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German Pages 271 Year 2009
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1124
Die Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess Vertrauensschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
Von Michael Koch
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
MICHAEL KOCH
Die Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1124
Die Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess Vertrauensschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren
Von Michael Koch
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12832-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
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Für Siegfried Klawes (†)
Vorwort
„Die Jurisprudenz ist […] keine Wissenschaft, der mit Gesetzen reiner Logik beizukommen ist. Sie ist eine lebensbezogene, wertende Disziplin. Irgendwelche Denkergebnisse können nur dann Anspruch auf Billigung erheben, wenn sie empfunden werden als gerechte, die Interessenlage berücksichtigende praktikable Lösung. Das gilt in besonderem Maße für eine so lebensnahe Materie wie das Prozeßrecht, das für den Streit der Parteien um das materielle Recht die Kampfregeln gibt und sich daher in dauernder Integrierung befindet.“ (Karl Sieg)
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2007 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Zunächst möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis, für die unkomplizierte Betreuung dieser Arbeit herzlich danken. Seine wertvollen Anregungen waren mir eine große Hilfe. Bei Herrn Prof. Dr. Michael Krautzberger bedanke ich mich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die darin gefundenen freundlichen Worte. Dr. Jakob Nolte danke ich für die anregenden Diskussionen und seine klugen Hinweise, die mir bei der Fertigstellung dieses Buches sehr geholfen haben. Dr. Susanne P. Leiterer danke ich für ihre Anwesenheit an meiner Seite, ihre stetige Unterstützung und für ihre Geduld während der gesamten Zeit, die ich an dieser Arbeit geschrieben habe. Dank gilt ebenso Dr. Rainer Stentzel. Ohne seine Anregung wäre dieses Buch nicht entstanden. Für die finanzielle Unterstützung danke ich der hochschulübergreifenden Kommission zur Vergabe von Promotionsstipendien nach dem Berliner Gesetz zur Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses (NaFöG), die es mir erlaubte, die Arbeit unbeschwert zu beenden. Herrn Dr. Eckart Putzier danke ich dafür, dass er mir die Möglichkeit einräumte, in seiner Kanzlei promotionsbegleitend mitzuarbeiten. Ganz besonders danke ich meiner Mutter, Heidi Koch, für ihre Unterstützung während meines Studiums und meiner Promotion. Bedanken möchte ich mich ebenso bei Therese Klawes. Schließlich gilt mein Dank Sebastian Noack, der mir zum Beginn dieser Arbeit hilfreich zur Seite stand, sowie Robert Stieglitz, der mir eine kurze Auszeit ermöglichte. Berlin, Winter 2008
Michael Koch
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Problemstellung und Abgrenzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 II. Die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III. Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 IV. Abgrenzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 C. Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Verkündung, Geltung und Anwendbarkeit von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Verkündung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Außerkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Die zeitliche Wirkung von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Vorwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Echte Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Unechte Rückwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Rückwirkung auf ein bestehendes Prozessrechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . 38 III. Intertemporales Recht / Übergangsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Formelles Übergangsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Materielles Übergangsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
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Inhaltsverzeichnis
D. Allgemeine Kollisionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I. Lex superior derogat legi inferiori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Lex specialis derogat legi generali . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Lex posterior derogat legi priori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 IV. Das Verhältnis der lex posterior Regel zu den anderen Kollisionsregeln . . . . . . . . 45
E. Die allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts im Prozessrecht . . . . . . . . . . 45
F. Die Entwicklung des Übergangsrechts – Die historischen Wurzeln der Grundsätze des intertemporalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Intertemporales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Gesetzliches Übergangsrecht am Ende des 18. und im Verlaufe des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Das preußische Allgemeine Landrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Der Code Civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 aa) Die Geltung des Code Civil in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 bb) Die Aufhebung des Code Civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 c) Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . 51 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Erwägungen der Rechtslehre zum Übergangsrecht im 19. Jahrhundert . . . . . . . 52 a) Subjektive Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Der subjektive Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 bb) Die Lehre vom Schutz der „wohlerworbenen Rechte“ . . . . . . . . . . . . . . 53 cc) Die Lehre Lassalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 dd) Die Abkehr vom Begriff der „wohlerworbenen Rechte“ . . . . . . . . . . . . . 54 b) Die differenzierende Lehre v. Savignys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Objektive Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Der objektive Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Der Begriff der juristischen Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 cc) Die Theorie Affolters zum Intertemporalen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . 57 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
Inhaltsverzeichnis
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3. Das Übergangsrecht des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Keine Aufnahme allgemeiner Übergangsregelungen in den Allgemeinen Teil des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Der Verzicht auf allgemeine Grundsätze in den Übergangsregelungen des EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Die Motive des Gesetzgebers bei der Normierung des Übergangsrechts . . . . 61 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Die Aufstellung allgemeiner Grundsätze zum zeitlichen Anwendungsbereich von Zivilrechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Nipperdeys Grundsätze zum zeitlichen „Herrschaftsbereich der Rechtsvorschriften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Unterscheidung nach dem Wesen neuer Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 aa) Anlass der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 bb) Vermeidung eines lang andauernden Nebeneinanders von altem und neuem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 cc) Ausnahmen von der Anwendbarkeit neuen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 III. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Kopps „Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts“ . . . . . . . . . . . . . . . 67 a) Allgemeine Auslegungs- und Anwendungsgrundsätze des intertemporalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Der Grundsatz der Sofortwirkung und Nicht-Rückwirkung des neuen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Der Grundsatz „tempus regit actum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 cc) Der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts auch auf nach altem Recht entstandene Rechte und Rechtsverhältnisse . . . . . . . . 69 dd) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 ee) Der Grundsatz der Unantastbarkeit in der Vergangenheit abgeschlossener Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Berücksichtigung des gesetzgeberischen Anliegens bei der Auslegung und Anwendung neuen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 aa) Der Regelungsschwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Das Gewicht und die Dringlichkeit des Regelungsanliegens . . . . . . . . . . 71
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Inhaltsverzeichnis cc) Vermeidung eines lang andauernden Nebeneinanders von neuem und altem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 dd) Vermeidung unerwünschter Wirkungen oder unzumutbarer Härten . . . . 71 2. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozessrecht . . . . . 72 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
G. Rechtsanwendungsmaximen des EuGH zur Lösung intertemporalrechtlicher Fragen . 74 I. Sofortwirkung als allgemein anerkannter Grundsatz – auch im Prozessrecht . . . . 75 II. Ausnahmen von der Sofortwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Kontinuität der Rechtsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Vertrauen auf den Fortbestand der alten Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Zweiter Teil Die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess
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A. Die zu untersuchenden Verfahrenssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 I. Fälle widersprüchlicher Rechtsprechung im Hinblick auf die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Ausschluss der Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz durch § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG in der Fassung von 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Die Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Anwendung des neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Die Beschränkung der Antragsbefugnis im Rahmen des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO 82 a) Die Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Anwendung des neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage des Adressaten gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Die Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Inhaltsverzeichnis
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b) Anwendung des neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 c) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 87 4. Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen einen den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Die Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Anwendung des neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 92 5. Änderung des zuständigen Gerichts für die Berufungszulassung nach § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO n.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Die Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Anwendung des neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 c) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 96 II. Fälle der Anwendung alten Rechts auf anhängige Verwaltungsprozesse – in Einschränkung der Grundsätze des intertemporalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Die Einführung der Dreimonatsfrist für Normenkontrollanträge nach Nr. 1 des Gesetzes zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (RMBeschrG) in der bis zum 31. 12. 1996 geltenden Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Die Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen einen den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt nach Nr. 3 des Gesetzes zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (RMBeschrG) in der bis zum 31. 12. 1996 geltenden Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 a) Die Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Einräumung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen einen den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt gemäß Art. 3 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Die Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 101
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Inhaltsverzeichnis 4. Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gemäß § 17 Abs. 6 a FStrG in der Fassung vom 17. 12. 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Die Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 103
B. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Dritter Teil Verfassungsrechtliche Prüfung der Grundsätze des intertemporalen Rechts und ihrer Anwendung im Verwaltungsprozess
105
A. Verfassungsrechtliche Reichweite der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Die Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Rechtsklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Anforderungen an die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Das Fehlen konkretisierbarer Übergangsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 c) Die Bestimmtheit der Grundsätze des intertemporalen Rechts und die Unbestimmtheit ihrer Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Beständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Das Gebot des fairen gerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 B. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Grundsätze des intertemporalen Rechts . . 111 I. Das Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG . 112 a) Rechtsfortbildung bei fehlenden Übergangsvorschriften? . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Beachtung des Vorrangs der Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts als Ergebnis richterlicher Auslegung 115 II. Der Grundsatz der Effektivität staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Inhalt des Effektivitätsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Der Effektivitätsgrundsatz als Verfassungsprinzip? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4. Bedeutung des Effektivitätsgrundsatzes für die Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
Inhaltsverzeichnis
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III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 IV. Rechtsdogmatische Grundlagen des intertemporalen Gemeinschaftsrechts . . . . . . 122 1. Rechtsnatur allgemeiner Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Der Grundsatz der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Der Effektivitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 C. Die verfassungsrechtlichen Schranken der Grundsätze des intertemporalen Rechts . . . 126 I. Die Ausgangslage: Der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. Das Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Gerechtigkeit und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Der Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Die unechte Rückwirkung von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Die zentrale Bedeutung des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 c) Vorbehalt entgegenstehender öffentlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 d) Das Erfordernis und das Ziel einer Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . 136 e) Gewährung des Vertrauensschutzes durch Übergangsregelungen . . . . . . . . . 136 f) Gewährung des Vertrauensschutzes durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 137 3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Die Garantie effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 IV. Das Gebot des fairen gerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 V. Der Gleichheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 D. Individualrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 I. Unterscheidung zwischen Rückwirkung und Sofortwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 II. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit als wesentliche Schranken der Sofortwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
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Inhaltsverzeichnis
E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Vierter Teil Vertrauen im Verwaltungsprozess – das private Interesse des Prozessführenden an der Anwendung alten Prozessrechts
153
A. Schutzwürdigkeit des Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Durch die Rechtsänderung hervorgerufene Belastung des Bürgers . . . . . . . . . . . . 154 II. Vertrauenstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Grundrechtlicher Schutz verfahrensrechtlicher Positionen? . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Vertrauensgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Gesetzliche Regelung nach bisheriger Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Verfahrensrechtliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3. Vertrauensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 4. Disposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5. Exkurs: Vertrauen in die Kostensicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 B. Die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . 161 I. Vertrauenstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Kausale Disposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 III. Schutzwürdigkeit des Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Vorhersehbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Kausaler Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Inhaltsverzeichnis
15
Fünfter Teil Gewichtung des in die Abwägung einzustellenden privaten Interesses
166
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 I. Die Charakteristik des Verwaltungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Überblick über die historische Entwicklung des Verwaltungsprozessrechts . . . 167 a) Die Entstehung der Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrollumfang . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten der VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Die Besonderheiten des Verwaltungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Der Vergleich zur ordentlichen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Die Nähe zur Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Die dienende Funktion des Verwaltungsprozessrechts – Rechtsverwirklichung . 173 a) Objektive Rechtskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Subjektive Rechtskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 c) Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Der funktionale Eigenwert des Verwaltungsprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 II. Die Bedeutung einzelner verwaltungsgerichtlicher Verfahren und darin erlangter Verfahrenspositionen für die Umsetzung materiellen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Rechtsmittel des Verwaltungsprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Die Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Die Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Erstinstanzliche Rechtsbehelfe des Verwaltungsprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Die Anfechtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 aa) Der Suspensiveffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 bb) Lage bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 III. Besonderheiten in der Rechtsprechung des EuGH in Fällen so genannter Mischregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
16
Inhaltsverzeichnis IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 I. Grad des Vertrauens – „Vertrauensdichte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Prozessrechtliche Regelungen als Vertrauensgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Durch die Vertrauensgrundlage veranlasste Dispositionen . . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Prozesshandlungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – gesetzlich veranlasste Dispositionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Die Besonderheit des Verwaltungsprozesses im Vergleich zum Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 bb) Differenzierung nach der Rechtswidrigkeit beziehungsweise Rechtmäßigkeit des den Bürger belastenden staatlichen Handelns . . . . . 193 cc) Summarische Prüfung der Rechtswidrigkeit beziehungsweise Rechtmäßigkeit des den Bürger belastenden staatlichen Handelns . . . . . 194 2. Vorhersehbarkeit der Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Die Vorwirkung von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 aa) Die Diskussion und Ankündigung eines Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 bb) Der Beschluss eines Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 cc) Die Verkündung eines Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Besonderheit der vorliegenden Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Das Kriterium der Vorhersehbarkeit im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . 204 3. Der zeitliche und inhaltliche Fortschritt des Prozesses – Annäherung an die Umsetzung materiellen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Kriterien des zeitlichen Fortschritts des Prozesses: Die Abschnitte des Verwaltungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Der Zeitpunkt der Vornahme einzelner Prozesshandlungen . . . . . . . . . . 207 bb) Das Erreichen einzelner Prozessabschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Kriterien des inhaltlichen Fortschritts des Prozesses: Die Bedeutung der Prozessabschnitte für das Erreichen des Prozessziels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Der Abschluss des Verwaltungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 bb) Die Rechtskraft verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . 210 cc) Verschmelzung von Prozessrecht und materiellem Recht . . . . . . . . . . . . 210 dd) Rechtskraft und materielle Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 ee) Das in Rechtskraft erwachsene Prozessurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Inhaltsverzeichnis
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ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 c) Die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen als maßgebliches Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 aa) Die Vorwirkung gerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Der Grad der Wahrscheinlichkeit einer für den Prozessführenden günstigen Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 cc) Summarische Prüfung der Rechtswidrigkeit beziehungsweise Rechtmäßigkeit des den Bürger belastenden staatlichen Handelns . . . . . 215 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
C. Die Intensität der Beeinträchtigung des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 I. Die Beeinträchtigung anhängiger verwaltungsgerichtlicher Verfahren . . . . . . . . . 220 1. Die geänderten Voraussetzungen der Berufungszulassung gemäß § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO n.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Der Wegfall der Beschwerdemöglichkeit im vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG (in der Fassung von 1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Die Beschränkung der Antragsbefugnis einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Tragweite der Beeinträchtigung im Vergleich zum Verlust eines Rechtsmittels 222 aa) Umsetzung nur objektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 bb) Verweis auf die Inzidentkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) Abwandlung: Die Einführung der Dreimonatsfrist für Normenkontrollanträge nach Nr. 1 RMBeschrG in der bis zum 31. 12. 1996 geltenden Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 4. Der gesetzlich angeordnete Ausschluss der aufschiebenden Wirkung durch eine Regelung i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Verweis auf den vorläufigen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Die Bedeutung des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung. 228 aa) Nachteil bei der Interessenabwägung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 bb) Eingeschränkte Berücksichtigung des gesetzgeberischen Vollzugsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
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Inhaltsverzeichnis II. Summarische Prüfung der Rechtswidrigkeit beziehungsweise Rechtmäßigkeit des den Bürger belastenden staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Sechster Teil Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
233
A. Das in die Abwägung einzustellende öffentliche Interesse an der sofortigen Anwendung neuer prozessrechtlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 I. Das allgemeine öffentliche Interesse an der Änderung bestehenden Rechts . . . . . 234 II. Der Zweck prozessrechtlicher Neuregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1. Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Verfahrensbeschleunigung . . . . 234 2. Schutz des „auch privaten“ Interesses an Entlastung und Beschleunigung . . . . 235 a) Effektivierung des individuellen Rechtsschutzes durch die Vereinfachung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Effektivierung des individuellen Rechtsschutzes durch die Entlastung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 c) Vereinfachter Rechtsschutz beim Gebrauchmachen von Erlaubnissen . . . . . 237 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 B. Die Abwägung der sich widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen im Fall der sofortigen Anwendung neuen Verwaltungsprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I. Die Vorgaben des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Geeignetheit der sofortigen Anwendung neuen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Erforderlichkeit der sofortigen Anwendung neuen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Angemessenheit der sofortigen Anwendung neuen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . 243 II. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 C. Bewertung der in den untersuchten Verfahrenssituationen getroffenen Entscheidungen 245 I. Die Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 II. Die Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
Inhaltsverzeichnis
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IV. Die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 V. Die Anfechtungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 D. Die Abwägung im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 I. Das allgemeine öffentliche Interesse der Europäischen Gemeinschaft an der Änderung bestehenden Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 II. Der gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Siebter Teil Abschließende Betrachtungen
256
A. Forderungen an die Verwaltungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 I. Rechtsfolge des Vertrauensschutzgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 II. Rechtsfolge des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 III. Rechtsfolge des Erfordernisses der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 IV. Rechtsfolge des Gebots des fairen gerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 B. Konsequenzen für den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 C. Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
Erster Teil
Die Grundsätze des intertemporalen Rechts A. Einführung Die Einführung neuer beziehungsweise die Änderung bestehender Gesetze ist aufgrund der sich stets in Bewegung befindlichen Lebenssachverhalte allgegenwärtig. Bei jeder Veränderung der Rechtslage stellt sich für den Rechtsanwender, vor allem für die Gerichte, die Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich der neuen Rechtsnormen. Auch wenn regelmäßig gilt, dass Gesetze immer erst von ihrem Inkrafttreten an und nur für die Zukunft wirken, so betreffen sie häufig auch zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, die über die Gesetzesänderung hinaus fortbestehen. Soll dann das neue Recht auf solche bereits bestehenden Rechtsverhältnisse, so beispielsweise auch auf anhängige Gerichtsverfahren Anwendung finden? Oder sollen diese noch nach altem Recht entschieden werden? Muss das neue Recht dementsprechend in seiner Anwendung eingeschränkt werden? Ist die sofortige Geltung neuen Rechts möglicherweise an bestimmte Voraussetzungen gebunden? Grundsätzlich ist es Gegenstand von Übergangsvorschriften, derartige Fragen zu beantworten. Jedoch werden die Probleme, die sich aus einer Änderung der Gesetzeslage für bereits bestehende Rechtsverhältnisse ergeben, vom Gesetzgeber nicht in jedem Fall erkannt. Häufig sind die Schwierigkeiten des Übergangs vom alten in das neue Recht auch nicht in allen Einzelheiten vorhersehbar. Der Gesetzgeber konzentriert – und beschränkt – sich daher regelmäßig auf die Lösung offensichtlicher Übergangsfragen. Eine lückenlose Regelung sämtlicher theoretisch denkbarer Fälle bleibt somit aus. Infolge dessen fehlen vielfach solche Übergangsbestimmungen, die den zeitlichen Anwendungsbereich des neuen gegenüber dem früheren Recht festlegen und somit die Überleitung bestehender Rechtspositionen und anhängiger Verfahren in das neue Recht regeln. Sodann ist es die Aufgabe der Verwaltungspraxis und der Rechtsprechung, die dadurch entstehenden Regelungslücken mit Hilfe allgemeiner Grundsätze zu füllen. Anwendung finden dabei insbesondere die Grundsätze des intertemporalen Rechts. Diese besagen im Wesentlichen, dass neues Recht zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens im Zweifel auch auf bereits bestehende Rechtsverhältnisse anzuwenden ist. Im Verwaltungsprozess erweist sich der Rückgriff auf die Grundsätze des intertemporalen Rechts jedoch nicht immer als eine einfache und vor allem eindeutige Lö-
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
sung, da diese zum Teil unter anderen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und zunächst für andere Rechtsgebiete, wie das Zivilrecht, entwickelt wurden. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts sind heute zwar als allgemeine Rechtsgrundsätze anerkannt, die ihre Grundlage vor allem im Rechtsstaatsprinzip finden und der Effektivität des Staates und der effektiven Durchsetzung der Gesetze dienen. Auch der Vergleich mit dem EG-Recht zeigt, dass dort die gleichen Grundsätze gelten. Allerdings gibt es kaum ein Gebiet, „in dem […] noch so viele Fragen ungeklärt sind und so vieles umstritten ist wie auf dem Gebiet des intertemporalen Rechts“1.
B. Problemstellung und Abgrenzung der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung geht den Rechtsfragen nach, die durch das Aufeinandertreffen neuer prozessualer Regelungen auf bestehendes Prozessrecht aufgeworfen werden, insbesondere dann, wenn ausdrückliche oder vollständige Übergangsregelungen fehlen. Konkreter Untersuchungsgegenstand sind vor den Verwaltungsgerichten anhängige Verfahren, in denen nach einer Gesetzesänderung unklar ist, ob der Prozess noch nach altem oder bereits nach neuem Recht zu entscheiden ist. In solchen Verfahrenssituationen greifen die Verwaltungsgerichte in der Regel auf die Grundsätze des intertemporalen Rechts zurück, nach denen das neue Recht mit seinem Inkrafttreten sofort zur Anwendung gelangen soll. Vereinzelt werden aber auch Ausnahmen von dieser Regel zugelassen. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts treffen innerhalb der Verwaltungsrechtsprechung auf ein unterschiedliches Verständnis und werden zum Teil in vergleichbaren Verfahrenssituationen in widersprüchlicher Weise berücksichtigt. In der Literatur findet dieser Missstand bislang nur wenig Beachtung.
I. Fallbeispiel Durch das 6. VwGOÄndG vom 01. 11. 1996 wurde unter anderem die Antragsbefugnis für die Durchführung einer Normenkontrolle geändert. Die neue Fassung des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO fordert nunmehr die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts, statt wie bis dahin lediglich die Geltendmachung eines „Nachteils“. Einhergehend mit der Änderung dieser Verfahrensnorm stellte sich für die Verwaltungsgerichte die Frage, ob für anhängige Normenkontrollverfahren noch die alte oder bereits die neue Fassung des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO anzuwenden sei. Die Übergangsvorschriften im 6. VwGOÄndG enthalten keine Regelung, die eine Antwort auf diese Frage gibt. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts ist die neue Rechtslage maßgeblich. Deren Anwendung führte aber dazu, dass nach früherem Recht zulässige Anträge nach neuer Rechtslage unzulässig wurden, wenn eine Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts nicht geltend gemacht werden konnte. 1
Kopp, SGb 1993, 593 (594 f.).
B. Problemstellung und Abgrenzung der Untersuchung
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Dementsprechend entschied das OVG Nordrhein-Westfalen, dass sich die Antragsbefugnis vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Regelung nach der Maßgabe des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO n.F. beurteile2. Ein bereits anhängiger und nach altem Recht zulässiger Normenkontrollantrag wurde mangels Antragsbefugnis als unzulässig zurückgewiesen. Der Antragsteller könne sich auch nicht auf das in die bisherige Rechtslage investierte Vertrauen berufen. Anders sah dies der Bayerische VGH München3. Die Befugnis, eine Rechtsnorm überprüfen zu lassen und damit gegebenenfalls Nachteile abzuwenden, die aufgrund der angegriffenen Norm bestehen oder entstehen können, begründe eine wichtige verfahrensrechtliche Position, auf deren Bestehen der Antragsteller vertrauen könne. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts seien entsprechend einzuschränken. Die Antragsbefugnis könne somit nicht nachträglich entfallen.
II. Die Problematik Das angeführte Fallbeispiel veranschaulicht in sehr deutlicher Weise den unterschiedlichen Umgang mit einer neuen Rechtslage, aber auch mit den Grundsätzen des intertemporalen Rechts. Besonderes Interesse gilt hierbei vor allem der Frage, welche Beweggründe die Gerichte dazu veranlasst haben, der Neuregelung verschiedenes Gewicht beizumessen. Bei der Beantwortung dieser Frage stoßen im Wesentlichen zwei Positionen aufeinander, zum einen der Vertrauensschutz des Normunterworfenen und zum anderen das Anliegen des Staates, das Recht fortzuentwickeln und den sich ändernden Lebenssachverhalten stetig anzupassen. Beide Positionen wurzeln in dem Bestreben nach Rechtssicherheit. In der zeitlichen Dimension bedeutet Rechtssicherheit zunächst, das Vertrauen des Normadressaten auf den Bestand beziehungsweise Fortbestand gesetzlicher Regelungen, also auf Rechtskontinuität, zu schützen. Dieses Vertrauen basiert auf dem Interesse, bislang erworbene subjektive Rechte auch in einer geänderten Rechtsordnung zu erhalten und zu wahren, bisherige Planungen auch unter dem neuen Recht zu verwirklichen4. 2
OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 ff. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit werden (nur) solche Entscheidungen, die die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts diskutieren und damit einen grundlegenden Untersuchungsgegenstand bilden, zwecks besserer Differenzierung im Detail (Senat, Entscheidungsform, Datum) genauer zitiert. 3 Bayerischer VGH München (20. Senat, Beschluss vom 14. 02. 1997), NVwZ 1997, 694. 4 Umgekehrt kann natürlich auch gerade zum Schutz von grundgesetzlich verankerten Individualinteressen eine Änderung bestehenden Rechts erforderlich und vom Normbetroffenen erwünscht sein, etwa wenn der Gesetzgeber in Erfüllung seines Verfassungsauftrages Gesetze zu erlassen hat, vgl. Art. 3 Abs. 2 GG, Art. 4 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 5 GG. Siehe dazu auch genauer im Sechsten Teil, A. II. 2.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
Demgegenüber heißt Rechtssicherheit aber auch, ein Nebeneinander von altem und neuem Recht zu vermeiden. Diese Aufgabe richtet sich in erster Linie an die Gesetzgebung. Kommt der Gesetzgeber diesem Auftrag allerdings nicht nach, indem er es versäumt, passende Übergangsvorschriften zu erlassen, obliegt es in einem nächsten Schritt dem Rechtsanwender und damit auch den Gerichten, der verfassungsrechtlichen Forderung nach Rechtssicherheit gerecht zu werden. Gesetze werden aus vielen Gründen erlassen, geändert oder angepasst, vor allem in der Folge politischer Entscheidungen5. Stetige Änderungen der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse erfordern ein regelmäßiges Tätigwerden des Gesetzgebers und bilden häufig den Anlass für Gesetzesänderungen. Das Erfordernis neuer Gesetzgebung ergibt sich auch aus einigen Normen des Grundgesetzes. So ist der Gesetzgeber durch Art. 3 Abs. 2 GG, Art. 4 Abs. 3 GG oder durch Art. 6 Abs. 5 GG gehalten, Gesetze zu erlassen, die dem Verfassungsauftrag entsprechen. Auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen ein Gesetz oder eine Vorschrift für verfassungswidrig erklärt wird, beinhalten in der Regel eine unausgesprochene Aufforderung an den Gesetzgeber, diese zu ändern beziehungsweise aufzuheben und eine verfassungskonforme Neuregelung zu erlassen6. Schließlich sind als Grund für Gesetzesänderungen etwaige Vorgaben des Gemeinschaftsrechts der EU anzuführen7. Ziel sollte es dabei jeweils sein, neues Recht so in die Rechtsordnung einzupassen, dass es keine Widersprüche zu bereits bestehenden Gesetzen hervorruft. Die Rechtsordnung muss, um ihrem Ordnungsauftrag gerecht zu werden, ein sinnvolles Gefüge ergeben, in dem nicht die einen Rechtsnormen etwas gebieten, was wiederum andere Normen verbieten8. Entsprechende Normenkollisionen gilt es zu vermeiden, nötigenfalls deren Handhabung in entsprechenden Übergangsvorschriften zu regeln. Denn eine Kollision von Rechtsnormen, deren Regelungsgehalt jeweils denselben Sachverhalt betrifft, führt unweigerlich zu Rechtsunsicherheiten. In den in dieser Arbeit zu untersuchenden Verfahrenssituationen, in denen Verfahrensnormen des neuen Rechts auf bestehende Regelungen des alten Rechts stoßen und deren Anwendungsbereiche dabei auf zeitlicher Ebene kollidieren, werden in 5 Vgl. ausführlich Müller, DÖV 1964, 226 ff.; siehe auch Hill, DÖV 1981, 487 ff. Die Einführung neuer Gesetze erfolgt angesichts der Fülle von Regelungswerken zumeist nicht ohne Aus- beziehungsweise Einwirkungen auf das bereits bestehende Recht. So gesehen stellt jede Neuregelung auch eine Gesetzesänderung im weitesten Sinne dar. Gesetzgebung bedeutet also sowohl den Erlass eines neuen als auch die Änderung eines alten Gesetzes. Einer weitergehenden Unterscheidung bedarf es daher nicht. So auch Böckel, Einpassung neuen Rechts, 15, 30 f. 6 Teilweise wird diese Aufforderung, verfassungsgemäße Regelungen zu schaffen, auch als ausdrückliche Verpflichtung ausgesprochen, so BVerfGE 93, 121 (122); 99, 216 (244 f.); 109, 64 ff. 7 Siehe zu den Gründen für Gesetzesänderungen auch Böckel, Einpassung neuen Rechts, 15 f. 8 Böckel, Einpassung neuen Rechts, 23 f.
B. Problemstellung und Abgrenzung der Untersuchung
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aller Regel die Grundsätze des intertemporalen Rechts herangezogen. Zu klären gilt es, ob diese von der Rechtssprechung und im Schrifttum entwickelten Grundsätze stets zu einer gerechten Lösung solcher Normkollisionen führen und ob sie in diesem Zusammenhang tatsächlich geeignet sind, Rechtssicherheit zu gewähren. Die widersprüchlichen Entscheidungen in der Verwaltungsrechtsprechung lassen daran jedenfalls Zweifel aufkommen.
III. Gegenstand und Gang der Untersuchung Die Arbeit erhebt nicht den Anspruch, mit den folgenden Ausführungen eine erschöpfende Antwort auf alle denkbaren intertemporalrechtlichen Fragen zu geben. Das Ziel besteht vielmehr darin, wesentliche Grundsätze dar- und Überlegungen anzustellen, die es in Fällen fehlender Übergangsvorschriften zu beachten gilt. Die hiesige Untersuchung der Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess versteht sich als Ansatz zur Entwicklung einer systematischen Grundlage für eine sachgerechte und überzeugende Lösung sich stellender Probleme in vergleichbaren Fallkonstellationen. Hauptgegenstand der Untersuchung ist das Verwaltungsprozessrecht. Es wird hinterfragt, warum die Grundsätze des intertemporalen Rechts in der Verwaltungsrechtsprechung in verschiedener Weise aufgefasst werden und in der Folge zu einer unterschiedlichen Anwendung neuer Prozessregelungen führen. Zunächst ist es Aufgabe des Ersten Teils dieser Arbeit, Fragen der zeitlichen Anwendbarkeit von Gesetzen und damit im Zusammenhang stehende Rechtsbegriffe näher zu erläutern. Im Weiteren wird ein historischer Aufriss der intertemporalrechtlichen Problematik erfolgen. Um ein umfassendes Verständnis für deren Aussage zu erlangen, wird die Entwicklung der Grundsätze des intertemporalen Rechts, beginnend im Zivilrecht des 18. und 19. Jahrhunderts bis hin zum heutigen Verständnis, insbesondere im Verwaltungsprozessrecht dargestellt. Der Schwerpunkt des Zweiten Teils liegt darauf, die die Grundsätze des intertemporalen Rechts widersprüchlich anwendende Verwaltungsrechtsprechung an konkreten Fallbeispielen aufzuzeigen. Insbesondere werden hierbei solche Fälle genauer betrachtet, in denen verschiedene Verwaltungsgerichte in gleichen Verfahrenssituationen in unterschiedlicher Weise urteilen. Aus der Untersuchung solch widersprüchlicher Gerichtsentscheidungen ergibt sich die Möglichkeit, die jeweiligen Folgen fehlender Übergangsregelungen bei Anwendung noch alten oder bereits neuen Rechts zu erkennen und die sich daraus ergebenden Vor- und Nachteile für die Prozessbeteiligten zu ermitteln und zu beurteilen. In der Auswertung dieser Fallkonstellationen soll schließlich festgestellt werden, ob die Grundsätze des intertemporalen Rechts künftig in vergleichbaren Verfahrenssituationen stets uneingeschränkt in gleicher Weise anzuwenden sind.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
Zur Klärung der Frage, ob mit dem neuen Recht verbundene Nachteile, die sich infolge der Änderung des Verwaltungsprozessrechts im Laufe eines anhängigen Verfahrens einstellen können, durch den Prozessführenden in Kauf zu nehmen sind, wird im Dritten Teil der verfassungsrechtliche Rückhalt der jeweiligen verfahrensrechtlichen Position der Normadressaten, vor allem unter Berücksichtigung des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzprinzips untersucht. Dem werden die dogmatischen Wurzeln der Grundsätze des intertemporalen Rechts gegenüber gestellt. Diese Darstellung dient sodann als Grundlage für die Beantwortung der im Vierten, Fünften und Sechsten Teil der Arbeit aufgeworfenen Frage, ob die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts, infolge einer Änderung des Verfahrensrechts, im Verwaltungsprozess stets sachgerecht erfolgt. Zu klären ist, ob unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben Ausnahmen hievon zu machen sind. In diesem Zusammenhang gilt es, die Praktikabilität, die Anwendbarkeit der allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts zu prüfen. Können diese Grundsätze in den verschiedenartigen Fallkonstellationen eine zufrieden stellende Lösung anbieten? Können sie überhaupt eine allgemeine Geltung beanspruchen? Oder sind sie womöglich in den jeweiligen Verfahrenssituationen entsprechend deren Besonderheiten zu konkretisieren? Um diese Fragen beantworten zu können gilt es schließlich, die zusammengetragene Rechtsprechungspraxis eingehend zu untersuchen und die darin zu Tage tretenden öffentlichen und privaten Interessen gegeneinander abzuwägen. Bei der Suche nach einer Lösung intertemporalrechtlicher Probleme im deutschen Verwaltungsprozess wird schließlich auch die Rechtsprechung des EuGH einzubeziehen sein. Das Gemeinschaftsrecht beeinflusst nicht nur die materiell-rechtlichen Entscheidungen im nationalen Verwaltungsprozess, es enthält auch konkrete Vorgaben für das verwaltungsgerichtliche Verfahren selbst. Die mitgliedstaatlichen Gerichte unterliegen diesem Einfluss zweifelsohne bei der Kontrolle des Vollzugs von Gemeinschaftsrecht, darüber hinaus aber auch in ihrer sonstigen Rechtsprechungstätigkeit9. Unter diesem Gesichtspunkt ist an den sich dafür anbietenden Vergleichspunkten nach der Vorgehensweise des EuGH in Fällen zeitlich kollidierender Rechtsakte und den gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen der Rechtssprechungspraxis des EuGH zu fragen. Dieser steht, ebenso wie die deutschen Verwaltungsgerichte, auch regelmäßig vor dem Problem zeitlicher Normenkollisionen. Die Frage, ab welchem Zeitpunkt eine neue Rechtsnorm anwendbar ist, stellt sich gleichermaßen bei jeder Änderung des Gemeinschaftsrechts. Insbesondere aufgrund der Wechselwirkungen des EG-Rechts sowohl mit dem mitgliedstaatlichen Recht als auch mit der Völkerrechtsordnung erreicht die Problematik zeitlicher Anwendbarkeitskonflikte von Rechtsnormen eine besondere Vielfalt10. Intertemporalrechtliche Fragen sind dem Gerichtshof somit nicht unbekannt, Lösungen jedoch ebenfalls weder im primä-
9 Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 116 f.; Schwarze, in Schwarze, Das Verwaltungsrecht unter europäischen Einfluß, 19. 10 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 15.
B. Problemstellung und Abgrenzung der Untersuchung
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ren, noch im abgeleiteten Gemeinschaftsrecht normiert. Lücken werden daher auch hier durch den Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze auszugleichen versucht11.
IV. Abgrenzung der Untersuchung Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Darstellung und Würdigung der Verwaltungsrechtsprechung im Hinblick auf sich ändernde Prozessvorschriften. Eine weiterreichende Erörterung der Problematik intertemporalen Rechts kann im Rahmen dieser Untersuchung darüber hinaus nicht geleistet werden. Eine Betrachtung der Rechtsprechungspraxis in anderen Rechtsgebieten erfolgt nicht. Die Handhabung der Grundsätze des intertemporalen Rechts im Zivil- oder Strafprozessrecht kann in der hiesigen Untersuchung nur insoweit Berücksichtigung finden, als dass sich daraus Aufschlüsse auf die Verwaltungsrechtsprechung ergeben. So findet die Problematik des intertemporalen Rechts beispielsweise ihren Ursprung im Zivilrecht, worauf in angemessener Weise einzugehen sein wird. Im Weiteren wird jedoch insbesondere den Besonderheiten des Verwaltungsprozesses Rechnung getragen. Das hier zu erörternde Problem des uneinheitlichen Verständnisses der Grundsätze des intertemporalen Rechts würde an Gewicht verlieren, wenn der Gesetzgeber Übergangsvorschriften erließe, die ausdrücklich regeln, „ob die nach bisherigen Recht begründeten Rechte und Rechtsverhältnisse übergangsweise fortgelten oder ob in Zukunft nur noch die neuen Vorschriften maßgeblich sein sollen“12. Das Instrument der Übergangsregelung stellt „eine geradezu beispielhafte Möglichkeit“ dar, den gegenläufigen Interessen durch beiderseitige Begrenzung zu optimaler Wirksamkeit zu verhelfen13. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber nicht möglicherweise zum Erlass von Übergangsvorschriften verpflichtet ist. Zwar genießt der Gesetzgeber grundsätzlich ein gewisses Maß an Gestaltungsfreiheit, die nur insoweit eine Einschränkung erfährt, als dass bestimmte verfassungsrechtliche Vorgaben Beachtung finden müssen. Darin kann aber auch eine Bindung dahingehend gesehen werden, a priori nur solche gesetzliche Regelungen zu erlassen, die den Anforderungen der Verfassung genügen. Ob und inwieweit der Gesetzgeber generell einer Selbstbindung in diesem Sinne unterliegt, wird sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Rechtslehre vielseitig – so etwa unter dem Gesichtspunkt der Systemgerechtigkeit14 beziehungsweise der Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung15 oder 11
Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 22 f. BVerfGE 31, 275 (284). 13 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 108; zu den verschiedenen Instrumentarien im Übergangsrecht, 120 ff.; siehe dazu auch Böckel, Einpassung neuen Rechts, 46 ff. m.w.N. 14 BVerfGE 60, 16 (43 f.); 66, 214 (223 f.); 67, 70, (84 f.); 85, 238 (247); 104, 74 (87); einen Überblick zu der auch unterschiedlich bezeichneten Thematik – Systemgerechtigkeit, Folge12
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
vor dem Hintergrund eines Kontinuitätsgebots16 – diskutiert. Hieraus könne sich nach verschiedenen Auffassungen auch ein Anspruch des Bürgers auf den Erlass von Übergangsvorschriften ergeben17. Ungeachtet dieser Diskussion würde es den Bedürfnissen der Praxis – des Bürgers nach mehr Rechtssicherheit und der Rechtsprechung nach klareren Anwendungsregeln – sicher zuträglich sein, wenn der Gesetzgeber ein größeres Augenmerk auf die Abfassung von Überleitungsvorschriften richten würde. Die Frage nach einer möglichen Verpflichtung zum Erlass solcher Bestimmungen kann aber allenfalls im Anschluss an die hier anzustellende Untersuchung beantwortet werden. Denn eine derartige gesetzgeberische Pflicht bestünde nur dann, wenn eine hinreichend geschützte und gefestigte Rechtsposition von der Rechtsänderung betroffen würde18. Ob aber auch die verfahrensrechtliche Position des vor einem Verwaltungsgericht Rechtssuchenden in dieser Weise schützenswert ist, und ob dementsprechend an den Gesetzgeber, der auf eine verfahrensrechtliche Lage einwirkt, die gleichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe angelegt werden können wie bei einem Eingriff in bestimmte materiell-rechtliche individuelle Rechtspositionen, wird hier erst festzustellen sein. Gemäß den daraus resultierenden Ergebnissen sollen Hinweise und Richtlinien für die Rechtssprechungspraxis erarbeitet werden, die immer dann zum Tragen kommen, wenn der Gesetzgeber übergangsrechtliche Lücken hinterlässt. Inwieweit die am Ende vorliegenden Erkenntnisse dann auch eine Verpflichtung des Gesetzgebers begründen können oder womöglich sogar müssen, wird unter Berücksichtigung einer gewissen Abgrenzbarkeit und Überschaubarkeit der hier zu lösenden Problematik nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit sein. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts büßen aber auch dann nicht vollständig an Bedeutung ein, wenn das neue Gesetz besondere Übergangsregelungen vorsieht. Denn auch in diesen Fällen kann sich die Notwendigkeit einer ergänzenden Auslegung ergeben, wenn die Übergangsvorschriften unvollständig sind oder sich als ungültig erweisen. Eine lückenlose Regelung aller Übergangsfragen erweist sich angesichts der Vielfältigkeit von Berührungspunkten zwischen altem und neuem Recht als praktisch nicht möglich. Ausgeklammert wird auch der Themenkomplex sich ändernder Rechtsprechung, auf den an dieser Stelle dennoch hingewiesen werden soll. Genauso wie der Bürger erwartet, dass die noch geltende Rechtslage der Beurteilung seiner Klage zugrunde richtigkeit, Konsequenz oder Widerspruchsfreiheit – gibt Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 ff.; ausführlich hierzu Peine, Systemgerechtigkeit. 15 BVerfGE 98, 83 (97); 98, 106 (118 f.); 98, 265 (301); Hanebeck, Der Staat 41 (2002), 429 (434 ff.). 16 Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 1 f.; Peine, Systemgerechtigkeit, 239 ff.; Kloepfer, VVDStRL 40 (1982), 63 (86 f.); Kloepfer DÖV 1978, 225 (232 f.); Böckel, Einpassung neuen Rechts, 36 f. 17 Einen Überblick hierzu gibt Böckel, Einpassung neuen Rechts, 43 ff. m.w.N. 18 Böckel, Einpassung neuen Rechts, 43 ff. m.w.N.; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 75; Stern, Staatsrecht I, 835 f.
B. Problemstellung und Abgrenzung der Untersuchung
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gelegt wird, geht er regelmäßig auch davon aus, dass sich die Entscheidung des Gerichts an der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung orientiert. Es stellt sich in diesem Zusammenhang ebenfalls die Frage, ob und inwieweit das Vertrauen des Bürgers auf die Beständigkeit der Rechtsprechung geschützt wird. Der Rechtssuchende, der sich auf die bisherige Rechtsprechung verlassen und entsprechend disponiert hat, wird womöglich in seinem Vertrauen enttäuscht, wenn seinen Dispositionen durch die neue Rechtsprechungspraxis die Grundlage entzogen wird. So gesehen besteht aus Sicht des Bürgers kein Unterschied, ob eine Gesetzesänderung zum Verlust seiner aussichtsreichen Position führt oder ein Rechtsprechungswandel19. Rechtlich unterscheiden sich die Fragen, die sich hierbei an den Vertrauensschutz stellen allerdings von den Anforderungen des Vertrauensschutzes an eine Gesetzesänderung, so dass allein die bestehende Parallelität der Problematik bei genauerer Betrachtung keine Aufschlüsse für den hier zu untersuchenden Gegenstand erwarten lässt. Denn die Änderung eines Gesetzes, das als Vertrauensgrundlage dient, unterliegt im Gegensatz zur Änderung gefestigter Rechtsprechung verfassungsrechtlichen Vorgaben, die sich entscheidend auf das Maß des Vertrauens auswirken. Auch die Änderung langjähriger ständiger Verwaltungspraxis wirft vergleichbare Probleme auf. Im Rahmen des Ermessens- und Beurteilungsspielraums der staatlichen Verwaltung kann sich eine bestimmte Verwaltungspraxis herausbilden. Wenn und soweit der Bürger auf die Praxis einer Behörde vertraut und seine Dispositionen danach ausgerichtet hat, ist dies bei der Entscheidung darüber, ob ihn eine Änderung dieser Praxis treffen kann, zu berücksichtigen20. Jedoch geht es in diesem Themenbereich – unter dem Stichwort der Selbstbindung der Verwaltung – weniger um die Anpassung der Verwaltungspraxis an die sich ändernde Gesetzeslage, als vielmehr um die Abweichung von bisherigen Ermessenserwägungen und das Vertrauen des Bürgers hierauf21. Die vergleichende Betrachtung des Gemeinschaftsrechts soll Aufschluss über die dort geltenden Regeln zum intertemporalen Recht und der Kompatibilität der im nationalen Recht angewendeten Grundsätze geben. Das in der rechtswissenschaftlichen Literatur vermehrt besprochene Thema der Europäisierung des mitgliedstaatlichen (Verwaltungs- und Verwaltungsprozess-) Rechts soll jedoch darüber hinaus, so weit es um den Vollzug von EG-Recht im nationalen Rechtssystem geht, nicht weiter vertieft werden22. Das Interesse der folgenden Untersuchung konzentriert sich allein
19 Einführend in die Problematik Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 101 ff. (106, 108) m.w.N.; Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rd. 143 f. m.w.N.; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 79; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 16 m.w.N. 20 Siehe dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 40, Rn. 25 m.w.N. 21 Hennecke, in Knack, VwVfG, § 40, Rn. 54 – 56. 22 Einen Überblick zum Thema der Europäisierung des deutschen Verwatungs- und Verwaltungsprozessrechts geben Schwarze, in Schwarze, Das Verwaltungsrecht unter europäischen Einfluss, 123 ff.; Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, 1 ff.; Ehlers,
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
darauf, inwieweit die hier zu entwickelnden Anhaltspunkte zur Lösung intertemporalrechtlicher Konflikte mit dem „System intertemporalen Gemeinschaftsrechts“23 vereinbar sind.
C. Begriffsklärungen Für die Auseinandersetzung mit der aufgezeigten Problematik ist es zunächst von Bedeutung, Rechtsbegriffe, die mit der zeitlichen Abfolge von Gesetzen im Zusammenhang stehen, näher zu erläutern.
I. Verkündung, Geltung und Anwendbarkeit von Gesetzen Steht der zeitliche Anwendungsbereich neuer Rechtsnormen in Frage, sind damit naturgemäß auch Fragen nach deren Verkündung, ihrer Geltung sowie allgemein nach ihrer Anwendbarkeit verknüpft. Denn die Anwendbarkeit eines verkündeten und damit vorhersehbaren Gesetzes setzt stets dessen Geltung voraus. 1. Verkündung Die in Art. 82 Abs. 1 GG vorgeschriebene Verkündung eines Gesetzes im Bundesgesetzblatt ist ein rechtsstaatlich zwingender Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens, die dieses zum Abschluss bringt. Ohne die aus ihr erwachsende förmliche Publizität und die Möglichkeit des Einzelnen, sich über seine Rechte und Pflichten zu unterrichten, wären die Betroffenen auf Mutmaßungen angewiesen und der Gefahr staatlicher Willkür ausgesetzt24. Die Verkündung neuer Rechtsvorschriften stellt sich als unmittelbares Erfordernis des Rechtsstaatsprinzips dar. Jeder interessierte Bürger soll in verlässlicher Weise vom Inhalt der Gesetze Kenntnis nehmen können25. Zu differenzieren ist bei der Änderung von Gesetzen. Anders als bei der erneuten Verabschiedung eines zwar bisher schon geltenden, nun aber zum Teil inhaltlich geänderten Gesetzes handelt es sich bei einer Neubekanntmachung nicht um einen verkündungsbedürftigen gesetzgeberischen Akt, sondern lediglich um eine im Interesse der Rechtssicherheit erfolgende deklatorische Klarstellung. Ohne den Inhalt des Ge-
DVBl 2004, 1441 ff.; Schwarze, EuR 1997, 419 ff.; Schoch, VBlBW 1999, 241 ff.; Kokott, Die Verwaltung 31 (1998), 335 ff. 23 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 330. 24 Lücke, in Sachs, GG, Art. 82, Rn. 1. 25 BVerfGE 16, 6 (16 f.); 90, 60 (85).
C. Begriffsklärungen
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setzes zu verändern, wird lediglich der aktualisierte Wortlaut veröffentlicht, mit dem Ziel, bisherige Unstimmigkeiten im Gesetzestext zu beseitigen26. Mit seiner Verkündung wird das Gesetz rechtlich existent27. Es übt jedoch zunächst keine unmittelbaren normativen Wirkungen aus. Erst das Inkrafttreten gemäß Art. 82 Abs. 2 GG verhilft der gesetzlichen Regelung zu ihrer rechtlichen Geltung28. Allerdings entfaltet die Verkündung eines Gesetzes eine mittelbare Rechtswirkung. Darin liegt auch die besondere Bedeutung des Verkündungstermins für Fragestellungen des intertemporalen Rechts. Denn das damit in Aussicht gestellte Wirksamwerden des neuen Rechts in absehbarer Zeit, kann sich unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit nachteilig auf den Schutz des Vertrauens des Normadressaten auf den Fortbestand des herkömmlichen Rechts auswirken29. 2. Geltung Sobald ein Gesetz rechtliche Geltung erlangt, sind dessen Regelungen verbindlich. Die Geltungsanordnung beginnt mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens und bleibt bis zu dem des Außerkrafttretens wirksam. In dieser Zeit entfaltet das Gesetz inhaltlich volle Wirkung. Im Rahmen seines Geltungsbereiches sind dessen Bestimmungen von den Behörden und den Gerichten vollumfänglich anzuwenden30. Die darin vorgesehenen Rechtsfolgen können nunmehr für den Normadressaten eintreten. a) Inkrafttreten Das Inkrafttreten des verkündeten Gesetzes, das sich nach Art. 82 Abs. 2 GG bestimmt, ist nicht mehr ein Teil des Gesetzgebungsverfahrens, sondern bereits ein Teil der normativen Regelungen des Gesetzes31. Das Inkrafttreten ist unabdingbare Voraussetzung für die Geltung der inhaltlichen Gesetzesregelungen32. Nach Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG ist dieser Zeitpunkt bei Schweigen des Gesetzgebers festgelegt. Danach tritt das Gesetz vierzehn Tage nach dem Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist. Dem Erfordernis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist mit dieser Regelung Genüge getan33. Diese Regel greift jedoch
26 BVerfGE 14, 245 (250); 18, 389 (391); 64, 217 (221); Lücke, in Sachs, GG, Art. 82, Rn. 12; Pieroth, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 82, Rn. 7. 27 Lücke, in Sachs, GG, Art. 82, Rn. 12; Pieroth, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 82, Rn. 5. 28 BVerfGE 42, 263 (283). 29 Siehe zum Vertrauensschutz des Normadressaten allgemein im Dritten Teil, C. II. 2. und im Einzelnen im Vierten und Fünften Teil. 30 Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 75 f.; BVerfGE 42, 263 (283). 31 Pieroth, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 82, Rn. 9; BVerfGE 34, 9 (23 f.); 42, 263 (283). 32 Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 75 f. 33 Stern, Staatsrecht II, 637.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
nur dann ein, wenn der Gesetzgeber den Tag des Inkrafttretens nicht selbst bestimmt hat, wie es ihm Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG ermöglicht. Der maßgebliche Zeitpunkt liegt regelmäßig in der Zukunft34. Bei größeren Gesetzesreformen kann der Gesetzgeber auch angehalten sein, einen angemessenen Zeitraum zwischen der Verkündung und dem Inkrafttreten zu wahren, den die Gerichte und Behörden sowie die Bevölkerung benötigen, um sich mit dem neuen Rechtszustand vertraut zu machen35. Ein Hinausschieben des Zeitpunkts des Inkrafttretens kann etwa erforderlich sein, um die Behörden auf neue bevorstehende Aufgaben gemäß der geänderten Rechtslage hinreichend vorzubereiten beziehungsweise gänzlich neue Behörden zu bilden36. Der Gesetzgeber kann demgegenüber aber auch dazu veranlasst sein, neues Recht zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt in Kraft zu setzen, etwa in Fällen, in denen das neue Gesetz der Erfüllung eines Verfassungsauftrages oder der Bereinigung einer verfassungswidrigen Rechtslage dient37. Dementsprechend verkürzt sich hierbei der Vorbereitungszeitraum des Gesetzesanwenders und des Normadressaten, sich auf die Neuregelungen einzustellen. b) Außerkrafttreten Die Geltung eines Gesetzes endet mit dessen Außerkrafttreten. Über das Ende ihrer Geltungsdauer enthalten die Gesetze gewöhnlich jedoch keine Angaben. In der Regel gelten sie für unbestimmte Zeit38. Vereinzelt regeln Bestimmungen über das Inkrafttreten eines neuen Gesetzes gleichzeitig auch das Außerkrafttreten des alten Gesetzes und beinhalten somit eine deutliche Geltungsfolge39. In wenigen Fällen bestimmt der Gesetzgeber auch bereits bei Inkrafttreten eines Gesetzes, dass dieses nach Ablauf einer vorgeschriebenen Frist wieder außer Kraft tritt40. Die Geltung des Gesetzes wird somit von vornherein auf einen bestimmten Zeitraum festgelegt. Ohne einen expliziten, auf die fortdauern34 Denkbar ist auch eine Rückdatierung des Tages des Inkrafttretens vor den Verkündungszeitpunkt, soweit eine solche Rückwirkung unter Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen zulässig ist, Lücke, in Sachs, GG, Art. 82, Rn. 18; BVerfGE 65, 283 (291); siehe in diesem Zusammenhang zur Problematik der Rückwirkung auch unten im Ersten Teil C. II. 2. 35 BVerfGE 44, 1 (23 f.). 36 Böckel, Einpassung neuen Rechts, 49. 37 BVerfGE 47, 85 (93). 38 Schneider, Gesetzgebung, 319 ff. 39 So z. B. § 22 UWG vom 03. 07. 2004 (BGBl. I, S. 1414): „Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 43 – 1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2850), außer Kraft“. 40 Eine solche Regelung findet sich z. B. in § 13 Abs. 2 S. 1 KWKG 2002 (Kraft-WärmeKopplungsgesetz) vom 19. 03. 2002 (BGBl. I, S. 1092): „Dieses Gesetz tritt am 31. Dezember 2010 außer Kraft, sofern auf der Grundlage des Berichts nach § 12 Abs. 1 keine Verlängerung dieses Gesetzes beschlossen wird“.
C. Begriffsklärungen
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de Geltung des Gesetzes gerichteten Beschluss der Legislative wird ein solches Gesetz dann nach Ablauf der Frist automatisch aufgelöst41. Enthält das Gesetz keine solcher Regelungen, kann auf die lex posterior Regel zurückgegriffen werden, wonach die später in Kraft getretene Regelung die alte Regelung ersetzt42. 3. Anwendbarkeit Geltung und Anwendbarkeit eines Gesetzes bedürfen einer klaren Unterscheidung. Die Anwendbarkeit eines Gesetzes setzt dessen Geltung voraus. Das bedeutet aber nicht, dass geltendes Recht auch immer anwendbar ist. Das verdeutlicht das Beispiel der so genannten Sicherstellungsgesetze i.S.d. Art. 80a GG, die zwar potentiell in Kraft gesetzt worden sind, also gelten, die aber erst nach Eintritt eines Spannungsoder Verteidigungszustandes oder nach einem besonderen Zustimmungsbeschluss des Bundestages anzuwenden sind43. Die Unterscheidung zwischen der Geltung einer in Kraft gesetzten Norm und ihrer Anwendbarkeit erlangt auch im Übergangsrecht Bedeutung. Sollen etwa – infolge des Inkrafttretens – bereits geltende Normen in einer gewissen Überleitungszeit noch nicht angewendet werden, bedarf es diesbezüglich einer klaren Anwendungsanordnung. In solchen Fällen ist eine deutliche Unterscheidung zwischen dem Tag der Verkündung, dem Tag des Inkrafttretens und dem Tag der Anwendbarkeit hilfreich44. Mit der Eröffnung des Anwendungsbereiches eines Gesetzes werden die darin enthaltenen Tatbestände zu einer verbindlichen Grundlage der Rechtsfindung gemacht. Die Frage der Gesetzesanwendung betrifft den Gegenstand der gesetzlichen Regelung, die Beurteilung von Sachverhalten, mithin den eigentlichen Subsumtionsvorgang45.
41
Vgl. dazu Chanos, Befristung parlamentarischer Gesetzgebung, 39 ff., der die Bezeichnung solcher Gesetze als „Zeitgesetze“ aufgreift und im Weiteren zwischen solchen im engeren und im weiteren Sinne unterscheidet. 42 Schneider, Gesetzgebung, 321; differenzierter Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 166 ff. (169), der in Hinblick auf die lex posterior Regel näher zwischen Geltungsbeendigung und der Frage nach der Anwendbarkeit unterscheidet und zu dem Ergebnis gelangt, dass eine abweichende Neunormierung noch nicht zwingend zum Geltungsverlust führt. Siehe zur lex posterior Regel unten im Ersten Teil unter D III. 43 Schneider, Gesetzgebung, 307. 44 Schneider, Gesetzgebung, 307, der hier als Beispiel § 23 Abs. 1 des am 01. 01. 1983 in Kraft getretenen Grunderwerbssteuergesetzes vom 17. 12. 1982 (BGBl. I, S. 1777) aufführt: „Dieses Gesetz ist auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1982 verwirklicht werden. Es ist auf Antrag auch auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die vor dem 1. Januar 1983, jedoch nach dem Tag der Verkündung des Gesetzes, 22. Dezember 1982, verwirklicht werden“. 45 Heß, Intertemporales Privatrecht, 43.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
Der Anwendungsbereich eines Gesetzes ist in sachlicher, örtlicher und zeitlicher Hinsicht zu differenzieren. Die Festlegung des zeitlichen Anwendungsbereichs, der vorliegend ausschließlich von Interesse sein soll, ist regelmäßig Aufgabe des Übergangsrechts. Entsprechende Bestimmungen beantworten die Frage, ob eine Neuregelung nur auf künftige, oder auch auf gegenwärtige oder gar frühere Sachverhalte anwendbar ist46. In diesem Zusammenhang kommt wiederum dem Zeitpunkt des Inkrafttretens eine besondere Bedeutung zu. Denn ab diesem Zeitpunkt entscheiden die Übergangsregelungen des neuen Gesetzes über die Anwendbarkeit von neuem oder altem Sachrecht. Die uneingeschränkte Anwendbarkeit des neuen Rechts auf spätere Sachverhalte wird hierbei allerdings für so selbstverständlich gehalten, dass die meisten Übergangsvorschriften diesbezüglich keine Regelung enthalten47. Allerdings muss der zeitliche Anwendungsbereich nicht zwingend mit dem Tag des Inkrafttretens eröffnet werden. Vielmehr kann die Anwendbarkeit auch auf einen Zeitpunkt gelegt werden, der erst weit nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes eintritt, etwa wenn zu befürchten ist, dass die sofortige Einführung und Anwendung des neuen Rechts von der Verwaltung nicht bewältigt werden kann48. Als weit weniger selbstverständlich ist hingegen die Anwendbarkeit neuen Rechts auf bereits bestehende Rechtsverhältnisse zu erachten. Gleichwohl fehlen auch diesbezüglich häufig die notwendigen Regelungen zum zeitlichen Anwendungsbereich. In der Folge greift der Rechtsanwender gewohnheitsmäßig auf die Grundsätze des intertemporalen Rechts zurück, nach deren Aussage neues Recht mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes auch auf bereits bestehende Rechtsverhältnisse sofort anwendbar ist. Damit werden folglich auch – im nächsten Abschnitt näher erörterte – Fragen der Rückwirkung von Gesetzen berührt.
II. Die zeitliche Wirkung von Gesetzen Die Frage der zeitlichen Wirkung von Gesetzen beschäftigt sich mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Folgen gesetzlicher Regelungen49.
46
Heß, Intertemporales Privatrecht, 43 ff., der hier näher auf die Abgrenzung zwischen sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich eingeht, vgl. dazu 44 f. 47 Heß, Intertemporales Privatrecht, 46. 48 Heß, Intertemporales Privatrecht, 46. 49 Kloepfer unterscheidet unter dem Blickwinkel der „Vorwirkung von Gesetzen“ noch näher zwischen Geltung und Wirkung, Vorwirkung, 2 ff.; vgl. zum Begriff der Vorwirkung auch unten im Ersten Teil, C. II. 1.
C. Begriffsklärungen
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1. Vorwirkung Der von Kloepfer entwickelte Begriff der Vorwirkung umschreibt die faktischen und rechtlichen Auswirkungen, die einer bevorstehenden Gesetzesänderung anhaften, Wirkungen also, die bereits vor Inkrafttreten des geänderten Gesetzes den Betroffenenkreis berühren50. Dabei unterteilt Kloepfer den Werdegang eines Gesetzes in verschiedene zeitliche Stufen, von der Phase der gesellschaftlichen, rechtspolitischen Forderung nach gesetzgeberischer Aktivität bis hin zum verkündeten, aber noch nicht in Kraft getretenen Gesetz51. Entsprechend diesen Zeitabschnitten variiert der Grad der Vorwirkung. Ebenso differenziert Kloepfer zwischen der Vorwirkung auf den Gesetzgeber, auf die rechtsanwendenden Gewalten und auf die Bürger52. Von Interesse sind in dieser Arbeit insbesondere die letzten beiden Punkte. Kann unter dem Gesichtspunkt einer Vorwirkung von Gesetzen dem Gericht beispielsweise eine Hinweispflicht auferlegt werden, dergestalt, dass es die Verfahrensbeteiligten auf eine bevorstehende Gesetzesänderung aufmerksam zu machen hat? Wie wirkt sich umgekehrt eine bevorstehende Gesetzesänderung auf das Vertrauen des Bürgers auf die bestehende Rechtslage aus? Vor dem Hintergrund dieser Fragestellungen wird der Aspekt der Vorwirkung von Gesetzen im weiteren Verlauf der Untersuchung von Bedeutung sein53. 2. Rückwirkung Ein wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips stellt die Rechtssicherheit dar, die unter anderem auf die Verlässlichkeit und Unverbrüchlichkeit des Gesetzes und der von ihm ausgehenden rechtlichen Wirkung zielt54. Zu dieser Verlässlichkeit zählt auch, dass ein Gesetz erst dann als Recht angesehen werden soll, wenn es ordnungsgemäß verkündet worden und in Kraft getreten ist. Daraus könnte gefolgert werden, das Gesetze prinzipiell nur Wirkung für die Zeit nach ihrem Inkrafttreten entfalten dürfen, also nur in der Zukunft gelten und sich nicht auf die Vergangenheit beziehen sollen55. Neben dem in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltenen absoluten Rückwirkungsverbot wird ein darüber hinausgehendes generelles Rückwirkungsverbot jedoch nicht angenommen56. Vielmehr zieht das Bundesverfassungsgericht eine differenzierte Lösung vor. Gleichwohl diese Rechtssprechung in mancher Hinsicht als unbefriedigend empfunden wird57, soll sie vorliegend als maßgeblich zugrunde gelegt werden. 50
Kloepfer, Vorwirkung, 1 ff. Kloepfer, Vorwirkung, 12 ff. 52 Kloepfer, Vorwirkung, 33 ff., 51 ff., 213 ff. 53 Siehe im Fünften Teil, B. I. 2. a) und im Siebten Teil, A. IV. 54 Siehe dazu noch genauer im Dritten Teil, A. 1. 55 Stern, Staatsrecht I, 831. 56 Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 38 ff.; Stern, Festschrift Maunz, 381, 382 ff.; Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 11 ff. 57 Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 79 ff.; Stern, Staatsrecht I, 835 f.; vgl. ders. auch zur folgenden Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 51
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass es nicht schlechthin gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstößt, wenn ein Gesetz anordnet, dass die in ihm bestimmten Rechtswirkungen mit Wirkung von einem vor der Verkündung liegenden Zeitpunkt eintreten soll oder wenn nachträglich an einen in der Vergangenheit liegenden Tatbestand angeknüpft wird58. Da damit jedoch auch eine Verschlechterung der Rechtsposition des Bürgers, insbesondere eine Beeinträchtigung der Rechtssicherheit denkbar ist, indem der Bürger in seinem Vertrauen auf die geltende Rechtslage enttäuscht wird, sollen der Rückwirkung aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete, verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt werden59. Aufgrund dieser Erwägung ergibt sich ein Verbot rückwirkender belastender Gesetze60. Belastend in diesem Sinne meint die Verschlechterung bestehender Rechtspositionen61. Im Weiteren unterschied das Bundesverfassungsgericht zunächst zwischen echter und unechter Rückwirkung62. Dieser Unterscheidung folgt der Erste Senat noch immer63. Der Zweite Senat hat hingegen den Begriff der unechten Rückwirkung aufgegeben und unterscheidet zwischen der „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“ und der „tatbestandlichen Rückanknüpfung“64. In der Sache weicht die vom Zweiten Senat vorgenommene Unterscheidung allerdings kaum ab65. Zwar vermeidet der Zweite Senat die Verwendung des Begriffs der unechten Rückwirkung. Inhaltlich misst er jedoch diejenigen Gesetze, die für die Zukunft gelten, aber an in der Vergangenheit liegende Rechtsbeziehungen anknüpfen, ebenso wie der Erste Senat, hauptsächlich an dem Grundsatz des Vertrauensschutzes66. Der vorliegenden Untersuchung werden daher die traditionellen Begriffe der echten und unechten Rückwirkung gemäß der Terminologie des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zugrunde gelegt.
a) Echte Rückwirkung Echte Rückwirkung liegt vor, wenn der Gesetzgeber nachträglich abändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift67. Das bedeutet, dass die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes bestehende Rechtslage mit Wirkung 58
BVerfG 7, 89 (92). BVerfGE 13, 206 (212); 13, 261 (271 f.); 25, 269 (289 f.). 60 BVerfGE 23, 85 (93). 61 BVerfGE 30, 367 (386). 62 Grundlegend BVerfGE 11, 139 (145); dem folgend BVerfGE 14, 288 (297 f.); 22, 241 (248), 24, 220 (229 f.); 30, 392 (401 ff.), 57, 361 (391). 63 BVerfGE 68, 287 (306); 72, 175 (196); 74, 129 (155). 64 BVerfGE 63, 343 (353); 72, 200 (241 ff.); Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 132 m.w.N. der Rechtsprechung. 65 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn 132; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 67, 69, 73. 66 BVerfGE 67, 1 (15); Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 15; siehe zum Vertrauensschutz noch im Dritten Teil, C. II. 2. und ausführlich im Vierten und Fünften Teil. 67 BVerfGE 11, 139 (145); Stern, Staatsrecht I, 833 m.w.N. der Rechtsprechung. 59
C. Begriffsklärungen
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für die Vergangenheit durch neues Recht erfasst wird, das heißt an die Stelle der für den vergangenen Zeitraum geltenden rechtlichen Ordnung wird nachträglich eine andere gesetzt68. Gemäß der gesetzgeberischen Absicht zielt die Norm darauf, feststehende Rechtstatbestände und Rechtsbeziehungen für einen begrenzten Kreis von Normadressaten abzuändern69. Belastende Gesetze mit echter Rückwirkung sind grundsätzlich nichtig70. Der Bürger soll die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können. Er muss darauf vertrauen können, dass sein dem geltenden Recht entsprechendes Handeln von der Rechtsordnung mit allen ursprünglich damit verbundenen Rechtsfolgen anerkannt bleibt71. Gesetze mit echter Rückwirkung verletzen dieses Vertrauen, indem sie gegen das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit verstoßen. Rechtssicherheit bedeutet für den Bürger in erster Linie Vertrauensschutz72. Eine Ausnahme vom Verbot echter Rückwirkung gilt jedoch dann, wenn das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt ist, was etwa dann der Fall sein kann, wenn es an der Schutzwürdigkeit des Vertrauens fehlt73. Aber auch ein berechtigtes Vertrauen soll in Fällen, in denen die Belange des Gemeinwohls vorrangig sind, zurück treten können74. Eine Rückwirkung soll überdies dann zulässig sein, wenn dem Betroffenen nachweislich kein oder nur ein unbeachtlicher Nachteil entsteht75. b) Unechte Rückwirkung Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich verschlechtert76. Gesetze mit unechter Rückwirkung erfassen einen nicht geschlossenen Kreis von Normadressaten und eine unbekannte Zahl von Rechtsverhältnissen. Sie gelten mit ihrem Inkrafttreten für jegliche Tatbestände ohne Rücksicht darauf, ob sie neu begründet werden oder bereits existieren und noch in der Abwicklung sind77.
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BVerfGE 13, 279 (282); Stern, Festschrift Maunz, 389. Stern, Festschrift Maunz, 389. 70 BVerfGE 13, 261 (271); 25, 371 (403); 30, 367 (385 f.); 41, 205 (225). 71 BVerfGE 13, 261 (271); Stern, Staatsrecht I, 833 m.w.N. der Rechtsprechung. 72 BVerfGE 13, 261, (271); 30, 367 (386). 73 BVerfGE 13, 261, (271 f.); 30, 367 (387 ff.); Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 17, 27 ff. m.w.N. der Rechtsprechung. 74 BVerfGE 13, 261, (271 f.). 75 BVerfGE 30, 367 (387 ff.); 72, 200 (259). 76 BVerfGE 11, 139 (145 f.); 14, 288 (297); 22, 241 (248); 25, 142 (154); 30, 392 (402); Stern, Staatsrecht I, 833. 77 Stern, Festschrift Maunz, 389. 69
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
Unter Beachtung der Grundrechte der Betroffenen, gemessen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Vertrauensschutz berücksichtigend, sind solche Gesetze grundsätzlich zulässig78. Eine Ausnahme gilt, wenn eine Abwägung mit den Belangen des Gemeinwohls ergibt, dass das schutzwürdige Vertrauen des nachteilig in seinen Rechtspositionen Betroffenen auf den Fortbestand bestimmter Regelungen den Vorrang verdient79. Für das Gewicht des Vertrauensschutzes kommt es auf die betroffenen, in der Regel grundrechtsgeschützten Rechtsgüter und die Intensität der Nachteile an80. Insbesondere, wenn der Einzelne nicht mit einem Eingriff in seine Rechtspositionen rechnen musste, bei seinen Dispositionen einen solchen also nicht zu berücksichtigen brauchte, ist es denkbar, dass sein Vertrauensschutz verletzt wird81. c) Rückwirkung auf ein bestehendes Prozessrechtsverhältnis Als einen „noch nicht der Vergangenheit angehörenden, noch nicht abgewickelten Tatbestand“ im Sinne unechter Rückwirkung bezeichnete das Bundesverfassungsgericht auch „das bestehende Prozeßrechtsverhältnis“82. Die Auswirkungen einer Gesetzesänderung auf ein solches Prozessrechtsverhältnis, das zur Zeit der Geltung älteren Rechts entstanden ist und zur Zeit der Geltung neuen Rechts noch fortdauert, sind auch Gegenstand dieser Untersuchung. Problematisch ist hierbei, ob und inwiefern das alte oder das neue Recht für die gerichtliche Entscheidung maßgebend ist. Soweit das neue Gesetz auch für anhängige Verfahren maßgebend ist, berührt es in der Vergangenheit entstandene Rechtsverhältnisse, wobei nachteilige Auswirkungen auf die Verfahrensbeteiligten denkbar sind. Ein Fall echter Rückwirkung liegt dabei nicht vor83. Denn es geht hier nicht darum, derartige Rechtsverhältnisse auch bereits für die zurückliegende Zeit nach neuem Recht zu beurteilen. Das neue Gesetz regelt das Verfahren vielmehr vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an und wirkt ausschließlich für die Zukunft. Jedoch kann im Zusammenhang mit solchen Fällen unechter Rückwirkung hinterfragt werden, ob die generelle Kategorisierung unter dem Oberbegriff „Rückwir78 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 136; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 73; BVerfGE 72, 141 (154); 97, 271 (289); 101, 239 (263); BVerwGE 110, 265 (270). 79 BVerfGE 14, 288 (300); 22, 241 (249); 25, 142 (154); Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 64 f. mit Beispielen; Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 137 m.w.N. 80 BVerfGE 24, 220 (330 f.); 76, 256 (353 ff.); Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 137 m.w.N. 81 BVerfGE 14, 288 (297 f.), 21, 117 (132); Stern, Staatsrecht I, 834 m.w.N. der Rechtsprechung; näheres dazu im Dritten Teil unter C. II. 2. sowie im gesamten Vierten und Fünften Teil. 82 BVerfGE 11, 139 (145 f.). 83 Vgl. Kopp, SGb 1993, 593 (594); Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 352; Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl., 19; Sieg, ZZP 65 (1952), 250.
C. Begriffsklärungen
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kung“ überhaupt zutreffend ist84. Da die Einwirkung auf bereits bestehende Rechtspositionen Einzelner gewöhnlich nicht das primäre Ziel des Gesetzgebers ist, sondern vielmehr einen unvermeidbaren Reflex des gesetzgeberischen Hauptanliegens darstellt, entbehrt eine solche gesetzliche Regelung nach Auffassung Sterns ohnehin eines rückwirkenden Elements85. Eine lediglich reflexartige Betroffenheit sei eine Frage der Anwendbarkeit neuen Rechts auf alte Rechtsbeziehungen, also ein Problem des Übergangsrechts. Der Begriff der Rückwirkung sei für solche Fälle entbehrlich86. Das Problem der Übergangsregelungen hängt jedenfalls mit dem der Rückwirkung eng zusammen. Denn Übergangsvorschriften geben regelmäßig eine Antwort auf die „Frage, ob die nach bisherigen Recht begründeten Rechte und Rechtsverhältnisse übergangsweise fortgelten oder ob in Zukunft nur noch die neuen Vorschriften maßgeblich sein sollen“87. Die aufgezeigten Bedenken gegen das Bestehen und auch etwaige ungewollte Folgen einer unechten Rückwirkung können schließlich durch Übergangsregelungen ausgeräumt werden88. Die Fragen, die wiederum mit dem Übergangsrecht verknüpft sind, und die insbesondere dann entstehen, wenn entsprechende Übergangsvorschriften fehlen, werden zwar häufig als ein „Problem der Rückwirkung“ zusammengefasst. Jedoch wird diese Einordnung der Verschiedenheit der Problematiken, die mit dem Übergangsrecht verbunden sind, nicht immer hinreichend gerecht89. Vielmehr berührt das Erfordernis eines gerechten Übergangs bestehender Rechtsverhältnisse vom alten in das neue Recht weit mehr Problemfelder und schließt dabei das der unechten Rückwirkung „lediglich“ mit ein. Festzuhalten bleibt daher, dass die Anforderungen, die an etwaige Übergangsregelungen im Allgemeinen und an die Grundsätze des intertemporalen Rechts im Besondern zu stellen sind, über diejenigen, die an eine – unter verfassungsrechtlichen Maßstäben – zulässige unechte Rückwirkung gestellt werden, hinausgehen90.
84 Vgl. Stern, Staatsrecht I, 836, m.w.N. der Lehre, die „den Begriff der unechten Rückwirkung nicht nur seit jeher abgelehnt hat, sondern auch nachgewiesen hat, daß er untauglich ist“; so z. B. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 71 ff., 79 ff.; Friauf, BB 1972, 669 (675). 85 Stern, Festschrift Maunz, 390. 86 Stern, Festschrift Maunz, 390. 87 BVerfGE 31, 275 (284); Stern, Staatsrecht I, 836, Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 71; siehe zum Begriff des Übergangsrechts auch näher unten im Ersten Teil unter C. III. 88 Vgl. Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 137. 89 Coing, in Staudinger, BGB, 12. Aufl., Einl. Rn. 244; siehe zu den Zusammenhängen zwischen Rückwirkung, Übergangsrecht und den Grundsätze des intertemporalen Rechts auch noch ausführlicher im Dritten Teil, C. II. 2. 90 Siehe zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen ausführlich im Dritten Teil unter C.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
III. Intertemporales Recht / Übergangsrecht Der Begriff des intertemporalen – dem Wortsinn nach des „zwischenzeitlichen“ – Rechts verknüpft die Begriffe Zeit und Recht. Diese Verknüpfung wirft eine Vielfalt rechtstheoretischer und rechtssoziologischer Fragen auf91. Das Recht, als ein durch menschliche Gestaltung erzeugtes Sinngefüge von regelhaften Vorschriften für mögliches menschliches Verhalten, fungiert als Träger und Spiegel gegenwärtiger sozialer und gesellschaftlicher Werte92. Die Zeit wiederum bestimmt den Beginn und das Ende von Recht. Das Recht und die Zeit stehen in einem besonderen Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch auf Kontinuität und Rechtssicherheit einerseits und dem Streben nach Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Rechts anderseits. Das „Intertemporale Recht“ umfasst jene Rechtsnormen, die bei Rechtsänderungen angeben, ob das alte oder das neue Recht gelten soll93. Intertemporales Recht ist mithin ein anderer, aber gleichbedeutender Begriff für das Übergangsrecht. Beide Begriffe sind austauschbar und beinhalten keine inhaltliche Unterscheidung94. Das intertemporale Recht regelt den zeitlichen Geltungs- und Anwendungsbereich neuer gegenüber alten Rechtsnormen95. Es bietet Lösungen für den hinter jeder zeitlichen Normenkollision stehenden Interessenkonflikt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass das durch die Grundrechte garantierte und im Rechtsstaatsprinzip verankerte Vertrauen des Normunterworfenen auf die Beständigkeit des Rechts einerseits und das Bedürfnis des Staates nach rascher Anpassung des Rechts an die sich ständig fortentwickelnden Lebenssachverhalte andererseits aufeinander treffen. Die Behebung dieses Widerstreits ist grundlegende Aufgabe des Übergangsrechts, das eine Antwort auf die Frage gibt, „ob die nach dem bisherigen Recht begründeten Rechte und Rechtsverhältnisse übergangsweise fortgelten oder ob in Zukunft nur noch die neuen Vorschriften maßgeblich sein sollen“96. Es regelt die Abfolge von Gesetzen in der Zeit und beschreibt die Folgen einer Gesetzesänderung. Es entscheidet, welches von mehreren Gesetzen zur Entscheidung eines Sachverhalts heranzuziehen ist und verfolgt schließlich das Ziel, bestehende Rechte, Rechtsverhältnisse und Rechtslagen in die neue Rechtsordnung einzupassen. Übergangsrecht ist also der Oberbegriff für sämtliche zeitbezogene Regelungen, die durch den Erlass von Gesetzen veranlasst werden97. Es umfasst jene Vorschriften, 91
Kirste, Die Zeitlichkeit des positiven Rechts und die Geschichtlichkeit des Rechtsbewußtseins, 15 – 24; Winkler, Zeit und Recht, 30 – 33. 92 Winkler, Zeit und Recht, 30 f. 93 Duden, Das große Fremdwörterbuch, 3. Auflage 2003. 94 Heß, Intertemporales Privatrecht, 34. 95 Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 21. 96 BVerfGE 31, 275 (284). 97 Die Begriffe „Übergang“ und „Überleitung“ werden in der Praxis regelmäßig zur Bezeichnung des gleichen Tatbestandes verwendet, vgl. z. B. BVerfGE 31, 275 ff. Böckel trifft diesbezüglich jedoch eine Unterscheidung, auf die im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen wird. Danach stelle der Begriff des Übergangsrechts die weitere, umfassendere Be-
C. Begriffsklärungen
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die entweder im Schlussteil des Stammgesetzes oder in einem besonderen Einleitungsgesetz zusammengefasst werden, und die den zeitlichen Geltungsbereich von Gesetzen beim Erlass von Neuregelungen festlegen. Darunter fallen sowohl technische Anordnungen über das Inkrafttreten des neuen und das Außerkrafttreten des alten Gesetzes als auch Bestimmungen, welche das Verhältnis des neuen Gesetzes zum bisherigen Recht regeln und vom alten in den neuen Rechtszustand überführen98. Der Begriff des intertemporalen Rechts wird im Folgenden vorwiegend im Zusammenhang mit den im Fokus dieser Arbeit stehenden Grundsätzen verwendet, die immer dann zur Anwendung gelangen, wenn gerade keine Übergangsvorschriften den zeitlichen Geltungsbereich neuer Rechtsnormen regeln. Ergibt sich demgegenüber die zeitliche Anwendbarkeit neuer Gesetzesregelungen aus geschriebenem Recht, so wird dieses von dem Begriff des Übergangsrechts umfasst. Als Strukturtypen des Übergangsrechts lassen sich das formelle und das materielle Übergangsrecht unterscheiden. 1. Formelles Übergangsrecht Häufig regelt der Gesetzgeber den Übergang von Recht mit rein formellen Mitteln, etwa indem er in so genannten Kollisionsnormen den zeitlichen Geltungsbereich des neuen beziehungsweise des alten Gesetzes genau anordnet. Dabei können frühere Vorschriften aufgehoben und geändert werden oder auch unverändert in Kraft bleiben99. Kollisionsnormen enthalten jedoch keine inhaltliche Regelung der Lebenssachverhalte. Als bloße Rechtsanwendungsnormen legen sie fest, ob und auf welche Lebenssachverhalte altes oder neues Recht anwendbar ist. Bestimmt wird also das anwendbare Sachrecht100. 2. Materielles Übergangsrecht Übergangsrecht muss jedoch nicht stets in Gestalt formeller Übergangsregeln festgelegt werden. Es ist auch denkbar, dass sich das Verhältnis zweier aufeinander stoßender Regelungen aus dem Inhalt des materiellen Rechts ergibt. So zeichnen sich materielle Übergangsregelungen dadurch aus, dass sie für den Zeitraum zwischen der Anwendbarkeit des alten und der des neuen Gesetzes, die Sachverhalte unmittelbar regeln und den Übergang des Rechts damit gewissermaßen abfedern. Dabei hanzeichnung dar, die mit dem Begriff der Überleitung keineswegs gleichbedeutend sei, diesen aber mit einschließe. Denn beim Übergang von Recht blieben bisherige Regelungen bestehen, die solche Sachverhalte betreffen, die bereits beim Inkrafttreten des neuen Gesetzes anhängig waren. Im Gegensatz dazu sei der Begriff der Überleitung enger zu verstehen. Hierbei würden Tatbestände, die unter altem Recht entstanden sind, nunmehr als Tatbestände neuen Rechts betrachtet und diesem unterworfen, Böckel, Einpassung neuen Rechts, 42 f. m.w.N. 98 Heß, Intertemporales Privatrecht, 1 f., 31 f. 99 Böckel, Einpassung neuen Rechts, 45. 100 Heß, Intertemporales Privatrecht, 32 f.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
delt es sich um echte Sachnormen, die sich von anderen Sachnormen insoweit unterscheiden, als sie lediglich für eine bestimmte Übergangsfrist gelten101.
D. Allgemeine Kollisionsregeln Zueinander in Widerspruch stehende Rechtsnormen führen zu einer Normenkollision. Bezeichnend für das Vorliegen einer solchen Kollision ist, dass sich die Anwendungsbereiche verschiedener Normen überschneiden und sich deren Rechtsfolgen inhaltlich widersprechen102. Es entsteht eine Konstellation, in der nicht feststellbar ist, was normativ geboten ist. Es ist nicht erkennbar, welche konkrete Rechtsfolge bei Zugrundelegung der einschlägigen Rechtssätze eintreten soll103. Im Zeichen des Postulats der Einheit und Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung gilt es, derartige Konflikte zu vermeiden104. Die Rechtssätze einer Normenordnung sollen nicht in logischen Widersprüchen zueinander stehen. Denn in solchen Fällen würde die Funktion des Rechts, menschliches Verhalten durch bestimmte Vorgaben zu steuern, grundlegend verfehlt105. Die Förderung der Einheit und Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, der das Recht grundsätzlich widerspruchsfrei zu gestalten hat106. Als Mittel zur Lösung, beispielsweise zeitlicher Normenkonflikte bietet sich dazu der Erlass präziser Übergangsvorschriften an107. Allerdings gelingt es auch einem noch so umsichtigen Gesetzgeber in der Regel nicht, normative Disharmonien völlig zu vermeiden und eine lückenlose Rechtsordnung zu schaffen. Es obliegt somit auch dem Rechtsanwender, also der Verwaltung sowie der Rechtsprechung, etwaige Widersprüche parallel geltender und miteinander kollidierender Nor101 Böckel, Einpassung neuen Rechts, 45 f.; Heß, Intertemporales Privatrecht, 32, der hier als Beispiel Art. 233 § 2a EGBGB anführt. Nach Pieroth handelt es sich bei Regelungen, welche die Beziehung zweier zeitlich aufeinander stoßender Rechtsordnungen aufgreifen, ohne dabei formeller Natur zu sein, um Übergangsrecht im materiellen Sinne. Die Antwort auf die Frage der Anwendbarkeit neuen Rechts könne in diesen Fällen durch Auslegung solch „bloß“ materieller Übergangsvorschriften ermittelt werden, Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 71 f., der als Beispiel hierfür den § 93 Abs. 3 BVerfGG anführt, vgl. dazu auch BVerfGE 1, 4 (5). 102 Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 38; zum Begriff 39 f.; dazu auch Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 142 f. 103 Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 38. 104 Siehe einführend in die wissenschaftliche Diskussion um die Einheit und Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung ausführlich bei Felix, Einheit der Rechtsordnung, 5 ff., 142 ff.; ebenso bei Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 37 f.; Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen im Bundesstaat, 120 ff. 105 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen im Bundesstaat, 123; Felix, Einheit der Rechtsordnung, 236. 106 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen im Bundesstaat, 124. 107 Seihe dazu oben im Ersten Teil unter C. III.
D. Allgemeine Kollisionsregeln
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men zu lösen. Aus diesem Anlass wurden im Laufe der Zeit ungeschriebene Rechtsgrundsätze entwickelt, die unter dem Begriff der Derogationsregeln zusammengefasst werden108. Derogation meint die teilweise Aufhebung einer Rechtsnorm durch eine andere, spätere und zwar im Stufenbau der Rechtsordnung mindestens ranggleiche oder ranghöhere Rechtsnorm109. Unterschieden wird zwischen materieller und formeller Derogation. Während im Falle formeller Derogation die ältere Norm von der jüngeren Norm ausdrücklich in einem bestimmten Umfang außer Kraft gesetzt wird, ergibt sich die Aufhebung einer der beiden Normen bei der materiellen Derogation allein aus dem Regelungsinhalt110. Soweit beide Normen den gleichen Sachverhalt betreffen, dabei aber unterschiedliche Rechtsfolgen vorsehen, schreibt die Gesetzeslogik vor, dass ihre parallele Anwendung denknotwendig unmöglich ist. Im Wesentlichen stehen drei Regelungen zur Lösung von Normkollisionen zur Verfügung111.
I. Lex superior derogat legi inferiori Dieser Grundsatz besagt, dass höherrangiges Recht dem niederrangigen Recht vorgeht112. Soweit also zwei Normen unterschiedlicher Stufen den gleichen Sachverhalt unterschiedlich regeln, so gilt die Regelung der höherrangigen Norm113. Danach darf kein Parlamentsgesetz gegen die Verfassung verstoßen, keine Rechtsverordnung gegen ein Parlamentsgesetz oder die Verfassung und keine Satzung gegen eine Rechtsverordnung, ein Parlamentsgesetz oder die Verfassung.
108 Böckel, Einpassung neuen Rechts, 24; siehe zur Herleitung dieser Regeln und zur inhaltlichen Wirkkraft auch bei Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 157 f. m.w.N. 109 Im Gegensatz zur Derogation meint die Abrogation die vollständige Abschaffung oder Aufhebung eines Gesetzes durch ein nachfolgendes Gesetz. Die Derogation stellt jedoch den Regelfall dar. Siehe zum Begriff der Derogation auch Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 163 ff. 110 Böckel, Einpassung neuen Rechts, 24. 111 Neben ausdrücklichen und ungeschriebenen Kollisionsregeln sieht Bumke in der geltungserhaltenden Auslegung der Rechtssätze, in der „Vermeidungspflicht“ und in der gegenseitigen Aufhebung der widersprechende Normen Mittel zur Lösung von Normenwidersprüchen, Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 48 ff. 112 Vgl. Böckel, Einpassung neuen Rechts, 25; ausführlich bei Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 162 f. m.w.N. Bumke vertritt hingegen die Auffassung, dass es sich hierbei weniger um eine Kollisionsregel zur Bewältigung eines Normenwiderspruchs als um eine Frage der Bindungswirkung höherrangiger Normen handele, Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 43 ff. 113 Vgl. Huber, in Sachs, GG, Art. 31, Rn. 10 ff.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
II. Lex specialis derogat legi generali Hiernach geht das speziellere Gesetz dem allgemeinen Gesetz vor114. Fällt demnach ein Tatbestand unter zwei Regelungen, so findet nur die Rechtsfolge der spezielleren Regelung Anwendung. Mithin bezieht sich diese Regel auf den sachlichen Anwendungsbereich der kollidierenden Rechtsnormen. Diejenige Vorschrift, die einen Sachverhalt aufgrund präziserer Tatbestandsmerkmale sachnäher regelt, geht der weiter gefassten Norm vor.
III. Lex posterior derogat legi priori Nach diesem Grundsatz hebt das später erlassene Gesetz das ältere Gesetz auf115. Die so genannte lex posterior Regel betrifft damit die Abfolge von Recht in der Zeit. Sie bezieht sich auf die Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich tatbestandsidentischer Normen116. Dieser Rechtsgrundsatz findet seine Rechtfertigung in der Erkenntnis, dass derjenige, der Gesetze erlassen kann, diese auch wieder aufzuheben imstande sein muss. Dem Gesetzgeber muss es möglich sein, ohne Bindung an vorangegangene Legislaturperioden, die geänderten tatsächlichen Verhältnisse normativ zu regeln. Entsprechend dem Demokratieprinzip kann er nicht an Entscheidungen früherer parlamentarischer Mehrheiten gebunden werden117. Allerdings stellt die lex posterior Regel darüber hinaus keine Vermutung dahingehend auf, dass das neue Recht dem alten Gesetz auch inhaltlich überlegen ist. Vielmehr beschränkt sie sich auf die Lösung temporärer Normenkollisionen118. Vor diesem Hintergrund erfährt diese Regel eine Einschränkung. Die Anwendung des neueren Rechts muss zumindest auch vom konkludenten Willen des Gesetzgebers, der den inhaltlichen Geltungsbereich bestimmt, getragen werden119.
114
Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, 465. Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, 572 ff.; ausführlich bei Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 159 f. m.w.N. Auch diesbezüglich vertritt Bumke die Auffassung, dass diese Regel nicht dazu dient Normenwidersprüche aufzulösen. Seiner Auffassung nach handele es sich hierbei um eine Frage der Gesetzesinterpretation, um eine Interpretationsregel, die zu keiner bestimmten Auslegung zwingt, sondern erst im Zweifel eingreift, Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 43 ff. 116 BVerwGE 111, 200 (210). 117 Böckel, Einpassung neuen Rechts, 26; Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 161 f.; auch Heß, Intertemporales Privatrecht, 42 f. 118 Heß, Intertemporales Privatrecht, 43. 119 Böckel, Einpassung neuen Rechts, 26; Laubinger, VerwArch 76 (1985), 201 (210); Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 167 ff (172). 115
E. Die allgemeinen Grundsätze im Prozessrecht
45
IV. Das Verhältnis der lex posterior Regel zu den anderen Kollisionsregeln In Frage steht das Verhältnis der verschiedenen Kollisionsregeln untereinander. Eine gleichzeitige Anwendung kann durchaus zu Missverständnissen führen. So bliebe es beispielsweise unklar, ob ein später erlassenes allgemeineres Gesetz aufgrund der lex posterior Regel in der Lage ist, ein älteres spezielleres Gesetz zu verdrängen. Gemäß einer allgemein anerkannten Ausnahme kommt es in einem solchen Fall aber zu einer kombinierten Anwendung dieser beiden Regeln: „Lex posterior generalis non derogat legi priori speciali.“. Danach geht das spätere Gesetz dem früheren Gesetz dann nicht vor, wenn es das allgemeinere Gesetz ist120. Die lex specialis Regel erhält damit den Vorrang. Den Vorrang gegenüber der lex posterior Regel erhält auch die lex superior Regel. Denn es erschiene wenig plausibel, wenn eine spätere rangniedrigere Rechtnorm einer älteren ranghöheren Vorschrift vorginge. Soweit es darum geht, dass eine spätere und zugleich ranghöhere Norm eine ältere Norm verdrängt, gelangen beide Regeln zum gleichen Ergebnis, nämlich zur Verdrängung der älteren rangniederen Norm121. Im umgekehrten Fall ist jedoch eine Einschränkung der lex posterior Regel notwendig. Denn die Normsetzungsbefugnis des ranghöheren Gesetzgebers ist in Anbetracht der feststehenden Normenhierarchie und deren Verankerung im Grundgesetz stärker zu bewerten und kann daher nicht aufgrund einer lediglich temporalen Kollisionsregel außer Kraft gesetzt werden. Die lex posterior Regel kann somit nur auf Ebene gleichrangiger Rechtsvorschriften, nicht aber im Widerstreit von rangverschiedenem Recht gelten122.
E. Die allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts im Prozessrecht Im Fall aufeinander treffender Normen des Prozessrechts greift der Rechtsanwender regelmäßig auf die allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts zurück. Soweit ausdrückliche Übergangsregelungen fehlen, die den zeitlichen Anwendungsbereich des neuen Rechts regeln, gelten diese Grundsätze als ungeschriebenes Recht für die Ausfüllung dadurch entstehender Lücken123. 120 BVerwGE 111, 200 (211); Böckel, Einpassung neuen Rechts, 26; Renck, JZ 1970, 770 f.; demgegenüber sieht Bumke hier erst gar keine Konkurrenz dieser beiden Regeln, da diese auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt seien, Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 47, dort in Fußnote 41. 121 Vgl. dazu auch BVerfGE 2, 124 (130); 10, 124 (128); 65, 359 (373). 122 Renck, JZ 1970, 770 f., der generell davon ausgeht, dass der Geltungsvorrang der lex posterior Regel im Widerstreit von rangverschiedenen Recht versagt; so auch Böckel, Einpassung neuen Rechts, 27. 123 Kopp/Schenke, VwGO, § 195.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
Die Grundsätze des intertemporalen Rechts besagen, dass neues Prozessrecht im Zweifel mit dem Inkrafttreten auch auf anhängige Verfahren anzuwenden ist124. Das soll grundsätzlich auch dann gelten, wenn sich das neue Verfahrensrecht für die am Prozess Beteiligten nachteilig auswirkt125. Das Bundesverfassungsgericht räumt allerdings ein, dass sich aus dem Sinn und Zweck der Rechtsänderung und aus verfassungsrechtlichen Überlegungen etwas anderes ergeben kann126. Eine Einschränkung erfahren die Grundsätze des intertemporalen Rechts demnach in Fällen anhängiger Rechtsmittelverfahren. Beim Fehlen abweichender gesetzlicher Bestimmungen soll die nachträgliche Beschränkung von Rechtsmitteln grundsätzlich nicht zum Fortfall der Statthaftigkeit bereits eingelegter Rechtsmittel führen können127.
F. Die Entwicklung des Übergangsrechts – Die historischen Wurzeln der Grundsätze des intertemporalen Rechts Fragestellungen des intertemporalen Rechts wurden erstmalig im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert von der Rechtslehre erörtert128. Bis dahin war Rechtssetzung größtenteils Rechtsaufzeichnung. Bestehendes Recht wurde festgestellt, geordnet und nur gelegentlich reformiert. Fortan diente das Recht vermehrt auch als Mittel gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Reformen. Derartige Reformanliegen stießen jedoch unweigerlich auf den Widerstand konservativer ständischer Kräfte. So sah sich etwa das Bestreben, die Leibeigenschaft, die Zehnten oder die niedere Gerichtsbarkeit aufzuheben, der unnachgiebigen Forderung nach dem Erhalt „wohlerworbener Rechte“129 gegenüber130. Bereits in dieser Entwicklungsphase der Gesetzgebung bestand also ein Konflikt zwischen dem Vertrauen der Normadressaten auf ihre bestehenden Rechte, und dem staatlichen Anliegen, das geschriebene Recht den sich fortentwickelnden Lebenssachverhalten anzupassen.
124
BVerfGE 1, 4 (4); 11, 139 (146); 24, 33 (55); 39, 156 (166 f.); 45, 272 (297); 65, 76 (98). BVerwGE 66, 312 (314); BVerwG, NVwZ 1986, 45 (46); Kopp/Schenke, VwGO, § 195. 126 BVerfGE 87, 48 (64). 127 Siehe dazu ausführlich im Zweiten Teil unter A. I. 1. c) und im Dritten Teil unter C. I. 128 Eine ausführliche Darstellung bietet Affolter, Geschichte des intertemporalen Privatrechts, 19 ff. ; ders. auch zusammenfassend zur Literatur am Ende des 19. Jahrhunderts, 572 ff.; einen Überblick gibt Coing, in Staudinger, BGB, 12. Aufl., Einl. Rn. 246 ff. 129 Zum Begriff der wohlerworbenen Rechte siehe unten im Ersten Teil unter F. I. 2. a) bb). 130 Heß, Intertemporales Privatrecht, 58. 125
F. Die Entwicklung des Übergangsrechts
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I. Intertemporales Privatrecht Am Anfang der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem intertemporalen Recht war dieser Begriff mit dem des intertemporalen Privatrechts gleichbedeutend. Die Diskussion der juristischen Lehre bezog sich bis zur Verabschiedung des BGB und Jahre darüber hinaus zunächst nur auf das Zivilrecht. Erst in jüngerer Zeit wird das Übergangsrecht vorwiegend unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten erörtert131. Den Anlass für das wissenschaftliche Interesse am intertemporalen Recht bildete die Kodifizierung des Privatrechts am Ende des 18. und im Verlaufe des 19. Jahrhunderts. Die Problematik des zeitlichen Anwendungsbereichs von Normen und die damit verbundene Kollision von altem und neuen Recht erkennend, war der deutsche Gesetzgeber seither stets bemüht, Einzelfragen der Anwendung des jeweiligen Rechts in Übergangsvorschriften zu klären. Diese Versuche endeten im Privatrecht schließlich in der Verabschiedung des EGBGB, das in seinen Art. 153 bis 218 den Übergang bisherigen Zivilrechts in das neue Recht des BGB regelt. Indem der Gesetzgeber jedoch darauf verzichtete, allgemeine Anwendungsregeln in das BGB beziehungsweise EGBGB aufzunehmen, überließ er die Aufstellung allgemeingültiger Grundsätze zum intertemporalen Recht dem Rechtsanwender und der Rechtswissenschaft132. 1. Gesetzliches Übergangsrecht am Ende des 18. und im Verlaufe des 19. Jahrhunderts a) Das preußische Allgemeine Landrecht Das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 stellte eine der ersten umfassenden Kodifikationen dar, die sich in Abkehr vom römischen und kanonischen Recht weitgehend an das Naturrecht anlehnte und auch einheimisches Provinzialrecht enthielt133. Es beinhaltete neben den privatrechtlichen Bestimmungen auch öffentlichrechtliche Regelungen zum Beamten-, Gewerbe-, Straf- und Polizeirecht. In den §§ 14 bis 21 des Einleitungsteils regelte das Allgemeine Landrecht der Preußischen Staaten die „Anwendung der Gesetze“. Ergänzt wurden diese Regelungen durch konkrete Übergangsvorschriften in dem Publikationspatent134 für die Einführung des Allgemeinen Landrechts vom 05. 02. 1794135.
131
Heß, Intertemporales Privatrecht, 12 f. Siehe insgesamt zum gesetzlichen Übergangsrecht am Ende des 18. und im Verlaufe des 19. Jahrhunderts auch die Darstellung bei Heß, Intertemporales Privatrecht, 59 ff. 133 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 211 f. 134 Bevor allgemeine Gesetzblätter neue Gesetze verkündeten, diente das Publikationspatent als offizielle königliche Urkunde der Bekanntgabe von Gesetzen. 135 Siehe zum Folgenden auch Heß, Intertemporales Privatrecht, 61 f. m.w.N. 132
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
Zunächst versuchte der preußische Gesetzgeber das für das intertemporale Recht charakteristische Spannungsverhältnis zwischen Vertrauensschutz und Reformbedarf durch ein in § 14 Einl.ALR136 kodifiziertes umfassendes Rückwirkungsverbot zu lösen, wonach neue Gesetze auf bereits abgeschlossene „Handlungen und Begebenheiten“ keine Anwendung finden sollten. Auch „in allen noch zu entscheidenden Rechtsfällen“ sollte gemäß § 15 Einl.ALR137 das ältere Gesetz ausschlaggebend sein. Das Problem der Überleitung noch nicht abgeschlossener Tatbestände wurde also erkannt und grundsätzlich zugunsten des Vertrauensschutzes zu lösen versucht. Die in den §§ 14 f. Einl.ALR aufgeführten Grundsätze wurden jedoch durch beinahe beliebig wirkende Einzelfallregelungen der folgenden Paragrafen wiederum geschwächt138. Ein allgemeingültiger Grundsatz zum intertemporalen Recht kann der Einleitung des Allgemeinen Landrechts der Preußischen Staaten somit nicht entnommen werden. Dennoch ist deutlich die Tendenz zur Beibehaltung des Altrechts zu erkennen139. Diese fand auch in § 21 Einl.ALR140 ihren Ausdruck, der dem ALR im Verhältnis zu den einheimischen Provinzialgesetzen lediglich subsidiäre Geltung zukommen ließ und dessen Anwendung unter den Vorbehalt der Gewährleistung „wohlerworbener Rechte“ stellte. Dieser Eindruck wird im Weiteren durch die Regelungen des Publikationspatents unterstrichen. So betonte dessen § VIII nochmals den allgemeinen Grundsatz der Nichtrückwirkung und räumte den „wohlerworbenen Rechten“ einen entsprechenden Schutz ein141. 136 „§ 14. Neue Gesetze können auf schon vorhin vorgefallene Handlungen und Begebenheiten nicht angewendet werden.“ 137 „§ 15. Die von Seiten des Gesetzgebers nöthig befundene und gehörig publicirte Erklärung eines älteren Gesetzes aber giebt, in allen noch zu entscheidenden Rechtsfällen, den Ausschlag.“ 138 Z.B. räumte § 16 Einl.ALR für die Aufstellung neuer Formvorschriften zur Anpassung bestehender Rechtsgeschäfte an die neue Rechtslage hinreichende Übergangsvorschriften ein. Nach § 17 Einl.ALR wurden nach altem Recht formunwirksame, nach dem neuen ALR jedoch nunmehr wirksame Rechtsgeschäfte für wirksam erklärt. Nach § 19 Einl.ALR galt bei unerlaubten Handlungen das Recht der Tatzeit. Die übrigen Einleitungsvorschriften regelten weitere Einzelfragen. Auch die verschiedenen Regelungen des Publikationspatents ließen keine einheitliche Lösung erkennen: §§ VIII; X, 2; XI; XII; XIV; XVII ordneten die Anwendbarkeit bisherigen Rechts auf noch nicht beendete Rechte, Rechtsverhältnisse und Rechtslagen an; §§ X, 1; XIII und XIV schrieben die Anwendung des neuen Rechts vor; §§ XV und XVI regelten die Anwendung des neuen Rechts nach Übergangsfristen. 139 Heß. Intertemporales Privatrecht, 62. 140 „§ 21. Uebrigens stehen, bey der Beurtheilung einzelner Streitfragen, die allgemeinen Gesetze den Provinzialgesetzen, diese den besondern Statuten, und diese endlich den auf andre Art wohlerworbnen Rechten nach.“ 141 „[…] so wie überhaupt ein neues Gesetz auf vergangene Fälle nicht bezogen werden mag, so soll dieser Grundsatz auch bei der Anwendung des gegenwärtigen Landrechts beobachtet, und dabei im Allgemeinen nur auf die in §§ 14 – 20 der Einleitung vorgeschriebenen Bestimmungen Rücksicht genommen werden; wie Wir denn überhaupt ausdrücklich verordnen, daß ein Jeder, welcher sich zur Zeit der Publikation dieses Landrechts in einem nach bisherigen Gesetzen gültigen und zurecht beständigen Besitze irgendeiner Sache oder eines Rechts befindet, dabei gegen jedermann geschützt und in dem Genusse, oder in der Ausübung
F. Die Entwicklung des Übergangsrechts
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b) Der Code Civil aa) Die Geltung des Code Civil in Deutschland Die Kodifikation des französischen Zivilrechts von 1804, zeitweise auch als Code Napolon bezeichnet, kam sowohl nach der Okkupation des Rheinlands durch Frankreich in den linksrheinischen Gebieten von Preußen (1795) als auch nach den französischen Eroberungen unter Napoleon zwischen 1806 und 1811 in verschiedenen Teilen Deutschlands vorübergehend zur Geltung142. Weitere deutsche Staaten planten die Einführung des französischen Zivilgesetzbuches143. In den deutschen Gebieten traf das französische, durch die Revolution stark bürgerlich geprägte Zivilrecht dabei auf vorrevolutionäre, ständische Strukturen. Mit seiner Einführung trieb der Code Civil, der die Fortentwicklung des bürgerlichen Rechts im romanischen Rechtskreis entscheidend beeinflusst hat, in den eroberten Territorien den Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft voran144. Mit der Anwendung französischen Rechts entstanden jedoch wiederum Probleme hinsichtlich der Überleitung des einheimischen alten Rechts. Der Code Civil selbst formuliert in Art. 2 einen allgemeinen Grundsatz, der ein objektives Rückwirkungsverbot als Auslegungsmaxime enthält145. Nach Auffassung der französischen Rechtsprechung und Lehre des 19. Jahrhunderts zielte diese Vorschrift, obgleich ihrer objektiven Formulierung, auf den Schutz subjektiver „wohlerworbener Rechte“146. Die Einführung des Code Civil erfolgte in den verschiedenen deutschen Königreichen und Herzogtümern auf unterschiedliche Weise. Während einerseits eine umfassende Sofortwirkung des französischen Rechts angeordnet wurde147, garantierten anderenorts Publikationspatente ausdrücklich den Fortbestand nach deutschen Gesetzen „wohlerworbener Rechte“148. Im Ergebnis ist festzustellen, dass eine einheitliche Linie in der Anwendung neuen Rechts nicht feststellbar ist. Aus der unterschiedlichen Rechtsanwendungspraxis dieser seiner wohlerworbenen Gerechtssame, unter irgendeinem aus dem neuen Landrechte entlehnten Vorwande, nicht gestört oder beeinträchtigt werden soll“. 142 So u. a. im Herzogtum Westfalen, im Herzogtum Arenberg, im Großherzogtum Berg, im Großherzogtum Frankfurt und im Großherzogtum Baden. 143 So etwa Bayern, Hessen-Darmstadt und Würzburg. 144 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 314 f.; siehe dazu und zu den folgenden Ausführungen auch Heß, Intertemporales Privatrecht, 63 ff. m.w.N. 145 „La loi ne dispose que pour lavenir, elle na point deffet rtroactif.“, („Das Gesetz wirkt nur für die Zukunft, es hat keinen Rückwirkungseffekt“). 146 Heß, Intertemporales Privatrecht, 63 m.w.N.; Affolter, Geschichte des intertemporalen Privatrechts, 326 f. 147 So z. B. im Königreich Westfalen; siehe dazu auch Heß, Intertemporalen Privatrecht, 64 f.; Affolter, Geschichte des intertemporalen Privatrechts, 328 ff., mit weiteren Beispielen der Anwendungspraxis auf deutschen Gebieten. 148 So z. B. im Herzogtum Berg und in den hanseatischen Departements, Heß, Intertemporalen Privatrecht, 65; Affolter, Geschichte des intertemporalen Privatrechts, 328 ff.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
konnte ein Grundsatz zum intertemporalen Recht nicht abgeleitet werden. Jedoch wurde dem Schutz ständischer „wohlerworbener Rechte“ entscheidendes Gewicht beigemessen. bb) Die Aufhebung des Code Civil Mit dem Ende der französischen Besatzung im Jahre 1813 wurde der Code Civil in dem Großteil der besetzten Gebiete als unrechtmäßiges Besatzungsrecht wieder aufgehoben149. Die deutschen Gesetzgeber mussten sich dabei abermals mit der Frage des Übergangs, nunmehr vom verdrängten französischen zum wiederkehrenden deutschen Recht auseinandersetzen. Zu entscheiden war, ob und gegebenenfalls wie die in der Besatzungszeit begründeten Rechtsverhältnisse nach dem wieder geltenden deutschen Recht zu beurteilen sind. Aufgrund der verschiedenen Arten der Einführung des französischen Rechts wurde dies wiederum in unterschiedlicher Weise beantwortet. Während in Teilen Deutschlands die Gültigkeit aller während der Besatzungszeit vorgenommenen Rechtshandlungen nach dem einheimischen Recht beurteilt werden sollte150, wurde in anderen Teilen der ehemals besetzten Gebiete die zwischenzeitliche Geltung des französischen Zivilrechts nicht in Frage gestellt. So enthielt etwa das, das preußische Allgemeine Landrecht wiedereinführende Publikationspatent vom 09. 09. 1814 die Garantie, dass das Allgemeine Landrecht auf „Handlungen und Begebenheiten“, die unter dem fremden Recht „vorgefallen“ waren, keine Anwendung finden sollte151. Damit wurde dem Vertrauen auf den Fortbestand der nach französischem Recht vorgenommenen Rechtshandlungen, unter Berücksichtigung der „wohlerworbenen Rechte“ Schutz gewährt. Für Übergangsfälle wurde überwiegend die Anwendung des Code Civil, teilweise innerhalb entsprechender Anpassungsfristen, angeordnet152. In denjenigen Ländern, in denen das französische Recht als „rheinisches Recht“ oder als „badisches Landrecht“ über die Besatzungszeit hinaus fort galt, konnten derartige Übergangsprobleme freilich nicht entstehen153. In diesen Gebieten wurden die 149
Heß, Intertemporales Privatrecht, 65, mit Beispielen, ebenso in Affolter, Geschichte des intertemporalen Privatrechts, 360 ff. 150 So beispielsweise geregelt in Ziffer V der hannoverschen Verordnung über die „Transitorische Gesetzgebung“ vom 23.08.1814. 151 „§ 3 Auf die, vor dem 1. 1. 1815 während der Gesetzeskraft der fremden Rechte vorgefallenen Handlungen und Begebenheiten, soll das ALR nicht angewendet werden; es finden vielmehr dabei die in §§ 14. bis 20. der Einleitung vorgeschriebenen Grundsätze statt. Auch soll ein Jeder, welcher zur Zeit der wiedereingetretenen Gesetzeskraft des ALR in einem, nach bisherigen Rechten gültigen, und zu Recht beständigen Besitze irgendeiner Sache oder eines Rechts sich befindet, dabei gegen jeden privatrechtlichen Anspruch geschützt und Niemand in dem Genusse seiner in dem Verkehr mit anderen Privatpersonen wohlerworbenen Gerechtsame unter irgendeinem aus dem ALR entlehnten Vorwand gestört oder beeinträchtigt werden.“ 152 Heß, Intertemporales Privatrecht, 66 – das betraf bspw. in § 5 des Publikationspatents das Vertragsrecht, in § 6 die Verfügung von Todes wegen, in § 9 die Ehe. 153 Siehe zur Fortgeltung des französischen Rechts in den linksrheinischen Gebieten, in Teilen des ehemaligen Großherzogtums Berg und in Baden bei Eisenhardt, Deutsche Rechts-
F. Die Entwicklung des Übergangsrechts
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mit dem Code Civil verbundenen Vorteile für die Bürger erkannt und gegen die Rückeinführung etwa des preußischen Allgemeinen Landrechts verteidigt154. Fragen des Übergangsrechts stellten sich hier erst wieder mit der Entwicklung und Einführung des gesamtdeutschen Bürgerlichen Gesetzbuches. Bis zum Inkrafttreten des BGB am 01. 01. 1900 konnte sich das „rheinische Zivilrecht“ behaupten155. Dieser Abschnitt der deutschen Rechtsgeschichte erwies sich für die Entwicklung intertemporaler Grundsätze als sehr dienlich. Wenngleich sich das Aufstellen allgemeiner Grundsätze des intertemporalen Rechts mangels einheitlicher Praxis in der Aufhebung des französischen Rechts als unmöglich herausstellte, stellten in der Folge dieser geschichtlichen Periode sowohl das Rückwirkungsverbot als auch der Schutz „wohlerworbener Rechte“ allgemein anerkannte Prinzipien dar156. c) Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen Am 01. 03. 1865 trat das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch vom 02. 01. 1863 als einzige Zivilrechtskodifikation eines deutschen Einzelstaates im späten 19. Jahrhundert in Kraft, ohne dabei jedoch größere politische Reformanliegen zu verfolgen157. Das neue Gesetzbuch entsprach weitestgehend dem bereits bestehenden Landesprivatrecht und diente in erster Linie dessen Bereinigung und Ergänzung. Die Überleitung bestehender Rechtsverhältnisse war in der Praxis daher unproblematisch. Dennoch wies das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch in den §§ 1 – 5 Regeln zum intertemporalen Recht auf. So enthielt § 2 ein Rückwirkungsverbot sowie eine Garantie „wohlerworbener Rechte“158. Weiteres Übergangsrecht enthielt die Publikationsverordnung vom 02. 01. 1863 in den §§ 4 – 27, wonach das neue Gesetzbuch ab seinem Inkrafttreten für sämtliche Bereiche des Privatrechts gelten und auf beendete Rechte, Rechtslagen und Rechtsverhältnisse grundsätzlich keine Anwendung finden sollte159. Im Ergebnis hatte sich das ständisch dominierte Parlament und damit wiederum das Prinzip vom Schutz der „wohlerworbenen Rechte“ durchgesetzt160.
geschichte, 314 ff. Einen Überblick zum Rheinischen Recht geben auch Schulte-Nölke/Strack in Schulze, Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte, 21 ff. 154 So in der preußischen Rheinprovinz; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 315 ff.; Schulte-Nölke/Strack in Schulze, Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte, 24 f. 155 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 317. 156 Heß, Intertemporales Privatrecht, 67 m.w.N. 157 Heß, Intertemporales Privatrecht, 67 ; ders. auch zum Folgenden, 67 ff. 158 „Gesetze haben auf vorhergegangene Handlungen und vorher erworbene Rechte keinen Einfluss, wenn nicht etwas Anderes bestimmt oder nach dem Zweck des Gesetzes anzunehmen ist.“ 159 § 18 der Publikationsverordnung schloss, mit Rücksicht auf die „wohlerworbenen Rechte“, im Obligationenrecht auch die Anwendung des neuen Gesetzes auf zuvor geschlossene und noch fortbestehende Verträge aus. 160 Heß, Intertemporales Privatrecht, 69.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
d) Zusammenfassung Auffällig ist in diesem durch vielseitige gesetzgeberische Aktivitäten geprägten Zeitabschnitt die Prämisse des Rückwirkungsverbots und der damit einhergehende Schutz der „wohlerworbenen Rechte“. Gleichwohl die Erschaffung grundlegender neuer Regelungswerke auf einen Reformgeist und -willen des Gesetzgebers hindeutet, findet dieser in den damaligen Übergangsregelungen keine Entsprechung. Dessen Intention beschränkte sich zumeist auf die Niederschreibung und Vereinheitlichung des Rechts, und richtete sich nicht auf dessen grundlegende Erneuerung. Dementsprechend galten zahlreiche Neuregelungen zugunsten bereits bestehender Rechte und Rechtsverhältnisse als nicht sofort anwendbar. 2. Erwägungen der Rechtslehre zum Übergangsrecht im 19. Jahrhundert Die Frage, ob und in welchem Umfang neues Recht auf Tatbestände und Rechtsverhältnisse in oder aus der Vergangenheit anwendbar ist, wurde im Rahmen der Auslegung neuer Gesetze im 19. Jahrhundert häufig gestellt. Bei ihrer Beantwortung wurden verschiedene Bemühungen unternommen, die Komplexität des Zivilrechts aufzulösen, indem man versuchte, einfach zu handhabende Maximen für die Auslegung zu erstellen, die Privatrechtsnormen in wenige Gruppen aufzuteilen und sie dann entsprechend ihrer Eingruppierung den Maximen zuzuordnen. Aus diesem Bestreben heraus entstanden zahlreiche Lehren, die sich vor allem in ihren subjektiven und objektiven Ansätzen unterscheiden. Die bekanntesten Ausführungen stammen von Lassalle und v. Savigny161. a) Subjektive Lehren aa) Der subjektive Ansatz Die auf den Schutz subjektiver beziehungsweise „wohlerworbener Rechte“ zielenden Lehren legten ihren Erwägungen einen subjektiven Ansatz zugrunde, indem sie von der Situation des Normunterworfenen bei Gesetzesänderungen ausgingen. Aus dessen Sicht erschienen Gesetzesänderungen bisweilen als Enttäuschung berechtigten Vertrauens in die Unverbrüchlichkeiten der Rechtsordnung.
161 Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 189; siehe zu den dogmatischen Grundlagen des Übergangsrechts im 19. Jahrhundert insgesamt auch die Darstellung bei Heß, Intertemporales Privatrecht, 70 ff.
F. Die Entwicklung des Übergangsrechts
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bb) Die Lehre vom Schutz der „wohlerworbenen Rechte“ Die Lehre vom Schutz der „wohlerworbenen Rechte“ ging davon aus, dass der Gesetzgeber bei der Einführung neuer Gesetze gehalten ist, bereits erworbene Rechte zu schützen162. Im 18. Jahrhundert unterschied diese Lehre im Einzelnen zwischen „erworbenen“ und „angeborenen“ Rechten. Erworben wurden danach Rechte allein durch menschliche Handlungen, als angeboren galten solche, die aus dem Standesrecht hervorgingen. So genannte „wohlerworbene Rechte“ umfassten vertragliche Ansprüche, dingliches Eigentum, Erb- und weitere Privatrechte, deren Erwerb die Erfüllung der in den allgemeinen Gesetzen aufgestellten Erwerbstatbestände voraussetzte163. Mit der französischen Revolution und der Anwendung französischen Rechts in Deutschland fand ein Abbau zahlreicher ständischer Rechte statt164. Entgegen der bis dahin geltenden Abgrenzung wurden zu jener Zeit auch diese Rechte mit dem Begriff der „wohlerworbenen Rechte“ verteidigt. Infolge der damit einhergegangenen Abgrenzungsschwierigkeiten nahm die juristische Lehre anfangs des 19. Jahrhunderts Abstand von diesem Begriff165. Wieder aufgegriffen wurde der Begriff sodann in einem 1813 verfassten und im Jahre 1820 veröffentlichten Gutachten von Georgii166, der als „wohlerworben“ alle Privatrechte bezeichnete, die in Abgrenzung zu gesetzlich verliehenen Rechten durch individuellen Willensakt erworben wurden167.
cc) Die Lehre Lassalles Im Jahre 1861 verfasste Lassalle eine umfangreiche philosophische und juristische Abhandlung über „wohlerworbene Rechte“, worin er in Bezug auf die Rückwirkung von Gesetzen zwischen zwei Arten von Rechten unterschied168. Zunächst folgerte Lassalle aus der Regelungsfunktion der Gesetze, dass diese grundsätzlich nur auf zukünftige menschliche Handlungen Anwendung finden können. Rückwirkende Gesetze erachtete Lassalle unter dem Gesichtspunkt gesellschaftlicher Reformen nur insoweit als zulässig, als davon jene Rechte betroffen werden können, die ohne eine Willensbetätigung des Einzelnen entstanden sind. Dieser Ansicht lag die Erwägung zugrunde, dass jedes Recht unter dem Vorbehalt einer fortdauernden Anerkennung durch die Rechtsordnung stehe. Sofern die Rückwirkung späterer Gesetze jedoch sol162
Coing, in Staudinger, BGB, 12. Aufl., Einl., Rn. 248; ausführlich dazu Affolter, Geschichte des intertemporalen Privatrechts, 572 ff. 163 Heß, Intertemporales Privatrecht, 70. 164 Siehe dazu oben im Ersten Teil unter F. I. 1. b). 165 Heß, Intertemporales Privatrecht, 70. 166 Georgii, AcP III 1820, 145 (149 ff.). 167 Vgl. dazu auch Heß, Intertemporales Privatrecht, 70 f. 168 Lassalle, Theorie der erworbenen Rechte, 38 ff.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
che Rechte betraf, die durch „Willensaktionen des Individuums“ erworben wurden, sah Lassalle darin einen Übergriff in die privatrechtliche Handlungsfreiheit und Selbstverantwortung169. Wenngleich der Ansatz Lassalles in der juristischen Lehre seiner Zeit auf Ablehnung stieß und schließlich erfolglos blieb170, findet er aus heutiger Sicht noch immer Beachtung. Denn mit dem Schutz der auf Willensaktionen beruhenden Rechte begründete Lassalle den Vertrauensschutz. Der Schutz „wohlerworbener Rechte“ und der Vertrauensschutz bezeichnen insoweit denselben Sachverhalt171. dd) Die Abkehr vom Begriff der „wohlerworbenen Rechte“ Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verfestigte sich in der Rechtslehre zunehmend die Auffassung, dass eine Abgrenzung von erworbenen und angeborenen Rechten nicht aufrecht zu erhalten sei. Begründet wurde dies damit, dass im Grunde jede individuelle Rechtsposition ein erworbenes Recht sei. Es komme dabei nicht auf die Art des Rechtserwerbs, sondern auf die Vollendung des Erwerbstatbestandes an172. Schließlich wandelte sich der Begriff der „wohlerworbenen Rechte“ in den Begriff der subjektiven Rechte, an deren Schutz weiterhin festgehalten wurde. So vertrat etwa v. Gierke die Auffassung, „daß subjektives Recht, das kraft des bisherigen objektiven Rechts subjektives Recht geworden ist, trotz der Aenderung des objektiven Rechts subjektives Recht bleibt“173. Im Zweifel sei die Aufhebung eines Rechtsinstituts so zu deuten, dass Rechtsverhältnisse dieser Art nur nicht neu begründet werden könnten174. b) Die differenzierende Lehre v. Savignys Von den Lehren seiner Zeit abweichend, und basierend auf der Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Privatrechten, differenzierte v. Savigny zwischen Normen, die den Erwerb von Rechten regeln und allen anderen Normen, die das „Daseyn“ der Rechte bestimmten175. Diese Differenzierung zugrunde gelegt, begründete v. Savigny eine Maxime für das intertemporale Recht, mit der er dem Rückwirkungsverbot beziehungsweise dem von ihm inhaltlich gleichgesetzten Schutz der „wohlerworbenen Rechte“ einen absoluten Geltungsanspruch absprach. Das Rückwirkungsverbot sollte vielmehr nur für subjektive Privatrechte, mit anderen Worten für Rechtsverhältnisse Anwendung finden. Für objektive Privatrechte hingegen, für 169
Lassalle, Theorie der erworbenen Rechte, 40 ff.; vgl. hierzu auch Heß, Intertemporales Privatrecht, 71; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 189 f. 170 Siehe dazu Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 189 ff. 171 Heß, Intertemporales Privatrecht, 71. 172 Heß, Intertemporales Privatrecht, 71 f. m.w.N. 173 v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Allgemeiner Teil, 192. 174 v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Allgemeiner Teil, 192 ff. 175 v. Savigny, System VIII, 375 ff.
F. Die Entwicklung des Übergangsrechts
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Rechtsinstitute, sei eine rückwirkende Anwendung des neuen Gesetzes, im Sinne einer Sofortanwendung, grundsätzlich zulässig176. In Bezug auf die einzelnen Rechtsverhältnisse ging v. Savigny auf deren unterschiedliche Zeitstruktur ein, infolgedessen er eine Unterscheidung zwischen punktuellen und dauerhaften Rechtsverhältnissen vornahm177. Im Hinblick auf die Rechtsinstitute führte v. Savigny den Zweck von Reformgesetzen an, der einer Beibehaltung des früheren Rechts für bestehende Rechtspositionen entgegenstünde. Reformgesetze in diesem Sinne seien Gesetze, die „mit sittlichen, politischen, volkswirtschaftlichen Gründen und Zwecken in Zusammenhang stehen […]. Es liegt […] in der Natur solcher zwingenden Gesetze, daß sie ihre Macht und Wirksamkeit mehr, als andere Gesetze, ausdehnen müssen […]“178. Beispielhaft nannte er hierfür so genannte Prohibitivgesetze, die auf die Aufhebung solcher Rechtsinstitute zielten, die sich als Beschränkung persönlicher Freiheiten – wie die Leibeigenschaft – erwiesen179. Bei der Abschaffung derartiger Rechtsinstitute, die im Bewusstsein des Volkes überholt seien, müssten die Individualinteressen der Betroffenen gegenüber den nötigen Reformanliegen zurücktreten. Entsprechenden Gesetzen sprach er eine Sofortwirkung zu. Ein mit einer Gesetzesänderung verfolgtes Gemeinwohl dürfte jedoch wiederum nicht voreilig unterstellt werden. Dementsprechend sei in die „Ausführung [der Gesetze] die höchste Schonung und Billigkeit zu legen“180. Im Zweifel seien Rechtspositionen nicht aufzuheben, sondern lediglich anzupassen181. Die von v. Savigny vorgenommene Unterscheidung der Rechte konnte sich in der überwiegenden Rechtslehre jedoch nicht durchsetzen, ebenso wenig wie die Konzep176
v. Savigny, System VIII, 514 ff; vgl. hierzu auch Heß, Intertemporales Privatrecht, 73. v. Savigny, System VIII, 406 ff.; vgl. dazu auch Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 188; ferner auch Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., 230 f. Bei der Verfassung der Übergangsregeln im Privatrecht gilt es zu beachten, dass zivilrechtliche Rechtsverhältnisse insbesondere dadurch gekennzeichnet sind, dass sie einen zeitlichen Beginn und ein zeitliches Ende haben und eine Zeitstruktur mit unterschiedlicher Bedeutung besitzen. Vertragliche Schuldverhältnisse sind zum Beispiel darauf ausgelegt, dass sie mit der Erfüllung der Forderung ihr zeitlich vorbestimmtes Ende finden. Auf der anderen Seite sind die dinglichen Rechte zu nennen, die zwar ebenfalls über einen zeitlichen Rahmen verfügen, deren Ende jedoch nicht von vornherein angelegt ist. Der Sinn dinglicher Rechte besteht gerade darin, für eine unbestimmte Zeit zu existieren. Die Dauerschuldverhältnisse bewegen sich zwischen diesen beiden Rechtsverhältnissen. Sie sind zwar ebenfalls auf ein Ende ausgerichtet, bringen jedoch andererseits fortlaufend neue Pflichten hervor, deren Erfüllung aber noch nicht das Ende des Rechtsverhältnisses mit sich bringt. Ähnliches gilt für familienrechtliche Institute, wie bspw. die Ehe. Erfolgt eine Änderung der zivilrechtlichen Normen, so weist eine solche zwangsläufig verschiedene Auswirkungen auf die unterschiedlichen Rechtsverhältnisse mit den ihnen jeweils eigenen Zeitstrukturen auf. 178 v. Savigny, System VIII, 517. 179 v. Savigny, System VIII, 522 ff.; siehe dazu auch Heß, Intertemporales Privatrecht, 74 f. 180 v. Savigny, System VIII, 538. 181 v. Savigny, System VIII, 538 ff. 177
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
tion der Prohibitivgesetze182. Indem v. Savigny aber die maßgeblichen Theorien seiner Zeit erfasst, ausgewertet und entsprechend fortgeführt hat, gab seine Lehre dennoch ausreichenden Anlass für die weitergehende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem intertemporalen Privatrecht. Nicht die konkreten Ergebnisse, sehr wohl aber die Herausarbeitung allgemeiner Strukturen des Übergangsrechts wirken bis heute fort183. c) Objektive Lehren aa) Der objektive Ansatz Die auffallenden Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Begriffs der „wohlerworbenen Rechte“ führten zu einer Verobjektivierung der juristischen Diskussion. Unter Verzicht eines Rückgriffs auf die Lehre der „wohlerworbenen Rechte“ unterschied die im ausgehenden 19. Jahrhundert herrschende privatrechtliche Doktrin zum Übergangsrecht zwischen abgeschlossenen, nicht abgeschlossenen und künftigen Tatsachen, die dementsprechend dem alten oder neuen Gesetz zugeordnet werden sollten184. Zurückzuführen ist diese Unterscheidung auf eine Textstelle im Codex Iustinianus aus dem Jahre 438, die Anknüpfungspunkte für das Übergangsrecht enthält. Darin heißt es sinngemäß, dass Gesetze und Konstitutionen einen Maßstab für künftige Geschäfte abgeben, auf vergangene Tatsachen aber nicht angewendet werden können, wenn nicht auch ausdrücklich etwas anderes über die aus der Vergangenheit noch anhängigen Geschäfte bestimmt ist (Cod.Iust. 1,14,7)185. Demnach sollten aktuelle Gesetze für künftige, frühere Gesetze für abgeschlossene Tatsachen gelten. Eine Rückwirkung des neuen Rechts, auch auf noch nicht abgeschlossene Tatsachen, sollte gemäß einem Regel-Ausnahme-Verhältnis grundsätzlich ausgeschlossen sein186. bb) Der Begriff der juristischen Tatsache Von zentraler Bedeutung für die Beantwortung der Frage, welches Recht in zeitlicher Hinsicht Anwendung finden sollte, war nach dem objektiven Ansatz der Begriff der juristischen Tatsache. Die sich mit dem intertemporalen Recht befassende Rechtslehre nahm es sich daher zur Aufgabe, diesen Begriff näher zu bestimmen. Das dabei hervorgetretene Meinungsspektrum, wann eine Tatsache – allein oder mit anderen Tatsachen zusammen als juristischer Tatbestand187 – abgeschlossen, nicht abge-
182
Vgl. Heß, Intertemporales Privatrecht, 75 f. m.w.N. Heß, Intertemporales Privatrecht, 77. 184 Heß, Intertemporales Privatrecht, 13. 185 Cod.Iust.1,14,7: „leges et constitutiones futuris certum est dare formam negotiis, non ad facta praeterita revocari, nisi nominatim etiam de praeterito tempore adhuc pendentibus negotiis cautum sit.“ 186 Heß, Intertemporales Privatrecht, 14. 187 Affolter, System des dt. bürgerlichen Übergangsrechts, 79 ff. 183
F. Die Entwicklung des Übergangsrechts
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schlossen ist oder erst in der Zukunft entsteht, war äußerst vielfältig188. Der Darstellung aller Einzelheiten der verschiedenen Erklärungsansätze bedarf es an dieser Stelle nicht. Festzuhalten ist aber, dass sich vor allem aufgrund der Offenheit und Mannigfaltigkeit des Begriffs der juristischen Tatsache beziehungsweise des juristischen Tatbestandes Anknüpfungspunkte für Fragen der zeitlichen Anwendung nur schwer finden ließen189. Denn es war und bleibt in Rechtsprechung und Literatur im Ergebnis unklar, worauf sich der Begriff der Tatsache beziehen soll, auf den Tatbestand einer konkreten Rechtsnorm, ein Rechtsverhältnis, ein Lebenssachverhalt oder eine „selbstständige juristische Tatsache“190. cc) Die Theorie Affolters zum Intertemporalen Privatrecht Zum Begin des 20. Jahrhunderts entwickelte Affolter in Anschluss an seine umfassende Darstellung der Geschichte des intertemporalen Privatrechts eine Regel, wonach die frühere Rechtsordnung auf die zu ihrer Zeit entstandenen, schwebenden Rechtsverhältnisse uneingeschränkt anwendbar bleiben sollte. Nur ausnahmsweise, wenn das neue Gesetz es ausdrücklich anordnete und wenn überwiegende gesetzgeberische Gründe die Verdrängung älteren Rechts erforderten, sollte eine neue Regelung auch für frühere Rechtsverhältnisse gelten191. Affolter begründete seine Auffassung unter Zugrundelegung der Begriffe: Tatbestand, Rechtsverhältnis und Rechtsordnung. Der Ausdruck des Tatbestandes sei als juristische Einheit mannigfaltiger und zahlreicher juristischer Tatsachen anzusehen192. Davon umfasst seien alle Vorgänge, die eine rechtserhebliche Wirkung hervorbringen. Diese rechtserheblichen Wirkungen begründeten Rechtsverhältnisse, also Rechtsbeziehungen zwischen Personen oder Personen und Sachen193. Die Rechtsordnung stelle in objektiver Sicht das überpositive, unveränderbare Recht dar, in relativer Sicht das jeweils konkret geltende Recht194. Ausgangspunkt für Affolters Theorie war die Überordnung einer abstrakten überpositiven Rechtsordnung über die zeitlich aufeinander folgenden privaten Gesetze. Nach dieser Rechtsordnung, die eine Überschneidung verschiedener Privatrechtssysteme verbiete, solle sich die zeitliche Abfolge des Rechts orientieren. Jedes überzuleitende Rechtsverhältnis müsse demnach seiner Rechtsordnung unterworfen bleiben und nach bisherigem Recht beurteilt werden. Affolter maß mit der deutlichen Hervor188 189
Ausführlicher dazu Heß, Intertemporales Privatrecht, 14 f. m.w.N. Heß, Intertemporales Privatrecht, 15 f. ; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht,
32 f. 190
Heß, Intertemporales Privatrecht, 15. Affolter, System des dt. bürgerlichen Übergangsrechts, 25 ff.; Heß, Intertemporales Privatrecht, 79 f. 192 Affolter, System des dt. bürgerlichen Übergangsrechts, 82. 193 Affolter, System des dt. bürgerlichen Übergangsrechts, 148 ff. 194 Affolter, System des dt. bürgerlichen Übergangsrechts, 170 ff. 191
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
hebung des Rückwirkungsverbots den reformpolitischen Zwecken von Gesetzesänderungen weit weniger Bedeutung zu als der Unverbrüchlichkeit des Rechts195. Affolters Lehre erhielt, nicht zuletzt wegen der zu diesem Zeitpunkt bereits erlassenen Übergangsregeln zum Bürgerlichen Gesetzbuch, nicht die gewünschte Aufmerksamkeit der Rechtslehre. Einhergehend mit der Verlagerung des wissenschaftlichen Schwerpunktes auf die Kommentierung der §§ 153 ff. EGBGB fand die bis dahin rege dogmatische Auseinandersetzung sowie die Aufstellung daraus resultierender Theorien und Systeme mit der Darstellung Affolters ein vorläufiges Ende196. d) Zusammenfassung Eine Schwäche des subjektiven Ansatzes liegt aus heutiger Sicht darin, dass das ältere Recht einen prinzipiellen Vorrang vor dem neuen Gesetz erhält. Zwangsläufig knüpft der Schutz „wohlerworbener Rechte“ stark an das frühere Recht an. Das alte, an und für sich außer Kraft gesetzte Recht wirkt dergestalt nach, dass es die Schutzwürdigkeit noch bestehender Rechte bestimmt. Das aber führt schließlich zu einer Überbewertung des früheren Rechts und in dessen Folge zu einer Versteinerung der Rechtsordnung197. Reformanliegen stoßen mit dem subjektiven Ansatz auf erhebliche Barrieren. Die Schwäche des objektiven Ansatzes liegt hingegen darin, dass es Schwierigkeiten bereitet, mit absoluter Klarheit zu bestimmen, wann eine Tatsache beziehungsweise ein Tatbestand abgeschlossen, fortbestehend oder etwa von dauernder Wirkung ist. Die Frage, ab wann neues Recht angewendet werden darf, findet somit keine eindeutige Antwort. Unklar bleibt auch, nach welchem Recht entschieden werden soll, wann eine Tatsache beendet ist. Verweist man dafür in Anlehnung an die subjektive Sichtweise und den damit verfolgten Vertrauensschutz auf das frühere Recht198, widerspricht man wiederum dem staatlicherseits angestrebten Geltungsvorrang des neuen Gesetzes199. Deutlich wird in der Entwicklung der Rechtslehren jedoch der Schritt weg von dem umfassenden Schutz subjektiver beziehungsweise „wohlerworbener Rechte“ hin zu einer reformfreundlicheren Einschränkung des zu Beginn der modernen Rechtssetzung beinahe „absolut“ verstandenen Rückwirkungsverbots, wenngleich eine völlige Abkehr hiervon nicht erfolgte. Hervorzuheben ist insbesondere die Lehre v. Savignys, deren Bedeutung vor allem darin liegt, dass er als Erster den Einfluss gesellschaftlicher Belange auf die Gesetzgebung herausstellte. Im Anschluss an v. Savigny setzte sich schließlich die Ansicht 195 196 197 198 199
Vgl. dazu auch Heß, Intertemporales Privatrecht, 80. Heß, Intertemporales Privatrecht, 80 f. Heß, Intertemporales Privatrecht, 18. So Affolter, System des dt. bürgerlichen Übergangsrechts, 79 ff. Heß, Intertemporales Privatrecht, 16.
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durch, dass erworbene Rechte keinen absoluten Schutz erfahren können. Aus Gründen des Gemeinwohls sollte der Gesetzgeber auch solche Rechte prinzipiell aufheben können200. Das intertemporale Privatrecht ist bei v. Savigny kein apolitisches Recht mehr. Indem seine Lehre die Zulässigkeit der Rückwirkung an dem vom Gesetzgeber verfolgten Gesetzeszweck misst, fanden gesellschaftspolitische Reformanliegen eine ihnen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht widerfahrene Berücksichtigung201. 3. Das Übergangsrecht des BGB Die Komplexität der geschilderten Fragestellungen spiegelt sich schließlich in den zahlreichen Übergangsvorschriften des Vierten Abschnittes des EGBGB wider. Das BGB ist am 01. 01. 1900 in Kraft getreten. Von diesem Zeitpunkt an waren dessen Normen auf alle danach begründeten Rechtsverhältnisse anzuwenden. In Frage stand jedoch wiederum, nach welchem Recht jene Rechtsverhältnisse, die bereits vor diesem Tag begründet wurden und nach früherem Recht zulässig waren, nach dem Inkrafttreten zu beurteilen sind. Den Umstand berücksichtigend, dass Privatrechtsverhältnisse zu einem großen Teil auf dem freien Willen der Beteiligten beruhen, die bei ihrer Eingehung ausschließlich das zu dieser Zeit geltende Recht im Auge haben und darauf z. B. bei der Schließung von Verträgen vertrauen, entschied sich der Gesetzgeber schließlich für eine differenzierte Lösung verschiedener Einzelfragen, die in den Art. 153 ff EGBGB kodifiziert ist202. Allgemeine leitende Grundsätze zum Übergangsrecht lässt das EGBGB jedoch vermissen. Lediglich in den Motiven zum Allgemeinen Teil des BGB werden dahingehende Überlegungen angedeutet, ohne dass sich daraus jedoch eine Systematik herleiten ließe203. a) Keine Aufnahme allgemeiner Übergangsregelungen in den Allgemeinen Teil des BGB Anknüpfungspunkt für die Entscheidung des BGB-Gesetzgeber, keine allgemeinen Übergangsregelungen in den Allgemeinen Teil aufzunehmen, war das Gutachten des Redakteurs Gebhard zum intertemporalen Privatrecht aus dem Jahr 1885204. Darin stellte er fest, dass auf Grundlage der bis dahin in der Rechtslehre diskutierten Ansätze keine in sich geschlossene, einer Kodifikation zugrunde zu legende Theorie zum zeitlichen Herrschaftsbereich der Rechtssätze entwickelt werden könne. Bereits bestehende Übergangsregelungen seien für die bevorstehende Kodifikation ebenfalls ungeeignet, da diese auf überwiegend verschiedenen Zweckmäßigkeitserwägungen beruhten. In Folge dessen kam Gebhard zu dem Schluss, von der Aufnah200 201 202 203 204
Heß, Intertemporales Privatrecht, 72 . Heß, Intertemporales Privatrecht, 77. Larenz, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl., 19 f. Heß, Intertemporales Privatrecht, 81. Gebhardt, Gutachten, 40 ff., abgedruckt bei Schubert, Vorentwürfe zum AT I, 106 ff.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
me einer generellen Regelung im Allgemeinen Teil abzusehen. Einer Vorschrift, die besagt, ob und inwieweit ein Gesetz rückwirkende Kraft habe, bedürfe es nicht. Vielmehr sei dies im Wege der Auslegung zu ermitteln205. Die Aufnahme einer besonderen Auslegungsregel erachtete Gebhard dabei ebenfalls als nicht ratsam. Es sei schließlich die Aufgabe der Rechtsanwendung, im Wege der Auslegung den entsprechenden Willen des Gesetzgebers zu ermitteln. Ausgangspunkt müsse dabei stets sein, dass Gesetze grundsätzlich nur für die Gegenwart und die Zukunft gelten sollen. Der rückwirkende Eingriff in frühere Rechte sei hingegen als Ausnahme zu betrachten, da dies nicht im Sinne und Willen des Staates als Hüter der Rechtsordnung erfolgen könne. Demnach sei die „eigentliche Rückwirkung eine Sache größter Unwahrscheinlichkeit […]. [Und] auch die uneigentliche Rückwirkung entspräche nicht dem regelmäßigen Verhältnis […], [Es] bedürfe vielmehr besonderer Gründe, um die Annahme zu rechtfertigen, dass der Gesetzeswille auf sie gerichtet sei“206. Diesen Ausführungen folgend begnügte sich der BGB-Gesetzgeber schließlich damit, auf die allgemeine Anerkennung des Rückwirkungsverbotes in der Wissenschaft hinzuweisen und die Fortbildung des intertemporalen Privatrechts der weiteren Rechtsentwicklung zu überlassen207. b) Der Verzicht auf allgemeine Grundsätze in den Übergangsregelungen des EGBGB Unter Hinweis auf seine Ausführungen zum Allgemeinen Teil, gelang Gebhard in seinem Entwurf zum Übergangsrecht schließlich zu der Erkenntnis, dass auch in das Einführungsgesetz keine allgemeingültigen Bestimmungen aufzunehmen seien208. Darauf Bezug nehmend kamen ebenso die Autoren des BGB zu dem Ergebnis, dass die, das gesamte BGB erfassende Frage, ob bestehende Rechtsverhältnisse beim Inkrafttreten des Gesetzes generell dem altem oder dem neuem Recht zu unterstellen seien, nicht allgemein beantwortet werden könne. Ein leitendes Prinzip ließe sich nicht aufstellen209. Es bleibe die Regelung einzelner Gesichtspunkte und im Übrigen „die Aufgabe der Rechtswissenschaft, insoweit als im Einführungsgesetz keine besonderen Vorschriften getroffen werden, für die Entscheidung zweifelhafter Fragen aus den [lückenhaften] Vorschriften des B.G.B. und des Einführungsgesetzes den maßgeblichen Grundsatz zu finden“210. 205 Gebhardt, Gutachten, 53 ff. (55), abgedruckt bei Schubert, Vorentwürfe zum AT I, 119 ff. (121); hierzu auch Heß, Intertemporales Privatrecht, 82. 206 Gebhardt, Gutachten, 55 f., abgedruckt bei Schubert, Vorentwürfe zum AT I, 121 f.; siehe auch hierzu Heß, Intertemporales Privatrecht, 83. 207 Heß, Intertemporales Privatrecht, 83. 208 Gebhardt, abgedruckt bei Schubert, Vorentwürfe zum EGBGB, 838 ff. 209 Vgl. Heß, Intertemporales Privatrecht, 84. 210 Protokolle, wiedergegeben in Jakobs/Schubert, Beratungen zum EGBGB I, 599. Im Übrigen übernahm und erweiterte die 1. Kommission den Entwurf Gebhardts, der vor allem
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Auf Kritik stieß das Fehlen allgemeiner Regeln über den „zeitlichen Herrschaftsbereich“ der Rechtssätze bei v. Gierke. Ein „monumentales Gesetzbuch“ wie das BGB müsse in „Ansehung des zeitlichen Zusammenstoßes der Rechtsnormen … zum mindesten den Grundsatz der Nichtrückwirkung der Gesetze ausdrücklich aussprechen und seine Tragweite in Bezug auf erworbene Privatrechte für Zweifelsfälle prinzipiell feststellen. […] Die für das Gegenteil beigebrachten Erwägungen […], welche im Grunde die Ablehnung jeder derartiger Bestimmungen lediglich mit den Schwierigkeiten der Formulierung rechtfertigen“ vermochten nach Ansicht v. Gierkes „nicht die Besorgnis zu verscheuchen, daß diese Lücke eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge haben könnte.“211 Dessen ungeachtet setzte sich schließlich die Konzeption Gebhards durch212. Von einer übergreifenden Regelung des intertemporalen Rechts sah der BGB-Gesetzgeber ab. Lediglich einzelne Übergangsfragen wurden aufgegriffen. So enthalten die Art. 153 ff. EGBGB im Ergebnis nur Klarstellungen, Verdeutlichungen und vereinzelte Abweichungen vom allgemein vorausgesetzten Rückwirkungsverbot213. Die Auseinandersetzung mit darüber hinausgehenden Fragen zum intertemporalen Recht verblieb damit der Rechtswissenschaft und dem Rechtsanwender214. c) Die Motive des Gesetzgebers bei der Normierung des Übergangsrechts Der ursprüngliche Zweck des BGB lag in erster Linie in der Rechtsvereinheitlichung innerhalb der deutschen Staaten. Dabei beschränkte sich der Gesetzgeber – ähnlich wie der des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Sachsen aus
Überleitungsregeln zum Algemeinen Teil enthielt. Der endgültige Entwurf von 1888 umfasste schließlich 37 Paragrafen. 211 v. Gierke, Entwurf eines BGB, 134; siehe hierzu auch Heß, Intertemporales Recht, 85. 212 So gaben auch die Motive zum Allgemeinen Teil des BGB im Wesentlichen die Ausführungen Gebhardts wieder, Heß, Intertemporales Privatrecht, 83; Motive zum BGB AT I (1888), 19 – 24, abgedruckt in Mugdan, Materialien zum BGB, 359 (367 – 370). 213 Heß, Intertemporales Privatrecht, 91. Zum Beispiel: Nach Art. 170 EGBGB sollen etwa für ein Schuldverhältnis, das vor dem Inkrafttreten des BGB entstanden ist, die bis dahin geltenden Gesetze maßgebend bleiben. Etwas anderes gilt jedoch für Miet-, Pacht- und Dienstverhältnisse, die grundsätzlich nach den Normen des BGB beurteilt werden sollen, Art. 171 EGBGB. Ebenso sollen auf das zur Zeit des Inkrafttretens des BGB bestehende Eigentum die Vorschriften des BGB zur Anwendung kommen, Art. 181 Abs. 1 EGBGB. Das Rechtsverhältnis der Beteiligten untereinander sollte sich hingegen weiterhin nach dem bisherigen Recht beurteilen lassen, Art. 181 Abs. 2 EGBGB. Eine vor dem Inkrafttreten des BGB geschlossene Ehe blieb weiterhin gültig, Art. 198 Abs. 1 EGBGB, die persönlichen Beziehungen der Ehegatten untereinander, insbesondere die Unterhaltspflicht, bestimmten sich aber sogleich nach den Vorschriften des BGB, Art. 199 EGBGB. Eine Verfügung von Todes wegen sollte weiterhin nach bisherigem Recht beurteilt werden, auch wenn der Erblasser erst nach dem 01. 01. 1900 verstarb, Art. 214 EGBGB. 214 Heß, Intertemporales Privatrecht, 86.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
dem Jahr 1865215 – im Wesentlichen darauf, den bestehenden Rechtszustand zu systematisieren. Etwaige Reformanliegen konnten sich bei der Erarbeitung des BGB hingegen nicht durchsetzen. Hintergrund dafür waren zum einen die politischen Strukturen. Insbesondere die kleineren süddeutschen Staaten befürchteten ein zu einflussreiches Preußen216. Zum anderen gingen der Verabschiedung des BGB die Kodifikationen anderer Reichsgesetze vor, wie beispielsweise die des HGB im Jahre 1861, womit das Zivilrecht bereits eine Modernisierung erfahren hatte217. Dementsprechend gab es nur wenige Kollisionen mit dem alten Recht, die in den Art. 153 ff. EGBGB im Einzelnen geregelt wurden218. Das darin zum Ausdruck kommende umfassende Rückwirkungsverbot entsprach dem rechtsbewahrenden Charakter des BGB. Die Gesetzgebungskompetenz der einzelnen Bundesstaaten sollte nicht für die Zeit vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzbuches rückwirkend in Frage gestellt werden219. Angesichts des weit reichenden inhaltlichen Gleichlaufs von neuem und bisherigem Recht war die vorgesehene parallele Anwendbarkeit für die Übergangszeit auch weitestgehend unbedenklich220. Damit entsprach das Übergangsrecht im Ergebnis auch dem Schutz „wohlerworbener Rechte“ und des Vertrauens der Normadressaten, wenngleich es dem Gesetzgeber, vor dem geschilderten politischen Hintergrund, nicht in erster Linie darauf ankam. d) Zusammenfassung Gemäß den Übergangsreglungen des EGBGB waren Eingriffe in bestehende Rechte und Rechtsverhältnisse weitestgehend unzulässig. Zwar kam damit ein umfassendes Rückwirkungsverbot zum Ausdruck. Jedoch ist es dem Gesetzgeber des BGB nicht gelungen, darüber hinaus eine allgemeingültige Maxime zur zeitlichen Anwendbarkeit neuer Rechtsvorschriften aufzustellen. Mit Rückblick auf die in der Vergangenheit liegenden Kodifikationen, unter Zugrundelegung verschiedener, in der Rechtslehre bis dahin entwickelter Systeme, und nach lang andauernden Beratungen bestand an und für sich die Gelegenheit zu einer umfassenden Regelung der Anwendbarkeit zeitlich kollidierender Normen. Gleichwohl hielten die Verfasser des BGB die dogmatische Entwicklung des Übergangsrechts für noch nicht hinreichend ausgereift221. Das neue Gesetzbuch sollte keine unvollkommenen und unbestimmten Grundsätze enthalten. Vielmehr erachtete es der Gesetzgeber als Aufgabe 215
Siehe dazu oben im Ersten Teil unter F. I. 1. c). Heß, Intertemporales Privatrecht, 86. 217 Heß, Intertemporales Privatrecht, 86, m.w.Bsp. (dort in Fußnote 222). 218 Vgl. Motive zum BGB AT I (1888), 23, abgedruckt in Mugdan, Materialien zum BGB, 359 (369). 219 Heß, Intertemporales Privatrecht, 87; vgl. auch Motive zum Entwurf des EGBGB (1888), 235, abgedruckt in Mugdan, Materialien zum BGB, 1 (67). 220 Heß, Intertemporales Privatrecht, 86 f. 221 Heß, Intertemporales Privatrecht, 91; vgl. Gebhardt, Gutachten, 53 ff., abgedruckt bei Schubert, Vorentwürfe zum AT I, 119 ff. 216
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des Rechtsanwenders, auftretende Normenkollisionen auszulegen. Neben der Rechtssprechung sah sich in der Folge aber auch die Rechtslehre angesichts dieses gesetzgeberischen Säumnisses weiterhin veranlasst, die Frage des intertemporalen Rechts aufzugreifen und allgemeingültige Lösungsvorschläge anzubieten.
II. Die Aufstellung allgemeiner Grundsätze zum zeitlichen Anwendungsbereich von Zivilrechtsnormen Den heute allgemein geltenden Grundsätzen des intertemporalen Rechts liegen die nach Erlass des BGB und des EGBGB aufgestellten Grundsätze zum zeitlichen Anwendungsbereich von Zivilrechtsnormen zugrunde222, wobei die von Nipperdey aufgestellten Regeln hervorzuheben sind223. Ausgangspunkt dieser Grundsätze sind in erster Linie, trotz ihrer Einzelfallbezogenheit, die Regelungen der Art. 153 ff. EGBGB und die diesen zugrunde liegenden Motive des BGB-Gesetzgebers. 1. Nipperdeys Grundsätze zum zeitlichen „Herrschaftsbereich der Rechtsvorschriften“ Die Frage aufgreifend, ob und inwiefern das alte oder das neue Recht für die Bewertung von Rechtsverhältnissen maßgebend ist, die unter früherem Recht entstanden sind, aber zur Zeit der Geltung des neuen Rechts beurteilt werden sollen, entwickelte Nipperdey im Jahre 1959 allgemeine Grundsätze224. Nipperdey sah es als Aufgabe der Wissenschaft, die Grundgedanken für eine solche Entscheidung zu suchen. Die Einzelentscheidungen des BGB-Gesetzgebers seien weder erschöpfend, noch führten sie ohne eine generelle Betrachtung der Problematik zu sicheren Analogien225. Mit der Aufstellung dieser Grundsätze unternahm Nipperdey den noch heute auf weitgehende Beachtung stoßenden Versuch, ein allgemeingültiges Prinzip zum zeitlichen Anwendungsbereich neuen Rechts aufzustellen, welches der Gesetzgeber des BGB versäumt hat zu regeln. Für das BGB, aber auch für jedes andere Gesetz gelte „als leitender Grundsatz“, dass „im Zweifel […] jeder Rechtssatz nur die Zukunft, nicht die Vergangenheit ordnen will“. Die Normen enthielten im Kern die Aussage, „ von jetzt ab soll “226. Ob
222
Kopp, SGb 1993, 593 (594 f.). Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 352 ff.; vgl aber auch beispielsweise Coing, in Staudinger, BGB, 12. Aufl., Einl., der ebenfalls Grundsätze zum intertemporalen Privatrecht entwickelte, Rn. 267 ff. 224 Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 352 ff. 225 Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 356. 226 Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 356. 223
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
sich diese Regel auch auf bereits bestehende Rechtsverhältnisse beziehe, hinge in erster Linie von dem Wesen der neuen Normen ab. a) Unterscheidung nach dem Wesen neuer Normen Dementsprechend unterscheidet Nipperdey, ob die Wirkung einer Tatsache neu bestimmt, oder ob der Inhalt und Umfang eines subjektiven Rechts neu geregelt wird227. Soweit ein Rechtssatz die Entstehung, den Untergang oder die Veränderung von Rechtsverhältnissen an Tatsachen knüpfe, beziehe sich dieser nur auf zukünftige Tatsachen dieser Art228. In dem Fall, dass sich die Rechtsvorschrift hingegen unmittelbar auf die Rechte selbst beziehe, sie also direkt den Inhalt, die Wirkung oder den Bestand von Rechtsverhältnissen bestimme, ergreife sie auch die schon bestehenden Rechte dieser Art. Die neue Vorschrift regele, dass diese Rechte von nun an diesen Inhalt und jene Wirkung haben sollten, ob sie wie bisher fortbestehen sollten oder nicht229. Allerdings weist bereits Nipperdey selbst auf die Schwierigkeiten dieser, an die Vorschriften des EGBGB angelehnten Unterteilung von Rechtsnormen hin, womit er ein Abstellen auf deren Wesen gleichzeitig wieder in Frage stellt230. Soweit es zweifelhaft bleibe, ob ein Rechtssatz nur die Wirkung einer Tatsache regele oder ob er sich auf die Rechte selbst beziehe, sei dieser Zweifel und damit die Frage der zeitlichen Anwendbarkeit schließlich im Wege der Auslegung zu lösen231. b) Auslegung Für die Auslegung neuer Rechtssätze sind nach Nipperdey folgende Gesichtspunkte zu beachten. aa) Anlass der Gesetzgebung Je gewichtiger die Gründe seien, die zum Erlass des neuen Rechtssatzes führten, desto eher sei auch von einer stärkeren Einwirkung auf bereits bestehende Rechte auszugehen. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Rechtssatz auf Gründen der Sittlichkeit beruhe oder dazu bestimmt sei, wirtschaftliche und soziale Übelstände zu beseitigen232.
227 228 229 230 231 232
Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 356. Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 357 f. Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 358. Vgl. Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 359 ff. Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 361. Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 361.
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bb) Vermeidung eines lang andauernden Nebeneinanders von altem und neuem Recht Der Gesetzgeber sei im Allgemeinen bestrebt, ein lang andauerndes Nebeneinanderbestehen von altem und neuem Rechts zu vermeiden. Soweit neues Recht sodann auf Dauer angelegte Rechtsverhältnisse betreffe, sei deren Überführung in das neue Recht als beabsichtigt anzunehmen233. cc) Ausnahmen von der Anwendbarkeit neuen Rechts Nipperdey erkennt aber auch zwei Ausnahmefälle an, in denen entgegen der eben aufgestellten Regeln das alte Recht anwendbar bleiben soll. Dies sei zum einen dann der Fall, wenn in der Beurteilung des in Betracht kommenden Rechtsverhältnisses nach altem und nach neuem Rechts tief greifende Unterschiede bestünden beziehungsweise wenn sich derartige Unterschiede nicht von vornherein übersehen ließen und wenn in beiden Fällen überwiegende Gründe einen so tiefen Eingriff in die bestehenden Privatrechte nicht zuließen. Zum anderen dürfe neues Recht ausnahmsweise dann nicht zur Anwendung gelangen, wenn dies eine nicht durch überwiegende Gründe gerechtfertigte Härte darstelle234. 2. Zusammenfassung Nipperdey leitet seine Regeln zum zeitlichen Anwendungsbereich neuer Zivilrechtsnormen im Wesentlichen aus dem Gesetz – dem BGB sowie dem EGBGB – und den dazugehörigen Gesetzesmaterialien ab. In der Aufstellung verschiedener Grundsätze vereint er darüber hinaus mehrere Aspekte einzelner bis dahin aufgestellter Theorien der Rechtslehre. Soweit er etwa eine Unterscheidung zwischen Tatsachen und subjektiven Rechten trifft, greift er die Grundgedanken der in der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts entwickelten objektiven und subjektiven Theorien auf. Die auf dieser Differenzierung basierenden Regeln Nipperdeys entsprechen im Grunde den schon von v. Savigny erkannten Prinzipien235, mit dem Unterschied, dass die jeweils unternommene Klassifizierung der Rechtsnormen voneinander abweicht236. Seine Leitsätze für solche Rechtsvorschriften, die an Tatsachen anknüpfen, erinnern an die bereits im Codex Iustinianus aufgestellte objektive Regel237. Derartige 233
Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 362. Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 362 f. 235 Siehe dazu oben im Ersten Teil unter F. I. 2. b). 236 So auch Nipperdey selbst in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 358, dort in Fußnote 6. 237 Siehe dazu oben im Ersten Teil unter F. I. 2. c) aa). 234
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
Rechtsvorschriften sollen nur für die Zukunft gelten. Hingegen sollen Regelungen, die sich auf den Inhalt, die Wirkung oder den Bestand von Rechten beziehen, auch bereits bestehende Rechte ergreifen. Der Schutz subjektiver („wohlerworbener“) Rechte findet mithin weit weniger Berücksichtigung als noch in der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts. Anhaltspunkte für einen Vertrauensschutz der Normadressaten finden sich lediglich in den Auslegungsregeln Nipperdeys. Diese beinhalten demgegenüber aber auch den von v. Savigny entwickelten Gedanken des öffentlichen Gemeinwohls. Eine tendenzielle Entscheidung für oder gegen die sofortige Anwendbarkeit neuen Rechts wird am Ende dabei nicht getroffen. Zwar legen die ersten beiden Auslegungsregeln die Vermutung einer sofortigen Anwendbarkeit neuer Rechtnormen auch auf bestehende Rechte beziehungsweise Rechtsverhältnisse nahe. Jedoch zeigen die Ausnahmen davon, dass diese Annahme durchaus widerlegt werden kann. Dem Normadressaten wird dabei unter bestimmten Umständen ein besonderer Schutz zugebilligt. Im Ergebnis laufen Nipperdeys Auslegungsregeln auf eine Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an der Umsetzung neuer Gesetze und dem Interesse des Bürgers an dem Fortbestand alten Rechts hinaus. Innerhalb dieser Abwägung kommt es letztlich darauf an zu präzisieren, was der Vertrauensschutz einerseits und das öffentliche Interesse an der Durchführung bestimmter Reformen andererseits konkret beinhalten und bedeuten238. Das wiederum hängt entscheidend von dem zu regelnden Rechtsgebiet ab. So formuliert schließlich auch Nipperdey selbst am Ende seiner Ausführungen, dass die „nähere Auslegung der Einzelvorschriften […] nur bei den Rechtsmaterien [erfolgen kann], auf die sie sich beziehen“239.
III. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht Im Gegensatz zum Gesetzgeber des BGB vom 01. 01. 1900, der für seine Überlegungen, insbesondere auch zum Übergangsrecht mehrere Jahre in Anspruch genommen hatte – und dennoch nicht alle Probleme des zeitlichen Anwendungsbereichs umfassend regelte – steht dem heutigen Gesetzgeber für die Normierung neuen Rechts regelmäßig ein weit kürzerer Zeitrahmen zur Verfügung. Hinzu kommt, dass die Zahl neuer Gesetze stetig zunimmt. Gesetzesänderungen erfolgen immer häufiger. Damit einhergehende Probleme, die sich für solche Rechtsverhältnisse ergeben, die unter bisher geltendem Recht entstanden sind, werden dabei vom Gesetz238 Vgl. hierzu auch Coing, in Staudinger, BGB, 12. Aufl., Einl., Rn. 255 ff, der ebenfalls Grundsätze zum intertemporalen Privatrecht entwickelte, Rn. 267 ff. Diese Grundsätze bauen im Wesentlichen auf den Besonderheiten des Privatrechts auf. Zwar sind sie ebenfalls verallgemeinerungsfähig. Deren Erörterung verließe jedoch den hier gesteckten Rahmen der Untersuchung. 239 Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 363; so auch Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 192.
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geber nicht jedes Mal erkannt240. Eine Folge dessen ist, dass in zahlreichen Gesetzen die Fragen der zeitlichen Anwendbarkeit neuen Rechts nicht immer durch ausführliche Übergangsvorschriften eingehend und lückenlos geregelt werden, so auch nicht im Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht. Es trifft daher umso mehr die Verwaltungspraxis und die Rechtsprechung, die sich hieraus ergebenen Lücken mit Hilfe allgemeiner Grundsätze des intertemporalen Rechts zu schließen241. Die Aufstellung solcher Grundsätze kann hingegen in Anlehnung an Nipperdey als Aufgabe der Rechtswissenschaft aufgefasst werden242. Auf dem Gebiet des Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrechts hat sich die Rechtslehre mit der Problematik zeitlich kollidierender Rechtsnormen bislang nur äußerst zurückhaltend auseinandergesetzt. Hervorzuheben sind hierbei einzig die von Kopp im Jahre 1993 zusammengefassten „Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts“243. 1. Kopps „Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts“ Vor dem Hintergrund, dass die bis dahin anerkannten Grundsätze des intertemporalen Rechts zum Teil unter anderen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und vor allem auch für andere Rechtsgebiete, insbesondere das Zivilrecht entwickelt wurden, bemüht sich Kopp in erster Linie um eine „Bestandsaufnahme“ der auch für das öffentliche Recht anerkannten und auch dort zu berücksichtigenden Grundsätze, ohne dabei jedoch eine „Patentlösung“ anbieten zu wollen244. Für die Beantwortung der Frage, ob ein neues Gesetz auch auf in der Vergangenheit liegende oder begründete Sachverhalte anzuwenden sei, kommt es nach Kopp vor allem auf die konkrete Regelung und ihre Auslegung an. Zwar gelte für das Verwaltungsrecht insoweit nichts anderes als für andere Rechtsgebiete. Unterschiede ergäben sich jedoch aufgrund abweichender Interessenkonstellationen245. a) Allgemeine Auslegungs- und Anwendungsgrundsätze des intertemporalen Rechts Nach Kopp enthalten die folgenden, allgemein anerkannten Grundsätze geeignete Anhaltspunkte für die Auslegung neuer Rechtsnormen. Insofern handele es sich bei diesen Regeln um allgemeine Auslegungshilfen und Anregungen für die Auslegung246. 240 241 242 243 244 245 246
Kopp, SGb 1993, 593. Kopp, SGb 1993, 593. Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 356. Kopp, SGb 1993, 593 ff. Kopp, SGb 1993, 593. Ausgangspunkt seiner Ausführungen ist dabei das Sozialrecht. Kopp, SGb 1993, 593 (602). Kopp, SGb 1993, 593 (595).
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
aa) Der Grundsatz der Sofortwirkung und Nicht-Rückwirkung des neuen Rechts Dieser Grundsatz besagt, dass neue Rechtsnormen grundsätzlich ab sofort und für die Zukunft gelten sollten, unabhängig davon, wie die Materie bislang geregelt war247. Die nach früherem Recht bereits eingetretenen Rechtswirkungen und Rechtsfolgen blieben dabei – gemäß der Nicht-Rückwirkung – grundsätzlich unberührt. Das hieße, dass für die Beurteilung des Entstehens und des Fortbestands eines Rechts oder eines Rechtsverhältnisses grundsätzlich das alte Recht anwendbar bliebe. Lediglich ihr weiteres Schicksal in der Zukunft solle – der Sofortwirkung entsprechend – dem neuen Recht unterworfen werden. Für die Beurteilung, ob ein nach bisherigem Recht bestehendes Rechtsverhältnis auch künftig bestehen bleibe beziehungsweise welche Rechtsvorschrift künftig dafür gelte, sei demnach ausschließlich das neue Recht maßgeblich. Dieser Grundsatz gelte sowohl zugunsten als auch zu Lasten der Betroffenen. Abzustellen sei dabei stets auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens neuer Vorschriften. In Fällen in denen allerdings gewichtige Gründe eine Einschränkung dieses Grundsatzes gebieten248, könne eine Ausnahme dahingehend gemacht werden, dass neues Recht entweder rückwirkend in der Vergangenheit begründete Rechtsverhältnisse regele beziehungsweise deren Beurteilung in der Zukunft noch nach altem Recht vorübergehend zulässig bleibe. bb) Der Grundsatz „tempus regit actum“ Der Grundsatz der Nicht-Rückwirkung wird durch den Grundsatz „tempus regit actum“ ergänzt. Danach solle sich die Beurteilung eines Sachverhalts, insbesondere auch in der Vergangenheit liegender oder eingetretener Tatsachen, grundsätzlich immer nach dem Recht richten, das im entsprechenden Zeitpunkt in Geltung war249. Abzustellen sei hier auf den Zeitpunkt der Anwendung der Rechtsnorm. Die in diesem Moment geltende Rechtslage solle maßgeblich sein. Das bedeute, dass beispielsweise ein Rechtsverhältnis, dessen Entstehung unter altem Recht an bestimmte Voraussetzungen geknüpft war, im Zweifel in der bisherigen Form und mit den bisherigen Rechtswirkungen bestehen bleibe250. Unbedeutend sei es danach, ob 247 Kopp, SGb 1993, 593 (595), siehe auch zum Folgenden Kopps weitere Darstellung (595 f.) m.w.N.; so bereits auch Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 356, der diesen Grundsatz als „leitende[n] Grundsatz“ bezeichnet, siehe auch oben unter E II 1; vgl. auch Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 50 ff., 93 ff. 248 Vgl. dazu die folgenden Punkte, Erster Teil F. III. 1. a) dd) und ee). 249 Kopp, SGb 1993, 593 (596), siehe auch zum Folgenden Kopps weitere Darstellung (596 f.) m.w.N.; siehe auch bei Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 46 ff. 250 Dieser Grundsatz betrifft nicht nur das Entstehen und den Fortbestand von Rechten und Rechtsverhältnissen. Er gilt auch für die Beurteilung der Gültigkeit, Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit von Rechtsvorschriften, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakten. So werden etwa Urteile oder Verwaltungsakte, die einmal rechtmäßig ergangen sind oder nach bisherigem
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die früheren Regelungen auch nach dem neuen Recht zulässig wären und ihnen dieselbe Wirkung zukäme. cc) Der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts auch auf nach altem Recht entstandene Rechte und Rechtsverhältnisse Erfasse das neue Recht ab seinem Inkrafttreten bereits unter früherem Recht begründete aber noch nicht endgültig abgeschlossene, also auch noch weiterhin „anhängige“ Rechte und Rechtsverhältnisse, seien diese in Anlehnung an den Grundsatz der Sofortwirkung und Nicht-Rückwirkung im Zweifel in der Zukunft – und damit nicht rückwirkend im engeren beziehungsweise echten Sinne – den nunmehr geltenden und damit anwendbaren – weil sofort wirkenden – Regeln unterworfen251. dd) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes Der eben geschilderte Grundsatz der sofortigen Anwendung könne wiederum eine Einschränkung durch den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutz des Bürgers erfahren, der insbesondere im Rahmen von Dauerrechtsverhältnissen auf die bisherige Rechtslage vertraut und womöglich entsprechende Dispositionen getroffen habe, die sich nach neuem Recht als nutzlos oder nachteilig erweisen könnten252. Folglich wäre nicht das neue, sondern weiterhin das alte Recht auf einen solchen Fall anwendbar. Das Vertrauen stehe der sofortigen Anwendbarkeit des neuen Rechts auf bereits entstandene und noch nicht abschließend abgewickelte Rechtsverhältnisse jedoch nicht grundsätzlich entgegen, sondern nur dann, wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände schutzwürdig sei und die Nachteile, die sich für den Bürger infolge der sofortigen Anwendung ergäben, schwerer wögen als die für die sofortige Anwendung der neuen Regelung sprechenden Gründe.
Recht Rechtskraft oder Bestandskraft erlangt haben, nicht im Nachhinein dadurch rechtswidrig oder unwirksam, dass das dafür heute geltende Recht ihren Erlass nicht mehr rechtfertigt beziehungsweise diesem entgegenstehen würden. Auch umgekehrt werden Gesetze, Verordnungen und Einzelakte, die nach dem Recht ihrer Entstehungszeit ungültig oder rechtswidrig waren, regelmäßig nicht nachträglich durch neues Recht wirksam beziehungsweise rechtmäßig. Kopp, SGb 1993, 593 (596). 251 Kopp, SGb 1993, 593 (597), siehe auch Kopps weitere Darstellung (597 f.) m.w.N.; siehe auch bei Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 93 ff. 252 Kopp, SGb 1993, 593 (597, 598), siehe auch zum Folgenden Kopps weitere Darstellung (598) m.w.N.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
ee) Der Grundsatz der Unantastbarkeit in der Vergangenheit abgeschlossener Rechtsverhältnisse Eine Grenze sei den bereits geschilderten Grundsätzen, wonach das neue Recht für die Zukunft gelten und im Zweifel auch in der Vergangenheit begründete Rechtsverhältnisse erfassen soll, durch den Grundsatz der Unantastbarkeit in der Vergangenheit abgeschlossener Rechtsverhältnisse zu setzen. Unabhängig davon, auf welche Art und Weise das in Frage stehende Rechtsverhältnis abgewickelt worden sei, ob durch ein rechtskräftiges Urteil, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt, einen Vergleich, Verzicht oder durch ein Anerkenntnis, eine Aufrechnung oder in anderer Weise, bleibe es jedenfalls vom neuen Recht unberührt253. Dieser Grundsatz folge aus dem grundsätzlichen Verbot einer belastenden echten Rückwirkung neuen Rechts und entspreche den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und „Rechtsgewissheit“ und des „Rechtsfriedens“, die – ebenso wie der Grundsatz des Vertrauensschutzes – wesentliche Aspekte des Rechtsstaatsprinzips darstellten. b) Berücksichtigung des gesetzgeberischen Anliegens bei der Auslegung und Anwendung neuen Rechts Bei der Auslegung und Anwendung neuen Rechts dürfe schließlich der gesetzgeberische Wille nicht außer Acht bleiben254. Der Rechtsanwender sei dementsprechend bei der Schließung gesetzgeberischer Lücken dazu angehalten, Überlegungen anzustellen, die auch ein bedachter Normgeber mutmaßlich vorgenommen hätte, wenn er die Probleme der zeitlichen Anwendung neuen Rechts erkannt und für regelungsbedürftig erachtet hätte. So entspreche beispielsweise der Grundsatz der Sofortwirkung und Nicht-Rückwirkung im Zweifel dem Interesse des Gesetzgebers, ebenso wie der Grundsatz der sofortigen Anwendung. Denn der Gesetzgeber sei regelmäßig bestrebt, dem neuen Recht auch in zeitlicher Hinsicht einen möglichst großen Anwendungsbereich zu eröffnen255. aa) Der Regelungsschwerpunkt Die Auslegung könne sich im Zweifel nach dem Schwerpunkt des regelungsbedürftigen Sachverhalts richten. Hinge etwa eine zu beurteilende Rechtsfrage schwer253 Kopp, SGb 1993, 593 (598 f.), siehe auch zum Folgenden Kopps weitere Darstellung (598 f.) m.w.N. 254 Kopp, SGb 1993, 593 (599 f.) m.w.N., der die hierunter fallenden Gesichtspunkte als „Ergänzende Auslegungs- und Anwendungsregeln nach dem mutmaßlichen objektiven Willen des Normgebers“ zusammenfasst; vgl. hierzu auch Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 362 f.; dazu auch bereits oben im Ersten Teil unter F. II. 1. b). 255 Kopp, SGb 1993, 593 (597); so auch Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 362.
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punktmäßig mit der Entstehung eines Rechtsverhältnisses zusammen, so könne es auch im Interesse des Normgebers liegen, diese Frage nicht zwingend nach neuem, sondern noch nach altem Recht bewerten zu lassen256. bb) Das Gewicht und die Dringlichkeit des Regelungsanliegens Je gewichtiger und dringlicher das hinter dem Gesetz stehende Anliegen sei, desto eher könne angenommen werden, dass bereits nach altem Recht entstandene Rechte, Pflichten oder Rechtsverhältnisse vom neuen Recht erfasst werden sollen. In Betracht kämen dabei etwa Gründe der Sittlichkeit, die Beseitigung wirtschaftlicher und sozialer Missstände257 oder auch die Aufhebung eines verfassungswidrigen Zustandes258. cc) Vermeidung eines lang andauernden Nebeneinanders von neuem und altem Recht Im Zweifel solle davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber einen Zustand des Nebeneinanders von neuem und altem Recht nicht allzu lange andauern lassen wolle, weswegen bei der Auslegung des neuen Rechts, diesem der Vorzug gegeben werden soll259. dd) Vermeidung unerwünschter Wirkungen oder unzumutbarer Härten Soweit die Anwendung neuen Rechts zu unbeabsichtigten Folgen oder Härten führen würde, solle im Zweifel angenommen werden, dass im Hinblick darauf weiterhin altes Recht anwendbar sei260. Das gelte umso mehr, wenn es sich dabei um temporäre, typische Übergangsprobleme handele, die sich in absehbarer Zeit durch Zeitablauf oder in anderer Weise ohnehin erledigten. Hingegen genüge es nicht für den Rückgriff auf das alte Recht, wenn die Folgen der Anwendung neuen Rechts zwar voraussichtlich schwerwiegend seien, deren tatsächlicher Eintritt sich aber nicht mit Sicherheit voraussagen ließe. Mithin rechtfertige das Drohen nur möglicher Nachteile nicht die Anwendung alten Rechts261. 256
Kopp führt an dieser Stelle Beispiele aus dem Zivilrecht an, so etwa, dass im Zweifel nicht das Recht im Zeitpunkt des Eintritts eines Schadens, sondern nur das Recht im Zeitpunkt der Handlung maßgeblich sein soll, weil hierauf der Schwerpunkt des zu beurteilenden Sachverhalts liegt, SGb 1993, 593 (600). 257 So schon Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 362, siehe auch oben im Ersten Teil unter F. II. 1. b) aa). 258 Kopp, SGb 1993, 593 (600). 259 Kopp, SGb 1993, 593 (600); so auch Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 362, siehe auch oben im Ersten Teil unter F. II. 1. b) bb). 260 Kopp, SGb 1993, 593 (600); so auch Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 363, siehe auch oben im Ersten Teil unter F. II. 1. b) cc). 261 Kopp, SGb 1993, 593 (600).
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
2. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozessrecht Im Rahmen des intertemporalen Prozessrechts stellt sich das besondere Problem des zeitlichen Anwendungsbereichs neuer Prozessregelungen262. Grundsätzlich bieten sich diesbezüglich drei Lösungsmodelle an. Anhängige Verfahren könnten zum einen nach altem Recht beendet werden. Zum anderen könnte das gesamte Verfahren nach neuem Recht neu begonnen werden. Und schließlich bestünde, und das entspräche den Grundsätzen des intertemporalen Rechts, die Möglichkeit, den nach altem Recht begonnenen Prozess nach neuem Recht fortzusetzen263. Nach Kopp sollen die zuvor dargelegten Auslegungs- und Anwendungsgrundsätze auch für das Prozessrecht gelten, das aufgrund seiner Besonderheiten lediglich besondere Anwendungsfälle aufweise264. Im Wesentlichen greift Kopp auf den Grundsatz „tempus regit actum“ zurück. Für die Zulässigkeit von Klagen und Anträgen, mit denen ein Prozessrechtsverhältnis begründet wird, solle demnach das zum Zeitpunkt der Klageerhebung beziehungsweise Antragstellung geltende Recht maßgeblich sein, wenn das neue Recht nichts anderes bestimmt. Für den weiteren Fortgang und den Abschluss des Verfahrens könne es hingegen bereits zur Anwendung neuen Rechts kommen. Der Anwendung neuen Rechts stehe – anders als bei den allgemeinen, sich im Wesentlichen auf das materielle Recht beziehenden Grundsätzen – kein Vertrauen des Prozessbeteiligten entgegen, solange der in der Verfassung verankerte Justizgewährleistungsanspruch nicht in Frage gestellt würde. Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass der Rechtsschutz in einer bestimmten Weise gewährleistet wird, sei nicht gegeben. Kopp weist jedoch auch auf die vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Ausnahme hin, dass ein einmal zulässig eingelegtes Rechtsmittel statthaft bleiben und von der Gesetzesänderung nicht erfasst werden soll. In einem solchen Fall sollten die Grundsätze des intertemporalen Rechts nicht zur Anwendung gelangen265. Im Einzelnen wird auf die Frage, inwieweit dem an einem Verwaltungsprozess Beteiligten schutzwürdiges Vertrauen eingeräumt werden muss, noch näher einzugehen sein. In den folgenden Teilen dieser Arbeit werden die Besonderheiten des Prozessrechts anhand von Beispielfällen verdeutlicht und die besonderen Anwendungsfälle der Grundsätze des intertemporalen Rechts genau untersucht.
262 Kopp, SGb 1993, 593 (600 f.). Kopp behandelt an dieser Stelle auch das vergleichbare Thema sich wandelnden Verwaltungsverfahrensrechts, siehe Näheres dazu dort. 263 Vgl. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 220 f.; siehe zur wesentlichen Aussage der Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozessrecht auch bereits oben im Ersten Teil unter E. 264 Kopp, SGb 1993, 593 (600 f.), siehe dort auch zum Folgenden, m.w.N. 265 Kopp, SGb 1993, 593 (601) mit Hinweis auf BVerfGE 87, 48 (63 ff.), siehe dazu auch bereits oben im Ersten Teil unter E und eingehender noch im Dritten Teil unter C. I.
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3. Zusammenfassung Eine Auffälligkeit bei den in der Rechtslehre bislang aufgestellten Grundsätzen des intertemporalen Rechts im Verwaltungsrecht liegt, so im Übrigen auch bei den von Nipperdey ausgearbeiteten Grundsätzen, in der Aufstellung von Regel-Ausnahme-Verhältnissen. So gilt beispielsweise allgemein der Grundsatz der Sofortanwendung neuer Gesetze, der vorliegend von zentralem Interesse sein wird, es sei denn, dem steht der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegen. Dieser ist wiederum aufgrund einer etwaigen Dringlichkeit des Regelungsanliegens einschränkbar. Wann aber ist ein gesetzgeberisches Anliegen in einem das Vertrauen des Bürgers einschränkenden Maße ausreichend gewichtig? Wann liegen beispielsweise „soziale Missstände“ oder umgekehrt „unzumutbare Härten“ vor? Wie viel Vertrauen ist in den konkreten Situationen zeitlich kollidierender Rechtsnormen schützenswert? Die einzelnen Grundsätze geben auf derartige Fragen keine klare Antwort. Das Verhältnis der unterschiedlichen Grundsätze zueinander, deren Gewichtung und damit eine etwaige Rangfolge sind keineswegs vorgegeben. So wurzelt zum Beispiel der Grundsatz des Vertrauensschutzes im Rechtsstaatsprinzip, womit diesem Verfassungsrang zukommt. Aber auch der Grundsatz der Sofortwirkung hängt eng mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit zusammen. Ein neues Gesetz lässt sich unter diesen beiden Maßgaben sowohl in die eine als auch in die andere Richtung verfassungskonform auslegen. Aufgrund ihrer Einordnung als Auslegungsregeln kann anhand dieser Grundsätze keine eindeutige Aussage in Bezug auf die zeitliche Anwendbarkeit neuer Rechtsnormen getroffen werden. Somit gelangt schließlich auch Kopp zu der Erkenntnis, dass diese Grundsätze immer nur in einer Gesamtschau betrachtet werden können, in der die jeweiligen Ergebnisse miteinander abzuwägen sind266. Ebenso wie bereits bei Nipperdey zeigt sich auch in der Darstellung Kopps, dass die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts im Ergebnis zu einer Abwägung widerstreitender Interessen führt. Soweit die aufgezeigten Grundsätze auch Anhaltspunkte für eine Gewichtung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Umsetzung und Anwendung neuen Rechts einerseits und des Vertrauensschutzinteresses und damit des Interesses an der Fortgeltung alten Rechts andererseits enthalten, kommt es im Konkreten vielmehr darauf an, den wesentlichen Inhalt und die tatsächliche Bedeutung dieser beiden Interessen in dem Moment des Aufeinandertreffens von altem und neuem Recht genau herauszuarbeiten. Erst die Konkretisierung dieser Interessen, vorliegend insbesondere des schutzwürdigen Vertrauens eines Prozessbeteiligten, erweckt die Grundsätze des intertemporalen Rechts, die ohne dies „lediglich“ Prognosen für diese Interessenabwägung bieten, zum Leben. Diese Aufgabe obliegt schließlich dem Rechtsanwender. Dessen Entscheidung, inwieweit neues oder altes Recht anzuwenden ist, wird letztlich von den im Einzelfall aufeinander treffenden Interessen abhängen. Jedoch zeigt eben die Betrachtung solcher Einzelfälle, dass 266
Kopp, SGb 1993, 593 (602).
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
die Grundsätze des intertemporalen Rechts in verschiedener Weise verstanden, vergleichbare Interessen unterschiedlich gewichtet und neue Gesetze demzufolge widersprüchlich ausgelegt werden. So wird die nachfolgende Untersuchung aufzeigen, dass den sich entgegenstehenden Interessen der am Verwaltungsprozess Beteiligten nicht in jedem Fall das richtige Gewicht beigemessen wurde. Vor allem wird vor diesem Hintergrund zu prüfen sein, ob namentlich der Vertrauensschutz stets im erforderlichen Maße beachtet wurde.
G. Rechtsanwendungsmaximen des EuGH zur Lösung intertemporalrechtlicher Fragen Anhaltspunkte für die Bewältigung zeitlicher Normenkollisionen bietet auch das Gemeinschaftsrecht. So entwickelte der EuGH in seiner Rechtsprechung zur Problematik der zeitlichen Anwendbarkeit organgesetzten Rechts drei grundlegende Rechtsanwendungsmaximen, die dem Rechtsanwender eine Lösung übergangsrechtlicher Fragestellungen ermöglichen sollen. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist der Grundsatz „tempus regit actum“, wonach Rechtsbeziehungen im Lichte des jeweils geltenden Rechts zu beurteilen sind, soweit nicht ausdrücklich etwas Gegenteiliges angeordnet ist267. In der Konsequenz dessen stellte der EuGH im Weiteren zum einen den Grundsatz der NichtRückwirkung268 und zum anderen den Grundsatz der Sofortwirkung269 auf. Rechtsänderungen dürfen danach nicht zurückwirken, können aber auf unter altem Recht entstandene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen anwendbar sein. Die vom EuGH aufgestellten intertemporalen Grundsätze gelten sowohl für primäres als auch für abgeleitetes Gemeinschaftsrecht, für verfahrens- und materiellrechtliche Regelungen sowie für begünstigende und belastende Vorschriften, ungeachtet deren Natur und der sie erlassenen Organe270.
267 Rechtssache 10/78 (Belbouab), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1978, S. 1924, Rd. 7; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 46 ff., zusammenfassend 318 f. 268 Rechtssache 234/83 (Gesamthochschule Duisburg/HZA München-Mitte), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1985, S. 341, Rd. 20; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 50 ff., zusammenfassend 319. 269 Rechtssache 1/73 (Westzucker III), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1973, S. 729, Rd. 5; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 93 ff., zusammenfassend 319; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 105. 270 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, zusammenfassend 321.
G. Rechtsanwendungsmaximen des EuGH
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I. Sofortwirkung als allgemein anerkannter Grundsatz – auch im Prozessrecht Für die vorliegende Untersuchung intertemporaler Normkollisionen im Verwaltungsprozess ist der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Sofortwirkung weit bedeutsamer als die mit dem Grundsatz der Nicht-Rückwirkung verbundene Rückwirkungsproblematik271. Daher soll die Maxime der Sofortwirkung, die der EuGH ohne weitere Begründung in seiner Rechtsprechung als „allgemein anerkannten Grundsatz“272 konstatiert hat auch im Vordergrund des Interesses am intertemporalen Gemeinschaftsrecht stehen. Der Anwendungsbereich des Grundsatzes der Sofortwirkung umfasst nahezu jegliche intertemporalrechtliche Fallkonstellationen des Gemeinschaftsrechts273. Demgemäß gilt auch das „Prinzip der unmittelbaren Wirksamkeit des Verfahrensrechts“, wonach neues gemeinschaftsrechtliches Prozessrecht zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens unmittelbar auf alle anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar sein soll274. Der allgemein anerkannte, aber ungeschriebene Grundsatz der Sofortwirkung gilt also prinzipiell auch für das Prozessrechtsverhältnis.
II. Ausnahmen von der Sofortwirkung Allerdings gilt der Grundsatz der Sofortwirkung neuen Gemeinschaftsrechts vor allem bei den Bürger beeinträchtigenden Neuregelungen nicht unbegrenzt275. Ausnahmen von der sofortigen Einwirkung neuen Rechts lässt der EuGH in zwei Fällen zu, und zwar zum einen, wenn es die Gewährleistung von Kontinuität der Rechtsstrukturen erfordert oder zum anderen, um das Vertrauen des Betroffenen auf den Fortbestand der normativen Ausgangslage zu wahren276. 1. Kontinuität der Rechtsstrukturen Änderungen bestehender Rechtsakte können die Kontinuität der Rechtsstrukturen beeinträchtigen und unter Anwendung des Grundsatzes der Sofortwirkung schließ-
271
Ähnlich Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 93; siehe zur Abgrenzung zwischen Rückwirkung und Sofortwirkung auch noch genauer im Dritten Teil, D. I. 272 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 130. 273 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 130; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 105. 274 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 107 f. m.w.N.; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 105; verbundene Rechtssache 212 – 217/80 (Salumi u. a.), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1981, S. 2751, Rd. 9. 275 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 105. 276 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 130.
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1. Teil: Die Grundsätze des intertemporalen Rechts
lich auch dazu führen, dass ein unter alter Rechtslage eingeleitetes Verfahren nach neuem Recht nicht mehr fortgeführt werden kann277. Dieser Konsequenz folgte der EuGH in einer Einzelentscheidung jedoch nicht278. Darin kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass ein nach alter Rechtslage anhängig gemachtes Verfahren ausnahmsweise dann fortgeführt werden könne – auch wenn es nach neuem Recht nicht mehr zulässig ist –, wenn dies der Grundsatz der Kontinuität der Rechtstrukturen erfordert279. Heukels bezweifelt allerdings, dass darin ein über den Einzelfall zu setzendes Präjudiz zu sehen ist280. Vielmehr handele es sich um eine Ausnahmeentscheidung in einem Sonderfall, den die Verfasser des in Rede stehenden Rechtswerks vernünftigerweise nicht vorhersehen konnten und der sich wahrscheinlich auch nicht wiederholen wird. In der nachfolgenden Rechtsprechung des EuGH wurde das Kontinuitätsprinzip im Zusammenhang mit der zeitlichen Abfolge von Rechtssätzen sodann auch nicht mehr aufgegriffen, was die Zweifel Heukels bestätigt. Aus diesem Grund ist auch in dieser Untersuchung nicht weiter auf den Kontinuitätsgrundsatz als verallgemeinerungsfähige Ausnahme zum Grundsatz der Sofortwirkung einzugehen. Beachtung wird daher verstärkt dem – dem Kontinuitätsgedanken gleichwohl verwandten – Vertrauensschutz zu schenken sein. 2. Vertrauen auf den Fortbestand der alten Rechtslage In Einzelfällen stützt der EuGH die „Noch-nicht-Anwendbarkeit“ streitiger Neuregelungen auf unter altem Recht entstandene Rechtsverhältnisse auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes281. Zwar kommt der vertragskonformen Gesetzesinterpretation in diesem Sinne auch und vor allem im Rahmen der Rückwirkungsproblematik eine besondere Bedeutung zu. Die Entscheidungen des EuGH zeigen aber ebenfalls, dass vor dem Hintergrund des Vertrauensschutzes genauso ein Ausschluss der Sofortwirkung neuen EG-Rechts in Betracht zu ziehen ist. Auf die näheren Voraussetzungen dafür wird an späterer Stelle noch ausführlicher einzugehen sein282.
277
Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 122. Rechtssache 23/68 (Klomp), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1969, S. 51, Rd. 13. 279 Siehe dazu auch Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 123 f. 280 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 124. 281 Rechtssache 78/74 (Deuka I), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1975, S. 433, Rd. 12; Rechtssache 5/75 (Deuka II), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1975, S. 771 f., Rd. 9 f.; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 127 f. m.w.N. 282 Siehe unten im Dritten Teil unter D. II. und im Vierten Teil unter B. 278
G. Rechtsanwendungsmaximen des EuGH
77
III. Zusammenfassung Die Kernaussage der im deutschen Recht entwickelten Grundsätze des intertemporalen Rechts, wonach neues Recht sofort auch auf noch nicht abgeschlossene Rechtsverhältnisse anwendbar sein soll, stimmt mit dem gemeinschaftsrechtlichen, auch im Prozessrecht geltenden Grundsatz der Sofortwirkung überein. Aber auch der Umstand, dass dieser Grundsatz im Einzelfall eine Einschränkung erfahren kann, spiegelt sich im Gemeinschaftsrecht wider. Wie konkret dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis in der Rechtsprechung des EuGH ausgestaltet ist, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit Gegenstand der Untersuchung und grundlegender Ausgangspunkt für einen Vergleich mit den im deutschen Recht geltenden Grundsätzen des intertemporalen Rechts sein.
Zweiter Teil
Die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess A. Die zu untersuchenden Verfahrenssituationen In diesem Teil der Arbeit werden Verfahrenssituationen ermittelt, in denen die Verwaltungsrechtsprechung aufgrund einer Gesetzesänderung ohne entsprechende Übergangsregelung in einem laufenden Verfahren auf die Grundsätze des intertemporalen Rechts zurückgegriffen hat. Da dieser Rückgriff und damit die Anwendung neuer Prozessrechtsnormen jedoch nicht immer an allen Verwaltungsgerichten in gleicher Wiese erfolgt1, und dies mithin zu Rechtsunsicherheiten führen kann, gilt das besondere Interesse jenen Rechtsänderungen, die zu solchen Widersprüchen in der Rechtsprechung führten. Es werden vor allem Verfahrenssituationen dargestellt und untersucht, in denen es also trotz gleicher Sachverhalte an unterschiedlichen Verwaltungsgerichten zu widersprüchlichen Entscheidungen kam.
I. Fälle widersprüchlicher Rechtsprechung im Hinblick auf die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess Aus der Betrachtung widersprüchlicher Entscheidungen verschiedener Verwaltungsgerichte in vergleichbaren Verfahrenssituationen ergibt sich die Möglichkeit, die unterschiedlichen Folgen fehlender Übergangsregelungen bei der Anwendung noch alten oder bereits neuen Rechts zu erkennen, die sich daraus ergebenden Vorund Nachteile für die Prozessbeteiligten zu erfassen und zu beurteilen. Insbesondere angesichts etwaiger, mit der Gesetzesänderung verbundenen Nachteile für den am Verfahren Beteiligten soll in den folgenden Teilen der Arbeit die Frage beantwortet 1 So hat beispielsweise eine Anfrage des Bundesverfassungsgerichts an die Präsidenten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte, ob und wie die Gerichte die Norm des § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG auf vor ihrem Inkrafttreten anhängig gewordene Verfahren bisher angewandt haben und welche damit zusammenhängenden Rechtsfragen zur Entscheidung anstanden, ergeben, dass die Entscheidungspraxis, auch unter mehreren Spruchkörpern eines Gerichts, nicht einheitlich war, BVerfGE 87, 48 (58 f.); siehe dazu auch noch ausführlicher unten im Zweiten Teil unter A. I. 1.
A. Die zu untersuchenden Verfahrenssituationen
79
werden können, ob dessen Rechte stets in hinreichender Weise beachtet wurden. Vor diesem Hintergrund wird dann zu klären sein, ob die durch die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts eintretenden Konsequenzen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt und somit durch den Benachteiligten in Kauf zu nehmen sind. 1. Ausschluss der Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz durch § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG in der Fassung von 1990 a) Die Gesetzesänderung Am 15. 10. 1990 trat die Regelung des § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG in der Fassung des Art. 3 Nr. 5 c des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 09. 07. 19902 in Kraft. Danach sollte die bis dahin statthafte Beschwerde gegen die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ausgeschlossen sein. Weder das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 09. 07. 1990 noch das Gesetz zur Änderung dieses Gesetzes vom 12. 10. 19903 enthalten Übergangsregelungen bezüglich der Auswirkungen des neuen Verfahrensrechts auf bereits anhängige Beschwerdeverfahren. In Frage stand damit also, ob die Gerichte die Regelung des § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG ab ihrem Inkrafttreten auch auf schon vorher eingelegte Beschwerden mit der Folge anwenden mussten, dass diese als unzulässig zu verwerfen gewesen wären. b) Anwendung des neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts Diese Frage wurde durch den Hessischen VGH dahingehend entschieden, dass der in § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG vorgesehene Beschwerdeausschluss bei seinem Inkrafttreten auch bereits anhängige Beschwerdeverfahren erfasse4. Die zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Beschwerde sei mit der Neuregelung des § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG unstatthaft geworden. Diese Entscheidung entspreche dem „allgemein anerkannte[n] Grundsatz, daß Änderungen des Prozeßrechts auch anhängige Verfahren betreffen“5. Der 12. Senat des Hessischen VGH untermauerte diese Auffassung mit einer systematischen, historischen und teleologischen Auslegung des § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG6. Auch verfassungsrechtliche Gesichtspunke stünden dem nicht entgegen7. 2
BGBl. I, S. 1354 (1381). BGBl. I, S. 2170. 4 Hessischer VGH (10. Senat, Beschluss vom 09. 11. 1990), NVwZ 1991, 290 ff.; (13. Senat, Beschluss vom 14. 11. 1990), Az.: 13 TH 2904/90, JURIS; (12. Senat, Beschluss vom 23. 11. 1990), NVwZ 1991, 286 ff. 5 Hessischer VGH (10. Senat, Beschluss vom 09. 11. 1990), NVwZ 1991, 290 (291). 6 Hessischer VGH (12. Senat, Beschluss vom 23. 11. 1990), NVwZ 1991, 286 ff. 3
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2. Teil: Die Anwendung im Verwaltungsprozess
Der Rechtsmittelführer habe insbesondere kein generell schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass das Prozessrecht unverändert bleibe und dem gemäß sein bei Einlegung zulässiges Rechtsmittel auch bei der gerichtlichen Entscheidung noch alle Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllen würde. Er trage nach Einlegung seines Rechtsmittels das Risiko, dass sich durch äußere Einwirkungen Sachentscheidungsvoraussetzungen zu seinem Ungunsten ändern. Zwar räumte der Hessische VGH in Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht8 ein, dass grundsätzlich auch bestehende Verfahrensordnungen Vertrauenspositionen im Rahmen bereits anhängiger Verfahren begründen können. Jedoch ergebe eine Interessenabwägung, dass das gesetzgeberische Anliegen, das Asylverfahren nachhaltig zu beschleunigen, höher zu gewichten sei, als etwaige Vertrauensgesichtspunkte9. Auch der, vor allem im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit anerkannte Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit10, wonach ein nach bisherigem Recht zulässigerweise eingelegtes Rechtsmittel auch bei einer Änderung der Zulässigkeitsvoraussetzungen im Laufe des Rechtsmittelverfahrens zulässig bleibt, könne im Verwaltungsprozessrecht keine Anwendung finden. Während der 10. Senat des Hessischen VGH diesen Grundsatz als nicht plausible Ausnahme vom Grundsatz des intertemporalen Rechts ablehnte11, berief sich der 12. Senat des Hessischen VGH darauf, dass bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung weder das Bundesverfassungs- noch das Bundesverwaltungsgericht in den sich dafür anbietenden Fällen den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit auch nur erwähnt haben12. Dieser Auffassung folgte auch das OVG Rheinland-Pfalz13. Da das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen von Verfassungs wegen grundsätzlicher weniger geschützt sei als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materiell-rechtlicher Rechtspositionen, werde die Grenze zum unzulässigen Eingriff in verfahrensrechtliche Positionen regelmäßig erst dann überschritten, wo bereits verfestigte und daher besonders schützenswerte Rechtsstellungen betroffen werden. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn in ein bereits abgeschlossenes Verfahren eingegriffen würde, da dann zwangsläufig auch die dabei erlangte materiell-rechtliche Position beeinträchtigt sein würde14.
7 Hessischer VGH (10. Senat, Beschluss vom 09. 11. 1990), NVwZ 1991, 290 (291 f.); (12. Senat, Beschluss vom 23. 11. 1990), NVwZ 1991, 286 (288 ff.). 8 BVerfGE 63, 343 (359); siehe dazu noch ausführlich im Vierten Teil, A. II. 2. b). 9 Hessischer VGH (10. Senat, Beschluss vom 09. 11. 1990), NVwZ 1991, 290 (292); (12. Senat, Beschluss vom 23. 11. 1990), NVwZ 1991, 286 (289 f.). 10 Siehe dazu unter dem folgenden Punkt im Zweiten Teil, A. I. 1. c) und ausführlicher im Dritten Teil, C. I. 11 Hessischer VGH (10. Senat, Beschluss vom 09. 11. 1990), NVwZ 1991, 290 (291). 12 Hessischer VGH, (12. Senat, Beschluss vom 23. 11. 1990), NVwZ 1991, 286 (287). 13 OVG Rheinland-Pfalz (13. Senat, Beschluss vom 15. 11. 1990), NVwZ 1991, 293 ff. 14 OVG Rheinland-Pfalz (13. Senat, Beschluss vom 15. 11. 1990), NVwZ 1991, 293 (294).
A. Die zu untersuchenden Verfahrenssituationen
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c) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren Der VGH Baden-Württemberg entschied hingegen, dass die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung anhängig gewordenen Beschwerden trotz des in § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG vorgesehenen Beschwerdeausschlusses statthaft blieben15. Seiner Entscheidung legte der VGH Baden-Württemberg den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit zugrunde, ohne – im Gegensatz zum Hessischen VGH – dessen Anwendbarkeit in Frage zu stellen oder auf dessen verfassungsrechtlichen Grundlagen näher einzugehen. Demnach solle in Ausnahme zu den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts das neue Recht nur auf solche Rechtsmittel Anwendung finden, die nach dessen Inkrafttreten eingelegt werden16. Den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit griff schließlich auch das Bundesverfassungsgericht auf17. Der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Schutz des Vertrauens eines Rechtsmittelführers in die prozessrechtlich gewährleistete Rechtsmittelsicherheit gebiete, dass bei einem gesetzlich festgelegten Rechtsmittelausschluss ein bereits eingelegtes Rechtsmittel zulässig bleibe, sofern das Gesetz nicht mit hinreichender Deutlichkeit etwas anderes bestimme. Zwar sei das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen von Verfassungs wegen weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen. Denn nicht selten enthalte Verfahrensrecht bloße ordnungsrechtliche, technische Prozessführungsregeln. Im Einzelfall könnten verfahrensrechtliche Regelungen aber auch, zumal in bereits anhängigen Verfahren, Rechtspositionen gewähren, die ihres Gewichts wegen in gleichem Maße schutzwürdig seien wie materiell-rechtliche Gewährleistungen18. So werde mit der Einlegung eines nach der jeweiligen Verfahrensordnung statthaften und zulässigen Rechtsmittels eine solch gewichtige Verfahrensposition begründet. Dies folge daraus, dass die Prozesspartei die prozessuale Möglichkeit eines Rechtsmittels zur Durchsetzung ihrer materiell-rechtlichen Position zulässig wahrgenommen und dabei in der Regel zugleich auch das Kostenrisiko auf sich genommen habe. Daher müsse zugunsten dieser Partei der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit Anwendung finden. Eine Einschränkung der Statthaftigkeit von Rechtsmitteln oder die Verschärfung von Zulässigkeitsvoraussetzungen könne demnach nicht solche Rechtsmittel unzulässig werden lassen, die noch nach altem Recht zulässig eingelegt wurden. Soweit Gegenteiliges nicht hinreichend deutlich in Übergangsvorschriften angeordnet werde, erfahre „der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts, wonach eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstrei-
15
VGH Baden-Württemberg (12. Senat, Beschluss vom 29. 10. 1990), NVwZ 1991, 295. VGH Baden-Württemberg (12. Senat, Beschluss vom 29. 10. 1990), NVwZ 1991, 295; siehe zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit die im Folgenden erörterte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 87, 48 (62 ff.) und im Dritten Teil unter C. I. 17 BVerfGE 87, 48 (62 ff.) (Beschluss vom 07. 07. 1992); näher zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit auch noch im Dritten Teil, C. I. 18 BVerfGE 87, 48 (63 f.) mit Hinweis auf BVerfGE 63, 343 (358 f.). 16
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2. Teil: Die Anwendung im Verwaltungsprozess
tigkeiten erfaßt […], […] damit für anhängige Rechtsmittelverfahren eine einschränkende Konkretisierung“19. 2. Die Beschränkung der Antragsbefugnis im Rahmen des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO a) Die Gesetzesänderung Gemäß der, durch das 6. VwGOÄndG vom 01. 11. 199620, am 01. 01. 1997 in Kraft getretenen Neufassung des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO erfordert die Antragsbefugnis im Rahmen einer verwaltungsrechtlichen Normenkontrolle die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts. Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung war gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO a. F. bereits derjenige antragsbefugt, der geltend machen konnte, durch eine Rechtsvorschrift oder deren Anwendung zwar noch keine Rechtsverletzung, aber bereits einen Nachteil erlitten zu haben oder in absehbarer Zeit erwarten zu können. Vor dem Hintergrund des nunmehr erschwerten Zugangs zur Normenkontrolle kam die Frage auf, ob für die Beurteilung der Antragsbefugnis des Antragstellers eines zu diesem Zeitpunkt bereits anhängig gemachten Normenkontrollverfahrens die neue oder die alte Fassung des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO anzuwenden ist. Die Übergangsvorschriften im 6. VwGOÄndG enthalten keine Regelungen in Bezug auf die Antragsbefugnis, insbesondere fehlt eine Regelung für den Fall, dass ein am 01. 01. 1997 anhängiger, nach bisherigem Recht zulässiger Normenkontrollantrag die verschärften Anforderungen nach dem neuen Recht nicht mehr erfüllt. b) Anwendung des neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts Das OVG Nordrhein-Westfalen entschied, dass sich die Antragsbefugnis in einem solchen Fall, entsprechend den Grundsätzen des intertemporalen Rechts, nach der Maßgabe der Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO n. F. beurteile21. Eine Einschränkung des allgemeinen Grundsatzes des intertemporalen Prozessrechts, wonach eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasse, sei zwar für Rechtsmittelverfahren in Betracht zu ziehen, da das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Vertrauensschutzprinzip die Rechtsmittelsicherheit gebieten könne22. Jedoch falle das Normenkontrollverfahren nicht unter diesen 19
BVerfGE 87, 48 (64). BGBl. I, S. 1626. 21 OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 ff. 22 OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 (695) in Anerkennung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 20
A. Die zu untersuchenden Verfahrenssituationen
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Schutz. Das Normenkontrollverfahren sei kein Rechtsmittelverfahren, in dem eine erstinstanzliche Entscheidung zur Überprüfung stünde. Das Vertrauensschutzprinzip gewährleiste es nicht, die Voraussetzungen der Antragsbefugnis für anhängige Normenkontrollverfahren unverändert zu lassen. Außerdem sei ein Vertrauen auf die Ungültigkeit einer formell bestehenden Rechtsnorm in aller Regel nicht geschützt. Auch ein etwaiges Vertrauen dahingehend, nicht mit den Kosten des Verfahrens belastet zu werden, stünde dem Antragsteller nicht zur Seite. Denn eine solche Verfahrenssituation führe zur Erledigung des Rechtsstreits mit der Kostenfolge des § 161 Abs. 2 VwGO, wonach unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, und damit auch der Erfolgsaussichten des Antrages, über die Kosten zu entscheiden sei23. Schließlich vertrat das OVG Nordrhein-Westfalen die Auffassung, dass das Normenkontrollverfahren auch nicht in dem bisherigen Umfange erforderlich sei, um dem Antragsteller ausreichenden Rechtsschutz zu gewährleisten. Denn dem, von den Regelungen einer Rechtsverordnung beziehungsweise von den Festsetzungen einer Satzung, in seinen rechtlich geschützten Interessen Betroffenen stehe weiterhin der Individualrechtsschutz offen, in dem die Wirksamkeit der Rechtsverordnung beziehungsweise Satzung inzident der Prüfung unterzogen werden könne24. Der 26. Senat des Bayerischen VGH München gelang mit einer sehr ähnlichen Argumentation zu dem gleichen Ergebnis25, ebenso wie der 1. Senat des Niedersächsischen OVG26. Die Normenkontrolle falle insbesondere deswegen nicht unter den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, weil die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nicht der Durchsetzung subjektiver materieller Rechtspositionen diene und somit nicht zur Gewährleistung eines effizienten Individualrechtsschutzes i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich sei27. Auch das OVG Berlin teilte die Auffassung, dass „Änderungen des Verfahrensrechts nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozeßrechts grundsätzlich auch für anhängige Verfahren gelten […, da] das Vertrauen in den Fortbestand prozeßrechtlicher Regelungen verfassungsrechtlich weniger geschützt ist als das in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen“28. Davon sei im Hinblick auf die anhängige Normenkontrolle auch keine Ausnahme zu machen. Zwar erkannte auch das OVG Berlin unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an, dass mit der Einlegung eines statthaften und zulässigen Rechtsmittels eine solche verfahrensrechtliche Position begründet werden könne, die in ihrer Schutzwürdigkeit
23
OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 (695). OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 (695). 25 Bayerischer VGH München (26. Senat, Urteil vom 04. 06. 1997), BayVBl 1997, 591 ff. 26 Niedersächsisches OVG (1. Senat, Urteil vom 16. 01. 1998), Az.: 1 K 5279/96, JURIS. 27 Bayerischer VGH München (26. Senat, Urteil vom 04. 06. 1997), BayVBl 1997, 591 (592); Niedersächsisches OVG, (1. Senat, Urteil vom 16. 01. 1998), Az.: 1 K 5279/96, JURIS, Rn. 6. 28 OVG Berlin (2. Senat, Urteil vom 28. 11. 1997), Az.: 2 A 7.94, JURIS, Rn. 32. 24
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2. Teil: Die Anwendung im Verwaltungsprozess
mit materiell-rechtlichen Gewährleistungen vergleichbar sei29. Jedoch sei dies bei Normenkontrollverfahren nicht der Fall. Das Unzulässigwerden eines Verfahrens, mit dem eine Rechtsnorm gerichtlich überprüft werden soll, von der möglicherweise Nachteile ausgehen (§ 47 Abs. 2 VwGO a. F.), sei nicht gleichgewichtig mit dem Unzulässigwerden eines anhängigen Rechtsmittels, das nicht nur den Wegfall der zweitinstanzlichen Kontrollmöglichkeit, sondern auch den Eintritt der Rechtskraft der gegen den Rechtsmittelführer bereits ergangenen belastenden erstinstanzlichen Entscheidung zur Folge habe. Außerdem bliebe dem Antragsteller eines Normenkontrollverfahrens nach dem Erlass eines auf die Norm gestützten Verwaltungsakts noch immer die Möglichkeit, eine gerichtliche Inzidentkontrolle herbeizuführen30. Schließlich weist das OVG Berlin darauf hin, dass selbst anhängige Verfassungsbeschwerden, für deren Zulässigkeit dieselben Grundsätze gelten wie für Normenkontrollverfahren, aufgrund einer Änderung des Prozessrechts unzulässig werden könnten. Normenkontrollverfahren sollten in ihrer prozessualen Bedeutung nicht stärker gewichtet werden als diese31. c) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren Unter Berufung auf den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit argumentierte hingegen der 20. Senat des Bayerischen VGH München gegen die Anwendung des neu gefassten § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO auf bereits anhängige Normenkontrollanträge32. Die Befugnis, eine Rechtsnorm überprüfen zu lassen und damit gegebenenfalls Nachteile abzuwenden, die aufgrund der angegriffenen Norm bestehen oder entstehen können, begründe eine wichtige verfahrensrechtliche Position, die mit einer materiellrechtlichen Position vergleichbar sei. Der 1. Senat des Bayerischen VGH München wollte den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit ebenfalls nicht auf „echte Rechtsmittel“ beschränkt wissen33. Auch bereits Klagen und selbstständige Antragsverfahren seien vom Begriff des Rechtsmittels umfasst. Der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit sei demgemäß ohne weiteres auch auf die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle anwendbar, das Vertrauen des Antragstellers in den Fortbestand der Zulässigkeit seines Antrags ebenfalls schutzwürdig. Selbst wenn der geltend gemachte Nachteil nicht die Schwelle der Rechtsverletzung erreiche, könne der Antragsteller ein legitimes Interesse daran haben, die29 OVG Berlin (2. Senat, Urteil vom 28. 11. 1997), Az.: 2 A 7.94, JURIS, Rn. 32 in Anerkennung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 30 OVG Berlin (2. Senat, Urteil vom 28. 11. 1997), Az.: 2 A 7.94, JURIS, Rn. 32. 31 OVG Berlin (2. Senat, Urteil vom 28. 11. 1997), Az.: 2 A 7.94, JURIS, Rn. 32, mit Hinweis auf BVerfGE 24, 33 (53 ff.). 32 Bayerischer VGH München (20. Senat, Beschluss vom 14. 02. 1997), NVwZ 1997, 694 mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 33 Bayerischer VGH München (1. Senat, Urteil vom 19. 09. 1997), BayVBl 1998, 80 f. (80).
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sen Nachteil abzuwehren. Zwar treffe es zu, dass die Normenkontrolle zur Gewährleistung eines effektiven Individualrechtsschutzes nicht erforderlich sei. Jedoch sei der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit keine Ausprägung des Art. 19 Abs. 4 GG, sondern des Rechtsstaatsprinzips, zu dem die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gehörten34. Auch der 6. Senats des Niedersächsischen OVG stellte sich auf den Standpunkt, dass das Erfordernis des neu gefassten § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO, die Verletzung eigener Rechte geltend machen zu müssen, noch nicht für solche Altverfahren gelten könne, die bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung anhängig geworden sind35. Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes folge, dass nach altem Verfahrensrecht zulässige und statthafte Normenkontrollanträge durch die Verschärfung der prozessrechtlichen Vorschriften nur dann nachteilig berührt werden könnten, wenn dies vom Gesetzgeber hinreichend deutlich angeordnet worden sei36. Diese Entscheidungen bestätigte schließlich auch das BVerwG, das sich im Wesentlichen ebenfalls auf den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit stützt37. Die Außerachtlassung dieses Grundsatzes werde dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gerecht. Dieser sei nicht auf Rechtsmittel im engeren Sinn beschränkt, sondern immer dann zu beachten, wenn der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage einwirke, in der sich der Bürger befinde. Entscheidend sei somit nicht, ob das Normenkontrollverfahren ein Rechtsmittelverfahren im engeren Sinn darstellt, sondern ob und inwieweit die bereits erlangte Verfahrensstellung in einem Normenkontrollverfahren Vertrauensschutz genieße. Der nachträgliche Entzug einer solchen Verfahrensposition, die für den Bürger mit nicht unerheblichen Vorteilen verbunden sei, könne unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nur dann eintreten, wenn das die Änderung verfügende Gesetz selbst hinreichend deutlich diesen Verlust ausspreche38. Die Verfahrensposition eines Normenkontrollklägers, der sich auf einen Nachteil berufe, sei schließlich, auch wenn es sich hierbei noch nicht um eine Rechtsverletzung handele, nicht von so geringem Gewicht, dass der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes völlig zurücktreten dürfe39.
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Bayerischer VGH München (1. Senat, Urteil vom 19. 09. 1997), BayVBl 1998, 80 (80 f.). Niedersächsisches OVG (6. Senat, Urteil vom 24. 04. 1997), NVwZ 1997, 1222 f. 36 Niedersächsisches OVG (6. Senat, Urteil vom 24. 04. 1997), NVwZ 1997, 1222 (1223), mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 37 BVerwGE 106, 237 ff. (Urteil vom 12. März 1998) mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 38 BVerwGE 106, 237 (238 ff.). 39 BVerwGE 106, 237 (239). 35
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3. Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage des Adressaten gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG a) Die Gesetzesänderung Als bundesrechtliche Sonderregelung i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Alt. 1 VwGO schließt die mit dem Dienstrechtsreformgesetz vom 24. 02. 199740 eingeführte Bestimmung des § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine beamtenrechtliche Versetzungsverfügung aus. Bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG am 01. 07. 1997 entfalteten Widerspruch und Anfechtungsklage des Adressaten einer solchen, belastenden Verfügung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Ob sich die Neuregelung aber auch auf zu diesem Zeitpunkt bereits erhobene Widersprüche und Anfechtungsklagen erstrecken und damit deren aufschiebende Wirkung entfallen lassen sollte, wurde weder in den Übergangsvorschriften des Dienstrechtsreformgesetzes noch an anderer Stelle geregelt. Damit oblag diese Entscheidung den Verwaltungsgerichten, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung mit der Frage der aufschiebenden Wirkung auseinanderzusetzen hatten. b) Anwendung des neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts Nach Ansicht des VG Göttingen sei die Neuregelung zulässigerweise auch auf eine Klage anzuwenden, die bereits am 01. 07. 1997 anhängig war und bis zum 30. 06. 1997 gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung hatte41. In Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts ging das VG Göttingen in seiner Entscheidung davon aus, dass das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen weniger schützenswert sei als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen. Einzig in dem Fall, in dem die verfahrensrechtliche Position versetzter Beamter ihrer Bedeutung und ihrem Gewicht nach in gleichem Maße schutzwürdig wäre, wie die Position des materiellen Rechts, „hier […] der gesetzlichen Einräumung flexiblerer beamtenrechtlicher Instrumentarien“, seien die vorgenannten Grundsätze auf die Neuregelung des § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG nicht anzuwenden42. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall habe es bereits an einer ”verfahrensrechtliche[n] Position” in diesem Sinne gefehlt, auf die sich der Antragsteller berufen könne. Allein durch die Regelung des § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO würde eine solche schutzwürdige Rechtsposition nicht eingeräumt. § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO habe in Ausfüllung der Rechtsweg- beziehungsweise Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die auch den Schutz gegen vorläufige Rechts40 41 42
BGBl. I, S. 322. VG Göttingen (3. Kammer, Beschluss vom 27. 08. 1997), NVwZ-RR 1999, 52 f. VG Göttingen (3. Kammer, Beschluss vom 27. 08. 1997), NVwZ-RR 1999, 52.
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nachteile umfasse, lediglich sicherzustellen, dass vor Unanfechtbarkeit eines belastenden Verwaltungsaktes keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden43. c) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren In der gleichen Verfahrenssituation ging das OVG Berlin davon aus, dass ein zuvor eingelegter Widerspruch von der am 01. 07. 1997 in Kraft getretenen Norm des § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG nicht erfasst werde44. Bereits aus dem Wortlaut des § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG folge, dass diese Regelung nur den Eintritt der aufschiebenden Wirkung verhindern, nicht aber zum Wegfall einer bereits zuvor eingetretenen aufschiebenden Wirkung führen solle. Das ergebe sich aus der Formulierung der Neuregelung als Ausnahme zu § 80 Abs. 1 VwGO, der im Regelfall den automatischen Eintritt der aufschiebenden Wirkung als Folge eines Widerspruchs oder einer Klage vorsehe45. Entscheidend sei vor allem, dass allein dieses Verständnis des § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar sei. Zwar erfassten Änderungen des Verfahrensrechts nach dem Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten. Soweit jedoch durch ein nach der Verfahrensordnung statthaftes und zulässiges Rechtsmittel bereits eine schutzwürdige verfahrensrechtliche Position begründet wurde, gelte dieser Grundsatz nur eingeschränkt. Eine solche Rechtsposition habe der Antragsteller nach Ansicht des OVG Berlin mit seinem Widerspruch erlangt. Die nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO eingetretene aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs könne nur noch durch eine Anordnung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung entfallen. Ein belastender Eingriff in diese Rechtsstellung sei daher nur durch eine hinreichend deutliche Anordnung im Rahmen einer gesetzlichen Übergangsregelung möglich, die hier nicht vorlag46. 4. Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen einen den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt gemäß § 212 a Abs. 1 BauGB a) Die Gesetzesänderung Als bundesrechtliche Sonderregelung i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Alt. 1 VwGO schließt die gemäß Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs und zur Neuregelung des Rechts der Raumordnung (Bau- und Raumordnungsgesetz 43
VG Göttingen (3. Kammer, Beschluss vom 27. 08. 1997), NVwZ-RR 1999, 52. OVG Berlin (4. Senat, Beschluss vom 20. 08. 1997), Az: 4 SN 353.97, JURIS. 45 OVG Berlin (4. Senat, Beschluss vom 20. 08. 1997), Az: 4 SN 353.97, JURIS, Rn. 2. 46 OVG Berlin (4. Senat, Beschluss vom 20. 08. 1997), Az: 4 SN 353.97, JURIS, Rn. 2 mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 44
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1998 – BauROG) vom 18. 08. 199747 in das neu gefasste BauGB eingefügte Vorschrift des § 212 a Abs. 1 die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung aus. Bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 212 a Abs. 1 BauGB am 01. 01. 1998 kamen Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die dem Bauherren erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung nach der allgemeinen Vorschrift des § 80 Abs. 1 VwGO kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung zu. Eine eindeutige Übergangsregelung, die den zeitlichen Anwendungsbereich des § 212 a Abs. 1 BauGB für Drittrechtsbehelfe gegen Baugenehmigungen, die vor diesem Datum eingelegt wurden, näher bestimmt, enthält weder das Bau- und Raumordnungsgesetz noch das 4. Kapitel des Baugesetzbuches48. Soweit die Verwaltungsgerichte zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung in einem Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz über die aufschiebende Wirkung von bereits zuvor eingelegten Drittwidersprüchen oder Anfechtungsklagen Dritter zu entscheiden hatten, mussten sich diese nun mit der Frage auseinandersetzen, ob deren aufschiebende Wirkung angesichts des § 212 a Abs. 1 BauGB auch nachträglich weggefallen sein könnte. b) Anwendung des neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts Anlässlich einer Beschwerde gegen eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung hatte das OVG Saarland in einem Verfahren, in dem ein Dritter gegen die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit einer Baugenehmigung vorging, über diese Frage zu entscheiden. In seiner Entscheidung kam das OVG Saarland zu dem Schluss, dass die aufschiebende Wirkung der noch vor dem 01. 01. 1998 erhobenen Anfechtungsklage gegen die dem Bauherren erteilte Baugenehmigung infolge der Neuregelung nunmehr gemäß den §§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO, 212 a Abs. 1 BauGB entfallen sei49. Die zuvor ergangene behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ginge folglich ins Leere und werde fortan durch die gesetzliche Anordnung ersetzt. Aufgrund des Fehlens einschlägiger Übergangsbestimmungen finde „der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts“ Anwendung50. Dieser Grundsatz stoße freilich unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips und des darin wurzelnden Anspruchs der Verfahrensbeteiligten auf Vertrauensschutz auf gewisse Grenzen. Auch das OVG Saarland räumte in diesem Zusammenhang ein, dass Verfahrensregelungen insbesondere im Rahmen bereits anhängiger Verfahren Vertrauenspositionen begründen könnten. Anderenfalls würden dem Bürger durch eine Änderung der Verfahrensordnung mit Wirkung für bereits anhängige Verfahren 47
BGBl. I, S. 2081. Kalb, in Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 212 a, Rn. 17 legt den Schluss nahe, dass die Einführung einer Übergangsregelung schlicht „vergessen worden ist“. 49 OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006 ff. 50 OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006. 48
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wesentliche Positionen für eine aussichtsreiche Rechtsverfolgung verkürzt oder gar abgeschnitten. Allerdings sei insoweit zwischen der Bedeutung und dem Gewicht der verschiedenen Verfahrensregelungen zu unterscheiden. Verfassungsrechtlich unbedenklich sei die auch bereits anhängige Verfahren erfassende Änderung von solchen Verfahrensbestimmungen, die lediglich einer Änderung der modalen Ausgestaltung des Verfahrens dienten und auf die der Betroffene sich einstellen könne. Änderungsvorschriften hingegen, die eine bereits verfestigte, schützenswerte verfahrensrechtliche Position berührten, insbesondere solche Bestimmungen, die einen bereits eingeräumten Anspruch auf eine Sachentscheidung nachträglich entzögen, genügten den sich unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips und des Vertrauensschutzes ergebenden Anforderungen nur dann, wenn das die Änderung verfügende Gesetz selbst hinreichend deutlich diesen Verlust ausspreche51. In solchen Fallgestaltungen, in denen Widerspruch und gegebenenfalls auch Klage bereits vor Inkrafttreten von § 212 a Abs. 1 BauGB erhoben wurden, würden das Rechtsstaatprinzip und der Vertrauensschutz allerdings gerade keine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts gebieten. Denn eine geschützte Position dahingehend, dass es bei der grundsätzlich durch § 80 Abs. 1 VwGO gewährten aufschiebenden Wirkung bis zur abschließenden Entscheidung über den Rechtsbehelf in der Hauptsache verbleiben würde, habe der Dritte auch nach früherem Recht nicht inne gehabt. Es sei stets damit zu rechnen gewesen, dass die aufschiebende Wirkung durch behördliche oder gerichtliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit auf der Grundlage der §§ 80 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, 80 Abs. 2 Nr. 4, 80 Abs. 5 VwGO beseitigt werden könne. Bereits daraus ergebe sich, dass die aufschiebende Wirkung von Drittrechtsbehelfen nicht als eine verfestigte, einer materiell-rechtlichen Gewährleistung nahe kommende Verfahrensposition eingestuft werden könne. Zu berücksichtigen sei ferner, dass auch in den Fällen behördlicherseits angeordneter sofortiger Vollziehbarkeit der Dritte stets die Möglichkeit gehabt hätte, ein überwiegendes Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit einem ihm zumutbaren Rechtsbehelf nach den §§ 80 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO zur Geltung zu bringen. Hieran habe sich nach Inkrafttreten von § 212 a Abs. 1 BauGB zum 01. 01. 1998 nichts geändert52. In diesem Sinne erließ auch das OVG Nordrhein-Westfalen einen Beschluss53. In der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fallgestaltung legte der Dritte Beschwerde gegen eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung ein, die dem Antrag des Bauherrn auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit seiner Baugenehmigung stattgab. Mit der Beschwerde verfolgte der Dritte die „Wiederherstellung“ der der bis dahin laut § 80 Abs. 1 VwGO gesetzlich angeordneten aufschiebenden Wirkung seines einst eingelegten Widerspruchs. Dieses Begehren fasste das OVG Nordrhein51 OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006 (1007) in Anlehnung an das Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 63, 343 (358 ff.); siehe dazu noch ausführlicher im Vierten Teil, A. II. 2. b). 52 OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006 (1007). 53 OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Beschluss vom 23. 01. 1998), NVwZ 1998, 759 ff.
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Westfalen gemäß der neuen Rechtslage hingegen als Antrag auf „Anordnung“ der nun nicht mehr gesetzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs auf. Das OVG Nordrhein-Westfalen befand, dass die Neuregelung des § 212 a Abs.1 BauGB auch auf solche Drittwidersprüche anzuwenden sei, die vor dem 01. 01. 1998 erhoben wurden. Dies habe zur Folge, dass die nach früherem Recht kraft Gesetzes eingetretene aufschiebende Wirkung eines Drittrechtsbehelfs ab dem 01. 01. 1998 entfalle. Dieser Wegfall sei auch in anhängigen Verfahren zu berücksichtigen54. Die sofortige Anwendung des § 212 a Abs. 1 BauGB begegne unter Vertrauensgesichtspunkten keinen Bedenken. Der anfechtende Widerspruchsführer habe bereits vor dem 01. 01. 1998 kein schutzwürdiges Vertrauen beanspruchen können. Denn die aufschiebende Wirkung habe unter der früheren Rechtslage nur unter dem Vorbehalt einer behördlichen oder gerichtlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung Entfaltung gefunden. Lediglich ein entsprechender, von dem Dritten stets einzukalkulierender Antrag des Bauherrn sei für den Wegfall des Suspensiveffekts ausreichend gewesen. Etwas anderes könne auch bei der sofortigen Geltung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung nicht gelten. Eine andere Bewertung des Vertrauensschutzes sei auch für den hier betroffenen besonderen Fall der Beschwerde im Eilverfahren nicht angezeigt. Zwar räumt auch das OVG Nordrhein-Westfalen ein, dass das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Vertrauensschutzprinzip es unter Umständen gebieten könne, Änderungen im Verfahrensrecht nicht auf bereits anhängige Rechtsmittelverfahren anzuwenden55. Jedoch verweist es für die vorliegende Konstellation auf die Möglichkeit, das mit der Beschwerde verfolgte Ziel nunmehr mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs verfolgen zu können. Die Neuregelung des § 212 a Abs. 1 BauGB verschlechtere somit die Rechtsposition des Widerspruchsführers im Rechtsmittelverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes damit nicht in einer den Vertrauensschutz beeinträchtigender Weise56. Der VGH Baden-Württemberg entschied ebenfalls, dass § 212 a BauGB auch auf vor dem 01. 01. 1998 eingelegte Widersprüche Anwendung finde57. Eine Beschwerde des Bauherrn gegen die verwaltungsgerichtliche Ablehnung seines Antrags auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der ihm erteilten Baugenehmigung wies der VGH Baden-Württemberg mit der Begründung ab, dass es an dem dafür notwendigen Rechtsschutzbedürfnis mangele. Da die dem Antragsteller erteilte Baugenehmigung mit der Neuregelung bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar sei, gehe der Antrag ins Leere. Diese Sichtweise entspreche dem allgemeinen Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts. Die Anwendung dieses Grundsatzes liege im vorliegenden Fall um so 54
OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Beschluss vom 23. 01. 1998), NVwZ 1998, 759
(760). 55
OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Beschluss vom 23. 01. 1998), NVwZ 1998, 759 (760) in Anerkennung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 56 OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Beschluss vom 23. 01. 1998), NVwZ 1998, 759 (760). 57 VGH Baden-Württemberg (8. Senat, Beschluss vom 16. 04. 1998), BauR 1998, 1005 f.
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näher, als nach der Neuregelung in § 212 a BauGB die aufschiebende Wirkung einer nach dem 01. 01. 1998 erhobenen Anfechtungsklage unzweifelhaft auch dann entfalle, wenn die angefochtene Baugenehmigung noch vor diesem Zeitpunkt erteilt worden wäre. Vor diesem Hintergrund erschiene es wenig stimmig, wenn ein vor dem 01. 01. 1998 eingelegter Widerspruch trotz der Neuregelung seine aufschiebende Wirkung behielte58. Der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Vertrauensschutzgedanke, der gebiete, dass trotz eines gesetzlich festgelegten Rechtsmittelausschlusses ein bereits eingelegtes Rechtsmittel zulässig bleibe, sofern das Gesetz nicht mit hinreichender Deutlichkeit etwas Abweichendes bestimme, stehe der sofortigen Anwendung des § 212 a BauGB auf bereits eingelegte Widersprüche auch nicht entgegen59. Denn diese Neuregelung bewirke nicht die Unzulässigkeit solcher Widersprüche, sondern lasse nur ihre aufschiebende Wirkung entfallen. Das Vertrauen auf die bisherige Rechtslage sei auch nicht in einem solchen Maß schutzwürdig, dass im vorliegenden Fall eine entsprechende Einschränkung des genannten Grundsatzes erforderlich wäre. Zu berücksichtigen sei nämlich, dass schon nach dem bisher geltenden Recht die Behörde gemäß § 80 a Abs. 1 Nr. 1 VwGO die Möglichkeit hatte, auf Antrag des Bauherrn die sofortige Vollziehung einer Baugenehmigung anzuordnen und einem gegen die Genehmigung eingelegten Widerspruch damit die aufschiebende Wirkung zu nehmen. Die gleiche Befugnis stand den Verwaltungsgerichten zu. Die Erstreckung des § 212 a BauGB auch auf Widersprüche, die noch vor dem 01. 01. 1998 eingelegt wurden, stelle somit nur einen verfahrensmäßigen Zustand her, der auch schon nach der bisherigen Rechtslage möglich war und von dem Widerspruchsführer hätte einkalkuliert werden können60. Auch das VG Koblenz gelangte nach Auslegung eines Antrags des Bauherrn auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit zu dem Ergebnis, dass der Suspensiveffekt von Drittrechtsbehelfen mit dem Inkrafttreten des § 212 a Abs. 1 BauGB nachträglich weggefallen sei61. Daher sei der Antrag des Bauherrn allenfalls als ein Feststellungsantrag zu verstehen. Das Vertrauensschutzprinzip erfordere es nicht, den Suspensiveffekt eines Rechtsbehelfs bei einer Änderung der Gesetzeslage unverändert zu lassen, weil es sich hierbei um keine in ihrer Schutzwürdigkeit mit materiell-rechtlichen Gewährleistungen vergleichbare Rechtsposition handele62. Überdies bleibe die Zulässigkeit des Widerspruchs des Dritten durch den Wegfall seiner vollzugshemmen58
VGH Baden-Württemberg (8. Senat, Beschluss vom 16. 04. 1998), BauR 1998, 1005 (1006). 59 VGH Baden-Württemberg (8. Senat, Beschluss vom 16. 04. 1998), BauR 1998, 1005 (1006) in Anerkennung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 60 VGH Baden-Württemberg (8. Senat, Beschluss vom 16. 04. 1998), BauR 1998, 1005 (1006). 61 VG Koblenz (1. Kammer, Beschluss vom 02. 03. 1998), Az: 1 L 373/98.KO, JURIS. 62 VG Koblenz (1. Kammer, Beschluss vom 02. 03. 1998), Az: 1 L 373/98.KO, JURIS, Rn. 9 in Anerkennung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.).
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den Wirkung unberührt. Die angefochtene Baugenehmigung unterliege weiterhin einer uneingeschränkten Nachprüfung. Die Beantragung vorläufigen Rechtsschutzes führe nicht zu unzumutbaren Nachteilen für den Widerspruchsführer63. c) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren Anders entschied das VG München64. Dem Antrag eines Dritten auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs begegnete das VG München mit der Feststellung, dass § 212 a Abs. 1 BauGB nicht auf eine vor dem 01. 01. 1998 gegenüber einem Dritten wirksam gewordene Baugenehmigung anzuwenden sei. Widerspruch und Anfechtungsklage behielten aufschiebende Wirkung. Das gelte sogar noch dann, wenn wie hier der Widerspruch erst nach dem 31. 12. 1997 erhoben worden ist. Zwar stützte das VG München seine Entscheidung zunächst auf die Übergangsvorschrift des § 243 Abs. 1 BauGB n.F., den es in der vorliegenden Fallgestaltung für anwendbar erachtete65. Darüber hinaus führte das VG München aber auch aus, dass die Anwendbarkeit des § 212 a Abs. 1 BauGB auf vor dem 01. 01. 1998 wirksam gewordene Baugenehmigungen auch nicht unter Berufung auf die Grundsätze des intertemporalen Rechts begründet werden könne66. Vielmehr gelte hier der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Ein Dritter, der nach altem Recht gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung Widerspruch erhoben hat oder erheben konnte, dürfe sich gemäß der kraft Gesetzes vorgesehenen aufschiebenden Wirkung 63
VG Koblenz (1. Kammer, Beschluss vom 02. 03. 1998), Az: 1 L 373/98.KO, JURIS,
Rn. 9. 64
VG München (1. Kammer, Beschluss vom 17. 08. 1998), Az: M 1 SN 98.3134, JURIS. VG München (1. Kammer, Beschluss vom 17. 08. 1998), Az: M 1 SN 98.3134, JURIS, Rn. 32. Dem entgegen halten u. a. das VG Koblenz (1. Kammer, Beschluss vom 02. 03. 1998), Az: 1 L 373/98.KO, JURIS, Rn. 9, das OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Beschluss vom 23. 01. 1998), NVwZ 1998, 759 (760), und der VGH Baden-Württemberg (8. Senat, Beschluss vom 16. 04. 1998), BauR 1998, 1005 (1005 f.) weder die Vorschrift des § 243 Abs. 1 BauGB noch die des § 233 BauGB für anwendbar. Nach § 243 Abs. 1 BauGB ist auf Verfahren, Pläne, Satzungen und Entscheidungen, die auf der Grundlage des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch eingeleitet, in Kraft getreten oder wirksam geworden sind, § 233 Abs. 1 BauGB entsprechend anzuwenden. Jedoch ergeht eine Baugenehmigung nicht in einem Verfahren ”nach diesem Gesetz”, mithin dem Baugesetzbuch, sondern allein auf der Grundlage der Landesbauordnung. Für diese nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut gebotene Auslegung sprechen im Übrigen auch die Gesetzesmaterialien, in denen als Anwendungsbereiche des § 233 BauGB exemplarisch die Bauleit- oder städtebaulichen Satzungsverfahren genannt werden (vgl. BT-Drucks. 13/6392). Nichts anderes gilt für § 243 Abs. 1 BauGB. Weder stellt der Erlass einer Baugenehmigung ein Verfahren dar, das nach dem Maßnahmengesetz zum Baugesetzbuch eingeleitet wird, noch kann die Baugenehmigung selbst als Entscheidung angesehen werden, die auf der Grundlage dieses Gesetzes wirksam geworden ist. Vielmehr trifft § 243 Abs. 1 BauGB eine Sonderbestimmung nur für solche Fälle, die unmittelbar im Maßnahmengesetz selbst geregelt waren oder dort ihren Ursprung hatten. So auch Kalb, in Ernst/ Zink/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 212 a, Rn. 16; vgl. ebenso Löhr, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 243, Rn. 2. 66 VG München (1. Kammer, Beschluss vom 17. 08. 1998), Az: M 1 SN 98.3134, JURIS, Rn. 36. 65
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seines Rechtsbehelfs und wegen des Hinweises darauf in der Rechtsbehelfsbelehrung darauf verlassen, dass das Vorhaben bis zur bestandskräftigen Entscheidung über seinen Widerspruch beziehungsweise der rechtskräftigen Entscheidung über seine Klage nicht verwirklicht werden könne. Wollte der Bauherr vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens mit dem Bau beginnen, müsste er initiativ werden und versuchen, den Sofortvollzug der Baugenehmigung zu erreichen. Der Dritte habe somit eine Verfahrensposition inne, die ihm die effektive Verwirklichung seiner Rechte gewährleistete. Bei der Regelung des § 80 Abs. 1 VwGO handele es sich nicht nur um eine Verfahrensbestimmung, die lediglich einer Änderung der modalen Ausgestaltung des Verfahrens diene, auf die sich der Betroffene einstellen könne. Der Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 VwGO sei vielmehr Ausdruck der effektiven Rechtsschutzgewährung, wie sie in Art. 19 Abs. 4 GG verankert sei, also eines verfassungsmäßig gewährleisteten Rechts. Somit könne ein Verlust dieser Verfahrensposition nur dann eintreten, wenn das die Änderung verfügende Gesetz selbst hinreichend deutlich diesen Verlust ausspricht67. Die sofortige Anwendung der Neureglung lehnte auch das Niedersächsische OVG ab, das in seiner Entscheidung feststellte, dass Drittwidersprüche, die vor Inkrafttreten des BauROG am 01. 01. 1998 gegen eine Baugenehmigung eingelegt worden sind, noch gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung hätten und diese auch nicht durch das Inkrafttreten des § 212 a BauGB verloren ginge68. Es traf diese Feststellung auf eine Beschwerde hin, die ein Bauherr gegen die durch einen Dritten beantragte und daraufhin verwaltungsgerichtlich angeordnete (teilweise) Aussetzung der Vollziehung seiner Baugenehmigung einlegte. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebe sich, dass auch das Vertrauen in den Fortbestand einer nach altem Verfahrensrecht erworbenen Rechtsposition zu schützen sei. Dieses Vertrauen sei im Regelfall zwar weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen. Es könne diesem jedoch nahe kommen und im Einzelfall gebieten, neues Verfahrensrecht auf nach altem Verfahrensrecht begonnene Rechtsstreitigkeiten nicht anzuwenden. Ein solcher Fall liege hier vor. In der Erlangung der aufschiebenden Wirkung liege ein verfahrensrechtlicher Vorteil, auf dessen Aufrechterhaltung der Dritte in schützenswerter Weise vertrauen dürfe. Denn nach alter Rechtslage hätte der Bauherr einstweilen eine behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO oder ein mit Kostenrisiken verbundenes gerichtliches Eilverfahren zur Erlangung der Vollziehbarkeit der Genehmigung anstrengen müssen. Aus Sicht des widersprechenden Dritten stelle das einen verfahrensrechtlichen Vorteil dar69. Klarstellen wollte der erkennende Senat jedoch, dass nur die Einlegung des Drittwiderspruchs vor dem Inkrafttreten des § 212 a BauGB zu einer Position führe, die ein schutzwürdiges Vertrauen in den Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs erlaube. Ein nach dem 01. 01. 1998 eingelegter Wider67 VG München (1. Kammer, Beschluss vom 17. 08. 1998), Az: M 1 SN 98.3134, JURIS, Rn. 37. 68 Niedersächsisches OVG (1. Senat, Beschluss vom 18. 12. 1998), NVwZ 1999, 444 ff. 69 Niedersächsisches OVG (1. Senat, Beschluss vom 18. 12. 1998), NVwZ 1999, 444 (445).
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spruch habe hingegen auch dann keine aufschiebende Wirkung mehr, wenn die angefochtene Baugenehmigung vor dem Inkrafttreten des § 212 a Abs. 1 BauGB erteilt worden sei70. Auch nach Auffassung des Bayerischen VGH München findet § 212 a Abs. 1 BauGB auf Drittwidersprüche, die vor dem 01. Januar 1998 eingelegt worden sind, keine Anwendung71. Eine Beschwerde des Bauherrn gegen die verwaltungsgerichtliche Ablehnung seines Antrags auf Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der ihm erteilten Baugenehmigung lehnte der Bayerische VGH München ab. Ebenso wie das VG München begründete auch der VGH seine Entscheidung zunächst damit, dass in § 243 Abs. 1 BauGB n.F. eine allgemeine Überleitungsvorschrift zu erkennen sei72. Darüber hinaus stünden der Anwendung der „allgemeinen Regeln des intertemporalen Prozeßrechts“ auch Vertrauensgesichtspunkte entgegen73. § 212 a Abs. 1 BauGB diene im Hinblick auf die Frage der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs nicht lediglich einer Änderung der modalen Ausgestaltung des Verfahrens, auf die sich der Betroffene einstellen könne. Vielmehr sei der Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 VwGO eine einfachgesetzliche Ausprägung der grundrechtlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes und ein fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses mit verfassungsrechtlicher Bedeutung. Der Verlust dieser verfassungsmäßig gewährleisteten Verfahrensposition könne deshalb nur eintreten, wenn das die Änderung verfügende Gesetz selbst hinreichend deutlich diesen Verlust ausspreche. Somit müssten die Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts aus Vertrauensschutzgründen eine verfassungsrechtlich gebotene Einschränkung erfahren74. 5. Änderung des zuständigen Gerichts für die Berufungszulassung nach § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO n.F. a) Die Gesetzesänderung Die Vorschrift des § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO in der Fassung des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 01. 09. 200475 sieht vor, dass die Begründung eines Berufungszulassungsantrags beim Oberverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtshof) 70 Niedersächsisches OVG (1. Senat, Beschluss vom 18. 12. 1998), NVwZ 1999, 444 (445), im Gegensatz zum VG München (1. Kammer, Beschluss vom 17. 08. 1998), Az: M 1 SN 98.3134, JURIS, Rn. 36 f. 71 Bayerischer VGH München (15. Senat, Beschluss vom 17. 12. 1998), DÖV 1999, 307. 72 Bayerischer VGH München (15. Senat, Beschluss vom 17. 12. 1998), DÖV 1999, 307, vgl. dazu auch bereits oben im Zweiten Teil, Fußnote 64. 73 Bayerischer VGH München (15. Senat, Beschluss vom 17. 12. 1998), DÖV 1999, 307. 74 Bayerischer VGH München (15. Senat, Beschluss vom 17. 12. 1998), DÖV 1999, 307 mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.) und auf die Entscheidung BVerfGE 63, 343 (358 ff.); so im Ergebnis auch Battis, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 212 a, Rn. 1; Battis/Krautzberger/Löhr, NVwZ 1997, 1145 (1166). 75 BGBl. I, S. 2198 (2204).
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einzureichen ist, während nach § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO a.F. das Verwaltungsgericht noch dafür zuständig war. Im Zuge dieser Gesetzesänderung kam in Ermangelung einer entsprechenden Übergangsvorschrift die Frage auf, bei welchem Gericht die Begründung eines bereits vor dem 01. 09. 2004 anhängigen Berufungszulassungsantrags ab dem Inkrafttreten der Neuregelung vorzulegen sei. Zudem war fraglich, ob eine bereits erteilte und dahin lautende erstinstanzliche Rechtsmittelbelehrung, dass die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung beim Verwaltungsgericht einzureichen sei, mit dem Inkrafttreten der neu gefassten Norm nunmehr unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO wurde. In der Konsequenz dessen hätte sich eine bereits laufende Begründungsfrist von zwei Monaten auf ein Jahr verlängern müssen. b) Anwendung des neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts Das OVG Nordrhein-Westfalen lehnt eine derartige Rechtsfolge ab. Dabei stützt es sich auf den „allgemein anerkannten Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts“76. Danach erfasse eine Änderung des gerichtlichen Verfahrensrechts grundsätzlich auch alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängige Verfahren, soweit keine anders lautende Übergangsbestimmung eingreife. Der Bürger könne nicht darauf vertrauen, dass das Prozessrecht unverändert bleibe. Die Belehrung durch das Verwaltungsgericht, dass die Antragsbegründung bei ihm einzureichen sei, sei richtig gewesen. Dies habe dem § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO in der bis zum 31. August 2004 geltenden Fassung entsprochen. Die danach im Zeitpunkt ihrer Erteilung mit dem geltenden Recht übereinstimmende Rechtsmittelbelehrung sei nicht durch die am 1. September 2004 in Kraft getretene Änderung des § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO nachträglich unrichtig geworden. Welchen Inhalt eine Rechtsmittelbelehrung haben müsse, um den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO zu genügen, richte sich nach den prozessrechtlichen Bestimmungen, die zum Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung galten. Das sei hier allein § 124 a Abs. 4 S. 5 in der bis zum 31. August 2004 geltenden Fassung. Die Änderung wirke mangels Übergangsbestimmung für laufende Verfahren nicht auf den Zeitpunkt der Erteilung der Rechtsmittelbelehrung zurück. Eine Fristverlängerung komme somit nicht in Betracht77. Zudem folge aus der, nach den Grundsätze des intertemporalen Rechts sofort wirkenden Neufassung des § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO, dass in der Zeit zwischen dem 1. September 2004 und dem Ablauf der Antragsbegründungsfrist die Begründung anstelle beim Verwaltungsgericht nunmehr beim Oberverwaltungsgericht einzureichen gewesen sei. Dass die Berufungskläger hierüber nicht belehrt wurden, ändere daran nichts. Die Einreichung der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung beim Verwaltungsgericht entsprechend der erteilten Rechtsmittelbelehrung, aber entgegen § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO in der jetzt geltenden Fassung, bleibe nach dem 1. September 2004 trotz laufender Begründungs76 77
OVG Nordrhein-Westfalen (19. Senat, Beschluss vom 08. 10. 2004), DÖV 2005, 484. OVG Nordrhein-Westfalen (19. Senat, Beschluss vom 08. 10. 2004), DÖV 2005, 484.
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2. Teil: Die Anwendung im Verwaltungsprozess
frist wirkungslos. Indem die Berufungskläger im vorliegenden Fall beim Oberverwaltungsgericht keine Begründung ihres Zulassungsantrags eingereicht hätten, hätten sie die zweimonatige Antragsbegründungsfrist nach § 124 a Abs. 4 S. 4 VwGO n.F. versäumt78. c) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren Anders sah der VGH Baden-Württemberg diese Verfahrenssituation79. Demnach könne die Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung, der gemäß § 124 a Abs. 4 S. 2 VwGO vor dem am 01. 09. 2004 erfolgten Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetzes ohne Begründung rechtzeitig bei dem Verwaltungsgericht gestellt worden ist, mit dem Inkrafttreten der Neufassung auch noch nach Ablauf der zweimonatigen Frist des § 124 a Abs. 4 S. 4 VwGO in Anwendung des § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO innerhalb eines Jahres bei dem Oberverwaltungsgericht eingereicht werden. Das gelte auch dann, wenn die Rechtsmittelbelehrung entsprechend der bis zum 31. 08. 2004 geltenden Fassung des § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO lautete, die Begründung sei bei dem Verwaltungsgericht einzureichen. Denn diese Belehrung sei mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des 1. Justizmodernisierungsgesetzes am 01. 09. 2004, soweit es um die nunmehr erforderliche Vorlage der Antragsbegründung beim Verwaltungsgerichtshof ginge, im Sinne des § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO unrichtig geworden. Zwar sei die Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts im Zeitpunkt ihrer „Erteilung“ noch richtig gewesen. Der Fehler liege nunmehr jedoch darin, dass dem Rechtsmittelführer nicht das richtige Gericht benannt wurde, bei dem die Berufungsbegründung ab dem 01. 09. 2004 anzubringen war. Die Angabe des Gerichts und seines Sitzes, bei dem die Begründung des Rechtsmittels einzureichen ist, müsse zutreffend sein, damit beim Betroffenen kein Irrtum über die Voraussetzungen des jeweiligen Rechtsmittels hervorgerufen und er dadurch nicht von der rechtzeitigen Einlegung abgehalten werde80. Der VGH Baden-Württemberg vertritt überdies die Auffassung, dass der Berufungskläger auch bei Vorlage der Antragsbegründung beim Verwaltungsgericht die Begründungsfrist hätte wahren können. Wenngleich es für die vorliegende Entscheidung des VGH Baden-Württemberg darauf nicht ankam, stellte das Gericht klar, dass in Fällen der vorliegenden Art, in denen der Antrag wie hier noch unter der Geltung der früheren Rechtslage vor dem 01. 09. 2004 ohne Begründung beim Verwaltungsgericht gestellt worden ist, bereits wegen des im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatzes des Vertrauensschutzes die Begründung auch beim Verwaltungsgericht hätte eingelegt werden können. Der Rechtsmittelführer habe als Verfahrensbeteiligter eine verfahrensrechtliche Position erlangt. Die Rechtsmittelsicherheit gebiete „den Schutz des Vertrauens in den Fortbestand der Zulässigkeit des bereits, wenn auch ohne die erst später erforderliche Begrün78
OVG Nordrhein-Westfalen (19. Senat, Beschluss vom 08. 10. 2004), DÖV 2005, 484. VGH Baden-Württemberg (4. Senat, Beschluss vom 19. 10. 2004), Az.: 4 S 2142/04, JURIS. 80 VGH Baden-Württemberg (4. Senat, Beschluss vom 19. 10. 2004), Az.: 4 S 2142/04, JURIS, Rn. 3. 79
A. Die zu untersuchenden Verfahrenssituationen
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dung, eingelegten Rechtsmittels […] , so dass die Vorlage der erforderlichen Antragsbegründung im Vertrauen auf den Fortbestand des bisherigen § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO bei dem Verwaltungsgericht auch nach dem 01. 09. 2004 unschädlich wäre. Durch diesen speziellen Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, […] , erführe der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts, […], eine einschränkende Konkretisierung“81. Dem letztgenannten Punkt folgt auch der VGH München82. Eine nach dem 01. 09. 2004 beim Verwaltungsgericht eingegangene Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung bleibe nach dem auch im intertemporalen Prozessrecht zu beachtenden Grundsatz des Vertrauensschutzes zulässig. Der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit erfordere, dass eine bei Einlegung des Rechtsmittels zulässige Verfahrenshandlung, auf dessen notwendige Begründung in der Rechtsmittelbelehrung des Urteils noch zutreffend hingewiesen wurde, auch weiterhin für dieses Verfahren zulässig bleibe83.
II. Fälle der Anwendung alten Rechts auf anhängige Verwaltungsprozesse – in Einschränkung der Grundsätze des intertemporalen Rechts An dieser Stelle sollen weitere Fälle aufgezeigt werden, in denen die Grundsätze des intertemporalen Rechts eine Einschränkung erfahren, zumeist unter Hinweis auf den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit84. Von Interesse ist hierbei vor allem die Bandbreite innerhalb derer die Rechtsmittelsicherheit Berücksichtigung findet. Soweit sich im weiteren Verlauf dieser Arbeit die Frage danach stellen wird, wodurch und inwieweit die Grundsätze des intertemporalen Rechts einzuschränken beziehungsweise zu konkretisieren sind, wird es von Bedeutung sein, wie die Gerichte ihr zum einen auf Rechtsmittel im engeren Sinne beschränktes, zum anderen ihr etwas weiteres Verständnis des Grundsatzes der Rechtsmittelsicherheit begründen. Darüber hinaus gilt es herauszustellen, welche weiteren Gesichtspunkte zu einer Einschränkung der Grundsätze des intertemporalen Rechts führten.
81 VGH Baden-Württemberg (4. Senat, Beschluss vom 19. 10. 2004), Az.: 4 S 2142/04, JURIS, Rn. 2 mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 82 Bayerischer VGH München (8. Senat, Beschluss vom 31. 03. 2005), NVwZ-RR 2005, 736 ff. 83 Bayerischer VGH München (8. Senat, Beschluss vom 31. 03. 2005), NVwZ-RR 2005, 736. 84 BVerfGE 87, 48 (62 ff.), siehe dazu bereits oben im Zweiten Teil, A. I. 1. c) und ausführlicher im Dritten Teil, C. I.
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2. Teil: Die Anwendung im Verwaltungsprozess
1. Die Einführung der Dreimonatsfrist für Normenkontrollanträge nach Nr. 1 des Gesetzes zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (RMBeschrG) in der bis zum 31. 12. 1996 geltenden Fassung a) Die Gesetzesänderung Nach Nr. 1 des Gesetzes zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der bis zum 30. 04. 1998 geltenden Fassung, das als Art. 13 des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom 22. 04. 199385 am 01. 05. 1993 in Kraft trat, waren Anträge nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in den neuen Bundesländern nur binnen drei Monaten ab Inkrafttreten der zu überprüfenden Rechtsvorschrift zulässig. In Frage stand dabei wiederum, ob die Einführung der Dreimonatsfrist für die Erhebung von Normenkontrollanträgen auch für bereits am 01. 05. 1993 rechtshängige Normenkontrollanträge gelten solle, ob also solche anhängigen Anträge die erst nach dieser Dreimonatsfrist gestellt wurden, nunmehr als unzulässig zu erachten sind. Das Rechtsmittelbeschränkungsgesetz (RMBeschrG) enthielt dazu keine Übergangsregelung. b) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren Das Thüringer OVG war der Auffassung, dass diese Regelung nicht auf Normenkontrollanträge anzuwenden sei, die bei Inkrafttreten des Investitionserleichterungsund Wohnbaulandgesetzes bereits rechtshängig waren86. Mangels ausdrücklicher gesetzgeberischer Regelung sei zwar auf die Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts abzustellen. Dieser Grundsatz erfahre jedoch seinerseits durch den in den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes wurzelnden Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit eine Einschränkung87. Das bedeutete, dass auch bereits vor dem 01. 02. 1993 eingegangene und nach der damaligen Rechtslage unbefristet zulässige Normenkontrollanträge durch das am 01. 05. 1993 in Kraft getretene Gesetz zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht berührt würden, sondern zulässig blieben. Eine noch weitergehende Einschränkung der Grundsätze des intertemporalen Rechts sei verfassungsrechtlich jedoch nicht geboten. In einer weiteren Entscheidung greift das Thüringer OVG die Frage auf, ob der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit soweit gehe, dass generell alle vor dem 01. 05. 1993 in Kraft getretene Satzungen beziehungsweise Rechtsverordnungen von der neuen Regelung des RMBeschrG nicht erfasst werden dürften. Dazu führte es aus, dass das Vertrauen der Betroffenen auf 85
BGBl. I, S. 466 (487). Thüringer OVG (1. Senat, Urteil vom 03. 05. 1995), ThürVBl 1995, 277 ff. 87 Thüringer OVG (1. Senat, Urteil vom 03. 05. 1995), ThürVBl 1995, 277 (278) mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 86
A. Die zu untersuchenden Verfahrenssituationen
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einen unveränderten Fortbestand des jeweils gerade geltenden Rechtsmittelsystems von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht in diesem Maße geschützt sei88. Die in Nr. 1 des RMBeschrG normierte Dreimonatsfrist für Normenkontrollanträge gelte somit auch für vor dem 01. 05. 1993 in Kraft getretene Satzungen beziehungsweise Rechtsverordnungen mit der Maßgabe, dass sie mit Inkrafttreten des Gesetzes am 01. 05. 1993 zu laufen begonnen habe89. 2. Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen einen den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt nach Nr. 3 des Gesetzes zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (RMBeschrG) in der bis zum 31. 12. 1996 geltenden Fassung a) Die Gesetzesänderung Mit Art. 13 des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom 22. 04. 199390 trat am 01. 05. 1993 das Gesetz zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (RMBeschrG) in der bis zum 31. 12. 1996 geltenden Fassung in Kraft. Das RMBeschrG bestimmte in Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 S. 1 a), dass Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt dann keine aufschiebende Wirkung haben, wenn sie sich auf eine Streitigkeit beziehen, die die Errichtung, den Abbruch, die Änderung und die Nutzungsänderung von baulichen Anlagen im Sinne der Bauordnungen der Länder betrifft. Da entsprechende Überleitungsregelungen fehlten, stellte sich die Frage, ob dieser gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung i.S.d. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auch bereits eingelegte Rechtsbehelfe erfassen sollte. b) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren Nach Auffassung des Thüringer OVG erfasse Nr. 3 RMBeschrG nicht solche Verwaltungsakte, die unter der Geltung des bis zum Inkrafttreten des RMBeschrG geltenden Rechts erlassen und mit einem Widerspruch angefochten wurden91. Für einen Eingriff in die verfahrensrechtliche Position des Dritten sei eine ausdrückliche gesetzliche Geltungsanordnung erforderlich gewesen. Soweit gesetzliche Übergangsvorschriften fehlten, fordere der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, die bereits er88
Thüringer OVG (1. Senat, Urteil vom 05. 03. 1997), ThürVBl 1997, 230 f. Thüringer OVG (1. Senat, Urteil vom 05. 03. 1997), ThürVBl 1997, 230; so im Ergebnis auch das Bundesverwaltungsgericht, BVerwGE 109, 148, das seine Entscheidung allerdings ausschließlich mit dem Wortlaut der Nr. 1 RMBeschrG und dem Zweck des Gesetzes begründet, (149 ff.). 90 BGBl. I, S. 466 (487). 91 Thüringer OVG (Beschluss vom 29. 06. 1993), LKV 1994, 114 f. 89
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2. Teil: Die Anwendung im Verwaltungsprozess
langte verfahrensrechtliche Position zu beachten, die hier mit derjenigen vergleichbar sei, die ein Rechtsmittelführer nach Einlegung eines Rechtsmittels erlangt habe92. „Aus dem allgemeinen Grundsatz, nach dem neues Verfahrensrecht auch auf bereits laufende Verfahren anzuwenden ist“ folge deshalb nur, dass das neue Recht lediglich „diejenigen Verfahrenshandlungen [… erfasse], die von seinem Inkrafttreten an für die Weiterführung des Verfahrens vorzunehmen sind“93. Das Sächsische OVG wendete die Neuregelung ebenfalls nicht auf anhängige Verfahren an94. Zur Begründung führte es an, dass vom „allgemeinen Grundsatz des intertemporären Verfahrensrechts“ Ausnahmen zu machen seien, und zwar „soweit es um unter der Geltung des alten Rechts abgeschlossene Verwaltungsverfahren, selbstständige Verfahrensabschnitte oder abgeschlossene Prozesshandlungen und abschließend entstandene Prozesslagen geht“95. Diesen Gedanken leitet das Sächsische Oberverwaltungsgericht aus den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ab, die immer dann heranzuziehen seien, wenn der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Situation, in der sich ein Beteiligter befinde, einwirke96. 3. Einräumung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen einen den Adressaten begünstigenden Verwaltungsakt gemäß Art. 3 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) a) Die Gesetzesänderung Durch Art. 3 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. 12. 200197 (RmBereinVpG) wurde das Gesetz zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 22. 04. 1993 in der Fassung vom 01. 11. 199698 (RMBeschrG) mit Wirkung zum 01. 01. 2002 aufgehoben. Wie in § 80 Abs. 1 S. 2 VwGO vorgesehen, kamen somit Widerspruch und Klage eines Dritten wieder aufschiebende Wirkung zu. Es fragte sich jedoch, ob sich die in der VwGO grundsätzlich vorgesehene aufschiebende Wirkung mit Inkrafttreten des RmBereinVpG auch auf bereits rechtshän92
Thüringer OVG (Beschluss vom 29. 06. 1993), LKV 1994, 114 (115) mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 93 Thüringer OVG (Beschluss vom 29. 06. 1993), LKV 1994, 114 (115). 94 Sächsisches OVG (Beschluss vom 15. 03. 1994), LKV 1995, 119 f. 95 Sächsisches OVG (Beschluss vom 15. 03. 1994), LKV 1995, 119. 96 Sächsisches OVG (Beschluss vom 15. 03. 1994), LKV 1995, 119 mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 97 BGBl. I, S. 3987. 98 BGBl. I, S. 1626.
A. Die zu untersuchenden Verfahrenssituationen
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gige Verfahren erstrecken sollte, in denen die Rechtsbehelfe bis dahin aufgrund des RMBeschrG keine aufschiebende Wirkung hatten. Diese Frage wurde in etwaigen Übergangsvorschriften nicht aufgegriffen und blieb somit seitens des Gesetzgebers unbeantwortet.
b) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren Das OVG Mecklenburg-Vorpommern ging in einer solchen Verfahrenssituation davon aus, dass Widerspruchs- und Klageverfahren, die vor dem 1. Januar 2002 anhängig geworden sind, hiervon unberührt blieben. Ein von einem Verwaltungsakt Begünstigter dürfe darauf vertrauen, dass er diesen Verwaltungsakt wegen der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit schließlich auch vollziehen dürfe99. Ihm könne diese Rechtsposition nicht ohne ausdrücklichen Gesetzesbefehl entzogen werden. Damit verstieße der Rechtsanwender gegen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Dies müsse gerade für jene Fälle gelten, in denen der vom Verwaltungsakt Begünstigte im Vertrauen auf den gesetzlich angeordneten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage eines Dritten mit dem Vollzug des Verwaltungsaktes begonnen beziehungsweise ihn sogar schon vollendet habe. Würde man in dieser Situation den Eintritt der aufschiebenden Wirkung bejahen, wäre ohne weiteres der Vollzug des Verwaltungsaktes einzustellen, womit unter Umständen auch erhebliche wirtschaftliche Aufwendungen entwertet würden. Nichts anderes könne gelten, wenn die gesetzlich eingeräumte Rechtsposition noch nicht ausgenutzt worden sei. Diese Rechtsposition sei zwar wirtschaftlich risikobehaftet, da sie auf der vorläufigen Vollziehbarkeit eines nicht bestandskräftigen und gegebenenfalls angefochtenen Verwaltungsaktes beruhe, doch stelle sie sich als eine Rechtsposition dar, die nicht ohne weiteres entzogen werden könne100. Ebenso vertrat das VG Frankfurt (Oder) die Auffassung, dass diese Gesetzesänderung auf solche laufenden Verfahren nicht anwendbar sei, in denen sowohl der Erlass des begünstigenden Verwaltungsaktes als auch die Einlegung des Widerspruchs beziehungsweise die Erhebung der Klage noch vor dem Außerkrafttreten des Rechtsmittelbeschränkungsgesetzes lägen101. Der Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts erfahre eine Einschränkung durch die rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. In dem, dem VG Frankfurt (Oder) vorliegenden Fall ergebe sich das schutzwürdige Vertrauen aus dem Zweck des nunmehr abgeschafften Rechtsmittelbeschränkungsgesetzes. Mit der gesetzlichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten sollte eine zusätzliche günstige 99 OVG Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat, Beschluss vom 25. 03. 2002), NVwZ 2002, 1258 ff. 100 OVG Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat, Beschluss vom 25. 03. 2002), NVwZ 2002, 1258, das hier den Grundgedanken des Grundsatzes der Rechtsmittelsicherheit aufgreift; siehe dazu BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 101 VG Frankfurt (Oder) (7. Kammer, Beschluss vom 04. 06. 2002), Az.: 7 L 533/01, unveröffentlicht.
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2. Teil: Die Anwendung im Verwaltungsprozess
Verfahrensrechtsposition für Investoren in den neuen Bundesländern geschaffen werden. Ein Investor sollte im Falle der Drittanfechtung nicht darauf angewiesen sein, seinerseits einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung bei der Behörde beziehungsweise bei Gericht zu stellen und somit selbst für die sofortige Umsetzung seines Vorhabens zu sorgen. Zudem sollte er damit rechnen können, dass bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren und offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache eine gesetzliche Wertung zugunsten seines Interesses an der sofortigen Vollziehung des ihn begünstigenden Verwaltungsaktes bestehe. Diese zur Investitionsförderung geschaffene Verfahrensposition, die mit dem Rechtsmittelbeschränkungsgesetz hergestellt wurde, begründe nach der Aufhebung dieses Gesetzes einen Vertrauensschutz zugunsten der Adressaten von Verwaltungsakten, die unter der räumlichen und zeitlichen Geltung des Rechtsmittelbeschränkungsgesetzes erlassen und angefochten wurden. Das durch das Rechtsmittelbeschränkungsgesetz bezweckte Vertrauen des Adressaten, dass der ihn begünstigende Verwaltungsakt sofort vollziehbar sei, ließe sich nach der Aufhebung dieses Gesetzes nicht durch einen Verweis auf die Möglichkeit wahren, seinerseits behördliche oder gerichtliche Hilfe zur Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in Anspruch zu nehmen. Der nachträgliche Entzug einer Verfahrensposition, die für den Bürger mit nicht unerheblichen Vorteilen verbunden gewesen sei, könne vielmehr nur dann eintreten, wenn das die Änderung verfügende Gesetz selbst hinreichend deutlich diesen Verlust ausspreche. 4. Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gemäß § 17 Abs. 6 a FStrG in der Fassung vom 17. 12. 1993 a) Die Gesetzesänderung Der Bundesgesetzgeber hat in Art. 2 des Gesetzes zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz – PlVereinfG) vom 17. 12. 1993102 das Verhältnis von Anfechtungsklage und Sofortvollzug durch die Neufassung des § 17 FStrG grundlegend neu geregelt. Danach sieht § 17 Abs. 6 a FStrG vor, dass die Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine Plangenehmigung für den Bau oder die Änderung von Bundesfernstraßen, für die ein vordringlicher Bedarf festgestellt ist, entgegen der bisherigen Rechtslage keine aufschiebende Wirkung mehr hat. Eine eindeutige Übergangsregelung, welche die Frage der Anwendbarkeit des § 17 Abs. 6 a FStrG auf bereits anhängige Verfahren aufgreift, liegt nicht vor. Somit oblag die Antwort darauf schließlich dem Rechtsanwender.
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BGBl. I, S. 2123.
B. Zusammenfassung
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b) Anwendung des alten Rechts auf das anhängige Verfahren Das BVerwG kam dabei zu dem Ergebnis, dass § 17 Abs. 6 a FStrG auf im Zeitpunkt seines Inkrafttretens anhängige Verfahren nicht anzuwenden sei103. Der „allgemeine intertemporale Grundsatz, daß eine Änderung des Prozeßrechts im Regelfall auch ein anhängiges Verfahren erfasse“, treffe hier nicht zu. Der Gesetzgeber habe für solche Fälle nicht nachträglich die aufschiebende Wirkung einer bereits erhobenen Klage entfallen lassen wollen. Die aufschiebende Wirkung der Klage stelle einen fundamentalen Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses dar. Eine spätere Verkürzung eines prozessualen Rechts müsse der Gesetzgeber mit deutlichen Worten festlegen104.
B. Zusammenfassung Die hier aufgezeigten Beispiele der Verwaltungsrechtsprechung zeigen, dass in den Konstellationen zeitlich kollidierender Gesetze im Wesentlichen zwei Aspekte aufeinander treffen. Auf der einen Seite steht das Anliegen des Gesetzgebers, neues Recht schnellstmöglich anwenden zu lassen105. Dementsprechend greift ein Teil der Verwaltungsgerichte auf den Grundsatz zurück, dass neues Prozessrecht prinzipiell auch auf anhängige Verfahren anzuwenden sei. Dieser Grundsatz des intertemporalen Rechts findet auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Berücksichtigung106. In der Zusammenstellung Kopps wird er als „Grundsatz der sofortigen Anwendung“ (Sofortanwendung) angeführt107. Auf der anderen Seite steht das Interesse des Bürgers, den Prozess unter den Bedingungen zu Ende führen zu dürfen, unter denen dieser auch begonnen wurde. Soweit dieses Interesse vom Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit gestützt wird, der seine Grundlagen wiederum in den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit findet, sieht der andere Teil der Verwaltungsrechtsprechung hierin eine Grenze der allgemein anerkannten Grundsätze des intertemporalen Rechts. Es wird also im Verwaltungsprozessrecht – ebenso wie im Zivil- oder sonstigem Verwaltungsrecht – auf eine Abwägung dieser beiden Interesse ankommen108. Um die Interessen richtig gewichten zu können, wird es in den folgenden Teilen der Arbeit 103
BVerwGE 96, 239 ff. (Beschluss vom 21. 07. 1994). BVerwGE 96, 239 (241) mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, BVerfGE 87, 48 (62 ff.). 105 Siehe dazu auch noch ausführlicher im Sechsten Teil unter A. 106 Siehe dazu im Ersten Teil unter E. mit den entsprechenden Nachweisen. 107 Siehe dazu im Ersten Teil unter F. III. 1. a) cc). 108 So im Ergebnis auch bei Nipperdey und Kopp, siehe dazu im Ersten Teil unter F. II. 2. und F. III. 3. 104
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2. Teil: Die Anwendung im Verwaltungsprozess
darauf ankommen, die jeweiligen verfassungsrechtlichen Grundlagen zu analysieren sowie die Besonderheiten des Verwaltungsprozesses herauszuarbeiten. Ebenso gilt es, die Rechtspositionen der am Verfahren Beteiligten, zu dessen Nachteil sich die Grundsätze des intertemporalen Rechts auswirken, herauszustellen und zu bewerten. Im Ergebnis soll festgehalten werden können, in welchen der vorliegenden Verfahrenssituationen die Grundsätze des intertemporalen Rechts richtigerweise angewendet wurden und in welchen Fällen sie künftig in vergleichbaren Situationen stets uneingeschränkt anwendbar sind. Denn fest steht, dass nur die Auslegung der betroffenen Normen in eine Richtung als richtig empfunden werden kann. Die aufgezeigten Widersprüche in der Verwaltungsrechtsprechung führen unweigerlich zu Rechtsunsicherheiten, die im Lichte des Rechtsstaatsprinzips und damit im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung nicht hinnehmbar sind.
Dritter Teil
Verfassungsrechtliche Prüfung der Grundsätze des intertemporalen Rechts und ihrer Anwendung im Verwaltungsprozess Der Schwerpunkt der folgenden Prüfung liegt auf der Frage, wie die Rechtssprechung bei der Füllung der vorliegenden gesetzgeberischen Lücken Übergangsgerechtigkeit walten lassen kann, insbesondere ob dies mit der Anwendung der hier zu untersuchenden Grundsätze stets möglich ist, ohne auf verfassungsrechtliche Bedenken zu stoßen.
A. Verfassungsrechtliche Reichweite der Problematik Im Vorfeld der konkreten verfassungsrechtlichen Prüfung der Grundsätze des intertemporalen Rechts und deren Anwendung im Verwaltungsprozess ist zunächst auf die Frage einzugehen, wie die Widersprüchlichkeit in der Entscheidungsfindung der Verwaltungsrechtssprechung verfassungsrechtlich zu bewerten ist. Denn darin liegt die Grundproblematik des zeitlichen Aufeinandertreffens verschiedener Prozessnormen. Es ist im Zweiten Teil dieser Arbeit deutlich geworden, dass die Verwaltungsgerichte die Grundsätze des intertemporalen Rechts in unterschiedlicher Weise anwenden. Diese Tatsache, die widersprüchliche Anwendung allgemein anerkannter Grundsätze stößt auf im Folgenden darzulegende, verfassungsrechtliche Bedenken und erfordert im Ergebnis dieser Untersuchung Anhaltspunkte, die eine einheitlichere Rechtsprechung gewähren können. In Frage steht vor allem, ob die aufgezeigte Rechtsprechungspraxis mit der im Rechtsstaatsprinzip verankerten Forderung nach Rechtssicherheit und mit dem Gebot des fairen gerichtlichen Verfahrens im Einklang steht.
I. Die Rechtssicherheit Die Rechtssicherheit zielt als ein wesentliches Grundelement des Rechtsstaatsprinzips vor allem auf die Verlässlichkeit des Rechts und beinhaltet im Wesentlichen
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
drei Gebote: die Rechtsklarheit, die Bestimmtheit und die Beständigkeit staatlicher Entscheidungen1. 1. Rechtsklarheit Rechtsklarheit erfordert in erster Linie die inhaltliche Widerspruchsfreiheit gesetzlicher Regelungen, aber auch der gesamten Rechtsordnung2. Wenn sich zwei Normen inhaltlich unvereinbar gegenüberstehen und die Rechtsordnung nicht zur Lösung dieses Konflikts beiträgt, befindet sich der Normadressat im Unklaren, wonach er sich zu richten hat3. Dem der Rechtsordnung unterworfen Bürger, muss aber gewährt werden, sich in dieser auch zurechtfinden zu können4. Rechtsnormen sollen ihren Regelungsgehalt nicht verschleiern, für den Normadressaten und auch für die rechtsanwendenden Instanzen verständlich sein und praktikable Merkmale enthalten5. Klarheit muss aber auch über den Bestand von Rechtsnormen herrschen6. Damit der Normadressat und der Rechtsanwender zuverlässige Kenntnis vom Inhalt der Bestimmung erlangen können, bedarf es der Ausfertigung und Verkündung7. In Bezug auf gerichtliche Entscheidungen gelten vergleichbare Anforderungen8. So dürfen in erster Linie Urteile ebenfalls keine Unklarheiten und inneren Widersprüche enthalten9. Darüber hinaus ist es Aufgabe der Rechsprechung, bestehende Normwidersprüche durch Auslegung und Anwendung von Kollisionsregeln zu beheben und somit Klarheit im Hinblick auf das Normverständnis zu schaffen10. Soweit die Gerichte auf die Grundsätze des intertemporalen Rechts als Ausfluss allgemeiner Kollisionsregeln zurückgreifen und dies in ihren Entscheidungen auch deutlich darlegen, machen sie die Gründe ihrer Rechtsauffassung hinreichend klar11. Unter die-
1
Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 122; Stern, Staatsrecht I, 831; BVerfGE 24, 75 (98). Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 63; Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen im Bundesstaat, 143; Felix, Einheit der Rechtsordnung, 241 f.; dies. auch zur „Akzeptanz des Topos der ,Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung als rechtsstaatliches Prinzip in der Literatur“, 239 ff.; einschränkend Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 80 ff.; BVerfGE 25, 216 (227); 98, 265 (301 f.); BVerwGE 110, 248 (249 ff.); 111, 200 (210). 3 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen im Bundesstaat, 143; siehe zur Normenkollision und zum Erfordernis der Einheit und Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung auch bereits im Ersten Teil, D. 4 Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen im Bundesstaat, 142. 5 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 125 m.w.N. 6 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 123; Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen im Bundesstaat, 152 ff. 7 Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 66; zur Verkündung von Gesetzen siehe auch im Ersten Teil, C. I. 1. 8 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 125. 9 Kopp/Schenke, VwGO, § 117, Rn. 10, 13, 16. 10 Vgl. Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 63. 11 Vgl. BVerwGE 111, 200 (210) mit Hinweis darauf, dass sich aus dem rechtsstaatlichen Postulat der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung der ungeschriebene, aber 2
A. Verfassungsrechtliche Reichweite der Problematik
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sem Gesichtspunkt bestehen somit keine Bedenken in Bezug auf die Rechtssicherheit. Unklar ist allerdings, in welchen Fällen die Gerichte Ausnahmen von den an und für sich klaren Grundsätzen zulassen. Außer in dem Fall anhängiger Rechtsmittel sahen sich mehrere Verwaltungsgerichte auch in anderen Konstellationen unter verschiedenen Voraussetzungen veranlasst, noch altes Recht anzuwenden. In diesen Fällen weichen die gerichtlichen Entscheidungen also von den Vorgaben der Grundsätze des intertemporalen Rechts ab und bleiben in ihrer Begründung insoweit unklar. Im Übrigen überschneidet sich das Gebot der Rechtsklarheit weitestgehend mit dem Erfordernis der Bestimmtheit12. 2. Bestimmtheit a) Anforderungen an die Rechtsprechung Das Gebot der Bestimmtheit bezieht sich ebenfalls vorwiegend auf Rechtsnormen und zielt auf deren inhaltliche Präzisierung ab13. Zwar trifft die Aufgabe der Rechtskonkretisierung so gesehen hauptsächlich den Gesetzgeber. Jedoch unterliegt auch die Rechtsprechung dem Bestimmtheitsgebot. Denn die von der Legislative erlassenen Normen können etwa durch Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen oder Generalklauseln sowohl der Exekutive als eben auch der Judikative noch einen Auslegungsspielraum einräumen. Ziel ist es dabei, mehr Einzelfallgerechtigkeit zu ermöglichen14. In diesen Fällen obliegt es der Rechtsprechung, bei der Konkretisierung unbestimmter Normen beziehungsweise Rechtsbegriffe die Ungewissheiten der normativen Grundlagen zu verringern und die Klarheit gegenüber dem Gesetzeswortlaut zu erhöhen15. Dabei unterliegen die Gerichte einer ähnlich weit reichenden Kontrolle bezüglich des Bestimmtheitsgebotes wie der Gesetzgeber16. So kann es beispielsweise einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und damit einen verfassungswidrigen Zustand darstellen, dass sich bei der Auslegung verschiedene Ansichten bilden, von denen sich keine endgültig durchsetzt. Dasselbe gilt, wenn sich zwar eine Auslegung als herrschend herausstellt, diese dafür aber nur vage Kriterien liefern kann und damit Entscheidungen unvorhersehbar macht17. Im Zusammenhang mit dem auch an die Rechtsprechung gerichteten Bestimmtheitserfordernis ist also auch eine gewisse Vorhersehbarkeit der gerichtlichen Ent-
gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtssatz „lex posterior derogat legi priori“ ableitet, siehe dazu auch bereits im Ersten Teil, D. und D. III. 12 Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 63; Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 126. 13 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 126; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 60. 14 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 127 m.w.N. 15 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 130; Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177 (192, 195). 16 Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177 (194). 17 Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177 (194 f.).
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
scheidungen erforderlich18. Freilich kann die Sicherheit des Bürgers bei der Prognose der Rechtsentscheidung nicht absolut sein. Eine verbleibende Unsicherheit ist unter Berücksichtigung des Regelungszwecks unvermeidlich und dem Bürger auch zumutbar19. Allerdings soll derjenige, der unter den gegebenen Umständen eine bestimmte Gerichtsentscheidung erwarten darf, nicht von gänzlich unvorsehbaren Entscheidungsgesichtspunkten überrascht werden. So wird dem Bestimmtheitsgebot dann nicht genüge getan, wenn die Gerichte gleiche Sachverhalte aufgrund voneinander abweichender Auslegung unterschiedlich bewerten, es infolge dessen zur uneinheitlichen Rechtsanwendung kommt und es dem Bürger deswegen zukünftig unmöglich sein wird, die gerichtliche Entscheidung in einem vergleichbaren Sachverhalt vorherzusehen. b) Das Fehlen konkretisierbarer Übergangsvorschriften Das an die Rechtsprechung gerichtete Erfordernis der Bestimmtheit zielt also vor allem auf die klare, nachvollziehbare und prognostizierbare Auslegung der Gesetze. In der vorliegenden Arbeit werden jedoch gerade solche Fälle untersucht, in denen gar keine Übergangsbestimmungen und damit keine zu konkretisierenden gesetzlichen Vorschriften vorhanden sind. Es geht hier nicht um die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffes oder unklarer Gesetze. Vielmehr muss die Rechtsprechung eine Entscheidung in einer – im Hinblick auf den zeitlichen Anwendungsbereich von Normen – gesetzlich überhaupt nicht geregelten Verfahrenslage treffen. Insoweit stellt sich die Frage, ob und in welcher Hinsicht das Bestimmtheitsgebot dennoch auf die untersuchten Fälle übertragen werden kann. Entscheidend ist hierbei, dass diese Lücke „lediglich“ im Übergangsrecht auftritt. Das Verfahrensgesetz selbst enthält alte sowie neue Bestimmungen, die den Sachverhalt an sich regeln. Die Entscheidung, die das Gericht anstelle des Gesetzgebers treffen muss, nämlich welche dieser Normen in zeitlicher Hinsicht anwendbar ist, stellt sich letztlich ebenfalls als ein Ergebnis richterlicher Auslegung, allerdings der Prozess- anstatt der fehlenden Übergangsnormen dar. In Würdigung des gesetzgeberischen Willens und in Auslegung der Prozessvorschriften müssen die Richter in vergleichbarer Weise dem Bestimmtheitsgebot entsprechen. Gleichwohl den Gerichten also keine auszulegenden Übergangsvorschriften zur Verfügung stehen, obliegt es ihnen in diesen Fällen dennoch, aus dem Zweck der neuen Gesetze das Anliegen des Gesetzgebers im Hinblick auf den zeitlichen Anwendungsbereich zu ermitteln. Und auch dabei gilt es, eine einheitliche Rechtsprechung zu gewähren und die gerichtliche Entscheidung vorhersehbar zu machen. Eine unterschiedliche rechtliche Bewertung derselben Sachverhalte ist also auch hier durchaus ein Indiz dafür, dass die Rechtsprechung das Bestimmtheitsgebot nicht hinreichend beachtet.
18 19
Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 130. BVerfGE 59, 104 (116 f.).
A. Verfassungsrechtliche Reichweite der Problematik
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c) Die Bestimmtheit der Grundsätze des intertemporalen Rechts und die Unbestimmtheit ihrer Anwendung Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Grundsätze des intertemporalen Rechts, so geben diese auf den ersten Blick eine zwar eindeutige Richtung vor, in welche die Entscheidungen der Rechtsprechung gehen sollen. Die neuen Regelungen sollen demnach sofort angewendet werden. Soweit die Gerichte diesen Vorgaben folgen, kommen die Grundsätze den Vorgaben des Bestimmtheitsgebots nach. Denn die Richter konkretisieren in Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts eine vom Gesetzgeber unklar gelassene Gesetzeslage. Die konsequente Befolgung dieser Grundsätze könnte die gerichtliche Entscheidung in Bezug auf die zeitliche Anwendbarkeit neuer Verfahrensnormen schließlich vorhersehbarer machen. Problematisch ist allerdings, dass die Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte von diesem rechtstheoretischen Idealfall richterlicher Bestimmtheit abweicht. Denn die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts erfolgt – wie gezeigt – keineswegs einheitlich20. Das heißt, wenngleich diese Grundsätze dem Bestimmtheitsgebot inhaltlich genüge tun, die gerichtlichen Entscheidungen genügen dessen Anforderungen nicht. Zwar haben sich die Grundsätze des intertemporalen Rechts in diesen Verfahrenssituationen als wesentliche Auslegungshilfe etabliert. Deren unterschiedliche Handhabung beziehungsweise die unter verschiedenen Voraussetzungen gerechtfertigte Annahme einer Ausnahme führt aber dennoch zur Unvorhersehbarkeit des Entscheidungsinhalts und damit zu Rechtsunsicherheiten. Die Gerichtsentscheidungen bleiben weiterhin unbestimmbar. 3. Beständigkeit Ein weiteres zentrales Element der Rechtssicherheit ist die Beständigkeit. Rechtsbeständige gesetzliche Regelungen vermeiden widersprüchliches staatliches Handeln. Die Bürger sollen sich darauf einrichten und verlassen können21. Soweit gesetzliche Regelungen jedoch fehlen, kann es wiederum der Rechtsprechung obliegen, dem Bürger Rechtssicherheit zu vermitteln, etwa indem die Gerichte in vergleichbaren Verfahrenssituationen in vergleichbarer und damit beständiger Weise entscheiden. Das hätte zur Folge, dass sich der Prozessführende, ausgehend von zuvor getroffenen Entscheidungen, auf das dem gemäß zu erwartende Ergebnis des Prozesses einstellen kann. Das Problem liegt hier – wie bereits unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit erörtert – jedoch ebenso in dem unterschiedlichen Verständnis und der widersprüchlichen und damit unbeständigen Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts. Insoweit ist auch im Hinblick auf die im Rahmen der Rechtssicherheit geforderte Beständigkeit eine differenziertere Einteilung der Voraussetzungen für die so-
20 21
Siehe dazu die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil. Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 131.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
fortige Anwendung neuen Rechts von Vorteil und daher im weiteren Verlauf dieser Arbeit vorzunehmen22.
II. Das Gebot des fairen gerichtlichen Verfahrens Auch das Gebot des fairen Verfahrens ist als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips der Anwendung und Auslegung des Verwaltungsprozessrechts zugrunde zu legen23. Der Richter muss das Verfahren so gestalten, wie die Parteien es von ihm erwarten dürfen. Er darf sich nicht widersprüchlich verhalten24 und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet25. Zwar kann kein Prozessbeteiligter unter diesem Aspekt darauf vertrauen, dass der Richter eine bestimmte Rechtsauffassung vertreten werde. Denn dem steht entgegen, „daß die Rechtspflege durch die Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 GG) konstitutionell uneinheitlich ist“26. Möglicherweise könnte das Gebot des fairen Verfahrens aber dennoch in solchen wie den vorliegenden Fällen sich ändernder Prozessbestimmungen berührt werden, in denen verschiedene Gerichte in vergleichbaren Verfahrenssituationen evident unterschiedliche Auffassungen vertreten. Trotz der Zulässigkeit ungleicher Entscheidungen verschiedener Gerichte, lässt eine solche Entscheidungspraxis dem Bürger keine Möglichkeit, sich auf das Verfahren und die Rechtsänderung einzustellen. Zu beheben wäre ein solcher Verfassungsverstoß wiederum mit der Aufstellung klarerer Kriterien für die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts, die den Verwaltungsgerichten deutliche Vorgaben machen, wie vor allem die Interessen des Bürgers in welchen Verfahrenssituationen zu berücksichtigen sind27.
III. Ergebnis Die uneinheitliche Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts führt zu erheblichen Rechtsunsicherheiten, kollidiert mit dem Gebot des fairen gerichtlichen Verfahrens und ist daher mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Dieses Ergebnis veranschaulicht nachdrücklich die Reichweite der hier behandelten Problematik.
22 23 24 25 26 27
Siehe dazu näher im Vierten und Fünften Teil. Sachs, ZRP 1982, 227 (230); Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 31a. BVerfGE 69, 381 (387); 78, 123 (126). BVerfGE 38, 105 (111 ff.); 46, 202 (210); 78, 123 (126). BVerfGE 78, 123 (126). Siehe dazu näher im Vierten und Fünften Teil.
B. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen
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Ursache dafür könnte eine ungenügende Differenzierung sein. So scheint es in der Verwaltungsrechtssprechung unklar zu sein, unter welchen konkreten Voraussetzungen welche Verfahrensregelung unter Aufgabe welcher verfahrensrechtlichen Stellung sofort zur Anwendung gelangen beziehungsweise wann von dem Grundsatz der Sofortanwendung eine Ausnahme gemacht werden kann. Eindeutig ist bislang bloß, dass die Stellung eines Rechtsmittelführers der sofortigen Anwendung neuen, ihn benachteiligenden Rechts entgegensteht28. Dementsprechend bedürfen die Grundsätze des intertemporalen Rechts klarerer Kriterien, die deren Anwendung einfacher gestalten. Die pauschale Aussage, neues Recht stets sofort anzuwenden, lässt sich so augenscheinlich nicht widerspruchslos umsetzen. Anhaltspunkte für eine einheitlichere Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts können sich aus deren verfassungsrechtlichen Grundlagen und vor allem aus ihren Grenzen ergeben.
B. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Grundsätze des intertemporalen Rechts Kerngedanke zahlreicher Entscheidungen ist, dass es „allgemeiner Auffassung“ beziehungsweise den „allgemeinen Grundsätzen“ entspreche, dass neues Prozessrecht vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an auch anhängige Verfahren erfasse29. Eine nähere Begründung oder gar verfassungsrechtliche Herleitung lassen die Gerichtsentscheidungen, die sich darauf stützen, allerdings vermissen. Eindeutige Aussagen, welche Verfassungsprinzipien hinter diesen Grundsätzen stehen, werden regelmäßig nicht getroffen. Deren Gültigkeit wird erkennbar vorausgesetzt. Dass auf der anderen Seite aber auch Zweifel an der Reichweite dieser Grundsätze, vor allem im Hinblick auf die Rechtssicherheit oder auf den Vertrauensschutz geäußert werden, zeigt, dass sich die Grundsätze des intertemporalen Rechts ungeachtet ihrer mangelnden verfassungsrechtlichen Ableitung freilich an verfassungsrechtlichen Prinzipien messen lassen müssen. Die Ursache für die bislang fehlende Darstellung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Grundsätze des intertemporalen Rechts dürfte in deren historischen Wurzeln zu sehen sein. Wie im Ersten Teil dieser Arbeit dargestellt, entwickelte sich der Gedanke, dass auch bestehende Rechtsverhältnisse von neuem Recht erfasst werden, weit vor Geltung der heutigen Verfassung. In diesem Abschnitt wird es nunmehr die Aufgabe sein, die Grundsätze des intertemporalen Rechts aus der Verfassung her28 BVerfGE 87, 48 (63); siehe dazu im Zweiten Teil, A. I. 1. c) und folgend im Dritten Teil unter C. I. 29 Siehe z. B. BVerfGE 1, 4 (4); BVerwGE 66, 312 (314); Hessischer VGH (10. Senat, Beschluss vom 09. 11. 1990), NVwZ 1991, 290 (291); OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 (695); OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006; siehe dazu auch die Darstellung im Zweiten Teil.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
zuleiten. Es gilt zu beurteilen, welche verfassungsrechtlichen Prinzipien die viel zitierten „allgemeinen Grundsätze“ tragen.
I. Das Rechtsstaatsprinzip Zunächst findet sich ein verfassungsrechtlicher Rückhalt für die Grundsätze des intertemporalen Rechts in einem der elementarsten Prinzipien des Grundgesetzes30, dem Rechtsstaatsprinzip. Das Rechtsstaatsprinzip enthält keine in allen Einzelheiten eindeutigen Ge- oder Verbote31. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Verfassungsgrundsatz, der sich aus mehreren Teilelementen zusammensetzt und in zahlreichen Vorschriften des Grundgesetzes eine nähere Konkretisierung erfährt32. Zusammengefasst bedeutet die mit diesem Prinzip verfolgte Rechtsstaatlichkeit, dass die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig ist33. 1. Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG Das Grundgesetz hat die Rechts- und Gesetzesbindung allen staatlichen Handelns als ein Element des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck gebracht. Die Bindung der Rechtsprechung an „Gesetz und Recht“ soll Gerechtigkeit und Rechtssicherheit als fundamentale Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips gewährleisten34. Voraussetzung für die Gesetzesbindung der Gerichte ist das Inkrafttreten der Vorschriften35. Mit ihrem Inkrafttreten erlangen die Gesetzesbestimmungen Geltung und damit auch Verbindlichkeit36. Bezogen auf die in dieser Arbeit behandelte Fragestellung, welches Recht auf anhängige Verfahren anzuwenden ist, wenn sich das Verfahrensrecht im Laufe dessen ändert, gelangt man demnach zu dem Ergebnis, dass die Rechtsprechung gehalten ist, ausschließlich geltendes Verfahrensrecht, und dieses sodann vollumfänglich anzuwenden. Das heißt, dass in der Befolgung dieses rechtsstaatlichen Prinzips auch schwebende Verfahren von einer Änderung des Prozessrechts erfasst werden, es sei denn, es existieren Übergangsregelungen abweichenden
30 31 32 33 34 35 36
BVerfGE 1, 14 (18); 20, 323 (331). BVerfGE 7, 89 (92 f.); 45, 187 (246); 90, 60 (86). Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 28 f.; Stern, Staatsrecht I, 784. Stern, Staatsrecht I, 781. Stern, Staatsrecht I, 784, 796 f. Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 108. Siehe zur Geltung von Gesetzen im Ersten Teil, C. I. 2.
B. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen
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Inhalts37. Das entspricht sowohl den – so auch bei Kopp aufgezeigten – Grundsätzen der Sofortwirkung, der Sofortanwendung und dem Grundsatz „tempus regit actum“38 als auch der lex posterior Regel, die besagt, dass ein später in Kraft getretenes Gesetz den bis dahin bestehenden Normen vorgeht39. Die Gerichte sind also kraft der Bindungswirkung zur Anwendung einschlägiger, geltender Vorschriften verpflichtet und dürfen sich über diese Gesetzesbindung grundsätzlich nicht hinwegsetzen40. a) Rechtsfortbildung bei fehlenden Übergangsvorschriften? Jedoch sind in den Situationen des Übergangs von altem zu neuem Verfahrensrecht nicht allein die geltenden Verfahrensnormen maßgebend. Bei der Beantwortung der Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich des alten und des neuen Rechts sind die Gerichte vorrangig an die Übergangsbestimmungen als speziellere Normen gebunden. In dieser Hinsicht kommt den konkreten Verfahrensnormen nur eine nachrangige Bedeutung zu. Fehlen solche Übergangsvorschriften allerdings, fragt es sich, ob nun an deren Stelle die neuen, in Kraft getretenen Verfahrensnormen die Richter binden oder ob die Gerichte abweichend davon, etwa im Wege richterlicher Rechtsfortbildung, die entstandene Lücke im Übergangsrecht schließen können und auf diese Weise auch befugt sind, noch nach altem Recht zu entscheiden. Die Formel „Gesetz und Recht“ des Art. 20 Abs. 3 GG umfasst neben dem gesetzten Recht auch das Gewohnheitsrecht, ebenso wie grundlegende Prinzipien der Rechtsordnung, die bei der richterlichen Rechtsfortbildung zum Tragen kommen können41. Das „Recht“ im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG ist also nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Es besteht gewissermaßen ein Mehr an Recht, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung findet. Gegenüber dem Gesetz kann das Recht demgemäß auch als Korrektiv wirken. Der Rechtsprechung kommt dabei die Aufgabe zu, dem „Recht“ in dieser Eigenschaft zur Geltung zu verhelfen. Insbesondere kann es die richterliche Tätigkeit erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent sind, in Entscheidungen zu realisieren. Dabei muss allerdings einsichtig gemacht werden, dass allein das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt42. Diesem Gedanken folgend, könnten die Gerichte bei fehlenden Übergangsvorschriften, entgegen der Aussage der Grundsätze des intertemporalen Rechts, noch altes Recht anwenden, vorausgesetzt das geschriebene Gesetz, also die neuen konkreten Verfahrensnormen allein genügen nicht, das Problem der zeitlichen Anwendbar37 38 39 40 41 42
So auch Lüke, Festschrift Lüke, 393 f. Siehe dazu im Ersten Teil, F. III. 1. a) aa) – cc). Siehe zur lex posterior Regel im Ersten Teil, D. III. und D. IV. Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 119. Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 106. BVerfGE 34, 269 (287).
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
keit alter und neuer Regelungen eindeutig zu lösen. Es ist demnach also denkbar, dass sich die Rechtsprechung der Bindung der neuen, in Kraft getretenen Normen in Übergangsfällen entzieht, um dem, in den Verfassungsprinzipien zum Ausdruck kommenden „Recht“ Vorrang zu gewähren. Denn die Gerichte können durch richterliche Rechtsfortbildung auf die Verfassungsprinzipien zurückgreifen, insbesondere wenn es der Durchsetzung und dem wirksamen Schutz eines Rechtsgutes dient, das die Verfassung selbst als Mittelpunkt ihres Wertsystems ansieht. Das damit erzielte Ergebnis „ist ,Recht im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG – nicht im Gegensatz, sondern als Ergänzung und Weiterführung des geschriebenen Gesetzes“43. Trotz Bindung an „Gesetz und Recht“ ist die Rechtsprechung somit in der Lage, Lücken, die aufgrund mangelnder Übergangsregeln entstanden sind, unter Berufung auf ansonsten beeinträchtigte Verfassungsgüter eigenständig zu schließen44. Dennoch bleiben Zweifel bestehen, ob die mit ihrem Inkrafttreten geltenden Neuregelungen des Verfahrensrechts einem solchem Rückgriff auf das, das geschriebene Gesetz ergänzende und weiterführende Recht nicht entgegenstehen. Denn der richterlichen Rechtsfortbildung sind mit Rücksicht auf die Gesetzesbindung Grenzen gesetzt45. b) Beachtung des Vorrangs der Gesetze Folgt man dem eben skizzierten Gedanken und gewährt es der Rechtsprechung, in Ausnahme von der Neuregelung und damit auch entgegen den Grundsätzen des intertemporalen Rechts ausnahmsweise noch altes Recht auf anhängige Verfahren anzuwenden, stellt sich die Frage, ob bei einer solchen Rechtsprechungspraxis der Vorrang des Gesetzes hinreichend beachtet wird. Der Vorrang des Gesetzes, dem auch die Rechtsprechung unterliegt, besagt, dass die verfassungsmäßige gesetzliche Willensäußerung über der gesamten übrigen Staatstätigkeit steht46. Bestehende, den zu entscheidenden Sachverhalt regelnde Rechtsnormen können von den Gerichten nicht ignoriert werden47. Da in den vorliegenden Fallkonstellationen aber gerade keine Übergangsvorschriften bestehen, die die konkret zu entscheidende Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich des neuen Rechts regeln, besteht für den Rechtsanwender kein vorrangiges Gesetz, das den Sachverhalt, dass auf zeitlicher Ebene alte und neue Normen kollidieren, erfasst. In seiner Entscheidung darüber kann das Gericht also (Übergangs-)rechtsfortbildend tätig werden und die Lücke im Übergangsrecht schließen, ohne gegen den Vorrang des Gesetzes zu verstoßen. 43 Vgl. BVerfGE 34, 269 (291), siehe dazu auch noch genauer unten im Dritten Teil unter C. II. 1. a). 44 Dazu, welche Verfassungsgüter von einer mangelnden Rechtsfortbildung betroffen sein könnten, siehe unten im Dritten Teil unter C. 45 BVerfGE 34, 269 (288); Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 42. 46 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 112, 119; Stern, Staatsrecht I, 802. 47 BVerfGE 87, 273 (280).
B. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen
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Ein Verstoß gegen den Vorrang des Gesetzes läge nur dann vor, wenn die im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gesetzesbindung eine Entscheidung zugunsten des neuen, in Kraft getretenen Rechts treffen und die Anwendung der geltenden neuen Normen verlangen würde. Denn dann bestünde überhaupt keine, auf den „bloßen“ Mangel von Übergangsvorschriften beruhende Gesetzeslücke, da allein die Tatsache, dass geltendes Recht existiert, die Gerichte dazu anhalten würde, dieses auch anzuwenden. Jedoch finden sich in den einfachen Verfahrensnormen in der Regel keine Aussagen über ihre zeitliche Anwendbarkeit. Als reine Sachnormen, die den Verfahrensgang als Sachverhalt regeln, beantworten sie nicht die konkrete Frage, ob altes Recht noch auf anhängige Verfahren anzuwenden ist. Als so genannte Rechtsanwendungsnormen sind Übergangsbestimmungen insoweit die spezielleren Vorschriften48. Diese Spezialität der Übergangsvorschriften führt schließlich dazu, dass die insoweit nicht einschlägigen Verfahrensnormen für die Frage der zeitlichen Anwendbarkeit nicht heranzuziehen sind. In der lückenhaften Rechtslage, in der es der Gesetzgeber versäumt hat, (vollständige) Übergangsvorschriften zu erlassen, also keine Aussage über den zeitlichen Anwendungsbereich trifft, bildet sich folglich ein Raum für die Rechtsprechung, rechtsfortbildend tätig zu werden. 2. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts als Ergebnis richterlicher Auslegung Vor diesem Hintergrund sind auch die Grundsätze des intertemporalen Rechts nochmals näher zu betrachten und zu verstehen. Zwar entspricht deren Aussage auf dem ersten Blick der rechtsstaatlich gebotenen Gesetzesbindung in dem Sinne, dass das neue Recht mit seiner Geltung auch sofort Anwendung finden soll. Jedoch entspringt diese Rechtsfolge nicht unmittelbar dem neuen Verfahrensgesetz als solchem. Nicht die rechtsstaatliche Bindungswirkung veranlasst die Gerichte zur sofortigen Anwendung des Gesetzes. Vielmehr ist diese Folge als ein Ergebnis richterlicher Auslegung – und damit auch richterlicher „Rechtsfortbildung“ – zu sehen, im Rahmen derer die Geltung der neuen Verfahrensnormen „nur“ eines von mehreren Kriterien darstellt. Da eindeutig entgegenstehende Übergangsregelungen nicht bestehen, das neue Verfahrensrecht im Hinblick auf die Frage der zeitlichen Anwendbarkeit keine Aussage trifft und insoweit also nicht vorrangig ist, kann aber auch eine Rechtsfortbildung „praeter legem“ (am Gesetz vorbei)49 dahingehend, dass altes Recht noch auf anhängige Verfahren anwendbar ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Das 48
Siehe dazu im Ersten Teil, C. III. 1. Vgl. BVerfGE 88, 145 (166 f.), Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 120, Stern, Staatsrecht II, 584 f, der diese Form der Rechtsfortbildung als „gesetzeskonkurrierendes Richterrecht“ bezeichnet; vgl. in diesem Zusammenhang auch 585 f, zum „gesetzesvertretenden Richterrecht“. 49
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
muss umso mehr dann gelten, wenn diese Vorgehensweise der Gerichte dazu führt, etwaige Nachteile von dem am Prozess beteiligten Bürger abzuwenden und damit dessen Interesse zu entsprechen. Dass die Anwendung alten Rechts Nachteile abwenden kann, zeigt die obige Darstellung einschlägiger Fallkonstellationen50. Die Grenze richterlicher Rechtsfortbildung wird aber dann überschritten, wenn ein Gericht Rechtspositionen verkürzt, die der Gesetzgeber unter Konkretisierung allgemeiner verfassungsrechtlicher Prinzipien gewährt hat51. Das bedeutet, dass einerseits die sofortige Anwendung neuen Rechts keine verfassungsrechtlich relevante Verfahrensposition des Bürgers verletzen darf. Anderseits kann aber ebenso die anhaltende, wenngleich auch nur übergangsweise Anwendung noch alten Rechts den mit der gesetzlichen Neuregelung verfolgten Zweck und damit etwaige dahinter stehende Rechtspositionen beeinträchtigen und somit verfassungsrechtlich unzulässig sein52. Welcher der entgegenstehenden Position in der konkreten Situation mehr Gewicht beizumessen sein wird, wird dann vom Gericht im Wege einer Abwägung zu ermitteln sein53.
II. Der Grundsatz der Effektivität staatlichen Handelns Nach Kopp finden die Grundsätze des intertemporalen Rechts auch in dem „Grundsatz der Effektivität des Staates und der effektiven Durchsetzung der Gesetze“ eine Grundlage54. Hierbei handelt es sich allerdings um einen, in Rechtsprechung und Literatur bislang nur wenig behandelten Grundsatz, dessen Tauglichkeit als Verfassungsprinzip überdies fraglich erscheint.
1. Begrifflichkeit Der Begriff der Effektivität tritt in verschiedenen Erscheinungsformen auf, so etwa als „Effizienz“, „Leistungsfähigkeit“, „Zweckmäßigkeit“, „Ökonomie“, „Praktikabilität“, „Optimierung“ oder „Wirtschaftlichkeit“55. Dahinter verbirgt sich jeweils das Verlangen nach bestmöglicher „Wirksamkeit“ staatlichen Handelns. Der Grundsatz der Effektivität staatlichen Handelns – kurz: der Effektivitätsgrundsatz – besagt, dass der Staat seine Aufgaben wirksam erfüllen und das Gemeinwohl nach den in der 50 Siehe dazu die Darstellung der verschiedenen Fallkonstellationen im Zweiten Teil; näher zu den mit der Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts einhergehenden Nachteilen auch noch im Fünften Teil, C. I. 51 BVerfGE 69, 315 (371 f.). 52 Vgl. BVerfGE 69, 315 (372), in diesem Zusammenhang zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Suspensiveffekts. 53 Siehe dazu im Dritten Teil unter C. II. 2. c) und d), C. II. 3. und im Einzelnen im Sechsten Teil. 54 Kopp, SGb 1993, 593 (595). 55 Vgl. Leisner, Staat, 53 (54) m.w.N.; Häberle, AöR 98 (1973), 625; Gaentzsch, DÖV 1998, 952 ff.
B. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen
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Verfassung, in einfachen Gesetzen und sonstigen maßgeblichen Akten der staatlichen Willensbildung niedergelegten Grundsätzen optimal fördern soll56. Teilweise wird in der rechts- und verwaltungswissenschaftlichen Literatur genauer zwischen Effektivität und Effizienz unterschieden57. Danach meint Effektivität die Wirkungskraft des Rechts aus organisationstheoretischer Sicht, die Wirksamkeit als Grad der Verwirklichung des normativen Programms58. Hingegen beschreibe Effizienz, mit welchen Ressourcen das normative Ziel erreicht wird. Im Sinne einer ZweckMittel-Relation gehe es unter diesem Verständnis von Effektivität und Effizienz darum, das vom Gesetzgeber gewünschte Ziel bei einem bestimmten Wirkungsgrad mit dem dafür geringst möglichen Ressourceneinsatz zu erreichen59. Effizienz und Effektivität sind keine Widersprüche, sondern in dem jeweils gegebenen normativen Rahmen aufeinander bezogen. Ein ineffizienter Ressourceneinsatz birgt ein Risiko für die Effektivität der Aufgabenerfüllung in sich60. Demgegenüber hat ein effizientes Handeln die Vermutung für sich, auch ein effektives Handeln darzustellen61. 2. Inhalt des Effektivitätsgrundsatzes Ursprünge findet der Grundsatz der Effektivität in dem staatlichen Anliegen, das Verwaltungsverfahren zu optimieren. Einer leistungsfähigen Verwaltung soll zur Erfüllung ihrer Aufgaben ein wirksames, unkompliziertes und handhabbares Verwaltungsverfahren zur Verfügung stehen, um ein zweckmäßiges, schnelles und kostengünstiges Verwaltungshandeln sicherzustellen62. Verwaltung ist mehr als nur Rechtsanwendung im Sinne juristischer Subsumption von Lebenssachverhalten unter Normen. Verwaltung beinhaltet auch die Beachtung wirtschaftlicher Aspekte. Wirtschaftlichkeit als Handlungsmaxime ist ein Element des Gebots effektiver Erfüllung des der Verwaltung gestellten Gemeinwohlauftrags und damit letztlich der Effektivi-
56
Vgl. Mayer/Kopp, Allg. Verwaltungsrecht, 306. Hoffmann-Riem, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 16 m.w.N.; Gaentzsch, DÖV 1998, 952 (953); Müller-Osten/ Schaefer, Verw 2006, 247 (248 f.). 58 Hoffmann-Riem, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 17; Schmidt-Aßmann, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 248. 59 Hoffmann-Riem, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 17 ff. 60 Hoffmann-Riem, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 25, 36. 61 Schmidt-Aßmann, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 248 f. Insoweit weisen auch die in der Rechtslehre angestellten Überlegungen zur Effizienz einen inneren Bezug zur Effektivität im so verstandenen Sinne auf. 62 Mayer/Kopp, Allg. Verwaltungsrecht, 354; Leisner, Staat, 53 (75 ff.); Kopp/Ramsauer, VwVfG, Einführung, Rn. 18 m.w.N. (dort in Fußnote 25). 57
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
tät des Rechts und damit auch ein wichtiger Kontrollmaßstab für die Auslegung des Rechts63. Der Hintergrund für die Forderung nach Effektivität ist für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit darin zu sehen, dass diese dem äußeren Anschein nach daran leidet, häufig zu kompliziert, aufwendig und zeitraubend zu sein. Die Ursache dafür liegt jedoch nicht allein im Verwaltungsprozess als solchem, sondern vor allem auch in der Verkomplizierung und Verdichtung der Lebenssachverhalte sowie in dem Vordringen staatlicher Regelungen in immer weitere Lebensbereiche64. Auf die vorliegenden Verfahrenssituationen angewendet, kann der Effektivitätsgrundsatz bedeuten, dass die Gerichte angehalten sind, neuen Gesetzesnormen zur schnellst- und damit bestmöglichen Wirksamkeit zu verhelfen. Diesem Anliegen kann grundsätzlich mit der sofortigen Gesetzesanwendung entsprochen werden. Denn bei sofortiger Anwendung gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts erreicht der materielle Gehalt der Neuregelung seine effektivste Wirkung in diesem Sinne65. 3. Der Effektivitätsgrundsatz als Verfassungsprinzip? Ob der für sämtliches staatliches Handeln geltende Effektivitätsgrundsatz ein Grundsatz von Verfassungsrang ist, erscheint allerdings fraglich. Denn es dürfte auch ohnedies in der Natur der Sache liegen, dass sich der Staat um die Effektivität seines Handelns bemüht. Die Rechtsprechung lässt eine eindeutige Antwort auf diese Frage vermissen. So bezeichnet das Bundesverwaltungsgericht das „Prinzip der Verwaltungseffizienz“ zwar als Verfassungsprinzip, das in den Regelungen der Art. 20 Abs. 2 und Art. 83 ff. GG seinen Niederschlag finde66. Eine nähere Erläuterung dieses verfassungsrechtlichen Hintergrundes bleibt es jedoch schuldig. Ebenso beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht darauf auszusprechen, dass aus Gründen der „Verwaltungspraktikabilität“ den Erfordernissen der Verwaltung Rechnung getragen werden muss67. Zwar wird darauf hingewiesen, dass unter dem Gesichtspunkt der „Verwal63
Gaentzsch, DÖV 1998, 952. Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 7. 65 Vgl. etwa VG Göttingen, (3. Kammer, Beschluss vom 27. 08. 1997), NVwZ-RR 1999, 52. Mit der Einführung des § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, den Personaleinsatz im öffentlichen Dienst durch flexiblere Handhabung der Instrumente der Abordnung und Versetzung auszubauen (vgl. BT-Drs. 13/3994 S. 27), mit anderen Worten zu effektivieren. Die durch das Gericht angeordnete, sofortige Anwendung dieser Norm, die die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen beseitigt, versetzt die Verwaltung in die Lage, die personellen Planungen ab Inkrafttreten unabhängig von der Ungewissheit über den Zeitpunkt der Erstellung eines Widerspruchsbescheides oder der Entscheidung über eine verwaltungsgerichtliche Klage schnellstmöglich umzusetzen (vgl. BT-Drs. 13/3994 S. 35). 66 BVerwGE 67, 206 (209); so auch Stelkens/Schmitz, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9, Rn. 76. 67 Vgl. BVerfGE 9, 20 (32); 27, 220 (230). 64
B. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen
119
tungsökonomie“ nicht das Maß des verfassungsrechtlich Zulässigen überschritten werden dürfe, das in diesem Fall im Gleichheitssatz gesehen wird68. Wo jedoch etwaige verfassungsrechtliche Wurzeln eines Effektivitätsgrundsatzes liegen, wird hierbei ebenfalls nicht deutlich. Im Übrigen finden sich lediglich Andeutungen, die den Gedanken der Effektivität aufgreifen, ohne ihn aber deutlich zu formulieren oder diesem einen verfassungsrechtlichen Rückhalt zu bestätigen. So räumt das Bundesverfassungsgericht beispielsweise ein, dass Fristenregelungen neben der Rechtssicherheit auch der Gewährleistung eines wirkungsvollen – gewissermaßen also auch eines effektiven – behördlichen und gerichtlichen Verfahrens dienen, indem sie zur Beschleunigung desselben beitragen69. Darüber hinaus gehende Erörterungen werden dabei jedoch nicht angestellt. Auch im Schrifttum wurde der Effektivitätsgrundsatz bisher nur wenig diskutiert. Während Kopp darin gar ein „tragendes Verfassungsprinzip“ erkennt70, das auch die Gesetzgebung und die Gerichtsbarkeit zur wirksamen Erfüllung ihrer Aufgaben anhält, geben andere Stimmen der Rechtslehre Anlass, an dieser Einschätzung zu zweifeln. So gelangt Leisner zu der Erkenntnis, dass sich ein ausdrückliches Gebot für optimales staatliches Handeln in der Verfassung nicht finden lässt. Die Verfassung sei weder „effizienzfreundlich“, noch „effizienzfeindlich“, sondern im Ergebnis am ehesten „effizienzneutral“71. Hoffmann-Riem gelangt zu der Erkenntnis, dass Effektivitätsanforderungen unbestritten normativ verankert seien, ohne jedoch näher darauf einzugehen72. Der Status des Effektivitätsgedanken bleibt also in Rechtsprechung und -lehre letztlich ungeklärt. Es kann jedoch festgehalten werden, dass der Grundgedanke des Effektivitätsgrundsatzes verfassungsrechtlich fundiert ist. Denn ein effektiv handelnder Staat, vor allem auch eine effektive Gerichtsbarkeit, entspricht auch dem Erfordernis der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Rechtssicherheit73. Dabei kann Effektivität jedoch nur gewährt werden, solange sie sich im Rahmen weiterer verfassungsrechtlicher Maßstäbe bewegt. Seine Grenzen findet der Effektivitätsgrundsatz
68
BVerfGE 44, 283 (288). BVerfGE 60, 253 (270). 70 Mayer/Kopp, Allg. Verwaltungsrecht, 306, Kopp, BayVBl 1980, 263 (267 f.). 71 Leisner, Staat, 53 (69 ff.). Leisner unterscheidet dabei nicht in dem oben beschriebenen Sinne zwischen Effizienz und Effektivität, siehe dazu oben im Dritten Teil unter B. II. 1. und bei Hoffmann-Riem, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 16, dort FN 11. Ebenso wenig trifft Kopp eine klare Unterscheidung, vgl. Kopp, SGb 1993, 593 (595), wo der Grundsatz der „Effektivität“ angeführt wird, und dort die Verweise in FN 15, z. B. Leisner, Staat, 53 ff. oder Mayer/Kopp, Allg. Verwaltungsrecht, 306. 72 Hoffmann-Riem, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 25. Auf eine breitere Diskussion trifft die Frage, inwieweit allein der Effizienzgedanke als Rechtsprinzip gelten kann, siehe dazu bei Hoffmann-Riem, in HoffmannRiem/Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 25 ff., Häberle, AöR 98 (1973), 625 (634 f.) und insgesamt bei Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip. 73 Vgl. zur Rechtssicherheit bereits oben im Dritten Teil unter A. I. 69
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
in anderen Verfassungsgrundsätzen, wie beispielsweise dem Gleichheitsgrundsatz oder dem Vertrauensschutzprinzip74. 4. Bedeutung des Effektivitätsgrundsatzes für die Gerichte Weit weniger Bedeutung als im Verwaltungsverfahren kommt dem Effektivitätsgrundsatz im gerichtlichen Verfahren zu, in dem von vornherein notwendige Förmlichkeiten und Verfahrensgarantien des Prozessrechts, wie etwa die Gewährung von Fristen, die Einholung von Beweisen usw., naturgemäß ein in diesem Sinne „effektives“ Handeln hemmen75. Dennoch kann sich gerade in solchen Situationen, in denen die Gerichte über die sofortige Anwendbarkeit und damit gewissermaßen auch über die Effektivität des neuen Rechts zu entscheiden haben, auch der Effektivitätsgrundsatz auf die Entscheidungsfindung auswirken. So kann die Rechtsprechung, insbesondere die Verwaltungsrechtsprechung, bei der Auslegung der Gesetze dazu beitragen, dass der Gesetzesvollzug einfacher wird, sich das Verwaltungshandeln also wirtschaftlicher gestaltet76. Insoweit richtet sich die Aufgabe, dem staatlichen Handeln zur bestmöglichen „Wirksamkeit“ zu verhelfen, auch an die Gerichtsbarkeit77. Es ist ebenso Sache der Rechtsprechung, Entscheidungen zu treffen, die im rechtlich zulässigen Rahmen zu ökonomisch erwünschten Folgen führen, die also den gesellschaftlichen Wohlstand erhöhen oder ihn zumindest nicht verringern78. Diese Möglichkeit eröffnet sich insbesondere auch in Situationen lückenhafter gesetzlicher Regelungen. Gerade im Fall richterlicher Rechtsfortbildung bietet sich der Verwaltungsrechtsprechung Raum, der Forderung effektiven staatlichen Handelns nachzukommen79. Demnach können die Gerichte die Regelungen des alten Rechts in einem anhängigen Verfahren insbesondere dann außer Acht lassen, wenn es die effektive Umsetzung des neuen Rechts erfordert. Jedoch darf sich die Rechtsprechung allein unter Berufung auf den Grundsatz staatlicher Effektivität auch nicht über gesetzliche Vorschriften hinwegsetzen80. Was Effektivität im Einzelfall bedeutet, ist auch unter Beachtung der Wertentscheidungen der Verfassung und des einfachen Gesetzes zu entscheiden. Das heißt, dass es dabei nicht nur allein auf die möglichst wirksame und vor allem schnelle Umsetzung des gesetzgeberischen Willens ankommen kann, sondern 74 Siehe zum Vertrauensschutzgrundsatz unten im Dritten Teil unter C. II. 2. und ausführlich im Vierten und Fünften Teil, und zum Gleichheitsgrundsatz unten im Dritten Teil unter C. V. 75 Vgl. Mayer/Kopp, Allg. Verwaltungsrecht, 355; Kopp, BayVBl 1980, 263 (268). 76 Gaentzsch, DÖV 1998, 952. 77 Mayer/Kopp, Allg. Verwaltungsrecht, 306; Kopp, BayVBl 1980, 263 (268); Häberle, AöR 98 (1973), 625 (633). 78 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 4, 8. 79 Gaentzsch, DÖV 1998, 952 (957); vgl. auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 13, 397, 459 ff. 80 Vgl. Mayer/Kopp, Allg. Verwaltungsrecht, 306.
B. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen
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dass effektives staatliches Handeln auch die Berücksichtigung der Grundrechte der Bürger erfordert, verfassungsrechtlichen Grundsätzen entsprechen und einen wirksamen Rechtsschutz gewährleisten muss. Daher dürfen in diesem Zusammenhang wiederum die Interessen desjenigen nicht unberücksichtigt bleiben, dem die Anwendung neuen Rechts zum Nachteil gereicht. Die Berufung der Gerichte auf den Effektivitätsgrundsatz steht somit ebenfalls unter dem Vorbehalt der Beachtung des entgegenstehenden Interesses des Bürgers an der Anwendung noch alten Rechts. Um effektiv handeln zu können, müssen die sich widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange schließlich im Wege einer Interessenabwägung in einen schonenden Ausgleich gebracht werden81. Denn nur bei Berücksichtigung aller betroffenen Positionen und deren sachgerechten Würdigung wird der Verwaltungsprozess aus Sicht aller Beteiligten Effektivität in diesem Sinne beanspruchen können.
III. Ergebnis Die Grundsätze des intertemporalen Rechts finden ihre verfassungsrechtliche Grundlage zum einen im Rechtsstaatsprinzip, dass den Gerichten erlaubt, „Recht“ auch mittels Auslegung lückenhafter Gesetze walten zu lassen. Die sich aus fehlenden Übergangsregelungen ergebenden Lücken des geschriebenen Rechts können die Richter demnach auch dahingehend füllen, neues Recht sofort anzuwenden. Damit folgen die Gerichte allgemein anerkannten Auslegungsregeln, wie der lex posterior Regel oder der Regel „tempus regit actum“, verhelfen den Neuregelungen zu ihrer Geltung und binden den Rechtsanwender an deren Vorgaben. Jedoch lässt das Rechtsstaatsprinzip auch Ausnahmen dahingehend zu, dass entgegen der Aussage dieser Grundsätze, auch die Anwendung alten Rechts ohne Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip denkbar ist. Inwieweit das Rechtsstaatsprinzip den Grundsätzen des intertemporalen Rechts damit auch gleichzeitig Grenzen aufzeigt, wird im nächsten Abschnitt noch näher zu erörtern sein82. Die sofortige Anwendung neuen Rechts entspricht zum anderen auch dem verfassungsrechtlich fundierten Effektivitätsgrundsatz, der den Staat dazu anhält, seinem Handeln zur bestmöglichen Wirksamkeit zu verhelfen. Angesichts der zunehmenden Komplexität der gesetzlich geregelten Lebenssachverhalte und des daraus resultierenden steigenden Umfangs der zu entscheidenden Verwaltungsprozesse sowie auch im Zuge der fortschreitenden Europäisierung nimmt das Entlastungsbedürfnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit stetig zu. Einher geht die Forderung nach Erleichterung und Verfahrensbeschleunigung. Vor diesem Hintergrund erfolgten bereits zahl-
81 Mayer/Kopp, Allg. Verwaltungsrecht, 306; vgl. auch Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 7; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 447. Siehe zur Abwägung noch genauer im Dritten Teil unter C. II. 2. c) und d), C. II. 3. und im Einzelnen im Sechsten Teil. 82 Siehe unten im Dritten Teil unter C.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
reiche, auch hier in den Fallbeispielen zugrunde liegende Änderungen der VwGO83. Darin ist eine generelle Tendenz zur Ökonomisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erkennbar, die sich dem Druck der Wirtschaftlichkeit ausgesetzt sieht. In diesem Zusammenhang lassen sich auch die Grundsätze des intertemporalen Rechts auf den Effektivitätsgrundsatz zurückführen. Denn deren Anwendung stellt jedenfalls dann ein – aus staatlicher Sicht – effektives Handeln dar, wenn dadurch den neuen, den Verwaltungsprozess entlastenden Rechtsnormen zur schnellstmöglichen Wirksamkeit verholfen wird.
IV. Rechtsdogmatische Grundlagen des intertemporalen Gemeinschaftsrechts Auch der EuGH ist in Hinblick auf die Unvollständigkeit der Verträge, in Bezug auf intertemporalrechtliche Fragen des Gemeinschaftsrechts bemüht, die Lücken mit Hilfe allgemeiner Rechtsgrundsätze auszugleichen84. In seiner Rechtsprechung zu Fragen der Rückwirkung, des Übergangsrechts, des Vertrauensschutzes und der Wahrung wohlerworbener Rechte hat der EuGH in rechtsschöpfender Judikatur solche allgemeinen Rechtsgrundsätze herausgebildet, die in ihrer Gesamtheit als ein „System intertemporalen Gemeinschaftsrechts“85 bezeichnet werden können86. Diese finden ihre Grundlage vor allem im Grundsatz der Rechtssicherheit, der dem primären Gemeinschaftsrecht zuzuordnen ist87.
1. Rechtsnatur allgemeiner Rechtsgrundsätze Die Aufstellung allgemeiner Rechtsanwendungsmaximen zum zeitlichen Anwendungsbereich europäischen Rechts durch den EuGH weist eine Parallele zu den im deutschen Recht angewendeten Grundsätze des intertemporalen Rechts auf, da es sich hierbei ebenfalls um ein Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung handelt88. Die fortlaufende Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Wege richterlicher Rechtsfortbildung und Rechtsschöpfung zählt zu den Aufgaben des Europäischen Gerichtshofs und stellt einen entscheidenden Beitrag zur Verfestigung der Ge83
Vgl. hierzu beispielsweise die im Zweiten Teil unter A. I. 2. a), A. I. 5. a), A. II. 1. a) und A. II. 2. a) geschilderten Gesetzesänderungen; einen Überblick gibt Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 3, Rn. 5. 84 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 22; siehe allgemein zur Lückenhaftigkeit des geschriebenen Gemeinschaftsrechts, Ukrow, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 103 ff.; und auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts, Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 57 ff.; ders. auch zur unterschiedlichen Terminologie, 62 ff. 85 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 330. 86 Siehe zu den Rechtsanwendungsmaximen im Einzelnen bereits im Ersten Teil, G. 87 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 23; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 913 ff. 88 Vgl. oben im Dritten Teil unter B. I. 2.
B. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen
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meinschaftsrechtsordnung dar89. Die Geltung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Gemeinschaftsrecht steht außer Frage. Im europäischen Rechtssystem werden sie als ungeschriebenes primäres Gemeinschaftsrecht anerkannt, das den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam ist90. Dogmatisch bilden sie eine eigenständige, zumeist subsidiäre Rechtsquelle91. Die Subsidiarität erklärt sich mit der tatsächlichen Funktion der Rechtsgrundsätze als Ergänzung des geschriebenen Rechts gerade dort, wo dieses Regelungslücken aufweist92. Als anerkannte Methode zur Schließung derartige Lücken gilt die wertende Rechtsvergleichung93. Das heißt, der EuGH ermittelt in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in vergleichbaren Situationen geltende Grundsätze und bildet daraus die „beste“ und „zweckmäßigste“ Lösung für die lückenhaften Rechtslage94. Der EuGH ist demgemäß verpflichtet, eine Lösung zu suchen, die dem Vertragszweck am besten entspricht, keiner nationalen Rechtsüberzeugung grundlegend zuwiderläuft und sich darüber hinaus möglichst weitgehend einer oder mehreren nationalen Lösungen annähert95. Zur Frage der zeitlichen Anwendbarkeit des primären und abgeleiteten Gemeinschaftsrechts beruht die Rechtsprechung des EuGH im Wesentlichen auf der Fortentwicklung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit96. Die Schließung normativer Lücken findet überdies in dem Effektivitätsgedanken eine Rechtfertigung97. 2. Der Grundsatz der Rechtssicherheit Der Grundsatz der Rechtssicherheit hat in der Rechtsprechung des EuGH bereits früh als übergeordneter Verfassungsgrundsatz Anerkennung gefunden98. Im Zeichen der Rechtssicherheit und dem darin verbürgten Erfordernis der Rechtsklarheit ist der EuGH dazu angehalten, etwaige Normdefizite unter Berücksichtigung der in Gesetzgebung, Lehre und Rechtsprechung der Mitgliedstaaten anerkannten Regeln auszu-
89
Stoye, Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts, 21 f. Oppermann, Europarecht, § 6, Rn. 20; Stoye, Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts, 33 ff., mit näheren Ausführungen zum Rang der allgemeinen Rechtsgrundsätze in der Gemeinschaftsrechtsordnung; dazu auch Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 66 ff. 91 Stoye, Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts, 27, 33; als nicht subsidiär gilt etwa der Grundsatz des Vertrauensschutzes, dazu näher im Vierten Teil, B. 92 Stoye, Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts, 33. 93 Oppermann, Europarecht, § 6, Rn. 21; Stoye, Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts, 29; Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 119. 94 Oppermann, Europarecht, § 6, Rn. 21; Stoye, Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts, 30 f.; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 22 f.; Ukrow, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 49 f. 95 Ukrow, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 46 f. 96 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 23. 97 Ukrow, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 143 ff. 98 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 846 f m.w.N., 911, 913 ff. 90
124
3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
gleichen99. So legt der EuGH seinen Entscheidungen beispielsweise auch die mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit begründete Auffassung zugrunde, dass in der Regel von der im Zeitpunkt der Anwendung einer streitigen Vorschrift gegebenen Rechtslage auszugehen sei100. Bei dieser Maxime, der Regel „tempus regit actum“, handelt es sich um einen in den Mitgliedstaaten allgemein anerkannten Grundsatz101. Während dieser, ebenso wie das Prinzip der Nicht-Rückwirkung seine Grundlage vor allem im Grundsatz der Rechtssicherheit – letzteres auch im Grundsatz des Vertrauensschutzes102 – finden, hat der EuGH die gemeinschaftsrechtliche Geltung des „allgemein anerkannten“ Grundsatzes der Sofortwirkung bisher noch nicht ausdrücklich als Postulat der Rechtssicherheit bezeichnet103. Gleichwohl kann die Sofortwirkung als Konkretisierung der Rechtsanwendungsmaxime „tempus regit actum“ ebenfalls mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit begründet werden104. 3. Der Effektivitätsgrundsatz Der in der Rechtsprechung des EuGH etablierte Effektivitätsgrundsatz105, dessen Grenzen sowohl in Hinblick auf das Anwendungsgebiet als auch auf die Voraussetzungen noch im Fluss sind106, zielt in erster Linie auf die Sicherung des bestehenden Gemeinschaftsrechts gegen die Gefährdung durch einen zu nachlässigen Vollzug seitens der Mitgliedstaaten107. Ein europäischer Rechtssatz erzielt keinerlei Wirkung, wenn Normen des nationalen Rechts seine Durchsetzung verhindern. Dementsprechend hat der EuGH entschieden, dass nationale Vorschriften die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen108. Eine möglicherweise entgegenstehende 99 Vgl. Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 23; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 914; Verbundene Rechtssache 7/56, 3 – 7/57 (Algera u. a. ./. Gemeinsame Versammlung), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1957, S. 83 (118). 100 Rechtssache 13/71 (Henck ./. HZA Emmerich), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1971, S. 774, Rn. 5; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 46 ff. m.w.N. 101 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 47. 102 Siehe zum Vertrauensschutz im Gemeinschaftsrecht ausführlich im Vierten Teil, B. 103 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 48, 51, 113 f., 319. 104 Vgl. Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 115 f. 105 Der vorliegend und vom EuGH in dem folgenden Sinne verwendete Begriff des Effektivitätsgrundsatzes wird teilweise als Unterprinzip des „effet utile“, teilweise als dessen Fortentwicklung oder als eine Ableitung daraus gesehen oder diesem auch gleichgesetzt, vgl. Metzger, ZEuP 2004, 153 (156), dort in Fußnote 5; Oppermann, Europarecht, § 8, Rn. 24; siehe zu weiteren unterschiedlichen synonymen Begriffen auch Streinz, Festschrift Everling, 1491 (1495 f.). 106 Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 122 f.; Metzger, ZEuP 2004, 153 (156). 107 Streinz, Festschrift Everling, 1491 (1506). 108 Metzger, ZEuP 2004, 153 (155 f.); Rechtssache C-261/95 (Palmisani), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1997, S. 4025 (4031); Rechtssache C-453/99 (Courage), Sammlung
B. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen
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Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig ob sie früher oder später als die Gemeinschaftsnorm erlassen wurde, muss hinter der Anwendung europäischen Rechts zurückstehen. Der auf die wirksame Entfaltung der allgemeinen Vertragsziele bedachte Effektivitätsgrundsatz, wonach die gemeinschaftsrechtlichen Normen mit „größter Nutzwirkung“ auszulegen und auszuschöpfen sind109, richtet sich nicht allein an die Mitgliedstaaten, sondern auch an die Organe der EU. So sind die Ziele der Gemeinschaft auch bei der richterlichen Rechtsfortbildung zu berücksichtigen110. Europäisches Recht ist so auszulegen, dass die Effektivität des gesamten Systems erhalten bleibt111. Lücken im Gemeinschaftsrecht sind folglich mit Blick auf den Gedanken der Einheit und Effektivität des Europarechts zu schließen. Soweit die Recht setzenden Organe dieser Aufgabe nicht hinreichend nachkommen, fällt sie folglich dem EuGH in seiner Rechtsfortbildungskompetenz zu112. In diesem Sinne rechtfertigt sich auch die sofortige Anwendung neuer Rechtsakte bei einer lückenhaften Übergangsrechtslage. Deren materieller Gehalt findet auf diese Weise eine umgehende und damit bestmögliche Verwirklichung. Übertragen auf die vorliegende Untersuchung bedeutet der so im europäischen Gemeinschaftsrecht verstandene Effektivitätsgrundsatz, dass alte Verfahrensvorschriften den neuen Regelungen nicht im Weg stehen, deren Anwendung und Durchsetzung also nicht verzögern bzw. verhindern dürfen. Die Gewährung einer effektiven Rechtsverwirklichung steht aber auch nach Gemeinschaftsrecht in engem Zusammenhang mit einer Abwägung der konkreten Interessen. Soweit es um die Frage geht, ob eine nationale Norm die Wahrnehmung gemeinschaftlichen Rechts „übermäßig erschwert“, stellt der EuGH eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung an, in der die der nationalen Norm zugrunde liegenden rechtspolitischen Interessen mit Blick auf die Ziele des jeweiligen Gemeinschaftsrechtsaktes berücksichtigt werden113. Der Effektivitätsgedanke läuft also schließlich auch unter europäischer Sichtweise auf eine Abwägung der widerstreitenden Interessen hinaus. 4. Ergebnis Das intertemporale Gemeinschaftsrecht stellt – ebenso wie die Grundsätze des intertemporalen Rechts im deutschen Recht – kein absolutes Recht dar. Vielmehr hander Rechtsprechung des EuGH 2001, S.6297 (6324); Rechtssache 33/76 (Rewe), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1976, S. 1989 (1998 f.) (“praktisch unmöglich”); Rechtssache C312/93 (Peterbroeck, Van Camoenhout & Cie SCS), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1995, S. 4599 (4621) (“übermäßig erschwert”). 109 Oppermann, Europarecht, § 8, Rn. 24. 110 Streinz, Festschrift Everling, 1491 (1501). 111 Vgl. Streinz, Festschrift Everling, 1491 (1493). 112 Vgl. Ukrow, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 144 f. 113 Metzger, ZEuP 2004, 153 (158).
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
delt es sich auch hierbei um subsidiäre Rechtsgrundsätze, die nur dann zur Anwendung gelangen, wenn es der Normgeber versäumt, den zeitlichen Anwendungsbereich von gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften etwa in Übergangsvorschriften zu regeln114. Die durch den EuGH entwickelten allgemeinen Rechtsanwendungsmaximen gleichen darüber hinaus nicht nur inhaltlich den Regeln des deutschen intertemporalen Rechts. Auch die dogmatischen Grundlagen beruhen auf vergleichbaren Erwägungen. Soweit also der Gerichtshof übergangsrechtliche Lücken im Wege der wertenden Rechtsvergleichung, also unter Zugrundelegung mitgliedstaatlicher Rechtsauffassungen geschlossen hat, ist festzustellen, dass sich die dabei aufgestellten Rechtsgrundsätze kaum von den nach deutschem Recht geltenden Grundsätzen des intertemporalen Rechts unterscheiden. Im Folgenden wird es von Interesse sein, ob überdies auch die Schranken dieser Grundsätze vergleichbar sind.
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken der Grundsätze des intertemporalen Rechts In den Fällen, in denen mit dem Wandel des Prozessrechts eine Verschlechterung der prozessualen Lage des Bürgers einhergeht, steht der Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts grundsätzlich das Interesse des Prozessführenden entgegen, das gerichtliche Verfahren noch nach dem für ihn günstigeren alten Recht zu entscheiden. Es wird an dieser Stelle zu fragen sein, ob und gegebenenfalls welche verfassungsrechtlichen Prinzipien hinter diesem Interesse beziehungsweise hinter der verfahrensrechtlichen Position des Bürgers stehen. Folgt man mit einem Teil der Verwaltungsrechtssprechung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsmittelsicherheit, können die Grundsätze des intertemporalen Rechts jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips und der darin wurzelnden Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auf Grenzen stoßen115. Die Richter sind in ihrer Entscheidungsfindung – so also auch bei der Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs neuer Verfahrensnormen – an die Verfassung mit all ihren Einzelaussagen, Direktiven und Prinzipien gebunden116. Die Leitprinzipien der Verfassung bilden ebenso wie die Grundrechte die obersten Prüfungsmaßstäbe für die Verwaltungsgerichtsbarkeit117. Für die nachfolgende Bearbeitung bedeutet dies, 114
Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, zusammenfassend 322. BVerfGE 87, 48 (62 ff.), worauf sich beispielsweise folgende Gerichte beziehen: Bayerischer VGH München (20. Senat, Beschluss vom 14. 02. 1997), NVwZ 1997, 694; Niedersächsisches OVG (6. Senat, Urteil vom 24. 04. 1997), NVwZ 1997, 1222 (1223); BVerwGE 106, 237 ff.. Siehe auch nochmals die Erörterung dieser Entscheidung im Zweiten Teil unter A. I. 1. c). 116 Schmidt-Aßmann, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht II, § 26, Rn. 42; Stern, Staatsrecht I, 82 und 97 f. 117 Siehe genauer dazu Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn 5. 115
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken
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die den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit stützenden verfassungsrechtlichen Prinzipien näher darzustellen und darüber hinaus sämtliche übrigen Verfassungsprinzipien zu untersuchen, die hinter der beeinträchtigten verfahrensrechtlichen Stellung eines Rechtssuchenden stehen, diese stärken und somit das Anwendungsfeld der Grundsätze des intertemporalen Rechts beschränken könnten.
I. Die Ausgangslage: Der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit Einen Anhalts- und den Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen stellt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsmittelsicherheit dar, in der eine Ausnahme von der Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts zugelassen wurde118. Der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit wurde bis zu dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor allem von der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der zivilprozessrechtlichen Literatur vertreten und fand bis dahin im Bereich des Verwaltungsprozessrechts nur wenig Anerkennung119. Anwendung findet dieser Grundsatz immer dann, wenn eine Prozesspartei „die prozessuale Möglichkeit eines Rechtsmittels zur Durchsetzung ihrer materiell-rechtlichen Position zulässig wahrgenommen und dabei in der Regel zugleich auch ein Kostenrisiko auf sich genommen hat. Dieser Grundsatz besagt, daß eine prozeßrechtliche Einschränkung der Statthaftigkeit von Rechtsmitteln oder die Verschärfung ihrer Zulässigkeitsvoraussetzungen grundsätzlich nicht Rechtsmittel unzulässig werden läßt, die noch nach altem Rechtszustand zulässig eingelegt wurden; anderes gilt nur, wenn dies durch eine hinreichend deutliche gesetzliche Übergangsregelung angeordnet wird. Der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozeßrechts, […] erfährt damit für anhängige Rechtsmittelverfahren eine einschränkende Konkretisierung: Beim Fehlen abweichender Bestimmungen führt eine nachträgliche Beschränkung von Rechtsmitteln gerade nicht zum Fortfall der Statthaftigkeit bereits eingelegter Rechtsmittel“120. Begründet wird diese Sichtweise damit, dass „die rechtstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes […] als verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstäbe auch dann heranzuziehen [sind], wenn der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage, in der ein Prozessbeteiligter sich befindet, einwirkt“121. So wird etwa mit „der Einlegung eines nach der jeweiligen Verfahrens118
BVerfGE 87, 48 (62 ff.); siehe dazu auch oben im Zweiten Teil, A. I. 1. c). Vgl. Hessischer VGH (12. Senat, Beschluss vom 23. 11. 1990), NVwZ 1991, 286 (287); OVG Rheinland-Pfalz (13. Senat, Beschluss vom 15. 11. 1990), NVwZ 1991, 293 (294); siehe auch die Nachweise in BVerfGE 87, 48 (64 f.). 120 BVerfGE 87, 47 (64). 121 BVerfGE 87, 48 (63); mit Hinweis auf BVerfGE 63, 343 (359). (Hervorhebung durch d. Verf.). 119
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
ordnung statthaften und zulässigen Rechtsmittels […] eine gewichtige verfahrensrechtliche Position begründet“122, die „den Schutz des Vertrauens in den Fortbestand der Zulässigkeit eines eingelegten Rechtsmittels auch verfassungsrechtlich gebietet“123. Eine konkrete Erklärung dafür, warum der Vertrauensschutz nur im Fall von Rechtsmitteln, und nicht generell bei der Einlegung sämtlicher verwaltungsgerichtlicher Rechtsbehelfe zum Tragen kommen sollte, bleibt allerdings aus. Genau das gilt es im Folgenden aber zu klären. Es ist danach zu fragen, ob und inwieweit der Bürger generell Vertrauen in eine verfahrensrechtliche Lage investieren kann. Darüber hinaus sollen auch anhand weiterer Verfassungsprinzipien Anhaltspunkte dafür gefunden werden, unter welchen Bedingungen im Allgemeinen davon ausgegangen werden kann, dass das Gewicht einer Verfahrensposition so erheblich ist, dass die Wahrung des privaten Interesses an einer gerichtlichen Entscheidung noch nach altem Recht dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Anwendung neuen Rechts vorgeht.
II. Das Rechtsstaatsprinzip Obgleich das Rechtsstaatsprinzip ebenfalls einen wesentlichen Stützpfeiler für die Grundsätze des intertemporalen Rechts darstellt, zeigt es diesen unter verschiedenen Gesichtspunkten auch Grenzen auf124. So unterliegen die Gerichte nicht ausschließlich der bereits beschriebenen Bindung an geschriebene Rechtsnormen. Stets sind sie zugleich auch der Gerechtigkeit verpflichtet. Grenzen richterlicher Entscheidungen können sich auch aus dem, in den untersuchten Entscheidungen oft zitierten Vertrauen in die Beständigkeit von Rechtsnormen ergeben. Ebenso darf in diesem Zusammenhang die Problematik unechter Rückwirkung nicht außer Acht gelassen werden. 1. Gerechtigkeit und Rechtssicherheit Die Grundsätze des intertemporalen Rechts beziehungsweise die darin vorgeschriebene sofortige Anwendung neuer Prozessnormen auf laufende Verfahren kann zunächst Bedenken im Hinblick auf die Wahrung von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit aufkommen lassen. Gerechtigkeit und Rechtssicherheit gelten als fundamentale Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips und sind in einem engen Zusammenhang mit der in Art. 20 Abs. 3 GG festgeschriebenen Bindung der Gerichte an „Gesetz und Recht“ zu sehen125. 122
BVerfGE 87, 48 (64). BVerfGE 87, 48 (65). 124 Siehe dazu sowie allgemein zum Rechtsstaatsprinzip oben im Dritten Teil unter B. I. 125 BVerfGE 7, 89 (92); Stern, Staatsrecht I, 796 f.; siehe dazu auch bereits oben im Dritten Teil unter B. I. 1. 123
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken
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a) Gerechtigkeit Mit der Bindung auch an das „Recht“ verfolgt die Verfassung eine wesentliche Grundfrage aller Rechtsstaatlichkeit, die Idee der Gerechtigkeit126. Was aber Gerechtigkeit in diesem Sinne bedeutet, ist eine sehr weit reichende rechtsphilosophische Frage127. Stellt bereits das Gesetz eine Vermutung auf, was gerecht ist? Sind vom Gesetz abweichende Entscheidungen demzufolge ungerecht? Gibt es unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen? Bedeutung erlangt das Gebot der Gerechtigkeit insbesondere bei der Anwendung der Gesetze. Denn ungeachtet der Bindung an das „Gesetz“ bleiben sowohl die Verwaltung als auch die Gerichte darüber hinaus stets auch der Gerechtigkeit verpflichtet128. Die Besinnung auf das „Recht“ kann insbesondere dann opportun sein, wenn „Konflikte zwischen Rechtsgleichheit und individueller Gerechtigkeit, zwischen materiellen und formellen Elementen des Rechts [… oder] zwischen Rechtssicherheit und Anpassungsbedürftigkeit des Rechts“ auftreten129, kurzum also auch dann, wenn sich den Gerichten die Frage nach der Anwendung alten oder neuen Rechts stellt. Zwar ist es in erster Linie die Aufgabe des Gesetzgebers, derartige Spannungsverhältnisse zu entscheiden, so etwa in entsprechenden Übergangsregelungen. Tut er dies jedoch nicht, liegt es letztlich beim Rechtsanwender, diese Konflikte zu lösen. Denn dann „verliert das Gesetz seine Fähigkeit, für alle Fälle, auf die seine Regelung abzielt, eine gerechte Lösung bereit zu halten. Die Gerichte sind daher befugt und verpflichtet zu prüfen, was ,Recht im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG ist“130. Da die Gerichtsbarkeit nicht nur der Bindung an das einfache Gesetz, sondern auch an die Verfassung und ihrer Prinzipien unterliegt131, hat diese Prüfung anhand der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu erfolgen. Das bedeutet, die Idee der Gerechtigkeit, das „Recht“ ist letztlich an die Maßstäblichkeit der Verfassung gebunden, ebenso wie es Art. 20 Abs. 3 HS. 1 GG für die Gesetzgebung vorsieht132. Im Rahmen dieser Verfassungsbindung unterliegt der Richter auch der Aufgabe und Befugnis zu einer „schöpferischen Rechtsfindung“133. Wo es an entgegenstehenden Gesetzen fehlt, 126
Schmidt-Aßmann, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht II, § 26, Rn. 41. Vgl. zur Gerechtigkeitsfrage mit Blick auf die juristische Methodenlehre Kriele, Festschrift Universität zu Köln, 707 ff. In Anbetracht der beträchtlichen Komplexität der Gerechtigkeitsfrage kann eine endgültige, eindeutige und unumstrittene Antwort an dieser Stelle nicht gegeben werden. Die anschließenden Ausführungen, die sich auf die Gerechtigkeit in der richterlichen Rechtsfindung beschränken, können daher nicht mehr als eine Annäherung an diese Thematik darstellen. 128 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 104. 129 Vgl. Schmidt-Aßmann, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht II, § 26, Rn. 41. 130 BVerfGE 82, 6 (12). 131 Schmidt-Aßmann, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht II, § 26, Rn. 42; Stern, Staatsrecht I, 82 und 97 f. 132 Schmidt-Aßmann, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht II, § 26, Rn. 42 ff. 133 BVerfGE 34, 269 (287). 127
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
kann die Rechtsprechung somit auch rechtsfortbildend tätig werden134. Lücken im Gesetz müssen durch die richterliche Entscheidung „nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den ,fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft“ geschlossen werden135. Im Zuge der richterlichen Rechtsfortbildung besteht damit auch die Möglichkeit und gegebenenfalls sogar die Verpflichtung, abweichend von etwaigen neuen Verfahrensregelungen und damit auch abweichend von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts zu entscheiden, soweit in einer solchen Entscheidung den Maßstäben der Gerechtigkeit genüge getan wird. Gerecht entscheidet der Richter schließlich, solange er sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben aufhält. Für die weitere Prüfung bedeutet dies zu ergründen, welche verfassungsrechtlichen Wertvorstellungen beziehungsweise welche diese verkörpernden Verfassungsgrundsätze die Rechtsprechung binden und demzufolge eine von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts abweichende Entscheidung unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit erfordern beziehungsweise rechtfertigen können. Übertragen auf die hier untersuchten Fallkonstellationen, in denen alte Verfahrensvorschriften in einem anhängigen Prozess durch neue Regelungen ersetzt werden, ohne dass deren zeitliche Anwendbarkeit ausdrücklich geregelt wird, muss also die Frage gestellt werden, ob die Aussage der Grundsätze des intertemporalen Rechts dem Maßstab der Gerechtigkeit stets gerecht wird. Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob die darin enthaltene Antwort auf die Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs neuer Verfahrensregelungen in jedem Fall eine in diesem Sinne gerechte Lösung darstellt. In Anbetracht der dargestellten Einzelfälle und unter Heranziehung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsmittelsicherheit, dürfte es entscheidend darauf ankommen, welche Bedeutung und welches Gewicht den unterschiedlichen Verfahrensregelungen zukommt, ob es sich um bloße ordnungsrechtliche, technische Prozessführungsregeln handelt, oder ob diese Vorschriften bereits eine Rechtspositionen gewähren, die in ihrer Schutzwürdigkeit materiell-rechtlichen Gewährleistungen vergleichbar ist136. Je nachdem kann die sofortige Anwendung neuen Rechts opportun oder aber – beispielsweise im Falle des nachträglichen Entzugs eines Rechtsmittels – verfassungsrechtlich bedenklich sein. Diese differenzierte Betrachtung der Verfahrensregelungen sowie der daraus resultierenden -positionen führt zwangsläufig dazu, dass auch die Anforderungen an die Gerechtigkeit, abhängig von der Lage der Einzelfälle, auseinander gehen müssen. Je nachdem, welche Verfassungsprinzipien wie stark hinter welcher konkreten Verfahrensposition stehen, wird der Anspruch an die Gerechtigkeit unterschiedlich befriedigt werden können.
134 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 106; siehe dazu auch bereits oben im Dritten Teil unter B. I. 1. a). 135 BVerfGE 34, 269 (287) mit Verweis auf BVerfGE 9, 338 (349). 136 BVerfGE 87, 48 (63 f.); siehe dazu auch oben im Dritten Teil unter C. I. sowie im Zweiten Teil, A. I. 1. c).
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken
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b) Rechtssicherheit Die Rechtssicherheit erfordert im Wesentlichen Rechtsklarheit, die Bestimmtheit und die Beständigkeit staatlicher, so auch gerichtlicher Entscheidungen137. Dass die Grundsätze des intertemporalen Rechts für sich eine klare und bestimmbare Aussage treffen, konnte bereits festgehalten werden138. An der Klarheit und Bestimmtheit dieser Grundsätze und deren Vorgaben bestehen insoweit keine Zweifel. Das Erfordernis der Beständigkeit wirft hingegen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes Fragen auf. Die Beständigkeit ist als Element der Rechtssicherheit inhaltlich eng verknüpft mit dem Vertrauensschutz und der Problematik rückwirkender Gesetze. Beide Punkte werden in der juristischen Lehre daher regelmäßig auch in diesem Zusammenhang erörtert139. Vorliegend sollen sie jedoch aufgrund ihrer Bedeutung für die hier behandelte Problemstellung gesondert untersucht werden.
2. Der Vertrauensschutz „Für den Bürger bedeutet Rechtssicherheit in erster Linie Vertrauensschutz“140. Dem entsprechend greifen diejenigen Entscheidungen, die Ausnahmen von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts zulassen, in ihren Begründungen auch überwiegend darauf zurück. Der Schutz des Vertrauens auf eine bestehende Rechtslage stehe demnach der Anwendung neuen Rechts auf ein bereits unter früherem Recht entstandenes Rechtsverhältnis entgegen141. Auch Kopp räumt in seinen Auslegungsund Anwendungsregeln ein, dass das Vertrauen des Prozessbeteiligten die sofortige Anwendung neuen Rechts unter Umständen einschränken kann142. Zu klären ist, welche konkreten Umstände davon umfasst sind. Es gilt, klare Kriterien für den Schutz berechtigten Vertrauens aufzustellen. Denn die Beeinträchtigung geschützten Vertrauens stellt das womöglich größte Einfallstor für jedwede Kritik an der zu undifferenzierten Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts dar. Für die Frage 137
Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 122; Stern, Staatsrecht I, 831; BVerfGE 24, 75 (98); siehe dazu auch bereits oben im Dritten Teil unter A. I. 138 Siehe dazu oben im Dritten Teil unter A. I. 1. Unklar und unbestimmbar bleibt hingegen, wann Ausnahmen von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts anzunehmen und zuzulassen sind. Das ist allerdings weniger auf die allgemein anerkannten Grundsätze als solche und deren Befolgung zurückzuführen, als auf das unterschiedliche Verständnis seitens der verschiedenen Verwaltungsgerichte. 139 So beispielsweise bei Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 131 ff. 140 BVerfGE 51, 356 (363); vgl. auch BVerfGE 13, 261 (271); 13, 215 (224); 24, 220 (230). 141 So z. B. Bayerischer VGH München (1. Senat, Urteil vom 19. 09. 1997), BayVBl 1998, 80 (80 f.); Niedersächsisches OVG (6. Senat, Urteil vom 24. 04. 1997), NVwZ 1997, 1222 (1223); OVG Berlin (4. Senat, Beschluss vom 20. 08. 1997), Az: 4 SN 353.97, JURIS, Rn. 2. Siehe dazu im Einzelnen auch die Darstellung der hier untersuchten Verfahrenssituationen im Zweiten Teil. 142 Kopp, SGb 1993, 593 (598), siehe dazu auch bereits im Ersten Teil, F. III. 1. a) dd).
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
nach etwaigen verfassungsrechtlichen Schranken kommt dem Vertrauensschutz mithin eine zentrale Bedeutung zu. Ebenso wie die Rechtssicherheit findet der Vertrauensschutz seine verfassungsrechtliche Grundlage – wenn nicht in spezielleren Grundrechten143 – im Rechtsstaatsprinzip. In Konkretisierung der eher objektiv orientierten Rechtssicherheit zielt der bürgerbezogene Vertrauensschutz auf die Wahrung subjektiver Interessen144. Der Vertrauensschutz besagt im Wesentlichen, dass der Bürger, der sich in seinem Verhalten auf eine bestimmte gesetzliche Regelung eingestellt hat, ein berechtigtes Interesse daran hat, dass seine Dispositionen nicht durch nachträgliche Änderungen des Rechts ihre Grundlage verlieren. Er muss grundsätzlich darauf vertrauen können, dass sein Handeln, das sich an der Rechtsordnung orientiert, von dieser anerkannt bleibt145. Denn das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine wesentliche Voraussetzung für die Freiheit der Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug146. Besondere Bedeutung erlangt der Vertrauensschutzgedanke vor allem bei rückwirkenden Rechtsänderungen147. Denkbar ist in den vorliegend untersuchten Verfahrenssituationen, dass das Vertrauen des Rechtsuchenden durch eine gerichtliche Entscheidung nach Maßgabe bereits neuen Rechts enttäuscht wird. Denn bei der Inanspruchnahme von Rechtsschutz geht der Rechtssuchende mit der Vornahme einer jeden Prozesshandlung eine Disposition ein, auf deren Wirksamkeit er unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtslage vertraut. Der Bürger verlässt sich auf die rechtliche Anerkennung der damit im Verlaufe des Prozesses erlangten Verfahrensposition. Zu untersuchen ist, ob und inwieweit er auf den Fortbestand der nach altem Recht erworbenen verfahrensrechtlichen Stellung auch vertrauen durfte148.
143 Siehe dazu unten im Vierten Teil A. II. 1.; vgl. bereits Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 44 ff. m.w.N. 144 Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 19. 145 BVerfGE 13, 261 (271). 146 BVerfGE 63, 343 (357); 76, 256 (347 f.). 147 Die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze bemisst sich regelmäßig an der Schwere der Verletzung des der alten Regelung entgegengebrachten Vertrauens. Im Hinblick auf die Wechselwirkungen zwischen Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und Rückwirkung hat sich allerdings sowohl in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch in der Verfassungsrechtslehre eine breit angelegte, kaum überschaubare Kasuistik entwickelt, die hier nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden kann. Vor diesem Hintergrund soll der Hinweis gestattet sein, dass allein die für diese Arbeit wesentlichen Punkte, die im Zusammenhang mit dem Vertrauensschutz zu beachten sind, in dem dafür erforderlichen Umfang aufgezeigt werden. Siehe zur Rückwirkung von Gesetzen auch bereits im Ersten Teil, C. II. 2. 148 Siehe dazu im Einzelnen auch noch die ausführliche Prüfung im Vierten und im Fünften Teil.
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken
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a) Die unechte Rückwirkung von Gesetzen In den hier zur Untersuchung stehenden Fällen handelt es sich um Fälle einer unechten Rückwirkung. Eine solche liegt vor, wenn ein Gesetz nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet149. Nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts kann auch das bestehende Prozessrechtsverhältnis als ein noch nicht der Vergangenheit angehörender, noch nicht abgewickelter Tatbestand im Sinne unechter Rückwirkung eingestuft werden150. Das bedeutet, dass jede Änderung von Verfahrensrecht, das auf ein bereits entstandenes Rechtsverhältnis Anwendung findet, in diesem Sinne zurück wirkt151. Von besonderem Interesse sind daher die konkreten Zulässigkeitsvoraussetzungen einer derartigen Rückwirkung. Grundsätzlich ist die unechte Rückwirkung zulässig152. Aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit ergeben sich allerdings auch verfassungsrechtliche Grenzen153. Eine Grenze in diesem Sinne stellt der Vertrauensschutz dar. Denn es ist in Fällen unechter Rückwirkung durchaus denkbar, dass das Vertrauen des Bürgers verletzt wird, wenn das Gesetz einen belastenden Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte, den er also bei seinen Dispositionen nicht berücksichtigen konnte154. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht aber nicht so weit, den Staatsbürger vor jedweder Enttäuschung zu bewahren155. Denn der Gesetzgeber kann aus Gründen des Allgemeinwohls gehalten sein, Neuregelungen zu treffen, die sich den Erfordernissen der Gesellschaft anpassen. Der Einzelne soll sich vor allem dann nicht auf den Vertrauensschutz berufen können, wenn sein Vertrauen auf den Fortbestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen kann156. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn sich das Gesetz nicht belastend auf das private Interesse auswirkt, das Vertrauen des Bürgers nicht schutzwürdig ist oder wenn trotz Schutzwürdigkeit zwingende Gründe des Gemeinwohls das Vertrauensinteresse überwie-
149 Siehe bereits oben im Ersten Teil, C. II. 2. b); zur unechten Rückwirkung auch BVerfGE 11, 139 (145 f.); 14, 288 (297); 22, 241 (248); 25, 142 (154); 30, 392 (402); Stern, Staatsrecht I, 833. 150 BVerfGE 11, 139 (145 f.); so auch Lüke, Festschrift für Lüke, 400. 151 Vgl. auch Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 227 ff.; Lüke, Festschrift Lüke, 397 f. 152 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 136; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 73; Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 43; BVerfGE 72, 141 (154); 97, 271 (289); 101, 239 (263); BVerwGE 110, 265 (270). 153 BVerfGE 11, 139 (145 f.); BVerfGE 14, 288 (299). 154 Vgl. BVerfGE 1, 264 (280); 13, 274 (278); 13, 279 (283); 14, 288 (299 f.); 51, 356 (363); 68, 287 (307). 155 BVerfGE 14, 288 (299 f.); 22, 241 (252); 24, 220 (230 f.). 156 BVerfGE 14, 288 (299 f.); 24, 220 (230 f.); 43, 291 (391); 50 386 (396).
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
gen157. Letzteres festzustellen erfordert schließlich eine Abwägung der widerstreitenden Interessen158. Wann die konkreten Voraussetzungen schutzwürdigen Vertrauens in Situationen sich ändernden Prozessrechts vorliegen und welche Kriterien in die Abwägung zwischen privatem und Gemeinwohlinteresse einzustellen sind, wird im Rahmen der kommenden Teile dieser Arbeit näher untersucht werden. b) Die zentrale Bedeutung des Vertrauensschutzes Der Schutz berechtigten Vertrauens ist innerhalb der Problematik der Rückwirkung von Gesetzen also von zentraler Bedeutung. Ausschlaggebend ist, ob und inwieweit der Anwendung neuen Rechts aus Gründen des Vertrauensschutzes Grenzen gesetzt sind159. Das zu bewältigende Problem konzentriert sich damit auf die Lösung anlässlich einer Normänderung entstandener Interessenkonflikte160. Insoweit ist es letztlich unerheblich, ob die ungünstigere Rechtsfolge an vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Tatbestände oder Rechtsbeziehungen anknüpft. Es kommt einzig darauf an, ob und in welchem Maße das investierte Vertrauen infolge der veränderten Rechtslage enttäuscht wird. Für den Bürger ist allein entscheidend, inwieweit die Erwartungen, die sich auf das bislang geltende Recht gründeten, auch künftig gesichert bleiben161. Durch die Anwendung neuen Rechts könnte das Vertrauen des Bürgers enttäuscht werden, das er in die Kontinuität der Rechtsordnung gesetzt hat, als er eine Disposition mit dem Ziel vornahm, sich eine nach der bisher geltenden Rechtslage erreichbare Rechtsposition zu sichern. Sein Vertrauen richtet sich unabhängig von rechtstechnischen und -theoretischen Unterschieden in der Einstufung der Wirkung der neuen Regelung auf das Fortbestehen der rechtlichen Rahmenbedingungen einer einmal vorgenommenen Handlung162. Vor diesem Hintergrund ist es entbehrlich, näher auf die Frage der Rückwirkung einzugehen, die regelmäßig mit Schwierigkeiten insbesondere im Hinblick auf die klare Abgrenzung zwischen echter, unechter und einer Nichtrückwirkung verbunden 157 Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 20, 27; vgl. auch Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 79. Eine nähere Prüfung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Rechtssuchenden auf eine bestimmte prozessrechtliche Lage erfolgt im Vierten Teil. 158 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 104; siehe allgemein zum Abwägungsgebot unten im Dritten Teil unter C. II. 2. c) und d) sowie C. II. 3. 159 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 76. 160 Vgl. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 105. 161 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 74 f. 162 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 75.
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken
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ist163. Ausschlaggebend ist allein das Vorliegen schutzwürdigen Vertrauens und das Ergebnis der Interessenabwägung, und damit zusammenhängend ob und inwieweit dem rechtsändernden Gesetzgeber, und bei dessen lückenhaften Arbeit der Rechtsprechung, aus Gründen des Vertrauensschutzes Grenzen gesetzt sind. c) Vorbehalt entgegenstehender öffentlicher Interessen Wie vorstehend bereits aufgezeigt und im Verlauf der weiteren Untersuchung noch näher darzulegen, führt allein die Feststellung schutzwürdigen Vertrauens noch nicht dazu, dass das dahinter stehende Interesse des Bürgers auch zwingend zu berücksichtigen ist. Überdies darf dem Vertrauensschutz kein öffentliches Interesse entgegenstehen. Höherrangige Interessen des Staates können den Schutz persönlichen Vertrauens zurücktreten lassen164. Für das Gemeinwesen wesentliche Rechtsgüter vermögen persönliche Freiheiten zu beschränken165. Vorliegend trifft das private, vom Vertrauensschutz erfasste Interesse an einer Entscheidung noch nach altem Recht, auf das staatliche, in den Grundsätzen des intertemporalen Rechts verkörperte Interesse an der sofortigen Anwendung neuen Rechts. Dieser Interessenkonflikt spiegelt eine Kollision grundlegender Verfassungsprinzipien wider, „auf der einen Seite [steht] die Rechtssicherheit, […]; auf der anderen Seite die unabdingbare Notwendigkeit, die Rechtsordnung ändern […] zu können, um den Staat handlungsfähig gegenüber den unvermeidlichen oder politisch gezielt gewollten Wandel der Lebensverhältnisse zu erhalten“166, die ihren Niederschlag im Rechtstaatsprinzip und im Effektivitätsgrundsatz findet.
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Vgl. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 75 f.; so auch Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 104, wonach sich eine Abgrenzung zwischen Rückwirkung und Nichtrückwirkung als schwierig darstellt, da sich die Frage nach der Vergangenheit für jede neue Rechtsnorm stellt, die Probleme des Vergangenheitsbezugs von Gesetzen somit jeder Rechtsänderung beiwohnen. Das gelte insbesondere für das Verfahrensrecht, das regelmäßig in der Vergangenheit begründete Rechtsverhältnisse betrifft, 227 ff.; vgl. auch Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 42, wonach fast alle Gesetze, die ein Rechtsgebiet oder eine Rechtsfrage für die Zukunft neu regeln, auf Sachverhalte, Rechte oder Rechtspositionen treffen, die bereits in der Vergangenheit entstanden sind aber noch fortbestehen; ebenso Lüke, Festschrift Lüke, 399 f., der die Auffassung vertritt, dass jede Änderung von Verfahrensrecht, wenn dieses auch auf die gerichtliche Klärung bereits entstandener Rechtsverhältnisse Anwendung findet, eine Art von Rückwirkung bedeutet. 164 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 104; siehe dazu genauer im Sechsten Teil. 165 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 142. 166 BVerfGE 63, 343 (357); Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 105.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
d) Das Erfordernis und das Ziel einer Interessenabwägung Die Lösung dieses Interessenkonflikts erfordert eine Abwägung167. Bezweckt wird damit die „Herstellung und Erhaltung eines Ordnungszusammenhangs“, in dem verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter einander so zugeordnet werden, dass jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt168. Das „Prinzip der Einheit“ stellt der Verfassung die Aufgabe einer Optimierung169. Die kollidierenden Rechtsgüter müssen beide zu optimaler Wirksamkeit gelangen. Das konkret mit der Abwägung verfolgte Ziel besteht daher in der Herstellung praktischer Konkordanz170. Danach muss zwischen den gegenläufigen Interessen ein angemessener Ausgleich gefunden werden. Eine „geradezu beispielhafte Möglichkeit […], den widerstreitenden Interessen durch gegenseitige Begrenzung zu optimaler Wirksamkeit zu verhelfen“, stellt das Instrument der Übergangsregelung dar171. Versäumt es der Gesetzgeber allerdings, den Übergang von altem zu neuem Recht zu regeln, könnte die Rechtsprechung die Aufgabe treffen, in ihren Entscheidungen Übergangsgerechtigkeit in diesem Sinne zu schaffen. e) Gewährung des Vertrauensschutzes durch Übergangsregelungen Das aus dem Interessenkonflikt folgende Abwägungsgebot richtet sich an diejenigen staatlichen Organe, die in Vertrauenstatbestände eingreifen und damit in erster Linie an den Gesetzgeber172. Ein Ergebnis der Abwägung zwischen gesetzgeberischer Intention und der Beeinträchtigung privater Belange, kann generell der Erlass von entsprechenden Übergangsregelungen sein173. In der Rechtssprechung und Lehre wird dementsprechend zunehmend erkannt, dass das Problem der unechten Rückwirkung eng mit dem Problem der Übergangsgerechtigkeit verknüpft ist174. Übergangsvorschriften geben regelmäßig eine Antwort auf die „Frage, ob die nach bisherigen Recht begründeten Rechte und Rechtsverhältnisse übergangsweise fortgelten oder ob in Zukunft nur noch die neuen Vorschriften maßgeblich sein sollen“175. Zwischen den 167 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 104 m.w.N. 168 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 142, 28. 169 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 28. 170 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 28; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 106; siehe zur verfassungsrechtlichen Verankerung des Abwägungsgebots noch unten im Dritten Teil unter C. II. 3. 171 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 108. 172 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 104. 173 Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 75. 174 Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 54 m.w.N. Siehe dazu auch bereits im Ersten Teil, C. II. 2. c). 175 BVerfGE 31, 275 (284).
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken
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extremen Polen der sofortigen, uneingeschränkten Anwendung von neuem Recht und der unbefristeten Fortgeltung alten Rechts für Altfälle besteht mithin die Möglichkeit eines geregelten Übergangs176. Um ungewollte Folgen einer Rückwirkung auszuräumen, wie etwa die Beeinträchtigung des Vertrauensschutzes, kann der Gesetzgeber bei der Aufhebung oder Modifizierung bestehender Rechtslagen und geschützter Rechtspositionen eine angemessene Übergangsregelung erlassen177. Damit eröffnet sich eine Handhabe, etwaige Vertrauensgesichtspunkte im Zuge des Normerlasses zu berücksichtigen. Das gilt auch bei der Änderung des Prozessrechts178. Die Einführung von Übergangsregelungen erweist sich daher als eine geeignete Form des Vertrauensschutzes179. Denn mittels Übergangsvorschriften können gegebenenfalls solche Altregelungen, auf die der Bürger bei der Vornahme einer bereits eingeleiteten und noch andauernden Rechtshandlung vertraut hat, bis zu deren Abschluss fortgelten. In Fällen, in denen es der Gesetzgeber jedoch versäumt, Übergangsvorschriften zu erlassen, kann man demzufolge eine unzureichende Beachtung des Vertrauensschutzes konstatieren. Denn soweit Übergangsvorschriften Ausdruck eines Abwägungsergebnisses sind, bleibt es bei deren Fehlen unklar, ob eine Abwägung vorgenommen und damit etwaige Vertrauensschutzgesichtspunkte berücksichtigt wurden. Liegen Übergangsvorschriften nicht vor, greift der Rechtsanwender regelmäßig auf die Grundsätze des intertemporalen Rechts zurück. Folglich stellt sich die Frage, ob und inwieweit sich auch diese Grundsätze – anstelle konkreter Übergangsvorschriften – an den Maßstäben des Vertrauensschutzes messen lassen müssen, ob sie als Ergebnis einer ausgewogenen Abwägung anerkannt werden können oder ob vielmehr auch die Rechtsprechung im Rahmen deren Anwendung dazu angehalten ist, noch eine Abwägung im Einzelfall vorzunehmen. Dann stellt sich im Weiteren allerdings auch die Frage, ob die Kernaussage der Grundsätze des intertemporalen Rechts, dass neues Recht grundsätzlich sofort anwendbar ist, in dieser Weise uneingeschränkt gelten kann ohne dabei unzulässig Vertrauensgesichtspunkte des Prozessbeteiligten zu vernachlässigen. f) Gewährung des Vertrauensschutzes durch die Rechtsprechung Fragen des Vertrauensschutzes richten sich prinzipiell an das Handeln aller Staatsgewalten180. Dementsprechend muss der Grundsatz des Vertrauensschutzes auch von 176
Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 54. BVerfGE 43, 242 (288); 67, 1 (15); Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 75; Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 137. 178 Hessischer VGH, (10. Senat, Beschluss vom 09. 11. 1990), NVwZ 1991, 290 (292). 179 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 119; Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 54. 180 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 15. 177
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
der Rechtsprechung beachtet werden. Denn im Streitfall erfolgt dort die Prüfung und in deren Folge die Konkretisierung des Vertrauensschutzes181. In den vorliegenden Fallkonstellationen bringt der Bürger sein Vertrauen zunächst der gesetzlichen Lage entgegen. Er verlässt sich auf die durch den Gesetzgeber geschaffenen Voraussetzungen der Rechtsverfolgung und wähnt sich in der Gewissheit, dass sein Rechtsbehelf nach denjenigen Normen beurteilt wird, die zum Zeitpunkt seines Einlegens noch Geltung beanspruchten. Enttäuscht wird sein Vertrauen jedoch nicht allein durch den Gesetzgeber der neuen Prozessregelungen, der es unterlässt mittels eindeutiger Übergangsvorschriften klare Instruktionen an den Rechtsanwender weiterzugeben, sondern letzten Endes durch ein Handeln der Rechtsprechung, sofern diese gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts, aber entgegen der Erwartung des Bürgers das neue Recht auf ein anhängiges Verfahren anwendet. Es geht hier also nicht mehr um die Gesetzesänderung als solche, sondern um die richterliche Einbeziehung von Altfällen in den Anwendungsbereich der Neuregelung. Dabei drängt sich die Frage auf, ob der letztlich aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Auftrag, eine Abwägung vorzunehmen, den die Gesetzgebung nicht erfüllt hat, an die Rechtsprechung weitergegeben werden kann182. Es fragt sich also, ob bei der Bestimmung der verfassungsrechtlichen Schranken der Grundsätze des intertemporalen Rechts, im Hinblick auf den Vertrauensschutz, diejenigen verfassungsrechtlichen Grenzen, denen sich der Gesetzgeber bei dem Erlass von Übergangsregelungen ausgesetzt sieht, auf diese Grundsätze und die sie anwendenden Gerichte übertragen werden können. Zweifelsohne können geschriebene Übergangsregelungen vorsehen, dass neues Recht auch auf anhängige Verfahren angewendet werden soll183. Freilich müssen sich derartige Übergangsvorschriften dann aber auch an den verfassungsrechtlichen Vorgaben messen lassen und damit auch den Anforderungen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes genügen184. Hat es der Gesetzgeber hingegen unterlassen, die Frage der sofortigen Anwendbarkeit neuen Rechts ausdrücklich klarzustellen, greift der Rechtsanwender regelmäßig auf die Grundsätze des intertemporalen Rechts zurück. Folgten die Gerichte diesem Weg „blindlings“, so wirkte sich die gesetzgeberische Untätigkeit stets zu Lasten des in seinem Vertrauen enttäuschten Normadressaten aus. Ein solches Vorgehen kann den Anforderungen des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzes jedoch nicht gerecht werden. Vielmehr sind die Gerichte gehalten, hilfsweise und ergänzend die Aufgabe wahrzunehmen, dem Vertrau-
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Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 21. 182 Siehe zur Ableitung des Abwägungserfordernisses aus dem Rechtsstaatsprinzip auch unten im Dritten Teil unter C. II. 3. 183 Vgl. BVerfGE 87, 48 (64), wonach die sofortige Anwendung neuen Rechts dann zulässig ist, wenn eine Übergangsvorschrift dies hinreichend deutlich anordnet. 184 BVerfGE 87, 48 (61); Lüke, Festschrift Lüke, 401.
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken
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en des Betroffenen hinreichend Schutz zu gewähren185. Insoweit kann also für die Rechtsprechung nichts anderes gelten als für die Gesetzgebung. Aus der Sicht des Rechtssuchenden ist es letztlich gleichgültig, ob ihm durch eine Gesetzesänderung eine Rechtsposition entzogen wird oder ob die Verschlechterung der Rechtsstellung aus der gerichtlichen Befugnis resultiert, eine bereits vorgenommene Disposition nunmehr nach neuen Recht und dem gemäß nachträglich beispielsweise als unzulässig zu bewerten. In beiden Fällen geht es darum, dass der Bürger im Nachhinein „ins Unrecht“ gesetzt wird186. Dementsprechend müssen sich auch die, von der Rechtssprechung angewendeten Grundsätze des intertemporalen Rechts im Rahmen des Verfassungsrechts bewegen und im Einklang mit allgemeinen verfassungsrechtlichen Prinzipien stehen187. Demnach muss also auch bei der Anwendung dieser Grundsätze eine Abwägung im Einzelfall vorgenommen werden. Deren Kernaussage, dass neues Recht grundsätzlich sofort anwendbar sei, kann mit dieser Eindeutigkeit folglich nicht getroffen werden. Denn sie gibt bereits ein Ergebnis zugunsten des Änderungsinteresses des Gesetzgebers vor, ohne dass auf die entgegenstehenden Interessen des jeweils Rechtssuchenden in erforderlicher Weise, nämlich im Rahmen einer Abwägung, eingegangen wurde. Den Richtern obliegt es demzufolge, die geforderte Interessenabwägung selbst vorzunehmen und damit die Lücke zu schließen, die der Gesetzgeber hinterlassen hat. Allein durch die Übertragung dieser Aufgabe auf die Rechtsprechung kann vermieden werden, dass die eigentlich dem Gesetzgeber gesteckten Grenzen bei der Einführung neuen Rechts missachtet werden. Richtigerweise kann die sofortige Anwendung neuer Gesetze verfassungsrechtlich also nur dann zulässig sein, wenn die Abwägung von individuellem Vertrauen und gesetzgeberischen Änderungsinteresse im Einzelfall ergibt, dass letzteres überwiegt.
3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Verfassungsrechtlich findet das Abwägungsgebot seine Grundlage im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Allein „das Rechtsstaatsgebot und das aus ihm folgende Prinzip der Beachtung des Vertrauensschutzes führt noch nicht in jedem Fall zu dem Ergebnis, daß jegliche einmal erworbene Position ungeachtet der wirklichen Rechtslage Bestand haben muß; es nötigt aber zu der an den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit im Einzelfall vorzunehmenden Prüfung, ob jeweils die Belange des Allgemeinwohls […] oder die Interessen des Einzelnen am Fortbestand der Rechtslage […] den Vorrang verdienen“188. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz legt dem staatlichen, die Freiheit begrenzenden Handeln einen konkreten Maßstab an und bietet für die Herstellung praktischer Konkordanz eine wichtige Orientie185 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 104. 186 Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, 42. 187 Diesen Gedanken ebenfalls formulierend Sieg, ZZP 65 (1952), 250 ff (263). 188 BVerfGE 59, 128 (166); siehe auch Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 132.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
rungshilfe189. Die Beeinträchtigung des einen Rechtsguts zugunsten des anderen darf nicht weiter gehen als es notwendig ist, um die Konkordanz beider Rechtsgüter herzustellen190. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet und ist als verfassungsrechtliches Prinzip allgemein anerkannt191. Ihm „kommt eine individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion zu“192. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt für jedes staatliches Handeln, so auch für richterliche Entscheidungen im Verwaltungsprozess193. Die rechtsprechende Gewalt hat ihn insbesondere in gesetzlich nicht abschließend geregelten Bereichen zu beachten194. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit enthält ein Gebot allgemeinen Maßhaltens, einer vernunftgemäßen Zweck-Mittel-Relation. Konkret wird verlangt, dass das eingesetzte staatliche Mittel zur Erreichung eines legitimen Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist195. In der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts bildet das Gebot der Angemessenheit das wichtigste Teilelement der Verhältnismäßigkeit196. Denn hierin findet das Erfordernis einer „Abwägung zwischen Gemeinwohlbelangen, zu deren Wahrnehmung es erforderlich ist, in Grundrechte einzugreifen und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter der davon Betroffenen“ seine verfassungsrechtlichen Wurzeln197. Dem folgend steht die sofortige Anwendung neuen Rechts unter dem Aspekt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur dann mit der Verfassung im Einklang, wenn die Beeinträchtigung der verfahrensrechtlichen Position des Bürgers und die damit einhergehende Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten Vertrauens mit dem konkreten Zweck der Gesetzesänderung in einem vernünftigen Verhältnis steht198.
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Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 106. 190 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 28. 191 BVerfGE 80, 109 (120); Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 80; Stern, Staatsrecht I, 861; Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 145 f., jeweils m.w.N. 192 BVerfGE 81, 310 (338); Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 80. 193 Stern, Staatsrecht I, 862, dem es klarer erscheint, anstelle vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vom Übermaßverbot zu sprechen, 861 f.; Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 148, (zur Terminologie siehe dort auch Rn. 145, Fn. 526); Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 81; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 8. 194 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 148. 195 Stern, Staatsrecht I, 866; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 107. 196 Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 86. 197 BVerfGE 92, 277 (327); Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 86; siehe zum Erfordernis der Abwägung bereits oben im Dritten Teil unter C. II. 2. d) und im Weiteren zur Angemessenheit im Sechsten Teil, B. I. 3. 198 Siehe zur konkreten Abwägung der Interessen, die in den vorliegenden – im Zweiten Teil aufgeführten – Beispielfällen aufeinander treffen, im Sechsten Teil.
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken
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4. Ergebnis Das Rechtsstaatsprinzip wirft unter den Aspekten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einige Fragen im Hinblick auf die Uneingeschränktheit der Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess auf. Diese bedürfen im Ergebnis der voran stehenden Überlegungen – über den Fall der Rechtsmittelsicherheit hinaus – einer einschränkenden Konkretisierung. Es ist denkbar und im weiteren Verlauf der Untersuchung noch zu überprüfen, dass Verfahrenspositionen – und zwar nicht nur die des Rechtsmittelführers – ein derart erhebliches Gewicht erlangen können, dass das dahinter stehende Interesse des Bürgers an der Entscheidung seines anhängigen Verfahrens noch nach altem Recht das öffentliche Interesse an der sofortigen Anwendung der gesetzlichen Neureglung überwiegen kann. Diese Einschätzung resultiert insbesondere aus Erwägungen zum verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz, der sich als eine zentrale Schranke der Grundsätze des intertemporalen Rechts herausstellt. Im Rahmen einer Interessenabwägung obliegt den Gerichten die Aufgabe, die gesetzgeberischen Versäumnisse und die dadurch entstehenden Lücken im Übergangsrecht in ihren Entscheidungen auszufüllen. Dabei ist die Rechtsprechung angehalten, nicht unreflektiert die Grundsätze des intertemporalen Rechts und damit sofort das neue Recht anzuwenden, sondern vielmehr die jeweilige Einzelfälle genau zu analysieren und die dort auftretenden Besonderheiten gemäß den Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in ihre Abwägung einzustellen. Die Berücksichtigung der privaten Abwägungsbelange hat zwar keine verfassungsrechtliche Prüfung und Beurteilung der geänderten Gesetze zur Folge. Jedoch können und müssen die Gerichte die Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs neuer Verfahrensnormen entscheiden. Dabei geht es um die konkrete Umsetzung der Gesetzesänderung und damit schließlich um eine angemessene Form der Überleitung vom alten zum neuen Recht.
III. Die Garantie effektiven Rechtsschutzes Die Anwendung für den Bürger nachteiliger neuer Rechtsnormen auf bereits anhängige Verfahren könnte unter Umständen dem bereits begangenen Rechtsweg seine Effektivität nehmen, so beispielsweise wenn im Nachhinein die Möglichkeit der Beschwerde wegfällt, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage oder etwa die Antragsbefugnis im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle199. Denn in solchen Fällen verliert der Rechtsbehelf des Rechtssuchenden womöglich seine nach altem Recht noch bestandenen Erfolgsaussichten. Der eingeschlagene Weg, der ersuchte Rechtsschutz könnte sich somit nachträglich als nutzlos darstellen. Zu prüfen ist daher, ob bei der Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG eine weitere verfassungsrechtliche Schranke zu beachten ist. 199 Siehe dazu die Darstellung der hier untersuchten Fälle im Zweiten Teil und zu den konkreten Nachteilen als Folge der Anwendung neuen Rechts im Fünften Teil, C. I.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
Die Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG erschöpft sich nicht nur allgemein darin, dem Bürger gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren. Der Rechtsschutz muss darüber hinaus auch möglichst lückenlos, umfassend und effektiv sein200. Diesem Erfordernis wird Genüge getan, wenn die gesetzliche Regelung beziehungsweise deren Anwendung garantiert, dass der Bürger mit seinem Anliegen in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht in einer Weise Gehör findet, welche die Feststellung und gegebenenfalls die Abwehr der Rechtsverletzung ermöglicht201. Dabei richtet sich dieses Gebot nicht nur an den Gesetzgeber, der die Verfahrensordnungen ausgestaltet, sondern auch an die sie anwendenden Gerichte202. Die Garantie effektiven Rechtsschutzes zielt auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle203. Die Anwendung des Verfahrensrechts durch die Gerichte darf den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nicht unterlaufen und ein verfassungsrechtlich gebotenes Mindestmaß an Individualrechtsschutz nicht unterschreiten204. Allein in der Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts liegt aber noch kein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Denn auch unter Berücksichtigung der Garantie effektiven Rechtsschutzes obliegt es dem Richter, im Rahmen seines Prüfungsauftrages zu entscheiden, welchem Recht er bei einer etwaigen Kollision zweier Normen den Vorrang gewährt205. Zwar muss der Richter das Ziel der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes auch bei der Auslegung zeitlich aufeinander treffender, prozessualer Vorschriften beachten. Dabei darf er den Prozessbeteiligten den Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren206. Jedoch kann gerade bei Anführung plausibler sachlicher Gründe seine Entscheidung beispielsweise auch dazu führen, dass ein bereits anhängiges und nach altem Recht zulässiges Verfahren mit Inkrafttreten neuen Rechts unzulässig wird. Das gilt insbesondere in den vorliegenden Fällen, in denen diese Entscheidung durch die „allgemein anerkannten“207 Grundsätze des intertemporalen Rechts unterlegt wird. Wenngleich die Anwendung dieser Grundsätze womöglich auch nicht im Einklang mit sonstigen Verfassungsprinzipien stehen mag, so schützt Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls nicht davor, dass 200 BVerfGE 49, 220 (225); 84, 34 (49); 104, 220 (231); Huber, in v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG I, Art. 19, Rn. 453. 201 Krüger/ Sachs, in Sachs, GG, Art. 19, Rn. 143. 202 BVerfGE 97, 298 (315); Krüger/ Sachs, in Sachs, GG, Art. 19, Rn. 143. 203 BVerfGE 35, 263 (274); 42, 128 (130); 101, 397 (407); 104, 220 (231); Krüger/ Sachs, in Sachs, GG, Art. 19, Rn. 143; Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 19, Rn. 455; letztere jeweils m.w.N. 204 Schulze-Fielitz, in Dreier, GG I, Art. 19 IV, Rn. 80, 84. 205 Vgl. Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 19 Rn. 502. 206 BVerfGE 74, 228 (234); 77, 275 (284); Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 19, Rn. 453; Schulze-Fielitz, in Dreier, GG I, Art. 19 IV, Rn. 84. 207 So beispielsweise BVerfGE 1, 4 (4); BVerwGE 66, 312 (314); Hessischer VGH (10. Senat, Beschluss vom 09. 11. 1990), NVwZ 1991, 290 (291); OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 (695); OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006.
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken
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das als verletzt gerügte Recht oder das ihm entgegenstehende öffentliche Interesse vom Gericht unzutreffend ausgelegt und dadurch der Rechtsschutz letztlich verkürzt wird208. Der Rechtsprechungsauftrag der Gerichte ist stets auch mit dem Risiko einer fehlerhaften Rechtsauslegung – und damit auch mit dem Risiko der fehlerhaften Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts – verbunden, das der Rechtssuchende als sozialadäquat hinzunehmen hat209. Die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts verstößt also nicht gegen die Garantie effektiven Rechtsschutz, die folglich auch keine verfassungsrechtliche Schranke derselben darstellt.
IV. Das Gebot des fairen gerichtlichen Verfahrens Ein weiterer zentraler, die Garantie des effektiven Rechtsschutzes ergänzender Verfassungsgrundsatz ist das Gebot des fairen Verfahrens als eigenständige und eine der wesentlichsten Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips210. Im Zusammenhang mit der Anwendung neuen Rechts auf bereits anhängige Verfahren ist insbesondere danach zu fragen, ob dieses Vorgehen auch dann der verfassungsrechtlichen Vorstellung eines fairen Verfahrens entspricht, wenn sich die neuen Prozessnormen zu Ungunsten des Rechtssuchenden auswirken und dessen Rechtsbehelf in der Folge möglicherweise seine Erfolgsaussichten einbüßt. Dies gilt vor allem in Anbetracht dessen, dass die Grundsätze des intertemporalen Rechts gesetzlich nicht geregelt sind und damit den Verfahrensbeteiligten ohne besondere Rechtskenntnisse in der Regel nicht bekannt sein dürften. Unter diesen Voraussetzungen könnte sich das Verfahren infolge eines Rückgriffs auf diese Grundsätze für den Beteiligten in unvorhersehbarer Weise und damit auch unfair im Sinne des Gebotes des fairen gerichtlichen Verfahrens entwickeln. Aus der Pflicht zur rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung ergibt sich das Erfordernis, dass Richter und Prozessbeteiligte unter gegenseitiger Rücksichtnahme zusammenwirken211. Daran würde es aber mangeln, wenn das Gericht beispielsweise nicht auf die Rechtsänderung beziehungsweise deren Auswirkung auf die Entscheidungsfindung hinweist, und den Prozessführenden in den Glauben lässt, berechtigterweise von der alten Rechtslage ausgehen zu dürfen. Das muss insbesondere dann gel-
208 BVerfGE 15, 275 (281); 61, 82 (110); 97, 298, (315 f.); Huber, in v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG I, Art. 19 Rn. 502; Schulze-Fielitz, in Dreier, GG I, Art. 19 IV, Rn. 116. 209 Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 19 Rn. 502. 210 BVerfGE 78, 123 (126); 91, 176 (181); 93, 99 (112 f.). Bedeutung erlangte dieses Gebot zunächst vor allem im Strafprozess, später auch verstärkt vor den Zivilgerichten. Aber auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren verlangt das umfassende Gebot des fairen Verfahrens Berücksichtigung, Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 31a; Sachs, ZRP 1982, 227 (229 f.); siehe zu diesem Gebot auch bereits oben im Dritten Teil unter A. II. 211 BVerfGE 78, 123 (127).
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
ten, wenn dieses richterliche Versäumnis zum Verlust eines Rechtsmittels führt212. Den Verwaltungsgerichten wäre es ohne weiteres möglich, den Rechtssuchenden generell darauf hinzuweisen, dass sie den Prozess unter Zugrundelegung einer neuen beziehungsweise geänderten Rechtsnorm entscheiden werden. Die sofortige Anwendung neuen Rechts unter Zugrundelegung der Grundsätze des intertemporalen Rechts ohne gründliche Abwägung der Interessen und angemessener Führung des Rechtssuchenden während des laufenden Verfahrens kann somit durchaus mit dem Erfordernis einer fairen Verfahrensgestaltung kollidieren. Das Gebot des fairen gerichtlichen Verfahrens stellt insoweit eine weitere verfassungsrechtliche Schranke dar213.
V. Der Gleichheitsgrundsatz Der nachträgliche Entzug einer Verfahrensposition, die für den Bürger mit einem nicht unerheblichen Vorteil verbunden war, könnte auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes problematisch sein. Denn jede Rechtsänderung führt zur Ungleichheit zwischen dem bisherigen und dem neu geregelten Anwendungsfall214. Der Rechtssuchende hat in der Regel nur wenig Einfluss darauf, wann das Gericht über seine Klage beziehungsweise Prozesshandlung entscheidet. Es erscheint unter diesem Aspekt zumindest fragwürdig, ihm eine Verfahrensposition zu entziehen, die bei anderen Antragstellern – bei Vorliegen der gleichen Voraussetzungen – einzig wegen einer zügigeren Bearbeitung durch das Gericht möglicherweise noch zu einem Verfahrenserfolg geführt hat215. Freilich kann der Gleichheitsgrundsatz nicht der Gesetzesänderung als solcher entgegenstehen. Denn in der parlamentarischen Demokratie ist der Gesetzgeber zur Änderung des Rechts befugt, gegebenenfalls auch angehalten216. Jedoch ist die Gleichmäßigkeit des Normvollzugs grund- und verfassungsrechtlich geboten217. In diesem Zusammenhang fragt es sich, inwieweit aus dem Gleichheitsgrundsatz auch ein Erfordernis nach Übergangsgerechtigkeit folgt218. Der Gesetzgeber könnte dieser Forderung mit dem Erlass umfassender Übergangsregeln nachkommen, die Rechtsprechung womöglich mit einer ausgewogenen Entscheidung für oder gegen
212 213 214
Vgl. BVerfGE 78, 123 (126). Siehe zu den Konsequenzen daraus näher im Siebten Teil, IV. Kirchhof, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht V, § 124, Rn. 138; Kloepfer, DÖV 1978, 225
(227). 215
Vgl. BVerwGE 106, 237 (239 f.). Kirchhof, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht V, § 124, Rn. 139; siehe dazu auch im Ersten Teil unter B. II. 217 Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177 (192); vgl. auch BVerwGE 81, 229 (236 f.). 218 Kloepfer, DÖV 1978, 225 (227). 216
C. Die verfassungsrechtlichen Schranken
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die sofortige Anwendung neuen Rechts unter Hinzuziehung der Maßstäbe des Art. 3 Abs.1 GG219. Doch auch bei Heranziehung dieser Maßstäbe, liegt in der Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts im Ergebnis kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Ein solcher läge in Konstellationen, in denen über ein anhängiges Verfahren anders als in gleichgelagerten Fällen entschieden wird, nur dann vor, wenn es sich dabei um eine willkürliche Entscheidung handeln würde220. Das ist aber jedenfalls dann nicht der Fall, wenn dieser Entscheidung „allgemein anerkannte“221 Grundsätze wie die des intertemporalen Rechts zugrunde gelegt werden. Willkür in diesem Sinne ist dann nicht erkennbar222. Der Gleichheitsgrundsatz kommt somit nicht als verfassungsrechtliche Schranke der Grundsätze des intertemporalen Rechts in Betracht.
VI. Ergebnis Die Grundsätze des intertemporalen Rechts finden ihre verfassungsrechtlichen Schranken in dem Gebot des fairen gerichtlichen Verfahrens und vor allem in dem Grundsatz des Vertrauensschutzes. Insbesondere der Vertrauensschutzgrundsatz zeigt der sofortigen Anwendung neuen Rechts dann verfassungsrechtliche Grenzen auf, wenn die dabei beeinträchtigte verfahrensrechtliche Stellung des Bürgers ein derart erhebliches Gewicht erlangt, dass das dahinter stehende Interesse an der Entscheidung seines anhängigen Verfahrens noch nach altem Recht das öffentliche Interesse an der sofortigen Anwendung der gesetzlichen Neureglung überwiegt. Es geht letztlich um den Schutz einer nach altem Recht bereits erlangten Rechtsposition. Der Faden dieser Problematik des intertemporalen Rechts zieht sich erkennbar durch die Geschichte bis zu heutigen Anwendungsschwierigkeiten in der Rechtsprechungspraxis. Was in dem Bestreben nach dem Erhalt „wohlerworbener“ Rechte seinen Ursprung fand, schlägt sich heute im Rechtsstaatsprinzip nieder – das Vertrauen des Normadressaten auf den Bestand beziehungsweise Fortbestand gesetzlicher Regelungen, die Hoffnung auf Rechtskontinuität. Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz stehen auf der Seite der Rechtsstabilität. Die Kontinuitätsgewähr zielt auf Beständigkeit und ist dabei objektiv ausgerich219
Siehe zur Problematik der Systemgerechtigkeit und einem daraus möglicherweise folgenden Auftrag an den Gesetzgeber zum Erlass von Übergangsvorschriften im Ersten Teil, B. IV. m.w.N. 220 Papier/Möller, AöR 122 (1997), 177 (192 f.), vgl. dort zur Problematik der uneinheitlichen Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Rechtssprechung. 221 So beispielsweise BVerfGE 1, 4 (4); BVerwGE 66, 312 (314); Hessischer VGH (10. Senat, Beschluss vom 09. 11. 1990), NVwZ 1991, 290 (291); OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 (695); OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006. 222 Vgl. allgemein zum Willkürverbot Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art 3, Rn. 37 ff.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
tet, während der Vertrauensschutz deren subjektive Entsprechung bildet. Da Kontinuität angesichts der historischen Bedingtheit des Rechts aber nicht absolut gewährt werden kann, kann das Interesse des Bürgers nur auf die so genannte „relative Kontinuitätsgewähr“ abzielen, die dem Fortschritt der Gesellschaft nicht entgegensteht, jedoch der stetigen Weiterentwicklung des Rechts die Vermeidung abrupter und unvermittelter Änderungen abverlangt223. Das Kontinuitätsgebot verhindert nicht den Wandel des Rechts. Es erfordert aber einen möglichst schonenden Übergang224. Die Folgen von Gesetzesänderungen müssen entsprechend abgemildert werden. Für die Praxis bedeutet das eine Berücksichtigung von altem bei der Schaffung beziehungsweise Anwendung von neuem Recht und damit eine Harmonisierung der zeitlichen Anwendungsbereiche225. Der Gesetzgeber kann diesem Auftrag mit der Schaffung von Übergangsvorschriften entsprechen, die Rechtsprechung mit einer ausgewogenen Entscheidung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Aspekte im Einzelfall. Vor diesem Hintergrund sind die Grundsätze des intertemporalen Rechts vor ihrer Anwendung stets zu hinterfragen, insbesondere daraufhin ob die jeweilige verfahrensrechtliche Position des Prozessbeteiligten nicht eine Ausnahme von deren Kernaussage der Sofortanwendung erfordert. Der Aspekt der Kontinuität stellt sich so gesehen als das Produkt verfassungsrechtlich gebotener Begrenzungen staatlichen Handelns dar, so etwa aus dem Rechtsstaatsprinzip im Allgemeinen und dem Vertrauensgrundsatz im Besonderen226. Dieses relative Kontinuitätsgebot ist allen staatlichen Gewalten aufgegeben, auch der Judikative227. Gegenüber dem Gesetzgeber und der Verwaltung ist der Rechtsprechung wesensbedingt eine größere Beweglichkeit zueigen, die ein immer wieder neues Überdenken und Überprüfen der in einem Urteil ausgesprochenen Grundsätze – also auch der des intertemporalen Rechts – erfordert228.
D. Individualrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht Für den Vergleich zu den deutschen Grundsätzen des intertemporalen Rechts ist vornehmlich die gemeinschaftsrechtliche Maxime der Sofortwirkung von besonde223
Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 1 f. Kloepfer, Vorwirkung, 194. 225 Vgl. Böckel, Einpassung neuen Rechts, 37. 226 Vgl. Böckel, Einpassung neuen Rechts, 36; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 107. 227 Kloepfer, Vorwirkung, 193 f. 228 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 17; Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, 29, auch Kloepfer, Vorwirkung, 195 ff. sowie DÖV 1978, 227 (232), der die Aufgabe der Rechtsprechung darüber hinaus nicht nur in einer vergangenheitsbezogenen, neurechtsschwächenden Kontinuitätswahrung, also in der Nachberücksichtigung von Altrecht sieht, sondern auch in der Vorberücksichtigung neuen Rechts noch vor dessen Inkrafttreten auf bestehende Rechtslagen. 224
D. Individualrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht
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rem Interesse229. Denn im deutschen Recht stellt sich der Grundsatz der Sofortwirkung beziehungsweise -anwendung ebenfalls als zentraler Grundsatz des intertemporalen Rechts dar, dem aus Sicht des Individualrechtsschutzes in erster Linie der Vertrauensschutz entgegensteht230.
I. Unterscheidung zwischen Rückwirkung und Sofortwirkung Weder in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen noch im völkerrechtlichen Schrifttum finden sich übereinstimmende Auffassungen zur Lösung der vorliegend aufgeworfenen übergangsrechtlichen Fragestellung. „Mitunter aus diesem Grunde wird die sofortige Anwendbarkeit gesetzesändernder Gemeinschaftsvorschriften auf die künftigen Wirkungen während der Geltung der früheren Rechtslage entstandener Sachverhalte oftmals unter Rückwirkungsgesichtspunkten diskutiert. Die Grenzziehungsproblematik zwischen Rückwirkung und sofortiger Gesetzesanwendung“ ist daher im Gemeinschaftsrecht – vergleichbar dem nationalen Verhältnis zwischen echter und unechter Rückwirkung – von besonderer Bedeutung231. Grundlegend für das Verständnis der im Gemeinschaftsrecht geltenden Rechtsanwendungsmaximen ist daher die in der Entscheidungspraxis des EuGH streng eingehaltene Unterscheidung zwischen Rückwirkung und Sofortwirkung eines Rechtsakts232. Danach hat die sofortige Anwendung einer neuen Vorschrift auf unter altem Recht entstandene und noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen „nichts mit einer Rückwirkung im eigentlichen Wortsinn zu tun“233 und verstößt somit „nicht gegen das Rückwirkungsverbot“234. Die Sofortwirkung setzt zeitlich nicht wie bei der Rückwirkung vor, sondern nach dem Inkrafttreten des entsprechenden Gemeinschaftsaktes an235.
229
Siehe dazu im Ersten Teil, G. I. Siehe zum Grundsatz der Sofortwirkung beziehungsweise -anwendung im Ersten Teil, G. I. und II. 231 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 94; siehe zum deutschen Recht nochmals im Ersten Teil, C. II. 2. und oben im Dritten Teil unter C. II. 2. a). 232 Siehe zu den Rechtsanwendungsmaximen nochmals im Ersten Teil, G. 233 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, zusammenfassend 320; Rechtssache 278/84 (Deutschland/Kommission), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1987, S. 47, Rd. 35. 234 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, zusammenfassend 320; Rechtssache 270/84 (Licata/Wirtschafts- und Sozialausschuß), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1986, S. 2318, Rd. 31. 235 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 105 f., zusammenfassend 320; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 109, 121. 230
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
II. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit als wesentliche Schranken der Sofortwirkung In erster Linie misst der EuGH die Rechtmäßigkeit des betreffenden Gemeinschaftsaktes im Hinblick auf die zeitliche Anwendbarkeit am Grundsatz des Vertrauensschutzes, im Lichte der Rechtssicherheit. Der Grundsatz der Rechtssicherheit bildet, ähnlich wie das die Rechtssicherheit umfassende Rechtsstaatsprinzip im deutschen Recht, also nicht nur die Grundlage der Rechtsanwendungsmaximen zum intertemporalen Recht, sondern auch den entscheidenden Ansatzpunkt für deren Rechtmäßigkeitskontrolle236. Ferner gelten der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Begründungsgebot sowie der Grundsatz der Wahrung wohlerworbener Rechte als Prüfungsmaßstäbe, wobei die letzten beiden Prinzipien ausschließlich nur vor rückwirkenden Eingriffen schützen237. Die Wahrung wohlerworbener Rechte zielt auf den Schutz bereits nach altem Recht erlangter Rechtspositionen und steht damit einer Rückwirkung entgegen. Soweit die Sofortwirkung allerdings „lediglich“ die künftigen Rechtsfolgen unter der bisherigen Rechtslage entstandener Rechtsverhältnisse regelt, führt dieser Grundsatz nicht zur Nicht-Anwendbarkeit des neuen Rechts. Denn es gibt kein wohlerworbenes Recht auf die Beibehaltung bestehender, aus einer bestimmten Normierungslage resultierender Vorteile238. Einer besonderen Begründungspflicht unterliegen ebenfalls nur rückwirkende Akte, deren – im Vergleich zur Sofortwirkung intensiverer – Eingriff in die Rechte des Bürgers eine über den Norminhalt hinausgehende Rechtfertigung erfordert239. Es ist festzuhalten, dass im Rahmen der Sofortwirkung vor allem der Vertrauensschutzgrundsatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Schranke für die unmittelbare Anwendung von Gemeinschaftsrechtsakten in Betracht kommen240. Vor diesem Hintergrund hat sich der EuGH schließlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob und unter welchen konkreten Bedingungen der EU-Bürger die mit einer Beeinträchtigung seiner Rechtsposition verbundene Sofortwirkung einer Neuregelung hinzunehmen
236
Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 23. Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, zusammenfassend 323 ff. 238 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 148 ff.; zusammenfassend 325 f. Von dem Vertrauensschutz ist der Grundsatz der Wahrung wohlerworbener Rechte deutlich zu unterscheiden. Denn der Vertrauensschutzgrundsatz erstreckt seinen Schutzzweck nicht nur auf die in der Vergangenheit rechtmäßig Erworbenes, sondern überdies auf Dispositionen, die auf der berechtigten Annahme beruhen, die rechtliche Ausgangslage werde künftig unverändert bleiben, 220. 239 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 144 ff.; zusammenfassend 326. 240 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, zusammenfassend 133, 326. 237
E. Zusammenfassung
149
hat241. Das ist im Allgemeinen stets dann der Fall, wenn dem privaten Vertrauensinteresse ein überwiegendes Gemeinschaftsinteresse entgegensteht242. Der EuGH tendiert häufig dazu, dem öffentlichen Interesse den Vorrang einzuräumen243. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass die Wahrung des Vertrauensschutzes generell unter einem „permanenten Gemeinwohlvorbehalt“ steht244. Steht dem Gemeinschaftsinteresse ein gewichtiger privater Belang entgegen, findet eine Abwägung gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz statt245. Wie auch im deutschen Recht steht damit die Gewährung von Vertrauensschutz und damit die Einschränkung der Sofortwirkung neuer Rechtssätze unter dem Vorbehalt einer Interessenabwägung246.
E. Zusammenfassung Das verfassungsrechtliche Grundproblem der vorliegenden Thematik liegt in der widersprüchlich Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts, darin, dass hinreichende Anhaltspunkte für eine einheitliche Entscheidungspraxis innerhalb der Verwaltungsrechtsprechung fehlen. Nur anhand eindeutiger Kriterien wird die Entscheidung über die Anwendung bereits neuen oder noch alten Rechts nachvollziehbar und überprüfbar. Das Problem, dass verschiedene Gerichte in gleichen Prozesslagen in unterschiedlicher Weise entscheiden und somit gegen das Erfordernis der Rechtssicherheit und das Gebot des fairen Verfahrens verstoßen, kann auf diese Weise eingedämmt werden. Einen Ausgangspunkt für die Aufstellung solcher Kriterien bilden sowohl die verfassungsrechtlichen Grundlagen als auch die aus der Verfassung abzuleitenden Grenzen der Grundsätze des intertemporalen Rechts. Die Grundsätze des intertemporalen Rechts finden ihren verfassungsrechtlichen Rückhalt vor allem im Rechtsstaatsprinzip. Gleichzeitig enthält dieses aber auch die wesentlichsten Schranken der sofortigen Anwendbarkeit neuen Rechts auf anhängige Rechtsverhältnisse. Die bislang einzig eindeutige und weitestgehend anerkannte Einschränkung erfahren die Grundsätze des intertemporalen Rechts durch den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit. Allerdings stellt das Bundesver241 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 105; Rechtssache 17/67 (Firma Max Neumann ./. Hauptzollamt Hof/Saale), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1967, S. 591 ff. 242 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 108 f.; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 122 f. 243 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 151; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 126; siehe dazu auch noch genauer im Sechsten Teil, D. I. 244 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 221, 193. 245 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 109. 246 Siehe dazu auch noch genauer im Sechsten Teil, D.
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
fassungsgericht auch bei der Heranziehung dieses Grundsatzes keine weitergehenden, klaren und allgemeingültigen Kriterien für die Beschränkung der sofortigen Anwendung neuen Prozessrechts auf247. Es begnügt sich allein mit der Feststellung, dass auch „verfahrensrechtliche Regelungen ihrer Bedeutung und ihres Gewichts wegen in gleichem Maße schutzwürdig sein [können] wie Positionen des materiellen Rechts“, so etwa im Falle eines anhängigen Rechtsmittels, das folglich in Ausnahme von den Grundsätze des intertemporalen Rechts keine nachträgliche Beschränkung durch neue Prozessvorschriften erfahren darf248. Dabei stützt es sich im Wesentlichen auf die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes249. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stimmt insoweit mit den in der zurückliegenden Prüfung gewonnenen Erkenntnissen überein, wonach der Vertrauensschutzgrundsatz eine wesentliche Schranke der Grundsätze des intertemporalen Rechts bildet. Dabei ist hervorzuheben, dass allein die Tatsache, dass eine Verfahrensposition beziehungsweise das Interesse an ihrer Aufrechterhaltung vom verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz erfasst wird, noch nicht der sofortigen Anwendung neuen Rechts entgegensteht. Denn dem privaten Interesse am vorübergehenden Fortbestand der alten Rechtslage steht in aller Regel das öffentliche Interesse an der unmittelbaren Umsetzung neuen Rechts entgegen. Erst wenn das Interesse des Prozessführenden das staatliche Interesse überwiegt, schränkt der Vertrauensschutzgrundsatz, zusammen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Grundsätze des intertemporalen Rechts beziehungsweise deren Anwendung ein. Das heißt, in der weiteren Untersuchung ist zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen die Verfahrensposition des von der Rechtsänderung Betroffenen den verfassungsrechtlichen Schutz des Vertrauensgrundsatzes genießt und wann das Interesse an ihrer Aufrechterhaltung überwiegt. Für letztere Frage bietet wiederum die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsmittelsicherheit Anhaltspunkte, soweit dieses auf das Gewicht als auch auf die Bedeutung der verfahrensrechtlichen Regelung und der dadurch gewährten Verfahrensposition abstellt. Diese beiden Komponenten bilden im Ergebnis wesentliche Stützpfeiler für die Abwägung der vorliegend aufeinander treffenden Interessen. Je höher beides einzuschätzen ist, desto eher überwiegt das Interesse des Bürgers an der noch vorübergehenden Anwendung alter Prozessregelungen. Offen bleibt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber, ob nur im Fall anhängiger Rechtsmittel beziehungsweise wann konkret das Gewicht und die Bedeutung einer Verfahrensposition so groß sind, dass sich daraus eine Einschränkung der sofortigen Anwendung neuer Prozessnormen ergibt. Streng dem Wortlaut folgend, ließe sich annehmen, dass diese Ausnahme von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts nur im Falle eines anhängigen Rechtsmittels zuzulassen sei. Dieser Schluss kann so jedoch nicht gezogen werden. Indem sich das Bundesverfassungs247 248 249
Vgl. BVerfGE 87, 48 (62 ff.); siehe auch oben im Dritten Teil unter C. I. BVerfGE 87, 48 (63 f.). (Hervorhebung durch d. Verf.). BVerfGE 87, 48 (63).
E. Zusammenfassung
151
gericht auf den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit stützt, gibt es lediglich zu erkennen, dass derjenige, der ein im Verwaltungsprozessrecht statthaftes und zulässiges Rechtsmittel einlegt, eine solch bedeutsame und gewichtige Stellung einnimmt, die bei der Frage nach der Anwendung neuen Prozessrechts zwingend zu berücksichtigen ist. Das schließt aber auf der anderen Seite freilich nicht aus, dass auch derjenige, der erstmalig vor Gericht einen zulässigen und statthaften Antrag stellt, eine in diesem Sinne ebenso bedeutsame und gewichtige Verfahrensposition erreichen kann250. Auch dem vor der ersten Instanz Rechtssuchenden stehen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zur Seite. Der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit stellt nur „eine Konkretisierung“ dieser beiden verfassungsrechtlichen Prinzipien dar251. Entscheidend ist also nicht, ob ein Rechtsmittelverfahren im engeren Sinne betrieben wird, sondern vielmehr ob der Prozessbeteiligte generell, wie es für den Rechtsmittelführer bejaht wurde, eine hinreichend bedeutungsvolle und gewichtige Verfahrensposition einnehmen kann, die ihm im nachhinein nicht mehr entzogen werden darf. Soweit das der Fall ist, muss die durch den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit vorgenommene Einschränkung der Grundsätze des intertemporalen Rechts auch für erstinstanzliche Gerichtsverfahren gelten252. Insoweit ist in diesem Zusammenhang der Begriff der „Rechtsmittelsicherheit“ irreführend. Denn es kann für die Frage der Anwendbarkeit neuen Rechts nicht allein darauf ankommen, ob ein anhängiges Rechtsmittel davon betroffen ist. Die „Rechtsmittelsicherheit“ – im engeren Sinn – ist eine, nicht aber die einzige mögliche Folge der Anwendung des allgemeinen Vertrauensgrundsatzes253. So gesehen ist kein Unterschied und damit kein Grund dafür zu erkennen, dass bereits erhobene Klagen im Gegensatz zu eingelegten Rechtsmitteln bei Inkrafttreten entsprechend neuen Rechts etwa als unzulässig abgewiesen werden müssten254. Denkbar ist überdies, dass bei möglicherweise weniger bedeutenden und gewichtigen Verfahrenpositionen andere Gesichtspunkte, wie etwa das Maß der konkreten Beeinträchtigung des bereits in Anspruch genommenen Rechtsschutzes dazu führen können, dass das verletzte Vertrauensinteresse als schwergewichtiger einzuschätzen ist als das staatliche Interesse an der sofortigen Anwendung der neuen Regelungen. Dem folgend liegt der Schwerpunkt der weiteren Untersuchung darin, das private Interesse des Prozessführenden und dessen verfassungsrechtlichen Rückhalt, vor allem also Aspekte des Vertrauensschutzes näher darzustellen. Im Lichte der Rechtssicherheit sind sodann praktisch verwertbare Kriterien zu entwickeln, anhand derer sich im Rahmen einer Abwägung feststellen lässt, wann eine verfahrensrechtliche Stellung ein solches Gewicht und eine solche Bedeutung erlangt, und wann die Inten250
Beckmann/Kleefisch, NVwZ 1997, 1193 (1195). BVerfGE 87, 47 (64); Beckmann/Kleefisch, NVwZ 1997, 1193 (1195). (Hervorhebung durch d. Verfasser). 252 BVerwGE 106, 237 (239); Beckmann/Kleefisch, NVwZ 1997, 1193 (1195); a.A. Schenke, VerwA 1999, 301 (306); Kopp/Schenke, VwGO (10. Auflage), § 47, Rn. 45 m.w.N. 253 BVerwGE 106, 237 (238 f.). 254 Vgl. Bayerischer VGH München (1. Senat, Urteil vom 19. 09. 1997), BayVBl 1998, 80. 251
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3. Teil: Verfassungsrechtliche Prüfung
sität deren Beeinträchtigung ein solches Maß annimmt, dass das private Interesse des Bürgers an ihrer Aufrechterhaltung durch die Anwendung alten Prozessrechts das öffentliche Interesse überwiegt und somit der Schutz der erlangten Verfahrensposition von Verfassungs wegen geboten ist.
Vierter Teil
Vertrauen im Verwaltungsprozess – das private Interesse des Prozessführenden an der Anwendung alten Prozessrechts Einhergehend mit dem materiellen Interesse an der Durchsetzung seines subjektiven Rechts hat der prozessführende Bürger auch ein besonderes Interesse daran, dass seine prozessualen Dispositionen nicht enttäuscht werden. Denn mit deren Hilfe nähert er sich der mit dem gerichtlichen Verfahren angestrebten Verwirklichung materiellen Rechts1. Dabei vertraut er sowohl in das zum Zeitpunkt der Vornahme seiner verfahrensrechtlichen Handlungen geltende Prozessrecht als auch in die dadurch gewährte konkrete verfahrensrechtliche Lage, in der er sich befindet. Wirkt der Gesetzgeber durch die Änderung verwaltungsrechtlicher Prozessnormen beziehungsweise der Rechtsanwender durch die sofortige Anwendung der neuen Vorschriften darauf ein, so ist daher in erster Linie der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab heranzuziehen2. Das der bestehenden Rechtslage entgegengebrachte Vertrauen des Bürgers muss allerdings auch schutzwürdig sein, um in den Genuss verfassungsrechtlichen Schutzes zu gelangen. Erst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist überdies in einem weiteren Schritt im Rahmen einer Abwägung zu prüfen, ob zwingende Gründe des Gemeinwohls der Durchsetzung des vom Vertrauensschutz erfassten privaten Interesses entgegenstehen3. Das wiederum hängt entscheidend von der Bedeutung und dem Gewicht der nach altem Recht erlangten Verfahrensposition des Prozessführenden ab, auf deren Erhalt sein Interesse gerichtet ist. Ausschlaggebend ist ebenso die Intensität der konkreten Beeinträchtigung des bereits in Anspruch genommenen Rechtsschutzes4. Demnach gilt es im Folgenden zunächst zu klären, unter welchen Voraussetzungen das Vertrauen des Prozessführenden und damit auch sein Interesse an dem Fortbestand der bisherigen gesetzlichen Regelungen schutzwürdig ist. 1
Siehe dazu näher im Fünften Teil, A. Siehe dazu im Dritten Teil, C. II. 2. und E. 3 Vgl. Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 20 f., 27, 51; vgl. auch Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 79; siehe zum Abwägungserfordernis auch bereits im Dritten Teil, C. II. 2. c) und d), C. II. 3. und zur Abwägung im Sechsten Teil. 4 Siehe insgesamt dazu im Fünften Teil. 2
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4. Teil: Vertrauen im Verwaltungsprozess
A. Schutzwürdigkeit des Vertrauens Das Vertrauen des Bürgers in eine nach altem Recht gewährte Verfahrensposition ist schutzwürdig, wenn sich das neue Gesetz belastend auf das private Interesse an der Rechtsverfolgung auswirkt und überdies die Voraussetzungen eines Vertrauenstatbestandes gegeben sind5.
I. Durch die Rechtsänderung hervorgerufene Belastung des Bürgers Verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz kommt dann nicht in Betracht, wenn die Rechtsänderung den Bürger nicht in seinen Interessen beeinträchtigt oder ihn sogar begünstigt6. Vorliegend ist die Belastung des Bürgers in der Verschlechterung seiner prozessrechtlichen Stellung zu sehen, wenn das den Rechtsstreit entscheidende Gericht in einem anhängigen Verfahren das Vorliegen einer bestimmten Sachurteilsvoraussetzung verneint. Ein zulässiges Rechtsmittel wird beispielsweise unzulässig; ein Rechtsbehelf verliert seine ursprünglich vorgesehene rechtliche Wirkung7. Die damit einhergehenden Schwierigkeiten, im Vergleich zur alten Rechtslage, materielles Recht im prozessrechtlichen Wege zu verwirklichen, wirkt sich somit belastend aus8.
II. Vertrauenstatbestand Schutzwürdiges Vertrauen setzt im Wesentlichen das Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes voraus, der darauf beruht, dass der Bürger in die Kontinuität der bestehenden Rechtslage Vertrauen investiert hat. Ein solcher Vertrauenstatbestand kann sich einerseits direkt aus den Grundrechten ergeben, die ihrerseits die Voraussetzungen für ein schutzwürdiges Vertrauen vorgeben. Andererseits – dazu subsidiär – kann das Vertrauen unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip resultieren9. Anders als die Grundrechtstatbestände trifft dieses allerdings keine konkrete Aussage über die erfassten Schutzgüter. Daher bedarf es in Fällen, in denen das beeinträchtigte Interesse keinen grundrechtlichen Schutz erfährt, besonderer Kriterien zur Feststellung des
5 Vgl. Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 20 f., 27, 51; vgl. auch Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 79. 6 Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 20. 7 Siehe dazu die Fallbeispiele im Zweiten Teil. 8 Zu der Intensität dieser Belastung, der den Rechtssuchenden konkret widerfahrenden Beeinträchtigung – in den im Zweiten Teil aufgeführten Fallbeispielen – siehe im Einzelnen unten im Fünften Teil unter C. 9 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 79; Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 44.
A. Schutzwürdigkeit des Vertrauens
155
Vertrauensschutzes10. Als Voraussetzungen in diesem Sinne gelten das Bestehen einer Vertrauensgrundlage, eine darauf beruhende Vertrauensbildung sowie eine daraus resultierende Vertrauensbetätigung11.
1. Grundrechtlicher Schutz verfahrensrechtlicher Positionen? Für den Fall, dass die verfahrensrechtliche Stellung eines vor den Verwaltungsgerichten Rechtssuchenden beziehungsweise dessen Vertrauen auf den Fortbestand der nach altem Recht begründeten Prozessrechtslage grundrechtlichen Schutz erfährt, wäre der staatliche Eingriff darin, in Form der Anwendung neuen Rechts, in erster Linie an den Vorgaben des betroffenen Grundrechts zu messen. Der Vertrauensschutz fände dann in den Grundrechten als speziellere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips seine Grundlage12. Vorliegend kommt durch die Neuregelung des Prozessrechts eine Beeinträchtigung des Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht. So erkennt das Bundesverfassungsgericht die individuelle Erwartungssicherheit, bezogen auf bestimmte prozessuale Positionen, als grundrechtliches Schutzgut im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG an13. Auch wenn die Bestimmungen der Neuregelung rein verfahrensrechtlicher Art sind, folgt daraus nicht schon ihre verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit. Eine hierbei erfolgte Missachtung des Vertrauensschutzes könnte den Prozessführenden demnach in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen14. Jedoch dient der Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG hierbei in erster Linie der verfassungsprozessualen Durchsetzung außergrundrechtlicher Verfassungsgrundsätze, zu denen – bei fehlender Beeinträchtigung spezieller Grundrechte – auch der im Rechtsstaatsprinzip verankerte Schutz des persönlichen Vertrauens zählt15. Art 2 Abs. 1 GG – und damit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von Eingriffen etwa in Art. 12 Abs. 1 GG16 oder Art. 14 Abs. 1 GG17 – eröffnet in seiner Funktion als Auffanggrundrecht dem Grund10
Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 79, der auf die uneinheitliche Verwendung des Begriffes des Vertrauenstatbestandes in Rechtsprechung und Literatur hinweist. 11 BVerwGE 68, 159 (164); Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 80; Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 27. 12 BVerfGE 45, 142 (168 f.); 97, 67 (79 f.); Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 44 ff. m.w.N. der Rechtsprechung; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 123, ebenfalls m.w.N. der Rechtsprechung. 13 BVerfGE 87, 48 (62); Sachs, JuS 1993, 685 (686), Stern, Staatsrecht III/1, 652 m.w.N. 14 BVerfGE 63, 343, (358). 15 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 53 ff. 16 BVerfGE 64, 72 (83 f.); 68, 272 (284); Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 44. 17 BVerfGE 36, 281 (293); 70, 101 (111 f.); 71, 1 (11 f.); Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 45 f. m.w.N.
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4. Teil: Vertrauen im Verwaltungsprozess
rechtsinhaber für den Fall einer Vertrauensbeeinträchtigung lediglich die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde18, gewährleistet aber keinen spezielleren Schutz des Vertrauens. Dementsprechend prüft auch das Bundesverfassungsgericht die Einwirkung neuer Prozessgesetze auf bestehende Verfahrenspositionen und in diesem Zusammenhang die Verletzung etwaigen Vertrauens nach wie vor an den Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips und nicht anhand des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG. Aber auch wenn man die Prüfung eines Eingriffs in eine verfahrensrechtliche Stellung am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG vornehmen wollte, würden sich keine Unterschiede ergeben. Denn deren Schwerpunkt läge auf der Verhältnismäßigkeitsprüfung als Schranken-Schranke19. Insoweit ist diese Prüfung nicht spezieller als diejenige, die am Maßstab des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgrundsatzes vorzunehmen ist. Denn in beiden Fällen kommt es letztlich auf eine Abwägung an20. Das oft beklagte Problem fehlender objektiver Kriterien des Vertrauensschutzes könnte hier also auch nicht durch den Zugriff auf die Schranken des betroffenen Grundrechts relativiert werden21. Art. 2 Abs. 1 GG setzt somit keine neuen Maßstäbe an neues, auf anhängige Prozesslagen einwirkendes Verfahrensrecht. Dieses muss sich an dem allgemeinen, im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Vertrauensgrundsatz messen lassen.
2. Vertrauensgrundlage Mangels eines spezielleren Grundrechtes ist danach zu fragen, worauf anstelle dessen das Vertrauen des Rechtssuchenden basiert. Vertrauen kann sich nur auf einer bestimmten rechtserheblichen Grundlage bilden. Erst durch die Schaffung einer Vertrauensgrundlage erweckt der Staat darauf basierende Erwartungen des Bürgers22. a) Gesetzliche Regelung nach bisheriger Rechtslage Kein schutzwürdiges Vertrauen läge vor, wenn das bisherige Recht keine Vertrauensgrundlage bieten würde. Als eine solche kommt in erster Linie eine gesetzliche Regelung in Betracht23. Der Bürger legt seinem rechtsrelevanten Handeln gewöhnlich die in der Rechtsordnung verankerten Normen zugrunde. Dabei erwartet er, dass die bestehenden Regelungen verbindlich sind und es auch für die Zukunft bleiben. Für den Grad der Schutzwürdigkeit ist allerdings wiederum die konkrete Ausgestaltung 18
Murswiek, in Sachs, GG, Art. 2, Rn. 137. BVerfGE 80, 137 (153); Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 2; Rn. 21. 20 Sommermann, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG II; Art. 20, Rn. 296; Jarass, in Jarass/ Pieroth, GG, Art. 2, Rn. 21; BVerfGE 7, 198 (220); 17, 306 (314); 95, 64 (86); 103, 21 (33); siehe dazu noch genauer im Sechsten Teil. 21 Vgl. Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 125. 22 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 80 f. 23 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 81. 19
A. Schutzwürdigkeit des Vertrauens
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der gesetzlichen Vorschriften entscheidend. Je nachdem, wie sehr die Vertrauensgrundlage den Bürger zu seinem Handeln veranlasst hat, wird das darauf basierende Vertrauen von unterschiedlichem Gewicht sein24. Vorliegend fragt sich vor allem, ob und inwieweit eine „bloße“ verfahrensrechtliche Regelung, die eine Änderung erfährt, überhaupt eine Grundlage für rechtsstaatlich geschütztes Vertrauen sein kann. b) Verfahrensrechtliche Regelung In einigen Entscheidungen der Verwaltungsrechtsprechung klingt an, dass die Anwendung neuen Rechts schon deswegen auf keine Bedenken stoße, weil die Rechtsänderung „lediglich“ eine nach altem Recht begründete verfahrensrechtliche Position betreffe25. Vor diesem Hintergrund soll an dieser Stelle erörtert werden, ob das darin investierte Vertrauen in seiner Schutzwürdigkeit tatsächlich etwa dem Vertrauen in eine materiell-rechtliche Position nachsteht. Das Vertrauen des Prozessbeteiligten begründet sich in den vorliegenden Fällen aus dessen Interesse am Fortbestand derjenigen Verfahrenregelungen, die bei Einleitung des Prozesses noch Anwendung fanden. Denn in der Regel liegen diese Regelungen den jeweiligen Dispositionen zugrunde, die der Rechtssuchende tätigt, und mit denen er das Ziel verfolgt, am Ende des Prozesses eine ihn begünstigende gerichtliche Entscheidung zu erwirken. Normen des Verfahrensrechts regeln die Voraussetzungen und Grenzen richterlichen Tätigwerdens. Bei der Interpretation und Anwendung verfahrensrechtlicher Bestimmungen gestaltet das Gericht, im Gegensatz zur Auslegung und Anwendung materiell-rechtlicher Vorschriften, das zwischen ihm als staatliche Institution und den Prozessparteien bestehende Rechtsverhältnis nach Maßgabe der jeweils geltenden Verfahrensordnung26. Die frühere Rechtssprechung war sich einig, dass neues Prozessrecht generell auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Verfahren angewendet werden durfte27. Das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand des Verfahrensrechts erfuhr demnach weniger Schutz als etwa im Vergleich das Vertrauen in die Dauerhaftigkeit materieller Rechtspositionen. Von dieser absoluten Auffassung wich das Bundesverfassungsgericht später jedoch ab, indem es einräumte, dass auch Verfahrensordnungen Vertrauenspositionen begründen können, insbesondere im Rahmen bereits an-
24 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 81 f.; siehe dazu noch genauer im Fünften Teil unter B. I. 1. 25 So z. B. OVG Rheinland-Pfalz (13. Senat, Beschluss vom 15. 11. 1990), NVwZ 1991, 293 (294); OVG Berlin (2. Senat, Urteil vom 28. 11. 1997), Az.: 2 A 7.94, JURIS, Rn. 32; VG Göttingen (3. Kammer, Beschluss vom 27. 08. 1997), NVwZ-RR 1999, 52; siehe dazu im Einzelnen die Darstellung im Zweiten Teil A. I. 26 Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, 39 f. 27 BVerfGE 11, 139 (146 f.); 24, 33 (55); 39, 156 (167).
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4. Teil: Vertrauen im Verwaltungsprozess
hängiger Verfahren oder gegebener Rechtslagen28. Demnach ist der Vertrauensschutz auch dann als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab gefordert, „wenn der Gesetzgeber […] auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage, in der der Bürger sich befindet, einwirkt. […] Im Bereich von […] Gerichtsverfahren können dem Bürger durch Änderungen der Verfahrensordnungen mit Wirkung für bereits anhängige Verfahren wesentliche Positionen für die aussichtsreiche Wahrung seiner Rechte verkürzt oder abgeschnitten werden“29. Zwar sei „das Vertrauen in den Fortbestand verfahrensrechtlicher Regelungen […] weniger geschützt als das Vertrauen in die Aufrechterhaltung materieller Rechtspositionen […]. Verfahrensrecht […] kann aber auch, zumal bei bereits anhängigen Verfahren, Rechtspositionen gewähren, die in ihrer Schutzwürdigkeit materiell-rechtlichen Gewährleistungen vergleichbar sind“30. Grundlage schutzwürdigen Vertrauens können dabei prinzipiell alle Sachurteilsvoraussetzungen sein, das heißt alle prozessrechtlichen Bedingungen, von denen es abhängt, dass das auf eine sachliche Entscheidung gerichtete Verfahren als solches zulässig ist31. Eine verfahrensrechtliche Neuregelung muss aus der alten Prozessrechtslage resultierende und „bereits verfestigte, schutzwürdige verfahrensrechtliche Rechtspositionen des Bürgers ebenso achten, wie eine materiellrechtliche Neuregelung entstandene materiellrechtliche Positionen nach Maßgabe vor allem der Grundrechte zu beachten hat“32. Da – wie gezeigt – Art. 2 Abs. 1 GG keine über das Rechtsstaatsprinzip hinausgehenden Maßgaben bereit hält, sind vor allem die sich daraus ergebenen Maßstäbe, speziell die des Vertrauensschutzgrundsatzes anzulegen. 3. Vertrauensbildung Der Vertrauensschutz setzt im Weiteren eine Vertrauensbildung voraus33. Es muss demgemäß eine gewisse Erwartungshaltung des Bürgers gegenüber dem Staat im Hinblick auf ein bestimmtes staatliches Verhalten erkennbar sein34. Dabei erfordert die Vertrauensbildung auch die Kenntnis der Vertrauensgrundlage seitens des Bürgers. Denn der Begriff des Vertrauens enthält ein intellektuelles Moment, und zwar das Kennen der Rechtslage, auf die es sich bezieht35. Dazu zählt neben der konkreten Prozessregelung unter Umständen auch die höchstrichterlich bestätigte Inter28
BVerfGE 63, 343 (359). BVerfGE 63, 343 (359). 30 BVerfGE 87, 48 (63 f.) unter Bezugnahme auf BVerfGE 63, 343 (359); ebenso BVerwGE 106, 237 (238). (Hervorhebung durch d. Verf.). 31 Vgl. Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, 44. 32 BVerfGE 63, 343 (360). 33 BVerwGE 68, 159 (164). 34 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 89 f. 35 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 91, der noch näher auf die Notwendigkeit dieses Erfordernisses eingeht; vgl. auch Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 124. 29
A. Schutzwürdigkeit des Vertrauens
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pretation der nachträglich geänderten Sachurteilsvoraussetzung36. Anderenfalls bestünde für den Bürger bereits bei richterlichen Abweichungen vom eigenen Verständnis prozessrechtlicher Normen die Möglichkeit, sich auf verletztes Vertrauen zu berufen. Um schutzwürdige Erwartungen in eine bestimmte gerichtliche Entscheidung rechtfertigen zu können, muss der Prozessbeteiligte vielmehr zu der objektiv erkennbaren Überzeugung gelangt sein, dass die angestrebte Rechtsverfolgung aufgrund der gegebenen rechtlichen Umstände, also auch in Anbetracht richterlicher Auslegung zulässig ist. Ein Hinweis auf die notwenige Kenntnis der Vertrauensgrundlage und die hauptsächlich darauf basierende Vertrauensbildung dürfte regelmäßig darin zu erblicken sein, dass der Rechtssuchende gemäß der entsprechenden Prozessnorm und der darin beschriebenen Sachurteilsvoraussetzungen in mit geltendem Recht übereinstimmender Weise bestimmte Dispositionen vornimmt37. 4. Disposition Der Vertrauensschutz setzt im Weiteren eine an der Vertrauensgrundlage ausgerichtete Vertrauensbetätigung voraus38. Schutzwürdig ist von Verfassungs wegen nur eine zur Erlangung der nunmehr gefährdeten Rechtsposition führende „Vertrauensinvestition“39. Erforderlich ist also eine durch das Vertrauen veranlasste Disposition des Betroffenen40. Daher ist Vertrauensschutz im Wesentlichen Dispositionsschutz41. Der Bürger kann sein Vertrauen in den Bestand der gesetzlichen Grundlage seines Handelns auf unterschiedliche Weise betätigen. Er kann verschiedene Dispositionen treffen, die eine rechtliche Änderung zu seinen Gunsten bewirken42. Dabei müssen diese Betätigungen auch rechtlich zulässig sein43. Ansonsten führt eine nachträgliche rechtliche Entwertung bislang erfolgter prozessualer Schritte nicht zu einer Belastung 36 Vgl. Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, 48 f., der näher auf das Vertrauen gegenüber der Rechtsprechung auf die höchstrichterliche Interpretation prozessrechtlicher Bestimmungen eingeht, 39 ff. 37 Vgl. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 92. 38 BVerwGE 68, 159 (164); BVerfGE 75, 246 (280); Vgl. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, der hierin keine notwenige Voraussetzung für die Gewährung von Vertrauensschutz sieht und den Gesichtspunkt der Disposition stattdessen als Abwägungsbelang berücksichtigt, 96 ff. m.w.N. für die hier dargestellte allgemeine Auffassung der Notwendigkeit einer Vertrauensbetätigung. 39 BVerfGE 75, 246 (280). 40 BVerwGE 68, 159 (164); Leisner, Festschrift Berber, 273 (296). 41 Kisker, VVDStRL 32 (1974), 149 (151 f.). 42 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 99. 43 Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, 48.
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4. Teil: Vertrauen im Verwaltungsprozess
des Bürgers, die wiederum Voraussetzung für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens ist. Vorliegend kommen als vertrauensschutzfähige Dispositionen sämtliche Prozesshandlungen in Betracht, unter denen die Klageerhebung die wohl bedeutsamste ist. Daneben ist an alle weiteren Erwirkungshandlungen zu denken, die Inhalt, Gegenstand und Wirkung der beantragten Sachentscheidung betreffen, also beispielsweise auch an die Einlegung einer Berufung, einer Beschwerde oder eines Widerspruchs44.
5. Exkurs: Vertrauen in die Kostensicherheit Außer, dass der Prozessführende Vertrauen in seine verfahrensrechtliche Stellung investiert, kommt es in Betracht, dass er darüber hinaus auch in die Kostensicherheit vertraut. Derjenige, der auf gerichtlichem Wege eine materiell-rechtliche Position durchsetzen will, nimmt dabei zugleich das Kostenrisiko auf sich. Zwar lassen sich die Kosten eines Prozesses nicht im Voraus summenmäßig errechnen45. Jedoch lässt sich das Prozesskostenrisiko in aller Regel kalkulieren. Eine solche Kalkulation kann aber dann ihre Grundlage verlieren, wenn entgegen der Erwartung des Prozessführenden das Verfahren statt nach altem Recht nunmehr nach neuem Recht und damit einhergehend zu seinem Ungunsten entschieden wird46. Allerdings ist diesbezüglich dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein Westfalen zuzustimmen, das ein etwaiges Vertrauen darin, nicht mit den Kosten des Verfahrens belastet zu werden, zutreffend als nicht schutzwürdig erachtet47. Denn das Kosteninteresse wird angemessen von den Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung zur Kostenverteilung erfasst. Erweist sich die anhängige Klage in Folge der gesetzlichen Neuregelung etwa als unzulässig, führt dies zur Erledigung des Rechtsstreits. In Konsequenz einer dieser Rechtslage Rechnung tragenden übereinstimmenden Erledigungserklärung ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes und damit auch der Erfolgsaussichten der Klage zu entscheiden. Auf diese Weise stellt sich das bei Klageeinreichung kalkulierte Prozesskostenrisiko wieder in vorgesehener Weise ein.
III. Ergebnis Das Vertrauen, das dadurch enttäuscht wird, dass sich eine bis zur Rechtsänderung zulässig und wirksam vorgenommene Prozesshandlung nunmehr als unzulässig beziehungsweise in ihrer Wirkung beschnitten herausstellt, ist unter den beschriebenen Voraussetzungen schutzwürdig. In Fällen, in denen sich im Laufe eines anhängigen Verfahrens das Prozessrecht ändert, basiert das Vertrauen des Bürgers auf einer bis 44 45 46 47
Vgl. Burmeister, Vertrauensschutz im Prozeßrecht, 45 f. Vgl. BVerfGE 11, 139 (147). Vgl. BVerfGE 87, 48 (64). OVG Nordrhein Westfalen, (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 (695).
B. Die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes
161
dahin bestehenden Verfahrensnorm, die die jeweiligen Voraussetzungen für die zulässige Wahrnehmung von Rechtsschutz gegenüber staatlichen belastenden Maßnahmen vorgibt. In der Vornahme der entsprechenden Prozesshandlung drückt sich das gebildete Vertrauen schließlich aus. Das bedeutet, das private Interesse an der Anwendung noch alten Rechts ist vom Grundsatz des Vertrauensschutzes erfasst.
B. Die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes im Gemeinschaftsrecht Eine Parallele zwischen deutschem und Gemeinschaftsrecht zeigt sich in der Annahme, dass aufgrund des Grundsatzes des Vertrauensschutzes eine Ausnahme von der Sofortwirkung gemacht werden kann. Der gemeinschaftsrechtliche Vertrauensschutzgrundsatz, der mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit in enger Verbindung steht, zählt zu den allgemeinen ungeschriebenen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts, worauf sich jede natürliche und juristische Person des Privatrechts gegenüber einer sie belastenden Rechtsänderung berufen kann48. Während der Grundsatz der Sofortwirkung eine Rechtsanwendungsmaxime dispositiven Charakters darstellt und demnach nur dann zur Anwendung gelangt, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber keinen entgegenstehenden Willen zum Ausdruck bringt, handelt es sich bei dem Grundsatz des Vertrauensschutzes um einen höherrangigen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der stets im Lichte vertragskonformer Auslegung zu beachten ist49. Entscheidend für den Schutz etwaigen Vertrauens ist aus Sicht des EuGH zunächst die Zeitspanne zwischen dem Erlass und dem Inkrafttreten der neuen Regelung. Soll der Rechtsakt nach nur kurzer Frist sofort in Kraft treten, könne dies nur dann geschehen, wenn die damit verbundene Benachteiligung günstiger Rechtspositionen nicht „grundlos“ erfolgt50. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass die übergangslose Anwendung belastender Rechtsakte auf unter Geltung der früheren Rechtslage entstandene und noch nicht abgeschlossene Rechtsverhältnisse ein legitimes Rechtssicherheitsbedürfnis verletze51. Wann „Grundlosigkeit“ in diesem Sinne vorliegt, wird in 48
Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 117; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 921; zu den unterschiedlichen Formulierungen, die der EuGH im Zusammenhang mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes verwendet, siehe bei Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 4. 49 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 126 f.; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 136 ff.; ders. auch zur Eigenschaft des Vertrauensschutzgrundsatzes als allgemeiner Rechtsgrundsatz, 6 ff. 50 Rechtssache 17/67 (Firma Max Neumann ./. Hauptzollamt Hof/Saale), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1967, S. 610 f.; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 105; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 136. 51 Rechtssache 17/67 (Firma Max Neumann ./. Hauptzollamt Hof/Saale), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1967, S. 610 f.; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 219.
162
4. Teil: Vertrauen im Verwaltungsprozess
späteren Entscheidungen durch die Heranziehung des Vertrauensschutzgedankens präzisiert52. Dabei konzentriert sich der EuGH verstärkt auf die Frage der Verlässlichkeit des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens. Die Annahme, dass die Gesetzeslage bis zum Abschluss seiner Disposition Bestand habe, soll dem EU-Bürger unter bestimmten Voraussetzungen einen gewissen Schutz zuteil werden lassen53. Wenngleich sich auf Grundlage der bisherigen gemeinschaftlichen Rechtsprechung nur schwer ein abschließender Katalog dieser Voraussetzungen aufstellen lässt54, können aus verschiedenen Urteilen des EuGH wenigstens jedoch vier wesentliche Kriterien des Vertrauensschutzes abgeleitet werden55. Ähnlich wie nach deutschem Recht wird demnach ein Vertrauenstatbestand, eine kausale Vertrauensbetätigung, die Schutzwürdigkeit des Vertrauens sowie die im Ergebnis eines Abwägungsvorganges gewonnene Feststellung vorausgesetzt, dass das Individualinteresse das öffentliche Interesse an der sofortigen Anwendung überwiegt.
I. Vertrauenstatbestand Grundlage für die Inanspruchnahme jedweden Vertrauensschutzes ist zunächst ein gefestigter Vertrauenstatbestand. Anknüpfungspunkt hierfür ist ein vertrauensbildendes Verhalten der Gemeinschaftsorgane. Die Maßnahmen, die hierunter fallen, können so vielfältig sein, wie es die Handlungsformen sind, die den Organen zur Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung stehen und mit denen sie dem Gemeinschaftsbürger gegenüber treten56. Ein berechtigtes Vertrauen darauf, dass die unter der Geltung alten Rechts erworbenen Vorteile dauerhaft oder wenigstens für eine gewisse Übergangszeit vorübergehend auch unter der Herrschaft des neuen Rechts Bestand haben würden, kann durch positives Handeln oder auch durch passives Unterlassen begründet werden57. So kann der Vertrauenstatbestand beispielsweise bereits durch den Erlass bestimmter Verfahrensregelungen eröffnet sein, auf die sich der EU-Bürger bei der Vornahme seiner Disposition verlässt58. Denkbar ist es auch, ein den Vertrauenstatbestand begründendes Unterlassen darin zu sehen, dass das Gericht es versäumt, 52 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 164; Rechtssache 74/74 (CNTA), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1975, S. 547 ff., Rd. 28 ff. 53 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 106. 54 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 922; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 167; ders. auch insgesamt zur Entwicklung der Beziehung zwischen Sofortwirkung und Vertrauensschutz, 160 ff. 55 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 167 f.; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 106; vgl. auch Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 922 ff. 56 Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 79. 57 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 169; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 106; siehe beispielhaft bei Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 80 ff. 58 Vgl. Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 170.
B. Die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes
163
einen Hinweis auf die neue, sich anbahnende Rechtslage zu geben, oder eine Behörde es verpasst, in der Rechtsmittelbelehrung darauf hinzuweisen.
II. Kausale Disposition Geschützt wird jedoch nicht das abstrakte Vertrauen auf Beibehaltung einer bestimmten Rechtslage. Vielmehr muss darüber hinaus auf Seiten des Bürgers eine durch das gutgläubige Vertrauen auf die Weitergeltung des bestehenden Rechtsrahmens bedingte, konkrete Vertrauensbetätigung vorliegen. Die durch die Gemeinschaftsordnung bis dahin gebotenen Möglichkeiten der Rechtswahrnehmung müssen in Anspruch genommen worden sein59. Und zwar gerade wegen der vertrauensbegründenden Maßnahme der Gemeinschaft. Hier fordert der EuGH einen Kausalzusammenhang zwischen Disposition und Vertrauen auf den Fortbestand der alten Regelung60. Auf das Verfahrensrecht angewendet wäre diese Voraussetzung erfüllt, wenn der EU-Bürger eine Prozesshandlung in gutgläubigem Vertrauen auf die Weitergeltung des normativen Bezugsrahmens vornimmt, der unterdessen aber für die Zukunft neu geregelt wird.
III. Schutzwürdigkeit des Vertrauens Der EU-Bürger kann sich nur dann auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen, wenn sein Vertrauen auch schutzwürdig ist. Schützwürdig ist sein Vertrauen, wenn sein Rechtskreis von einer belastenden Rechtsänderung berührt wird, die er zur Zeit seiner Dispositionsentscheidung vernünftigerweise nicht hätte vorhersehen können61. Überdies erfordert der gemeinschaftsrechtliche Vertrauensschutz, dass dem Betroffenen ein aus der neuen Rechtslage kausaler Nachteil – ein Vertrauensschaden – widerfährt62. 1. Vorhersehbarkeit Für die Frage der Vorhersehbarkeit einer sich nachteilig auswirkenden Rechtsänderung kommt es entscheidend auf die Berechtigung des Vertrauens auf die unveränderte Aufrechterhaltung der normativen Rahmenbedingungen unter Berücksichtigung aller rechtlichen und faktischen Gegebenheiten an. In der Rechtssprechung 59 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 173; Rechtssache 120/86 (Mulder), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1988, S. 2352, Rn. 24. 60 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 173 f.; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 97 f. 61 Rechtssache 97/76 (Merkur), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1977, S. 1078, Rn. 9; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 175. 62 verbundene Rechtssache 424 und 425/85 (Frico), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1987, S. 2795, Rn. 34; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 174 f.
164
4. Teil: Vertrauen im Verwaltungsprozess
des EuGH erweist sich die Vorhersehbarkeit als das wichtigste Kriterium bei der Ermittlung schutzwürdigen Vertrauens. Es geht dabei um die Frage, ob und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt der Betroffene mit einer Änderung der rechtlichen Lage rechnen musste63. Im deutschen Recht kommt es auf die Vorhersehbarkeit einer Rechtsänderung unter dem Gesichtspunkt der Gewichtung schutzwürdigen Vertrauens an. Das berechtigte Interesse an der Wahrung schutzwürdigen Vertrauens wird im Rahmen einer Abwägung dem öffentlichen Interesse an der Anwendung neuen Rechts gegenübergestellt. Für das Ergebnis der Abwägung ist das Gewicht des privaten Vertrauensinteresses mit entscheidend und in diesem Zusammenhang sodann die Vorhersehbarkeit der Neugestaltung der rechtlichen Lage. Aufgrund dessen soll auch erst an späterer Stelle dieser Untersuchung auf dieses Kriterium, auch unter gemeinschaftsrechtlichen Blickwinkel, näher eingegangen werden64. 2. Kausaler Schaden Das Vertrauen bedarf zudem nur dann eines Schutzes, wenn dem Betroffenen überhaupt aufgrund der geänderten Vorschrift ein kausaler Vertrauensschaden entstanden ist65. Diese Voraussetzung des Vertrauensschutzes steht in engem Zusammenhang mit der Vorhersehbarkeit der Rechtsänderungen. Denn soweit der mit der Neuregelung einhergehende Nachteil vorhersehbar ist, kann es dem Bürger unter Umständen auch zuzumuten sein, diesen abzuwenden und damit einen Schadenseintritt zu verhindern66.
IV. Ergebnis Stellt sich anhand der vorgenannten Faktoren heraus, dass die Rechtsänderung nicht vorhersehbar und die Ursache für einen Vertrauensschaden war, ist das in den unveränderten Fortbestand der Norm gesetzte Vertrauen nach gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben schutzwürdig. Das allein hindert den Rechtsanwender der Gemeinschaft allerdings noch nicht daran, neues Gemeinschaftsrecht sofort anzuwenden. Vielmehr bedarf es in einem weiteren Schritt – ebenso wie im deutschen Recht – einer Abwägung zwischen den gegenläufigen Individual- und Gemeinschaftsinteressen67.
63
Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 100 f. Siehe im Fünften Teil, B. I. 2. c). 65 verbundene Rechtssache 424 und 425/85 (Frico), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1987, S. 2795, Rn. 34; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 174 f. 66 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 178. 67 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 221. 64
C. Zusammenfassung
165
C. Zusammenfassung Liegt schutzwürdiges Vertrauen vor, ist in einem nächsten Schritt das verfassungsrechtlich geschützte Interesse an der Anwendung alten Prozessrechts in die vom Rechtsstaatsprinzip geforderte Abwägung einzustellen, um im Sinne praktischer Konkordanz einen angemessenen Ausgleich zu dem staatlichen Interesse an der sofortigen Anwendung der neuen Regelungen zu finden68. Überwiegt das vom Vertrauensschutz erfasste Interesse des Prozesssuchenden, müssen die Grundsätze des intertemporalen Rechts – wie beispielsweise durch den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit – eine Einschränkung erfahren. Entscheidend ist dabei zum einen die Frage, welche Bedeutung und welches Gewicht der betroffenen Verfahrensposition zukommt, und zum anderen ob gegebenenfalls weitere Kriterien für die Abwägung maßgeblich sind69.
68
Siehe dazu im Dritten Teil, C. II. 2. c) und d). Siehe zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit und zur Einschränkbarkeit der Grundsätze des intertemporalen Rechts bereits im Dritten Teil, C. I. und E. 69
Fünfter Teil
Gewichtung des in die Abwägung einzustellenden privaten Interesses Das Gebot der Rechtssicherheit fordert klare Kriterien, an denen sich die richterliche Entscheidung orientieren und im Nachhinein nachvollziehen lassen kann1. Das betrifft in erster Linie Kriterien für die Abwägung, auf die es in Fällen wie den vorliegenden hinausläuft, soweit ein schutzwürdiges, vom verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz erfasstes privates Interesse auf ein entgegenstehendes staatliches Interesse trifft, das ebenfalls von Verfassungsrang ist. In seiner Entscheidung zur Rechtsmittelsicherheit stellt das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung und das Gewicht der betroffenen Verfahrensposition des Bürgers ab2. Darüber hinaus ist in Erwägung zu ziehen, dass sich die konkrete Beeinträchtigung des Rechtsschutzes, die dem Prozessführenden infolge der Anwendung neuen Rechts bevorsteht, auf die Gewichtung des in die Abwägung einzustellenden Vertrauensinteresses auswirkt3.
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition Die Bedeutung der einzelnen verwaltungsprozessualen Verfahrensnormen und der danach erlangten Verfahrenspositionen steht in engem Zusammenhang mit der besonderen Charakteristik des Verwaltungsprozesses.
I. Die Charakteristik des Verwaltungsprozesses Die Besonderheit des Verwaltungsprozessrechts im Hinblick darauf, dass der Bürger regelmäßig gegen einen hoheitlich gesetzten Akt vorgeht, ist für die Frage der Anwendbarkeit neuer Prozessnormen auf bereits anhängige Verfahren von zentraler Bedeutung. Daher ist im Vorfeld konkreter Überlegungen zu einzelnen Verfahrenspositionen zunächst auf die Charakteristik des Verwaltungsprozesses einzugehen. Nur 1
Siehe dazu bereits im Dritten Teil, A. und E. BVerfGE 87, 48 (63 ff.); siehe dazu bereits im Zweiten Teil, A. I. 1. c) und im Dritten Teil, C. I. und E. 3 Vgl. Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 137. 2
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition
167
wenn dessen allgemeine Bedeutung richtig eingeschätzt wird, kann der durch das neue Recht bedrohten individuellen Verfahrensposition ein angemessener Schutz gewährleistet werden. 1. Überblick über die historische Entwicklung des Verwaltungsprozessrechts Der Verwaltungsprozess findet seine rechtlichen Grundlagen in der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. 01. 19604. Die in der VwGO umfassend geregelte Verwaltungsgerichtsbarkeit ist der historische Kompromiss einer 150jährigen Entwicklung. Als Ergebnis gewährt das verwaltungsgerichtliche Verfahren in seiner heutigen Gestalt eine unabhängige gerichtliche Kontrolle öffentlicher Gewalt durch eine eigene Gerichtsbarkeit, die den Bürger vor einer möglichen Verletzung subjektiver Rechte schützt5. Der Gang dieser Entwicklung ist prägend für die heutige Bedeutung und die Besonderheiten des Verwaltungsprozessrechts6. a) Die Entstehung der Verwaltungsgerichtsbarkeit In den Anfängen des neuzeitlichen Gesetzesstaates wurden gesetzlich begründete Rechte des Bürgers ursprünglich nicht nach ihrer privat- oder öffentlich-rechtlichen Natur unterschieden7. Soweit dem einzelnen Privaten gegenüber der staatlichen Obrigkeit gesetzlich vermittelte Befugnisse zustanden, wurde Rechtsschutz durch die Zivilgerichte gewährt8. Vorgänger der heutigen Verwaltungsgerichtsbarkeit finden sich erst im 19. Jahrhundert. Allerdings erfolgte die Verwaltungskontrolle zum Schutz gegen Rechtsverletzungen zunächst nur verwaltungsintern, durch die Verwaltung selbst. Damit fand zwar erstmalig eine Verlagerung von den ordentlichen Gerichten auf selbstständige verwaltungsrechtsnahe Entscheidungsträger statt. Ein echter rechtsstaatlicher – gerichtlicher – Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen wurde damit aber noch nicht begründet9. 4 BGBl. I, S. 17 und 44. Neugefasst durch Bekanntgabe vom 19. 03. 1991, BGBl. I, S. 686; zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. 12. 2006 (Art. 3); BGBl. I, S. 3316. 5 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 1; Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 1. 6 Die folgende knappe Darstellung der historischen Wurzeln ist daher unerlässlich. Einen Überblick über die Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt auch Menger, DÖV 1963, 726 ff. m.w.N. 7 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 37; siehe zum Beispiel das Preußische Allgemeine Landrecht, dazu im Ersten Teil, F. I. 1. a). 8 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 1. Einen Überblick über den Verwaltungsrechtsschutz im 19. Jahrhundert vor der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt auch Rüfner, DÖV 1963, 719 ff. m.w.N. 9 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 2; zur Kameral- und Administrativjustiz auch Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 2 ff.
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde jedoch die Forderung nach einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit zunehmend stärker. Verfechter eines liberalen Rechtsstaates hielten die behördeninterne Kontrolle für unvollkommen und forderten eine unabhängige gerichtliche Überprüfung behördlichen Handelns10. Dem folgend formulierte die Paulskirchenverfassung aus dem Jahr 1849, dass die Kontrolle der Verwaltung den Gerichten obliegen solle11. Ziel dieser Regelung war es, Rechtsschutz durch gerichtliche Instanzen zu gewährleisten. Ob dieser Rechtsschutz durch neu einzurichtende Verwaltungsgerichte oder durch die vorhandenen Zivilgerichte gewährt werden sollte, ließ die Paulskirchenverfassung offen12. Auch nach dem Scheitern der Paulskirchenversammlung blieb das Bestreben nach gerichtlicher Kontrolle bestehen. Allerdings herrschte in Kreisen von Rechtslehrern und Praktikern Uneinigkeit darüber, ob die öffentliche Verwaltung von der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder einer unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu kontrollieren sei13. Bähr strebte in erster Linie den Schutz der individuellen Rechtssphäre an14. Denn auch das öffentliche Recht gewähre wie das Zivilrecht subjektive Rechte im Sinne der allgemeinen Rechtslehre. Der Frage, welchem Gericht der Schutz der subjektiven Rechte anvertraut werden sollte, maß er hingegen nur eine untergeordnete Bedeutung bei. Eine klare Grenzziehung zwischen der Rechtsprechung auf dem Gebiet des öffentlichen und des Privatrechts schätzte er als nur schwer vollziehbar ein. Einer Kontrolle durch die ordentliche Gerichtsbarkeit versperrte er sich grundsätzlich nicht15. Andere Stimmen forderten eine strikte Trennung von Staat und Gesellschaft und forderten eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit. So erachtete beispielsweise v. Gneist, dem es weniger um den Schutz subjektiver Rechte und Interessen ging als um eine objektive Rechtskontrolle am Maßstab des öffentlichen Rechts, die ordentlichen Gerichte als bürgerliche Gerichte nicht geeignet, öffentliches Recht anzuwenden und die Verwaltung zu kontrollieren16. Mit seinen Überlegungen setzte sich v. Gneist insoweit durch. Die Konsequenz war eine eigenständige Verwaltungsgerichtsbarkeit, vor der sich der Staat für sein hoheitliches Handeln, wie der Bürger vor den ordentlichen Gerichten zu verantworten hatte17. Die Errichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit gestaltete sich jedoch in den einzelnen Ländern in unterschiedlicher Weise18. Als erstes Land richtete Baden im Jahr 10
Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 41. § 182 Abs. 1 der Paulskirchenverfassung vom 28. 03. 1849: „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte“. 12 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 41. 13 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 5 ff.; Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 3. 14 Bähr, Rechtsstaat, 45 ff . 15 Bähr, Rechtsstaat, 71 f. 16 v. Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte, 270 ff. 17 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 9. 18 Einen Überblick über diese Entwicklung geben Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 9 ff. und Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 4 ff. m.w.N. 11
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition
169
1863 einen Verwaltungsgerichtshof als ein von der Verwaltung getrenntes Gericht ein19. Bis zum Ende des Jahrhunderts verfügten fast alle Länder über eigenständige, unabhängige Verwaltungsgerichte20. Den vorläufigen Abschluss bildete Sachsen im Jahr 190121. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit war anfangs aber noch keineswegs umfassend, denn sie blieb zunächst nur auf die Mittelinstanz beschränkt. Auf unterer Ebene verblieb es bei der Eigenkontrolle durch die Verwaltung. Die Forderung nach einer höchstrichterlichen Kontrolle auf Ebene des Reichsgerichts konnte sich nicht durchsetzen22. b) Eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrollumfang Die Verwaltungsgerichte der einzelnen Länder unterschieden sich anfangs in dem voneinander abweichenden und in verschiedener Weise eingeschränkten Kontrollumfang. Die im ausgehenden 19. Jahrhundert eingeführte Verwaltungsgerichtsbarkeit gewährte noch keinen umfassenden Rechtsschutz23. Bei der Festlegung ihrer Aufgaben stand in Diskussion, inwieweit die Verwaltungsgerichtsbarkeit dem Schutz subjektiver Rechte und Interessen dienen soll oder ob ihre Aufgabe allein in der objektiven Rechtskontrolle liegt. So sah das preußische System die Verwaltungsgerichtsbarkeit als Fortsetzung der Verwaltung, nur mit anderen, nämlich gerichtlichen Mitteln, die sich – dem Konzept v. Gneists folgend – in ihrer organisatorischen Stellung wesentlich von der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterschied und eine objektive Kontrolle – in erster Linie bestimmter Polizeiverfügungen – bezweckte24. Anders sah man die Aufgabe der Verwaltungsgerichte hingegen im süddeutschen Raum, der von Anfang an auch auf den Schutz der Individualrechte setzte25. Diese Sichtweise entsprach wiederum den Vorstellungen Bährs, dass der Weg zu den Verwaltungsgerichten nur mit einer behaupteten oder gar schlüssig vorgetragenen Verletzung subjektiver Rechte begangen werden könne26. Der Zugang zu den Verwaltungsgerichten unterlag darüber hinaus weiteren Einschränkungen. So galt in fast allen Ländern ein striktes Enumerationsprinzip. Mit einem Katalog von Zuständigkeiten wurde der Verwaltungsrechtsschutz auf be-
19
Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 9. Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 44. 21 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 6. 22 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 10 f. 23 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 45. 24 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 4; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 14. 25 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 5; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 14. 26 Bähr, Rechtsstaat, 45 ff., 65 f.; genauer zu den Unterschieden in der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Länder: Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 12 ff.; Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 7. 20
170
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
stimmte Entscheidungsformen, zumeist auf die des belastenden Verwaltungsakts beschränkt27. Schwierigkeiten bildete in diesem Zusammenhang auch das Problem der Ermessenskontrolle, das ursprünglich den Zugang zur Verwaltungsgerichtsbarkeit betraf. Das Ermessen der Verwaltung fiel in einen Vorbehaltsbereich der Exekutive gegenüber der gesetzlichen Bindung und auch gegenüber der gerichtlichen Kontrolle28. Der Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterlag in den Ländern also zunächst mehreren Einschränkungen und nahm erst mit den Jahren ihrer Existenz allmählich zu. c) Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten der VwGO Trotz verfassungsrechtlichen Auftrages in Art. 107 der Weimarer Reichsverfassung29, in dessen Folge auch die restlichen Länder Verwaltungsgerichte einführten, blieb die Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgrund großer Unterschiede zwischen den Ländern während der gesamten Zeit der Weimarer Republik vielgestaltig, spezialisiert und begrenzt30. Ursächlich für das Versäumnis, einen flächendeckenden Verwaltungsrechtsschutz zu etablieren, waren die unterschiedlichen Traditionen und das Beharrungsvermögen der Länder, die vorhandenen Rechtsschutzsysteme beizubehalten. Ein weiterer Grund lag aber auch in der Verwaltung selbst, deren Aufgaben einen immensen Zuwachs erfuhren. So sah sich das Bestreben, eine einheitliche und mit mehr Befugnissen ausgestattete Verwaltungsgerichtsbarkeit zu errichten, der Befürchtung ausgesetzt, lähmend auf die Effizienz der Verwaltung einzuwirken31. Ein Konsens konnte erst nach 1945 erzielt werden. In der Zeit zwischen 1933 und 1945 erfolgten an der bestehenden Verwaltungsgerichtsbarkeit keine formalen Änderungen. Angesichts der politischen Gegebenheiten erfuhr der bis dahin gewährte Individualrechtsschutz jedoch erhebliche Einschränkungen32. Nach 1945 kam der Wille zur Errichtung einer vollumfänglichen Verwaltungsgerichtsbarkeit bereits in den ersten Landesverfassungen zum Ausdruck33. Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes wurde schließlich der Grundstein für eine unabhängige bundeseinheitliche Verwaltungsgerichtsbarkeit gelegt. Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet generell den Rechtsweg für den Fall, dass jemand durch die öffentliche Gewalt in sei27
Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 12; Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 45. 28 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 15. 29 Art. 107 WRV: „Im Reiche und in den Ländern müssen nach Maßgabe der Gesetze Verwaltungsgerichte zum Schutze der einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen“. 30 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 10. 31 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 17 f. 32 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 19; Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 11 ff. 33 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 51 ff.
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition
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nen Rechten verletzt wird. Der ordentliche Rechtsweg ist nach Art 19 Abs. 4 S. 2 GG – subsidiär – dann zu beschreiten, wenn eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist. Eine solche Zuständigkeit weißt das Grundgesetz den Verwaltungsgerichten in Art. 95 GG zu. Dem gemäß schloss das in Art. 19 Abs. 4 GG festgeschriebene Grundrecht auf Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt eine Begrenzung auf eine verwaltungsinterne Kontrolle und auch das Enumerationspinzip von nun an aus34. Dennoch galten in den Ländern die Verwaltungsgerichtsgesetze zunächst noch fort. In Rheinland-Pfalz, Berlin, dem Saarland und in Baden-Württemberg wurden bis 1958 sogar noch Landesgesetze erlassen35. Erst im Jahr 1960 nahm der Bund seine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz wahr und erließ die VwGO, mit der erstmals der dreistufige Gerichtsaufbau, der subjektive Rechtsschutz und die Absage an das Enumerationsprinzip einheitlich geregelt wurden36. In § 1 der VwGO wird ausdrücklich klargestellt, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit durch unabhängige, von den Verwaltungsbehörden getrennte Gerichte ausgeübt wird. Die VwGO kann insofern als Ergebnis der historischen Entwicklung gelten37. Seither erfuhr die VwGO, insbesondere aufgrund von Forderungen nach Entlastung und Beschleunigung, zum Teil zwar noch nachhaltige Reformen. Dessen ungeachtet konnte sich das Regelwerk aber insgesamt als gelungene Kodifikation herausstellen38. 2. Die Besonderheiten des Verwaltungsprozesses Besonderheiten weist das verwaltungsgerichtliche Verfahren insbesondere im Vergleich zum Verfahren vor den ordentlichen Gerichten auf. Gerade die dabei zutage tretenden Unterschiede können womöglich einer „bloßen“ Übernahme der einst für das Zivilrecht entwickelten Grundsätze des intertemporalen Rechts, deren gewohnheitsmäßigen Anwendung im Verwaltungsprozess entgegenstehen. a) Der Vergleich zur ordentlichen Gerichtsbarkeit Im Vergleich zu anderen Prozessordnungen steht das Verwaltungsprozessrecht mit dem ihm zugrunde liegenden materiellen Verwaltungsrecht in einer besonderen Beziehung. Erkennbar wird dies an verschiedenen Schnittstellen zwischen dem materiellen und dem prozessualen Recht, wie etwa dem verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren, der Ermessensüberprüfung oder dem Erfordernis der Klagebefugnis39. Anders als der Zivil- oder auch der Strafprozess knüpft der Verwaltungsprozess regel34
Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 21. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 18. 36 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 22. 37 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 19. 38 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 24 ff. und 3 Rn. 5; Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 2, Rn. 20 ff.; Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 57 ff. 39 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 5. 35
172
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
mäßig an eine zwischen Staat und Bürger bereits bestehende materiell-rechtliche Rechtsbeziehung an. Das Gericht unterzieht regelmäßig ein vorausgegangenes behördliches Handeln einer nachvollziehenden Prüfung und beurteilt dessen Rechtmäßigkeit. Insoweit kann im Verwaltungsprozess eine gerichtliche „Fortführung der Verwaltung mit anderen Mitteln“ gesehen werden40. Eine eigenständige inhaltliche Sachentscheidung trifft das Verwaltungsgericht dabei aber nicht41. Neben historischen Gründen liegt eine wesentliche Ursache für diesen Unterschied zur ordentlichen Gerichtsbarkeit in der besonderen Struktur des der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses42. Charakteristisch ist hierbei vor allem das materiell-rechtliche Subordinationsverhältnis zwischen dem staatlich handelnden Hoheitsträger einerseits und der davon betroffenen Privatperson andererseits. Die Parteien des Verwaltungsprozesses sehen sich in der Regel nicht einem gleich geordneten Partner gegenüber43. Einseitigen Maßnahmen des Hoheitsträgers kommt, so in Form eines Verwaltungsaktes, rechtsgestaltende Wirkung zu, die lediglich unter dem Vorbehalt nachträglicher gerichtlicher Überprüfung im Verwaltungsprozess steht. Der Staat kann also die ihm gegenüber dem Einzelnen zustehenden Rechte selbstständig, das heißt ohne gerichtliche Hilfe durchsetzen. Der Verwaltungsprozess gewährt somit typischerweise – jedenfalls im verwaltungsaktbezogenen Rechtsschutz – dem Bürger erst im Nachhinein, durch Kontrolle vorausgegangenen Verwaltungshandelns, gerichtlichen Rechtsschutz44. Ohne eine gegebenenfalls notwendige Korrektur seitens der Verwaltungsgerichte, bliebe aber auch ein rechtswidriges Verwaltungshandeln verbindlich und dessen rechtsverletzende Wirkung würde, im Falle von Verwaltungsakten, in Bestandskraft erwachsen45. Im Unterschied dazu dient das Strafprozessrecht dem Staat erst bei der Durchsetzung materiellen (Straf-)Rechts46. Hier ist ein selbstständiges Durchsetzen hoheitlicher Maßnahmen nicht denkbar. Umgekehrt verhindert das Strafprozessrecht präventiv etwaige Rechtsverletzungen des Bürgers seitens der öffentlichen Gewalt. Das Zivilprozessrecht stellt hingegen Voraussetzungen auf, unter deren Einhaltung die Bürger untereinander ihre privaten Rechte durchsetzen können. Es geht hier also auch um den Schutz subjektiver Rechte. Jedoch obliegt dem Zivilprozess 40
Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 5. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 5, Rn. 6. 42 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 5; siehe zum historischen Hintergrund des Verwaltungsprozessrecht oben im Fünften Teil unter A. I. 1. 43 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 6. 44 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 3 ff. 45 Grunsky, Verfahrensrecht, S. 7 f.; Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 6. Daneben bietet der Verwaltungsprozess freilich auch die Möglichkeit, subjektive Recht etwa im Wege der allgemeinen Leistungsklage durchzusetzen, was an der grundsätzlichen Charakteristik des Verwaltungsprozesses, der in erster Linie nachträglich Schutz gegen Rechtsverletzungen gewährt, aber nichts ändert. 46 Grunsky, Verfahrensrecht, S. 8. 41
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition
173
naturgemäß nicht die Kontrolle bereits erfolgter Verletzungen subjektiver Rechtsstellungen durch einseitiges staatliches Handeln. Dieser spezifische Schutz- und Kontrollauftrag gegenüber hoheitlichen Akten ist aber prägend für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und begründet ihre charakteristischen Besonderheiten im Vergleich mit der ordentlichen, insbesondere der Zivilgerichtsbarkeit47. b) Die Nähe zur Verwaltung Eine Besonderheit in der gerichtlichen Kontrolle hoheitlichen Handelns liegt überdies in der Beziehung, in der die Verwaltungsgerichte und die Verwaltung zueinander stehen. Wenngleich die Verwaltungsgerichtsbarkeit heutzutage kraft ihrer verfassungsrechtlichen Unabhängigkeit strikt von der Exekutive getrennt ist, bleibt eine Verknüpfung ihrer Tätigkeiten dennoch bestehen. Zum einen knüpft der Verwaltungsprozess an ein vorausgegangenes Handeln der Exekutive an. Zum anderen ist die vollziehende Gewalt Partei oder Beigeladene des Verwaltungsprozesses. Schließlich wirkt die gerichtliche Entscheidung zwangsläufig auf den Bereich der Exekutive ein. So sah sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch von ihrem Anfang an Befürchtungen ausgesetzt, gegenüber der exekutiven Gewalt eine beherrschende Stellung einzunehmen, lähmend auf Verwaltungsvorgänge einzuwirken und damit sowohl wirtschaftliche als auch politische Notwendigkeiten zu blockieren48. Andererseits muss sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit aber auch vor dem Vorwurf bewahren, sich für die Durchsetzung politischer Ziele instrumentalisieren zu lassen. Bezogen auf die vorliegenden Fälle, könnte sich ein solcher Vorwurf durch eine unausgewogene verwaltungsfreundliche Rechtsprechung zugunsten der Anwendung neuen Rechts erhärten. 3. Die dienende Funktion des Verwaltungsprozessrechts – Rechtsverwirklichung Im Weiteren ist zu untersuchen, ob auch die Funktion des Verwaltungsprozesses Anhaltspunkte für die Bedeutung der darin gewährten Verfahrenspositionen bietet. Das Prozessrecht stellt keinen reinen Selbstzweck dar, sondern ist in erster Linie darauf ausgerichtet, materielles Recht zu verwirklichen. Insofern kommt ihm eine dienende Funktion zu49. Das Ziel des Verwaltungsprozesses ist eine nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung zustande gekommene gerichtliche Ent47 Bereits Nipperdey erkannte, dass es für die Abwägung und die darin einzustellenden Interessen entscheidend auf das jeweilige Rechtsgebiet ankommt, Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 363, siehe auch im Ersten Teil, F. II. 2. Auch Kopp wies in der Aufstellung allgemeiner „Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts“ auf den Unterschied zwischen Zivil- und Verwaltungsrecht hin, Kopp, SGb 1993, 593, siehe ebenfalls im Ersten Teil, F. III. 1. 48 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 5, Rn. 5 ff. m.w.N. 49 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 2; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 2, Rn. 38; Grunsky, Verfahrensrecht, S. 15; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 226.
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
scheidung, die mit dem materiellen Recht übereinstimmt und in Rechtskraft erwächst. Dabei gilt es, subjektive Rechte durchzusetzen und die objektive Rechtsordnung durch Feststellung des Rechts zu bewahren und nötigenfalls darüber hinaus das geltende Recht fortzubilden50. a) Objektive Rechtskontrolle Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist es zum einen, gemäß Art. 20 Abs. 3 GG die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu gewähren. Der zu untersuchende Akt der öffentlichen Gewalt muss demgemäß mit dem objektiven Recht, der Gesamtheit aller geltenden Normen der staatlichen Rechtsordnung übereinstimmen. Mit der Feststellung dieser Übereinstimmung in den gerichtlichen Entscheidungen dient die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Verwirklichung objektiven – materiellen Rechts. Aber auch ohne gerichtliche Untersuchung zwingt die Verwaltungsgerichtsbarkeit, allein mit ihrer Existenz und ihrer Kontrollmöglichkeit, die staatlichen Exekutivorgane zur Beachtung und Einhaltung materiellen Verwaltungs- und Verfassungsrechts51. Den Verwaltungsgerichten obliegt die Kontrolle des staatlichen Verwaltungshandelns anhand der Vorgaben verwaltungsrechtlicher Normen sowie am Maßstab höherrangigen Rechts, insbesondere des Verfassungsrechts. Jedoch lässt sich das materielle Recht nicht allein durch die Zuordnung eines Sachverhalts unter einer Rechtsnorm anhand eines feststehenden Normgefüges, mittels sachlich geordneter Regeln objektiven Rechts verwirklichen. Vielmehr beinhaltet das materielle Recht auch subjektive Rechtspositionen, deren Verletzung regelmäßig erst die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung objektiven Rechts eröffnet52. b) Subjektive Rechtskontrolle Aus der Rechtsschutzfunktion, die der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Konsequenz des Art. 19 Abs. 4 GG heute zukommt, ergibt sich, dass neben der objektivrechtlichen Gesetzmäßigkeit der Schutz subjektiver Rechte im Vordergrund steht53. Der objektiven Rechtsordnung wird auf Ebene des einzelnen Rechtssubjekts ein subjektives Recht zur Seite gestellt54 Der Einzelne kann die Einhaltung seiner subjektiven Rechte, die ihm kraft gesetzgeberischer Entscheidung zugeordnet sind, im Verwaltungsprozess gerichtlich durchsetzen. Aus Sicht des Verfahrensrechts drückt sich das subjektive Recht in der Befugnis aus, ein Recht oder dessen Verletzung gegenüber dem Staat geltend machen zu können. So sind Klage- und Antragsbefugnis 50
Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 2. Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 5. 52 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 37. 53 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 3; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 9 f. 54 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 37. 51
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition
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auf das subjektive Recht abstellende Voraussetzungen einer rechtlichen Sachkontrolle55. Das heißt, dass regelmäßig erst die Geltendmachung der Verletzung einer subjektiven Rechtsposition beziehungsweise die Befugnis zu deren verwaltungsgerichtlichen Durchsetzung die Verwirklichung objektiv-materiellen Rechts ermöglicht. Die Rechtsbehelfe der Verwaltungsprozessordnung dienen somit zum einen der objektiven Kontrolle der Einhaltung von Recht und Gesetz und zum anderen dem subjektiven Rechtsschutz des von einem Verwaltungshandeln Betroffenen. Aus Richterperspektive muss also im Verwaltungsprozess nicht nur nach der objektiven Rechtswidrigkeit einer Verwaltungsentscheidung, sondern auch nach einer subjektiven Rechtsverletzung gefragt werden56. c) Rechtsfortbildung Die in den Normen des materiellen Verwaltungs- und Verfassungsrechts getroffene Entscheidung des Gesetzgebers enthält gewissermaßen eine Vorentscheidung über die Rechtmäßigkeit des durch das Gericht zu untersuchenden Handelns57. Um jedoch auch den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht werden und Billigkeitserwägungen anstellen zu können, genügt es oftmals nicht, sich an die starren Regeln des Gesetzes zu halten. Die Vielgestaltigkeit der zu beurteilenden Lebenssachverhalte erfordert vielmehr eine weit variablere Gestaltung des Prozesses, als dies mit einer streng objektivierten Zuordnung von Sachverhalten erfolgen könnte58. „Das Verfahrensrecht dient der Herbeiführung gesetzmäßiger und unter diesem Blickpunkt richtiger, aber auch gerechter Entscheidungen“59. Dieser Funktion muss sich nicht nur der Gesetzgeber der Verfahrensordnungen bewusst sein, sondern auch der Richter. Er muss die Vorschriften des Prozessrechts im konkreten Fall auslegen und so anwenden, dass subjektiv-rechtlich geschützte Positionen nicht verkürzt werden. Das materielle Recht kann somit vom Richter, im Rahmen seiner eingeräumten Befugnisse, eine bestimmte, angemessene Verfahrensgestaltung erfordern60. Die den Verwaltungsgerichten obliegende Auslegung und auch Konkretisierung gesetzlicher Normen weist der Rechtsprechung den Rang einer wichtigen lückenfüllenden und sich fortentwickelnden Rechtsquelle zu, die damit ganz im Dienste der Rechtssicherheit steht61. Demgemäß ist es Aufgabe des Richters, die verschiedenen Aspekte auch ähnlich gelagerter Sachverhalte und die unterschiedlichen Belange der Parteien 55
Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 37. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 44. 57 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 38; Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 3 f. 58 Vgl. Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 7 f. 59 BVerfGE 42, 64 (73); 49, 220 (226). 60 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 2; BVerfGE 49, 220 (226). 61 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 12; siehe dazu auch bereits im Dritten Teil, C. II. 1. a). 56
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
jeweils im konkreten Einzelfall in Einklang zu bringen. Darin liegt die eigentliche Aufgabe des Verwaltungsprozesses. Denn nur so kann ein im Einzelfall jeweils mit dem materiellen Recht und der Billigkeit übereinstimmendes Ergebnis erreicht werden62. Insbesondere in Zeiten der Neuentwicklung beziehungsweise Erneuerung von Rechtsbereichen kommt der Rechtsprechung die Funktion der ergänzenden Rechtsfortbildung und auch Rechtsschöpfung zu. Um dem Vorwurf auszuweichen, dabei zu sehr in Bereiche des Gesetzesanwenders und -gebers vorzudringen, muss es jedoch stets Aufgabe der Gerichtsbarkeit sein, mit großer Behutsamkeit und mit stetigem Blick auf das bestehende Rechts- und Verfassungssystem von dieser Funktion Gebrauch zu machen63. Es bleibt zu prüfen, ob dies der Verwaltungsrechtsprechung in Anwendung der – etwaige Lücken im Übergangsrecht schließenden – Grundsätze des intertemporalen Rechts stets auch gelungen ist.
4. Der funktionale Eigenwert des Verwaltungsprozessrechts Wie bereits beschrieben, zielt der Verwaltungsprozess auf eine am Ende stehende gerichtliche Entscheidung, die mit dem materiellen Recht übereinstimmt. Anhand der in den prozessrechtlichen Vorschriften aufgestellten Regeln kann ein geordneter Verfahrensgang und damit eine in ihren Grundzügen einheitliche Rechtsverwirklichung gewährt werden. Das formelle Prozessrecht stellt das Verfahren zur Realisierung der vom materiellen Recht begründeten, inhaltlichen Rechte und Pflichten bereit64. Umgekehrt wird das Verwaltungsprozessrecht aber auch durch die Grundaussagen und die Dogmatik des Allgemeinen Verwaltungsrechts geprägt, zu dessen Schutz und Verwirklichung es geschaffen wurde65. Formelles und materielles Recht sind auf diese Weise eng miteinander verknüpft. Ihre jeweilige Wirkung ist voneinander abhängig. Denn ohne Prozessrecht ließe sich materielles Recht nicht durchsetzen und ohne die Aufgabe, materielles Recht zu verwirklichen, bliebe das Prozessrecht ohne Bedeutung. Das Prozessrecht dient aber neben der – materiellen – Rechtsverwirklichung auch der inneren Ordnung des Verwaltungsprozesses selbst. Die Normen des Prozessrechts regeln die Voraussetzungen und Grenzen jeglichen Handelns im gerichtlichen Verfahren. Sie sind allesamt auf die am Ende stehende gerichtliche Entscheidung ausgerichtet. Das gerichtliche Verfahren unterliegt somit einer festgelegten inneren Struktur, der für die Frage der Änderung prozessualer Normen eine große Bedeutung zukommen kann66. Die verwaltungsprozessualen Regelungen dienen also nicht nur dem materiellen Recht. Vielmehr dienen sie auch dem funktionalen Eigenwert, über den 62 63 64 65 66
Vgl. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 4. Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 8. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 1. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 5. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 205.
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das Verwaltungsprozessrecht verfügt, und den es ebenfalls in der Abwägung zu berücksichtigen gilt67. 5. Ergebnis Gemeinsam mit dem Allgemeinen Verwaltungsrecht ist das Verwaltungsprozessrecht „das Herzstück des Verwaltungsrechts, auf das sich nahezu alle Teile des Öffentlichen Rechts […] beziehen“68. Das Verwaltungsprozessrecht ist weder „nur ,Verwaltungsrecht noch nur ,Prozeßrecht. Es ist das gerichtliche Verfahrensrecht öffentlicher Rechtsstreitigkeiten im umfassenden Sinne und zugleich der Modus zur Umsetzung von [materiellen] Verfassungs- und Verwaltungsrecht in konkrete Entscheidungen“69. Hervorzuheben ist, dass die Verwirklichung materiellen Rechts im Rahmen des Verwaltungsprozesses der Beseitigung eines womöglich rechtswidrigen Zustandes dient, der aufgrund eines einseitig gesetzten staatlichen Akts hervorgerufen wurde und den Rechtssuchenden belastet. Darin liegt die besondere Bedeutung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Es wird nun im Folgenden danach zu fragen sein, wie hoch diese Bedeutung im konkreten Einzelfall einzuschätzen ist. Vor dem Hintergrund der Eigen- und Besonderheiten des Verwaltungsprozessrechts, insbesondere im Vergleich zu anderen Prozessordnungen, gilt es dabei zu bedenken, dass die Grundsätze des intertemporalen Rechts ursprünglich für das Zivilrecht entwickelt wurden. Wenngleich zur Zeit deren Entstehung eine klare Trennung zwischen Zivil- und Verwaltungsrecht noch nicht stattfand, muss dennoch die Frage aufgeworfen werden, ob diese Grundsätze im Verwaltungsrecht und speziell im Verwaltungsprozessrecht ohne weiteres herangezogen werden können. Denn bei der Änderung von zivilrechtlichen Normen besteht nicht die Gefahr, dass staatliche Maßnahmen, denen der Verdacht der Rechtswidrigkeit anhängt, der gerichtlichen Kontrolle entzogen werden, indem beispielsweise über ein bereits eingeleitetes Verfahren nicht mehr entschieden wird. So gesehen fällt die richterliche Entscheidung, einen einmal anhängigen Verwaltungsprozess noch vor dessen Abschluss aufgrund einer Gesetzesänderung – in Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts – als unzulässig abzuweisen, wesentlich mehr ins Gewicht als das im Zivilprozess der Fall ist. Denn dann bleibt ein möglicherweise rechtswidriger, durch den Staat einseitig gesetzter Akt weiterhin bestehen. Die davon betroffene und an der Entstehung eines solch rechtswidrigen Zustandes nicht zwingend mitwirkende Privatperson, wird somit dieser Belastung, trotz bereits angestrebten Rechtsschutzes, ausgesetzt. Dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Umsetzung neuen Rechts muss dieser Aspekt entgegengesetzt werden. Die Unterschiede zwischen Verwaltungsprozessund Zivilrecht gilt es demzufolge im Rahmen der Abwägung und damit also bei der Entscheidung über die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts zu beachten. 67 68 69
Vgl. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 1, Rn. 4. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 3. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 3.
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
Auch in Anbetracht der Nähe zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und Verwaltung und der damit verbundenen Vorhaltung, es bestehe die Gefahr einer Verschiebung der Gewaltenbalance, erhält die hier vorzunehmende Abwägung widerstreitender privater und öffentlicher Belange besondere Bedeutung70. Denn das öffentliche Interesse an der Umsetzung neuer Rechtsnormen ist unzweifelhaft nicht nur ein Interesse der gesetzgebenden, sondern auch der vollziehenden Gewalt. Der Neuregelung darf aber keinesfalls bereits allein wegen einer etwaigen politischen Motivation gegenüber den privaten Belangen der Vorrang eingeräumt werden. Betrachtet man überdies die dem materiellen Recht dienende Funktion des Verwaltungsprozesses, und macht man sich in diesem Zusammenhang die besondere Bedeutung des Verwaltungsprozessrechts bewusst, so können auch unter diesem Aspekt Zweifel an der Einschätzung verschiedener Verwaltungsgerichte aufkommen, das Gewicht der verfahrensrechtlichen Stellung sei gegenüber der mit einer Gesetzesänderung verfolgten materiell-rechtlichen Rechtsposition geringwertiger einzustufen71. Der Verwaltungsprozess dient der Umsetzung materiellen Verwaltungsrechts in Gestalt konkreter Gerichtsentscheidungen72. Der Zweck einer jeden Verfahrensnorm liegt darin, Voraussetzungen aufzustellen, die notwendigerweise zu erfüllen sind, um am Ende eines Prozesses eine gerichtliche Entscheidung zu erlangen. Zwar führt das Prozessrecht kein Eigenleben. Es erhält erst durch das materielle Recht und die Aufgabe dieses zu verwirklichen seinen Sinn. Doch stehen formelles Prozessrecht und materielles Recht insoweit in gegenseitiger Abhängigkeit. Denn umgekehrt verhilft auch erst das Prozessrecht dem materiellen, insbesondere dem subjektiven Recht zu dessen endgültigen Verwirklichung. Die Anwendung neuen Rechts auf anhängige Verfahren und der damit verbundene Verlust der verfahrensrechtlicher Stellungen, kann dem Prozessführer letzten Endes die Möglichkeit nehmen, objektives Recht überprüfen zu lassen und sein subjektives materielles Recht durchzusetzen. Materielles Recht und Prozessrecht finden zahlreiche Berührungspunkte, so dass schließlich auch die materiellen Rechtsverhältnisse durch Änderungen des Prozessrechts in ihrer rechtlichen Bedeutung beeinflusst werden können73. Diese Folge muss bei der Abwägung zwischen der bedrohten Verfahrensposition und dem Allgemeininteresse an der zügigen Umsetzung neuen Rechts daher notwendigerweise Berücksichtigung finden.
70
Zur Problematik der Verschiebung der Gewaltenbalance siehe ausführlicher Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, § 5, Rn. 8 ff. 71 Vgl. beispielsweise OVG Rheinland-Pfalz (13. Senat, Beschluss vom 15. 11. 1990), NVwZ 1991, 293 (294); OVG Berlin (2. Senat, Urteil vom 28. 11. 1997), Az.: 2 A 7.94, JURIS, Rn. 32; VG Göttingen (3. Kammer, Beschluss vom 27. 08. 1997), NVwZ-RR 1999, 52; OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006 (1007). Siehe zu diesen, die Grundsätze des intertemporalen Rechts anwendenden Entscheidungen auch die Darstellung im Zweiten Teil. 72 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 1, Rn. 3. 73 Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 227.
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition
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II. Die Bedeutung einzelner verwaltungsgerichtlicher Verfahren und darin erlangter Verfahrenspositionen für die Umsetzung materiellen Rechts Es fragt sich, inwieweit speziell die einzelnen Rechtsbehelfe des Verwaltungsprozesses und die ihnen zugrunde liegenden Prozessnormen der Verwirklichung materiellen Rechts dienen. Dabei ist davon auszugehen, dass die jeweiligen verwaltungsgerichtlichen Verfahrensarten und die dabei gewährten Verfahrenspositionen in unterschiedlicher Weise und Intensität zur Umsetzung materiellen Rechts beitragen. Je höher aber die jeweils dienende Funktion ist, desto größer ist auch deren damit erlangte Bedeutung. Und je größer die Bedeutung der konkreten Verfahrensnorm beziehungsweise -position ist, desto eher überwiegt das private Interesse an der Beurteilung des Verfahrens nach noch altem Recht und desto eher ist in Anlehnung an den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit von einer sofortigen Anwendung neuen Rechts abzusehen. Ausgangspunkt ist abermals der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit. Dieser findet laut Bundesverfassungsgericht immer dann Anwendung, wenn eine Prozesspartei „die prozessuale Möglichkeit eines Rechtsmittels zur Durchsetzung ihrer materiellrechtlichen Position zulässig wahrgenommen“ hat74. Daraus folgt zunächst einmal die besondere Bedeutung der mit einem Rechtsmittel erlangten Verfahrensposition, nämlich aus der sich daraus ergebenen konkreten Möglichkeit, materielles Recht umzusetzen. Zu fragen ist vorliegend aber auch danach, ob und in welchem Umfang durch andere Rechtsbehelfe erworbene Verfahrenspositionen diese Möglichkeit in vergleichbarer Weise gewähren. Daher soll im Folgenden anhand der bereits erläuterten Beispiele das Prozessrecht unter diesem Aspekt untersucht werden75. 1. Rechtsmittel des Verwaltungsprozessrechts Anknüpfend an die Bezeichnung des Grundsatzes der Rechtsmittelsicherheit soll zunächst die Bedeutung von verwaltungsprozessrechtlichen Rechtsmitteln für die Umsetzung materiellen Rechts untersucht werden. Beispielhaft kann dies anhand der Berufung erfolgen, die im Hinblick auf die Neuregelung des § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 01. 09. 2004 bereits zum Gegenstand dieser Untersuchung wurde76. Weiterhin wird am Beispiel der Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz auf deren Besonderheiten einzugehen sein. Im Hinblick auf den durch § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG (in der Fassung von 1990) vorge-
74
BVerfGE 87, 48 (64). (Hervorhebung durch d. Verf.). Siehe zu den, dieser Untersuchung zugrunde liegenden Fällen im Zweiten Teil. Das gesamte Prozessrecht unter diesem Aspekt zu untersuchen, die Besonderheiten aller Klage- und Antragsarten sowie der Rechtsmittel herauszustellen, würde den Rahmen dieser Untersuchung überdehnen. 76 Siehe dazu auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 5. 75
180
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
sehenen Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit im Eilverfahren wendete das Bundesverfassungsgericht erstmals den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit an77. a) Die Berufung Ebenso wie die Berufung ist auch bereits der Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 124 a VwGO) als Rechtsmittel anzusehen. Auch er hat aufschiebende Wirkung, führt zu einer Entscheidung des übergeordneten OVG und leitet im Fall der Zulassung unmittelbar in das Rechtsmittelverfahren über (§ 124 a Abs. 5 S. 5 VwGO)78. Die Berufung ermöglicht es dem Rechtsuchenden gegen eine bereits getroffene gerichtliche Entscheidung vorzugehen. Im Rahmen einer erneuten Verhandlung erfolgt eine Überprüfung der Vorentscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit dem Ziel einer neuen, für den Berufungskläger günstigeren Entscheidung. Das zuständige Oberverwaltungsgericht prüft den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags dabei in gleichem Umfang wie das erstinstanzliche Verwaltungsgericht79. Damit bietet sich dem Bürger die nochmalige Möglichkeit, sein subjektiv-materielles Recht durchzusetzen, soweit ihm dieses durch eine unrichtige erstinstanzliche Entscheidung verwehrt wurde. Werden gerichtliche Entscheidungen durch übergeordnete Gerichte aufgrund eines eingelegten Rechtsmittels überprüft, ist folglich eine bessere Gewähr für die Richtigkeit der Entscheidung gegeben. Darin liegt die besondere Bedeutung der Berufung als Rechtsmittel. Stellt der Staat zur Befriedigung des Interesses des Bürgers an einer für ihn günstigeren Entscheidung ein Rechtsmittel zur Verfügung, sind die Chancen, dass der Rechtssuchende durch die erneute gerichtliche Entscheidung befriedet wird, größer80. Das heißt, auch die mit der Einlegung einer Berufung beziehungsweise mit der Stellung eines Zulassungsantrags erlangte Position des Berufungsklägers ist von einer solchen Bedeutung, dass sie im Rahmen der Überlegungen zur Anwendbarkeit neuen Rechts auf anhängige Berufungsverfahren Berücksichtigung finden muss. Unter diesem Aspekt – dem der Bedeutung der entsprechenden Verfahrensposition – ist die durch den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit erfolgte Einschränkung der Grundsätze des intertemporalen Rechts generell – also nicht nur im Fall der Beschwerde – in den Rechtsmittelverfahren des Verwaltungsprozessrechts in Erwägung zu ziehen.
77 BVerfGE 87, 48 (62 ff.); siehe auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 1. und im Dritten Teil, C. I. 78 Meyer-Ladewig/Rudisile, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 124, Rn. 1. 79 Meyer-Ladewig/Rudisile, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 124, Rn. 7. 80 Meyer-Ladewig/Rudisile, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 124, Rn. 8.
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition
181
b) Die Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz Gegenstand der Entscheidung, in der das Bundesverfassungsgericht erstmals auf den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit zurückgriff, war die Frage der Statthaftigkeit einer Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz81. Die dieser durch das Bundesverfassungsgericht eingeräumte Bedeutung erklärt sich ebenfalls aus ihrer Funktion als Rechtsmittel. Als solches dient die Beschwerde – wie soeben für das Rechtsmittel der Berufung aufgezeigt – in besonderer Weise der Herbeiführung einer objektiv richtigen Entscheidung und als eine den Instanzenzug abschließende Entscheidung der endgültigen Durchsetzung subjektiv-materiellen Rechts82. Diese Bedeutung kommt der Beschwerde auch im vorläufigen Rechtsschutz zu83. Die Vorläufigkeit des geregelten Zustands ergibt sich lediglich aus dem Vorbehalt der noch ausstehenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Diesem gegenüber stellt das Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz ein selbstständiges Verfahren dar, dessen Ergebnis im Verhältnis zur Hauptsacheentscheidung eine mitunter weiterreichende Wirkung zukommt. Insbesondere mit Blick auf das bedrohte materielle Recht kann unter Umständen mehr erreicht werden als im Hauptsacheverfahren84. Der vorläufige Rechtsschutz stellt gegenüber der Entscheidung in der Hauptsache also kein Weniger dar, sondern ein aliud85. Der Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes besteht darin, für die Zukunft rechtlich irreversible Zustände zu verhindern. Das Maß der angestrebten Rechtsgewährung bestimmt auch hier der Gehalt des materiellen Rechts. Jeglicher Rechtsschutz hat eine materielle Basis. Er besteht nicht um seiner selbst willen, sondern damit das materielle Recht im Streitfall real werden kann. Demgemäß besteht die Verknüpfung zwischen materieller Konfliktlage und gerichtlichen Rechtsschutz auch im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes. Eine Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann nicht ohne Ansehung des zu schützenden Rechts erfolgen86. Wenngleich der vorläufige Rechtsschutz nur eine zwischenzeitliche Entscheidung zur Sicherung der umstrittenen materiellen Rechtsposition bietet und damit folglich nicht der endgültigen Verwirklichung des materiellen Rechts dient, führt er – bezogen auf den bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren ablaufenden Zeit81
BVerfGE 87, 48 ff.; siehe dazu auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 1. Vgl. die Ausführungen zur Berufung oben im Fünften Teil unter A. II. 1. a). 83 Statthafter Rechtsbehelf gegen verwaltungsgerichtliche Eilentscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO ist seit dem Inkrafttreten des 6. VwGOÄndG am 01. 01. 1997 genau genommen nicht mehr die Beschwerde, sondern der Antrag auf Zulassung der Beschwerde. Den Beteiligten steht gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO die Beschwerde nur zu, wenn sie vom Oberverwaltungsgericht in entsprechender Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO zugelassen worden ist. Eine vom OVG nicht zugelassene Beschwerde ist unstatthaft. Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 391. 84 Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 80, Rn. 56; Niedersächsisches OVG, NVwZ 1990, 270 (272). 85 Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 80, Rn. 56. 86 Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 80, Rn. 58. 82
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
raum – dennoch zu einer vorübergehend abschließenden Umsetzung des materiellen Rechts. Vielfach kann die endgültige Verwirklichung des materiellen Rechts auch nur durch seine vorübergehende Sicherung erfolgen. Unterbleibt die Sicherung, kann die Verwirklichung materiellem Rechts gegebenenfalls unwiderruflich scheitern87. In ihrer Bedeutung steht die Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz daher den allgemeinen Rechtsmitteln des Verwaltungsprozessrechts in keiner Weise nach.
2. Erstinstanzliche Rechtsbehelfe des Verwaltungsprozessrechts Fraglich ist, ob auch in erstinstanzlichen Gerichtsverfahren erreichte Positionen eine solche Bedeutung erlangen können, dass sie – ebenso wie durch das Bundesverfassungsgericht für Rechtsmittel anerkannt88 – im selben Maße Schutz erfahren, wie Positionen des materiellen Rechts. Anders formuliert, es fragt sich, ob auch erstinstanzliche Rechtsbehelfe unter die von dem Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit aufgestellten Voraussetzungen fallen können und ob demgemäß die Grundsätze des intertemporalen Rechts auch bei der Anwendung neuen Prozessrechts auf anhängige Verfahren in der ersten Instanz eine Einschränkung erfahren können oder sogar müssen. Soweit der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit auf die Bedeutung eines Rechtsmittels abstellt soll an dieser Stelle an den Beispielen der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle sowie der Anfechtungsklage die Bedeutung von erstinstanzlichen Rechtsbehelfen für die Umsetzung materiellen Rechts geklärt werden. Den Anlass für die Untersuchung der Besonderheiten einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle bilden die kontroversen Entscheidungen mehrerer Verwaltungsgerichte im Hinblick auf die Beschränkung der Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO infolge des 6. VwGOÄndG89. Die Anfechtungsklage steht aufgrund verschiedener gesetzlicher Regelungen im Blickpunkt des Interesses, die gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO einen Ausschluss des nach § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich eingeräumten Suspensiveffekts anordneten90. a) Die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle Während das zulässig eingelegte Rechtsmittel überwiegend der Verfolgung eigener Rechte dient, nimmt die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle eine Zwischenstellung zwischen einem objektiven Rechtsbeanstandungsverfahren und einem Rechtsschutzverfahren zur Durchsetzung subjektiver Rechte ein91. Das Berührtsein in einer eigenen materiellen Position war und ist zwar Sachentscheidungs87 88 89 90 91
Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 80, Rn. 58. BVerfGE 87, 48 (63 f.); siehe dazu auch oben im Dritten Teil, C. I. Siehe dazu auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 2. Siehe dazu ausführlich die Darstellung im Zweiten Teil A. I. 3. und 4. BVerwGE 65, 131 (136); 82, 225 (232).
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition
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voraussetzung der Normenkontrolle. Das Verfahren dient aber nicht der Durchsetzung dieser Position, wie der objektive Maßstab bei der Begründetheitsprüfung zeigt. Ein Erfolg des Normenkontrollantrages kommt lediglich den von der Norm berührten Belangen des Antragstellers auch zugute92. Darin kann gewissermaßen ein Weniger an dienender Funktion zu sehen sein. Dem folgend könnten auch Zweifel daran aufkommen, ob der Antragsteller einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle eine mit einer materiellen Rechtsposition vergleichbare verfahrensrechtliche Stellung einnimmt. Auf die Umsetzung allein subjektiv-materiellen Rechts kommt es aber nicht an. Die dienende Funktion des Prozessrechts umfasst in entscheidenden Maße auch die Kontrolle objektiven Rechts93. Die Normenkontrolle nach § 47 VwGO dient in erster Linie als objektive Rechtsbeanstandung der Rechtssicherheit und Rechtsgewissheit, der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung und damit vor allem auch der Verfahrensökonomie durch die Vermeidung weiterer Prozesse94. Soweit diese Funktion beeinträchtigt wird, lassen sich in gleichem Maße Bedenken gegen die Anwendung neuen Rechts auf anhängige Verfahren begründen wie bei der Beeinträchtigung solcher Verfahren, die gleichermaßen der Umsetzung objektiven und subjektiven Rechts dienen. Es kommt also nicht in erster Linie darauf an, ob ein Verfahren zur Gewährleistung subjektiven Rechtsschutzes unbedingt erforderlich oder nur hilfreich ist. Die Trennlinie verläuft vielmehr zwischen solchen Verfahrensbestimmungen, die als technische Regelungen lediglich einer Änderung der modalen Ausgestaltung des Verfahrens dienen und auf die sich der Betroffene einstellen kann und solchen Bestimmungen, die einen bereits eingeräumten Anspruch auf eine Sachentscheidung nachträglich beseitigen95. Bei § 47 Abs. 2 VwGO handelt es sich schließlich nicht nur um eine rein technische Prozessführungsregel. Diese Vorschrift gewährt vielmehr eine einem materiellen Anspruch angenäherte Rechtsposition. Denn sie gestattet einem Normunterworfenen, eine für seine Rechtssphäre geltende Regelung anzugreifen, um ihre Anwendung zu verhindern96. Insofern dient die Normenkontrolle nicht nur der Überprüfung, sondern gegebenenfalls auch der Wahrung und damit auch der Verwirklichung materiellen Rechts. In ihrer Bedeutung ist sie jedenfalls mit einem Rechtsmittel vergleichbar, wenngleich die Position des Antragstellers einer Normenkontrolle unter diesem Gesichtspunkt auch nicht gänzlich an die Position eines Rechtsmittelführers heranreicht. Schließlich hängt die endgültige Antwort auf die Frage einer etwaigen Einschränkung der sofortigen Anwendung neuen Prozessrechts auf anhän92
Bayerischer VGH München (26. Senat, Urteil vom 04. 06. 1997), BayVBl 1997, 591
(592). 93
Siehe dazu oben im Fünften Teil unter A. I. 3. a). Kopp/Schenke, VwGO, § 47, Rn. 3. 95 BVerwGE 106, 237 (239) mit Hinweis auf BVerfGE 63, 343 (359), vgl. auch BVerfGE 87, 48 (63 f.). 96 Niedersächsisches OVG (6. Senat, Urteil vom 24. 04. 1997), NVwZ 1997, 1222 (1223). 94
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
gige Normenkontrollverfahren – im Sinne des Grundsatzes der Rechtsmittelsicherheit – im Weiteren vom Gewicht der Verfahrensposition des Antragstellers und womöglich von der Intensität der konkreten Beeinträchtigung ab97. b) Die Anfechtungsklage Der Anfechtungsklage kommt im Regelfall gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu. Dieser Aspekt ist vorliegend vor allem deswegen von Bedeutung zu, da es in den in dieser Arbeit untersuchten Fällen vorwiegend um den Verlust des Suspensiveffekts gemäß einer gesetzlich neu geregelten Ausnahmevorschrift i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO geht98. In Frage steht daher, welche verfahrensrechtliche Stellung dem Rechtssuchenden nicht nur allein mit Erhebung der Anrechtungsklage, sondern vor allem infolge der damit einhergehenden aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs eingeräumt wird. Im Gegensatz zur Beschwerde und auch zur erstinstanzlichen Normenkontrolle wird die Anfechtungsklage in den vorliegenden Konstellationen nicht unzulässig. Die Klage an sich und die damit angestrebte Verwirklichung subjektiv-materiellen Rechts kann somit nach wie vor mit Erfolg betrieben werden. Einzig die Wirkung der Anfechtungsklage und die dadurch eingeräumte Verfahrensposition wird beeinträchtigt. Demnach wird im Folgenden allein hinterfragt, inwieweit diese Wirkung zur Umsetzung materiellen Rechts beiträgt. aa) Der Suspensiveffekt Die Anfechtungsklage dient dem materiellen Recht auf sehr direkte Weise, da sie im Erfolgsfall zur Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts führt, der Rechte des Klägers verletzt hat, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Der Suspensiveffekt verhindert bis zu der dem Klageverfahren vorbehaltenen abschließenden Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines belastenden Verwaltungsaktes die Schaffung vollendeter Tatsachen99. Denn dem Betroffenen eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts drohen bei dessen Vollzug vielfach erhebliche, unter Umständen nicht wieder zu behebende Nachteile. Die Bedeutung des Suspensiveffekts verwaltungsprozessualer Rechtsbehelfe spiegelt sich also insbesondere darin wider, dass ohne ihn der Verwal97
Siehe dazu unten im Fünften Teil, B. und C. Siehe dazu ausführlich die Darstellung im Zweiten Teil A. I. 3. und 4. Angeführt werden dort auch Entscheidungen, die zum einen im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes Ausführungen zur aufschiebenden Wirkung enthalten und zum anderen die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und in diesem Zusammenhang die Stellung des Widerspruchführers erörtern. Aufgrund derselben gesetzlichen Grundlage für den Suspensiveffekt (§ 80 Abs. 1 VwGO) können aber auch diese Entscheidungen Ausgangspunkt der folgenden Erwägungen sein. 99 BVerfGE 35, 382 (401); 80, 244 (252); J. Schmidt, in Eyermann, VwGO, § 80, Rn. 1; weitere Nachweise bei Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 80, Rn. 12.; siehe ausführlich zu den verschiedenen Theorien zur Rechtsfolge der aufschiebenden Wirkung – Vollziehbarkeits- oder Wirksamkeitshemmung – Schenke, Verwaltungsprozessrecht, § 25, Rn. 949 ff. 98
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition
185
tungsrechtsschutz wegen der häufig langen Verfahrensdauer angesichts drohender Irreparabilitäten Gefahr läuft, seine Funktion nicht mehr erfüllen zu können100. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorschrift des § 80 Abs. 1 VwGO daher wiederholt als einfachgesetzliche Ausprägung der grundrechtlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes und die aufschiebende Wirkung als adäquate Ausprägung der Rechtsschutzgarantie und als fundamentales Prinzip des öffentlich-rechtlichen Prozesses qualifiziert101. Jedoch muss zwischen Suspensiveffekt und vorläufigem Rechtsschutz differenziert werden. Die durch Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutzfunktion des § 80 VwGO greift genau genommen erst im gerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ein102. Und im Gesamtgefüge des vorläufigen Rechtsschutzes stellt die aufschiebende Wirkung nur eines von mehreren Elementen dar103. Dabei steht der Suspensiveffekt ohne Zweifel im Dienste der spezifischen Schutz- und Kontrollfunktion des Verwaltungsprozessrechts104. Indem der Bürger der rechtsgestaltenden Wirkung einseitiger staatlicher Maßnahmen entgegen treten kann, stellt die aufschiebende Wirkung einen notwendigen Ausgleich für die Überlegenheit der Verwaltung dar, dafür dass der Betroffene einen Verwaltungsakt auch dann zunächst befolgen muss, wenn dieser rechtswidrig ist105. Dennoch kommt allein dem Suspensiveffekt zunächst nur eine verfahrensrechtliche Bedeutung zu. Er stellt „lediglich“ ein einstweiliges verfahrensrechtliches Hindernis am Vollzug des Verwaltungsaktes dar, das mit weiteren verfahrensrechtlichen Schritten, nämlich der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit wieder aufgehoben werden kann. Eine verfassungsrechtliche Bedeutung ist dem Suspensiveffekt nicht zueigen. Eine andere Sichtweise ließe sich auch nicht mit dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Modell eines in § 80 VwGO gewährleisteten Regel-Ausnahme-Verhältnisses vereinbaren106. bb) Lage bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung Die geringere Bedeutung des Suspensiveffekts wird auch in solchen Fällen deutlich, in denen ein Dritter gegen einen den Verwaltungsaktadressaten begünstigenden, ihn aber belastenden staatlichen Akt vorgeht. Denn hierbei geht es nicht mehr ausschließlich um die „Kompensation des Übergewichts der öffentlichen Verwaltung“, 100
BVerfG, VBlBW 1989, 130. BVerfGE 35, 263 (272); 35, 382 (402); 67, 43 (58); 69, 220 (227 f.); so schließlich auch das BVerwG, NVwZ 1995, 383 in Zusammenhang mit § 17 Abs. 6 a FStrG; siehe weitere Nachweise auch zur übrigen Rechtsprechung und Rechtslehre bei Schoch, in Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 13 und zu Zweifeln an dieser Sichtweise Rn. 15 ff. 102 Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 21; ausführlich dazu Rn. 15 ff. 103 Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 22. 104 Siehe dazu oben im Fünften Teil unter A. I. 2. und 3. 105 Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 22 m.w.N. 106 Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 24 f. mit näheren Ausführungen. 101
186
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
nicht nur um die „Herstellung der Waffengleichheit zwischen Bürger und Staat“107. Hier steht dem Interesse des Anfechtungsklägers an der aufschiebenden Wirkung neben dem Vollzugsinteresse der Verwaltung auch das Interesse des Begünstigten am Gebrauchmachen der ihm erteilten Regelung gegenüber, das grundsätzlich als gleichgewichtig einzustufen ist108. Dem durch den Verwaltungsakt Begünstigten steht nicht weniger Rechtsschutz als dem Dritten zu. Eine einseitige Bevorzugung des Dritten, etwa durch die Höherbewertung der Bedeutung seines Suspensivinteresses und eine daraus resultierende Aufrechterhaltung der aufschiebenden Wirkung nach altem Recht, liefe dann womöglich auf eine ungerechtfertigte, mit den Freiheitsgrundrechten des Begünstigten und dem Gleichheitssatz unvereinbare Privilegierung des Dritten hinaus109. Auch vor diesem Hintergrund ist anzuerkennen, dass die Suspensivwirkung weniger der materiellen Rechtsverwirklichung (des Dritten) dient. Vielmehr stellt sie „nur“ eine einstweilige Hinderung am Vollzug des Verwaltungsaktes dar. Darin liegt ein verfahrensrechtliches Hindernis, das der am Vollzug Interessierte wiederum mit weiteren verfahrensrechtlichen Schritten, nämlich einem Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung im vorläufigen Rechtsschutz auch wieder aufheben lassen kann110. cc) Ergebnis Im Zuge der Überprüfung, welche Bedeutung der verfahrensrechtlichen Position des Rechtssuchenden zukommt, ist danach zu fragen, ob die neue Verfahrensbestimmung lediglich einer Änderung der modalen Ausgestaltung des Verfahrens dient, auf die sich der Betroffene einstellen kann oder ob sie einen bereits eingeräumten Anspruch auf eine Sachentscheidung nachträglich beseitigt111. Der Suspensiveffekt sichert dem Kläger allenfalls die Verwirklichung der Sachentscheidung, räumt ihm aber keinen Anspruch darauf ein. Zwar mag die Bedeutung des § 80 Abs. 1 VwGO als Verfahrensregelung damit noch über eine bloße ordnungspolitische Funktion hinausgehen, indem der Kläger zunächst die Vollziehung ihn belastender Verwaltungsakte und damit für ihn verbundene Nachteile vorläufig verhindern kann. Allein dieser Umstand führt indes noch nicht zur Vergleichbarkeit der dadurch erlangten Verfahrensposition mit einer materiellen Rechtsposition und damit auch nicht zu einer entsprechenden Bedeutung112. Die durch den Suspensiveffekt gewährte Verfahrensposition kann nicht als Vorstufe zur Durchsetzung der materiellen Rechtsposition
107
Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 22 f. J. Schmidt, in Eyermann, VwGO, § 80, Rn. 1; Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 18 m.w.N., 22. 109 Vgl. Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 18. 110 Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 23. 111 BVerwGE 106, 237 (239) mit Hinweis auf BVerfGE 63, 343 (359). 112 Vgl. dazu VG Göttingen, NVwZ-RR 1999, 52. 108
A. Die Bedeutung der Verfahrensposition
187
angesehen werden113. Eine geschützte Rechtsposition mit der Gewährleistung, dass es aufgrund des Suspensiveffekts bis zur abschließenden Entscheidung über den Rechtsbehelf in der Hauptsache bei der Unantastbarkeit der materiellen Rechtsposition verbleiben würde, hat der Anfechtungskläger nicht inne. Vielmehr muss gesehen werden, dass diese Verfahrensposition allein durch die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit jederzeit verloren gehen kann. Es ist also festzuhalten, dass die Bedeutung der mit der aufschiebenden Wirkung erlangten Verfahrensposition nicht an die Bedeutung der verfahrensrechtlichen Stellung eines Rechtsmittelführers gelangt. Gleichwohl genügt diese Feststellung für sich allein noch nicht für die Annahme, dass in Fällen des nachträglich gesetzlich angeordneten Ausschlusses des Suspensiveffekts neues Recht stets sofort anwendbar sei. Vielmehr kommt es auch hier im Weiteren entscheidend auf das Gewicht der Verfahrensposition und gegebenenfalls auf die Intensität der konkreten Beeinträchtigung an114. 3. Ergebnis Soweit es in dieser Untersuchung darum geht, Kriterien für die Abwägung der vorliegend widerstreitenden Interessen und damit Kriterien für den Anwendungsbereich der Grundsätze des intertemporalen Rechts aufzustellen, wurde festgestellt, dass die Bedeutung der Verfahrensposition für die am Ende des Prozesses stehende Umsetzung materiellen Rechts einen dabei zu berücksichtigenden Anhaltspunkt darstellt. Die beispielhafte Untersuchung verwaltungsprozessualer Rechtsbehelfe zeigt, dass deren Bedeutung unter diesem Blickwinkel von unterschiedlicher Größe ist. Allein aus dieser Erkenntnis lassen sich allerdings noch keine eindeutigen Rückschlüsse dahingehend ziehen, inwieweit in Anlehnung an den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit mehr oder weniger Ausnahmen von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts zuzulassen beziehungsweise verfassungsrechtlich geboten sind. Vielmehr bedarf es im Weiteren noch der genauen Untersuchung zum einen des Gewichts der Verfahrensposition des Rechtssuchenden und zum anderen auch der konkreten Beeinträchtigung des Rechtsschutzes, die dem Bürger bei Anwendung der neuen Prozessregeln zu widerfahren droht. Denn erst aus dem Zusammenspiel von Bedeutung und Gewicht der von der Rechtsänderung betroffenen verfahrensrechtlichen Positionen sowie aus der Schwere des Verlustes dieser Position oder gar des eingelegten Rechtsbehelfs ergibt sich, wie schwer das vom Vertrauensschutz erfasste private Interesse an der Anwendung noch alten Rechts in der Abwägung wiegt.
113 114
So aber Gronemeyer, BauR 1998, 413 (418). Siehe dazu unten im Fünften Teil, B. und C.
188
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
III. Besonderheiten in der Rechtsprechung des EuGH in Fällen so genannter Mischregelungen Im Zusammenhang mit der dienenden Funktion des Verwaltungsprozessrechts und den daraus resultierenden Bedenken gegen die sofortige Anwendung neuer Prozessnormen auf anhängige Verfahren, ist an dieser Stelle die Besonderheit des Umgangs mit so genannten Mischregelungen in der Rechtsprechung des EuGH zu erörtern. Darunter fallen Gemeinschaftsmaßnahmen, die sowohl verfahrens- wie auch materiellrechtliche Vorschriften beinhalten115. Die Einzelbestimmungen bilden ein „einheitliches Ganzes“ und können daher im Hinblick auf ihre zeitliche Geltung nicht isoliert betrachtet werden116. Das hat zur Folge, dass der für Verfahrensnormen generell geltende Grundsatz der Sofortwirkung hinter dem strengeren, für materiellrechtliche Gemeinschaftsmaßnahmen geltenden Grundsatz der Nicht-Rückwirkung zurücksteht. Neue Mischregeln können demnach keine sofortige Anwendung finden. Wendete der Rechtsanwender gemeinschaftsrechtliche Mischregelungen sofort an, würde sich dies nicht nur auf den verfahrensrechtlichen, sondern auch auf den materiellrechtlichen Teil auswirken. Dann müsste das Gericht einen womöglich in der Vergangenheit liegenden und bereits abgeschlossenen Sachverhalt auch materiell nach neuem Recht beurteilen. Dem steht jedoch der stärker wirkende Grundsatz der Nicht-Rückwirkung entgegen117. Begründet wird die Zurückstellung des Grundsatzes der Sofortwirkung mit der Akzessorität des Verfahrensrechts gegenüber dem materiellen Recht. Verfahrensregeln müssen sich demzufolge den jeweiligen materiellrechtlichen Sachverhalten anpassen118. Diese Sichtweise des EuGH verdient, gerade auch im Hinblick auf die in dieser Untersuchung angestellten Erwägungen zur dienenden Funktion des Prozessrechts, besondere Beachtung. Denn hier wird aufgrund der Akzessorität der Verfahrensregeln gegenüber materiell-rechtlichen Bestimmungen eine Ausnahme vom Grundsatz der Sofortwirkung gemacht. Diese Vorgehensweise des Gerichtshofs zeigt, dass dann eine Ausnahme vom Grundsatz der Sofortwirkung gemacht werden kann, wenn es das materielle Recht erfordert. Auf das deutsche Recht projiziert, spiegelt sich dieser Gedanke darin wider, dass die Grundsätze des intertemporalen Rechts zugunsten der Verwirklichung materiellen Rechts eine Einschränkung erfahren sollen.
IV. Ergebnis Der Schutz der Verfahrensposition eines Prozessbeteiligten hängt grundlegend von deren Bedeutung beziehungsweise von der Bedeutung des betriebenen Verfah115
Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 117, 130. verbundene Rechtssache 212 – 217/80 (Salumi u. a.), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1981, S. 2751, Rd.11; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 118, 131. 117 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 121. 118 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 131. 116
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
189
rens ab. Die Bedeutung des Verwaltungsprozesses liegt in erster Linie in seiner dienenden Funktion, in seiner Hilfestellung bei der Verwirklichung materiellen Rechts. Für die Frage der Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts kommt es also entscheidend darauf an, wie weit dem materiellem Recht bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts gedient wurde, wie ihm auch danach noch gedient werden kann beziehungsweise inwieweit dessen Verwirklichung mit der sofortigen Anwendung neuer Prozessnormen gefährdet ist. Eine Besonderheit des Verwaltungsprozessrechts liegt dabei darin, dass der Prozess vor den Verwaltungsgerichten dem Bürger regelmäßig Schutz gegenüber einem staatlichem Handeln bietet, das den Bürger auch ohne sein Zutun, und auch in rechtswidriger Weise treffen kann. Dieses Merkmal des Verwaltungsprozesses ist vor allem deswegen hervorzuheben, weil sich darin ein wesentlicher Unterschied zum Zivilrecht aufzeigt, in welchem die Grundsätze des intertemporalen Rechts ihre Wurzeln finden. Deren uneingeschränkte Übernahme in den Bereich des Verwaltungsprozessrechts erscheint daher bedenklich und ist im Weiteren zu hinterfragen. Neben den Besonderheiten des Verwaltungsprozesses ist zu beachten, dass die Bedeutung in verschiedenen Verfahren erlangter Verfahrenspositionen auch unterschiedlich groß sein kann. Je nachdem wie sehr das einzelne gerichtliche Verfahren dem materiellen Recht dient, desto größer kann seine Bedeutung werden und desto mehr Schutz muss die in diesem Verfahren erlangte Verfahrensposition auch gegenüber einer nachteilig wirkenden Anwendung neuer Prozessvorschriften erfahren. Kommt einer Verfahrensposition eine vergleichsweise geringere Bedeutung zu, heißt das aber noch nicht, dass sie am Ende weniger Schutz erfahren kann. Denn einhergehend mit der Bedeutung ist ebenso das im Laufe des Prozesses erlangte Gewicht der Verfahrensposition maßgeblich für die Frage deren Schutzes. Auch weniger bedeutende Verfahrenspositionen können schließlich derartig gewichtig sein, dass ihre Beeinträchtigung durch neues Recht verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. Darüber hinaus scheint es erwägenswert, auch die konkreten Auswirkungen auf den angestrebten Rechtsschutz als Abwägungskriterium einzubeziehen. Denn es stellt einen zu berücksichtigenden Unterschied dar, ob durch die Gesetzesänderung die Rechtsverfolgung nur behindert oder gar unmöglich gemacht wird. Dabei steht die Schwere der Beeinträchtigung in engem Zusammenhang mit der jeweiligen Bedeutung der betroffenen Verfahrensposition119.
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen Anlehnend an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsmittelsicherheit stellt neben der Bedeutung insbesondere das Gewicht der jeweiligen Verfahrensposition einen wesentlichen Anhaltspunkt für die vorzunehmende Abwägung 119
Siehe dazu unten im Fünften Teil unter C.
190
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
und damit für die Frage dar, ob die Grundsätze des intertemporalen Rechts im Einzelfall eine Einschränkung erfahren müssen120. Denn bei besonderer Bedeutung und hohem Gewicht der von der Rechtsänderung betroffenen Verfahrensposition kann das in die Abwägung einzustellende private, vom Vertrauensschutz erfasste Interesse an der Anwendung noch alten Rechts das öffentliche Interesse an der Sofortanwendung der neuen Prozessregelungen überwiegen. Trifft die Änderung der Rechtslage den Rechtssuchenden überdies in einer Weise, die dessen Rechtsschutz stark beeinträchtigt, steht in einem solchen Fall die verfassungsrechtlich geschützte Verfahrensposition des Rechtssuchenden den Grundsätzen des intertemporalen Rechts entgegen. Die unter dem Schutz des rechtsstaatlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes stehende Verfahrensposition stellt somit auch eine Vertrauensposition dar. Sie ist als umso gewichtiger einzustufen, je gefestigter das in ihre Aufrechterhaltung entgegengebrachte Vertrauen ist. Je gefestigter das Vertrauen, desto schwerer wiegt das Interesse daran, die Verfahrenslage nach altem Recht zu beurteilen. Entscheidend für die Bestimmung des Gewichts der Verfahrensposition ist also das Maß, der Grad des Vertrauens in den Fortbestand bestehender prozessrechtlicher Vorschriften121. Demnach gilt es im Folgenden zu klären, wonach der Grad schutzwürdigen Vertrauens zu bemessen ist. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsmittelsicherheit enthält dazu keine eindeutigen Angaben und beschränkt sich diesbezüglich auf die Feststellung, dass mit „der Einlegung eines nach der jeweiligen Verfahrensordnung statthaften und zulässigen Rechtsmittels […] eine [solch] gewichtige verfahrensrechtliche Position begründet“122 wird, die „den Schutz des Vertrauens in den Fortbestand der Zulässigkeit eines eingelegten Rechtsmittels auch verfassungsrechtlich gebietet“123. Es wird daher ein Schwerpunkt der folgenden Überlegungen sein, konkrete Kriterien für die Feststellung des Gewichts der jeweiligen Verfahrenspositionen beziehungsweise des darauf basierenden verfassungsrechtlich geschützten Vertrauens herauszuarbeiten.
I. Grad des Vertrauens – „Vertrauensdichte“ Anknüpfend an Muckel und dessen Ausführungen zum verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz bei Gesetzesänderungen ist anzunehmen, dass Vertrauen unterschiedlich stark sein kann und eine entsprechend differenzierte verfassungsrechtliche
120
BVerfGE 87, 48 (63 f.); vgl. auch bereits im Dritten Teil, E. Vgl. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 93. 122 BVerfGE 87, 48 (64). 123 BVerfGE 87, 48 (65). 121
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
191
Beachtung verdient124. „Vertrauen ist keine absolute Größe“125. Denn je nach Sachverhalt kann sich das Vertrauen auf den Fortbestand der alten Rechtslage mehr oder weniger verdichtet haben, was folglich auch unterschiedliche Auswirkungen auf die Gewichtung des Vertrauensinteresses hat. Dies genauer zu ergründen, erfordert jedoch wiederum das Vorliegen eines Kriteriums – eines Gradmessers, mit dessen Hilfe sich eine größere oder geringere Vertrauensdichte bemessen lässt126. Während Muckel sich in diesem Zusammenhang im Wesentlichen auf das Kriterium der Vorhersehbarkeit konzentriert127, soll hier im Weiteren auf die Eigenart prozessrechtlicher Normen sowie auf den zeitlichen und inhaltlichen Fortschritt des Gerichtsverfahrens als Indikator für die Vertrauensdichte eingegangen werden. 1. Prozessrechtliche Regelungen als Vertrauensgrundlage Für den Grad des an sich schutzwürdigen Vertrauens ist zunächst die konkrete Ausgestaltung der Vertrauensgrundlage mit entscheidend. Je nachdem, wie sehr die unter altem Recht noch geltende verfahrensrechtliche Regelung den Bürger zu seinem Handeln veranlasst hat, wird das darauf basierende Vertrauen von unterschiedlichem Gewicht sein128. So stellt beispielsweise eine ungültige oder nur vorläufig geltende Norm eine weit weniger gefestigte Basis für das Vertrauen und dessen Schutz dar129. Darauf wird im Einzelfall zu achten sein130. Soweit jedoch an der Gültigkeit oder der Geltungsdauer der Vertrauensgrundlage keine Zweifel bestehen, ist zu überprüfen, inwieweit ihr Regelungsgehalt Veranlassung zur Vornahme einer Disposition gegeben hat. Denn es ist in diesem Zusammenhang – abermals anknüpfend an Muckel – die besondere Bedeutung gesetzlich intendierter Dispositionen zu beachten131. 124 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, einleitend 15 ff., 93. 125 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 93. 126 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 93, mit Beispielen aus der Rechtslehre für die Annahme einer je nach Einzelfall unterschiedlichen Vertrauensdichte, dort in Fußnote 88. 127 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 93 ff. 128 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 81 f. 129 Vgl. Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 27 ff. 130 So etwa bei dem Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. 12. 2001 (RmBereinVpG) wodurch das – vorläufige – Gesetz zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 22. 04. 1993 in der Fassung vom 01. 11. 1996 (RMBeschrG) mit Wirkung zum 01. 01. 2002 aufgehoben wurde. Vgl. dazu im Zweiten Teil, A. II. 3. 131 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 101 f., der hierauf allerdings zunächst in einem anderen Zusammenhang eingeht, so-
192
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
a) Durch die Vertrauensgrundlage veranlasste Dispositionen Nimmt der Bürger allein aufgrund staatlicher Veranlassung eine rechtserhebliche Handlung vor, auf die das Gesetz bewusst zielt, die also staatlicherseits erwünscht ist, so muss das darauf basierende Vertrauen besondere Berücksichtigung erfahren und entsprechend hoch gewichtet werden. Anders verhält es sich hingegen, wenn das Handeln des Bürgers allein auf dessen persönlichem Entschluss beruht132. Eine solche Vertrauensbetätigung, die in erster Linie einen privaten Zweck verfolgt, ist zwar nicht gleich vom Schutz des Vertrauensgrundsatzes ausgenommen, wird im Rahmen der Abwägung aber mit einem geringeren Gewicht zu bemessen sein. Etwaige Misserfolge solchen Handelns fallen eher in den Risikobereich des Bürgers als solche Nachteile, die den Bürger als Ergebnis eines staatlich intendierten Handelns treffen133. Es ist demnach also zu unterscheiden zwischen solchen Dispositionen, die von der jeweiligen Vertrauensgrundlage intendiert sind und solchen, die vom Gesetz nur ermöglicht worden sind, aber letztlich dem Willensentschluss des Einzelnen entspringen. b) Prozesshandlungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren – gesetzlich veranlasste Dispositionen? Vor diesem Hintergrund fragt es sich, ob etwaige Prozesshandlungen in diesem Sinne gesetzlich intendiert sind. So beruht etwa die Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen staatliches Handeln nicht zwingend allein auf dem Entschluss des Rechtssuchenden. Vielmehr ist anzunehmen, dass dieser durch ein vorausgegangenes, ihn belastendes staatliches Handeln zum Gang vor das Verwaltungsgericht zur Wahrung seiner Rechte veranlasst wurde. aa) Die Besonderheit des Verwaltungsprozesses im Vergleich zum Zivilprozess Zu beachten ist hierbei die bereits erörterte Besonderheit des Verwaltungsprozesses, dass sich der Bürger im Rahmen dessen gegen hoheitliches Handeln wendet, das ihn auch ohne sein Zutun in unberechtigter Weise treffen kann134. Anders kann sich beispielsweise die Lage im Zivilprozess gestalten. Dieser dient überwiegend dazu, privat verursachte Rechtstreitigkeiten gerichtlich zu lösen. Die Zivilprozessnormen dienen dem Bürger insoweit „lediglich“ zur Durchsetzung seiner privaten Rechte gegenüber einer anderen Person. Die Prozessparteien des Zivilprozesses greifen letztdann aber zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei dieser Frage um eine Abwägungsfrage handelt. 132 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 101 f. 133 Vgl. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 101 f. 134 Vgl. dazu bereits oben im Fünften Teil unter A. I. 1. und 3.
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
193
lich aus eigenem Willensentschluss darauf zurück. Der vor den Zivilgerichten durchgeführte Rechtsstreit ist letzten Endes ausschließlich auf private – und nicht auf staatlich intendierte – Handlungen zurückzuführen. Im Gegensatz zum verwaltungsrechtlichen Rechtsstreit haben die Parteien im Privatrecht die Ursache der gerichtlichen Auseinandersetzung selbst gemeinsam gesetzt. Dementsprechend muss sich auch die Vertrauenslage in Situationen sich ändernden Prozessrechts im Verwaltungsprozess anders als etwa im Zivilprozess gestalten und schließlich auch unter diesem abweichenden Blickwinkel bewertet werden. Dieser Unterschied stellt die uneingeschränkte Anwendung der im Zivilrecht wurzelnden Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess abermals in Frage. Da im Verwaltungsprozess andere Vertrauensinteressen berührt werden, sind diese im Ergebnis auch anders zu gewichten. bb) Differenzierung nach der Rechtswidrigkeit beziehungsweise Rechtmäßigkeit des den Bürger belastenden staatlichen Handelns Aber auch innerhalb des Verwaltungsprozesses ist genauer zu differenzieren. Ursache verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes ist zumeist ein vorausgegangenes hoheitliches Handeln. Soweit begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Handelns bestehen, hat zwar grundsätzlich jeder Bürger Anlass, auch gerichtlich dagegen vorzugehen. Jedoch ist genauer zwischen demjenigen, den tatsächlich ein rechtswidriges und demjenigen, den ein rechtmäßiges staatliches Handeln trifft zu unterscheiden. Nur derjenige ist aus ex-post Sicht – insbesondere bei einer Verkürzung oder gar dem Wegfall des Rechtsschutzes aufgrund neuer Prozessreglungen – wirklich beschwert, den eine hoheitliche Maßnahme trifft, die sich als rechtswidrig erweist135. Stellt sich die zur gerichtlichen Prüfung gestellte Maßnahme hingegen als rechtmäßig heraus, ist der Bürger nicht in seinen Rechten berührt. Das Ziel, subjektiv-materielles Recht mit Hilfe des gerichtlichen Verfahrens zu verwirklichen, kann dann nicht erreicht werden, einfach aus dem Grunde, dass es vor dem Prozess in seiner Verwirklichung gar nicht beeinträchtigt war. Unter dieser Betrachtungsweise ist also der Bürger, der gegen ein tatsächlich rechtswidriges Handeln des Staates vorgeht, gewissermaßen mehr veranlasst, unter Zugrundelegung der entsprechenden verfahrenrechtlichen Normen den Rechtsweg zu beschreiten. Folglich ist auch dessen Vertrauensinteresse höher zu bewerten. Darüber hinaus bezweckt das Ergebnis seines Handelns nicht nur – wie es auf den ersten Blick scheinen mag – einen rein privaten Erfolg. Vielmehr liegt die gerichtliche Entscheidung, die richterliche Erkenntnis der Rechtswidrigkeit einer hoheitlichen Maßnahme auch im Interesse des Staates an der Aufhebung eines derartigen, den Bürger belastenden staatlichen Aktes. Denn der Staat kann bereits allein aus rechtsstaatlichen Erwägungen kein Interesse an der Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen
135
Siehe dazu auch noch genauer unten im Fünften Teil unter C. II.
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
Rechtslage haben. Das Vorgehen vor allem gegen rechtswidriges hoheitliches Handeln ist also auch aus dieser Sichtweise vom Rechtsstaat veranlasst. cc) Summarische Prüfung der Rechtswidrigkeit beziehungsweise Rechtmäßigkeit des den Bürger belastenden staatlichen Handelns In der Konsequenz dessen müssten die Verwaltungsgerichte im Vorfeld der Abwägung, im Rahmen der richtigen Gewichtung des Vertrauensinteresses und damit also vor Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts danach fragen, ob der Rechtssuchende in dem anhängigen Verfahren, das unter Umständen davor steht, nach für ihn nachteiligem neuen Recht entschieden zu werden, gegen eine rechtswidrige oder eine im Ergebnis rechtmäßige staatliche Maßnahme vorgeht. Denn wie dargelegt ist das Vertrauensinteresse an der Aufrechterhaltung einer verfahrensrechtlichen Position auf dem Weg der Beseitigung eines rechtwidrigen hoheitlichen Handelns entsprechend höher zu gewichten. Eine Prozesshandlung, die im Gefüge eines aussichtsreichen Prozesses vorgenommen wird, kann mithin von solchem Gewicht sein, dass das darauf basierende Vertrauen das staatliche Änderungsinteresse überwiegt. Vergleichbar zum Prüfungsmaßstab im einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO, in der im Rahmen der Interessenabwägung eine summarische Prüfung vorgenommen wird136, müssten die Gerichte auch in Situationen sich ändernden Prozessrechts im Laufe eines anhängigen Verfahrens, eine solche summarische Prüfung vornehmen, im Rahmen derer die Rechtmäßig- beziehungsweise Rechtswidrigkeit des staatlichen Handelns zu überprüfen ist. Je nach dem Ergebnis dieser Prüfung ist in der Folge die Verfahrensposition des Rechtssuchenden zu gewichten. Erweist sich die hoheitliche Maßnahme als rechtswidrig, stärkt dies das Interesse und damit das Vertrauen des Bürgers in die alte Rechtslage, die ihm dazu dient, dagegen vorzugehen. Stellt sich das Handeln des Staates im Ergebnis einer summarischen Prüfung hingegen als rechtmäßig heraus, so lässt sich vertreten, dem Vorgehen des Bürgers die Veranlassung abzusprechen. Denn der Staat hat an dem Vorgehen gegen ein vermeintlich rechtmäßiges hoheitliches Handeln, wenngleich es ebenfalls rechtstaatlich gedeckt ist, ein vergleichsweise geringeres Interesse, gibt so gesehen also weniger Veranlassung. Entsprechend ist das beeinträchtigte Vertrauen in solchen Fällen niedriger zu gewichten.
136
687.
Kopp/Schenke, VwGO, § 80, Rn. 152; Schleswig-Holsteinisches OVG, NVwZ 1992,
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
195
2. Vorhersehbarkeit der Gesetzesänderung Einen weiteren Punkt für die Bemessung der Vertrauensdichte stellt die Vorhersehbarkeit der Gesetzesänderung dar137. Denn das Maß des an und für sich schutzwürdigen Vertrauens in eine prozessrechtliche Regelung hängt unter anderem auch davon ab, inwieweit der Bürger die bevorstehende Gesetzesänderung voraussehen konnte. So kann der Bürger beispielsweise die Änderung der Rechtslage vorhersehen und dementsprechend von vornherein nur ein geringer zu gewichtendes Vertrauen in die Beständigkeit der alten Regelung investieren, wenn bereits die gesetzliche Vertrauensgrundlage einen Vorbehalt ihrer späteren Aufhebung enthält – wie beispielsweise das RMBeschrG vom 01. 05. 1993, das lediglich bis zum 30. 04. 1998 gelten sollte138. Denn dann muss der Bürger bereits aufgrund der bestehenden Gesetzeslage mit einer Änderung der Rechtslage rechnen139. Beinhaltet die Vertrauensgrundlage hingegen keinerlei solcher Anhaltspunkte, fragt es sich, ob womöglich bereits die Vorbereitung oder der Beschluss des neuen Gesetzes den Rechtssuchenden darauf in Vertrauensschutz mindernder Weise hinweisen könnte, dass die prozessrechtliche Lage demnächst anders als bisher beurteilt wird140. Es ließe sich auch der Standpunkt vertreten, dass der Vertrauensschutz des Bürgers bereits dann an Gewicht verliert, wenn die bisherige Regelung nur rechtspolitisch umstritten war, über eine Reform diskutiert wurde oder ein Änderungsantrag im Bundestag eingebracht wurde141. Demnach ist danach zu fragen, ab welchem konkreten Zeitpunkt ein objektiver Betrachter mit einer Änderung der Rechtslage rechnen konnte beziehungsweise musste und welche Auswirkungen dies auf das Maß des Vertrauens hat. Genügt zur Verringerung des Vertrauensschutzes tatsächlich bereits die Ankündigung einer bevorstehenden Gesetzesänderung, deren Beschluss im Bundestag oder muss ein neues Gesetz erst verkündet werden, bevor sich der Bürger in seinem Vertrauen von der alten Rechtslage abwenden muss und auf die neuen Regelungen stützen kann? Voraussetzung dafür wäre eine rechtliche Relevanz für den Bürger, eine rechtliche Konsequenz des angekündigten, beschlossenen oder verkündeten Gesetzes. Denn eine bloß faktische Vorhersehbarkeit kann zur Einschränkung des im Rechts-
137
Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 93 ff. 138 BGBl. I, S. 466 (487); siehe dazu auch im Zweiten Teil, A. II. 1. a). 139 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 95, der die Tauglichkeit der „allgemeinen“ Vorhersehbarkeit als Maßstab für die Ermittlung der Vertrauensdichte in Frage stellt und dieses Kriterium allein in Beziehung zur jeweiligen gesetzlichen Vertrauensgrundlage setzt. Entscheidend sei die normative Aussage des Gesetzes, auf deren Bestand der Bürger vertraut, 94. 140 Vgl. Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 27. 141 Vgl. Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 52; BVerfGE 57, 361 (392 f.); 67, 1 (19 f.); 71, 230 (252).
196
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
staatsprinzip verankerten Vertrauensschutzes nicht ausreichen142. Insoweit steht die Frage nach der Vorhersehbarkeit einer Gesetzesänderung in einem engen Zusammenhang mit der vor allem von Kloepfer diskutierten Frage nach der Vorwirkung von Gesetzen143. a) Die Vorwirkung von Gesetzen Die Problematik der Vorwirkung beschäftigt sich mit den Auswirkungen eines erst entstehenden Gesetzes. Je nach Fortschreiten der Entwicklung eines Gesetzes kann diesem ein steigendes Maß an Vorwirkung zukommen. Die maßgeblichen Unterscheidungskriterien für die Vorwirkungsproblematik sind dabei vor allem der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass ein geplantes Gesetz schließlich auch Geltung erlangt und das Maß allgemeiner Publizität des Gesetzgebungsvorhabens144. Kloepfer teilt deswegen den üblichen Werdegang eines Gesetzes im Wesentlichen in drei Stufen ein. Die erste Stufe umfasst demnach die vorparlamentarische Diskussion des Gesetzes vor dem Einbringen des Gesetzesentwurfes in das Parlament, die zweite Stufe das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren und die dritte Stufe die nachparlamentarischen Abläufe bis zum Inkrafttreten des Gesetzes145. aa) Die Diskussion und Ankündigung eines Gesetzes Die Frage, ob bereits die Ankündigung eines Gesetzes Aus- beziehungsweise eine Vorwirkung auf das Vertrauen des Normadressaten hat, betrifft nach Kloepfers Einteilung insbesondere die erste Stufe. Dieser Zeitabschnitt beginnt mit der Phase gesellschaftlicher, rechtspolitischer Forderungen nach gesetzgeberischer Aktivität und endet mit dem Beschluss eines Gesetzesentwurfs. Innerhalb der ersten Stufe nimmt der Grad der Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines Gesetzes bereits deutlich zu, ebenso wie der der Publizität146. Unterstellt, der künftige Normadressat erlangt Kenntnis von der Gesetzesankündigung, so ist es durchaus denkbar, dass sich diese auch auf dessen Entschlussfindung im Hinblick auf bevorstehende Handlungen rechtlich auswirkt147. Folglich wird der Bürger versuchen, voraussichtliche Verbesserungen der bisherigen Rechtslage für sich auszunutzen, indem er beispielsweise verfahrensnotwendige Anträge so spät wie möglich stellt und somit ein laufendes Gerichtsverfahren verzögert, um in den Genuss der günstigeren neuen Rechtslage zu gelangen148. Umgekehrt kann die Kenntniserlangung eines gesetzgeberischen Vorha142
Friauf, BB 1972, 669 (676 f.). Kloepfer, Vorwirkung, 1 ff.; siehe zur Frage der Vorwirkung von Gesetzen auch im Ersten Teil C. II. 1. 144 Kloepfer, Vorwirkung, 12. 145 Kloepfer, Vorwirkung, 12 ff. (18). 146 Kloepfer, Vorwirkung, 12 ff. 147 Siehe zu der Frage der Kenntniserlangung eines „durchschnittlichen“ Bürgers unten im Fünften Teil unter B. I. 2 a) cc). 148 Vgl. bei Kloepfer, Vorwirkung, 23 f. 143
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
197
bens Anlass dafür sein, dass der davon Betroffene noch vor Erlass des erwarteten neuen Gesetzes auf der Grundlage des noch aktuell geltenden Rechts Dispositionen trifft, um somit etwaigen negativen Auswirkungen der geplanten Neuregelung zu entgehen149. Diese Dispositionen hätte der Bürger bei Fortgeltung des alten Rechts womöglich aber erst zu einem späteren Zeitpunkt oder vielleicht auch überhaupt nicht getroffen. Somit lässt sich festhalten, dass einer bekannt gegebenen Novellierungsabsicht des Gesetzgebers ein so genannter Ankündigungseffekt dergestalt zukommt, dass sich der Bürger zu einem Handeln veranlasst sieht, obwohl sich die Gesetzeslage noch gar nicht zu seinem Gunsten oder Ungunsten verändert hat. Soweit der Erlass des neuen Gesetzes glaubhaft in Aussicht gestellt wird, liegt es nicht außerhalb einer gewissen Lebenswahrscheinlichkeit, dass der Betroffene ernstlich mit dem Zustandekommen der angekündigten Novelle rechnet. In dem Fall, dass der Betroffene positive Maßnahmen ergreift, mit denen er versucht, sich noch die Vorteile des geltenden Rechts zu sichern, verknüpft sich mit der Gesetzesankündigung ein so genannter positiver Ankündigungseffekt. Die Ankündigung eines Gesetzes kann insofern eine „quasi-normative Wirkung“, in diesem Sinne also eine Vorwirkung entfalten, indem sie sich bereits im vornherein rechtlich auf künftige Normadressaten auswirkt150. Dem gegenüber steht der negative Ankündigungseffekt, der dann eintritt, wenn es gerade im Interesse des Gesetzgebers liegt, dass der Bürger die bestehenden Dispositionsmöglichkeiten nicht mehr verstärkt ausnutzt, und der dadurch erreicht wird, dass ein Gesetzesvorhaben nicht öffentlich angekündigt wird151. Trotz erhöhter Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens und erhöhtem Bekanntheitsgrades des geplanten Gesetzes bei Abschluss der ersten Stufe des Gesetzeswerdegangs, kann die vorparlamentarische Gesetzesankündigung aber noch nicht zu einem Vertrauensverlust seitens des zukünftigen Normadressaten auf die noch bestehende Rechtslage führen. Gesetzesinitiativen und -beratungen sind nicht Gesetzgebung. Das Ergebnis hieraus kann niemand vorhersehen152. In den nächsten Stufen des Gesetzgebungsverfahrens sind noch verschiedene Änderungsvorschläge möglich, welche die geplante Neuregelung inhaltlich umgestalten können. Der konkrete Inhalt lässt sich somit noch nicht absehen. Zudem können Diskussionen in der Öffentlichkeit die Entstehung des Gesetzes hinauszögern. Ob das Gesetz in der vorgesehenen Form auch vom Bundestag so verabschiedet wird, bleibt zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss. Die Entstehung des geplanten Gesetzes, gerade auch im Hinblick auf das weitere Gesetzgebungsverfahren ist demnach noch nicht in einem solchen Maße wahrscheinlich, um allgemeingültig eine das Vertrauen des Betroffenen einschränkende Vorwirkung bloß angekündigter Gesetze zu statuieren. Es fehlt somit
149 150 151 152
Vgl. bei Kloepfer, Vorwirkung, 24; Friauf, BB 1972, 669 (671). Friauf, BB 1972, 669 (672). Friauf, BB 1972, 669 (671 f). Leisner, Festschrift Berber, 273 (296).
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
an einer ausreichenden Grundlage für eine rechtlich erhebliche Vorhersehbarkeit der beabsichtigten Regelung153. Gegen die Annahme einer rechtlich erheblichen Vorhersehbarkeit angekündigter Gesetze spricht des Weiteren, dass ansonsten der Initiator eines Gesetzes die Möglichkeit erhielte, das Vertrauen des Bürgers in die Geltung der vom Gesetzgeber erlassenen und derzeit in Kraft befindlichen Normen einzuschränken und deren Geltung de facto weithin zu suspendieren, ohne dabei aber gewährleisten zu können, dass die Neuregelung auch tatsächlich in der vorgesehenen Form vom Parlament angenommen wird. Unter diesen Umständen könnte sich der Bürger weder am geltenden noch am womöglich kommenden Recht orientieren. Damit würde jedoch die Rechtssicherheit für ihn auf dem betroffenen Gebiet eine zu große Einschränkung erfahren154. Rechtssicherheit bedeutet auch Planbarkeit eigener Dispositionen. Gerade weil nahezu alle Lebensbereiche durchnormiert sind, ist es die Aufgabe der gesetzgebenden Organe, rechtliche Leerräume, wie sie hierdurch entstehen würden, zu vermeiden155. Auch die Tatsache, dass der Initiator etwaiger Gesetzesvorhaben die oben beschriebenen Ankündigungseffekte derart ausnutzen kann, dass er bewusst lenkend auf das Verhalten des Normadressaten einwirkt, spricht gegen die Annahme einer rechtlich erheblichen Vorhersehbarkeit einer gesetzlichen Regelung infolge der bloßen Ankündigung. Je nach positivem oder negativem Ankündigungseffekt, also je nachdem, ob der Träger der Gesetzesinitiative sein Vorhaben ankündigt oder auch nicht, wird die Willensbildung und damit das Handeln des Betroffenen beeinflusst156. Wollte man vor diesem Hintergrund einer Gesetzesankündigung eine das Vertrauen beschränkende Wirkung beimessen, so ginge dies wiederum zu Lasten der Rechtssicherheit. Denn unter Ausnutzung dieses Lenkungseffekts läge es regelmäßig in der Hand des lenkenden Gesetzesinitiators, ob und wie weit der Betroffene auf die noch geltende Altregelung vertrauen darf. Je positiver der Ankündigungseffekt, also je mehr Informationen über das Gesetzesvorhaben allgemein bekannt werden, desto vorhersehbarer wäre die Neuregelung und desto weniger Vertrauen dürfte der Bürger in die noch bestehende Rechtslage investieren. Das führt jedoch zu erheblichen, nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheiten, weil es allein von der Informationspolitik des Gesetzesinitiators abhinge, wer wie weit informiert wird und dem folgend wer wie lange worauf vertrauen darf157. Dass der Grad des Vertrauens seitens der Bürger in dieser Weise gelenkt wird und somit dem Willen und der Willkür der staatlichen gesetzgebenden Organe unterliegt, ist schlechterdings nicht hinnehmbar. Denn eine Einschränkung des rechtsstaatlich geschützten Vertrauens des Bürgers kann al153
Friauf, BB 1972, 669 (678). Friauf, BB 1972, 669 (672, 678). 155 Hey, BB 1998, 1444 (1449 f.). 156 Friauf, BB 1972, 669 (671 f); Kloepfer, Vorwirkung, 25 ff, der hier noch näher auf die staatliche Informationspolitik als Lenkungsinstrument eingeht. 157 Vgl. dazu Kloepfer, Vorwirkung, 25 ff. 154
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
199
lein aufgrund einer Abwägung zwischen öffentlichem und individuellem Interesse erfolgen. Diese ließe sich im Rahmen einer vertrauensreduzierenden, lenkend eingesetzten Gesetzesankündigung, aufgrund der zahlreichen Ungewissheiten im Hinblick auf das tatsächliche Zustandekommen des Gesetzes, jedoch nur schwerlich nachvollziehen. Auch das Bundesverfassungsgericht misst schließlich erst dem Gesetzesbeschluss im Bundestag eine vertrauensbeeinträchtigende Wirkung bei158. Bis zu diesem Zeitpunkt solle das Vertrauen des Bürgers in den Bestand des geltenden Rechts geschützt sein. Allein die Einbringung von Gesetzesinitiativen könne dieses Vertrauen nicht einschränken159. Es bleibt damit festzuhalten, dass der Ankündigungseffekt nicht genügt, um Einschnitte beim Vertrauen des Bürgers auf die alte Rechtslage rechtfertigen zu können. bb) Der Beschluss eines Gesetzes In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie in der Rechtslehre findet sich die überwiegende Ansicht, dass der Vertrauensschutz in altes Recht mit dem Gesetzesbeschluss im Bundestag endet160. Bereits zu diesem Zeitpunkt bestünde für den Betroffenen kein Anlass mehr, die für ihn günstigen Regelungen nach altem Recht wahrzunehmen161. Es ließe sich demgemäß vertreten, dass die Betroffenen mit dem Tag des Gesetzesbeschlusses mit der Verkündung und dem Inkrafttreten der Neuregelung rechnen müssten. Es sei ihnen von diesem Zeitpunkt an zuzumuten, ihr Verhalten auf die beschlossene Gesetzeslage einzurichten. Das bedeutete zum einen, dass der Vertrauensschutz danach also erheblich an Gewicht verliert beziehungsweise sogar entfällt, umgekehrt aber auch, dass das Vertrauen des Bürgers in den Bestand des geltenden Rechts in aller Regel solange geschützt ist, bis der Bundestag ein in die Vergangenheit unecht zurückwirkendes Gesetz beschließt162. Es erscheint aber durchaus kritikfähig, den Zeitpunkt des Vertrauensverlustes bereits auf den Moment des Gesetzesbeschlusses zu legen. Denn erst die Verkündung eines Gesetzes verhilft diesem zu der dafür nötigen Publizität. Erst dann können sich die Betroffenen in verlässlicher Weise über ihre daraus folgenden Rechte und Pflichten unterrichten163. Wollte man bereits zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses im Bundestag dem Bürger das Vertrauen auf die Altregelungen entziehen, wird diesem unterstellt, 158
BVerfGE 8, 274 (304 f.); 13, 206 (213); 13, 261 (273); 14, 288 (298). BVerfGE 31, 222 (227). 160 BVerfGE 31, 222 (227); 72, 175 (200); 95, 64 (88 f.); 97, 67 (81 f.); Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 134; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 73a. 161 BVerfGE 72, 175 (200). 162 Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 52; BVerfGE 14, 288 (298); 31, 222 (227). 163 Siehe zur Verkündung im Ersten Teil, C. I. 1. und den folgenden Punkt im Fünften Teil, B. I. 2. a) cc). 159
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
dass er die beschlossene Neuregelung auch tatsächlich kannte beziehungsweise kennen musste. Eine solche Betrachtungsweise dürfte jedoch an den vorherrschenden Lebensverhältnissen vorbei zielen. Die dennoch dahingehende Rechtsprechung und Lehre geht irrtümlicherweise von einem „Idealtyp eines mit den Vorgängen des staatlichen Lebens auf das Beste vertrauten und in rechtliche Fragen bewanderten Staatsbürgers aus, wie er [aber …] der Verfassungswirklichkeit nicht entspricht“164. Entscheidend ist, welches Maß an Kenntnis nach verständiger Würdigung bei dem betroffenen Personenkreis realistischerweise vorausgesetzt werden kann165. Abgesehen von Interessenverbänden, in deren Natur es liegt und die auch über die Möglichkeiten verfügen, sich im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit inhaltlich mit etwaigen Gesetzesvorhaben und -beschlüssen vertraut zu machen, wird eine solche Kenntnis bei einem Großteil – auch interessierter – Bürger regelmäßig nicht vorliegen. Angesichts häufig unzureichender Informationen dürfte es die Bürger überfordern, sich jeweils Kenntnis vom Inhalt eines jeden parlamentarischen Gesetzesbeschlusses zu verschaffen. Es kann ihnen demzufolge kaum abverlangt werden, sich über im Bundestag erfolgte Gesetzesbeschlüsse zu informieren. Diese tatsächlichen Gegebenheiten zugrunde gelegt, ist es in der Konsequenz auch keineswegs gerechtfertigt, dem Bürger im Rahmen einer Interessenabwägung seine – natürliche – Unkenntnis entgegenzuhalten166. cc) Die Verkündung eines Gesetzes Nahe liegender ist es, frühestens mit der ordnungsgemäßen Gesetzesverkündung von einem den Vertrauensschutz beeinflussenden Kenntnisstand der Normadressaten auszugehen. Erst zu diesem Zeitpunkt wird das Gesetz rechtlich existent167. Mit der Verkündung erhält das Gesetz seine förmliche Publizität und die Bürger erlangen die Möglichkeit, sich in verlässlicher Weise über ihre Rechte und Pflichten zu informieren168. Bekräftigt wird diese Sichtweise durch den Umstand, dass es keineswegs gewiss ist, dass ein im Bundestag beschlossenes Gesetz in dieser Gestalt auch verkündet wird169. So wirken beim Erlass von Bundesgesetzen zwei weitere Verfassungsorgane, der Bundesrat und der Bundespräsident an der Gesetzgebung mit. Somit liegt es im 164
Rupp – v.Brünneck, Sondervotum, BVerfGE 32, 129 (138) (zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 32, 111). 165 Rupp – v.Brünneck, Sondervotum, BVerfGE 32, 129 (137) (zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 32, 111). 166 Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 33; Rupp – v.Brünneck, Sondervotum, BVerfGE 32, 129 (138) (zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 32, 111); Hey, BB 1998, 1444 (1450). 167 Lücke, in Sachs, GG, Art. 82, Rn. 12; Pieroth, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 82, Rn. 5. 168 Lücke, in Sachs, GG, Art. 82, Rn. 1; Hey, BB 1998, 1444 (1450); siehe zur Verkündung auch schon im Ersten Teil, C. I. 1. 169 Vgl. Hey, BB 1998, 1444 (1450), die diesen Punkt am Beispiel von Steuergesetzen erörtert.
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
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Bereich des Möglichen, dass ein im Parlament beschlossenes Gesetz in der Zeit zwischen Gesetzesbeschluss und Gesetzesverkündung noch Änderungen erfährt. Der Gesetzgebungsvorgang kann sich zudem erheblich verzögern. Auch ist es denkbar, dass ein beschlossenes Gesetz überhaupt nicht zustande kommt170. Hier treten schließlich ähnliche Probleme auf, wie sie bereits im Zusammenhang mit der bloßen Gesetzesankündigung erörtert wurden171. Woran soll sich der Bürger orientieren? Die alten Regelungen darf er seinen Dispositionen nicht mehr zugrunde legen, wenn man auf den Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses abstellt. Auf die im Bundestag beschlossene Neuregelung kann er sich aber ebenfalls noch nicht einstellen172. Dem Bürger wäre es somit unmöglich, die aktuell anwendbaren Vorschriften sicher zu bestimmen. Legt man also den Zeitpunkt des Vertrauensverlustes auf einen Zeitpunkt vor der Gesetzesverkündung, führt auch dies unweigerlich zu einer Gefährdung der Rechtssicherheit sowie zur Unterhöhlung des verfassungsrechtlich vorgegebenen Gesetzgebungsverfahrens173. Dem Wegfall des Vertrauensschutzes bereits vor Verkündung des Gesetzes lässt sich im Weiteren auch die auf dem Gedanken der Vorwirkung beruhende Frage entgegenhalten, ob dann der Bürger auch schon ab Beschluss des neuen Gesetzes auf dieses vertrauen darf174. Denn an einer, also entweder der neuen oder der alten gesetzlichen Regelung, sollte der Bürger unter dem Aspekt der Rechtssicherheit sein Vertrauen und damit seine Dispositionen ausrichten können. Wollte man dem Bürger mit dem Gesetzesbeschluss im Bundestag das Vertrauen auf die alten Regelungen entziehen, so ist auf der anderen Seite zu hinterfragen, ob es ihm zuzugestehen ist, sein Vertrauen in das künftige Gesetz zu investieren und sein Verhalten dementsprechend auszurichten. Das wirft dann aber auch die Folgefrage auf, ob ihm in dem Fall, dass sein Vertrauen auf künftiges Recht enttäuscht wird, etwa weil das Gesetz letztlich mangels Verkündung nicht zustande kommt, eine billige Entschädigung zu gewähren ist175. Erhebt beispielsweise ein Bürger noch weit vor Fristablauf eine Klage, und zwar nur, weil er sich angesichts einer in einem – fiktiven – Gesetz beschlossenen Fristverkürzung dazu veranlasst sieht, fragt es sich, wie damit umzugehen wäre, wenn das beschlossene Gesetz schließlich doch nicht verkündet wird, der Kläger aber bei voller Ausschöpfung der Frist und Bedenkzeit womöglich gar nicht geklagt und das Prozessrisiko nicht auf sich genommen hätte. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es vorzugswürdiger, das Gewicht des Vertrauensinteresses infolge Vorhersehbarkeit erst ab dem Zeitpunkt der Gesetzesverkündung zu reduzieren. Denn erst ab diesem Zeitpunkt ist das neue Gesetz rechtlich wirksam. Ab diesem Zeitpunkt entfällt die Ge170
Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 34. Siehe dazu oben im Fünften Teil unter B. I. 2. a) aa). 172 Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 34. 173 Hey, BB 1998, 1444 (1450). 174 Siehe dazu Kloepfer, Vorwirkung, S. 216 ff. 175 Vgl. Kloepfer, Vorwirkung, S. 218; der hier noch näher auf die Frage der Schutzwürdigkeit enttäuschten Vertrauens auf künftiges Recht eingeht. 171
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
fahr, dass ein vom Parlament beschlossenes Gesetz am Ende nicht zur Geltung gelangt. Erst die Verkündung eines Gesetzes macht die folgende Rechtsänderung also in vertrauensbeschränkender Art und Weise vorhersehbar. Die dann rechtlich erhebliche Vorhersehbarkeit wirkt sich auf den Grad des Vertrauens, damit auf das Gewicht der Verfahrensposition und somit schließlich auf die Schwere des in die Abwägung einzustellenden Vertrauensinteresses aus. Die Vorhersehbarkeit hat somit unmittelbare Folgen auch auf die Abwägung als solche, macht diese aber keinesfalls von vornherein entbehrlich176. Wollte man entgegen der hier vertretenen Auffassung bereits zu einem früherem, vor der Verkündung liegenden Zeitpunkt eine das Vertrauen reduzierende Wirkung eines sich in der Entstehung befindenden Gesetzes annehmen, liefe das im Ergebnis auf eine Normwirkung ohne wirksame Norm hinaus177. b) Besonderheit der vorliegenden Fallkonstellationen Wird ein Verfahrensgesetz verkündet, das keine Übergangsregelungen zu der Frage enthält, nach welchem Recht noch anhängige Prozesse zu entscheiden sind, so besteht nach wie vor eine Unsicherheit auf Seiten des Bürgers. Denn dem Betroffenen wird mangels gesetzlicher Anhaltspunkte regelmäßig nicht klar sein, nach welchem Recht sein laufender Prozess nun letztlich entschieden wird. Die Verkündung des Gesetzes lässt genau genommen nur erkennen, dass ab diesem Zeitpunkt anhängig werdende Gerichtsverfahren nach neuem Recht zu beurteilen sind. Zwar geben ferner die Grundsätze des intertemporalen Rechts vor, dass das neue Recht mit Inkrafttreten auch auf laufende Verfahren angewendet werden soll. Jedoch kann deren Kenntnis seitens des Rechtssuchenden keinesfalls vorausgesetzt werden. Überdies finden sich auch Beispiele in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, in denen Ausnahmen von dem Grundsatz der Sofortanwendung zugelassen werden. Allerdings sind bislang keine klaren Anhaltspunkte dafür zu erkennen, in welchen Fällen, außer in dem eines unzulässig werdenden Rechtsmittels, solche Ausnahmen von der sofortigen Anwendung neuen Rechts zu machen sind, was wiederum zu einer uneinheitlichen Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts führt. Solange es aber in der Verwaltungsrechtsprechung keine einheitliche Linie in dieser Frage gibt, kann dem Prozessführenden auch keine Kenntnis unterstellt werden, in welchen konkreten Fällen neues oder noch altes Recht angewendet wird. Trotz Verkündung der Neuregelung kann es demnach nicht als vorhersehbar gelten, dass diese in jedem Fall auch sofort nach ihrem Inkrafttreten zur Anwendung gelangt. Das gilt es bei der Gewichtung des Vertrauensinteresses zu berücksichtigen. Im Weiteren ist folgender Punkt im Rahmen der Vorhersehbarkeit zu beachtenden. Auch wenn der an einem Prozess beteiligte Bürger bereits nach Verkündung einer 176
Hey, BB 1998, 1444 (1450). Leisner, Festschrift Berber, 273 (296); Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 94. 177
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
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prozessrechtlichen Neuregelung noch eine verfahrensrechtliche Disposition vornimmt, lässt sich für diesen nicht zwingend vorhersehen, ob über diese noch vor dem Tag des Inkrafttretens des neuen Rechts entschieden wird. So lagen beispielsweise zwischen dem Tag der Verkündung des die Antragsbefugnis der Normenkontrolle einschränkenden 6. VwGOÄndG und dem Tag des Inkrafttretens zwei Monate178. Beim Gesetz zur Reform des öffentlichen Dienstrechts, das die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Versetzungsverfügung aufhob, betrug dieser Zeitraum sogar über vier Monate179. Angenommen einem von einer Versetzungsverfügung betroffenem Beamten stünde, etwa aufgrund von Mängeln in der Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid eine Klagefrist von einem Jahr zu (§ 58 Abs. 2 VwGO), die kurz nach Verkündung und noch weit vor Inkrafttreten des Dienstrechtsreformgesetzes zu laufen begann, dann hätte dieser Beamte die Wahl gehabt, sofort eine Klage anzustrengen oder das Inkrafttreten der Neuregelung abzuwarten. Da jedoch die nach alter Rechtslage vorgesehene aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage vorteilhafter für ihn war, wird er bemüht gewesen sein, die Klage noch unter alter Gesetzeslage anhängig zu machen. Dabei kann ihm aber nicht abgesprochen werden, dass er darauf vertraute, dass das Gericht noch vor Inkrafttreten des neuen Recht, also innerhalb von vier Monaten zu einer für ihn positiven Entscheidung gelangt und er somit – schließlich auch dank der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs – einer im Raum stehenden Versetzung womöglich entgeht. Jedenfalls lässt es sich für den Bürger nicht von vornherein ausschließen, dass über seine Klage innerhalb dieses Zeitraums, also noch unter Geltung des alten Rechts entschieden wird. Dass die tatsächliche Verfahrensdauer an den Verwaltungsgerichten vier Monate überschreitet, kann durchaus außerhalb der Kenntnis des Bürgers liegen. Die Verfahrensdauer hängt von mehreren, auch unvorhersehbaren Faktoren ab und darf somit nicht zu Lasten des Prozessführenden gehen. Ihm kann nicht das Risiko aufgebürdet werden, dass das Verfahren den Geltungszeitraum des alten Rechts übersteigt. Anderenfalls würde das neue, noch nicht in Kraft getretene Recht potentielle Kläger davon abhalten, ihre noch bestehenden Rechte wahrzunehmen. Das würde schließlich zu einer Unterhöhlung noch geltenden Rechts führen. Die alte Regelung würde dann faktisch schon mit der Verkündung der neuen Regelung außer Kraft treten. Eine solche Betrachtungsweise würde den Rechtsweg, die Rechtsschutzmöglichkeiten und vor allem die Rechtssicherheit unzulässig beeinträchtigen. Es ist daher in einer solchen Situation nicht einzusehen, warum der Bürger trotz Geltung des alten Rechts auf dieses nicht mehr vertrauen dürfen sollte, nur weil das erst in Monaten in Kraft tretende neue Recht bereits vorhersehbar ist.
178 179
Siehe dazu auch im Zweiten Teil unter A. I. 2. sowie BGBl. I (1996), S. 1626. Siehe dazu auch im Zweiten Teil unter A. I. 3. sowie BGBl. I (1997), S. 322.
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
c) Das Kriterium der Vorhersehbarkeit im Gemeinschaftsrecht In Hinblick auf die Vorhersehbarkeit einer Rechtsänderung, die der EuGH im Zusammenhang mit der Frage nach der Schutzwürdigkeit des Vertrauens prüft180, hat der Gerichtshof in einer umfangreichen Judikatur im Wesentlichen drei den Vertrauensschutz vernichtende Faktoren aufgestellt, anhand derer dieses Kriterium zu prüfen ist181. Zunächst ist danach zu fragen, ob rechtslageimmanente Anhaltspunkte gegeben sind, die auf eine Rechtsänderung hinweisen182. Hierunter fallen beispielsweise Befristungen etwaiger Regelungen, aus denen sich ihre Vorläufigkeit ergibt183. Auch die offensichtliche Fehlerhaftigkeit gemeinschaftlicher Rechtsakte kann unter diesem Gesichtspunkt zum Verlust des Vertrauensschutzes führen184. Im Weiteren können externe Ereignisse, wie etwa eine Marktstörung oder eine Währungskrise eine baldige Korrektur der rechtlichen Rahmenbedingungen erwarten lassen und somit auf eine bevorstehende Normänderung hindeuten185. Schließlich ist es für den Vertrauensschutz entscheidend, ob der Betroffene rechtzeitig im Voraus von der bevorstehenden Rechtsänderung informiert wurde, so zum Beispiel durch die frühzeitige Verkündung im Amtsblatt, durch eine Gesetzesvorlage oder auch durch inoffizielle Mitteilungen in der Fachpresse186. Alle drei Faktoren werden seitens des EuGH anhand eines objektiven Maßstabs geprüft187. Es wird nicht auf den individuellen Kenntnisstand abgestellt, sondern
180
Siehe dazu bereits im Vierten Teil, B. III. 1. Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 175 f. 182 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 180 ff.; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 107; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 101 ff. 183 Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 109; Rechtssache 78/74 (Deuka I), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1975, S. 433, Rd. 11 – 14; Rechtssache 5/75 (Deuka II), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1975, S. 771 f., Rd. 8 – 10. 184 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 107 f.; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 115 ff.; Rechtssache 112/77 (Töpfer), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1978, S. 1032, Rd. 20; Rechtssache 127/80 (Grogan), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1982, S. 884, Rd. 28 – 30. 185 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 187 ff.; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 108; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 112 ff. 186 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 189 ff.; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 108; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 109 ff.; Rechtssache 97/76 (Merkur), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1977, S. 1077, Rd. 6. 187 Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 99. 181
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auf einen aufmerksamen, vorsichtigen, vorausschauenden und sorgfältigen Durchschnitts-Bürger188. Soweit der Gerichtshof bei der Prüfung der Schutzwürdigkeit auf die Vorhersehbarkeit der Rechtsänderung abstellt, ist er in der Ablehnung des Vertrauensschutzes weit konsequenter als die deutschen Verwaltungsgerichte189. Dieser Umstand findet seine Ursache in erster Linie darin, dass der Gerichtshof an den EU-Bürger sehr hohe Ansprüche stellt. Diesem werden juristische Sachkenntnisse sowie Beurteilungs- und Handlungsfähigkeiten abverlangt, die die gewöhnlichen Obliegenheiten zur Beobachtung und Bewertung von Vorankündigungen des Gemeinschaftsgesetzgebers übersteigen dürften190. Diese konsequente Vorgehensweise des EuGH mag vor dem Ziel einer effektiven Marktlenkung nachvollziehbar sein, die womöglich dann gefährdet wäre, wenn man bei der Unvorhersehbarkeit von Normänderungen zu großzügig verfahren würde. Der Gedanke der Funktionsfähigkeit des Marktes und der damit einhergehenden Handlungsfreiheit und Flexibilität der Organe durchzieht dementsprechend die gesamte Judikatur des EuGH zum Vertrauensschutzgrundsatz191. Jedoch muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass es an diesem Hintergrund speziell im deutschen Verwaltungsprozessrecht fehlt, weswegen eine solch – vergleichsweise – restriktive Auslegung der Vorhersehbarkeitskriterien dort nicht angebracht ist. Denn die Gefahren für das nationale Rechtsgefüge bei der noch vorübergehenden Anwendung alten Prozessrechts sind nicht vergleichbar mit denen auf europäischer Ebene für die Funktionsfähigkeit des Marktes.
3. Der zeitliche und inhaltliche Fortschritt des Prozesses – Annäherung an die Umsetzung materiellen Rechts Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob auch der zeitliche und inhaltliche Fortschritt des Prozesses Anhaltspunkte dafür bieten kann, wie schwer das an sich berechtigte Vertrauen des Bürgers in der Abwägung wiegt. Denkbar ist, dass sich das Vertrauen umso mehr verdichtet und der Verfahrensposition des Rechtssuchenden damit ein umso größeres Gewicht zukommt, je fortgeschrittener die konkrete Prozesslage, je absehbarer das Ende des Prozesses und damit also die Verwirklichung konkreten materiellen Rechts ist. Für die weitere Untersuchung kommt es in diesem Zusammenhang im Wesentlichen auf zwei Punkte an – das zeitliche Voranschreiten des gerichtlichen Verfahrens und die inhaltliche Annäherung an die Verwirklichung materiellen Rechts. Zu überprüfen ist vor allem, anhand welcher Krite188 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 106; Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 176 ff. m.w.N. 189 Vgl. Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 151. 190 So Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 327 f. m.w.N. 191 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 329; siehe dazu auch im Sechsten Teil, D. I.
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
rien sich der Fortschritt des Prozesses messen lässt. In Betracht kommen dafür zum einen „äußere“ Kriterien, wie etwa der Abschluss bestimmter Prozessabschnitte sowie zum anderen „innere“ Kriterien, die Aufschluss über die Bedeutung einzelner Prozessabschnitte für das Erreichen des Prozessziels, einer gerichtlichen Entscheidung geben. Letzten Endes lautet die Frage, an welchem Punkt des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine Verfahrensposition derart gefestigt ist, dass sie dem darauf vertrauenden Prozessführenden nicht mehr im Nachhinein aufgrund einer neuen Regelung entzogen werden darf. a) Kriterien des zeitlichen Fortschritts des Prozesses: Die Abschnitte des Verwaltungsprozesses Grundsätzlich geht es im Prozessrecht um die Frage, welche Schritte seitens der Beteiligten zu unternehmen sind, um gemäß den Prozessregeln das gewünschte Prozessziel zu erreichen192. Das gerichtliche Verfahren ist darauf zugeschnitten, dass zwischen der auslösenden Handlung, der Klageerhebung und der den Prozess beendenden Handlung, der gerichtlichen Entscheidung, eine gewisse Anzahl von Akten liegt, von denen jeder das Prozessrechtsverhältnis vorantreibt und seinerseits eine weitere Handlung auslöst193. Bis zu seinem Abschluss durchläuft der Prozess also mehrere aufeinander folgende Abschnitte. Diesen kommt je nach Lage und Verlauf des Verfahrens eine unterschiedliche Bedeutung zu, die sich in erster Linie am Ziel des Verfahrens bemisst, der Verwirklichung materiellen Rechts194. Der Prozess fügt sich demnach aus mehreren Stadien zusammen. Er entwickelt sich Stufe für Stufe fort. Aus dieser Betrachtungsweise ließe sich die Vermutung formulieren, dass die Verfahrensposition des von einer Gesetzesänderung Betroffenen umso gefestigter und damit dessen Vertrauen in die Anwendung noch alten Recht umso verdichteter und damit gewichtiger ist, je mehr dieser Stufen innerhalb des Prozesses erreicht sind. In einem weiter fortgeschrittenen Prozess kann der Rechtssuchende unter Umständen ein Mehr an Vertrauen investieren als etwa zu Beginn eines Prozesses. Werden Prozesshandlungen über einen längeren Zeitraum getätigt, kann sich das Vertrauen entsprechend steigern, je länger deren Wirkung anhält. Eine Entwertung prozessrechtlicher Vorgaben dürfte demnach umso schwerer wiegen, je länger sich der Rechtssuchende danach verhalten hat195. Zunächst gilt es zu klären, ob die Verfahrensposition des Prozessführenden, der ein berechtigtes Vertrauen in die Beständigkeit geltender Regelungen und in die Wirksamkeit seiner darauf basierenden Handlungen investiert, umso stärker zu bewerten 192
Vgl. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 205. Sieg, ZZP 65 (1952), 250 (252). 194 Dazu genauer unten im Fünften Teil unter B. I. 3. b). 195 Vgl. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 118. 193
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
207
ist, je mehr Prozesshandlungen der Rechtssuchende bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts vorgenommen hat, je mehr Prozessvoraussetzungen also unter der Geltung noch alten Rechts erfüllt wurden. Folgt man diesem Gedanken weiter, so dürfte etwa die Stellung desjenigen, der bereits das Stadium der mündlichen Verhandlung erreicht oder sogar abgeschlossen hat, höher zu bewerten sein, als diejenige des Rechtssuchenden, der gerade erst eine Klage erhoben hat. aa) Der Zeitpunkt der Vornahme einzelner Prozesshandlungen Auf einen Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Vornahme einer Prozesshandlung und dem Zeitpunkt des Inkrafttretens neuen Rechts, also allein auf den Zeitfaktor abzustellen, bereitet jedoch Schwierigkeiten. Denn Gegenstand vieler Prozessregelungen ist häufig nicht nur ein punktuelles Ereignis, das zu einem bestimmten Zeitpunkt eintritt. Regelmäßig erstrecken sich bestimmte Verfahrensabschnitte über einen längeren Zeitraum. Zeitliche Grenzen für die Erfüllung bestimmter Verfahrensvoraussetzungen überschneiden sich bisweilen. Einige Prozessvoraussetzungen müssen nicht nur während einzelner Prozessabschnitte, sondern während des gesamten Prozesses vorliegen. So wird es Schwierigkeiten bereiten, an dem Tag des Inkrafttretens eines neuen Gesetzes zu unterscheiden, welche Prozessvoraussetzungen bereits erfüllt wurden, also im Bereich des Vergangenen liegen, welche gegenwärtig erfüllt werden, und welche erst künftig erfüllt werden müssen196. Daraus folgen freilich Abgrenzungsschwierigkeiten für die Grenzen zwischen altem und neuem Recht. Allein auf den Zeitpunkt einzelner, die Prozessvoraussetzungen erfüllender Prozesshandlungen lässt sich bei der Frage nach der zeitlichen Geltung und dem zeitlichen Anwendungsbereich von Verfahrensnormen also nicht abstellen197. bb) Das Erreichen einzelner Prozessabschnitte Vorstellbar ist es, dass das Erreichen einzelner Prozessabschnitte die Bedeutung der verfahrensrechtlichen Stellung und damit das Gewicht des darin investierten Vertrauens erhöht. So könnten beispielsweise im Abschluss des Rechtszugs, in der Rechtshängigkeit oder bereits in der Anhängigkeit Grenzen für eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Rechtspositionen liegen. Eine abgestufte Abgrenzung nach Einleitung, Verlauf und Beendigung des gerichtlichen Verfahrens oder von Verfahrensabschnitten könnte sich im Hinblick auf die Frage einer nachträglichen Beeinträchtigung dabei erreichter Verfahrenspositionen als sachgerecht erweisen198. Allerdings bereitet es Schwierigkeiten, einzelnen Prozessabschnitten eine in jedem Einzelfall gleiche Bedeutung beziehungsweise einen in jeder Prozesslage gleich zu beurteilenden Wert beizumessen. Die Ursache dafür liegt in dem „dynami196 197 198
Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 206. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 206. Vgl. BVerfGE 63, 343 (360).
208
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
schen Charakter“ des Prozesses199. Dem Abschluss bestimmter Prozessabschnitte kommt je nach Tatbestand und Prozesslage im Hinblick auf das Erreichen einer gerichtlichen Entscheidung und damit im Hinblick auf die Verwirklichung materiellen Rechts in verschiedenen Einzelfällen eine unterschiedliche Bedeutung zu. Demzufolge muss jeweils auch die Verfahrensposition eines Rechtssuchenden trotz Durchlaufens des gleichen Prozessabschnitts von Fall zu Fall unterschiedlich bewertet werden. Auch erweist sich eine isolierte Betrachtung einzelner Abschnitte beziehungsweise eine von weiteren Prozessumständen losgelöste Bewertung als problematisch. Die Handlungen der Beteiligten sind regelmäßig aufeinander bezogen und vielfach voneinander abhängig. Eingeleitete oder beendete Abschnitte des Prozesses stehen regelmäßig in Zusammenhang mit weiteren Handlungen, auch anderer Beteiligter. Die einzelnen Bestandteile des Prozesses stehen folglich in Wechselwirkung zueinander200. Somit wird deutlich, dass den prozessrechtlichen Normen nur in ihrem strukturellen Zusammenhang die Aufgabe zukommt, materielles Recht zu verwirklichen. Die einzelnen Prozessabschnitte, die insoweit nur Durchgangsstadien auf dem Weg zur gerichtlichen Entscheidung darstellen, besitzen so gesehen keinen eigenständigen und damit messbaren Wert201. Vielmehr ist daher auf die Bedeutung der verschiedenen Prozessabschnitte beziehungsweise der Normen, die deren Voraussetzungen regeln, im Gesamtgefüge des Prozesses abzustellen. Diese bemisst sich stets im Hinblick auf das angestrebte Prozessziel202. Das heißt, je mehr der jeweilige Verfahrensabschnitt zur Entscheidungsfindung beiträgt, desto größer ist dessen Bedeutung und damit auch das Gewicht des darin investierten Vertrauens. Das kann in verschiedenen Prozessen durchaus abweichend voneinander beurteilt werden.
cc) Ergebnis Für die Beantwortung der Frage, in welchem Fall das Vertrauen in den Bestand einer verfahrensrechtlichen Position derart gefestigt ist, dass deren nachträglicher Entzug mit dem Vertrauensschutz nicht vereinbar ist, kommt es weniger auf das zeitliche Voranschreiten des Verfahrens an, als auf dessen inhaltlichen Fortschritt. Anstatt isoliert auf einzelne Prozessabschnitte und deren Voraussetzungen im Geflecht vieler abzustellen, erscheint es nahe liegender, das Augenmerk auf deren Anteil für die Umsetzung materiellen Rechts zu legen. Anders formuliert, es genügt nicht, auf das äußerliche Erreichen verschiedener Prozessstadien abzustellen, da diese inhaltlich, im Hinblick auf das verfolgte Prozessziel mit verschiedener Bedeutung belegt sein können. Das bedeutet aber auch nicht, dass die äußerlich erkennbare Entwicklung des Prozesses gänzlich außer Betracht zu lassen ist. So hängt die inhaltliche Fortentwick199 200 201 202
Dazu eingehend Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 204 f. m.w.N. Vgl. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 205. Vgl. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 204 f. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 205.
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
209
lung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens freilich eng mit dessen zeitlichen Voranschreiten zusammen, das insoweit auch als Indikator dienen kann, wenn es darum geht, das Gewicht der Verfahrensposition des Prozessführenden zu beurteilen. Als maßgebendes Kriterium soll im Folgenden aber vorwiegend auf den inhaltlichen Fortgang des Prozesses abgestellt werden, darauf, inwieweit der Rechtssuchende der Verwirklichung seines subjektiven Rechts zum Zeitpunkt des Inkrafttretens neuen Rechts nahe gekommen ist. b) Kriterien des inhaltlichen Fortschritts des Prozesses: Die Bedeutung der Prozessabschnitte für das Erreichen des Prozessziels An dieser Stelle ist danach zu fragen, ob das Vertrauen des Rechtssuchenden umso gefestigter ist und seiner Verfahrensposition demzufolge umso mehr Gewicht zukommt, je näher der Prozessführende in der konkreten Prozesslage, unabhängig von der Erfüllung bestimmter Prozessvoraussetzungen und damit von dem Erreichen verschiedener Prozessabschnitte, dem Ende des Prozesses und damit der Verwirklichung materiellen Rechts kommt. aa) Der Abschluss des Verwaltungsprozesses Eines der wesentlichen Merkmale des Gerichtsverfahrens ist die Ausrichtung aller prozessrechtlichen Regelungen auf eine am Ende stehende richterliche Entscheidung. Diese Entscheidung enthält die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, die im Interesse aller Beteiligten eine gewisse Beständigkeit erlangen muss203. Dies wird dadurch gewährleistet, dass die richterliche Entscheidung in Rechtskraft erwächst. Die Rechtskraft markiert den Schluss des Prozesses auch in zeitlicher Hinsicht204. Mit dem Eintritt der Rechtskraft wird verhindert, dass die in einem verwaltungsgerichtlichen Urteil ausgesprochene Rechtsfolge bei unveränderter Sach- und Rechtslage später nochmals erneut zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Parteien gemacht wird205. Damit soll eine Mehrfachbelastung der Justiz, die Gefahr widersprechender Entscheidungen und eine daraus erwachsende Gefährdung des Rechtsfriedens vermieden werden206. Alle Prozessvoraussetzungen sehen damit vor, dass ein neuerlicher Rechtsstreit in derselben Sache unzulässig ist207. Dem Ende des gerichtlichen Verfahrens kommt auch bei der Klärung, inwieweit laufende Verfahren von neuem Recht erfasst werden können, Bedeutung zu. Denn rechtskräftige Entscheidungen können grundsätzlich nicht mehr geändert werden, 203 204 205 206 207
Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 203 f. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 207. BVerwGE 14, 359 (362); 91, 256 (258). Kopp/Schenke, VwGO, § 121, Rn. 1; BVerwGE 91, 256 (258). Kopp/Schenke, VwGO, § 121, Rn. 1.
210
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
auch nicht durch spätere Gesetzesänderungen208. Urteile, die einmal rechtmäßig ergangen sind und nach bisherigem Recht Rechtskraft erlangt haben, werden grundsätzlich nicht dadurch rechtswidrig oder unwirksam, dass das dafür später maßgebliche Recht ihrem Erlass entgegenstehen würde209. Die letzte, mit der Rechtskraft endgültig erreichte Verfahrensposition kann dem Rechtssuchenden nicht mehr entzogen werden. bb) Die Rechtskraft verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen Sowohl die formelle als auch die materielle Rechtskraft verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen finden einfachgesetzliche Grundlagen. Die nicht ausdrücklich geregelte formelle Rechtskraft wird in § 153 VwGO als bestehend vorausgesetzt210. Sie folgt auch unmittelbar aus den Vorschriften über die Rechtsmittelfristen211. Darüber hinaus gilt § 705 ZPO, der den Eintritt der Rechtskraft regelt, über § 173 VwGO auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren212. Die materielle Rechtskraft ist in § 121 VwGO gesetzlich festgehalten. Ergänzend können wiederum über § 173 VwGO auch die §§ 322 ff. ZPO herangezogen werden213. Festzustellen ist aber, dass detaillierte Regelungen fehlen214. Dementsprechend interpretationsoffen sind sowohl Inhalt als auch vor allem die Grenzen der Rechtskraft, was im Folgenden von besonderem Interesse sein soll. cc) Verschmelzung von Prozessrecht und materiellem Recht Da sich mit ihrem Eintritt Prozessrecht und materielles Recht „aufs engste berühren“215, soll der Rechtskraft im Folgenden besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Das rechtskräftige Urteil vermittelt den Übergang des Prozesses in den Lebensbereich des materiellen Rechts216. Damit zeigt sich, dass sich die Verfahrensposition mit dem inhaltlichen – und auch zeitlichen – Fortschreiten des Prozesses dem materiellen Recht immer weiter annähert. Zwar begegnen sich das Prozessrecht und das 208
Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 207 f. Kopp, SGb 1993, 593 (596). 210 Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 89; Kopp/Schenke, VwGO, § 121, Rn. 2. 211 Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 89; Kopp/Schenke, VwGO, § 121, Rn. 2. 212 Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 89; Kopp/Schenke, VwGO, § 121, Rn. 2. 213 Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 89. 214 Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 89; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 212. 215 Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 207. 216 Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 26; Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 207. 209
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
211
materielle Recht bereits an mehreren Schnittpunkten im Verlaufe des Verfahrens, das der Entscheidung materiellrechtlicher Streitigkeiten dient217. Ihre engste Verknüpfung finden sie aber letztlich im rechtskräftigen Urteil. Darauf ist das Zusammenspiel des Prozessrechts und des materiellen Rechts ausgerichtet218. dd) Rechtskraft und materielle Gerechtigkeit Das Institut der Rechtskraft folgt unmittelbar aus der Verfassung219. Ihre Notwendigkeit wird vor allem mit dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Gedanken der Rechtssicherheit begründet220. Die Gewährleistung von Rechtsfrieden und -sicherheit ist die wesentliche Aufgabe der Rechtskraft, die sich damit als ein zentrales Element der Rechtsstaatlichkeit erweist221. Die Rechtssicherheit „verlangt nicht nur einen geregelten Verlauf des Rechtsfindungsverfahrens, sondern auch einen Abschluß, dessen Rechtsbeständigkeit gesichert ist“222. Demgemäß müsse auch „die Möglichkeit einer im Einzelfall vielleicht unrichtigen Entscheidung in Kauf genommen werden“223. Die Billigung womöglich unrichtiger Entscheidungen zugunsten der Rechtssicherheit kollidiert allerdings mit dem Erfordernis materieller Gerechtigkeit. Das Rechtsstaatsprinzip ist nicht nur dem Gedanken der Rechtssicherheit verpflichtet. Es gewährleistet in ebenso hohem Maße materielle Gerechtigkeit224. Zwischen der Rechtskraft und dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit bedarf es daher eines Ausgleichs. Aufgrund dessen erfährt die Rechtskraft eine dreifache Beschränkung – objektiv dem Gegenstand nach, subjektiv nach dem Kreis der von ihr betroffenen Personen und zeitlich im Hinblick auf den Zeitpunkt, auf den sich ihre Feststellung bezieht225. Tendenziell erhält der hinter der Rechtskraft stehende Grundsatz der Rechtssicherheit als essentieller Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips jedoch den Vorrang. Beständigkeit und Rechtskraft sind die Regel, deren Beschränkung zugunsten der Gerechtigkeit ist die Ausnahme226. 217
Siehe dazu im Fünften Teil unter A. I. 2. a) und 3. Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 26. 219 BVerfGE 47, 146 (161); Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 89 f. m.w.N. 220 Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 90; BVerwGE 91, 256 (259); siehe zur Rechtssicherheit auch bereits im Dritten Teil, A. I. und C. II.1. b). 221 Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 90; BVerfGE 19, 150 (166). 222 BVerfGE 2, 380 (403). 223 BVerfGE 2, 380 (403); vgl. auch Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 90. 224 Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 331; Gotzen, VR 1998, 406; BVerfGE 19, 150 (166); siehe zum rechtsstaatlichen Erfordernis der Gerechtigkeit auch bereits im Dritten Teil, C. II. 1. a). 225 Gotzen, VR 1998, 406; Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 91 ff., siehe zur teilweise unterschiedlichen Terminologie, 91, dort die Fußnoten 22 und 23. 226 BVerfGE 19, 150 (166). 218
212
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
Wie genau allerdings die Grenzen der Rechtskraft im Einzelnen verlaufen, wird im deutschen Prozessrecht noch viel diskutiert227. Zu einem beträchtlichen Teil hängt diese Frage mit einem weiteren Zentralproblem des Prozessrechts, nämlich mit der Bestimmung des Streitgegenstands zusammen228. Es liegt aber nicht im Interesse dieser Untersuchung, die Grenzen der Rechtskraft näher zu bestimmen. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle lediglich, dass diese nicht starr verlaufen und im Einzelfall das Institut der Rechtskraft beweglich, deren Umfang variabel ist. Und zwar immer dann, wenn es die Gerechtigkeit im Einzelfall gebietet. ee) Das in Rechtskraft erwachsene Prozessurteil Bei den Prozessurteilen, die der hiesigen Untersuchung zugrunde liegen, erwächst die Entscheidung in Rechtskraft, dass dem prozessualen Anspruch ein zur Klageabweisung führendes prozessuales Hindernis – das Fehlen einer Sachurteilsvoraussetzung – entgegensteht229. Das Gericht kann dann nicht mehr zur nochmaligen Entscheidung derselben Zulässigkeitsfrage gezwungen werden. Im Falle einer unzulässigen Klage kann der Kläger also mit seiner Rechtsverfolgung scheitern, da ihm dann der Rechtsschutz zur Sache verweigert wird. Gleichwohl sein materielles Recht an sich bestehen mag, verliert er mit der Rechtskraft des Urteils die Möglichkeit, dieses Recht gerichtlich durchzusetzen230. Üblicherweise liegt es in der Hand des Rechtssuchenden, Voraussetzungen einer Klage, wie etwa die Einhaltung von Fristen oder beispielsweise die Durchführung eines Vorverfahrens zu erfüllen. Versäumt der Kläger die Vornahme der entsprechenden Handlungen, setzt er die Durchsetzung seines subjektiven Rechts gewissermaßen aufs Spiel. In Fällen wie den vorliegenden, in denen die Unzulässigkeit einer zunächst zulässigen Klage ihren Grund aber in einer Gesetzesänderung findet, die nachträglich etwaige Klagevoraussetzungen verschärft, ist die Lage jedoch anders zu beurteilen. Hier kann es vorkommen, dass die Klage im Nachhinein ohne Zutun beziehungsweise Säumnis des Prozessführenden unzulässig wird. Hier setzt das neue Prozessrecht der Durchsetzung subjektiven Rechts Grenzen. In ihrer Wirkung stehen diese Grenzen materiellrechtlichen Schranken der Rechtsausübung gleich231. ff) Ergebnis Auch wenn es so scheint, dass die Problematik der Anwendung neuen Rechts auf noch anhängige – eben noch nicht abgeschlossene – Verfahren auf den ersten Blick nicht viel mit den Fragen der Rechtskraft zu tun hat, können sich aus den hier ange227 228 229 230 231
Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, 91 ff . m.w.N. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 211. Kopp/Schenke, VwGO, § 121, Rn. 19. Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 61 f. Vgl. Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 62.
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
213
stellten Erwägungen wertvolle Schlüsse für die richtige Gewichtung des Vertrauensinteresses ziehen lassen. Vor allem vor dem Hintergrund des Grundsatzes der materiellen Gerechtigkeit, der die gerichtliche, den Prozess abschließende Entscheidung beeinflusst, fragt es sich, ob es in diesem Sinne stets gerecht erscheint, neues Recht sofort anzuwenden, und damit beispielsweise auch fast entschiedene Klagen im nachhinein als unzulässig zu erachten, was unter Umständen zur Undurchsetzbarkeit subjektiv-materiellen Rechts führen kann. Auch wenn der Rechtskraft regelmäßig der Vorrang vor Erwägungen der materiellen Gerechtigkeit einzuräumen ist, zeigt sich dennoch, dass die der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden dienende Rechtskraft nicht in starren Grenzen verharrt. Das kann vor allem dann der Fall sein, wenn besondere Umstände des Einzelfalls dies gebieten. Solche, die Rechtskraft beeinflussenden Umstände könnten in den hier untersuchten Fällen vorliegen. Es soll vor diesem Hintergrund im Folgenden die Frage behandelt werden, ob die Wirkung der Rechtskraft nicht auch bereits vor Abschluss des Verfahrens eintreten kann, im Sinne einer Vorwirkung. Damit ließen sich womöglich sogar die sonst gegenüberstehenden Aspekte von Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit vereinen. Denn es erscheint zum einen gerecht, dem auf das alte Prozessrecht Vertrauenden seinen Prozess auch danach zu Ende führen zu lassen. Zum anderen führt eine solche Herangehensweise möglicherweise auch zu mehr Rechtssicherheit und -frieden in der Weise, dass sich jeder Prozessführende auf die Anwendung desjenigen Rechts verlassen kann, das bei Beginn des Rechtsstreits noch gegolten hat, wenn dieser bereits so weit fortgeschritten ist, dass die in Rechtskraft erwachsende Entscheidung klar vorhersehbar, sozusagen zum Greifen nahe ist und in diesem Sinne auf die Prozesslage zum Zeitpunkt der Rechtsänderung vorwirkt. c) Die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen als maßgebliches Kriterium Eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bindet die Parteien. Diese können auf die darin ausgesprochene Rechtsfolge vertrauen und ihr künftiges Handeln dementsprechend gestalten. Von diesem Zeitpunkt des Prozesses an sind die Parteien in ihrem Vertrauen auf die richterliche Entscheidung geschützt232. Es fragt sich nun aber, ob dieser Zeitpunkt womöglich vor verlagert und damit der besonderen Verfahrenslage beim Inkrafttreten neuen Rechts angepasst werden kann, ob also das Vertrauen des Prozessführenden auf einen bestimmten Ausgang des Prozesses unter Zugrundelegung alter Prozessnormen bereits zu einem früheren Zeitpunkt in ähnlicher Weise geschützt sein könnte, wie dies nach Abschluss des Gerichtsverfahrens der Fall wäre. Zu beachten sind dabei zwei Aspekte. Zum einen kommt in diesem Zusammenhang dem zeitlichen Fortschritt eine Indikatorwirkung zu233. Je näher das Ende des 232 Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 209; Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 96. 233 Siehe dazu oben im Fünften Teil unter B. I. 3. a) cc).
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
Prozesses rückt, desto vorhersehbarer und wahrscheinlicher kann die gerichtliche Entscheidung werden und desto mehr können sich die Beteiligten darauf einstellen. Das Vertrauen in eine Entscheidung gemäß der noch bestehenden Rechtslage verdichtet sich zunehmend mit dem näher rückenden Ende des Prozesses. Zum anderen sind für dieses zunehmende Vertrauen die inhaltliche Sach- sowie die konkrete Prozesslage von Bedeutung. Je klarer die Lage, desto greifbarer ist die – noch nach altem Recht – in Rechtskraft erwachsene Entscheidung des Gerichts. Ist die Sach- und Prozesslage hingegen unübersichtlich, ist noch völlig unklar, wie der Prozess ausgehen mag, kann hingegen nicht die Rede davon sein, dass die Rechtskraft „in die Nähe“ gerückt ist. Dann ist anzunehmen, dass seitens der Beteiligten auch weniger Vertrauen in einen bestimmten Ausgang des Verfahrens investiert werden konnte. In einem solchen Fall stehen der Anwendung neuen Rechts schließlich weniger Bedenken entgegen. aa) Die Vorwirkung gerichtlicher Entscheidungen Eine vorhersehbare, in Rechtskraft erwachsende Gerichtsentscheidung kann sich dann auf das Gewicht des Vertrauens auswirken, wenn dem zu erwartenden Richterspruch eine nicht außer Acht zu lassende Vorwirkung zukommt. Wenngleich die Thematik der Vorwirkung bislang – vor allem von Kloepfer – vorwiegend im Zusammenhang mit entstehenden Gesetzen diskutiert wurde234, wird im Folgenden danach zu fragen sein, inwieweit auch einer absehbaren – und gewissermaßen ebenfalls „entstehenden“ – gerichtlichen Entscheidung eine solche Wirkung zukommen kann. Parallelen sind jedenfalls denkbar. Denn die Vorwirkungsproblematik beschränkt sich nicht allein auf Rechtsetzungsakte, sondern erfasst ein jedes rechtlich relevantes Geschehen235. Die Frage nach der Vorwirkung einer Gerichtsentscheidung kann dabei jedoch nur rein faktische Auswirkungen staatlichen Handelns umfassen. Denn rechtlich verbindlich kann die gerichtliche Entscheidung ohne Zweifel erst mit ihrem Erlass werden. Es ist aber danach zu fragen, ob die Richter bei der Beantwortung der Frage nach der Anwendung neuen Rechts den voraussichtlichen Ausgang des Verfahrens nach altem Recht zu berücksichtigen haben, ob sich die Aussicht des Bürgers auf einen bestimmten Urteilsspruch beziehungsweise Beschluss auf das Handeln der Rechtssprechung faktisch auswirken kann. Denn ebenso wenig wie „kein prinzipielles Hindernis bestehen [kann], nach den faktischen Auswirkungen werdender Gesetze zu fragen“236, besteht ein solches, hier nach den faktischen Auswirkungen bevorstehender gerichtlicher Entscheidungen zu fragen. Die Frage konzentriert sich dabei vor allem auf die Wirkung auf das Vertrauensinteresse des Bürgers, die Dichte und das Gewicht berechtigt in die alte Rechtslage investierten Vertrauens. Anlehnend an Kloepfer soll
234 235 236
Siehe dazu oben im Fünften Teil unter B. I. 2. a). Kloepfer, Vorwirkung, 2. Kloepfer, Vorwirkung, 3 f.
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
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dafür der Grad der Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Entscheidung maßgebend sein237. bb) Der Grad der Wahrscheinlichkeit einer für den Prozessführenden günstigen Gerichtsentscheidungen Es kann davon ausgegangen werden, dass sich das Vertrauen des Bürgers in eine bestimmte, für ihn günstige Entscheidung noch nach altem Prozessrecht umso mehr verdichtet, je wahrscheinlicher der Erlass dieser Gerichtsentscheidung ist. Der Grad der Wahrscheinlichkeit bemisst sich dabei an dem Lauf des Prozesses, wobei es weniger auf den zeitlichen als auf den inhaltlichen Fortschritt ankommt. In zeitlicher Hinsicht macht es keinen Unterschied, ob das gerichtliche Verfahren gerade eingeleitet wurde oder kurz vor seinem Abschluss steht. Inwieweit die in jedem Fall zu erwartende Entscheidung vorteilhaft für den Prozessführenden ist, wird sich vielmehr erst aus dem inhaltlichen Verlauf des Prozesses ergeben. Je nachdem wie aufgeklärt der Sachstand ist, wie eindeutig beispielsweise die Beweislage, oder wie ausführlich und aufschlussreich die mündliche Verhandlung geführt wurde, lässt sich der Inhalt der den Prozess abschließenden Entscheidung abzeichnen. Die Zeitkomponente findet hierbei allenfalls noch als Indiz für den inhaltlichen Fortschritt Beachtung. Je mehr Umstände schließlich darauf hinweisen, dass eine in ihrer Tendenz absehbare Entscheidung ergeht, desto mehr nimmt deren Wahrscheinlichkeit und damit auch ihre Vorwirkung zu. Die Vorwirkung drückt sich dergestalt aus, dass das Interesse des Bürgers in die Anwendung noch alten Rechts bei hoher Wahrscheinlichkeit einer ihn begünstigenden Entscheidung auch entsprechend hoch zu gewichten und mit diesem erhöhten Gewicht in die Abwägung einzustellen ist. Das kann in der Folge dazu führen, dass das staatliche Interesse an der sofortigen Anwendung neuen Rechts in einem solchen Fall hinter dem privaten Vertrauensinteresse des Bürgers zurücktreten muss. Mit anderen Worten, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, materielles Recht nach bislang geltendem Prozessrecht zu verwirklich, desto kleiner stellt sich die Möglichkeit dar, dies mit der Anwendung neuen Verfahrensrechts noch abzuwenden. cc) Summarische Prüfung der Rechtswidrigkeit beziehungsweise Rechtmäßigkeit des den Bürger belastenden staatlichen Handelns Voraussetzung einer Vorwirkung der bevorstehenden gerichtlichen Entscheidung zugunsten des Prozessführenden ist, dass ihn das Urteil beziehungsweise der Beschluss schließlich auch begünstigt, was dann der Fall ist, wenn sich das durch ihn angegriffene staatliche Handeln als rechtswidrig erweist. Anderenfalls hätte der Bürger kein ein Vertrauen rechtfertigendes Interesse an der Anwendung noch alten Rechts. Denn es wäre unerheblich für ihn, ob sein Rechtsbehelf nun aufgrund neuen Rechts oder aus anderen Gründen erfolglos bleibt, so etwa wenn der Staat 237
Vgl. Kloepfer, Vorwirkung, 12.
216
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
im Ergebnis rechtmäßig handelte. Ob der anhängige Prozess bei Anwendung noch alten Rechts erfolgreich ausgehen wird, lässt sich – wie bereits erörtert – im Rahmen einer summarischen Prüfung feststellen238. Im Zusammenhang damit kann anhand der soeben beschriebenen Anhaltspunkte – dem Fortschritt des Prozesses, der Sach- und Beweislage usw. – auch die Wahrscheinlichkeit eines für den Bürger nicht nur theoretisch, sondern auch tatsächlich positiven Ausgangs des laufenden Verfahrens geprüft werden. dd) Ergebnis Mit dem Kriterium der Vorhersehbarkeit der Gerichtsentscheidung ist eine weitere Grundlage für die richtige Gewichtung des Vertrauens in den Bestand derjenigen Verfahrensregeln gefunden, die zum Zeitpunkt der Anhängigkeit des Prozesses noch Geltung fanden. Während der Prozessbeteiligte zu Beginn des Prozesses lediglich noch auf eine ihn begünstigende Entscheidung hofft, vermag sich diese Hoffnung im Verlaufe des Prozesses, mit zunehmendem inhaltlichem Fortschritt in Zuversicht zu entwickeln. Kurz vor Abschluss des Prozesses vertraut der Prozessführende nicht mehr nur in die Beständigkeit prozessualer Vorschriften, auf die er seine Dispositionen begründet hat, sondern bei Bestehen entsprechender Anzeichen auch auf einen für ihn positiven Ausgang. Das Vorliegen solcher Anzeichen lässt sich im Rahmen einer summarischen Prüfung untersuchen. Wenn demnach eine in Rechtskraft erwachsende, den Bürger begünstigende Entscheidung und damit die Verwirklichung materiellen Recht absehbar bevorsteht und damit hinreichend wahrscheinlich ist, muss dies im Rahmen der Abwägung beziehungsweise bei der ihr vorangehenden Gewichtung der Interessen jedenfalls Berücksichtigung finden.
II. Ergebnis Neben der Bedeutung der Verfahrensposition ist deren Gewicht entscheidend für ihren Schutz gegenüber einer nachteilig wirkenden Anwendung neuer Prozessnormen. Maßgeblicher Faktor für die richtige Bestimmung des Gewichts der Verfahrensposition ist der Vertrauensschutz. Soweit schutzwürdiges Vertrauen vorliegt, lässt dessen Verdichtung Rückschlüsse auf das Gewicht und damit auf die Schutzbedürftigkeit der verfahrensrechtlichen Stellung des Bürgers zu. Je höher das Gewicht der Verfahrensposition ist, desto eher überwiegt schließlich das vom Vertrauensschutz gedeckte Interesse an dem vorübergehenden Fortbestand der alten Prozessregeln gegenüber dem Allgemeininteresse an der sofortigen Anwendung neuen Rechts. Um das Gewicht der Verfahrensposition richtig einschätzen zu können, bedarf es eines geeigneten Gradmessers. Die vorangegangene Prüfung hat dafür in Betracht kommende Anhaltspunke herausgestellt, wobei bereits das Vorliegen von nur einem dieser Punkte einen Rückschluss auf eine erhöhte Vertrauensdichte rechtferti238
Siehe dazu oben im Fünften Teil unter B. I. 1. b) cc).
B. Das Gewicht der Verfahrenspositionen
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gen und damit Auswirkungen auf das Gewicht der Verfahrensposition und in dessen Folge auf die Schwere des Vertrauensinteresses des Bürgers haben kann. Sind mehrere der aufgeführten Kriterien erfüllt, nimmt der Grad des Vertrauens entsprechend zu. Bei einem dieser Gesichtspunkte, die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind, handelt es sich um die Rechtmäßig- beziehungsweise Rechtswidrigkeit des staatlichen Handelns. Festzuhalten ist, dass demjenigen Bürger, der gegen ein rechtswidriges staatliches Handeln vorgeht, ein stärkeres Interesse an der Aufrechterhaltung ihm zum Erfolg verhelfender alter Rechtsnormen zuzusprechen ist als demjenigen, der gegen eine rechtmäßige hoheitliche Maßnahme vorgeht. Der im Prozess erlangten Stellung des Rechtssuchenden ist dementsprechend ein mehr oder weniger beachtliches Gewicht beizumessen. Im Weiteren hängt der Grad berechtigten Vertrauens in eine verfahrensrechtliche Position entscheidend davon ab, inwieweit der Prozessführende vor Vornahme einer prozessrechtlichen Disposition Kenntnis hat beziehungsweise Kenntnis haben muss, dass sein Prozess nach neuem Recht entschieden wird. Das setzt allerdings nicht nur die Vorhersehbarkeit der neuen Regelungen voraus, sondern auch das Erkennen des zeitlichen Anwendungsbereichs. Diese Kenntnis wird jedoch gerade in Fällen, in denen das neue Gesetz keinerlei Übergangsbestimmungen enthält, fehlen. Darin liegt die Besonderheit der hiesigen Untersuchung, dass die Frage der zeitlichen Anwendung vom Gesetzgeber unbeantwortet bleibt. Auch die Dauer und der Verlauf des Prozesses können dazu führen, dass das Maß berechtigten Vertrauens trotz verkündetem neuen Gesetzes nicht reduziert wird. Denn gerade bei langjährig geführten Prozessen kann es auch vorkommen, dass sowohl Ankündigung, Beschluss und Verkündung in einen Zeitraum nach Vornahme einer nach altem Recht zulässigen Prozesshandlung fallen. Dann hat der Rechtssuchende jedenfalls berechtigtes Vertrauen in die Rechtslage bei Vornahme seiner prozessrechtlichen Disposition investiert, weil er zu diesem – frühen – Zeitpunkt seines Prozesses von einer neuen Regelung noch keinerlei Kenntnis haben konnte. Das Vertrauen verliert also auch bei einer ab Verkündung vorhersehbaren Neuregelung, die keine Übergangsregelungen enthält, keineswegs vollständig an Gewicht. Schließlich erhöht sich der Grad des Vertrauens mit zunehmender Wahrscheinlichkeit einer positiven gerichtlichen Entscheidung. Es geht es bei der Überlegung, ob bereits neues Prozessrecht, trotz damit verbundener Nachteile für den Bürger dennoch auf anhängige Verfahren angewendet werden soll, um die Frage, ob ihm „die prozessuale Möglichkeit […] zur Durchsetzung [einer] materiell-rechtlichen Position“239 genommen werden darf. Wenn diese Möglichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit besteht, so kann sie dem Prozessführenden nicht mehr ohne weiteres entzogen werden. Denn dann erlangt dessen Vertrauensposition einen deutlichen Gewichtszuwachs, was wiederum erhöhte Anforderungen an das auf der anderen Seite der Abwägung stehende Interesse des Staates an der sofortigen Anwendung neuen Rechts 239
BVerfGE 87, 47 (64).
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
zur Folge hat. Je fortgeschrittener der Prozess, desto wahrscheinlicher ist die in Rechtskraft erwachsende Entscheidung, desto höher ist deren Vorwirkung und desto größer muss deren Einfluss auf die Frage der Anwendbarkeit neuen Rechts sein. Das zeitliche Voranschreiten, das als selbstständiges Kriterium für die Gewichtung des Vertrauensinteresses nicht taugt, und der inhaltliche Fortschritt geben in ihrer Zusammenschau Anhaltspunkte für den Grad der Wahrscheinlichkeit der am Ende stehenden, vom Bürger erwünschten Entscheidung. Die Änderung „bloßen“ Prozessrechts kann demnach umso weniger zum Verlust einer Verfahrensposition führen, je näher das gerichtliche Verfahren an den Punkt gelangt, seiner dienenden Funktion gerecht zu werden, nämlich materiellem Recht zu seiner Wirkung zu verhelfen. Eine Überprüfung dieser Aspekte und deren Berücksichtigung anhand der vorliegend untersuchten Beispielfälle – wie dies auch im Hinblick auf die Bedeutung verschiedener verwaltungsrechtlicher Rechtsbehelfe erfolgte und im Hinblick auf die eintretende Beeinträchtigung noch erfolgen wird240 – kann sich mangels diesbezüglich ausreichender Angaben hier nur als lückenhaft erweisen. Aber auch ohnedies müssen die vorstehenden Ausführungen und Erkenntnisse als Maßstab gerechter Vertrauensschutzerwägungen gelten. Dabei bleibt festzuhalten, dass sich das Vertrauen des Bürgers in unterschiedlichen Fällen unterschiedlich stark verdichten kann, je nach Veranlassung zur prozessrechtlichen Disposition, Vorhersehbarkeit der Rechtsänderung und deren unmittelbaren Geltung sowie der gerichtlichen Entscheidung. Ergibt also beispielsweise eine summarische Prüfung, dass der von der Prozessrechtsänderung betroffene Bürger gegen ein tatsächlich rechtswidriges staatliches Handeln vorgeht, und ist aufgrund fehlender Übergangsvorschriften nicht vorhersehbar, ob das Gericht neues Recht anwenden wird, und ist überdies zum Zeitpunkt der Rechtsänderung eine den Rechtssuchenden begünstigende Entscheidung des Gerichts absehbar, ist dem Vertrauen des Bürgers ein solches Gewicht beizumessen, dass das Ergebnis der Abwägung zu seinem Gunsten ausfallen kann. Vorausgesetzt der Bürger erfährt bei der Anwendung bereits neuen Prozessrechts überdies eine spürbare Beeinträchtigung seines Rechtsschutzes, wird in einem solchen Fall das anhängige Verfahren noch nach altem Recht zu entscheiden sein.
C. Die Intensität der Beeinträchtigung des Rechtsschutzes Bestandteil dieser Untersuchung ist es, Anhaltspunkte für die Abwägung der vorliegend widerstreitenden Interessen und damit für die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts zu finden. Soweit in diesem Zusammenhang die Entschei240 Siehe zur Bedeutung der jeweiligen gerichtlichen Verfahren und Verfahrenspositionen im Fünften Teil unter A. II. und zu den eintretenden Beeinträchtigungen bei sofortiger Anwendung neuen Rechts unten im Fünften Teil unter C.
C. Die Intensität der Beeinträchtigung des Rechtsschutzes
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dung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsmittelsicherheit herangezogen werden kann, ergibt sich daraus, dass das Gewicht und die Bedeutung der jeweils betroffenen Verfahrenspositionen entscheidende Kriterien darstellen. Als weiteres Kriterium für die Gewichtung des in die Abwägung einzustellenden privaten Interesses an der Anwendung alten Prozessrechts kommt überdies die Intensität der konkreten Beeinträchtigung des bereits anhängigen Rechtsschutzverfahrens in Betracht. Denn je größer der drohende Schaden für den Bürger ist, desto höher ist auch dessen Interesse zu gewichten, diesen mit der Anwendung bisherigen Rechts abzuwenden. Entscheidend ist also auch, worin die jeweilige prozessrechtliche Beeinträchtigung im Einzelfall liegt. Festzuhalten ist, dass sich die Intensität der mit dem neuen Recht verbundenen Belastung auf die Gewichtung des Vertrauensinteresses des Bürgers auswirkt241. So stellt auch das Bundesverfassungsgericht vereinzelt explizit auf das Ausmaß des Vertrauensschadens ab und stellt allein dieses – anstelle des positiven Vertrauensinteresses – dem staatlichen Interesse an dem neuen Recht in der Abwägung gegenüber242. Der Vertrauensschaden liegt in den hier untersuchten Fällen in der Beschneidung konkreter Rechtsschutzmöglichkeiten durch die sofortige Anwendung des geänderten Prozessrechts, das die Verschärfung verschiedener Zugangsvoraussetzungen vorsieht. Bei genauerer Betrachtung stellt also auch die Beeinträchtigung des Rechtsschutzes einen von mehreren selbstständigen Anhaltspunkten für die Gewichtung des Vertrauensinteresses dar, wenngleich dieser Gesichtspunkt durchaus Parallelen zu einzelnen Kriterien aufweist, die bereits im Rahmen der Ermittlung des Vertrauensgrades zu beachten sind243. So ist beispielsweise der Grad des Vertrauens bei der Veranlassung zu einer Klage gegen ein rechtswidriges staatliches Handeln vergleichsweise hoch zu bewerten244. Gleichlaufend dazu wiegt die drohende Beeinträchtigung bei einem etwaigen Wegfall der Klagemöglichkeit gegen einen vermeintlich rechtswidrigen hoheitlichen Akt schwerer als bei einem Vorgehen gegen ein rechtmäßiges Handeln245. Genauso dürfte auch die eintretende Belastung des Bürgers nicht so schwer wiegen, wenn der Bürger gegen eine nur vorläufig geltende Regelung vorgeht, deren Wegfall vorhersehbar war. In diesen Fällen ist auch der Grad des Vertrauens generell niedriger einzustufen246. Jedoch ist auch hier – und darauf konzentriert sich die folgende Darstellung – auf die Besonderheiten der einzelnen Rechtsbehelfe im Verwaltungsprozess und auf die der konkreten Verfahrenssituationen einzugehen. Denn es dürfte zum Beispiel eine 241
Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 137; vgl. dazu bereits oben im Vierten Teil unter A. I. BVerfGE 24, 220 (330 f.); 64, 87, (104); 67, 1 (16); 69, 272 (310); 72, 141 (155). 243 Vgl. Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 51, dort der Hinweis in FN 145, dass es im Ergebnis gleichbedeutend sei, auf das Ausmaß des Vertrauensschadens oder das des Vertrauensinteresses abzustellen. 244 Siehe dazu oben im Fünften Teil unter B. I. 1. b). 245 Siehe dazu noch unten im Fünften Teil unter C. II. 246 Siehe dazu oben im Fünften Teil unter B. I. 2. 242
220
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
unterschiedliche Relevanz haben, ob etwa ein Rechtsmittel endgültig unzulässig wird, und sich dem Rechtsmittelführer dadurch der letzte Weg der Rechtsverfolgung verschließt, oder ob beispielsweise eine Normenkontrolle unzulässig wird, sich die gerügte Norm aber noch auf anderem Wege überprüfen lässt. Für die Einschätzung des Vertrauensschadens spielt daher auch die Bedeutung der jeweiligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe und der dadurch gewährten Verfahrenspositionen eine wesentliche Rolle247.
I. Die Beeinträchtigung anhängiger verwaltungsgerichtlicher Verfahren Es sollen an dieser Stelle erneut die Fallbeispiele dieser Untersuchung herangezogen werden, um daran beispielhaft aufzuzeigen, dass in den unterschiedlichen Verfahren und Verfahrenssituationen im Hinblick auf die konkrete Belastung und damit im Zusammenhang mit der Gewichtung des Vertrauensinteresses verschiedene Aspekte zu berücksichtigen sind. Zu messen sind die dem Rechtssuchenden widerfahrenden Beeinträchtigungen an der Bedeutung eines jeden Verwaltungsprozesses für die Umsetzung materiellen Rechts. 1. Die geänderten Voraussetzungen der Berufungszulassung gemäß § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO n.F. Die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts und damit des neu geregelten § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO führte in den vorliegenden Verfahrenssituation dazu, dass der beim Verwaltungsgericht zunächst richtig gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung, trotz Befolgung der Anweisungen in der erstinstanzlichen Rechtsmittelbelehrung, infolge der Rechtsänderung als unzulässig erachtet wurde248. Dabei liegt die Beeinträchtigung des Rechtsschutzes in dem Verlust des Rechtsmittels der Berufung und der damit eingeräumten Möglichkeit, die Umsetzung materiellen Rechts, ungeachtet der entgegenstehenden erstinstanzlichen Entscheidung, noch erreichen zu können249. Ein Rechtsmittel wird zur Verfügung gestellt, weil gerichtliche Entscheidungen unrichtig sein können. Mit der nochmaligen Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen durch übergeordnete Gerichte ist eine bessere Gewähr für die Richtigkeit der Entscheidung gegeben. Diesem Anliegen dient neben der Beschwerde in erster Linie die Berufung250. Mit der Berufung wird eine Überprüfung der Vorent247 248 249
Siehe dazu oben im Fünften Teil unter A. II. Siehe dazu auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 5. Siehe zur Bedeutung der Berufung als Rechtsmittel auch bereits im Fünften Teil, A. II. 1.
a). 250
Rn. 8.
Meyer-Ladewig/Rudisile, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 124,
C. Die Intensität der Beeinträchtigung des Rechtsschutzes
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scheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht herbeigeführt. Das Oberverwaltungsgericht prüft den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags in gleichem Umfang wie das Verwaltungsgericht251. Vorliegend wurde dem Berufungskläger der Rechtsmittelweg zur zweiten Instanz jedoch verschlossen. Das Unzulässigwerden eines anhängigen Rechtsmittels hat dabei nicht nur den Wegfall der zweitinstanzlichen Kontrollmöglichkeit zur Folge, sondern auch den Eintritt der Rechtskraft der gegen den Rechtsmittelführer bereits ergangenen belastenden erstinstanzlichen Entscheidung252. Angesichts der besonderen Bedeutung der Berufung im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, wird das Vertrauen des Bürgers damit in erheblicher Weise beeinträchtigt. Unter dem Aspekt dieser Beeinträchtigung ist sein Vertrauensinteresse, sein Interesses daran, dass eine einmal zulässige Berufung auch nach erfolgter Rechtsänderung zulässig bleibt, entsprechend hoch zu gewichten. 2. Der Wegfall der Beschwerdemöglichkeit im vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG (in der Fassung von 1990) Die sofortige Anwendung des § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG (in der Fassung von 1990) gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts hatte die Unstatthaftigkeit einer zunächst statthaften Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz zur Folge253. Auch in diesen Fällen ist die Beeinträchtigung des Rechtsschutzes in dem Verlust eines Rechtsmittels zu sehen254. Mit der Beschwerde verfolgt der Bürger, ebenso wie mit der Berufung, eine erneute gerichtliche Entscheidung255. Das gilt auch für den vorläufigen Rechtsschutz. Diesem kommt vor allem dann eine besondere Bedeutung zu, wenn die endgültige Verwirklichung des materiellen Rechts nur durch eine vorübergehende Sicherung erfolgen kann, die Umsetzung des geltend gemachten Rechts im Falle unterbliebener gerichtlicher Sicherung also gegebenenfalls unwiderruflich scheitert256. Denn dann geht mit der Beschwerdemöglichkeit jegliche Möglichkeit verloren, gegen eine den Bürger belastende Maßnahme, so beispielsweise der Ab-
251
Meyer-Ladewig/Rudisile, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 124,
Rn. 7. 252 Kopp/Schenke, VwGO, Vorb. § 124, Rn. 4; vgl. OVG Berlin (2. Senat, Urteil vom 28. 11. 1997), Az.: 2 A 7.94, JURIS, Rn. 32. 253 Siehe dazu auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 1. 254 Siehe zur Bedeutung der Beschwerde als Rechtsmittel auch bereits im Vierten Teil, A. II. 1. b). 255 Meyer-Ladewig/Rudisile, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 124, Rn. 7 f. 256 Schoch, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 80, Rn. 58.
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
schiebungsandrohung im Asylrecht, vorzugehen, etwa weil der staatliche Akt noch vor einer Entscheidung in der Hauptsache vollzogen wird257. In diese Möglichkeit hat der Rechtssuchende jedoch bei Einlegung des Rechtsmittels der Beschwerde sein Vertrauen eingebracht. Die Beeinträchtigung dieses Vertrauens und der damit eintretende Vertrauensschaden wiegt dementsprechend schwer. Das Interesse an einer Entscheidung über sein Rechtsmittel noch nach altem Recht ist demzufolge im Rahmen der Abwägung hoch zu gewichten, so wie es das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf die Rechtsmittelsicherheit im Ergebnis auch getan hat258. 3. Die Beschränkung der Antragsbefugnis einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO In Fällen, in denen der Antragsteller lediglich geltend machen konnte, durch eine Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten zu haben oder in absehbarer Zeit zu erwarten, führte die sofortige Anwendung des neu gefassten § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO dazu, dass auch bereits anhängige Anträge nachträglich mangels Antragsbefugnis als unzulässig abgewiesen wurden259. Die Beeinträchtigung des Rechtsschutzes besteht hier in dem Verlust eines Rechtsbehelfs260. a) Tragweite der Beeinträchtigung im Vergleich zum Verlust eines Rechtsmittels Bei der Normenkontrolle handelt es sich, anders als bei der Berufung oder der Beschwerde, nicht um ein verwaltungsgerichtliches Rechtsmittel. Das Unzulässigwerden eines Normenkontrollverfahrens hat überdies „lediglich“ den Wegfall der Möglichkeit zur Folge, eine abstrakte Rechtsnorm gerichtlich überprüfen zu lassen. Erwägt man einen Vergleich zu der Beeinträchtigung, die einem Rechtsmittelführer bei dem Verlust seines Rechtsmittels widerfährt, ließe sich vertreten, dass der Verlust der Normkontrollmöglichkeit das darin investierte Vertrauen nicht in gleichem Maße verletzt. So wird schließlich auch seitens verschiedener Verwaltungsgerichte argumentiert, dass das Vertrauensschutzprinzip es nicht gebiete, die Voraussetzungen für anhängige Normenkontrollverfahren unverändert zu lassen261. 257 Siehe BVerfGE 87, 48 ff. Hier wendete sich der Beschwerdeführer gegen die Vollziehung einer Abschiebungsandrohung zunächst mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und im Anschluss daran mit seiner Beschwerde. 258 BVerfGE 87, 48 (63 ff.). 259 Siehe dazu auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 2. 260 Siehe zur Bedeutung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle auch bereits im Fünften Teil, A. II. 2. a). 261 OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 (695); Bayrischer VGH München (26. Senat, Urteil vom 04. 06. 1997), BayVBl 1997, 591 (592);
C. Die Intensität der Beeinträchtigung des Rechtsschutzes
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aa) Umsetzung nur objektiven Rechts Für eine geringfügigere Beeinträchtigung des Antragstellers einer Normenkontrolle spräche, dass die in der Neuregelung enthaltende Verschärfung der Anforderungen an die Antragsbefugnis nur einen Randbereich der subjektiven Betroffenheit berührt262. Soweit mit dem Normenkontrollantrag auch in dem eingeschränkten Sinn gemäß der Neufassung des § 47 VwGO subjektive Rechte des Antragstellers verfolgt werden können, bleibt die Antragsbefugnis erhalten. Von der Neuregelung betroffen ist nur derjenige, der nach altem Recht einen Normenkontrollantrag schon wegen eines „nur“ nachteiligen Berührtseins in eigenen Belangen stellen konnte263. Insoweit weist die in diesem Randbereich durch einen nach früherem Recht zulässigen Antrag erlangte Verfahrensstellung keinen direkten Bezug zu subjektiv-materiellen Rechten des Antragstellers auf264. Unter diesem Gesichtspunkt ist das private Interesse an der Anwendung der alten Fassung des § 47 VwGO in der Abwägung womöglich weit niedriger zu gewichten als beispielsweise das Interesse an der Verfolgung eigener Rechte mit einem bereits eingelegten Rechtsmittel. Es stellt sich daher die berechtigte Frage, welches konkrete Ausmaß der Vertrauensschaden des Bürgers hierbei annimmt und wieweit sich gegebenenfalls eine vermeintlich geringfügigere Beeinträchtigung auf die Gewichtung des Vertrauensinteresses auswirkt. Allein die Tatsache, dass das Normenkontrollverfahren nicht in erster Linie der Durchsetzung einer subjektiv-materiellen Rechtsposition dient und dass die Verschärfung der Antragsbefugnis durch § 47 Abs. 2 VwGO n.F. nur einen „Randbereich der subjektiven Betroffenheit“265 nachteilig berührt, kann diese Annahme jedoch noch nicht rechtfertigen. Denn für die Frage nach dem Gewicht des Vertrauensinteresses und damit einhergehend nach dem Gewicht der Verfahrensposition kommt es nicht nur darauf an266. Der die Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts modifizierende Grundsatz des Vertrauensschutzes hat seine Grundlage nicht in der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG, sondern im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG267. Der Antragsteller investiert sein Vertrauen nicht primär in die gerichtliche Umsetzung subjektiven Rechts, sondern allgemein in den Erfolg seines Rechtsbehelfs. Dabei vertraut er in die rechtliche Beurteilung seiner Disposition nach dem zu diesem Zeitpunkt noch geltenden Rechts. Niedersächsisches OVG (1. Senat, Urteil vom 16. 01. 1998), Az.: 1 K 5279/96, JURIS, Rn. 5 f.; OVG Berlin (2. Senat, Urteil vom 28. 11. 1997), Az.: 2 A 7.94, JURIS, Rn. 32. 262 Bayerischer VGH München (26. Senat, Urteil vom 04. 06. 1997), BayVBl 1997, 591 (592); Schenke, VerwA 1999, 301 (305 f.). 263 Bayerischer VGH München (26. Senat, Urteil vom 04. 06. 1997), BayVBl 1997, 591 (592). 264 Schenke, VerwA 1999, 301 (305 f.). 265 So Bayerischer VGH München (26. Senat, Urteil vom 04. 06. 1997), BayVBl 1997, 591 (592). 266 BVerwGE 106, 237 (239); siehe dazu auch bereits im Fünften Teil, A. I. 3. 267 BVerwGE 106, 237 (239).
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
Er vertraut in den Fortbestand der Zulässigkeit seines Antrags. Dieses Vertrauen wird mit der Anwendung neuen Rechts verletzt. Folglich stellt der Verlust der Normkontrollmöglichkeit auch einen in der Abwägung entsprechend zu berücksichtigenden Vertrauensschaden dar. Selbst wenn der in dem Antrag geltend gemachte Nachteil nicht die Schwelle einer Rechtsverletzung erreicht, kann der Antragsteller dennoch ein legitimes Interesse daran haben, diesen Nachteil abzuwehren268. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist in den vorliegenden Fallkonstellationen keineswegs nur auf Rechtsmittel im engeren Sinne beschränkt269. Vielmehr ist er immer dann zu beachten, wenn der Gesetzgeber auf eine bislang gegebene verfahrensrechtliche Lage einwirkt, in der sich der Bürger befindet270. bb) Verweis auf die Inzidentkontrolle Die Beeinträchtigung des Rechtssuchenden könnte aber deswegen als verhältnismäßig gering einzustufen sein, weil er noch im Wege einer Inzidentkontrolle gegen die angegriffene Norm vorgehen kann und ihm damit weiterhin der Individualrechtsschutz offen steht271. Zwar wird der Rechtsschutz gegenüber der zu prüfenden Norm erheblich erschwert. Insbesondere muss der Bürger nunmehr, obwohl er nach altem Recht bereits zulässigerweise gegen die missfallende Norm vorging, jetzt eine weitere Handlung staatlicherseits abwarten, um dann gegen diese vorgehen und im Rahmen dessen die Norm inzident prüfen lassen zu können. So kann etwa mit der Anfechtung einer Baugenehmigung der Bebauungsplan einer inzidenten Prüfung unterzogen werden. Sein schon in Anspruch genommener Rechtsschutz verkompliziert und verzögert sich somit im Nachhinein. Jedoch ist nicht jeglicher Rechtsschutz ausgeschlossen. Da die Möglichkeit einer solchen Inzidentkontrolle noch gegeben ist, ist festzuhalten, dass die aus der Unzulässigkeit einer Normenkontrolle folgende Beeinträchtigung nicht das gleiche Ausmaß wie etwa beim Verlust der Beschwerdemöglichkeit erreicht. Dass das Vertrauen des Antragstellers gleichwohl beschädigt wird, ist dennoch im Rahmen der Interessenabwägung zwingend zu berücksichtigen. b) Ergebnis Der Umfang der Beeinträchtigung des Antragstellers einer Normenkontrolle ist aufgrund der noch gegebenen Möglichkeit einer Inzidentkontrolle der zu überprüfenden Norm nicht vergleichbar mit der Beeinträchtigung, die dem Bürger beispielswei268
Bayerischer VGH (1.Senat, Urteil vom 19. 09. 1997), BayVBl 1998, 80 (80 f.). Vgl. grundlegend BVerwGE 106, 237 ff, wonach der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit generell auch auf das verwaltungsgerichtliche Normenkontrollverfahren Anwendung finden soll; siehe dazu auch oben im Dritten Teil, E. 270 BVerwGE 106, 237 (238); BVerfGE 63, 343 (359). 271 OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 (695); OVG Berlin (2. Senat, Urteil vom 28. 11. 1997), Az.: 2 A 7.94, JURIS, Rn. 32. 269
C. Die Intensität der Beeinträchtigung des Rechtsschutzes
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se beim ersatzlosen Verlust eines Rechtsmittels widerfährt. Allerdings ist sein Interesse an der Anwendung alten Rechts allein aufgrund dieses Umstandes auch noch nicht als so gering einzuschätzen, dass der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes völlig zurücktreten müsste272. Die mit der Rechtsänderung verbundene Belastung für den rechtssuchenden Bürger ist nur ein Aspekt unter mehreren, der für die Gewichtung des Vertrauensinteresse von Bedeutung ist. Soweit also zusätzlich etwa Kriterien der Vertrauensdichte Hinweise auf ein gesteigertes gewichtiges Vertrauen geben, kann das Interesse an der Aufrechterhaltung der Verfahrensposition noch immer das staatliche Interesse an der sofortigen Anwendung neuen Rechts in der Abwägung überwiegen. c) Abwandlung: Die Einführung der Dreimonatsfrist für Normenkontrollanträge nach Nr. 1 RMBeschrG in der bis zum 31. 12. 1996 geltenden Fassung In Falle dieser gesetzlichen Neuregelung stand in Frage, ob die Verkürzung der Frist für die Erhebung von Normenkontrollanträgen auf drei Monate ab Inkrafttreten der zu überprüfenden Norm auch für anhängige Anträge, die im nachhinein betrachtet diese Frist nicht eingehalten haben, gelten sollte273. Die Beeinträchtigung des Rechtsschutzes liegt hier ebenfalls darin, dass eine bereits anhängige und nach altem Recht unbefristet zulässige Normenkontrolle bei Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts nachträglich als unzulässig zu erachten wäre. Auch für diese Fallkonstellation gelten die zuvor angestellten Erwägungen. Das Vertrauen des Antragstellers wird hier ebenfalls in einem solchen Maße geschädigt, dass dies im Rahmen der Interessenabwägung jedenfalls Berücksichtigung finden muss. 4. Der gesetzlich angeordnete Ausschluss der aufschiebenden Wirkung durch eine Regelung i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO In den vorliegend untersuchten Fällen, in denen § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG oder § 212 a Abs. 1 BauGB auch auf bereits anhängige Anfechtungsklagen Anwendung fanden, führte dies zum nachträglichen Wegfall der bis dahin gewährten aufschiebenden Wirkung274. Unabhängig davon, ob der Anfechtungskläger Adressat eines ihn belastenden Verwaltungsaktes oder Dritter ist, der gegen einen ihn belastenden, den Adressaten aber begünstigenden Verwaltungsakt vorgeht, wird seiner Klage grundsätzlich gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung beigemessen. Der nachträgliche Ausschluss des Suspensiveffekts infolge neu geregelter Ausnahmebestimmungen i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO bringt den Nachteil mit sich, dass ab diesem Zeitpunkt der angegriffene und womöglich rechtswidrige Verwaltungsakt unmit272 273 274
BVerwGE 106, 237 (240). Siehe zu dieser Fallgestaltung die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. II. 1. Siehe dazu auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 3. und 4.
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
telbar, also auch noch während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vollzogen werden kann275. Insoweit geht es auch hier um eine Beeinträchtigung des rechtlichen Schutzes gegen eine Gefährdung subjektiv-materiellen Rechts. a) Verweis auf den vorläufigen Rechtsschutz Jedoch muss diese Einschränkung des Rechtsschutzes nicht zwangsläufig eintreten. Denn es besteht für den Kläger die Möglichkeit, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit beziehungsweise die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage zu beantragen. Die Belastung bestünde dann „lediglich“ darin, einen Antrag bei der Behörde nach § 80 Abs. 4 VwGO oder neben seiner Klage einen weiteren Antrag beim Gericht, nach § 80 V VwGO oder als Dritter gemäß § 80 a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 4 VwGO beziehungsweise gemäß §§ 80 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO zu stellen und erforderlichenfalls die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen zu beantragen. Dieser Beeinträchtigung wird von einem Teil der Verwaltungsrechtsprechung gleichwohl ein hohes Gewicht beigemessen276. Insbesondere in den Fällen, in denen ein Dritter einen Verwaltungsakt anficht, erlange dieser durch die aufschiebende Wirkung den – mit der Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts verloren gegangenen – verfahrensrechtlichen Vorteil, dass gerade dem Adressaten des Verwaltungsakts die Pflicht aufgebürdet wird, initiativ tätig zu werden277. Denn um den aus seiner Sicht begünstigenden Verwaltungsakt vollziehen zu können, muss der Adressat nach Erhebung der Anfechtungsklage durch den Dritten seinerseits einen Antrag bei der Behörde auf Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO stellen oder nach §§ 80 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO ein mit dem Kostenrisiko verbundenes, gerichtliches Eilverfahren zur Erlangung der sofortigen Vollziehbarkeit anstrengen. In diese für ihn vorteilhafte Position könne der Dritte berechtigtes Vertrauen investieren278. Er könne sich darauf verlassen, dass der Verwaltungsakt bis zur bestandskräftigen Entscheidung über seinen Rechtsbehelf nicht ohne weitere Zwischenakte verwirklicht werden kann279. 275 Siehe zur Bedeutung der aufschiebenden Wirkung auch bereits im Fünften Teil, A. II. 2. b). 276 OVG Berlin (4. Senat, Beschluss vom 20. 08. 1997), Az: 4 SN 353.97, JURIS, Rn. 2; Niedersächsisches OVG (1. Senat, Beschluss vom 18. 12. 1998), NVwZ 1999, 444 (445); VG München (1. Kammer, Beschluss vom 17. 08. 1998), Az: M 1 SN 98.3134, JURIS, Rn. 37; Bayerischer VGH München (15. Senat, Beschluss vom 17. 12. 1998), DÖV 1999, 307. 277 Niedersächsisches OVG (1. Senat, Beschluss vom 18. 12. 1998), NVwZ 1999, 444 (445). 278 Niedersächsisches OVG (1. Senat, Beschluss vom 18. 12. 1998), NVwZ 1999, 444 (445); VG München (1. Kammer, Beschluss vom 17. 08. 1998), Az: M 1 SN 98.3134, JURIS, Rn. 37; siehe auch Gronemeyer, BauR 1998, 413 (418 f.); im Ergebnis auch Bundschuh, NVwZ 1998, 926 (927). 279 Decker, BauR 1998, 862 (864 f.).
C. Die Intensität der Beeinträchtigung des Rechtsschutzes
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Es bleibt aber dennoch festzuhalten, dass der Anfechtungskläger – etwa im Vergleich zum Rechtsmittelführer – nicht jegliche Möglichkeit verliert, seine Rechte vor dem Vollzug eines möglicherweise rechtswidrigen Verwaltungsakts zu bewahren. Denn auch bei sofortigem Inkrafttreten der neuen Verfahrensregelungen steht es ihm offen, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Wenngleich dieser Weg mit einem Mehraufwand im Vergleich zur alten Rechtslage verbunden ist, und auch wenn der Dritte seine komfortable Position verlassen und selbst initiativ tätig werden muss, kann dessen ungeachtet die Verwirklichung einer womöglich rechtswidrigen Rechtsfolge noch immer verhindert werden. Der Suspensiveffekt geht dem Kläger nicht endgültig verloren. Insbesondere in dem Fall, dass sich der angegriffene Verwaltungsakt in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als offensichtlich rechtswidrig erweist, wird der Antrag des Anfechtungsklägers auf Aussetzung der Vollziehung beziehungsweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung Erfolg haben. Denn der Entscheidung über den Eilantrag geht eine summarische Prüfung voran, in der das Vollzugs- und das Suspensivinteresse gegeneinander abgewogen werden280. Dabei richtet sich die Interessenabwägung in erster Linie nach den Erfolgsaussichten der Hauptsache281. Das Suspensivinteresse überwiegt immer dann, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt als rechtswidrig erweist und das Hauptsacheverfahren infolge dessen aller Voraussicht nach Erfolg haben wird. Denn an der Vollziehung einer rechtswidrigen Maßnahme kann kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen282. Die Gefahr, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt umgesetzt wird, kann dementsprechend abgewendet, eigene bedrohte materielle Rechte können bewahrt werden. Diese Möglichkeit wird auch von anderen Teilen der Verwaltungsrechtsprechung angeführt283. Die Beantragung vorläufigen Rechtsschutzes führe nicht zu unzumutbaren Belastungen284. Der Dritte habe auch nach früherem Recht stets damit rechnen müssen, dass die aufschiebende Wirkung, etwa infolge eines Antrags des Verwaltungsaktsadressaten, durch eine behördliche oder gerichtliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit beseitigt werden könne285. So gesehen stelle es für den Anfechtungskläger keinen Unterschied dar, ob die aufschiebende Wirkung aufgrund einer behördlichen beziehungsweise gerichtlichen Entscheidung oder infolge einer sofort
280
Siehe dazu im Einzelnen bei Kopp/Schenke, VwGO, § 80, Rn. 152 ff. BVerwG, NVwZ 1996, 1023; NVwZ 1995, 590 (590, 595). 282 BVerwG, NVwZ 1995, 590 (590, 595); Kopp/Schenke, VwGO, § 80, Rn. 159 m.w.N. 283 OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006 (1007); OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Beschluss vom 23. 01. 1998), NVwZ 1998, 759 (760). 284 VG Koblenz (1. Kammer, Beschluss vom 02. 03. 1998), Az: 1 L 373/98.KO, JURIS, Rn. 9. 285 OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Beschluss vom 23. 01. 1998), NVwZ 1998, 759 (760); OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006 (1007); VGH Baden-Württemberg (8. Senat, Beschluss vom 16. 04. 1998), BauR 1998, 1005 (1006). 281
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5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
in Kraft tretenden gesetzlichen Neuregelung entfällt286. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Freilich erleidet der Anfechtungskläger, ähnlich dem Antragsteller einer Normenkontrolle, einen Vertrauensschaden im Hinblick darauf, dass sich die prozessuale Ausgangslage, in die er sein berechtigtes Vertrauen investiert, nachtteilig ändert. Jedoch verleiht allein diese Beeinträchtigung des Klägers seinem Vertrauensinteresse noch nicht ein solches Gewicht, dass die erlangte Verfahrensposition etwa einer materiell-rechtlichen Gewährleistung gleichkäme287. Der Vertrauensschaden könnte allenfalls dann an Erheblichkeit zunehmen, wenn eine weitere Beeinträchtigung des Rechtsschutzes darin zu sehen ist, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO gesetzlich angeordnet wird. b) Die Bedeutung des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung Im Rahmen der – infolge eines Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz vorzunehmenden – Abwägung zwischen Suspensiv- und Vollzugsinteresse kann es für die Gewichtung der einzelnen Belange durchaus von Bedeutung sein, ob es sich um einen kraft gesetzlicher Regelung bewirkten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung oder um eine behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung handelt. Denn dem gesetzlichen Ausschluss des Suspensiveffekts kann unter Umständen mehr Gewicht beizumessen sein, als einer behördlichen Anordnung288. aa) Nachteil bei der Interessenabwägung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes Der gesetzlichen Regelung des Ausschlusses des Suspensiveffekts kommt beispielsweise dann eine besondere Bedeutung zu, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist. Denn aus dem Umstand, dass die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage kraft Gesetzes ausgeschlossen wird, ergibt sich, dass das Gesetz – dem Willen des Gesetzgebers folgend – von einem Vorrang des Vollzugsinteresses ausgeht. Ordnet hingegen die Behörde die sofortige Vollziehung an, wird überwiegend ein über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts hinausgehendes Vollzugsinteresse gefordert289. Ähnlich verhält es sich, wenn nach summarischer Prüfung weder die Rechtmäßig- noch die Rechtswidrigkeit der behördlichen Maßnahme festgestellt werden kann. Auch hier kann dem Vollzug-
286
OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Beschluss vom 23. 01. 1998), NVwZ 1998, 759
(760). 287 Vgl. OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006 (1007); VG Koblenz (1. Kammer, Beschluss vom 02. 03. 1998), Az: 1 L 373/98.KO, JURIS, Rn. 9. 288 Decker, BauR 1998, 862 (863 f.); Kopp/Schenke, VwGO, § 80, Rn. 152, 114 m.w.N.; vgl. auch OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006 (1007 f.). 289 BVerfG, NVwZ 1996, 58 (60); Kopp/Schenke, VwGO, § 80, Rn. 159 m.w.N.
C. Die Intensität der Beeinträchtigung des Rechtsschutzes
229
interesse wegen der gesetzlichen Wertung der Vorrang eingeräumt werden290. Im Falle einer behördlichen Anordnung wäre hingegen zusätzlich eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen291. Das heißt, dass sich allein die Tatsache, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gesetzlich angeordnet wird, für den Anfechtenden nachteilig im vorläufigen Rechtsschutz auswirken kann. Entsprechend der alten Rechtslage konnte der gegen den Ausschluss des Suspensiveffekts vorgehende Antragsteller aber davon ausgehen, dass vielmehr die aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs der gesetzlich angeordnete Regelfall sei, und ihr demgemäß ein entsprechender Stellenwert zukommt. Durch die Gesetzesänderung wird die gesetzliche Wertung umgekehrt und dem Vollzugsinteresse nunmehr ein verstärkter Nachdruck verliehen. Damit kann eine neue Gewichtung der gegenseitigen Interessen zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit einhergehen, wodurch sich die Erfolgsaussichten des Anfechtungsklägers im vorläufigen Rechtsschutz verschlechtern. In diesem Falle würde der Verweis auf den einstweiligen Rechtsschutz also keinen adäquaten Ausgleich für den Verlust des Suspensiveffekts der Anfechtungsklage darstellen. bb) Eingeschränkte Berücksichtigung des gesetzgeberischen Vollzugsinteresses Allerdings trifft dieser Nachteil wiederum nur dann ein, wenn sich – wie geschildert – der Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung entweder als rechtmäßig erweist oder sich der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache in jeder Hinsicht als völlig offen zeigt. Denn nur dann berücksichtigt das Gericht in seiner Interessenabwägung im vorläufigen Rechtsschutz, dass das Vollzugsinteresse vom Willen des Gesetzgebers getragen wird. Und nur dann trifft es dementsprechend die Entscheidung, dass es trotz Beantragung der aufschiebenden Wirkung bei dem gesetzlichen angeordneten Sofortvollzug verbleiben müsse292. Abgesehen davon, dass die Gefahr rechtswidriger Folgen ohnehin abnimmt, wenn sich der Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist, ließe sich in diesem Fall überdies der Standpunkt vertreten, dass auch bei behördlicher Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Interessenabwägung abkömmlich ist, da ein Interesse des Antragstellers, durch eine offensichtlich unbegründete Anfechtungsklage die Verwirklichung des Verwaltungsakts zu verzögern, nicht schutzwürdig sei293. Dann läge in der gesetzlichen Vorgabe auch kein Nachteil gegenüber der behördlichen Anordnung.
290
So OVG Rheinland-Pfalz, NVwZ-RR 1992, 1426; OVG Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 1990, 720. 291 OVG Nordrhein-Westfalen, NJW 2000, 891; OVG Saarland, NJW 1992, 646. 292 So in der Entscheidung des OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006 (1007 f.) zu § 212 a Abs. 1 BauGB. 293 So das BVerwG, DVBl 1974, 566; ebenso das OVG Schleswig-Holstein, NVwZ-RR 1996, 148.
230
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
Der Nachteil der höheren Gewichtung des gesetzgeberischen Vollzugsinteresses im Rahmen der summarischen Prüfung tritt auch dann nicht in Erscheinung, wenn Anzeichen für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts vorliegen. Denn dann überwiegt das Suspensivinteresses ohnehin aus materiell-rechtlichen Erwägungen294. Es blieben dann nur die wenigen Ausnahmefälle, in denen auch nach summarischer Prüfung nicht festgestellt werden kann, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig oder rechtmäßig ist295. Nur in diesen Fällen wirkt sich der Umstand, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gesetzlich angeordnet wurde, womöglich nachteilig aus, nämlich dann, wenn sich der Verwaltungsakt in der Hauptsache schließlich als rechtswidrig erweist und dieser aufgrund der gesetzlichen Wertung und der ihr folgenden Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz bereits vollzogen wurde. c) Ergebnis Die insgesamt verhältnismäßig geringfügige Beeinträchtigung des Rechtsschutzes eines Anfechtungsklägers beim gesetzlich angeordneten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung führt allein noch nicht zu einer das staatliche Interesse überwiegenden Gewichtung des Vertrauensinteresses. Eine Ausnahme von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts hängt hier, ebenso wie bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle, vielmehr noch von weiteren Aspekten, und zwar von der bereits angesprochenen Bedeutung und dem Gewicht der konkreten Verfahrensposition ab.
II. Summarische Prüfung der Rechtswidrigkeit beziehungsweise Rechtmäßigkeit des den Bürger belastenden staatlichen Handelns Ausschlaggebend dafür, wie sich die Beeinträchtigung des Rechtsschutzes auf die Gewichtung des in die Abwägung einzustellenden Vertrauensinteresses auswirkt, ist wiederum, ob sich das angegriffene staatliche Handeln als rechtswidrig erweist. Verliert der Bürger einen Rechtsbehelf, mit dem er gegen ein rechtmäßiges staatliches Handeln vorgeht, wirkt sich die Anwendung bereits neuen Rechts im Ergebnis nicht weiter belastend auf ihn aus. Denn es ist für den Rechtssuchenden am Ende ohne Belang, ob die Verwirklichung materiellen Rechts an neuen Prozessregeln oder an der Unbegründetheit seines Rechtsbehelfs scheitert. Im Einklang mit der bereits empfohlenen summarischen Prüfung im Hinblick auf die staatliche Veranlassung zu der prozessualen Disposition sowie im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit einer den Bürger begünstigenden Entscheidung des Gerichts, kann 294 BVerwG, NVwZ 1995, 590 (590, 595); Kopp/Schenke, VwGO, § 80, Rn. 159 m.w.N.; siehe auch bereits oben im Fünften Teil unter C. I. 4. a). 295 Siehe zum Beispiel die Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Beschluss vom 23. 01. 1998), NVwZ 1998, 759 (761).
D. Zusammenfassung
231
auch hier, in Bezug auf das zu überprüfende staatliche Handeln auf die Durchführung einer summarischen Prüfung verwiesen werden296.
III. Ergebnis Mit entscheidend für die Gewichtung des in die Abwägung einzustellenden Vertrauensinteresses ist der Umfang der Beeinträchtigung des Rechtsschutzes, der konkrete Verlust, den der Rechtssuchende bei der Entscheidung des anhängigen Prozesses nach neuem Recht erleidet. Auch bei diesem Kriterium zeigt sich, dass das Vertrauensinteresse in verschiedenen Verfahrenssituationen in unterschiedlicher Weise gewichtet werden kann. Der drohende Vertrauensschaden ist keineswegs stets von gleicher Größe. Das wirkt sich wiederum auf die Frage der Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts aus. Je intensiver die Beeinträchtigung ist, desto eher kann eine Ausnahme von der Sofortanwendung neuen Rechts gerechtfertigt oder auch erforderlich sein. Eine einheitliche Anwendung dieser Grundsätze erscheint auch unter diesem Aspekt der Abwägung jedenfalls nicht unbedenklich. Führt die neue Regelung zum Wegfall eines Rechtsbehelfs, beispielsweise des Rechtsmittels der Beschwerde, so ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Anwendung neuen Rechts sodann die Beseitigung eines staatlich gesetzten, womöglich rechtswidrigen Aktes verhindern würde. Und auch in den Fällen, in denen die Rechtsverfolgung nicht endgültig verhindert, gleichwohl aber erschwert wird, ist die darin liegende, wenn auch geringfügigere Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Neben diesem können weitere Aspekte des Vertrauensschutzes, etwa solche der Vertrauensdichte, schließlich zu einer vergleichsweise hohen Gewichtung des Vertrauensinteresses führen. Denn der Aspekt der eintretenden Beeinträchtigung ist neben der Bedeutung und dem Gewicht der betroffenen Verfahrensposition nur ein zu berücksichtigender Gesichtspunkt, der sich auf die Gewichtung des den Vertrauensschutz begründenden Interesses an der Entscheidung anhängiger Verfahren nach noch altem Prozessrecht auswirkt. Dieses kann vor allem in der Zusammenschau mehrerer Kriterien das staatliche Interesse an der sofortigen Anwendung neuer Rechtsnormen womöglich überwiegen.
D. Zusammenfassung Das Vorliegen schutzwürdigen Vertrauens führt im Ergebnis zu einer Abwägung des privaten Vertrauensinteresse mit dem staatlichen Interesse an der unmittelbaren Verwirklichung des mit der Rechtsänderung verfolgten Zwecks. Mit welchem Gewicht das private Vertrauensinteresse in diese Abwägung einzustellen ist, hängt von mehreren Kriterien ab. Entscheidend ist zum einen das Ausmaß des Vertrauens296
Siehe dazu oben im Fünften Teil unter B. I. 1. b) cc) und B. I. 3. c) cc).
232
5. Teil: Gewichtung des privaten Interesses
schadens, die konkrete Beeinträchtigung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, die der Bürger bei der Anwendung bereits neuer Verfahrensregeln voraussichtlich erleiden würde. Zum anderen ist stets das konkrete Gewicht der betroffenen Verfahrensposition zu beachten, das am Grad des in die Anwendung noch alten Rechts investierten Vertrauens zu bemessen ist. Ausschlaggebend ist schließlich auch die Bedeutung der jeweiligen verfahrensrechtlichen Stellung des Rechtssuchenden. Die in den verschiedenen Verfahrenssituationen auftretende Variabilität dieser drei Kriterien für die Gewichtung des Vertrauensinteresses zeigt, dass jedenfalls Zweifel an einer einheitlichen Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts angebracht sind. Diese geben mit der Maßgabe der Sofortanwendung neuer gesetzlicher Vorschriften ein „Abwägungsergebnis“ zugunsten des staatlichen Interesses vor und versäumen es, das im Einzelfall womöglich überwiegende private Interesse an der Anwendung der bisherigen Regelungen hinreichend zu berücksichtigen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch nochmals die Funktion des Verwaltungsprozessrechts, die eine uneingeschränkte Anwendung der im Zivilrecht wurzelnden Grundsätze des intertemporalen Rechts in Frage stellt. So ist von zentraler Bedeutung, dass sich ein nach altem Recht erfolgreicher Rechtsbehelf regelmäßig gegen ein rechtswidriges, den Bürger beeinträchtigendes und in der Regel nicht von ihm veranlasstes staatliches Handeln wendet. Führt die Anwendung neuer Verfahrensregeln zu der Abwendung oder auch nur Erschwerung eines solchen Prozesserfolges, wird folglich auch ein im Ergebnis höher zu gewichtendes Vertrauensinteresse berührt. Die damit erhöhte Gefahr, dass die Anwendung neuen Verwaltungsprozessrechts zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Verletzung des Vertrauensschutzes führen könnte, gebietet schließlich auch die in den vorstehenden Ausführungen getätigten Erwägungen, wie beispielsweise die Durchführung einer summarischen Prüfung vor der Entscheidung, ob neues oder altes Recht angewendet werden soll, oder etwa die verstärkte Bezugnahme auf das Ziel des Verwaltungsprozesses, der Umsetzung materiellen Rechts, wie dies zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der vorwirkenden Rechtskraft einer begünstigenden gerichtlichen Entscheidung erfolgen soll. Welches Gewicht demgegenüber dem staatlichen, in die Abwägung einzustellenden Interesse zukommt, ist Bestandteil der anschließenden Darstellung.
Sechster Teil
Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse Die Grundsätze des intertemporalen Rechts finden ihre bedeutendste Schranke in dem im Rechtstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzgrundsatz. Vertrauensschutz ist immer dann zu gewähren, wenn schutzwürdiges Vertrauen vorliegt und wenn das Vertrauensinteresse in einer Abwägung das hinter dem staatlichen Handeln stehende Allgemeininteresse überwiegt1. Nach Ausführungen zur Schutzwürdigkeit sowie zur Wertigkeit des Vertrauensinteresses ist nun an dieser Stelle zunächst nach dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Anwendung neuer prozessrechtlicher Normen auf anhängige Verfahren zu fragen.
A. Das in die Abwägung einzustellende öffentliche Interesse an der sofortigen Anwendung neuer prozessrechtlicher Normen Soweit ein schutzwürdiges gewichtiges Vertrauen des Prozessführenden von den neuen gesetzlichen Regelungen berührt wird, hängt deren sofortige Anwendbarkeit entscheidend von der Stärke des öffentlichen Interesses ab. Je gewichtiger und dringlicher das mit der Neuregelung verfolgte Anliegen ist, desto eher kann es der Rechtsanwender rechtfertigen, bereits unter altem Recht begründete Rechtspositionen davon zu erfassen2. Zur Ermittlung des in die Abwägung einzustellenden öffentlichen Interesses greift das Bundesverfassungsgericht überwiegend auf die Regelungsintention des Gesetzgebers zurück3.
1 Vgl. Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 20 f., 27, 51; vgl. auch Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 79; siehe auch zum Abwägungserfordernis im Dritten Teil, C. II. 2. c) und d) sowie C. II. 3. 2 Kopp, SGb 1993, 593 (600); siehe auch bereits Nipperdey, in Enneccerus, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 361, wonach das insbesondere dann gelten soll, wenn das neue Recht auf Gründen der Sittlichkeit beruht oder dazu bestimmt ist, wirtschaftliche oder soziale Übelstände zu beseitigen. Siehe dazu auch im Ersten Teil unter F. II. 1. b) aa). 3 Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 63 f., m.w.N. der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung.
234
6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
I. Das allgemeine öffentliche Interesse an der Änderung bestehenden Rechts Der Staat hat prinzipiell ein legitimes Interesse daran, auf bestimmte gesellschaftliche Tendenzen flexibel zu reagieren und die Rechtsordnung daran anzupassen, gegebenenfalls durch die Umordnung des alten Rechts und der unter diesem begründeten Rechtspositionen4. Die Notwendigkeit einer Rechtsänderung kann sich etwa aus konjunktur-, sozial-, bildungs- oder gesellschaftspolitischen Gründen ergeben5. Der Staat darf gegenüber dem unabwendbaren oder auch politisch gewollten Wandel der Lebensverhältnisse nicht seine Handlungsfähigkeit verlieren6. Mithin kann das öffentliche Interesse an der gesetzlichen Neuregelung eine solche Bedeutung erlangen, dass deren Verwirklichung nicht am Vertrauensschutz scheitern soll, wenn das dadurch geschützte Interesse nicht wenigstens ebenbürtig erscheint7.
II. Der Zweck prozessrechtlicher Neuregelungen Für die Gewichtung des öffentlichen Interesses ist also in erster Linie auf die konkrete Intention des Gesetzgebers abzustellen, die er mit der jeweiligen Neuregelung verbindet. Daher lassen sich umfassende allgemeingültige Aussagen nur schwer treffen. Die in dieser Arbeit beispielhaft untersuchten Gesetzesänderungen erfolgten allerdings größtenteils in dem gemeinsamen Bestreben, sowohl das Verwaltungs- als auch das Gerichtsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen sowie die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu entlasten, so dass die jeweiligen Interessenlagen durchaus vergleichbar sind8. 1. Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und Verfahrensbeschleunigung So bezweckte etwa der Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit durch § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG in der Fassung von 1990, insbesondere bei unbeachtlichen oder offensichtlich unbegründeten Asylanträgen, eine nachhaltige Beschleunigung und Straf-
4 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 22. 5 BVerfGE 63, 343 (357); 76, 256 (347 f.). 6 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 105; BVerfGE 63, 343 (357). 7 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 104. 8 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 3, Rn. 5.
A. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Anwendung neuer Normen
235
fung des Asylverfahrens9. Mit dem Wegfall der Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz geht eine Entlastung der Gerichtsbarkeit einher. Die im Rahmen des 6. VwGOÄndG vom 01. 11. 1996 erfolgte Anpassung der Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO n. F. an die Klagebefugnis des § 42 Abs. 2 VwGO und die damit verbundene Verschärfung der gerichtlichen Zulassungsvoraussetzung zielte auf eine Einschränkung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle10. Dadurch sollten zum einen die Verwaltungsgerichte entlastet werden11. Zum anderen bezweckte die Gesetzesänderung durch den erwarteten Rückgang etwaiger Angriffe auf Normen beziehungsweise Satzungen oder Rechtsverordnungen eine Beschleunigung darauf basierender Verwaltungsverfahren, so etwa des Baugenehmigungsverfahrens12. Sowohl bei dem neu eingeführten § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG als auch bei der Neuregelung des § 212 a BauGB handelt es sich um Vorschriften i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO, die den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung anordnen. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage dient generell der Sicherung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die Sicherstellung der Vollziehbarkeit der dafür erforderlichen Verwaltungsakte13. So sollte die Beseitigung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen nach dem Willen des Gesetzgebers das beamtenrechtliche Verwaltungsverfahren vereinfachen, indem die Verwaltung in die Lage versetzt wird, die personellen Planungen unabhängig von der Ungewissheit über den Zeitpunkt der Erstellung eines Widerspruchsbescheides oder der Entscheidung über eine verwaltungsgerichtliche Klage umzusetzen14. Das Entfallen der aufschiebenden Wirkung baurechtlicher Drittwidersprüche und -anfechtungsklagen durch § 212 a Abs. 1 BauGB sollte ebenfalls der Beschleunigung und Rechtsvereinfachung im Verwaltungsverfahren dienen15. 2. Schutz des „auch privaten“ Interesses an Entlastung und Beschleunigung Das öffentliche Entlastungs- und Beschleunigungsinteresse dient aber neben dem Verwaltungsverfahren nicht nur dem Verwaltungsprozess in seinem Ablauf, sondern verfolgt darüber hinaus ebenso in verschiedener Weise den Schutz des Individualin-
9 BT-Dr. 11/4958, S. 1, 5 f.; 11/6960, S. 30; 11/7834, S. 1, 4; vgl. auch Hessischer VGH (12. Senat, Beschluss vom 23. 11. 1990), NVwZ 1991, 286 (287 f.), OVG Rheinland-Pfalz (13. Senat, Beschluss vom 15. 11. 1990), NVwZ 1991, 293 (293 f.). 10 BT-Dr. 13/3993, S. 9, 10. 11 BT-Dr. 13/3993, S. 1. 12 BT-Dr. 13/3993, S. 1 f. 13 Kopp/Schenke, VwGO, § 80, Rn. 55. 14 BT-Dr. 13/3994 S. 29, 35. 15 BT-Dr. 13/7589, 30; siehe auch Battis, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 212 a, Rn. 1.
236
6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
teresses. Auch dieses gesetzgeberische Ziel prozessrechtlicher Neuregelungen wird in der Abwägung Berücksichtigung finden müssen. a) Effektivierung des individuellen Rechtsschutzes durch die Vereinfachung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Die Änderung des § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO dahingehend, die Begründung des Berufungszulassungsantrags nunmehr beim Oberverwaltungsgericht einzureichen, erfolgte beispielsweise auch mit dem Ziel, den Rechtsschutz des Bürgers zu vereinfachen. Die bisherige Regelung, nach der die Berufungsbegründung noch an das Verwaltungsgericht zu übermitteln war, erwies sich als fehleranfällig und führte bisweilen dazu, dass der Rechtssuchende die Begründungsfrist versäumte16. Die Vereinfachung verfahrens- und prozessrechtlicher Vorschriften verfolgt somit auch die Wahrung individuellen Rechtsschutzes. b) Effektivierung des individuellen Rechtsschutzes durch die Entlastung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Wirksamer Rechtsschutz bedeutet für den Bürger auch Rechtsschutz in angemessener Zeit17. Gerade im Verwaltungsprozess, der regelmäßig einen repressiven Rechtsschutz gewährt, steigt die Gefahr des Eintritts vollendeter Tatsachen regelmäßig mit zunehmender Dauer des gerichtlichen Verfahrens18. Dazu trägt auch die Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei19. Das öffentliche Interesse an der Vereinfachung und Optimierung des Verwaltungsverfahrens und -prozesses umfasst also auch das Interesse an der Erfüllung des staatlichen Rechtsschutzauftrages, im Speziellen das Interesse an der Gewährung eines nach Art. 19 Abs. 4 GG garantierten effektiven und wirksamen individuellen Rechtsschutzes20. Somit stellt die Einschränkung verschiedener Klageverfahren und damit die Verkürzung des individuellen Rechtsschutzes auf der einen Seite auch einen Beitrag zur Effektivierung des Rechtsschutzes auf der anderen Seite dar. Zu klären wird sein, welcher dieser beiden Sichtweisen mehr Gewicht beizumessen ist, wenn das Mittel zur Erreichung des Gesetzeszwecks die sofortige Anwendung neuen Prozessrechts ist.
16 17 18 19 20
BT-Dr. 15/3482, S. 24 mit genauerer Erläuterung. BVerfGE 54, 277 (291); 55, 349 (369). Papier, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht VI, § 153, Rn. 20, § 154, Rn. 77 f. Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 3, Rn. 2. Papier, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht VI, § 153, Rn. 20.
A. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Anwendung neuer Normen
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c) Vereinfachter Rechtsschutz beim Gebrauchmachen von Erlaubnissen Vor allem in den Fällen, in denen der Rechtsbehelf eines Dritten seine Suspensivwirkung verliert, kann neben dem öffentlichen Interesse auch ein privates Interesse, nämlich das des Adressaten eines ihn begünstigenden Verwaltungsaktes an dessen sofortigen Vollziehung erfüllt werden. Der Begünstigte ist bestrebt, von der ihm gegenüber geltenden Regelung, etwa einer behördlichen Genehmigung, so zügig wie möglich Gebrauch zu machen. Die aufschiebende Wirkung eines Drittrechtsbehelfs hindert ihn jedoch daran, indem sie das Gebrauchmachen von einer erteilten Erlaubnis vorläufig unzulässig und rechtswidrig macht21. Wird die aufschiebende Wirkung aber nunmehr durch eine gesetzliche Regelung i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO ausgeschlossen, kann mit der Verwirklichung des beantragten Vorhabens seitens des Verwaltungsaktsadressaten begonnen werden. Mit der gesetzlichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten, deren Erlass für die Umsetzung etwaiger Vorhaben typischerweise erforderlich ist, sollte eine zusätzliche günstige Verfahrensrechtsposition für den Verwaltungsaktadressaten geschaffen werden, so z. B. durch das RMBeschrG vom 01. 05. 199322. Zwar bleibt die Möglichkeit für den Dritten bestehen, die Aussetzung der Vollziehung beziehungsweise die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 a VwGO zu beantragen. Jedoch erlangt der begünstigte Adressat des Verwaltungsakts allein dadurch eine vorteilhafte Stellung gegenüber der alten Rechtslage, dass nicht er den vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch nehmen muss. Sein Rechtsschutz gegenüber Angriffen Dritter vereinfacht sich mithin, und damit auch die Verwirklichung des ihm gegenüber genehmigten Vorhabens. Mit der Verfolgung des öffentlichen Interesse an der Beschleunigung und Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, so etwa beim RMBeschrG von Planungs- und Genehmigungsverfahren wird also auch eine Besserstellung desjenigen bezweckt, der von einer Erlaubnis beziehungsweise Genehmigung Gebrauch machen will23. Auch die mit der Neufassung des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO erfolgte Einschränkung der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle räumt dem Normanwender durch die Verminderung rechtlicher Angriffe auf bestehende Normen, so etwa auf Bebauungspläne, ein Mehr an Rechtssicherheit ein. Es ist schließlich auch hier festzuhalten, dass die Verkürzung des individuellen Rechtsschutzes auf der einen Seite einen Beitrag zur Vereinfachung des Rechtsschutzes auf der anderen Seite darstellt. Ob die Rechtsschutzverkürzung allerdings bereits bei anhängigen Verfahren Berücksichtigung finden muss, wird im Folgenden noch zu klären sein.
21 22 23
Kopp/Schenke, VwGO, § 80, Rn. 30 m.w.N. der Rspr., 44. BT-Dr. 12/3944, S. 1 f., 21 ff., 57; siehe dazu auch oben im Zweiten Teil B. II. 2. BT-Dr. 12/3944, S. 1 f.
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6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
III. Ergebnis Dem Vertrauensinteresse steht in der Abwägung das öffentliche Interesse gegenüber, die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu entlasten und den Rechtsschutz zu effektivieren. Überdies zeigen die angeführten Fallkonstellationen, dass es ebenfalls das Ziel der hier beispielhaft untersuchten Gesetzesänderungen ist, den individuellen Rechtsschutz zu vereinfachen und damit zu verbessern. Die mit der Änderung des Prozessrechts verfolgte, möglichst effektive und umfangreiche Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und die gewünschte Verfahrensbeschleunigung sollen insbesondere durch die sofortige Anwendung neuen Rechts gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts erreicht werden24. Daher wird in der Abwägung, die auf den Ausgleich der widerstreitenden Interessen abzielt, zu prüfen sein, ob gerade die unmittelbare, die den Vertrauensschutz beeinträchtigende sofortige Anwendung der neuen Rechtsnormen auch auf anhängige Prozesse notwendig ist, um den vom öffentlichen Interesse getragenen Gesetzeszweck zu erreichen. Der Regelungszweck der Prozessnormen stellt für sich nur den Ausgangspunkt für die Abwägung dar. Diese verfolgt nicht das Anliegen, die Gesetzesänderung als solche verfassungsrechtlichen Bedenken auszusetzen. Vielmehr dient sie dazu, das „Wie“ einer Gesetzesänderung, die Gestaltung des Übergangs vom alten zum neuen Recht zu überprüfen25. In der Abwägung ist daher vor allem zu hinterfragen, inwieweit der Gesetzeszweck gefährdet wäre, wenn anhängige Verfahren entgegen der Neuregelung noch nach altem Recht entschieden würden.
B. Die Abwägung der sich widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen im Fall der sofortigen Anwendung neuen Verwaltungsprozessrechts Das Vorliegen eines schutzwürdigen, gewichtigen Vertrauensinteresses allein sagt noch nichts über die Durchsetzbarkeit gegenüber anderen Interessen und damit schließlich über den tatsächlichen Schutz der Verfahrensposition des Bürgers aus. Der Vertrauensschutz geht nicht so weit, dem Bürger jegliche Enttäuschung zu ersparen und ihm jedwedes Risiko abzunehmen26. Vielmehr setzt der Schutz individuellen Vertrauens erst dann ein, wenn das Vertrauen des nachteilig in seiner Rechtsposition Betroffenen gegenüber den Belangen des Gemeinwohls den Vorrang verdient27. Ver24
Siehe z. B. VG Göttingen (3. Kammer, Beschluss vom 27. 08. 1997), NVwZ-RR 1999, 52. Vgl. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 111 f. 26 Stern, Staatsrecht I, 835; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 104; BVerfGE 14, 288 (299); 22, 241 (252); 50, 386 (396). 27 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 137; Stern, Staatsrecht I, 835; BVerfGE 14, 288 (300); 25, 142 (154); 30, 392 (404); 51, 356 (363); 68, 287 (307). 25
B. Die Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen
239
folgt hingegen der Staat höherrangige Interessen, muss das persönliche Vertrauensinteresse dahinter zurücktreten. Folglich ist regelmäßig eine Interessenabwägung vorzunehmen28. In deren Rahmen muss danach gefragt werden, ob es ein hinreichend berechtigtes Interesse an der Einbeziehung von Altfällen in den Anwendungsbereich des neuen Rechts gibt, welches das Vertrauen des Betroffenen in die alte Rechtslage überwiegt29. Das Abwägungsgebot richtet sich dabei an diejenigen staatlichen Organe, die das bürgerliche Vertrauensinteresse beeinträchtigen, in den vorliegenden Fällen an die Rechtsprechung30. Es obliegt in besonderer Weise den Gerichten, den Vertrauensschutz zu konkretisieren und zu typisieren. Dabei gilt es, im Ergebnis den richtigen Ausgleich zwischen den kollidierenden Interessen zu finden, zwischen dem gesetzgeberischen Anliegen an der umfassenden Anwendung neuen Rechts und dem schutzwürdigen Vertrauensinteresse an der Beständigkeit der Rechtslage, das einem möglicherweise zu weit greifenden staatlichen Reformvorhaben Einhalt gebieten kann31. Allein die Aufforderung, die sich gegenüberstehenden Interessen gerecht abzuwägen, enthält allerdings noch keine genaue Anleitung, auf welche Art und Weise dies zu erfolgen hat. Lediglich das Ziel wird vorgegeben, am Ende eine verfassungsmäßige Lösung des Interessenkonflikts herbeizuführen. Eine wichtige Orientierungshilfe bietet hierfür der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der dem staatlichen Handeln einen Maßstab anlegt32. Anhand dieses Grundsatzes kann überprüft werden, ob in Anbetracht des beeinträchtigten Vertrauensinteresses die sofortige Anwendung neuen Rechts zur Erreichung des Gesetzeszwecks verhältnismäßig und damit verfassungsrechtlich zulässig ist.
I. Die Vorgaben des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit enthält ein Gebot allgemeinen Maßhaltens, einer vernunftgemäßen Zweck-Mittel-Relation33. Danach wird verlangt, dass das eingesetzte staatliche Mittel zur Erreichung eines legitimen Ziels geeignet, erfor-
28
Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 104; Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 137; Stern, Staatsrecht I, 835; BVerfGE 14, 288 (300); 24, 220 (230 f.); 64, 87 (104); 72, 200 (258); siehe zu diesem Erfordernis auch bereits im Dritten Teil, C. II. 2. c) und d). 29 Hey, BB 1998, 1444 (1446). 30 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 104; siehe dazu auch bereits im Dritten Teil, C. II. 2. f). 31 Vgl. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 21. 32 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 106. 33 Siehe zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bereits im Dritten Teil, C. II. 3.
240
6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
derlich und angemessen ist34. Die sofortige Anwendung neuer prozessrechtlicher Normen müsste also gemäß diesen Vorgaben als Mittel zur Zweckerreichung der Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie der Verfahrensbeschleunigung dienen. 1. Geeignetheit der sofortigen Anwendung neuen Rechts Eine staatliche Maßnahme, die in eine geschützte Rechtsposition eines Bürgers eingreift, ist in diesem Sinne geeignet, wenn sie tauglich ist, den angestrebten Zweck auch tatsächlich zu erreichen35. Die sofortige Anwendung neuen Rechts, die schutzwürdige Vertrauensinteressen des Rechtssuchenden beeinträchtigt, ist demnach dann geeignet, wenn damit das angestrebte Ziel der Entlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie der Verfahrensbeschleunigung erreicht oder gefördert werden kann. Soweit die Entlastung der Verwaltungsgerichte angestrebt wird, erweist sich die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts zweifellos als geeignet. So führt beispielsweise die Verschärfung von Prozessvoraussetzungen zur Unzulässigkeit anhängiger Rechtsbehelfe, die infolge dessen gegebenenfalls zurückgenommen werden, um eine günstigere Kostenfolge zu erreichen36. Auch zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren erweist sich die sofortige Anwendung neuen Prozessrechts als geeignet. Denn in dem Augenblick, in dem etwa die aufschiebende Wirkung entfällt, können Behörden oder die Adressaten von Verwaltungsakten diese umgehend vollziehen. Fragwürdig erscheint es hingegen, ob die sofortige Anwendung neuer Prozessnormen auch zur Erfüllung privater Interessen geeignet ist, sofern diese – wie erörtert – auch vom Gesetzeszweck umfasst sind37. Denn die generell bezweckte Effektivierung des individuellen Rechtsschutzes infolge der Gerichtsentlastung und Verfahrensbeschleunigung auf der einen Seite, bringt auf der anderen Seite, nämlich konkret auf der des Betreibers eines bereits anhängigen Prozesses, eine erhebliche Belastung mit sich. Verfassungsrechtlich gewährleistete, dem Schutz des Bürgers dienende Grundsätze werden hierdurch womöglich eingeschränkt. Ein in der Konsequenz der sofortigen Anwendung neuen Rechts unzulässig gewordener Prozess dürfte in diesem Fall weit davon entfernt sein, effektiv durchgeführt zu werden. Der auf den Gerichten lastende Druck zur Wirtschaftlichkeit darf bei aller Notwendigkeit der Effizienz nicht dazu führen, Prozesse um den Preis verfassungsrechtlicher Grundsätze
34
Stern, Staatsrecht I, 866; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 107. 35 Stern, Staatsrecht I, 866; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 84; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 107; BVerfGE 33, 171 (187); 67, 157 (173). 36 Vgl. oben im Vierten Teil unter A. II. 5. 37 Siehe dazu nochmals oben im Sechsten Teil unter A. II. 2.
B. Die Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen
241
abzukürzen38. Allerdings genügt für die Annahme der Geeignetheit staatlicher Maßnahmen die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung39. Nur bei objektiver Untauglichkeit des Mittels wäre es aus dem Gesichtspunkt der Geeignetheit unverhältnismäßig und damit rechtstaats- und somit schließlich verfassungswidrig. Die Geeignetheit des Mittels im Sinne der Möglichkeit, den angestrebten Zweck zu fördern, bedeutet nicht, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht werden müsse oder erreichbar ist40.
2. Erforderlichkeit der sofortigen Anwendung neuen Rechts Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit ist die Notwendigkeit der sofortigen Anwendung neuer Verfahrensregelungen auch auf noch schwebende Prozesse zu hinterfragen. An der Notwendigkeit fehlt es, wenn dem Rechtsanwender ein gleich geeignetes, den Bürger dabei aber weniger belastendes Mittel zur Verfügung stünde41. Weniger belastend wäre die Ausklammerung anhängiger Altfälle aus dem Anwendungsbereich der Neuregelung. Fraglich ist dabei jedoch, ob dies zur Zweckerreichung ein gleich geeignetes Mittel ist. Für die Einbeziehung anhängiger Verfahren in die Neuregelung können zunächst sachliche Gründe sprechen, die den Gesetzgeber dazu veranlasst haben, die Neuregelung überhaupt zu erlassen, so etwa rechtliche oder sachliche Mängel der bisherigen Regelung. Ebenso können allgemeine Fragen der Rechtssicherheit und der Rechtseinheit den Anlass dafür geben, anhängige Verfahren dem neuen Recht zu unterwerfen42. Anderenfalls bestünde womöglich die Gefahr, dass zwei Regelungen nebeneinander bestehen, die denselben Sachverhalt regeln, diesen aber rechtlich unterschiedlich beurteilen. Das könnte vor allem dem Zweck von Reformgesetzen, die ganze Rechtsbereiche neu regeln wollen, erheblich widersprechen43. Dass allerdings in den vorliegenden Fällen der Zweck der prozessrechtlichen Neuregelungen gefährdet ist, wenn anhängige Verfahren noch nach alter Rechtslage beurteilt werden, erscheint zweifelhaft. Die mit den neuen Regelungen intendierte Gerichtsentlastung und Verfahrensbeschleunigung dürfte auch unabhängig von den noch (wenigen) anhängigen Verfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens eintreten. Denn die, etwaige Rechtsbehelfe einschränkende, Neuregelung kommt ab diesem Zeitpunkt insoweit zum Tragen, dass neue – nach neuer Rechtslage zum Teil 38 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 3, Rn. 6, dort auch zu der in der Rechtslehre geführten Debatte über die Auswirkungen und die Grenzen der Ökonomisierung des Verwaltungsprozesses m.w.N.; siehe zum Effektivitätsgrundsatz auch bereits ausführlich im Dritten Teil B. II. 39 Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 84; BVerfGE 67, 157 (173). 40 BVerfGE 67, 157 (173). 41 Stern, Staatsrecht I, 866; Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 85; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 107. 42 Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 53. 43 Vgl. Maurer, in Isensee/Kirchhof, Staatsrecht III, § 60, Rn. 53, m.w.N. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
242
6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
unzulässige – Verfahren nun nicht mehr zusätzlich oder nur noch eingeschränkt anhängig gemacht werden können. Die Zahl noch zu entscheidender Prozesse nimmt zwar nicht unmittelbar ab, aber auf der anderen Seite weniger zu. Hierin liegt bereits eine Entlastung der Gerichte. Wenngleich durch das Unzulässigwerden auch anhängiger Prozesse die Entlastung noch größer ausfallen und somit an einer vergleichbaren Geeignetheit gezweifelt werden könnte, kann andererseits jedenfalls nicht von einer wesentlichen Gefährdung des Gesetzeszwecks die Rede sein, wenn schwebende Verfahren noch nach altem Recht entschieden werden. Überdies darf auch ein nur geringfügig weniger wirksames Mittel nicht schlechthin unberücksichtigt bleiben44. So geht schließlich auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit davon aus, dass das mit der Gesetzesänderung verfolgte Ziel, das Verfahren durch den Wegfall der Beschwerde in verwaltungsgerichtlichen Eilfällen zu beschleunigen, auch dann wirksam erreicht werden kann, wenn der Rechtsmittelausschluss die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung schon anhängigen Beschwerden noch nicht mit erfasst45. Maßgebend für die Frage der Erforderlichkeit ist aber immer auch die Eigenart der betroffenen Rechtsposition sowie die Intensität ihrer Verletzung46. Die Aspekte der gleichen Geeignetheit sowie der Beeinträchtigungsintensität müssen daher im Zusammenhang betrachtet und bewertet werden. Demnach kann ein alternatives Mittel mit nur wenig geringerer Eignung und dafür aber wesentlich milderen Folgen vorzuziehen sein47. Anders formuliert, auch wenn die Nichteinbeziehung anhängiger Verfahren in den Anwendungsbereich des neuen Prozessrechts als milderes Mittel weniger geeignet ist, die Gerichte zu entlasten und laufende Verwaltungsverfahren zu beschleunigen, so wirkte es sich jedenfalls nicht nachteilig auf das berechtigt investierte Vertrauen des Rechtssuchenden aus, da die Verfahrensposition des Rechtssuchenden in diesem Falle erhalten bliebe. Die Entscheidung anhängiger Prozesse nach noch altem Recht ist im Vergleich zur sofortigen Anwendung der neuen Normen zwar weniger wirksam. Allerdings treten dabei aber auch mildere Folgen für den Bürger ein. Unter diesem Gesichtspunkt muss an der Erforderlichkeit der sofortigen Anwendung neuen Rechts jedenfalls gezweifelt werden. Diese Zweifel müssen umso stärker sein, je drastischer die Folgen der Sofortanwendung sind, je intensiver die Beeinträchtigung ist. Bringt beispielsweise die Beurteilung eines anhängigen Rechtsmittels nach neuem Recht dessen Unstatthaftigkeit mit sich, so ist diese Folge in Anbetracht der Alternativmöglichkeit, in der diese Konsequenz nicht eintritt, nicht erforderlich. Anders kann dies zu beurteilen sein, wenn die Beeinträchtigung der Rechtsposition, des geschützten Vertrauens des Bürgers nicht derartig schwer wiegt. Besteht also zum Beispiel auch bei sofortiger Anwendung neuen Verwaltungsprozessrechts weiterhin die Möglichkeit der Rechtsverfolgung, kann dieses Mittel zur 44 45 46 47
Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 153. BVerfGE 87, 48 (67). BVerfGE 30, 292 (316 f.); Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 152. Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 153.
B. Die Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen
243
Zweckerreichung unter dem Aspekt der Erforderlichkeit weniger beanstandet werden. 3. Angemessenheit der sofortigen Anwendung neuen Rechts Schließlich muss der Eingriff auch angemessen sein, das heißt die staatliche Maßnahme muss, gemessen an den mit ihr verbundenen Nachteilen verhältnismäßig im engeren Sinne sein48. Das Maß der den Bürger treffenden Belastung soll „noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen“49. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung findet also die eigentliche, verfassungsrechtlich geforderte Abwägung der widerstreitenden Interessen statt50. Demnach sind die gewünschten Erfolge und das Ausmaß des Nutzens den beeinträchtigten Rechtspositionen unter Berücksichtigung aller Konsequenzen und der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls gegenüberzustellen51. Im Ergebnis darf der Eingriff „seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den vom Bürger hinzunehmenden Einbußen stehen“52. Der Vorteil des Mittels der Sofortanwendung liegt in der möglichst raschen und umfassenden Zweckerfüllung, die dadurch erreicht wird, dass sämtliche, künftige wie auch bereits anhängige Verfahren von der prozessrechtlichen Neuregelung erfasst werden. Demgegenüber sind bei der Ermittlung des dabei jeweils eintretenden Nachteils die im Fünften Teil herausgestellten Aspekte zu berücksichtigen. So lässt sich der konkrete Nachteil zum einen anhand der tatsächlich eintretenden, mit der jeweiligen Bedeutung der einzelnen Verfahrensposition jeweils im Zusammenhang stehenden Beeinträchtigung des Rechtsschutzes bestimmen53. Zum anderen muss der Grad des beeinträchtigten Vertrauens Berücksichtigung finden54. Denn je mehr sich grundsätzlich schützenswertes Vertrauen verdichtet hat, desto schwerwiegender ist auch der dem Vorteil der Rechtsänderung gegenüber zu stellende Nachteil des Bürgers. Das Gewicht, das dem Vertrauensinteresse gemessen an diesen Kriterien zukommt, wirkt sich unmittelbar auf das Ausmaß des in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden Nachteils des Rechtssuchenden aus. Soweit also eine bedeutende Verfahrensposition und damit auch der Rechtsschutz schwerwiegend beeinträchtigt wird und sich der Bürger aufgrund der Lage des Prozesses zusätzlich auf ein hohes Maß geschützten Vertrauens berufen kann, dürfte es jedenfalls unangemessen sein, 48 Stern, Staatsrecht I, 866; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 107. 49 BVerfGE 76, 1 (51); Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 86. 50 Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 86, siehe dazu bereits im Dritten Teil, C. II. 2. c) und d) und C. II. 3. 51 Sachs, in Sachs, GG, Art. 20, Rn. 154; BVerfGE 92, 277, (327). 52 BVerfGE 80, 297 (312); Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 86. 53 Siehe dazu im Einzelnen oben im Fünften Teil unter C. 54 Siehe dazu im Einzelnen oben im Fünften Teil unter B.
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6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
neues Recht sofort anzuwenden. Denn für den mit der Gesetzesänderung verfolgten Zweck ist die Entscheidung anhängiger Fälle noch nach altem Recht weniger abträglich als es die Beurteilung dieser Verfahren bereits nach neuem Recht für den in seinem Vertrauensschutz verletzten Bürger ist. Der aus der sofortigen Anwendung erwachsende Vorteil für die Allgemeinheit steht dann in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem zu erwartenden Nachteil des Bürgers. Bei der Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile der sofortigen Anwendung neuen Rechts ist zu berücksichtigen, dass sich die einzelnen Kriterien für die Gewichtung des Vertrauensinteresses und damit auch für die Bestimmung des Nachteils bei dessen Beeinträchtigung untereinander ergänzen55. Ist auf der einen Seite die Beeinträchtigung des Rechtsschutzes als besonders schwerwiegend einzustufen, so etwa im Falle des Verlustes einer bedeutenden Verfahrensposition wie der eines Rechtsmittelführers, muss auf der anderen Seite das am Vertrauensgrad zu messende Gewicht der Verfahrensposition weniger hoch sein, damit der Nachteil des Bürgers in der Abwägung den sich aus dem Gesetzeszweck ergebenden Vorteil überwiegt. Anders gestaltet sich dieses Verhältnis beispielsweise beim „bloßen“ Verlust des Suspensiveffekts einer Anfechtungsklage, der für sich genommen keine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsschutzes darstellt. Nur wenn hier zusätzlich noch ein hoher Grad an Vertrauen vorliegt und sich daraus ergibt, dass eine gewichtige Verfahrensposition betroffen ist, kann der Nachteil insgesamt ein solches Ausmaß annehmen, dass dessen Hinnahme von dem beschriebenen Vorteil nicht mehr gerechtfertigt werden kann. Ist im Ergebnis dieser Gegenüberstellung der Nachteil für den Bürger gravierender als der Vorteil für das Allgemeininteresse nützlich ist, fehlt es schließlich an der Angemessenheit der sofortigen Anwendung neuen Rechts. Das Vertrauensinteresse überwiegt mit der Folge, dass die neuen Regelungen auf noch anhängige Verfahren nicht angewendet werden dürfen. Dem Interesse des Rechtssuchenden ist der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Sofortanwendung einzuräumen, das seine Befriedigung aber noch darin findet, dass das neue Recht für alle künftig anhängig werdenden Prozesse gilt. Durch die Berücksichtigung des berechtigten Vertrauensinteresses bei laufenden Prozessen und die Beschränkung des staatlichen Interesses auf nur bevorstehende gerichtliche Verfahren findet ein Interessenausgleich statt. Damit wird dem aus dem Vertrauensschutzgrundsatz folgenden Bedürfnis nach einem schonenden Übergang im Sinne einer relativen Kontinuitätsgewähr sowie dem Erfordernis praktischer Konkordanz genüge getan56.
55
Vgl. dazu nochmals im Zusammenhang mit der Beschränkung der verwaltungsrechtlichen Normenkontrolle und dem Verlust des Suspensiveffekts oben im Fünften Teil unter A. II. 2. a), A. II. b) cc), C. I. 3. b) und C. I. 4. c). 56 Siehe zur relativen Kontinuitätsgewähr im Dritten Teil, C. VI. und zum Erfordernis praktischer Konkordanz im Dritten Teil, C. II. 2. d) und C. II. 3.
C. Bewertung der getroffenen Entscheidungen
245
II. Ergebnis Bei einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der verfahrensrechtlichen Stellung des Bürgers durch die sofortige Anwendung neuen Rechts, die sich grundsätzlich als geeignet erweist, das Gerichtsverfahren zu entlasten und damit selbiges sowie das Verwaltungsverfahren zu beschleunigen, ergeben sich bereits Zweifel an der Erforderlichkeit. An der Angemessenheit der Sofortanwendung des geänderten Gesetzes fehlt es, wenn in der Abwägung das schutzwürdige Vertrauensinteresse das öffentliche Interesse an der unmittelbaren und umfassenden Umsetzung neuen Rechts überwiegt. In einem solchen Fall sind anhängige Verfahren noch nach altem Recht zu entscheiden. Erginge dessen ungeachtet, in Verkennung der Bedeutung und des Gewichts der Verfahrensposition und der durch die Anwendung neuen Rechts eintretenden Beeinträchtigung des Rechtsschutzes, dennoch eine gerichtliche Entscheidung unter Zugrundelegung der neuen Rechtsnormen, wäre diese folglich unverhältnismäßig. Das private Vertrauensinteresse fände dann eine nur unzureichende Berücksichtigung. Darin würde im Ergebnis ein Verstoß gegen den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzgrundsatz liegen. Inwieweit in den vorliegend herangezogenen Fällen ein solcher Verstoß begangen wurde, wird im folgenden Abschnitt untersucht.
C. Bewertung der in den untersuchten Verfahrenssituationen getroffenen Entscheidungen Die gewonnenen Erkenntnisse zugrunde gelegt, stellt sich schließlich die Frage, ob und inwieweit in welchen, der hier beispielhaft untersuchten Fälle, die erstmals von dem Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit aufgestellte und in dieser Untersuchung weitergeführte Konkretisierung der Grundsätze des intertemporalen Rechts auch Berücksichtigung gefunden hat oder hätte finden müssen. Den Anlass dieser Untersuchung bildete vor allem die Widersprüchlichkeit der Verwaltungsrechtsprechung im Hinblick auf die Frage der Sofortanwendung neuen Rechts. Die Annahme, dass sich die Verwaltungsgerichte mit der Bedeutung und dem Gewicht der Verfahrensposition sowie mit der konkreten Beeinträchtigung des Rechtsschutzes in nur unzureichende Weise auseinandersetzten, liegt daher nahe. Zwar enthalten einige Entscheidung teilweise auch überzeugende Ausführungen und nachvollziehbare Anhaltspunkte, so beispielsweise die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Nichtanwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts auf anhängige Normenkontrollverfahren57. Klare Leitlinien für ein Ge-
57
BVerfGE 106, 237 ff; vgl. dazu im Zweiten Teil, A. I. 2. c) sowie im Dritten Teil unter E.
246
6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
samtkonzept, auch im Hinblick auf die Vorgaben des Grundsatzes der Rechtsmittelsicherheit, lassen sich diesen jedoch nicht entnehmen.
I. Die Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutz Diejenigen Entscheidungen, die noch die Auffassung vertraten, dass der Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit durch § 10 Abs. 3 S. 8 AsylVfG (in der Fassung von 1990) auch anhängige Beschwerden im vorläufigen Rechtsschutz erfasse, haben den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutz seitens des Rechtssuchenden verkannt58. In diesen Fällen fällt die Abwägung zugunsten der Anwendung noch alten Rechts und gegen die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts aus. Denn es entspricht den zuzustimmenden Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts, dass der Beschwerdeführer mit der Einlegung eines Rechtsmittels eine gewichtige verfahrensrechtliche Position erworben hat, die das öffentliche Interesse an der sofortigen Anwendung der den Beschwerdeausschluss regelnden Norm überwiegt59. Diese Entscheidung beruht auf nachvollziehbaren Erwägungen und ist auch im Ergebnis der hiesigen Untersuchung richtigerweise ergangen.
II. Die Berufung Die Frage nach der Anwendung neuen oder alten Rechts auf diejenigen Fälle, in denen der Antrag auf Zulassung der Berufung noch unter der alten Rechtslage gestellt wurde, die Begründung nach neuen Recht aber bei einem anderem Gericht, nämlich dem Oberverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtshof) einzureichen war, lässt sich ebenfalls eindeutig dahingehend beantworten, dass hier noch die alten Prozessvorschriften anzuwenden waren60. Denn zum einen steht der Zulassungsantrag in seiner Bedeutung für die Umsetzung materiellen Rechts der Beschwerde gleich61. Es handelt sich hier ebenso um ein Rechtsmittel. Und zum anderen folgt diese Erkenntnis aus dem konkreten Nachteil den sich der Berufungskläger ausgesetzt sieht, dem Verlust seines Rechtsschutzes. Demgegenüber steht der, in der sofortigen Einreichung der Antragsbegründung beim Oberverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtshof) liegende Vorteil der Allgemeinheit in keinem Verhältnis62. Es ist somit vor allem die Beeinträchtigung eines bedeutenden Rechtsmittels, die einer sofortigen Anwendung des § 124 a Abs. 4 S. 5 VwGO n.F. entgegensteht. Dem folgend überwiegt das Vertrau58 Siehe zu dieser Fallkonstellation auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 1. 59 BVerfGE 87, 48 (63 f.). 60 Siehe zu dieser Fallkonstellation auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 5. 61 Siehe zur Bedeutung der Berufung im Fünften Teil, A. II. 1. a). 62 Vgl. oben im Sechsten Teil unter A. II.
C. Bewertung der getroffenen Entscheidungen
247
ensinteresse. Überdies kann auch das Gewicht der Verfahrensposition des Berufungsklägers, je nach Grad des Vertrauens, dem Interesse an der Anwendung noch alten Rechts Nachdruck verleihen. Die Heranziehung des Grundsatzes der Rechtsmittelsicherheit, der ohnehin schon seinem Wortlaut nach die Berufung mit erfasst, liegt daher sehr nahe. Ein einmal zulässig eingelegtes Rechtsmittel beziehungsweise ein einmal zulässig gestellter Zulassungsantrag kann demnach nicht im nachhinein als unzulässig erachtet werden. Demgemäß ist in diesen Verfahrensituationen auch den Verwaltungsgerichten zu folgen, die in Ausnahme von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts altes Recht anwendeten63. Die verfahrensrechtliche Position des Berufungsklägers ist also vor etwaigen Beeinträchtigungen durch neues Prozessrecht zu bewahren.
III. Zwischenergebnis Soweit also die Zulässigkeit eines Rechtsmittels durch die nachträgliche Änderung einschlägiger Prozessnormen in Frage gestellt wird, ist – auch übereinstimmend mit den Aussagen des Grundsatzes der Rechtsmittelsicherheit – festzuhalten, dass es regelmäßig bei der Anwendung der zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels geltenden Normen bleibt. Eine Ausnahme hiervon ist, trotz hoher Bedeutung für die Umsetzung materiellen Rechts, einzig in dem Fall denkbar, dass keinerlei schützenswertes Vertrauen vorliegt, dass der Bürger offensichtlich wider besseren Wissens nur auf die Anwendung alten Rechts hofft, aber aufgrund ihm bekannter Umstände nicht darauf vertrauen darf. Das wäre etwa dann der Fall, wenn die Rechtsmittelbelehrung einen eindeutigen Hinweis auf die neue und zur Anwendung gelangende Rechtslage enthielte. Das war in den vorliegenden Fällen jedoch nicht der Fall64. Offen lässt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit jedoch, ob nur derjenige, der ein Rechtsmittel einlegt eine hinreichend bedeutende und gewichtige Verfahrensposition erlangt65. Darüber hinaus stellte sich in dieser Untersuchung die Frage, ob und gegebenenfalls wann auch bei der Einlegung eines erstinstanzlichen Rechtsbehelfs die Rechtsstellung des Verfahrensbeteiligten in gleicher Weise verfestigt sein kann und damit ebenfalls verfassungsrechtlichen Schutz erfahren muss. Mit dieser Frage beschäftigten sich ebenfalls mehrere Verwaltungsgerichte66. Dabei erfuhr auch der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit eine sehr unterschiedliche Interpretation. In erster Linie bestehen Unstim63 VGH Baden-Württemberg (4. Senat, Beschluss vom 19. 10. 2004), Az.: 4 S 2142/04, JURIS, Rn. 2; Bayerischer VGH München (8. Senat, Beschluss vom 31. 03. 2005), NVwZRR 2005, 736. 64 Vgl OVG Nordrhein-Westfalen (19. Senat, Beschluss vom 08. 10. 2004), DÖV 2005, 484, die Rechtsmittelbelehrung enthielt hier keinen Hinweis darauf, dass die Begründung des Zulassungsantrags nach neuem Recht beim Oberverwaltungsgericht einzureichen ist. 65 BVerfGE 87, 48 (62 ff.); siehe dazu auch bereits im Dritten Teil unter E. 66 Vgl. dazu auch die Darstellung im Zweiten Teil, insbesondere zur verwaltungsrechtlichen Normenkontrolle unter A I 2 und zum Suspensiveffekt der Anfechtungsklage unter A I 3 und 4.
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6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
migkeiten darüber, wie weit der Begriff des „Rechtsmittels“ zu verstehen ist. Während einerseits der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit lediglich auf Rechtsmittel im engeren Sinne begrenzt wird, wonach beispielsweise die Normenkontrolle kein solches darstellen soll67, erfährt der Begriff des Rechtsmittels in anderen Entscheidungen ein weitaus großzügigeres Verständnis68. Die in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse zeigen schließlich, dass der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit in der Tat nicht nur auf Rechtsmittel im engeren Sinne beschränkt werden kann. Denn prinzipiell kann auch das Vertrauensinteresse an der Entscheidung erstinstanzlicher Rechtsbehelfe noch nach altem Recht derart gewichtig sein, dass dem Rechtssuchenden die erlangte Verfahrensposition angesichts des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzes nicht ohne Ankündigung in einer gesetzlichen Übergangsvorschrift entzogen werden darf. Im Folgenden soll daher nachgeprüft werden, wie die Anzeichen dafür in den vorliegenden Verfahrenssituationen standen.
IV. Die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle Im Vergleich zu den verwaltungsgerichtlichen Rechtsmitteln im engeren Sinne kommt der Normenkontrolle an sich eine weniger große Bedeutung für die Umsetzung materiellen Rechts zu69. Für die Frage der Anwendung neuer Prozessnormen gemäß den Grundsätzen des intertemporalen Rechts oder der alten Vorschriften, anlehnend an den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, kommt es daher entscheidend auf das Gewicht der Verfahrensposition des Antragstellers und die Beeinträchtigung des Rechtsschutzes an. Denn auch bei geringerer Bedeutung kann die verfahrensrechtliche Stellung des Bürgers noch ein solches Gewicht erlangen und der eintretende Vertrauensschaden so erheblich sein, dass das Vertrauensinteresse überwiegt und der Schutz der Verfahrensposition verfassungsrechtlich geboten ist. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt im Falle der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle ebenfalls zur Anwendung des Grundsatzes der Rechtsmittelsicherheit und vertritt dabei die Auffassung, dass auch der nachträgliche Entzug einer durch das Normenkontrollverfahren gewährten Verfahrensposition nur dann erfolgen könne, wenn das die Änderung verfügende Gesetz selbst hinreichend deutlich diesen Verlust ausspreche70. Eine überzeugende Begründung lässt diese Entscheidung jedoch vermissen. Soweit das Bundesverwaltungsgericht erklärt, dass der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit sich nicht allein auf Rechtsmittel im engeren Sinne bezie67 Z.B. OVG Nordrhein Westfalen (7. Senat, Urteil vom 23. 01. 1997), NVwZ 1997, 694 (695); OVG Berlin, (2. Senat, Urteil vom 28. 11. 1997), Az.: 2 A 7.94, JURIS, Rn. 32. 68 Z.B. Bayerischer VGH München (20. Senat, Beschluss vom 14. 02. 1997), NVwZ 1997, 694; OVG Berlin, (4. Senat, Beschluss vom 20. 08. 1997), Az: 4 SN 353.97, JURIS, Rn. 2. 69 Siehe zur Bedeutung der verwaltungsrechtlichen Normenkontrolle im Fünften Teil unter A. II. 2. a); und zu der untersuchten Fallkonstellation auch ausführlich die Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 2. 70 BVerwGE 106, 237 (238 ff.).
C. Bewertung der getroffenen Entscheidungen
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he, ist dieser Ansicht zunächst zu folgen. Auch dem daraus resultierendem Schluss, ebenso bei erstinstanzlichen Rechtsbehelfen die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts gegebenenfalls einzuschränken, ist zuzustimmen. Insofern folgen auch die in dieser Arbeit gewonnenen Untersuchungsergebnisse dieser Entscheidung. Dass dies aber generell bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle der Fall sein soll, kann nicht bestätigt werden. Denn das Bundesverwaltungsgericht verkennt, dass der verwaltungsrechtlichen Normenkontrolle keine solche Bedeutung für die Umsetzung materiellen Rechts zukommt, wie dies bei Rechtsmitteln im engeren Sinne der Fall ist. Aufgrund dessen muss die beeinträchtigte Verfahrensposition von hohem Gewicht oder die Beeinträchtigung des eingeschlagenen Rechtswegs von besonderer Schwere sein, wollte man mit dem Bundesverwaltungsgericht und einem weiteren Teil der Verwaltungsrechtsprechung auch im Fall der verwaltungsrechtlichen Normenkontrolle eine Ausnahme von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts anerkennen71. Denn nur dann ist das Vertrauensinteresse des Antragstellers derart gewichtig, dass es in der Abwägung mit dem Allgemeininteresse an der Sofortanwendung überwiegt und somit verfassungsrechtliche Bedenken an der unmittelbaren Anwendung neuen Rechts begründen kann. Aber auch die Intensität der Beeinträchtigung dürfte nach den hiesigen Erkenntnissen nicht automatisch ebenso schwer wiegen, wie etwa im Falle des Verlustes eines Rechtsmittels. Denn durch die Beeinträchtigung des durch die Normenkontrolle gewährten Rechtsschutzes erleidet das Vertrauen einen vergleichsweise geringeren Schaden72. Es ist demzufolge letztlich ein Mehr an verdichtetem Vertrauen zu fordern, um hier ebenfalls eine Ausnahme von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts annehmen zu können. Da eine nachträgliche Feststellung dessen nicht in nachvollziehbarer Weise möglich erscheint, verbleibt es an dieser Stelle bei der Erkenntnis, dass eine Ausnahme von der sofortigen Anwendung neuen Rechts tendenziell weniger anzunehmen, eine solche aber keineswegs auszuschließen ist73. Denn es ist im Ergebnis nicht mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit vereinbar, dem Antragsteller einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle jeglichen Schutz gegenüber Änderungen des Prozessrechts abzusprechen.
71 Eine Ausnahme von den Grundsätze des intertemporalen Rechts machen z. B. der Bayerische VGH München (20. Senat, Beschluss vom 14. 02. 1997), NVwZ 1997, 694; (1. Senat, Urteil vom 19. 09. 1997), BayVBl 1998, 80 f.; sowie das Niedersächsische OVG (6. Senat, Urteil vom 24. 04. 1997), NVwZ 1997, 1222 f. 72 Siehe dazu im Fünften Teil, C. I. 3. 73 Entgegen der Befürchtung von Schenke, VerwA 90 (1999), 301 (303 f.), führt die Anwendung des Grundsatzes der Rechtsmittelsicherheit über den Fall eines anhängigen Rechtsmittels hinaus somit auch keineswegs zwangsläufig zur völligen „Preisgabe“ der Grundsätze des intertemporalen Rechts.
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6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
V. Die Anfechtungsklage Auch bei der Anfechtungsklage stellt sich gleichermaßen die Frage, ob die in dem Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit bereits anerkannte Ausnahme von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts, obwohl es sich nicht um kein Rechtsmittel handelt, zuzulassen ist74. Dem Bundesverwaltungsgericht folgend, ist es für diese Frage jedenfalls unerheblich, ob ein Rechtsmittelverfahren im engeren Sinne betrieben wird75. Zwar befasste sich das Bundesverwaltungsgericht allein mit der Frage, ob eine bereits anhängige und zulässige verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle im Nachhinein aufgrund der gesetzlich neu geregelten Beschränkung der Antragsbefugnis unzulässig werden darf. Der in dieser Entscheidung enthaltene Gedanke zur Einschränkung der Grundsätze des intertemporalen Rechts auch bei erstinstanzlichen Rechtsbehelfen muss aber auf die Anfechtungsklage Anwendung finden. In welchen Fällen demnach von der sofortigen Anwendung neuen Rechts abzusehen ist, hängt sodann maßgeblich von der Bedeutung und dem Gewicht der konkret betroffenen Verfahrensposition und der konkreten Rechtsbeeinträchtigung ab76. Soweit es in den vorliegend untersuchten Fällen in erster Linie um die aufschiebende Wirkung und die dadurch erlangte Verfahrensposition des Anfechtungsklägers ging, muss festgehalten werden, dass allein der Suspensiveffekt mit Blick auf dessen Dienlichkeit für die Umsetzung materiellen Rechts nicht von einer derart großen Bedeutung ist, die beispielsweise an die eines Rechtsmittels heran reicht könnte77. Es sind also auch in diesen Fällen verstärkt das Gewicht der durch den Suspensiveffekt vermittelten Verfahrensposition und die konkret bevorstehende Beeinträchtigung des Rechtsschutzes zu ermitteln. Beides müsste angesichts der nur sehr geringen Bedeutung entsprechend hoch einzustufen sein. Vor allem aber die Intensität der Beeinträchtigung ist ebenfalls verhältnismäßig gering zu bewerten78. Folglich könnte allenfalls noch ein besonders hoher Grad an Vertrauen der Verfahrensposition ein beachtliches Gewicht einräumen und damit das Vertrauensinteresse des Anfechtungsklägers so stärken, dass es in der Interessenabwägung überwiegt und somit der Anwendung neuen Rechts berechtigte verfassungsrechtliche Bedenken entgegenbringt. Entgegen der Auffassung verschiedener Verwaltungsgerichte ist also die mit der aufschiebenden Wirkung erlangte verfahrensrechtliche Position keineswegs mit derjenigen eines Rechtsmittelführers nach Einlegung eines Rechtsmittels und im Ergebnis schließlich auch nicht mit einer materiell-rechtlichen Position vergleichbar79. 74 Siehe zu dieser Fallkonstellation auch die ausführliche Darstellung im Zweiten Teil, A. I. 3. und 4. 75 BVerwGE 106, 237 (239). 76 Vgl. BVerfGE 87, 47 (63 f.), siehe dazu auch im Fünften Teil. 77 Siehe zur Bedeutung des Suspensiveffekts im Fünften Teil unter A. II. 2. b) aa). 78 Siehe dazu im Fünften Teil, C. 4. 79 So aber z. B. Thüringer OVG (Beschluss vom 29. 06. 1993), LKV 1994, 114 (115); Sächsisches OVG (Beschluss vom 15. 03. 1994), LKV 1995, 119; OVG Berlin (4. Senat, Be-
C. Bewertung der getroffenen Entscheidungen
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Freilich sind die in dem Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit zum Tragen kommenden verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit stets, so auch in dieser Fallkonstellation zu beachten. Allein das Absprechen des Suspensiveffekts beeinträchtigt aber insbesondere das Vertrauen keineswegs in gleicher Weise wie etwa das Unzulässigwerden eines Rechtsbehelfs, oder gar eines Rechtsmittels. Der Suspensiveffekt verleiht dem Anfechtungskläger nur in Ausnahmefällen, in denen dieser ein besonders hohes Maß berechtigten Vertrauens investiert, eine hinreichend gewichtige Verfahrensposition, die ihm im nachhinein nicht mehr entzogen werden kann. Generell genügt aber allein das Interesse am Fortbestand der aufschiebenden Wirkung noch nicht, dem Anfechtungskläger einen umfassenden und die Grundsätze des intertemporalen Rechts einschränkenden Vertrauensschutz zu gewähren80. Den Grundsätzen des intertemporalen Rechts stehen also in Fällen, in denen einer Anfechtungsklage der Suspensiveffekt infolge einer entsprechenden Neuregelung noch während eines anhängigen Verwaltungsprozesses aberkannt wird, weit weniger verfassungsrechtliche Bedenken entgegen, als etwa im Falle unzulässig werdender Rechtsmittel und auch erstinstanzlicher Rechtsbehelfe.
VI. Ergebnis Ausgangspunkt der Überlegungen, ob die Grundsätze des intertemporalen Rechts uneingeschränkt anwendbar sind, war der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit. Die darin enthaltene Einschränkung der Grundsätze sowie die in dieser Arbeit vorgenommenen Präzisierung und Erweiterung der Kriterien für die Sofortanwendung findet nicht nur auf Rechtsmittel im engeren Sinne Anwendung. Vielmehr sind die durch diesen Grundsatz konkretisierten verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit auch dann zu berücksichtigen, wenn es um die Frage geht, ob neues Recht unmittelbar auch für anhängige erstinstanzliche Verfahren gelten soll. Zu fragen ist zum einen danach, welche Bedeutung und welches Gewicht der durch das Verfahren eingeräumten Stellung des Prozessführenden zukommt und ob diese verfahrensrechtliche Position demzufolge einer materiell Rechtsposition gleichkommt. Zum anderen ist die Schwere der Beeinträchtigung des bei Anwendung des neuen Rechts eingeschränkten Rechtsschutzes zu berücksichtigen. Ergibt sich aus diesen Gesichtspunkten ein überwiegendes Vertrauensinteresse an der Anwendung noch alten Prozessrechts, ist eine Ausnahme von den Grundsätze des intertemporalen
schluss vom 20. 08. 1997), Az: 4 SN 353.97, JURIS, Rn. 2; Niedersächsisches OVG (1. Senat, Beschluss vom 18. 12. 1998), NVwZ 1999, 444 (445). 80 OVG Nordrhein-Westfalen (7. Senat, Beschluss vom 23. 01. 1998), NVwZ 1998, 759 (760); VGH Baden-Württemberg (8. Senat, Beschluss vom 16. 04. 1998), BauR 1998, 1005 (1006); OVG Saarland (2. Senat, Beschluss vom 17. 02. 1999), NVwZ 1999, 1006 (1007); VG Koblenz (1. Kammer, Beschluss vom 02. 03. 1998), Az: 1 L 373/98.KO, JURIS, Rn. 9.
252
6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
Rechts – wie im Falle der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle gezeigt – auch bei erstinstanzlichen Gerichtsverfahren nicht undenkbar. Wenngleich demnach festgehalten werden kann, dass die Grundsätze des intertemporalen Rechts keineswegs uneingeschränkt zur Anwendung gelangen können, muss umgekehrt, vor allem beim regelmäßig erfolgenden Rückgriff auf den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit seitens der Gerichte – wie die bisherige auch in dieser Hinsicht widersprüchliche Verwaltungsrechtsprechung zeigt – gerade auch in Bezug auf die erstinstanzlichen Rechtsbehelfe genauer differenziert werden. Es ist in erster Linie nach der Bedeutung der bedrohten Verfahrensposition für die Umsetzung materiellen Rechts zu fragen. Damit im Zusammenhang ist im Weiteren der drohende Vertrauensschaden von besonderem Interesse. Je größer dieser ist, desto schwerer wiegt das in die verfahrensrechtliche Stellung investierte Vertrauen und desto mehr Gewicht kommt damit letzten Endes auch dem Interesse an der Aufrechterhaltung der bereits erlangten Verfahrensposition zu. Für die Feststellung des Vertrauensinteresses ist daneben stets auch nach dem einzelfallabhängigen Grad des Vertrauens zu fragen. Bei hoher Vertrauensdichte kann schließlich auch eine weniger bedeutsame Verfahrensposition verfassungsrechtlichen Schutz gegenüber der sofortigen Anwendung neuer Prozessnormen erfordern.
D. Die Abwägung im Gemeinschaftsrecht Ebenso wie im deutschen Recht wird auch im Gemeinschaftsrecht dem vom Vertrauensschutz gedeckten privaten Interesse in einer Abwägung das öffentliche Gemeinschaftsinteresse gegenüber gestellt81. Die Abwägung ist dogmatisch in dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingebettet und wird im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne durchgeführt82.
I. Das allgemeine öffentliche Interesse der Europäischen Gemeinschaft an der Änderung bestehenden Rechts Ein übergeordnetes Gemeinschaftsinteresse an der Anpassung und Weiterentwicklung der Gesetze kann dazu führen, dass der EU-Bürger eine beeinträchtigende Normänderung hinnehmen muss83. Denn „mit Rücksicht auf die Funktionsfähigkeit [des Marktes] muß eine Änderung [auch] ohne Übergangsregelung möglich sein,
81 82 83
Siehe dazu auch bereits im Dritten Teil, D. II. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 836. Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 108 f.
D. Die Abwägung im Gemeinschaftsrecht
253
wenn ein zwingendes Interesse des Gemeinwohls dies gebietet“84. Entscheidend ist, dass ein gesteigertes, qualifiziertes öffentliches Interesse vorliegt, das über das bloße, durch reine Zweckmäßigkeitserwägungen geprägte Regelungsinteresse hinausgeht85. Dabei erscheint das Kriterium der praktischen Wirksamkeit, des „effet utile“ als herausragendes Argument für die sofortige Anwendung neuer Regelung unter Verzicht von Übergangsbestimmungen86. Ein überwiegendes öffentliches Interesse wird also häufig, ähnlich wie auch im deutschen Recht, mit Effektivitätserwägungen begründet. Die Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Marktes erfordert die Gewährleistung gesetzgeberischer Flexibilität. Eine effektive Marktlenkung setzt voraus, dass die Organe der EU mit der gebotenen Schnelligkeit auf Änderungen der wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten reagieren können87. Dementsprechend überwiegt in der Rechtsprechung des Gerichtshofs tendenziell das Interesse der Allgemeinheit, so dass dem Betroffenen regelmäßig aufgrund dessen der Schutz seines berechtigten Vertrauens verwährt wird88.
II. Der gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Abzuwägen wären also auch im Gemeinschaftsrecht das individuelle Interesse an der Aufrechterhaltung einer einmal gewährten Rechtsschutzmöglichkeit gegen das Interesse der Gemeinschaft an der Effektivität ihrer rechtlichen Regelungen89. Konkrete Anhaltspunkte oder schematische Regelungen, die das Ergebnis der Abwägung zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteresse absehbar machen, lassen sich der Rechtssprechung des Gerichtshofs nicht entnehmen. Da jedoch die Beeinträchtigung des Vertrauensschutzes eine Verletzung eines Verfassungsgrundsatzes darstellt, ist aber jedenfalls ein methodisches Vorgehen unter Beachtung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten90. Die Abwägung der gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen kann also nur dann eine kurzfristige und übergangslose Anwendung neuen Rechts auf laufende Rechtsverhältnisse rechtfertigen, wenn die damit einhergehende Verkürzung unter dem alten Recht 84 Rechtssache 84/78 (Tomadini), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1979, S. 1814, Rd. 20; Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 108. 85 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 192; Rechtssache 74/74 (CNTA), Sammlung der Rechtsprechung des EuGH 1975, S. 549, Rd. 41 – 43. 86 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 193. 87 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 222; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 124 f. 88 Altmeyer, Vertrauensschutz im Recht der EU und im deutschen Recht, 151; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 126. 89 Vgl. zu diesem Interessenkonflikt – im europäischen Verwaltungsverfahren – Stoye, Entwicklung des europäischen Verwaltungsrechts, 40 ff. 90 Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 125.
254
6. Teil: Die Abwägung mit dem entgegenstehenden öffentlichen Interesse
erlangter vorteilhafter Positionen Privater – wie auch im deutschen Recht – einer Überprüfung am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes standhalten kann91. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dessen Fortentwicklung insbesondere in Anlehnung an das deutsche öffentliche Recht erfolgte, gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz der Gemeinschaft mit Verfassungsrang, wonach das mit der Neuregelung verfolgte Ziel und die dazu eingesetzten Mittel in einen proportionalen Verhältnis zueinander stehen sollen92. Es kommt nach der Rechtsprechung des EuGH vor allem darauf an, ob die von den Organen gewählten Maßnahmen zur Erreichung des Zwecks geeignet sind, ob sie die Grenzen des hierzu Erforderlichen nicht überschreiten und ob sie im Hinblick auf die Freiheit des Gemeinschaftsbürgers die am wenigsten beschränkende Wirkung habe93. Eine aus der Sofortwirkung einer belastenden Neuregelung resultierende Vertrauensbeeinträchtigung ist also nur dann gemeinschaftsrechtskonform, wenn sie in Anbetracht aller rechtlichen und tatsächlichen Umstände für die Verwirklichung der avisierten Ziele zunächst auch notwendig ist94. Die Notwendigkeit ist insbesondere dann gegeben, wenn beispielsweise die Verabschiedung einer übergangsweisen Ausnahmeregelung oder die Einräumung einer längeren Frist bis zum Inkrafttreten der Neuregelung zu Störungen auf dem Gemeinsamen Markt oder zur Gefährdung dessen Effektivität hätten führen können95. In diesem Zusammenhang ist für den EuGH auch die Wertigkeit der Individualinteressen von entscheidender Bedeutung, die sich maßgeblich nach Art und „Verfestigungsgrad“ der jeweiligen, im Vertrauen auf die gegebene Rechtslage getroffenen Dispositionen richten. Denn je nach Stärke des Vertrauenstatbestandes wird die Durchsetzungskraft des Gemeinwohlinteresses, werden die Anforderungen an etwaige Übergangsregelung beziehungsweise deren Kompensation variieren96. Diese Betrachtungsweise ist insbesondere in Anbetracht der in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse hervorzuheben, dass sich der Vertrauensschutz im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens zunehmend verfestigen kann, so dass das allgemeine Interesse unter Umständen zurücktreten und damit die sofortige Anwendung eingeschränkt werden muss. Schließlich kommt es auch nach dem gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entscheidend auf die Schwere der individuellen Gesamtbelastung, des 91
Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 194; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 126. 92 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 195; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 832, zur Herleitung des gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, 692 ff. und zu dessen Rang als Verfassungsgrundsatz, 699 ff. 93 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 195 f. m.w.N.; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 831 ff. 94 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 197. 95 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 197; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 126. 96 Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 201; Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 99, 123.
E. Zusammenfassung
255
konkretes Nachteils an, der nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu dem mit der Rechtsänderung verfolgten Ziel stehen darf97.
E. Zusammenfassung Ziel der Abwägung ist es, die widerstreitenden Interessen auszugleichen und damit praktische Konkordanz herzustellen98. Vorliegend trifft das Interesse des rechtssuchenden Bürgers an einer Entscheidung nach dem Recht, das zur Zeit der Einlegung seines Rechtsbehelfs noch galt auf das staatliche Interesse, das neue Recht unmittelbar auf alle unter die geänderte Regelung fallenden Fälle anzuwenden, um somit die Verwaltungsgerichtsbarkeit und auch das Verwaltungsverfahren in möglichst effektiver Weise zu entlasten und zu beschleunigen. Gäben die Verwaltungsgerichte dem staatlichen Interesse in Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts stets den Vorrang, ginge dies mit einer Belastung des Interesses des Bürgers einher, das unter den beschriebenen Voraussetzungen verfassungsrechtlichen Schutz erfährt. Ein gerechter Interessausgleich findet bei einer solchen Vorgehensweise nicht statt. Konkordanz können die Verwaltungsgerichte vielmehr nur dadurch erreichen, indem sie anhängige Verfahren bei Vorliegen eines gewichtigen Vertrauensinteresses, das sich aus der Bedeutung und dem Gewicht der betroffenen Verfahrensposition und der Intensität der zu erwartenden Beeinträchtigung ergibt, noch nach altem Recht entscheiden und damit in gegebenen Fällen ausnahmsweise dem privaten Interesse den Vorrang einräumen. Solche Fälle liegen im Ergebnis vor, wenn der sich in dem verletzten Vertrauensinteresse widerspiegelnde Nachteil schwerer wiegt als der mit der Gesetzesänderung bezweckte Vorteil, der durch die Einbeziehung anhängiger Verwaltungsprozesse in den Anwendungsbereich der neuen Vorschriften erreicht werden könnte.
97 Borchardt, Vertrauensschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 125 f.; Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 839. 98 Siehe dazu im Dritten Teil, C. II. 2. c) und d) sowie C. II. 3.
Siebter Teil
Abschließende Betrachtungen Die zentrale Aufgabe dieser Untersuchung bestand darin, die Anwendbarkeit der allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts im Verwaltungsprozess zu überprüfen. Als Ergebnis dieser Überprüfung ist festzuhalten, dass diese Grundsätze nicht in jeder Verfahrenssituation gleichermaßen gelten können. Insbesondere der Grundsatz der sofortigen Anwendung neuen Rechts, den ein weiter Teil der Rechtslehre sowie der Rechtsprechung als den wesentlichen Grundsatz des intertemporalen Rechts ansieht, kann keine allgemeine Geltung beanspruchen. Angesichts verschiedener verfassungsrechtlicher Vorgaben und entsprechend den Besonderheiten des Verwaltungsprozesses müssen die Grundsätze des intertemporalen Rechts eine konkretisierende Einschränkung erfahren, und zwar immer dann, wenn die betroffene Verfahrensposition des Prozessbeteiligten dies erfordert. Ausgangspunkt dieser Erkenntnis ist der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit, der sich als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips darstellt. Danach kommt es für den Schutz der verfahrensrechtlichen Stellung des Rechtssuchenden vor der nachteilig wirkenden Anwendung neuen Rechts vor allem auf die Bedeutung und das Gewicht der Verfahrensposition an. Überdies erweist sich die konkrete Beeinträchtigung des Rechtsschutzes, die sich bei der sofortigen Anwendung neuen Rechts einstellen würde, als weiteres, die Grundsätze des intertemporalen Rechts konkretisierendes Kriterium. Grundlagen finden der Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit und die darüber hinaus gehenden Überlegungen in dem Erfordernis der Rechtssicherheit, im Vertrauensschutzsowie im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. In Fällen, in denen das Vertrauensinteresse des Bürgers an einer Entscheidung des anhängigen Verfahrens nach noch altem Prozessrecht das öffentliche Interesse an der unmittelbaren Verwirklichung der neuen Regelungen in einer Abwägung überwiegt, erfordert schließlich das Gebot praktischer Konkordanz eine Ausnahme von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts.
A. Forderungen an die Verwaltungsrechtsprechung In der Hauptsache zielen die hier gewonnenen Erkenntnisse auf eine Verbesserung, eine Vereinheitlichung der Verwaltungsrechtsprechung. Für den damit bezweckten Schutz des Bürgers und dessen verfahrensrechtliche Stellung ist die Einhal-
A. Forderungen an die Verwaltungsrechtsprechung
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tung der zuvor aufgestellten Vorgaben von entscheidender Bedeutung. Im Einzelnen zieht das die nachstehenden Konsequenzen mit sich.
I. Rechtsfolge des Vertrauensschutzgrundsatzes Wendet die Verwaltungsrechtsprechung neues Prozessrecht auf noch anhängige Verfahren an, liegt ein Fall unechter Rückwirkung vor. Darin kann eine Verletzung verfassungsrechtlich geschützten Vertrauens liegen, soweit dieses schutzwürdig ist und dem Interesse des von der Rechtsänderung betroffenen Bürgers an der Anwendung noch alten Rechts kein schwerer wiegendes öffentliches Interesse entgegensteht. Wird mit Hilfe der in dieser Untersuchung entwickelten Kriterien festgestellt, dass das Vertrauen des prozessführenden Bürgers gegenüber der sofortigen Anwendung neuen Prozessrechts geschützt werden muss, führt das zur weiteren, vorübergehenden Anwendung noch alten Rechts. Rechtsfolge des Vertrauensschutzes ist also die Bindung des Staates, vorliegend der rechtsprechenden Gewalt an die Vertrauensgrundlage, die bisherige verfahrensrechtliche Regelung. Die Beurteilung laufender Verfahren nach neuem Recht wäre folglich verfassungswidrig. Das neue Recht muss anhängige Altfälle unangetastet lassen. Das entspricht auch dem Erfordernis eines schonenden Übergangs vom bisherigen auf das künftige Recht im Sinne der relativen Kontinuitätsgewähr und eines schonenden Interessenausgleichs zwischen privatem und staatlichem Interesse im Sinne praktischer Konkordanz. Um der Gefahr einer Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Vertrauens entgegen zu treten, empfiehlt es sich schließlich – jedenfalls im Verwaltungsprozessrecht – nach altem Recht anhängig gemachte Prozesse im Zweifel auch noch nach altem Recht zu entscheiden.
II. Rechtsfolge des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Liegt ein schutzwürdiges Vertrauensinteresse vor, kollidiert dieses mit dem staatlichen, von dem Zweck der Gesetzesänderung getragenen Interesse an der Sofortanwendung der Neuregelung. Schutzwürdig ist ein der alten Rechtslage entgegengebrachtes Vertrauen, wenn sich die Rechtsänderung für den Bürger belastend auswirkt und darüber hinaus ein Vertrauenstatbestand vorliegt. Im Rahmen der, verfassungsrechtlich vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geforderten Abwägung sind die widerstreitenden Interessen in einen angemessenen Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz zu bringen. Dabei sind für die Gewichtung des in die Abwägung einzustellenden Vertrauensinteresses die Bedeutung und das Gewicht der beeinträchtigten Verfahrensposition zu beachten, ebenso wie die Intensität der konkreten Rechtsschutzbeeinträchtigung.
258
7. Teil: Abschließende Betrachtungen
III. Rechtsfolge des Erfordernisses der Rechtssicherheit Der Rechtssicherheit wird im Ergebnis der voran stehenden Untersuchung damit Genüge getan, intertemporalrechtliche Fragestellungen anhand klarer nachvollziehbarer Kriterien zu beantworten, die die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls berücksichtigen. Als im Wesentlichen zu beachtende Punkte stellen sich dabei insbesondere diejenigen heraus, auf die es bei der Gewichtung des in die Abwägung einzustellenden privaten Interesses ankommt und die in der bisherigen Verwaltungsrechtsprechung zu wenig Berücksichtigung fanden. Orientierungshilfen bieten die im Folgenden zusammengefassten Erkenntnisse. Für die Feststellung der Bedeutung der konkreten Verfahrensposition beziehungsweise des sie begründenden Verfahrens ist dessen Dienlichkeit für die Verwirklichung materiellen Rechts ausschlaggebend. Dabei ist zu beachten, dass dem Verwaltungsprozess an sich schon eine erhöhte Bedeutung im Vergleich vor allem zum Zivilprozess zukommt. Denn es besteht hier die Besonderheit, dass das umzusetzende materielle Recht, anders als im Zivilrecht nicht durch private Dispositionen, sondern regelmäßig durch staatliche Akte gefährdet ist. Erst ein staatliches Handeln veranlasst den Bürger vor einem Verwaltungsgericht zu prozessieren. Die Ermittlung des Gewichts der Verfahrensposition orientiert sich in erster Linie an Vorgaben des Vertrauensschutzes. Hierbei bietet insbesondere der Grad des Vertrauens einen wesentlichen Anhaltspunkt, dessen Bestimmung weitere Kriterien erfordert. Als sinnvoll erweist es sich hierbei, die Veranlassung der in Frage stehenden Prozesshandlung näher zu untersuchen, die Vorhersehbarkeit der Rechtsänderung sowie die Vorhersehbarkeit der bevorstehenden gerichtlichen Entscheidung, falls diese Erfolg versprechend ist. Soweit es dabei auf die Rechtmäßig- beziehungsweise Rechtswidrigkeit des staatlichen Handelns ankommt, bietet es sich an, diesbezüglich eine summarische Prüfung vorzunehmen, ebenso wie bei der Feststellung der konkreten Rechtsschutzbeeinträchtigung. Für die Gewichtung des Vertrauensinteresses kommt es schließlich auf die Beeinträchtigung des in Anspruch genommenen Rechtsschutzes an, deren Intensität stets in engem Zusammenhang mit der jeweiligen Bedeutung des anhängigen Verfahrens steht. Mit Hilfe dieser Kriterien, die in den aufgezeigten Zusammenhängen vor einer Entscheidung über die Anwendung alten oder bereits neuen Prozessrechts geprüft werden müssen, kann schließlich eine eindeutigere, nachvollziehbarere und womöglich einheitlichere Entscheidungspraxis herbeigeführt werden. Auch können hiermit Säumnisse der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, aber auch der Rechtslehre ausgeräumt werden, die es bislang unterließen, präzisere Anhaltspunkte für die Frage der Anwendbarkeit neuer prozessrechtlicher Normen zu entwickeln.
B. Konsequenzen für den Gesetzgeber
259
IV. Rechtsfolge des Gebots des fairen gerichtlichen Verfahrens Da dem Bürger die Grundsätze des intertemporalen Rechts und vor allem die Voraussetzungen ihrer Anwendung in der Regel nicht bekannt sein dürften, erfordert es das Gebot des fairen gerichtlichen Verfahrens, dass die Gerichte in Fällen sich ändernden Prozessrechts die Verfahrensbeteiligten auf die Besonderheit dieser Verfahrenssituation hinweisen. Vor dem Hintergrund dieses zentralen Verfassungsgrundsatzes sind die Verwaltungsgerichte dazu angehalten, sich mit der Thematik des intertemporalen Rechts näher auseinanderzusetzen und den Prozessführenden darüber zu informieren. Werden dem Bürger die dabei zu beachtenden Kriterien vermittelt, eröffnet sich ihm die Möglichkeit, insbesondere die Bedeutung und das Gewicht seiner bis dahin erlangten Verfahrensposition selbst einzuschätzen. Erst wenn das Gericht diesbezüglich mit dem Bürger zusammenarbeitet, kann dieser abschätzen, wie es um seine Erfolgsaussichten bestellt ist. Je nachdem kann er infolge dessen sein prozessuales Anliegen für erledigt erklären oder auf eine Entscheidung nach altem Recht beharren. Keinesfalls hinnehmbar wäre es hingegen, wenn die Verwaltungsgerichte gar die anstehende Gesetzesänderung abwarten, etwa mit dem Ziel, das dann geltende, die Prozessvoraussetzungen verschärfende Recht anzuwenden um sich damit selbst zu entlasten1.
B. Konsequenzen für den Gesetzgeber Gelangt die Verwaltungsrechtsprechung entsprechend dem Ergebnis der vorliegenden Ausführungen dazu, rechtsstaatliche begründete Ausnahmen von den Grundsätzen des intertemporalen Rechts auch über den Fall eines anhängigen Rechtsmittels hinaus zuzulassen, nötigt sie in der Folge dessen den Gesetzgeber zu einer sorgfältigeren Gestaltung von Prozessnormen und insbesondere zum Erlass entsprechender Übergangsvorschriften. Die richterliche Verneinung der sofortigen Anwendbarkeit in Anlehnung an den Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit „zwingt den Gesetzgeber, geplante Restriktionen unmißverständlich beim Namen zu nennen“2. Die gesetzgebenden Organe müssten, wollten sie in jedem Falle auch anhängige Verfahren dem neuem Prozessrecht unterwerfen, klare Übergangsvorschriften erlassen, die die neuen Regelungen mit ihrem Inkrafttreten für sofort anwendbar erklären. Denn nur dann könnte der Gesetzgeber sicher gehen, dass das mit dem neuen Recht verfolgte Ziel auch auf direktem Wege verwirklicht wird. Bleiben hingegen intertemporale Fragen in den Gesetzestexten weiterhin ungeklärt, kann nach den gewonnenen Erkenntnissen die gesetzgeberische Intention im Einzelfall auch hinter dem privaten Interesse an der vorübergehenden Anwendung noch alten Rechts zurückstehen. 1 Siehe zur Problematik des Abwartens künftigen Rechts ausführlich bei Kloepfer, Vorwirkung, 56 ff. 2 Sachs, JuS 1993, 685 (686).
260
7. Teil: Abschließende Betrachtungen
C. Die Rechtsprechung des EuGH Der zeitliche Anwendungsbereich aufeinander treffender neuer und alter Rechtsvorschriften wirft im deutschen wie auch im Gemeinschaftsrecht vergleichbare Rechtsfragen auf. Eine grundlegende Antwort darauf findet der EuGH in dem gemeinschaftsrechtlich anerkannten Grundsatz der Sofortwirkung. Dessen Anwendung steht jedoch auch hier unter dem Vorbehalt vor allem des Vertrauensschutzes. Die verschiedenen vom Gerichtshof berücksichtigten Vertrauenskriterien gleichen dabei im Wesentlichen denen, die auch im Ergebnis dieser Untersuchung Berücksichtigung erfordern. Allerdings neigt der EuGH dazu, den Grundsatz der Sofortwirkung, vor allem unter dem Aspekt fehlender Schutzwürdigkeit der EU-Bürger, konsequenter anzuwenden, als dies nach den Erkenntnissen dieser Untersuchung auf dem Gebiet des deutschen Verwaltungsprozessrechts sachgerecht erscheint. Am Ende ist festzustellen, dass auch die Rechtsprechung des EuGH keine Patentlösung für jede denkbare intertemporalrechtliche Fragestellung bereithält3. So ist die in dieser Arbeit aufgegriffene spezielle Problematik des Vertrauensschutzes im Prozessrecht, soweit ersichtlich, in den Entscheidungen des Gerichtshofs noch nicht in notwendiger Weise vertieft worden. Auch die allgemeinen Anhaltspunkte, anhand derer der Gerichtshof den Vertrauensschutz überprüft, variieren bisweilen in den verschiedenen Entscheidungen. Zwar können der Rechtsprechung des EuGH Voraussetzungen des Vertrauensschutzes entnommen werden. Eine klare, eindeutige Vorgabe für eine einheitliche adaptierbare Prüfung lässt sich dabei jedoch nicht erkennen.
D. Fazit Die Auswertung der sich häufig widersprechenden Verwaltungsrechtsprechung in Bezug auf die Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich neuen Prozessrechts zeigt, dass die Verwaltungsgerichte bisher keine einheitlichen Kriterien zum intertemporalen Recht entwickelt haben. Die dahingehende Nachlässigkeit der Gerichte mag vielerlei Ursachen haben. Unmöglich ist die Aufstellung allgemeingültiger Anhaltspunkte, wie die vorstehenden Ausführungen belegen, aber jedenfalls nicht. So liefert die Arbeit im Ergebnis Stützen und Anregungen für eine gerechte Lösung zeitlicher Normenkollisionen im Verwaltungsprozess. Die Grundlage dafür bilden insbesondere aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Erwägungen. Danach ist die Anwendung der Grundsätze des intertemporalen Rechts nicht in jedem Falle opportun. Unter welchen Bedingungen es demgegenüber vorzugswürdig ist, anhängige Verfahren nach noch altem Recht zu entscheiden, richtet sich vor allem nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes. Diesem können zahlreiche, in die Prüfung einzustellende Kriterien entnommen werden, anhand derer die Rechtmäßigkeit beziehungsweise Rechtswidrigkeit der sofortigen Anwendung neuer Prozessregelungen festzustellen 3
Vgl. Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht, 331.
D. Fazit
261
ist. Dabei sind insbesondere die jeweils betroffenen Verfahrenspositionen einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Verwaltungsprozesses führt die richtige Einschätzung der verfahrensrechtlichen Stellung des Prozessführenden und seines Interesses an deren Aufrechterhaltung im Ergebnis zu einer ausgewogenen Entscheidung.
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Sachwortverzeichnis Abwägung/Interessenabwägung 38, 66, 73, 103, 116, 121, 125, 134 ff., 149 ff., 162 ff., 166 ff., 233 ff., 256 ff. Anfechtungsklage 86 f., 87 ff., 99 f., 100 ff. 102 f., 182, 184 ff., 203, 225 ff., 250 f. aufschiebende Wirkung 86 f., 87 ff., 99 f., 100 ff. 102 f., 180, 184 ff., 202 f., 226 f., 237 Bedeutung der Verfahrensposition 166 ff., 216 begünstigender Verwaltungsakt 87 ff., 99 f., 100 ff., 225 f., 237 belastender Verwaltungsakt 86 f., 170, 184 ff., 225 Berufung 94 ff., 180, 220 f., 236, 246 f. Beschwerde 79 ff., 181 f., 221, 234 f., 246 Bestimmtheit 107 ff., 131 Bundesverfassungsgericht 35 f., 38, 46, 72, 81, 118 f., 127 f., 133, 140, 155 f., 157, 166, 179 ff., 190, 218 ff., 233 Bundesverwaltungsgericht 118, 245, 248 ff. dienende funktion des Verwaltungsprozesses 173 ff., 179, 183 Drittwiderspruch 87 ff., 93 ff., 99 f., 100 ff., 225 ff., 235, 237 Effektivierung 236 f., 240 Effektivität staatlichen Handelns 116 ff., 135 Effektivitätsgrundsatz 116 ff., 124 f., 135 EuGH 74 ff., 122 ff., 147, 148 f., 161 ff., 188, 203 ff., 253 f., 260
Gebot des fairen gerichtlichen Verfahrens 110, 143 f., 259 Gemeinschaftsrecht 74 ff., 122 ff., 146 ff., 161 ff., 188, 203 ff., 252 ff., 260 Gesetzesänderung 40 f., 79, 82, 86, 87, 94, 98, 99, 100, 102, 194 ff. Gesetzesankündigung 196 ff., 201, 217 Gesetzesbeschluss 198, 199 ff., 217 Gesetzesverkündung 30 ff., 35 f., 106, 195, 199, 200 ff., 217 Gewicht der Verfahrensposition 128, 141, 145, 150 f., 153, 165, 166, 187, 189 ff., 231, 244, 245, 247, 250 f., 252, 255, 256 ff. Gleichheitsgrundsatz 144 f. Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit 80 ff., 97 ff., 126, 127 f., 149 ff., 165, 179 ff., 242, 245, 247 ff., 256, 259 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 38, 139 ff., 239 ff. Grundsätze des intertemporalen Rechts 45 f., 46 ff., 66 ff., 72 f., 78 ff., 109, 111 ff., 126 ff., 177, 188 f., 231, 233, 245 ff., 256, 260 Intensität der Beeinträchtigung 153, 218 ff., 255 Intertemporales Gemeinschaftsrecht 74 ff. Intertemporales Privatrecht 47 ff. Intertemporales Recht 40 f. Kollisionsregeln 42 ff., 45, 106 Kontinuität 28, 40, 75 f., 134, 145 f., 154, 244, 257
Fortschritt des Prozesses 205 ff.
lex posterior 33, 44, 45, 113, 121
Garantie effektiven Rechtsschutzes 141 ff. Gebot der Gerechtigkeit 128 ff.
materiell-rechtliche Position 28, 80, 127, 157, 160, 217, 250
Sachwortverzeichnis Neuregelung 234 ff. Normenkontrolle (verwaltungsgerichtliche) 22, 82 ff., 182 ff., 203, 222 ff., 248 ff. Normkollision 43, 75 Öffentliches Interesse 73, 128, 135, 141, 145, 149, 150 ff., 177 f., 190, 233 ff., 238 ff., 252 ff. Privates Interesse 128, 133 f., 135, 149, 150 ff., 153 ff., 166 ff., 235, 238 ff., 252 ff., 257 ff. Prozessbeteiligter 25, 46, 72, 73, 78, 110, 127, 131, 137, 142, 143, 146, 151, 157, 159, 188, 216, 247, 256 Prozessführender 109, 126, 143, 150 f., 153 ff., 160, 166, 178, 202 f., 205 f., 208 f., 212 ff., 233, 251, 257, 259, 261 Prozesshandlung 100, 132, 144, 160 ff., 192 ff., 206 f., 258 Prozessrecht 22, 45 f., 72, 75 ff., 80 ff., 111 f., 120, 126, 134, 137, 150 ff., 153 ff. 165, 173, 175 f., 178 f., 183, 188, 193 f., 205, 210 ff., 238, 240, 249, 251, 256 ff. Prozessrechtsverhältnis 38, 72, 75, 133, 206 Rechtsanwendungsmaximen 74 ff., 122, 126, 147 f. Rechtsklarheit 31, 106 f., 123, 131 Rechtsmittel 46, 72, 80 ff., 98 f., 99 f., 107, 127 f., 144, 150 f. 154, 179 ff. 190, 202, 220 ff., 222 ff., 246 ff., 259 Rechtsmittelsicherheit 80 ff., 97 ff., 126, 127 f., 149 ff., 165, 179 ff., 242, 245, 247 ff., 256, 259 Rechtsprechung 27 ff., 74 ff., 78 ff., 107 ff., 112 ff., 120 ff., 127 ff., 136 f., 137 ff., 144, 173, 175 f., 188 ff., 239, 256, 260 Rechtsprechungspraxis 26, 27 ff., 105, 114, 145 Rechtsschutz 72, 83, 121, 132, 141 ff., 146 ff., 153, 161, 166 ff., 169 ff., 183 ff., 193 f., 212, 218 ff., 230 f., 236 ff., 240, 243 ff., 246 ff., 256 ff. Rechtssicherheit 23 ff., 30, 31, 35 ff., 40, 70, 73, 103, 105 ff., 111, 112, 119, 122 ff., 128 f. 131, 131 ff., 141, 148, 149 ff., 161,
269
166, 175, 183, 198, 201 ff., 211 ff., 237, 241, 249, 251, 256, 258 Rechtsstaatsprinzip 22, 26, 30, 35 f., 40, 69 f. 73, 104, 105, 110, 112 ff., 121, 126, 128 ff., 141, 143, 145 f., 148, 149, 154 ff., 165, 195, 211, 223, 245, 246, 248, 256, 260 Rechtssuchender 28 f., 132, 239, 241, 143 f., 151, 155 ff., 177, 187, 190, 192, 194, 195, 202, 205 ff., 217 f., 220 ff., 230 f., 242 ff., 255, 256 Regelungslücken 21, 123 Rückwirkung 34, 35 ff., 128, 133 ff., 147, 148, 257 Schutzwürdigkeit des Vertrauens 37 f., 73, 153, 154 ff., 163 ff., 190 f., 194, 203 f., 233 Sofortanwendung 73, 103, 111, 113, 146, 190, 202, 230 f., 242 ff., 251, 257 sofortige Vollziehbarkeit 88 ff., 101, 185 ff., 225 ff., 237 Sofortwirkung 73 ff., 113, 124, 146 ff., 161, 188, 254, 260 Statthaftigkeit 46, 127, 181, 221 Summarische Prüfung 194, 215 ff., 227 ff., 230, 232, 258 Suspensiveffekt 90 ff., 182, 184 ff., 228 f., 244, 250 f. Übergangsrecht 28, 33 f., 39, 40 ff., 46 ff., 74, 108, 113 f., 122, 125, 141, 176 Übergangsvorschriften/-regelungen 22, 25, 27 f., 39, 41, 45, 78, 112, 115, 121, 127, 129, 136 ff., 202, 252 ff., Verfahrensbeschleunigung 121, 234, 238 ff. Verfahrensnormen 22, 24, 109, 113, 115, 126, 141, 161, 166, 178 f., 207 Verfahrensposition/verfahrensrechtliche Position 23, 26, 116, 126, 127 f., 130, 132, 141, 144, 146, 150 ff., 153 ff., 165, 166 ff., 179 ff., 189 ff., 218 f., 223 f., 230 f., 238 ff., 251 f., 255, 256 ff. Verfahrenssituationen 22, 24 ff., 78 ff., 118, 132, 219, 220, 230 f., 245 ff., 256 Verfassungsmäßigkeit 105 ff.
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Sachwortverzeichnis
Vertrauen 23, 29, 35 ff., 72 f., 75 f., 128, 131 ff., 153 ff., 190 ff., 213 ff. 231, 233, 238 ff. 247, 252, 253 ff., 257 Vertrauensbildung 155, 158 f. Vertrauensgrad/Grad des Vertrauens 190 ff., 216 f., 219, 231, 243 ff., 252, 258 Vertrauensgrundlage 29, 155, 156 ff., 191 ff., 257 Vertrauenshandlung/Disposition 29, 38, 69, 132 ff., 157, 159 ff., 163, 191 ff., 216 ff., 230, 254, 258 Vertrauensinteresse 133, 149, 151, 164, 166, 191 ff., 201 f., 213, 214 ff., 230 ff., 233, 238 ff., 251 f., 255, 256 ff. Vertrauensschaden 163 f., 219, 221, 224, 227, 230 f., 252 Vertrauensschutz 23, 29, 36 ff., 69 f., 73 f., 76, 103, 111, 122, 126 ff., 131 ff., 148 ff., 153 ff., 166, 187, 190, 195, 199 ff. 216, 231 f., 233 f., 238 f., 251, 252 ff., 256 ff. Vertrauenstatbestand 154 f., 162, 254, 257 Verwaltungsakt 70, 84, 86 f., 87 ff., 99 f., 100 ff., 170, 172, 184 ff., 225 ff., 235, 237, 240 Verwaltungsgerichte 22, 25 f., 78 ff., 103, 105, 107, 109, 110, 144, 155, 168 ff., 172 f., 174 f., 178, 182, 189, 194, 202 ff., 222, 235, 240, 245, 247, 250, 255, 259 f.
Verwaltungsgerichtsbarkeit 118, 121 f., 126, 167 ff., 173, 174, 178, 234 ff., 238, 240, 255 Verwaltungshandeln 117, 120, 172, 174 f. Verwaltungsprozess 25 f., 27, 75, 78, 97, 100, 104, 105, 118, 121 f., 141, 152, 164, 167, 171 ff., 173 ff., 176, 177 f., 179, 189, 192 f., 206, 209, 220, 232, 235 f., 251, 255, 256 ff. Verwaltungsprozessrecht 25 f., 66 f., 72, 103, 110, 127, 151, 166 f., 167 ff., 171 ff., 173 ff., 176 f., 177 f., 179 ff., 182 ff., 188 f., 205, 231 f., 238, 242, 257, 260 Verwaltungsrechtsprechung 22, 25, 27, 78, 103 f., 120, 149, 157, 176, 202, 226 f., 245, 249, 252, 256 ff. Vorhersehbarkeit 31, 107, 163 f., 191, 195 ff., 203 ff., 213 ff., 230, 258 vorläufiger Rechtsschutz 79 ff., 179, 181 f., 185 f., 221, 225 ff., 235 ff., 246 Vorwirkung 35, 195, 196 ff., 213, 214 ff. Widerspruch 86 f., 87 ff., 99 f., 100 ff., 235 wohlerworbene Rechte 53 zeitliche Anwendbarkeit von Gesetzen 41, 73, 109, 115, 130, 148 Zivilrecht 22, 25, 27, 47 ff., 63 ff., 67, 168, 171, 177, 189, 193, 231, 258 Zulässigkeit 72, 127 f., 190, 212, 247