dies entspräche nicht dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der verlangt, dass die steuerliche Lage des Steuerpflichtigen in Anbetracht seiner Rechte und Pflichten gegenüber der Finanzbehörde nicht unbegrenzt offen bleiben kann.951 Im Übrigen handelte der Vorlieferant des Unternehmers in täuschender Absicht. In diesen Fällen ist das Risiko eines Steuerschadens dem Staat aufzuerlegen und nicht dem in Dienst genommenen Unternehmer, der kein fachkundiger Wirtschaftsteilnehmer ist beziehungsweise sein muss.952 Konnte der leistungsempfangende Unternehmer allerdings nach den Gesamtumständen davon ausgehen, dass es der Leistende auf eine Umsatzsteuerhinterziehung anlegt,
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Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 617; Madauß, NZWiSt 2013, 386 (388). EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7854), Rn. 58. 946 Vgl. EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7852 f.), Rn. 48 ff. 947 Vgl. Osterloh, UVR 2016, 207 (209). 948 Siehe Seite 178 f. 949 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (540), Rn. 44. 950 Vgl. dazu Streit / Schwarz, NWB 2017, 3632 (3636 f.). 951 EuGH, Urt. v. 6.2.2014, Rs. C-242/12, Fatorie, MwStR 2014, 125 (128), Rn. 46. 952 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (540), Rn. 46; vgl. dazu Nieskens, EU-UStB 2017, 60 (62). 945
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
ist dieser – wie bei einem beiderseitigen Rechtsirrtum – auf den zivilrechtlichen Regress zu verweisen.953 V. Zivilrechtliche Anfechtung des Rechtsgeschäfts Entschließt sich der getäuschte Unternehmer zu einer zivilrechtlichen Anfechtung eines zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts, hat die ex-tunc Wirkung nach § 142 Abs. 1 BGB zur Folge, dass der Unternehmer zivilrechtlich so zu stellen ist, als hätte er das Rechtsgeschäft nicht geschlossen. Neben § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG und zivilrechtlichen Bereicherungsansprüchen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) wäre dann eine Berufung auf einen Vertrauensschutz widersprüchlich (venire contra factum proprium).
C. Wegfall des Schadens durch die Gewährung von Vertrauensschutz? Täuscht der Geschäftspartner über das Vorliegen materieller Tatbestandsmerkmale – liegt also ein einseitiger Irrtum vor –, kommen schadensersatzrechtliche Ansprüche des getäuschten Unternehmers in Betracht.954 Bereicherungsrechtliche Ansprüche (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt.1 BGB) können im Falle einer Bruttoentgeltabrede bei Täuschungshandlungen auch nicht über eine ergänzende Vertragsauslegung erreicht werden, da es sich nicht um einen beiderseitigen Irrtum über umsatzsteuerliche Verhältnisse handelt. In diesem Fall ist zu untersuchen, ob für den getäuschten Unternehmer zivilrechtlich überhaupt noch ein Schaden entstanden ist, wenn der Vertrauensschutz greift und von staatlicher Seite gewährt wird. I. Vorrangwirkung des Vertrauensschutzes gegenüber Schadensersatzansprüchen Der Vertrauensschutz ist nicht generell erst von Bedeutung, wenn die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Geschäftspartner scheitert.955 Zum einen ergibt sich dies daraus, dass der Unternehmer vom Staat zur Steuererhebung in Dienst genommen wurde956 und es jenem im Sinne der Rechtsschutzklarheit 953
FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 4.11.2015 – 7 K 7189/15 (rkr.), DStRE 2016, 1382 (1385). Vgl. Wartenburger, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 145 (150); Wittmann / Z ugmaier, DStR 2008, 538 (539). 955 So aber offenbar Wartenburger, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 145 (154). 956 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.2.2008 – Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (797), Rn. 21; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 23; Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 21; Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Einf. (März 2017), Rn. 197 ff. 954
§ 5 Verhältnis des Vertrauensschutzes zu zivilrechtlichen Ansprüchen
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nicht zuzumuten ist, einen prophylaktischen „Zweifrontenkrieg“ zu führen,957 in welchem er zunächst das Risiko des insolvenzbedingten Ausfalls seines Geschäftspartners zu tragen hätte. Zum anderen würde eine allgemeine vorrangige Verweisung auf zivilrechtliche Ansprüche („entlang der Leistungsketten“) gerade hervorrufen, was der EuGH für ausgeschlossen erklärt hat: Der gutgläubige Unternehmer würde sein Recht auf Vorsteuerabzug beziehungsweise auf die beantragte Steuerbefreiung „verlieren“958 und müsste sich mit zivilrechtlichen Ansprüchen gegen seinen Geschäftspartner abfinden. Allerdings verhält es sich nicht so, dass das zivilrechtliche Schadensrecht irrelevant wird, weil kein nennenswerter Schaden mehr besteht, wenn der Unternehmer über den Vertrauensschutz schadlos gestellt wird. Hierauf ist im Folgenden näher einzugehen. II. Heranziehung der Grundsätze des „normativen Schadens“ Nach den Grundsätzen des sogenannten „normativen Schadens“ entfällt ein Schadensersatzanspruch nicht, wenn ein Dritter den Schaden ausgleicht959 (vgl. § 843 Abs. 4 BGB), weil der Schädiger dadurch nicht besser gestellt werden soll. Dies ist auf die vorliegende Problematik übertragbar. Der Schädiger würde ansonsten ungerechtfertigt davon profitieren, dass der Staat dem gutgläubigen Unternehmer Vertrauensschutz gewährt. Unter Zugrundelegung dieser zivilrechtlichen Dogmatik bestehen schadensersatzrechtliche Ansprüche des Unternehmers grundsätzlich fort, selbst wenn der Staat im Wege des Vertrauensschutzes den entstandenen Schaden ausgleicht. 1. Abtretung der zivilrechtlichen Ansprüche an den Fiskus? Die Indienstnahme des privaten Unternehmers zur Steuereintreibung ist als ein Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und dem Unternehmer anzusehen.960 Den Unternehmer trifft in diesem Rechtsverhältnis die Pflicht, die Umsatzsteuer ab 957 Vgl. Drüen, DStJG 31 (2008), S. 167 (178) mit Verweis auf Trzaskalik, DStJG 12 (1989), S. 157 (172 f.). 958 EuGH, Urt. v. 21.2.2008 – Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (798), Rn. 27; EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 47. 959 Siehe dazu BGH, Urt. v. 9.7.1968 – GSZ 2/67, BGHZ 50, 304 (306); Wagner, MüKo-BGB, § 249 BGB, Rn. 23; Neuner, AcP 133 (1931), 277 (292 ff.). 960 Gl.A. Ipsen, in: FS für E. Kaufmann, S. 141 (149); Drüen, Die Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen, S. 299 ff., 313; i.Erg. ebenso Uibeleisen, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Inpflichtnahme Privater, S. 43. Siehe dazu auch Geißler, Der Unternehmer im Dienste des Steuerstaats, S. 50 f.; Halldorn, Der Unternehmer als Erfüllungsgehilfe des Staates, S. 70 ff.; Burgi / Krönke, VerwArch 2018, 423 (424); Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 82 f.; Kube, DV 41 (2008), S. 1 (2); in Bezug auf das Quellenabzugsverfahren im Banksektor Hey, FR 1998, 497 (498); in Bezug auf die Lohnsteuer Heuermann, Systematik und Struktur der Leistungspflichten im Lohnsteuerabzugsverfahren, S. 75 f.
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zuführen.961 Von staatlicher Seite soll er dabei von einer Belastung mit Vorsteuer durch den Vorsteuerabzug vollständig befreit werden.962 Der Unternehmer muss innerhalb dieses Rechtsverhältnisses auch auf die jeweiligen Belange des Staates Rücksicht nehmen.963 Man könnte daraus eine Pflicht zur Abtretung zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Geschäftspartner an den Staat ableiten, die ein unmittelbarer Ausfluss der Bewirkung der Leistung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist.964 Ansonsten wäre der gutgläubige Unternehmer doppelt begünstigt. Das Risiko des insolvenzbedingten Ausfalls der Forderung wird dadurch auf den Staat verlagert, was grundsätzlich aufgrund der hoheitlichen Indienstnahme des Unternehmers durch den Staat gerechtfertigt ist. Dieser Lösungsweg erscheint jedoch für die Problematik des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht nicht handhabbar. Das Umsatzsteuerecht soll innerhalb der Europäischen Union angeglichen werden und nicht durch tiefgehende Verweisungen in das nationale Zivilrecht differieren.965 Zwar kann die Gewährung umsatzsteuerlicher Ansprüche an zivilrechtliche Bedingungen geknüpft sein.966 Die dargestellte Lösung über eine für die Gewährung von Vertrauensschutz zwingende Abtretung der zivilrechtlichen Ansprüche an den Fiskus, würde den Vertrauensschutz allerdings zu weit einschränken und von nationalen Regelungen abhängig machen. 2. Anrechnung der Gewährung von Vertrauensschutz Vorliegend muss von der Dogmatik der Abtretungslösung abgewichen werden, indem die vollständige Liquidierung des Schadens durch die Gewährung von Vertrauensschutz im Rahmen der Differenzhypothese angerechnet wird. Die Differenzhypothese ist eine vorwiegend vom deutschen Rechtsverständnis geprägte Herangehensweise, um den vollständigen Schadensausgleich (Totalreparation), welcher in der europäischen Schadensdogmatik von allen Mitgliedstaaten verfolgt wird, dogmatisch umzusetzen.967 Die Anrechnung des Vertrauensschutzes 961 Vgl. nur Drüen, DStJG 31 (2008), S. 167 (178); Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 3; Stadie, UStG-Kommentar, Vorbem., Rn. 41. 962 Vgl. Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 59 f. 963 Vgl. Drüen, Die Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen, S. 307 f. 964 So verpflichtet § 242 BGB auch im Steuerschuldverhältnis zur Beachtung berechtigter Belage des anderen Teils, vgl. BFH, Urt. v. 9.8.1989 – I R 181/85, BFHE 158, 31 (34); von Groll, FR 1995, 814 (815); Drüen, Die Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen, S. 302; Kreibich, Treu und Glauben im Steuerrecht, S. 8 f. Im Übrigen ist eine Abtretung zivilrechtlicher Ansprüche an das Finanzamt kein Novum, vgl. KG, Urt. v. 15.3.2005 – 6 U 72/04, NJOZ 2005, 4641, wo die Abtretung nur an einer fehlenden Abtretungsanzeige scheiterte. 965 Vgl. dazu Martin, UR 2006, 56 (56 f.). 966 EuGH, Urt. v. 31.5.2018, Rs. C-660/16 und C-661/16, Kollroß und Wirtl, DStR 2018, 1171, 2. Leitsatz; vgl. Tipke, StRO, Band I2, S. 44 f. 967 Vgl. Flessner, in: Schulte / Ajani, Gemeinsame Prinzipien des Europäischen Privatrechts, S. 125 (126 f.); Jansen, JZ 2005, 160 (171).
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innerhalb der Differenzhypothese vermag sich in sämtliche Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten besser einzufügen als der umständliche Weg über die Abtretungslösung. Der Vertrauensschutz erlangt dadurch einen Stellenwert, der nicht von den einzelnen nationalen Rechtsordnungen abhängt. Er bleibt eine einheitliche unionsrechtliche Vorgabe.968 Dies führt zu dem überzeugenden Ergebnis, dass weder der Staat noch der redliche Unternehmer durch die schädigende Handlung des Geschäftspartners doppelt bevorteilt wären. Der Staat darf nicht die Gewährung von Vertrauensschutz an (zivilrechtliche) Bedingungen knüpfen, sondern muss den eingetretenen Steuerschaden beim Schädiger einfordern.969 Der deutsche Gesetzgeber hat eine Steuerschuldumkehr ausschließlich in § 6a Abs. 4 S. 2 UStG geregelt.970 Eine Norm, die es dem Fiskus erlaubt, beim Schädiger Regress zu nehmen, ist etwa innerhalb des Vorsteuerabzugsrechts nicht vorgesehen. Daraus darf dem gutgläubigen Unternehmer jedoch kein Nachteil erwachsen.971 Genauso wenig ist es ihm anzulasten, dass eine Steuerschuldumkehr wie § 6a Abs. 4 S. 2 UStG ein Kontrolldefizit mit sich bringt972. Das Risiko des Steuerausfalls trägt der Staat und nicht der in Dienst genommene Unternehmer. Im Ergebnis wird dadurch der schädigende Geschäftspartner durch die schadensrechtliche Anrechnung der Gewährung von Vertrauensschutz nicht besser gestellt und der Schaden zugleich nicht überkompensiert. Das Spannungsverhältnis der beiden autonomen Rechtsordnungen des nationalen Zivilrechts und des nationalen, unionsrechtlich determinierten Umsatzsteuerrechts973 kann durch die schadensrechtliche Anrechnung der Gewährung eines Vertrauensschutzes durch den Staat am besten aufgelöst werden.
D. Zwischenergebnis Es ergeben sich Fallkonstellationen, in denen der Unternehmer vorrangig auf zivilrechtliche Ansprüche gegen den Geschäftspartner zu verweisen ist.974 Die zivilrechtlichen Ansprüche verringern zudem bei beiderseitigen Irrtümern der Ver 968
Vgl. Drüen, DB 2010, 1847 (1848); Nieskens, UR 2008, 812 (813). Vgl. dazu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 399. 970 Vgl. zur Zulässigkeit dieser Steuerschuldumkehr EuGH, Urt. v. 16.12.2010, Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, DStR 2011, 23 (26), Rn. 38, m. w. N. 971 So wohl auch Eckert, BBK 2008, 1163 (1176). 972 Vgl. BFH, Beschl. v. 2.3.2006 – V R 7/03, BFHE 213, 127 (132); Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 316. 973 Vgl. dazu BVerfG (Kammer), Beschl. v. 27.12.1991 – 2 BvR 72/90, BStBl. II 1992, 212 (213 f.) = DStR 1992, 106 (107), Rn. 1.a.cc.; Tipke, StRO, Band I2, S. 49 ff.; Becker, Orts bestimmungen von sonstigen Leistungen, S. 27. 974 Siehe Seite 184 ff. Im Übrigen hält auch der EGMR, Entsch. v. 18.3.2014, Nr. 39689/05, Atev / Bulgaria, ECLI:CE:ECHR:2014:0318DEC003968905, Rn. 36 die Geltendmachung von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen für zumutbar. 969
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tragsparteien über umsatzsteuerliche Verhältnisse die „rechtsethische Notwendigkeit“ 975 eines Vertrauensschutzes. Demgegenüber nimmt der Vertrauensschutz bei einseitigen Irrtümern neben in Betracht kommenden zivilrechtlichen verschuldensabhängigen Schadensersatzansprüchen des betroffenen Unternehmers gegen seinen täuschenden Geschäftspartner eine vorrangige Stellung ein.976 Die Liquidation des Schadens durch den Staat ist in der vorliegenden Problematik zivilrechtlich anzurechnen (Anrechnungslösung).977 Der Fiskus muss sich beim Schädiger schadlos halten (vgl. § 6a Abs. 4 S. 2 UStG).
§ 6 Zum Sorgfaltsmaßstab des gutgläubigen Unternehmers Die Einhaltung des zu erwartenden Sorgfaltsmaßstabs spielt bei der Frage, ob dem Unternehmer hinsichtlich der Angaben seines Geschäftspartners ein Vertrauensschutz zu gewähren ist, eine zentrale Rolle, vgl. § 6a Abs. 4 S. 1 UStG. Die Rechtsfigur des „ordentlichen Geschäftsleiters“ hat seine Ursprünge im römischen Recht und etablierte sich neben ihrem Hauptanwendungsfeld im Handels- und Gesellschaftsrecht auch im Steuerrecht.978 Die Anwendung des § 347 HGB ist hierfür weitgehend anerkannt.979 Durch die Forderung, eine entsprechende Sorgfalt bei den umsatzsteuerlichen Geschäften einzuhalten, soll eine ordnungsgemäße und gleichmäßige Durchführung der Umsatzbesteuerung bei allen in Dienst genommenen Unternehmern sichergestellt werden.980 Es ist zwischen der Sorgfalt des Unternehmers bezüglich der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen (dazu A.) und der Sorgfalt bezüglich des Erkennens einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs in der Leistungskette zu unterscheiden (dazu B.).
975 Diesen Begriff verwendet Canaris, Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 295 in Bezug auf die Ablehnung einer Vertrauenshaftung, wenn die Maßnahme ohne Weiteres wieder rückgängig gemacht werden kann. 976 Siehe Seite 194 f. 977 Siehe Seite 196 f. 978 Becker, in: FS für G. Döllerer, S. 17 (18), m. w. N. 979 Statt vieler Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 290; Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 205; Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 832; Sterzinger, UStB 2015, 78 (82). 980 Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 828; vgl. dazu Drüen, in: DStJG 31 (2008), S. 167 (178 f.); Schrömbges, AW-Prax 2012, 421 (424).
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A. Sorgfaltsmaßstab bezüglich der Tatbestandsvoraussetzungen Der Unternehmer, der auf die Angaben seines Geschäftspartners angewiesen ist, muss diese dem Typus eines ordentlichen Kaufmanns entsprechend verifi zieren.981 Vor dem Hintergrund der Gleichmäßigkeit der Besteuerung können subjektive Eigenschaften des Unternehmers, wie etwa dessen berufliche Erfahrenheit oder sein Einschätzungsvermögen, keine Rolle spielen.982 Entscheidend ist alleine, ob der Unternehmer bei Zugrundelegung des Maßstabs eines ordentlichen Kaufmanns von der Richtigkeit der Angaben seines Geschäftspartners ausgehen durfte.983 Dadurch kann in verschiedenen Fallkonstellationen dem Unternehmer eine nicht ausreichende Einhaltung der Sorgfalt hinsichtlich der Angaben seines Geschäftspartners vorgeworfen werden. Eine objektive Sichtweise kann allerdings nicht generell für das gesamte Umsatzsteuerrecht herangezogen werden, sondern muss sich an den jeweils einschlägigen Teilbereichen einzelfallbezogen orientieren.984 Im Folgenden wird untersucht, wie sich der Sorgfaltsmaßstab bezüglich der Angaben des Geschäftspartners näher bestimmen lässt. I. Sorgfaltsmaßstab bei hoheitlichen Bestätigungen Sobald die zuständige Finanzbehörde die Angaben des Geschäftspartners bestätigt, kann im Rahmen des Sorgfaltsmaßstabs nur noch positive Kenntnis hinsichtlich der Unrichtigkeit der Angaben des Geschäftspartners schaden. Dies spiegelt sich im Wortlaut der Art. 18 ff. MwSt-DVO wider, nach denen im Falle einer Bestätigung nach § 18e UStG nur das Vorliegen „gegenteilige[r] Informationen“ schädlich ist.985 Die Bestätigung nach § 18e UStG stellt einen Verwaltungsakt im Sinne des § 118 AO dar.986 Dieser enthält allerdings nicht die Regelung, dass der Tatbestand einer steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung tatsächlich vorliegt und gewährt wird, sondern richtigerweise nur, dass die Angaben des Abnehmers für den Lieferanten überprüft wurden987. Erfolgt eine (qualifizierte) Bestätigung nach § 18e UStG, muss, damit für den Unternehmer allein die positive Kenntnis 981
Vgl. nur BFH, Urt. v. 27.6.1996 – V R 51/93, BFHE 181, 197 (199 f.); FG Köln, Urt. v. 19.12.2006 – 6 K 84/02 (rkr.), EFG 2007, 627 (629); Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 833; Thietz-Bartram, DB 2013, 418 (420). 982 Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 834; R. Schwarz, in: Widmann / Schwarz / Radeisen, § 6a UStG (Juli 2016), Rn. 319; Hilber, AFS 2013, 139 (141 f.). 983 Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 834; R. Schwarz, in: Widmann / Schwarz / Radeisen, § 6a UStG (Juli 2016), Rn. 319; Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (483). 984 Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 77; ders., DB 2010, 1847 (1848); Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (483); Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 169. 985 Siehe dazu Seite 171 f. 986 Hildesheim, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 18e UStG (Juni 2018), Rn. 9. 987 Vgl. Leonard, in: Bunjes18, § 18e UStG, Rn. 1.
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vom Gegenteil schaden soll, ein Kausalzusammenhang zwischen dem ihm positiv bekannten Umstand und der bestätigten Angabe bestehen.988 Mit anderen Worten kann dem Unternehmer fahrlässige Unkenntnis nur dann nicht schaden, soweit ihm die Angaben seines Geschäftspartners von der Finanzbehörde bestätigt wurden. Denn neben der (qualifizierten) Bestätigung der USt-IdNr. (sowie des Namens und der Anschrift) nach § 18e UStG setzen die §§ 17a ff. UStDV n. F. noch weitere Nachweise voraus, die nicht von hoheitlicher Seite bestätigt werden.989 Verfügt der Unternehmer über Informationen, die einen ordentlichen Kaufmann darauf schließen lassen, dass der materielle Tatbestand trotz der Bestätigung nach § 18e UStG nicht vorliegt (Gegenstand der Lieferung ist etwa gar nicht in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt), so ist als Maßstab für diese außerhalb des § 18e UStG liegenden Informationen auch ein „hätte wissen müssen“ schädlich. Hinsichtlich der bestätigten Angabe reicht es hingegen aus, den Sachverhalt darauf zu prüfen, ob dem Unternehmer eine positive Kenntnis hinsichtlich der Unrichtigkeit der bestätigten Angaben seines Geschäftspartners nachzuweisen ist. Ist dies nicht der Fall, muss der Sachverhalt so behandelt werden, wie der Anschein der Bestätigung es erfordert.990 Bei einer verbindlichen Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO oder einer verbindlichen Zusage nach §§ 204 ff. AO ergibt sich die Bindungswirkung des Bescheids unabhängig von der Rechtmäßigkeit kraft Gesetzes.991 Die verbindliche Auskunft ist für die Finanzbehörde und den Antragssteller (§ 2 StAuskV) bindend und aus diesem Grund auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet und daher ein Verwaltungsakt im Sinne des § 118 S. 1 AO.992 Die Auskunft verlagert den Vertrauenstatbestand auf ein Handeln der Exekutive,993 die bei der späteren Sachverhaltsverwirklichung daran gebunden ist. Allerdings wird sich im Regelfall erst nach einer Außenprüfung herausstellen, dass beantragte umsatzsteuerliche Tatbestände in Wirklichkeit materiell-rechtlich nicht vorliegen,994 weshalb für den redlichen Unternehmer, der auf die Angaben seines Geschäftspartners vertraut hat, auch die nur für zukünftige Sachverhalte vorgesehene verbindliche Zusage nach §§ 204 ff. AO nicht weiterführend ist.995 988
Vgl. dazu Gunacker-Slawitsch, in: FS für Ruppe, S. 186 (188). Vgl. Hildesheim, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 18e UStG (Juni 2018), Rn. 3c. 990 Vgl. Achatz, in: FS für H. F. Köck, S. 65 (70). 991 Söhn, in: HHSp, § 89 AO (August 2016), Rn. 262; Rüsken, in: Klein, § 204 AO, Rn. 14. 992 BFH, Urt. v. 30.4.2009 – VI R 54/07, BFHE 225, 50 (56) = NJW 2009, 3118 (3120); Söhn, in: HHSp, § 89 AO (August 2016), Rn. 246, m. w. N.; siehe ferner Horst, Die verbind liche Auskunft nach § 89 Abgabenordnung, S. 101 ff.; a. A. Seer, in: Tipke / K ruse, § 89 AO (Februar 2018), Rn. 29; vgl. dens., Verständigungen in Steuerverfahren, S. 61, 92 f., der von einer „eigenständigen Rechtsform“ ausgeht. 993 Vgl. dazu im Kontext einer mündlichen Zusage BFH, Urt. v. 28.5.2013 – XI R 11/09, BFHE 242, 84 (99), Rn. 89; siehe ferner Nieskens, UR 2008, 812 (814). 994 Vgl. Weymüller, MwStR 2015, 815 (816). 995 So wohl auch Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 269. 989
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So kann es auch nicht zum Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Kaufmanns gehören, sich für jedes Umsatzgeschäft eine verbindliche Auskunft gemäß § 89 Abs. 2 AO einzuholen. Muss sich der Unternehmer allerdings über die Ungewissheit des verwirklichten Tatbestands im Klaren sein, kann kein Vertrauensschutz die Folge sein.996 In diesen Fällen ist eine verbindliche Auskunft neben einer zivilrechtlichen Absicherung angebracht. Diese Instrumente gewährleisten einem sorgfältigen Unternehmer die Sicherheit, dass er nicht unvorhergesehen mit Umsatzsteuer belastet wird.997 II. Fahrlässige Unkenntnis unrichtiger Angaben Der Unternehmer darf abgesehen von positiver Kenntnis keine fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich der unrichtigen Angaben seines Geschäftspartners haben.998 Die Erfassung einer fahrlässigen Unkenntnis ist maßgeblich mit der Frage verbunden, ob die Angaben des Geschäftspartners für den Unternehmer überprüfbar waren.999 Nur in diesen Fällen ist es gerechtfertigt, dem Unternehmer weitere Nachforschungspflichten aufzuerlegen.1000 Der Staat würde ansonsten sämtliche mit den Prüfpflichten verbundenen Risiken auf den Unternehmer abwälzen, obwohl im Zweifel der Staat zunächst selbst auf der Grundlage der nicht überprüfbaren Angaben vom Vorliegen des materiellen Tatbestands ausgegangen wäre.1001 Die fahrlässige Unkenntnis lässt sich folglich anhand der Überprüfbarkeit der Angaben des Geschäftspartners und der sich in diesem Zusammenhang ergebenden Gesamtumstände näher bestimmen.1002 Deuten die formellen Rechnungsangaben, zivilrechtlichen Vertragsvereinbarungen1003 oder andere erkennbare Umstände1004 auf materielle Mängel – wie etwa bei der Unternehmereigenschaft des Geschäftspartners – hin, liegt es nahe, eine Fahrlässigkeit des Unternehmers hinsichtlich der Angaben seines Geschäftspartners anzunehmen, für die der Fiskus keine Verantwortung tragen muss.1005 Zu berücksichtigen ist dabei, dass innerhalb des unter 996
Vgl. dazu das Fazit von Radeisen, SteuK 2011, 51 (54). von Streit, DStR 2012, 1897 (1899) mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 15.12.2011, Rs. C427/10, Banca Antoniana, DStRE 2012, 240. 998 Vgl. BFH, Beschl. v. 13.10.2014 – V B 19/14, BFH / NV 2015, 243, Rn. 6; FG Sachsen, Urt. v. 24.1.2019 – 4 K 20/19, MwStR 2019, 558 (565 f.), Rn. 74; Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 825; Treiber, in: Sölch / Ringleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 207. 999 Siehe dazu Seite 76 ff. 1000 Siehe dazu Seite 110 ff. 1001 Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 83; Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 170. 1002 Ähnlich argumentiert Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 830. 1003 Viele umsatzsteuerlich relevante Umstände lassen sich erst durch das zugrundeliegende zivilrechtliche Rechtsgeschäft einordnen, vgl. Tipke, StRO, Band I2, S. 46. 1004 Vgl. BFH, Urt. v. 25.4.2013 – V R 28/11, BFHE 242, 77 (83), Rn. 30. 1005 Vgl. Treiber, in: Sölch / Ringleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 207. 997
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
nehmerischen Rechtsverkehrs ein strengerer Sorgfaltsmaßstab gilt (§ 347 HGB), der immer im Einzelfall nach Art und Weise des vorgenommenen Rechtsgeschäfts zu beurteilen ist.1006
B. Sorgfaltsmaßstab bezüglich einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs in der Leistungskette Neben der Sorgfalt bezüglich der Voraussetzungen des materiellen Tatbestands ist ein weiterer Bezugspunkt der Sorgfalt die Prüfung einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung oder einem Missbrauch. Dies ergibt sich aus der dargestellten Rechtsprechung des EuGH, der immer wieder betont, dass sich niemand unter missbräuchlicher Absicht auf das Unionsrecht berufen dürfe1007 (näher dazu I.). Es muss sich nicht immer um eine Steuerhinterziehung handeln, wenn der Geschäftspartner unzutreffende Angaben gemacht hat. Umgekehrt verhält es sich nicht selten bei einem Karussellbetrug so, dass der redliche Unternehmer die gesetzlich vorgeschriebenen Nachweise lückenlos erbringen kann, weil die bandenmäßigen Betrüger, mit denen er seine Geschäfte abgeschlossen hatte, gerade hierauf akribisch achten.1008 Kommt es zu einem Karussellbetrug, sind die gesetzlichen Nachweispflichten von den dort instrumentalisierten redlichen Unternehmern meistens erbracht. Innerhalb des gesamten Betrugsapparats müssen dann aufwendig die Gutgläubigen von den Bösgläubigen getrennt werden.1009 Das führt unmittelbar zu der Frage, wann ein Unternehmer Kenntnis von einer Steuerhinterziehung oder einem Missbrauch in seiner Lieferkette hatte oder wann er davon „hätte wissen müssen“ (dazu II.). I. Auslegung des EuGH Der EuGH versteht die „Beteiligung“ an einer Steuerhinterziehung anders als der deutsche Gesetzgeber in § 28 Abs. 2 StGB („Täter oder Teilnehmer“). Nach dem Verständnis des EuGH qualifiziert sich ein Beteiligter dadurch, dass er sich durch das positive Wissen oder das fahrlässige Unwissen von einer Steuerhinterziehung in seiner Leistungskette an einer solchen mitschuldig macht.1010 Ist dies der Fall, muss dem Unternehmer der begehrte Steuervorteil (Vorsteuerabzug 1006
Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 832 f. EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Rs. C-251/16, Cussens, DStRE 2018, 617 (619), Rn. 27, m. w. N. 1008 Hentschel, DStR 2003, 102 (103 f.). 1009 Vgl. dazu Winter, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 853 (856 ff.). 1010 EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, 440/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177 (6196), Rn. 56 f.; EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C- 142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1341), Rn. 46; EuGH, Urt. v. 6.12.2012, Rs. C-285/11, Bonik EOOD, MwStR 2013, 37 (40), Rn. 39; vgl. Ehrke-Rabel, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 721 (740). 1007
§ 6 Zum Sorgfaltsmaßstab des gutgläubigen Unternehmers
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oder Steuerbefreiung) versagt werden.1011 Selbiges muss – unabhängig von einer nationalen Regelung – in Fällen eines davon zu unterscheidenden Missbrauchs gelten.1012 Liegt objektiv ein Missbrauch oder eine Steuerhinterziehung vor, muss geklärt werden, wer das Risiko für den Steuerausfall zu tragen hat. Dabei nimmt die Gutgläubigkeit des redlichen Unternehmers eine entscheidende Rolle ein.1013 Anhand des Sorgfaltsmaßstabs ist zu bestimmen, ob der Unternehmer noch als gutgläubig angesehen werden kann. Der Sorgfaltsmaßstab darf dabei nicht zu hoch angesetzt werden, da dadurch zum einen faktisch kein Vertrauensschutz mehr eingreifen kann und zum anderen unberücksichtigt bliebe, dass der Unternehmer von hoheitlicher Seite in Dienst genommen wird.1014 II. Bestimmung der Bösgläubigkeit im Einzelfall Ob es sich um ein „Wissen“ oder ein „Hätte-Wissen-Müssen“ hinsichtlich eines Missbrauchs oder einer Steuerhinterziehung handelt, kann nur nach den objektiven Umständen beurteilt werden.1015 Der EuGH überlässt es den nationalen Fachgerichten, festzustellen, ob die beweispflichtige Finanzbehörde diesen Nachweis führen kann.1016 Die Finanzbehörde muss daher zunächst objektive Kriterien vorbringen, die für eine „Kenntnis“ oder ein „Kennenmüssen“ des Steuerpflichtigen sprechen.1017 Demnach lässt sich eine Einzelfallbeurteilung nicht vermeiden.1018 Der EuGH hat allerdings in der Litdana-Entscheidung die Anforderungen, die an einen umsatzsteuerpflichtigen Unternehmer gestellt werden können, näher eingegrenzt und insbesondere aufgegeben, zu beachten, dass der betroffenen Unternehmer auf dem Gebiet des Umsatzsteuerrechts kein Fachmann ist.1019 Vor diesem
1011 EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 (801), Rn. 54; EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, MwstR 2015, 87 (90), Rn. 44 f. 1012 EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Rs. C-251/16, Cussens, DStRE 2018, 617 (621), Rn. 34, vgl. EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 (800), Rn. 46. 1013 EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, UR 2012, 796 (801), Rn. 50; EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7857), Rn. 66; vgl. dazu Feldt, in: Englisch / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2010, S. 147 (156). 1014 Vgl. Scholz, UStB 2007, 71 (75); Beyer, NWB 2016, 3231 (3233 f.). 1015 EuGH, Urt. v. 6.12.2012, Rs. C-285/11, Bonik EOOD, MwStR 2013, 37 (40), Rn. 40; Ehrke-Rabel, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 721 (741); vgl. dazu die Rspr. des BGH in Strafsachen zum Nachweis innerer Tatsachen: BGH, Urt. v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52 (71) = NJW 2003, 446 (451); BGH, Urt.v. 17.2.1998 – 5 StR 624/97, NStZ-RR 1998, 185; ähnlich BGH, Urt. v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, WM 2018, 2028 (2035), Rn. 178. 1016 EuGH, Urt. v. 6.12.2012, Rs. C-285/11, Bonik EOOD, MwStR 2013, 37 (41), Rn. 44. 1017 Grube, MwStR 2013, 41. 1018 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (539), Rn. 38; vgl. dazu statt vieler Bärenweiler, UStB 2018, 242. 1019 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (540), Rn. 46; vgl. dazu Nieskens, EU-UStB 2017, 60 (62).
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Teil II: Steuerpflicht in Abhängigkeit von Angaben der Geschäftspartner
Hintergrund lassen sich objektive Kriterien herausarbeiten, die einen zulässigen Rückschluss auf die inneren Tatsachen ermöglichen. 1. Allgemeines zur Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs Anhand welcher Kriterien auf eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen von einer Steuerhinterziehung oder einem Missbrauch in der Lieferkette geschlossen werden kann, ist hoch umstritten.1020 Zum einen erscheint es denkbar, die nach nationalem Recht geltenden Grundsätze heranzuziehen und auf einfache Fahrlässigkeit, Leichtfertigkeit, grobe Fahrlässigkeit und bedingten Vorsatz abzustellen.1021 Auf der anderen Seite könnte man ebenfalls vertreten, ein „hätte wissen müssen“ würde immer eine grobe Fahrlässigkeit und nicht eine einfache Fahrlässigkeit voraussetzen.1022 Zu berücksichtigen ist, dass das Unionsrecht an vielen Stellen autonom auszulegen ist.1023 Aus diesem Grund liegt die Annahme nahe, dass auch die Begriffe „wissen“ und „hätte wissen müssen“ autonom nach dem Unionsrecht zu bestimmen sind,1024 unter die die nationalen Fachgerichte subsumieren müssen. Gleichwohl wird der EuGH kaum in einer Entscheidung abstrakte Ausführungen zu einem autonomen Verschuldensmaßstab vornehmen.1025 Aus diesem Grund müssen zu dem Umstand, dass der Unternehmer kein Fachmann auf dem Gebiet der Umsatz steuer ist,1026 weitere teilbereichsbezogene Umstände hinzutreten, die dafür sprechen, dass der Unternehmer von einer Steuerhinterziehung oder einem Missbrauch in der Lieferkette „wusste“ oder „hätte wissen müssen.“ Der EuGH geht von „Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung“ aus, ohne diese näher zu definieren1027 (dazu im Folgenden unter 2.). Für die Beurteilung der Sorgfalt ist nach einhelliger Auffassung der Zeitpunkt der Ausführung der Lieferung oder sonstigen Leistung ausschlaggebend.1028
1020
Vgl. Bärenweiler, UStB 2018, 242 (244). Treiber, MwStR 2015, 626 (635) dort Fn. 103, offenlassend Oelmaier, in: Sölch / Ringleb, § 15 UStG (März 2018), Rn. 65. 1022 So Kemper, UR 2017, 449 (453); Beyer, NWB 2016, 3231 (3233 f.). 1023 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 4.10.2001, Rs. C-326/99, Stichting Goed Wonen, Slg. I 2001, 6831 (6879) = IStR 2002, 21 (24), Rn. 56: „Vermietung und Verpachtung“ erfasst auch die Gewährung eines Nießbrauchrechts. Allg. dazu Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 455 f. 1024 Tendenziell auch Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (446). 1025 Treiber, MwStR 2015, 626 (635). 1026 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (540), Rn. 46. 1027 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (539), Rn. 39; EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1342), Rn. 60; vgl. dazu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 407. 1028 Statt aller Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (484) mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7852), Rn. 50 und EuGH, Urt. v. 21.2.2008; Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (798), Rn. 26. 1021
§ 6 Zum Sorgfaltsmaßstab des gutgläubigen Unternehmers
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2. Anhaltspunkte für Missbrauch oder Steuerhinterziehung Nach hier vertretener Ansicht ist ein „hätte wissen müssen“ als unionsrechtlich autonomer Begriff so auszulegen, dass ein Bündel an einzelfallbezogenen Umständen den sorgfältigen Unternehmer zu der Annahme verleiten muss, dass eine Einbeziehung des Umsatzes in einen Missbrauch oder eine Steuerhinterziehung wahrscheinlicher ist als ein bedenkenloses Umsatzgeschäft.1029 Sind die Umstände des Einzelfalls besonders stark verdichtet, kann zulässigerweise von einem positiven „Wissen“ ausgegangen werden.1030 Damit verkörpern die beiden Begriffe eine Einzelfallbewertung durch das nationale Gericht.1031 Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht jeder erdenkliche Einzelfall beleuchtet werden. Allerdings lassen sich die Sorgfaltsanforderungen herausarbeiten, die der EuGH den nationalen Gerichten zur Bewertung des Einzelfalls „an die Hand gibt“, damit diese ein „Wissen“ oder „hätte wissen müssen“ annehmen können. a) Branchenübliche Sorgfaltsanforderungen Erbringt der Unternehmer die für den beantragten Tatbestand notwendigen Nachweise ihrer Art nach und sind sämtliche überprüfbaren Angaben zutreffend, ist für die Finanzbehörde, die einen objektiv vorliegenden Karussellbetrug nachweisen konnte, zum Nachweis innerer Tatsachen entscheidend, in welcher Branche beziehungsweise in welchem Geschäftszweig der Unternehmer tätig ist.1032 Der EuGH spricht von einer Beurteilung des „verständige[n] Wirtschaftsteilnehmer[s] nach den Umständen des konkreten Falls“.1033 Ist der Unternehmer in einer besonders „betrugsanfälligen Branche“ wie etwa dem Verkauf von hochwertigen Mobiltelefonen, Computerteilen oder Kraftfahrzeugen1034 tätig, kann von ihm hinsichtlich möglicher Mehrfachdurchläufe der Waren eine entsprechende Sorgfaltspflicht verlangt werden.1035 Dies darf allerdings nicht dazu führen, dass das objektive Vorliegen einer betrugsgefährdeten Branche als genereller Bezugspunkt für die inneren Tatsachen herangezogen wird.1036 Dies würde einen freien Wettbewerb (vgl. Art. 113 AEUV) zu sehr beeinträchtigen. Innerhalb einer gefährdeten Branche muss es weiterhin möglich bleiben, sich auf Vertrauensschutz berufen zu 1029
Vgl. dazu BFH, Beschl. v. 1.12.2016 – X S 6/16, BFH / NV 2017, 440 (442), Rn. 17. Vgl. BFH, Urt.v. 14.12.2011 – XI R 33/10, BFH / NV 2012, 1009, Rn. 28 ff. 1031 Vgl. FG Hamburg, Beschl. v. 16.1.2018 – 6 V 120/17 (rkr.), DStRE 2018, 1435 (1438 f.). 1032 Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (484); Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 67 f.; Pichler, Umsatzsteuerliche Formalpflichten bei Ausfuhr und innergemeinschaftlichen Lieferungen, S. 132; Streit, Steuerschuld durch Steuerausweis, S. 169. 1033 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (540), Rn. 39. 1034 Vgl. Grube, MwStR 2013, 8; Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 415. 1035 Vgl. BFH, Urt. v. 19.5.2010 – XI R 78/07, BFH / NV 2010, 2132 (2135), Rn. 34. 1036 So auch Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 838. 1030
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können. Für einen handfesten Nachweis der inneren Tatsachen sollten daher weitere objektive Umstände gebündelt hinzutreten.1037 b) Unseriöse Bargeschäfte Bargeschäfte zeichnen sich dadurch aus, dass der Geldfluss aufgrund einer fehlenden Verbuchung auf einem Bankkonto schwerer nachzuverfolgen ist.1038 Kommt der Unternehmer (Leistungsempfänger beim Vorsteuerabzug; Leistender bei der Steuerbefreiung grenzüberschreitender Lieferungen) bei einem Bargeschäft seinen Dokumentationspflichten nicht nach, wird der Finanzbehörde die Kontrolle erschwert.1039 Der Umstand eines Bargeschäfts kann allerdings nur als weiterer Faktor hinzutreten, da ein nicht fachkundiger Unternehmer bei einem Bargeschäft auch bei höheren Summen nicht unbedingt gleich auf eine Steuerhinterziehung in der Lieferkette schließen muss.1040 Dies kann aber der Fall sein, wenn das Bargeschäft zusätzlich an einem unseriösen Übergabeort außerhalb der Geschäftsräume des Verkäufers oder durch einen unbekannten Dritten erfolgt.1041 Für den Sorgfaltsmaßstab bei Bargeschäften ist maßgeblich, ob daraus eine Verschleierungsabsicht des Geschäftspartners erkennbar war. Ist eine solche Verschleierungsabsicht – insbesondere bei hochwertiger Ware1042 – ersichtlich, lassen sich daraus innere Tatsachen hinsichtlich der Einbeziehung des Umsatzes in einen Missbrauch oder eine Steuerhinterziehung schließen. c) Niedriger Verkaufspreis Liegt der Verkaufspreis ohne nähere Begründung unter dem in der Branche bekannten Einkaufspreis, kann auch dies auf eine Steuerhinterziehung des Geschäftspartners hindeuten, von der der betroffene Unternehmer jedenfalls hätte wissen
1037 Vgl. FG Hamburg, Beschl. v. 16.1.2018 – 6 V 120/17 (rkr.), DStRE 2018, 1435 (1438). Siehe dazu Theile, UR 1993, 73 (76) und Becker, Ortsbestimmung von sonstigen Leistungen, S. 228, die anstelle der Branchenüblichkeit auf die konkret in Rede stehende Leistungsbeziehung abstellen. Dass eine Leistung etwa üblicherweise nur an Privatpersonen erbracht wird, kann dann nach hier vertretener Auffassung ein gesondertes (hinzutretendes) Kriterium darstellen. 1038 Vgl. BFH, Beschl. v. 1.12.2016 – X S 6/16, BFH / NV 2017, 440 (442), Rn. 17. 1039 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1343), Rn. 64. 1040 Treiber, in: Sölch / Ringleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 205 mit Verweis auf BFH, Urt. v. 25.4.2013 – V R 28/11, BFHE 242, 77 (84), Rn. 31; Esskandari / Bick, UStB 2017, 15 (17). 1041 So auch BFH, Urt. v. 25.4.2013 – V R 28/11, BFHE 242, 77 (83), Rn. 30; vgl. dazu Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (487 f.); Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 836; Thietz-Bartram, DB 2013, 418 (420), jeweils m. w. N. 1042 Vgl. BFH, Urt. v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BFHE 239, 516 (525), Rn. 38.
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müssen.1043 Generell niedrige Preise können allerdings keinen Generalverdacht begründen, da ein funktionierender Wettbewerb nicht bedeuten muss, dass es sich um eine Steuerhinterziehung handelt. Der Umstand eines niedrigen Einkaufpreises ist damit wiederum ein Teilfaktor.1044 Hinzutreten kann etwa ein unausgeglichenes Verhältnis zwischen dem eigenen Verlustrisiko und der Höhe des Umsatzes oder zahlreiche Umsatzsteuersonderprüfungen beim (leistenden) Geschäftspartner.1045 d) Neue Geschäftsbeziehung Der EuGH anerkennt, dass die Sorgfaltsmaßstäbe bei einer längeren Geschäftsbeziehung anders ausfallen können als bei neuen Geschäftsbeziehungen.1046 Treten daher die oben genannten Umstände in Zusammenhang mit einer neuen Geschäftsbeziehung auf, kann von einem sorgfältigen Unternehmer erwartet werden, dass er diese Umstände sorgfältiger und kritischer bewertet als innerhalb einer langen steuerlich reibungslosen Geschäftsbeziehung.1047 e) Weitere Umstände Im Folgenden soll eine stichpunktartige Übersicht dazu dienen, diejenigen Umstände festzustellen, die konkret auf eine Bösgläubigkeit („wissen“ oder „hättewissen-müssen“) schließen lassen. Diese sind keinesfalls abschließend, sondern können insbesondere als weitere Umstände neben die bereits oben genannten Anhaltspunkte treten. – Widersprüchliche Angaben zur Identität des Geschäftspartners oder dessen Wohnsitz beziehungsweise Geschäftssitz.1048 – Auftreten von Kontaktpersonen, deren Identität nicht eindeutig ist. Häufiges Wechseln von Kontaktpersonen. – Auffällige Unterschiede zwischen der Unterschrift des Abholers auf der Empfangsbestätigung und dem vorgelegten Passdokument.1049
1043
FG Nürnberg, Urt. v. 10.11.2009 – II 18/2006 (rkr.), juris, Rn. 68 ff.; FG Hamburg, Beschl. v. 16.1.2018 – 6 V 120/17 (rkr.), DStRE 2018, 1435 (1438); Thietz-Bartram, DB 2013, 418 (420); tendenziell a. A. Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (468). 1044 Vgl. FG Hamburg, Beschl. v. 16.1.2018 – 6 V 120/17 (rkr.), DStRE 2018, 1435 (1438). 1045 Gehm, NWB 2012, 3237 (3239), m. w. N. 1046 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (540), Rn. 44. 1047 Vgl. BFH, Urt. v. 25.4.2013 – V R 28/11, BFHE 242, 77 (84), Rn. 31; BFH, Urt. v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BFHE 239, 516 (525), Rn. 39. 1048 Vgl. Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 836. 1049 Vgl. Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 836, m. w. N.
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– Unklare Warenbewegungen und unklare Herkunftsverhältnisse der Ware.1050 – Der Lieferumfang passt nicht mit der Infrastruktur und dem äußern Auftreten des liefernden Unternehmens zusammen.1051 – Beharrliches Bestehen des Abnehmers auf eine (schnelle) Abholung des Liefergegenstands beim Lieferant. – Art, Menge und Umfang der Warenlieferung sprechen nicht für eine unternehmerische Nutzung, sondern vielmehr für eine private beziehungsweise kriminelle Verwendung der Liefergegenstände.1052 – Kürzlich erfolgte Geschäftsgründungen ohne erkennbares Tätigkeitsprofil. Die Tätigkeit erweckt mehr den Eindruck, dass diese alsbald wieder aufgegeben wird, als dass es sich um einen fortlaufenden Betrieb mit Zukunftsaussichten handelt. – Dieselben Personen werden ohne nähere Begründung für unterschiedliche Unternehmen tätig.1053 III. Zwischenfazit Für den Sorgfaltsmaßstab hinsichtlich einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauch in der Lieferkette ist stets eine Gesamtbetrachtung der Verhältnisse entscheidend.1054 Diese sind nach den Vorgaben des EuGH im Einzelfall von den nationalen Gerichten zu prüfen. Zu berücksichtigen ist, dass der Unternehmer kein Fachmann auf dem Gebiet der Umsatzsteuer sein muss. Für die Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen sind insbesondere die betroffene Branche des Unternehmers, die Art der Abwicklung von Bargeschäften, das Verhältnis des Einkaufspreises zum Verkaufspreis und die Dauer der Geschäftsbeziehung entscheidend.1055
1050
Vgl. Taucher, SWK, 2008, 622 (628) dort. Fn. 40. Vgl. Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (485), der auf ausbleibende Reklamationen trotz erheblichen Lieferumfangs verweist. 1052 Vgl. Achatz, in: FS für H. F. Köck, S. 65 (71 f.). 1053 Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (486). 1054 Vgl. FG Sachsen, Urt. v. 24.1.2019 – 4 K 20/19, MwStR 2019, 558 (566), Rn. 75; FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 4.11.2015 – 7 K 7189/15 (rkr.), DStRE 2016, 1382 (1385); Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (486). 1055 Vgl. BFH, Urt. v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BFHE 239, 516 (524 f.), Rn. 35 ff.; BFH, Urt. v. 25.4.2013 – V R 28/11, BFHE 242, 77 (83 f.), Rn. 28 ff.; siehe auch Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (485 f.); Sterzinger, UStB 2015, 78 (82); Janzen, in: Lippross / Seibel, § 6a UStG (Juni 2017), Rn. 147. 1051
§ 7 Zusammenfassung
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§ 7 Zusammenfassung Ein Schutz des Vertrauens auf fehlerhafte Angaben des Geschäftspartners im Umsatzsteuerrecht ist eine ungeschriebene Vorgabe des Unionsrechts, welche einer Belastung des gutgläubigen Unternehmers mit Umsatzsteuer Grenzen setzt. Die Abhängigkeit der eigenen Besteuerung von Angaben des Geschäftspartners führt dazu, dass die Umsatzsteuer von subjektiven Elementen beeinflusst wird, die bei der Indienstnahme des redlichen Unternehmers zur Steuererhebung zu berücksichtigen sind. Daneben kann ein neutralitätsgerechter Zustand auch durch die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Geschäftspartner hergestellt werden (§ 5). Der Staat kann den in Dienst genommenen Unternehmer jedenfalls dann nicht mehr auf die zivilrechtlichen Ansprüche gegen seine Geschäftspartner verweisen, wenn es sich um eine nicht erkennbare Täuschung über die zugrundeliegenden Umstände handelte. Umgekehrt haben beiderseitige rechtliche Falschbeurteilungen, die der Komplexität des Umsatzsteuergesetzes geschuldet sind, nicht zur Folge, dass ein auf dem Unionsrecht basierender Vertrauensschutz zu gewähren ist. Für den Vertrauensschutz ist entscheidend, dass der Unternehmer die vorgeschriebenen Nachweispflichten ihrer Art nach erfüllt, da die Finanzbehörde ansonsten berechtigt ist, aus diesem Grund den beantragten Tatbestand zu versagen, sofern der materielle Tatbestand nicht zweifelsfrei vorliegt.1056 Die formellen Nachweispflichten stellen dogmatisch keine materielle Voraussetzung für die Gewährung eines Vertrauensschutzes dar.1057 Vielmehr ist der Vertrauensschutz des redlichen Unternehmers Ausdruck einer von der Finanzbehörde nicht erbrachten Nachweisführung hinsichtlich einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs in der Lieferkette, die erst erforderlich wird, wenn der Unternehmer alles Zumutbare getan hat, um die Voraussetzungen für den beantragten Tatbestand nachzuweisen.1058 Der Unternehmer muss sowohl bei der Verifikation des begehrten umsatzsteuerlichen Vorteils als auch hinsichtlich des Erkennens einer Steuerhinter ziehung oder eines Missbrauchs in der Leistungskette die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmans walten lassen (§ 6).
1056
Siehe Seite 110 und 132 ff. Siehe Seite 135 ff. 1058 Siehe Seite 110 ff. 1057
Teil III
Herleitung des Vertrauensschutzes und Berücksichtigung innerhalb der nationalen Rechtsordnung Nachdem aufgezeigt wurde, dass der Vertrauensschutz aufgrund von Falschangaben des Geschäftspartners in den entsprechenden Fallkonstellationen Anerken nung finden muss, ist zu klären, wie ein derartiges subjektives Element in der nationalen Rechtsordnung berücksichtigt werden kann. Abgesehen von § 6a Abs. 4 UStG sieht die nationale Rechtsordnung einen Schutz des redlichen Unternehmers nicht vor.
§ 8 Normative Herleitung des Vertrauensschutzes A. Gegenläufige Lösung des EuGH: Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht als Zusammenspiel primärrechtlicher Rechtsgrundsätze Der primärrechtliche Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes hat eine umfangreiche Entwicklung hinter sich. Ursprünglich versuchte der EuGH, aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes abzuleiten.1 Dies entsprach der Dogmatik, die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als Rechtserkenntnisquellen für die Rechtsgrundsätze der damaligen Gemeinschaft anzusehen.2 Durch den am 1
Vgl. nur EuGH, Urt. v. 5.7.1973, Rs. 1/73, Westzucker, Slg. I 1973, 723 (729), Rn. 5; siehe dazu Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der Europäischen Union und im deutschen Recht, S. 21 ff.; Borchardt, Der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 4 ff.; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Band II, S. 844 ff., jeweils m. w. N. 2 Ursprünglich war in Zeiten des EWG-Vertrags kein Grundrechtskatalog vorgesehen, vgl. Schwarze, in: FS für C. Starck, S. 645 (645 f.); Pache, in: Frankfurter Kommentar, Art. 6 EUV, Rn. 43; Herdegen, Europarecht, S. 174. Die Organe der damaligen Gemeinschaft unterlagen bei der Ausübung ihrer Kompetenzen keinen materiell-rechtlichen Bindungen an Grundsätze, denn die Bürger sollten ausreichenden Schutz über den Grundrechtsstandard ihrer Nationalstaaten erlangen, vgl. Englisch, in: Schaumburg / Englisch2, Europäisches Steuerrecht, Rn. 12.1; Pache, in: Frankfurter Kommentar, Art. 6 EUV, Rn. 43. Die erste Erwähnung der Grundrechte als Bestandteil der „allgemeinen Rechtsgrundsätze der Gemeinschaftsrechtsordnung“ erfolgte in der Entscheidung EuGH, Urt. v. 12.11.1969, Rs. 29/69, Stauder / Ulm, Slg. 1969, 419 (425), Rn. 7. Der EuGH bestätigte die Existenz einer eigenständigen Grundrechtsordnung, die sich in Form von allgemeinen Rechtsgrundsätzen auf der Ebene der Gemeinschaftsrechtsordnung verfestigt habe, vgl. Pache, in: Frankfurter Kommentar, Art. 6 EUV, Rn. 44; Frenz,
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1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon3 wurde die im Jahr 2000 in Nizza beschlossene Europäische Grundrechtecharta in Art. 6 Abs. 1 EUV als Teil des Primärrechts aufgenommen. Gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV ist es möglich, ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze neben der Grundrechtecharta heranzuziehen, wenn dies für den Schutz des Bürgers erforderlich sein sollte.4 Der EuGH leitet den Schutz des gutgläubigen Unternehmers im Umsatzsteuerrecht nicht alleine aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ab. Er ergibt sich vielmehr aus einem Zusammenspiel der Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes.5 Nach diesem Verständnis treten mehrere unionsrechtlich etablierte Rechtsgrundsätze zusammen, um im Ergebnis das Vertrauen des gutgläubigen Unternehmers in die Angaben seines Geschäftspartners zu schützen.6 Das Problem liegt in der nachträglichen Belastung des Unternehmers mit Umsatzsteuer, wenn die Angaben seines Geschäftspartners nicht zutreffen oder nicht ausreichen. „Die nichtüberwälzbare Umsatzsteuer wirkt […] wie eine Sondereinkommensteuer“7 für den Unternehmer. Sie „mutiert“ zu einer allgemeinen Unternehmensteuer, die dem Verbrauchsteuercharakter widerspricht.8 Dies zeigt, dass beim Zusammenspiel mehrerer Rechtsgrundsätze zur Herleitung des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht der Neutralitätsgrundsatz eine ganz wesentliche Stellung einnimmt.9 Setzt der Staat den Unternehmer vollständig den Angaben seiner Geschäftspartner aus, entspricht dies nicht mehr dem Charakter einer allgemeinen Verbrauchsteuer, da diese dann nicht mehr darauf angelegt wäre, den Endverbraucher zu belasten, sondern auch den redlichen Unternehmer. Durch einen ausbleibenden Schutz des Unternehmers vor FalschHandbuch Europarecht, Band IV, Europäische Grundrechte, Rn. 129. Als das Bedürfnis nach geschriebenen Grundrechten auf Gemeinschaftsebene während der fortschreitenden Harmonisierung immer größer wurde, vgl. Kühling, in: v. Bogdandy / Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 662 ff., erklärte der EuGH in der wegweisenden Entscheidung Internationale Handelsgesellschaft, dass die nationale Verfassung nicht als Kontrollmaßstab für sekundäres Gemeinschaftsrecht herangezogen werden könne, EuGH, Urt. v. 17.12.1979, Rs. 11/70, Int. Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125 (1135), Rn. 4. Die Kontrolldefizite kompensierte der EuGH durch die Entwicklung eines gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtekatalogs und die Kontrolle anhand ungeschriebener „allgemeiner Rechtsgrundsätze des Primärrechts“, EuGH, Urt. v. 17.12.1979, Rs. 11/70, Int. Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125 (1135), Rn. 4; vgl. Hatje, in: Schwarze, Art. 6 EUV, Rn. 27; Pache, in: Frankfurter Kommentar, Art. 6 EUV, Rn. 43. Gemeinsame Verfassungsüberlieferungen und internationale Verträge (z. B. EMRK) können als Rechtserkenntnisquellen für die allgemeinen Rechtsgrundsätze dienen, EuGH, Urt. v. 14.5.1974, Rs. 4/73, Nold, Slg. 1974, 492 (507), Rn. 13. 3 ABl. Nr. C 307/2007, S. 1 ff. 4 Englisch, in: Schaumburg / Englisch2, Europäisches Steuerrecht, Rn. 12.2. 5 EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. I 2008, 787 (796), Rn. 18; EuGH, Urt. v. 27.9.2007, Rs. C-409/04, Teleos, Slg. I 2007, 7827 (7854), Rn. 58. 6 So auch Zitzl, Rechtsfolgen irrtümlicher Rechtsanwendungsfehler von Mehrwertsteuerpflichtigen, S. 46, 48; Looks, DStR 2009, 513 (515). 7 Pohmer, in: FS für P. Scherpf, S. 375 (390). 8 Schaumburg, in: FS für W. Reiß, S. 25 (35); ähnlich auch Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, S. 75. 9 Vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 398.
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Teil III: Herleitung des Vertrauensschutzes
angaben seiner Geschäftspartner würde die Steuer dazu tendieren, den Unternehmer endgültig mit Umsatzsteuer zu belasten. Ferner würde der Staat in seinem Verhalten zeigen, dass er eine solche endgültige Belastung eines redlichen Unternehmers entgegen dem Neutralitätsgrundsatz akzeptieren würde. Hinzu kommt, dass regelmäßig in Fällen des internationalen Warenverkehrs eine Verletzung der äußeren Neutralität festzustellen ist, bei der neben der Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland zusätzlich eine Besteuerung im Abgangsstaat durch die Versagung der Steuerbefreiung erfolgt (Doppelbesteuerung).10 Eine Berufung auf den Neutralitätsgrundsatz darf nur nicht aufgrund einer Beteiligung an betrügerischen Machenschaften ausgeschlossen sein.11 Aus diesem Grund treten neben den Neutralitätsgrundsatz die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit, welche in ihrer Gesamtheit den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht abbilden.12 Es könnten jedoch Fälle denkbar erscheinen, in denen der Schutz des redlichen Unternehmers dogmatisch auch über die GrCh erfasst werden kann (dazu B.). Ferner ist zu klären, wie sich eine solche „primärrechtliche Sichtweise“ auf den Anwendungsbereich des nationalen Verfassungsrechts auswirkt und ob sich auch hieraus ein Schutz des redlichen Unternehmers ergeben kann (dazu C.).
B. Schutz des redlichen Unternehmers durch die GrCh Da der Vertrauenstatbestand nicht direkt durch den Staat,13 sondern durch eine Privatperson geschaffen wird, erscheint es einer Untersuchung wert, ob und wann eine ausbleibende Berücksichtigung des Vertrauens in die Angaben des Geschäftspartners gegen Unionsgrundrechte14 verstoßen kann.15 10
Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 128; vgl. Korf, IStR 2011, 30 (32). 11 Siehe dazu EuGH, Urt. v. 7.12.2010, Rs. C-285/09, R., DStR 2010, 2572 (2575), Rn. 54 mit krit. Anm Küffner / Streit, DStR 2010, 2575 (2575 f.); zust. hingegen Lohse, BB 2011, 661. 12 Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 129; vgl. Drüen, DB 2010, 1847 (1848); Jakob, Umsatzsteuer, Rn. 32; Stapperfend, UR 2013, 321 (324). 13 Siehe dazu die umfangreiche Diskussion um die dogmatische Erfassung des Vertrauensschutzes bezüglich eines vom Staat geschaffenen Vertrauensschutztatbestands durch die Grundrechte, befürwortend etwa Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, S. 51, S. 109 ff.; Kisker, VVDStRL 32 (1974), S. 149 (161 ff.); Frenz, EuR 2008, 468 (472 ff.); Grabitz, DVBl. 1973, 675 (681 ff.); Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 308 ff.; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 401, der von einer „rechtsstaatlichen Wurzel“ und einer „grundrechtlichen Wurzel“ ausgeht; Isensee, in: FS für F. Klein, S. 611 (627 ff.); Weber-Dürler, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, S. 56 ff.; für eine Konzeption des Vertrauensschutzes innerhalb der Grundrechte Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, S. 178 ff. Krit. hingegen Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 271; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 419; Püttner, VVDStRL 32 (1974), S. 200 (206). Auf das Ergebnis dürfte die dogmatische Verortung keine Auswirkungen haben, Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (Februar 2015), Rn. 720. 14 Der Anwendungsbereich ist nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh eröffnet, näher dazu Seite 218 f. 15 Vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 4, Rn. 37; Englisch, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39 (71 ff.); dens., UR 2011, 488 (492);
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I. Unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 GrCh Die unternehmerische Freiheit ist gemäß Art. 16 GrCh vor staatlichen Eingriffen geschützt. Um einen solchen Eingriff könnte es sich handeln, wenn der redliche Unternehmer vom Staat mit Umsatzsteuer belastet wird, ohne dass sein Vertrauen in die Angaben seines Geschäftspartners Berücksichtigung findet. 1. Schutzbereich der unternehmerischen Freiheit Art. 16 GrCh schützt die unternehmerische Betätigung aller natürlichen und juristischen Personen, die auf gewisse Dauer angelegt ist und selbstständig ausgeübt wird.16 Der EuGH teilt den Schutz der unternehmerischen Freiheit dreigliedrig auf, indem er die Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb als geschützt ansieht.17 Die Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit reicht von dem Recht der Gründung eines Wirtschafts- oder Geschäftsbetriebs über dessen Organisation und Umfang der Produktion bis hin zur eigenverantwortlichen Unternehmensführung sowie der jederzeitigen Beendigung einer unternehmerischen Tätigkeit.18 Im Rahmen dieser Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit darf der Geschäftspartner ohne staatliche Vorgaben frei gewählt werden.19 Das mit dieser Freiheit verbundene unternehmerische Risiko ist zugleich das Abgrenzungskriterium zu Art. 15 GrCh,20 der daneben das Recht schützt, zu arbeiten und seinen Beruf frei zu wählen. Der ebenfalls von Art. 16 GrCh geschützte freie Wettbewerb gewährleistet dem Unternehmer darüber hinaus, seine wirtschaftliche Tätigkeit innerhalb eines unverfälschten Wettbewerbs frei von staatlichen Regulierungen auszuüben.21
dahingehend auch Becker, Ortsbestimmung von sonstigen Leistungen, S. 51, die sowohl einen Eingriff in Art. 12 GG als auch in die Unternehmerfreiheit nach Art. 16 GrCh annehmen will. 16 EuGH, Urt. v. 22.1.2013, Rs. C-283/11, Sky Österreich, EuZW 2013, 347 (349), Rn. 42; EuGH, Urt. v. 17.10.2013, Rs. C-101/12, Schaible, BeckRS 2013, 81980, Rn. 25; EuGH, Urt. v. 10.7.1991, Rs. C-90/90, BeckRS 2004, 77886, Rn. 18; vgl. dazu Jarass, in: Jarass, Art. 16 GRCh, Rn. 7; Schmidt, Die unternehmerische Freiheit im Unionsrecht, S. 170 ff. 17 EuGH, Urt. v. 22.1.2013, Rs. C-283/11, Sky Österreich, EuZW 2013, 347 (349), Rn. 42; vgl. Jarass, in: Jarass, Art. 16 GrCh, Rn. 9; Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 209. 18 Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 209; Schmidt, Die unternehmerische Freiheit im Unionsrecht, S. 185 f.; Bernsdorff, in: Meyer, Art. 16 GrCh, Rn. 10a. 19 EuGH, Urt. v. 22.1.2013, Rs. C-283/11, Sky Österreich, EuZW 2013, 347 (349), Rn. 43. 20 Schmidt, Die unternehmerische Freiheit im Unionsrecht, S. 186; ausführlich Jarass, in: FS für C.-P. Müller-Graff, S. 1410 (1415 ff.). 21 Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 210.
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2. Eingriff in die unternehmerische Freiheit Die Anforderungen an einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit sind aufgrund der inhaltlichen Nähe die gleichen wie bei der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG.22 Vergleichbar mit dem modernen Eingriffsbegriff der deutschen Grundrechtsdogmatik23 können darunter im Sinne einer jeden Verkürzung des Schutzbereichs auch mittelbare, der Union oder den Mitgliedstaaten (Art. 51 GrCh) zurechenbare Beeinträchtigungen erfasst werden.24 Nach der Rechtsprechung des EuGH schützt Art. 16 GrCh nur vor solchen Eingriffen, die eine „hinreichend direkte und bedeutsame Auswirkung auf die freie Berufsausübung haben“.25 Art. 16 GrCh gewährleistet folglich insoweit keine „völlige […] Neutralität“.26 Durch die Indienstnahme des Unternehmers zur Steuereintreibung wird dessen „unternehmerische Infrastruktur“27 beansprucht. Der Staat kann unter Zuhilfenahme des Unternehmers die Umsatzsteuer wesentlich leichter eintreiben, als dies bei einer direkten Anknüpfung beim Verbraucher der Fall wäre28. Jedes Umsatzgeschäft im Rahmen einer direkten Erhebungsform nachzuverfolgen wäre für den Staat praktisch nicht durchführbar.29 Den Unternehmer treffen durch die hoheitliche Indienstnahme Dokumentationspflichten, die er einhalten muss, damit ihm eine gezahlte Vorsteuer vom Finanzamt rückvergütet wird.30 Daneben muss der Unternehmer alles in seiner Macht Stehende tun, um zu erfassen, dass der Umsatz nicht mit einem Betrug oder Missbrauch behaftet ist, um nicht Gefahr zu laufen, dass ihm der beantragte Tatbestand (wie etwa der Vorsteuerabzug oder eine Steuerbefreiung) aus diesem Grund versagt wird.31 Die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung und Organisation des Unternehmens wird durch die hoheitliche
22
Schwarze / Voet van Vormizeele, in: Schwarze, Art. 16 GrCh, Rn. 5. Siehe dazu Voßkuhle / Kaiser, JuS 2009, 313 (313 ff.), m. w. N. 24 Streinz, Europarecht, Rn. 789; vgl. Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14, Rn. 98; Nusser, Die Bindung der Mitgliedstaaten an Unionsgrundrechte, S. 127. 25 EuGH, Beschl. v. 23.9.2004, Rs. C-435/02 und C-103/03, Springer, Slg. I 2004, 8667 (8683), = BB 2004, 2456 (2459), Rn. 49; vgl. Frenz, Handbuch Europarecht, Band IV, Europäische Grundrechte, Rn. 2734; Jarass, in: Jarass, Art. 16 GrCh, Rn. 12; Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 211. 26 Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 211. 27 Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 32. 28 Dies wäre nach Ansicht des BVerfG, Beschl. v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, Kernbrennstoffsteuer, BVerfGE 145, 171 (215), Rn. 121 auch gar nicht zulässig; so auch Förster, Die Verbrauchsteuern, S. 103 f.; a. A. Hidien, in: BK, Art. 106 GG (Dezember 2002), Rn. 1414. 29 Drüen, Die Indienstnahme Privater für den Vollzug von Steuergesetzen, S. 122. 30 Fischer, Die Rechtfertigung einer Umsatzbesteuerung und ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten, S. 160 ff.; vgl. Geißler, Der Unternehmer im Dienste des Staates, S. 50 ff.; Halldorn, Der Unternehmer als Erfüllungsgehilfe des Staates, S. 80 ff. 31 EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, DStR 2012, 1917 (1921), Rn. 47. 23
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Indienstnahme eingeschränkt.32 Dies hat auch eine hinreichend direkte Auswirkung auf die Berufsausübung, denn der in Dienst genommene Unternehmer wird veranlasst, die geschuldete Umsatzsteuer in den Preis einzukalkulieren, was ein wirtschaftliches Tätigwerden unter veränderten Marktbedingung zur Folge hat. 3. Rechtfertigung Eine hoheitliche Indienstnahme zur Steuererhebung ist regelmäßig durch das Allgemeininteresse an einer wirksamen Durchführung der Besteuerung gerechtfertigt (Art. 52 Abs. 1 GrCh).33 Jedoch ist die Grenze dieser Rechtfertigungsmöglichkeit überschritten, wenn dem Unternehmer in den jeweiligen Teilbereichen des Umsatzsteuerrechts das Risiko des Abwälzungserfolgs bei Falschangaben des Geschäftspartners vollständig auferlegt wird.34 Eine Konfrontation des Unternehmers mit umsatzsteuerlichen Regelungen, die aufgrund ihrer Ausgestaltung überwiegend zu einer Belastung des Unternehmers mit Umsatzsteuer führen, ist nicht zu rechtfertigen.35 Eine Abwälzung muss zwar nicht in jedem Einzelfall gelingen, das System der Umsatzsteuer muss nur darauf angelegt sein.36 Die Indienstnahme des Unternehmers unter gleichgültiger Übertragung des Risikos einer Belastung mit Umsatzsteuer bei Falschangaben des Geschäftspartners stellt sich allerdings als unverhältnismäßig dar.37 Der Staat darf dem beauftragten Unternehmer seine Aufgabe nicht unmöglich machen oder unnötig erschweren.38 Eine derartige Indienstnahme kann nicht mehr durch das Allgemeininteresse an einer Steuererhebung gerechtfertigt werden, weil dieses darin liegt, dass die Umsatzsteuerbelastung beim Endverbraucher und nicht „subsidiär“ beim Unternehmer
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Englisch, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39 (71 f.). EuGH, Urt. v. 11.7.1989, Rs. C-265/87, Schräder, BeckRS 2004, 72769, Rn. 18; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 4, Rn. 37; Englisch, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39 (71). 34 In diese Richtung argumentiert auch der EGMR, Urt. v. 22.4.2009, Nr. 3991/03, Bulves / Bulgaria, ECLI:CE:ECHR:2009:0122JUD000399103, Rn. 57; vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 4, Rn. 37; Englisch, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39 (71); Becker, Ortsbestimmung von sonstigen Leistungen, S. 51 f. 35 Vgl. Dietlein, UR 2004, 531 (532); Englisch, UR 2011, 488 (492). 36 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, Kernbrennstoffsteuer, BVerfGE 145, 171 (214 ff.); Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem rationalen Steuersystem, S. 56 f.; Söhn, StuW 1996, 165; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, S. 73; Englisch, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 39 (71); dens., Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, S. 560 f.; Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 49. 37 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 4, Rn. 37; Englisch, UR 2011, 488 (492); Dietlein, UR 2004, 531 (532); ders. / Mehrbrey, BB 2001, 446 (450); Schrömbges, AWPrax 2013, 8 (10); Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Einf. (März 2017), Rn. 415; Grünwald, MwStR 2013, 13 (14 f.); vgl. Widmann, UR 2006, 108 (109). 38 Vgl. BFH, Urt. v. 23.2.2017 – V R 16/16 und V R 24/16, BFHE 257, 177 (183), Rn. 31. 33
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eintritt. Die im Rahmen einer isolierten Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgebrachten Argumente des EuGH39 lassen sich innerhalb einer Prüfung der Verletzung von Art. 16 GrCh integrieren.40 II. Schutz des Eigentumsrechts gemäß Art. 17 GrCh Das Vermögen als solches ist vom Schutzbereich der Eigentumsfreiheit nicht erfasst, weshalb die Erhebung von Steuern und Abgaben nicht dem Schutzbereich des Art. 17 GrCh unterfällt.41 Allerdings problematisierte der EuGH in der Entscheidung „Zuckerfabrik Süderdithmarschen“42 diese Thematik im Bereich des Eingriffs, was zu der Annahme einer Eröffnung des Schutzbereichs verleitet.43 Teile der Literatur verweisen wiederum darauf, dass der EuGH dort auf die Verhältnismäßigkeit erst im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit eingegangen ist.44 Nach hier vertretener Ansicht sind von Art. 17 GrCh nur „wohlerworbene Rechte“45 und rechtlich bestimmbare Vermögenspositionen46, nicht aber die Gesamtheit des Vermögens geschützt. Überzeugend ist, auch auf europäischer Ebene eine Verletzung des Schutzbereichs nur dann anzunehmen, wenn die Steuer konfiskatorisch wirkt.47 Vorliegend ist der Schutzbereich des Art. 17 GrCh daher nicht eröffnet.48
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Siehe dazu Seite 210 ff. Vgl. Englisch, UR 2011, 488 (492). Siehe dazu Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, S. 181, die in Bezug auf einen Rechtspositionsschutz ebenfalls für eine Implementierung des Vertrauensschutzes innerhalb der Grundrechtsprüfung plädiert. 41 Jarass, in: Jarass, Art. 17 GrCh, Rn. 22; Streinz, in: Streinz, Art. 17 GrCh, Rn. 6; Calliess, in: Calliess / Ruffert, Art. 17 GrCh, Rn. 8; Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der Europäischen Union, S. 42; Schwarze / Voet van Vormizeele, in: Schwarze, Art. 17 GrCh, Rn. 3; Classen / Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim, Europarecht, § 17, Rn. 62, 64. 42 EuGH, Urt. v. 21.2.1991, Rs. C-143/88 und C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen, NVwZ 1991, 460 (461), Rn. 35. 43 Deutlicher ist die Rechtsprechung des EGMR, Urt. v. 7.7.2011, Nr. 39766/05, Serkov / U kraine, ECLI:CE:ECHR:2011:0707JUD003976605, Rn. 32: „It is a common ground that charging VAT to the applicant constituted an interference with his property rights within the meaning of Article 1 of Protocol No. 1“; vgl. dazu Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 4, Rn. 44 ff., m. w. N. 44 Müller-Michaels, Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der Europäischen Union, S. 42 dort Fn. 34; vgl. Engler, Steuerverfassungsrecht im Mehrebenensystem, S. 247 ff., m. w. N. 45 EuGH, Urt. v. 24.6.1976, Rs. 56/75, Elz / Kommission, Slg. I 1976, 1097 (1109), Rn. 18/20. 46 Vgl. dazu Bernsdorff, in: Meyer, Art. 17 GrCh, Rn. 15. 47 Siehe in Bezug auf Art. 14 GG Wernsmann, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 161 (169 f.); dens., NJW 2006, 1169 (1172 f.). 48 So auch Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 242. 40
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III. Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Art. 20 GrCh Einige Literaturstimmen wollen den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz herleiten.49 Der Neutralitätsgrundsatz stellt ebenfalls einen Ausfluss aus dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 20 GrCh dar.50 Geht man der Grundfrage nach, ob eine Vergleichsgruppe ohne hinreichenden Rechtfertigungsgrund anders behandelt wird als die andere, kommen vorliegend allerdings dogmatische Komplikationen auf. Eine solche Ungleichbehandlung könnte § 6a Abs. 4 UStG hervorrufen, da diese Vertrauensschutzvorschrift in anderen Teilbereichen des Umsatzsteuerrechts nicht existiert.51 Allerdings erscheint es bedenklich, einen Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht mit europäischem Geltungsanspruch auf der Grundlage einer Ungleichbehandlung im Rahmen nationaler Bestimmungen herzuleiten. Der Grund für die Gewährung des Steuervorteils liegt allein in der Schutzwürdigkeit des gutgläubigen Unternehmers, weshalb aus der gebotenen unionsrechtlichen Sicht eine Differenzierung zwischen innergemeinschaftlichen Lieferungen und Ausfuhrlieferungen nicht überzeugend erscheint.52 Der Vertrauensschutz muss jedoch innerhalb sämtlicher Teilbereiche des Umsatzsteuerrechts sachbezogen53 und mit den entsprechenden Einschränkungen54 Berücksichtigung finden. Dieser leitet sich folglich nicht aus einer Gegenüberstellung von Sachverhalten ab,55 sondern der fragliche Sachverhalt ist einzelfallbezogen auf eine Verletzung des Art. 16 GrCh beziehungsweise der Prinzipien der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu prüfen.
49 So etwa Achatz, SWK 2008, 86 (88), der dabei allerdings auf den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz abstellt; vgl. Sterzinger, DStR 2015, 2641 (2642 f.); ebenfalls mit dem Gleichheitssatz argumentierend Schrömbges, SWK 2014, 108 (111). Siehe ferner Mazák, Schlussantr. v. 25.10.2007, Rs. C 271/06, Netto Supermarkt, BeckRS 2007, 70888, Rn. 51 ff. 50 Zutreffend Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 171 ff., m. w. N.; anders Dobratz, UR 2014, 425 (427), der den Neutralitätsgrundsatz und Art. 20 GrCh gleichsetzen will. 51 Diese Fragestellung aufwerfend Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 244. 52 Mazák, Schlussantr. v. 25.10.2007, Rs. C 271/06, Netto Supermarkt, BeckRS 2007, 70888, Rn. 50. 53 Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 46. 54 Siehe § 5 dieser Arbeit. 55 I.Erg. ebenso in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG Drüen, in: Dietlein / Drüen Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 33; vgl. auch Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 244.
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Teil III: Herleitung des Vertrauensschutzes
C. Vertrauensschutz anhand des nationalen Verfassungsrechts I. Zur Anwendbarkeit des nationalen Verfassungsrechts In der Normenhierarchie ist das Unionsrecht dem nationalen Recht und damit grundsätzlich auch dem Verfassungsrecht übergeordnet.56 Im Bereich des Sekundärrechts sind Richtlinien gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV nur hinsichtlich des darin umschriebenen Ziels verbindlich, die Umsetzung zur Erreichung dieses Ziels ist den Mitgliedstaaten vollumfänglich selbst überlassen. Die Richtlinie sieht folglich – anders als die nach Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemein verbindliche Verordnung – einen nationalen Umsetzungsakt vor, der das Gesetzgebungsverfahren der Mitgliedsstaaten durchlaufen muss.57 Es stellt sich das Problem, inwieweit neben primär- und sekundärrechtlichen Vorgaben noch auf verfassungsrechtliche Vertrauensschutzerwägungen zurückgegriffen werden kann. Die Antwort hängt maßgeblich davon ab, ob die unionsrechtlichen Vorgaben zwingend sind. 1. Vollständig unionsrechtlich determinierte Umsetzungsgesetze Besonderheiten ergeben sich, wenn das Umsetzungsgesetz vollständig unionsrechtlich determiniert ist.58 Dies ist dann der Fall, wenn die Vorgaben der Richtlinie derart umfassend und detailliert sind, dass den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt.59 Das Handeln der Mitgliedstaaten ist dann ausschließlich auf zwingende unionsrechtliche Vorgaben zurückzuführen.60 Eine umfängliche Detailliertheit ist gerade bei Harmonisie rungsrichtlinien technischer Art zu beobachten, was wegen der dadurch zunehmenden Nähe zur Verordnung auf keine rechtlichen Bedenken stößt.61 Hält das 56 Der zwischen BVerfG und EuGH umstrittenen Frage, ob dieser mittlerweile anerkannte Vorrang des Unionsrechts über eine rein europarechtliche Lösung zu begründen ist, indem man dem Unionsrecht einen eigenständigen Rechtscharakter gewährt, so der EuGH, Urt. v. 15.7.1964, Rs. 6/64, Costa / ENEL, NJW 1964, 2371 (2372); vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 210 oder ob der Vorrang des Unionsrechts auf einer verfassungsrechtlichen Ermächtigung durch Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG (früher: Art. 24 Abs. 1 GG) beruht, so das BVerfG, Beschl. v. 18.10.1967 – 1 BvR 248/63 und 216/67, BVerfGE 22, 293 (297) = NJW 1968, 348 (349); vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 214, soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Ausführlich Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August 2015), Rn. 255 ff.; Dederer, JZ 2014, 313 (313 f.), jeweils m. w. N. 57 Oft findet sich der Begriff „gestufte Verbindlichkeit“, vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 482; siehe dazu Thiemann, Jura 2012, 902 (904); Herrmann, Staatsrecht III, Rn. 24. 58 Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14, Rn. 39. 59 BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300 (301 ff.), Rn. 44 ff.; BVerfG, Urt. v. 2.3.2010 – 1 BvR 256/08, BVerfGE 125, 260 (308 f.) = NJW 2010, 833 (835); Moench / Ruttloff, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 36, Rn. 84. 60 Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (November 2014), Rn. 399. 61 Streinz, Europarecht, Rn. 486.
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Unionsrecht den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum offen, kann das Umsetzungsgesetz nicht anhand des nationalen Verfassungsrechts überprüft werden.62 Dies käme einer unzulässigen Überprüfung des Sekundärrechts durch ein nationales Verfassungsgericht gleich. Für Richtlinien, die keinen Umsetzungsspielraum offenhalten, sind die Mitgliedstaaten nach der Wachauf-Rechtsprechung des EuGH nach einhelliger Auffassung über Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh („bei der Durchführung des Unionsrechts“) an die Unionsgrundrechte gebunden.63 Gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 2 GrCh haben sie sich zudem an die Grundsätze der Union zu halten. Die Unionsgrundrechte dienen als Ausgleich für die fehlende Kontrollmöglichkeit rein unionsrechtlich determinierter Umsetzungsgesetzte anhand der Verfassung. Den nationalen Gerichten steht (gegebenenfalls verpflichtend) das Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV offen.64 In diesem Sinne nimmt das BVerfG seit seiner „Solange II“-Entscheidung nationale Umsetzungsgesetze von einer verfassungsrechtlichen Überprüfung aus, soweit der Grundrechtestandard auf unionsrechtlicher Ebene im Vergleich zur nationalen Verfassung als „im Wesentlichen gleich zu achten“ ist.65
62 H. M.: BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300 (301 ff.), Rn. 44 ff.; BVerfG, Beschl. v. 19.7.2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 (90) = NJW 2011, 3428 (3429); BVerfG (Kammer), Beschl. v. 14.5.2007 – 1 BvR 2036/05, BVerfGK 11, 189 = NVwZ 2007, 942; BVerfG, Beschl. v. 13.03.2007 – 1 BvF 1/05, BVerfGE 118, 79 = NVwZ 2007, 937; BVerfG (Kammer), Beschl. v. 27.7.2004 – 1 BvR 1270/04, BVerfGK 3, 331 = NVwZ 2004, 1346; Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (November 2014), Rn. 399; ders., in: Ehlers / Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, § 16, Rn. 44 ff.; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14, Rn. 39; Thiemann, Jura 2012, 902 (904); Schweitzer / Dederer, Staatsrecht III, Rn. 198 f.; Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 156; Kingreen, in: Callies / Ruffert, Art. 51 GrCh, Rn. 13; Moench / Ruttloff, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, § 36, Rn. 85; Mellinghoff, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 165 (175); Herrmann, Staatsrecht III, Rn. 285; Geiger, Staatsrecht III, S. 237; Masing, NJW 2006, 264 (265); Latzel, EuZW 2015, 658 (663); vgl. dens., EuR 2015, 415 (435 ff.). 63 EuGH, Urt. v. 13.7.1989, Rs. 5/88, Wachauf, Slg. 1989, 2609 (2639 f.) = BeckRS 2004, 73224, Rn. 19; BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300 (302), Rn. 49; Streinz, Europarecht, Rn. 780; Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (November 2014), Rn. 399; Streinz / Michl, in: Streinz, Art. 51 GrCh, Rn. 7. 64 BVerfG, Beschl. v. 19.7.2011 – 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78 (90); BVerfG, Urt. v. 2.3.2010 – 1 BvR 256, 263, 586/08, BVerfGE 125, 260 (308); Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (November 2014), Rn. 400; Gersdorf, in: Weiß, Rechtsschutz als Element von Rechtsstaatlichkeit, S. 47 (54 f.); zur Reichweite der Vorlagepflicht Herrmann, EuZW 2006, 231 (232 ff.). 65 BVerfG, Beschl. v. 22.10.1986 – BvR 197/83, Solange II, BVerfGE 73, 339 (378 ff.); anders noch BVerfG, Beschl. v. 29.5.1974 – 2 BvL 52/71, Solange I, BVerfGE 37, 271 (285); vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300 (302), Rn. 49; Naumann, in: Modrzejewski / Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 75 (83 ff.); Schweitzer / Dederer, Staatsrecht III, Rn. 196, jeweils m. w. N.
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Teil III: Herleitung des Vertrauensschutzes
2. Nicht vollständig unionsrechtlich determinierte Umsetzungsgesetze Beruht das Umsetzungsgesetz aufgrund eines mitgliedstaatlichen Entscheidungsspielraums nur teilweise auf Unionsrecht, ist umstritten, ob ebenfalls eine „Durchführung des Unionsrechts“ gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh vorliegt. Nach dem weiten Verständnis der herrschenden Meinung soll in diesem Fall eine Überprüfbarkeit der Umsetzungsakte sowohl anhand der Unionsgrundrechte als auch anhand der nationalen Verfassung möglich sein.66 Die Gegenauffassung spricht sich für eine klare Zuweisung der gerichtlichen Prüfungskompetenz aus.67 Der Wortlaut des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh, der von einer „ausschließlichen Durchführung des Unionsrechts“ spricht, sei mit einem derart weiten Verständnis der Vorschrift nicht vereinbar.68 In seiner berühmten Åkerberg-Fransson-Entscheidung hat der EuGH das Tatbestandsmerkmal der „Durchführung des Unionsrechts“ in Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh weit ausgelegt.69 Bereits ein eingeleitetes Steuerstrafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung stehe im Zusammenhang mit der in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallenden Umsatzsteuer.70 Der EuGH will „Durchführung des Unionsrechts“ so verstehen, dass „keine Fallgestaltungen denkbar [seien], die vom Unionsrecht erfasst würden, ohne dass die [Unions-]Grundrechte anwendbar wären.“71 Dafür spricht, dass die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta einen einheitlichen Mindeststandard in der Europäischen Union herbeiführt.72 Das BVerfG lehnt diese Argumentation des EuGH entschieden ab, denn das Verständnis vom Anwendungsbereich des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh sei zu weit gefasst.73 Es liege ein „ultra-vires-Akt“ vor, der eine Gefährdung des Rechtsschutzes anhand der nationalen Grundrechte darstelle.74 Diese Bedenken sind wohl darauf zurückzuführen, dass das BVerfG einfache transnationale Binnenmarkt
66 Zuletzt BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300 (301 ff.), Rn. 44 ff.; Ehlers, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 14, Rn. 74; Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (November 2014), Rn. 406; Gersdorf, in: Weiß, Rechtsschutz als Element von Rechtsstaatlichkeit, S. 47 (51); Englisch, in: Tipke / Lang, § 4, Rn. 55, jeweils m. w. N. 67 So Kingreen, in: Calliess / Ruffert, Art. 51 GrCh, Rn. 14. 68 Lindner, EuR 2008, 786 (792 f.), Hervorhebung auch dort. 69 EuGH, Urt. v. 26.2.2013, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415. 70 EuGH, Urt. v. 26.2.2013, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415; vgl. dazu Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (November 2014), Rn. 405, m. w. N. 71 EuGH, Urt. v. 26.2.2013, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, NJW 2013, 1415 (1416), Rn. 21; vgl. Ludwigs / Sikora, JuS 2017, 385 (390). 72 Streinz, Europarecht, Rn. 780; vgl. dens. / Michl, in: Streinz, Art. 51 GrCh, Rn. 7. 73 BVerfG, Urt. v. 24.4.2013 – 1 BvR 1215/07, Terrordatei, BVerfGE 133, 277 (315 f.); jetzt aber differenzierend BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300 (302 ff.), Rn. 53 ff.; vgl. Mellinghoff, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 165 (178); Latzel, EuZW 2015, 658 (659). 74 BVerfG, Urt. v. 24.4.2013 – 1 BvR 1215/07, Terrordatei, BVerfGE 133, 277 (315 f.); vgl. Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (November 2014), Rn. 405.
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konstellationen nicht auf Art. 51 Abs. 1 S. 1 GrCh ausweiten möchte.75 Das BVerfG will verhindern, dass der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte (ungewollt) ausufert.76 Der EuGH ist diesem Anliegen des BVerfG in seinen Entscheidungen Hernández und Siragusa entgegengekommen77 und stellt nunmehr im Ergebnis auf ein „Indizienbündel“ ab.78 II. Volle unionsrechtliche Determinierung des Vertrauensschutzes? Ob sich der Schutz des gutgläubigen Unternehmers aus dem nationalen Verfassungsrecht herleiten lässt, wird in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Zum Teil wird auf eine parallele Anwendbarkeit des nationalen Verfassungsrechts79 oder sogar ausschließliche Anwendung des nationalen Verfassungsrechts80 verwiesen. Beides ist vor dem Hintergrund des dargestellten verfassungsrechtlichen Überprüfungsumfangs hinsichtlich vollständig determinierter Umsetzungsgesetze nicht überzeugend. Es ist vielmehr entscheidend, ob der vom EuGH geschaffene primärrechtliche Schutzstandard als unionsrechtlich zwingende Vorgabe angesehen werden muss.81 Beruht der zu überprüfende Teilbereich des Umsatzsteuerrechts vollumfänglich auf sekundärrechtlichen Vorgaben, kann das vollständig determinierte Umsetzungsgesetz nicht an der nationalen Verfassung gemessen werden. Liegt demnach ein Teilbereich des Umsatzsteuerrechts vor, der vollumfänglich durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie determiniert ist,82 kommt als 75
Thym, NVwZ 2013, 889 (893). BVerfG, Urt. v. 24.4.2013 – 1 BvR 1215/07, Terrordatei, BVerfGE 133, 277 (316); vgl. Thym, NVwZ 2013, 889 (893 f.); ders., DÖV 2014, 941. 77 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.7.2014, Rs. C-198/13, Hernández, EuZW 2014, 795 (796 f.), Rn. 34 ff.; EuGH, Urt. v. 6.3.2014, Rs. C-206/13, Siragusa, NVwZ 2014, 575 (576), Rn. 24. 78 Siehe dazu Naumann, in: Modrzejewski / Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 75 (81); Thym, DÖV 2014, 941 (944 f.); Ludwigs / Sikora, JuS 2017, 385 (390 f.). 79 So Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 13b UStG (Januar 2018), Rn. 437; ders., MwStR 2016, 895 (899 f.), der u. a. das Austrittsrecht der Mitgliedstaaten nach Art. 50 EUV als Argument für die Anwendbarkeit des nationalen Verfassungsrechts heranzieht und dabei den allgemein anerkannten Anwendungsvorrang des Unionsrechts verkennt. Ebenfalls für eine parallele Anwendbarkeit des Verfassungsrechts Frye, in: Rau / Dürrwächter, § 6a UStG (Januar 2019), Rn. 98, wobei die rechtliche Bedeutung der Aufführung des Verfassungsrechts in einem Klammerzusatz unklar bleibt; für eine parallele „Verankerung“ auch Birk / Desens / Tappe, Steuerrecht, Rn. 1707. 80 So Hummel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. 14.137 f.; ders., MwStR 2016, 4 (13). 81 Vgl. Dürrschmidt, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 33 (64 f.); Drüen, DB 2010, 1847 (1848); Stapperfend, UR 2013, 321 (324); Weber, NWB 2014, 3076; Latzel, EuR 2015, 415 (435 ff.); a. A. Dietlein, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 29 ff. 82 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13, NJW 2020, 301 (302), Rn. 49. Wie hier differenzierend auch Mellinghoff, UR 2013, 5 (11 f.); ders., in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 165 (176). 76
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Prüfungsmaßstab nicht mehr das nationale Verfassungsrecht in Betracht.83 Das Unionsrecht genießt insoweit Anwendungsvorrang, was nicht nur als Auflösung von Kollisionsfällen, sondern auch von Doppelzuständigkeiten zu verstehen ist.84 Unterfallen die betroffenen allgemeinen Rechtsgrundsätze demselben Schutzstandard auf unionsrechtlicher und nationaler Ebene, handelt es sich um nichts anderes als eine Kompetenzzuweisung.85 Das nationale Verfassungsrecht wird nicht in seiner Existenz eingeschränkt, sondern tritt bei der Anwendung hinter das Unionsrecht zurück.86 Zu prüfen ist daher, ob der jeweilige Teilbereich, in welchem ein Vertrauensschutz für den Unternehmer in Betracht kommt, vollständig durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie determiniert ist87 oder ob ein Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten in diesem Teilbereich besteht. 1. Vorsteuerabzugsrecht, §§ 15, 15a UStG Das Vorsteuerabzugsrecht ist das prägende Element der Allphasen-Netto-Umsatzsteuer, wovon die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht abweichen können.88 Dies entspricht der Wettbewerbsneutralität, da unterschiedliche Abzugsbedingungen in den Mitgliedstaaten Wettbewerbsvorteile mit sich bringen würden.89 Das Vorsteuerabzugsrecht eröffnet den Mitgliedstaaten daher keinen Umsetzungsspielraum,90 weshalb der Vertrauensschutz in diesem Teilbereich nicht anhand der nationalen Verfassung zu beurteilen ist, sondern alleine auf dem unionsrechtlichen Primärrecht beruht. Insbesondere ergibt sich ein Umsetzungsspielraum nicht daraus, dass die Frage des Schutzes vor Falschangaben des Vorleistenden sekundärrechtlich nicht geregelt ist.91 Die sekundärrechtlichen Vorgaben zum Vorsteuerabzugsrecht sind abschließend und nur anhand von höherrangigem Primärrecht überprüfbar.
83
Dobratz, UR 2014, 425 (426 f.). Siehe ferner Weitemeyer / Maciejewski, UR 2019, 713 (726). 84 von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, S. 112. 85 von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, S. 118. 86 Vgl. Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August 2015), Rn. 257; Masing, NJW 2006, 264 (267); Ehlers, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach3, § 11, Rn. 49; di Fabio, NJW 1990, 947 (950 f.). 87 Dies betrifft den größten Teil des materiellen Umsatzsteuerrechts, vgl. Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 6 und § 4, Rn. 30; Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 38. 88 Vgl. die Nachweise zur Rspr. des EuGH in Teil II, Fn. 3. 89 Hagen, Die Harmonisierung der indirekten Steuern in Europa, S. 238. 90 So auch BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 13.2.2016 – 1 BvR 2419/15, LSK 2016, 08150 mit einem sehr sperrig formulierten Leitsatz. Lohse / Z anzinger, DStR 2016, 1241 (1245) sprechen mit Verweis auf den Beschluss von „Klarheit […] in verfassungsrechtlicher Hinsicht“. 91 So aber Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 250.
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2. Steuerbefreiungen, § 4 Nr. 1 lit. a und lit. b UStG Hinsichtlich der Gewährung von Steuerbefreiungen genießen die Mitgliedstaaten nach Art. 131 MwStSystRL größere Freiheiten.92 Die Steuerbefreiungen werden nach den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen. Dies führt allerdings nur dazu, dass das nationale Verfassungsrecht hinsichtlich dieser selbstständigen Bestimmungen der Mitgliedstaaten (§ 6a Abs. 3 S. 2 UStG i.V.m §§ 17a ff. UStDV) Anwendung findet. Welche Umsätze von der Steuer zu befreien sind, ist hingegen unionsrechtlich determiniert, sodass insoweit kein Umsetzungsspielraum besteht.93 Die Mitgliedstaaten können nach Art. 131 MwStSystRL nur Fragen der Anwendung des Befreiungsgegenstands und nicht dessen Inhalt selbstständig bestimmen.94 Der Vertrauensschutz wird erst relevant, wenn der Steuerpflichtige sämtliche formellen Nachweise (vgl. §§ 17a ff. UStDV) ihrer Art nach erfüllt hat, da der materielle Tatbestand ansonsten aus diesem Grund verwehrt wird.95 Er betrifft nicht den von den Mitgliedstaaten nach Art. 131 MwStSystRL erfassten Umsetzungsspielraum, sondern vielmehr die Frage, ob materiell eine Steuerbefreiung aus Vertrauensschutzgründen gewährt werden soll.96 Weil die zu befreienden Gegenstände der Leistung vollständig unionsrechtlich determiniert sind,97 kann sich eine rechtliche Überprüfung, die in der Sache die Herbeiführung einer Steuerbefreiung aus Vertrauensschutzgründen bezweckt, nicht an nationalem Verfassungsrecht messen lassen.98
92
Vgl. dazu Weymüller, in: Weymüller2, § 6a UStG, Rn. 23. Vgl. BVerfG (Kammer), Beschl. v. 31.5.2007 – 1 BvR 1316/04, BVerfGK 11, 268 (275) = DStRE 2007, 1335 (1338); Mellinghoff, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 165 (176). 94 Vgl. EuGH, Urt. v. 7.5.1998, Rs. C-124/96, Kommission / Spanien, Slg. I 1998, 2501. 95 Siehe Seite 132 ff. 96 A. A. Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 251, die den Vertrauensschutz auf der formellen Seite des Tatbestands verortet und insoweit einen Umsetzungsspielraum annimmt; anders auch Dietlein, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 30 f. 97 BVerfG (Kammer), Beschl. v. 31.5.2007 – 1 BvR 1316/04, BVerfGK 11, 268 (275) = DStRE 2007, 1335 (1338); vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 1.4.2019 – 1 BvR 537/19, LSK 2019, 6960; Mellinghoff, UR 2013, 5 (11, 14). 98 Vgl. dazu Dürrschmidt, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 33 (54, 65), der von einer „bereits vom primären Unionsrecht vorgegebenen inhärente[n] inhaltliche[n] Grenze der Regelungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie“ spricht. 93
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3. Ort der sonstigen Leistungen, §§ 3 Abs. 9 i. V. m. 3a UStG Die Vorgaben hinsichtlich der Ortsbestimmung bei sonstigen Leistungen nach § 3 Abs. 9 i. V. m. § 3a UStG beruhen auf zwingenden Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Die Mitgliedstaaten müssen die in Art. 43 ff. MwStSystRL vorgesehenen Ortsbestimmungen umsetzen, ohne dass ihnen ein Umsetzungsspielraum bliebt.99 Denn die Ortsbestimmungen dienen der Festlegung mitgliedstaatlicher Besteuerungskompetenzen und der Verhinderung von Doppelbesteuerung.100 Ein Umsetzungsspielraum würde diesem Sinn und Zweck zuwiderlaufen. Nur im Rahmen von „Kann-Bestimmungen“ wie Art. 59a MwStSystRL bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie eine entsprechende Regelung in ihre nationale Rechtsordnung aufnehmen wollen. Wird der Unternehmer hinsichtlich der unionsrechtlich determinierten Orts bestimmung der sonstigen Leistung durch seinen Geschäftspartner getäuscht, handelt es sich nicht primär um eine Frage der Nachweisführung,101 sondern um die Frage, ob der Ort der Leistung nach dem Vorstellungsbild des gutgläubigen Unternehmers beurteilt werden soll. Diese Abweichung von den in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie determinierten Vorgaben aufgrund eines Vertrauensschutzes hinsichtlich der Angaben des Geschäftspartners kann sich nur unter Heranziehung des Primärrechts ergeben.102 4. Reverse-Charge-Verfahren, § 13b UStG Die Vorgaben hinsichtlich des Reverse-Charge-Verfahrens beruhen zum Teil auf „Kann-Bestimmungen“ (Art. 199 MwStSystRL), die es den Mitgliedstaaten offenlassen, ob sie von der Umsetzung der Vorgaben Gebrauch machen.103 Die Mitgliedstaaten haben allerdings nur einen Spielraum hinsichtlich der Frage, ob sie die vorgegebenen Regelungen einführen möchten. Ein inhaltlicher Spielraum steht ihnen nicht zu. Dies hat zur Folge, dass in den Fällen einer „Kann-Bestimmung“ der Leistende die Umsatzsteuer schuldet, wenn sein Mitgliedstaat keine entsprechende nationale Regelung zu Steuerschuldumkehr vorsehen möchte. Entschließt sich der Mitgliedstaat umgekehrt zu einer nationalen Regelung, ist er vollstän-
99
Becker, Ortsbestimmungen von sonstigen Leistungen, S. 36 f.; vgl. dazu Wäger, in: Sölch / R ingleb, § 3a UStG (September 2018), Rn. 5 ff. 100 Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 401; Schön, in: Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2001/02, S. 17 (24). 101 Anders wiederum Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 249. 102 Vgl. Lohse / Spilker / Zitzl, UR 2010, 633 (639), die in Bezug auf innergemeinschaftliche Dienstleistungen von einem „unionsrechtlich zulässigen und gebotenen Vertrauensschutz“ sprechen; Hassa, UR 2015, 809 (810) spricht allg. von einer „Primärrechtliche[n] Fundierung“. 103 Vgl. Heuermann, in: Sölch / R ingleb, § 13b UStG (Oktober 2017), Rn. 3.
§ 8 Normative Herleitung des Vertrauensschutzes
225
dig an die Vorgaben gebunden. Im Rahmen dieses Umsetzungsspielraums einer „Kann-Bestimmung“ ist die Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht nicht zurückgenommen.104 5. Differenzbesteuerung, § 25a UStG Die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG beruht auf den zwingenden Vorgaben des Art. 314 MwStSystRL. Ein Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten ist mit Blick auf den Telos, Wettbewerbsnachteile zu vermeiden,105 in diesem Fall nicht erkennbar.106 Auch die Frage, ob sich die Anwendung der Differenzbesteuerung nach dem subjektiven Vorstellungsbild der Beteiligten richten kann, kann sich folglich nur anhand des Primärrechts bestimmen.107 III. Vertrauensschutz im Anwendungsbereich des Verfassungsrechts Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass ein Anwendungsbereich der nationalen Grundrechte nur in sehr begrenztem Umfang eröffnet ist.108 Denkbar wäre dies aber im Bereich des Reverse-Charge-Verfahrens nach § 13b UStG, wenn das deutsche Umsatzsteuerrecht auf einer „Kann-Bestimmung“ der Richtlinie beruht. Dort ist wiederum zu berücksichtigen, dass bloße beiderseitige Rechtsirrtümer keinen Vertrauensschutz hervorrufen, sondern dies allenfalls bei einer Täuschung des redlichen Unternehmers durch seinen Geschäftspartner angenommen werden kann.109 Im Übrigen decken sich Ausführungen zum Schutz des redlichen Unternehmers nach der GrCh mit der nationalen Grundrechtsdogmatik.110 Art. 12 Abs. 1 GG schützt den Unternehmer aufgrund der einschränkenden Voraussetzung einer berufsregelnden Tendenz zwar nicht vor einer steuerlichen Belastung, wenn sich die Steuernorm an einen „unspezifischen Adressatenkreis“111 richtet.112 104
Vgl. in Bezug auf die „Kann-Bestimmung“ in Art. 10 Abs. 2 UAbs. 3 der 6. Richtlinie (heute: Art. 66 lit. b MwStSystRL), auf der die Vorgaben zur Ist-Besteuerung nach § 20 UStG beruhen, BVerfG (Kammer), Beschl. v. 20.3.2013 – 1 BvR 3063/10, UR 2013, 468, Rn. 19; dazu auch Mellinghoff, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 165 (176). 105 Siehe dazu Leonard, in: Bunjes18, § 25a UStG, Rn. 1. 106 Eine „Kann-Bestimmung“ ist nur im Fall des Art. 318 MwStSystRL vorgesehen. 107 I.Erg. ebenso Höink / L angenhövel, BB 2018, 1239 (1242), die von einem „unionsrechtlichen Vertrauensschutz“ sprechen; vgl. dazu Osterloh, UVR 2016, 207 (209 f.). 108 Vgl. Fischer, Die Rechtfertigung einer Umsatzbesteuerung und ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten, S. 270. 109 Siehe dazu Seite 175 ff. 110 Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 – 1 BvR 16/13, NJW 2020, 300 (303), Rn. 55. 111 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 1 BvR 343/73, 83/74, 183 und 428/75, BVerfGE 47, 1 (21). 112 Vgl. Wernsmann, NJW 2006, 1169 (1172); Dietlein, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 31; Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 12 GG, Rn. 16, jeweils m. w. N.
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Teil III: Herleitung des Vertrauensschutzes
Allerdings muss sich eine hoheitliche Indienstnahme aufgrund ihrer Auswirkung auf unternehmerische Abläufe an den Vorgaben des Art. 12 Abs. 1 GG messen lassen.113 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nach der deutschen Grundrechtsdogmatik mehr ein „grundrechtliches Schutzkonzept“114 als ein allgemeiner (isolierter) Rechtsgrundsatz,115 sodass dieser innerhalb der Prüfung, ob eine gerechtfertigte Indienstnahme vorliegt, als Schranken-Schranke heranzuziehen ist.116 Ist folglich der stets zu prüfende Anwendungsbereich der nationalen Grundrechte eröffnet, kann hinsichtlich der Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 3 GG auf die vorrangigen Ausführungen zu Art. 17 GrCh und Art. 20 GrCh verwiesen werden.117 Art. 14 GG schützt demnach nur bei einer erdrosselnden (konfiskatorischen) Wirkung der Steuer, nicht aber vor einer generellen Belastung.118 Weder die Indienstnahme als solche noch die wirtschaftliche Belastung stellen daher einen Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG dar.119 Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht die Grundlage des Vertrauensschutzes, da die Grundrechtsproblematik – sofern man sie als eine solche ansieht – mehr auf der freiheitsrechtlichen als auf der gleichheitsrechtlichen Dimension beruht.
113
Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.5.1981 – 1 BvL 56, 57, 58/76, BVerfGE 57, 139 (158); Dietlein, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 32; Drüen, Die Indienstnahme Privater Für den Vollzug von Steuergesetzen, S. 214 ff.; dens., DStJG 31 (2008), S. 167 (182 f.); Schirra, Die Indienstnahme Privater im Lichte des Steuerstaatsprinzips, S. 90 ff.; Heuermann, Systematik und Struktur der Leistungspflichten im Lohnsteuerabzugsverfahren, S. 240 f.; Strauß, Verfassungsfragen der Kostenüberwälzung bei staatlichen Indienstnahmen privater Unternehmen, S. 54; Fischer, Die Rechtfertigung einer Umsatzbesteuerung und ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten, S. 165; differenzierend insoweit Uibeleisen, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Inpflichtnahme Privater, S. 229 ff. Siehe dazu auch Seiler, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1761 (1768 f.). 114 Dietlein, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 34. 115 Vgl. dazu Kluth, in: Wolff / Bachof / Stober / K luth, Verwaltungsrecht I, § 59, Rn. 7. 116 Vgl. Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, S. 181. 117 Siehe Seite 216 f. 118 Wernsmann, in: Schön / Beck, Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, S. 161 (169 f.). Vgl. auch Dietlein, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 32 f., der ein „Durchschlagen“ der umsatzsteuerlichen Indienstnahme auf die unternehmerische Tätigkeit erwägt. 119 A. A. in Bezug auf die wirtschaftliche Belastung Papier, Der Staat 11 (1972), 483 (498 ff.); hinsichtlich der Indienstnahme des Unternehmers Hey, FR 1998, 497 (504), die die Pflicht zur Erhebung der Kapitalertragsteuer als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums der Bank ansieht und daher auf Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG abstellt; Geißler, Der Unternehmer im Dienste des Steuerstaats, S. 124 sieht sowohl den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG als auch von Art. 14 Abs. 1 GG als eröffnet.
§ 9 Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im nationalen Recht
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D. Zwischenfazit Ob sich der Vertrauensschutz alleine nach dem Unionsrecht oder darüber hinaus nach dem nationalen Verfassungsrecht bemisst, hängt davon ab, ob der betroffene Teilbereich des Umsatzsteuerrechts den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum einräumt. In den ganz überwiegenden Fällen sind die Vorgaben der Richtlinie hinreichend bestimmt und abschließend.120 Nach hier vertretener Auffassung betrifft bei der Gewährung einer Steuerbefreiung im internationalen Warenverkehr der Vertrauensschutz die inhaltliche Frage, ob eine Steuerbefreiung gewährt werden soll, und nicht die Frage, wie diese nachgewiesen wird. Für letzteres würde den Mitgliedstaaten nach Art. 131 MwStSystRL ein Umsetzungsspielraum offenstehen. Der Vertrauensschutz richtet sich damit ausschließlich nach dem Primärrecht. In den übrigen Bereichen, in denen ein Mitgliedstaat von den Möglichkeiten einer „Kann-Bestimmung“ (wie in Art. 199 MwStSystRL) Gebrauch macht, kann sich der Vertrauensschutz des Unternehmers hinsichtlich der Angaben seines Geschäftspartners prinzipiell auch nach dem nationalen Verfassungsrecht richten. Die vorangehenden Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass auch zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen zu beachten sind und insbesondere ein Vertrauensschutz nicht deshalb angenommen werden kann, weil die Parteien über die Anwendung des § 13b UStG irren.121 Der Anwendungsbereich des nationalen Verfassungsrechts ist damit in den wenigsten Fällen überhaupt eröffnet beziehungsweise relevant. Die Indienstnahme des Unternehmers unter vollständiger Übertragung des Abwälzungsrisikos bei Falschangaben seines Geschäftspartners stellt einen nicht gerechtfertigten Eingriff in Art. 16 GrCh dar. Selbiges gilt für Art. 12 Abs. 1 GG, sofern dessen Anwendungsbereich eröffnet ist. Die Vorgaben des EuGH, welche sich nur auf eine isolierte Verhältnismäßigkeitsprüfung belaufen, können hierdurch grundrechtsbezogen Berücksichtigung finden, indem man diese innerhalb der Grundrechtsprüfung von Art. 16 GrCh einbezieht.
§ 9 Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im nationalen Recht Fordert das primäre Unionsrecht unter bestimmten Voraussetzungen Vertrauensschutz zugunsten des redlichen Unternehmers, stellt sich die Frage, wie dieser methodisch im nationalen Recht Berücksichtigung findet. Im nationalen Recht ist – wie gesehen – nur in § 6a Abs. 4 UStG eine entsprechende Vertrauensschutz 120 Vgl. dazu Birkenfeld, StuW 1998, 55 (64); Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 469 f.; Dobratz, in: Schaumburg / Englisch2, Europäisches Steuerrecht, Rn. 19.6. 121 Siehe Seite 175 ff.
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Teil III: Herleitung des Vertrauensschutzes
regelung vorgesehen. Geht man – wie hier – davon aus, dass das Vertrauen des Unternehmers in die Angaben seines Geschäftspartners auch in anderen Teilbereichen des Umsatzsteuergesetzes schützenswert ist,122 ist auf die Implementierung des Vertrauensschutzes innerhalb der nationalen Rechtsordnung näher einzugehen.
A. Rechtsmethodische Integration des Vertrauensschutzes Rechtsmethodisch eröffnen sich verschiedene Möglichkeiten, wie der unionsrechtlich fundierte Vertrauensschutz innerhalb des nationalen Rechts berücksichtigt werden könnte.123 Die Möglichkeiten sollen im Folgenden näher untersucht werden. I. Integration durch unmittelbare Anwendung des Unionsrechts? Das Unionsrecht entfaltet unter gewissen Voraussetzungen unmittelbare Wirkung. Will man den Schutz des gutgläubigen Unternehmers in das nationale Umsatzsteuerrecht integrieren, kommen eine unmittelbare Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (dazu 1.) oder des Primärrechts (dazu 2.) in Betracht. 1. Unmittelbare Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie Zunächst könnte über eine unmittelbare Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nachgedacht werden, was implizieren würde, dass das nationale Recht als unionsrechtswidrig anzusehen ist.124 Die Richtlinienvorgaben müssen hierfür erstens innerhalb der Umsetzungsfrist nicht umgesetzt worden sein, zweitens dem Einzelnen Rechte einräumen und drittens hinreichend bestimmt und unbedingt sein.125 Die Möglichkeit einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinie befreit die Mitgliedstaaten nicht von der Pflicht, die unionsrechtlichen Vorgaben umzusetzen.126 Bei durchgehend harmonisierten Rechtsvorschriften entspricht das nationale Umsetzungsgesetz allerdings weitgehend inhaltsgleich dem Sekundärrecht, sodass dem Rechtsanwender eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie nicht weiterhilft und er vielmehr diese selbst auslegen muss.127 Es darf zudem nicht die 122
Vgl. FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 4.6.2013 – 5 V 5022/13 (rkr.), DStRE 2014, 364. Vgl. Achatz, Diskussionsbeitrag, DStJG 32 (2009), S. 461 (496). 124 Vgl. Achatz, Diskussionsbeitrag, DStJG 32 (2009), S. 461 (496). 125 EuGH, Urt. v. 26.2.1986, Rs. 152/84, Marshall, Slg. I 1986, 723 (748), Rn. 46; Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August 2015), Rn. 112; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 45 ff., jeweils m. w. N. 126 Metallinos, Die europarechtskonforme Auslegung, S. 19 f. 127 Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 467; Schön, Die Auslegung europäischen Steuerrechts, S. 45 f.; Jochum, Grundfragen des Steuerrechts, S. 107. 123
§ 9 Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im nationalen Recht
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Möglichkeit bestehen, dass eine „volle Wirksamkeit“ des Unionsrechts durch eine richtlinienkonforme Auslegung erreicht werden kann.128 Vorliegend ist ein Vertrauensschutz hinsichtlich der Angaben des Geschäftspartners in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht geregelt und würde daher auch nicht auf hinreichend bestimmten sekundärrechtlichen Vorgaben beruhen. 2. Unmittelbare Anwendung des Primärrechts Das Primärrecht kann nicht nur Rechte, sondern auch unmittelbare Pflichten des Bürgers begründen.129 Nationales Umsetzungsrecht kann daher prinzipiell primärrechtskonform auszulegen sein.130 Es ist allerdings zu beachten, dass die Mitgliedstaaten davon ausgehen können, dass (zwingend umzusetzende) sekundärrechtliche Vorgaben nicht gegen Primärrecht verstoßen. Bei einer abschließenden Harmonisierung, die den Mitgliedstaaten keinen weiteren Umsetzungsspielraum eröffnet, beurteilt der EuGH „jede nationale Regelung […] anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme [d. h. des Sekundärrechts] und nicht [anhand] des primären [Unionsrechts]“.131 Es ist dann die Richtlinie, die sich am Primärrecht messen lassen muss. Im Extremfall kann dies zur Nichtigkeit der sekundärrechtlichen Regelung wegen Verstoßes gegen Primärrecht führen.132 Es entspricht dem Rangverhältnis der Rechtsquellen, sekundäres und tertiäres Unionsrecht am Primärrecht zu messen und zur Vermeidung von Kollisionen primärrechtskonform auszulegen, um den einheitlichen europäischen Sinngehalt der Regelungen zu erfassen.133, 134 Folglich ist das vollständig determinierte Umsetzungsrecht anhand der Richtlinie auszulegen, die ihrerseits im Lichte des Primärrechts auszulegen ist.135
128
Vgl. W. Schroeder, in: Streinz, Art. 288 AEUV, Rn. 92, 110. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 61, m. w. N. 130 Vgl. Lieble / Domröse, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 8, Rn. 38; Drüen, in: Tipke / K ruse, § 4 AO (Oktober 2011), Rn. 240; Riesenhuber / Domröse, RIW 2005, 47 (49). 131 St.Rspr.: EuGH, Urt. v. 11.12.2003, Rs. C-322/01, Deutscher Apothekerverband, EuZW 2004, 21 (23), Rn. 64; EuGH, Urt. v. 14.12.2004, Rs. C-309/02, Radlberger Getränkegesellschaft, NVwZ 2005, 190 (192), Rn. 53; EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-205/07, Gysbrechts, EuZW 2009, 115 (117), Rn. 33; vgl. Kingreen, in: Callies / Ruffert, Art. 36 AEUV, Rn. 18; dens., Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, S. 151 f.; Schönfeld / Ellenrieder, StuW 2019, 253 (255). 132 Vgl. Wernsmann, NZG 2011, 1241 (1242). 133 Ehlers, in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach3, § 11, Rn. 44. 134 Im Übrigen schränkt der EuGH die Prüfung des primärrechtlichen Grundsatzes des Missbrauchsverbots ein, wenn ein sekundärrechtlicher Missbrauchstatbestand vorliegt, EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Rs. 251/16, Cussens, DStRE 2018, 617 (621), Rn. 38; vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 2, Rn. 136. Dies ist vergleichbar mit § 41 Abs. 1 S. 2 AO. 135 Vgl. Lieble / Domröse, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 8, Rn. 40. Siehe auch Art. 67 ff. AEUV, die als Primärrecht nur den Maßstab bilden, an dem existierendes Sekundärrecht konform auszulegen ist, Röben, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 67 AEUV (Mai 2014), Rn. 64. 129
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Teil III: Herleitung des Vertrauensschutzes
Andernfalls würde zudem das Verwerfungsmonopol des EuGH hinsichtlich des erlassenen Sekundärrechts unterlaufen.136 II. Stufenweise Integration durch (richterliche) Rechtsfortbildung Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie muss sich am höherrangigen Primärrecht messen und auslegen lassen.137 „Auslegung“ im weiteren Sinne umfasst dabei die Auslegung im engeren Sinne und die Rechtsfortbildung.138 Wie die vorangehenden Untersuchungen gezeigt haben, kann der Vertrauensschutz primärrechtlich sowohl über Art. 16 GrCh Berücksichtigung finden als auch – wie vom EuGH präferiert – im Rahmen einer isolierten Prüfung primärrechtlicher Rechtsgrundsätze. Beide dogmatischen Wege erreichen im Ergebnis dasselbe Schutzniveau.139 Der Vertrauensschutz muss rechtsmethodisch zunächst in die Mehrwertsteuersystemrichtlinie integriert werden.140 Sodann ist das ausgelegte beziehungsweise rechtsfortgebildete Sekundärrecht in das nationale Recht zu transferieren.141 1. Parallele: Integration der Bösgläubigkeit Nicht nur hinsichtlich der Integration des Vertrauensschutzes muss die Mehrwertsteuersystemrichtlinie ausgelegt werden, sondern auch in Bezug auf die Versagung des umsatzsteuerlichen Tatbestands bei Bösgläubigkeit des Unternehmers.142 Das Bundesfinanzministerium hat in einem Referentenentwurf vorgeschlagen, einen neuen § 25f UStG als Rechtsgrundlage für die Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiungen bei Bösgläubigkeit in der nationalen Rechtsordnung einzufügen.143 Der Gesetzesvorschlag wurde vom Gesetzgeber weitgehend übernommen.144 Das Entscheidende ist dabei, dass dessen Regelungsinhalt auch 136
Englisch, in: Schaumburg / Englisch2, Europäisches Steuerrecht, Rn. 12.9, m. w. N. Vgl. nur EuGH, Urt. v. 7.3.2017, Rs. C-390/15, RPO, EuZW 2017, 435 (439), Rn. 71. 138 Zur Terminologie Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August und Februar 2015), Rn. 114, 691. 139 Engler, Steuerverfassungsrecht im Mehrebenensystem, S. 258. 140 Vgl. Looks, DStR 2009, 513 (515). 141 Vgl. Heuermann, StuW 2018, 123 (128). 142 Auch Drüen, MwStR 2015, 841 (854) verweist auf diesen Zusammenhang. Vgl. Heuermann, DStR 2016, 963, der bzgl. der Bösgläubigkeit von einer „richtlinienkonformen (negativen) Tatbestandsergänzung“ spricht und diesbezüglich methodische Unklarheiten konstatiert. 143 Referentenentwurf des BMF vom 8.5.2019 – Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, S. 34 f.; vgl. Heuermann, DStR 2019, 1089 (1090); Grambeck, MwStR 2019, 438 (444). 144 BGBl. I 2019, 2451 (2473): „§ 25f UStG – Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiungen bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung (1) Sofern der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Um 137
§ 9 Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im nationalen Recht
231
„nur“ auf einer Rechtsprechungsdoktrin des EuGH beruht, der die Richtlinie so auslegt, dass sich niemand in missbräuchlicher oder betrügerischer Absicht auf diese berufen darf145. Eine ausdrückliche sekundärrechtliche Regelung für die Versagung umsatzsteuerlicher Vorteile bei Bösgläubigkeit ist – wie beim Vertrauensschutz – nicht vorgesehen. Letztlich stellt die Bösgläubigkeit ebenfalls ein subjektives Kriterium dar, das in die Mehrwertsteuersystemrichtlinie und die nationale Rechtsordnung integriert werden muss.146 In der Literatur wird vorgeschlagen, eine primärrechtliche Pflicht zur Versagung des Vorsteuerabzugs oder der Steuerbefreiung anzunehmen, die unmittelbar in das nationale Recht „einwirkt“.147 Denn nach dem dogmatischen Verständnis des EuGH geht die Missbrauchs- und Betrugsbekämpfung so weit, dass innerhalb der nationalen Rechtsordnung keine entsprechende Rechtsgrundlage für die Versagung von Steuervorteilen vorgesehen werden muss.148 Dabei ist zu beachten, dass die Richtlinie für den einzelnen Steuerpflichtigen keine Verpflichtungen vorsehen kann, sondern nur an die Mitgliedstaaten adressiert ist, welche gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV das Ziel der Richtlinie in der nationalen Rechtsordnung umzusetzen haben.149 Der EuGH begründet allerdings gleichzeitig die Pflicht zur Versagung des umsatzsteuerlichen Vorteils damit, dass „Vorschriften des Unionsrechts“ nicht so weit gehen können, dass sie missbräuchliches oder betrügerisches Verhalten decken würden.150 Nach hier vertretener Ansicht sind das Betrugs- und Missbrauchsverbot allgemeine Grundsätze des Primärrechts.151 Die Brücke zwischen dem unionsrechtlisatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs im Sinne des § 370 der Abgabenordnung oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens im Sinne der §§ 26b, 26c einbezogen war, ist Folgendes zu versagen: 1. die Steuerbefreiung nach § 4 Nummer 1 Buchstabe b in Verbindung mit § 6a, 2. der Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 3. der Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 sowie 4. der Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4. (2) § 25b Absatz 3 und 5 ist in den Fällen des Absatzes 1 nicht anzuwenden.“ 145 Siehe nur EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, MwstR 2015, 87 (90), Rn. 46 mit Anm. Grube, MwStR 2015, 93; vgl. Wäger, UR 2020, 45. 146 Heuermann, StuW 2018, 123 (128 f.); ders., DStR 2015, 1416 (1418 f.). 147 So Heuermann, StuW 2018, 123 (129). 148 EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Rs. C-251/16, Cussens, DStRE 2018, 617 (619 f.), Rn. 32 f.; vgl. dazu Wäger, in: JbFSt. 2015/16, S. 703 (718), der eine unmittelbare Wirkung ausschließt; krit. Lindenberg / Klamet / Schmidt, UR 2015, 895 (898 ff.). 149 EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, MwstR 2015, 87 (90), Rn. 55 u. a. mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 19.1.2010, Rs. C-555/07, Kücükdeveci, NJW 2010, 427 (429), Rn. 46; Heuermann, StuW 2018, 123 (129). Siehe dazu Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 468 f.; Herrmann, Richtlinien umsetzung durch die Rechtsprechung, S. 61 ff.; Thiemann, Jura 2012, 902 (904). 150 EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, MwstR 2015, 87 (90), Rn. 56. 151 Vgl. EuGH, Urt. v. 22.11.2017, Rs. C-251/16, Cussens, DStRE 2018, 617 (619), Rn. 31; Heuermann, DStR 2015, 1416 (1418); differenzierend Englisch, StuW 2009, 3 (5 ff.).
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Teil III: Herleitung des Vertrauensschutzes
chen Betrugs- und Missbrauchsverbot und der Vesagung von im nationalen Umsatzsteuerrecht vorgesehenen Steuervorteilen erscheint allerdings wacklig. Der Kritik, dass eine Versagungspflicht bei Bösgläubigkeit im Wortlaut des nationalen Umsatzsteuergesetzes keinen Anklang findet,152 wurde zwar mit der Einführung des § 25f UStG Abhilfe verschafft. Doch auch ohne diese Regelung wird die Brücke zum nationalen Recht stabiler, wenn man erkennt, dass ein nationales Gesetz, das eine umsatzsteuerliche Begünstigung gewährt, obwohl dies den primär- (und sekundärrechtlichen) Wertungen zuwiderlaufen würde, planwidrig lückenhaft ist und anhand des höherrangigen Rechts ausgelegt werden muss.153 Im Sinne einer teleologischen Reduktion muss sich eine Einschränkung des nationalen Rechts ergeben, die einem bösgläubigen Wirtschaftsteilnehmer die umsatzsteuerliche Begünstigung versagt.154 Im Sekundärrecht kann unter Fortführung dieser Überlegung die Versagung eines umsatzsteuerlichen Vorteils an eine teleologische Reduktion des „Steuerpflichtigen“-Begriffs in Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL geknüpft werden.155 Nach dieser prinzipiengeleiteten Interpretation156 setzt die Mehrwertsteuersystemrichtlinie für die Gewährung der in ihr enthaltenen Steuervorteile voraus, dass es sich um einen „Steuerpflichtigen“ handelt, der das beantragte Recht nicht missbraucht und nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt ist.157 Die „sekundärrechtliche Stütze“ für den § 25f UStG liegt folglich in einer primärrechtskonformen Auslegung des Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Der Bösgläubige bewegt sich außerhalb des Mehrwertsteuersystems und kann deshalb auch keine Steuervorteile geltend machen, die in diesem vorgesehen sind.158 Der Neutralitätsgrundsatz ist dadurch nicht verletzt, da dieser nicht dem betrügerisch oder missbräuchlich handelnden Unternehmer zugutekommt.159 Diese am Primärrecht ausgelegte sekundärrechtliche Vorgabe 152
So insbes. Wäger, in: FS für D. Gosch, S. 427 (429 f.); ders., UR 2015, 81 (86, 89); krit. auch Reiß, in: FS für H. List, S. 148 (175 f.), der auf den mittlerweile aufgehobenen § 25d UStG verweist. 153 Heuermann, DStR 2015, 1416 (1419); vgl. dazu Engisch, in: FS für W. Sauer, S. 85 (90 f.). 154 Heuermann, DStR 2015, 1416 (1419); vgl. Treiber, MwStR 2015, 626 (633). 155 A. A. Wäger, in: JbFSt. 2014/15, S. 737 (745), der dem Begriff des „Steuerpflichtigen“ in Art. 9 MwStSystRL kein steuerehrliches Verhalten entnehmen und alleine auf die objektiven Umstände abstellen will; vgl. dens., UR 2017, 41 (43); dens., UR 2020, 45 (49). 156 Dies ist im Bereich des Europäischen Steuerrechts die überwiegende Methodik des EuGH, vgl. Schenke, Die Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 462 f. 157 Blankenheim, „Steuerpflichtiger“ und Unternehmerbegriff im Umsatzsteuerecht, S. 212 f. 158 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 403; vgl. Wäger, UR 2017, 41 (43), der im nationalen Recht ebenfalls auf die Unternehmereigenschaft abstellt, dazu allerdings für das Vorsteuerabzugsrecht die Unternehmereigenschaft des „erhebungstechnisch greifbaren“ Leistenden heranzieht; tendenziell anders ders., UR 2018, 743 (748), wonach der Begriff der „Steuer“ in § 15 Abs. 1 UStG auszulegen sei, welche in diesem Fall nicht abzugsfähig sei. 159 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, C-163/13 und C-164/13, Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti, MwstR 2015, 87 (90), Rn. 48; EuGH, Urt. v. 6.7.2006, Rs. C-439/04, Kittel, Slg. I 2006, 6177 (6195), Rn. 53; BFH, Beschl. v. 12.9.2014 –VII B 99/13, BFH / N V 2015,
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spiegelt sich richtlinienkonform im nationalen Recht wider, indem die Unternehmereigenschaft des bösgläubigen Antragstellers zu versagen ist.160 Nach hier vertretener Ansicht schließt die Regelung des § 25f UStG eine solche teleologische Reduktion des § 2 UStG nicht aus, da es sich um unionsrechtlich determiniertes Recht handet und sich daher vielmehr beide Normen nach der beschriebenen Lesart des Art. 9 MwStSystRL richten. 2. Absichtsbesteuerung nach der objektiven Empfängersicht Die Integration subjektiver Kriterien in das nationale Umsatzsteuergesetz ist ein Problem, das sich unter anderem161 beim sogenannten „erfolglosen Unter nehmer“ stellt.162 Wer „die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, […] eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig auszuüben“,163 aber erfolglos ist, kann gleichwohl das Recht zum Vorsteuerabzug erlangen. Der Unternehmer muss nicht die Aufnahme des tatsächlichen Betriebs abwarten, sondern kann die für diese Zwecke gemachten Aufwendungen sofort in Abzug bringen.164 Dies lässt die Anerkennung subjektiver Absichten innerhalb des Unternehmerbegriffs erkennen.165 Heidner und Wäger leiten daraus in Bezug auf den Vertrauensschutz eine objektive Empfängersicht hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale des Vorsteuerabzugs ab.166 Demnach könne das Vertrauen des Leistungsempfängers in die fremden Angaben durch eine Beurteilung des Tatbestands nach der objektiven Empfängersicht Berücksichtigung finden.167
161 (164), Rn. 22; BFH, Urt. v. 19.5.2010 – XI R 78/70, BFH / N V 2010, 2132 (2136), Rn. 46; Kofler, in: Schaumburg / Englisch2, Europäisches Steuerrecht, Rn. 13.18. 160 So auch BGH, Beschl. v. 8.2.2011 – 1 StR 24/10, NJW 2011, 1616 (1617), Rn. 24; FG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.2013 – 1 K 2550/11 U, BeckRS 2014, 96132, Rn. II.1.b.aa.; vgl. Treiber, MwStR 2015, 626 (633 f.); tendenziell krit. Grube, MwStR 2013, 8 (9). 161 Siehe für weitere Beispiele Wagner, DStR-Beih. 2007, 23 (23 f.). 162 Vgl. Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1595 f.). 163 EuGH, Urt. v. 8.6.2000, Rs. C-396/98, Schloßstraße, Slg. I 2000, 4279 (4314 f.) = DStRE 2000, 877 (880), Rn. 36; EuGH, Urt. v. 8.6.2000, Rs. C-400/98, Breitsohl, Slg. I 2000, 4321 (4370) = DStRE 2000, 881 (884), Rn. 34. 164 Vgl. EuGH, Urt. v. 8.6.2000, Rs. C-396/98, Schloßstraße, Slg. I 2000, 4279 (4314, 4317 f.), Rn. 36, 47; EuGH, Urt. v. 8.6.2000, Rs. C-400/98, Breitsohl, Slg. I 2000, 4321 (4370 f.), Rn. 34 ff.; BFH, Urt. v. 8.3.2001 – V R 24/98, BFHE 194, 522 (527) = DStR 2001, 700 (701); BFH, Urt. v. 2.3.2006 – V R 49/05, BFHE 213, 249 (251) = DStR 2006, 1597; Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1596); dens., UR 2017, 41 (42); Wagner, DStR-Beih. 2007, 23 (24). 165 Wagner, DStR-Beih. 2007, 23 (24). 166 Heidner, UR 2002, 445 (450 f.); Wäger, UR 2017, 41 (46). 167 Heidner, UR 2002, 445 (450 f.); Wäger, UR 2017, 41 (46); vgl. Wagner, Stbg 2001, 56 (62).
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3. Übertragung der Überlegungen auf den Vertrauensschutz Die aus dem Unionsrecht abgeleiteten subjektiven Elemente der Gut- beziehungsweise Bösgläubigkeit wirken auf das nationale Umsatzsteuerrecht ein und müssen entsprechend im nationalen Recht Berücksichtigung finden.168 Es ist überzeugend, sowohl das subjektive Element der Bösgläubigkeit als auch die Kehrseite, nämlich die Gutgläubigkeit des Steuerpflichtigen hinsichtlich der Erfüllung umsatzsteuerlicher Tatbestände, zu erfassen.169 a) Rechtsfortbildung des Unternehmerbegriffs Für die Integration der unionsrechtlichen Vorgaben ist die Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers (beim Vorsteuerabzug) beziehungsweise Lieferanten (bei innergemeinschaftlichen Lieferungen), sprich desjenigen, der einen günstigen umsatzsteuerlichen Tatbestand für sich in Anspruch nehmen will, heranzuziehen. Hat dieser Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von einem Missbrauch oder Steuerbetrug in seiner Leistungskette, so handelt es sich um einen Wirtschaftsteilnehmer, der nicht die steuerlichen Vorteile der Mehrwertsteuer systemrichtlinie genießt. Er erfüllt nicht den Begriff des „Steuerpflichtigen“ in Art. 9 MwStSystRL und konsequent nicht den des „Unternehmers“ in § 2 Abs. 1 UStG.170 Diese richterliche Rechtsfortbildung ist auch zu Lasten Privater möglich.171 Sie hat prinzipiell zur Folge, dass der Steuerhinterzieher die ausgewiesene Steuer nach § 14c Abs. 2 UStG schuldet. Dies kann allerdings nicht bedeuten, dass Schwarzhändler, die keine Rechnung ausstellen, mangels Unternehmereigenschaft keine Umsatzsteuer schulden würden.172 Insoweit kann die Rechtsfortbildung des Unternehmerbegriffs nicht zugunsten eines Steuerhinterziehers bei der Entstehung der Steuerschuld herangezogen werden. Die Rechtsfortbildung bezieht sich in erster Linie darauf, dass derjenige, der eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch begeht beziehungsweise hiervon Kenntnis hatte oder diese Kennntnis hätte haben müssen, keinen in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie vorgesehenen Steuervorteil gelten machen kann. Umgekehrt ist der Begriff des „Steuerpflichtigen“ beziehungsweise des „Unternehmers“ so auszulegen, dass ein redlicher Leistungsempfänger (Vorsteuerabzug) beziehungsweise Lieferant (Steuerbefreiung), der alles in seiner Macht Stehende getan hat, um zu kontrollieren, ob der von ihm getätigte Umsatz mit einem Be 168
Offenlassend Ismer / Schwarz, MwStR 2019, 348 (350). Vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 405 f.; Drüen, MwStR 2015, 841 (854); Ismer / Schwarz, MwStR 2019, 348 (350). 170 Vgl. BGH, Beschl. v. 8.2.2011 – 1 StR 24/10, NJW 2011, 1616 (1617), Rn. 24. 171 BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 (39); Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August 2015), Rn. 112; Herresthal, Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, S. 308, m. w. N. 172 Vgl. Wäger, UR 2020, 45 (48). 169
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trug oder einem Missbrauch behaftet ist,173 der umsatzsteuerliche Vorteil gewährt werden muss, obwohl materielle Voraussetzungen (wie die Unternehmereigenschaft des Geschäftspartners) nicht vorliegen.174 Dies ist insoweit vergleichbar mit der Absichtsbesteuerung beim „erfolglosen Unternehmer“, die dazu führt, dass die Leistungskette entgegen dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer bei einem Vorsteuerabzugsberechtigten endet175. Die schützenswerte Absicht des Unternehmers ist in der Lage, dieses Ergebnis zu rechtfertigen. Dadurch kommt es zu keinem neuen subjektiven Tatbestandsmerkmal der „Gutgläubigkeit“,176 sondern es kommt allein darauf an, ob der Unternehmer im Rahmen der ihm obliegenden Nachweisführung davon ausgehen durfte, dass der Tatbestand des beantragten Steuervorteils vorliegt. Beruht der Versagungsgrund auf nicht erkennbaren Mängeln im materiellen Tatbestand, muss das Finanzamt nachweisen, dass es sich um eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch in der Leistungskette gehandelt hat und der Unternehmer davon wusste oder hätte wissen müssen.177 Damit wäre wiederum das nationale Recht lückenhaft, wenn es vorsehen würde, dass der gutgläubige Unternehmer einen Negativbeweis zu führen hätte. b) Planwidrige Regelungslücke als zwingende Voraussetzung Man wird den dargestellten Vorgang rechtsmethodisch als teleologische Extension – parallel zu teleologischen Reduktion bei der Bösgläubigkeit – erfassen müssen.178 Für eine teleologische Extension des Unternehmerbegriffs in § 2 UStG bedarf es einer planwidrigen Regelungslücke.179 Dies wirft Probleme im Zusammenhang mit der Ablehnung einer Analogiefähigkeit des § 6a Abs. 4 UStG auf [dazu aa)]. Gelöst werden kann dieser Konflikt unter Heranziehung der sogenannten „Quelle-Rechtsprechung“ des BGH [dazu bb)]. aa) Analoge Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG? Teilweise wird in der Literatur vorgeschlagen, den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht durch eine analoge Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG in anderen Teilbereichen als den innergemeinschaftlichen Lieferungen anzuwenden.180 Für 173
EuGH, Urt. v. 6.9.2012, Rs. C-273/11, Mecsek-Gabona, DStR 2012, 1917 (1921), Rn. 47. Vgl. Heidner, UR 2002, 445 (451). 175 Vgl. dazu Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1595), m. w. N. zur älteren Rspr. 176 A. A. Heuermann, MwStR 2017, 729 (730, 734, 738). 177 Vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 409. 178 Allg. dazu Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 145 f., 148; Herresthal, Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, S. 335, 337 f. 179 Vgl. allg. Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August 2015), Rn. 114; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 480. 180 So Becker, UR 2009, 664 (667 ff.); dies., Ortsbestimmung von sonstigen Leistungen, S. 225 f.; Lohse / Spilker / Zitzl, UR 2010, 633 (639 f.). 174
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das rechtsmethodische Instrument einer Analogie bedarf es einer planwidrigen Regelungslücke [dazu (1)) und einer vergleichbaren Interessenlage (dazu (2)].181 Im Ergebnis kann allerdings keines von beiden vorliegend bejaht werden. (1) Keine planwidrige Regelungslücke In der Literatur wird die Planwidrigkeit einer Regelungslücke vorwiegend damit begründet, dass der Gesetzgeber im Zeitpunkt des Erlasses der Vertrauensschutzregelung in § 6a Abs. 4 UStG zwar planmäßig erkannt habe, dass die primärrechtlichen Grundsätze, aus denen der EuGH den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht ableitet, schon immer übergreifend existierten, dies aber planwidrig nicht in allen Teilbereichen des Umsatzsteuergesetzes berücksichtigt habe.182 Diese Argumentation führt auf die Problematik zurück, ob eine ausgebliebene Regelung tatsächlich eine vom Gesetzgeber planwidrig übersehene Lücke darstellt oder ob eine gewisse Rechtsfolge im Sinne einer Negativlösung gerade nicht eintreten soll („argumentum e contrario“).183 Zur Abgrenzung eines „qualifizierten“ Schweigens des Gesetzgebers von einem schlichten Ausbleiben einer Regelung muss auf den gesetzgeberischen Willen abgestellt werden.184 Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Vertrauensschutzregelung in § 6a Abs. 4 UStG nach der Gesetzesbegründung185 explizit nur zur Umsetzung der Regelungen über den innergemeinschaftlichen Warenaustausch erfolgte.186 Weitere Vertrauensschutz regelungen in den übrigen Teilbereichen des Umsatzsteuergesetzes hat der Gesetzgeber nicht planwidrig übersehen oder planwidrig nicht mehr geregelt. Dass das Problem der Falschangaben des Geschäftspartners beispielsweise auch innerhalb des Vorsteuerabzugsrechts auftritt, war dem Gesetzgeber durchaus bekannt. Die von Seiten der damaligen Regierungsfraktionen vorgeschlagene Textstelle, welche innerhalb des Vorsteuerabzugsrechts nur Rechnungen zum Zwecke des Vorsteuerabzugs zuließ, die „vollständig und richtig“ sind,187 wurde vom Finanzausschuss als für den Leistungsempfänger „unverhältnismäßig“ kritisiert188 und daraufhin
181
Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (Februar 2015), Rn. 692; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 24 f.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 205; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 477. 182 Becker, UR 2009, 664 (668). 183 Vgl. dazu Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 44. 184 Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, S. 122. 185 BT-Drucks. 12/2463, S. 31. 186 So auch BFH, Urt. v. 6.5.2004 – V B 101/03, BFHE 205, 416 (418 f.) = DStRE 2004, 908 (909); BFH, Beschl. v. 2.3.2006 – V R 7/03, BFHE 213, 127 (131); BFH, Urt. v. 30.7.2008 – V R 7/03, BFHE 223, 372 (380) = IStR 2009, 139 (141); BFH, Beschl. v. 26.3.2009 – V B 179/07, BFH / N V 2009, 1477 (1478 f.); BFH, Urt. v. 29.3.2016 – XI B 77/15, BeckRS 2016, 94852; Rn. 28; Stapperfend, UR 2013, 321 (323); Weymüller, in: Weymüller2, § 6 UStG, Rn. 107. 187 BT-Drucks. 15/1562, S. 14. 188 BT-Drucks. 15/1945, S. 14.
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gestrichen.189 Dies zeigt, dass der Gesetzgeber das Problem des Vertrauensschutzes im Vorsteuerabzugsrecht erkannt, aber eben nicht wie in § 6a Abs. 4 UStG explizit geregelt hat. Diese Regelung spiegelt – wie gesehen – nur deklaratorisch die unionsrechtlichen Vorgaben wider und hätte gar nicht geregelt werden müssen.190 Der rechtsmethodische Weg für eine Integration des Vertrauensschutzes in die nationale Rechtsordnung ist folglich nicht in einer analogen Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG zu suchen,191 sondern in einer Auslegung des nationalen Rechts anhand des Unionsrechts.192 (2) Keine vergleichbare Interessenlage Im Übrigen ist § 6a Abs. 4 UStG hinsichtlich seiner Interessenlage nur dahingehend mit anderen Teilbereichen des Umsatzsteuergesetzes vergleichbar, dass ein begehrter Steuervorteil unter der Berücksichtigung des subjektiven Vorstellungsbilds des Unternehmers gewährt werden soll.193 Die speziell für innergemein schaftliche Lieferungen in § 6a Abs. 4 S. 2 UStG geschaffene Steuerschuldverlagerung ist im Hinblick auf die Struktur des § 6 UStG oder des § 15 Abs. 1 UStG nicht analogiefähig.194 Zudem kann der liefernde Unternehmer, anders als bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung, Ausfuhrbelege als Nachweis vorlegen.195 Überzeugender ist es daher den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht sachbezogen durch unionsrechtskonforme Auslegung des Unternehmerbegriffs und unter der Berücksichtigung der jeweiligen Spezifika des betroffenen Teilbereichs zu gewährleisten [näher dazu im Folgenden unter bb)]. (3) Zwischenergebnis Die nationale Vertrauensschutzregelung in § 6a Abs. 4 UStG kann nicht analog auf weitere Teile des Umsatzsteuergesetzes angewendet werden. Lehnt man eine planwidrige Regelungslücke ab, besteht aus rechtsmethodischer Sicht ein erhöhter 189
Englisch, UR 2009, 181 (185). Siehe Seite 124 f. 191 So i.Erg. auch BFH, Urt. v. 6.5.2004 – V B 101/03, BFHE 205, 416 (418 f.); Stapperfend, UR 2013, 321 (323); Weymüller, in: Weymüller2, § 6a UStG, Rn. 376; Dietlein, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 42 ff.; Handzik, in: Offerhaus / Söhn / Lange, § 6a UStG (April 2016), Rn. 317; Weimann, UStB 2009, 273; Widmann, in: FS für J. Lang, S. 913 (920); Radeisen, in: Hartmann / Metzenmacher, § 6 UStG (Mai 2015), Rn. 756. 192 Vgl. Dietlein, UR 2004, 531 (532), der aufgrund des deklaratorischen Charakters des § 6a Abs. 4 UStG ebenfalls den rechtsmethodischen Weg über eine (dort: verfassungskonforme) Auslegung des nationalen Rechts wählt. 193 A. A. Becker, UR 2009, 664 (668 f.). 194 Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6. Teil B. 195 Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6. Teil B; Weimann, UStB 2009, 273. 190
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Begründungsaufwand für eine teleologische Extension des Unternehmerbegriffs zur Berücksichtigung der Gutgläubigkeit, da keine anderweitige Rechtsfortbildung zulässig sein kann, wo eine Analogie verboten ist196. bb) Quelle-Rechtsprechung des BGH Der BGH kam in seiner sogenannten „Quelle-Rechtsprechung“ zu dem Ergebnis, dass die in § 439 Abs. 4 BGB a. F. vorgesehene Pflicht zur Zahlung eines Nutzungsersatzes in Fällen des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB) zugunsten des Verbrauchers durch richtlinienkonforme Rechtsfortbildung einschränkend anzuwenden sei.197 Eine planwidrige Regelungslücke lasse sich nach Auffassung des BGH mit der Argumentation begründen, dass der Gesetzgeber bei der Umsetzung des Sekundärrechts nicht gegen Unionsrecht verstoßen wollte, aber seine Annahme, die Regelung sei richtlinienkonform, fehlerhaft ist.198 Die Gerichte sind demnach über eine bloße Auslegung im engeren Sinne hinaus verpflichtet, (durch Rechtsfortbildung) einen richtlinienkonformen Rechtszustand herzustellen.199 Diese Argumentation lässt sich auf die begünstigende Gewährung eines Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht übertragen. Die zu schließende Lücke – hier in dem Sinne, dass ein gutgläubiger Steuerpflichtiger den Steuervorteil nicht gewährt bekommen soll – kann folglich rechtsmethodisch mit einer teleologischen Extension des Unternehmerbegriffs in § 2 UStG begegnet werden. Liegt beispielsweise die Unternehmereigenschaft des Geschäftspartners objektiv nicht vor, ohne dass der Unternehmer daran hätte zweifeln müssen, dann ist das nationale Recht im Einklang mit der ausgelegten Mehrwertsteuersystemrichtlinie so anzuwenden, dass einem „Unternehmer“ im Sinne des § 2 UStG, der auf die Rechtmäßigkeit seines Umsatzes und den damit verbundenen Steuervorteilen vertraut hat, dieser Steuervorteil zu gewähren ist, wenn ihm die Beteiligung an einer Steuerhinterziehung oder einem Missbrauch von Seiten der Finanzbehörde nicht nachgewiesen werden kann. Der Typus des umsatzsteuerlichen Unternehmers erlangt so unter dem Einfluss des Unionsrechts eine neue Ausformung. Im Falle einer Belastungswirkung des Privaten ist eine Abgrenzung zwischen unmittelbarer Anwendung des Unionsrechts und einer unionsrechtskonformen Auslegung notwendig, da keine unmittelbare Wirkung der Richtlinie zu Lasten von
196 Vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 194 f.; siehe ferner Barth, Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht, S. 69 f. 197 BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 = NJW 2009, 427, 3. Leitsatz. 198 BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 (36 f.) = NJW 2009, 427 (429), Rn. 25 und 2. Leitsatz; vgl. Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August 2015), Rn. 114; Kokott / Henze, in: FS für W. Spindler, S. 279 (289); Möllers, Juristische Methodenlehre, § 8, Rn. 68 f. 199 Höpfner, EuZW 2009, 159 (160).
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Privaten angenommen werden darf.200 Es erscheint allerdings aufgrund der Pflicht des nationalen Richters, das innerstaatliche Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um das in ihr vorgesehene Ziel zu erreichen,201 überzeugend, vorrangig eine unionsrechtskonforme Auslegung im weiteren Sinne (Rechtsfortbildung) anzunehmen.202 Aufgrund des gesetzgeberischen Willens, eine unionsrechtskonforme Regelung zu treffen,203 sind nicht vollständig berücksichtigte Wertentscheidungen der ausgelegten Richtlinie (hier: der Schutz des gutgläubigen Steuerpflichtigen) im Sinne einer zulässigen teleologischen Extension systemgerecht im nationalen Umsetzungsrecht weiterzuverfolgen.204 Eine nach dem Unionsrecht zu hohe Risikoverteilung zulasten des Unternehmers (auch jenseits der innergemeinschaftlichen Lieferungen) stellt einen planwidrigen Zustand dar.205 Eine dem entgegenwirkende richterlichen Rechtsfortbildung kommt zwar keinesfalls eine „höhere Dignität als das ‚Hauptgeschäft‘ […] der Aktualisierung der unmittelbar anwendbaren Rechtsnormen […] des Einzelfalls“206 zu. Sie ist aber – wie hier – ein entscheidendes Instrument zur Integration und Umsetzung des sehr dynamischen Unionsrechts.207 c) Vergleich mit Rückzahlung unionsrechtswidriger Beihilfen Im Problemkreis der Rückzahlung unionsrechtswidriger Beihilfen208 ergeben sich ebenfalls weitläufige Veränderungen am nationalen Verfahrensrecht.209 Die Behörde kann demnach durch unionsrechtskonforme Auslegung oder – soweit nicht möglich – unmittelbarer Anwendung des Unionsrechts zu einer Rücknahme 200 EuGH, Urt. v. 26.2.1986, Rs. 152/84, Marshall, Slg. I 1986, 723 (749), Rn. 48; vgl. Hey, StuW 2010, 301 (307); Wernsmann, in: HHSp, § 4 AO (August 2015), Rn. 114. 201 Siehe die Nachweise in Teil II, Fn. 115. 202 So auch Kokott / Henze, in: FS für W. Spindler, S. 279 (290). 203 Vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 (36 f.), Rn. 25. 204 Vgl. dazu Barth, Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht, S. 233; Spetzler, RIW 1991, 579 (581 f.); Möllers, Juristische Methodenlehre, § 8, Rn. 81; Drüen, in: Tipke / K ruse, § 4 AO (Oktober 2011), Rn. 286, 382; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 232 f.; krit. Weber, Grenzen EU-rechtskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 135 f. 205 Eine zu hohe Risikobelastung des Unternehmers hatte der Gesetzgeber etwa auch im Vorsteuerabzugsrecht gar nicht beabsichtigt, vgl. BT-Drucks. 15/1945, S. 14. 206 So bereits Flume, in: StbJb. 1964/65, S. 55 (67 f.). 207 Vgl. dazu Hager, Rechtsmethoden in Europa, S. 283 ff. 208 Grundl. EuGH, Urt. v. 20.3.1997, Rs. C-24/95, Alcan, Slg. I 1997, 1591 = NJW 1998, 47. 209 Siehe dazu Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 137; dens., in: HHSp, § 130 AO (Mai 2017), Rn. 95; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, S. 462 ff., 482 f.; Grube, Der Einfluss des unionsrechtlichen Beihilfeverbots auf das deutsche Steuerrecht, S. 76, die mangels einschlägiger nationaler Korrekturnormen den nationalen Gesetzgeber in der Pflicht sieht, eine eigenständige Änderungsvorschrift zu erlassen. Vgl. Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 91 dort Fn. 455, der auf schon viel substanziellere „Verbiegungen“ des nationalen Rechts durch das Unionsrecht hinweist.
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eines begünstigenden Verwaltungsaktes auch dann verpflichtet sein, wenn die nationale Rücknahmefrist (vgl. §§ 48 Abs. 4 VwVfG, 130 Abs. 3 AO) abgelaufen ist.210 Die Integration des unionsrechtlichen Vertrauensschutzes innerhalb des nationalen Umsatzsteuerrechts scheint durch diese vergleichende Wertung weitaus weniger rechtsmethodische Probleme hervorzurufen. Durch die dargestellte unionsrechtskonforme Rechtsfortbildung ergibt sich ein unionsrechtskonformer Zustand innerhalb der nationalen Rechtsordnung sowohl im Hinblick auf die Behandlung eines bösgläubigen Wirtschaftsteilnehmers als auch auf den Schutz eines gutgläubigen Unternehmers. III. Zwischenfazit Die Auslegung des „Steuerpflichtigen“-Begriffs in den Tatbeständen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie kann in zwei Richtungen erfolgen. Zum einen ist der bösgläubige Wirtschaftsteilnehmer nicht darunter zu verstehen. Der objektive Tatbestand des beantragten Steuervorteils liegt in seinem Fall nicht vor. Zum anderen ist dem gutgläubigen Unternehmer im Sinne einer Beweislastverteilung auch der beantragte steuerliche Vorteil zu gewähren, wenn die Nachweise formell korrekt erfolgt sind, sich aber später Mängel im materiellen Tatbestand herausstellen und der Finanzbehörde ein Nachweis der Kenntnis oder des Kennenmüssens einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs in der Leistungskette nicht gelingt. Diese Vorgaben sind durch unionsrechtskonforme Rechtsfortbildung in das nationale Recht zu transferieren. Hierdurch bleibt eine Kollision zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht aus, sodass es nicht mehr auf den unmittelbaren Anwendungsvorrang des Unionsrechts ankommt211 und eine unionsrechtskonformer Zustand schonender mittels unionsrechtskonformer Auslegung (im weiteren Sinne) hergestellt werden kann.212
B. Verfahrensrechtliche Geltendmachung des Vertrauensschutzes Nachdem der Vertrauensschutz im Umsatzsteuergesetz rechtsmethodisch inte griert wurde, kommt es im nächsten Schritt auf dessen verfahrensrechtliche Geltendmachung an. Wie schon in der Einleitung aufgegriffen, wird die verfahrensrechtliche Geltendmachung des Vertrauensschutzes bei Falschangaben des Geschäftspartners kontrovers diskutiert. 210
Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 137; ders., in: HHSp, § 130 AO (Mai 2017), Rn. 95. 211 Siehe zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts Schaumburg, in: Schaumburg / Englisch2, Europäisches Steuerrecht, Rn. 4.18 ff. 212 Vgl. in Bezug auf das Verhältnis einer gemeinschaftsrechtskonformen (jetzt: unionsrechtskonformen) Auslegung des nationalen Rechts zur unmittelbaren Anwendbarkeit Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 233.
§ 9 Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im nationalen Recht
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I. Stand der Diskussion Die erste Positionierung des BFH zum Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht lässt sich in zwei Grundsatzentscheidungen aus den Jahren 1978 und 1986 finden.213 Demnach sei ein Vertrauensschutz hinsichtlich fehlender objektiver Tatbestandsmerkmale im Vorsteuerabzugsrecht ausdrücklich nicht vorgesehen. Es ergingen etliche Folgeentscheidungen des BFH, die an dieser strengen Sichtweise festhielten.214 Bis heute ist diese Rechtsprechung aufrechterhalten worden.215 Die Risikoverteilung zulasten des Unternehmers könne nur in einem Billigkeitsverfahren gemäß §§ 227, 163 AO wieder ausgeglichen werden, welches mit dem Festsetzungsverfahren gemäß § 163 Abs. 2 AO verbunden werden kann.216 Diese rechtliche Würdigung stößt nunmehr auf Kritik aus den eigenen Reihen des BFH.217 In einem AdV-Verfahren aus dem Jahr 2014 äußerte sich der XI. Senat des BFH zur verfahrensrechtlichen Berücksichtigung des Vertrauensschutzes wie folgt: „Unentschiedenheiten oder Unsicherheiten bestehen […] in der Beurteilung der Rechtsfrage, ob mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH […] der Leistungsempfänger zum Abzug der Vorsteuerbeträge berechtigt ist, wenn er auf die Angaben des Lieferanten vertraute und sich diese Angaben als falsch herausstellen. […]. Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage war die beantragte AdV zu gewähren […].“218 Der V. Senat des BFH schloss sich diesen Zweifeln in einem AdV-Beschluss aus dem Jahr 2015 an: „Die Beurteilung der Rechtsfrage, ob im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH zum Gutglaubensschutz im Festsetzungsverfahren der Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wenn er auf die Angaben des Lieferanten 213 BFH, Urt. v. 19.10.1978 – V R 39/75, UR 1979, 86 (87) mit Anm. Weiß, UR 1997, 88; BFH, Urt. v. 24.4.1986 – V R 110/76, UR 1988, 188 (189) mit Anm. Weiß, UR 1988, 189 f.; siehe dazu Leipold, Personelle Zurechnung von Umsätzen und Vorsteuerabzug, S. 228; a. A. bereits Weiß, UR 1976, 1 (2 ff.). 214 BFH, Urt. v. 8.12.1988 – V R 28/84, UR 1989, 123 (125) mit Anm. Weiß, UR 1989, 125 f.; BFH, Beschl. v. 30.10.2001 – V B 92/01, BFH / N V 2002, 381; Leipold, Personelle Zurechnung von Umsätzen und Vorsteuerabzug, S. 228, m. w. N. 215 BFH, Urt. v. 8.10.2008 – V R 63/07, BFH / N V 2009, 1473 (1476); BFH, Beschl. v. 13.2.2008 – XI B 202/06, BFH / N V 2008, 1216; BFH, Beschl. v. 12.3.2008 – XI B 206/06, BFH / N V 2008, 1212 (1213); BFH, Urt. v. 8.7.2009 – XI R 51/07, BFH / N V 2010, 256 (257); BFH, Beschl. v. 15.2.2008 – XI B 180/07, BFH / N V 2008, 1169; BFH, Urt. v. 30.4.2009 – V R 15/07, DStR 2009, 1427 (1430); BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, DStR 2015, 2073 (2075) mit Anm. Heuermann, DStR 2015, 2077 f.; FG München, Gerichtsbescheid v. 21.6.2010 – 14 K 4034/07, BeckRS 2010, 26029453, Rn. II.; FG Düsseldorf, Urt. v. 14.3.2014 – 1 K 4567/10 U, BeckRS 2015, 94603, Rn. B. I.2.; FG Hamburg, Urt. v. 30.9.2015 – 5 K 85/12, BeckRS 2016, 94090, Rn. I.1.; FG Hessen, Urt. v. 12.4.2016 – 6 K 2281/12, BeckRS 2017, 94626, Rn. 1.b. 216 Jüngst BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, DStR 2015, 2073 (2075), Rn. 31 ff. mit Anm. Heuermann, DStR 2015, 2077 (2077 f.), m. w. N. 217 Vgl. Wäger, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1595). 218 BFH, Beschl. v. 26.9.2014 – XI S 14/14, MwStR 2015, 465 (467), Rn. 37 und 40. Kurz zuvor war das FG Düsseldorf mit Urt. v. 14.3.2014 – 1 K 4567/10 U, BeckRS 2015, 94603, Rn. B. I.2. noch gegenteilig davon ausgegangen, dass diese Frage „in der Rechtsprechung des BFH geklärt“ sei. Siehe auch Möller, Umsatzsteuerrecht, Rn. 745.
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vertraut hat, diese Angaben sich aber später als falsch herausstellen, ist ernstlich zweifelhaft.“219 Beide Umsatzsteuersenate sahen sich daraufhin veranlasst, den EuGH in unterschiedlichen Verfahren unter anderem zur verfahrensrechtlichen Berücksichtigung des Vertrauensschutzes zu befragen.220 In der Literatur wurde dies als Bestätigung für bestehende Unsicherheiten in der Rechtsprechung angesehen.221 Obwohl der BFH weiterhin daran festhält, einen Vertrauensschutz im Vorsteuerabzugsrecht nur im Wege eines Billigkeitsverfahrens gemäß §§ 163, 227 AO zu gewähren,222 haben einige Finanzgerichte den Vertrauensschutz des Unternehmers bereits im Festsetzungsverfahren gewährt.223 Insgesamt ist sehr klärungsbedürftig, ob ein Billigkeitsverfahren der rechtlich überzeugende Weg ist, um im Umsatzsteuerrecht einen Vertrauensschutz zu gewähren.224 Insbesondere stellt sich die Frage, ob durch die ausschließliche Berücksichtigung des Vertrauens innerhalb eines Billigkeitsverfahrens gemäß §§ 163, 227 AO der Effektivitätsgrundsatz gewahrt ist.225 Überwiegend spricht sich die Literatur demgegenüber dafür aus, dass eine Ersetzung fehlender objektiver Tatbestandsmerkmale des Vorsteuerabzugs durch einen Vertrauensschutz nach dem subjektiven Vorstellungsbild des leistungsempfangenden Unternehmers möglich sei.226 Der Weg des Vertrauensschutzes erfolge über eine materielle Betrachtungsweise im Tatbestand des betroffenen umsatzsteuerlichen Teilbereichs.227 Da der Vertrauensschutz als Teil des materiellen Rechts innerhalb eines ungeschriebenen subjektiven Tatbestands Berücksichtigung finde,
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BFH, Beschl. v. 18.2.2015 – V S 19/14, BFH / N V 2015, 866, Leitsatz. Zunächst erfolgte dies durch den XI. Senat des BFH mit Beschl. v. 6.4.2016 – XI R 20/14, MwStR 2016, 668, Rn. 56 ff. Dann in einem späteren Verfahren erneut durch den V. Senat des BFH mit Beschl. v. 21.9.2016 – V R 29/15, DStR 2017, 27, Rn. 79 f. Beide Male sah der EuGH die Vorlagefragen als nicht entscheidungserheblich an, vgl. EuGH, Urt. v. 15.11.2017, Rs. C-374/16, C-375/16, Geissel und Butin, DStR 2017, 2544 (2548), Rn. 51 und EuGH, Urt. v. 31.5.2018, Rs. C-660/16, C-661/16, Kollroß und Wirtl, DStR 2018, 1171 (1175), Rn. 70. 221 Reiß, MwStR 2017, 444 (447 f.); Stadie, MwStR 2016, 895 (898 f.). 222 BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, DStR 2015, 2073 (2075), Rn. 31; vgl. auch BFH, Urt. v. 18.2.2016 – V R 62/14, DStR 2016, 960 (962), Rn. 22 mit Anm. Heuermann, DStR 2016, 963; zust. ders., in: StbJb. 2015/16, S. 425 (438 f.). Dass die Gewährung von Vertrauensschutz oftmals im Zusammenhang mit einer Billigkeitsprüfung steht, wurde in der Literatur schon früh festgestellt, vgl. allg. Huber, in: FS für W. Kägi, S. 193 (200 ff.); Pernice, Billigkeit und Härteklauseln im öffentlichen Recht, S. 515 ff. 223 So etwa FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 4.6.2013 – 5 V 5022/13 (rkr.), DStRE 2014, 364 (365); FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.11.2015 – 5 K 5187/15; BeckRS 2016, 95652; FG Münster, Beschl. v. 12.12.2013 – 5 V 1934/13 U, BeckRS 2014, 94456; FG Sachsen, Beschl. v. 4.3.2014 – 4 V 297/13, BeckRS 2014, 95152. 224 Krit auch Grube, MwStR 2017, 541; Oelmaier, in: Sölch / R ingleb, § 15 UStG (März 2018), Rn. 73; Schumann, DStR 2017, 2719 (2720 f.); Weymüller, MwStR 2015, 820 (821). 225 Verneinend statt vieler Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1076). 226 Statt aller Wäger, UR 2017, 41 (47); ders., UR 2018, 45 (74); ders., in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1591 (1603); siehe Teil I, Fn. 31, m. w. N. 227 Weymüller, in: Weymüller, § 14 UStG, Rn. 515.2. 220
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sei dieser zwingend im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen.228 Der Steuerpflichtige habe ein Recht auf Gewährung des umsatzsteuerlichen Vorteils (z. B. des Vorsteuerabzugs) und müsse diesem nicht in einem anschließenden Billigkeitsverfahren gemäß §§ 163, 227 AO „hinterherlaufen“.229 Die Finanzverwaltung wählt bei der Gewährung von Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht einen sehr zurückhaltenden Kurs.230 Die Finanzverwaltung befindet sich im Einklang mit der Rechtsprechung, wenn sie davon ausgeht, dass tatbestandlich ein Vertrauensschutz außerhalb des § 6a Abs. 4 UStG nicht vorgesehen ist, vgl. Abschn. 15.2a Abs. 6 Satz 10 UStAE. Der erkennbare Ansatz, zwischen nicht überprüfbaren Angaben und überprüfbaren Angaben zu unterscheiden,231 ist richtig. Allerdings wird die Finanzverwaltung in Zukunft den Vertrauensschutz als einen Ausfluss der Beweislastverteilung ansehen müssen. Gegenwärtig berücksichtigt die Finanzverwaltung jedenfalls im Ergebnis einen Vertrauensschutz außerhalb der Fälle des § 6a Abs. 4 UStG nicht innerhalb des Festsetzungsverfahrens, sondern wie die finanzgerichtliche Rechtsprechung allenfalls in einem nachgelagerten Billigkeitsverfahren nach §§ 227, 163 AO.232 II. Stellungnahme Im Hinblick auf den oben dargestellten Meinungsstreit können beide Seiten unterschiedliche Argumente vorbringen, die im Folgenden näher auf ihre Überzeugungskraft untersucht werden sollen.
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Weymüller, in: Weymüller, § 14 UStG, Rn. 515.2.; von Streit, UStB 2012, 288 (292); ders. / Luther, UStB 2016, 51 (57); a. A. ausdrücklich BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, DStR 2015, 2073 (2075), Rn. 31; BFH, Urt. v. 10.9.2015 – V R 17/14, NZWiSt 2016, 29 (33), Rn. 48. 229 Vgl. Lange, UR 2020, 595 (600). Nicht durchgesetzt hat sich die Auffassung von Leipold, Personelle Zurechnung von Umsätzen und Vorsteuerabzug, S. 233 f., der sogar einen Vertrauensschutz im Wege eines Billigkeitsverfahrens für nicht statthaft hält, da der Vertrauensschutz dadurch „ins Uferlose“ geraten würde, weshalb der Leistungsempfänger dem Rechtsschein des Leistenden „ausgeliefert“ sein müsse. 230 BMF-Schreiben v. 7.2.2014, IV D 2 – S 7100/12/10003 – DOK 2014/0116307, BStBl. I 2014, 271; OFD Frankfurt v. 5.6.2013 – S 7340 A – St 112, UR 2014, 74. Zu Recht krit. zu den dort nicht im Einklang mit Unionsrecht stehenden Auffassungen der Finanzverwaltung Maunz, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 135 (142 f.); Weber, NWB 2014, 3076 (3077 f., 3081); Pogodda, MwStR 2013, 496. 231 Vgl. Abschn. 15. 2a Abs. 6 Satz 5 UStAE. 232 Vgl. BMF-Schreiben v. 29.1.2004, IV B 7 – S 7280 – 19/04, BStBl. I 2004, 258, Rn. 87 ff.; vgl. Kraeusel, in: Reiß / K raeusel / Langer / Wäger, UStG-Kommentar, § 15 UStG (August 2019), Rn. 733.
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1. Verfahrensautonomie und Effektivitätsgrundsatz Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt der Grundsatz der Verfahrensautonomie.233 Wie die unionsrechtlichen Vorgaben verfahrensrechtlich zu berücksichtigen sind, wird durch die Mitgliedstaaten geregelt.234 Dies erweist sich als starkes Argument dafür, dass die Mitgliedstaaten selbst bestimmen können, in welchem Verfahren sie den Schutz des redlichen Unternehmers im Umsatzsteuerrecht berücksichtigen wollen.235 Gebunden sind die Mitgliedstaaten nur an den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz, vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV.236 Der Äquivalenzgrundsatz schreibt dabei im Sinne eines Diskriminierungsverbots vor, dass die anzuwendenden nationalen Vorschriften einen unionsrechtlichen Sachverhalt nicht nachteiliger behandeln dürfen als einen rein nationalen Sachverhalt.237 Daneben sieht der Effektivitätsgrundsatz vor, dass die Anwendung nationaler Vorschriften die Verwirklichung des Ziels der durchgeführten Bestimmungen nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert.238 Vor dem Hintergrund der hochrangigen Stellung, die der EuGH dem Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht beimisst, erscheint letzteres problematisch. a) Billigkeitserlass von Amts wegen? Der Effektivitätsgrundsatz wäre in jedem Fall gewahrt, wenn die Finanzbehörde bereits im Festsetzungsverfahren Vertrauensschutzgesichtspunkte berücksichtigen würde und gegebenenfalls unter Beachtung der Mitwirkungspflichten des Unternehmers von Amts wegen ein Billigkeitsverfahren einleitet, ohne dass dem Unternehmer ein Negativbeweis auferlegt wird.239 Ein solcher Verfahrensablauf wird sich allerdings aus heutiger Sicht kaum ereignen. Trotz der Möglichkeit, 233
Statt aller EuGH, Urt. v. 11.4.2019, Rs. C-691/17, PORR, MwStR 2019, 540 (543 f.), Rn. 39; siehe dazu Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 127; Krönke, Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, passim. 234 Krönke, Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, S. 28 ff.; Ludwigs, NVwZ 2018, 1417 (1419 f.). 235 Vgl. BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559 (566) = DStR 2015, 2073 (2075 f.), Rn. 32; Heuermann, MwStR 2015, 798 (801); Osterloh, UVR 2016, 207 (208). 236 EuGH, Urt. v. 13.7.2006, Rs. C-295 bis 298/04, Manfredi, Slg. I 2006, 6641 (6661 f.) = BeckRS 2006, 70529, Rn. 64; siehe dazu Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 137 f.; Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 182 ff.; Krönke, Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, S. 246 ff., S. 333 ff.; Hey, StuW 2010, 301 (304 ff.). 237 Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 137; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 10, Rn. 7 ff. 238 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.3.1997, Rs. C-24/95, Alcan, Slg. I 1997, 1591 (1616) = NJW 1998, 47, 48, Rn. 24; EuGH, Urt. v. 21.3.1990, Rs. 142/87, Kommission / Belgien, EuZW 1990, 224 (226) = BeckRS 2004, 71650, Rn. 61; Nettesheim, in: Oppermann / Classen / Nettesheim, Europarecht, § 12, Rn. 36; Wernsmann, in: Schulze / Janssen / Kadelbach4, § 31, Rn. 138, m. w. N. 239 Vgl. Meyer-Burow / Connemann, UStB 2014, 255 (257).
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von Amts wegen über die Billigkeitsmaßnahme zu entscheiden, wird in der Regel vom Steuerpflichtigen ein Antrag gefordert, in dem er die Voraussetzungen der Billigkeitsmaßnahme detailliert darlegen muss.240 Die Finanzämter werden durch Verfügungen dazu angehalten, den beantragten umsatzsteuerlichen Vorteil zu versagen.241 Sie überlassen es dem Unternehmer, einen Billigkeitsantrag zu stellen, in welchem er vollumfänglich die Beweislast tragen soll. Hinzu kommt eine „enge Stundungs- und Erlasspraxis“ der Finanzämter, welche mehr davon ausgehen, dass eine Steuer zu zahlen anstatt zu erlassen sei.242 Nicht selten belassen es die Finanzämter hinsichtlich der im Billigkeitsverfahren erforderlichen Individualbetrachtung bei allgemein gehaltenen Phrasen.243 Es verwundert daher nicht, wenn sich der Steuerpflichtige in einem Billigkeitsverfahren einer grundsätzlich abgeneigten Haltung der Finanzbehörde ausgesetzt sieht. Jedenfalls verstößt das Ergebnis, vom gutgläubigen Unternehmer Negativbeweise zu fordern, gegen unionsrechtliche Vorgaben.244 b) Ermessensreduzierung auf Null Auf die vorstehende Argumentation wird erwidert, dass das Ermessen der Behörde (vgl. § 102 FGO) innerhalb des Billigkeitsverfahrens gerichtlich überprüfbar auf Null reduziert sei.245 Der Finanzbehörde bleibe folglich gar keine andere Möglichkeit, als dem gutgläubigen Unternehmer den beantragten Steuervorteil innerhalb des Billigkeitsverfahrens zu gewähren. Im Übrigen sei das Billigkeitsverfahren regelmäßig nach § 163 Abs. 2 AO mit dem Festsetzungsverfahren zu verbinden.246 Dem ist entgegenzuhalten, dass sich das Verfahren dadurch aufteilt. Zum einen erfolgt das Festsetzungsverfahren, in welchem dem Unternehmer der begehrte Steuervorteil (wie etwa der Vorsteuerabzug) aufgrund der Falschangaben des Ge 240
Vgl. Rüsken, in: Klein, § 227 AO, Rn. 51; Jakob, Abgabenordnung, Rn. 285. Vgl. OFD Frankfurt v. 5.6.2013 – S 7340 A – St 112, UR 2014, 74. 242 So die anwaltliche Sichtweise: Streck / Kamps / Olgemöller, Der Steuerstreit, Rn. 1883, 1885. 243 Streck / Kamps / Olgemöller, Der Steuerstreit, Rn. 1885. 244 Zutreffend Maunz, in: Ismer / Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 135 (140). 245 Vgl. BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559 (566); BFH, Urt. v. 30.7.2008 – V R 7/03, BFHE 223, 372 (380); Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (438); dens., MwStR 2015, 798 (802); Sterzinger, DStR 2010, 2606 (2610); R. Schwarz, in: Widmann / Schwarz / Radeisen, § 6 UStG (September 2019), Rn. 521; vgl. Wahl, Schlussantr. v. 5.7.2017, Rs. C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin, MwStR 2017, 624 (629 f.), Rn. 74 f., der zwar Zweifel hinsichtlich der der Vereinbarkeit mit dem Effektivitätsgrundsatz äußert, aber bei einer Ermessensreduzierung auf Null keine Unterschiede mehr zum Festsetzungsverfahren erkennen will. 246 BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559 (566), Rn. 32; FG Saarland, Urt. v. 16.6.2011 – 1 K 1176/07 (rkr.), DStRE 2011, 947 (948); Heuermann, in: StbJb. 2015/16, S. 425 (438); ders., MwStR 2015, 798 (802). 241
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schäftspartners versagt wurde. Zum anderen erfolgt ein parallel verlaufendes Billigkeitsverfahren gemäß §§ 163, 227 AO, das darauf angelegt ist, die Steuer unter der Berücksichtigung des Vertrauens in die Angaben des Geschäftspartners anderweitig festzusetzen. Der Unternehmer wird nicht umhinkommen, einen Einspruch und gegebenenfalls eine Klage gegen die Versagung des Steuervorteils innerhalb des Festsetzungsverfahrens zu erheben, um die Bestandskraft des Bescheids zu hemmen.247 Wird daneben die Billigkeitsmaßnahme nach der Steuerfestsetzung gewährt, muss der festsetzende Steuerbescheid nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO geändert oder aufgehoben werden.248 Der nachträgliche Billigkeitsantrag verfolgt damit das Ziel, von einer ursprünglichen Festsetzung wieder abzuweichen.249 Der gutgläubige Steuerpflichtige kann innerhalb des Festsetzungsverfahrens schlicht nicht wissen, dass ihm der Steuervorteil versagt werden wird, weshalb ein Verweis auf eine Verfahrensverbindung vor Bekanntgabe der Steuerfestsetzung250 kein Argument für einen ausreichenden Schutz des Unternehmers sein kann.251 Es entstehen Prozesskosten und zeitlicher Aufwand.252 Dem Steuerpflichtigen soll zunächst die antragsgemäße Steuerfestsetzung versagt werden und im nächsten Schritt durch eine „180-Grad-Wende“ der Finanzbehörde doch gewährt werden, indem die Steuer aus Billigkeitsgründen anders – nämlich wie zuvor im Festsetzungsverfahren beantragt – festgesetzt wird.253 Es kommt dadurch zu einem erheblichen Aufwand für den Steuerpflichtigen, um das Ziel des Vertrauensschutzes zu erreichen. Der Vertrauensschutz wird durch das nachgelagerte Billigkeitsverfahren zwar nicht unmöglich gemacht. Das Billigkeitsverfahren lässt diesen aber in ein negatives Licht rücken, das nicht mit dem unionsrechtlichen Verständnis von einem Vertrauensschutz im Mehrwertsteuerrecht zu vereinbaren ist und dessen Durchsetzung erheblich erschwert. Dass der BFH eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO im Rahmen eines Billigkeitsverfahren nach § 163 AO bei zuvor abgelehntem Erlassantrag nur sehr eingeschränkt gewährt,254 macht diesen Umstand vermehrt deutlich.255 247
Vgl. Lange, UR 2020, 595 (598), der ebenfalls auf die unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Folgen beider Bescheide verweist. 248 BFH, Beschl. v. 18.3.1996 – V B 131/95, BFH / N V 1996, 692 (693). 249 Vgl. Weymüller, MwStR 2015, 820 (821). 250 So die Vorgabe des BFH, Urt. v. BFH, Urt. v. 22.7.2015 – V R 23/14, BFHE 250, 559 (566), Rn. 32; vgl. Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 902. 251 So auch Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1076); Weymüller, MwStR 2015, 820 (821); Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 902. 252 Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1076); dies., DStR 2016, 2313 (2320 f.). 253 Krit. auch Stadie, in: Rau / Dürrwächter, § 15 UStG (Mai 2019), Rn. 900; ähnlich Wagner, Diskussionsbeitrag, in: JbFSt. 2008/09, S. 595 (601), der davon ausgeht, dass „[das dann] mit Billigkeit […] als solcher nichts mehr zu tun [hat], da […] kein Ermessen mehr möglich ist“. 254 Vgl. etwa BFH, Beschl. v. 25.01.1983 – VII B 84/82, BeckRS 1983, 05318, wonach wirtschaftliche Gründe wie die drohende Vollstreckung des Steuerbescheids, Kreditaufnahme und Verkauf von Grundbesitz keine ausreichenden Motive für einen Anordnungsgrund nach § 114 FGO seien. 255 So auch FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 4.6.2013 – 5 V 5022/13 (rkr.), DStRE 2014, 364 (365); Drüen, DB 2010, 1847 (1850); Stapperfend, UR 2013, 321 (324 f.); Weymüller,
§ 9 Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im nationalen Recht
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c) Zusammenfassende Bewertung Für die Beurteilung, ob ein nachrangiges Billigkeitsverfahren dem Effektivitäts grundsatz entspricht, sind insbesondere dessen Verfahrensdauer, dessen Komplexität und damit verbundene unverhältnismäßige Schwierigkeiten zu berücksichtigen.256 Auch der EuGH stellt bei der Prüfung, ob eine nationale Verfahrensvorschrift das Unionsrecht unmöglich macht oder übermäßig erschwert, auf die Stellung der Vorschrift im gesamten Verfahren, den Verfahrensablauf und die Besonderheiten, die das nationale Verfahren beinhaltet, ab.257 Das Verfahren zieht sich durch den Billigkeitsantrag erheblich in die Länge.258 Zudem muss der Unternehmer zwei getrennte Verfahren durchlaufen, die im Wesentlichen den selben Umsatz betreffen.259 Ohne ausreichende rechtliche Beratung und den damit verbundenen Kosten, ist dies für einen rechtlich nicht versierten Unternehmer – den der EuGH im Übrigen ausdrücklich für schutzwürdig befunden hat260 – nicht zu bewältigen. Das Spannungsverhältnis zwischen nationaler Eigenständigkeit und Effektivitätsgrundsatz streitet umso mehr zugunsten des Effektivitätsgrundsatzes, je höher die Durchsetzung des in Frage stehenden Rechts unionsrechtlich gewährleistet wird.261 Der EuGH zeigt in mittlerweile zahlreichen Entscheidungen auf, von welch fundamentaler Bedeutung der Vertrauensschutz hinsichtlich der Angaben des Geschäftspartners und dessen Durchsetzung sind.262 Zudem ist die Möglichkeit der Rechtfertigung eines Verstoßes gegen den Neutralitätsgrundsatz äußerst begrenzt.263 Eine Berücksichtigung des Vertrauensschutzes in einem Billigkeitsverfahren ist deshalb trotz Verfahrensautonomie äußerst kritisch zu sehen.264 MwStR 2015, 820 (821); ders., in: Weymüller2, § 6 UStG, Rn. 107; Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1076). Allg. dazu K. Wagner, in: FS für H. W. Kruse, S. 735 (735 ff.). 256 Wahl, Schlussantr. v. 5.7.2017, Rs. C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin, MwStR 2017, 624 (629), Rn. 73; vgl. Lange, UR 2020, 595 (599). 257 EuGH, Urt. v. 14.12.1995, Rs. C-312/93, Peterbroeck, Slg. I 1995, 4599 (4621), Rn. 14; EuGH, Urt. v. 14.12.1995, Rs. C-430/93, Van Schijndel, Slg. I 1995, 4705 (4738), Rn. 19; vgl. dazu Herrmann / Kruis, EuR 2007, 141 (144 f.); Galetta, EuR-Beih 2012, 37 (41 ff.). 258 Vgl. Stapperfend, UR 2013, 321 (324); Drüen, DB 2010, 1847 (1850); Lange, UR 2020, 595 (600). 259 Vgl. Wahl, Schlussantr. v. 5.7.2017, Rs. C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin, MwStR 2017, 624 (629), Rn. 73, der darin einen Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz sieht. 260 EuGH, Urt. v. 18.05.2017, Rs. C-624/15, Litdana, MwStR 2017, 536 (540), Rn. 46. 261 Vgl. Kulms, Der Effektivitätsgrundsatz, S. 125; Bleckmann, Völkerrecht, Rn. 221. 262 Siehe nur EuGH, Urt. v. 25.10.2018, Rs. C-528/17, Milan, MwStR 2019, 103. Vgl. Zirkl, Die Neutralität der Umsatzsteuer als europäisches Besteuerungsprinzip, S. 262, die darüber hinaus auf den elementaren Grundsatz der Neutralität abstellt. 263 Kube, UR 2020, 590 (592 f.). 264 Vgl. Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 87 ff.; dens., DB 2010, 1847 (1850); Lange, UR 2020, 595 (599). A. A. Sterzinger, DStR 2010, 2606 (2609 f.); ohne nähere Begründung auch Ismer / Keyser, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 1 (11).
248
Teil III: Herleitung des Vertrauensschutzes
2. Billigkeitsverfahren trotz bereichsübergreifender Analogieunfähigkeit des § 6a Abs. 4 UStG? Ein Billigkeitsverfahren setzt stets das Vorliegen einer sachlichen oder persönlichen Unbilligkeit voraus.265 Persönliche Unbilligkeit meint mit Blick auf das Existenzminimum, dass eine Besteuerung nicht zu einer ernsthaften wirtschaftlichen Existenzgefährdung des Steuerpflichtigen oder seiner Familie führen darf.266 Die Verweisung auf ein gesondertes Billigkeitsverfahren zur Geltendmachung des Vertrauensschutzes beruht allerdings auf der Heranziehung einer sachlichen Unbilligkeit, die unabhängig von persönlichen Verhältnissen unmittelbar aus dem Gesetz hervorgeht, da die Steuerfestsetzung den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft.267 Das setzt wiederum voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen im Rahmen der Steuerfestsetzung anders geregelt hätte, wenn er die sachliche Unbilligkeit zuvor erkannt hätte.268 Dieser Aspekt gerät bei der Diskussion um die Gewährung des Vertrauensschutzes im Billigkeitsverfahren in Vergessenheit. Jedenfalls ist es erklärungsbedürftig, eine Analogie des § 6a Abs. 4 UStG aufgrund einer fehlenden planwidrigen Regelungslücke – zutreffend269 – abzulehnen und im nächsten Schritt bei der Anwendung des Billigkeitsverfahren zu suggerieren, dass es sich um einen Fall der sachlichen Unbilligkeit handelt, den der Gesetzgeber geregelt hätte, wenn er ihn zuvor erkannt hätte.270 Dieser rechtsmethodische Bruch ließe sich mit einem Verweis auf die „Quelle-Rechtsprechung“ des BGH271 auflösen, indem man für die Planwidrigkeit die dogmatische Anknüpfung bei einem missglückten, aber gewollten, Versuch des Gesetzgebers zur unionsrechtskonformen Umsetzung vornimmt. Dieser Aspekt wird allerdings – soweit ersichtlich – nicht in Erwägung gezogen, was verdeutlicht, dass das Billigkeitsverfahren in der vorliegenden Problematik als nationaler „Notbehelf“272 herangezogen wird und dessen Ausrichtung auf die Prüfung des Einzelfalls nur einen vermeintlichen Vorteil darstellt.
265 BFH, Urt. v. 18.9.2018 – XI R 36/16, BFHE 262, 297 (301) = DStRE 2019, 235 (236), Rn. 26; BFH, Urt. v. 02.12.2015 – V R 12/14, BFH / N V 2016, 437 (439), Rn. 28; Isensee, in: FS für W. Flume, Band II, S. 129 (141); Seer, in: Tipke / Lang, § 21, Rn. 333 ff. 266 Seer, in: Tipke / Lang, § 21, Rn. 339. 267 Vgl. BFH, Urt. v. 14.2.2019 – V R 47/16, BFHE 264, 76 (81 f.) = DStR 2019, 1086 (1089), Rn. 30; BFH, Urt. v. 27.9.2018 – V R 32/16, BFHE 262, 492 (496), Rn. 14; Oellerich, in: Gosch / Hoyer, § 163 AO (Januar 2017), Rn. 131; Fritsch, in: Koenig, § 227 AO, Rn. 20 a. E. 268 BFH, Urt. v. 27.9.2018 – V R 32/16, BFHE 262, 492 (496), Rn. 14. 269 Siehe Seite 235 ff. 270 Becker, UR 2009, 664 (669 f.); zust. Günther, Vertrauensschutz bei Angaben Dritter im Umsatzsteuerrecht, S. 279 f. 271 BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27. Siehe dazu Seite 238 f. 272 Diesen Begriff verwendet Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 87; ders., DB 2010, 1847 (1849).
§ 9 Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im nationalen Recht
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3. Künstliche Aufspaltung des Verfahrens Zu konstatieren ist, dass der Vertrauensschutz gegenwärtig nach der Rechtsprechung in Fällen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach § 6a Abs. 4 UStG im Festsetzungsverfahren berücksichtigt werden soll und in allen übrigen Teil bereichen ein nachgelagertes Billigkeitsverfahren nach §§ 163, 227 AO durchzuführen sei. Vor dem deklaratorischen Regelungsgehalt des § 6a Abs. 4 UStG macht diese Unterscheidung wenig Sinn.273 Die Regelung des § 6a Abs. 4 UStG beruht auf denselben unionsrechtlichen Grundlagen wie bei einer Berücksichtigung des Vertrauens in den übrigen Teilbereichen. Da die dogmatische Herleitung gleich ist, erscheint es trotz mitgliedstaatlicher Verfahrensautonomie nicht überzeugend, unterschiedliche Verfahren für die Geltendmachung des Vertrauensschutzes vorzusehen.274 Der durch das Billigkeitsverfahren bezweckte „Gleichklang beim Vertrauensschutz“275 ließe sich besser durch eine einheitliche Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im Festsetzungsverfahren erreichen, sodass diesbezüglich nicht zwischen den Teilbereichen abgewichen wird. 4. Beweislastverteilung als maßgebender Faktor Innerhalb des Billigkeitsverfahrens trägt der Steuerpflichtige die Feststellungs- und Beweislast.276 Er muss folglich nach dem Verständnis der Rechtsprechung selbst darlegen, dass er gutgläubig im Hinblick auf den streitigen Umsatz mit seinem Geschäftspartner gehandelt hat. Sieht man in der Gutgläubigkeit ein eigenständiges (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal, ergäben sich zum Festsetzungsverfahren keine wesentlichen Unterschiede, da der Steuerpflichtige eine sich aus diesem Tatbestandsmerkmal ergebende, ihn begünstigende Rechtsfolge nachweisen muss.277 Selbst wenn man dies so sieht, erscheint aber nicht erklärbar, wieso ein materielles subjektives Tatbestandsmerkmal (des Vorsteuerabzugs) ausschließlich im nachgelagerten Billigkeitsverfahren berücksichtigt werden soll. Überzeugend ist es, von einer beweislastverteilenden Wirkung der Nachweispflichten im jeweiligen betroffenen Tatbestand auszugehen. Hat der Unternehmer formal alle vorgeschriebenen Nachweispflichten eingehalten, muss die Finanzbehörde bei Mängeln im materiellen Tatbestand nachweisen, dass es sich in der Lieferkette um eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch gehandelt hat, 273 Vgl. Drüen, in: Dietlein / Drüen, Grundlagen und Reichweite des Vertrauensschutzes bei Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr, S. 91; dens., DB 2010, 1847 (1850); von Streit, UStB 2013, 201 (207); Beyer, StBW 2012, 85 (86); tendenziell krit. auch Robisch, in: Bunjes18, § 6a UStG, Rn. 98. 274 Krit. auch Lange, UR 2020, 595 (598). 275 Grube, jurisPR-SteuerR 9/2009, Anm. 6, Teil C. 276 Grube, MwStR 2015, 969 (970); dies., jurisPR-SteuerR 36/2016, Anm. 6, Teil C. 277 So Heuermann, MwStR 2017, 729 (738).
250
Teil III: Herleitung des Vertrauensschutzes
wovon der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen (§ 25f UStG).278 Gelingt dies nicht, ist der begehrte Tatbestand vertrauensschützend zwangsläufig im Festsetzungsverfahren zu gewähren. Auch kann eine Nachweisführung mit unzutreffenden nicht überprüfbaren Angaben schon für die Gewährung des materiellen Tatbestands ausreichend sein, sodass der Steuervorteil direkt im Festsetzungsverfahren zu gewähren ist.279 Im Übrigen wird in einem nachgelagerten Billigkeitsverfahren nach §§ 163, 227 AO die Beweislast – diametral zur Rechtsprechung des EuGH280 – dem gutgläubigen Unternehmer auferlegt.281 Die Finanzbehörde muss aber vielmehr die Steuer bei formell erbrachtem Nachweis der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen, aber einer Nichterweislichkeit der Bösgläubigkeit, zugunsten des Unternehmers festsetzen.282 5. Festsetzung nach „Auslegung“ des objektiven Tatbestands Schließlich kann ein Vertrauensschutz des gutgläubigen Steuerpflichtigen durch eine Auslegung der sekundärrechtlichen Vorgaben erreicht werden.283 Methodisch kann dies auf nationaler Ebene nicht anders erfolgen. Wie sich gezeigt hat, wird der Vertrauensschutz durch eine teleologische Extension des Unternehmerbegriffs (Auslegung im weiteren Sinne) in das nationale Recht integriert. Durch die direkte Anknüpfung an die Unternehmereigenschaft handelt es sich aber um eine Frage der Steuerfestsetzung. Es handelt sich nicht um eine Frage der nachträglichen Änderung durch Billigkeitserwägungen, sondern um eine Frage des materiellen Tatbestands des in Rede stehenden Steuervorteils.284 Aufgrund dieser rechtsmetho dischen Herleitung ist es nicht überzeugend, die Versagung umsatzsteuerlicher Vorteile aufgrund von Bösgläubigkeit (unstreitig) im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen und bei der Gewährung umsatzsteuerlicher Vorteile aus Gründen des Vertrauensschutzes nur auf ein nachgelagertes Billigkeitsverfahren zu verweisen.285
278
Vgl. dazu Seite 109 ff. So auch Achatz, SWK 2008, 86 (88); vgl. Englisch, in: Tipke / Lang, § 17, Rn. 342. 280 Vgl. dazu Seite Seite 110 ff. 281 So i.Erg. auch Grube, MwStR 2015, 969 (970); dies., jurisPR-SteuerR 36/2016, Anm. 6, Teil C; Spatscheck / Stenert, DStR 2016, 1070 (1076). 282 Maunz, in: Ismer Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht 2014, S. 135 (140). 283 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.2.2008, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, DStR 2008, 450, Rn. 29. Siehe dazu § 9 dieser Arbeit. 284 So auch Tehler, in: Rau / Dürrwächter, § 6 UStG (Januar 2014), Rn. 578; von Streit, UStB 2013, 201 (207); ders., UStB 2012, 288 (292); Hassa, UR 2015, 809 (821); tendenziell auch Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 196. 285 So i.Erg. auch Hartman, in: Musil / Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 15 UStG, Rn. 33 a. E.; von Streit, UStB, 2012, 288 (292); Lange, UR 2020, 595 (599). 279
§ 10 Zusammenfassung
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III. Ergebnis zur verfahrensrechtlichen Geltendmachung Der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht findet nach alledem seine verfahrensrechtliche Berücksichtigung im Festsetzungsverfahren. Die gegenteilige Auffassung des BFH, den Vertrauensschutz innerhalb eines nachgelagerten Billigkeitsverfahrens nach §§ 163, 227 AO zu berücksichtigen,286 ist abzulehnen.
§ 10 Zusammenfassung Der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht beruht auf (ungeschriebenen) primärrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts. Nach Auffassung des EuGH setzt er sich zusammen aus den Rechtsgrundsätzen der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes, welche die Mitgliedstaaten bei Vollzug des Unionsrechts zu beachten haben.287 Der Neutralitätsgrundsatz gebietet darüber hinaus, dass die Umsatzsteuer darauf angelegt sein muss, über den Preis der Ware oder Dienstleistung auf den Endverbraucher abgewälzt zu werden.288 Eine hoheitliche Indienstnahme des Unternehmers unter gleichzeitiger Übertragung des Risikos, dass dieser bei nicht erkennbaren Falschangaben des Geschäftspartners belastet wird, ist damit nicht zu vereinbaren. Dieses Ergebnis lässt sich auch aus den Grundrechten herleiten. Die Indienstnahme des Unternehmers zur Eintreibung der Umsatzsteuer stellt einen Eingriff in dessen unternehmerische Freiheit nach Art. 16 GrCh dar. Dieser Eingriff wird unverhältnismäßig, wenn dem Unternehmer dabei das Risiko auferlegt wird, endgültig mit Umsatzsteuer belastet zu werden, wenn es zu nicht erkennbar falschen und steuerschädlichen Angaben seines Geschäftspartners kommt.289 Da das Umsatzsteuerrecht zu sehr großen Teilen unionsrechtlich determiniert ist, ist der Anwendungsbereich des nationalen Verfassungsrechts entsprechend eingeschränkt.290 Eröffnet ist dieser aber, wenn die nationalen Regelungen auf „Kann-Bestimmungen“ der Mehrwertsteuersystemrichtlinie beruhen (so etwa im Fall des Art. 199 MwStSystRL).291 Das Schutzniveau ist dabei im Ergebnis nicht unterschiedlich. Um die unionsrechtlichen Vorgaben in das nationale Recht zu integrieren, ist zunächst die Mehrwertsteuersystemrichtlinie anhand des Primärrechts auszulegen.292 Der „Steuerpflichtige“ im Sinne des Art. 9 MwStSystRL ist so auszulegen, dass 286
Siehe die Nachweise in Teil I, Fn. 29. Siehe Seite 210 ff. 288 Siehe Seite 211. 289 Siehe Seite 212 ff. 290 Siehe Seite 218 ff. 291 Siehe Seite 224 f. 292 Siehe Seite 228 ff. 287
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Teil III: Herleitung des Vertrauensschutzes
einem Wirtschaftsteilnehmer, der von einem Betrug oder Missbrauch innerhalb seiner Leistungskette wusste oder hätte wissen können, keine umsatzsteuerlichen Vorteile zu gewähren sind.293 Entsprechend genießt ein gutgläubiger „Steuerpflichtiger“ Vertrauensschutz, wenn er alle von ihm geforderten Formerfordernisse eingehalten hat und ihm bei Mängeln im materiellen Tatbestand nicht nachzuweisen ist, dass es sich um einen Betrug oder um einen Missbrauch innerhalb seiner Leistungskette gehandelt hat und er hiervon Kenntnis hatte oder diese Kenntnis hätte haben müssen.294 Diese durch Auslegung erreichte sekundärrechtliche Vorgabe lässt sich durch eine entsprechende Auslegung des Unternehmerbegriffs in § 2 UStG in das nationale Recht transferieren. Der Vertrauensschutz ist im nächsten Schritt innerhalb des Festsetzungsverfahrens zu berücksichtigen.295
293
Siehe Seite 230 ff. Siehe Seite 233 ff. 295 Siehe Seite 243 ff. 294
Teil IV
Ausblick und Überlegungen de lege ferenda § 11 Gut- und Bösgläubigkeit im endgültigen Mehrwertsteuersystem Die Kommission strebt zur Einschränkung einer wettbewerbsverzerrenden Wirkung der Umsatzsteuer ein endgültiges Mehrwertsteuersystem innerhalb des europäischen Binnenmarkts an, in welchem gleichzeitig eine wirksame Betrugsund Missbrauchskontrolle stattfindet.1 Das endgültige Mehrwertsteuersystem sollte allerdings auch einen Schutz des gutgläubigen Steuerpflichtigen, der von hoheitlicher Seite in Dienst genommen wurde, stärker berücksichtigen.
A. Einheitliche europäische Lieferung („One-Stop-Shop“) Um die Betrugsfälle erkennbar einzudämmen, hat die Kommission vorgeschlagen, das System der Steuerfreiheit im Abgangsstaat bei gleichzeitiger Erwerbsbesteuerung im Abnehmerstaat abzuschaffen und ein System einer einheitlichen europäischen Lieferung zu verfolgen.2 Der Ort dieser Lieferung soll dann – wie bei innergemeinschaftlichen Dienstleistungen zwischen Unternehmern – im Bestimmungsland liegen und der liefernde Unternehmer soll die anfallende Steuer im Ursprungsland erklären (One-Stop-Shop).3 Die Steuerbefreiung im Ursprungsland soll damit einer Steuerpflicht des Lieferanten im Bestimmungsland weichen.4 Diese Vorschläge sind allerdings noch nicht beschlossen.5 Ein Vertrauensschutz bei Falschangaben des Geschäftspartners lässt sich durch die geplante Ortsverlagerung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen mit den Ausführungen zu innergemeinschaftlichen Dienstleistungen vergleichen.6 Sollte das System der einheitlichen europäischen Lieferung umgesetzt werden, was im Sinne einer wirksamen Betrugs- und Missbrauchsbekämpfung durchaus zu begrüßen wäre,7 bedarf es aber Regelungen, die festlegen, wann der liefernde Unternehmer von einer 1
Vgl. etwa KOM (2017), 569 endg., S. 2 ff. und die Mitteilung der Kommission v. 4.10.2017 zum Aktionsplan der Mehrwertsteuer, KOM (2017), 566 endg., S. 4 ff. 2 KOM (2018), 329 endg., S. 6; vgl. Sterzinger, UR 2018, 893 (893 f.). 3 Ismer / Schwarz, MwStR 2019, 348 (352 f.); Loy, DStR 2018, 1097 (1100 f.). 4 Vgl. Sterzinger, UR 2018, 893. 5 Ismer / Schwarz, MwStR 2019, 348 (353). 6 Siehe Seite 170 ff. 7 So auch Deckers, NZWiSt 2018, 105 (106).
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Teil IV: Ausblick und Überlegungen de lege ferenda
Ortsverlagerung ins Ausland ausgehen darf, ohne mit dem Risiko wirtschaften zu müssen, dass die Finanzbehörde die umsatzsteuerlichen Verhältnisse aufgrund zunächst nicht erkennbarer Umstände nachträglich zu Lasten des liefernden Unternehmers anders bewertet. Die Risikoverlagerung auf den in Dienst genommenen Unternehmer hat jedenfalls unionsrechtlich vorgegebene Grenzen.8
B. Klare Nachweispflichten zur Beweislastverlagerung Sieht man den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht als einen Ausfluss der Beweislastverteilung zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt, lässt sich dieser bereichsübergreifend nur dadurch verwirklichen, dass der Unternehmer durch klare und rechtsverbindliche Bestimmungen erfassen kann, was zum Nachweis eines begehrten umsatzsteuerlichen Vorteils notwendig ist.9 Mit Art. 45a MwSt-DVO wurde hierfür bereits vom europäischen Gesetzgeber der Anfang gemacht. Oftmals erfolgt die Versagung von Steuervorteilen durch die Finanz behörde aber noch ohne Benennung von klaren Anforderungen, die ihrerseits bei der Antragsstellung zu einer Schutzwürdigkeit des Antragstellers bei Falschangaben seines Geschäftspartners führen würden.10 Als prominentes Beispiel kann hier die misslungene Einführung der Haftung elektronischer Marktplatzbetreiber nach §§ 22f, 25e UStG11 genannt werden, die unter anderem gerade deshalb so scharf in der Kritik steht, weil der Sorgfaltsmaßstab gegenüber einzuholenden fremden Angaben völlig offen bleibt.12 Allgemein lässt sich festhalten, dass eine Indienst 8
Vgl. dazu bereits Nieskens, UR 2009, 408. Vgl. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8; Rn. 509. Vgl. Monfort, UR 2019, 407 (411), der den Art. 45a MwSt-DVO zutreffend als „Höchstgrenze“ gegenüber den §§ 17a ff. UStDV n. F. bezeichnet; Wenzel, NWB 2019, 3141 (3142). 10 Krit. auch Rödl / U. Grube, in: Wabnitz / Janovsky, Kap. 21, Rn. 151. 11 Siehe BGBl. I 2018, 2338. Grundsätzlich beruhen die Regelung auf dem sog. Digitalpaket. Der Rat der EU hatte am 5.12.2017 beschlossen, die Änderungsvorschläger der Europäischen Kommission zum E-Commerce anzunehmen, vgl. Pressemitteilung des Rates v. 5.12.2017, Nr. 734/17. Erfasst werden zum einen die Richtlinie (EU) 2017/2455 des Rates v. 5.12.2017 und zum andern die Verordnung (EU) 2017/2454 des Rates v. 5.12.2017 und die Durchführungsverordnung (EU) 2017/2459 des Rates v. 5.12.2017. Zwar treten diese unionsrechtlichen Vorgaben erst mit Wirkung zum Jahr 2021 in Kraft. Der deutsche Gesetzgeber wollte aber den drohenden Steuerausfällen bei Warenlieferungen im Onlinehandel schnellstmöglich entgegenwirken, sodass eine entsprechende Regelung im nationalen Recht mit Wirkung zum Jahr 2019 geschaffen wurde, vgl. BT-Drucks. 19/4455, S. 27; Zugmaier / Oldiges, DStR 2019, 15 (15 f.). Siehe zur Neuregelung BGBl. I 2020, 3096 (3119 f.). Nach zutreffender Ansicht sind unionsrechtliche Vorgaben auch im Falle einer vorauseilenden Umsetzung vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist zu beachten und nicht alleine am nationalen Maßstab zu messen, vgl. in Bezug auf eine unionsrechtskonforme Auslegung Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, S. 201, 204 f.; a. A. Ehricke, EuZW 1999, 553. 12 Vgl. EU-Kommission, Entscheidungen in Vertragsverletzungsverfahren v. 10.10.2019, S. 13 f. (siehe Internetadresse im Dokumentenverzeichnis). Krit. ebenso Ismer, Rechtsgutachten, S. 16 ff.; Luther, DB 2018, 1942 (1944); Prätzler, StuB 2018, 769 (772 ff.); ders. / Z awodsky, 9
§ 11 Gut- und Bösgläubigkeit im endgültigen Mehrwertsteuersystem
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nahme des Unternehmers nicht darauf angelegt sein darf, dass es dem Gesetzgeber nur auf einen Geldeingang ankommt und diesem dabei ganz gleichgültig ist, ob die endgültige Belastung bei einem Unternehmer oder dem Endverbraucher eintritt. Einem umsatzsteuerpflichtigen Unternehmer dürfen keine Pflichten auferlegt werden, die nicht erfüllbar sind.13 Schon gar nicht darf dieser Umstand im Nachhinein für Fiskalzwecke zu Lasten des Unternehmers herangezogen werden. Der europäische Gesetzgeber sollte diese Erwägungen bei der immer wieder aufkommenden Diskussion um eine Reform der Umsatzsteuer14 berücksichtigen. Er muss keine explizite Vertrauensschutzreglung schaffen, sondern vielmehr dem in Dienst genommenen Unternehmer klare Vorgaben machen, mit welchen Nachweisen er von der Tatbestandsmäßigkeit des begehrten Steuervorteils oder eines anderen umsatzsteuerlich günstigen Umstands (wie einer Ortsbestimmung) ausgehen kann, sodass sich die Beweislast im Sinne des Neutralitätsgrundsatzes auf die zuständige Finanzbehörde verlagert.
C. Überkompensation als willkommener Nebeneffekt? Wird innerhalb einer Leistungskette eine Steuerhinterziehung oder ein Missbrauch aufgedeckt, vermag dies die Finanzbehörde zu veranlassen, auf jeder Leistungsebene den Vorsteuerabzug beziehungsweise die Steuerbefreiung zu versagen. Kann mehreren Wirtschaftsteilnehmern eine Bösgläubigkeit hinsichtlich einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs in der Lieferkette nachgewiesen werden, kann die Versagung des umsatzsteuerlichen Vorteils bei jedem dieser Wirtschaftsteilnehmer zu einer Vermehrung des Steueraufkommens führen, die ohne Missbrauch oder Betrug nicht eingetreten wäre.15 I. Bereitwilligkeit des Gesetzgebers zur Überkompensation Innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens zu § 25f UStG, der den kaum zur Anwendung gekommenen § 25d UStG16 ablöst, hatte sich der Gesetzgeber hinsichtlich dieser Überkompensation offen gezeigt. Während der Referentenentwurf zu § 25f UStG noch eine Begrenzung des Steuerschadens auf die Höhe des in der Leis-
UStB 2018, 269 (275 ff.); Gehm, in: Hartmann / Metzenmacher, § 25e UStG (Juli 2019), Rn. 54; Deutscher Steuerberaterverband e. V. (DStV), Stellungnahme, BB 2018, 1685; Sterzinger, UR 2019, 1 (9); Höink / Einemann, BB 2019, 1116 (1119 ff.); Liegmann, UR 2019, 161 (165). 13 Vgl. Seiler, in: FS 100 Jahre BFH, Band II, S. 1761 (1770). 14 Umfassend Naumann, Harmonisiertes Mehrwertsteuersystem, S. 159 ff., 287 ff. Siehe ferner Englisch, World Journal of VAT / GST Law 2015, 119 (123 ff.); P. Kirchhof, DStR 2008, 1 (5 ff.); dens., in: Nieskens, Festgabe 25 Jahre UmsatzsteuerForum, S. 55 (58 ff.). 15 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 5, Rn. 508. Siehe Teil I, Fn. 214, m. w. N. 16 Siehe dazu statt vieler Gehm, StBp 2019, 243 (243 ff.).
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Teil IV: Ausblick und Überlegungen de lege ferenda
tungskette entstandenen Steuerschadens vorsah,17 wurde die entsprechende Passage im Gesetzentwurf der Bundesregierung gestrichen.18 Der Gesetzgeber will somit offenbar eine durch mehrfache Versagung umsatzsteuerlicher Tatbestände herbeigeführte Überkompensationen zu Einnahmezwecken zulassen. II. Kritische Würdigung Der EuGH betont zwar die Notwendigkeit „der Verhängung von wirksamen und abschreckenden Sanktionen“ zur Verhinderung von Betrugsfällen.19 Gleichzeitig bekräftigt er aber, dass die Mitgliedstaaten nicht über das hinausgehen dürfen, was erforderlich ist, um die Ansprüche der Staatskasse durch eine „genaue Erhebung der Steuer“ sicherzustellen.20 Die Steuer wird demnach im Sinne des § 3 Abs. 1 AO bei demjenigen erhoben, bei dem sie tatbestandlich zutrifft. Verglichen mit § 71 AO haftet derjenige, der eine Steuerhinterziehung begeht oder an einer solchen teilnimmt, für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile, ohne dass dabei eine zusätzliche „Strafsanktion“21 für steuerunehrliches Verhalten über den eingetretenen Steuerschaden hinaus zulässig ist.22 Auch der Neutralitätsgrundsatz gewährleistet innerhalb des unternehmerischen Rechtsverkehrs nur Wettbewerbs- und Belastungsneutralität und dient nicht der Sicherung des Steueraufkommens für den Fiskus.23
17
Referentenentwurf des BMF vom 8.5.2019, Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, S. 171, siehe Internetadresse im Dokumentenverzeichnis. 18 BT-Drucks. 19/13436, S. 161. 19 EuGH, Urt. v. 8.9.2015, Rs. C-105/14, Ivo Taricco, NZWiSt 2015, 390, Leitsatz. 20 EuGH, Urt. v. 29.7.2010, Rs. C-188/09, Profaktor, DStRE 2010, 1520 (1523), Rn. 26; vgl. Hummel, UR 2014, 256 (260). 21 Nach Teilen der Literatur entwickle die Versagung des umsatzsteuerlichen Vorteils einen Sanktionscharakter, sobald der Steuerschaden überkompensiert wird, weshalb die Anwendung des rechtsstaatlichen Grundsatzes „nulla poena sine lege“ gefordert wird, vgl. Höink, in: Adick / Höink / Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4, Rn. 275, Rn. 161. Dieser Grundsatz ist jedenfalls in Art. 49 GrCh ausdrücklich niedergeschrieben und bestimmt, dass strafrechtlich relevantes Verhalten allgemein vorhersehbar und berechenbar sein muss, vgl. Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, S. 226 im Kontext eines Gesetzesvorbehalts auf europäischer Ebene; siehe auch Kemper, UR 2017, 449 (455); Wäger, UR 2017, 41 (48); zum Rechtsstaatsprinzip Schmitt, in: Hilgendorf / Kudlich / Valerius, HStrafR, Band I, § 15, Rn. 3 f. Der EuGH hat hingegen einen Sanktionscharakter ausdrücklich abgeleht, vgl EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-131/13, „Italmoda“ Mariano Previti, MwStR 2015, 87 (92), Rn. 61. 22 BFH, Beschl. v. 11.2.2002 – VII B 323/00, BFH / N V 2002, 891 (893); vgl. Höink, in: Adick / Höink / Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4, Rn. 275. 23 Reiß, Stbg 2004, 113 (118).
§ 11 Gut- und Bösgläubigkeit im endgültigen Mehrwertsteuersystem
257
III. Lösungsvorschlag Will man den § 25f UStG auf die Höhe der Schadenssumme begrenzen,24 entsteht das Problem, dass gleichzeitig mit der teleologischen Reduktion des „Steuerpflichtigen“-Begriffs in Art. 9 MwStSystRL beziehungsweise des „Unternehmer“Begriffs auf der nationaler Stufe in § 2 UStG die Voraussetzungen für die Gewährung des umsatzsteuerlichen Steuervorteils nicht erfüllt sind. Diejenigen Wirtschaftsteilnehmer, die Kenntnis von einem Steuerbetrug oder einem Missbrauch in der Leistungskette haben oder diese Kenntnis hätten haben müssen, handeln nicht wirtschaftlich im Sinne eines „Unternehmers“ nach § 2 UStG.25 Weisen sie dennoch Umsatzsteuer gegenüber dem Leistungsempfänger aus, schulden sie diese nach § 14c Abs. 2 UStG, da es sich aufgrund der fehlenden Unternehmereigenschaft um einen unberechtigten Steuerausweis handelt.26 Da die Versagung des umsatzsteuerlichen Vorteils somit nicht allein auf § 25f UStG beruht, sondern ebenfalls auf der daraus resultierenden fehlenden Unternehmereigenschaft, geht damit für den leistenden Rechnungssausteller eine Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG einher. Geht man von einer Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG aus, kann der Fiskus hierauf nebenbei entstehende Überkompensationen stützen, sofern der Rechnungsaussteller die Beseitigung einer Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens nicht nachweist.27 Der Wortlaut des § 14c Abs. 2 UStG macht deutlich, dass insofern eine Überkompensation möglich ist. Der Staat verfolgt den legitimen Zweck, einen unberechtigten Vorsteuerabzug zu verhindern und das Umsatzsteueraufkommen zu sichern, indem die Steuerschuld durch § 14c (Abs. 2) UStG direkt beim Rechnungsaussteller entsteht. Der Rechnungsaussteller hat aber nach § 14c Abs. 2 S. 3 und S. 5 UStG das Recht, die Rechnung zu berichtigen, sofern die Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens beseitigt worden ist.28 Insofern können Überkompensationen beim Nachweis der Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens (unabhängig von der Bösgläubigkeit29) durch Rechnungsberichtigung eingegrenzt werden. Zwar könnte mit der Rechnungsberichtigung ein steuerstrafrechtlicher Vorsatz in Verbindung gebracht werden.30 In diesem Zusammenhang kann allerdings ein Strafgericht auch im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigen, inwieweit sich der Täter oder Teilnehmer bemüht hat, den entstandenen Schaden wiedergutzu 24
So tendenziell Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 8, Rn. 410, die von einer „Deckelung […] auf den Betrag, der angefallen wäre, wenn sich alle Beteiligten rechtstreu verhalten hätten“, spricht; vgl. Hummel, UR 2014, 256 (261 ff.). 25 Vgl. Blankenheim, „Steuerpflichtiger“ und Unternehmerbegriff im Umsatzsteuerrecht, S. 212 f.; siehe Teil III, Fn. 170, m. w. N. 26 So auch FG Düsseldorf, Urt. v. 21.6.2013 – 1 K 2550/11 U, BeckRS 2014, 96132, Rn. II. 1.b.aa.; Kaiser / Hummel, PStR 2015, 265 (267 f.). 27 Vgl. Kaiser / Hummel, PStR 2015, 265 (268). 28 Vgl. Kaiser / Hummel, PStR 2015, 265 (268 f.). 29 EuGH, Urt.v. 19.9.2000, Rs. C-454/98, Schmeink und Cofreth, DStRE 2000, 1166 (1169), Rn. 58. Siehe dazu Seite 95 ff. 30 Vgl. Kaiser / Hummel, PStR 2015, 265 (269).
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Teil IV: Ausblick und Überlegungen de lege ferenda
machen.31 Der Fiskus kann im Ergebnis eine Überkompensation des entstandenen Schadens nur auf § 14c Abs. 2 UStG stützen. Die Anwendung des § 25f UStG bleibt hingegen aus den genannten Gründen auf die Höhe der Schadensumme beschränkt.
§ 12 Vereinigung des Vertrauensschutzes mit einer wirksamen Betrugs- und Missbrauchsbekämpfung Sowohl der europäische als auch der nationale Gesetzgeber werden niemals in der Lage sein, jeden erdenklichen Einzelfall normativ zu erfassen.32 Die Indienstnahme des Unternehmers zur Eintreibung der Umsatzsteuer wird aus diesem Grund auch in Zukunft prinzipienorientiert erfolgen.33 Das bedeutet, dass sich das Mehrwertsteuerrecht insbesondere an primärrechtlichen Prinzipien, wie der Verhältnismäßigkeit, messen lassen muss.34 Auf der einen Seite muss ein gutgläubiger Unternehmer innerhalb der Leistungskette auf dieser Grundlage geschützt werden. Auf der anderen Seite müssen bösgläubige Wirtschaftsteilnehmer im Interesse der Sicherung des Steueraufkommens wirksam bekämpft und sanktioniert werden. Dem zahlenmäßig weit überwiegenden Steuerausfall durch Karussellbetrug35 kann auf lange Sicht nur durch die Abschaffung der Steuerbefreiungen der Lieferungen im Abgangsstaat wirksam begegnet werden.36 Daher ist die Einführung einer einheitlichen europäischen Lieferung durchaus sinnvoll. Nicht zuletzt ist ein zwischenstaatlicher Informationsaustausch von elementarer Bedeutung. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf das Aufspüren und Sanktionieren eines Umsatzsteuerbetrugs oder Missbrauchs, sondern auch im Hinblick auf einen Austausch von Informationen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit eines gutgläubigen Unternehmers. Die Vorteile der voranschreitenden Digitalisierung sollten für diesen essentiellen Informationsaustausch der Steuerbehörden genutzt werden.37
A. Verlagerung der Beweislast durch Nachweisführung Neureglungen dürfen – wie bereits angesprochen – nicht zu sehr auf den bösgläubigen Wirtschaftsteilnehmer zugeschnitten sein. Sie müssen darüber hinaus berücksichtigen, dass ein gutgläubiger Unternehmer nicht das Ausfallrisiko für einen 31
Vgl. dazu bzgl. der Vorsteuerabzugsberechtigung als Strafmilderungsgrund Menke, wistra 2006, 167 (171). 32 Siehe bereits J. Locke, Über die Regierung (The Second Treatise of Government), Teil XIV – Die Prärogative, Rn. 160. 33 Vgl. dazu Kube, UR 2013, 489 (490). 34 So auch Ismer / Schwarz, MwStR 2019, 348 (350). 35 Siehe Teil I, Fn. 176. 36 So auch Treiber, in: Sölch / R ingleb, § 6a UStG (Oktober 2017), Rn. 210. 37 Ismer, in: FS 100 Jahre Umsatzsteuer, S. 935 (954); ders. / Schwarz, MwStR 2019, 348 (354).
§ 12 Vereinigung des Vertrauensschutzes
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durch Falschangaben eingetretenen Steuerschaden trägt. Die abverlangten Aufzeichnungs- und Informationspflichten des in Dienst genommenen Unternehmers sollten aus diesem Grund bereichsübergreifend harmonisiert werden.38 Innerhalb des Vorsteuerabzugsrechts kann die Erfüllung der Nachweispflicht angenommen werden, wenn eine formell ordnungsgemäße Rechnung vorgelegt wird und aus etwaigen fehlerhaften Angaben objektiv kein Rückschluss auf das Nichtvorliegen des materiellen Tatbestands möglich ist.39 Nach derzeitiger Rechtslage ist es möglich, dass der Unternehmer das Vorliegen des materiellen Rechts auf Vorsteuerabzug auch anderweitig nachweist als mit einer Rechnung.40 Natürlich besteht daneben die Möglichkeit, dass der europäische Gesetzgeber an dieser Stelle – wie bei der USt-IdNr. des Abnehmers einer innergemeinschaftlichen Lieferung – nachbessert und den Besitz einer Rechnung klarstellend als materielle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug festlegt.41
B. Keine Pflicht zum Nachweis einer tatsächlichen Abführung Der Nachweis, dass der Leistende die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer tatsächlich abgeführt hat, würde zwar eine deutlich betrugssicherere Methode darstellen.42 Sie überschreitet aber die Grenzen der erforderlichen Nachprüfungspflichten43 und erschwert im Übrigen den Handel im Binnenmarkt erheblich. Dem in Dienst genommenen Unternehmer muss klar vorgeschrieben werden, welche Nachweise er erbringen muss, damit ihm der beantragte Steuervorteil nur noch versagt werden kann, wenn ihm eine Bösgläubigkeit hinsichtlich einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs nachgewiesen wird. Unter der Beachtung dieser unionsrechtlichen Vorgaben ergibt sich ein angemessener Ausgleich zwischen dem Interesse des Staates an einer wirksamen Betrugs- und Missbrauchsbekämpfung und der Pflicht, einen gutgläubigen Unternehmer vor einer unverhältnismäßigen Indienstnahme zu bewahren. In jedem Fall ist ein wirtschaftlich schädlicher „Generalanfangsverdacht“ zu verhindern.44
38
So auch Erdbrügger, MwStR 2018, 685 (687). Vgl. Achatz, DStJG 32 (2009), S. 461 (481). 40 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.11.2018, Rs. C-664/16, Vădan, DStR 2018, 2524 (2527), Rn. 42. 41 Vgl. Ismer / Schwarz, MwStR 2019, 348 (352). 42 So der Vorschlag von Ammann, UR 2005, 533 (539). 43 EuGH, Urt. v. 21.6.2012, Rs. C-80/11 und C-142/11, Mahagében und Dávid, DStRE 2012, 1336 (1342), Rn. 61; EuGH, Urt. v. 31.1.2013, Rs. C-642/11, Stroy trans, MwStR 2013, 125 (128), Rn. 49. Vgl. ferner Bergmann, Problemlösung Umsatzsteuerbetrug, S. 163. 44 Vgl. Nieskens, UR 2009, 408. 39
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Teil IV: Ausblick und Überlegungen de lege ferenda
C. Zwischenstaatlicher digitaler Informationsaustausch Umsatzsteuerbetrüger nutzen insbesondere im internationalen Wirtschaftsver kehr gezielt mangelnde Kenntnisse und Informationen der Finanzbehörden aus, die dadurch nicht in der Lage sind, rechtzeitig im Sinne der Sicherung des Umsatz steueraufkommens zu handeln.45 Um diesem entscheidenden Problemfeld entgegenzuwirken, ist die zwischenstaatliche Informationshilfe im Interesse aller Mitgliedstaaten stetig auszubauen.46 Innerhalb des angestrebten „One-Stop-Shop“Systems muss der Informationsaustausch zwischen den Finanzbehörden durch eine konsequente Anwendung der Blockchain-Technologie eine wesentliche Stellung einnehmen, um Schwachpunkten wie Mantelkäufe durch (gutgläubige) vertrauens würdige Unternehmen47 vorzubeugen. Durch ein Blockchain-Systems wären sämtliche Transaktionen in einem öffentlichen Register fälschungssicher einsehbar.48 Für betrugsanfällige Geschäftsfelder kann zusätzlich das Reverse-Charge-Verfahren vorgeschrieben werden.49 Insgesamt darf sich das endgültige Mehrwertsteuersystem nicht in einer Ausfallhaftung zu Lasten gutgläubiger Unternehmer manifestieren, die der Staat resignierend als Kompensation für den Steuerausfall durch Umsatzsteuerbetrug in Anspruch nimmt. So sollte der Gesetzgeber zur Verwirklichung des endgültigen Mehrwertsteuersystems mehr auf die Belange redlichen Unternehmers Rücksicht nehmen, der im Hinblick auf die Nachweisführung alles in seiner Macht Stehende getan hat. Zwischenstaatliche Informationshilfe kann dadurch nicht nur dazu dienen, kriminelle Machenschaften aufzudecken,50 sondern auch zur Überprüfung des Sorgfaltsmaßstabs eines Unternehmers. Dieser Weg ist in Zukunft verstärkt einzuschlagen, um insbesondere auch klarzustellen, dass der ehrliche Unternehmer nicht für einen Steuerschaden durch nicht erkennbare Falschangaben seiner Geschäftspartner einstehen muss.
45 So konnten etwa im bekannten „Chipdeal“-Karussellbetrug (Steuerschaden in Höhe von 368 Mrd. €) aus dem Jahr 2001 lediglich vier von insgesamt 35 Tätern überführt werden. 31 Täter hatten sich vor dem behördlichen Einschreiten ins Ausland abgesetzt, vgl. dazu BTDrucks. 15/1495, S. 8; Bergmann, Problemlösung Umsatzsteuerbetrug, S. 13. 46 Siehe umfassend zur Informationshilfe Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, passim; Söhn, in: HHSp, § 117 AO (November 2012), Rn. 15 ff.; Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 10, Rn. 61 ff. 47 Vgl. dazu Erdbrügger, MwStR 2018, 685 (691). 48 Loy, DStR 2018, 1097 (1101 ff.). 49 Ein generelles Revers-Charge-Verfahren innerhalb des europäischen Binnenmarktes ist von der Kommission wiederholt abgelehnt worden, siehe dazu Loy, DStR 2018, 1097 (1099), m. w. N. 50 Vgl. dazu Haag, in: Bieber / Epiney / Haag / Kotzur, Die Europäische Union, § 22, Rn. 18.
Teil V
Zusammenfassung der Ergebnisse1 Zu Teil I, § 2: Grundlagen zum Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht 1. Die Ursache für die Notwendigkeit eines Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht liegt in der systembedingten Abhängigkeit des Unternehmers von Angaben seines Geschäftspartners zur Geltendmachung eines umsatzsteuerlichen Vorteils (wie den Vorsteuerabzug oder eine Steuerbefreiung). 2. Die Abhängigkeit des Unternehmers von Angaben seines Geschäftspartners tritt zum einen durch das Allphasen-Netto-System mit Vorsteuerabzug innerhalb der Europäischen Union auf. Zum anderen ist der Unternehmer im internationalen Wirtschaftsverkehr zum Erhalt von Steuerbefreiungen auf Angaben seiner Geschäftspartner angewiesen. Dies gilt auch für umsatzsteuerliche Spezialfälle wie die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG oder das Reverse-Charge-Verfahren nach § 13b UStG. 3. Terminologisch kann in der vorliegenden Problematik von einem „Vertrauensschutz“ gesprochen werden, der als Oberprinzip den „Gutglaubensschutz“ miterfasst. Es handelt sich nicht um ein rein privatrechtliches Verhältnis, da der Unternehmer nach der Vorlage der Angaben seines Geschäftspartners für die Gewährung des beantragten umsatzsteuerlichen Vorteils vom Staat abhängig ist. 4. Bei der Umsatzsteuer handelt es sich durch das System des Vorsteuerabzugs um eine sehr missbrauchs- und betrugsanfällige Steuer. Anerkennt man einen Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht hinsichtlich der Angaben des Geschäftspartners, darf dies nicht dazu führen, dass sich die Betrugsanfälligkeit erhöht. Es muss ein angemessener Ausgleich zwischen dem Interesse des Staates an einer Sicherung des Umsatzsteueraufkommens und dem Interesse des gutgläubigen Unternehmers an einem Schutz vor Falschangaben seines Geschäftspartners gefunden werden (siehe dazu Nr. 28).
1
Siehe im Übrigen auch die Zusammenfassungen unter § 3, § 7 und § 10 dieser Arbeit.
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Teil V: Zusammenfassung der Ergebnisse
Zu Teil II, § 4: Bestandsaufnahme der Fallkonstellationen 5. Die Problematik des Vertrauensschutzes im Umsatzsteuerrecht tritt insbesondere in den in § 4 dieser Arbeit dargestellten Fallkonstellationen auf. Das Vorsteuerabzugsrecht (Art. 167 ff. MwStSystRL, §§ 15, 15a UStG) und die Steuerbefreiungen im internationalen Wirtschaftsverkehr (Art. 138 ff., Art. 146 f. MwStSystRL, § 4 Nr. 1 lit. b und lit. a UStG) sind dabei die Fallkonstellationen, die am häufigsten betroffen sind. 6. Bei dem Erfordernis einer Rechnung nach Art. 178 lit. a MwStSystRL und den über Art. 131 MwStSystRL zugelassenen eigenständigen Nachweispflichten der Mitgliedstaaten (vgl. § 6a Abs. 3 S. 2 UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV) handelt es sich nach eingehender Analyse der EuGH-Rechtsprechung um rein formelle Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Der europäische Gesetzgeber kann dieser Auslegung durch eine legislative Nachbesserung entgegentreten, falls er damit nicht übereinstimmen sollte. 7. Für den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht hat die Erbringung der formellen Nachweispflichten eine weitreichende Bedeutung. Als Ergebnis ist insbesondere festzuhalten, dass der Unternehmer, der einen Steuervorteil begehrt, die Tatbestandsvoraussetzung hierfür nachweisen muss. Er ist dabei im Vorsteuerabzugsrecht nicht streng an das formelle Erfordernis einer Rechnung gebunden. Er kann also das materielle Recht des Vorsteuerabzugs auch anderweitig nachweisen. Selbiges gilt für die Steuerbefreiung einer grenzüberschreitenden Lieferung in das EU-Ausland oder Drittlandgebiet. Scheitert eine Nachweisführung ihrer Art nach, so ist dem Unternehmer der Tatbestand aus diesem Grund zu versagen, ohne dass dies in einem Zusammenhang mit Vertrauensschutz steht. 8. Anders ist die Situation, wenn der Unternehmer die formellen Nachweispflichten ihrer Art nach erfüllt hat und sich im Nachhinein herausstellt, dass die materiellen Voraussetzungen des begehrten Steuervorteils nicht vorliegen. Für den Vertrauensschutz muss differenziert werden, ob aus den formell erbrachten Nachweisen der Mangel im materiellen Tatbestand erkennbar gewesen ist. Es muss zwischen überprüfbaren und nicht überprüfbaren Angaben unterschieden werden. Legt der leistungsempfangende Unternehmer dem Finanzamt eine falsche überprüfbare Rechnungsangabe vor, ist dies mit der Indizwirkung verbunden, dass auch die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug nicht vorliegen. Der leistungsempfangende Unternehmer muss sich daher um eine eigenständige Rechnungsergänzung oder um eine Rechnungsberichtigung durch den Rechnungsaussteller bemühen. Sind die ihrer Art nach vorliegenden, aber fehlerhaften Rechnungsangaben hingegen nicht überprüfbar, hat dies zur Folge, dass der Unternehmer auch nicht davon ausgehen musste, dass die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegen. Die Beweislast wird auf die Finanzbehörde verlagert, die in diesem Fall nachweisen muss, dass der Unternehmer an
Teil V: Zusammenfassung der Ergebnisse
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einer Steuerhinterziehung oder einem Missbrauch beteiligt gewesen ist. „Beteiligt sein“ ist dabei nicht nur im Sinne einer positiven Täterschaft oder Teilnahme (vgl. § 28 Abs. 2 StGB) zu verstehen, sondern auch im Sinne einer Bösgläubigkeit hinsichtlich eines Missbrauchs oder einer Steuerhinterziehung in der Leistungskette. Im Falle eines „non liquet“ muss der beantragte Steuervorteil gewährt werden. Der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht stellt sich damit als ein Ausfluss der Beweislastverteilung dar. 9. Die Versagung beantragter umsatzsteuerlicher Steuervorteile bei Kenntnis oder Kennenmüssen eines Missbrauchs oder einer Steuerhinterziehung innerhalb der Leistungskette beruht maßgeblich auf der ständigen Rechtsprechung des EuGH. Diese wird in einem neuen § 25f UStG im deutschen Umsatzsteuergesetz erfasst. Die „Sanktionierung“ der Bösgläubigkeit hat allerdings als Kehrseite die Berücksichtigung der Gutgläubigkeit zur Folge. Beides muss rechtsmethodisch in die Mehrwertsteuersystemrichtlinie und das deutsche Umsatzsteuerrecht integriert werden (siehe dazu Nr. 23 ff.). 10. Die formellen Nachweise müssen zudem in kausalem Zusammenhang zur Sorgfältigkeit hinsichtlich der Angaben des Geschäftspartners stehen. Der Buchnachweis stellt beispielsweise eine innerbetriebliche Aufzeichnung über Geschäftsvorgänge dar, die nichts mit der Sorgfältigkeit des Unternehmers hinsichtlich der Angaben seines Geschäftspartners zu tun hat, sondern alleine die Frage betrifft, ob der Unternehmer die nach Art. 131 MwStSystRL in seinem Mitgliedstaat vorgesehenen Nachweispflichten ihrer Art nach erfüllen kann (vgl. Nr. 7). Entgegen der BFH-Rechtsprechung stellt die Führung des Buchnachweises dogmatisch keine materielle Voraussetzung für eine anschließende Gewährung von Vertrauensschutz dar. 11. Insgesamt kann die Rechtsprechung des EuGH dahingehend zusammengefasst werden, dass das aus dem Neutralitätsgrundsatz abzuleitende Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug beziehungsweise der Erhalt einer Steuerbefreiung einen höheren Stellenwert genießt als die nicht bewiesene Behauptung der Finanzbehörde, es handle sich um eine Beteiligung an einem Missbrauch oder Steuerbetrug innerhalb der Leistungskette.2 12. Im Übrigen sind die Sachverhalte streng danach abzugrenzen, ob tatsächlich eine Fallkonstellation für einen unionsrechtlichen Vertrauensschutz vorliegt oder ob dieser einer zivilrechtlichen Rückabwicklung unterfällt. Der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht ist insbesondere nicht das Pendant einer komplizierten Ausgestaltung des Gesetzes, die einen häufigen beiderseitigen Irrtum über umsatzsteuerliche Verhältnisse zur Folge hat. Mit Blick auf die hoheitliche Indienstnahme des Unternehmers und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich aber eine Grenze bei täuschenden Handlungen des Geschäftspartners (mit der Folge eines einseitigen Irrtums) ziehen. 2
Vgl. Winter, MwStR 2019, 789.
264
Teil V: Zusammenfassung der Ergebnisse
Zu Teil II, § 5: Verhältnis des Vertrauensschutzes zu zivilrechtlichen Ansprüchen 13. Der Unternehmer hat gegen seinen Geschäftspartner bei unrichtigen Angaben zivilrechtliche Ansprüche. Ein solcher kann sich zum Beispiel hinsichtlich eines zu viel gezahlten Umsatzsteuerbetrags nach einer ergänzenden Vertragsauslegung aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ergeben. Täuscht der Geschäftspartner über Angaben, handelt es sich um keinen beiderseitigen Irrtum, sodass die ergänzende Vertragsauslegung scheitert und der Unternehmer alleine auf schadensersatzrechtliche Ansprüche zurückgreifen kann. Einschlägig ist häufig eine Haftung des Geschäftspartners aus „culpa in contrahendo“ nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB. In Betracht kommen aber auch Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB oder § 826 BGB. 14. Die Möglichkeit, zivilrechtliche Ansprüche gegen den Geschäftspartner geltend zu machen, verdrängt in den dargestellten Fällen die Notwendigkeit eines Vertrauensschutzes. Zudem gehört es zur Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns, sich zivilrechtlich vor umsatzsteuerschädlichem Verhalten seines Geschäftspartners abzusichern. 15. Als Abweichung von der zivilrechtlichen Abtretungslösung muss sich in den darüber hinaus dargestellten Fallkonstellationen ein gutgläubiger Unternehmer, dem ein Vertrauensschutz hinsichtlich der Angaben seines Geschäftspartners gewährt wird, den staatlichen Schadensausgleich zivilrechtlich anrechnen lassen. Der Schädiger ist dadurch nicht bevorteilt, weil der Staat auf den Verursacher des Steuerausfalls Rückgriff nehmen darf (vgl. § 6a Abs. 4 S. 2 UStG). Zu Teil II, § 6: Zum Sorgfaltsmaßstab des gutgläubigen Unternehmers 16. Es muss zwischen der Sorgfalt eines gutgläubigen Unternehmers hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Tatbestands (vgl. § 6a Abs. 4 UStG) und der Sorgfalt hinsichtlich einer Steuerhinterziehung oder eines Missbrauchs innerhalb der Leistungskette unterschieden werden. 17. Hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Tatbestands kann auf die Überprüfbarkeit der formellen Nachweispflichten abgestellt werden. Der Unternehmer ist nur zu weiteren Nachforschungen oder Nachweisen verpflichtet, wenn sich dies aus den objektiv überprüfbaren formellen Angaben seines Geschäftspartners erschließen lässt. In jedem Fall hat der Unternehmer den Sorgfaltsmaßstab eingehalten, wenn er sich die Angaben des Geschäftspartners nach § 18e UStG qualifiziert bestätigen lässt. Durch die Heraufstufung der Mitteilung der USt-IdNr. des Abnehmers zu einem materiellen Tatbestandsmerkmal der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung mit Wirkung zum 1.1.2020 wird jedenfalls die
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einfache Abfrage bei nahezu jedem innergemeinschaftlichen Lieferungsgeschäft erforderlich sein. Dies wirft die Frage auf, ob § 18e UStG noch ein geeignetes Instrument innerhalb des Besteuerungsverfahren darstellt. Hat sich der Unternehmer eine Angabe seines Geschäftspartners hoheitlich bestätigen lassen, schadet für ihn nur noch eine diesbezüglich positive Kenntnis vom Gegenteil, vgl. dazu den Rechtsgedanken aus Art. 18 MwSt-DVO („Sofern dem Dienstleistungserbringer keine gegenteiligen Informationen vorliegen […]“). 18. In Bezug auf eine Steuerhinterziehung oder einen Missbrauch in der Leistungskette sind „Wissen“ beziehungsweise „Hätte-Wissen-Müssen“ als unionsrechtlich autonome Begriffe zu verstehen. Diese präsentieren sich als ein Bündel an Umständen, die einen redlichen Unternehmer darauf schließen lassen, dass das Vorliegen eines Betrugs- oder Missbrauchs wahrscheinlicher ist als ein bedenkenloses Umsatzgeschäft. Diese Bündelung der Umstände, die einen Schluss auf die inneren Tatsachen zulassen, sind von den nationalen Gerichten im Einzelfall zu prüfen. Zu Teil III, § 8: Herleitung des Vertrauensschutzes 19. Der EuGH greift für den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht ausschließlich isoliert auf primärrechtliche Grundsätze zurück. Der Vertrauensschutz leite sich aus den primärrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ab. 20. Der Schutz des Unternehmers vor Falschangaben seines Geschäftspartners lässt sich demgegenüber auch über die unternehmerische Freiheit in Art. 16 GrCh herleiten. Die hoheitliche Indienstnahme stellt einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit dar, welcher unverhältnismäßig wird, wenn dem Unternehmer das komplette Risiko auferlegt wird, bei nicht überprüfbaren Falschangaben des Geschäftspartners endgültig mit Umsatzsteuer belastet zu werden. 21. Die Vorgaben des EuGH lassen sich nach hier vertretener Auffassung innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Art. 16 GrCh berücksichtigen, sodass im Ergebnis auch kein Schutzdefizit aufkommt. 22. Da das Umsatzsteuerrecht zu sehr großen Teilen unionsrechtlich determiniert ist, muss Bestrebungen in der Literatur, die einen Vertrauensschutz aus dem nationalen Verfassungsrecht herleiten wollen, entgegengetreten werden. Ein diesbezüglich notwendiger Umsetzungsspielraum kann allenfalls innerhalb des Reverse-Charge-Verfahrens festgestellt werden (vgl. Art. 199 MwStSystRL), wo es allerdings nach hier vertretener Auffassung bei beidseitigen Irrtümern zu weitreichenden Einschränkungen des Vertrauensschutzes durch das Zivilrecht kommt oder der Fehler der Parteien schon über § 13b Abs. 5 S. 7 UStG Berücksichtigung findet. Das Schutzniveau fällt in jedem Fall nicht unterschiedlich aus. Die Indienst-
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nahme des Unternehmers muss sich auch auf nationaler Ebene – sofern der Anwendungsbereich durch einen Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten eröffnet ist – an Art. 12 Abs. 1 GG messen lassen. Zu Teil III, § 9: Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im nationalen Recht 23. Die Integration des Vertrauensschutzes kann im deutschen Umsatzsteuerrecht über eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung des Unternehmerbegriffs erfolgen. § 2 UStG ist bei der Prüfung der Unternehmereigenschaft für sämtliche Steuervorteile (wie Vorsteuerabzug oder Steuerbefreiung) des Antragstellers heranzuziehen. Hierfür muss zunächst Art. 9 MwStSystRL anhand des Primärrechts ausgelegt werden. Ein Steuerpflichtiger, der alle Nachweise formell erbracht hat, darf auf das Vorliegen des materiellen Tatbestands vertrauen. Die Beweislast verlagert sich dadurch auf die Finanzbehörde. Wie beim sogenannten „erfolglosen Unternehmer“, bei dem die Vorsteuerabzugskette aufgrund der Berücksichtigung von subjektiven Absichten systemwidrig bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer endet, kann es dadurch zu der Situation kommen, dass ein beantragter umsatzsteuerlicher Vorteil gewährt werden muss, selbst wenn sich herausgestellt hat, dass dessen materieller Tatbestand nicht vorliegt. 24. Umgekehrt kann ein bösgläubiger Unternehmer keine umsatzsteuerlichen Vorteile geltend machen. Er erfüllt nach teleologischer Reduktion selbst nicht mehr die notwendigen Eigenschaften eines „Steuerpflichtigen“ (Art. 9 MwStSystRL) beziehungsweise „Unternehmers“ (§ 2 UStG). Der beantragte Steuervorteil ist aus diesem Grund von den nationalen Finanzbehörden zu versagen, was ein unionsrechtskonformes Ergebnis herbeiführt. 25. Rechtsmethodisch nicht möglich ist eine analoge Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG auf weitere Teilbereiche des Umsatzsteuergesetzes wie etwa das Vorsteuerabzugsrecht oder die Steuerbefreiung von Ausfuhrlieferungen. Die für die oben dargestellte teleologische Extension und Reduktion notwendige planwidrige Regelungslücke kann allerdings mit der „Quelle-Rechtsprechung“ des BGH dadurch bejaht werden, dass der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung des Sekundärrechts nicht gegen Unionsrecht verstoßen wollte. Diese nationale Gesetzeslücke ist rechtsmethodisch nicht über eine analoge Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG zu schließen, sondern über die dargestellte teleologische Reduktion (für die Bösgläubigkeit) beziehungsweise Extension (für die Gutgläubigkeit) des Unternehmerbegriffs in § 2 UStG. 26. Verfahrensrechtlich sprechen die besseren Argumente dafür, den Vertrauensschutz innerhalb des Festsetzungsverfahrens zu berücksichtigen. Er ergibt sich insbesondere daraus, dass die beweispflichtige Finanzbehörde die Bösgläubigkeit des Unternehmers nicht nachweisen kann. Dies zwingt entgegen der stän-
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digen Rechtsprechung des BFH zu einer entsprechenden Berücksichtigung im Festsetzungsverfahren. Zu Teil IV, § 11: Gut- und Bösgläubigkeit im endgültigen Mehrwertsteuersystem 27. Der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht kann innerhalb des angestrebten endgültigen Mehrwertsteuersystems nur Bestand haben, wenn sich aus klaren gesetzlichen Vorgaben ergibt, welche Nachweise der Unternehmer zu erbringen hat, damit sich die Beweislast hinsichtlich eines Missbrauchs oder einer Steuerhinterziehung auf die Finanzbehörde verlagert. 28. Durch klare Nachweispflichten lässt sich eine unvorhergesehene nachträgliche Belastung des gutgläubigen Unternehmers im Sinne der Rechtssicherheit vermeiden. Dies sollte insbesondere bei der geplanten Einführung eines – im Übrigen zu begrüßenden – Systems der „einheitlichen europäischen Lieferung“ Berücksichtigung finden. Hierdurch wird ein angemessener Ausgleich zwischen dem Interesse des Fiskus an einer Sicherung des Steueraufkommens und dem Interesse des Unternehmers an einer verhältnismäßigen Indienstnahme geschaffen. Der neue Art. 45a MwSt-DVO schafft damit auch eine gesicherte Rechtsposition. 29. Der Fiskus kann einen entstandenen Steuerschaden nicht einfach durch die mehrfache Versagung umsatzsteuerlicher Vorteile (Vorsteuerabzug, Steuerbefreiung) überkompensieren. Zur Auflösung dieser Problematik kann auf § 14c Abs. 2 UStG zurückgegriffen werden, der es dem Fiskus ermöglicht, einen aufgrund der fehlenden Unternehmereigenschaft unberechtigt ausgewiesenen Steuerbetrag von Rechnungssausteller einzufordern. Diesem bleibt das Recht zur Berichtigung nach § 14c Abs. 2 S. 3 und S. 5 UStG, sofern die Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens beseitigt wurde. Dieser Lösungsvorschlag deckt sich mit den Ausführungen zur Integration der Versagungspflicht bei Bösgläubigkeit im nationalen Recht. Zu Teil IV, § 12: Vereinigung des Vertrauensschutzes mit einer wirksamen Missbrauchs- und Betrugsbekämpfung 30. Vertrauensschutz im Umsatzsteuerrecht darf nicht dazu führen, dass neue Betrugs- und Missbrauchskonstellationen auftreten können oder begünstigt werden. Dies muss bei der Gewährung eines Vertrauensschutzes bezüglich der Angaben des Geschäftspartners immer Beachtung finden. 31. Dieses Konfliktfeld lässt sich mit einer klaren Regelung zu den Nachweispflichten des in Dienst genommenen Unternehmers und einem gezielten internationalen Informationsaustausch zwischen den Behörden am besten auflösen. Der
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Informationsaustausch darf sich dabei nicht nur auf den Erhalt von Informationen hinsichtlich eines Steuerbetrugs beschränken, sondern muss auch Informationen berücksichtigen, die die Einhaltung des Sorgfaltsmaßstabs eines gutgläubigen Steuerpflichtigen untermauern. So kann verhindert werden, dass der gutgläubige Steuerpflichtige im Falle eines „non liquet“ für den durch seinen Geschäftspartner entstandenen Steuerschaden einstehen muss.
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Dokumentenverzeichnis1 Bundesrechnungshof und internationale Rechnungshöfe Bundesrechnungshof, Bericht nach § 99 BHO über den ermäßigten Umsatzsteuersatz vom 28.6.2010, abrufbar unter: https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/ produkte/sonderberichte/langfassungen/2010-sonderbericht-ermaessigter-umsatzsteuersatzvorschlaege-fuer-eine-kuenftige-ausgestaltung-der-steuerermaessigung. Bundesrechnungshof (Hrsg.), Bemerkungen 2017 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes, abrufbar unter: https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/ produkte/bemerkungen-jahresberichte/jahresberichte/2017/inhalt/2017-bemerkungengesamtbericht-pdf/view. Rechnungshöfe der Niederlande, Belgiens und Deutschlands (Hrsg.), Gemeinsamer Bericht über die Kontrollprüfung zum innergemeinschaftlichen Umsatzsteuerbetrug, abrufbar unter: https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/sonderberichte/ langfassungen/2012-sonderbericht-kontrollpruefung-zum-innergemeinschaftlichenumsatzsteuerbetrug.
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EU-Kommission: Vorschlag vom 4.10.2017 für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Harmonisierung und Vereinfachung bestimmter Regelungen des Mehrwertsteuersystems und zur Einführung eines endgültigen Systems der Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten, KOM (2017), 569 endg., abrufbar unter: https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2017/DE/COM-2017-569-F1DE-MAIN-PART-1.PDF. EU-Kommission: Vorschlag vom 25.5.2018 für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Einführung der detaillierten technischen Maßnahmen für die Anwendung des endgültigen Mehrwertsteuersystems für die Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten, KOM (2018), 329 endg., abrufbar unter: https:// ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2018/DE/COM-2018-329-F1-DE-MAIN-PART-1. PDF.
OECD – Organisation for Economic Cooperation and Development OECD: International VAT / GST Guidelines, OECD Publishing, Paris 2017, abrufbar unter: https:// read.oecd-ilibrary.org/taxation/international-vat-gst-guidelines_9789264271401-en.
Gesetzgebungsmaterialien Referentenentwurf des BMF vom 8.5.2019 zum Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, abrufbar unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzes vorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/201912-17-G-E-Mobilitaet/1-Referentenentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=4.
Schlussanträge der Generalanwälte am Europäischen Gerichtshof Kokott, Juliane: Schlussanträge der Generalanwältin beim EuGH vom 30.11.2017, Rs. C-8/17, Biosafe, MwStR 2018, 130–136. Mazák, Ján: Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 25.10.2007, Rs. C-271/06, Netto Supermarkt, BeckRS 2007, 70888. Wahl, Nils: Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 5.7.2017, Rs. C-374/16 und C-375/16, Geissel und Butin, MwStR 2017, 624–630. Wahl, Nils: Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH vom 30.1.2018, Rs. C-660/16 und C-661/16, Kollroß und Wirtl, BeckRS 2018, 647.
Stichwortverzeichnis § 6a Abs. 4 UStG 123 – deklaratorischer Regelungsgehalt 124 – Kritik 124 Abführung – tatsächliche 259 Absichtsbesteuerung 233, 235 Abtretung – zivilrechtlicher Ansprüche 196 Allphasenbesteuerung 32 Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer 33 Allphasen-Netto-Umsatzsteuer 34 Ansprüche – Bereicherungsrecht 182 – Schadensersatz 181 – vorrangig zivilrechtliche 184 – zivilrechtliche 181 Anwendbarkeit – nationalen Verfassungsrechts 218 Anzahlungen 189 Äquivalenzgrundsatz 244 Aufspaltung – des Verfahrens 249 Ausfallrisiko 53 Ausfuhrlieferungen – Grundlagen 164 Ausfuhrreihengeschäfte 129 Ausgleich – widerstreitender Interessen 53 Auskunft – verbindliche 192 Bargeschäfte – unseriöse 206 Barlis 06 65, 87 Beihilfen – unionsrechtswidrige 239 Bestätigungsverfahren 144 Bestimmtheit 54 Bestimmungslandprinzip 37, 148
Betrug – Verhinderung neuer Varianten 52 Beweislastregeln 110 Beweislastverteilung 249 Billigkeitsverfahren 29, 86, 109, 116, 241, 243 Biosafe 69, 89 Bruttoentgeltabrede 186 Buffer 49 Differenzbesteuerung 42, 193 – unionsrechtliche Determinierung 225 Differenzhypothese 196 Distributor 50 Doppelbesteuerung 37 Effektivitätsgrundsatz 244 Einfuhrumsatzsteuer 155 Eingriff 213 – in die unternehmerische Freiheit 214 Einkommensteuer 32 Einphasenbesteuerung 32 Erhebungssystem – der Umsatzsteuer 31 Ermessen – Reduzierung auf Null 245 Extension – teleologische 235 Falschangaben – Risiko 36 – ungerechtfertigter Preisnachlass 41 Festsetzungsverfahren 243, 250 Freiheit – unternehmerische 213 Gegenteilige Informationen 172 Geissel und Butin 79 Gelangensbestätigung 137 Gelangensvermutung 122 Geschäftsbeziehung – neue 207
Stichwortverzeichnis Geschäftsveräußerung im Ganzen 190 Gleichheit – vor dem Gesetz 217 Grenzkontrollen 39 Grenzüberschreitender Lieferverkehr 192 Grundrechtecharta 211 Gutglaubensschutz 43, 47 Haftung – verschuldensunabhängige 52 Hätte-Wissen-Müssen 203 Hintermann 59 – ohne Unternehmereigenschaft 61 Identität – des angeblichen und tatsächlichen Abnehmers 131 – von Leistendem und Rechnungsaus steller 60 Informationshilfe – zwischenstaatliche 260 Innergemeinschaftliche Lieferungen – Grundlagen 118 Innergemeinschaftliche Reihengeschäfte 126 Innergemeinschaftliches Anschluss geschäft 154 Innergemeinschaftliches Dreiecks geschäft 128 Interessenlage – vergleichbare 237 Johannes Popitz 33 Juliane Kokott 69 Kittel 107 Klassenbegriff 58 Kollroß und Wirtl 104 Kreuzmayr GmbH 150
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Meldung – zusammenfassende 144 Milan 155 Missbrauch – Anhaltspunkte 205 – Ausfuhrlieferungen 168 – Differenzbesteuerung 179 – eigenständiger Versagungsgrund 50, 109 – innergemeinschaftliche Lieferungen 161 – Integration 231, 252 – Negativbeweis 111 – Sorgfaltsmaßstab 202, 204 – Überkompensation 255 – Vereinigung mit Vertrauensschutz 258 – Verhinderung neuer Varianten 52 – Vorsteuerabzug 110 Missbrauchskontrolle – im endgültigen Mehrwertsteuersystem 253 Missing trader 49 Nachforschungspflicht 112 Nachweise – durch Rechnungsangaben 62 Nachweispflichten 35 Nachzahlungszinsen 90 Netto Supermarkt 27, 165 Neutralität – der Umsatzsteuer 85, 152 Neutralitätsgrundsatz 64, 157 Normativer Schaden 195 Objektivbeweis 65 One-Stop-Shop 253 Optigen 107 Papiergrenze 40 Primärrecht 229
Litdana 179
Quick fixes 120
Marktplatzbetreiber – elektronischer 254 Mehrphasenbesteuerung 32 Mehrwertsteuer-Informations-Austauschsystem 143 Mehrwertsteuersystemrichtlinie 35
Rechnung – Anspruch 74 – Ausstellungsdatum 80 – Ausübungsvoraussetzung 67 – Beweismittel 64 – Entbehrlichkeit 69
314 – – – – –
Stichwortverzeichnis
formelles Nachweismittel 68 gängiges Nachweismittel 72 Indizwirkung 68, 73, 75 Leistungsdatum 81 Leistungs- und Empfängerbeschreibung 82 – materiell-rechtliche Vorraussetzung 67 – Name und Anschrift 79 – Nettoentgelt 82 – progressive Sichtweise 71 – Rechnungsnummer 78 – Steuerausweis 83 – Steuernummer 76 – USt-IdNr. 76 Rechnungsangaben – Berichtigung 87 – nicht überprüfbare 76 – überprüfbare 81 – Übersicht 100 Rechnungsberichtigung 84 – Rückwirkung 87 Rechnungsdoppel 136 Rechnungsergänzung 92 – durch Zeugen 92 – von Kernbestandteilen 93 Rechnungsmerkmale – konstitutive 88 Recht – auf Gewährung eines umsatzsteuerlichen Vorteils 243 – auf Vorsteuerabzug 52 Rechtsfortbildung 230 – richterliche 234 Rechtssicherheit 54, 113, 125, 135, 152, 156, 163, 166, 193, 211, 251 Rechtstheorie 45 Reduktion – teleologische 232 Reemtsma 187 Regelungslücke – planwidrige 236 Reiseverkehr – nichtkommerzieller 41 Reverse-Charge-Verfahren 42, 173, 192 – unionsrechtliche Determinierung 224 Scheinunternehmer 58, 131 Schmeink & Cofreth 96
Schutz – des Eigentumsrechts 216 Sekundärrecht 230 Senatex 64 Sonstige Leistungen – unionsrechtliche Determinierung 224 Sorgfaltsanforderungen – branchenübliche 205 Sorgfaltsmaßstab 28, 106, 111, 134, 135, 136, 144, 145, 198 – bei hoheitlicher Bestätigung 199 Steuer – indirekte 36 Steuerausweis – materielles Kriterium 69 – rückwirkende Korrektur 89 – unberechtigter 85 – unrichtiger 84 Steuerbefreiungen – unionsrechtliche Determinierung 223 Steuerbetrug 116 – eigenständiger Versagungsgrund 50 Steuergeheimnis 77 Steuerpflichtiger – Begriff 58 Strohmann 59 – ohne Unternehmereigenschaft 61 Substance-over-form 120 Täuschung 104 Teleos 27, 124, 155, 166 Terra Baubedarf 63, 72 Typusbegriff 58 Umsatzsteuerkarussell 49 – Abwehrinstrumente 49 Umsetzungsgesetz – nicht vollständig determiniertes 220 – vollständig determiniertes 218 Umsetzungsspielraum – der Mitgliedstaaten 28, 219, 222 United Sp. z.o.o 168 Unternehmer – Begriff 57 Unterprinzip 46 Ursprungslandprinzip 38, 40 USt-IdNr. – materielle Tatbestandsvoraussetzung 143
Stichwortverzeichnis Vădan 66 Verbrauchsteuer – allgemeine 37 Verfahrensautonomie – der Mitgliedstaaten 244 Verhältnismäßigkeit 135, 153, 166, 211, 251 Verkaufspreis – niedriger 206 Verkehrsschutz 46 Vermutungsregelung 120, 170 Vermutungswirkung 133 Vertrag – von Lissabon 34, 211 Vertragsauslegung 182 – ergänzende 186 Vertrauensschutz 135, 166, 251 – Abgrenzung zum Gutglaubensschutz 43 – aufgrund hoheitlichen Handelns 44 – Ausfuhrlieferungen 166 – Begrenzung staatlichen Handelns 47 – bei anderweitiger Nachweisführung 74 – bei hoheitlicher Bestätigung 147 – beim Vorsteuerabzug 57 – bei rechtlicher Würdigung 152 – bei Täuschung 153 – Belegnachweis 135 – Beweislastverteilung 111 – Buchnachweis 140 – des Leistenden 94 – des Leistungsempfängers 97 – Differenzbesteuerung 180 – direkter Anspruch 114 – Erwerb für sein Unternehmen 148 – Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland 148 – fehlerhafte Rechnungsangaben 73 – Grundlage der Problematik 40
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– Herleitung 210 – Identität des Leistenden und Rechnungsausstellers 61 – im Anwendungsbereich des Verfassungs rechts 225 – indirekter Vertreter 156 – Integration 228 – Leistung 102 – Lieferung 147 – Ortsbestimmung 158 – Reverse-Charge-Verfahren 175 – Schaden 194 – sonstige Leistungen 171 – unionsrechtliche Determinierung 221 – Unternehmereigenschaft 59 – verfahrensrechtliche Geltendmachung 240 – Verhältnis zur Rechnungskorrektur 84, 94 – Vorteilsausgleich 197 – weites Verständnis 45 – Zollverfahren 42 155 – Zuordnung der Warenbewegung 149 Verzicht – auf Steuerbefreiung 188 Vorsteuerabzug 35, 55 – mit Gutschriften 100 – vollständige Determinierung 222 – Zeitpunkt 63 Wilhelm von Siemens 34 Wissen 203 Zuckerfabrik Süderdithmarschen 216 Zuordnung – der Warenbewegung 126